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Full text of "Zeitschrift für Theologie und Kirche"

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3eiff($riff 

für 

in  Scrbinbung  mit 

D.  ^,  i^atnad,  ^tofeffor  ber  2:i^eologie  in  ^Berlin,  D.  fß.  i^tttmann,  ^xo- 

feffor  ber  2:^eologie  in  TlaxhnxQ,  D.  3.  i^aftan,  ^rofeffor  ber  Geologie 

in  ©erlin,  D.  8R.  «eiWIe,  ^ofeffor  ber  a:i^eoIogie  in  ©atte  o.  ^.,  D.  Ä.  Seff, 

^ofeffor  ber  ä^eologie  in  Sonn, 

herausgegeben 
oon 

D.  |.  ©rttfrirtik, 

^^rofeffor  brr  Zl^eologie  in  Tübingen. 


^  ü  t  i  n  8  e  n 

«erlag  oon  3.  a.  95.  3W  ol^  r  ($aul  ©iebed) 
1905. 


STANFQRD  UNlVEÄftlTV 

LlBRAR»i*'9 

STAO» 

DEC  2  » Ibb^ 


5lIIc  SHcrf)tc  vorbehalten. 


^.       ''    /   -'' 


%tvA  »on  4».  aa«l»p  ir  in  «übinflen. 


III 


©eite 

2)er  ©laubc  an  @ott  unb  bic  ffiiffcnWaft  unfcrcr  3dt.  SBon  ».  $err» 

«taitn.  3lad)  einem  S^ortrag  in  ^^icago  am  21.  Wlhxi  1904  .  .  1 
3eitöemö6  ober  S^^^^ö^?    S5on  Dr.  «.  ^offmamir  Pfarrer  in  @rni* 

bin  gen 27 

2)ie  ©eßenmart  bc«  @otteSrcid)8  in  ben  gjarabeln  öom  ©enffom  nnb 

Sauerteig,  öon  ber  felbftttjat^fcnben  Saat,  bem  Untraut  unb  bem 

Sifd)ne^.    $on  gff.  Xtauf^,  @p^oruiS  am  eüang.  t^eol.  ©eminar 

©diöntal 58 

ßoifQ  contra  ^amacf  (S)a8  SBefen  be«  ©^riftentum«  in  eoangeliWcr  unb 

fat^olifcöer  93elcu(^tung).    SSon  gJrofeffor  Lic.  Dr.  flSobbemtin  76 

3:ie  ßage  ber  f^ftematifc^en  ^^eologie  in  ber  ©egentoart.    SSortrag  ge» 

galten  in  ber  füb^annoöeriWen  ^aftoralfonfereng  am  5.  Oft.  1904. 

S3on  $rofeffor  D.  ^fb.  S^attenbuf^  in  @  ö  1 1  i  n  g  e  n  .  .  .  .  108 
3ur  5eicr  bcS  200iai^rigen  2:obe8tag8  bon  ^^ilipp  Sacob   ©pener. 

S3on  ¥.  Sobpeitt      147 

fintier  im  puSlit^en  ßeben.   ©in  ©eitrag  gu  ber  neueften  ßut^erfontro* 

berfe,  nacft  einem  Sßortrag  in  ©trafeburg.  Son  Statl  6cÄ  ...  157 
^ag  SSerftänbuid  ber  S3ibel  in   ber  @ntn)icf(ung  ber  SJlenfc^^eit.    S3on 

Dr.  Sl^eobof  ^ftring,  ^rofeffor  an  ber  Unioerrttät  X  ü  b  i  n  g  e  n  .  176 
^ie  moberne  $rebigt.    $on  Lic.  ^«   9Hebef0alI,  ^^rioatbojenten  in 

©eibelberg 203 

S)ie  Xaufle^re  in  ber  mobernen  pofttiöen,  Iut^erif(^en  3)ogmatif.  I.  Söon 

Lic.  CHo  ei^eel      273 

^a»  2cbtn  nad^  bem  ©oangelium.    äSon  D.  @berl^afb   Sifi^er,  $ro« 

feffor  ber  X^eologie  in  23  a  f  e  I 377 

S^Iaffifdie,  moberne  unb  religiöfe  fiebenöauffaffung.  SBon  Sßfarrer  91.  ^lanif 

(SBronnweiler  bei  a^eutlingen) 415 

^ie  2:aufle^re  in  ber  mobernen  pofitiüen,  lut^erift^en  S)ogmatif.    II. 

SBon  Lic.  Otto  Si^ecl 441 

SBa^  ift  um  Sefud?    ©in  9Bort  ber  SSerfö^nung  unb  aur  9$erf5^nung 

in  ben   augenblicflic^en  ^ömpfen.     23on   ^aftor  fßtfttxmann  in 

@  r  i  m  e  r  f  u  m  bei  e  m  b  e  n 516 


SnidTf  e^Ier>93eri(l|tiguttg : 

^  $rofe1Tor  D.    0.  Sifc^ert  9luffa|  edte  410,  Seile  7  unb  8  t).  o.  lie<  SHltfai  ftatt 

SBflrmertt. 


fer  (^Umbt  an  <&(rii  m^  iiu  piffenftt^aft  mftxtx  ^txt. 
99ß.  ^errmanit. 

S!flad)  einem  Vortrag  in  ^^icago  am  21.  im&ra  1904. 


3)er  ©egcnftanb,  über  ben  id)  fprcc^cn  roitt,  t)at  un§  aDe 
fc^on  bcfd)äfti9t  unb  pielc  pon  un§  beunruhigt.  3)ie  SDBiffenfc^aft 
unfcrer  ^^it  if*  fielen  eine  ©efa^t  für  i^ren  ©lauben  an  @ott. 
aSie  überminben  wir  biefc  ®efa^r?  3)cv  2Infang  ber  SBiffenf^aft 
liegt  in  bev  2lrt,  wie  ha^  menf^Iic^e  S3en)u^tfein  fic^  ba§  3Bir^ 
lic^e  feftfteOt.  3)ie  SBiffenf^aft  ift  alfo  fo  alt  wie  bie  jum  ^^- 
lüufetfein  ern)a^tc  3Wenfd)^eit.  SEBenn  wir  aber  ^ier  üon  ber 
SBiffenfc^aft  unferer  Qi\i  reben,  fo  meinen  mir  etroag,  wa^  früher 
niemalig  ejiftierte.  SBir  benfen  aber  and)  nicl)t  an  eine  SBiffcn» 
fd)aft,  bic  im  SSerborgenen  einige  tief  finnige  ßöpfc  befd)äftigt. 
Unferc  ©eforgniffc  gelten  einer  geiftigen  9Kad)t,  beren  fic^  feiner 
üon  un§  erwehren  !ann,  beren  Spuren  mir  alle  in  un§  felbft,  in 
ben  JJunbamenten  unferer  ffieltauffaffung  entbedfen.  ^n  ben  legten 
jmei  Sfö^^^unberten  t)at  fid)  bie  n)iffenfc^aftlid)c  Slrbeit  grünblic^ 
oeränbert.  ^n  biefer  neuen  ©eftalt  erft  ift  bic  SBiffcnfc^aft  ju 
ber  ÜWad)t  gebief)en,  bie  ben  religiöfen  ©tauben  ju  erftirfen  brof)t. 

9EBa§  bie  9Biffenfd)aft  unferer  ßeit  vor  allen  frül)eren  au§- 
jeic^net,  ift  nid)t  bie  güUc  neuer  ®ntbccfungcn,  mit  benen  fxe  un§ 
überrafc^t  unb  bie  Gräfte  ber  Kultur  er^ö^t.  3)ie  SBiffenfc^aft 
ift  in  fid)  felbft,  in  ber  Slrt  il^rer  Slrbeit,  flarer  unb  fieserer  gc== 

3ettj(^rift  für  J^eoloßte  «nb  Äirc^e.  16.  ^afjrg.,  i.  ^eft.  1 


2    $errmonn:  ^er ®loube  an  &ott  unb  bie  SBiffcnfdiaft  unfcrcr  3^it. 

roorbcn.  S)a§  perfd)afft  i\)x  bie  b\Sf)^x  unerhörte  ©croalt  über 
bie  9Jienfc^en.  ®enu  unfer  Seben  in  biefer  ffielt  treibt  in  einer 
Unfic^ert)eit ,  bie  un§  bei  einiger  93efinnung  über  unfere  Sage 
ba§  ^erj  beflemmt.  SQ3ir  greifen  ba^er  unrointürlid^  ba^in,  wo 
n)ir  ziwa^  fefte§  fet)en.  äBir  bürfen  un§  aber  nic^t  barüber  täu^ 
fc^en,  ba^  gegenwärtig  jafiHofe  SWenfc^en  biefen  ®inbrudt  be§ 
imponierenb  feften  unb  boc^  in  lebenbiger  93en)egung  begriffenen 
üielme^r  pon  ber  3G8iffenfd)aft  empfangen  al§  pon  ber  Äird)e. 
SQ3ir  werben  pielleic^t  fagen,  ba^  e§  nic^t  fo  fein  foUte,  aber  wir 
muffen  fe^en,  ba^  e§  fo  ift.  ^n  ben  legten  ;3a^rje^nten  fommt 
e§  ben  9Wenfd)en  immer  me^r  jum  93en)ugtfein,  ba§  bie  einfad)en 
©runbgebanfen  ber  äBiffenfd)aft  einen  fieberen  Fortgang  ber  6r^ 
tenntni^  perbürgen,  burd)  bie  e§  un§  mögli^  wirb,  unfere  ^err* 
fd^aft  über  bie  3)inge  ju  erweitern  unb  bie  ©renjen  unfere§  ^ön- 
nen§  einjufe^en.  2llte  auf  bie  ®r!enntni§  be§  3Bir!lic^en  ge^ 
richtete  2Irbeit  beruht  auf  jmei  ©runbfä^en,  3)er  erfte  lautet: 
bie  pon  ber  SEBiffenfc^aft  erfannte  SBirMi^teit  ift  eine  gefe^mä^ige 
Orbnung,  ein  gefe^mä|ige§  Oefc^el^en.  ®er  jmeite  lautet:  ba§ 
SBirflic^e,  ba§  bie  äBiffenfc^aft  erfennt,  ift  nie  PoHftänbig  be- 
ftimmt.  3)iefe  ©runbfä^e  ^aben  unbewußt  gemirtt,  feitbem  9Wen^ 
fc^en  fic^  bemüt)t  l^aben,  ba§  Söirflic^e  ju  cr!ennen  unb  baburc^ 
3)inge  ju  be]^errfd)en.  9lber  folange  fie  unbewußt  mirtten,  fonnte 
e§  leicht  gefd^e^en,  ba^  man  fic^  baneben  in  Jräume  perlor,  in 
benen  Pon  einer  foldjeu  Söirtung  nic^t§  ju  fpüren  war.  2)ie 
SQSiffenfc^aft  bc§  SlriftoteteS  l^atte  fic^  noc^  nic^t  barauf  befonnen, 
wie  S^atfad^en  erfannt  werben.  3)e§^alb  ^aben  bie  SRenfd^en  bur^ 
jwei  3»a^ttaufenbe  fic^  leicht  einbilben  fönnen,  ba§  aSirtlid^e  ju 
erf äffen,  wo  fie  in  9Ba^rf)eit  i^ren  SBünfd^en  nachjagten  ober 
träumten,  ^e^t  i^at  bie  3Biffenfd)aft  bie  33ebingungen  i^rer  @r^ 
tenntni^  be§  nad)wei§bar  aB3irflid)en  l)erau§gearbeitet  unb  ^at  ba* 
burd)  eine  neue  (Situation  für  ba§  geiftige  Seben  ber  Kulturoölter 
gefc^affen.  2)enn  fo  weit  ber  Sinflu^  ber  wiffenfc^aftlic^en  2lr= 
beit  reicht,  wirb  e§  un§  je^t  piel  fc^werer  gemad)t,  ben  ©c^eiu 
mit  bem  3B3ir!U(^en  ju  perwec^feln  unb  (Sinbilbung  für  Srtennt^ 
ni§  }u  ^Iten.  3Bir  fangen  an,  ju  werten,  wie  wir  an  ber  ^anb 
ber  met^obifc^en  ©runbfä^e  ber  ^JBiffenfc^aft  au§  ben  unfi^eren 


©crrmonn:  '3)er  ®Iaubc  an  (^ott  unb  bie  9Biffcnf c^aft  unf erer  3«it.    3 

SBorftettungen  über  ba§  SBirfli^c,  ba§  un§  umgibt,  uuS  {)erau§= 
finbcn.  ®^  Tüäve  fc^ümm,  wenn  bie  ganjc  ©l^riftcn^eit  fid)  biefe 
gro|c  33cränberung  fo  üer^üUcn  wollte,  wie  c§  bie  römif^c  ^ird)C 
tun  muß,  Tüeil  fie  burd)  bie  ©efd^Iüffe  be§  Sßatifanum  gebunbeu 
ift.  SBir  tun  unfere  ^flic^t,  wenn  wir  un§  rut)ig  flar  mad^en, 
n)a§  für  ben  ©lauben  unb  feine  SJertünbigung  barau§  folgt,  ba§ 
bie  SDBiffenfc^aft  angefangen  ^at,  fic^  auf  bie  Sebingungen  unb 
bie  ©renjen  itirer  Srfenntni^  ju  befmnen.  (S§  lä|t  fic^  ni^t 
leugnen,  bafe  ba§  eine  ©efa^r  für  ben  ©lauben  üieler  9Wenfd)en 
bebeutet.  3)ie  c^riftlid)e  ©emeinbe  füt|lt  fid)  mit  SRed)t  fc^mer  be- 
bro^t,  benn  mele§,  moran  fie  fic^  früher  l)iett,  fie^t  fie  je^t  burc^ 
eine  glut  unabweisbarer  ©eban!en  ^inmeggeriff en ,  unb  in  ben 
©runbfä^en  ber  n)iffenfd)aftlic^en  ©rtenntniS  finbet  fie  ba§  ©e== 
genteil  beffen,  maS  fie  glaubt. 

Sefonber§  fremb  mu§  bem  ©lauben  ber  juerft  genannte 
©runbfat^  erfc^cinen.  Äann  bie  SBiffenfc^aft  nur  ba^  ©efet^^ 
mäßige  aU  roirttid)  ermeifen,  fo  ift  für  fxe  grabe  ba§  nic^t  üor- 
^anben,  roa^  für  ben  ©tauben  ba§  allein  3Jläc^tige,  alfo  ba§ 
ma^r^aft  SEBirflic^e  ift,  nämlic^  ein  ©ott,  ber  bem  SWenfc^en  ^ilft. 
2)er  ©laube  ge^t  immer  auf  ©ott  allein.  Können  mir  aufri^tig 
fagen,  ba|  mir  an  ©^riftuS  glauben,  fo  meinen  mir  ©ott,  menn 
mir  ®^riftu§  fagen.  2Ba§  aber  ©ott  fei,  l^at  ber  ^rop^et  ber 
Seutfc^en,  SKartin  Sut^er,  im  großen  Katechismus  ^errlic^  g^f^gt. 
©Ott  ift  baS  SBefen,  ju  bem  man  fic^  oerfe^en  tann  aUeS  ©uten 
unb  ^>iufluc^t  fuc^en  in  allen  9löten.  SBenn  mir  unS  an  biefeS 
SQ3efen  galten  wollen,  fo  meinen  wir  bod^,  ba§  bie  ©reigniffe,  bie 
unfer  ©c^idfal  werben,  beS^alb  fo  gefcl)e^en,  weit  unferer  ©eele 
in  unfern  gegenwärtigen  Kämpfen  eine  §anb  ooU  unerfc^öpflid)er 
^ilfe  gereid^t  werben  folt.  SBir  f)aben  babei  ot|ne  3«>^if^f  ^^^ 
^orfteüung,  ba^  bie  Urfac^e  beS  ©efc^e^enS  in  unferen  Jlöten 
liegt,  weil  fie  ©ott  bewegen.  ®ie  SBiffenfc^aft  wei^  baoon  nichts. 
Sie  fie^t  in  bemfelben  @efd)e^en  bie  Söirfung  oon  Kräften,  bie 
bereits  als  ©temente  ber  3Bir!tid)feit  üor^anben  waren,  unb  bereu 
3ufammentreffen  an  biefem  ^unft  beS  SRaumeS  unb  ber  Qtxt  ein 
folc^eS  ©rgebniS  ^aben  mu^te.  Slber  wenn  wir  el)rlic^  fein  wollen, 
werben  wir  unS  eingeftel)en,  ba^  nid)t  blo^  eine  unS  frembe  ober 

1* 


4    ©errmann:  ^cr  ® laubc  an  ®ott  unb  bic  SBiff enf d)af t  unf crer  ^üt 

läftigc  9Biffenfd)aft  fo  bcutt,  fonbern  ba^  lüir  fclbft  bicfe  Sluffaffung 
bcr  3)ingc  befolgen,  fobalb  wir  unS  jufammenraffen,  um  in  ber 
SBett  etipa§  au§juric^ten.  3Benu  mx  au§  bem,  n)a§  gef^ie^t, 
ctroag  mad)en  wollen,  fo  muffen  mir  un§  barüber  flar  ju  werben 
fuc^en,  mie  e§  gef^ie^t.  Ferren  über  bie  ®inge  merben  mir  nur, 
menn  mir  il)re  Urfad)en  un§  flar  machen,  ober  ba§  @ef diesen  in 
feiner  ©efe^mä^igteit  üerfte^en.  äBir  alle  ge^en  uumillfürlic^ 
biefen  SBeg,  menn  mir  ni^t  blo|  träumen,  fonbern  arbeiten  motten. 
3)ie  befonbere  fieiftung  bcr  SBiffenfd^aft  befte^t  nur  barin,  ba^ 
fie  ba§  al§  bic  einjig  mögliche  SWet^obe  ertennt,  ba§  2BirfIid)e 
nadijumeifen,  unb  biefe  3Jletf)obe  forgfältig  au^bilbet.  Slber  inbem 
bie  2Biffenf^aft  unferer  Qüt  ba§  leiftet,  erjeugt  fie  ©ebanfen,  bie 
unfern  ©lauben  bebrängen.  3)a  mo  ber  ®influ§  ber  SBiffenfc^aft 
nod)  nic^t  oerfpürt  mirb,  mu§  man  fic^  freiließ  aud)  für  beftimmte 
SWomente  ber  ®efet^mä§igfeit  be§  ®efd^el)en§  anpaffen,  ^n  ©e-- 
fd)äften  ftatuiert  man  feine  SBöunber.  2)iefe§  ^arte  SBort  ^ant§ 
mirb  feiner  oon  unS  beftreiten.  Slber  ba§  fdjliefet  tatfäd)li^ 
ni^t  au§,  ba^  mir  in  anbern  SUlomenten,  menn  mir  nid)t  gerabe 
babei  fxnb,  an  ben  fingen  }u  arbeiten,  un§  bo^  mieber  ber  SBor» 
fteDung  überlaffen,  ba|  un§  eine  SBelt  üon  äBunbern  umgibt, 
meil  mir  meinen,  in  unferer  gegenmärtigen  9tot  ben  93emeggrunb 
eine§  allmäd)tigen  SBirfen^  fe^en  ju  bürfen.  ©te^en  mir  bagegen 
unter  bem  Sinflu^  ber  2Biffenfd)aft,  fo  tritt  eine  mistige  2lenbc» 
rung  ein.  Sann  mirb  ber  ©ebanfe  ber  ©efe^mä|igfeit  be§  ©e^ 
fct)e^en§  nid)t  mel)r  blo^  gclegcntlid)  angemenbet.  ®§  entfielet 
üielme^r  bann  in  un§  ein  neue§  burc^  biefen  ©ebanfen  beftimm^ 
teg  äBeltbilb,  ba§  SSeltbilb  ber  SBiffenfdliaft.  9iae§,  ma§  mir 
un§  al§  eine  bem  miffenf^aftlic^en  ©rfennen  erreichbare  SBirfli^* 
feit  üorftellen  mögen,  ift  burd)  feine  Urfac^en  beterminiert,  b.  ^. 
burc^  bie  unenbli^e  Söiel^eit  ber  3)inge  unb  ©reigniffe  in  SRaum 
unb  3^i^-  3)i^  miffenfc^aftlicl)e  9lrbeit  fann  nic^t  ermarten,  ie= 
mal^  einen  anberen  ©^arafter  be§  3Birf liefen  anjutreffen;  benn 
ftc  felbft  unterfc^eibet  ja  oermittelft  jene§  ©ebanfen§  ber  ©efe^« 
mä^igfeit  ba§  SQßirflic^e  oom  (Sd)ein.  ©injelnc  5orfd)er  mögen 
fid)  immer  noc^  einbilben,  ba§  fic  mit  i^ren  SJJitteln  bie  ©teilen 
im  SDBirftic^en   jeigen  fönnen,  mo  biefe  ©efe^mä^igfeit,  ba§  un* 


©errmann:  3)er  ©taube  on  ®ott  unb  bie  Sßiffenf d&af t  unfcrer  3«^^-    ^ 

enbfic^c  93cbmgtfein  bur^  bic  nähere  unb  fernere  Umgebung,  auf^ 
^ört.  3)ie  SBiffcnfc^aft  im  ®anjen  bagegcn  jcigt  eine  9iu^e  unb 
©tetigtett  be§  gortfd)reiten§,  bie  bo^  fd^lie^lic^  piel  ftärter  auf 
bie  3Renfct)en  mirft  al§  bie  3lufgercgtl)eit  ©injelner,  bie,  mie 
®.  ^  ä  d  e  l  ober  3f.  9*  ^  i  ti  f  e,  c§  fertig  bringen,  eine  au§  i^ren  ®e^ 
mütSbebürfntffcn  entfprungene  SBeltauffaffung  SDäiffenfd^aft  ju 
nennen.  Ob  fold^e  ^riefter  einer  angebfic^  n)iffenf(^aftlid)  be* 
grünbeten  SBeltanfc^auung  bie  in§  Unenbli^e  fid^  erftrerfenben 
^^araüelen  be§  miffenfc^aftUc^en  (Srfennenö  jufammenbiegen,  um 
bie  Sieligion  umjubringen,  mie  ^  ä  d  e  (,  ober  um  i^r  neue§  Seben 
cinjuflö^en,  mie  Steinte,  ift,  miffenfd^aftli^  angefe^en,  berfelbc 
Jei^ler.  6§  liegt  auc^  bei  beiben  genau  berfelbe  SWangel  an 
religiöfem  98er[tänbni§  oor,  nämli^  bie  3Weinung,  ba§  ber 
aWenfc^  auf  bie  SReligion  üerfalte,  um  feine  ©emüt^bebürf^ 
niffe  ju  befriebigen.  %üx  bie  ed)tcn  $ropf)cten  mar  bie  religiöfe 
®rfenntni§  ein  ^eilige^  aWu|,  ba§  ein  (Stäv!erer  über  fie  braute, 
eine  ®rfenntni§  anberer  Slrt  aU  bie  miffenfc^aftli^e,  aber  boc^ 
Srtenntni^  in  ernftem  ftrengen  ©inne.  ®aburd),  ba^  fie  bafür 
fein  aSerftänbniS  l^aben,  werben  fold^e  2:^eotogen  ber  9laturforfc^ung 
bem  2ibm  ber  9teligion  in  gleicher  9Q3eife  gefäf)rlic^.  ®^  ift  frei« 
li^  anjnerfennen,  ba^  beibe  barin  religiöfe§  93ebürfni§  oerraten, 
ba§  fie  fid)  fo  ftart  um  eine  abgefc^loffene  SBeltanfc^auung  be^ 
mü^en.  SEBenn  mir  aber  biefe  2lner!ennung  9t  e  i  n !  e  au§fpred)en, 
fo  bürfen  mir  fie  feinem  ©enoffen  ^äciel  nid)t  oorent^alten. 
2lber  oiel  mel)r  aU  ba§  oermorrene,  menn  aud|  rüfirenbe  Streben 
fol^er  SWänner  bebrängt  un§  bie  3Biffcnfc^aft,  bie  ftreng  auf 
i^rem  SBege  bleibt,  burc^  it)re  unabmei^baren  ©ebanten. 

3)ie  6rfenntni§,  ba^  jebe§  nac^mci^bare  @reigni§  tatfäd^lic^ 
oon  un§  at^  ein  gefe^mä^igeS  angefel^en  mirb,  laftet  auf  un§ 
mit  ungeheurer  SBu(^t.  3)enn  mer  fo  beuten  mu§,  fie^t  bie  3Belt 
in  einer  mid^tigen  93ejie^ung  fo,  roie  fie  oon  iet)er  ber  ©otttofc 
gefe^en  l^at.  S)cn  ©reigniffcn  fef)tt  jebe  ©pur  üon  2lnteilna^me 
an  bem  So§  be§  9Jlenfc^cn.  3)a^  e§  fo  mit  ber  SBelt  fte^t,  bie 
mir  mit  ben  2lugen  be$  ertennenben  ®eifte§  auffaffen,  ^at  ber 
SWenfd^  oon  jelier  tief  empfunben.  3)a§  ©raufen  oor  bem  un^ 
enblid)en  ©cl)meigen  lä^t  fid)  ni^t  in  SEBorte  faffcn,   aber  jeber 


6    ^errmann:  ^cr  ®(aubc  an  ®ott  unb  bie SBiff enfd^aft  unf ercr  3cit. 

ju  potlcm  93ciüugtfein  eriüac^tc  9Jtenfc^  fennt  c§.  gür  un§  Äin^ 
ber  bicfer  3^it  if*  ober  bic  fiaft  üiel  größer  geworben,  aU  je 
juoor.  ®enn  m§  jeigt  bie  SBiffenf^aft,  ba§  bie  SBaffe  i^rer 
©iege  grabe  ber  ©ebanfc  ift,  ber  un§  ängftigt,  nämlid)  ber  (Sc^ 
banfe,  ba^  ba§  in  feiner  Söirflic^teit  gefi^ert  ift,  wa^  in  feiner 
©efe^mä^igfeit  erfannt  wirb.  3Ber  bie  SBirfüc^feit  in  bcm  fii^t 
ber  roiffenfc^aftlid^en  ®rfenntni§  fie^t,  mu§  fic^  fc^lie^Iic^  in  ber 
Sffielt  mie  lebenbig  begraben  üor!ommen.  SQ3enn  er  fie  tief  burd)« 
forf^t,  wirb  er  in  ber  leudjtenben  unb  tönenben  9Q3eIt  oiel  finben, 
n)a§  fein  Seben  reic^  mad^t,  fo  reid),  ba§  er  mit  ©efc^ämung 
baran  benfen  mu§,  wie  pie(  ber  roiffenfi^aftlic^e  2lrbeiter  vor 
feinen  93rübern  üorau§  \)at  9lber  e§  gilt  auc^  oon  biefen  ©c^ä^en : 
ber  SWenfc^  lebt  nic^t  baoon,  ba§  er  mele  ®üter  ^at.  3)enn  bie 
roiffenfc^aftlic^  erfannte  SQ3ir!lid^feit  oerfagt  i^m  ba§  Sine,  roa§ 
er  l^aben  mag,  wenn  er  ni^t  innerlich  erftarren  foll,  bic  ©rfaf)* 
rung,  ba|  au§  altem  aB3ir!Iid)en  ein  SDäefen  \px\6)t,  mit  bem  er 
fetbft  in  bem  53en)u§tfein  eine§  eroigen  Qkl^  unb  in  feiner  ©el^n« 
fuc^t  nac^  SSoQenbung  innertid)  oerbunben  ift.  Sin  foId^e§  SBefen 
nic^t  l^ören,  f)ei§t  gottlob  fein.  SBir  ^ören  e§  aber  n\6)t,  fonbern 
fto^en  an  bie  ftummen  SBänbe  unfere§  ®rabe§,  menn  mir  un§ 
!Iar  ma^en  muffen,  ba§  bie  3)inge  fic^  nad|  i^ren  eigenen  ©e- 
fe^en  ridjten,  aber  nic^t  nad)  unferm  ^erjen.  3)ie  Sßiffenfc^aft 
mad|t  un§  ba§  tlar.  3)a§  biefe  ®rtenntni§  über  bie  Greife  ber 
gorfc^er  meit  hinaufbringt  unb  ba§  Sßolf  überflutet,  ift  üielleic^t 
bie  gro^artigfte  unb  bie  gefa^rlid)fte  ©rfc^einung  unferer  3^^*- 
6§  ift  ein  Sieg  ber  SBa^r^eit,  unb  e§  mirb  oon  Unjäl^ligen  mit 
©c^merj  ober  mit  ^o^n  al§  Untergang  be§  @laubcn§  cmpfunben. 
SBir  bürfen  un§  bie  2Bat)r^eit  nid)t  oerf d)leiern ,  aber  mir 
fxnb  baoon  überjeugt,  ba^  biefe  @rfenntni§  ni^t  ba§  le^te  SEBort 
über  ba§  SBirtlidie  ift.  ^aben  mir  jemals  an  ®ott  geglaubt,  fo 
l^aben  mir  aud)  (Erfahrungen  gemacht,  bereu  Erinnerung  un§  nic^t 
gänjtid)  in  ber  Slnna^me  oerfmten  lä§t,  ba§  ba§  aUeö  ^Bufion 
mar.  2lber  e§  fragt  fid),  ob  mir  anbern  ben  SBeg  jum  ©lauben 
meifen  unb  ob  mir  felbft  bic  93e^auptung  be§  ®lauben§  feft^alten 
tonnen,  ol^ne  bie  oon  ber  SBiffenfd)aft  un§  erfc^loffenc  SBa^r^eit 
ju  oerleugnen. 


$errmann:  ^cr  ®Iaubc  an  ®ott  unb  bie  SBiffenfd^oft  unferct  3^it.    7 

3n)ci  aWittcI,  um  jum  ©laubcn  an  ®ott  ju  gelangen,  roer^ 
ben  un§  am  lauteften  empfohlen.  SBir  foQen  un§  fräftig  ju  bem 
©tauben  entfd|Iie|en ,  bcffen  mir  nun  einmal  bebürfen,  unb  mir 
f oUen  auf  eine  2lrt  von  ^ö^erer  SBiffenfd)aft  ^ören,  bie  bie  SBirf* 
lic^feit  ®otte§  bemeifcn  tonne.  93eibe  3Witte(  finb  uralt;  fie  muffen 
fid)  alfo  fc^on  irgenbmie  bemäl^rt  ^aben.  2lu^  be^^alb  tonnen 
fie  ntd)t  ganj  unprattif(^  fein,  meil  bie  römifd^e  Sir^e  beibe  em* 
pfie^lt  unb  forbert.  (Sie  meint,  ba§  ®ott  fei,  merbe  un§  bt^ 
miefen;  Ratten  mir  ba§  aber  eingefe^en,  fo  müßten  mir  aud)  be= 
reit  fein,  ju  gtouben,  ma§  ®ott  ju  glauben  befiel)lt.  9Q3ir  motten 
furj  fagen,  marum  meber  eine  aßßiffenfdiaft,  bie  ®otte§  äBirtti^* 
feit  bemeift,  noc^  ein  @ntf^tu§  ober  Söitte  jum  ®Iauben  unS 
unferer  31ot  entreißen  fann. 

aSir  moDen  bie  3Biffenfd)aft,  bie  bie  aOSirttictifeit  ®otte£;  be^ 
meifen  mitl,  gern  ^ören.  Qmax  ba§  alte  in  ber  römifd)en  Äird^e 
feftgel^attene  UJerfa^ren,  an  bem  in  ber  SBett  aöirttid)en  bie  ©puren 
©otteS  nac^jumeifen,  Ratten  mir  für  abgetan.  3)ie  ©yiftenj  irgenb 
eines  üon  unS  üorgeftettten  3)inge§  ober  ©reigniffeS  mirb  unS 
nur  baburd)  gemiß,  baß  mir  e§  mit  feiner  notieren  unb  ferneren 
Umgebung,  at§  ju  if)r  gehörig,  oerfnüpft  fe^en.  SÖSaS  alfo  ein 
fotc^eS  3)ing  ober  ®reigni§  ift,  empfangt  eS  au§  ber  unenbtidjen 
Jiefe  üon  5Raum  unb  3^it-  ®^  ^^t  batier  feinen  (Sinn,  irgenb 
etma§  baran  nac^meifen  ju  motten,  bei  bem  man  nic^t  nad)  ge* 
fe^mäßigen  3uföntment)ängen  forf^en  bürfe,  meil  e§  ftd)  at§ 
Schöpfung  ®otte§  barftette.  3)ie  gegenmärtig  in  9lom  befonberS 
eifrig  betriebenen  SBerfudje,  munberbare  Leitungen  al§  üon  ®ott 
bemirfte  miffenfc^aftti^  ju  ermeifen,  merben  üon  gebitbeten  Äa- 
t^otiten  mit  9le^t  peintid)  empfunben.  3)enn  maS  in  biefer  aOSett 
als  mirftid)  nad)gemiefen  mirb,  enthüllt  immer  eine  ®efe^mäßig» 
feit  be§  ®efc^e^en§,  hinter  ber  jmar  ®ott  oerborgen  fein  fann, 
in  ber  er  aber  ni^t  offenbar  ift.  3)ie  oon  ber  SBiffenf^aft  un* 
ferer  Qdt  erreid)te  Klarheit  über  i^r  Sßerfatiren,  ba§  SBirftic^e 
feftiuftetten ,  ma^t  bie  93erfuc^e,  oermittetft  fot^er  Srfenntniffe 
®ott  JU  erfaffen,  ju  einer  2lbfurbität.  2lnber§  ift  e§  mit  einer 
©pefutation,  bie  bie  3^öge  aufmirft,  mie  ba§  ma^r^aft  ©eienbe 
gebad)t  merben  fönne.  ^f)x  ift  bamit  nid)t  ba§  SHed)t  abgefprodjen. 


8    §crrmann:  5)er  staube  an  ®ott  unb  bic  SBiffenfd^aft  unfcrcr  3^tt. 

Slber  c§  ift  jmat  ruo^t  möglich  unb  roirb  immer  roieber  gefc^el^en, 
bag  bcr  religiöfc  ©taube  mit  feinen  ©ebanten  über  @ott  folc^e 
ßrgebniffe  bcr  p^ilofop^ifd)en  ©petulation  in  ©crbinbung  bringt, 
dagegen  ift  e§  nid^t  mögli^,  ba^  religiöfcr  @(aube  an  @ott  burc^ 
eine  fotc^e  ©ebantenarbeit  begrünbet  wirb.  SDenn  au^  menn  mir 
fic^er  cr!annt  ju  l^aben  meinen,  baj5  ba§  allein  mal)r^aft  feienbe 
SÖäefen  bie  geiftige  9)lac^t  be^  Outen  ober  Siebe  ift,  fo  Ijaben  mir 
bamit  !eine§megsi  religiöfen  ©tauben.  S)enn  grabe  bann  mirb 
bem  ftttli(^  fämpfenben  SKenf^en  bie  ^rage  um  fo  peintidjer,  ob 
fein  eigene^  Seben  üon  biefer  Siebe  getragen  wirb,  ob  er  nic^t 
feine  innerfte  2:enbenj  al§  ein  ^inberni§  i^re§  3Birten§  erlebt, 
ba§  burd)  i^re  5Wa^t  befämpft  unb  jum  SJlittel  für  3lnbere§  ^er* 
abgefegt  mirb,  meil  er  fo,  mie  er  ift,  nic^t  baju  taugt,  ©nbjmecf 
ju  fein  ober  eroig  ju  leben.  3)iefe  ©yiftenjfrage  be§  ©injelnen 
löft  feine  ©pefulation.  S)ie  ^Religion  bagcgen  ^at  e§  mit  biefer 
grage  allein  ju  tun.  2lu§  bemfelben  ©runbe  tann  un^  unfer 
©ntf^lu^  allein  nic^t  jum  religiöfen  ©tauben  an  ©ott  oer^elfen. 
greili^  fonnen  roir  e§  o^ne  grojse  SKü^e  fertig  bringen,  ba§  mir 
un§  irgenb  roeldie  allgemeinen  ©eban!en  über  ©ott  unb  fein 
SBirten  angeroöt)nen,  inbem  roir  bie  3tt>^ifcl  baran  unterbrüdten. 
Slber  ber  ©taube,  nac^  bem  roir  un§  fernen,  cntfte^t  fo  nid^t.  @r 
bebeutet,  fic^  fürd|ten  unb  boc^  lieben  unb  oertrauen,  atfo  in  tiefer 
Demütigung  ftd)  befreit  füllen,  ©in  fol^e§  ©efül^l  tann  ein 
SRenfd^,  ber,  roenn  er  einmal  ganj  mit  fic^  allein  ift,  fid^  ratlo§ 
unb  unglürflic^  füt)lt,  nid|t  burc^  feinen  ©ntfc^tug  in  ftc^  ent= 
roirfeln.  ®r  tann  ba§  ebenfo  roenig,  roie  er  e§  an^  ber  ©rtennt* 
ni§  be§  Sltlgemeingüttigen  geroinnen  tann.  3)enn  e§  l^anbelt  fic^ 
babei  um  ben  ©e^alt  feiner  eigenen  ©yiftenj,  um  fein  3Bot)l  unb 
3ße^e.  2)a§  lä^t  ftc^  aber  nid)t  in  eine  allgemeine  SBal^r^eit  auf* 
(Öfen,  unb  ebenfo  roenig  tonnen  roir  felbft  e§  un§  fc^affen  burd) 
unfern  ®ntfd)lu^.  9Bir  tonnen  un§  nic^t  glürflic^  machen,  roenn 
roir§  nid^t  ftnb.  3Bir  finben  einen  fieberen  SBeg  in  unferer  grage 
nur  bann,  roenn  roir  feft  im  Sluge  ^aben,  ba^  an  ©ott  glauben 
fc^tiegti^  immer  ^ei^t,  mit  bem  ©efül^t  reinen  ©lüdfe§  in  eine 
unerfd^öpflid^e  3utunft  blirfen.  S)a§  tonnen  roir  un^  nid)t  felbft 
geben,   aber   roir  tonnen  ju  ber  grage  aufroad[)en,   ob   bie  53e^ 


©crtmann:  ^cr  ©taube  an  ®ott  unb  bie SBiffenf c^aft  unf crcr  Qtxt    9 

bingungen  bafür  un§  nic^t  (ängft  gegeben  ftnb,  unb  nur  perfd^üttet 
ftnb  unter  einem  SSielerlei  oon  Qntcreffen,  bie  uid|t  wert  fmb, 
eine  ©eele  ju  füllen. 

S)ie  SQSiffenfdjaft  \)at  e§  mit  ben  2:at[ad^en  ju  tun,  wie  fte 
unter  einanber  oerfnüpft  fmb,  nid^t  aber  mie  fie  auf  unfer  in= 
bipibuelleg  Seben  mirten.  ®§  fteüt  fid^  affo  ein  äßirtlic^e^  ^er* 
au§,  ba§  für  jebeu  üon  un§  in  befonberer  SBeife  porl^anben  ift, 
für  bie  SBiffcnfc^aft  aber  überhaupt  ni^t,  nämlid)  bie  inbipibuede 
Sebenbigteit  be§  ©injelnen  unb  ba§,  ma^  für  il^n  bie  ©reigniffe 
irerben,  bie  i^n  berühren.  ®ie  SBirtlic^teit,  auf  bereu  ooütom^ 
mene  @rtenntni§  bie  äßiffeufc^aft  gerid^tet  ift,  nennen  mir  nacft^ 
mei^bar;  bie  SBirflidjteit,  bie  nur  für  ben  ©injelnen  oor^anben 
ift,  nennen  mir  erlebbar.  ®iefe  Unterfdieibung  ^at  für  bie  SSer« 
tretung  ber  Sleligion  in  ber  ©egenroart  eine  funbamentafe  ©e« 
beutung.  ^n  ber  SBelt,  oor  bie  bie  9)lenfd^en  fo  gefteüt  merben 
tonnen,  ba^  fie  fie  fc^Iiefelic^  fe^en  muffen,  ift  ba§  überhaupt  nic^t 
ju  finben,  roa§  fic^  bem  SWenfc^en  entt)üUt,  wenn  er  e^  erlebt. 
aJlan  mu&  nur,  menn  man  fid)  biefe  einfache  SBal^rl^eit  fidiem 
will,  bie  5^age  aufmerfen,  mie  e§  ertannt  merben  tann,  ba^  be^ 
ftimmte  ®reigniffe  be§t)alb  gefd^e^en,  meil  mir  felbft  in  bie  ^ö^e 
tommen  f ollen.  9lur  eine  fold^e  6rtenntni§,  bie  au^  bem,  maS 
gefd^iel)t,  eine  um  un§  beforgte  Siebe  ^evau^^ört,  ift  religiöfe  ©r^ 
femitni§.  SBäer  bie  Sreigniffe  fo  jufammenorbnet,  ba^  er  fte  al§ 
Offenbarungen  oäterlid)en  ®rnfte§  unb  oaterlid)er  Siebe  lefcn  tann, 
üerfte^t  fie  religiös.  Slber  e§  gibt  teine  logifc^en  3Jlittel,  burc^ 
bie  mir  felbft  baju  gebracht  merben  ober  anbere  baju  bringen 
tonnten.  SQSeil  ba§  ot)ue  meitere§  einleuchtet,  mirb  e§  uielen 
3Wcnf^en  fo  leid)t,  bie  religiöfe  9lnfc^auung  für  ^Uupon  ju  galten. 
2)a&  ba  mirtlic^  etrna^  9Jeale§  angefd^aut  mirb,  tonnen  mir  na* 
türtid)  nic^t  faffen,  menn  mir  überhaupt  nic^t^  erleben.  ®§  fef)lte 
un§  bie  gö^igf^it  ^^^  religiöfen  Slnfc^auung,  menn  mir  alle§  @e^ 
fd)e^eu  an  un§  üorübergleiten  liefen,  o^ne  e§  ju  bem,  ma§  mir 
für  ung  felbft  fein  moDen,  in  ©ejie^ung  ju  fc^en.  ®a§  tann 
nun  freiließ  teiner  ganj  unterlaffen,  benn  ieber  tut  e§,  inbem  er 
Sd^merj  unb  Suft  fü^lt.  3lber  in  biefem  Srleben,  ba§  ftc^  bei 
jebem  SWenfc^en  finbet,    meil   e§   fc^on  ju  ber  tierifdien  ©fiftenj 


10    ^crrmann:  %zx  ®Iaube  an  ®ott  unb  bie  SBiffcnfci6aft  unfcrer  ßeit. 

gehört  Hegt  offenbar  noc^  nichts,  roa§  un§  für  religiöfc  Stnfc^ou^ 
ung  empfänglich  machen  fönnte.  @§  befähigt  un§  baju  erft  bie 
fpejififc^  menfd^Iid)c  2(rt  be§  ®r(eben§,  bie  bei  jebem  ©injelnen  fo 
üerfümmern  tann,  ba§  in  feiner  ©eele  nie  ein  nrfprünglidier  2:on 
ber  ^Religion  erfUngt.  ®ir  erleben  aber  ba§,  xoa^  nn§  loiber* 
fä^rt,  tt)ie  9Jlenfd)en,  wenn  bie  eigentümli^  ntenfc^licfte  2lrt  ber 
@f  iftena  in  nn§  entiüidelt  ift.  3)a§  ift  bann  ber  %aü,  wenn  roir 
nic^t  notwenbig  üom  3lugenblid  oergeroaltigt  werben,  fonbern  nn§ 
it)m  gegenüber  behaupten  fönnen.  @ine  fofd^e  ®r]^ebung  über  bas;, 
ma§  wir  im  Üffloment  erleiben,  ift  nn§  aber  f^lieglic^  nnr  mög* 
lid)  in  ber  ®rtenntniö,  ba|  unfer  äBollen  eine  nnoeränberli^e 
9lic^tung  ober  ein  emige§  ^kl  i)at  a3erjid)ten  mir  barauf,  fo 
fönnen  mir  freili^  immer  noc^  nnfere  Umgebnng  meit^in  be^err^ 
fd^en  ober  oiel  in  ber  SQSelt  auöri^ten.  2lber  fc^liefelic^  geben 
mir  bann  boc^  nn§  felbft  anf .  5)enn  menn  mir  nid^t  felbft  etma§ 
Unoergängltc^eg  au§  nn§  mad^en  moUen,  fo  i)at  e§  !einen  ©inn, 
baranf  ju  rechnen,  ba§  alle§,  ma§  in  ber  Qnt  gefc^ie^t,  nn§ 
bienen  merbe.  S)er  SBille  aber,  ber  eigenen  ®fiftenj  einen  ^n^ 
^alt  in  geben,  ben  mir  felbft  al§  emig  ertennen,  ift  fittlid)e  ®e= 
finnnng.  S^lgl^  if*  fittlid^er  ®rnft  eine  nnnmgängltc^e  33ebingnng 
religiöfer  ßi^^^'^fi^t.  SGBenn  SWenfd^en  barüber  Hagen,  ba§  fte 
nic^tg  erfüt)ren,  ma^  i^nen  bie  auf  fie  geri^tete  Siebe  (Sotte§  be* 
miefe,  fo  muffen  fie  fx6)  fragen,  ob  fte  bie  SBa^r^aftigfeit  auf^ 
bringen,  fic^  in  bemjenigen  jn  fammeln,  ma§  fie  felbft  a(§  ba§ 
3iel  it)re§  SBoÜen^  erfennen,  oon  bem  fie  nic^t  laffen  bürfen.  ®§ 
mirb  immer  fo  fein,  ba^  nur  bie  ®ottc§  ©timme  pren,  bie  au§ 
ber  SBal^r^eit  finb. 

S)amit  ^aben  mir  ben  ^untt  erreicht,  an  bem  fid)  bie  Slu^^^ 
einanberfe^ung  be§  @lauben§  an  @ott  mit  ber  miffenfd[)aftlid)en 
6rtenntni§  be§  nac^mei^bar  SQgirfli^en  noüjiet)en  mufe.  2)er 
©laube  an  @ott  ift  ber  3Biffenfd[)aft  gegenüber  oöüig  ^altlo§,  menn 
er  fi^  nic^t  aufrid^tig  fagen  tann,  baj5  er  ebenfo,  mie  fie,  rüdE» 
l^altlofe  93eugung  oor  ber  3Q3a^r^eit  ift.  SEBenn  er  nic^t  au§  ber 
6rtenntni§  be§  SBirflid)en  t)en)orgegangen  ift,  fonbern  au§  einer 
|>inmegfe^ung  über  ba§  S3äirtlid)e,  trägt  er  ben  Keim  be§  2:obe§ 
in  fidf).    3)enn  bann  ift  er  in  feinem  Urfprung  SBunfrf)  unb  3&xlU 


©crrmann:  %tx  ©laubc  an  ®ott  unb  btc  9Btffcnfrf)aft  unfcrcr 3cit.    U 

für.  Unb  fobalb  er  fic^  bQ§  fclbft  cingcftcl^cn  muJ5,  (oft  er  fici^ 
auf.  S)e§f)alb  fmb  alte  9Serfud)e  üergebli^,  bie  ÜRenfd^cn  baburd^ 
}um@laubcn  ju  bringen,  bag  man  i^nen  nur  ba§,  n?a§  geglaubt 
werben  foD,  al§  eine  gorbcrung  oor^ält.  Sßol^l  ift  bie  SBurjel 
be§  @lauben§  @cl)orfam.  2lber  ba§  ^eijjt  natürlich  nid)t,  baJ5 
man  ftc^  bereit  finben  tä&t,  ©ebanten  für  mal^r  ju  erflären,  bie 
man  nid)t  für  ma^r  t)ält.  3)er  ®el)orfam  be§  @lauben§  ift  ge^^ 
nau  berfelbe  wie  ber  ©e^orfam  ber  roiffenfc^aftlid)en  @rfenntni§. 
3n  beiben  fallen  ^aben  mir  ben  elementaren  ftttlid^en  9ltt  ber 
SBal^rl^aftigfeit  oor  un§.  3)enn  ber  roirKic^  fromme  SWenfd^  miQ 
auc^  nur  ber  SBal^r^eit  ge^or^en,  bie  er  fetbft  ertennt. 

3)e§t)alb  ift  bie  ©ad^e  be§  ®lauben§  üon  3lnfang  an  fdjmer 
gefd^äbigt,  menn  man  i^n  ber  SBiffenfd^aft  fo  gegenüber  fteQt,  al§ 
märe  er  eine  Slrt  ber  @rtenntni§,  bie  jmar  einen  ^öt)eren  ©egen^ 
ftanb  \)ab^,  aber  al§  ®rfenntni§  einen  geringeren  ®rab  ber  Klar^ 
ijtit  unb  ©i^er^eit  erreiche,  ober  im  ®runbe  gar  nic^t  @rtenntni§ 
in  ftrengem  ©inne  fei.  3)enn  bie  Äraft  be§  ®lauben§  ftrömt 
allein  au§  bem  S3emu&tfein,  baj5  er  grabe  mirflicfae  6rfenntni§, 
alfo  ein  2)urd^bre^en  ber  ^fHuftonen  ift.  ®§  ift  freilid)  oft  eine 
®lauben§forberung  an  bie  9Jlenfd|en  gerid|tet,  bie  einfad^  Sin- 
na^me  oon  ®ebanten  unb  ®ebräud)en  »erlangte,  von  benen  fie 
nic^t^  miffen  mollten.  3)ie  ®lauben§botfc^aft  bagegen,  bie  bie 
©eifter  überminbet,  menbet  fid^  an  fie  mit  ber  gorberung :  änbert 
euren  ©inn.  3)aö  bebeutet  aber  für  ben  aWenfc^en  immer,  ba§ 
er  fic^  au§  bem  ©etbftbetrug  aufraffen  unb  ber  SBal^r^eit  ge^ 
t)orc^en  foD.  SBon  ben  Vertretern  ber  SBiffenfd^aft,  bie  mit  i^rer 
2lrbeit  ben  ®lauben  einjuengen  meinen,  wollen  mir  nic^t  etroa 
erreichen,  ba§  fie  ben  ®(auben  al§  eine  geringere  2trt  ber  6r* 
tenntni§  freunblic^  anertennen  unb  am  Seben  laffen.  SBir  oer^ 
langen  oon  i^nen,  ma§  mir  jebem  jumuten,  ben  mir  al§  9Jlen« 
fc^en  ef)ren  follen,  bog  fie  fid)  auf  ft^  felbft  befinnen.  5iad|« 
mei^bare  Satfac^en  feftftellen,  inbem  man  feine  SBorurteile  opfert 
unb  feine  Söünfc^e  jum  ©dimeigen  bringt,  ift  etma§  fe^r  gro^e§. 
3lber  wichtiger  ift  boc^  mot)l,  baJ5  ein  ÜRenfd^  fid)  aufrichtig  tlar 
mac^t,  ma§  er  felbft  al§  ba§  9iüdtgrat  feiner  geiftigen  ®jiftenj 
erfennt,  nämlic^  eine  3lufgabe,  bie  bur^  il^r  SRe^t  feinen  aBillen 


12    ©errmann:  ^cr  (3iauhz  an  ®ott  unb  bic  Sßiffenfd^aft  unfercr 3eH. 

in  ctüigcr  ©pannung  l^ält.  3)icfc  6rfcnntni§,  biird)  bie  jeber  für 
fid)  felbft  feine  fittlic^c  ©efmnung  begrünbet,  ift  in  bcmfelben 
aJla^e  roic^tigev  atö  alle  anbern,  wie  ^erfonen  n)irf)tiger  fmb  aU 
Sa^en.  ©ie  l^at  aber  aud^  eine  ganj  anbete  2lrt  at§  bie  6r* 
!enntni§  ber  äßiff enfd^af t ;  benn  jeber  \)at  fte  in  eigentümtid)cr 
SBeife  für  fic^  felbft,  unb  nur  ber  tann  fte  l^aben,  ber  fic  jld^ 
felbft  erfdmpfen  roill.  ©eibe§,  bie  unuergleid^Udie  SBid^tigteit  biefer 
6rtenntni§  unb  if)re  üon  aller  n)iffenf^aftli(^en  ®r!enntni^  unter- 
fd|iebene  %xi,  wirb  in  ber  ©egenroort  oon  pielen  üertannt.  9]ur 
bei  biefer  geiftigen  SBertrüppelung  führen  bie  ©iege  ber  SBiffen^ 
fd)aft  ju  einer  ©rmattung  ber  Steligion.  SQBenn  bie  9Wenfd)en  fic^ 
nid)t  me^r  auf  fid)  felbft  befmnen  loollen,  al§  ob  ba§  nid^t  ber 
aWü^e  wert  roäre,  oerf^lie^en  fic  fic^  für  bie  Offenbarungen 
@otte§  unb  bemerfen  nid)t,  wo  and)  für  fie  Duellen  göttlid^er 
Gräfte  finb. 

3)er  religiöfe  ©laube  ift  alfo  nid)t  eine  au§  äBunfc^,  SDBill* 
für  unb  ©erool^n^eit  erroad^fene  ÜWeinung  ober  Slnna^me.  @r  l^at 
bie  ooüe  SQäürbe  ber  ®rfenntni§.  S)enn  er  ift  ebenfalls  ange« 
ftrengte§  ©rfaffen  be§  äBirtlic^en  unb  ein  Ueberroinben  be§  ©d^ein§. 
@r  ift  ^flid^t,  n)ie  e§  überl^oupt  unfere  ^flic^t  ift,  un§  bie  SBirf^ 
lic^feit,  in  ber  wir  fte^en,  flar  ju  mad[)en.  ©in  ®laube,  ber  ba§ 
alle§  nic^t  wäre,  alfo  nid^t  ein  2lu§brudf  ber  6t)rfurd^t  oor  bem 
SBirMic^en,  ^ätte  geroi^  feine  religiöfe  2lrt.  ®enn  er  wäre  offene 
bar  nic^t  Unterwerfung  unter  ben  allmäd)tigen  (Sott,  ber  in  bem 
SBirtlic^en  ift,  fonbern  Slufte^nung  gegen  il^n.  3)a|  wir  im  re^ 
ligiöfen  ©lauben  un§  über  bie  oon  un§  felbft  erfannte  333a^r^eit 
^inmegfe^en,  ift  bie  SWeinung  unferer  geinbe,  unfere  gemi^  nic^t. 
Unfer  ©laube  ift  ©el^orfam  gegen  bie  3öa^rf)eit,  ®^rfurc^t  oor 
bem  äBirflic^en,  alfo  ernfte  ®rfenntni§. 

aSerfd^ieben  ift  ber  ©laube  freiließ  üon  aller  anberen  ©rfennt* 
ni§.  3)ie  alte  ©ntgegenfe^ung  oon  ©lauben  unb  SBiffen  ift  nid|t 
gänjlid^  falfd).  3lber  ber  Unterfd^ieb  beruht  allein  barauf,  ba& 
e§  fid|  beim  ©lauben  um  eine  aaBirflicl)feit  ^anbelt,  bie  jeber  ein* 
jelne  für  fid^  erleben  mu|.  äBeil  e§  fo  ift,  tonnen  mir  ba§,  mas 
mir  glauben,  niemanbem  bemeifen.  2lu§  bemfelben  ©runbe  ift 
bie  ©rtenntni^  be§  ©lauben^  immer  inbioibueH  geartet,    ©ie  ift 


$errmann:  %tv  Glaubt  an  ®ott unb  bic  SBiff cnf rf)af t  unf erer  3eit.    13 

eine  Qu§  ben  befonbcrcn  Scbcn^fü^rungcn  cripad^fenbe,  an  bic  in^ 
bioibucDc  Scbcnbigtcit  be§  cinsclncn  getnüpftc  Slnfc^auung.  ©ic 
fann  alfo  enblic^  nur  baburi^  gewonnen  werben,  ba|  ber  einjelne 
eine  foldie  Sebenbigteit  gewinnt  unb  fic^  bann  auf  ben  ^nt)alt 
feiner  eigenen  ©yiftenj  befmnt.  3)ie  religiöfe  ®rfenntni§  erforbert 
feine  ^o^e  Kraft  be§  3)enten§  wie  bie  Strbeit  ber  SBiff enfd^af t  ; 
aber  fte  ift  boc^  fc^werer  al§  biefe,  benn  fie  ift  nur  mögli^,  wenn 
ber  aWenfd^  fic^  Kar  machen  witt,  xm§  er  al§  ia^  ewige  Qkl 
feinet  SD3oUcn§  beuten  muj3.  S)aju  aber  ift  nötig,  ba&  wir  ben 
Äampf  mit  unferen  Steigungen,  alfo  mit  unf  erer  2:räg]^eit  auf* 
nehmen,  mit  einer  2:rägt|eit,  bie  ausfielt,  wie  gleig.  gür  in  ber 
3eit  erreid^bare  QkU,  wie  ©elberwerb,  ju  arbeiten,  ift  teic^t,  auc^ 
wenn  wir  barin  unfere  Kräfte  aufreiben.  2)enn  babei  trägt  un§ 
unfere  9leigung,  ber  ©elbfterl)altung^trieb  be^  natürlichen  Seben§. 
aSer  feine  ©jiftenj  in  fold^er  9lrbeit  aufgellen  lägt,  ift  bei  allem 
leibenfc^aftlic^en  S)rang  jur  2:ätigfeit  träge.  3)enn  babei  bleibt 
er  in  bem,  roa^  er  oon  9Jatur  ober  bnx6)  bie  Umftänbe  ift.  2)ie 
wa^re  Sebenbigteit  be^  aWenfc^en  beginnt  erft,  wenn  er  fid^  bie 
Slötigung  tlar  mac^t,  allein  für  ba§  Qki  ju  arbeiten,  ba§  er  felbft 
als  ewig  unb  unerfc^öpflic^  ertennt.  ®enn  bann  fie^t  er  wenige 
ften§,  wie  er  allein  ein  wat)r^aftige§  eigene^  SBollen  f)aben  tann. 
9BaS  wir  nur  auf  Qdt  wollen,  wollen  wir  übert)aupt  nid^t  wa^r- 
^aft.  ®rft  ba§  93ewu&tfein,  fid^  oon  feinem  Qkl  be§f)alb  nic^t 
löfen  JU  tonnen,  weil  er  felbft  eS  at§  ewig  unb  bie  bamit  gc^ 
fteüte  9lufgabe  al§  unerfc^öpflid)  ertennt,  begrünbet  in  bem  aJlenfd^en 
bie  innere  ©elbftänbigteit  unb  g^ftigteit,  bie  ben  9]amen  be§ 
3Bollen§  oerbient.  S)amit  reben  wir  oon  einem  geiftigen  aSorgang, 
ben  alle  SJlenf^en  tennen,  in  benen  baS  ©ewiffen  nod)  nidjt  tot 
ift.  ®enn  bie  innere  Sammlung  in  bem ,  xoa^  man  felbft  al§ 
ewiges  Qkl  unb  als  unerfc^öpflid)e  Slufgabe  erfajjt,  biefe  3Ba^r= 
f)aftigteit  beS  SOSotlenS  ift  nichts  anbereS  alS  fittli^e  Klarheit  unb 
fittlic^er  Srnft.  $Bir  tonnen  eS  unS  leidet  oerbergen,  aber  wir 
tonnen  eS  boc^  of)ne  SJlü^e  ertenneu,  waS  allein  unferem  SBollen 
eine  unoeränberlid)e  JRic^tung  geben  unb  unS  baburc^  bie  aWög^ 
lid)teit  unDergänglid)en  SebenS  eröffnen  tann.  ®ie  ©emeinfc^aft 
felbftänbiger  ©elfter  ift  baS  ewige  Qiä,   bie  2(ufgabe   ber  Siebe 


14    ^errmann:  ^er  ®Iaubc  an  ®ott  unb  bie 9Biffenfrf)aft  unfercr 3«it. 

ift  bic  uncrfc^öpfli^c  3luf9abe.  6in  9Wenfd),  bcm  ba§  tlax  roirb, 
fängt  an,  innevlid)  (ebcnbig  ju  werben;  benn  er  fielet  rocnigften^ 
ein,  mit  er  allein  eroig  leben  tann. 

S)e§^alb  ift  ot)ne  fittlidjen  ©rnft  ber  ®laube  an  @ott  nid^t 
möglic^.  9ticmanb  tann  bie  2Birtlid)feit  be§  lebenbigen  unb  leben* 
fc^affenben  ®otte§  erfaffeu,  ber  nic^t  oerfte^en  fann,  n)a§  e§  l^ci^t, 
allem  gegenüber,  wa^  in  ber  Qtxt  gcf^el)en  mag,  bie  innere  ©elb^ 
ftänbigtcit  ju  befi^en,  in  ber  man  n)at)rt)aftig  lebt.  5Bir  brauchen 
nur  baran  ju  beuten,  n)a§  bie  SBirtlid^teit  ©ottes;  für  einen  from= 
men  aWenfd^en  bebeutet.  Sinen  ©Ott  l^aben,  bebeutet  ein  SQBefen 
tcnnen,  bei  bem  man  3wffwc^t  finben  tann  in  allen  91öten.  2)er 
allmä^tige  ©Ott  unb  bie  @eele,  bie  er  nic^t  miU  oerloren  ge^en 
laffen,  in  biefen  beiben  ©cbanten  lebt  bie  SReligion.  ^^eibe  ©e* 
bauten  finb  nic^t  von  einanber  ju  löfen,  man  bentt  ©Ott  über^ 
l^aupt  nid^t,  menn  man  nic^l  ben  SSater  ber  ©eifter  meint.  Slber 
biefen  ©ebanfen,  ba§  bie  get)cimni§oolle  SJlac^t  in  allem  SBirt^ 
lid^en  perfönlic^e  Siebe  ift,  bie  mid)  jur  SßoUenbung  bringen  mill, 
tann  \d)  nid)t  in  ben  Gegriffen  an^fü^ren,  mit  benen  id^  ba§ 
nachweisbar  SBirtlid^e  erfaffe,  alfo  nic^t  mit  ben  SWittcln  ber 
SEBiffcnf^aft.  Qicner  ©runbgebante  ber  lebenbigen  9teligion  tann 
in  un§  nur  entftet)en,  wenn  mir  ba§  emige  3'^^  unfereS  3öollen§ 
al§  ma^r  ergriffen  l^abcn  unb  mit  i^m  unfere  eigene  ©fiftcnj  ju* 
fammenfaffen.  SBBa^  unferem  SÖBoüen  bic  unweränberlic^e  JRic^tung 
gibt  unb  ben  ©nbjmcdt  unferer  eigenen  ©fiftenj  bilbet,  beuten  mir 
notmenbig  al§  ben  ©nbäroedt  alles  SBirtli^en.  3)iefer  ©ebante 
eines  ©nbjmedS  aller  2)inge,  in  bcm  unfere  ©eelc  baS  fid[)  jur 
Slarl^eit  bringt,  maS  fic  croig  ocrpflid)tet  unb  über  alleS  ©efc^cl^cn 
in  ber  3eit  crl)ebt,  mac^t  bic  religiöfe  ©rtenntniS  erft  möglief). 
Qd)  tann  ©otteS  SBirflid)feit  erft  beuten,  menn  id)  ben  Subsmect 
ertenne,  bem  tatfäc^lid^  alleS  untermorfen  ift.  3)iefe  ©rfenntniS 
aber  tonnen  mir  nur  ^aben  in  innerer  Sammlung,  in  ber  Sin- 
ftrengung  ftttli^en  ©rnfteS.  "^üx  einen  fd)laffen  3Wenfc^en,  ber 
ficf)  baju  ni^t  aufraffen  mill,  bleibt  ber  ©nbjmerf,  üon  bem  alleS 
SBirflic^e  abl)ängt  unb  in  bem  atleS  Söirtli^e  ju  feinem  3*^^ 
tommt,  ein  leereS  SBort.  ^nx  ben  fittlic^  ermectten  aWenf^en 
allein  l^at  biefeS  SBBort  einen  mächtigen  ^n^alt,  unb  bie  ©ebanten. 


i^crrmann:  %zx  ®Iaube  an  ®ott  unb  bie  SBiffenf c^aft  unf erer  3cit-    15 

in  bcnen  bicfcr  Qn\)alt  entfaltet  mxb,  machen  eS  un§  möglich,  bie 
9BirtUd|feit  ®otte§  gu  erfaffen. 

2l(fo  nic^t  ein  gortfd^ritt  ber  SBiffenfd^aft,  fonbern  bie  innere 
Sammlung  be§  eingelnen  in  fittlic^em  @rnft  fü^rt  ju  ®ott.  „©o 
iemanb  miß  be§  SBißen  tun"  ^o\).  1,  17.  Slber  o^ne  3"^cifet 
gibt  e§  piele  fittlic^  ernfte  9Jlenfc^en,  bie  oon  @ott  nichts  roiffen 
unb  nichts  miffen  moÜen.  ®§  ift  fel)r  ju  bebauem,  ba^  in  ber 
c^riftlid^en  Äir^e  ba§  oft  beftritten  wirb.  S)enn  für  jeben  from^ 
men  SJlenfc^en  foUtc  e§  felbftüerftdnblid)  fein,  ba§  ba§  gefd^el^en 
fann.  ©§  ift  erften§  möglid),  ba^  ein  9Jlenfc^  bie  SBirflid^teit 
@otte§  leugnet,  obgleich  er  tatfä^lic^  oon  @ott  ergriffen  ift  unb 
bem  unbefannten  ®ott  bient.  ^xot\tzx[i  tann  ein  ju  fittlic^em 
©ruft  ermedtter  SWenfc^  noc^  nic^t  barüber  flar  geworben  fein, 
ba^  i^n  bie  fittlic^e  ®rfenntni§  baju  führen  foll,  fid|  überhaupt 
ben  ©el^att  feiner  eigenen  ©fiftenj  jum  33en)u§tfein  ju  bringen. 
Äommt  er  baju  nid^t,  fo  tann  er  aud^  @ott  nic^t  oerne^men, 
beffen  2ltem  bie  ba§  3Q8irflic^e  geftaltenben  Kräfte,  unb  beffen 
SDSorte  bie  ©reigniffe  ftnb,  bie  unfer  ©c^idtfal  merben.  ©ritten^ 
ift  e§  aud|  möglich,  ba^  ju  einem  folc^en  SWenfd^en  nod^  nic^t 
ein  aSort  @otte§  gefproi^en  mürbe,  ba§  grabe  feinem  O^r  oer* 
ne^mlic^  merben  tonnte.  2Beun  un^  in  fittlic^em  ®rnft  bie  Organe 
mac^fen,  burc^  bie  mir  allein  ®ott  ertcnnen  tonnen,  fo  muffen 
mir  bo^  tatfä^lic^  ®otte§  SBort  an  un§  ocrne^men,  menn  mir 
i^n  ertennen  foüen. 

aBa§  ift  nun  biefe^  SBort  ®ottc§,  ba§  un§  oon  ®otte§  SBirt^ 
lic^teit  überjeugt  ?  S)em  ^]3roteftanten  liegt  e§  na^e  ju  fagen  „bie 
^eilige  ©d^rift",  bem  Äatl^oUten  liegt  e§  na^e  ju  fagen  „ba^  SBort 
be§  firdilic^en  fie^ramt^".  Qn  SBa^r^eit  tann  e§  ba§  eine  fo^ 
mo^l  mie  ba§  anbre  fein  —  aber  nur  unter  einer  ©ebingung. 
®§  mu&  un§  ein  ®rtebni§  gemorben  fein,  au§  bem  mir  tatfäc^^ 
lid)  ben  ju  un§  rebenben  ®ott  oerne^men.  3Q3enn  eDangelifd)e 
unb  tat^olifc^e  ©Triften  überl^aupt  SReligion  moUen,  muffen  fie 
i^re  tonfcffionellen  ®runbfä^e  in  folc^cr  2Beife  oertiefen.  SWac^en 
fte  fic^  felbft  baö  tlar,  ma§  il)nen  mirtlic^  SBort  ®otte^  mirb,  fo 
merben  fie  fic^  auc^  untcreinanber  oerfte^en.  ®e§^alb  ift  ei^  piel 
rid)tiger,  gunäc^ft  ganj  im  allgemeinen  ju  fagen:   Söort  ®otte6 


16    §crrmann:  %zx  (Glaube  an  ®ott  unb  bie  ®iffenfrf)aft  unfercr 3cit. 

tann  für  einen  fittlii^  emften  9Menfd^en,  wenn  er  genau  rebeii 
will,  nur  ein  6rtebni§  fein,  ba§  auf  i^n  al^  eine  Offenbarung 
®otte§  mxtt,  Unb  wenn  man  nun  weiter  fragt,  mt  ein  SWenfc^ 
}u  folcf)en  ©rlebniffcn  tomme,  fo  ift  bie  Slntroort:  fie  muffen  i^m 
gegeben  merben,  unb  er  mu^  fie  beachten.  6in  SWenfc^,  ber  nie 
in  feinem  iJeben  bie  Slnfc^auung  fitttid^er  ®üte  gewänne,  bie  ]xö) 
erjie^enb,  ftrafenb,  tröftenb  feiner  annimmt,  mürbe  auc^  nie  baju 
tommen  tonnen,  bag  er  @ott  oor  3lugen  ^at.  6^  ift  boc^  felbft- 
üerftänbti^,  ba§  einem  SKenf^en,  ber  nic^t  au§  eigener  Srfa^rung 
meig,  roa§  ©^rfurc^t,  roa§  SBertrauen  ift,  @ott  oöltig  fremb  ift. 
2)arau§  folgt,  ma§  unfere  fittlid^e  Gattung  für  bie  SKenfd^en  be^ 
beutet,  mit  benen  mir  oerfe^ren.  2Bie  mir  unbewußt  auf  fie 
mirfen  unb  ma^  mir  bemüht  für  fie  tun,  ba§  alle^  foll  ein  fieuc^ten 
ber  ©onne  fein,  bie  ©Ott  aufgeben  lägt  über  93öfe  unb  @ute. 
Saoon,  bag  i^nen  ba§  ju  j:eil  mirb,  ^ängt  e§  ab,  bag  fie  mit 
©Ott  oerbunben  merben.  @ott  forgt  bafür,  baJ5  e§  feinem  oon 
un§  gänjlid)  fel^lt,  er  gebraucht  baju  anbere  9Wenfdf)en  al§  9)littet, 
aber  un§  felbft  mirb  boc^  bann  jugemutet,  bag  mir  un§  fold)e 
®rlebniffe  ju  ^erjen  nel^men.  3m  ©runbe  muten  mir  un§  ba§ 
felbft  }u,  bie  gorberung  (Sottet  ergebt  fid)  in  unferm  eigenen 
^erjen.  ®enn  menn  mir  überhaupt  im  ftanbe  fmb,  ®^rfurd)t 
unb  aSertrauen  ju  ^erfonen  ju  erleben,  fo  miffen  mir  auc^,  ba§ 
un§  nic^t§  93effereö  gegeben  merben  tann.  5)iefe  ©rtenntni^  ift 
mit  bem  ®rlebniS  felbft  oerbunben.  g^lglic^  unterbrüdten  mir 
unfre  eigene  (Srtenntni^  ober  mir  finb  unma^rl)aftig ,  menn  mir 
nid^t  folc^e  (Erinnerungen  aU  ben  mertooUften  geiftigen  aSefi^  in 
un§  fammeln  unb  babei  mit  greube  unb  5)anf  oermcilen. 

5)amit  ift  un§  bie  rid)tige  2lntmort  auf  bie  9lnflagc  einer 
glaubengfeinblic^en  SBiffenfc^aft  in  bie  |)aub  gegeben.  2)ie  9ln« 
flage  lautet,  ber  aJlenfc^,  ber  an  @ott  glaubt,  fe^e  fic^  über  bie 
SBirtli^teit  l^inmeg,  bie  er  nicf)t  leugnen  tonne.  2Bir  bürfen  je^t 
ermibern :  im  ©egenteil,  bie  ©laubensloftgteit  ift  begrüubet  in  ber 
Unmal^r^aftigteit  ber  aWenfd^en.  S)enn  bie  aJlad)t,  bie  fie  erfal^ren, 
menn  fie  oon  fittlic^er  ®üte  ergriffen,  gehoben  unb  gebemütigt 
merben,  ift  eben  ber  fic^  i^nen  offenbarenbe  ®ott.  Unb  ba§  fie 
ba§  nidjt  merten,  ift  it)re  ®cf)ulb.     Sie  merfen  ei^  nic^t,  meil  fie 


§ertmann:  ^cr  ®(aube  an  ®ott  unb  bie  SGBiffcnfd^aft  unfcrcr  3cit.    17 

bicfc  Erfahrungen  be§  ftttlic^en  SBerte^r^  nid^t  al§  bcn  unoer* 
gleic^n^en  ©c^a^,  ben  bie  SWottcn  unb  ber  9ioft  nidjt  freffen, 
bcl^anbeln,  fonbern  ftc  über  fi^  ^injie^en  laffen,  wie  SDBolten,  bie 
fie  nic^t§  angelten.  5Wenfc^cn,  bie  fo  unn)a^rl)aftig  fmb,  ba§  fte 
fic^  felbft  um  i^r  93efte§  bringen,  tonnen  ®ott  nid^t  erfennen. 
^aben  roir  noc^  fo  oiel  ©ruft  unb  SBa^r^aftigfeit,  ba^  wir  un§ 
ba§  oor^aUen,  xoa^  un§  aU  6rroei§  fittlii^er  @üte  an§  ^erj  ge^^ 
brungen  ift  fo  Köpfen  loir  an  unb  bann  roirb  un§  aufgetan. 

SDBir  tonnen  eS  freiließ  nur  behaupten,  nid^t  beroeifen,  ba§ 
ber  aWenf^  bann  bcn  }u  i^m  rebenben  @ott  oemimmt.  @§  ift 
ni^t  anber^  möglid),  benn  e§  f)anbeU  fid)  um  eine  SBirtlic^teit, 
bie  nur  erlebt  werben  tann.  Slber  un§  felbft  tonnen  mir  menig* 
ftenS  llar  machen,  mie  ein  SWenfd)  @otte§  9lebe  ju  i^m  l^ören 
lernt,  menn  er  fic^  bie  (Erfahrungen  ju  ^erjen  nimmt,  in  benen 
er  JU  S^rfurc^t  unb  aSertrauen  ermedft  mürbe.  ®g  mirb  i^m 
bann  junäc^ft  beutlic^er,  roa§  er  burc^  biefe  Erfahrungen  empfängt. 
Unter  biefen  ®inbrüdten  fü^U  er  feine  eigenen  Gräfte  mac^fen; 
fo  lange  biefer  ©influg  bauert,  fül^tt  er  fid)  nic^t  allein.  6ö 
cntftel^t  bal^er  notmenbig  in  \\)m  ba§  SSerlangen,  biefe  3Jla^t,  bie 
i^n  munberbar  belebt  unb  beruhigt,  möd^te  immer  in  i^n  ein* 
ftrömen.  SBenn  er  bann  oon  ©laubigen,  an^  i^rem  SBort  unb 
i^rem  Seben  ^ört,  biefe  aJlad)t,  bereu  SBirtung  er  felbft  tennt, 
fei  ber  @ott,  ben  fie  anrufen,  fo  ift  ba§  für  x\)n  überaus  mid^tig 
unb  überaus  gefäl)rli^.  Er  bebarf  biefeS  ^^i^S'^iff^^  ^^n  9)len* 
fc^en,  benn  biefe  Erfahrung  brängt  i^n  baju,  ftc^  felbft  biefe  S^age 
oorjulegen,  ob  nid^t  auc^  bei  i^m  baS,  ma§  i^n  als  ernfte  Siebe 
berührte,  jur  Offenbarung  ©otteS  mirb.  Slber  bamit  tommt  auc^ 
bie  ©efa^r  über  i^n,  ba§  er  oerleitet  mirb,  ftc^  5Wenfd^en  ju 
untermerfen,  mo  er  ®ott  allein  l^ören  foll.  3)aS  B^ufl"'^  frommer 
3Wenfc^en  barf  un§  immer  nur  baju  anregen,  unS  auf  unS  felbft 
ju  befmnen.  3)enn  nur  menn  ®ott  fic^  unS  felbft  offenbart,  ift 
uns  gel^olfen.  ®aS  mirb  unS  ofcer  gemife  nid^t  juteil,  menn  mir 
uns  oerleiten  laffen,  fo  ju  tun,  als  Ratten  mir  auc^  ben  g^^ieben, 
ber  über  bem  Seben  ber  grommen  liegt,  ^m  ©egenteil,  menn 
mir  uns  in  ber  Erinnerung  an  erfal)rene  Siebe  fummeln,  fo  lernen 
mir  baS  Seben  beS  ©laubenS  oerfte^en,  aber  mir  füllen  auc^  nun 

3eitt<^rift  für  ZfftolOQlt  unb  Älrc^e.    15.  ^afft^.,  i.  $<ft.  2 


18    ©crrmann:  %zx  ®(aube  an  ®ott  unb  bie  SBiffenfd^aft  unferer ßeit. 

crft  rcd|t,  irie  c§  uitS  fc^lt.  3)a§  ift  bic  SOBol^r^eit  bic  mx  faffen 
fönnen,  bcoor  @ott  ftd^  un§  offenbart.  @§  wirb  un§  flcroi^  nid^t 
fc^aben,  fonbcrn  e§  wirb  un§  l^clfen,  mcnn  n)ir  bicfc  SBa^r^eit 
unüerfdf)Iciert  auf  un§  rolrfen  laffcn.  SD3ir  muffen  bafür  bantbar 
fein,  ba§  bic  SQSiffenfd^aft  unferer  S^xt,  wenn  fie  nic^t  burd^  2:^eo^ 
logen  unb  ^^ifofop^en  oerroäffert  wirb,  ba$u  beiträgt,  un§  bie 
furchtbare  ^ärte  biefer  ®a^r^eit  füllen  ju  laffen.  ®ie  9tot^ 
fc^reie  unfere§  ^erjen^  oertlingen  in  einer  unenbUc^en  Seere,  ba§ 
fagen  n)ir  un§  felbft,  wenn  wir  in  ftttlid^em  ®rnft  ben  ©tauben 
jroar  oerftel^en,  aber  un§  nic^t  geben  fönnen,  unb  ba^felbe  fagt 
un§  bie  SBäiffenfc^aft,  bic  if)rem  äBcrte  getreu  bleibt  unb  fic^  elir* 
li^  inncrl^alb  ber  ©reujcu  be§  nachweisbar  SBirtlicben  l^ält.  2lber 
in  biefer  grenjenlofen  SScrlaffen^eit,  wenn  fie  nur  wirftic!)  als  eine 
jwcifellofe  2:atfa^c  oor  unS  fte^t,  tann  unS  @ott  oente^mlic!) 
werben.  SBenn  @ott  reben  folt,  muffen  alle  3)inge  fc^weigen. 
®r  rebct  ju  un§,  wenn  bie  fittlid)e  @üte,  bie  wir  in  einjelnen 
SWomenten  oerfpürt  Ratten,  anfängt,  fxä)  baoon  abjulöfen  unb  un§ 
als  eine  fclbftänbige  SWac^t  gegcnüberjutreten,  bie  it)r  ewiges  JHec^t 
behauptet,  wenn  ani)  bie  5Wcnfc^en  fc^wa^  unb  untreu  werben. 
9Bie  biefer  innere  Vorgang  möglich  ift,  wiffen  wir  nic^t.  SJBir 
fönnen  nur  auSfprcc^en,  ba§  wir  fo  bie  Offenbarung  ©otteS  er^ 
leben,  unb  wir  finb  überjeugt,  bag  fc^liefelic^  alle,  in  benen  ber 
©laube  an  ©ott  erwedtt  wirb,  unS  barin  juftimmen  werben. 

©Ott  offenbart  fiel)  unS  fo,  ba^  wir  unS  genötigt  feigen,  bie 
aWac^t  ftttli^er  ©üte,  bie  im  ajertet)r  mit  SJJenfc^en  auf  unS 
wirft,  oon  i^nen  felbft  unb  il^rer  ©cftwad^l)eit  ju  unterfc^eiben. 
3)aS  ift  ber  lebenbige  ©ott,  bcffen  a3ilb  unS  auS  bem  erwä^ft, 
was  wir  als  fein  SBirfen  erleben.  SBenn  wir  feiner  inne  wer* 
ben,  tonnen  wir  auS  ber  SBereinfamung  ^erauSfommen,  auS  ber 
uns  !ein  ©otteSgebante,  beffen  SBal^r^eit  unS  anbere  beweifen 
wollen,  befreit.  3)cn  ©ruft  unb  bie  g^eube  biefeS  ©laubenS  fin* 
ben  wir  in  ^crrlid^er  Älarl^eit  im  alten  Jeftament.  Slber  voo 
and)  immer  eS  wirflid)en  ©lauben  an  ©ott  gab  unb  gibt,  überall 
^at  er  biefelbe  Slrt.  3)aS  ©rlebniS,  an  bem  er  entjünbet  wirb, 
ift  immer  bie  reine  Eingabe  an  bie  geiftige  SJlac^t,  bie  man  er- 
fährt, wenn  einen  feine  9Kutter  tröftet,  wenn  fic^  ein  SSater  über 


^crrmann:  5)cr  ®Iaubc  an  ®ott  unb  bic SBiffenfc^aft  unferer  3eit    19 

Ätnbcr  erbarmt,  wenn  bcr  ®ered|tc  fi(^  bc8  S^lotlelbenbcn  annimmt 
ober  uns  freunblic^  [traft 

S)ie  SBiffenfc^aft  foH  eS  roo^I  bleiben  laffen,  bicfen  ©lauben 
an  ®ott  ju  miberlegen.  3)a^  bie  (Sefe^mä^igfeit  be§  nad^roei^- 
bar  äBirtti^en  oon  bem  freien  Söirfen  be§  lebenbigen  @ottc§ 
nichts  ertennen  lä§t,  raiffen  wir  fclbft.  6s^  braucht  un§  aud|  !ein 
anberer  ju  fagen,  mie  gottoerlaffen  mir  in  einer  SBäcIt  fein  mür* 
ben,  in  ber  mir  feinen  anberen  gü^rer  Ratten  aU  bie  SDSiffen^ 
f^oft.  SÖäenn  bal^er  SWenfc^en  im  ®ienft  ber  SDBiffenfc^aft  fo  un- 
frei  merben,  baj5  fie  e§  nic^t  mel^r  fertig  bringen,  fid)  auf  ftc^ 
felbft  SU  befmnen  unb  gegenüber  bem  ©nblofen  in  9iaum  unb 
3eit  it)re  2Wenfc^enmürbe  ju  behaupten,  fo  motten  mir  unS  nid^t 
burc^  i^re  ®r!Iärung  beunruhigen  laffen,  einen  ®ott,  ber  ben 
SWenfc^en  rette,  tonne  e§  nic^t  geben.  3)enn  eS  ift  felbftoerftänb* 
lic^,  baj5  fie  fo  reben  muffen.  9Bir  fdiaben  il^nen  fomo^l  mie 
uns,  menn  mir  eS  anber8  oerlangen  unb  oon  ber  miffenfc^aft^ 
liefen  5Ärbeit  ba§  ermarten,  maS  freie  ®ab^  ©otteS  an  fittlic^ 
tämpfenbe  9)lenfc^en  ift.  @o  lange  folc^e  ©rmartungen  bei  ben 
frommen  gehegt  merben,  merben  auc^  immer  mieber  eifrige  unb 
unftare  9laturforfd^er  bar  auf  oerfaUen,  fie  feien  baju  berufen,  bie 
9Wenfd)^eit  oon  ber  ©elbfttäufc^ung  burc^  ben  ©tauben  an  ©ott 
SU  befreien.  Unter  fotc^en  Umftänben  ^at  ber  2Cuft(arung§brang 
biefer  2lermften  einen  guten  ©runb  unb  ein  beflagenSmerteS 
SRec^t. 

-3n  ber  eoangelifc^en  J^eotogie  mirb  aber  nur  nocft  feiten 
bie  Hoffnung  genährt,  bafe  bie  SDBiffenfc^aft  ben  ©lauben  an  ©ott 
begrünben  tonne,  populäre  ©Triften  biefer  J^enbenj  erfc^einen 
noc^  in  9Menge,  merben  aud)  getefen  unb  geben  bann  mieber  be^ 
geifterten  9laturforfd)ern  ben  ©d^mung  als  2lpoftel  einer  natura- 
liftifc^en  SBeltanfc^auung  bagegen  aufjutreten.  Slber  93üc^er,  bie 
ben  ©lauben  an  ©ott  miffenfc^aftlic^  begrünben  motten,  muffen 
mo^l  aud)  benen  rec^t  fdimer  faDen,  bie  fie  gern  fc^reiben  möchten, 
©ie  merben  nur  nod^  feiten  gefc^rieben,  unb  menn  fie  erfc^einen, 
merben  fie  menig  gelefen.  SBäer  fic^  für  ein  fotd^eS  Unternehmen 
noc^  intereffiert,  ^at  jmar  feine  2lnfüubigung  gern,  lä|t  eS  fic^ 
auc^  gefatten,  menn  eS  in  ber  gorm  oon  Behauptungen  auftritt, 


20    §etrmann:  5)er  ®ia\xbz  an  (3ott  unb  bie  SBiffenfc^aft  unfercr  Seit. 

aber  bic  5Wü^c  fdieint  man  ju  fc^cuen,  lange  93cn)cifc  ju  bicfcm 
Qxo^d  auSsufinncn,  ober  bcn  5fei§,  ber  i>o6)  bisweilen  baran  ge^ 
lücnbet  roirb,  baburd)  ju  tDürbigen,  ba&  man  feine  ^robuttc  lieft, 
©rabe  einer  ber  gebantenooDftcn  unb  eifrigften  unter  ben  jüngeren 
S^eologen,  @.  2:  r  5 1 1  f  c^ ,  l^at  fic^  ba§  3iel  geftedt,  ben  alten 
a3unb  ber  äBiffenfc^aft  mit  bem  ©lauben  ju  erneuem.  @r  ift 
in  biefer  ©ejie^ung  ber  fonferoatiofte,  ober,  roenn  man  ba§  lieber 
^ört,  ber  reattionärfte  oon  un§  alten.  9lber  oon  bem  93orfa§ 
l^aben  roir  fd)on  lange  gel)ört,  ol)ne  etma§  oon  einer  2lu§fü^rung 
JU  bemerfen  ^).  SSielleic^t  liegt  e§  baran,  ba§  auf  ber  einen  ©eite 
bie  2Biffenfd)aft  i^re  aJlet^obeu  feiner  au§gebilbet  l^at,  unb  auf 
ber  anberen  ©elte  ber  ©laube  an  @ott  beutlic^er  au§fpric^t,  maS 
er  mirtlic^  meint. 

aWan  !ann  je^t  nic^t  met)r  fo  lei^t  oergeffen,  baj5  an  ®ott 
glauben  ^ei^t,  fid)  an  eine  geiftige  9Kad^t  tlammern,  bie  ftc^  bem 
aWenfc^en  al§  mirtfam  in  ben  oerborgenften  Kämpfen  feinet 
^erjenö  offenbart  unb  auf  bie  ©eifter  mirft,  inbem  fie  ba§  SÖäelt« 
all  unbegreiflich  fc^offt  unb  mit  i^rem  Seben  füllt.  ®er  biefe 
religiöfe  Slnfc^auung  beutlic^  fafet,  oerftel^t  erft,  ma^  ber  ©ebante 
bebeutet,  bag  ©ott  bie  äBelt  fc^afft  unb  nic^t  oerurfac^t.  2)iefer 
biblifc^e  ©ebante  ift  bie  Slbfage  be§  ©laubenö  an  bie  fd^einbare 
äBiffenfc^aft,  bie  ©Ott  mit  benfelben  aWitteln,  mie  bie  SBirtlic^- 
feit  ber  SDSelt  ergreifen  roiü.  3)er  ©laube  freut  fid^  ber  magren 
aOBiffenfc^aft,  mie  ber  5iatur,  ju  ber  fte  gehört.  2lber  ber  falfc^en 
SBiffenfd^aft,  bie  i^n  felbft  begrünben  will,  bringt  er  ben  Job, 
fobalb  er  feine  eigenen  ©ebanteu  beutlic^  au^fprid^t.  3)er  erfte 
Sa^  ber  33ibel  ^at  ber  SQBiffenfc^aft  \\)x  ©rab  gegraben,  bie  ben 
©Ott  be§  ©laubenS  für  beweisbar  ^ält. 

äBir  moKen  alfo  nic^t  barüber  trauern,  menn  bie  SDBiffen* 
fd^aft  unferer  3eit  ertlärt,  bog  fte  ba§  SBirfen  ®otte§  nic^t  ma^r^ 
nel)men  fönne.  3)enn  mal^rnel^mbar  ift  für  fie  immer  nur  eine 
Äraft,  bie  anbere  Kräfte  einfc^ränft  ober  mit  i^nen  in  ©treit 
liegt.    2)arin  erfd)eint  un§  i^re  SBirtung,  mie  fte  fid)  im  Kampf 

1)  ^Inbcutungcn,  bic  unferc  ©pannung  erl)ö^cn,  ftnbcn  fic^  in  feiner 
mi^öejeic^netcn  Stubic  „t>a§  §iftorifc^c  in  ^ant^  SHeIi9ion§pf)tIofopl)ie. 
g^crlin  1904",  namentlich  8.  129-131. 


^errmann:  5)cr  ®(aubc  an  ®ott  unb  bie SBiffenfc^aft  unferer  3cit.    21 

mit  anbeten  Gräften  burc^fe^t.  ®er  @ott  unfereö  ®Iauben§  aber 
ift  aHmöd^tig.  SDSenn  w\x  überl^aupt  feiner  gen)i§  werben,  fo 
benten  roir,  ba§  feine  ^fladjt  ba§  für  un§  Unenblid^e,  bie  in  bem 
aOSirflid^en  roattenben  Sräfte  jufammenfajst  unb  au§  i^nen  etn)a§ 
t^eroorge^en  läfet,  roaS  fein  3Wenfd)  berechnen  fonnte.  @r  ^i(ft 
feinen  Rinbern  burc^  neue  Schöpfungen.  @r  ift  ein  ®ott,  ber 
©ebete  erhört,  alfo  SÖäunber  tut.  ©ic^  barüber  ©ebanfen  ju 
machen,  wie  ba§  möglid)  fei,  ift  ganj  üergebtic^.  äBenn  man  jur 
aSerteibigung  be§  ®Iauben§  unternimmt,  ein  folc^e§  SQäirten  ©otte^ 
a(§  möglid)  ju  bemeifen,  fo  beroeift  man  nur,  ba§  man  ben  ®lau^ 
bzn  unb  feinen  ®ebanten  ber  Slllmad^t  nid|t  oerftanben  ^at. 
SWand^e  unter  un§  meinen,  eS  fei  boä)  etma^  bamit  gemonnen, 
wenn  menigftenS  bie  9)lögnci^!eit  eine§  göttlichen  2Birten§  in  ber 
äßett  bemiefen  mürbe.  2lber  ba§  ift  eine  2:äufd^ung.  3)ie  ®IäU' 
bigen  werben  ol)ne  3u>ciH  g^fc^öbigt,  menn  in  i^ren  2lugen  ber 
®laube  etma§  oon  feiner  munberbaren  3lrt  oerliert.  S)aS  gcfd^ie^t 
aber,  menn  mir  un§  einbilben,  ha^  SÖäirfen  ®otteS  auf  un§  be* 
greifen  ju  tonnen.  3)er  9Wenfc^  aber,  ber  bie  Äraft  jum  ®lau* 
ben  nod|  nic^t  finben  tonnte,  tommt  bem  ®lauben  nid^t  nä^cr, 
menn  er  fic^  baoon  überjeugen  tä&t,  e§  fei  mögtid),  ba§  ein  ®ott 
i^m  ^etfe.  @§  tann  if)m  babuvc^  leicht  oerfc^teiert  merben,  ba§ 
er  t)on  ber  ®emi6^eit,  ba^  ®ott  i^m  mirtli(^  l^etfe,  babei  bod^ 
unenblic^  fern  bleibt.  Slber  allein  eine  folct^e  ®emipeit  ift 
®laube. 

S)er  ®laube  mu§  ju  ber  SCÖiffenf^aft  eine  folc^e  Stellung 
geminnen,  ba&  fte  i^n  nid^t  bebrüdt.  3"  biefem  Qxotd  foll  er 
aber  nic^t  oerfucf)en,  i^re  SQSeltauffaffung  ju  beein^uffen.  S)a§ 
ift  immer  fct)äblic^  gemefen  unb  ift  I)cute  überaus  gefäl)rlic^.  S)enn 
ba§  aOBeltbilb  ber  SBiffenfc^aft  ift  fein  ^robuft  ber  SBiUfür,  fon^ 
bem  ermäd^ft  au§  ben  ®ebanten  in  benen  ficf)  bie  ®rtenntni§  bc^ 
nac^mei^bar  SBirtlid^en  noHjie^t.  ©agegen  ba§  gan je  unoerle^te  SDBelt* 
bilb  ber  SBiffenfctiaft,  ba§  93ilb  einer  unenbtid^en,  gefe^mä^igen 
®irtlic^teit,  bie  fid^  al§  nad^meiSbar  jcbem  erfennenben  93emu|ts 
fein  barftellt,  mirb  t)on  bem  ®lauben  beroältigt,  inbem  er  e§  oon 
fiel)  au§  religiös  oerfte^t.  833ir  fönnen  aber  biefe§  ®eltbilb  ber 
9Biffenfcl)aft  religiös  üerfte^en,  menn  mir  mirflid^  nict)t  bloJ5  an 


22    §  c  r  r  m  a  n  n :  ^er  ®Iaubc  an  ®ott  unb  bic  SBiff enf c^af t  unf crer  Seit. 

einen  ©ö^en  glauben,  ber  felbft  ^robutt  ber  9latur  ift  fonbern 
an  ben  (ebenbigen,  allmächtigen  @ott.  3lte  ber  ma^r^aft  Sebenbige 
ift  er  etwas  ganj  anbere§  at§  nachweisbare  Söirflid^teit,  alfo 
flbcrn)cltlic^.  2ll§  ber  SlUmäc^tige  ift  er  ber  äBiffenfc^aft  in  feinem 
SBirfen  oerborgen,  aber  er  fa^t  in  biefcm  SBirten  bic  für  un§ 
enbtofe  9latur  jufammen  unb  mad^t  fte  ju  einem  9Wittel  für  bie 
nur  erlebbare  SBirflic^!eit  be§  @eifte§. 

3Bie  wirb  un§  nun  aber  biefe§  ber  SBiffenfd^aft  Unfajsbare, 
ba§  SBirten  beS  allmad)tigen  @otte§,  eine  un§  parfenbe  SDSirtlic^* 
teit?  @ine  Slnfc^auung  eine§  folc^en  3Bir!enS  l^aben  wir  nid^t. 
3tber  mir  fönnen  etma§  erleben,  morau§  ber  ®ebante  eine§  folclien 
SQ3irten§  l^eroorge^en  tann.  ®iefe§  ®rlebni§  ift  bie  reine  ^in« 
gäbe  an  eine  geiftige  SWac^t  in  S^rfurd^t  unb  93ertrauen.  ©in 
mutiges  unb  getrofteS  ^erj  fönnen  mir  nur  in  einem  9Woment 
geminnen,  ber  unS  juglcic^  ba§  beutUd^er  mad^t,  bem  mir  ge* 
^ord^en  muffen,  meil  mir  fein  emige§  Stecht  einfe^en,  baS  fittlic^e 
©ebot.  ©eibeS  erleben  mir  in  ber  a3erü^rung  mit  ^^erfonen,  bic 
uns  burc^  i^re  @üte  mol^ltun  unb  jugleii^  burc^  ben  ®rnft  i^rer 
Cpferbereitfc^aft  unS  bemütigen.  Qu  einem  folc^en  Vorgang  ent^ 
ftc^t  in  uns  baS  Unoergteic^lic^e,  bie  reine  Eingabe  eineS  2)ien« 
fc^en,  ber  fonft  immer  barauf  auS  ift,  um  baS,  roaS  er  ju  be* 
bürfen  meint,  ju  tämpfen  unb  fid^  ju  meieren.  SD3enn  mir  fo 
innerlid^  gehoben  unb  im  ®migen  befeftigt  merben,  fmb  mir  beS 
©ebantenS  ber  2lllmadf)t  fä^ig.  ®r  entftct)t  in  unS,  menn  mir 
baS,  xoa^  mir  babei  erleben,  als  a33a^rf)cit  fefl^alten  fönnen,  fo 
ba§  eS  uns  nic^t  mieber  als  etmaS  blo^  fubjeftiocS  oerfliegt. 
3)ie  Slnerfcnnung,  ba§  baS  fein  flüchtiger  ©cl)ein  fonbern  SBa^r« 
^eit  ift,  ift  offenbar  ein  3tft  fittlid^en  ©el^orfamS.  3w9^c'^  ^6er 
üolljiet)t  fie  ftd^  in  bem  93emu^tfein,  ba§  bie  93erü^rung  einer 
aWac^t,  bie  unS  gel^eimniSooU  bleibt,  unS  über  unfere  natürlid)e 
Slrt  erl^oben  ^at,  inbem  fie  unS  mit  grenjentofer  3w<>^^ic^t  ^^' 
füllt.  ®ann  murjeft  ber  ©ebanfe  ber  perfönlic^cn  SKac^t  über 
SlUeS  in  unferem  eigenen  SrlebniS  unb  mirb  unS  jur  unabmeiS^ 
baren  SOBal^r^eit.  So  offenbart  fi^  unS  @ott,  3)er  Slnfang  ift 
nic^t  ber  ©ebanfe  ber  3[llmad^t,  fonbern  baS  SrlebniS,  bag  in 
uns  felbft  aller  SBiberftanb  übermunben  mirb. 


©crrmann:  ^cr  ®loube  on  ®ott  unb  bie  SBiffcnfc^aft  unferer  3cit    23 

SBcnn  roiv  nun  um  unö  ^cr  auf  oiete  3Wenfc^en  treffen,  bie 
oon  einer  folc^en  ©rtenntniS  ®otte§  nic^tö  roiffen  wollen,  fo 
fönneu  roir  ba^  roo^l  oerfte^en.  @ott  wirb  nic^t  erfannt  wie 
ein  totes  ©ing.  S)enu  an  i^m  ift  nic^t«,  ma^  uic^t  Seben  wäre. 
®r  wirb  alfo  nur  ertannt,  wo  er  fein  Seben  offenbart,  unb  eS 
ift  feine  @ad)e,  wo  unb  wem  er  e§  offenbaren  wiK.  2lber  auc^ 
ber  SWenfd)  tann  baran  fc^ulb  fein,  ba|  er  ®ott  nic^t  ertannte. 
9Bir  wiffen  ja  oon  un§  felbft,  wie  ba§  fommt.  <3e  me^r  wir 
felbft  fittlid)  fc^taff  unb  Ieb(o§  werben,  befto  unfähiger  werben  wir, 
bie  fttttic^e  ®üte  anberer  ju  bewerfen.  9tber  auc^  wenn  wir  burc^ 
anbere  ju  SSertrauen  unb  S^rfurc^t  erregt  waren,  tonnen  wir  fo 
untreu  werben,  bag  wir  baS  a(S  wefen(o§  be^anbeln,  obgleid) 
wir  erfuhren,  wie  e§  un§  innerlid)  ^ob.  2Bir  fönnen  enblic^  bie 
9Menfc^en  unferer  Umgebung  fo  in  unfere  Unreinheit  unb  Sieblofig« 
feit  ^ineinjieben ,  baj5  unS  wenigftenS  nichts  reineS  fefteS  unb 
fteg^afteS  an  i^nen  offenbar  wirb.  ®ann  ift  ba§  oerflungen, 
voa^  uniS  jur  9{ebe  @otteS  ^ätte  werben  fönneu. 

^n  biefer  «erlaffen^eit  erfährt  ber  ÜWenfd),  bag  ®ott  bie 
©ünbe  unerbittli^  ftraft.  3Bir  wiffen  eS  wo^(,  baj5  wir  in  fo(d)en 
9löten  feinem  Reifen  fönneu,  wenn  wir  nic^t  aufrichtig  bereit  finb, 
e§  uns  um  feinetwitten  fauer  werben  ju  laffen,  fo  bag  in  unfere 
33egegnung  mit  i^m  immer  ttxoa^  oon  ber  ©mpfinbung  flie&t, 
bag  uns  an  i^m  gelegen  ift.  9lber  unfer  ganjeS  ^emüi)en  mu^ 
boc^  barauf  gerid)tet  fein,  i^m  ba}u  }u  Reifen,  ba§  er  gegen  fid^ 
felbft  unerbittlich  wirb  unb  feine  Sage  fic^  nic^t  oerfc^leiert.  2Ber 
ftc^  felbft  bie  ÜWöglic^feit  genommen  ^at,  an  ®ott  ju  glauben, 
muj5  ertennen,  baj5  er  fc^liej^lid^  gauj  oereinfamt  ift.  3)ie  SDBiffen» 
fcl)aft  ftebt  biefer  ©rtenntniS  nic^t  im  SBege.  3)ie  Äunft  freiließ 
fann  oon  uieten  SWenfc^en  baju  gemi^rauc^t  werben,  ba^  fte  auS 
if)rem  Seben  eine  fc^öne  Süge  ma^en.  darüber  foUten  wir  flagen, 
baj5  bei  unS  baS  iBerftänbniS  bafür  fd^winbet,  warum  einem  SJlanne 
wie  "»^laton  bie  Äunft  oerbäc^tig  war.  3lber  bie  3Biffenfd)aft  an* 
auflagen,  f)aben  wir  feinen  ®runb.  ©ic  tut  baS  ^^re,  bie  aHen* 
fcf)en  jur  Sefmnung  ju  bringen,  benn  fie  oerfe^t  fie  in  eine  SEBirf» 
lic^feit,  bie  für  alle  3lnfprüc^e  beö  Sebeubigen  uic^t^  weiter  ^at, 
als  enblofeS  ©Zweigen,    darauf  aber  fönnen  wir  rennen,   ba§ 


24    ©crrmann:  ^er  ©taube  an  ®ott  unb  bie  SBiff enfc^af t  unf ercr  3c^t. 

ba§  ©ntfc^cn  uor  bicfer  SBett  bc§  2:obc§  in  einer  tebenbigen  ©eele 
bie  grage  nac^  einem  ®ott,  ber  fte  ^ören  möd^te,  werft.  ®benfo 
wirb  jebev  ber  jemals  ernfte  Siebe  erfahren  ijat,  un§  oerfte^en, 
tt)enn  wir  i^m  bejeugen,  baj5  roir  unS  felbft  oon  ber  SBelt  be§ 
fiebenS  au^fd^tie^en,  wenn  wir  fol^e  ©rfal^rungeu  oergeuben. 
einem  SJlenfc^en  ift  religiös  nur  ju  Reifen,  menn  er  felbft  ertennt, 
ba^  er  burd^  fold)e  Untreue  fein  Seben  oerborben  f)at.  3Sßenn  er 
(Sott  foU  Dernet)men  tonnen,  fo  mu§  er  oor  allem  einfe^en,  ba§ 
er  au§  biefem  ©runbe  @ott  nid)t  ^ört.  3)aju  aber  tonnen  i^n 
teine  Ueberrebung§tünfte  jmingen.  Sr  mu^  felbft  ben  SSßitten 
faffen,  fic^  auf  feine  eigenen  ©rtebniffe  ju  befinnen.  |)elfen  tann 
if)m  nur  bie  rul^ige  ^e^auptung  oon  9)lenfc^en,  ober  ba§,  n)a§ 
ber  Unglaube  al§  ®ogma  ju  freiten  pflegt.  Stber  e§  muffen 
ajlenfc^en  fein,  bie  au§  eigener  ©rfa^rung  miffen,  wie  mir  un§ 
ruinieren,  menn  mir  ®rlebniffe,  bie  un§  ganj  unb  gar  in  Stnfpruc^ 
nahmen,  al§  siebenfachen  bel^anbeln,  unb  e§  muffen  SWenfc^en 
fein,  bie  ebenfo  au§  eigener  (Srfa^rung  miffen,  ba^  ein  unoer* 
gleid)lic^e§  ©rlebniö  i^nen  ben  SDlut  ber  SBa^r^aftigteit  mieber^ 
gegeben  unb  i^nen  babur^  ®ott  oerne^mlid)  gemacht  f)at,  alfo 
erlöfte  2Kenf^en. 

®§  ift  anber§  mit  un§  geworben,  nic^t  meil  mir  uni^  ange« 
ftrengt  ^aben,  irgenb  etma§  allgemeines  für  ma^r  ju  galten,  fon^ 
bern  meil  etmaS  ganj  befonbereS  in  unfer  eigenes  Seben  getreten 
ift.  Uns  ift  in  ^fefuS  ©tiriftuS  eine  ^erfon  begegnet,  bie  in  alle 
93ef^räntt^eit  unfereS  SebenS  eiugefd^loffen  unb  oon  allem  menfc^* 
lid)en  Jammer  bebrängt,  boc^  bie  ^raf t  l^at,  unenbli^eS  SJcrtrauen 
}u  f orbern.  @r  ergebt  ben  übermenfc^lid^en  2lnfprud),  ba§  ba, 
mo  er  mirtfam  mirb,  @ott  als  ber  ^err  über  aUeS  erfahren  mirb. 
Unb  biefcr  SSertünbigung  beS  mit  i^m  fommenben  9teic^eS  ©otteS 
gibt  er  fogar  bie  Schärfe,  ba^  er  bet)auptet,  mo  feine  g^^eunblid)« 
feit  einen  SJlenfc^en  ergreife,  merbe  SJergebung  empfangen,  bie 
SJla^t  ber  ©üube  gebrod^en.  Unb  baS  alleS  ift  bei  i^m  gefaxt 
in  baS  ftrat)lenbe  93ilb  fittlic^er  SSollenbung.  SBaS  gut  ift,  enthüllen 
feine  äBorte  ber  SWenfd^^eit  fo,  ba§  fid)  barin  immer  neue  liefen 
ber  ftttti^en  ©rfenntniS  auftun  unb  ba§  fie  boc^  jeberjeit  baS 
^erj  ber  Einfältigen  padten.    ®r  jeigt  unS,  roie  unerf^öpflid)  bie 


^errmonn:  S)er  ®laube  an  ®ott  unb  bie  SBiffenf^oft  unferer  3^t    25 

fittlid)c  Stufgabc  ift.  SDBir  Äinbcr  bcS  ©taubeS  foUcn  lieben  wie 
ber  aümä^tige  (Sott.  @r  felbft  aber  ftellt  fi^  jroar  barin  un§ 
g(eid),  baj3  auc^  er  nid^t  gut  genannt  n)erben  n)iO,  n)eil  er  an  bie 
Unenbüc^feit  ber  ftttlic^en  gorberung  bentt.  9tber  juglei^  jeigt 
uniS  alle§,  roa§  wxx  üon  i^m  erfahren,  ba|  er  allein  immer  über* 
minbet  unb  ju  bem  emigen  QitU  üorbringt.  3)aj5  auf  feinem 
Seben  fein  ©chatten  oon  ©c^ulb  liegen  fanu,  wirb  jebem,  ber  i^n 
fennen  lernt,  burc^  feine  ruhige  3ut)erfic^t  bemiefen,  ba|  ben 
©ünbem  bie  Saft  ber  ©d^ulb  abgenommen  merbe,  menn  er  fte 
oon  fetner  Siebe  überjeuge.  ©c^lie|lic^  ift  in  feinem  2:obe§opfer 
alle§  bie§,  fein  SBille  ben  ©ünbern  ju  Reifen  unb  feine  QnvtV' 
ftc^t,  baj5  er  e§  fönne,  feine  ftttli^e  ©nergie  unb  feine  reine  Ein- 
gabe an  ©Ott  fo  empor-  unb  jufammengemadifen,  baj5  feine  SJer- 
fö^nung^te^re  feiner  jünger  ba§  ©e^eimnig  ergrünben  unb  jum 
oollen  2lu§brucf  bringen  fann.  9tur  ba§  eine  ift  un§,  bie  mir 
bie  ^erf on  ^efu  in  bicfer  i^rer  ^errlic^feit  fe^en,  oöllig  f (ar :  in 
un§  felbft  mirb  eine  allc§  überminbenbe  3wüerft(^t  mächtig,  wenn 
er  un§  gegenroärtig  ift.  ^n  biefem  SJertrauen,  ba§  Qefu§  burc^ 
bie  Äraft  feiner  ^erfon  in  un§  fcljafft,  mirb  unö  ©ott  offenbar. 
2)ie  grommcn  be§  alten  33unbe§  ^aben  ©ott  gefunben,  menn  fie 
ben  fittlic^en  SJläc^ten  in  i^rer  eigenen  ©eele  unb  in  ber  ©e^ 
fd^i^te  i^re§  SJolfeg  begegneten,  menn  fte  oon  ber  SÄac^t  be^ 
©Uten  in  bem  Seben  ber  ©erec^ten  ergriffen  mürben.  3)e§  @otte§, 
bem  fte  fo  oertrauen  lernten,  ^aben  fte  ftd)  gefreut  auc^  an  ben 
SBunbermerfen  feiner  Schöpfung.  ®a§  alle§  erleben  mir  aud). 
3lber  ebenfo  bitter  mie  fte,  muffen  mir  erfal^ren,  ba&  un§  ba§ 
alle§  jufammenjubred^en  bro^t  unter  unbegreiflichem  Seib  unb  unter 
einer  ©c^ulb,  bie  mir  nic^t  oergeffen  fönnen.  2Bir  miffen  bann 
nid)t,  mie  mir  eine  folc^e  ^raft  aufbringen  follen,  mie  fte  ft^  im 
73.  ^falm  au§fprirf)t.  2lber  biefe  Kraft  mirb  un§  gegeben,  menn 
mir  un§  ber  ^erfon  Qefu  erinnern,  mie  fte  au§  ber  Ueberlieferung 
be§  9Jeuen  SeftamentS  f)erüorleuc^tet.  ^efuS  ©^riftu§  fc^afft  in 
benen,  bie  i^n  roirflid)  fennen  lerneit,  ein  SSertrauen,  in  bem  alle 
if)re  Stengfte  ft^  auflöfen.  2)abur^  mirb  er  un§  ber  3Beg 
jum  aSater,  benn  barau§  ermärf)ft  un§  ate  eine  oon  un§  felbft  er^ 
fa^te  SBa^r^eit  ber  ©ebanfe  einer  geiftigcn  3Wac^t  über  alleiS,  bie 


26    ^errmann:  ^cr  ®Iaubc  an  ®ott  unb  bie SBiffcnf d^af t unfcrcr Qtit 

un§  burc^  ernftc  fiiebc   übetroinbct  unb  un§  ju  neuen  SWenfd^en 
niQc^t. 

©uc^en  roiv  in  ber  l^eiligen  ©d^rift  ni(^t§  anbetet  aU  bie 
fd)lie^lic^  in  ber  ^erfon  ^^\vi  überroättigenbe  ^erüorbrec^enbe 
Offenbarung  ®otte§,  fo  brauchen  wir  aud)  bie  ^iftorifrf)e  SBiffen* 
fd^aft  nic^t  ju  fürchten  unb  werben  un§  oon  bem  fc^iüäc^üc^en 
33ege^ren  rein  Italien,  baj5  if)r  irgenb  roetc^e  äußeren  ©c^ranfen 
gefegt  werben  motten.  Q^re  treue  2(rbeit  an  bem  Sßergangenen 
mag  in  un§  manche  un§  lieb  geworbene  Stuffaffung  erfc^üttern. 
9(ber  bie  Ueberjeugung,  ba^  bie  ganje  biblifd)e  Ueberüeferung  baS 
93rob  ber  fiebenbigen  bei  it)rer  SBanberung  bur^  bie  ©efc^id^te 
ift,  wirb  fie  un§  nic^t  nehmen.  3)em  (ebenbigen  (Sott,  ber  ftc^ 
un§  offenbaren  will,  bient  fc^Iie^tic^  alle  SBiffenf ^af t ,  aud)  bie 
2Biffenfd)aft  unferer  S^xt 


27 


Dr.  9i.  ^offmann, 

Pfarrer  in  ©ruibinöen. 

e§  ^attbett  ftd^  um  bie  g^^agc:  ob  burc^  bie  oft  geforberte 
„äeitgemä^e  SBctfünbigung  be§  eoangenumS"  baö  SBefcn  bcS  6^ri^ 
ftentumö  ate  Sieligion  unbeeinträchtigt  bleibt;  ober  nod)  genauer 
gefaxt:  ob  nid)t  bur^  93etonung  biefer  ßcitgemäg^eit  ber  —  un* 
beabft^tigte  —  ©rfolg  erreicht  wirb,  bie  3«itgenoffen  me^r  für 
bie  peripl^eren,  al§  bie  jentralen  2:enbenjen  be§  6^riftentum§  ju 
erroämten.  Snx  prinjipiellen  ®ntfc^eibung  mögen  afö  SBorberei^ 
tung  einige  t^eoretifc^e  ^^rämiffen  bienen  barüber,  roie  „ä^it^n" 
übcrl^oupt  ftd^  gu  einanber  oerl^alten. 

I. 

ffienn  mir  üon  einem  „^ai)x\)\xnhzxt" ,  einem  „SJlenfc^enalter" 
reben,  fo  beutet  ber  SBortlaut  gunäd)ft  auf  ein  S^xt  q  u  a  n  t  u  m, 
paffenb  ein  3«it^<^uJ^  genannt,  fofern  fein  Umfang  anfc^aulic^ 
nur  al§  juglei^  räumlid^e  @rö^e,  als  Sßielfac^eS  ober  Seil  ber 
33a^n  eine§  Paneten,  eineö  Sic^tftra^lS  u.  bgl.  bargeftellt  werben 
tann.  9lun  unterfd^eibct  fic^  allerbing§  3«it  ^^^  SHaum,  fofern 
fie  „oerläuft",  mä^renb  biefer  „ruf)t"  unb  fofern  fie  i^re  eigene, 
mit  beffen  3)imenftonen  unoergleic^bare,  unb  ni^t  umtel^rbare 
„2)imenfton"  ^at:  nämli^  bie  9iid)tung  oon  ber  SBergangen^eit 
burc^  bie  ©egenmart  jur  3"funft.  Slber  fofern  jener  SSerlauf 
„objettio",  b.  ^.  feine  ©efc^minbigfeit  für  aDe  ©ubjefte  gleich 
gültig  fein  fotl,  tann  er  mieberum  nur  al§  33emegung,  b.  ^.  ©e- 
fdje^en  im  Siaume  oorgefteßt  werben.  Unb  fofern  bie  „®efc^ic^te" 
in  aSergangen^eit ,  ©egenmavt  unb  3wfunft  allgemeingültig  fein 
foU,   mu^   i^r  ,3n^alt  ebenfalls   in   ben  9iaum  oerfe^t  werben. 


28  $  0  f  f  m  o  n  n :  Scitöemd^  ober  3eilIoä  ? 

muj5  anjugeben  fein,  wo  cttt)a§  gefd^e^en  ift,  gcfc^ie^t  ober  gc^ 
fc^e^en  wirb.  SÄ.  a.  338.:  objeftioe  Q^xt  ober  gemeinfame  3eit 
ift  immer  quantitatioe  Q^xt  ober  räumliche  3^'t. 

9iun  aber  meinen  mir  mit  „Qa^rl^unbevt"  ober  „3Wenf^en^ 
alter"  gemö^nli^  einen  ^n^ött,  für  ben  feine  quantitatioc  Q^xU 
grenje  oer^ältni^mä^ig  inabäquat  ober  jufäüig  ift;  ein  me^r  ober 
minber  abgefd)Ioffene§  ©anjeS  oon  ®efd)i(^te  ber  SWenfc^^eit  ober 
ber  Äuttnr,  eincö  aSolfeS  ober  cineö  ^nbioibuum§,  ein  ®anje§, 
baS  id)  al§  eine  gefd)i^ttic^e  Qualität  beaeic^nen  mill, 
mel^e  burc^  it)ren  3"^^^  begrenjt  mirb.  ©ofern  Dualitäten 
freiließ  in  ber  objettiüen  Q^xt  (im  obigen  Sinn  gemeinfame  ober 
räumliche  Qtxt)  oorgeftellt  werben,  werben  fte  burd^  ba§  ganj 
anberSartige  SBerfa^ren  ber  93egriff§bilbung  oerglic^en  unb  abge^ 
grenjt  („befiniert").  hingegen  al§  gef ^id)tlic^e  Dualitäten 
tonnen  fte  oergli^cn  unb  abgegrenjt  werben,  nur  fofern  fie  it)re 
eigene  Qtxt  ^aben  (ic^  oermeibe  ben  9tu§bruc!  „fubie!tii)e3^it", 
weil  ba§  ben  2lnftang  an  etwa§  „Qrreale^"  f)ätte).  Somit  fmb: 
gefc^i^tli(^e  Dualität,  ober  einen  3n)erf  ober  eigene  3^^*  ^aben, 
SBec^f elbegriffe;  unb  e§  ^anbelt  fid^  je^t  noc^  barum:  im  einjelnen 
ju  oeranfrf)aulic^en,  ba§  wir  mit  unfrer  2lbgrenjung  gefc^i^tlid)er 
^erioben  wirflid^  eigene  3^1*^^^  ^^  angegebenen  ©inne  meinen; 
unb  oon  ba  au§  ben  Uebergang  ju  unfrer  Sitelfrage  ju  machen, 
inbem  wir  biefe  f o  formulieren :  ob  bie  3"^^^^  woburd)  gefc^i^t- 
li^e  Dualitäten  in  ein  95er^ältni§  ju  einanber  treten,  in  einer 
objettiüen  3cit  ^^^^  ^'"^^  gemeinfamen  3wfwnft,  ober  in  einer 
baoon  ju  unterfc^eibenben  2lnf^auung§form  beieinanber  fnib. 

SDSenn  man  ben  ^inj  ober  Äunj  ein  Snbioibuum  nennt,  fo 
ftellt  man  fid)  bie§  Qnbioibuum  junä^ft  bur^  feine  ^aut  begrenjt 
oor;  wenn  man  oom  SJlittelalter  rebet,  fo  bentt  man  ftc^  e§  ju- 
näc^ft  einerfeit§  etwa  oon  Äarl  b.  @r.,  anbrerfeit§  oon  ber  SRe- 
formation  begrenjt.  5rage  ic^  aber,  wo  ift  berjeit  ^inj  al§ 
„pf9c^ifd)e§  ^nbioibuum",  fo  ift  bie  2lntwort:  „in  feiner  ^aut" 
burc^auS  unjulänglid);  benn  fte  belehrt  mic^  ni(^t  barüber,  wo  er 
berjeit  mit  feinen  SJor  ftellun  gen  ift,  welche  i^n  eben  al^ 
^fnbioibuum  tonftituiere.     SBenn  man  oon  ber  „Unerforfd)lic^teit 


©  0  f  f  m  a  n  n :  SeitgemäJ  ober  3eitCog?  29 

bc§  mcnfc^tic^cn  ^f^^nctn"  rebet,  fo  ^ei^t  baS  eben,  ba§  jebeS 
menfd)ricl^e  ^fnbioibuum  feine  eigene  3«it  ^öt,  nnb  barum  ba§ 
3nfammenfein  in  ber  objettiüen  räumlid^en  Q^xt  nod^  nic^t  ge« 
nügt,  e§  tennen  ju  lernen;  wenn  id^  anbrerfeitS  bo^  üon  biefem 
„On«^"teben"  au6)  etroaö  inerte,  fo  ift  bie§  nnr  baburd^  möglich, 
bag  ein  foIc^e§  Q^nbiüibuum  iebcrjeit  burd^  einen  S^^^  begrenjt 
ift,  ber  mit  meinem  Qnbioibuatjroecf  irgenbroie  in§  SBer^ältniö 
gefegt  merben  fann.  Äurj  gefa&t:  ©igene  Qzxttn  treten  in  ein 
35er^ältni§  burd)  bie  Qxütdt,  rooburd)  fte  begrenjt  werben.  3)ag 
gilt  aud)  üon  einem  ä^itölter.  SBo  ift  ba§  SD^iittelalter?  ®a  ^ilft 
mic^  and)  nic^t§:  ,,in  ber  SSergangen^eit"  ma^  ja  genauer  anc^ 
nur  mieber  burc^  bie  93cftimmung  „jroifc^en  Karl  b.  @r.  unb 
ber  JRef ormation"  auSgebrüdtt  werben  fann ;  fonbcrn  id)  muj5  ju* 
nfid)ft  antmorten :  in  feiner  eigenen  ß^it  n)eld)c  burc^  einen  eigen* 
tümlic^en  Qwtd  gcgliebert  unb  begrenjt  mirb,  unb  ic^  mei^  üom 
SJlittelalter  aud)  nur  baburc^  etmaö,  ba§  ber  3"^^*  meinet  3^it' 
altera  mit  bem  feinigen  in  ein  aSerpltni§  treten  tann.  ^ierauS 
ergibt  ftd)  einmal:  ba§  ein  <3fnbiuibuum  unb  ein  3^itölter  bie 
gleiche  ©truttur  al§  üon  einem  Qrotd  au§  begrenjte  @ef^id^t§« 
qualität  ^aben,  baj5  ic^  ba§  ^f^bioibuum  gerabe  fo  gut  aU  eine 
gefd)id)tlic^e  fieben§gemcinfd)aft,  mic  ba§  3^italter  al§  einRoDet« 
tioinbiüibuum  befinieren  fann.  Unb  jroeiten§:  ba^  ba§  Qnbiüi- 
buum  bejm.  3^itölter  in  feiner  ©lieberung  unb  33egrenjung  pom 
3n)ecf  erft  gefc^affen  mirb,  alfo  mebcr  baju  beftimmt,  noc^ 
fd^ig  ift,  biefen  3"^^^  ^^P  feinerfeit^  ju  „oermirf liefen". 

3Ba§  trägt  ftc^  aber  eigentlich  ju,  menn  mir  oon  ber  ^SJcr* 
mirflid)ung  eine§  Qvo^d^  in  ber  3wfw"ft"/  alfo  in  ber  objeftioen 
3eit,  fpred)en?  Offenbar  t)anbelt  e§  fic^  babei  nic^t  um  bie  S3er= 
mirflid^ung  eine§  fc^lei^t^in  9tid^tmirf liefen,  fonbern  barum,  ba§ 
ein  3wfö"ftig''2Birflid)e§  ein  ©egenmärtig^SBirflid^e^  merbe.  So- 
fort aber  oermanbelt  e^  fic^  bann  auc^  in  ein  Sßergangen^aBirf* 
lic^e^;  e§  fei  benn,  ba§  fid)  ein  „le^ter  S^^^"  ober  beffer,  ein 
le^ter  3wftönb  aufjeigen  lie^e,  ber  fic^  blog  in  ©egenmart  oer- 
manbelte,  o^ne  weiterhin  aud)  in  SSergangen^cit  überjuge^n.  @r 
märe  bann  ba§  fc^led^tf)inige  futurum,  ju  bem  \\(i)  alle  anbern 


30  §  0  f  f  m  a  n  n :  3eitöemci|  ober  3ctt(o§  ? 

gutura  gtcid)fam  al§  gutura  cyacta  oer^ielteu.  9lun  ift  bcr  Un* 
tcrf^icb  oon  Sßergangen^eit  unb  ©egcnroart  bctanntlid^  pratttfd) 
ein  „ftie^enbcr",  ober  retatioer.  ©egenroart  im  ftrcngen  ©inn 
wäre  eine  3^it  bic  nur  al§  9te6encinanber,  nid^t  al§  ^tac^einan* 
ber  eine  2lu§be^nung  ^ätte,  b.  1^.  ftreng  genommen  gar  feine  Qtxt 
^ener  relatioc  Unterfc^teb  aber  fei  junäc^ft  ba^in  beftimmt:  fofern 
®reigniff e,  al§  U r f  a ^ e n  betrachtet  relatio  ung(eid)jeitig 
ftnb,  liegen  fie  miteinanber  in  ber  Sß  e  r  g  a  n  g  e  n  t|e  i  t,  fofern 
fte,  a(§  Urfa^en  betrachtet,  relatio  gleic^jeitig  ftnb,  liegen 
fic  miteinanber  in  ber  @  e  g  e  n  m  a  r  t,  9Wan  tann  pc^  jene  re- 
lative Unglei(^jeitigteit  ber  Urfac^en  anfcfjaulict)  mad^en  bur(^ 
Sßorftellung  ber  Orte  auf  ben  Sahnen  eine§  2Betttauf§,  melct)e  je* 
meilig  bie  SSßettläufer  einnel^men;  bie  öal^nen  ftnb  immer  neben* 
einanber,  b.  ^.  im  SRaume,  unb  auc^  bie  Orte,  fofern  fte  at§ 
fünfte  biefer  Sahnen  betrachtet  merben;  fofern  fte  aber  jugleic^ 
3Womente  eine§  2:empo  ftnb,  ftnb  fte  retatit)  nac^einanber,  ober 
Dvte  in  einer  3^it.  ®ie  SRelatioität  biefe§  Unterfc^ieb§  ermög* 
lid)t  e§  auct),  bie  einjelnen  Urfac^en  beliebig  fo  ju  begrenzen,  ba^ 
fie  möglii^ft  gleichseitig  ober  möglic^ft  ungleichseitig  erfc^etnen. 
3)a§  unter  bem  ®eft(^t§punft  eine§  legten  3wftanb§  aber  bie  erftere 
S^enbenj  bie  Dber^anb  behalten  mu§,  mirb  fogteid^  erhellen. 

@§  befielet  nämlid^  jmifc^en  ßutunft  unb  @egenmart  eine 
ä^nti^e  SRelatioität  be§  Unterfc^ieb§.  Qii)  befintere  bie  3^' 
!unf  t  al§  bic  3^i t/  i"  welcher  bie  Urfac^en,  gteid^jeitige 
ober  ungleid^ieitige,  SBirtungen  ftnb.  @§  ift  ja  nun  mieber 
al§  9tegutattT)  ber  ftrenge  @ucceffion§c^ara!ter  oon  Urfac^e*9Bir* 
tung  unentbelirlic^;  prattifc^  aber  ift  nur  ein  fold^e^  ®reigni§  al§ 
Urfad^e  braud^bar,  ba§  mir  jugleict)  al§  beginnenbe  SBirtung,  unb 
fomit  mit  biefer  in  gemiffem  ®rab  gleichseitig,  anfd^autid) 
mirb,  benn  nur  fo  voith  mir  bie  taufale  Raffung  ju  einer  „@r* 
tlärung".  2luct)  ^ier  ermöglicht  e§  mir  biefe  Slelatioität,  bie  Ur* 
fachen  fo  abjugrenjen,  ba^  bie  Urfac^e  mit  i^rer  SBirtung  gleich* 
jeitig  erfc^eint.  9]un  aber:  in  bem  SWa^e,  al§  bie§  gefc^iefjt,  al§ 
fomit  bie  3wtunft  mit  ber  ©egenmart  jufammenfäHt,  werben  auct) 
bie  Urfac^en  unter  ftc^  gleii^jeitig,  fällt  alfo  bie  SSergangen^eit  in 
bie  ©egenmart  l)inein,  unb  oice  oerfa.  Qxix  33egrünbung  möge  fjier 


©  0  f  f  m  a  ti  ti :  Sttt^tmä^  ober  3ctUo§  ?  81 

nur  ongebcutct  roerbcn:  eben  bie  Ungleidjjeitigteit  ber  Urfa^en, 
bie  ftc^  nod)  in  bie  ßufunft  hinein  fortfe^t,  fo  baj5  bie  berjeitige 
©egenroart  biefer  gegenüber  ate  UJergangen^eit  erfd^eint,  ift  ber 
©runb,  ba^  mir  bie  3wtunft  „problematifd)"  oortommt;  unb 
anbrerfeitS  nur  inbem  bie  SJergangen^eit  al^  Urfa^e  mit  ber  @e* 
genmart  al§  i^rer  SBirtung  unglcid^jeitig  erf^eint,  nimmt  fie  jenen 
cigentümli^en  @rab  üon  9lic^t^9iealität  an,  ben  mir  mit  „oer» 
gangen"  bejeic^nen.  ^ene  Slbgrenjung  ber  Urfadjen  aber,  mel^e 
SJergangen^eit  wie  3"fwnft  in  ©egenmart  oermanbelt,  gcfd^ie^t 
unter  bem  ©efic^tSpuntt  eineS  legten  3"f*önb8,  ben  mir 
befinieren  f  önnen  al§  biefc^lec^t^inige®egenmart,  in 
metc^er  a(leUrfad)enfomof)t  unterein  anb  er  al§ 
mit  i^ren  SBirtungen  gtei^jeitig  finb. 

3)ie[er  le^te  äwft^nb  l)at  mit  einem  testen  ober  beffer  „^öd^^ 
ften"  Qxütd  roeber  formelle  noc^  materieDe  Ste^ntic^teit.  ®enn 
unter  einem  ju  oermirfUcljenben  Qwed  fteüt  man  [\ä)  bod)  einen 
ßuftanb  oor,  ber  nur  gerabe  burc^  biefe  auf  i^n  gerid)tete  Sä- 
tigteit  oerurfac^t  mirb,  burc^  eine  entgegengefe^t  gerichtete  aber 
oielme^r  oer^inbert  mürbe,  ^'«ner  le^te  3wftani>  ^^^^  oerroirt^ 
Iid)t  ftc^  burc^  alle  mie  immer  gerichtete  2:ätigteit,  fobalb  fie  nur 
eben  als  urfä^tid^  gefa&t  merben  tann,  unb  mirb  burc^  folc^e 
ebenf omenig  geförbert  als  ge^inbert;  fo  menig  al§  man  bie  Schmer- 
traft  überroinbet,  menn  man  fic^  auf  ben  Äopf  ftellt,  ober  fte  rytt-^ 
ftarft,  inbem  man  mit  aller  SWa^t  auf  ben  2:ifc^  f^lägt.  Unb 
ein  Qxo^d  mirtt  immer  auf  baS  burd^  i^n  abgegrenjtc  ©ubjeft 
qualitätf^affenb,  mä^renb  bei  ben  unter  bem  ©cftc^tSpuntt  be§ 
legten  ß^ftöubS  abgegrenzten  Urfac^en  gerabe  oon  aller  Ouatität 
abgefe^en  merben  foU. 

Suchen  mir  nun  nac^  einer  anf^aulic^en  S)arftetlung  biefeS 
„testen  äwftanbeS",  fo  bietet  ftc^  natürlicl)  juerft  baS  S3ilb  einer 
folcf)en  bar,  mie  e§  bie  berjeitige  9laturmiffenf^aft  al§  3wftanb 
enbgültigen  @pannung§auSglei(^S  aller  (Energie  im  SBeltall  ent- 
mirft.  3n  ber  2:at:  biefer  ßuftanb  märe  ein  folct)er,  in  metc^em 
äße  Urfa^en  unter  fid)  f^lect)t^in  gleict)jeitig,  unb  ebenfo  mit 
i^rer  —  gegenfeitig  aufgehobenen  —  SBirtung  fct)lec^t^in  gleic^^ 


32  ©  0  f  f  m  a  n  ti :  StxtQzm&^  ober  S^it^oS  ? 

jcitig  iDären;  n)cld)cr  ferner  burc^  jebe  trgenbroie  gerichtete  Sätig^ 

feit,  foroeit  fie  urfäd)li^  roirtt,  alfo  (Energie  üerbrauc^t,  gleicher« 

maj5cn  üeriDirtlic^t  rofirbe,  unb  welcher  enbli^  alle  Duolität  bep* 

nitio  au^fd^löge.    @§  fragt  ftc^  nur,  ob  für  biefe  Qbee  ber  2lu§* 

brurf  „le^ter  3wftönb"  eigentUd)  paffenb  ift.     ®§  ift  ja  ein  be* 

tannter  ©inroanb :  wenn  biefer  ßuftanb  überhaupt  eintreten  f önnte, 

mü^te  er  fc^on  eingetreten  fein,   fogar  wenn   er  eine  unenblic^e 

3eit  erforbett,  benn  eine  unenblic^e  3^it  liegt  ja  ouc^  fc^on  hinter 

nn^.    3lber  baoon  abgefetien:   biefer  le^te  ß^fto^i^  ift  jö  immer 

cigent(id)  fc^on  „ba",  nämti^  al§  „ftrenge"  ©egenmart,  a(§  ftreng 

geometrifc^e  ®bene,  meiere  ben  „©trom  be§  @efd)e^en§"  fc^neibet. 

^n  jebem  fold^en  ibeaten  2)urd)f(^nitt  ftnb  alle  Urfad^cn  unter  ftd) 

unb  mit  il^ren  SBirtungen  jugleic^,  unb  ift  ber  für  biefen  3Woment 

gültige  @pannung§au§glei^  repräfentiert.    g^^eilic^  ift  ba§  bann 

bto|  ein  2Jioment  unb  ba§  ®efd)e^en  ge^t   üon  ba   au§  weiter, 

mä^renb  bei  jenem  ^ppot^etifdjen  ä^f^^nb  nic^tö  mel^r  gef^ie^t; 

aber  ba§  ®cf(^e^en,  ober  roarum  in  ber  SBelt  überhaupt  etma§ 

gef^ie^t,  unb  nic^t  lieber  nic^t§  gefd^ie^t,  mirb  nic^t  baburd^  er* 

Hart,  ba§  man  ju  fotc^em  ©egenroartöburc^fc^nitt  noc^  SBergangen^ 

fieit  unb  3wfw"ft  ^injunimmt,  oielme^r  ift,  ba§  etmaS  gef(^ief)t, 

95orau§fe^ung  bafür,  ba§  übert)aupt  oon  SBergangen^eit,  (Segen* 

mart,  3wfw^ft  gerebct  werben  tann.    Ober:  gcmi^  mac^t  e§  für 

mi^  etn)a§  qualitatio  anbercä  au§,  ob  ic^  mir  ben  morgigen  S^ag 

ober  ben  gcftrigen  oorfteHe,    aber  etroa§  qualitatio  anbere^; 

b.  l).  ic^  erlebe  nie  ben  morgigen  Sag  al§  folgen,  al§  reine  oon 

it)rem  Qn^alt  abgelöfte  ß^it  bie  nun  ju  anbern  berartigen  3^iten 

im  a3er^ältni§  be^  Sßerlauf§  ftünbe;  bie  ©rlebniffe   „oerlaufen", 

nic^t  bie  Qzxt    3)a§  SRc^t  oom  „morgigen  Sag",  oon  ber  3"* 

tunft  u.  f.  m.  JU  reben,   ne^me  ic^    freiließ   auc^   nic^t  auö  ber 

SBiHtür  inbioibueller  ©inbilbung,  fonbern  ba^er,  mo^er  id^  auc^ 

ba§  SRec^t  netime,  einen  gcmiffen  garbeneinbrudf  „gelb"  ju  nennen, 

nämli^  ni^t  au§  einer  SBelt  ber  „3)inge  an  ftc^",  fonbern  au§ 

meiner  3wgci)örigfeit  ju  einer  gcmiffen  ©prac^*,  weiterhin  Äultur* 

unb  enblic^  SebenSgemeinfd^aft.  —  @o  bebeutet  alfo  jener  angcb* 

l\ä)t  „le^te  3uftanb"    faftif^   eine  regulative  <3bee   für   ein   ge- 

tt)iffe§  ©tabium  innerhalb  einer  Seben^gcmeinf^aft,  unb  e§  gilt 


©  0  f  f  m  a  n  n :  Scitgemä^  ober  3citro§  ?  33 

nun,  biefe  Qbcc  in  Söejie^ung  ju  fe^cn  ju  bcm  95er]^ä(tni§  jroifc^cn 
©ubjett  unb  ^lotd,  wie  wir  e§  ju  2lnfang  tonftatiert  ^aben. 

S)em  ©ubjett  unb  feinem  3^^^  ift  gemeinfam  ein  ©inn, 
beffcn  metap^gfifd^en  Ort  man  eben  nii^t  anber§  au§brürfen  tann, 
aB  er  ift  jroifc^en  il)nen,  b.  t).  roeber  bem  einen  noc^  bem 
anbern  rein  für  fic^  juteilbar.  ®iefer  ©inn  ift  nun  ba§  eigent* 
tic^e  Objeft;  unb  bie  9Belt  ift  infofern  fdjtei^t^in  „objettio",  al§ 
roeber  in  ber  „Slu^enroclt"  noc^  in  ber  „Qnnenmelt"  etroa§  üor* 
tommt  ober  imaginierbar  ift,  mag  nid^t  irgenb  einen  ©inn  ^ätte, 
unb  menn  e§  ber  „Unfmn",  ober  auc^  ba§  „9lic^t§"  felber  märe. 
3)a§  ©ubjeft  aber  ift  nur  baburc^  oon  feinem  Qm^ä  unterfc^eib* 
bar,  ba^  ber  ©inbrucf,  ber  non  bcm  Qxütä  ^erfommt,  unterfc^eib^» 
bar  ift  üon  bem  2lu§brucl,  ber  fic^  auf  i^n  jurücfbejie^t;  Qxo^d 
ift  alfo  für  ba§  ©ubjeft  ber  metapt)t)fifc^e  Ort, 
morauf  c§  feine  ®inbrücfe  al§3lu§brücfc  jurücf* 
bejiel^t.  S)aburc^  gliebert  fid^  ber  ©inn,  übrigen^  immernoch 
beiben  gemeinfam,  in  einen  ©inn  beg  ®inbrudfg  unb  ©inn  beS 
3lu§brudt§,  ober  mie  xä)  ber  Äürje  falber  fagen  motzte,  in  ^er* 
finn  unb  ^infinn.  2)a§  ©ubjeft  felbft  märe  bann  ber 
metap^gfif^e  Ort,  üon  bem  au§  ber  ^erfinnjum 
^  i  n  f  i  n  n  m  i  r  b.  aJlan  tonnte  e§  al§  foldjen  etma  „Ort  ber 
Umte^r"  nennen,  menn  nic^t  baburd)  ber  ©c^ein  ermedft  mürbe, 
al§  fei  biefer  Ort  aUcmat  nad)  3lna(ogie  be§  ^untte§  ju  beuten. 
3)a§  trifft  ju  aüerbingS  bei  bem  freiließ  nie  für  ftc^  ju  tonfta* 
tierenben  elementarften  ©ubjett^att,  ber  primitioen  ©mpfinbung, 
mobci  fic^  ber  ^infmn  nur  buri^  bie  cntgegengefe^te  9iid^tung, 
o^nc  fonftige  inl)altlic^e  SWobifitation ,  oom  ^erftnn  uuterfc^iebe. 
©onft  aber  ift  biefer  Ort  ber  Umte^r  burc^au^  elaftif^,  bai§  l^eigt, 
e§  fann  beliebige^  jmifc^en  (Sinbrudt  unb  Slu^brucf  fi(^  einfc^ieben, 
wtnn  nur  „jule^t"  biefer  auf  jenen  jurücfbejogen  unb  fo  ber 
ganje  2ltt  al§  ©ubjett^att  botumentiert  mirb.  3)a§  3»a§  biefe§ 
„Qm^ä)en*'  jmif^en  ©inbrucf  unb  2lu§brudt  nenne  ic^  bie  ©pann^^ 
meite  be§  ©ubjeftatt^;  je  größer  biefe  ©pannmcite,  befto 
mc^r  nimmt  ber  ^erfinn  ben  ®f)arafter  be§  Srtennen^,  ber  ^in^ 
fmn  ben  ©^aratter  ber  2:at  an.  —  3)er  ©ubjeft^att  bebingt  alfo 

3e4tf<^rift  für  X^eoloflie  unb  Äirc^e.  16.  ^a^rg.,  1.  $eft.  3 


34  ^offmanti:  Scitgemä^  ober  3eitIo§ ? 

ein  boppcIte§  ^^ntercffe:  ba§  bcv  Unterfc^eibbarteit  be§  2lu§brudf§ 
üom  (äinbrud,  be§  ^infmnS  oom  ^erfinn,  ober  ba§  ^f^tereffe  an 
ber  ©pannroeitc;  unb  aber  aud)  ba§  ber  ftetigen  SRüdbejügU^feit 
be§  ^infinn§  auf  ben  ^erftnu,  ober  ba§  3>^tereffe  an  ber  ;3bcn5 
tität  be§  3w>^rf^-  S^nc^  nenne  id)  Rul tu rinte reffe,  im  raei* 
teften  ©inn,  unb  baju  gehört  auc^  ba§  fittlid^e  ^fntereffe;  biefe§ 
Seben^intereffe,  im  meiteften  ©inn,  unb  baju  gehört  aud)  ba§ 
retigiöfe  ^»"t^^^ff^- 

9tun  behaupte  ic^:  iene§  3^if ^^"/  ^ö§  ©inbrucf  unb 
2lu§bru(f  au^einanber^alt,  batb  punttuell,  balb  in  beliebiger  2lu§- 
be^nung  ift  eben  bie  „objettioe  3^'*"/  ^^^  ^^^  oben  gleid)* 
fam  al§  eine  elaftif^e  ©egenmart  fennen  gelernt  ^aben.  3)er 
©ubjettöatt  ift  fo  menig  roie  fein  S^^^  i"  ber  objeftioen  ^^xt; 
hingegen  ift  biefe  in  ben  ©ubjeft^ait  eingefc^toffen,  unb  jmar  ftet§ 
atiS  @anje§.  9Kan  erinnere  fid)  ^ieju  nur  an  bie  befannte  9Ba^r= 
^eit,  ba§  ju  jebem  6rtebni§  bie  ganje  SBelt  jufammenmirfen  mu^, 
eben  meit  aUe^  burc^  aüeS  bebingt  ift,  unb  fc^lie^e  nur  auc^  ben 
^[n^att  ber  3ufunft  in  biefe§  ®anje  ein.  ©ofern  ber  Qntjalt  ber 
objettioen  Qtxt  famt  biefer  felbft  in  ben  ©ubjettSatt  eingefd)loffen 
ift,  ^ei^t  er  93en)U^tfein§in^alt,  ober  „ba§  mag  mir  gegen* 
märtig  ift".  ^at  bie  ©egenmart  eine  geroiffe  breite,  fo  fpric^t 
fi^  bieg  im  93erou^tfein§inl)alt  barin  aug,  ba§  beffen  (Stemente 
ungleid)jeitig  gegenmärtig,  me^r  ober  minber  „ba  fmb" ;  jie^t  ftc^ 
bie  ©egcnroart  jufammen,  fo  fomprimiert  fid)  aud^  ber  Seroufet* 
fein§in^a(t;  unb  ber  ftrengen  ©egenmart,  bem  breitenlofen  3)urd)« 
f^nitt  be§  ®efd)ef)eng  entfpric^t  ,,ba§  ^c^"  alg  punftueller  Ort 
ber  Umtel^r.  Slnnä^ernb  fann  man  fxd)  bieg  oorfteHen  alg  bag 
@rtebni§,  menn  id)  meinen  ganjen  93emu§tfeingin]^a(t  in  einen 
(gntfd^Iug,  unb  biefen  in  eine  einjige  2:atbemegung  jufammenfaffe; 
rein  für  ftd)  tritt  freili^  bag  Q6)  fo  menig  ing  93en)u|tfein,  alg 
bie  ©egenmart  im  ftrengen  ©inn,  ober  alg  bie  primitioe  6m* 
pfinbung.  ®g  folgt  ^ieraug:  einmal,  ba§  bie  ©renje  jroifc^en  bem 
3[d)  unb  feinem  93emu^tfeinginl^att  flie^enb  ift,  unb  ferner,  ba| 
bag  Q6)  nic^t  fomot)l  ^erfinn  unb  ^inftnn  auf  einanber  begießt 
—  bag  ift  bie  gunttion  beg  Qxozd^  —  fonbern  oielme^r  beibeg 
augeinanber^ält. 


$  0  f  f  m  a  n  n :  Scitgemä^  ober  3^itIo8  ?  35 

SBir  ^aben  junäd^ft  oom  ©ubjctt  fc^Iec^t^in  unb  oom  ßwcdt 
fc^lc^t^in  gerebct,  it)ät|rcnb  roir  bod^  ausgegangen  roaren  oon  einer 
aWe^r^eit  oon  eigenjeitigen  ©ubjeftcn,  welche  burc^  eine  SWel^rl^eit 
il^rer  befonbern  Qwedt  in  ein  Sßer^ältniS  untereinanber  treten. 
3m  einf^lie^enben  ©ubjett^aft,  b.  f).  in  ber  ftrengen  QnxMbt-^ 
jie^ung  be§  ^infmnS  auf  ben  ^erftnn,  liegt  nun  f einerlei  ^in* 
beutung  auf  eine  fold^e  SJle^r^cit  oon  Sinjelfubjeften ;  bei  jebem 
foId)en  3tft  ift  ba§  ©ubjeft  wie  ber  Qxozd  unb  ber  beiben  ge* 
meinfame  ©inn  einjig,  unb  jroar  qualitatiü  einjig^  unicum,  ni^t 
bIo§  unum;  unb  alle  SWel^r^eit  fällt,  fofern  fte  felbft  ©inn  ift, 
b.  \).  fxd)  qualitatiü  üon  ber  Sinjel^eit  unterfc^eibet ,  in  biefen 
Unicum'©inn  l^inein.  ©benforoenig  gibt  eS  in  ber  objettioen  3^it/ 
roenn  man  bicfe  rein  für  ftd)  nimmt,  eine  ÜWel^r^eit  oon  @ub* 
jeften  unb  ßnjecfen ;  benn  in  i^r  gibt  e§  überhaupt  feine  ©ubjette 
unb  S^^^^'  SBo^l  aber  wenn  wir  fte  als  bie  claftifc^e  ®egen* 
wart,  als  baS  „Svo^\^^n"  jn)ifd)en  Sinbrud  unb  SluSbrudE,  turj: 
als  „93en)u^tfein"  faffen;  in  fotd)em  gibt  eS  aüerbingS  eine  un* 
beftimmte  SMe^rtieit  oon  (Sinjelfubjetten,  bie  ftc^  aber  gegenüber 
bem  ftrengen  ©ubjeftSaft  nic^t  mie  eine  SWe^r^eit  jur  Sinl^eit, 
fonbern  wie  ^rooiforien  ju  einem  ®efinitioum  oer^alten.  S).  1^. : 
@igen}eitige  ©in  jelf  ubjette  finb  i  m93en)u|tfein 
gegeben  als  ©ubjeftaftSoerfuc^e,  prooif orifd)e,  ober 
3n)if(^enafte,  meiere  nur  burd),  glei^fallS  prooifo* 
rif^e,  3"^^^^  unter  fid^,  unb  mit  biefen  i^ren 
3medten  bur^  einen  gemeinfamen,  aber  glei^* 
falls  pr ooif orif d)en,  b.  i).  jurüdfnel^mbaren ,  ©inn  ju* 
fammen^ängen. 

3ur  aSeranfd^aulic^ung  möge  man  fid)  oergegenroärtigcn,  mie 
mir  faftifc^  oerfa^ren,  roenn  mir  jmifc^en  jmeipfgc^ifc^enSttten  einen 
pfqd^ologifc^en  3ufow^w^«"f)fl"9  fonftatieren.  ®erabe  i^ren  3"* 
fammen^ang  als  2Itte  treffen  mir  niemals  an;  mo^l  aber  fte^en 
il^re  Objette,  ober  baS,  maS  mir  babei  meinen,  in  93ejie^ung, 
meiere  bie  allermannigfaltigfte  fein  fann,  aber  {ebenfalls  baburd^ 
bebingt  ift,  ba|  biefe  ^[n^alte  in  ©emegung  ober  Sßeränberung, 
beffer  noc^:  in  einer  (Sin^eit  oon  93emegung  unb  äJeränberung, 
bie  ic^  unter  bem  allgemeinen  9tamen  „@efd)e^en"  jufammenf äffen 


36  $  0  f  f  m  a  ti  n :  3citöemä^  ober  3eitIo§  ? 

mU,  begriffen  fmb.  2)a§  ift  ba§  33itb  unfercg  33eipu|tfein§äu- 
ftanb§  }tt)ifd)eu  Sinbrudt  unb  3lu§brudt,  ©mpfinbung  unb  Xat, 
ober  be§  Spiels  ber  SJorfteltungen  im  roeiteften  ©inn,  beS 
UebcrlegenS,  SSßä^lenS,  aBünfd)en§,  QmaginicrenS  u.  f.  f.  9ltter 
@inn,  ade  Qualität  ift  I)iebci  immer  bem  (prooiforifc^en)  ©ubjett 
unb  feinem  (proüiforifc^en)  Qrozd  ober  Dbjeft  gemeinfam,  ift  nie« 
mal§  jmeimat  (am  Objett  unb  im  ©ubie!t)  ba;  liegt  roeber  in 
ber  „Singen"^  noc^  in  ber  „-^nnenmett".  Sßom  Sinn  beS  eigent« 
ticken  ober  befinitioen  @ubjefta!t§  aber  unterfd^eibet  [x6)  biefer 
prooiforifc^e,  inbem  er  al§  folc^er  gurücfnel^mbar  ift.  ®iefe§  Qix^ 
rüdne^men  ift  nun  ba§  neue  unb  d)aratteriftif^c,  ma§  jmifc^en 
^er*  unb  ^infmn  liegt;  c§  oer^ält  ftd)  jum  befinitiuen  2lft  einer^^ 
feitS  negatio,  inbem  e§  it)n  oerjogert,  anbrerfeitS  pofitio,  inbem 
e§  felbft  ©inn  ^at,  unb  fo  ben  einfc^lie&enben  Sinn  bereichert. 
Äeine§n)eg§  aber  oertiätt  fid)  nun  irgenb  ein  3"^U^^"oft  ju  bem 
befinitiuen  al§  beffen  aSerroirllic^ung ,  fo  ba§  etma  bie  befinitioe 
%at  al§  tc^ter,  gelungener  Sßerfud)  ju  betrachten  märe;  fonbem 
ber  „le^te"  SBerfucf)  mirb  ebenfogut  jurüctgenommen  mie  ber  erfte, 
unb  fte^t  JU  biefem  nic^t  in  einem  objettio^jeitlic^en  SBerl^ältniS, 
fonbcrn  aud^  nur  in  einem  UJerl^ältnig  it)rer  beiberfeitigen  ^wzde. 
9lun  aber  gibt  e§  atlerbingS  für  jeben  Sßerfudi,  mie  für  ben 
Subjeft§att  felbft  ben  metap^pfifi^en  Ort  ber  3urüdtbejie^ung  be§ 
^infinnS  auf  ben  ^erfmn,  unb  ben  metapl)r)fifc^en  Ort  ber  Um= 
fe^r,  fo  auc^  einen  Ort,  bi§  ju  melct)em  ber  Sßerfuc^  reicht, 
unb  oon  mo  au§  er  mieber  jurücfgenommen  mirb  (Ort  be§  pro« 
oiforifdjen  Qm^d^)  unb  einen  Ort,  oon  bem  au§  ber  Sßer^ 
fu^  immer  oon  neuem  anfängt,  unter  93orau§fet(ung 
ber  ^wvörfnö^me  beS  oorigen  95erfuc^§  (Ort  be§  prooiforifc^en 
Subje!t§).  93eibe  Orte  liegen  nic^t  in  ber  objettiuen  Q^xt,  fobalb 
man  ftc^  oergegenroärtigt,  ba§  ber  Sinn,  alfo  aüt  Oualität,  auc^ 
bem  prooiforifc^en  Subjeft  mit  feinem  S^e^  gemeinfam  ift,  fo 
ba§  man  biefen  Sinn  meber  fc^tec^tt)in  an  ben  Ort  be§  Qm^d^ 
(ba^er  Unterfc^cibung  be§  ,,2)ing§"  oon  feiner  „Sigenfc^aft")  noc^ 
fc^lecf)t^in  an  ben  Ort  be§  ©ubjeftS  (ba^er  Unterf^eibung  ber 
„Seele"  oon  il^ren  „SebenMu^erungen")  oerfe^en  barf.  Unb  fo 
ift  jmar  ber  beiben  gemeinfame  Sinn  in  ber  objettioen  3cit/  ober 


©  0  f  f  m  a  n  n :  3«^töem&6  ober  3citIo§  ?  37 

beS^alb,  roeil  feine  2:rä9ev  biefer  nid)t  angcl^ören,  mit  unbe* 
ftimmtem  SBo?  uub  finbet  feinen  fteftimmten  Ort  nic^t  in  einer 
Orbnung  ber  objeftioen  Stit,  fonbern  innerhalb  ber  logifc^en  SJer* 
nunftorbnung.  —  •hingegen  l^at  atlcrbing^  and)  bie  objeftiüe  3eit 
i^re  93eftimmt^eit,  unb  jroar  fofern  bie  3n>ifc^^naftc  innerhalb 
be§  ©ubjettaftg  eine  gemeinfame  Slic^tung  üom  ^erfinn 
jum^infinn  ^aben,  mel^e  nid^t  umf ehrbar  ift;  ba^cr  bie 
ni^t  umfe^rbare  JRic^tung  oon  ber  Vergangenheit  jur  3wfw"ft/ 
üon  ber  Urfad)e  jur  3Birtung,  welche  aud)  bei  ©(eid^jeitigteit  von 
Urfac^e  unb  SBirtung  noc^  beftetit  (Kant'fc^c§  93eifpiel  üon  ber 
Rugel,  bie  in  ein  Riffen  ein  ©rübd^en  brüdt).  SBom  ©tanbpunft 
be§  ©ubjettaft§  auS  ^anbelt  e^  fic^  bei  biefer  SRic^tung  ber  ob» 
jeftiüen  S^xt,  ober  bei  ber  Äaufa(ität§fategorie ,  um  eine  93  e» 
f^Ieunigung  ber  Qroi^äi^naUz  burc^  95ercinfad)ung 
be§©innesf.  9Mit  biefer  S^enbenj  oergüc^en  fann  bie  Senbeuj, 
ba§  prooiforif(^e  Objeft  al§  ®ing,  ba§  prooiforifc^e  ©ubjett  al§ 
Seele  ju  fixieren,  bejeic^net  werben  al§  eine  SBerjögerung  ber 
3n>if(^enafte  burc^  ©eteid)erung  be§  ©innö.  <^iebei 
oerfte^t  fi^  xvo\)l  oon  fclbft,  ba|  biefe  93efc^Ieunigung  ober  Sßer- 
jögerung  nic^t  in  einem  9Ka§  objeftiuer  3^^*  auigebrücft  werben 
fann,  fonbern  ein  „93ett)u^tfein§juftanb"  ift,  b.  \).  nur  inforoeit 
in  bie  übjeltioe  3^it  fäCt  al§  biefe  i^rerfeit§  in^  SBerou^tfein, 
innerl^alb  be§  ©ubjeftattg  fällt.  3Bie  nun  biefe  beiben  Senbenjen, 
bie  eine  jur  pfpc^op^gfifc^en,  bie  anbre  jur  c^ronologifd^en  93e* 
trac^tungsiroeife  füt)ren,  unb  buri^  i^re  Kombination  in  ber  6nt* 
roicflung^ibee  auc^  in  einanber  übergetien  tonnen:  ba§  fü^rt  un§ 
unferm  ^auptt^ema  mieber  nä^er  unb  bebarf  ba^er  au§füt)rlic^erer 
®arftellung. 

95eibe  Senbenjen  gehören  ber  umfaffenben  Rulturtenbenj  im 
obigen  ©inn  (©.  34)  ju;  für  beibe  liegt  ber  ©inn  ober  ber  ©toff 
innerhalb  ber  objettioen  Qtit;  beibe  grenjen  baijzx  ni^t  ©ubje!te 
unb  i^re  Qro^dz  ab,  fonbern  bie  eine  ©eele-Seben^äu^erung  ober 
®ing*®igenfd)aft,  bie  anbere  Urfac^e==3Birtung,  Urfac^en  fönnen, 
n)ie  ermahnt,  unter  fi^  unb  mit  i^ren  SBirtungen  me^r  ober 
minber  glei^jeitig  fein,    ^e  ungteic^jeitiger  nun  Urfac^en  finb,  je 


38  ©  0  f  f  m  a  n  n :  3eitöemä6  ober  3eitIo«  ? 

mcl^r  fte  ftd^  untcrcinonber  ober  gegenüber  il^ren  aBirtungen  ber 
®igenjeitigfcit  nähern,  je  unbeftimmter  in  ber  objeftioen  Qtxt  i^re 
Slbgrenjung  ober  il^r  SEBo?  roirb,  befto  mel^r  nel^men  fte  ben  6^a* 
ra!ter  öon  leben§äu§ernben  Seelen  unter  fid),  unb  im  Sßerl^ältnig 
ju  i^ren  SEBirtungen  ben  üon  ®ing^6igenfc^aft  an.  Unb  umge^ 
fe^rt:  je  me^r  bie  ©eelc  mit  i^ren  9leuj5crungen ,  bQ§  S)ing  mit 
feinen  ©igenf^often  ibentifijiert  mirb,  je  mel^r  olfo  ©eele  unb 
®ing  felbft  in  bie  objeftiüc  Qtit  fallen,  befto  mel^r  nehmen  fte 
anftatt  be§  ®l^arafter§  ®\xb\dt''Qxv^d  ben  oon  Urfad^e^aSirtung 
an  (befonber§  le^rrei^  ift  für  biefe  SEBanbelbarfeit  ber  So^e'f(^e 
ÜKonabi§mu§  unb  Kaufalbegriff).  S)ie  erfte,  fubftanjielle  2:enbeits 
^at  i^rc  ©renje  ba,  mo  bie  Ungleii^jeitigfeit  jur  ©igenjeitigteit, 
bie  objettioe  3«it  jum  93en)u|tfein  mürbe ;  bie  jmeite  ober  faufale 
ba,  mo  bie  objeftioe  3^it  ä^r  fc^tei^t^inigen  @leid)jeitigfeit  ober 
bloßen  JRäumlid^feit  mürbe,  fo  ba§  mieberum  oon  „3^it"  f^i«« 
SHebe  mel^r  märe.  2tbgegrenjt  aber  merben  biefe  Uebergänge  jmi- 
f(^en  ©ubftanj«  unb  Urfacftc^arafter  hntä)  3uteilung  be§  ^n^alt§ 
ober  ©inn§  in  ber  objeftioen  3^^*/  "^^ju  Sebingung  ift,  bag  biefe 
nic^t  blo^  fontinuierli^,  fonbern  au^  auf  teilbar  ift,  nid)t  blo| 
oerläuft,  fonbern  au^  SRei^en  bilbet;  räumli(^  au^gebrücft,  nid^t 
blo§  Sinien,  fonbern  auc^  Slbfc^nitte,  seitlii^  au§gebrürft,  nid)t 
blo^  ®auer,  fonbern  aud)  2:empo  julä^t.  ®ie  Kontinuität  ber 
objeftioen  Qtit  bebingt  bie  Sr^altung  be§  ©inn§  bei  beffen  Sßer* 
einfac^ung,  i^re  2:eilbarfeit  bie  ®r^altung  be§  @inn§  bei  beffen 
93ereic^erung,  beibeS  jufammen,  ober,  mie  mir  e§  oben  genannt 
^aben,  bie  ®laftijität  ber  objeltioen  3^it,  bebingt  bie  ©r^altung 
be§  ©inn§  überhaupt.  5Diefe  ift  bag  oberfte  „@efet^"  für  aDe§ 
®efd)e^en  in  ber  obje!tioen  3^it;  ®rl^altung  ber  „Snergie"  ift 
nur  ein  einfeitiger  9lu§brucJ  baoon,  nämlic^  (Srl^altung  be§  ©inn§ 
bei  beffen  SBereinfac^ung ;  Energie  ift  nic^t§  anbereS  al§  SJerein» 
fac^ung  be§  (3inn§  auf  il^rer  äu^erftcn  ©tufe. 

®a§  Wec^t,  biefe  beiben  gegenfä^lid^en,  aber  ineinanber  über« 
teitbaren  2:cnbenjen  im  @ntmicflung§gebanfen  jufammem 
jufaffen  —  mobei  mir  un§  ber  Äürje  falber  nur  auf  beffen  bio* 
logifc^e,  nic^t  allgemein  foSmifd^e  ©eite  eintaffen  —  mirb  au8 
folgeitben  ®rmägungen  erl^altcn.    SWan  ^ebt  an  biefem  Oebanten 


©offmann:  3^töcmd|  ober  3«itIo8 ?  39 

oielfai^  nur  bic  Kontinuität  bcr  ©ntroicJIung,  ba§  ein  ßwpönb, 
ein  Seben^fgftem  ftctig  in  ba§  anbre  übergebt,  ^eroor;  lüä^renb 
e§  für  i^n  al§  ®rfenntni§prinjip  ebenfo  wichtig  ift,  ba§  folc^e 
Seben^fqftcmc  ober  Organismen  ftd)  in  Weisen  orbnen,  ftc^,  wenn 
auc^  nur  oorübergel^enb ,  al§  2lrten  fixieren  laffen.  33ioIogifc^e 
2lrten  fmb  nun  freiließ  nic^t  3(rten  im  ©inn  logifc^er  Sltlgemein* 
begriffe;  benn  e§  fommt  bei  i^rer  Slbgrenjung  eigentlid)  nic^t  auf 
bic  ®igenfc^aften  an,  bic  fie  felbft  ^aben,  fonbern  meiere  bic  S)ingc 
für  fie  ^abcn.  Ober:  p  ber  gleichen  biologifd^en  2lrt  gel^ören 
bic  Sebemefcn,  für  rocli^e  nid^t  ibentifd^e  2)inge  gleiche  ©igen* 
fd^aften  l^aben,  mag  id^  au§  i^rcn  ßcbcn§äu|erungcn  erf^lie|c; 
ju  perf(^icbcncn  2lrten  foli^c,  für  welche  ibcntifc^c  S)ingc  öcr* 
fc^iebenc  Sigcnfd^aftcn  l^aben,  cbenfatlö  au^  i^ren  organifc^en 
gunttionen  crf(^loffcn.  9tun  aber  bic  anberc  ©eite  bcr  ©ntmid- 
lung§ibcc.  S)amit  organif^c§  gunhionieren  bic  9lid)tung  jmif^en 
^er=  unb  ^infinn,  bic  Scnbenj  auf  ©innöcreinfa^ung  annehme, 
muffen  9lrtcn  al§  ©encrationen  betrachtet  merbcn  tonnen;  unb  ic^ 
betrachte  eine  2lrt  aU  ©eneration,  menn  ic^  i^ren  Organi§mu§ 
al§  i^re  Sciftung,  ober  felbft  a(g  2ebcn§äu§erung  betrachte.  2)a§ 
eben  ift  bcr  ©inn  ber  cntroirfeinbcn  2lbleitung  biologifd^er  2lrtcn 
au§  cinanber;  ic^  betraute  jucrft  bic  SSeränberung  il^rer  Organe 
at§  fiebcn§äuj5crungcn ,  meldte  auf  eine  gcroiffe  ©igcnfc^aft  i^re§ 
SWilicu  l^inmcifcn ;  bann  biefe  Seben§äuJ5crung  felbft  al§  Seiftung, 
burc^  beren  3Bicbcrl^olung  ba§  Organ  ftd)  bilbet;  unb  cnblid) 
orbnc  ic^  biefe  Sciftungcn  unter  ficfi  (^ronologifd)  unbpfgc^o^ 
pl^qfifc^,  ober  unter  bem  ®cfi^töpun!t  ber  SBcrcrbung  unb 
2lrbcit§teilung.  S)a§  erfte  ift  Sleu^erung  ber  2:cnbcna,  bic 
Urfac^c  mit  i^rcr  äBirtung  gleid^jeitig  ju  ma^en ;  Seben§äu§erung 
al§  Seiftung  ift  eben  Urfad^c  unb  SBirfung  jugleic^,  mag  man  ja 
auc^  fo  auöjubrüdfcn  pflegt,  ba|  „Scben"  ©elbftjmcdf  fei;  in  d^ro^ 
nologifc^er  Orbnung  ift  Seben  fontinuierlic^c  fiebcnScr^altung.  S)a 
aber  im  felben  SJla^c,  al§  bic  Urfad^en  mit  ben  SBirfungen,  au^ 
bic  Urfac^en  unter  ftc^  gleic^jcitig  gebac^t  werben  muffen,  ober 
in  bic  Oegenmart  l^ereinfallen,  orbnc  id^  fte  unter  bem  ®efid)t§» 
punft  ber  9lrbcit§teilung  ober  be§  Jlcbcncinanber,  unb  jmar  ben 
biologifc^cn  Organismus  mit  bem  maS  für  it)n  ba  ift,   ober  als 


40  ©  0  f  f  m  a  n  n :   3citöcmä^  ober  3eitIog  ? 

pfq^op^gftf^e  ®iul^eit.  —  ®er  ©ntwicflungSgcbonfe  ift  barum 
für  un§  fo  unroibcrftel^lid^,  roeil  er  einfach  fonfcqucnte  ©urd^fül^:* 
rung  unfercr  ©^ronologic  unb  unferer  Strbcit^tcilung ,  unfcrcr 
l^iftorifd^cu  unb  tcd^nifc^cn  Senbenj  ift.  tJ^cUid^  ftcl^eu 
bicfe  beiben  2:cubcn5en  unter  fid)  im  ©cgenfa^:  n)a§  nac^  bcr 
Kontinuität  ber  3^^^^^  ^"^  ununterfd^eibbore  ©efamtleiftung  er»» 
fd^eint,  ift  nod^  bem  ®eftc^t§punft  ber  3lrbeit§teilung  oielme^r 
©umme  f^arf  abgrenjbarer  ©injelleiftungen.  2lber  fie  bebingen 
ftd^  anä)  gegenfeitig:  nur  burd^  ^ronologifc^e  Orbnung  Iä§t  ft^ 
olleg  biologifc^e  ©efc^el^n  al§  Seiftung  faffen,  unb  baburc^  in  bie 
Slrbeit^teilung  einbejie^n;  unb  nur  burd^  pfgd^opl^pfif^c  2lbgren* 
jung  läfet  ftd^  für  eine  biologif^e  9Irt  ober  ©eneration  ein  be* 
ftimmter  Ort  in  ber  S^ronologie  au^finbig  mo^en^). 

S)ie  bereic^embe  unb  oereinfad^enbe,  l^iftorif^e  unb  tec^nifd^e, 
c^ronologifdfie  unb  pfqi^opl^gftfdie  ©eite  ber  ®ntn)irf(ung  ge^en  bt-- 
liebig  ineinonber  über;  aber  bamit  ift  ni^t  gefagt,  bo^  bieöobne 
©renje  gefc^el^e.  2)ie  ©reuje  ift  oielmel^r  ouc^  in  biefem  gaU 
bie  ©egenroart  im  ftrengen  ©inn,  ba§  Korrelat  be§  ^ä) ;  unb  fo^ 
mit  ift  bie  ©egenmart  in  ber  ©ntmirflung  berjenige  2)ur^f^nitt 
berfelben,  auf  beffen  einer  ©eite  aUe^  ©innbereic^erung ,  auf  ber 
anbem  aKe§  ©innoereinfacfiung  ift.  Q6)  fann  jeben  2Ibfd^nitt  ber 
©taat§=,  Kultur^  9laturgefd)i(^te  jur  ©egenmart  ma^en,  inbem 
id^  feinen  ©inninl^alt  at§  Srabition  unb  Slufgabe,  atfo  in  le^ter 
Sinie  al§  ^er^  unb  ^infmn  gliebere.  S)ie§  gilt  natürli(^  aud^ 
oom  gegenroärtigen  3citalter,  fofern  idf)  mic^  in  biefe^  ,,Derfe^e", 
aber  bann  ift  Sßergangen^eit  unb  3wfunft  nic^t  oergangene  ober 

1)  3c^  ocrrücifc  ^icfür  auf  bie  §cgcrfc!)e  ®efd^id^tgp^t(ofop^te,  wel^e 
ben  d^ronolog.  Drt  einer  gef^icfitliclien  ©rfc^cinung  ^ugleic^  aB  i^rcn 
Drt  in  einem  <5i)ftem  ber  ^IrbeitSteilung  oerroertetc;  foroic  auc^  auf  bie 
^materialiftifd^e"  ©efcftic^täbetraditunfl  bcr  Sojialiftcn,  meiere  eben  an 
bem  ©cgenfatj  laboriert,  aUe  fieiftung  al§  ©efamtleiftung  ju  faffcn,  unb 
bo^  bem  Snbioibuum  bag  ©ntgelt  ftrcng  nad^  ficiftung  abgrenzen  au 
moUen.  ^ud)  ber  pf^d^op^^fifd^e  ©ftaraftcr  biefcr  ^Ibgrcnjung  tritt  ^ier 
^croor,  fofern  fie  bem  Qnbioibuum  nid)t  blo^  bie  pl^^fifdien,  fonbern  auc^ 
bie  pf^c^ifc^en  ficbenäbebürfniffe  unter  bem  ©efid)t§puntt  ber  ^IrbeitStei» 
lung  juroeifen  moUen. 


©  0  f  f  m  a  n  n :  3eitgcmä6  ober  3«itIog  ?  41 

jufünftigc  ©cgenioart  baneben,  fonbcm  bur^  bie  ©egcnroart  gc- 
trenntet  ^er*  unb  ^infinn.  S)iefc  Oegcnroart  ift  überaß  unb 
nirgenbg,  unb  fie  ift  einjig  ba,  roo^in  id^  mic^  perfe^e. 

@anj  etwa«  anbercö  meinen  roir  aber,  roenn  roir  oon  „un= 
fcrer"  Oegenroart,  bent  ^a\)x  1905,  bem  „mobcmen  3^i*öWer" 
reben.  ®§  ift  nad^  bem  bisherigen  flar,  maö  mir  bamit  meinen: 
nic^t  einen  3)urc^fc^nitt  ober  Slbfc^nitt  ber  objettioen  Qnt,  fonbem 
ein  ^oüeftioinbioibuum,  eine  2Irt,  bie,  mic  mir  fc^on  fallen,  ni^t 
burc^  ba§  d^aratteriftert  ift,  maS  an  i^r  ba  ift,  fonbem  ma§  für 
fte  ba  ift,  ober  burc^  it)re  Sw^dt.  2lrt  ober  Sßerfud^Sfubjtett,  unb 
i^r  S^zd  ober  ba§  93erfuc^§objeft  liegen  ja  über^oupt  nid^t  in 
ber  objettioen  3^it,  fonbern  nur  xijx  ©inn ;  unb  fie  felbft  fmb  nur 
im  93emu&tfein  „ba".  SBolier  nun  aber  ba§  9Jlanco  an  ^Realität, 
baS  mir  abgefel^en  oon  i^rem  fonftigen  3nt)a(t,  ben  oergangenen 
unb  jufünftigen  S^'t^lt^^w  pcrglid^en  mit  bem  gegenroärtigen  ju» 
fd^reiben?  9Bo^er  baS  „SRec^t  be§  Sebenben"?  2)ie§  erflärt  ftc^ 
au§  ber  „6nge  beiS  93emu^tfein§".  ®iefc  mieberum  befte^t  nic^t 
in  einer  53ef darauf ung  ber  objeftioen  lieit,  meiere  oielmel^r  unbc- 
grenjt  etaftif^  ift,  fonbern  ba§  e§  im  93emu^tfein  immer  nur 
einen  SBcrfui^,  bcfinitio  ju  fein,  geben  fann.  3l(§  93erfuc^ 
roirb  biefer  fi^  immer  no^  baburd^  c^araf terifieren ,  al$  feine 
3merfe  ober  Objette,  oerglid^en  mit  benen  anberer  93erfucfte,  in« 
ner^alb  beS  umfaffcnben  ©ubjeftatts  fid^  al§  eine  9Iu§mal^l  prä* 
fentieren;  ate  Sßerfu^,  befinitio  ju  fein,  baburd),  ba§  biefe  SluS«» 
ma^l  feftjulegen  oerfu^t  mirb,  fo  ba§  aud^  bie  „3ufwnft"  fie 
nic^t  me^r  oeränbcrn,  fonbern  nur  in  ber  gorm  ber  StrbeitStei- 
lung,  ju  i^rer  „93ermirf Hebung"  beitragen  fann.  SQ5äl)renb  für 
bie  Oegenmart  im  tranSfccnbentalen  ©inn  bie  Sßergangenl^eit  ein^^ 
fad^  ber  Ort  ber  ©innbereid^erung,  bie  3ufw^ft  ber  Ort  ber  ©inn* 
pereinfad^ung  bebeutet,  ift  biefe  empirifc^e*)  Oegenmart  eine  3lrt, 


1)  iWatürlic^  foU  ^cmpitifd^"  nid^t  eine  ffitrfli^fett  bebeuten,  ber  ge* 
genüberbag  „S^ranSfcenbentale"  bann  eine  me^robcr  minbcr  erratene  Ueber^ 
roirüic^feit  mdre;  fonbem  ©irflid^tcit  ober  unmittelbare^  ©rlebniä  ift 
gegenüber  bem  a  posteriori  bc§  (^pirifc^cn  unb  bem  a  priori  be§  3:ran8- 
fcenbentalen  foaufagen  baS  a  primo,  ba§  erft  burd^  bie  tran§fcenbentalen 
Äategorten  jur  „fünftUc^cn",  ^iftorifd^cn  ober  tc^nifc^en  ®mpirie  mirb 


42  §  0  f  f  m  a  n  n :  Scitgemä^  ober  3eitro§  ? 

roct^c  mit  anbcrn  3lrten  ober  3^itöltcrn  einen  „Rampf  um§ 
2)0 fein"  tämpft.  SWon  ^at  ja  biefen  9Iu§brudt  bereits  ange* 
roenbet  auf  baS  SSerl^ciltniS  ber  QtUtn  eines  Organismus,  ober 
ber  aSorftellungen  innerhalb  eines  ©injetberou^tfeinS ;  eS  gilt  nun 
umgefel^rt,  ju  in^tn,  ba§  „Kampf  umS  S)afein",  auc^  im  ge^» 
mö^nlid^en  ©inn  ber  naturmiffenf^aftlic^en  S^eorie,  nur  inner* 
l^alb  eines  umfaffenben  93en)u§tfeinS  ©inn  ^at.  2)enn  eigentlich 
fämpfen  nid)t  bie  2lrten  miteinanber  biefen  Kampf,  fonbem  i^re 
3n)e(fe,  beffer  bie  3tt)^rföuSn)a^l,  mel^e  fte  als  2lrten  c^aralteri* 
fiert,  ober  i^re  „aßelten";  unb  menn  mir  fie  mit  i^ren  „Organen" 
als  aßaffen  festen  laffen,  fo  \)at  baS  eben  ben  ©inn,  ba|  unS 
an  i^ren  Organen  unb  beren  gunftionen  erft  anfc^aulic^  mirb, 
mel^e  ^wccfauSmal^l,  ober  mel^e  SBelt  für  fte  ba  ift.  2öaS  üon 
einem  ^^it^tter  ober  einer  2lrt,  gilt  au^  für  ein  ^nbioibuum, 
fofern  eS  immer  einerfcitS  Kolle!tioinbioibuum,  anbrerfeitS  ein 
ens  sui  generis  ift.  ©0  ift  eigentli^  ber  „Kampf  umS  S)afein" 
ein  Kampf  um  bie  ©cltung  oon  SBelten,  ein  „Kampf  um  bie 
aßeltanfd^auung",  nic^t  um  „@j:iftenj"  ober  Söirflic^feiten,  fonbern 
um  SBa^r^citen.  S)enn  eine  335  a  ^  r  ^  c  i  t  nenne  ic^  eben  eine 
fold^e  Qweda\x§voaf)l,  beren  Korrelat  eine  2lrt  ober  ein  a3erfud)S^ 
fubjcft  ift.  3Bir  oerftet)en  nun,  roaS  mit  ber  „aScrmirtli^ung 
meines  Qwtd^'*  eigentlid)  gemeint  ift:  ber  2lnfpruc^,  ba§  meine 
3roerfauSmal^l  befinitio  gelte;  mir  roiffen  nun  aber  au^  um  fo 
tiarer,  maS  baoon  ju  galten  ift:  SOSa^rl^eit  fann  ebenf omenig  je 
äBirllid^teit  fein,  als  ber  prooiforifc^e  ober  3"^if<^^^öft  je  mit 
bem  bcfinitioen  jufammenfäHt. 

3Bir  tonnten  all  bieS  an  jebem  3^italter  illuftrieren,  mal^len 
aber  begreiflicfierroeife  gerabc  baS  gegenroärtige  ober  ben  oielbe- 
fproc^enen  „mobernen  50lenfc^en";  jumal  ba  beffen  ©igentümli^- 
leiten,  mic  id^  glaube,  fid^  gerabe  barauS  ertlären  laffen,  ba§ 
er  fxi)   in   fpejififc^em  ®rabe   als   bie  ©egenmart   in   ber  @nt^ 

—  (Sbenfo  unterfd^eibe  id)  oben  ^^gefd^id^tlid^''  unb  ^l^iftorifd^";  ©ef^id^te 
erlebt  aud^  ein  unl^iftorifdöcS  9öefen,  roft^renb  ©iftoric  ein  burd^  d^rono- 
logifc^^pfgd^op^^fifd^c  ^Ibgrenjung  unb  Suteirung  gewonnenes  Äulturpro^ 
buft  ift 


^offmann:  3«it9^"^ä&  ober  3«itIoS ?  43 

loidtlung,   al§  ba§  gegenwärtige  unter  ben  3^itöttern  fül)tt. 

Ser  moberne  SWenfd^  betrachtet  ba§  @efc^cf)en  mit  aSorliebc 
als  ®ntn)icflung,  unb  fein  ,,^6)"  at§  ©egenroart  in  biefer  (5nt* 
roirflung;  fo  roirb  i^m  bie  eigentümli^e  Kombination,  ba§  93er^ 
l^ältni^  bcr  gegenfeitigen  Spannung  unb  ber  gegenfeitigen  93e* 
bingt^eit  jmifc^en  ^i[torif(^er  unb  tei^nif^er  2:enben},  mclc^e^  im 
Sntroicttungögebanten  liegt,  in  befonberem  9JlaJ5c  jum  53en)u|tfein 
fommen.  ®ie  Spannung:  benn  einerfeitS  fü^It  ftd^  mo^l  ber 
moberne  2Wenf(^  in  feiner  „oorgefc^rittenen  Sec^nif"  jugleic^  ber 
aSergangen^eit  gegenüber  an  ©inn  oerarmt,  unb  möd^tc  fic^  gerne 
an  biefer  auffrifi^en;  aber  menn  er  ftd^  einen  fo(c^  oergangenen 
©innrcic^tum,  etma  bie  aßelt  ®oet^e'§,  mieber  jugänglic^  ma^en 
miU:  fogleic^  ftelten  fi^  il^m  taufenb  gebern  oon  ;,  Stoffe  unb 
©inn^ubern"  jur  Verfügung,  um  ®oet^e  ju  rubrijicren,  ju  ejege* 
fieren  unb  ju  parap^rafteren,  unb  i^n  baburd)  nur  immer  f)iftO:= 
rif^er  ju  machen.  aW.  a.  333.:  fomie  mir  un§  bie  Bereicherung 
ber  ©egenmart  jur  21  u  f  g  a  b  e  mai^en ,  bereitem  mir  nur  bie 
JBergangen^eit  unb  oerf^ärfen  unfrc  S^e^nit.  Umge!el^rt:  man 
mitl  fid^  oon  bem  „l^iftorifd^en  93aHaft"  befreien  unb  rü^mt  bie 
©egenmart  al§  ba§  3^itölter  ber  2:ec^nit,  ber  3trbeit,  am  ©nbe 
gar  ber  Sat.  2lber  man  ift  beim  5ortf^ritt§marf(^  fo  an  ben 
l^iftorifd^en  ober  d^ronologif^en  2:aft  gemö^nt,  ba|  man  i^n  in§ 
19.,  20.  ober  jte  Qa^r^unbcrt  oerlegt,  unb  ba^  all  fein  ^n^alt, 
als  guturum  eyactum  betrachtet,  auc^  roieber  nid^tS  fein  mirb,  aU 
eine  Screid^erung  ber  ^iftorie.  —  Betrauten  mir  hingegen  bie 
©egenmart  als  baS  moberne  3«it<^'^tc^/  ö^^  meines  fte  )i6),  mie 
oben  gejeigt,  oon  ber  ©egenmart  als  3)urci^fcl)nitt  ber  ©ntmictlung 
unterf^eibet,  mie  baS  qualitatio  beflimmte  ^c^  oon  bem  allent^al« 
ben  glcid^en  formellen  Qd) ,  fo  ift  eS  i^r  eigentümlich ,  mit  ben 
anbern  ^^itöltem  im  Kampf  umS  S)afein,  ober  um  bie  ©eltung 
i^rer  SBelt,  i^rer  3J^^rfow^">ol)l  au  ftel^n.  ©ie  mirb  oerfu^en, 
biefe  anbern  3^italter  fic^  unter*  unb  einjuorbnen,  inbem  fie  bie 
„oergangenen"  im  SSergleii^  mit  bem  gegenmärtigen  als  ju« 
rüdtgenommene  aScrfuc^e  begreift ,  als  ^rooiforien  gegen- 
über bem  3)efinitioum,  bie  jutünftigen  aber  in  baS  gegenmartige, 
ebenfalls  als  Säerfuc^e,  einfd^lie^t  in  bem  ©inn,  mie  bie  Sn^ifc^^n* 


44  ©  0  f  f  m  a  n  n :  ^citöemä^  ober  3ettlo8  ? 

a!tc  in  bcn  §auptatt  cingcfd)Ioffen  fmb. 

^d)  fel^c  junäc^ft  oon  bcr  ^J^age  ab,  ob  übcrl^aupt  eine  fol(^e 
SBcIt  ober  Qxo^da\x^rt)af)i  inl^ottlic^  befiniert  rocrbcn  fann;  genug, 
ba§  bie  „aWobcmc"  il^ren  Qxvtd  gcroö^nti^  felbft  rein  formell 
au^jubrürfen  pflegt:  neue  ßuteilung  ober  auc^  Umwertung  ber 
aBerte,  ober  neueS  JBcr^ältniS  oon  ^fnbioibuum  unb  ©emeinfc^aft, 
ober  an6)  einfa^  bog  ©i(^au§Ieben.  SBie  nun  biefc  ßroedfe  aber 
feine§n)eg§  in  i^rer  berartigen  S^ffung  harmonieren,  fo  ergebt  ftc^ 
überl^aupt  ber  3^^if^'/  ob  oon  einem  ein^eit(id)en  Q\md  be^  Q^iU 
altera  gerebet  merben  fann;  jumaf  ber  moberne  5Kenfc^  ja  aud^ 
fo  oiel  oon  feiner  unb  feinet  3^i*«tter§  „3^^riff^"^^it"  äw  reben 
mei^.  ®§  mag  nun  aflerbing^  noc^  beffer  gelingen,  bie  Qmtä'^ 
au^roal^t  al§  eine  logifd^e  ©gnt^efe  ober  ßmedein^eit  au§aubrürfen; 
eine  3)i§frepanj  mirb  fn^  immer  notmenbig  bann  mieber  cin^ 
ftellen,  menn  biefe  SluSmal)!  al§  ber  Qvotd  fc^lec^t^in,  ober  als 
^inftnn  ber  Sat  gelten  foU;  wenn  eben  baS  ^rooiforium  ben  ^In* 
fpruc^  aufs  2)efinitioum  burc^fe^en  mill.  Unb  baS  ^fn^i^ibuum 
mirb  fi^  ftetS  feiner  „aBa^rl^eit"  gegenüber  fteptifd^  unb  unbc* 
friebigt  unb  mit  feiner  „2lufgabe"  überlaftet  fü()lcn,  fobalb  eS 
unter  bem  (SeftditSpunft  abgegrenjt  mirb,  ein  ©efinitioum  ju  oer:* 
mirfli^en.  2lber,  mirb  man  fagen,  gerabe  bie  ©egenmart  fü^lt 
ftc^  ja  felbft  als  ^^Jrooiforium,  als  UebergangSjeit ;  fie  „fuc^t",  fie 
erwartet  if)r  $eil  oon  einer  „beffern  3wfunft".  Qa  mo^I,  fie 
fuc^t,  nämlid)  bie  SriHe,  bie  fte  auf  ber  9tafe  l)at ;  fie  mill  bur^ 
alle,  bie  i^rem  (Suchen  entgegen!ommen,  nur  beftärtt  merben  in 
ber  aSa^r^eit  i^rer  fpcjififd^en  ßmerfauSma^l ;  unb  aud^  bie  ßu» 
fünft  foll  an  folc^c  gebunben  fein,  nur  überlädt  man  im  @efüt)l 
ber  eigenen  Unjulängli^tcit  gern  i^r  „bie  SBermirHic^ung  unferer 
Obeale".  2Iber  jeber  mu§  fic^  feine  3ufunft  felbft  jeugen;  fie 
mü^te  fojufagen  fc^on  in  lumbis  moderni  Adami  liegen,  wenn  fic 
beffen  3wfunft  fein  follte;  jufünftigc  Äinber  fmb  ni^t  not^ 
roenbig  meine  Äinber,  unb  3wfunft  als  3^italter  ift  ni^t  ein^ 
fad)  ^ovtfe^ung  ber  ©egcnmart.  2te^ntid)  ift  eS  mit  ber  Stellung 
jur  Sßergangen^eit.  Qi^mer  mieber  tä^t  eS  fid^  ber  moberne  9Jlenf(^ 
einreben,  ba&  alle  frül^eren  3^italter,  au^  bie  biSparateften  einer* 
feitS,  bie  ftaffif(^ftcn  anbrerfeits,  nur  ©tufen  jum  2:^rone  feiner 


©offmaitn:  3«^9«w^äS  ober  3^it^o§ ?  45 

eigenen  ^errlic^teit  feien;  unb  immer  mieber  bcfd)Ieid^t  i^n  ber 
3njeifel,  ob  er  nic^t  boc^  oielleid^t  auf  bem  abfteigenben  2lft  reite, 
in  ber  „2)e!abena"  begriffen  fei?  Sag  am  ®nbe  ba§  ©efc^eben 
überhaupt  nic^t  notmenbig  unter  biefe  Kategorien  2lnf=2lb  fallen 
muffe:  ba§  einjufel^n,  l^aben  biefe  „SRealiften"  aQerbing§,  mie  e§ 
fc^eint  nod^  ni^t  SBirflic^feit  genug  erlebt.  —  SBir  aber  ^aben 
nun  genug  SJcaterial  beifammen,  um  jur  ©ntfc^eibung  ber  Sllter^ 
natioe  unfere§  Zif^ma^  fc^reiten  unb  baöfelbe  nun  ba^in  präji^ 
fieren  ju  fönnen :  foll  bie  d^riftU^e  aSer!ünbigung  oon  ber  SBor^ 
auSfe^ung  au§ge^n  unb  biefe  be!raftigen,  ba§  bie  SBelt  ber  ©egen^^ 
roart  einen  2lnfpruc^  auf  ©nbgültigteit  l^at?  Ober  oon  ber  SSer* 
QuSfe^ung,  bag  bie  gunttion  be§  „mobernen  ÜJ?enfd)en"  ein  SBer- 
fu(^  ift,  beffen  aSerfu(^§d^arafter  bereite  einleui^tet,  ber  aber 
noc^  nic^t  jurüdtgenommen  ift? 

n. 

3m  bleuen  Jeftament  eine  ©ntfc^eibung  jener  2llternatioe  ju 
fuc^en,  ge^t  be§^alb  nii^t  an,  roeit  bort  ebenfalls  beibc  Senbcnjen, 
um  meldte  e§  ft^  ^anbelt,  balb  jebe  für  fi^  oertreten,  balb  man- 
nigfaltig fombiniert  finb,  eine  flare  Sltternatioe  aber  nirgenb§  ge^ 
fteüt  mirb.  ©o  liegt  ja  au^  ber  neuteftamentlid)en  SEBelt«  unb 
@efcl)ic^t§betrad^tung  mit  il)rer  „Srfüüung  ber  Qzxtm"  natürlich 
ba§  c^ronologifc^e  ©(^ema  ju  ©runbe,  unb  e§  mirb  fogar  befon* 
berer  aBert  auf  ^a^reg«  unb  2:age§}at)l  gelegt;  fo  ba§  auc^  bie 
„3wh*nft  be§  ^erm"  al§  ein  jufünftig^c^ronologifc^eö  ®reigni§ 
betrachtet  mirb.  Slnbrerfeit^  bilben  jübif^c  Slpotal^ptit  mie  d^rift^ 
lic^e  Spetulation  gar  balb  ben  a^cbv  jieXXwv  unb  feine  ©üter  in 
eine  ber  95ergangen^eit  mic  ber  anfälligen  ©egenmart  gegenüber 
präejiftente,  emig^gegenmärtige  „anbere"  3Belt  au§ ;  unb  3lu§brüde 
roie  „e§  foll  ^infort  feine  <3^it  meb^  f^i^"  /  w)^""  0^  ^^^  "ic^t 
in  fpe!ulatioem  ©inn  ju  premieren  ftnb,  beroeifen  bo(^  ein  Se« 
rougtfein,  bag  bie  3^it  ntit  ber  SEBelt  ,,gcfc^affen",  auc^  mit  i^r 
oerge^t;  ba§,  maS  jmif^en  ©ott  unb  bem  rcligiöfen  ©ubjett  oor^ 
gebt,  nic^t  in  ber  ßeit  gefc^ie^t,  fonbern  bag  bie  3^it  i^rerfeit§ 
innerhalb  biefe§  SBorgang^  liegt.  Unb  gemig  finben  ft^  ©teQcn, 
welche  nic^t  blog  baS  3wfömmenn)irfen  ber  ©Triften  untereinanber. 


46  §offmann:  3«itöemä6  ober  3^1^^^^^ 

fonbern  ou^  i^r  ßufammeniüirten  mit  ®ott  fclbft,  lücnn  a\i6) 
mct)r  gtci^niSrocif e ,  unter  bem  ©^ema  ber  Slrbeit^teilung  bar« 
fteQen;  aud)  beftimmt  ber  SJlcnfc^  felbft  —  abgefe^n  oon  bem 
^räbeftinationggebanfen  —  fein  jufänftige§  ©c^ictfal;  unb  fein 
ajerl^alten  fann  ba§  Kommen  be§  9ieicl^e§  ®otte§  oerjögern  ober 
bef^Icunigcn.  3lber  ba§  biefe§  Kommen  felbft  eine  aSermirtU^ung 
vermöge  menfcf|lid^er  2lrbeit§teilung  märe,  ift  ein  ganj  unbiblifi^er 
®eban!e;  oielme()r  liegt  biefe  „SJerroirflid^ung"  jcberjeit  au§fci^Iie§* 
lic^  in  ®otte§  SWac^t  unb  93clieben.  ®nbli^:  mol^I  mirb  im 
yiX  ben  ßcitgenoffen  ba§  93en)u§tfein  gefd^ärft:  „©elig  ftnb  eure 
2lugen,  bo^  fie  feigen,  unb  eure  O^ren,  ba^  fie  ^ören"  u.  f.  f. 
{mi  13,  16;  ügl.  ani)  1.  ^ctr.  1, 10  ff.,  2,  9),  infolge  beffen 
aßen  @mfte§  Sßotüommenl^eit  oon  i^nen  geforbert,  aber  anbrer« 
feit§  auc^  roieber  bie  völlige  Un}ulänglic^!eit  be§  gegenmärtigen 
3uftanb§  in  ®rtenntni§  unb  SRein^eit,  auc^  ber  gegenmärtigen 
®l)riften^eit,  betont  mirb.  S)iefer  3)oppelc^arafter  be§  ®^riftentum§ 
bebingt  e§  ja  eben,  ba§  e§  fid)  balb  al§  gewaltige  Kulturmac^t 
au§meiten,  balb  auf  bie  Unmittelbarfeit  be§  religiöfen  ajer!e^r§ 
mit  ®ott  jurücf jiel^n  fann ;  unb  mir  empfangen  oon  ^er  au§  nur 
bie  S)ireftioc:  feine  biefer  beiben  2:enbenien  au§  bem  gefc^ic^t* 
liefen  S^riftentum  eliminieren  ju  rooHen;  nic^t  aber  barüber: 
meld)e  oon  beiben  bem  mobernen  SJlenfc^en  gegenüber  befonberS 
betont  werben  muffe. 

S)iefe  93etonung  ift  nid^t  gemeint  im  ©inn  einer  gorberung 
ober  3w^wtwng;  jugemutet  mirb  l^eutjutage  ben  mobernen  ^re* 
bigem  mic  ben  mobernen  3u^ö^^^n  gcrabe  genug ;  e§  ^anbelt  f\6) 
oielmel^r  um  eine  bargebotenc  ©ntlaftung  für  beibe  2:eile.  3)amit 
ift  ja  gerni^  ni^t  geholfen,  menn  ein  ^^Jrebiger  gefliff entließ  nid^t 
bie  moberne,  fonbern  bie  Sprache  Kanaans  ober  ber  93lut'  unb 
SBunbentl^eologie  rebet,  unb  ba§  gegenwärtige  3^itolter  al§  fol^e§ 
an  fein  3)afein  burc^  fortn)äf)renbe§  o  temporal  o  mores!  immer 
mieber  erinnert.  SSielme^r  wie  bei  einem  Kunftmerf  gerabc  ber 
grelle  aßiberfprud)  gegen  bie  „SBirtli^feit"  mid^  in  biefe  SQäirt^ 
lid^feit  jurüdEmirft,  anftatt  ba§  ic^  fte  barüber  oergeffen  follte,  fo 
auc^  ein  folc^eS  gefliffcntlic^eS  93efämpfen  ber  ®egenmart.    Slber 


^  0  f  f  m  a  n  n :  ^citgemäft  ober  3ettIog  ?  47 

bei  bem  attma^(id)  alle  lustra  rocd^fclnbcn  ä^i^Ö^f^^w^örf  ntu§  c§ 
boc^  ani)  bcm  „jcitgemä^eftcn"  ^rcbiger  a[(niäl)Itd^  firmer  roerben, 
ftd)  roieber  anjupaffen;  roenn  cv  alle  „mobernen  Seroegungen  bc* 
grü^t",  fo  ift  er  bod)  balb  in  bcr  Sage  be§  93ürgcrmeiftcr§  einer 
@ro|ftabt,  ber  ba(b  bie  2:agung  eine§  SBcrein^  für  geuerbcftat^ 
tung,  balb  eine  folc^c  be8  Äongreffe^  für  innere  SWiffton,  balb 
bie  ®en)erffc^aften,  batb  ben  53auernbunb,  balb  ben  Slntialfo^ol^ 
fongre|,  balb  ein  ©ängerfeft  „in  feinen  3Wauern  roillfommen 
feigen"  unb  i^nen  n)o^ln)ollenbe§  O^t^^^ff^  entgegenbringen  mufe. 
Unb  baju  tommt,  ba^  alle  fpejififc^  „mobernen  Seroegungen", 
fei'§  ©^ulreform,  fei'S  fojiale  grage,  fei'S  ^errenmoral,  fei'§  gc* 
mini§mu§,  fei'g  9tationali§mu§,  teife  au^erl^alb  ber  Äird^e,  teils 
au§brücftid)  im  ©egenfa^  ju  ii)x  entftanben  finb,  unb  ba  mac^t 
e§  boc^  leicht  ben  ®inbru(f ,  al§  ob  bie  ftirc^e  bann  ^intennad) 
aDe  biefe  SSewegungen  einjufangen  fuc^t  mit  ber  Sleflame:  „mir 
^aben  ba§  alles  au^  öon  SllterS  ^er  auf  Sager,  tonnen  eS  nad) 
mobemem  ©efc^madf  peränbern,  unb  liefern  foliber  unb  billiger 
als  jebe  Ronturrenj."  ÜWac^t  bod^  auc^  bie  Rirc^e  regelmäßig  bie 
®rfa^rung,  menn  fte  bei  folc^en  93emegungen  mittut,  baß  früher 
ober  fpäter  ein  ©^ritt  tommt,  ben  fte  nic^t  me^r  mitmad^en  fann, 
o^ne  bie  ganje  Sirabition  ju  nerläugnen;  baß  man  fi^  aber  bar* 
über  gar  nic^t  fonberlic^  grämt,  fonbern  ru^ig  in  feinen  „®jtre* 
men"  fortfährt ^  meil  man  fi^  bemußt  ift,  roa^  man  o^ne  bie 
fiiri^e  begonnen,  auc^  o^ne  biefe  üollfüf)ren  ju  tonnen.  Jlatür* 
lic^  mill  ic^  babci  nic^t  ben  „jeitgemäßen"  ^rebigern  *bie  ÜJlotioe, 
meldte  id^  gleid^niSmeife  gebrauchte,  imputieren;  gemiß  glauben  fie, 
bamit  i^rer  Äird)e,  ober  roenigftenS  bem  „9teid^  ®otte§"  ju  bienen; 
gemiß  ge^orc^en  fie  babei  nii^t  bloß  ber  9iot,  fonbern  füllten  fid^ 
nielme^r  felbft  in  bem  ©ebanten  glüdtic^,  auf  biefe  SBcife  aud^ 
ein  ©lieb  ber  mobernen  ®ntmidlung  ju  fein.  9Iber  eS  ift  nid^t 
bloß  JU  befürd)ten,  fonbern  fc^on  üielfac^  gattum,  baß  eben  bie 
„®ntfir^lic^ten",  meldte  fie  auf  biefem  SBege  geminnen  moUen, 
oielleic^t  nic^t  i^nen  perfönlic^,  aber  ber  Sirene,  bereu  Sßertretcr 
fte  ftnb,  biefe  53emü]^ungen  als  pureS  Ronturrenjmanöoer  auS* 
legen,  baS  man  ftc^  gefallen  läßt,  fofern  man  baoon  mitprofitiert, 
baS  man  aber  als  fol^eS  aufbedEt  unb  befämpft,  fobalb  eS  um 


48  ^  0  f  f  m  a  n  it :  ßeitöcmaft  ober  3ettlog  ? 

bequem  werben  roilt.  @§  ttingt  ja  f^ön,  wenn  man  auS  ber 
9lot  eine  2:ugenb  mac^enb,  ertlärt:  e$  tomme  nad)  berjeitigen 
proteftautif^en  ©runbfö^en  ni^t§  auf  bie  firc^lid)e  ^[nftitution, 
alles  auf  bie  ^erfönlid^feit  beS  fir^tid)en  SBertreterS  an;  aber  e§ 
ift  fein  ßuftanb,  menn  e§  näc^ften§  auf  bie  ben  ß^itgenoffen  me^r 
ober  minber  fgmpatl)ifd)e  ^ßerfon  be§  ©eiftlic^en  antommt,  ob  eine 
©emeinbe  noc^  an  ben  lieben  @ott  glauben  mitl  ober  nic^t.  Unb 
wenn  bet  ©eiftli^e  für  feine  ^erfon  fi^  geroi§  barauf  bef^ränten 
tann  unb  f oÖ,  S)iener  ju  fein :  für  feine  ^ird^e  barf  er  auf  einen 
^lat^  au^er^alb  ber  2lrbcit§gemeinfci^aft  nic^t  oerjid^ten.  ^errfc^en 
fotl  eine  c^riftlic^e  Kir^e  gemi^  ni^tmoKen;  aber  imponieren, 
als  eine  ©elbftgenugfam!eit,  barf  unb  mu§  fie,  ober  fie  oerbient 
aud)  als  eoangelifc^e  ben  Flamen  ^irc^e  nic^t  met)r. 

@inc  (Sntlaftung  aber  foQte  bargeboten  werben  auc^  bem 
mobernen  $örer.  2)ie  l^aben  eine  fold^e  freiließ  ni^t  nötig,  —  unb 
eS  gibt  bereu  nid^t  blo^  unter  bem  „organifterten  Proletariat" 
—  meieren  bie  Klaffen^  unb  ©tanbeSmoral  i^r  ©emiff en  ift,  unb 
i^re  SBeltanfd^auung  bie  aBiffenfd^aft  in  ber  SQBeftentaf^e,  bie  fic 
nur  gelegentlich  bur^  3^itungSberic^te  über  bie  neueften  natura 
miffenfc^aftlic^en  unb  mebijinifd)en  gortfd)ritte  bereid)em.  SEBenn 
fie  je  einer,  aud)  „jeitgemä^en"  ^rebigt  ju^ören,  werben  fte  bar* 
aus  boc^  nur  entnehmen  baS  „3)ogma  oom  53eruf";  unb  fie  fmb 
fid)  o^ne^in  mit  SBonne  bemüht,  burd^  i^re  (Stellung  innerhalb 
ber  2lrbcitSteilung  ganj  oon  felbft  bie  „beffere  3ufwnft",  ben 
„gortfc^ritt"  mitäuoermirflidien.  ©ie  finb  Der^ältniSmä^ig  gut 
baran.  2lber  wer  ein  „ganjer  mobemer  SKenfc^"  fein  will,  wie 
auc^  roieber  Slnge^örige  aller  klaffen,  befonberS  aber  im  aJlittel- 
ftanb,  ber  wirb  ftc^  nic^t  blog  für  bie  SBermirflid^ung  beS  ^ort^ 
f^rittS  au  feiner  eigenen  SlrbeitSteilungSfteüe,  fonbern  auc^  für 
bie  ©i^ert)eit  beSfelben  im  ©anjen  intcreffieren.  ®afür  wirb  er 
bann  aber  freiließ  auc^  für  äße  ßmeige  beSfelben  üerantmortlic^ 
gemacht;  bei  aßen  Kongreß*  unb  SSereinSoorträgen ,  in  allerlei 
3eitungSartifeln  unb  Srof^üren  fül^tt  er  fid)  burc^bol^renb  ange* 
blidt:  millft  bu  mitfc^ulbig  fein,  ba§  biefe  ^immelfi^reienb  rüdt» 
ftänbigen  Sßer^ältniffe  no6)  fortbauern?  Unb  tommt  er  bann  in 
eine  Kir^e  feiner  Stiftung,  fo  ^ört  er  abermals,  ba|  er  für  all 


©off mann:  S^itgemäß  ober  S^itloS?  49 

ba§  ücranttüortlid)  fei,  unb  jioar  baju  noc^  im  9tamen  ®otte§, 
bcr  ftc^  für  bie  SSerroirfti^ung  be§  mobcrnen  Kultur*  unb  ^uma« 
nität§ibeal§  fpejiett  intereffiere,  biefe  SBerroirtttc^ung  freilid^  feiner* 
fcit§  ber  Slrbeit  ^religiöö^fittlic^er  ^erfönlic^teiten"  überlaffen  muffe. 
5)a§  ift  nun  boc^  ein  menig  ju  üiel  für  ben  guten  „9Jlobernen". 
aWanc^em  fommt  e§  ba^cr  anö)  fc^on  oor,  aU  fei  eü  ein  f leiner 
SBiberfpru^,  bie  ßafter  ber  9lrmut,  bie  ^roftitution ,  ba§  JBer* 
brechen  rein  auf  ba§  9WiUeu  }u  fd^iebcn,  unb  bann  i^n,  ber  boc^ 
auc^  nur  ^robuft  feiner  SSer^ättniffe  ift,  für  all  baS  moralifd^ 
uerantroorttic^  ju  machen.  2)e6l)afb  ruft  er  oor  allem  nac^  Reform 
ber  ©efe^gebung,  um  auf  biefe  3Bcife  bie  perfönlii^e  93erantmor* 
tung  lo§  JU  werben.  2lnbere  gefte^n  offen  i^re  Ueberbürbung  mit 
folc^er  SBerantmorttii^feit,  !o!ettieren  bann  freiließ  gerne  mit  i^rem 
barau§  entfprungenen  SBeltf c^merj ,  il)rer  betabenten  ^teroofität, 
fei^  tvagifc^  ä  la  ^amlet: 

„%it  ffielt  ift  auä  ben  Sfugen;  loc^c  mir  au  benfen 

2)a|  ic^  geboren  marb,  fie  cinjurenfen !" 
fei§  l^eiter  ä  la  Ooet^e: 

„%k  9öelt  ge^t  au§einanbcr,  rote  ein  fauler  3^ifc^; 

Söir  rooHen  fie  nid^t  balf amier en." 
®nblic^  gibt  e§  auc^  folc^e,  n)cld)e  f\ä)  au§  i^rer  Äinb^eit 
erinnern,  ba|  fte  eine  „©eele"  ^aben,  n)a§  fie  ftc^  berjeit  bann 
freiließ,  um  bod^  „mobern"  ju  bleiben,  lieber  oon  93ubb^iftcn  unb 
2:^eofop^en,  Ottultiften  unb  ©piritiften,  al§  in  einer  d)riftlic^en 
Rirc^c  fageu  laffen;  unb  ba§  fie  eigentlid^  bo^  oor  allem,  roenn 
nid)t  augf^lie^lic^ ,  für  biefe  ©eele  oerantmortlic^  feien.  @c^t 
mobem  ift  bann  freilid),  t)a^  mer  fo  feine  ©eele  entbedtt  l^at,  e§ 
feiten  unterlaffen  tann,  fofort  in  irgenb  einer  gorm  ber  SBelt 
jujurufen:  freuet  eud)  mit  mir,  ic^  \)abt  mein  Qd),  meine  ^er* 
fönlic^teit  u.  bgl.  gefunben ,  baburc^  „®leid)gefinnte"  anjulodten, 
unb  nun  mit  biefen,  menn  ni^t  einen  Sßerein,  fo  to6)  eine  lite- 
rarifc^e  ober  gefetlfd^aftUd^e  ßlique  gu  grünben;  unb  man  tann 
barauf  rennen,  ba§  fie  bann  ber  „©egenmart"  ,  meiere  fie  noc^ 
eben  in  allen  S^onarten  heruntermachten,  üerfpre^en:  roenn  i^r 
nur  un§  gelten  unb  oben  auffommcn  laffet,  fo  garantieren  mir  ber 
ganjen  SBelt  „bie  Sßerroirtlid^ung  einer  ibealen  3utunft". 

3eitf<^rift  für  S^coloßie  unb  Älrc^f.     16.  ^ai)VQ.,  l.  ^cft.  4 


50  ©offmann:  ^^ÜQtm&i  ober  3^tIo§ ? 

Um  nun  nid^t  in  bie  g(cicf|c  Kategorie  gerechnet  ju  werben, 
roill  ic^  nur  noc^  einmal  bemerten,  ba§  e§  fi^  bei  ber  ermähnten 
©ntlaftung  nic^t  um  eine  gorberung,  ein  95erfprec^en,  eine  @a^ 
rantie  für  bie  3wfunft  ^anbclt,  fonbem  einfach  um  SÄufjeigung 
einer  aBirflid^feit,  bie  mit  bem  Unterfc^ieb  93ergangen]^eits®egen^ 
mart^ßufiiwft  «i^t§  ju  tun  ^at;  nic^t  einmal  um  53egrünbung 
einer  ©inftc^t,  fonbern  blo§  um  bereu  ©rme  düng,  um  eine  ®rin* 
nerung  an  bie  3^itS^noffen,  ba|  fte  i^nen  fo  gut  mic  anbern  3^it« 
altem  jugängli^  ift.  S)ie  ©rmerfung  biefer  ©inftc^t  fann  gu== 
nä^ft  auf  bem  SJÖege  ber  „©eelforge"  (im  roeiteften  ©inn)  ge= 
fc^e^en,  worein  ftc^  eben  auc^  bie  2^ätig!eit  be§  c^riftlii^en  ^rebi^ 
gcr§  einreiben  tä§t.  ®ann  ift  aber  nod^  bie  grage  ber  aßettan» 
fc^auung  unöermeiblid^:  mie  ftc^  bie  fo  aufgezeigte  SEBirfUc^feit 
jur  SEBirflic^teit  überhaupt,  jumal  ju  bem,  ma§  bem  „mobernen 
aWenfc^en"  oorjug§roeife  a{§  folc^e  gilt,  oer^ätt.  "S^x  beibe  fragen 
^aben  mir  im  erften  2^eil  bie  SSntmort  oorbereitet. 

6§  ^anbelt  fic^  bei  ber  „©eelforge"  am  mobernen  9Kenfc^en 
oor  aüem  barum,  i^n  füllen  ju  laffen,  ba§  aud^  er  eine  „©eele" 
^at.  2)a§  gefc^ie^t  nun  nic^t,  inbem  man  il^n  immer  bran  erin* 
nert,  ba6  er  eine  ^flid^t  ober  2lufgabe  ^at.  S)enn  ^flic^ten  ^abc 
ic^,  auc^  menn  e§  ^flid^ten  gegen  mic^  felbft  fmb,  immer  jufammen 
mit  anbern,  ebenfogut  wie  fie  unb  umgete^rt ;  hingegen  eine  ©eele 
^abe  i^  für  mid^  aDein  ober  bcffer :  jufammen  mit  meiner  SGBelt. 
3)iefe  SBelt  gilt  e§  nun  al§  meine  Söelt  ju  ifolieren;  alfo 
barf  man  gerabe  nid)t  baran  erinnert  merben,  ba^  man  biefe 
aßelt  nur  jufammen  mit  anbern  „üermirfli^en"  tann;  fte  beftc^t 
ober  gilt  ja  fc^on,  i(^  lebe  oon  i^r,  unb  menn  fie  mir  entfc^min^ 
ben  milt,  tann  alle  ©emeinfc^aft  mit  anbern  fic  mir  nic^t  erhalten 
ober  erfe^en.  —  ®iefe  Qfolicrung,  roeldje  bie  ©eelforge  anju* 
ftreben  i)at,  ift  nun  feine§meg§  eine  erft  ju  erfinbcnbe  Äunft;  e^ 
l^aben  fie  alte  mirtfamen  ©eelforger,  c^riftli^e  unb  au&cr^riftlic^e, 
tird^lic^e  unb  augertirc^ti^e,  oon  jel^er  geübt,  ©ie  l^at  nur  oer- 
fc^iebene  ©tufen,  je  banac^  man  bie  eigenjeitigteit  be§  $örer§ 
erft  ^erbeifül^ren  miß,  ober  fc^on  oorau^fe^en  barf.  ®a§  einfac^fte 
unb  braftifc^fte  3Jlittel,  namentlich  großen  aWaffen  gegenüber  auf* 
jujeigen,   ba§  fie  eigentlich  nid^t  in  ber  objettioen  Qeit  unb  pon 


©  0  f  f  m  a  n  n :  3«itgemä^  ober  3citlo§  ?  51 

beten  <3n^Qlt  leben,  ift  bie  ©rinnerung  an  bcn  2^ob,  fei'§  an  ben 
inbiöibueöen,  fei'§  an  ben  aBeltuntergang.  2)er  mobeme  9Kenfd^, 
fofern  er  noc^  an  ben  2)efinitiüc^aratter  feine§  aSerfuc^g  glanbt, 
lel^nt  aUerbing^  bicfe  ÜJlet^obe  ab:  „homo  liber  de  nuUa  re  mi- 
nus cogitat  quam  de  morte",  möchte  er  gern  ©pinoja  na^fprec^en; 
er  fürchtet  fid)  jroar  nor  allerlei  ©ajillen  unb  ^Vergiftungen", 
aber  por  bem  Sobe:  läc^erlii^!  Sebt  er  bod^  fort  im  gemeinfamen 
3ufunft§jiele,  an  bem  er  aud^  mitgeroirft,  unb  an  beffen  einftiger 
6rreid)ung  nur  blinber  Slberglaube  jmeifetn  fann.  S)er  SBelttob 
freilid)  —  bie  SEBiffenfc^aft  bel^auptet  ja  ba§  einfüge  Sluf^ören 
menfc^lic^en  unb  fd^liegli^  allen  Seben§,  alfo  barf  man  nid^t  mi- 
bcrf preisen  —  aber  e§  ift  boc^  immerhin  nod^  ein  fd^öner  ®e* 
baute,  ba§  einmal  „in  ©au§  unb  93rau§  noc^  ba§  ^(«fuforien- 
geftnbel  jubilieren  mirb" ;  unb  menn  einmal  alle§  uorbei  fein  wirb, 
fo  ift§  boc^  einmal  bei  ber  @rrei(^ung  be§  3"fwnft§ibeal§  fc^ön 
geroefen.  Unb  ju  n)a§  fid)  überhaupt  fold^c  ®eban!en  machen; 
bie  3eit  fd^rcitet  ja  fort,  fo  muffen  mir  aud)  mit  ber  3cit  fort* 
f^reiten:  „2)a§  ift  ja  tiar,  ba^  ift  ja  flar,  ba§  ift  ja  logifc^,  lo^ 
gifd^  flar!"  —  ®a  ber  mobeme  SWenfc^  nun  aber  ftd)  feiner  be= 
fonbem  Qnbioibuatität  mit  9la^brudt  ju  ril^men  pflegt,  fo  ift  er 
oielleid)t  empfänglicher  für  bie  jmeite  9Wet^obe  ber  ^ffolierung, 
welche  fc^on  innerhalb  be§  Seben§  felbft,  mitten  in  2lu|enmelt 
unb  ©emeinfc^aft,  feine  Sigeujeitigteit  bem  ^fnbioibuum  aufbedtt. 
3n)ar  bie  fogenannten  „einfamen  SOTenf^en"  ber  SKoberne  ftnb  oft 
nur  oerjogene  3Kenfd^en,  bie  fi^  in  ber  ©efeüfd^aft  nic^t  bel^ag* 
lic^  füllen,  unb  bod^  eine  ©efetlfd^aft,  ja  eine  Oro^ftabt  braud)en, 
um  „[\6)  au§juleben";  aber  gerabe  unoerbilbete  aWenfc^en  merten 
bie  Ofolierung  il^rcr  SEBelt,  !eine§n)eg§  blo§  in  StxUn  be§  ©c^merje§ 
unb  ber  Se^nfud^t,  fonbern  grabe  auc^  in  ©tunben  be§  ®lüd§ 
unb  ber  ruhigen  53etrad)tung ;  namentlid)  mirb  i^nen  bann  !lar, 
mie  alle§  auc^  in  SJergangen^eit  unb  3wf""ft/  fofern  fie  fic^  ba* 
für  intereffteren  unb  baoon  leben,  in  biefe  3Belt  l^ineinfällt.  @§ 
oerfte^t  fid)  na^  frül^erem,  ba§  ein  fo  ifolierte§  Q6)  burc^au§ 
nic^t  ein  ^»«^ioibuum  im  gemö^nlic^en  Sinne  ju  fein  braud)t, 
fonbern  auc^  eine  beliebige  fonftige  SebenSgemeinfd^aft  fein  fann, 
ift  bo^  bie  Seben^gemeinf^aft  al§  @anje§  nichts  anberc§  al§  ein 

4* 


62  goffmann:  QtitQtmä^  ober  3citIo§ ? 

fold)e§,  fagen  roir  einmal:  im  9ttc^t§  ifoIierte§  3>^.  SRcligiöS 
beftimmt  ift  bie  ganje  mie  bie  einjelne  SebenSgemeinfd^aft,  fofern 
fie  ba§  Objch,  bie  ßroedfou^roal^l,  pon  roeld^er  fie  lebt,  uub  mit 
ber  fte  i^ren  ©inn  gemeinfam  t)at,  il^ren  ®ott  im  religiöfen  ©inn 
nennen  !ann.  3)q§  ©emö^nlic^e  ift  nun,  ba§  man  feinen  ©ott 
mit  ben  übrigen  Seben^gemeinfc^aftcn,  rooju  man  gehört,  gemein« 
fam  l^at,  alfo  mit  gamitien^  SBolB-,  ©ittengemeinfc^aft;  ein  fpe« 
jifif^  religiöfeg  ^fnbioibuum,  ober  meiterl^in  eine  „©emeinbe" 
mirb  ftd^  innerhalb  ber  ßeben^gemeinf^aft  babur^  abgrenzen,  ba§ 
biefe,  immer  mit  einem  gemiffen  „®ntfe^en"  mertt:  biefe§  i^r 
3Jlitglieb  lebt  baneben,  ober  ^auptfä^li^  Don  einem  anber§artigen 
Dbjeft,  unb  ^at  mit  biefem  einen  fpejififc^en,  ^mgfteriöfcn"  ©inn 
gemeinfam.  3)enn  i>a^  eigenjeitige  Qd)  entbedt  ft^  auf  religiöfem 
®ebiet  immer  nur  jufammen  mit  feinem  ®ott.  2)ie  tiefftcn  reli- 
giöfen  Äonflifte  be§  fo  abgegrenjten  ©ubje!t§  rühren  bann  frei* 
lic^  nid^t  baoon  ^er,  ba§  e§  jugleid)  ®tieb  anberer  SebenSgemcin* 
f^aften,  ober  ani),  bag  e§  jugleid)  ®lieb  ber  2lrbeit§gemcinfd^aft 
ift,  fonbern  ba^  e§  felbft  nic^t  ©ubjett  be§  befinitioen,  fonbem 
eine§  prooiforif(^en  ©ubjeftatt§,  ba&  bal^cr  fein  Dbjeft  nod^  nid^t 
ber  Qtotd,  fonbern  eine  3w)cdau§n)al^l,  ba^  feine  SBal^r^eit  nic^t 
aßirflic^teit  ift. 

©oI(^e  fpejifif^  religiöfen  ©ubjette  laffen  ftd^  fetbftoerftSnb« 
lic^  ni(^t  na(^  93ebürfni§  ^eranbilben;  xd)  fann  e§  aber  auc^ 
ni^t  al§  ein  ®Iauben§poftulat  anerfennen,  baj5  fte  notroenbig 
„fommen  muffen",  weil  „unfere  ßcit  ein  53cbürfni§  bana^  ^at". 
Sbenfomenig  freiließ  oermag  e§  einen  ®rfa^  für  fie  ju  Iciften, 
wenn  man  religiöfe  ®enic§  ber  „93ergangen^eit"  ^iftorifc^^te^nifc^ 
fijiert  unb  i^nen  i^ren  2eben§ge^alt  (^ronologifd^  unb  pfpc^ologifc^ 
juteilt.  „3w^ü<*  Pi"  l^iftorifd^en  ^efu§"  fte^t  auf  einer  Sinie  mit: 
„jurücJ  JU  Äant  ober  ju  Sutl^er,  ober  ju  S^omaS  oon  Slquino" ; 
ift  ni(^t  religiöfe,  fonbern  t^eologifc^e  gorberung,  entfpringt  me* 
fentti(^  au§  bem  ^fntcreffe  einer  2lrbeit§^  nic^t  einer  Seben§ge* 
meinfd^aft.  ®l^riftu§  wirb  burc^  ba§  „jurüdt  ju  il^m"  nic^t  me* 
niger  relatioiert  al§  burd)  ein  „über  it)n  ^inau§";  ba§  fül)ltebte 
©l^riften^eit  fe^r  balb  unb  be^iocgen  bilbete  fte  ja  jene  „mpftifc^^ 
fpefulatioen"  ^btzn  über  il)n  au§,  meiere  i^n  eben  ber  53etra^tung§* 


$  0  f  f  m  a  n  n :  3«itfl«nä^  ober  3citIo8  ?  53 

locifc  Sificfn)ärt§*aSortt)Srt§  cntjic^n  fofltcn.  ®§  gilt  für  un§  nur, 
ben  für  baS  eigentliche  ^c^  immer,  aber  (eine^meg^  gleichermaßen 
für  bie  jemeiligen  empirifc^en  ©lieber  einer  Äulturgemeinfc^aft 
Dor^anbenen  ®runb  unb  $oben  aufjugeigen,  auS  meld^em  ein  re^ 
ligiöfeS  ©enie  entfpringen  fann;  e§  ift  ba§  ^rimitioe  im 
obigen  Sinn  (©.  35)  alfo  gerabe  nic^t  im  (Sinn  eine§  jeitlii^cn 
9iüdn)art§;  ber  3^'*  öt)er  jujumuten,  fie  foHe  ^rimitioeS  erleben, 
ift  fooiel,  al§  i^r  prüfen:  fei  naio!  2Ba§  folc^e  jugemutete,  ma« 
nierierte  9iaioetät  für  Unheil  anrichtet,  fann  man  ja  in  Äunft  unb 
'ißäbagogit  fel^n.  ®er  (Seelforger  muß  bei  feiner  Sertünbigung 
eben  ba§  6rlebni§  be§  ^rimitioen  bei  ben  ß^itfl^^öffen  oorauS« 
fe^en,  braucht  aber  über  ba§  3wt^^ff^"  ^^^^f^^  SBorau^fe^ung  fein 
Vorurteil  ju  l^aben.  ®rfolglofigfeit  roirb  i^n  junäc^ft  nic^t  ah 
f Freden;  fie  fann  ja  auc^  barin  i^ren  ®runb  ^aben,  baß  er  felbft 
fic^  in  ber  Sec^nif  ber  Seelforge  ©ergriffen  ^at.  ©ntfpringt  fie 
aber  barau§,  baß  bie  S^i^S^noff^n  ^ben  nur  noc^  al§  folc^e,  al§ 
©lieber  einer  ^iftorifc^4ec^nifci)en  2lrbeitsteilung  empfinben  unb 
agieren,  f o  ift  ba§  i^re  ®acl)e ;  ber  SBertreter  ber  Sieligion  braui^t 
i^nen  meber  auf  biefen  ©tanbpunft  ju  folgen,  noc^  fic^  für  biefe 
i^re  (Stellung  Derantmortlic^  ju  füllen. 

^rimitioeS  @rlebni§  nenne  ic^  nun  ba§6rlebni§  be§  Unter* 
fc^ieb§  oon  befinitioem  u nb 93 er fuc^^aft; bie Unterf (Reibung 
ber  ^'m-'  unb  Stüdbejie^ung  auf  ben  Qwtd  oon  bem  „S^^if^^"" 
biefer  93ejie^ung.  3)aneben  ift  ^oc^mic^tig,  aber  bo^  fefunbär 
bie  Unterfc^eibung  innerl^alb  biefe§  ^n^if^^^"  f^^^f*  ^^^  eigenjeit* 
lieber  unb  gleic^jeitlic^er ,  lebenSgemeinfc^aftlic^er  unb  arbeit§ge«= 
meinfc^aftlic^er  Senbenj.  —  @§  fann  ntd^t^  fc^aben,  folc^en,  bie 
überhaupt  noc!^  ju  p^ilofopl^ifc^en  Srroägungen  geneigt  unb  fä^ig 
fmb,  einmal  tlar  ju  machen,  roie  ungeheuer  fünftlic^,  nur  für  ein 
geroiffe§  Stabium  ber  2lrbeit§gemeinfc^aft  paffenb,  bie  berjeit 
jebem  (Sc^ulfinb  geläufige  ®rfenntni§t^eorie  ift:  in  ber  ,,9lußen^ 
roelt"  qualitätlofe  Stealitäten,  unb  bann  unter  unferer  ^irnfcl)ale 
ein  Äonglomerat  t)on  ,,^fr)c^if(^cm",  mooon  niemanb  ju  fagen 
oermag,  mie  e§  an^  bem  „^^pftfc^en"  entfielen  ober  auf  biefe§ 
mirf en  fann.  Ober  baß  ber  ebenf all§  lanbläufige  5ß^dnomenali§mu§ 


64  ^offmann:  Q^itQtmä^  ober  3citlo§ ? 

unb  SÄgnoftijigmu^,  lucnn  man  bamit  crnft  mac^t,  ja  metmc^r  in 
fein  ©egcnteil  unif erlägt:  eben  be^l^alb,  rocil  bie  2Ba^r^eiten  ober 
SBeltbilbcr  ber  3citcn  unb  ^nbioibucn  ocrfci^icben  unb  boc^  irgenb^ 
n)ie  ocrroanbt  ftnb,  bcS^olb  ift  alle^  aSa^r^eit,  unb  ber  Sinn 
überhaupt  nic^t  au^  ber  SBelt  ju  fd)affen.  3)oc^  ba§  ift  natür« 
ti^  nic^t  SSufgabc  feelforgertic^er  aSertünbigung.  2)iefe  roirb  oer* 
fc^icbcn  oerfa^rcn,  je  noc^bem  fie  auf  bie  Sinjelfeele,  eine  engere 
ober  weitere  Seben^gcmeinfc^aft,  einen  ganjen  ^utturtrei^  roirten 
roiß;  aber  e§  wirb  fic^  babci  nur  um  Äonjentration  ober  2lu§^ 
Weitung  berfelben  3Jlctf)obe,  unb  um  ein  beftriptioe§,  nic^t  im^ 
peratioeg  Serfa^ren  l^anbeln;  e§  mirb  bem  angerebeten  Subjett 
nic^t  jugemutet,  etroaS  ju  glauben  ober  ju  tun  unb  bann  etroa§ 
ju  erleben;  fonbern  man  befc^reibt  i^m,  unb  „bringt  i^m  baburc^ 
jum  93emu§tfein",  ma§  e§  fattifc^  erlebt,  ^d)  mu^  bie  folgenbe 
©fijjierung  eine§  fold)en  93erfa^ren§  auc^  noc^  in  ber  ©prai^e  pf)u 
lofopl^ifc^er  2lbftrattion  galten,  f^on  berÄürje  l^alber,  aber  na^ 
mentlii^  auc^,  ba§  ber  3i*fö"^J^^^^öng  mit  bem  erften  2:eil  flar 
erhalten  bleibe. 

3)er  3roed  fc^lei^t^in,  al§  aSorau^fe^ung  unb  Qxd  für  ba§ 
Subjeft  f(^le(^tf|in,  ift  @ott,  burd^  ben  unb  um  beffentroillen  alle§ 
gefc^iel^t.  @r  ift  unft^tbar  unb  ungreifbar,  meil  2luge  unb  ^anb 
nur  Organe  für  eine  :^xütda\x^todi)l  fmb,  roä^renb  man  @ott  mit 
allen  Organen  unb  allen  Organismen  jufammen  erlebt.  Seine 
SQBirflid^teit  wirb  nur  in  befinitioer  SRüctbejiel^ung  beS  ^inftnnS 
auf  ben  ^erftnn  erlebt;  ®ott  „offenbart"  fic^  bem  Subjeft,  unb 
ba§  Subjeft  „ergibt  f\6)  \\)m".  3)a§  empirifc^e  Subjett,  eben  ba§ 
Objett  ber  Seelforge,  ^at  feine  Seftimmt^eit  in  feiner  3n>crfauS* 
ma^l,  feiner  SBelt,  meldte  i^m  @ott  immer  in  gemiffem  ®rabe 
erfe^t,  aber  auc^  immer  in  gemiffem  ®rabe  oer^üllt;  ebenfo  ift 
fein  „Suchen"  einerfeitS  ein  ^alliatio  für  ba§  9]o(^nic^tgefun« 
ben  l^aben,  anbrerfeitS  ein  ÜWittel,  i^m  ben  aSerfud)Sd)aratter  aU 
feiner  Sittion  um  fo  tiarer  ju  mai^en;  niemals  miß  ber  ^infinn 
befinitio  jum  ^erfinn  ftimmen.  3)a^er  „Sünbc"  unb  „Uebcl"; 
jene,  fofern  ba§  Qi)  über  \\6)  aU  blo^eS  aSerfuc^Sfubjett,  biefeS, 
fofern  e§  über  feine  SBBelt  als  blo^eS  aSerfui^Sobjett  rePeftiert. 
„Irrtum"  l^ingegen,  unb  bamit  Äampf  um  bie  ©eltung  ber  Sigen« 


©offmann:  ScitgcmäJ  ober  3citIo§?  55 

lüclten,  entfpringt  au§  bem  ßwfcimmcn  oon  KoKettioinbiDibuen  mit 
biffcrcntcr  3w)crfciu§n)a^I.  3)a§  SJerl^ältniS  bc^  empirifc^cn  ^c^ 
jum  bcfinitiucn  ober  jum  ©ubic!t  fc^tcc^t^in  tann  mau  roo^I  am 
bcftcn  ocrgtei^cn  mit  bcm  cinc§  ©a|^e§  inncrl^atb  cine§  Sucres 
ju  bcm  ©cfamtftnn  bicfc§  93uc^c§.  6in  jolc^cr  Sa^  l^ättc  auc^ 
au^cr^alb  be§  93u^e§,  loic  ja  anä)  noc^  jcbc§  feiner  SBSorte,  ja 
33u^ftaben  für  ftc^  aflein,  noc^  einen  geroiffen  ©inn,  aber  innere* 
j^atb  be§  ©cfamtftnns;  erhält  er  s^flleic^  eine  Sinnmobififation 
unb  ©innfteigcrung.  ®§  gibt  im  ^ui)  aud^  Sä^e,  bie  fic^  jum 
©cfamtftnn  negatio  ober  tomparatio  oer^alten,  unb  fo  tonnte  man 
bie  ^^araflele  noc^  meiter  fortfe^en;  ic^  min  aber  nur  noc^  barauf 
l^inmeifen,  ba^  bie  „ß^riftotogie",  meiere  freilid)  bann  notroenbig 
„fpetutatio",  nic^t  „^iftorifc^"  auffällt,  bie  SÄufgabe  l^at,  ben  2:itet 
für  biefe§  93uc^  ju  formulieren. 

®ie  Unterf(^eibung  oon  Sebenögemeinfc^aft  unb  9lrbeit§ge« 
meinfd^aft  foö  nic^t  etma  baju  fül^ren,  nun  in  ber  firc^Uc^en  93er= 
fünbigung  bie  ©efn^t^punfte  unb  ^oftulate  ber  (enteren  ju  „be^^ 
tämpfcn"  unb  eine  „9ieaftion",  eine  „SRüdfe^r  ju  patriarc^ali* 
fc^en  aSer^ältniffen"  ju  forbern.  @rften§  märe  ba§  im  ©inne 
ber  übergeorbneten,  befinitioen  33etrac^tungSroeife  felbft  nur  roieber 
eine  ®infeitigteit,  unb  jroeiten^  nimmt  jeber  Kampf  einer  Seben^^ 
gemeinfi^aft  mit  einer  2lrbeit§gemeinfd)aft  felbft  ben  ©Ijarafter 
einer  Slrbeit,  einer  S^e^nif  an,  tommt  alfo  nur  ber  le^tern  ju  gut. 
9Wit  UJerrounberung  merfen  \a  berjeit  fo  manche  SBertreter  ber 
^irc^c,  mie  leicht  fic^  auf  allgemein  fittlic^en  unb  Rumänen  ©e^ 
bieten  mit  religiös  fp^jififcä^  Unempfangli(^en  jufammenarbeiten 
lä^t;  fie  fönnen  nic^t  oerl^inbern,  i)a^  man  barau§  ben  ©c^lug 
jie^t:  für  folc^e  Slufgaben  ift  bie  religiöfe  ober  fonft  lebenSgemein- 
fc^aftlic^e  ©innfomplijierung  notroenbig  ju  oereinfac^en,  in  blo^e 
Äraft  ju  oerroanbcln.  S)ie  £eben§gemeinfc^aft  tann  noc^  lange 
fortfahren,  ba§  „linbernbe  Oel"  für  ben  tec^nifd)en  3J?ec^ani§mu§ 
JU  liefern;  fte  mirb,  mie  biefe§,  um  fo  überflüfftger,  je  eyafter 
unb  reibungSlofer  bie  9Jlafcl)inenteile  einanber  angepaßt  merben. 
So  mu^  ja  mol^l  bie  SReligion^gemeinfc^aft  bie  tec^nifc^e  neben 
fic^  tolerieren;  fte  foll  biefeS  9]ebeneinanber  aber  nic^t  blo^  er^ 
tragen,  fonbern  anä)  oertragen,   o^ne   babei   an  i^rem   eigenen 


56  §  0  f  f  m  a  n  n :  3eit0cmd^  ober  3citlo§  ? 

5öefcn  unb  Qrotd  irre  ju  werben.  Sliemanb,  ber  felbft  im  geift- 
liefen  2lmt  ftc^t,  roirb  unempfinblic^  fein  gegen  bie  ©innocrarmung, 
welche  bie  SBanbtung  unfere§  SBolB  unb  unferer  ©emeinben  qu§ 
£eben§^  in  bto^e  2lrbeit§gemetnfc^aften  mit  ftc^  bringt;  aber  man 
mu§  tirc^li^erjeit§  ni(^t  meinen,  man  fönne  biefe  Bewegung  auf* 
galten  ober  i^r  eine  anbere  9tic^tung  geben,  inbem  man  fte  ein= 
fac^  mitmai^t.  Qi)  fann  jmar  nic^t  oerftel^n  bie  ©gmpatt)ie 
mani^er  mobemer  ©l^riften  mit  ber  mobernen  Literatur  unb  Slunft: 
benn  ba^  e§  bei  biefer  „91euromantif"  fi^  ^iebei,  tro^  aüer 
frampf^aften  S3emü^ung  um  ©innbereic^erung,  boc^  um  eine  fc^Iie§* 
lid)  um  fo  größere  Sinnrebujierung,  einen  raubbauartigen  ©toff- 
oerbrau^  ^anbelt,  bürfte  boc^  aKmä^Ui^  flar  fein.  3lber  mcnn 
mani^e  „gro^e  roeltgefc^ic^tlic^e  ©reigniffe"  ^erbeife^nen,  ober  ben 
Äonflift  mit  bem  „3^fuiti^w^u§"  fc^üren,  fo  ift  ba^  au§  bem 
SBBunfc^,  nur  einmal  auc^  roieber  ba§  93or^anbenfein  einer  beutfc^en 
ober  beutfi^^coangelifc^en  „SSolföfeele"  ju  fpüren,  rool^lbegreiflic^. 
3)er  ©laube,  ba§  unferem  äJoIf  eine,  auc^  religiöfe  „3wfw"ft" 
befc^ieben  fein  merbe,  ift  ju  a^ten  unb  ju  e^ren;  i^  teile  i^n 
fogar,  fofem  er  nur  einen  SBunfc^,  unb  eine  SBa^rfc^einlic^teit^» 
berec^nung  gefc^id^tlic^er  SJlöglic^teiten  bebeutet.  2lber  bie  ©eltung 
be§  eigenjeitigen  3d)  unb  feiner  religiöfen  SBeft  barf  nic^t  oon 
ber  ©eltung  ober  bem  jufünftigen  Eintreffen  biefer  ©rroartung 
abhängig  gemad)t  merben. 

$Wöd)te  man  aber  nod^  einwerfen:  „3^*tlöfigteit"  ber  ^rift= 
(id)en  SBerfilnbigung,  ba§  leiftet  ja  eben  bie  2:f|eologie,  meiere  ftc^ 
gegen  aü^^  jeittic^  roec^felnbe,  metap^9ftfd)e  ©pintifteren,  mie  ba§ 
obige  über  Qzxt  u.  f.  w,,  oon  melier  ©eite  es;  auc^  fommen  möge, 
neutral  oer^ält.  ©el^r  mo^t;  roenn  ic^  aber  meinem  5Rac^bar 
mein  Serrain  unb  meine  äBaff ertraft  jur  Sßerfügung  ftelle,  unb 
e§  melbet  fic^  bann  ein  anberer  ^onturrent,  oieüeii^t  mit  altern 
ainfprüc^en,  unb  i^  oerme^rc  il^m  bie  Senü^ung,  fo  oerle^e  ic^ 
bie  ^Neutralität.  iSfl.  a.  3QB.:  3)ie  gemeinte  2:t)eologie  fd)lie&t  ein 
93ünbni§  mit  ber  ^iftorifc^'-tec^nifc^en  Setrac^tung^meife,  unb  ber 
folc^en  33ebürfniffen  angepaßten  6rtenntni§t^eorie ;  me^rt  fic^  aber 
immer  noc^  gegen  alle  ^^ilofop^ie,  bie  nic^t  „fortfd)reitet",  fon* 
bem  gern  au(^  einmal  roieber  oon  oorne  anfangen  möchte.  SSor- 


©offmann:  S^itqemä^  obtv  QzitloS'i  57 

licgcnbc  p^ilofop^ifc^c  SBctvac^tung  fc^Iic^t  bic  ^iftorifc^*ted)nifc^c 
SSctroc^tungSiocifc  ni^t  au§,  fonbcrn  ein,  aber  aU  eine  nur  ein== 
feitige  ^ilfötonftruftion.  ®a^  bie  objettiüe  3^it  ^^^^  l^  „reiner" 
fie  ift,  befto  me^r  mit  bem  9iaum  jufammenf äüt ,  unb  bcöl^alb 
auä)  fo  wenig  „verläuft",  wie  biefcr;  ba§,  wenn  man  ba§  ®e* 
fc^e^en  aU  Sntmirflung  auffaßt,  beffen  SBefen  ebenfowenig  oer- 
änbert  mirb,  afö  wenn  man  Vs  öt§  0,3333  ....  au^brüdt ;  ba^ 
ba§  eigenjeitige  ^d)  n\6)t  burc^  feine  ^iftorifc^e  unb  pfgc^oplig* 
ftfc^e  2lbgrenaung  unb  3wtei(ung,  fonbem  burc^  fein  S8er]^ä(tni§ 
jum  befinitiüen  ©ubjett  rocfentlic^  beftimmt  ift;  ba§  mir  mit  bem 
®el^im  ebenforoenig  empfinben  unb  beuten,  al§  mie  man  früher 
meinte,  mit  bem  ^erjen  ober  ben  Stieren:  ba§  fmb  Slnnal^men, 
welche,  nx6)t  in  biefer  Formulierung,  aber  in  i^rer  etl^ifc^en  Stim- 
mung, roie  ic^  meine,  atte  biejenigen  S^itöft«^  ^"^  3nl>iüii>uaH* 
täten  fonftituieren,  meiere  fic^  nii^t  burc^  einen  „Äampf  um  bie 
9Q3eItanfc^auung",  fonbem  burd^  SRu^e  ber  SBeltanfi^auung  au§* 
jeic^nen.  „9tu^e  ber  SBeltanfc^auung"  —  metd^  ein  oeräd)t(i^er 
3uftanb  na^  mobernen  ^Begriffen;  aber  oietteic^t  gerabe  ba§,  roa§ 
fo  mancher  moberne  SWenfc^  ,Ju^t". 


58 


in  htn  }ßütühtln  nnm  ^tnfkütn  nnh  ^üntvttii,  nun  htt 
ftlh^mü^ftxtttn  $aat,  htm  Slnhraitt  ttnb  htm  ^J^ntif. 

afr.  %xani, 
©p^oruä  am  coangcL  tl^eol.  Seminar  ©c^öntal. 


Ob  bQ§  yitxi}  @ottc§  in  bcr  SBertünbigung  ^^fu  aU  eine 
gegenroärtigc,  in  biefcr  irbifc^en  SBcU  rolrtfamc,  ftc^  cntroidctnbc 
unb  roai^fcnbc,  ober  q(§  eine  rein  jutünftige,  tranfjenbentc  ©röfee 
ju  bcnfcn  fei,  ober  ob  beibc  Sluffoffungen  in  ben  SQBortcn  3^efu 
il^ren  SÄn^ott  ^aben  unb  roie  fx6)  bann  beibc  oer^alten,  ift  eine 
noc^  immer  offene  5^age  neuteftamenttic^er  götfc^ung.  3)ie  nac^- 
folgenben  S^^^^^  »erfolgen  nic^t  bie  2lbfi(^t,  ba§  ganje  tomptiäiertc 
Problem  ju  erörtern.  9iur  ju  ber  oiel  enger  begrenjten  ^rage, 
ioa§  bie  in  ber  Ueberfc^rift  genannten  ^^arabetn  für  ba§  Problem 
ergeben,  foQ  ein  93eitrag  oerfuc^t  werben.  ®iefe  5ßarabe(n  fmb 
e§  ja  oor  allem,  in  benen  man  oon  je^er  ben  ©egenmart^c^arafter 
be§  ®otte§reid)§  ju  finben  glaubte.  „®ie  ©egenroart  be§  SReic^eS 
im  geiftigen  Sefi§  unb  in  ber  innerlichen  ©ematt  be§felben  ift  ba§ 
@el^eimni§,  roelc^eS  allein  ben  ^löngetn  jugänglic^  ift."  ®iefer 
©a§  SB  e  i  j  f  ä  d  e  r  ^  in  ben  „Unterfuc^ungen  über  bie  eoangeli* 
f^e  ©efc^ic^te"  üom  Qat)x  1864  (©.  415)  ^at  mo^l  bamate  einen 
roeitreic^enben  Äonfenfu§  jum  2lu§brud  gebracht.  Qöi  erinnere  fo» 
bann  au§  fpäterer  Qnt  an  bie  2)arftellungen  be§  2eben§  ;3efu  oon 
93er|f(^lag  unb  93.  SBet^.    Segfd^lag   fc^reibt   über   bie 


2  r  a  u  b :  ^ie  ©egenmart  be^  ®otte$reic^iS  2C.  69 

©aatparabcl  be§  9Jlarfu§  4,26  ff.:  „a)ic  ganje  äBcrbcnotur  be§ 
SReid^c^  @ottc§  ift  in  il^r  abflcbilbct,  bcr  ©runbri^  feiner  gefc^id)!^ 
li^en  ©ntroidlung  prop^etifd)  gejeic^net."  (3.  2lup.  n,  226)  unb 
über  bie  ^immelrei^§parabeln  überhaupt:  „3)a§  ^immctreic^  ift 
jur  reinen  ®otte§fraft  geworben,  welche  ^erj  unb  SBelt  oon  innen 
l^erauS  erfaßt  unb  oertlärt  —  feine  (e^te  ooKenbcnbe  3lu§geftaltung 
roac^ft  au§  ber  gegenioärtigen  Stiftung  unb  SBBirffamtcit  oer* 
nünftig,  ftttli^  gefd^ic^ttic^  ^eroor."  (S.  227.)  SB.SBei^  Ic^nt 
jroar  ben  ©cbanfen  einer  „immanenten"  Sntmirflung  ab,  ba  ba§ 
^eil^roerf  in  feiner  ganjen  Stusbe^nung  f^lec^t^in  üom  2Bir!en 
@ottc§  abhängig  fei  (3.  Slufl.  II,  (5.  279).  Slber  eine  aUmäfi* 
(id^e  @ntn)id!Iung  finbet  aud^  er  in  ben  Parabeln  abgebilbet 
(©.  22  f.).  Unb  auc^  ^eute  noc^,  nad)  ber  re(igion^gefc^i(^tlic^en 
93en)egung,  bie  auc^  biefe  S^agen  in  neue  Salinen  gelcntt  l^at, 
erf lärt  ein  f o  berufener  gorfc^er  n)ie  S  c^  ü  r  e  r  o^ne  oiel  33e^ 
grünbung,  faft  a(^  fage  er  (5eIbftoerftänb(i(^e§:  „®a§  SReic^  ®otte§ 
tommt  nic^t  ptö^Iic^  unb  finnenfällig,  fonbem  aflmä^lic^  unb  un* 
oermertt.  3)iefe^  allmähliche  kommen  mirb  auc^  burc^  ©leic^niffe 
anf^aulic^  gemad)t.  3Bie  bie  Saat  aümä^Iic^  roä^ft  unb  bcr 
Sauerteig  allmä^lic^  alle§  burc^bringt,  fo  entmirf elt  fid^  ba§  @ottei8:= 
reic^  oon  tleinen  2lnfängen  an  gu  immer  gewaltigerem  Umfang 
unb  burc^bringt  immer  me^r  alle  SBeltoerl^ältniffe."  ^a,  er  fügt 
fogar  t)inju :  „2)iefe  ©leic^niffe  roenben  fic^  bireft  polemifc^  gegen 
bie  jübifc^e  Sluffaffung  unb  moHen  fte  forrigieren.  3Ja(^  ber  jübi* 
fc^en  Sluffaffung  fmb  bie  gegenmärtige  unb  bie  tünftige  SÖSclt« 
periobe  burc^  einen  fc^arfen  @inf^nitt  getrennt.  3)urci^  ein  raun* 
berbare§  eingreifen  ©otte^  folgt  plö^tic^  eine  oiJllige  Umgeftaltung. 
gür  ^i\\i^  ift  ba§  mefentlic^e  @ut  ni^t  biefe  äußere  UmgeftaU 
tung,  fonbem  bie  aSirtfamteit  ber  ®nabe  @otte§  fc^on  unter  ben 
gegenroärtigen  ©jiftenjbebingungen.  2)arum  ift  mit  ^efu  SBirtcn 
ba§  ©otteSreic^  in  feinen  2lnf äugen  f^on  oorl^anben."  (StxU 
fc^rift  für  J^eologie  unb  Äirc^c  1903,  S.  445.) 

^Jtatürlic^  mirb  auc^  oon  ben  früheren  gorf^rn  ni^t  in 
Slbrebe  geftellt,  ba^  neben  biefem  immanenten,  gefd)ic^tlic^en,  auc^ 
ein  tranfjenbenter,  c^c^atologifc^er  ©otte^reic^^begriff  in  ber 
^rebigt  Qefu  auftritt.    ®ie  3lrt,   roie  beibe  in  aSejie^ung  gefegt 


60  2:  r  a  u  b :  ^te  ©egenmart  beiS  ©otteSreic^g  sc 

loerbcn,  ift  fc^r  ücrfc^icben.  ©ntiücber  nimmt  man  an,  ba§ 
für  ba§  33en)u^tfcin  Qt^n  fclbft  bcibc  SBorftcIlungen  fic^  nur  wie 
jiüei  Stufen  üerijaltcn.  Ober  beibc  fte^en  im  öemugtfein  ^^fu 
unocrmittclt  ncbencinanbcr  ober  e§  luerben  beibe  auf  üerf^iebene 
^erioben  feine§  SOBirfeng  verteilt.  2)ie  Satfadie  felbft  aber,  bag 
eine  ftart  eSc^atologifc^  gefärbte  SBorfteKung  in  ber  ^rebigt  Qefu 
Dorl^anben  ift,  (ie§  fic^  angefic^tg  be§  ejregetifi^en  9JlateriaI§  taum 
beftreiten.  9Iber  biefe  Satfa^e  l^at  ein  ganj  anbereS  ©emic^t  er- 
halten, feitbem  bie  t^eologifc^e  g^tfc^ung  ber  religiöfen  Siteralur 
be§  ©pätjubentumS  ftc^  bemä^tigt  unb  oon  ^ier  au§  ba§  SBer» 
ftänbni§  ber  SReic^^prebigt  ^efu  ju  geroinnen  nerfuc^t  ^at.  9tun 
erfc^ien  plö^lic^  ber  e§^atoIogifc^e  33egriff  aU  ber  be^errfd)enbe; 
ber  anbere  trat  entrocber  fe^r  jurüc!,  ober  rourbe  ganj  au^ge^ 
f^ieben.  2)er  aSortfü^rer  roar  ^ier  ^.  2Bei^  in  feinem 33u^e: 
„®ie  ^rebigt  ^efu  oom  Steic^e  @otte§'',  ba§  1892  in  erfter,  1900 
in  iroeiter  Sluflage  erfi^iencn  ift.  2Bei§  beftreitet  ni^t,  ba§ 
Qefu^  gelegentlich  auc^  oon  einer  @egenroart  be§  ®otte§reic^§  ge^ 
fproc^en  l^at.  3lber  e§  roaren  bieg  ^ö^epuntte  etftatif^er  Segei* 
fterung  unb  e^  ift  immer  etroag  ganj  33eftimmte§,  baS  ^efu  babei 
oorfd)roebt:  ber  ©ieg  über  ben  ©atan,  ben  er  in  ben  3)ämoncn5 
au^treibungen  erlebt;  nic^t  aber  ^anbelt  e§  fid)  um  eine  burc^* 
ge^enbe  unb  grunblegcnbe  SÄnfc^auung  unb  am  aUerroenigften  l^at 
äiefu§  irgenbroo  ben  ©ebanten  einer  aHmälilic^en,  auf  ®rben  ftc^ 
oofljie^enben  ©ntroidftung  be§  @otte§reic^§  geäußert. 

SJlußte  aber  nic^t  biefe  3luffaffung  notroenbig  an  ben  Parabeln 
f Reitern,  bie  nai^  ber  bi^l^er  faft  allgemein  geltenben  Slnfc^auung 
ben  ©ebanfen  einer  irbifd^en  ®ntroic!lung  abbilben,  jumal  bie 
^^arabeln  oom  Senftorn  unb  Sauerteig  unb  oon  ber  felbftroac^- 
fenben  Saat?  SQBie  finbet  ftc^  ffieiß  mit  il^nen  ab?  ^n  ber 
erften  3luflage  feiner  Schrift  roiU  er  fte  überhaupt  nic^t  auf  bag 
@otte§reicf)  bejie^en.  3)ie  üblii^e  @inleitung§f ormet :  „3)a§  SReic^ 
®otte§  ift  gleich  u.  f.  ro."  ftamme  nic^t  oon  Qt\vi^,  fonbern  oon 
ben  Soangeliften.  Sie  Senfforn*  unb  Sauerteigparabel  roürbe 
oiel  richtiger  eingeleitet:  „3)a§  Soangelium  ober  ba§  SBort  ift 
gleich  . .  .  ."  ftatt:  „2)a§  Himmelreich  ift  gleich  .  . . ."  Qu  ber 
jroeiten  3luflage  bagegen  räumt  9B  e  i  ß  gerabe  l^inftc^tlic!^  ber  eben 


a:r au 6:  ^ie  ©cgcnroart  bcS  ®ottc8rcic^g  2c.  61 

genannten  smei  @(eicf)niffe  ein,  bafe  fie  fe^r  roa^rfc^eintic^  irgenb 
etmaö  über  ba§  9teic^  ®ottc§  teuren  rootten.  2lber  baJ5  oon  einem 
irbifc^en  ©ntroicftung^proje^  be§  ®otte§reic^§  bie  SRebe  fei,  ba§ 
bie  tvanfjenbente  Sluffaffung  ^ier  burc^  eine  immanente,  bie  mun* 
ber^afte  burc^  eine  et^if^e  erfe^t  fei,  ba§  beftreitet  er  nod^  ebenfo 
entfc^ieben  roie  früher.  @r  beruft  fic^  je^t  auf  ^lüIic^erS  aWe* 
t^obe  ber  ^arabelauölegung  unb  finbet,  ba§  bei  tonfequenter  Xnxä)^ 
fül^rung  biefer  3Jletf|obe  bie  ^arabetn  ba§  gerabe  ©egenteil  oon 
bem  beroeifen,  rooju  fte  bi§^er  benu^t  morben  feien,  „nid)t  eine 
immanente  ©ntmicftung  beg  SReic^e§,  fonbern  bie  tranfjenbente 
^erfteflung  ber  ^errfc^aft  ®otte§  nac^  feinem  SBiflen,  ju  feiner 
3eit."  ®.  85.  ©0  roenigften^  bie  ©aatparabel  3W.  4,26  ff.  3lber 
au^  bie  anberen  lehren  locnigftenS  nic^t  ba§,  ma^  man  l^aupt== 
fäc^lic^  barin  ju  finben  meinte,  eine  innere,  allmähliche  ©ntmid^ 
lung.  3)iefe  SWeinung  fei  nur  no^  eine  9lac^mirfung  be§  alle« 
gorifierenben  ©c^lenbrianö.  Qülic^erS  SSerbienft  fei  e§,  bamit 
grünblic^  aufgeräumt  ju  l^aben;  nur  in  ber2lu§legung  Don3Mc.4,28ff. 
^abe  aud)  er  noc^  einen  allegorifierenben  SRüdfaU  erlitten.  ^6) 
mö^te  nun  ju  jeigen  oerfui^en,  ba&  gerabe  bei  forgfältiger  2ln« 
menbung  ber  3iüli(^er'fc^en  SJlet^obe  ber  ®ntmidflungs;gebanfe  ganj 
unumgängli^  ift.  Ueber  JRec^t  ober  Unrecht  biefer  oiclfac^  ange* 
foc^tenen ,  erft  jüngft  oon  SBelll^aufen  beftrittenen  SWet^obe 
tann  ^ier  nic^t  geurteilt  werben;  aber  menn  ftc^  jeigen  lä§t,  ba^ 
auc^  unter  i^rer  SSorau^fe^ung  ber  Sntmiälung^gebanfe  nic^t  ju 
umgeben  ift,  fo  ift  bamit  fein  SRc^t  überhaupt  beroiefen,  roeil  ber^ 
felbe  bei  jeber  anberen  SÄuffaffung  ber  Parabeln  um  fo  fieserer 
fic^  einftellt.  ©ooiel  ic^  nun  fel^e,  ftnb  e§  ^auptfäc^lic^  3  3ftegeln, 
in  benen  jene  SUlet^obe  f\i)  aui^brücft:  1)  ®ie  ^arabel  roiU  oer« 
anfc^aulic^en,  überjeugen,  bemeifen.  2)  2)iefen  Stoeä  erreicht  [x^ 
nur,  menn  in  ber  33ilb^älfte  alle§  eigentlich  genommen  mirb,  mä^* 
renb  in  ber  Megorie  alle  93egriffe  uneigentli(^  gemeint  finb  unb 
bie  Uebertragung  auf  ein  anbere§  ©ebiet  forbern.  3)  ^n  ber 
Parabel  ^anbelt  e^  fi^  immer  nur  um  einen  ^auptgebanfen, 
ber  SBilb  unb  ©ac^e  oerfnüpft.  3)ie  Slufgabe  ber  3tu§legung  ift 
e§,  biefen  einen  ©ebanfen  al§  ba§  tertium  comparationis  t)erau§= 
anheben,  mä^renb  e§  ber  ^efiler  ber  aUegorif^en  3J?et^obe  ift,  ba^ 


62  a:r au b :  5)tc  ©cgcnroart  bc8  ®ottc8rctc^g  2c 

ftc  aud)  alle  möglichen  SIcbenjüflc   „beutet"    unb   auf  bie  Sac^c 
überträgt. 

SDSag  ergibt  fic^  nun  ^ierau§  junä^ft  für  bie  ^arabel  oom 
©enfforn?  SOBei^  urteilt:  „33ei  ber  2)eutung  unfere§  ^aare^ 
—  Senftorn  unb  Sauerteig  werben  üI§  gleic^bebeutenb  jufammen* 
genommen  —  wirb  oon  ben  meiften  ©yegeten  ein  ungebührliches 
©emic^t  auf  ben  Slebenjug  gelegt,  ba^  ein  tangfamer,  allmählicher 
SntroidlungSproje^  oor  fic^  gel^t,  roä^renb  bod)  ber  ^auptge* 
fic^tSpunft  beutlic^  ein  anberer  ift.  3)ie  2Birfung  beruht  auf 
bem  Äontraft  smifc^en  ben  Meinen,  unfc^einbaren  Slnl^ängen  unb 
bem  überrafc^enb  großen  gortgang.  ^ene  Serfc^iebung  ber  9lüance 
]^at,  wie  mir  fpäter  jeigen  mcrben,  oer^ängniSüofle  folgen." 
2.  2lufl.  ®.  48  f.  Später  ^ei^t  e§  bann:  ^Sö  ift  ^ier  befonberS 
beutlid^,  mie  man  ben  ^auptgebanten  ber  ©leic^niffe  oernad^lä^igt 
ju  ©unften  gemiffcr  ^lebenjüge.  ®er  ©runbgebante  beiber  ift  auS 
bem  Äontraft  jmifc^en  ber  Keinen  Urfai^e  unb  ber  großen  SBirtung, 
jmifc^en  bem  unfcf)einbaren  Slnfang  unb  bem  überroältigenb  großen 
©rfolge  ju  entnehmen.  9Bie  gering  unb  unfc^einbar  bie  2lnfänge 
be§  9ieicf)e§  ©otte§,  bie  ^efu§  tennt,  aucf)  fein  mögen  —  eg  !ommt 
eine  Qdt,  wo  ber  oöHige  ©ieg  ba  fein  mirb.  ©benfo  mie  in  ber 
9latur  ba§  Kleine  unb  Unbebeutenbe  bie  allergrößten  SBirtungen 
^aben  !ann,  fo  wirb  ani)  ber  taum  erft  ftc^tbare  ©rfolg  3^efu 
bereinft  aUe  ©rmartungen  übertreffen.  93ei  biefer  2luffaffung,  bie 
ft^  an  ben  ©runbgebanten  ^It,  !ommt  bie  unbeirrte  ©laubenS« 
juoerfic^t  <3fefu  f^ön  unb  bejeic^nenb  jum  3lu§brucf".  2)agegen 
fei  barüber  nichts  gcfagt,  „ba§  ber  ©^ritt  oom  tleinen  2lnfang 
bis  jum  glänjenben  ©nberfolg  auf  bem  SQBege  einer  „©ntmirfelung" 
Dor  fic^  ge^e.  3)ie  SßorfteHungen  einer  ©ntfaltung  be§  KeimS  jur 
^flanje,  einer  ©ä^rung  auS  eigener  Kraft,  oon  einer  „3)urc^* 
bringung"  be§  Sßolfö  mit  ber  ©otteS^errfc^aft,  oon  einem  „5öac^S* 
tum"  unb  einer  „3lu§breitung"  be§  JReic^eS  ©otteS  —  ba§  alleS 
ift  nxijt^  als  eine  oerroirrenbe  ^crüberna^me  oon  einjelnen  ßöfl^w 
ber  ©leic^niffe,  bie  nun  in  ber  Seutung  als  SWetap^ern  mieber* 
feieren.  3)iefe  9Wetap^ern  ftnb  ein  9teft  ber  allegorifc^en  ©yegefc 
unb  als  unmet^obif(^  ju  oerbannen."  ©.  83  f.  ^nki^t  beruft 
ftd)  SB  e  i  ß  noc^  auf  3  ü  l  i  d)  e  r ,   ber  erf reulidiermeife  ebenfalls 


a:  r  a  u  b  :  %iz  ©cgcnroart  bcS  ®otte5reic^§  ic  63 

bie  übliche  @nttDicf(ung§tt)eone  abgelehnt  f)dbt,  unb  jitiert  beffen 
©c^Iu^fa^:  „3ßfu  ^auptintercffc  loar  nic^t  bie  9lotrocnbigteit  unb 
bic  SBeig^cit  einet  längeren,  attmä^Iic^  fortfc^reitenben  ®ntn)icf* 
lang,  fonbern  bie  ©eroi^l^eit,  ba^  beim  ^immelreid)  bie  ^criobc 
ber  93ottenbung  auf  bie  ber  SWongel^aftigfeit  folge,  forgenben 
Jüngern  flor  §u  mo^en;  er  ift  eben  fein  ©efc^ic^tgp^ilofopl^, 
fonbern  ein  ^rop^et." 

Qc^  möd^te  junac^ft  bemerten,  ba§  3fülirf)^>''  in  ber  5^'age 
boc^  erl^ebli^  oorfi^tigev  ift,  al§  3Bei§.  6r  ^ot  bie  „Sntroid* 
Iung§t^eorie"  feine§roeg§,  roie  SOBei^  bel^ouptet,  „abgelehnt", 
fonbern  nur  nic^t  a(§  ba§  ^  a  u  p  t  intereffe  ^cfu  anertannt.  S)q^ 
fte  n)enigften§  al§  91  e  b  e  n  intereffe  mitroirf t,  wirb  oon  i^m  nic^t 
auSgefc^Ioffen.  93ielme^r  ^ei^t  e§  bei  i^m  unmittelbar  oor  bem 
oben  jitierten  Sc^lu^fa^:  „Ob  3^fu§  oielleic^t  ben  SQBeijcnfamen, 
ba§  ©enftorn,  ben  Sauerteig  ftc^  für  bie  ^immelrei^gparabcln 
au^  be§megen  erlefen  l^at,  meil  fie  alle  bie  Sorfteltung  eine§  un^ 
unterbrochenen  5ortf(^ritt§  erjcugen,  magc  id)  nid^t  ju  oer* 
neinen,  aber  auc^  ni^t  ju  behaupten;  ba§  mie  anbere  ®inge  auc^ 
ba§  Himmelreich  mit  ber  Qeit  junimmt,  an  Umfang  unb  ®influ^ 
gewinnt,  mar  ja  ein  fe^r  na^eliegenber  ©ebanfe."  (3)ie  @lei(^= 
niSreben  ^efu  n,  ©.  580  f.).  Qä)  glaube  aber,  mir  muffen  ^ier 
no^  einen  Schritt  meiterge^en  unb  jmar  gerabe  bann,  roenn  mir 
nac^  3^  ü  l  i  c^  e  r  §  Vorgang  nur  nad)  bem  ©inen  ^auptgebanten 
fuc^en,  ber  ben  (Sinn  ber  Parabel  beftimmt.  2)ie  g^age  ift  nur, 
wie  meit  biefer  §auptgebante  teilet?  Sft  berfclbe  fc^on  erfc^öpft 
in  bem  Äontraft  ber  Keinen,  unfc^einbaren  3lnfänge  nnb  be§  über- 
rafci^enb  großen  5ortgang§?  ©emi^  gehört  biefer  Kontraft  mit 
baju.  3)a^  im  9tei(^  ®otte§  auf  bie  unfi^einbaren  2lnfänge  eine 
^errlid^e  93ollenbung  folgen  roerbe,  ba§  moUte^efug  folcl)en  Qüngern, 
meiere  burc^  bie  geringen  2)inge  ber  ©cgcnroart  niebergebrücft 
waren,  ju  ®emüte  führen,  inbem  er  i^nen  ba§  95eifpiel  be§  Senf* 
fom§  oor^ielt,  an  bem  fte  biefen  5ortfd)ritt  oom  Kleinen  jum 
®ro§en  immer  oon  neuem  beobachten  tonnten.  Stber  tonnten  bie 
ftleinmütigen  il^m  nx6)t  entgegenhalten,  ba^  itinen  mit  biefem  93ei- 
fpiel  ni(^t§  gel^olfen  fei?  SBer  bürgt  un§  bafür,  ba^  e$  im  ^im^ 
melreic^  ebenfo  jugel^t,  mie  beim  Senf  torn?  @ibt  e§  nic^t  unenblid^ 


64  2:  r  a  u  b :  ^ie  (^egenmact  be^  ©otteSceic^S  ic. 

oicl  Ätcinc§  in  bcr  SDScIt,  ba§  nie  ju  ©ro^em  ftd^  au^mäc^ft,  ba§ 
Kein  ift  unb  bleibt?  SBarum  foütc  ba§  SReic^  ®otte§  gcrabe  bcn 
©rfc^cinungcn  gleichen,  bei  benen  e§  einen  ^Jortfd^ritt  gibt  oon 
Kleinfieit  jur  ©rö^e?  3)ie  ^arobet  foH  übctieugcn,  bereifen. 
Äonntc  fic  ba§,  wenn  fic  nic^t§  anbetet  enthielt  al§  bcn  Äontraft 
oon  Äleinl^eit  unb  ®rö&e?  Ueberjeugenb  wax  fie  offenbar  erft  bann, 
wenn  fie  auger  biefem  Äontraft  noc^  ein  weitere^  enthielt,  näm^ 
lic^  bieS,  bag  bie  tünftige  ©röge  in  ber  gegenwärtigen  ßlein^eit 
fc^on  angelegt  ift.  ®arum  wirb  an^  bem  Keinen  ©enfforn  bie 
groge  ©enfftaube,  weil  biefe  fc^on  aU  Äeim  in  jenem  enthalten 
ift.  Unb  barum  bürfen  bie  tleinmütigen  3efu§jünger  glauben, 
bag  e§  im  |)imme(reic^  ebenfo  ge^en  mirb,  roeil  auc^  in  ber  un* 
f^einbaren  ©egenroart  boc^  etmag  fpürbar  ift,  baS  ber  Seimtraft 
ber  ^flanje  oerglei^bar  ift,  eine  innere  ©ottei^traft,  bie  ^efuö 
feinen  Jüngern  ju  empfinben  gab.  9Wit  berfetben  9iotmenbigtett, 
mit  ber  au§  bem  ©amen  bie  ^flanje  roirb,  mug  au§  ber  geringen 
©egenmart  ba^  jufünftige  ^errlic^teit^reic^  ^eroorge^en.  3)ie 
^lotroenbigteit  beruht  auf  bem  allgemeinen  ©efe§  be§  9latur*  unb 
©eifte^leben§,  bag  jebe  J^eimfraft  unter  ben  entfprei^enben  33e* 
bingungen  jur  ©ntfaltung  bringt.  Q]t  bie$  richtig,  fo  lägt  fic^ 
ber  ©ntroidlungggebante  mit  feiner  ©emalt  au§  bem  ©enftom- 
gleic^niS  hinaufbringen. 

2luc^  no(^  Don  einer  anberen  Seite  ^er  ergibt  ftd^  ba^felbe 
SRefultat.  ®§  gibt  ja  auger  ©enfforn  unb  Sauerteig  noc^  oiele 
S)inge  in  ber  SBelt,  meli^e  ben  Jortfc^ritt  oon  Steinzeit  jur  ©röge 
erfennen  laffen.  ©in  Baumert  g.  S.,  ba§  9Wenfc^en  aufführen, 
ift  auc^  erft  Hein  unb  mirb  immer  gröger.  Slber  ber  gortfd^ritt 
ift  l^ier  ni(^t  burd^  eine  immanente  ©ntmidlung  bebingt,  fonbern 
burd^  ein  ©ingreifen  Don  äugen.  aBäre  e§  ^cfu^  blog  um  ben 
Äontraft  anfänglicher  Slein^eit  unb  fi^lieglic^er  ©röge  ju  tun  ge* 
mefen,  fo  f|ätte  an6)  ein  berartigeö  Silb  genügt.  2lber  e§  mar 
geroig  ein  fixerer  ^fnftintt,  ber  i^n  au§  ber  güUe  ber  i^m  ju 
©ebot  fte^enben  3lnfc^auungen  gerabe  folc^e  Silber  herausgreifen 
lieg,  roelc^e  eine  immanente  ©ntroirflung  aufroeifen.  3)er  ©ruub 
bürfte  rool^l  barin  liegen,  bog  eben  auc^  in  ber  Sac^e,  bie  er 
barftellen   roill,   e§   fic^  nid)t  blog  um  ben  Äontraft  oon  Keinen 


^raub:  ^ie  ©egenroart  beS  (S^otteiSteid^  zc  65 

Slnfängcn  unb  großen  ßidcn,  fonberu  barum  ^anbelt,  ba&  ber 
gortfc^ritt  oon  icnen  ju  bicfcn  burc^  eine  immanente  ©ntroicflung 
oermittelt  ift.  5)a§  bie  ©ntmirflung  eine  (angfame,  3ö^tf)unberte 
unb  3!a^rtaufenbe  (angc  fein  mcrbe,  \>a^  allerbtng§  fann  axi^  ber 
SSergteic^ung  ni^t  gefolgert  werben.  Ueber  bie  längere  ober  fürjere 
3)auer  ift  i^r  überhaupt  nic^t§  gu  entnehmen.  3Iber  bie  ®utn)ic!* 
lung  felbft  Iä§t  ftc^  nic^t  wegbringen.  ®er  apotalr)ptifc^e  ®otte§* 
reic^^begriff  ift  bamit  nic^t  oereinbar.  ^n  bem  aWoment,  in  bem 
;3efu§  bie  ©enftomparabel  gefproc^en  ^at,  fann  er  ba§  SReic^ 
@otteS  ni^t  guglei^  aB  eine  rein  tran^fjenbente  ®rö^e  gebac^t 
^aben,  bie  am  ®nbe  ber  läge  burd)  ein  SlQmac^tgmunber  ©ottei^ 
in  bie  ®rfc^einung  tritt.  (Sin  fot^e^  kommen  reigt  jeben  gaben 
einer  @ntn)ic!(ung  ab,  tann  alfo  nic^t  jufammengebac^t  werben 
mit  einer  93orftettung,  für  meldje  gerabe  ber  ®ntn)idlung§gebanfe 
c^araJteriftifc^  ift. 

®arau§  folgt  aber  fofort  no^  ein  SBeitere^.  gragt  man 
nac^  bem  -^n^alt  beffen,  maS  ^efuS  mit  bem  gegenwärtigen  ©ot^ 
te§rei(^  gemeint  ^at,  fo  tann  berfelbe  nii^t  im  ©ieg  über  bie 
a^ämonen  befielen,  wie  ajjt.  12,28.  a)enn  biefe  SBorfteHung  fte^t 
in  Korrelation  jum  e§d)atotogifc^en  Segriff  be§  ®otte§reic^§,  ber 
^ier  eben  oertaffen  ift.  9lu^erbem  ^ebt  SB  e  i  ^  felbft  l^eroor,  ba§ 
folc^e  SBorte,  wie  9Jlt.  12,28  ^ö^epunfte  prop^etif^er  Segei* 
fierung  barftelten,  benen  man  nur  gerecht  werbe,  wenn  man  fie  a(§ 
Sleu^erungen  pneumatif(^er  ©tftafe  ju  begreifen  fu(^t.  ®a^  pa^t 
aber  auf  bie  Parabeln  nic^t.  SBo^l  ift  e§  ein  gro§e§  unb  fieg== 
^afte§  93ewu^tfein,  ba§  au§  i^ncn  fpric^t.  Slber  bie  Stimmung 
ift  bie  einer  ruhigen  ©ic^er^eit  unb  Klarheit,  nic^t  efftatifc^e  ®r* 
regt^eit.  5^agt  man  aber,  wa^  benn  bann  pofttio  ber  ^n^alt 
be^  ©otte^reic^^  fei,  fo  oermag  id)  ben  oerpönten  ©ebanten  nid)t 
ganj  abguweifen,  3>cfu§  ^abe  an  bie  93erwirtlic^ung  ber  ©otteS^^ 
^errfc^aft  in  feinem  <3üngerfrei§  gebac^t.  3)a§  ift  wenigftenö  eine 
©rö^e,  oon  ber  o^ne  S^^ang  behauptet  werben  fann,  ba§  fie  fid) 
entwidelt,  ba§  fte  wäc^ft  unb  ba^  fie  oon  einem  ^^^uftanb  ber 
3KangeI^aftigfeit  ju  einem  ^wP^nb  ber  SBodenbung  ^inangefüt)rt 
wirb.  3)entt  man  an  ba§  tran^fjenbente  ©otte^reict),  fo  bebarf 
e$  feines  93eweife§,  ba^  oon  einem  2Bad)^tum  besfelben  im  ©ruft 

Beitfc^rift  \üt  Z^eologie  unb  jttr(^   15.  ^a^rg.,  i.  ^rft  5 


66  2  r  a  u  b :  ^ic  ©cgcniDart  bc8  C^ottcSrcic^g  JC 

nic^t  bic  SWcbc  fein  tann.  SRcbet  man  aber  üon  einem  „Kompicf 
von  ©roigtcit^gütern,  bie  ja  immer  größerer  3Jläc^tigteit  auf* 
roai^fen"  (^aupt,  bie  eS^atologif^en  2(u§fagen  ^cfu,  ©.  73), 
fo  oermag  ic^  mir  barunter  nic^tö  S)eutU^e§  oorjufteKcn.  (S§  ift 
boc^  roo^l  nic^t  o^ne  ©runb,  ba^  felbft  ^  ü  l  i  c!^  e  r  fic^  ben  ©a§ 
ent[d)(üpfen  lä^t:  „mag  xt)äi}%  ift  uic^t  ba§  SQBort,  fonbern  fmb 
gläubige  üKenfc^en,  unb  bie  bilben  eben  in  i^rem  3wfömment)ang 
mit  bem  üWeffia^  ba§  Himmelreich,  ober  oielmet)r  fie  fangen  an, 
e^  ju  beoöltern ;  i^rc  3una^me  ift  fein  SDSac^fen."  (II.  ©.  577.) 
aWan  fann  t)iegegen  ni^t  einmenben,  mit  ber  ©egenmart  be§ 
SRcic^eg  @otte§  })abt  ^efu§  jebenfaU^  irgenbmel^e  verborgene,  ge- 
l^eimni^oolte  SBorgänge  anbeuten  mollen.  „@§  muffen  3)inge  fein, 
bie  nid)t  fo  auf  flacher  ^anb  liegen,  ba§  fie  jebem  otine  meitereö 
ttar  ftnb.  ®§  fann  alfo  j.  33.  nic^t  bie  Sammlung  eineS  SÄn* 
l^ängertreife§ ,  e§  fann  auc^  nic^t  eine  beutlid)  erfennbare  neue 
©ittli^feit  fein.  ®§  mirb  fic^  um  SSorgänge  l^anbeln,  bie  bem 
blöben  9luge  ber  ©egner  überhaupt  »erborgen  bleiben,  mä^renb 
fie  bem  Sluge  be§  ®lauben§  beutlic^  ftc^tbar  fein  fönnen."  SBci^ 
©.  88.  ®emi§;  nur  brau(^t  man  be^^atb  nic^t  gleich  an  3)ämonen  ju 
benfen.  3)ie  Sammlung  einer  3lnt)ängerfc^aft  ift  freiließ  etroa§  fe^r 
auf  flacher  ^anb  liegenbeS ;  aber  ba§  biefe  tleine  ärmliche  Sln^änger^ 
fd^aft  al§  Slnbru^  be§  9leid)e§  @otte§  gemertet  mirb,  ba§  ift  eine 
fo  gemaltige  "ißaraboyie,  ba^  nur  ber  tü^nfte  ©laube  fie  ju  faffen 
Dermag. 

®  ie  ©auerteiggparabel  nehmen  3B  e  i  ^  unb  Q  ü- 
lieber  mit  ber  Senf fornparabel  al§  oöHig  gleic^bebeutenb  ju-- 
fammen.  2luc^  bei  i^r  fei  ba§  tertium  comparationis  lebiglic^ 
ber  ©egenfa^  be§  fleinen  3tufang§  unb  be§  großen  ^kU.  SDSenn 
man  noc^  irgenb  eine  anbere  9lüancierung  be§  ®ebanfen§  au§ 
ber  Parabel  heranriefen  moHe,  fo  fei  bie§  lebiglic^  ein  noc^  un* 
übermunbener  SReft  ber  atlegorifc^en  9Wet^obe.  !^d)  fann  mic^ 
^ieoon  n\6)t  überseugen,  l^abe  vielmehr  ben  ®inbrudf,  ba§  ^ier 
aug  2lngft  oor  bem  Slllegorifiereu  ber  einfa^e  unb  ri^tige  Sinn 
ber  ^arabet  oerfe^lt  mirb.  ®ie  ÜWeinung  freiließ,  im  ©enfforu^ 
gleid)ni§  foUe  bie  ejtenftoe,  im  Sauerteig^gleid^ni^  bie  intenfioe 
Ä'raft  be§  Himmelreichs  bargeftellt  roerben,   bürfte  fid)  fc^mertid) 


3:  r  a  u  b :  ^te  ©egenroart  be;^  ^otteSreic^S  zc  67 

galten  laffcn.  3)iefcr  ©c^cin  cntftc^t  boc^  nur  baburd),  ba^  beim 
©oangcüftcn  SWatt^äu^  bcibc  ®(cic^ntffc  unmittelbar  nebencinan^ 
berfte^cn.  Slber  3«fu§  f)at  beibe  fc^merti^  in  einem  SÄtemjug  ge- 
fproc^en.  2lud^  ^ot  er,  aliS  er  bie  ©cnftomparabel  üortrug,  nidjt 
blo^  bie  quantitatioe  SluSbreitung,  fonbern  and)  bie  qualitatiuen 
SBirtungen  be§  @otte§reid)§  im  ©inne  gefiabt.  2)amit  ift  jene 
©egenüberftellung  ber  jmei  Parabeln  bereits  a(§  irrig  ermiefen. 
3BaS  bagegen  bie  ©auerteigSparabel  für  ftc^  betrifft,  fo  glaube 
ic^  nic^t,  ba§  e8  blofe  irregeleitete^  9tllegorifteren  ift,  wenn  man 
etmaS  anbere§  als  ben  me^rfad)  ermähnten  Äontraft  barin  finbet. 
33ielme^r  fc^eint  fi^  mir  ein  fotc^eS  SRefultat  gerabe  bann  ju  er* 
geben,  wenn  bie  ^arabel  lebiglid)  al§  Parabel  genommen  roirb. 
93ei  jeber  ^arabel  ift  bie  erfte  Slufgabe  bie,  f\6)  flar  ju  machen, 
roaS  na^  populärem  SSerftänbniS  baS  eigentlid)  ©^aratteriftif^e 
an  bem  im  93ilbe  gefc^ilberten  SBorgange  ift.  3)aS  ift  aber  im 
oorliegenben  gatle  boc^  o^ne  3n)eifel  bieS,  ba^  ber  Sauerteig  bie 
3We^lmaffe  burc^bringt  unb  umfc^afft.  Qm  Sßergleid^  bamit  ift 
baS  anbere,  ba§  ber  Sauerteig  juerft  ein  tleineS  ^lümpc^en  ift 
unb  jule^t  burc^  ben  ganjen  2:eig  ^inburd)ge^t,  fetunbär.  @nt* 
nimmt  man  fomit  ba§  tertium  comparationis  bem,  roaS  ba§  6^a^ 
rafteriftifc^e  beS  SilbeS  ift,  fo  ergibt  fic^  bie  alte  populäre  2luS* 
legung  al§  bie  rid)tige:  3B3ie  ber  Sauerteig  baS  9Jle^l,  fo  burc^* 
bringt  baS  SReid)  OotteS  ba§  9Wenfd)enleben.  2Ba§  nä^er  bamit 
gemeint  ift,  ob  ^t\xi^  an  ba§  Seben  beS  ®injelnen  gebai^t  l^at 
ober  an  bie  3uftänbe  beS  SBolfSlebenS,  ba§  tonnten  mir  nur  bann 
fagen,  menn  mir  ben  3lnla§  unb  bie  Situation  müßten,  in  ber 
3fefuS  ba§  Oleic^niS  gefprod^en  ^at.  ;3uroien)eit  au^erbem  no^ 
ber  gortfc^ritt  oon  fteinen  SJlnfängen  ju  großen  ©rfotgen  oon 
OefuS  auc^  in  biefer  ^arabel  mitgebac^t  ift,  möi^te  id)  nic^t  ent^ 
fc^eiben.  ®ineS  aber  ift  ^ier  noc^  beutlic^er  als  in  ber  Scnfforn- 
parabel,  ba^  nämlic^  ein  in  ber  irbifc^en  ®efd)ic^te  ft^  DoHjie^en- 
ber,  geiftiger  ^roje§  gefc^ilbert  mirb,  alfo  gerabe  ba§,  maS3Bei§ 
aus  bem  9leid)SgotteSgebanfen  3^cfu  entfernen  mill.  StidjtS  ba» 
gegen  möchte  ic^  mieberum  barüber  auSfagen,  meiere  tonfrete  Sor* 
ftetlung  oom  9leid)  ®otteS  ^ier  ma^gebenb  ift.  3lm  näc^ftliegen^ 
ben  märe  eS  mol^l,  mit  §aupt  an  einen  ^ompley  oon  ©ütern 


68  3:  r  a  u  b :  ^ie  ^egenmart  beS  ©otteSreic^S  sc 

unb  Äräften  ju  bcnfcn,  bcr  ba§  SQBettlebcn  „burd^briugt".  Slbcr 
auSf^Hegcn  möchte  id|  ani)  ben  Oebanfen  nidit,  ber  fid)  beim 
©cnf!omg(ci^nt§  am  näd^ftcn  legt,  ben  ©ebanfen  an  ben  3ü"9^^= 
fvet§.  Ober  tonnte  Q^^M  feine  Slntiänger  ni^t  ebenfogut  einem 
Sauerteig  Dergleichen,  wie  er  ju  i^nen  fagte:  i^r  feib  ba§  Satj 
ber  erbe  unb  ba§  Sid|t  ber  SBelt? 

3)ic  ©aatparabet  be§  SWc.  4,26  ff.  ^at  man  früher 
Dielfa^  mit  ber  Untrautparabel  be§  SJlt.  fombiniert  unb  bie  eine 
au^  ber  anberen  abgeleitet,  entmeber  jene  a(§  33erfürjung  au§ 
biefcr,  ober  biefe  al§  ©rmeiterung  au^  jener,  steuere  ^orf^er 
fmb  barin  be^utfamer  geworben  unb  ^aben  bie  ^o^c  Originalität 
jum  minbeften  ber  9Jlartu§parabe(  anertannt.  3)ie  Untrautparabel 
be§  9Äatt^äu§  bürfte  aüerbing§  in  i^rer  gegenwärtigen  ^^rm  eine 
ftarte  Ueberarbeitung  barfteÜen,  aber  nid)t  etma  ber  9}lar!u§pa« 
rabel,  fonbern  eine§  felbftänbigen  auf  3efu$  jurücfge^eubcn  Sßaxa* 
bettem§.  äBoüte  mau  bie  SJlattl^äu^parabel  aU  ©rmeiterung  ber 
9Warfu§parabel  begreifen,  fo  mügte  man  annetimen,  bag  bei  ber 
(Srmeiterung  gerabe  bie  ^ointe  be§  9Wartu§:  ©elbftänbigteit  be§ 
aSBac^^tum^  üerloren  ging,  bagcgeu  bie  ^ointe  bc§9Wattt|äu§:  ®egen- 
fa^  pon  Unhraut  unb  äöcijen  ^injumud)§.  3)ie  Originalität 
ber  9Warfu§pavabel  mirb  aud)  uon  ^.  SBei^  anertannt;  boc^ 
glaubt  er  aud^  ^ier  bie  „@ntimrflung§tt)eorie"  fernhalten  ju  muffen, 
mä^renb  auf  biefem  ^uutt  3  ü  I  i  d|  e  r  ben  fd^on  ermät)nten  aÜe^ 
gorifterenben  SRürffaü  erleibet.  9]a^  i^m  foß  nämli^  bie  'ißarabel 
„an  ber  9lotmenbigteit,  roie  auf  bem  Jelbc  bei  ber  ©aat  e§  Pon 
Stufe  ju  Stufe  uorroärtS  get|t,  bie  unerf^ütterli^e  SRotmenbigteit 
bemonftrieren ,  mit  ber  aud)  basf  ^immclreid^,  gleic^uiel  ob  bie 
SWenf^en  i^m  ben  $Rüden  teuren  ober  ftc^  ju  it|m  bräugen,  ob 
fie  i^m  Reifen  ober  e^  befe^ben,  fi^  meiter  entmicfelt  unb  immer 
weiter,  bi^  ba§  ßiel  errcid^t  ift."  II.  ©.  525.  äöei§  meint 
bagegen,  bei  biefer  ©eutung  werbe  ba§  3Bac^§tum  ber  5rud)t  afö 
ba§  eigentlid^  aSBefentlidje  fo  ftarf  betont,  bag  barüber  bie  mit 
fooiel  Siebe  in  ben  Sßorbergrunb  gefteßte  ^erfon  be§  2anbmann§ 
§u  wenig  beachtet  werbe.  ©.  48.  3)aö  logifc^e  Subjett  beS 
ganjen  ®organg§  fei  überhaupt  nid)t  ba§  Samentorn,  fonbern 
ber  93auer  unb  ber  Sinn  berfelbeu  fei  bemgemä^  ber:    „wie  ber 


^  r  a  u  b :  ^ie  ©egenmart  beiS  ©otteiSreic^iS  ic  69 

Sanbmaim  nad)  üoüjogener  ©aat  nur  warten  fann  unb  bic  ffint* 
ipicKung  be§  Äornö  fic^  felbft  übcrlaffen  mu^,  bi§  bie  SReife  ber 
5rud)t  ben  Scrmin  ber  Srnte  anjetgt,  roic  er  ni^fö  üon  bem 
^^c^s^tumigpro)eg  uerfie^t  unb  in  feiner  SBeife  i^n  )u  beeinfluffeu 
imftaube  ift,  fo  tanu  niemanb,  au^  ^t^n^  nid)t,  baS  Sommen 
be^  9leid)e^  @otte^  bur^  felbfttätige^  ÜWitanfaffen  herbeiführen. 
6«;  tommt,  luenn  nac^  @otte$  ©ißen  feine  3«it  i>o  ift.  35aS 
@(eid)ni^  ma^nt  }u  gebutbigem  äBarten  unb  n^arnt  vov  roidfür- 
liebem  @ingreifenipo0en ,  e$  antwortet  nic^t  auf  bie  t^eotogifc^e 
grage:  u)ie  tommt  ba§  SReic^  @otte§?  fonbern  auf  bie  brennenb 
ungcbulbige:  wann  tommt  e§?  tann  man  nid)t  etroaS  tun,  ba$ 
e^  fc^ncKer  tomme?  93ieUeid)t  menbet  e§  fic^  gerabe  roie  3Kt.  11,12 
gegen  bie  ßtaarat,  tt)eld)c  bas^  ^imme(reid)  f)erbcijroingen,  oom 
^immel  ^erabrei^en  möchten."  ^ier  ermedft  junäd)ft  ber  ©a^ 
©ebenfen,  bo§  ni^t  ba§  ©amentom,  fonbern  ber  33auer  ba§  burc^ 
ba§  ganje  ®Ieic^ni§  l^inburc^ge^enbe  logif^e  ©ubjett  fei.  ®em 
;,mit  fooiel  Siebe  in  ben  äJorbergrunb  gefteßten  fianbmann"  möchte 
ic^  ba§  mit  fo  ftc^tüc^em  9lac^brurf  in§  3^"*^*"^"  gerürfte  aöTO|iocTTj 
cntgcgenfteßen  unb  gerabe  umgete^rt  behaupten:  3)ie  ©^ilberung 
bc§  SBauern  unb  fcine§  9tic^teingreifenfönnen^  ift  nur  SKittet  um 
jene§  aOxoiiaTT)  umfo  einbrürflic^er  ju  ma^en.  @o  oon  innen 
^erau^,  fo  <i\x^  eigener  ^raft  gel^t  ba§  SBBac^ötum  oor  fic^,  ba§ 
ber  aWenfd)  eben  ni^tö  tun  tann,  al§  warten.  Sltlerbingg  ift  — 
ba§  mu§  jugegeben  werben  —  ber  @^Iu^oer§  ber  ^arabct  o.  29 
in  feiner  gegenwärtigen  S^ffung  ftörenb,  aber  boc^  nic^t  unoer* 
ftänblic^,  wie  ber  93er§  in  ber  Ucbertieferung  ^injuwa^fen  tonnte, 
jumal  bei  einem  @oangeliften,  ber  bie  ganje  ^arabel  aU  9(Qegorie 
na^m  unb  in  biefer  oermigtc,  waö  i^m  am  meiften  am  ^erjen 
lag:  ben  ^inwei^  auf  bie  ^^Jarufie  (ogl.  3  ü  l  i  d)  e  r  II.  ©.  544 f.). 
®ibt  man  alfo  ju,  ba^  nid|t  ber  93auer,  fonbern  bie  ©aat  ber 
eigentliche  ©egenftaub  ber  ^arabet  ift,  fo  ift  bie  Äonfequenj  nid^t 
JU  umgeben,  ba^  I)ier  eine  immanente  (Sntwicftung  be§  ©otte^^ 
reic^s^  behauptet  wirb. 

Stber  au^  wenn  3B  c  i  |  mit  feiner  33e^auptung,  ber  3)auer 
fei  ba§  logifc^e  ©ubjett,  9te^t  t|ätte,  ergäbe  fic^  boc^  biefelbe 
Äonfequenj.    :3efu§  fofl  bie  Ungebulbigen   gewarnt   ^aben:   la^t 


70  2;  r  a  u  b :  3)te  ^cgenroart  bcä  ®ottc§rci^§  :c. 

euer  ©türmen  unb  3)rängcn,  c§  I)ilft  boc^  nid|t§;  bentt  an  ben 
Sanbmann,  ber  juerft  fät,  julct(t  erntet  im  übrigen  aber  bie  ©aat 
ft^  felbft  übertaffeu  mu^.  2lber  ein  foldjer  ffiergtei^  bürfte 
ben  (Stürmern  fc^merli^  oiet  ®inbrucf  gemalt  ^aben.  ©ie  tonnten 
fagen,  bajj  natürli^  ein  93auer  nic^tö  tun  tonne,  aU  roarten; 
aber  anber§  fei  e§  bei  i^nen,  bie  e§  mit  bem  SHeic^  ®otte§  ju  tun 
Ratten.  Ober  oielmeI)r,  menn  i^nen  fol^e  ©inmänbe  nic^t  tamen, 
fo  mirb  bie§  baran  gelegen  ^aben,  ba&  ba§  öjaoiov  ber  ^arabel 
eben  no^  me^r  in  fic^  f^Iog,  alö  bie  Unmöglic^teit  be§  ^ingrei* 
fen§,  nämlic^  au^  bie  Urfad^e  biefer  Unmögtt^teit,  bie  barin  tag, 
ba^  ba§  aöxo|AaT7)  im  SReic^  @otte§  ebenfo  gilt,  mie  auf  bem 
©aatfelb.  3)ann  unb  nur  bann  ift  ber  SBergleic^  überjeugeub. 
3)e§l^a(b  ift  ba§  ^tac^^elfenmollen  gteic^  finnloö  beim  9teic^  ®otte§, 
mie  bei  ber  ©aat,  meil  beibe  i^r  eigene^  aBad|§tum  I)aben.  Sa» 
bei  mag  c§  ba^ingefteßt  bleiben,  ob  bie  SRebe  it)re  ©pi^e  gegen 
©türmer  unb  3)ränger  te^rt,  bie  jur  ©ebulb  ermahnt  werben 
fotten;  fie  tann  fic^  ebenfogut  an  SSerjagte  roenben,  benen  ^efu§ 
burd)  fein  ®lei^ni§  ben  SKut  ftärten  moUte.  3)a§  SRefuItat,  bag 
üon  einer  immanenten  ©ntmictlung  bie  Siebe  ift,  bleibt  beibemal 
ba^fetbe. 

Slber  gerabe  biefer  ©ebante  einer  „immanenten"  ®ntmid(ung 
wirb  au^  nod)  oon  anberer  ©eite  in  3lnfprud)  genommen.  33ei 
@.  ^aupt  ©.81  lefen  mir:  „2lUerbing§  roirb  ja  in  aÜen  ®(ei^» 
niffen,  bie  ben  93erg(eid)  mit  einem  Samen  enthalten,  am  meiften 
bem  t)om  felbftma^fenben  ©amen  Wie.  4, 26,  ferner  in  ben  ®lci^^ 
niffen  üom  ©enftorn  unb  ©auerteig,  oon  einer  ©ntmirftung  ge* 
rebet,  aber  ber  9tac^brud  liegt  nie  barauf,  ba^  oon  fetbft, 
bur^  einen  9t  a  t  u  r-^roje^,  ba§  fd|lie^(i^c  SRefultat  ^erau^tommt." 
Slber  9Wc.  4, 28  I)eij3t  e§  bo^  mit  aüer  münf^en^merten  3)eut(ic^* 
feit:  aÖT0|iiT7)  t^  yi]  xapnocpopet  unb  auf  biefem  aÖTojiaTTj 
liegt  ba^  ^auptgemid^t  ber  ganjen  ©djilberung.  3Bie  man  ange« 
fid)tg  beffen  baö  „oon  felbft"  beftreiten  tann,  t)erftef)e  i^  nic^t. 
93ei  ^aupt  bürfte  fid^  bie  93eftreitung  barauf  ertlären,  ba§  er 
ba§  „oon  felbft"  fofort  mit  bem  „5taturprojeJ3"  ibentipjiert.  3tber 
ba§  ift  oorcitig.  ®er  „oon  felbft"  oor  fid)  ge^enbe  ^roje^,  ber 
auf  bem  -Jtaturgebiet  ein  ^laturproje^  ift,  ift  natürli^  auf  geiftigem 


2:raub:  Die  Gegenwart  ht&  @otte§reic^g  2C.  71 

©ebict  ein  geiftigcr  ^rojc|.  SBBcnn  bann  ^  a  u  p  t  bcn  oben  be* 
gonnenen  Sa^  fo  fortfe^t:  „fonbcrn  teils,  unb  jmar  gevabe  in 
bem  ®(eic^ni§  ajlc.  4,26,  barauf,  ba^  bie  göttlid^c  Äaufali» 
tat,  bie  ben  Samen  fäet,  au^  geroi§  i^n  jur  2lu§bilbnng  gelangen 
laffen  tann,  o^ne  ba§  m  e  n  f  c^  l  i  ^  e  e;  93emü^en  baju  nötig  ift", 
fo  beruht  bie§,  roie  mir  fd^eint,  auf  einer  unjulägigen  ^fneinan* 
bermeugung  üon  ©a^e  unb  33ilb.  aSon  einer  göttli^en  Äaufa» 
lität,  bie  ben  Samen  fät,  fagt  ber  Seyt  fein  SBort;  fonbern  „ein 
ÜWenfc^"  ftreut  ben  ©amen  au§  unb  ber  ©egenfat)  beS  33i(be§ 
ift  nic^t  ber  üon  menfd)Iic^em  93emü^en  unb  gÖtt(id)er  Äaufalität, 
fonbern  üon  menfc^lid)em  ©emü^en  unb  immanenter  9kturfraft; 
biefem  ©egenfa^  be§  93i(be§  entfprid)t  in  ber  ©ad|e  ber  ®egen* 
fa^  üon  menfd)lid|em  ©emü^cn  unb  immanenter  ©otte^fraft. 

6§  roitt  alfo  auc^  ^ier  nid)t  angeben,  ben  ©ebanfen  einer 
©ntmirffung  ju  eSfamotieren.  SBenn  QefuS  mirflic^  bie  brei  ^a^ 
rabeln  oom  ©enfforn,  oom  Sauerteig  unb  ber  felbftn)ad)fenben 
Saat  gefproc^en  ^at,  fo  ^at  er  babei  ben  ©ebanfen  einer  irbifd)cn 
(Sntroicllung  beS  ®otte§reid|§  im  Sinne  gehabt,  g^eilid)  fte^t 
baneben  ber  rein  tranSfjenbente  33egriff,  unb  jmar  nimmt  er  quan- 
titotio  ben  breiteren  9laum  ein.  SIber  mir  l^aben  fein  9te^t, 
beS^alb  bie  anbcre  SJorftedung  auSjuf^eiben ;  üielme^r  ^aben  mir 
einfa^  bie  2:atfac^e  anjuerfennen,  ba&  beibe  93orftelIungen  in  ber 
•ißrebigt  3efu  nebenanberfte^en  unb  ein  einbeutig  beftimmter  93e5 
griff  be§  ®otte§reic^§  bei  i^m  nic^t  uor^anben  ift. 

®S  ift  aber  nocb  ein  anbere§  $arabe(paar,  ba§  fic^  ber  e§* 
d)atologifc^cn  3)eutung  be§  ®otte§rei^§  nid)t  fügen  roid.  3)en 
Sc^atj  unb  bie  "ißerle  möchte  ic^  in  biefem  ^ufammen^ang 
nic^t  aufführen.  |)ier  ift  fo  beutlid)  ber  atte§  überragenbe  SBert 
beS  ®otteSreid)S  ber  SSergleic^ungSpuntt,  ba^  man  nic^t  ermarten 
barf,  noc^  irgeub  einen  anberen  ätuff^tu^  aber  baSfelbe  ju  er^ 
galten  a(§  eben  ben,  ba|  ein  SWenf^  bereit  fein  mu^,  aüe  anberen 
®üter  um  be§  ®otteSreic^§  mitten  branjugeben.  3)iefc§  äBertur» 
teil  uer^ält  ftc^  aber  oottftänbig  neutral  ju  ber  t^rage,  ob  bai^ 
@otte$reid)  eine  gegenmärtige  ober  eine  jutänftige  ®rö^e  ift.  ^2(u^ 
im  letzteren  gatte  befte^t  e§  ju  SRec^t.  SBenn  freiließ  333  e  i  g  au§^ 
brürflic^  betont,   ber  SSorgang  werbe  in  ben  ®leic^niffen  fo  ge^ 


72  Zxanh:  %iz  (Gegenwart  be^  ©ottegreic^ö  k. 

fc^ilbcvt,  ba^  um  ciue§  nod)  fernen  ®ut§  rotßen  alle  erbent* 
(id)cn  Opfer  gebraut  werben  muffen,  fo  roitt  mir  faft  fc^einen, 
qI§  ob  auc^  er  ^ier  einen  oüegorif^cn  SWüclfaH  erlitte.  Ob  ba§ 
®ut  ein  na^e$  ober  fernem  ift,  ba§  ift  im  Sßerglei^  mit  bem  SBert^ 
gebanten,  ben  bie  ^arabetn  auSfprec^en  moUen,  oöüig  gleichgültig. 
Qn  beiben  "^ali^n  gilt  e§  um  feinetmiKen  aüe§  anberc  ju  opfern. 
9Iuc^  barouf  möchte  i^  fein  ©emic^t  legen,  ba^  bo^  $imme(reid) 
^ier  aU  ein  ®ut  erfc^eint,  bQ§  ber  ©injelne  crmerben  foK.  Qx\§ 
tünftige®otte§reid),  fönnte  gefogt  werben, fommt  man  l^inein  ober 
nimmt  an  i^m  teil,  aber  man  ermirbt  ober  beft^t  e§  nic^t.  @§ 
fd^eint  alfo  ber  formale  ©egriff  be§  „3ieid)§"  überhaupt  oerlaffen 
unb  ber  eine§  ®ut§  für  bie  einjelne  Seele  an  feine  Stelle  ge« 
treten  ju  fein.  2lber  jene  2lu§brud§meife  fann  au^  nur  populäre 
^reoiloquenj  fein.  3Kan  fagt  Himmelreich  unb  meint  bie  2:eil^ 
na^me  am  ^immelreid^.  ^f  ö  l  i  rf)  e  ^*  "^i^b  5Hecf)t  ^aben ,  menn 
er  fagt:  „wie  iebermann  um  eine^  großen  ®lüc(^gut§  mitten  (§.  ^. 
©d^a^,  ^erle)  bie  Heineren  alle  jufammen  gern  unb  freubig  ba^ 
Eingibt,  fo  mu^  ber  SWenf^  um  be§  ^immelrei^ö  miHen,  b.  ^. 
um  ba  hinein  ju  gelangen,  auf  alle§  anbere  oerjidjten." 
IL  @.  583.  Slucf)  ift  ja  allgemein  jugegeben,  ba^  au§  ber  granu 
matifalifct)en  gorm  ber  @inleitung§formeln  fein  @d)lu|  auf  bie 
logif^e  Orbnung  ber  93egriffe  in  ber  "ißarabel  gejogen  merben 
fann.  SBenn  e§  ^ei^t:  „ba§  Himmelreich  ift  einem  ©c^af^e  äf)n= 
lic^,  ber  im  3lrfer  oerborgen  mar",  fo  folgt  barau§  nic^t,  ba^ 
nun  ba^  H'^^^^f^«*^  ^^^W  wnter  bie  Kategorie  eine§  Sc^atje^ 
ober  eine§  ®ut§  geftetlt  merben  foU.  2)ie  näd^fte  ^arabel  beginnt 
ja:  „SHJiebrum  ift  ba§  Hi"^"^^'^'^^)  ä^nlid^  einem  Kaufmann". 
Hier  märe  eine  analoge  ©c^lu^folgerung  a\\^  ber  grammatifali^ 
fd)en  5otm  abfurb.  Sßielme^r  fmb  jene  Sinleitung^formeln  etma 
JU  umfc^reiben:  im  H"""^elreic^  ge^t  e§  fo  unb  fo  ju,  mie  in 
ber  ©efc^ic^te  uom  ©c^a§  unb  oon  ber  ^erle. 

dagegen  finb  e§  bie  Unfraut^^  unb  gif ct)ne t^parabel, 
meldte  ber  e^^atologifc^en  g^ffung  be§  Hi"^"^^^^^^^^  entgegen* 
fte^cn.  ®ö  ift  auffallenb,  ba^  SBeig  fic^  nirgenb§  in  feinem 
93uc^e  mit  biefen  ^ßarabeln  auSeinanberfe^t.  ®r  rebet  immer  nur 
oon  ber  fefunbären  9)latt^äu§rebaftion,    in   ber  beibe  überliefert 


Staub:  5)ie  ^egenmatt  bcS  ©otteörcic^S  ic  73 

fmb,  roirft  ober  nie  bie  %xaqe  auf,  ob  ni^t  ber  fetunbären  ©e- 
arbeitung  ein  originaler  Äern  ju  ®runbe  liegt.  Unb  bod)  lä^t 
ftc^  taum  annehmen,  ba^  bie  Parabeln  al^  ®an}e§,  aud^  i^re 
©ilb^älfte,  oon  @uangeliften  erfunben  roorben  wären.  3)ie  3)eu* 
tung  ftammt  mo^l  oon  i^m  nnb  mag  oielfac^  auc^  bie  (Raffung 
be§  %i(be$  beeinflußt  l^aben.  3Iber  bog  ^ilb  fetbft  i^m  ju}u^ 
fc^reiben,  ^aben  n)ir  fein  SWedit.  ^at  aber  3f^fu§  roirttic^  einmal 
ba$  ^immelreid)  mit  einem  2lc(er  oergli^en,  auf  bem  Un!raut 
unb  aOBeijen  nmdift,  unb  mit  einem  ^ifd^ne^,  in  bem  gute  unb 
faule  Sif^ß  Pnb,  fo  ift  flar,  ba|  er  bamit  nur  bai8  ^immelreid) 
in  feiner  irbifc^en  (Sntroidflungöftufe  gemeint  ^aben  tann;  benu 
nur  bei  biefem  trifft  e§  ju,  ba^  neben  ben  guten  auc^  böfe  ®te* 
mente  fmb.  gerner  ift  flar,  baß  ba^  ^immelreid)  in  ber  ©emein- 
fc^aft  ber  3Menfd)en  fid)  barfteHt,  bie  baju  gehören;  biefe  fmb 
normaler  S33eife  gute  ÜWenf^en;  aber  bie  Unoolltommen^eit  alle§ 
5irbifc^en  bringt  e§  mit  fic^,  baß  auc^  böfe  baruntcr  finb.  So 
ganj  o^ne  allen  ejcegetifc^en  @runb  ift  alfo  bie  ^Jleinung  bod) 
nic^t,  baß  Sefu§  ben  Slnbrud)  be§  @otte§reid^8  im  Äreife  ber 
9Reffia§gläubigen  ertannt  i)abt,  3)aß  er  ba§  ®otte§rei^  immer 
fo  oerftanben  \)ab^,  bel^auptet  niemanb.  3)aß  er  e§  auc^  fo  ge- 
bockt i)at,  fd^eint  mir  burc^  bie  Parabeln  oom  Senftom,  oom 
Unfraut  unb  oom  5ifd)ne^  bemiefen  ju  fein. 


211«  31.  JRitfc^l  ben  überaus  frud)tbaren  ©ebanten  bes 
@otte§reid)§  jum  2lufbau  feine«  t^eologifc^en  Sgftem«  oermcrtete, 
machte  i^m  bie  jeitgefc^i^tlic^e  93ebingt^eit  biefe«  ©ebanten«  in 
ber  SBertünbigung  Qefu  menig  Sorge.  @r  befinierte  ba«  9leid) 
©otte«  al«  bie  ©in^eit  be«  ^öd)ften  ®ut«  unb  be«  fittlic^en  -^beals 
unb  mar  überjeugt,  bamit  aud)  ben  Sinn  be«  9lu«brucf§  bei  O^fu« 
getroffen  ju  ^aben.  Qa  er  glaubte  fogar  au«  ben  ®leic^niffcn 
^erau«julefen,  baß  ba«  JRei^  ®otte«  burd)  bie  fittlid^e  2lrbeit  ber 
9ieic^«genoffen  ju  ftanbe  fommt.  „3)ie  ®leid)ni«reben  (üJic.  4), 
meiere  bie  ®el)eimniffe  be«  9leic^e«  ®otte«  barftetlen,  inbem  fie 
in  ben  ©itbern  oom  aBac^«tum  be«  ©etreibe«  u.  bergl.  fic^  be^ 
wegen,  beuten  unter  ber  5rud)t  immer  ein  ^robuft  ber  9Wenfd)en 


74  ^  r  a  u  b :  ^ie  @e9enn)art  beS  Q^otte§reic^§  2c. 

an,  roelc^c^  au§  beten  Selbfttätigfeit  I)eroorgc^t,  bie  bur^  bie 
göttlid|c  ©aat,  b.  \).  ben  eintrieb  beS  göttlid)en  OffcnborunggroortS 
t)erüor9erufen  roivb."  (Unterricht.  3.  2luf(.  @.  3.)  3)q§  ift  nun 
freilid)  fo  jiemlid)  ba§  ©egentcil  von  bem,  n)Q§  fpejiell  bie  ©aat- 
parabel  be§  9Wc.  4,26  fagcn  mü.  3)enn  i^rc  aWeinung  ift,  lüic 
wir  gefc^cn  ^aben,  gerobe  bie,  bag  bie  9Jlenfc^en  nid)t§  boju  tun 
tonnen.  Ob  nid)t  ber  ©ebante  SR  i  t  f  d|  ( §  in  anberen  3leu§erungen 
Qefu  bod|  feinen  3tn^Q(t  ^at,  tann  l^ier  ba^ingeftettt  bleiben.  Qt- 
benfattg  war  fein  ganje^  ^ntereffe  üon  ber  bogmatifc^en  SBerroert^ 
barfeit  ber  ®otte§rei^§ibec  fo  gefeffelt,  ba|  bie  rein  t)iftorif^e 
?^rage,  roaö  ^t^n^  mit  jener  Qbee  gemeint  ^abe,  i^m  ni^t  in  i^rer 
üotten  2:ragmeite  jum  93emu^tfcin  tom.  ^eute  fommen  mir  Ieid)t 
in  bie  entgegengefe^te  ®efa^r.  ®erabe  bie  bogmatifd)e  93ermertung 
mac^t  gegen  jebeö  SWefultat  ber  ^iftorif^en  Unterfu^ung,  melc^e§ 
jene  SBermertung  begünftigt,  mi^trauifc^.  Um  jeben  ©d^ein  bog« 
matif^er  SBoreingenommenl^eit  ju  oermeiben,  ift  man  geneigt,  einen 
folgen  ©inn  ber  5Reic^§gotteöibee,  mel^e  fie  ber  mobernen  2)eu5 
tung  annähert,  oon  t)ornt)erein  abjute^nen.  5)aju  tommt  ber 
ftarfe  Sinbrucf  ber  reIigion§gefd^ic^tIi^en  S^rfc^ung,  meiere  ben 
35Iic(  für  bie  roeitreic^enbe  Uebereinftimmung  be§  eDongetifc^en  unb 
be§  apofalgptifc^en  93egriffe§  in  überrafd)enber  äBeife  gefc^ärft  ^at. 
3tber  meber  biefe^  ^iftorif^e  noc^  jeneS  bogmatifd)e  btiw.  antu 
bogmatifc^e  üJiotiu  barf  un§  ben  33lid  für  bie  Satfa^e  trüben, 
ha^  nac^  eyegetif^em  93efunb  bei  Qefu§  beibe  aSorfteÜungeu  üor* 
Rauben  fmb,  bie  apofalriptif^e  unb  bie  geiftige.  33eibe  tf)eoretifc^ 
gegeneinanber  au§jug(ei(^en,  (ag  nid^t  in  feinem  93eruf.  ©eine 
ganje  ©eele  ^ing  an  ber  praftif^en  Stufgabe,  3Kenf(^enfeelen  für 
@otte§  Sleid)  ju  geminnen.  ®ar  nichts  (ag  i^m  an  ber  3luf* 
fteUung  eineö  t^eoretif^  unanfechtbaren  33egriff§. 

©in  bogmatifcl)e§  :3ntereffe,  biefe§  9lefultat  feftjufteUen,  liegt 
meinet  ®rac^ten§  nic^t  oor;  jebenfallö  glaube  ic^  e§  auf  rein  eye* 
getifcl)em  3Beg  gemonnen  ju  l)aben.  3)a§  innere  Seben  ^efu  fönute 
auc^  bann  gunbament  unfere^  @lauben§  fein,  menn  feine  2lnf^au^ 
ung  oom  SHeic^e  ®otte§  au^fc^lie^lic^  e§cf)atologifcl|  beftimmt  märe. 
3)ie  fgftematifc^e  2:^eologie  mü§te  bann  entmeber  auf  ben  93egriff 
oerji^ten,  ober  oor  feiner  Sßerroenbung  au^brücflic^  feftftellen,  i>a^ 


2: raub:  ^tc  ©cgcnioort  be8  ®ottcäretc^g  :c.  75 

ftc  i^n  in  einem  burc^au^  neuen  ©inne  gebraucht.  93eibe§  wäre 
mögli^,  o^ne  bie  fiö§barfeit  ber  fgftematif^en  Slufgabe  in  Jragc 
ju  fteßen.  ^ft  obev  ba§  gewonnene  SHefuttat  ri^tig,  fo  folgt, 
ba^  aud)  bie  moberne  93ern)enbung  in  ber  ^rebigt  Q[efu  einen 
3ln^a(t  ]^Qt.  2lu^  91  i  t  f  c^  l  l^at  bann  nic^t  fo  ganj  fel)lgegriffen, 
roenn  er  aud)  über  ba§  3Wa§  ber  Uebereinftimmung  jroifd^en 
bem  urfprünglic^en  ©inn  unb  ber  mobernen  ffierroenbung  be^  93e* 
grip  fxd)  getaufc^t  f)at. 


76 


95on 
^rofcffor  Lic.  Dr.  SBoiietmtii. 

Sie  ©cfc^i^te  ber  proteftantifc^en  2:^eolo9ic  ber  (ct(tcn  100 
Oa^ve  (ä^t  fic^  um  jroei  ^auptioerfe  gruppieren,  roetc^c  bie  roid)- 
tieften  ÜWorfftcinc  it)rer  ©ntroirfelung  repräfentieren :  ©^Icier:= 
mac^erg  @(aubcn§(el)re  au§  bem  Slnfong  be§  abgelaufenen  3a^r* 
]^unbert§  unb  ^arnacl§  ©ogmengef^i^te  au§  ber  ©nbjcit  be^- 
felben.  ^n  ber  c^arafteriftifc^en  ®igentflmli^feit  biefer  beiben 
standard-works  tritt  jugleid)  bie  9}erf(i^iebenartigteit  ber  entfpre- 
c^enbeu  ©pochen  t^eologif^er  2lrbeit  beutlic^  ju  Jage.  S)enn 
roä^renb  in  ©c^Ieierma^er^  ®lauben$let|re  baö  fgftematif^^P^f"' 
latipe  3>wtc^cffß  ^ö^  bur^au^  t)ort|errfd)enbe  ift,  be^errfc^t  ebenfo 
auöf^laggebenb  in  ^amacl^  3)ogmengefc^i^te  ba§  ^iftorifc^e  Qn- 
tereffe  bie  t^eologifc^e  ©efamtauffaffung  unb  ©efamtbeurteilung, 
\\\6)t  etwa  nur  bie  93eurtei(ung  ber  gefd)id)tli^en  ©injeltatfac^eu 
unb  ber  gef^i^tli^en  ©injeteutroirflungen.  ^nhtm  wir  ba^er  biei^ 
ißer^ältnig  ber  beiben  epoc^emac^euben  SBerfe  su  einanber  l^erau^- 
[teilen,  ertennen  roir  bamit  jugleic^  bie  3lufgabe  ber  J^eologie 
für  bie  ©egenwart  unb  für  bie  näc^fte  ßufwnft:  bie  Stufgabe 
nämlic^,  auf  ber  ©runblage  einer  befferen  t)iftorif^en  (Sinfic^t  in 
bie  Slnfänge  unb  bie  gefc^ic^tlic^e  Sntroicflung  ber  c^riftlic^en  SRe- 
ligion,  al§  fie  bie  3^it  @d)leicrmac^er§  befa^,  wieber  eine  um= 
faffenbe  c^riftlic^^religiöfe  ©efamt-SBeltanfc^auung  }u  erarbeiten, 
um  bie  fic^  unfere  3^i^  i^ur  in  fe^r  geringem  9Jla&e  bemüht  ^at. 

3Bieberum  aber  ift  e§  au^erorbentlic^  c^aratteriftifd),   ba^ 


ffiobbermin:  äoifp  contra  |)antacf .  77 

gerabe  ber  gro^c  SWeiftcr  ber  Äirc^cngefc^ic^tc  —  beraubt  ober 
unben>uJ5t  —  mit  baju  beigetragen  ^at,  weiteren  t^eoIogifd)en 
Ärcifen  bic  9totn)enbigteit  unb  ^ebeutung  einer  fi)ftematif^=p^i* 
lofopl^ifc^en  93earbeitung  ber  ^riftli^en  Sieligion  auf§  9teue  jum 
'öeroultfein  ju  bringen,  inbem  er  felbft  bic  ©runbjügc  einer  fotc^en 
entworfen  ^at.  S)cnn  ba&  feine  unter  bem  2:ite(:  „3)a§  SHJefen 
be^  ®^riftentum§"  herausgegebenen  93orIefungen  eine  folc^e  äBir- 
fung  ausgeübt  l^aben  unb  fortbauernb  ausüben^  bürfte  ni^t  me^r 
bejroeifelt  werben  tonnen,  n)ennfd)on  bie  in  biefer  SRic^tung  tie* 
genbcn  SSerbienfte  be§  oiel  befproc^enen  93uc^c§  bi§t|er  taum,  je* 
benfaU§  nic^t  l^inreic^cnb  ^eroorge^oben  unb  geroürbigt  roorben 
fmb.  3lber  mie  unfrud^tbar  ermeift  fi^  überhaupt  ber  roeitauö 
größte  2^eil  ber  faft  in§  Unüberfe^bare  angeroac^fenen  ®egenlite= 
ratur  gegen  biefe  ^arnacffc^en  93oriefungen !  3)a  fic^  bie  9Wet)r^ 
ja^(  ber  Ärititer  nic^t  bie  ajlü^e  gegeben  ^at,  ober  aber  nic^t  im 
ftanbe  gemefen  ift,  bie  treibenben  äWotioc  unb  bie  legten  Senbenjen 
ber  9lu§fül)rungen  |)arnac(S  ju  erfaffen  unb  i^nen  ben  SWa^ftab 
jur  Beurteilung  be§  93uc^e§  ju  entnehmen  ober  menigftenS  anju* 
paffen,  fo  berühren  aud)  bie  meiften  biefer  Äritifer  ben  Sern  ber 
Sac^e  entroeber  überhaupt  nid)t  ober  bod)  nur  in  fc^iefer  unb 
entfteüenber  SDßeife »). 

53ei  biefem  Stanb  ber  3)inge  ift  e§  um  fo  auffaüenber  unb 
erfreulicher,  ba&  ju  ben  mcnigeu  rü^mtic^en  Slu^na^men  bie 
©egenf^rift  eineS  f  a  t  ^  o  I  i  f  c^  c  n  J^eologen  gehört,  nämlid)  be§ 
franjöfifc^en  Slbbe  2llfreb  Soifq  ,,@t)angeHum  unb  Rir^e".  2)iefe 
Schrift  barf  —  roie  immer  man  im  übrigen  über  i^re  eignen 
Sluffteflungen  urteilen  möge  —  jebenfaUS  ben  9lnfpru^  ert)eben, 
in  einer  Steige  uon  fünften  bie  burd)  ^arnacf  angeregten  *ißrobleme 
nod)  fd)ärfer  ^erauSgeftcllt  unb  fie  burd)  i^re  "^^olemif 
g  e  f  ö  r  b  e  r  t  ju  ^aben. 

Bei  ber  erften  Seftüre  be§  Buc^eS  ift  ber  ©inbrudE  fogar  ein 
gerabeju  frappierenber.  ©§  übertommt  einen  bie  Stimmung  be§ 
betannteu  ©tubentenliebe^ :    „SJec^ter  §anb,  linfer  ^anb,   altesi 

1)  ©ine  gut  orienticrcnbe  UebcrRc^t  über  bie  roic^tigften  ©egenfc^riften 
fiiibet  man  bei  @.  $Rolff§,  §arnacf§  ©efen  be§  ©f)riftentum§  unb  bic 
relifliöfcn  Strömungen  ber  ©egenroart,  Seip^ig,  §inrirf)§,  1903. 


78  Sßobbermin:  ßoifp  contra  ^amoc!. 

üevtQufc^t".  3)cnn  c§  fd^cint  einen  Stugenblirf,  aU  fei  ber  tatI)o^ 
lifc^e  2lbbe  bem  proteftantifc^en  S^rfc^er  an  SHJeite  be§  93Iicte§ 
unb  Unbefangenheit  be§  Urteilet  überlegen,  al§  rourjele  er  tiefer 
unb  fefter  benn  ber  le^tere  in  ben  @runbanfd)auungen  ber  mo^ 
bernen  SEBiffenfc^aft.  Qk\)t  fic^  bo^  lüie  ein  roter  gaben  burd) 
alle  feine  Erörterungen  bie  93erufung  auf  bie  gefe^mä^ige  @nt* 
roicllung  roie  aUe^  ©ein§  unb  ®ef^e^en§,  fo  aüe§  gefd^i^t(id)en 
3Berben§  l^inburc^. 

„SDBenn  man  ba§  ^rinjip  auffteÜt,  ba&  alie^  nur  in  feinem 
urfprüngtic^en  3wftanb  ®jiftenjberec^tigung  ^at,  fo  gibt  e§  feine 
Einrichtung  auf  ber  ®rbe  unb  in  ber  menfc^tid^en  ®efd)id)te, 
beren  Segitimität  unb  SEBert  nic^t  beftritten  werben  tonnte.  ®in 
fold)e§  ^rinjip  läuft  bem  ©efefe  beö  ßeben§  jumiber,  roetc^eS  eine 
93emegung  unb  ein  beftänbige§  Streben  nad)  2lnpaffung  an  eroig 
roec^felnbe  unb  neue  33ebingungen  ift.  ®a§  ©^riftentum  ^at  fic^ 
biefem  ®efe^  nic^t  entjogen  unb  e§  barf  nid)t  getabett  werben, 
meit  e§  fid)  it)m  gefügt  ^at.  ®§  fonnte  nic^t  anber§  ^anbeln." 
(@.  118.) 

2:rägt  nid)t  eine  Äritif,  bie  uon  fo  uerftänbigen  SBorauö^ 
fe^ungen  au§ge^t,  oon  Pornt)erein  bie  ©arantie  ber  Sti^tigteit  in 
fi^?  @§  fc^eint  fo.  Unb  boc^  ift  e§  nur  ©d^ein.  5)er  aufgeftellte 
©runbfa^  ift  freiließ  unanfechtbar:  er  be]^errfd)t  aber  aud^  ^arnarf§ 
®arftellung  minbeften§  in  bemfelben  SJiage  roie  biejenige  fioifg§, 
menn  fct)on  i^n  ber  (entere  mit  größerer  2lbfic^tlic^teit  immer  unb 
immer  mieber  betont,  mä^renb  i^n  ^arnad  gemö^nti^  einfa^  al§ 
pöUig  felbftoerftänbli^  porauöfefet.  ®§  tommt  aber  atte§  auf  bie 
airt  unb  Söeife  an,  biefen  ©runbfa^  nu^bar  ju  machen.  Unb  ba 
gilt  nun  jundd)ft  pon  ben  beiben  oerfc^iebenen  2luffaffung§meifen, 
JU  benen  ^arnact  unb  Soif^  oon  it)m  au§  gelangen,  in  weitem 
Umfange  ba§  ©ic^termort: 

9luf  ber  SBibaffoabrücfe 
Spielt  ein  rounberfam  ®efic^t, 
3Ö0  ber  eine  Schatten  fiel^et, 
(3ief)t  ber  anbere  lauter  fiic^t! 

@5  tann,  wie  mir  fc^eint,  im  ©ruft  boc^  fein  äw^^U^l  i>ör* 
über  fein,  ba^  ^arnarf!»  33enu^ung  unb  2lu§legung  jene§  ©runb* 


äBobbermin:  Soifp  contra  ©aritacf.  79 

fa^eS  bie  ungleich  fa^Kc^ete,  bem  roirtli^en  Sotbeftanb  oUein 
gerecht  rocrbenbc  unb  alfo  and)  btc  aßcin  roirflic^  tptffenfc^aftlic^c 
ift.  2Biv  muffen  aber,  um  ba§  ju  ermcifcn,  ctroa§  weiter  aus- 
holen. ®Qbei  mirb  fid)  jugleic^  jeigen,  iniüieferu  Soifgg  33uc^ 
tmmcrl^m  ba§  SBerbienft  ^ot,  oon  bem  id)  fc^on  fprac^,  bie  Probleme 
mel^rfad^  ipirfUd)  geförbert  ju  f)aben. 

2111  „ba§  SBefen  be§  S^riftentumS"  beaeid)net  ftc^  |)amarfS 
befannteJ,  non  fioifg  befämpfteS  Sud^.  S)iefer  2:itel  ift  au§  ber 
SCufünbigung  ber  öffentlichen  93or(efung  mit  ^erübergenommen, 
beren  getreue  SBiebergobe  ba§  33 uc^  barfteüt.  „3)a§  tü^ne  Un= 
terne^men  in  wenigen  ©tunben  ba§  ^oangelium  unb  feinen  @aug 
bur^  bie  ©efc^i^te  ju  be^anbeln,  tonnte  id^  mie  oor  mir  felbft 
fo  oor  meinen  Sefern  nur  rechtfertigen,  menn  ber  ®arfteHung  ber 
S^arafter  afabemifcl)er  SSorlefungen  gematirt  blieb"  ^).  ©c^on 
barau§  ergibt  fic^,  ba&  ber  93egriff  „SBefen  be§  ©tiriftentums" 
mit  Sßörbe^alt  ju  oerfteI)cn  ift.  ^arnocf  felbft  lä^t  gar  feinen 
3n)eifel  barüber,  ba^  e§  i^m  in  biefcr  93orlefung  überall  einjig 
barum  ju  tun  ift,  ju  ermitteln,  melc^eS  bie  ma^re  c^riftlid)e 
9t  e  1 1  g  i  0  f  i  t  ä  t  ift,  ba&  alle  feine  ©rörterungeu  bireft  ober  in- 
birett  biefem  Sroed  bienen.  Qn  biefem  ©inne  „3)a§  SBBefen  ber 
c^rifllic^en  Sleligiofität"  ift  alfo  ber  Jitel  „®a§  ffiefen  be§  &\)v'u 
ftentum§"  ju  oerftelien.  Unb  ber  2:itel  ^at  au^  feine  gute  33e- 
rec^tigung,  bo  bie  SJeligiofität  —  bie  grömmigteit  ate  fold)e  — 
burc^auö  bie  ^auptfa^e  in  unb  au  jebcr  6rfcl|einung§form 
ber  c^riftlic^en  äleligion  ift,  jebenfattS  immer  bie  ^auptfac^e  fein 
foKte.  2lber  man  tonnte  allerbingS  ben  93egriff  „SBefen  be§ 
®^riflentum§"  auct)  meiter  faffen,  nämlic^  fo,  bog  er  bie  gefamte 
Äulturcntmictlung  mit  in  fic^  f^lie^t,  ju  ber  ba§  S^riftentum 
gefü^tt,  bie  e§  fojufagen  au§  fid^  ^erauS  gefegt  ^at.  ®eun  burc^ 
bie  ®ott-'2Beltanfc^auung,  bie  baS  ©^riftentum  als  9teligion  in 
fic^  f^liegt,  tritt  e§  jeweilig  ju  ber  gefamten  ©eifteSbilbung  unb 
Äulturentmictlung  in  93ejief)ung.  2luS  biefer  Sejie^ung  ergibt  fid) 
bann  eine  mec^felfeitige  Seeinfluffung  herüber  unb  tjinüber,  fo 
ba|  ba§  9Jla|  oon  ©inmirfung  unb  iRüctmirtung  erforfct)t  unb 

1)  $arnacf  im  Vorwort  feinet  Söuc^esi. 


80  3Bobbermin:  8oif 9  contra  ©amarf. 

mit  ciuanbcr  üergti^cn  werben  mu^,  wenn  ba§  juftanbc  gefommenc 
'ißrobuft  auf  feine  mc^r  ober  weniger  gro&e  „S^riftli^feit"  beur- 
teilt werben  foll.  3)a§  aSermittlung^glieb  für  biefen  ^roje^  ber 
SBe^fetwirfung  mit  ber  jeweiligen  ®efamt=®eifte§bi(bung  liefert, 
wie  gefogt,  bie  ©ott^aBettanfäiauung ,  we(d)c  bie  c^riftüd^e  SReli- 
gion  in  fic^  fc^Ue^t.  3)enn  wenn  and)  bie  d)riftli^e  JReligion  ju* 
näc^ft  unb  bireft  etwa§  anbere§  ift,  al§  eine  ©ott-SBeltanfc^auung 
(fie  ift  eben  }unäd)ft  religiöfe§  Seben,  religiöfeö  ®rlebni§),  fo 
fd)Iie^t  fie  bod^  gewiffe  Äeime  unb  Stnfo^unhe  für  eine  beftimmte 
@ott*9Bc(tanfd)auung  in  fid).  5)a§  religiflfe  ®r(ebni§  in  feiner 
fpejifif^  c^rift(id)en  gorm  unb  Färbung  i)at  nämlic^  eine  beftimmte 
®ott^9Beltanf^auung  jur  a3orau§fe|^ung  unb  jwar  jur  unbebingten 
35orau§fe^ung :  alfo  in  ber  ffieife  jur  SBorau^fe^ung,  ba^  e§  felbft 
mit  i^r  fte^t  unb  fällt.  3)q§  gilt  natürlich  nid|t  oon  einer  be* 
ftimmten  ®in}el«2lu§prägung  biefer  ®ott=aBeltanfct)auung ,  wo^l 
aber  gilt  e§  oon  i^r  felbft  al§  gaujer,  oon  i^rer  prinjipieüen 
®runb^93etrac^tung  ober  ®runb=3^bee.  ©0  fü^rt  alfo  bie  c^rift* 
lic^e  9leligion  —  notwenbig  unb  unabweiölid^  —  in  erfter  Sinie 
auf  bem  ®ebiete  ber  ®rtenntni§  unb  ber  aBeltanfd)auung  ju  einer 
2lu§einanberfe^ung  mit  ber  übrigen  ®eifte§bilbung,  weiterhin  er^ 
ftrccft  firf)  biefe  2lu§einanberfe^ung  unb  wec^felfeitigc  Seeinfluffung 
bann  auf  bie  ganje  33reite  unb  Jiefe  ber  ®eifte§bilbung  überhaupt. 
3)a  biefer  ganje  ^rojeg  i  m  i  n  n  e  r  ft  e  n  Ä  e  r  n  ber  ^riftlid)en 
SReligion  angelegt  ift,  fo  fann  man  ben  93egriff  „ffiefen  be§  ®^ri* 
ftentum§"  auc^  entfprec^enb  weit  faffen,  unb  bann  gel^ört  jur  (&nU 
faltung  be§  aSBefen^  be§  ®^riftentum§  allerbingg  auc^  ein  ©in« 
geben  auf  bie  gefamte,  irgenb  wie  unter  c^riftlic^em  ®influ| 
ftetienbe  Äulturentwictelung,  überhaupt  auf  ba§  ganje  —  fei  eS 
pofitioe,  fei  eS  negatioe  —  ^ejiet|ungsiüert)ältni§  ber  c^riftlic^en 
Sieligion  jur  fonftigcn  Kultur.  ®ag  ^arnarf  fi^  bie  Slufgabe 
fo  nid^t  gefteüt  i)at,  wav,  wie  oben  gejeigt,  fein  gute§  SRe^t. 
Senn  Soifq  ba§  oerfennt  unb  beftreitet,  fo  ift  ba§  barin  be* 
grünbet,  ba|  er  felbft  feine  flare  ®infic^t  in  bie  eben  ftijsierte 
2lrt  unb  aSBeife  ijat,  wie  fid)  ba^  33e}ie^ung§oer^ältni§  }wifd)en 
ber  c^riftlic^en  9teligiofität  unb  ber  allgemeinen  ®eiftegbilbung 
gcftaltet  unb  bag  er  ba^er  fein  fieberen  aSerftänbni^  für  bas;  eigent* 


aßobbermin:  Soifg  contra  ©amacf.  81 

Hc^fte  unb  innerftc  SBcfcn  ber  ^riftltc^en  Sieligiofität  al§  foId)cr, 
b.  f).  eben  aU  SRcfigiofttät  ölS  retigiöfcn  @Iaubcn§  ober  ate  rcU* 
giöfcn  93cn)u^tfctn§  \)at  9lur  fo  tann  er  ^ornarf  beu  Sßortüurf 
ma^cn,  er  rcbujicre  falf^er  unb  unberechtigter  äBeife  ba§  ©^riften^ 
tum  auf  einen  „ein  jigcn®  cban!en",  eine  „cinjige  Qbee", 
ein  „einjigeg  ©lernen  t"  ober  gar  ein  „einjige§  ©efü^I". 

®erabe  in  ber  jule^t  genannten  gorm  fe^rt  ber  SBorrourf 
befonberS  f)aufig  roieber.  „®ag  äBefen  beS  ®^riftentum§  ^at 
^arnarf  in  einem  ®efü^(  feftgelegt:  2)em  Ünblic^en  SBertrauen  auf 
®ott,  ben  barm^erjigen  SJater.  ®arin  würbe  bie  ganje  9leligion 
unb  baS  ganje  ®f)ri[tentum  befte^en." 

„Slber  ift  biefe§  äBefen",  roenbet  fioifg  bann  ein,  „fo  bürftig 
e^  auc^  fei,  n)irt(id)  unoeränberlid)  unb  roarum  mü^te  e§fo  fein?" 
3)ie  ^oftel  l)ätten  oon  ®ott  unb  oon  ber  SBelt  eine  fe^r  anberö- 
artige  aSorfteüung  gel^abt,  als  ber  93erfaffer  beig  aOBefenS  be§  S^ri' 
fientumS  unb  bod)  fei  ba§  „@efü^l"  nie  unabhängig  oon  ber  Qbee. 
„©oroie  fic^  bie  -Qbee  änbert,  roirb  fid)  au^  bie  g^^rm  beS  ©e- 
\üi)U  änbern."    (©.  11.) 

Slber  biefem  ganjen  SRäfonnement  gegenüber  ift  junäc^ft  ju 
fagen,  ba§  e§  ^amarf  gar  ni^t  eingefallen  ift,  ba«  äBefen  ber 
c^rift(irf)cn  SHeligiofität  auf  ein  „@cfü^I"  in  bem  oon  Soifq  nä^er 
bejeid)neten  ©inne,  atfo  auf  ein„@efü^("  im  ©inne 
einer  bl  o^en  @  ef  ü^lSerregung  ober  einer  bloßen 
©timmung  ju  rebujieren.  SBo^I  bel^auptct  ^arnarf,  in 
ber  c^rifttic^en  SWetigiou  fei  ha^  ©ntfc^eibenbe  „ba§  ^emu^tfein 
in  ©Ott  geborgen  ju  fein"  ober  „bie  bemütige  unb  bo^  ftolje 
3uoerfi^t,  für  3^'*  wnb  ©migteit  unter  bem  oäterlid)en  ©c^u^e 
@otte§  JU  fielen".  3Iber  ba§  ift  bo^  feine  Siebuttion  auf  ein 
^b(oge§  ®efü^(".  Unb  ^arnacf  fügt  auSbrürflidi  ^inju,  bieSKirf-- 
lid)teit  be§  religiöfen  ®rlebniffe§  fei  nic^t  an  ber  Ucberfd)n)eng«= 
(ic^feit  beS  ®efü^tS  ju  meffen,  foubern  an  ber  g^eube  unb  an 
bem  ^rieben,  bie  über  bie  ©ee(e  auSgegoffen  finb,  mel^e  ju 
fprec^en  oermag:  „mein  SBoter"  (3Q8efeu  beS  ©^riftent.,  ©.42  f.). 
©ofern  man  alfo  im  ©inne  §arnacl§  bie  ^riftüc^e  SReligiofität 
aU  ©efü^I  bejeid)nen  roifl,  ift  ber  begriff  ©efü^I  babei  fo  um* 
faffenb  }u  oerfte^en,  ba&  er  ®rtenntni§  unbSOBillen  mit  eim 

Seitfd^rift  für  X^eologte  unb  Äirc^e.     15.  ^a^rg.,  i.  $€ft.  6 


82  äBobberniin:  Öoifi)  contra  ^arnac!. 

fc^Iie^t  unb  jioQr  eine  ganj  beftimmte  @rtenntni§  unb  eine  ebenfo 
beftimmte  aBilIen§rirf)tung;  ja  jener  93e9riff  erhält  bann  feinen 
tonfreten  <3n^aU  überhaupt  erft  an  ber  @rtenntni§  @otte§  aU 
be^  aSater^  unb  an  ber  3QBiUen§bereitf^aft,  biefem  93ater=®ott  fi^ 
oöüig  l^injugeben  unb  f^on  ba§  bie§fcitige  ßeben  foroeit  al§  mög^ 
lid)  nac^  ben  ©efe^en  feinet  ^immlifd^en  5Reic^e§  ju  orbnen.  2luf 
ba§  lefetgenannte  biefer  beiben  SWomente  norf)  nä^er  einjuge^en, 
erübrigt  ft^  bei  bem  91a^brucf,  ben  ^arnarf  überaß  barauf  (egt, 
i)on  felbft.  ®a§  erftere  anlangenb,  mag  au&er  auf  bie  ja^treic^en 
©teilen  üon  ber  Slrt  ber  oben  jitierten  auf  ^arnarf^  9lu§fü^rungeu 
über  ^efu  93eipuj5tfein  feiner  ©ottes^iliubfci^aft  oerroiefen  fein. 
„2)ie  @otte^erfenntni§  ift  bie  Sphäre  ber  ®otte§fof)nfd)aft.  ®ben 
in  biefer  ©otte^ertenntni^  l^at  er  baö  l^eilige  Sffiefen,  n)eld)e§ 
^immet  unb  @rbe  regiert,  alö  SBater,  aU  feinen  SSater  fennen 
gelernt,  ©ein  ©erougtfein,  ber  ©o^n  ®otte§  ju  fein,  ift  barum 
nid^tg  anbere§,  al§  bie  praftifd)e  golge  ber  ®rtenntni§  ®otte§  alö 
be§  a3ater§  unb  feinet  93ater§.  iRec^t  ocrftanben  ift  bie  ®otte§' 
ertenntni^  ber  ganje  <3nl)alt  be§  ©o^neönamen^.  2lber  ein  bop-- 
pelteö  ift  ^iujujufügen.  3efu§  ift  überjeugt,  ®ott  fo  ju  fennen, 
u)ie  feiner  por  i^m  unb  er  n)ei^,  ba^  er  ben  93eruf  ^at,  allen 
anbern  biefe  ®otte§erfenntnis;  —  unb  bamit  bie  ®otte§finbfc^aft 
—  burc^  aOBort  unb  Sat  mitjuteilen  (2Befen  be§  Stiriftent.,  ©.81.). 

3)emnad)  ift  alfo  fioifq'^  SJe^auptung  aud)  in  i^rer  milben 
gorm  nic^t  o^ne  weitere^  ri^tig,  ^arnacf  rebujiere  ba§  ©Triften- 
tum  auf  ein  einjige§  „Slement"  ober  eine  einjige  ^Qbee".  3Bo^l 
aber  ift  richtig,  bajj  ^arnacf  ba§  äBefen  ber  d^riftlic^en 
9teligiofität  auf  eiue  beftimmte  cin^eitlid^e 
unb  einbeutige  ®runbftellung  be§  religiöfen 
93emu§tfeius;jurücffü^rt  unb  bamit  gegen  bie 
]^ergebract)te  unb  auc^  oon  ßoifq  mieber  befür^ 
mortete  9luffaffung  ©infpruc^  ergebt,  meld)e  für  bie 
diriftlic^e  SReligiofität  eine  9We^rja^l  oöllig  oerfc^ie« 
benartiger  Sor ftellungSmomente  aU  gleichwertig  in 
3lnfpruc^  nimmt. 

3)a§  ift  jebenfall§  ganj  offenfunbig  bie  eigentlid^e  Jenbenj 
ber  betreffenben  Stu^fü^rungen  ^arnacfs;  unb  mit  biefer  Jenbenj 


äBobbermin:  läotf^  contra  ^arnacf.  83 

tft  er  unbcbingt  im  Siecht. 

aBiß  mau  jene  ein^eittid^e  ©runbftimmung  beö  d^riftUc^^reli^ 
giöfen  93en)u&tfetn§  auf  einen  präjifen  StuSbrurf  bringen,  fo  fd^eint 
mir,  entfpric^t  biefem  ^votd  am  beften  bie  fc^on  fonft  von  mir  ge^ 
brandete  Formulierung:  e§  i[t  ber  oertrauen^ooHe  ®tau^ 
ben  an  ben  einen  geiftig^perföulid^cn  ®ott  unb 
an  bie  Seftimmung  ber  SWenfc^en  jur  Seben^ge-- 
meinfd^aft  mit  i^m. 

3)a§  ift  ba§  SBefen  ber  c^riftlic^en  Steligiofität,  b.  i).  bie  ®igeu^ 
art  berjcuigen  religiöfen  Sen)u§tfein§ftel(ung,  bie  jum  Unterfc^ieb 
Don  fonftigen  anberig  gearteten  religiöfen  ©emütSoerfaffungen  rec^t* 
mäßig  a(§  c^riftlic^e  ju  bejeic^nen  ift,  meil  fie  fid^  nämlid^  erft* 
matig  unter  bem  ®inftu^  ber  ^erfon  ^t^n  S^rifti  über  jene  i^re 
©igenart  t(ar  gemorben  ift.  ^n  ben  ©d)riften  beS  2(poftet§  ^au* 
Iu§,  fomie  in  ben  fogenannten  Q^^cinneifc^en  Schriften  ift  biefe^ 
Sic^'©elbft^®rf äffen  be§  d)riftUd^en  Semu^tfein^  mit  befonberer 
Sic^er^eit  erfolgt;  aber  aud^  in  ben  fogenannten  fqnoptifc^en 
eoangelien  ift  baSfclbe  Slefultat  mit  t)inreic^enber  2)eutlic^feit  er* 
fennbar.  3)iefe  ©d^riftengruppen  bilben  nun  ben  ®runb* 
ftorf  unb  bie  ^auptmaffe  be§  bleuen  2:eftament§,  alfo  berjenigeu 
litterarifc^en  Urfunbe,  in  ber  fic^  ba§  urfprünglic^e  c^riftlid^-reli* 
giöfe  93emu§tfein  fixiert  ^at.  ®btn  bc^^alb  ift  ber  oben  nä^er 
beftimmtc  ®lau6e  ate  SBefen  ber  c^riftlic^en  Sfleligiofität  ju  be* 
jeic^nen.  Unb  eben  bicfer  ®laube  ftctlt  alfo  aud)  ba«  SBefen  be^ 
®^riftentum§  bar,  menn  id)  bei  biefem  le^teren  93egriff  junäc^ft 
gerabe  an  bie  innerfte  treibenbe  religiöfe  Ueber}eugung  ber  großen 
unb  fomplijierten  gefc^id^tlic^en  ®rfd^einung  beute,  bie  ben  9lamen 
S^riftentum  trögt. 

Soifg'i^  Klage  aber,  ba&  ^aruacf  fid)  in  feinen  SBortefungen 
auf  bie  ß^aratteriftit  jener  c^rifttic^:»retigiöfen  ®runb'Ueberjeugung 
befd)räntt  ^abe,  ift  um  fo  unberechtigter,  al§  fid^  ^arnadf  in  fci^ 
nem  breibänbigen  £e^rbud^  ber  3)ogmengefc^ic^te  auc^  um  bie 
©rforfd^ung  mciter  ®ebiete  ber  in  grage  fte^enben  fomplijierten  ge^« 
fc^ic^ttic^cn  ®cfamterfd)einung  au^erorbcntlid)  oerbient  gemacht  t|at. 

3[nbe§  Soift)  felbft  bcjie^t  fic^  auf  biefe  3)ogmengefc^ic^te 
^aruarf^  unb  beruft  ftd)  auc^  auf  fie  für  bie  9lid)tigteit  feines 


84  äBobbermin:  i*oif 9  contra  ^arnacl. 

Urteile.  „3)ie  in  ben  Sßortcfungcn  über  ba§  SBefen  be§  ß^riftcn^ 
tumS  nuöeinanbcrgefe^te  2:^eoric  ift  bicfetbc,  bic  and)  bic  geteerte 
3)09mcn9efc^ic^tc   bc8   nämlichen  Sßcrfaffcr^   bc^crrfc^t"    (©.  3). 

3Bic  oert)aIt  c§  fid)  bamit?  ®ic  ;^auptei9cntämlic^tcit  an 
^arnadt'^  Bearbeitung  unb  Beurteilung  be§  bogmenbitbenbcn  ^^Jro== 
jeffe^  ift  bie,  bafe  er  ftc^  angelegen  fein  lä^t,  nadijuroeifen,  einen 
roie  gen)id|tigen  Slnteil  an  bemfelben  bie  griec^ifc^e  ®eifte§bilbung 
unb  bie  griec^ifc^e  ^^^ilofop^ie  gehabt  f|aben.  Um  biefe  Betrat^* 
tung^roeife  in  eine  turje  Jövmet  guf ammenjufaff en ,  ^at  |)arnadt 
bie  Zi)t\t  aufgeftellt,  ba§  3)ogma  fei  eine  ^onjeption 
beS  griec^ifc^en  @eifte§  auf  bem  ©oben  be^  (Soam 
g  e  I  i  u  m  §. 

gär  ba§  rid)tige  93erftänbni§  biefer  2:^efe  ift  junädjft  ju  6e* 
achten,  ba^  fte  al^  3)ogma  fpejieü  ba§  trinitarifc^e  unb  c^rifto^ 
Iogifd)e  ®ogma  im  Singe  t|at.  2)a§  beruht  auf  einem  eigentüm« 
liefen  ©prad^gebraud)  ^arnacf^,  ber  ^ier  nid)t  nä^er  erörtert  roer« 
ben  tann,  ber  aber  jebenfadg  infofern  fein  gute§  SRec^t  ^at,  a(§ 
in  ber  Sat  ba§  trinitarifc^e  unb  ba§  c^riftofogifc^e  3)ogma  — 
beibe  auf's  engfte  jufammenge^örig  —  bie  grunblegenbe  unb  weit^ 
au§  mic^tigfte  Sluffteüung  innerhalb  ber  gefamten  tirc^lic^en  Se^r* 
bilbung  repräfentieren. 

SBenn  nun  in  Bejug  auf  bie§  2)ogma  befiauptet  roirb,  e§ 
fei  eine  Äoujeption  be«  griec^ifc^en  ©eifteS  auf  bem  Boben  be§ 
©oangetiumS,  fo  tonnte  ber  Söortlaut  biefer  2;^efe  allerbingS  ba« 
^in  oerftanben  werben,  al^  rooDe  fie  in  bem  gried)ifd)en  ©eifte  bie 
lefete  unb  riditunggebenbeSriebtraft  furbie6nt^ 
ftel)ung  ber  SErinitätSle^re  unb  ber  6t)riftologie 
f  e^en.  2lber  ba§  ift  boc^  ganj  unb  gar  nic^t  ^arnadS  SWeinung. 
6§  entfpräc^e  ba§  auc^  bem  roirflic^en  ©ac^üer^alt  nic^t.  S)aS 
treibenbe  SWotio  für  bie  3lu§bilbung  ber  2:rinitätSle^re  unb  ber 
®l)riftoIogie  ift  unoerfennbar  ein  ec^t  d)riftlid)e§,  b.  ^.  alfo  e§  ift 
in  ber  ©igenart  beö  c^riftlic^-^religiöfen  Bewußt* 
fein§  felbft  angelegt,  e§  mäc^ft  unmittelbar  anS 
biefem  felbft  t)eraü§, 

®er  ©laube  an  bie  gel^eime  Bejie^ung  be§  ^}Henfc^en  ju  ir^ 
genb  einer  anbcrSartigen  —  jenfeitigen  —  SBett,  biefer  ©laube. 


SBobbermin:  Seift)  contra  ^arnad .  85 

ber  aller  unb  jcber  iRcItfliou  ju  ©runbc  liegt,  erhält  im  ©Triften* 
tum  ben  (Sonberc^arafter  al^  @laube  an  einen  geiftig  perföntic^en 
©Ott,  ber  al§  folc^er  boc^  ber  §err  be§  Uniüerfum^  ift  unb  ber 
bic  üWenfcften  jur  SebenSgemeinf^aft  mit  fic^  beftimmt  ^at.  3)iefe§ 
©taubcnS  maren  unb  ftnb  ftd^  bie  ©Triften  gemi§  auf  ©runb 
ber  gefd^ic^ttic^en  ®rfc^einung  Q[efu  S^rifti.  Sie  fmb  überjeugt, 
ba^  bie  jenfeitige  SBelt  für  ben  ©f)riften  feine  unbefannte  ©rö^e, 
fein  X  ift,  ba^  öielmet)r  biefe  jenfeitige  SBelt  bie  Sebeuöfp^äre 
be§  einen  geiftig^'perfönlic^en  ©otte§  ift,  unb  ba§  ber  6l)rift  biefen 
geiftig^perfönlid^en  ©ott  teunt  unb  ba^er  ju  i^m  in  perföntic^e 
93ejiel^ung  ju  treten  oermag;  unb  ba§  aüe§,  roeit  er  al§  S^rift 
weife,  bafe  ©ott  feinem  SBefen  na^  fo  ift,  mie  ^t^ixS  S^riftuö 
auf  ©rben  manbelte.  2:^eoIogifc^  auSgebrüdtt:  eiS  ift  bie  ©elbft- 
Offenbarung  ©otte§  in  S^fw^  6t)riftu§,  burc^  bie  er  fic^  aU  ben 
einen  geiftig^perfönlic^en  ©ott,  ben  Sßater  ber  ÜWenfc^en,  ju  er- 
tennen  gegeben  unb  fie  jur  SebenSgemeinfc^aft  mit  ftc^  berufen 
^at ;  biefe  ©elbftoffenbarung  ©otteS  in  3efu§  ©^riftuö  ift  e§,  auf 
roel^er  ber  ©onberc^arafter  ber  c^riftlic^en  ^Religion  unb  alfo  auc^ 
berjenige  ber  c^rifttic^en  Steligiofttät  beruht. 

2lber  mie  tann  ©ott  fic^  —  fein  göttliches  SBefen  in  einem  üWen* 
fc^n  offenbaren?  ®iefe  5^'age  mufe  ftc^  offenbar  jebem  93etenner  besi 
S^riflentumS faft  mit Stotmenbigteit  aufbrängen.  2)ennnurmenn 
ba§  irgenbmie  mögtid^ift  unb  nur  menn  bie feüWög* 
lic^feit  in  QefuS  6^riftu§  irgenbmie  jur  SBirt* 
lic^feit  geworben  ift,  ^at  bie  c^rifttid^e  Weli^^ 
gion  eine©emä^r  für  bieSBa^r^eit  i^re§©lau=^ 
faen§.  ^mt  5^age  jerlegt  ftc^  aber  fofort  in  jmei  %z\U  ober 
Unter^gragen :  SBie  oer^ält  fiel)  bie  Selbftoffenbarung  ©otteS  in 
Oef uS  S^riftuS  ju  ©ott  fclbft  ?  —  unb  anbererf eitS :  mie  oerl^ält 
fie  ftc^  jum  SBefen  unb  jur  Statur  beig  9Wenfc^en  ?  3)iefe  beiben 
fragen  fmb  e§,  meiere  bie  alte  Sirene  in  it)rem  trinitarifc^en  unb 
i^rem  c^riftologifc^en  3)ogma  ju  beantworten  fuct)te.  Unb  jmar 
gab  fie  auf  bie  erfte  5^age  bie  Slntmort,  eS  fei  ber  feit  ©migfeit 
^er  eyiftierenbe  unb  feiner  Staturqualität  nac^  mit  ©ott  mefenS^ 
eine')  SogoS  ©otteS,  ber  in  ^t\xx^  S^riftuS  auf  ©rben  erfc^ienen 

1)  %a9  ift  bie  iBebeutung  be^  beruf)mten  ^erminuS  öjiooüoto;. 


86  SBobbcrmin:  fioift)  contra  ^arnac!. 

fei.  Unb  auf  bie  anbete  5^age  antwortete  fie,  biefer  Sogoö  @ot^ 
te§  ^abc  fic^  mit  ber  menfd)lid)en  91atur  in  ber  SBeife  jufammen* 
gefdiloffen ,  ba§  er  biefclbe  iu  bie  ©in^eit  feinet  8Befen§  aufge^ 
nommen  \iCi\)t.  5)ie  S3eantn)ortung  ber  erften  5^'age  gab  bann 
au|erbem  9lnlafe,  ebenfo  wie  über  beu  göttlid)en  Sogo§  aud|  über 
ben  „l^eiligen  ©eift"  ju  urteilen  unb  alfo  aud)  öon  i^m,  genauer 
Don  feiner  9iaturqua(ität  bie  ^omoufie,  b.  ^.  eben  bie  SBefen^^ 
ein^eit  ober  3B3efen§fcIbigteit  mit  @ott  au^jufagen.  ©o  erhielt 
bie  Äirc^e  im  vierten  Qf^^t^unbert  i^r  trinitarif^e^  5)ogma,  — 
ba|  nämlic^  in  ber  ®ottt)eit  brei  gegen  einanber  felbftänbige  unb 
boc^  i^rer  9taturqualität  nac^  ibentifc^e  SBefcn^eiten :  ©ott-Sßater, 
®ott«Sogo§,  ©ott'^eiliger  ©eift  ju  unterfd)eiben  feien;  unb  fie 
erhielt  entfprec^enb  im  fünften  ^^a^rl^unbert  it)r  c^riftologifc^eS 
3)ogma,  ba^  nämlic^  ber  göttliche  Sogoö  bie  menf^lic^e  9iatur 
in  bie  ®in^eit  mit  ftd)  aufgenommen  ^abc  unb  ba^  fo  ber  jum 
©rlöfer  ber  SWenfd^^eit  befähigte  ©ottmenfc^  juftanbe  getont- 
men  fei. 

33eibe3)ogmen  recl)nen  alfo  iu  gleic^eraBcife 
mit  jmei  im  Dorau§  fcftftef)enben58orau§fe^un* 
gen.  Sie  fe^en  oorauS ,  ba§  e§  einen  göttlichen  Sogo§  gibt, 
ber  üotte  felbftänbige  ©oubereyiftenj  befi^t;  unb  fie  fe^en  weiter 
üorauS,  ba^  ba§  3Befen  biefe§  göttlichen  Sogo§  —  unb  alfo  aud) 
ba§jenigc  @otte§  felbft  —  in  einer  beftimmten  9taturqualität  be« 
fte^t,  bereu  SBcr^ältnig  ju  berjenigen  @otte§  einerfeit§,  berjenigen 
ber  3Wenfc^en  anbererfcit§  feftjufteKeu  fei.  ®iefe  beibeu 
95orau§fe^ungenl)at  bie  alte  ^irc^e  bem  anti  = 
ten  Senfe n,  fpejiell  ber  gried)ifc^en^t)ilofo» 
pt)ic  entnommen.  S93ir  werben  ^eute  biefe  93orau§fe^ungen 
ablehnen.  3)cuu  fie  ftnb  erften§  wiffenfc^aftlic^'P^ilofop^ifc^  un* 
berechtigt  unb  unhaltbar.  Sie  beeinträchtigen  aber  au^erbcm  aud^ 
gerabeju  ba§  Qntcreffe  be§  c^riftlic^en  ©lauben§ ;  ^eute  wenigftenö 
—  für  uufer  3)enten  —  tun  fte  ba§ ;  für  bie  früheren  Seiten  ift 
nid|t  o^nc  weitere^  ebenfo  ju  urteilen.  @o  ergibt  fid)  alfo,  ba^ 
bie  alttirc^lic^c  Formulierung  be§  trinitarif^en  unb  Ariftologi* 
fc^en  ®ogma$  mit  l)eute  überliolten  93orftellungen  ber  antiteu 
^^J^ilofop^ie  operiert.    2lber  bieg  gilt  eben  auc^  nur  Don  ber  alt«^ 


S  0  b  b  e  r  m  i  n :  Soifi)  contra  ©arnacl.  87 

tircf)lic^cn  JörmuUcrung  jener  Dogmen,  n  i  c^  t  d  o  n  b  i  e== 
f  c  n  f  e  l  b  ft ,  b.  \).  alfo  nic^t  oon  ben  3Wotiöen  uub  Senbcnjen, 
bie  fic  jum  2lu§brucf  bringen,  nic^t  von  ben  gragefteUungen,  bie 
i^nen  ju  ©runbe  liegen.  3)iefe  ^Jragefteüungen  fmb  üielme^r  qu§ 
ber  c^  r  i  ft  l  i  (^  e  n  91  e  li  g  i  o  n  erroac^fen,  fte  fmb  n  i  d)  t  Dom 
gried)ifc^en  3)enfen  bem  d^riftlic^en  ©tauben  aufgejroungen  roor^ 
ben.  2)a&  e^  ftc^  fo  öertiält,  barüber  fann  nic^t§  beffer  belel^ren, 
al§  ba§  ©tubium  beö  jroeiten  öanbe§  ber  ^amadt'f^cii  ®ogmen== 
gefc^ic^te.  Unb  in  jenem  ©inne  atfo  ift  ^arnad'^  S^efe  ju  Der^ 
fielen,  ba^  3)ogma  fei  eine  Konjeption  be§  gried)ifc^en  ©eifteS 
auf  bem  Soben  be§  ©oangeliumS.  Qc^  mürbe  lieber  fagen: 
ba§  3)ogma  ift  eine  Ronjeption  be§  cf)riftlic^en  @ei* 
fte§  auf  bem  ©oben,  mit  ben  2)enfmitteln  unb  Sßor^ 
ftellunggf ormen  ber  griec^ifd^en  9lntife.  a33a§  $ar^ 
nadt  meint,  ift  —  nac^  3Iu§mei§  feiner  S)ogmengefc^ic^te  —  nic^t^ 
anbere§  al§  eben  bie§;  e§  mu^te  i^m  jebo^  na^e  liegen,  jene  an^ 
bere  Formulierung  ju  mäl^len,  um  erftmalig  bie  3lnertennung  be§ 
im  3)ogma  mitent^altenen  9}orfteüung§materialö  ber  Slntife  burc^* 
iufe^en. 

Unberechtigt  ift  a(fo  jebenfaüö  bie  Slrt,  mie  fic^  Soifij  für  feine 
^^Jolemit  gegen  ^arnac!  auf  biefe  2;^efe  unb  auf  bie  Dermeintlidie 
©runbbetrac^tung  ber  S)ogmengefc^i^te  beruft.  — 

&i)t  i6)  mid)  je^t  ju  Soifg'ö  33ud)  jurüdmenbe,  glaube  id) 
e§  bem  Sefer  fd)ulbig  ju  fein,  meine  ©rörterung  über  ba§  trini- 
tarifi^e  unb  d)riftologifc^e  S)ogma  mit  wenigen  SBorten  ju  @nbe 
JU  führen.  SBenn  unbebingt  baran  feftjul^alten  ift,  ba§  S^nge^^ 
fteüung,  SWotioc  unb  2:enbenjen  biefer  3)ogmen  au§  ber  ^rift* 
liefen  SReligion  felbft  erroac^fen  finb,  fo  muffen  bie  le^teren  boc^ 
auc^  einen  roertoollen  unb  bleibenben  aGBa^rl)eit§* 
fern  enthalten.  Unb  einen  folc^en  enthalten  fie  benn  auc^  roirt* 
lic^.  Unb  jmar  ni^t  etroa  nur  für  bie  t^eologifd)e  Steflejion, 
fonbern  auc^  für  bie  prattifc^e  c^riftlic^e  grömmigfeit.  2luf  bie§ 
le^tere  menigftenS  mid  ic^  furj  ^inmeifen.  9ie^men  mir  ba§  trini* 
tarifd)c  3)ogma  etroa  in  ber  S^rm,  bie  e§  im  fogenannten  attiana« 
ftanifd)en  ©^mbolum,  alfo  im  britten  ber  brei  ötumenifc^en  ©gm* 
bole,  roeld)e  ja  auc^  in  ba§  ^onforbien=33ud)  aufgenommen  roor* 


86  SBobbermin:  öoifp  contra  ^arnac!. 

fei.  Unb  auf  bie  anbete  ^xüqz  antwortete  fte,  biefer  Sogo^  @ot* 
te§  l^abc  ftc^  mit  ber  menfc^lid^en  Statur  in  ber  SBeife  jufammen^ 
gefdjloffen ,  ba^  er  biefefbe  iu  bie  @inf)eit  feinet  SBefcnS  aufge« 
nommen  \)abe.  5)ie  SSeantiDortung  ber  erften  5^'age  gab  bann 
au|erbem  2lnla^,  ebenfo  roie  über  beu  göttlid)en  Sogo§  aud)  über 
ben  „l^eiligen  ©eift"  ju  urteilen  unb  alfo  aud)  pon  i^m,  genauer 
Don  feiner  9iaturqua(ität  bie  ^omoufie,  b.  f),  eben  bie  SDSefen^" 
einl^eit  ober  9Befen§feIbigteit  mit  @ott  augjufagen.  ©o  erhielt 
bie  Äirc^e  im  vierten  ^f^^t^unbert  i^r  trinitarifd^e§  S)ogma,  — 
ba^  nämlid^  in  ber  ©ott^eit  brei  gegen  einanber  felbftänbige  unb 
boc^  i^rer  9laturqualität  nad)  ibentifc^e  SBefenl^eiten:  ©ott^Sßater, 
®ott^Sogo§,  ©ott-^eiliger  ©eift  §u  unterfc^eiben  feien;  unb  fie 
erhielt  entfprec^enb  im  fünften  :3ci^t^unbert  i^r  c^riftologif^eS 
3)ogma,  ba^  nämlic^  ber  göttlidie  Sogoö  bie  menf(^lid)e  9Jatur 
in  bie  ©in^eit  mit  fid)  aufgenommen  \)abz  unb  ba^  fo  ber  jum 
©rlöfer  ber  3Wenfci^f)eit  befähigte  ©ottmenfd)  juftanbe  getom^ 
men  fei. 

93eibe3)ogmen  rechnen  alfo  iu  gteif^erSBeife 
mit  jroei  im  oorau§  feftftef)enben93orau§fe^un* 
gen.  ©ie  fe^en  oorau§,  ba§  e§  einen  göttlichen  Sogo§  gibt, 
ber  üoüe  felbftänbige  ©oubereyifteuj  befi^t;  unb  fie  fe^en  weiter 
oorau§,  ba^  ba§  3Befen  biefe§  göttlichen  Sogoi^  —  unb  alfo  aud) 
ba§jenige  ©otte§  felbft  —  in  einer  beftimmten  9iaturqualität  be* 
fte^t,  bereu  93er^ältni§  ju  berjenigen  ©otte§  einerfeit§,  berjenigen 
ber  3Wenfc^en  anbererfeit§  feftjufteKen  fei.  3)iefe  beiben 
95orau§fe^ungen^at  bie  alte  ^irc^e  bem  anti  = 
ten3)enfeu,  fpejiell  ber  gri  edjif  c^eu  $^  i  l  of  o» 
pt)ie  entnommen.  Slöir  raerben  ^eute  biefe  93orau§fe^ungen 
ablelinen.  3)eun  fie  fmb  erften§  roiffenfc^aftlic^'P^ilofopl)ifc^  un- 
bere^tigt  unb  unhaltbar,  ©ie  beeinträchtigen  aber  au^erbem  auc^ 
gerabeju  ba§  ^ntereffe  be§  d^riftlic^en  ©(anbeut ;  ^eute  menigftenö 
—  für  unfer  2)enteu  —  tun  fte  ba§ ;  für  bie  früheren  3citen  ift 
nicf|t  o^ne  meitereö  ebenfo  ju  urteilen,  ©o  ergibt  f\i)  alfo,  ba^ 
bie  altfirc^lic^e  ^Formulierung  be§  trinitarifc^en  unb  Ariftologi* 
fd^en  ®ogma§  mit  l)eute  überliolten  SSorfteDungen  ber  antifen 
'^^^ilofop^ie  operiert.    2lber  bie§  gilt  eben  aud^  nur  oon  ber  alt* 


3ö  0  b  b  e  r  m  i  n :  Soifi)  contra  §amac(.  87 

f ircf)lic^cn  Formulierung  jener  Dogmen,  n i c^ t  von  b i e^ 
f  e  n  f  e  I  b  ft ,  b.  ^.  alfo  nic^t  oon  ben  9Kotiöen  uub  Senbenjen, 
bie  fie  jum  2lu§brucf  bringen,  nic^t  oon  ben  gragefteüungen,  bie 
i^nen  ju  ©runbc  liegen.  3)iefe  gvageftellungen  ftnb  oielme^r  au§ 
ber  d)  r  i  ft  n  ^  e  u  9i  e  I  i  g  i  o  n  erroadjfen,  fte  fmb  n  i  d)  t  Dom 
grie^ifc^en  Renten  bem  d^riftlic^en  ©tauben  aufgejroungen  roor* 
ben.  3)a$  e^  ftc^  fo  Dertiält,  barübcr  fann  nic^t§  beffer  beleliren, 
al§  ba§  ©tubium  be§  jroeiten  S3anbe§  ber  ^arnadt'fc^en  3)ogmen=^ 
gefd)ic^te.  Unb  in  jenem  ©inne  alfo  ift  ^arnad's  S^efe  ju  »er- 
ftetien,  ba^  3)ogma  fei  eine  Äonjeption  bc§  griedjifc^en  ®eifte8 
auf  bem  Soben  bc§  SoangeHum^.  ^6)  lüürbe  lieber  fagen: 
ba§  2)ogma  ift  eine  Ronjeption  be§  c^riftlid^en  ©ei^ 
fte§  auf  bem  Soben,  mit  ben  3)cnfmitteln  unb  Sßor- 
ftellung§f ormen  ber  griec^ifd^en  9lntite.  2öa§  ^ar- 
nadt  meint,  ift  —  nac^  2luön)ei§  feiner  3)ogmengefc^ic^te  —  nic^t§ 
anbere§  al§  eben  bie§;  e§  mu|te  i^m  jeboc^  nal)e  liegen,  jene  an-- 
bere  ^Formulierung  ju  mdl^len,  um  erftmalig  bie  3lnertennung  be§ 
im  3)ogma  mitent^altenen  Sorftellung^material^  ber  Slntife  burc^* 
saferen. 

Unberechtigt  ift  alfo  jebenfatlö  bie  Slrt,  mie  fic^  Soifij  für  feine 
^^Jolemit  gegen  ;^arnac!  auf  biefe  J^efe  unb  auf  bie  oermeintlic^c 
©runbbetrac^tung  ber  3)ogmengefc^ic^te  beruft.  — 

®l)e  ic^  mid)  je^t  ju  Soif^'^  33uc^  jurüdtmenbe,  glaube  ic^ 
e^  bem  fiefer  fc^ulbig  ju  fein,  meine  ©rörterung  über  ba§  trini- 
tarifc^e  unb  d)riftologifc^e  3)ogma  mit  menigen  SBorten  ju  ©nbe 
JU  führen.  SBenn  unbebingt  baran  feftju^alten  ift,  ba§  Srnge^ 
ftellung,  5!JJotiDe  unb  2:enbeujen  biefer  ®ogmen  au§  ber  d)x\\U 
liefen  SReligion  felbft  ermac^fen  finb,  fo  muffen  bie  te^teren  boc^ 
auc^  einen  roertoollen  unb  bleibenben  SEBa^r^eitg* 
fern  enthalten.  Unb  einen  folc^en  enthalten  fie  benn  auc^  mirt* 
lic^.  Unb  jtoar  nic^t  etma  nur  für  bie  t^eologifc^e  Siefle^ion, 
fonbern  au^  für  bie  prattifc^e  ^riftli^e  grömmigteit.  2luf  bie§ 
le^tere  roenigftenö  roitl  ic^  furj  ^inmeifen.  9ie^men  mir  ba§  trini* 
tarifd)e  3)ogma  etwa  in  ber  Jorm,  bie  e$  im  fogenannten  atfiana^ 
fianifd^en  ©pmbotum,  alfo  im  britten  ber  brei  ötumenif^en  ©gm« 
bole,  meldie  ja  auc^  in  ba§  Äonforbien^Suc^  aufgenommen  mor^ 


88  SGBobbcrmin:  Soif 9  contra  §arnac(. 

bcu  fmb,  erhalten  l^at.  2)a  ^ci^t  c§  befanutlic^*):  „Slber  bct 
aSotcr  unb  bcr  ©o^n  unb  bev  ^eilige  ®cift  fmb  ein  einiger  ®ott 
(patris  et  filii  et  Spiritus  sancti  una  est  divinitas)  gleic^  in  ber 
^errlic^feit,  gleid)  in  eroiger  9Jlajcftät.  SBcIc^er  2lrt  bcr  UJater  ift, 
folc^er  2trt  ift  and)  ber  ©o^n,  folc^cr  Slrt  ift  a\x6)  ber  f)eilige  ©cift. 
3)er  aSater  ift  nic^t  gefc^affen,  bcr  ©o^n  ift  nic^t  gcfc^affen,  ber  ^eilige 
Oeift  ift  ni^t  gefc^affen.  3)er  Sßater  ift  unermeßlich,  bcr  ©o^n  ift 
unermeßlich,  bcr  ^eilige  ®eift  ift  unermeßlich.  3)cr  Sßater  ift  emig, 
bcr  ©ol^n  ift  emig,  bcr  ^eilige  ©eift  ift  eroig.  Unb  boc^  ftnb  nic^t 
brei  croigc,  fonbern  ift  ein  eroiger.  ®leicl)roie  auc^  nic^t  brei  ungc=^ 
fd)Qffene,  noc^  brei  unermeßliche,  fonbern  e§  ift  ein  ungef^affener 
unb  ein  unermeßlicher  ....  3llfo  ber  SBatcr  ift  @ott,  bcr  ©o^n 
ift  ®ott  unb  ber  l^cilige  ©eift  ift  ®ott.  Unb  fmb  boc^  nic^t  brei 
©Otter  fonbern  c§  ift  ein  ®ott ....  Unb  in  biefer  2:rinität  gibt 
e§  alfo  feinerlei  Unterfc^iebe,  fein  früher  ober  fpäter,  fein  größer 
ober  Keiner,  fonbern  alle  brei  ^erfonen  finb  mit  cinanber  f^lcd^t^^ 
^in  gleich  eroig  unb  gleich  bcfd)affen." 

aBa§  bebeuten  biefe  paraboyen  ©ä^e  ?  9Jun  roir  roiffen  fc^on, 
baß  roir  jroifc^en  ber  2lu§brucf§form,  bie  ^iftorifc^  ju  crtlären  ift, 
unb  ber  eigentlichen  ®runbtcnbena  ju  unterfc^eiben  ^aben.  2)ie 
le^terc  aber  ge^t  offenbar  ba^in,  ju  betonen,  baß  ber  eine 
©Ott,  ber  |)err  $immel§  unb  ber  ©rben,  ben  ber  ct)riftlid)e 
©laube  befennt,  boc^  nic^t  etroa  ein  cinjelne§  Slöefen  nac^ 
aWenfd^enart,  ein  nur  in§  Uncnblic^e  potenjicrter  unb  ibeali* 
ficrtcr  @injetmenfci^  ift.  3)iefcr  ©ott,  ber  aflmä^tige  ©c^öpfer* 
©Ott  unb  ©ott^aSater,  ift  oielme^r  nac^  einer  anberen  ©cite  fei^ 
ne§  3Befcn§  ber  croig  bie  3Q3elt  burc^roaltenbc  2ogo§'©o^n,  ber 
Inbegriff  aller  Seben  roedtcnben  unb  fieben  förbernben  Sräfte; 
unb  er  ift  ebcnfo  jugleic^  »^eiliger  ©eift",  bie  innerfte  ^irieb^ 
fraft    atle§    roa^ren,    ju  ©ott   fü^renben   ^^Jerfonlebenö.    3)  er 

1)  ©^  mag  baran  erinnert  fein,  ba^  bicä  Symbol  hen  ^^iamen  bc3 
^t^anaftuä  mit  Unrecht  trdgt.  ®g  ftammt  nic^t  oon  bcm  großen  gricc^i- 
fd&en  ^itd^cnoatcr,  fonbern  c§  ftammt  au§  bcm  3lbenblant).  ^ie  ^rini- 
tätSIcI^re  trägt  bcnn  auc^  l^icr  fpc^iftfc^-abcnblanbifc^eS  (burc^  ^uguftin 
beeinflußtes)  ©cpräge.  Xod^  bleibt  ha^  9^cfuUat  ber  oben  angcftcüten 
SRcflc^on  and)  für  bie  morgcnlänbifc^e  ^Hiansierung  bcg  trinitarifc^en 
^ogma§  beftc^en. 


^obbermin:  Soif^  contra  ^arnac!.  89 

(eine)  ®ott,  ber  unumfc^iänfte  ^err  ber  gefamten  SBirtlic^teit, 
ift  bemnac^  gteic^erroeife  ein  abfolut  geiftig^perf önlic^er 
unbeinbieSBett  infonber^eitbieajJenfc^engefc^ic^te 
oon  innen  l^er  lebenbig  burc^njaltenber  @ott  unb  biefe 
feine  aBefenSbefc^affen^cit  ift  burc^  unb  in  -S^fuS  ©^riftusi 
bem  ©lauben  erfennbar:  ba§  ift  bic  Ueberjeugung,  bie  ba§  2;rini= 
tätg*3)ognia  begriffli^  ju  f äff en  unb  fpefulatio  ju  begrünben  oerfudjt. 

3)a§  c^riftotogifc^e  S)ogma  ift  in  ungleich  ^ö^erem  SWa^e 
fpejififc^  t^eologif^,  al§  ba§  trinitarifd^e;  immerhin  fommen  auc^ 
in  il^m  3i"tereffen  ber  prattifc^en  c^riftüc^en  grömmigfeit  junt 
Slusbrudt.  Um  fie  ^eute  ju  ertennen,  mu|5  man  junäc^ft  bebenfcn,  ba^ 
bie§  3)ogma  ©^rifto  in  feiner  6igenfd)aft  al§  ®rlöfer  ber 
9K  e  n  f  c^  ^  e  i  t  gilt,  ba§  ba§  3)ogma  alfo  im  biretten  ^inblicf 
auf  bie  ^eilebebürftigfeit  unb  ^eilSfä^igfeit  ber  ÜWenfc^en  auf^ 
gefteüt  ift.  2lu^erbem  mu^  man  fic^  gegenwärtig  galten,  ba^  bie 
alte  Äird^e  bie  ^Bereinigung  ber  beiben  Staturen  nä^er  bal^in  be* 
ftimmt  ^at,  ba^  bie  göttlid^e  9}atur  bie  menfc^lic^e  in  bie  Sinl^eit 
mit  fid)  felbft  aufgenommen,  gleic^fam  ^ineingejogen  l^at;  unb 
jroar  nidjt  etwa  eine  beftimmte  einjclne  menfd^lic^e  9iatur,  fon- 
bem  bie  menfc^lic^e  9iatur  al§  f old^e ,  al§  ganje.  3)  a  r  n  a  c^ 
oerfc^afftfidjin  biefem3)ogma  bieUeberjeu^ 
gung  3lu§brudt,  ba§  Oottl^eit  unb  9Jlenf  d^l^  ei  t 
auf  einanber  angelegt  f eien,  ba§® ottbieSRenfc^* 
^eit  in  bie  2eben§gemeinfc^aft  mit  fic^  aufneh- 
men wolle,  unb  ba^  alfo  biefe  —  bie  ganje SWenfc^^eit,  je* 
ber  einjelne  3Wenfdö  —  ju  ber  £cben§gemeinfc^aft  mit  @ott  be^ 
ftimmt  fei,  bie  bem  ©lauben  in  Qcfu^  ®^riftu§  anfc^aulid)  ift. 

aber  nun  jurüdt  ju  Soift).  SBenn  er  ^arnadt  oorroirft,  ba§ 
SDBefen  be§  6^riftentum§  fälfdilid^erroeife  auf  ein  einjigc§  ^rinjip 
(ober  gar  auf  ein  einjigeö  ®ef ü^l)  rebujiert  ju  ^aben,  f o  ftnb  e§  oor 
aDem  s  ^  e  i  SW  o  m  c  n  t  e ,  bie  er  oermijst  ba$  9teic^@otte§ 
unb  bie  ©l^riftologie.  gür  Soifq  felbft  merben  nämlic^ 
biefe  beiben  SWomente  —  ba§  mag  jur  Orientierung  im  oorau^ 
bemertt  werben  —  bie  ©tü^puntte  für  bie  SBerteibigung  be§  ta- 
t^olifc^en  Äird^enbegrip  unb  be§  ganjen  Qt^n^- ,  SJlorien*  unb 
^eiligen-Siultuö. 


90  SBobbcrmin:  Soif^  contra  ^arnad. 

®a!§  au^fc^loggcbcnbe  @eroid)t  legt  Soift)  babci  —  ^ödift 
c^arattcriftifc^  —  auf  ba§  crftgenauntc  bcr  beibcn  SWomentc: 
„2)ic  3[bcc  bc§  fjimmlifc^en  9teic^c§  ift  alfo  nid^tö  anbetet  al§ 
eine  grofec  Hoffnung,  unb  ba  feine  anbete  3i>^c  fo  met  SRaum 
unb  einen  fo  fouüeränen  9iaum  in  ber  Se^re  <3efu  einnimmt,  fo 
ift  e§  eben  biefe  Hoffnung,  in  bie  ber  ^iftoriter  ha^  SBefen  be§ 
®t)riftentum§  legen  mu§,  roenn  er  e§  überhaupt  irgenbmo  feftftellen 
miß"  (S.  41). 

9lber  aud)  ^arnad  bejeic^net  ja  ba§  „SReic^  ©otteö  unb  fein 
Jtommen"  gerabeju  al§  einen  ber  brei  3}orfteUung§  = 
f reife,  bie  aui^  ber  ^rebigt  ^efu  in  ber  SBeife  geftaltet  wer- 
ben tonnen ,  ba^  jeber  bie  ganje  Sßertünbigung  enthält" 
(SBefen  be§  6^riftentum§  ©.  33). 

©anj  rec^t,  roenbet  Soifp  ein,  nur  gebe  ^arnad  eine  ^iftorifc^ 
üöüig  unrichtige  9lu§legung  ber  neuteftamentlic^en  9ieic^§gotte§* 
oorfteKung.  Soif^  nimmt  ^ier  eine  in  ber  neueren  Qext  ani)  in* 
ner^alb  ber  proteftantifc^en  J^eologie  üieluertianbelte  Streitfrage 
auf  unb  fteHt  pc^  in  biefem  fünfte  —  wie  aud)  fonft  noc^  me^r* 
fad)  —  auf  ben  (Stanbpunft  ber  rabitaMritifc^''l|iftorifd)en  SRic^* 
tung, 

©eitbem  mir  nämlic^  über  bie  religiöfen  3wftänbe  be§  fpä- 
teren  Qfubentum^  genauer  unterrichtet  fmb,  l^at  man  auf  bie  r)tx* 
manbtfc^afttic^en  ©ejiet)ungen  achten  gelernt,  meld)e  jroif^en  biefem 
unb  bem  in  feinem  Sc^o^e  ermad)fenen  S^riftentum  befte^en.  ©o 
^at  man  öor  aüem  auf  bie  e  §  c^  a  t  o  l  o  g  i  f  cl)  e  Stimmung 
unb  auf  bie  e^c^atologif^e  95orfteUung§me(t  ®e^ 
mic^t  gelegt,  meiere  bie  religiöfen  Greife  biefe§  fpätereu  Quben* 
tum§  oötlig  be^errfc^ten.  3)ie  (Srmartung  be§  na^e  beuorfte^en^ 
ben  „S  n  b  e  §"  ber  gegenmärtigen  politifc^en ,  fojialen  unb  reli* 
giö^^ittlic^en  ß^^Pönbe  unb  bie  bamit  oerbunbene  Hoffnung  auf 
ba§  meffianifc^e  9lei^  bilbeten  ^ier  ba§  A  unb  ba§  O  be§  reli» 
giöfen  Seben§.  2)ie  apotal^ptifc^e  Siteratur  ber  3^it  ift  un§  be§ 
3euge^).  2lu§  biefer  ganjen  Stimmung^-  unb  3Sorftellung§roett 
l)erau§  ift  nun  bie  gefc^idjtlic^e  ©ntfte^ung  ber  c^riftlic^en  9leligion 

1)  Sine  trcff(id)c  Orientierung  über  biefe  e§cf)atoro0ifd)=apofal9ptifc^c 
$Hicf)tung  gibt  |).  ®unfel  in  feiner  Schrift:  ber  ^:propl)et  ©§ra,  1899. 


9Bobbermin:  Soifi)  contro  ©arnacf.  91 

ju  Derftcl^cn,  bcnu  bie  ältcftc  6^riftcnt)eit  fjot  eben  —  i)iftorifc^ 
betrachtet  —  an  jenc§  fpätere  Q^ubentum  mit  feinen  e^c^atologi^ 
fd^en  |)offnun9cn  unb  feinen  apotalgptifcften  Stimmungen  ange^ 
fnüpft. 

aSon  ^ier  au§  meint  man  nun  auc^  ben  urc^riftli^en  ©egriff 
Dom  Sieic^  ®otte§  auffegen  ju  muffen.  3)iefe$  „5Reid)  ®ottc§" 
fei  alfo  nic^t  ein  fold)e^,  t>a^  fic^  inmenbig  in  ben  ^erjen  ber 
SÄenf^en  entfalten  unb  entmidteln  foüte,  fonbern  c§  fei  barunter 
ber  alferbingg  noc^  jufünftige,  aber  boc^  für  bic  näd^fte  Qu-- 
fünft  JU  ermartenbe  neue  3wftonb  aüer  2)inge  ju  üerfte^en.  Qn 
biefer  SEBeifc  fei  bie  c^^atotogifc^e  Raffung  be§  S3egriff§  bie  allein 
richtige,  ber  93orftellung§mclt  bc§  SReuen  SeftamentS  allein  gerecht 
merbenbe.  O^^mer  liege  ber  9tac^brudt  auf  bem  c^c^atologifc^en 
üWoment  ber  SSorfteUung  unb  ber  ganjen  in  it|r  $um  2lu§brudt 
fommcnben  93etrac^tung§n)eife. 

3)iefer  Beurteilung  ber  Streitfrage  fd)lie§t  fid^  nun  auc^  Soifp 
an ;  er  vertritt  fie  fogar  in  red^t  ej tremer  SBeife.  3)emnac^  finbet 
er,  ba§  ^arnacf  ben  SSegriff  be§  9leic^e§  @otte§  mobernifiert 
l)abc ;  ber  ^iftorifer  foüe  aber  ber  UJerfuc^ung  miberfte^en  ju  mo* 
bemifieren  (©.  50). 

^ier  ift  nun  im  worauf  ju  fagen,  ba|  ^arnarf  e§  in  biefem 
'^8unft  allerbingg  feinem  ©egner  leicht  gemacht  ^at,  fic^  unb  feiner 
^]Jolcmif  einen  ©d^ein  be§  5Rec^t§  ju  magren,  ^arnad  fagt  näm* 
lic^  im  aSorroort,  er  ^be  ftd)  feine  3lufgabe  al§  „rein  ^iftorifc^e" 
geftcHt  unb  fie  nur  unter  biefem  ©efic^t^puntt  be^anbelt ;  unb  auc^ 
im  aSerlauf  ber  aSorlefungen  felbft  betont  er  me^rfac^  biefen  i^ren 
„rein  t)iftorifc^en  ©^arafter".  Slber  bamit  urteilt  er  jroeifelloS 
oiel  ju  bef^eiben  über  ba$,  ma§  er  un§  in  ben  SSorlefungen  ge^ 
boten  i)at  9iic^t  eine  „rein"  ober  „blo^"  ^iftorifc^e  SJlrbeit  ^at 
er  un§  in  i^nen  gefdienf t,  fonbern  fie  bebeuten  eine  g  e  f  ^  i  c^  t  §* 
pt)ilofop^ifcl)e  Seiftung  unb  jmar  eine  folc^e  im  größten  Stil, 
jugleic^  freilid^  eine  folc^e,  bie  überalt  auf  bie  eyafte  l^iftorifd)e 
^orfd^ung  jurüdtgc^t.  Slber  fic  bieten  bod)  eben  melir  —  vitl 
me^r  —  al§  blo§  fotdie  ejatte  ^iftorifd)e  g^tfc^ung.  Sagt  bod) 
au^  ^arnarf  felbft,  e§  tommc  i^m  gerabe  barauf  an,  „©leiben* 
be§  unb  a3ergänglic^e§,  ^rinjipieHc^  unb  blo§  ^iftorifc^e§"  ju 


92  Söobbcrmin:  Öoif 9  contra  ©arnacl. 

untcrfc^eibcn  (933cfcu  bc§  ©firiftent.  @.  9),  folfcn  roir  un§  boc^,  lülc 
er  au§brücffi^  cinfdjärft  berou^t  fein,  ba^  un§  bie  ^rebigt  -3efu 
fofort  auf  eine  ^ö^e  fü^rt,  auf  welcher  „i^r  3wfammen^ang  mit 
bem  Qubentum  nur  nocl^  aU  ein  loderer  erfc^eint  unb  auf  ber 
überhaupt  bie  meiften  gäben,  bie  in  bie  Beitgefc^id^te  jurudtfü^ren, 
unbebeutenb  werben"  (©.  10). 

3)iefe  Sä^e,  jumat  ber  (entere,  liefern  un§  aud)  ben  ©c^lüffet 
jur  richtigen  Beurteilung  ber  ffijjierten  Streitfrage. 

3)a§  „^iftorifc^e"  aSerftänbni§  be«  SReic^^gotteSbegriffg  ^at 
unbebingt  bei  ben  e^^atologifc^en  (Stimmungen  unb  SBorfteüungen 
ber  bamaligen  grömmigfeit  einjufc^en ;  aber  oon  ba  au§  geminnen 
lüir  eben  nur  ein  ^iftorifc^eö  SBerftänbniS  be$  ©egrip  unb  b.  ^. 
alfo  nic^t  eigentlich  ein  SBerftänbniS  be$  Begriffe  fetbft,  feiner 
9Wotiüe  unb  J:enbenjen,  fonbern  }unäd)ft  nur  ein  95erftänbni§ 
feiner  äußeren  SßorfteHungSformen. 

^•m  übrigen  ^at  roirflid)  bie  blo^  ^iftorifc^e  Betrachtung  bie 
3utunft§l^offnungal§  3»"^ölt  1^"^^  neuteftamentlic^en  Begriffs 
anjufe^en.  ©omeit  ift  bie  genannte  @cf)ule  ber  eoangelifcfien  S^^eo- 
togie  im  9iec^t,  foroeit  fmb  auc^  Soif^S  SluSfül^rungen  rict)tig  unb 
beac^tenSroert.  3lber  bie  eigentlich  t^eologifc^e  3lufgabe  ift  nun 
gerabe  erft  l)erau§geftellt  unb  teine§.meg§  abfcfelie^enb  gelöft. 

Unter  m  e  t  et)  e  m  ®  e  f  i  cl)  t  S  p  u  n  1 1  —  baS  ift  bie  mei^ 
tere  unb  mid^tigere  3=rage  —  betont  bie  alte  S^riftcn^eit  ben  Qw-^ 
funft§c^arafter  be§  SReic^g^SotteS? 

©oll  bie§  SRei^^OotteS  bamit  in  ben  gewohnten  2lblauf  beg 
jeitlid^en  @efc^e^en§  eingegtiebert  unb  foK  nur  eben  ber  betreffenbc 
3eitpuntt  nä^er  fixiert  merben  ?  ©o  ift  e§  —  menigftenS  teitmeiS 
—  in  ber  apofal^ptifc^en  Siteratur  be§  fpäteren  ^ubentumS;  im* 
mer^in  ift  ba§  fc^on  in  i^r  nict)t  ber  le^te  ©inn  ber  ganjen  95or* 
ftellung.  95ollenb§  aber  mürbe  eine  foldje  SluStegung  bc§  neu- 
teftamentlid)en  SHeic^§gotte§bcgriff§  ben  innerften  Äern  be§felbeu 
unoerftanbcn  laffen.  ®a§  5Reic^  ®otte§  gehört  nac^  ber  Betrac^* 
tung  be§  bleuen  2:eftament§  atlerbing§  ber  3^fw"ft  ^"J  ^^^^  ^^ 
gel^ört  beS^alb  ber  3wfw^ft  0"/  njeil  e§  ^inau§liegt  über 
bie  ganjeunS  gegenwärtige  933ett,  meiteS^in* 
aufliegt    über    ben    Bereich    alle§    natürlichen 


Sßobbermin:  Soif9  contra  §amacl.  93 

@ein§  unb  ®efc^c^en§.  ®a§  SRcid^  @ottc§  gcprt  bcr 
3ufunft  an,  lucil  c8  einer  anberen,  üon  ber  un§  gegenroärtigen  oer^ 
fd)tebencn  Söelt,  fagen  roir  furj,  meit  eS  einer  jenfeitigen  3BeIt 
angehört.  3)ie  3ufw«ft^öörfteüung  über  baö  SReic^  \)at  alfo  il^re 
eigentliche  93ebeutung  barin,  bie  Jranfjenbcnj  biefe§  SReid^eö 
jum  95en)u§tfein  ju  bringen.  —  @o  l^ci^t  e§  benn  im  merten 
(Soangelium  ganj  birett:  „9Wein  SReid^  ift  nic^t  üon  biefer  SBelt"  unb 
glei^  barauf:  „e^  ift  nic^t  oon  bie^feit^  ^er",  b.  i).  eö  ift  fein 
bieSfeitigeö  ^),  alfo  fein  biefer  raum=jeitlid}en  SBeltorbnung  an^ 
ge^örenbe§.  3)e§^alb  ift  aber  auc^  bie§  9ieid)  im  legten  ©runbe 
notroenbigerroeife  ganj  unabhängig  oon  aller  jeitlic^en  ©ef^ränft^ 
^eit  unb  überhaupt  Don  jeber  jeittic^en  S3eftimmt^eit.  3)af|er  fic^ 
benn  auc^  fc^on  in  ben  f^noptifc^en  @oangelicn  fol^e  ©teilen 
finben,  roo  nun  bod)  ba§  SReic^  al§  bereite  gegenwärtig  erfc^eint, 
wie  aWatt^.  12,28:  „SBenn  i^  aber  mit  ®otte§  Oeift  bie  3)ä^ 
monen  auftreibe,  fo  ift  ja  ba^  SReid^  @otte§  fc^on  über  eud)  ge* 
fommen",  ober  Suf.  17,  21:  „3)a§  9leic^  ®otte§  fommt  nic^t  mit 
äußerem  ^omp,  man  mirb  auc^  nid)t  fagen,  e§  ift  ^ier  ober  ba ; 
benn  ba§  Sleic^  ©otte^  ift  in  eud^";  —mag  le^tcre^  ^)  bebeutcn: 
e§  ift  inroeubig  in  euren  ^erjen,  ober  aber:  eS  ift  bereite  mitten 
unter  euc^.  3)a§  SReic^  @otte§  im  ©inne  beS  bleuen  Jeftament^ 
ift  eben  te^tlic^  bie  9Sermirtlic^ung  ber  Seben§gemeinftf)aft  ber 
einzelnen  mit  @ott,  bie  fc^on  ^ienieben  beginnen  tann  unb  bc^ 
ginnen  foö,  jur  SSollenbung  aber  aUerbing§  erft  im  3enfeit§  ge« 
langen  tann,  ba  erft  in  biefem  für  bie  3nenfdt)en  bie  @d)ranten 
i^re§  raum^jeitlic^en  3)afein§  ooUftänbig  aufgehoben  fmb.  „@ott 
unb  bie  ©eele,  bie  Seele  unb  it)r  @ott"  —  wie  ^arnatf  im  2ln« 
f(^lu|5  an  Sluguftin  fo  oft  unb  mit  fo  großem  9lac^bru(f  mieber* 
^olt:  ba§  ift  alfo  in  ber  2;at  ber  ©runbgebante  ber  9leic{)§gotte§'- 
SBorftellung  unb  9leic^§gotte§^§offnung. 

2lber  ift  be§^alb  ba§  ©oangelium  ^inbioibualiftifd^"  — 
unb  jmar  nä^er  inbioibualiftifc^  im  ©inne  eine^  a  b  f  o  l  u  t  e  n 
^Inbioibuali^muö?    Soifij  nämlic^  behauptet,  jene  3lu§tegung 

1)  (So.  So^.  18, 36 :  ^  ßaotXeia  -^  fejiyj  oOx  ioxtv  Ix  loö  xöojioü  touiou  .  .  . , 
vjv  Zk  7}  ßaaiXeta  i^  Sjitj  oöx  ioxtv  Svxsö9-ev. 

2)  9im  gried)ifcl^en  ^ejt:  Ävids  öjaöv. 


94  9Bobbcrmtn:  Soifp  contra  ©ontad. 

bc§  3fieici^§gottc§^©cgrtff§  fü^rc  jum  unbcgrenjtcn  unb  abfolutcn 
OnbiDibuali^muS,  unb  fo  fei  bcr  ^auptuntcrf^icb  jroif^cn  feiner 
Beurteilung  ber  c^riftlic^en  9icUgion  unb  ber jenigen  ^arnarf§  gerabe 
ber,  ba§  er  bas;  SBcfen  berfelben  für  tolle ftiüiftifd^,  |)Qr* 
md  bagegen  für  inbioibualiftifc^  l^alte.  Unb  bie§  fei  bann 
jugleic^  ba§  eigentli^e  Streitobjeft  jroifi^en  ben  fat^olifdjen  J^eo^ 
logen  einerfeitS  unb  bcnen  ber  reformierten  Äirc^engemeinfc^aften 
anbererfeit^;  e§  laffe  fic^  auf  bie  einfa^e  grage  jurüdfü^ren: 
„3^ft  ba§  (Soangelium  ^^fu  im  ^rinjip  inbioibualiftifc^  ober  fol^ 
leftiüiftifc^"  ?  „©egenüber  bem  ^roteftanti^mu«^,  ber  bie  c^riftlicf)e 
JReligion  tonfequent  jum  abfoluten  ^^nbioibuali^mu^,  b.  f).  jur 
unbegrenjten  ß^^^^ödtelung  fü^rt,  ^at  ba§  fatt)olifc^e  ©^riftcntum 
ein  flarere§  93emu§tfein  Don  fic^  felbft  betommen  unb  fic^  aU  eine 
göttliche  3"f^i^wtiou  erflärt,  infofern  e§  eine  äugerlic^e  unb  fi^t= 
bare  ©efellfc^aft  mit  einem  einjigen  Oberhaupt  ift,  melc^e§  bie 
^üDe  ber  2et)r^  3»uri^biftion§^  unb  ^eil§gemalt  befi^t,  b.  f),  alte 
in  ber  Äirc^e  oor^anbenen  9lec^te,  bie  oon  ben  früheren  3>o^r« 
l^unberten  bem  altgemeinen  Spiftopat  unter  Ober^errfc^aft  be^ 
^^}apfte§  jugefd^rieben  loaren  o^ne  nähere  ©eftimmung,  ob  ber 
^apft  fte  atte  in  fid)  felbft  befa^"  (@.  141). 

2lber  n)a§  ift  ba§  für  ein  ungelieuerlic^e^  quid  pro  quo? 
SBSer  ba§  (Soangelium  ^t\n  im  ^rinjip  für  toDettiDiftifc^  l^ält, 
ber  mu§  bie  ganje  ^apft-Äirc^e  mit  aßen  i^ren  ^nftitutionen  unb 
Set)rbeftimmungen  bi§  biu  jum  Unfef|lbarfeit§*3)ogma  be§  oatifa* 
nifc^en  Äonjil§  mit  in  Kauf  nehmen  —  unb  mer  ha^  nic^t  tun 
roitl,  ber  ertlärt  bamit  ba§  ©oangelium  ^efu  im  ^rinjip  für  cy« 
tlufiU'inbioibualiftifc^  ?  ®§  lä^t  fi^  ja  taum  ein  gröberer  unb 
l)anebäc^nerer  Srugfc^lu^  beuten  alö  biefcr.  ©c^on  ba§  jugrunbe 
gelegte  3)ilemma  ift  mitlfürlic^  tonftruiert;  in  SBirtlic^teit  befte^t 
c§  gar  nic^t.  Ob  bai^  (Soangelium  Qefu  —  ober  fagen  mir  lieber, 
roeil  richtiger  unb  unmi^oerftänblic^er:  ob  bie  d)riftli^e  9ieligion 
inbiuibualiftifd)  ober  tollettioiftif^,  alfo  ob  fie  ba§  eine  mit 
2lu§fc^lufe  be§  anbereu  fei,  biefe  J^ageftelluug  ergibt  fic^  jeben- 
fatl^  au§  bem  Soangelium  felbft  nic^t.  SBirb  bie  S^age  aber 
einmal  fo  gefleltt,  bann  fann  bie  Stntmort  felbftuerftänblic^  nur 
lauten :  bie  c^rifttic^e  SHeligion  ift  toUettioiftifd).  Sie  ift  toltettioiftifd). 


SBobbcrmin:  Soif^  contra  ^arnacf.  95 

bcnn  ftc  lüitt  bic  SReligion  bcr  ganjen  üWcnfc^l^cit  fein,  e§  jcbcnfaüö 
immer  me^r  merben ;  fie  ift  folfettiöiftifc^,  benn  ba§  9teJc^@otte§,  auf 
ba§  fie  abamedt,  ift  bie  SebenSgemeinfc^aft  ber  ©efamt^eit  freier 
©elfter  mit  @ott.  2lber  biefer Äotfcf tim§mu§  ber  d^riftli^en  SHe^ 
ligion  fte^t  mit  einem  rec^t  ücrftanbenen  <3nbioibuati§mu§  eben 
nic^t  im  SBiberftreit ;  er  fe^t  it|n  melme^r  aU  Sebingung  üorau§. 
3)enn  ba^  SReic^  ©otteö  aU  bie  Seben§gemeinfc^aft  freier  ©eifter 
mit  ©Ott  unb  aU  ber  grofee  53ruberbunb  ber  Äinber  ©otte§  ge^ 
iDinnt  feine  ®rfüUung  nur  fo,  ba^  immer  mieber  beftimmte  ein^ 
seine  SWenfc^enfeelen  bem  SRuf  be§  SBaterg  im  $imme(  gotge  leiften. 

9]ici^t  ^nbioibuali^mu^  ober  Äoüeftiüi§mu§  tann  für  bie 
c^riftUc^e  ^Religion  in  S^agc  fommen ;  fonbern  nur  ÄoUeftioi§mu§ 
auf  inbioibualiftifc^er  ©runbtage  mirb  i^r  gerecht.  SEBo  bie  ^^age 
in  jener  anbern  5orm  gefteUt  mirb,  bleibt  man  hinter  ber 
$öt)e  ber  c^riftlic^en  9ieligion§ftufe  jurüd.  ©s;  gehört  gerabe 
mit  jum  aßefen  ber  c^riftU^en  SReligion,  ba§  fie  ba§  3)itemma: 
inbioibualiftifc^  ober  folleftioiftifc^  übermunben  ^at.  3)er  blo^e 
religiöfe  ^nbioibualisimug  unb  ber  bto§e  religiöfe  ÄoUettioi^mu^ 
fmb  formen  ber  oor-  unb  unterc^riftlic^en  SReligiofität.  3)er  c^rift= 
(i^e  ©(aube  a(§  ber  ©laube  an  ben  einen  geiftig^perfönlid)en  ©ott 
unb  an  bie  93eftimmung  ber  ÜWenfc^en  jur  Sebenögemeinfc^aft 
mit  i^m  ift  inbioibualiftifc^  unb  toüeftioiftifc^  jugleic^ :  er  ift  in^^ 
bioibualiftifd)  mit  foüettioiftifc^er  2:enbenj,  er  ift  toUeftioiftifd) 
auf  inbiüibuaHftif^er  ©runblage.  ©in  großer  Sruberbunb  ber 
in  bie  £eben§gemeinfc^aft  mit  ©ott  2lufgenommenen,  aber  nur  fo, 
ba^  and)  mirtlic^  jeber  ©injelne  für  feine  ^erfon  in  biefe  Seben§* 
gemeinfc^aft  eintritt. 

3ur  ooUen  93ermirflic^ung  fann  biefer  53ruberbunb  erft  im 
3enfeit§  gelangen;  aber  er  foU  ^ienieben  vorbereitet  unb  ange* 
ba^nt  merben.  3)iefem  Qvoed  unb  nur  i^m  bienen  bie  äußeren 
Äirc^engemeinfc^aften  ber  d)riftlic^en  9ieligion.  Sie  finb 
ba^er  für  fic^  unb  in  ifirem  93er^ältni§  ju  einanber  barnad)  ju 
beurteilen,  in  melc^em  9Jla§e  fie  ba§  tun  unb  in  welchem  ©rabe 
fie  fic^  baju  fa^ig  erroeifen.  Unb  alle  ©inric^tungen  ber  Äirc^en 
fmb  unter  biefem  ©efic^t^punft  a(§  ben  le^tlic^  entfc^eibenben  ju 
fteöen  unb  oon  i^m  au§  im  ^inblirf  auf  bie  jeroeilige   gefc^ic^t* 


96  Sßobbermin:  Sotfg  contra  ^amac!. 

(ic^e  ©efamtfituation  immer  micber  ju  repibieren. 

S)iefcn  oberften  ©runbfa^  für  bic  93eurtci(ung  ber  äußeren 
Äirc^engcmeinfc^aften  beftreitct  aber  bie  römifc^e  Äirc^e  pxiuiu 
pieQ.  9(uc^  bie  eoangelifc^en  ^irc^en  ^aben  biefen  ©runbfa^ 
teine^megg  immer  ^inreic^enb  befolgt  unb  machen  auc^  ^eute  \)kU 
fac^  nod)  nic^t  genügenb  @rnft  mit  i^m;  aber  fie  ertennen  i^n 
jebenfaüiS  im  ^rinjip  an.  3)ie  römifc^e  Äird^e  bagegen  beftreitet 
i^n  prinjipieH.  ©ie  betrad)tet  i^re  beftimmt  organifierte  äußere 
Jlirc^engemeinfcl)aft  a(§  bie  alteiu  bered)tigte  unb  per^inbert  bamit 
ober  erfc^mert  roenigftenS  an  i^rem  Seil  bie  SWealifteruug  jeneiS 
oben  genannten  Snbjroerf^  ber  c^riftüc^en  Äirc^en,  inbem  fie  für 
weite  Äreife  i^rer  33etenner  ba§  33en)u&tfein  ber  3wfönimenge* 
^örigfeit  ber  gefamten  ©^riften^eit  erflirft. 

3)ieS  ift  rec^t  eigentlich  ba§  npöTov  tJ^eoSo?,  bie  ®runblüge 
(Süge  im  objettioen,  nic^t  im  fubjeftioen  ©inne)  be§  römifd)en 
Äat^olijiSmuö.  Unb  mie  fe^r  fie  i^m  in  Jl^U^  unb  93lut  über^ 
gegangen  ift,  beroeift  ni(^t§  beffer  al§  ber  Umftanb,  ba§  fetbft  ein 
aWann  mie  Soift)  fic^  oon  i^r  nic^t  ^at  frei  machen  tonnen, 
©c^on  ber  Sitel  feinet  93uc^e§  jeigt  ba§.  ^^Suangelium  unb 
Äirc^e"  überfc^reibt  er  e§.  3)ie  „Äirc^e"  aber,  oon  ber  bann  bie 
iHebe  ift,  ift  mie  felbftoerflänblic^  immer  bie  römifc^e.  SBeber 
bie  Äiri^engemeinfc^aften  ber  morgenlänbifc^^ort^oboyen,  noc^  bie 
ber  eoangelifc^en  S^riften^eit  fommen  prinjipieü  mit  inöetrac^t. 
Unb  ber  römifc^cn  Äird^e  gegenüber  oerfagt  fein  fonft  fo  fd^arfeS 
l)iftorifc^^tritifd^e§  Urteil  ooUftänbig. 

3)ie  römifc^e  ^ird)e  ift  ]^ierard)ifd)  georbnet  unb  ru^t  ganj 
unb  gar  auf  i^rer  ^ierarc^ie.  3llfo  mu^  biefe  ^ierard^ifc^e  Orb- 
nung  bi§  in  bie  ©ntfte^ung^jeit  ber  c^riftlic^en  Sieligion  jurücf^ 
oertegt  werben.  3)a  fc^eint  nun  jmar  guter  9iat  teuer  ju  fein. 
91  ber  o  nein !  ©c^on  ber  erfte  QüngerfreiS  liefert  ja  ben  ©eroeiS. 
3)enn  biefer  Qüngertrei^  jeigt  nic^t  nur  eine  fd)arf  umgrenjte, 
ooUtommeu  fenntlictie,  auc^  gut  jentralifierte,  fonbern  au^  eine 
„bei  ootlfommenfter  33  r  überlief  feit  f  ogar  l)ierarc^if  c^ 
geglieberte  ®ruppe"  (©.  99).  Difficile  est,*  satiram  non 
scribere.  greilic^  ift  Soifg  el^rlic^  genug,  eine  ©eite  fpäter  in 
93ejug  auf  jenen  ^ü^a^rf^^i^  ^injuguf ügen :  „3)a§  a38ort  beö  ©r-- 


SB  0  b  b  c  t  m  i  n ;  Soif^  contra  ©amac!.  97 

(öfcr§,  Toer  unter  cud)  bcr  Srftc  fein  mü,  bcr  foü  bcr  Äne^t 
alter  fein"  roirb  roörtlic^  angeroanbt.  S)ie  ®emeinfc^aft  tennt  nur 
einen  einjigen  3Weifter,  einen  einjigen  ^errn,  nämlid^  S^ri* 
ftu§  unb  fonft  teine  moggebenbe  Slutorität;  bie  einjigc  ^ie» 
rarc^ie,  bie  e§  gibt,  befte^t  in  ber  Eingabe."  ©o  fc^eint  alfo 
bie  ainroenbung  be§  a3egriff§  ber  ^ierarc^ic  auf  ben  erften  jünger« 
trei§  boc^  nur  ein  SBJortfpiel  fein  ju  foüen?  ©ie  ift  nur  ein 
aßortfpiet  unb  ift  für  ben  93erfaffer  bod)  jugleic^  me^r  al8  ein 
SBortfpiel.  (5§  ift  gerabe  ba§  ©^arafteriftifc^e  feinet  93eroei§oer* 
fa^ren§  in  bem  ganjen  2lbfc^nitt  über  bie  Äirc^e,  ba§  er  ^ier 
burd)n)eg  mit  me^rbeutigen  ^Begriffen  arbeitet,  bie  baju  be^* 
nutjt  werben,  Folgerungen  ju  sieben,  bie  burd)  ben  2lnfa^  in  feiner 
SBeife  geberft  finb. 

3)a^er  oerfte^t  Soifg  auc^  nic^t,  ba§  proteftantifc^e  ^iftoriter 
unb  J^eotogen  unb  fo  gerabe  and)  ^arnarf  oon  geroiffen  Sin* 
ri^tungen  unb  9Ser^aItung§n)eifen  ber  römifc^en  Sirene  urteilen, 
fie  feien  jroar  für  beftimmte  3^itoerl^ä(tniffe,  etroa  für  bas  SWittel= 
alter,  burc^auS  nü^lid^  unb  berechtigt  geroefen,  ^eute  aber  fei 
i^nen  unter  ben  gang  ueränberten  93er^ältniffen  bie  Sjiftenjbe^ 
re^tigung  abjufpre^en.  Sbenforoenig  oerfte^t  fioifg  aber  anbrer* 
feit§  ba§  Urteil  ber  proteftantifc^en  Jl^eologie  über  bie  2lrt  unb 
SEßeife,  in  ber  immerhin  auc^  bie  römifc^e  Sirene  ein  gen)iffe§ 
3Wa§  üon  3lnpaffung§fäl)igfeit  an  bie  realen  Sßertiältniffe  be* 
roiefen  ^at.  ®r  meint  l)ier  fogar  einen  befonberen  Strumpf  gegen 
^arnacf  au§fpieten  ju  fönnen.  „§.  legt  !ein  ©emic^t  auf  biefe 
SBiegfamteit  ber  römif^en  ^irc^e;  er  fd)eint  in  il^r  me^r  einen 
aWanget  aU  ein  SSerbienft  ju  fe^en.  3iCi>^nfölI§  ifte§rec^t 
pitant,  einem  liberalen  ^roteftanten  unb  ©elel^rten 
JU  begegnen,  ber  jur  2lnfic^t  neigt,  bie  fat^olifc^c 
Äird)e  änbere  fid)  ju  fe^r,  ober  ber  barüber  fi^  mun* 
bert,  ba§  fie  fo  fe^r  unb  fo  leid)t  fic^  änbcrt.  SBie 
©iete  anbere  machen  i^r  im  (Gegenteil  SWanget  an  genügenber  Sßer* 
änberung  jum  SBorrourf!"  (©.  98). 

9lber  ber  SSormurf  ^arnacfS  richtet  fic^  gegen  bie  innere 
Unma^r^aftigfeit,  bie  barin  liegt,  ba^  bie  römifc^e  Sirene 
fclbft  an  ben  fünften,  mo  fie  in   if)rer   SBeife   ben   ueränberten 

3e4tf<^rift  für  X^eoloßU  unb  Stivdff.  16.  Qa^rg.,  1.  ^<;ft.  7 


98  SBobbcrmin:  ßoif^  contra  ©arnac!. 

aSer^ältniffen  9lec^nung  getragen  unb  neue  aOäege  eingefc^lagen 
l^at,  bie  ein  roirtlic^e^  abbiegen  pon  ben  früheren  bebeuten,  bieS 
bod)  im  ^rinjip  in  Slbrebe  fteüt  unb  behauptet,  e§  ^anbele  fid^ 
nur  um  bie  organifc^e  Entfaltung  pon  Seimen,  bie  von  Dorn^er* 
ein  in  ber  Sird^e  —  nämtic^  in  ber  römifc^en  Sirene  —  oor* 
Rauben  gemefen  feien.  S)urc^  biefen  ©vunbfa^  roirb  ein  fH&ilU 
türperfa^ren  fanftioniert,  ba§  aöe  objettioen  aKa^ftabe  furjer 
^anb  beifeite  fd)iebt  unb  eine  unparteiifc^e  93eurteilung  be§  ©nt- 
n)icHung§gange§  anberer  Sirc^engemeinfc^aften  pon  porn^ercin  un»* 
möglich  mac^t.  Soif9§  SSerfud^  fc^lie^Ii^,  ^iftorifc^  ju  jeigen,  ba§ 
bie  ©ntmidflung  notmenbig  ben  SBeg  einfd)lagen  mu&te,  ben  fic 
in  ber  römifc^en  Äirc^e  roirflic^  eingefc^Iagen  ^at  ba§  biefer  SBeg 
ber  allein  normale  unb  in  jeber  93e}ie^ung  gefunbe  joar,  —  biefer 
Sßerfuc^  bleibt  ben  93en)ei§  burc^roeg  fc^ulbig ;  felbft  in  ber  äußeren 
5orm  tritt  bei  biefer  ©elegen^eit  bie  SBoreingenommenbeit  feiner 
^ier  nur  noc^  fdjeinbar  „^iftorifd)en"  93etrac^tui!g  .^erpor.  „®§ 
mu^te  fo  tommen,  benn  —  e§  ift  fo  gefommen":  ba§  ift  ganj 
unper^üUt  bie  Slrgumentation,  beren  fid)  Soifg  ^ier  jebe^mal  be» 
bient.  3Wittelft  biefe§  SBerfal^renS  tann  man  aber  befanntlic^  alleS 
rechtfertigen.  S)enn  auc^  ba§  ©c^le^te,  Ungefunbe,  Qvotd'-  unb 
aSernunftmibrige  in  ber  menfc^lic^en  ©efc^ic^te  ift  gefc^id^tlid)  ge* 
morben. 

®e^en  mir  alfo  ju  bem  legten  ^un!t  über,  ber  pon  un§  noc^ 
ermäl^nt  merben  follte,  unb  an  bem  bie  Äritit  SoifgS  aud)  roieber 
glücflid^ere  ÜJlomente  l)at. 

„3)er  ^iftoriter  wirb  nic^t  leugnen  moUen,  ta^  bie  ©^riftuS^' 
3bee  für  ba§  (J^riftentum  mefentlid)  fei"  (©.  36).  ©§  ift  in  ber 
Xat  ^eute  nid)t  überflüffig  unb  nid)t  ol)ne  aSerbienft,  ba^  ein  ^i* 
ftorifer  biefe  3Bal)r^eit  feinen  gai^genoffen  gegenüber  betont.  2lber 
^at  ^arnadf  fie  beftritten?  ^d)  mü&te  nic^t  ipo.  SBo^l  aber 
mü^te  ic^  uiele  (Stellen  in  feinen  2lrbeiten  ju  nennen,  bie  jeigen, 
ba^  er  jene  2^^efe  ui^t  nur  gleichfalls  bebingung§lo§  pertritt,  fon« 
bern  ba|  er  auc^  ba§  größte  ©eipi^t  auf  fte  legt.  „3;a§  ©Triften« 
tum"  —  befiniert  er  j.  93.  in  ber  3)ogmengefc^id)te  —  „ift  bie 
SReligion,  in  roelcl)er  bie  Äraft  ju  einem  feiigen  unb  ^eiligen  Seben 
gebunben  ift  an  ben  ©lauben  an  ®ott  als  ben  SSater  :3e(u  S^rifti." 


^obbctmin:  Soifi)  contra  ©arnacf .  99 

3)amit  ift  bic  S^riftuS^^bce  al§  für  btc  c^riftti^e  SReligion  fon« 
pitutip  erffärt. 

3nbe§  ^arnarf  fagt  bod)  in  ben  SBorlefungen  über  ta^  SBefcn 
bc§  ®^riftcntum§,  nic^t  ber  ©o^n,  fonbern  aüciu.bcr  SBater  gc* 
^örc  in  ba§  Soangelium  ^incin.  S3Sa§  roilt  bicfc  2:f)efe  unb  loic 
ftimmt  fie  mit  jener  33etonung  ber  6;^riftu§«<3^ee  unb  i^rer  93e* 
beutung  jufommen?  ®§  ift  allein  über  biefe  2:^efe  fc^on  fo  oiel 
gefc^ricbcn  unb  geftritten  roorbcn,  ba^  man  mit  fiei^tigteit  eine 
Heine  ©ibliot^ef  barüber  jufammenftcBen  fönnte.  3)od)  ift,  fomcit 
id)  ju  fc^en  oermag,  ber  fpringenbe  ^un!t  bi§l^cr  nic^t  tlar  l^er* 
auSgeftellt  roorben. 

S)ie  2ln^dnger  ^arnacf§  oermeifen  barauf,  ba|  er  jene  2:i^efe 
gar  nic^t  fo  allgemein  ^ingeftetlt,  ba§  er  fie  uielmelir  nur  mit  ber 
92ä^erbeftimmung  au^gefproc^en  ^abe:  in  ha^  ©oangelium,  mie 
e§  QcfuS  perfünbigt  ^at,  gehört  ber  ©o^n  nic^t  l^inein 
(9Befen  be§  S^riftent.  @.  91).  ®a§  ift  riditig  unb  biefe  ©in- 
fc^ränfung  mu§  natürlid)  beachtet  werben,  —  aurf)  Soifg  über^^ 
fie^t  biefelbe;  —  aber  erlebigt  ift  bie  ©ac^e  bamit  bo^  nid)t. 
2)enn  ba§  ©uangelium,  roie  e§  -3efu§  oertünbigt  ^at,  b.  \).  alfo 
bie  ^rebigt  Qf^fu  ift  ja  nid)t  ol)ne  meitere^  ibentifd)  mit  ber 
c^riftlid^cn  Sieligion.  Unb  ^arnadf  mill  bod^  offenbar  mit 
jener  2:^efe  eine  93eftimmung  über  bie  c^riftlid^e  Steligion  felbft 
treffen.  3)ie  ^^rebigt  3>^fu  aber  ift  nur  einer  ber  gaftoren,  bic 
}ur  Sntfte^ung  ber  d)riftlic^en  SWeligion  gefütirt  ^aben.  Jteben 
ber  ^rebigt  Qefu  ift  in  ber  gleichen  9lid)tung  unb  für  benfelben  @r* 
folg  jmeifello§  ber  Sinbrud  feinet  ganjen  perfönlic^en  Seben§  mirt* 
fem  gemefeu.  ®§  ift  fd)lie^lic^  bie  ®efamterfc^einung  unb  @e* 
famtroirffamfeit  ^efu,  meiere  bie  Sntftel^ung  ber  c^riftlic^en  SRe^ 
ligion  ]^erbeigefüt)rt  ^at.  ^n  biefer  feiner  ®efamterfc^einung  unb 
©efamtroirtfamfeit  ^aben  bie  jünger  bie  ©elbftoffenbarung  @otte§ 
gefe^en,  bie  Sßcrförperung  be§  göttlichen  Sogo§,  mie  ba§  uierte 
©oangelium  fagt,  b.  1^,  bie  93erförperung  ber  emigen  bie  SBelt 
burc^maltenben  ßw'^cfgebanfcn  unb  Seben^träfte  ©otteg.  Unb  fo 
ift  erftmalig  in  biefem  ^ünger^Jlrei^  bie  gottbilbung  be§  religiöfen 
Seben§  ju  berjenigen  g^rm  unb  Stufen^ö^e  erfolgt,  bie  feitbem 
unb  ebenbegl^alb  al§  d)riftlic^e  bcseid^net  mirb. 


100  ffiobbctmin:  Coifg  contra  §arnac!. 

3)a&  aber  für  bicfc  c^riftlic^c  Slcligion  bic  ®^riftu§*^erfon  unb 
bie  (J^riftu^-^bcc  üon  grunblegcnber  unb  bleibcnbcr  33cbeutung  fein 
muffen,  ergibt  fic^  au§  ber  eben  angefteüten  SReffeyion  no6)nxaU 
mit  sroingenber  9iotn)enbig!eit.  Sntfte^ung  unb  93eftanb  ber  d^rift* 
liefen  SReligion  ru^en  auf  biefem  gunbament.  ^arnacf  brürft  ba§ 
in  einer  offenbar  abfic^tlic^  jebe  Erinnerung  an  t^eologifc^e  unb 
firc^lic^e  2:erminologieen  oermeibenben  Formulierung  fo  au§:  ^t-- 
fu§  ®^riftu§  fei  bie  perfönlic^e  SBerroirflic^ung  unb  bie  Äraft  beS 
®oangelium§  gemefen  unb  merbe  no^  immer  al§  folc^e  empfun* 
ben  (SÖäefen  be§  (J^riftent.  ©.  91).  2lber  bann  ergebt  fi^  nun 
nur  um  fo  nac^brürflic^er  bie  S^age:  ma§  bebeutet  bann  bie 
2:i^efc,  nic^t  ber  ©o^n,  fonbern  nur  ber  Sßater  gehöre  in  ba^ 
®oange(ium,  mie  e§  Qt^n^  oer!ünbigt  ^at,  hinein? 

Um  ®inn  unb  Slbjmedfung  biefer  S^efe  ju  üerftelien,  muffen 
mir  un§  mieber  erinnern,  ba§  e§  ^arnact  in  ben  SBorlefungen 
ganj  in  erfter  Sinie  barauf  antommt,  bie  d)  r i ft li ^  e  SR e ( i- 
giofität,  alfo  bie  c^riftUc^e  9te(igion  nac^  il^rer  fubjettipen 
Seite  JU  c^arafterifieren.  gür  bie  c^riftlic^e  3letigiojität  aber 
gilt  bie  Sofung  2luguftin§:  ®ott  unb  bie  ©eelc,  bie  ©eete  unb 
i^r  ®ott.  2)ie  c^riftlic^e  SReligiofität  barf  fid)  alfo  nic^t  teil§  auf 
©Ott,  teils  auf  QefuS  (J^riftuS  bejiel)en,  fie  barf  nicftt  ben  ©ol)n 
in  ber  SÖäeife  jum  ©ejie^ungS^Objett  be§  religiöfen  @laubcn§  unb 
religiöfen  SBerlialtenS  machen,  ba%  fie  il^n  felbftänbig  b.  f).  mie 
eine  befonbere  ®rö|e  neben  @ott  ftellt. 

aOBo^l  tann  fid)  bie  ^riftlic^e  SReligiofität  auf  ben  „©o^n", 
auf  Qefu§  S^riftuS  bejie^en,  aber  normaler  SBJeife  nur  fo,  ba§ 
bann  ^z^n^  ®^riftu§  al§  ber  SBermittler  ber  ©elbftoffenbarung 
®otte§  ®ott  felbft  repräfentiert.  9iur  mit  biefer  Siä^erbeftim^ 
mung  ift  bie  gorberung  eine§  perf6nlid)en  religiöfen  SBer^ältniffeS 
}um  ^erm  ^z^nS  ®^riftu§  in  ber  diriftlic^en  Sieligion  bered^tigt. 
©0  bur^gefü^rt  bejeic^net  baSfelbe  bann  gerabe  ba§ 
öbeal  d^riftlid)er9teligiofität,b.^.alfo  c^riftlic^er grömmig^ 
feit.  2lber  mie  fo  oft  im  menfc^lidien  Seben  liegen  aurf)  l^ier  SGBal^r^eit 
unb  -Qfrrtum  unmittelbar  neben  einanber.  3)enn  fobalb  jene  Släl^erbe^ 
ftimmung  pergeffen  ober  aud^  nur  in  ben  ^intergrunb  gerürft  mirb, 
fü^rt  bie  gorberung  eine§  perfönlic^en  religiöfen  Sßer^ältniffeS  jum 


SBobbcrmin:  ßoif 9  contra  ^ornad  101 

^crm  3efu§  6^riflu§  auf  bie  Sinie  bc§  ^oIqt^ci§mu§,  alfo  auf 
bie  Sinie  untcrc^riftlic^cr  SWcligiofität.  Unb  biefc  ®efa^r  ift  ^cute 
—  au^  in  ben  eoangelifdien  ^irc^cn  —  um  fo  größer,  atö  ein 
t)oüe§  9Serftänbni§  für  jene  genuin  *  c^riftlic^e  ©d)a^ung  (J^rifti 
offenbar  nur  wenigen  jugänglic^  ift.  SBorbebingung  bafür  ift  ent* 
weber  ein  gen)iffe§  aKa§  ^iftorifc^^t^eologifc^er  93ilbung,  ba§  für 
fiaien  nur  in  SluSna^me^^äü^^  erreid^bar  ift,  ober  eine  ^ntenfität 
beg  religiöfen  Seben§,  mie  fie  erfa^rungSmä^ig  nur  in  Keinen 
Greifen  ^eimifd^  ift.  SBeiteren  Greifen  barf  bie  9lotn)enbigtcit 
cine§  perfönli(^en  religiöfen  93er^ältniffe§  ju  ©l^riftuS  jebenfaU§ 
nic^t  um  ben  ^rei§  ber  ©efä^rbung  be§  monot^eiftifc^en  ©otte^- 
glaubend  geprebigt  werben.  3)er  S8eg,  ber  bamit  eingefd)lagen 
würbe,  mürbe  birett  in  ben  Kat^oliji§mu§  hinein«  unb  jurüct* 
führen.  SBieber  bemeift  fioifq'S  93u(^  bie  Siic^tigfeit  biefeg  Ur^ 
teil§  unb  bamit  jugleid)  bie  93ebeutung  ber  rid^tig  gebeuteten 
^arnadffd^en  2i^efe.  ©obalb  nämlic^  jene  befproc^ene  ^lä^er- 
beftimmung  be^  perfönlic^en  religiöfen  SBer^ältniffeg  ju  ß^riftuS 
au^er  Slc^t  gelaffen  wirb,  ftel|t  prinäipieU  nichts  mel^r  ber  herein ^ 
jie^ung  weiterer  ^ultsObjefte  in  bie  d^riftli^e  SReligiofität  im  SBege. 
S)ann  ift  wirMid),  wie  Soifq  behauptet,  „ber  ^eiligentult  bie 
natürliche  ergänjung  be§  Äultu§  3efu"  (©.  173). 

(S§  ift  au^erorbentlid)  intereffant  unb  religion^pf^c^ologifc^ 
^öct)ft  lelirreic^,  biefe  2lrgumentation  einc§  fd)arffinnigen  unb  auf- 
geflarten  fatt)olifc^en  2:^eologen  ju  ©unften  be§  ^eiligen^  unb 
aWarientultu^  genau  in§  Sluge  ju  faffen.  3)enn  bem  ^eiligen:= 
fultuS  fc^lie^t  fic^  natürlich  ber  SWarientuUu^  fofort  an.  „©ie^t 
man  oon  ber  befonberen  93ebeutung  feiner  ©ntwirflung  ab,  fo 
fteüt  fid^  ber  9Warienfult  unter  ben  gleichen  93ebingungen  bar,  wie 
ber  Äult  ber  ^eiligen",  b.  \).  alfo  aud)  er  ift  „bie  natürliche  ®r^ 
gänjung  be§  Sultu§  Qefu".  Unb  in  93ejug  auf  biefen  ganjen 
3[«fu§=9Warien^  unb  $eitigenfultu§  wirb  nun  behauptet,  ba^erft 
er  ben  religiöfen  ®et)alt  unb  biereligiöfe33c= 
beutungbe§®^riftentum§fic^erftelle.  „O^ne  biefen 
ftult  ift  ba§  e^riftentum  nur  eine  ^l)ilofop^ie ,  eine  mqftif^e 
^l)ilofop^ie,  wenn  man  will,  bie  ben  Flamen  9teligion  wo^l  an* 
nehmen  möchte,  aber  fein  Siecht  baju  ^at,  ba  fie  feine  beftimmte 


102  SBobbcrmin:  ßoifg  contra  §ornac!. 

religiöfe  gorm  behält." 

3ft  tatfädilic^  burc^  bic  polgt^eiftifc^c  ^rayi§  bc^  Äat^oli^ 
ji§mu§  ba§  Urteil  felbft  eine§  5OTanne§  wie  Soifq  fo  getrübt,  ba§ 
er  in  ©efal^r  gerät,  ©inn  unb  SBefen  innerüc^fter  JWcUgiofität  voll-- 
ftänbig  ju  oerfennen?  ^\t  wixtli^  bie  Slbgrenjung  ber  9leligion 
gegen  bie  ^t)Uofop^ie  nur  baburc^  möglich,  ba§  man  mgt^ologi* 
fierenbe  aSorftetlung^formen  jumaBefen  ber  SReligion  mac^t?  SßicU 
me^r:  ^Religion  ift  Seben  in  unb  mit  @ott;  unb  ber  ©onberc^a^ 
rafter  ber  ^riplic^en  Steligion  berulit  bemgemäg  auf  ber  @igen^ 
art  i^re§  @ütte§g(auben§.  3)iefe  fpejififc^^c^riftlic^e  ®eftaltung 
be§  ®otte§glauben§  ift  burd^  ^^fw^  ®^riftu§,  burc^  feine  @efamt'= 
erfc^einung  unb  ©efamtroirffamfeit,  ber  9Wenfc^l^eit  befc^afft  roor* 
ben.  S)ie  objeftiüeöebeutung  3«fu  ©^tifti  (ber  6^riftu§* 
^^Jerfon  unb  ber  S^riftuö-^bee :  beibe^  get)6rt  jufammen  unb  be=: 
bingt  fic^  gegenfeitig)  für  bie  c^rifllic^e  SReligion  ift  ba^er  ganj 
unbejroeifelbar.  ätber  bamit  ift  noc^  feine§meg§  bie  Stotroenbig« 
feit  einer  SSejie^ung  ber  fubjeftipen  Steligiofitätauf 
3^efu§  (J^riftu§  für  jeben  ©injetnen  unb  in  jebem  einjelnen  gaö 
gegeben;  ja  mo  e§  ju  einer  folc^en  tommt,  ba  foü  unb  barf  fie 
felbft  nur  SDiittel  fein  für  bie  ©eminnung  ber  oöüigen  SebenSge« 
meinfd)aft  mit  bem  ma^r^aft  geiftig-perfönlic^en  ®ott  be§  c^rift* 
li^en  @(auben§ :  ©ott  unb  bie  ©ee(e,  bie  ©eele  unb  i^r  @ott  ^). 


1)  ^ie  ©itate  au§  ber  fioifpfc^en  ©c^rift  „©oangelium  unb  ^irc^e" 
finb  ber  autorifierten  Ueberfctjung  nac^  ber  jroeiten  oerme^rten,  big^er 
unveröffentlichten  ^luflage  bc§  Originals  entnommen,  bie  SWünc^en  1904 
bei  Äiri^^cim  erfc^ienen  ift. 


J.  C.  B.  Mohr  (Paul  Siebeck)  in  Tübingen. 


Lehrbuch  der  Geschichte  der  Philosophie. 

Von  Dr.  W.  Windelband, 

ProfeBfior  an  der  Universität  Heidelberg. 

Dritte,    durchgesehene    Auflage. 

Lex.  8,     1903.     M.  12.50.     Gebunden  M.  15.—. 

Windelbands  grosszügige  philosophische  Würdigung  der  Reformations- 
epoche, die  natürlich  bei  der  Renaissance  angesetzt  wird,  verdient  besondere 
Heraushebung.  In  klarer,  knapper  Darstellung  wird  gezeigt,  wie  die  lapi- 
dare Einheit  des  m.  a.  Lebens  gespren$;t  wird,  das  Individuum  das  Zunftge- 
mässe  ersetzt  und  die  «Wiedergeburt  des  rein  theoret.  Geistes*  unmittelbar 
die  Kongenialität  mit  dem  griechischen  Denken  erzeugt  und  dadurch  wieder 

zur  Naturwissenschaft  geführt  wird 

Theologischer  Jahresbericht    1904.    23.  Band. 


Modernes  Christentum. 

Von  Jean  Röville, 

Professor  der  Theologie  «u  Paris. 

Autorisierte  U^bersetzung  von  H.  Buck. 

8.     1904.     Gartoniert  M.  2.50. 

»Was  ist  das  Wesen  des  modernen  Christentums?**  Auf  diese  Frage 
gibt  ein  geistvoller  französischer  Professor  der  Religionswissenschaft  mit 
ffrösstem  Freimut  und  bewundernswerter  Unerschrockenheit  in  dem  vorliegen- 
den Buche  eine  Antwort,  die  klar  genug  ist  und  von  theologischen  und  kirch- 
lichen Streitfragen  nur  soviel  bringt,  dass  sie  auch  für  solche  Leser,  die  weder 
zünftige  Theotogen    noch    mit   protestantischen  Kontroversen    versehen    sind, 

wirklich    verständlich   und    aufklärend   ist Möchte  die  Hoffnung  des 

Verfassers  auf  eine  Zukunft,  wo  die  durch  und  durch  sittlich  aufgefasste  Re- 
ligion das  segensreiche  Einheitsband  bilden  wird,  das  alle  gutgewillten  Men- 
schen stark  umschlingt,  in  Erfüllung  gehen.  Das  ist  der  lebhafte  Wunsch 
eines  aufmerksamen  und  dankbaren  Lesers,  der  das  vorliegende  Buch  allen 
denen,  die  sich  nach  Aufklärung  über  religiöse  Fragen  sehnen,  zu  freier  und 
selbständiger  Prüfung  angelegentlich  empfiehlt. 

Allgemeine  Deutsche  Lehrerzeitung.    1905.    Ar.  3. 

Religion  und  Kirche  in  England 

im  fünfzehiiteii  Jalirlixindert. 
Von  Dr.  Eduard  Fuetar, 

Privatdozent  an  der  Universität  Zürich. 

Gross  8.     1904.     M.  2.—. 

Mit  der  von  Finke  gewünschten  Ausdehnung  der  reformationsgeschicht- 
lichen Forschungen  auf  ausserdentsche  Gebiete  hat  Fueter  einen  glänzenden 
Anfang  gemacht.  Er  genügt  den  beiden  Anforderungen,  die  man  in  erster 
Linie  an  einen  Geschichtsschreiber  stellen  muss:  er  versteht  es,  die  Quellen 
recht  zu  benützen,  sie  alles,  aber  auch  nicht  mehr,  sagen  zu  lassen,  was  sie 
enthalten  —  ganz  zutreffend  werden  ja  wohl  die  Verallgemeinerungen  nicht 
alle  sein,  aber  darüber  kommen  wir  eben  nicht  hinaus  —  und  zum  andern 
hat  F.  die  Gabe  klarer  gefälliger  Darstellung.  Das  kleine  Schriftchen  ist 
äusserst  gehaltreich   .  .  .        Theologischer  Jahresbericht.    1904.    23.  Band. 


J.  C.  B.  M  o  u  R  (Paul  Sibbkck)  in  Tübingen. 


£cbcn$ftciocn  gete&ü^^^^^    &«; 

-^%.v%.i»^|v%>»^%.i»     p^-of effor  öer  Ideologie  in 3cna. 

Der  6ei{t,  in  6em  6te  tebensfragen  gefc^rteben  loerben,  \\t  6er  6ei{t 
DoIIer  iDiJ{en{(^aftIi(^er  IDa^r^aftigltett  un6  S^^i^^it. 
Keine  Dartei  mrc^Iic^er  ober  politifc^er  llatur  engt  bie  lUitarbeiter  ein ;  Itetne 
Hüdtfi^tna^e  lotrb  uns  sunt  Derfc^ioeigen  ober  Der{d)Ieiem  ber  datfad^en 
3Q)ingen.  XDxx  {uc^en  unfere  Cefer  in  allen  Konfefjionen  unb  fe^en  jie  als  lUün* 
bige  an,  btntn  aud^  bas  Ce^te  gefagt  loerben  kann,  bte  jic^  jebes  liebe  Dorur* 
teil  unb  jebe  be^aglic^e  Selbftberu^igung  neunten  lajfen,  um  ein  gutes  6eiDi|jen 
gegen  bxt  IDa^r^eit  3U  gewinnen.  <aud  ^  SBeineU  iprogromm.) 


Erschienen  sind: 

Die  Heligion  unferer  Klaffifeer,  g'"s?rÄn; 

8.    1904.    m.  2.80.    ©ebunben  m*  3.80. 

tlaturalt(ti(^e   unb  religtöje  tPeltanji^t, 

Don  Drioatbosent  £ic.  R.  ©tto,  ©öttingen.    8.   1904.  HT.  3.-. 
6eb.  ilT.  4.-. 

DdlllllS     ^^^  Hlenjc^  unb  fein  IDerft:  Die  Anfänge  bes  (E^riften- 
|>/uuiu^»    ^m^^  ^^^  Kirche  unb  bes  Dogmas.    Don  Prof.  £ic.  Dr. 
tj.  IDeinel,  3ena.    8.    1904.    ITL  3.-.    ®eb.  HI.  4.-. 

Die  Heform  bes  Strafre^ts  unb  6te  (Et!)tli 

bes  (E^riftentums.  Don  profefjor  D.  p.  D  r  e  u)  s ,  ©iefeen.  8. 1905. 
50  Pf. 


3t)te  Utitioirltung  ^aben  sugefagt: 

Profe||or  D.  p.  DretDs,  biegen,  profe|{or  D.  B.  Du^m,  Bafel,  (bt%  Qofrat  Pro« 
fejjor  D.  Dr.  R.  €u(ften,  3ena,  Repetent  Lic.  €.  Sw<^s,  ließen,  Profejjor  D. 
(E.  6rafe,  Bonn,  profejfor  D.  R.  ^arnack,  Berlin,  profejjor  D.  TD.  ijerr« 
mann,  ITTarburg,  profejjor  D.  ij.  3.  QoHmann,  Strasburg,  profejjor  D. 
flb.  3üli(^er,  ITTarburg,  pajtor  D.  Katser,  £öbau,  profejjor  D.  Krüger, 
©ießcn,  Srou  (Elsbet^  Krukenberg-donse,  KreusnaA,  Oberle^rerin  UTarie 
ITt  a  r  t  i  n,  Berlin,  profejjor  D.  UT  e  i  n  ^  o  l  b ,  Bonn,  profejjor  D.  Arnolb  ITT  e  ij  e  r, 
3üridj,  prioatbosent  Lic.  R.  Otto,  6öttingen,  profejjor  D.  ITT.  Rabe,  ITTarburg, 
Kreisjdjulinjpektor  S  <^  e  r  e  r,  Bübingen  (frül|.  IDorms),  profejjor  Dr.  S  <^  u  m  a  dj  e  r, 
KölmBonn,  profejjor  D.  K.  Seil,  Bonn,  Pfarrer  Lic.  (traub,  Dortmunb,  Pfar- 
rer %  TD eg euer,  ITToers,  Profejjor  l).  Jo^.  IDeiß,  ITTarburg,  Drofejjor  D. 
p.  IDernle,   Bajel,   Pfarrer  Lic.  Otto   3 urteilen  unb  Srau   (tlje  Pflei- 

berer),  Seeljd^eib. 


108 


SSortrag  gehalten  in  bcr  füb^annoücrifc^cn  ^aftoralfonfcrenj 
am  5.  Oftober  1904 

pon 

^:ptof.  D.  gferb.  ftattenbttfdi 

in  ©öttingcn*). 


®ie  iJaffung  bc§  2:^cma§  ergibt  ja  rool^l  fofort,  ba§  e§  nic^t 
meine  Slbfi^t  ift,  eine  Ueberftc^t  über  bie  ©ruppierung  ber  ein^ 
jelncn  t^eologifd)en  Schulen  ber  ©egenroart  unb  über  bie  neueflen 
loiffenfc^aftlic^en  ©penialleiftungen  anf  bem  ©ebiete  ber  fqftema* 
tijc^en  2:^eoIog!e  ju  gewähren.  3Bäre  ba§  meine  2lbfi^t,  fo 
mürbe  id)  ftatt  von  ber  fiage^  pon  bem  ©tanbe  ber  fgftematifc^cn 
J^eotogie  in  ber  ©egenroart  reben.  Ueber  ein  berartige§  S^ema 
f^be  i^  oor  einer  Steige  oon  ^a^ren  einmal  in  ©ie§en  in  einer 
^^Jfarrertonferenj  gefproc^en  unb  ben  Vortrag  unter  bem  Site! 
„S3on  ©c^leiermad)er  ju  9litfd)t"  im  5)rurfe  l)erau§gegeben.  2ll§ 
ic^  biefen  Sßortrag  im  norigen  Qa^re  (1903)  in  britter  Slu^age 
erfc^einen  lie|,  f)abt  id)  in  einem  9tac^trage  bie  ©ntmirftung  feit 
9litf^Ig  Slbleben  turj  c^aratterifiert.    Qd)  burfte  ober  mu^te  mit 


1)  3^  gebe  ben  SBortrag  jum  größten  %e\i  roörtUc^,  roie  er  gehalten 
mürbe,  jebenfaUg  ift  nirgenb^  ^ier  fac^lic^  anbetet  geboten,  aU  münblic^ 
gefc^a^.  ^ie  %tbatU,  bie  fi^  an  ben  ^ßortrag  !nüpftc,  legte  e§  mir  na^e, 
nic^t  oicl  f)tnäU5ufügen.  gd^  oeqid^tc  burd)wcg  auf  3itate,  ba  ic^  gar 
ni(^t  mit  einzelnen  3:f)eologen  ftreite,  fonbem  jufammenaufaffen  fuc^e,  mag 
für  bie  ^egenroart  bie  mefentUc^ften  S^ontrooerfen  beseid)ncn  bürfte. 

^ettfd^rift  für  ^^eologie  unb  Äirt^e.  16.  3a^rg.,  2.  ^i\t.  8 


104  Ä  0 1 1  c  n  b  u  f  d^ :  ^ie  Sage  bcr  fgftemat.  3;f)co(o0ic. 

93cjug  auf  bicfc  Ic^tc  ^l^afc  mic^  mit  roenigcn  Seiten  begnügen. 
2)cnn  wenn  aud)  in  ben  nun  balb  fünfje^n  ^ofiren,  bie  feit  9iitfd)l§ 
%o^  üerfloffen  fmb,  fic^  üiele§  roieber  in  bem  Setriebe  ber  J^eo^ 
(ogie  geroanbelt  \)at,  fo  i)at  boc^  bie  fqftematifc^e  J^eologie  baran 
nur  roenig  Jeil  gehabt,  ©oroeit  auf  bem  ©ebiete  ber  fqftemati^ 
fc^en  2:^eoIogie  l  i  t  e  r  a  r  i  f  c^  e  ^robuttion  ju  Sage  getreten  ift, 
^ält  fie  fic^  noc^  immer  mefentli^  auf  bem  ©oben  ber  älteren 
©Ovulen,  bereu  jüngfte  bie  9titfd)lfd)e  mar.  3)ie  feit^cr  aufgetrc^ 
tene  neue  ©c^ule,  bie  ftd)  felbft  aU  bie  religiün^gefd)id)tlicl^e  be* 
jeic^net^  ift  noc^  nic^t  baju  gelangt,  in  einer  jufammenfaffenben 
S)arftellung  il|r  Sßerftänbni^  be§  St)riftentum^  ober  beffen,  ma§ 
it)r  in  ©ac^en  ber  ^Religion  unb  ber  Sittlic^teit  al^  2Bat)r^eit  er* 
fc^eint,  barjulegen.  ©ie  t)at  oorerft  für  bie  prinjipiellen  gragen 
me^r  nur  eine  anbere  ©timmung  unb  ©runbintuition  unter  ben 
2:^eologen  begrünbet,  al§  roie  fie  auc^  in  ber  9titfc^lfc^eu  Schule 
]^errfd)te.  9Wan  erfennt  gemiffe  Siic^tlinien  ber  Söege,  in  meiere 
fie  glaubt  bie  fqftematifdje  S^eologie  ber  3ufunft  ^ineinmeifen  ju 
füllen,  aber  fie  ^at  bie  SBege  norf)  nic^t  ausgebaut.  2)a§  foll 
nic^t  im  ©inne  eines  9Sorrourf§  tonftatiert  merben.  2)enn  menn 
ber  Slnfto^  ju  einer  neuen  ©eftaltung  ber  Probleme  nic^t  oon  ber 
fqftematifc^en  S^eologie  felbft  auSge^t,  mie  e§  bie§mal  ber  5^11 
ift,  fo  liegt  e§  in  ber  Statur  ber  ©ac^e,  ba^  erft  allmä^lic^  jum 
33emu^tfein  fommt,  miefern  bie  ©efamtbetrac^tung  ber  religiöfen 
2)inge  fic^  erneuern  muffe,  falls  man  jenem  2lnfto|e  ernftlid)  5olge 
gebe.  ®S  ift  für  bieSmal  befonberS  ber  mannigfaltige  tfortfc^ritt, 
jumal  eine  neue  Orientierung  ber  gefc^ic^tlic^en  3orfd)ung,  mo^ 
burc^  uiele  baju  gebrängt  werben,  ehemals  juuerfic^tlic^  begangene 
SBege  ber  fpftematifc^en  3:l)eologie  als  Qrrmege  ju  beargwöhnen, 
unb  mit  me^r  ober  weniger  entfc^iebenem  ©ntfc^luffe  }u  oerlaffen. 
-3ft  eS  bis  jur  roirflic^en  2)urc^fü^rung  neuer  SBege  noc^  ni^t 
ge!ommen,  fo  ift  eS  gleic^moljl  möglich,  bereits  bie  ^^unfte  ju  er* 
fennen,  mo  alte  unb  neue  2Bege  fic^  fc^eiben  moüen.  Qa  eS  ift 
fc^on  jc^t  beutli^,  um  roeld)e  fragen  fiel)  ber  ©treit  ber  älteren 
©d)ulen  unb  ber  neuen  ^auptfäc^lic^  unb  prinjipictl  bewegen  wirb, 
^c^  bin  für  meine  ^erfon  weit  baoon  entfernt,  ber  neuen 
©c^ule  ot)ne  weiteres  2)li^trauen  ober   gar  2lntipatl)ie  entgegen* 


Ä  a  1 1  e  n  b  u  f  c^ :  2)ic  Sage  ber  f^ftemot.  2;^coroöie.  105 

jubringcn.  ^^rc  SSertrcter  finb  Scanner  pon  fo  cmftcm  unb 
treuem  SBoUen,  wie  nur  bie  ber  älteren  ©c^ulen  e§  geroefen  finb 
ober  ju  fein  glauben  mögen.  SBer  mitbetroffen  gemefen  ift  oon 
ber  ^ämifd^en,  oerbäd^tigenben  SBeife,  roie  feiner  3^^*  t)ic  oon 
SHitfc^t  ausgegangene  Stiftung  oielfac^  aufgenommen  mürbe,  ^at 
au^  geroi^  mit  mir  feine  Steigung,  mit  ben  je^igen  jüngeren 
J^eologen  anber§  atig  in  ®^ren  bie  SBaffen  ju  freujen.  S)a§ 
lebhafte  ©elbftgefil^l,  baö  bie  neue  Slic^tung  wie  jebe,  bie  fic^  oon 
älteren  ablöft,  oorerft  nod^  oielfac^  ftär!er  c^arafterifiert,  al§  im 
miffenf^aftlic^en  ©treit  angenehm  empfunben  mirb,  bie  Steigung 
cinjelner,  fid)  bie  ©ebanfen  ber  „älteren"  möglic^ft  ju  oergröbern, 
ma§  bann  eine  „SBiberlegung"  jum  ©piel  ju  mad^en  f(^eint,  barf 
man  überfe^en.  ^e  emftlic^er  bie  neue  ©d)ule  herantritt  an  bie 
Slrbeiten,  bie  i^rer  märten,  um  fo  fieserer  mirb  fie  bemerfen,  ba| 
auc^  für  fie  nic^t  alle  93lütenträume  eine  5^uc^toer^ei|ung  ein* 
fc^Iiefeen  unb  ha%  fie  nur  ju  i^rem  eigenen  inneren  ©c^aben  bie 
©inmürfe,  bie  i^r  oon  anberen  ©eiten  ^er  gemad)t  merben,  über* 
^ören  mürbe. 

3)ie  neue  ©d)ule  ift  fo  menig  mie  eine  ber  früheren  oon  un= 
gefä^r  aufgetommen.  ©ie  ^at  i^re  jeitgefc^ic^tlic^e  93erec^tigung, 
in  gemiffem  ©inne  i^re  Stotmenbigfeit  an  ber  gegenmärtigen  all= 
gemeinen  Sage  be§  miffenfc^aftlic^en  3)en!en§  unb  gü^lenS.  ^n 
i^r  tonjentriert  fic^  für  bie  J^eologie  eine  ©umme  oon  äuge- 
meinen  Steigungen  unb  93ebürfniffen  be§  mobernen  ©emu|tfein§. 
@S  fragt  fi^  nur,  ob  fie  biefem  nic^t  ju  meit  entgegenfomme,  ob 
€§  i^r  ganj  flar  fei,  ma§  ba§  bebeutet,  xoa^  fie  aufgegeben  ):)abt 
ober  aufjugeben  im  93cgriffe  ftelje,  ob  H)x  genügenb  gegenmärtig 
fei,  xoa^  bie  ©ac^e,  ber  auc^  fie  bienen  miU,  eri^eifc^e.  Sllig  bie 
„Sac^e"  tommt  bod)  mo^t  le^tlid^  baS  S^riftentum  in  33etrac^t. 
2)ie  S^eologie  mag  Umf^au  galten  auf  allen  geiftigen  ©ebicten, 
fie  mag  gü^lung  fuc^en  mit  allen  miffenfc^afttic^en  ©trömungen, 
i^r  3^"^nim  mu§  bod)  bleiben  ba§  ^ntereffe  am  S^riftentum  als 
folc^em.  ©0  mirb  fie  fic^  and)  immer  auf  bie  5^'agen  fpejieü 
einlaffen  muffen,  bie  auS  bem  ©tiriftentum  als  befonberer  ^Religion 
ermad^fen.  2)ie  fqftemati|d)e  Slieologie  t)at  oor  ben  anberen,  \)u 
ftorifc^en  ^'^^ifi^^^  ^^^  Jf)eologie  unjmeifel^aft  bie  2lufgabe,  fic^ 


106  Ä  a  1 1  e  n  b  u  f  <i^ :  ^ic  Sage  ber  f^ftcmot  3:^cotoöic. 

jule^t  cytlufio  mit  bem  Sl^riftcntum  ju  befaffcn,  ju  fragen,  wa§ 
c^  für  eine  i8en)anbtni§  mit  feiner  ©igenart  l^abe,  n)eld)e  @otte§* 
unb  SBeltonf c^auung  e^  notroenbigermeife  ^ege ,  morin 
man  mit  SRed^t  feinen  ©lauben  unb  feine  fittlic^en  gorberungen 
ertenne.  ©ic  ^at  auc^  bie  eigentliche  SBa^r^eit^frage  mit  83ejug 
auf  ba§  ®t)riftentum  auf jumerfen  unb  barf  fid)  geroife  nic^t  baoon 
bifpenfieren,  bie  ©emi&^eit^grünbe,  auf  bie  e§  fic^  in  feiner  @e* 
fd)ic^te  bi^^er  geftü^t  ^at,  ju  ^ören  unb  in  i^rer  üielberoä^rten 
Kraft  auf  fic^  roirfen  ju  laffen.  3»  tecbnifc^er  ^^rm  mirb  fic 
üblic^ermeife  al§  2)ogmatit,  @t^if  unb  Sttpologetif  au^gefü^rt.  ®§ 
fann  nic^t  meine  3lbfi^t  fein,  in  meinem  Vortrage  auf  bie  %üüe 
ber  3)etailfragen  ber  einjelnen  2)i§äiplinen  einjuge^en.  SBielme^r 
mu&  e§  mir  genügen,  einige  ®  r  u  n  b  fragen  in§  9luge  ju  faffen, 
@§  ift  nic^t  aHein  bie  religion§gefd)id)tIid)e  ©d)u(e,  bie  ber  fi^fte^» 
matifd)en  S^eotogie  eine  eigentümliche  Sage  in  ber  ©egenroart 
bereitet,  oielme^r  tommen  babei  ol)ne  ^loeifcl  nod)  man^e  anbere 
gattoren  in  53etrac^t.  ®ie  ft)ftematif^e  2;^eologie  foll  bermalen 
in  einer  allgemeinen  miffenfct)afttic^cn  9ltmofpl)äre  folc^er  2lrt  i^r 
SBerf  tun,  ba^  fie  jebenfall^  mieber  tiefer  graben  mu§. 
®§  finb  nic^t  fc^lec^tmeg  neue  'tßrobteme,  oor  bie  fie  fic^  geftellt 
fie^t,  ältere  Probleme  fmb  nur  bringlict)er  unb  baju  fomplijierter 
gemorben,  al§  fie  fc^ienen  ober  maren.  SWüffen  mir  jum  Seit 
neue  gurc^cn  jie^en,  fo  ift  e§  eine  @efa()r,  ba&  ni(^t  nur  Unfraut 
unb  bärre§  ^oljroerf  uon  bem  fc^ärfer  einfe^enbcn  ^^Jfluge  umge« 
riffen  unb  untergegraben  merbe,  fonbern  auc^  gefunbe  unb  jur 
rectjten  5^uc^t  gehörige  SBurjeln.  2öa§  jur  3^it  o"  ölten  Ueber* 
jeugungen  befonber^  bebro^t  erfct)eint,  möchte  ic^  in  ber  gorm 
uergegenroärtigen,  ba&  icf)  eine  2lnjat)l  uon  fragen  formuliere,  bei 
bereu  ©eantmortung  bie  uort)anbeneu  ober  fid)  oorbercitenben 
©egenfä^e  ber  J^eologic  ju  erfennen  fmb.  ®§  fmb  nidjt  bie  ein« 
jigen  fold)er  2lrt,  bie  fic^  formulieren  tiefen,  aber  e§  fmb  bie 
einfact)ften.  3^c^  felbft  antworte  auf  bie  erften  fünf,  tro§  aller 
@infpract)e  be§  fog.  mobcrnen  ^5emu^tfein§  unb  tro^  ber  angeb« 
lict)en  „ejorberungen"  ber  'allgemeinen  miffenfct)aftlict)en  @ntn)icf= 
lung,  mit  einem  beftimmten  ^a,  auf  bie  le^te,  bie  fec^fte,  ba» 
gegen  mit  einem  9iein.    2)ie  Saugen  lauten: 


Ä  0 1 1  c  n  b  u  f  cft :  ^ie  Sage  bcr  f^ftcmot  a^colpöic.  107 

1.  ^at  bic  fqftematifc^e  2:{)cologic  überhaupt  nod)  95erec^* 
tigung? 

2.  ^abcn  n)ir  al§  ©Triften   üon  einem  ©lauben  an  ^efu$ 
®t)riftu§  5u  reben? 

3.  Stimmt  ba§  ©^riftentum   eine  prinjipieUe  ©onberfteUung 
in  ber  JReligionögef^ic^te  ein? 

4.  ^ann  ber  ©upranaturali§mu§  im  ©lauben  aufrecht  er* 
galten  werben? 

5.  2)arf    fid^   ba§   K^riftentum   atö   abfolute   9ieligion   be^ 
trachten? 

6.  2)ürfen  unb  muffen  mir  auf  neue  ^rop^eten  hoffen? 
S)ie  einjelnen  5^ögen  berühren  fid)  untereinanber  unb  finb  ni(t)t 
ftritt  ju  fonbern.    2lber  ic^  merbe  oerfuc^en,  fie  fo  untereinanber 
objugrenjen,  ba|  xdj  mic^  in  ber  (Erörterung  nid)t  mieber^ole. 

1. 

©0  oft  ic^  in  ben  legten  ^a^ren  mid)  mieber  anfc^irfte, 
meinen  6ijf(u§  ftiftematifc^er  SBorlefungen  ju  beginnen,  mürbe  ic^ 
oon  bem  brüdfenben  ©efü^le  befc^tic^en,  ba^  ic^  an  eine  Slrbeit 
l)cranträte,  bie  faum  jemanbem  noc^,  menigften^  in  ben  weiteren 
Greifen,  ju  35ant  unternommen  merbe.  93ei  ben  ©tubenten  mar 
c§  noc^  ant  e^eften  anber§  beftellt,  aber  aud)  ba  nic^t  überall. 
Od)  benfe  an  bie  geiftig  regfamen,  miffenf^aftUc^  intereffierten 
©tubenten.  SBenn  ber  ©qftematifer  fie  in  feine  Sßortefungcn  be^ 
fommt,  finb  fie  ja  nic^t  me^r  fo  „unfd)ulbig" ,  mie  ber  ©jeget 
unb  fiirc^en^iftoriter  fie  in  feinen  |)örfaal  eintreten  fie^t.  SJieU 
me^r  ^aben  fie  bie  SJlet^obe  unb  bie  grüc^te  moberner  ^iftorifd)er 
gorf^ung  befonber§  über  bie  S3ibel  tennen  gelernt  unb,  menn  fie 
Se^rer  gehabt,  wie  fie  fein  foüen,  mie  bie  Unioerfität  fie  fic^ 
münfc^t,  lebenbig  oon  il^rer  ©ac^e  erfüUte,  ni^t  blo§  geleierte, 
fonbern  ani)  barfteüung^fä^ige,  bibaftifcl)  trefffic^ere,  fo  ^at  bie 
mobeme  g^rfc^ung  Mftigen  ©inbrud  auf  fie  gemalt,  Äopf  unb 
^erj  i^ncn  warm  gemai^t.  3)a§  aße§  ift  nid^t  etma§,  ma§  id) 
beflage,  xoa^  id)  anbersi  münfc^te,  fonbern  ba§  ift  gcgenmärtig 
einfad^  baig  9iormaIe,  nic^t  bIo|  etma§  Unoermeiblid)e^,  fonbern 
etma§  ®ute§.    2)enn  ma§  aüe^  man  an  ben  Stefultaten,  bie  bie 


108  ^attcnbufc^r^ic  i^agc  bcr  fgftcmat.  3:^co(o0ic. 

mobcme  ^iftorifc^c  gorfc^ung,  im  cinjclncn  ja  uncin^citUd)  genug, 
gejeitigt  \)ai,  unjulängli^,  fac^lic^  ni^t  jutreffenb,  ja  felbfl  üer^ 
lüirrcnb  finbcn  mag,  —  biefe  JJorf^ung  fclbft  ift  bered)tigt,  unb 
i^rc  5cl)ler  wirb  fic  fetbft  cvfcnncn  unb  auc^  überminbcn.  SEBaS 
aber  bie  Stubenten  betrifft,  fo  muffen  fic  eben  ^inburd)  burd^  bic 
Jäl^rniffc  be§  mobernen  geiftigen  Seben§,  auc^  ber  mobernen  93i« 
btb,  Äirc^en^  unb  3)ogmengefc^ic^t§n)iffenfc^aft.  S)ie  Unioerfität 
ift  feine  Äinberftubc  unb  bie  eoangelifc^e  Äirc^e  fann  feine  ^^Jfarrer 
brauchen,  bie  in  ber  S?inberftube  feftgel^alten  morben.  fjür  bie 
fat^olif(^e  Sirene  mag  e§  ba§  richtige  fein,  ba&  fie  i^re  S^eologie 
unb  if|re  auf  ba§  geiftlic^e  2lmt  fi^  uorbereitenben  Jünglinge  ab- 
fperrt  gegen  bie  moberne  gorfd^ung,  für  unfere  Sirene  taugt  e§ 
nid)t. 

2lber  nun  fomme  ic^  auf  biejenige  Sßirfung  infonbert)eit  ber 
heutigen  ©cfc^ic^t^miffenfc^aft  auf  bic  jugcnblic^en  ©emüter  nic^t 
nur,  nein  bie  meiteften  Greife,  bie  mir  eine  ??rage  aufgibt,  ic^ 
meine  ben  eigentümlich  fc^avfen,  eigenwilligen  ©ubjeftiui^mu^  ber 
religiöfen  (Stimmung,  ber  au§  jener  SBiffenfc^aft  refultiert.  3)ie 
fqftematifc^e  2:^eologie  flögt  allenthalben  barauf,  unb  e^  fragt 
fic^,  ob  fie  i^n  ju  bejahen  ^at,  roa^  bann  le^tlic^  jur  golge  ^aben 
mügte,  ba^  fie  ^öc^ften§  in  fe^r  eingefc^ränfter  gorm  fid^  be- 
haupten fönnte.  SJiele  meinen  ja  fd)ün,  ba|  fie  fic^  im  roefent» 
lict)en  in  Sieligion^p^ilofop^ie  ummanbeln  muffe,  mit  einem  9ln'= 
bange  Don  fet)r  unbeftimmter ,  möglic^ft  piel  freitaffenber  befon» 
berer  c^riftlic^er  @lauben§=  unb  Sittenlehre.  93iele  beuten,  ba% 
bie  ftiftematifcfte  S^eologie  am  beften  überhaupt  abgetan  mürbe, 
jumal  bie  S)ogmatif.  -3^  bie  ^^arole  „feine  3)ogmen  mel^r"  ift 
uielleic^t  bie  allerpopulärfte  in  ber  ©egenmart,  bei  Saien  nic^t 
nur,  fonbern  and)  bei  ber  ÜWe^rja^l  junger  2:l)eologen. 

SBie  ift  biefer  Subjettioi^mu^  bebingt?  (S^  mirfen  ba  eine 
Steige  oon  5<^ftoren  jufammen,  bie  burd)  bie  moberne  ^iftorifc^e 
Jl^eologie  nur  noc^  uerftärtt  morben  finb.  @anj  im  allgemeinen 
^errfc^t  ein  burd)au§  anerfennen^merte^  33erlangen  nad)  Selbftän* 
bigfeit  in  35ingen  ber  religiöfen  Ueberjeugung.  Unter  bem  3)ogma 
[teilt  man  fid)  eine  au§  alter  93ergangent|eit  l)erüberragenbe  un= 
oerftänbli^e,  unüernünftig  gcroorbene  Summe  oon  gormein  oor. 


Äattenbufc^:  ^ic  fiagc  bct  f^ftemat.  Si^cologie.  109 

bic  !cin  2)cntenbcr  frciiüiüig  übcrncl^men  roürbc,  bic  bie  ^irdjc 
mit  i^rcr  3lutoritat  unb  befonbcri§  über  bic  ^rcbiger  in  2Infprud) 
genommenen  ßmangögeroatt  ftü^e,  bie  Kirche,  bic  boc^  im  ©innc 
ber  ^Reformation  eine  foldje  Slutoritot  unb  3w>ongSgen)aIt  gar 
md)t  bcfi^e,  bie  fid^  in  i^ren  ©gmbolen  jum  eigenen  ©droben 
geffetn  gefc^affen  l^abe,  oon  benen  fie  fid)  unter  ber  ®inn)irfung 
einer  juriftifdjen,  ni^t  religiöfen  Sluffaffung  ber  93ebeutung  biefer 
gormetn  nur  nid)t  frei  ju  ma^en  roiffe.  ®ie  jungen  Jtieologen 
^aben  oielfoc^  ben  ©inbrudt,  aU  ob  fie,  um  für  ba§  3)ogma  ju= 
gänglic^  ^u  werben,  einfach  oergeffen  müßten,  xoa^  fie  juoor  ge» 
lernt,  unb  fträuben  fic^  bamiber  al§  gegen  ein  unftttlic^eS  sacri- 
ficium  intellectus.  2lber  ba§  a\i^§  ift  ba§  menigfte,  benn  e§  ift 
nic^t  fd^roer,  flar  ju  machen,  ba&  man  fi^  ba  unter  bem  3)ogma 
meiir  einen  ^^opanj  jurec^tmac^c,  a(S  ba^  man  e§  richtig  auffaßte. 
@cn)i§,  e§  gibt  eine  3(uffaffung  be§  3)ogma§  au^  in  ber  eoan* 
gelifc^en  Kirche,  bic  tnec^tenb  minbeften§  auf  ba§  n)iffenfc^aftlid)e, 
wenn  nic^t  bas  religiöfe  ©emiffen  mirft,  eine  fat^olifd^c  2luffaf» 
fung,  bie  jeboc^  nic^t  bie  ^errfc^aft  unter  un§  ^at,  aud^  bei  ben 
meiften  Äirdjenregimenten  nid|t.  5)ie  ©ebunben^eit,  bie  bic  3)og» 
matif  tatfäc^lic^  ^at,  ift  feine  anbere  als  bic  jeber  SBiffenfc^aft, 
nämlic^  burc^  if)re  ©adje,  ^ier  baS  religiöfe  Objeft  bes;  ©Triften« 
tumS,  ba§  Soangelium.  93erftet|en  mir  bic  93efenntniffe  al§  mirf- 
lic^e  „SSetenntniffe",  lebenbige  ©laubenSbejeugungen,  fo  merben 
fie  unö  Reifen,  ben  SBeg  jum  ©oangclium  ju  finben.  ^reilic^, 
mem  baS  (Soangelium  ni^t§  gilt,  fann  nic^t  mo^l  2)ogmati{er 
fein,  aber  ungcfdl)r  fo  mie  ber  jenige,  ber  ba§  ©onnenlidjt  nic^t 
beoba^ten  roill,  ni^t  mot)l  Optifer  fein  fann.  3)ie  3)ogmatif  ift 
bie  äBiffenf^aft  beS  fic^  am  ©oangelium  entjünbenben  @lauben§ 
unter  un§. 

Slber  nun  fommt  weiter  eine  3luffaffung  be§  ©oangeliumS  in 
Setrac^t,  bie  ba  meint,  e§  fönne  eben  in  feinem  guten  Sinne  ein 
2)ogma,  eine  ben  ©Triften  innerlich  leitenbe  unb  beftimmenbe  Se^rc 
geben.  3)er  ©laube  im  ©inne  be§  Soangeliumg  tiabe  überhaupt 
nic^t  ©ebanfen  ju  feinem  Elemente,  fonbern  ©efü^le,  Srlebniffe, 
©rfal^rungen,  unb  biefe  fpotteten,  al§  religiöfe,  jeber  begrifflichen 
Ausbeutung,  Ratten  it)re  oerborgenen,   unmittelbaren  Cuellen  in 


110  ^attenbufc^:  ^ie  l^age  ber  f^ftemat.  3:^eoIogie. 

©Ott  unb  ocriörcn  i^re  5rifd)c,  i^rc  9Bud)t,  rocnn  man  ftc  ju 
©cbanten  ocrarbcitc,  gar  f^ftematiftcrc.  3)aS  ift  eine  Sluffaffung, 
bic  te^tlid^  jufammenl^ängt  mit  ber  burc^  ©d^Icicrmac^er  angc* 
bahnten  ^Regeneration  be§  9lctigion§oerftänbniffe§.  ©ie  in  i^rc 
einjelnen  ©eftattungen  ju  ©erfolgen,  ge^t  ^ier  nic^t  an.  ©ie  tritt 
auf  at§  Steigung  jur  SWr)ftit  unb  al§  fräftige  93etonung  be§  S^a* 
ra!tcr§  be§  S^riftentum^  aU  perfönlic^e§  Seben,  at§  eine  ©rfüt^ 
lung  be§  ©emütS  unb  2Bitten§,  roorauiS  ein  neuer  SWenfc^  cnt* 
fte^e.  Q\)x  fc^Ied^t^in  ju  roiberfpredien,  ge^t  natürlid^  nid^t  an. 
©Ott  fei  ^ant,  ba|  bie  2:f)eo(ogie  }u  ber  @rCenntni^  oorgebrungen 
ift,  ba§  t>a9  2)ogma,  bie  Seigre,  nic^t  ein  unb  aUe^  für  ben 
©Triften  ift.  3lber  jroif^en  biefem  ©ytrem,  meld)e§  boc^  eigent» 
lic^  felbft  ber  garten,  fpröben  Ort^obojie  be§  17.  ^oW^^^^^^t^ 
ju  Unred^t  fcbutbgegeben  mirb,  unb  bem  umgefe^rten,  ba§  Seigre 
gar  nid)t§  bebeutc,  ben  ©Triften  bto§  ^inbere  unb  f^äbige,  liegt 
noc^  eine  9Witte,  bie  aud^  ©c^Ieiermac^er  nic^t  ^at  in§  Unrecht 
fe^cn  moüen.  3^  beute  bei  biefcn  eftremen  ©egnern  aller  3)of« 
trin,  biefen  i^  möchte  faft  fagen  Jönatifem  ber  ^arole  „(o§  oon 
ber  SRefleyion,  oon  ben  Qbeen,  oon  ben  gormein"  3.  93.  an  3  o* 
^anne§  SWütler  unb  feine  „93Iätter  jur  Pflege  be§  perfön« 
liefen  £eben§".  ©0  fe^r  ic^  biefen  SWann  in  feinem  ©rnfte  ju 
fc^a^en  roei^,  fo  ift  mir  bod)  ftar,  ba§  er  über  bie  n)irtlid)e  Slrt, 
roie  im  ©inne  be§  ®]^riftentum§  fieben  entfte^t  unb  K^araftere 
ober  „^erföntic^teiten"  geboren  werben,  fet)r  unjulänglic^e  aSor» 
fteßungen  l^egt.  9tirgenb§  gebiert  fi^  mirtlic^e^,  ec^te§  ©eiftmefen, 
eine  tebenbige  93cjie^ung  jroifdien  ©eiftern,  auc^  jmifc^en  bem 
SWenfc^engeift  unb  bem  ©otteögeift,  jmif^en  ber  ©injelfeele  unb 
®]^riftu§,  anber^  at§  burc^  JBermittlung  oon  faßbaren  ©rtennt- 
niffen.  Ol)ne  folc^e  fommt  e§  nur  ju  ftumpfen,  unfruchtbaren 
©inbrürfen,  oagen,  l^altlofen  ©timmungen,  ]^öd^ften§  ju  fräftig 
au^gebitbeten  3>i>iofi)ntraficn.  ^erfonleben  entfte^t  nic^t  mie  bie 
SJegetation,  ob  man  aud)  ba§  Srbreic^,  in  n)eld)e§  ber  ©eift  ein= 
gepflanjt  werben  foQ,  ®f)riftu§  ober  ©Ott  nennt.  2)a§  raei§  bie 
aWe^rijaf)!  ber  ^iftoriter  unter  un§  auc^  fc^r  mo^l. 

9lber  bie  ^iftorifc^e  Kunft  ber  ©egenroart  t)at  nun   mieber 
oon   einer   neuen  ©eite   eine  Slbneigung  gegen   bie  fpftematifc^e 


Ä  a  1 1  c  tt  b  u  f  ^ :  ^ie  Sage  ber  Mtemat.  a^cologie.  111 

^^^cologic  erjeugt.  ©ic  operiert  ]^eutige§  Xa^^  mit  fo  oielen  unb 
feinen  SWitteln,  fie  \)at  fo  mannigfaltige  ©ebantenformen  bereit* 
geftettt,  um  ba^  Seben  ber  33ergangent|eit  ju  fc^ilbem  unb  t>a^ 
ber  Oegenmart  ju  oerfte^en,  ba^  e§  i^r  wie  eine  3lrt  oon  @rau= 
famteit,  oon  93arbarei,  erfc^eint,  bie  feften  Sinien  eine§  eintieit* 
lid^en  ©ebanfengefügeS  in  ben  geiftigen  ^orijont  ber  3Wenfc^f)eit 
^ineingujeic^nen.  SBenn  etroaS,  meint  fie,  au§  ber  ®efc^id|te  ju 
lernen  fei,  fo  fei  e§  bie^,  ba§  aßeS  ^erfonleben  ben  S^rafter 
beö  (äinjelfattS  ifabt,  baJ5  fein  <3nbiuibuum  bem  anbern  gleich  fei, 
ba§  au^  ber  reic^fte,  ftärffte  SKenfc^  ooCer  aSiberfprüc^e  fei,  ja 
ba§  bie  aSerbinbung  oon  SBiberfprüc^en  ba§  eigentliche  ®e^eimni§ 
ber  ©rö^e  fei,  bajs  mer  bem  ,,au§getlügelten  93uc^e"  gleite,  taum 
me^r  at§  eine  ^uppe  bebeute,  baj5  ba^er  gerabe  bie  2:]^eoIogie, 
bie  fie^re  oon  ber  SR  e  I  i  g  i  o  n ,  bem  ^^Jerföntic^ften,  feine  ©c^a^ 
blone  f^affen  bürfe,  na^  ber  fi^  bie  ^erfönlid^feitcn  rieten  foHten. 
SBie  unerfd^öpflic^  mannigfaltig  erfc^eint  ^eute  bem  Äirc^en^ifto^ 
rifer  bie  SReil^e  ber  c^riftlic^en  ^«Wotbualitäten !  Qn  ber  güUe 
ber  ©efic^te,  bie  i^n  umringt,  erfc^eint  ber  ©gftematifer,  ber  oer= 
gleichen  unb  abwägen  unb  gar  jenfurieren  miH,  mie  ber  trodtene 
©^teic^er,  ber  nur  ju  ftören  unb  ju  ärgern  oermag.  9Kit  ^od)^ 
gefteigerter  geinfü^ligfeit  fu^t  bie  Ijeutige  gorf^ung  aud^  ben 
aWännern  ber  ^eiligen  ©ef^ic^te  burc^  93efeitigung  atte§  ©c^ema* 
tifc^en,  aÜeS  Sonoentioneüen,  mie  e$  feiner  9tatur  nad)  baö  3)ogma, 
bie  le^r^afte  gormel,  in  fic^  berge,  erft  i^re  SBirtlic^feit  im  SSilbe 
mieber  ju  oerfc^affen.  aSor  allem  gilt  biefe§  93emüt)en  für  Qt]\x^. 
3mmer  ^abe  bie  J^eorie  i^n  nur  gemeiftert,  alle  S^eologie,  alle§ 
3)ogma,  alle  gormel  muffe  Don  i^m  meieren,  menn  er  in  feiner 
rounberfamen  erhabenen  @rö§e  foHe  erfajjt  werben.  Qn  ber  2:at,  lüie 
bie  l^eutige  ^iftorie  3^efu§  barfteHt,  mirb  er  ju  einer  ©eftalt,  bie 
fid^  jeber  gormel  ju  entjie^en  f^eint.  3)a§  Seibige  ift  nur,  ba§ 
jeber  ^iftorifer  it)n  anber§  fd^ilbert.  SBieoiele  „Stuffaffungen" 
treten  un§  nic^t  ^eute  uon  it)m  entgegen,  oon  bem  meid)en,  jartcn 
SRabbi  an,  ben  Slenan  f^itbcrte,  ju  bem  t)ellenifd)  abgeflärten, 
innerlich  gleichmütigen,  uergeiftigten  üJlanne,  ben  3).  gr.  ©traufe 
in  xi)m  ertannte,  ju  bem  f^merflüffigen,  unburc^bringlidbcn  ®f^ 
ftatifer  unb  Gnt^ufiaften  be§  naiven  @ottc§reic^§,   bem  tapferen. 


112  ^attenbufc^:  ^ie  Sage  bcr  f^ftcmat  3:^eoIoöic. 

fo  gütigen  wie  f)crben  ^rolctaricrf önig ,  bcm  bloßen,  fd^Ii^tcn, 
freien  ®otte§tinbe,  wie  bic  einen  me^r  fo,  bic  anbercn  me^r  fo 
if)n  ncuerbing^  fc^ilbem!  3Ba§  foü  unb  tann  ba  bie  2)ogmatif 
nocft  au§  feinem  Soangetium  machen?  ^n  ber  %at  meint  j.  ö. 
SBernIc,  bie  2:^eologie  ^abe  eigentlich  feine  ^ö^ere  2lufgabe 
bermolen,  al§  bie  ®f)riften^cit  unb  bie  SWenfdj^eit  enbtid^  Don  fic^ 
felber  ju  befreien.  ajJit  SBorliebe  roirb  ^efu^  fetbft  aU  „Saie" 
d)arattcrifiert.  SBie  er  nic^t§  non  ber  2:^eotogie  feiner  3^'*  ge* 
t)alten  tiabe,  fo  loffe  er  aucft  un§,  menn  mir  erft  an  i^n  ^eran* 
fämen,  ganj  gleichgültig  werben  gegen  jebc§  3)ogma. 

Qd)  meine,  baß  mir  ba§  aüt^  ru{)ig  auf  un§  mirfen  laffen 
fönnen  unb  boc^  ni^t  ben  (Schluß  ju  jie^en  brauchen,  baß  bie 
fijftematifc^e  S^eologie  nic^t§  ^eilfame§  ju  bieten  oermöge!  Qa, 
menn  mir  un§  bamit  begnügen  moüen,  bie  ©efc^ic^te  mie  eine 
2lrt  oon  bloßer  religiöfer  ©emälbegalerie  ju  betrachten,  mit  äft^e^ 
tifc^er  greube  aüe^  Originelle  genießenb,  au^  ba§  Kleine  neben 
bem  ®ro§en  in  feiner  Sigenart  mürbigenb,  fo  mag  e§  f^on  red|t 
fein,  baß  ber  ©^ftematifer  nur  ftören  fann.  3lllein  menn  noc^ 
etma§  baran  ift,  baß  mir  au§  ber  ©efd^ic^te,  ic^  rebe  gleich  oon 
^  e  f  u  § ,  felbft  etma§  über  ®ott  unb  unfer  Seben  lernen  tonnen, 
f 0  jmar  baß  immer  noc^  eine  @  e  m  e  i  n  b  e  oon  ^efu^iüngern 
beftet)en  tann,  eine  ©emeinbe  folctier,  bie  bur^  Qefu^  ju  einem 
unb  bemfelben  ©otte  geführt  fmb,  bie  fic^  traft  i^rer  öe« 
jiet)ung  auf  Sefu§  in  i^rem  ©lauben  begegnen,  fo  muß  fic^ 
boc^  mol)l  au^mitteln  laffen,  ma§  bie  ®t)riften  benn  aU  \ol6)t 
im  ©lauben  einigt. 

Ober  foÜte  ba^,  menn  man  benn  überhaupt  einer  f^ftema^ 
tifc^en  Se^re  oon  ©Ott,  ber  ©eftaltung  einer  cl)riftli^en  ©ottcö^ 
unb  aQBeltanfd)auung,  irgenbmie  ein  Siecht  unb  einen  SBert  jugc» 
ftel^en  roill,  ba§  ^inberniö  einer  SSerftänbigung  jmifc^en  ^iftoritern 
unb  Sijftematitern  fein,  baß  le^tere  noc^  meift  nic^t  bloß  oon  einer 
2:  l)  e  0  l  0  g  i  e ,  f  onbem  auc^  oon  einer  ®t)riftologie  unb 
©oteriologie  fprec^en,  oon  einem  ©lauben  nid)t  nur  an  ©ott, 
fonbem  auc^  an  ^efu^  ©^riftu^,  baß  fie  gar  einen  folgen 
©lauben  jum  Slu^gang^puntt  ber  ,,®ogmatit"  net)men,  mä^renb 
bic  ^iftoriter  urteilen,  baß  ba^  teinesifaU^  möglich  fei? 


^attenbuf^:  ^ie  Sage  ber  fpftetnat.  ^^eologie.  113 

2. 

^c^  fommc  bamit  ju  ber  jioeiten  ber  fragen,  bic  i^  auf* 
loarf,  einer  ^rage,  an  ber  fx6)  bte  ©eifter  roo\)l  praftifc^  ju  [treiben 
beginnen.  Saffen  ©ic  mic^  antnüpfen  bei  bcn  3lu§fü^rungen  oon 
3EBern(e,  ber  mit  befonberer  Seb^aftigfeit  feine  Smpfinbungen 
äußert  unb  in  bem  xd)  eine  fet)r  ebete  Äraft  ber  mobemen  S^eo« 
logie  erfenne.  ®r  gehört  ju  benjenigen,  bie  bei  f^ärffter  Sriti! 
ber  Ouetten  boc^  teineSioeg§  ffeptifd^  geworben  finb  gegen  bie 
^dgüc^feit^  au§  unferen  Smngelien  no^  eine  beutüc^e  93orfteI* 
lung  Don  bem  roirtUc^en  ^iftorifc^en  Q^fu^  JU  gewinnen.  ®r  ift 
auc^  feiner  oon  benen,  bie  eö  im  ©runbe  unmürbig  finben,  ba& 
mir  Seute  be§  jroanjigfteu  3[a^rl)unbert§  un§  noc^  burc^  einen 
^  alten  SBanberprebiger  in  ©aliläa"  fottten  beeinfluffen  ober  gar 
beftimmen  laffen.  ®r  l^ätt  perfönlid^  mit  marmer  ^erjtic^er  öe- 
geifterung  ju  ^efu.  3llfo  ba  mögen  mir  ganj  sine  ira  et  studio 
bie  S^age  aufmerfen,  xoa^  un§  3efu§  bcrmalen  noc^  bebeuten 
fdnne. 

Qn  feiner  neueften  ©d^rift  „3)ie  Oueßcn  be§  Sebenö  -S^fu", 
mit  ber  bie  neuen  „9ieligion§gefc^ic^tIic^en  95olt§bü^cr"  eingeleitet 
ftnb,  meint  a33ernle  jum  ©c^Iuffe,  o^ne  ba§  ic^  babei  foglei^ 
roiberfprec^en  mö^te:  „SBenn  mir  mit  ber  5^age,  mer  mar  <3efu§? 
an  bie  ©efc^ic^te  tierantreten,  motten  mir  ju  attererft  miffen,  roa^ 
i)at  biefer  ÜJJann  gef)offt,  geglaubt,  geliebt?  maö  ^at  i^m  ber 
3lame  @ott  bebeutet  ?  mie  fa^  er  ben  SWenfc^en  unb  feine  Gräfte 
an?  mit  melc^er  Stimmung  flaute  er  bem  SBeltgetriebc  ju,  mel- 
d)ciS  9Jlenfc^t)eit§ibeaI  erfüllte  feine  ©eele,  monac^  tayiert  er  ben 
Söert  be§  aJlenfdien,  gut  unb  böfc,  ©ünbe  unb  ^flic^t?''  S)a 
fagt  er  bann:  „6^  ift  munberoott,  mie  in  atten  biefen  *tßunften 
bie  großen  Sieben  ber  ©pruc^fammlung  un§  biefelbe  Slntmort 
geben,  mie  bie  ©efprä^Smortc  bei  9Warfu§  unb  bie  ©leic^niffe, 
bie  nur  Suta§  ober  nur  9Wattt)äu§  ^at.  Unb  immer  finb  c^ 
flare,  beftimmte  2lntmorten,  einfach,  ungefuc^t,  au§  ber  Siefc  be§ 
@emüt§,  nic^t  ber  SSerftanbe^logif  gefd)öpft.  Unb  an  bem  ^aupt- 
punft:  morauf  tommt  e§  an  oor  @ott?  ma§  entfd)eibet  über 
^immel  unb  ^ötte  ?  tonnen  mir  bie  ^robe  machen,  ba|  eine  tief* 
greifenbe  SJeränberung  ber  Qüngergebanten  bie  gefc^ic^tlid^c  Jveue 


114  ^Qttenbufd^r^ie  Sage  ber  fpftemat  2:^eolo0ie. 

nic^t  ju  ftörcn  ocrmo^tc.  gür  alle  SBerfaffcr  unb  ©ammtcr  oon 
(äoangclienfdjriftcn  feit  ber  ältcften  Qtxt  ift  ber  ©laube  an  ^[efus 
bcn  SWcffiaö  ba§  erfte,  loaS  ©Triften  unb  9lic^t^riften  trennt,  bie 
©runboorauSfe^ung  für  attc  fotgenben  Jorberungen.  3lber  fic 
^aben  ba§  erft  in  bie  SBäorte  Q^^n  jurüdtgetragen.  ^n  biefen 
tommt  e§  anf  ba§  ©ottocrtranen,  bie  ^erjenSreinl^eit,  bie  93arm^ 
l^erjigfeit,  bie  3)emut,  bie  SBerfö^nlic^feit,  bie  ©e^nfuc^t,  barauf 
unb  nic^t§  anbere§  an.  S)aS  ift  @otte§  SaSiüe,  wie  i^n  bie  öerg* 
prebigt  jufammenfa§t ;  wer  i^n  tut,  ift  ^z\n  SWutter  unb  ©c^roefter 
unb  ©ruber.  Unb  roenn  bie  ©l^riften^eit  jal^rtaufenbelang  t>a^ 
pergeffen  l^at,  roaö  i^r  aWeifter  juerft  unb  uor  allem  wollte,  ^eute 
leudjtet  e§  un§  au§  ben  ©oangelien  roieber  fo  flar  unb  rounber« 
bar  entgegen,  als  wäre  bie  ©onne  eben  erft  aufgegangen  unb 
vertriebe  burc^  i^re  fiegreid)en  Strahlen  alle  ©cfpenfter  unb 
©chatten  ber  9lac^t.  SBenn  unö  bann  baneben  an  biefcm  SWanne 
man^eS  rätfeltiaft  ift  unb  bleibt,  fo  fdjredft  un§  ba§  nic^t  ab, 
voix  tonnen  e§  oerftel^en,  ba§  eS  fo  fein  mu|.  SBir  a^nen  e§, 
bafe  bie  ©eele,  oon  ber  bie§  gro^e,  rounberbare  5teue  jum  erften* 
mal  93efi^  ergriff,  bamit  e§  burd^  fie  eine  bie  aWenfc^^eit  erlöfenbe 
üJla^t  merbe,  uon  ganj  anberen  ©timmungen  unb  Erregungen 
erfaJBt  fein  mu^te,  al§  ber  2)urd)fc^nitt  oon  un§  anberen  Keinen 
SWenfc^en,  ba^  ^ier,  auf  bem  ^ö^epuntt  ber  ©efc^ic^te,  auS  ber 
93erü^rung  @otte§  mit  ber  3)?enfd^^eit,  be§  ©migen  mit  ber  SBer^: 
gängtic^!eit  ©e^eimniffe,  333unber,  übermenfc^lic^e  öerufSgebanfen 
aufleuchten  mußten,  bie,  in  ba§  oorübergel^enbe  ©emanb  jcitlic^er 
jübif^er  SBorftellungen  unb  SBorte  gef leibet,  un§  Dielfad^  bijarr 
unb  fremb  anmuten,  ©elbft  ba§  fönnen  mir  Derfte^en,  ba§  ge« 
rabe  biefeS  ©e^eimniS  einer  fc^öpferifc^en  OffenbarungSperfon  jur 
größten  ©emeinfc^aft  ftiftenben  Kraft  gemorben  ift,  ba&  ber  ©laube 
an  3fcfui§  bie  Äir^e  grünbete.  2lber  für  un§  l^eute  tommt  bae 
aUe§  erft  in  jroeitcr  Sinie,  erft  jule^t  in  93etrac^t;  bie  mir,  ber 
(S^riftologie  fatt  bi§  jum  Ueberbrujs,  nac^  ©ott  Verlangen  tragen, 
^e  met)r  mir  in  ber  Ueberliefcrung  un§  QefuS  felber  nähern, 
befto  me^r  tritt  aUe§  2)ogmatifc^e  unb  J^eologifc^e  jucürf;  mir 
fc^auen  einen  aWenfc^en,  ber  bur^  fein  tlareS  9Bort  un§  felber, 
bie  SEBelt,  ©ott,  oor  allem  red^t  oerftel^en  t)ilft,   unb  ber  in  ben 


ßattenbufcf):  ^ie  Soge  ber  fQ^emat.  ^^eologie.  115 

^JWtcn  unb  Äampfcn  ber  ©cgenioart  afö  bcr  trcucftc  greunb  unb 
^ü^rer  mit  unS  ge^t,  auf  bcn  roix  un§  getroft  ocrlaffen  bürfcn". 
®cnn  ber  mobcrne  ^iftorüer  unS  fo  Dictc§  oon  3>^fuiS  laffen 
n)iü,  rei^t  ba^  nit^t  DOÜtommen  ?  ^^t  e§  nid)t  lüirfUd^  bie 
©Quptfac^c,  ba&  wir  burc^  3efu§  ju  ®ott  !ommen,  ift  cS  ni^t 
ipirflid^  jute^t  gleichgültig,  roie  wir  etioa  feine  ^^erfon  fclbft  an^ 
fe^en?  QP  «^  "i^*  roo^r,  ba§  wir  eigentlid)  nur  noc^  ®ott 
oerlangen?  Unb  SBernle  tonjebiert  ja  bod)  roißig  einen  ^inter« 
grunb  ber  ^erfon  S^rifti,  ben  mir  nid)t  bur^bringen  tonnten. 
Sr  rebet  auSbrürflid)  oon  einer  „©erü^rung  ®otte§  mit  ber 
3Wcnfc^]^eit"  in  i^m,  nennt  xijti  eine  „fc^öpferif^e  Offenbarung^* 
perfon".  3lIfo  fd)cint  e§  roirflid)  nur  ein  ganj  fpejififc^e§  ®ogma 
}u  fein,  ba§  er  pert)orre§jiert,  bie  fotenne  tir^lic^e  ®{)riftologie 
unb  ©oteriologie.  2luö  bem  größeren  SBertc  „S)ie  3lnfänge  un* 
fercr  9leIigion"  tonnen  wir  entnehmen,  ba&  er  in  ber  2:at  befonberS 
an  ba§  reformatorifcft  proteftantifc^e  3)ogma  benft.  SQBenn  man 
aber  frül^er  ba,  roo  man  biefe§  2)ogma  oon  ®l^riftu§  ablehnte, 
glaubte  genügenb  geberft  ju  fein,  inbem  man  ftc^  auf  ba§  9leue 
2^eftament  berief,  fo  \)at  gerabc  er  mit  baju  beigetragen,  ju  er« 
fennen,  bag  man  fo  leid)terl)anb  oom  ürc^tid^en  ^ogma  nidjt  loö» 
fomme.  3n  gemiffer  3Beife  ift  burc^  bie  moberne  ©ibctforf^ung 
bie  alte  ort^oboje  If)eotogie  mit  i^rer  ßuoerfid^t,  gerabe  mit  it)rem 
2)ogma  in  ber  93ibel  ju  fielen,  miebcr  ju  ®^ren  gebraut  roorben. 
SD5ä^renb  bie  fog.  roiffenfd^aftlic^e  2:^eoIogie  lange  3^it  einfach 
unterfd^ieb  jmif^cn  Äird)cnlet)re  unb  biblifc^er  Se^re,  fo  gilt  je^t 
für  jiemtid^  au§gemad)t,  ba§  bie  firc^li^e  Set)re  fic^  mit  gutem 
Siechte  auf  bie  33ibel  ftü^cn  tonne,  natürlich  ni^t  in  jebem  3)c« 
tail,  in  i^ren  fpejififdjcn  ©egriff^formen,  aber  in  allem  SEBcfent== 
lid^en,  in  bem  fa^lic^  für  fie  ©l^arafteriftifc^en,  baJ5  ^efu§  ein 
oom  ^immel  getommene^,  präcfiftierenbe^  SBefen  mar,  ba§  al§ 
SWenf^  in  einer  i^m  fremben  Jyorm  lebte,  einer  ^orm,  bie  e§  nur 
annahm,  um  anftatt  ber  ÜWenfc^en  ba§  fü^nenbe  Opfer  an  ©ott 
JU  erbringen,  ot)ne  roeld)c§  für  bie  SUlenf^en  fein  $eil  ju  ge* 
minnen  mar  unb  märe.  iSlan  fpric^t  je^t  —  gerabe  SBernle  tut 
e§  mit  befonberem  9tac^brudf  —  oon  all  biefen  ©cbanfen  nid)t 
me^r  nur  al§  tirc^lic^em  3)ogma,  fonbern  alö  paulinifc^^jotian^ 


116  ^attenbuf^:  %it  Sage  ber  fpftemat  a;f)eolo0ie. 

neifc^cm  unb  glaubt  bamit  bcn  legten  ©^abcn,  an  bem  ber  ©taube 
oielcr  K^riften  no^  frante  unb  non  bem  unS  bie  moberne  SBibel* 
forfc^ung  frei  mad^en  fönne,  aufgeberft  ju  ^aben.  3)a§  SKcffta^^ 
tum  ^efu  unb  jumat,  maS  $au(u§  unb  ;3o^anne§  barauS  aQeS 
gemacht,  baran  atte§  an  ©peiutation  ge!nüpft,  fei  etmaS  ©efun^^ 
bäre§,  DieHeid^t  nid|t  in  jebem  ©inne  oon  Q^fu  f^'bft  ^iftorifc^ 
9lbjutöfenbe§,  bann  aber  bei  i^m  te^tli^  nur  ba§  SJBiberfpruc^S* 
DoÜe,  bIo§  Qnbioibuette,  für  un§  jebenfaߧ  ©leic^gültige,  ^6) 
tann  ba§,  n)a§  aSäemle  in  feiner  SOBeifc  jum  2lu§brudE  bringt 
—  anbere  moberne  93ibeIforfd^er  ma^en  eS  ja  einigermaßen  an^ 
beriS,  bie  garbenmifd^ung  in  bcn  cinjelnen  mobernen  ®^riftu§- 
bilbern  barf  ic^  t)ier  auf  fi^  berul^en  laffen  —  id^  fann  333crnle§ 
unb  überhaupt  bie  moberne  SBertung  ber  ^erfon  ®t)rifti  ctma  in 
jroei  3;^efen  jufammenfaffen.  2)ic  eine  lautet:  man  muß,  menn 
man  oon  bem  aWanne  be§  5teuen  J^cftamentö  ztroa^  für  bie  ©e* 
genmart  nod)  t)abcn  foK,  unterfc^eiben  jmifc^en  bem  tiiftorifc^en 
^ e f u §  oon  9lajaret  unb  bem  bereite  bogmatifierten 
3^efu§  K^riftu^  ber  Slpoftel  unb  überhaupt  ber  eigent^ 
li^en  urc^riftlid^en  SWiffion^prebigt.  gern  er:  3)er  roirflidie 
^iftorifc^c  3efu§  mar  ein  religi6fe§  ©enie,  bie§  burc^  unb 
burc^,  aber  auc^  nic^t  me^r.  diejenigen,  benen  er  eS  antut,  bie 
er  für  fid)  gcminnt,  bie  burd^  i^n  an  feinen  ©Ott  ate  tebenbigen 
emigen  ©ott  glauben  lernen,  urteilen  nachträglich,  er  fei  eine 
@abt  eben  biefe§  ©otteS  an  un^  gemcfen  unb  in  b i e f e m 
©inne  au^  eine  „Offcnbarung^perfon".  2lber  bamit  mirb  er  boc^ 
nic^t  fetbft  jum  Dbjett  unfere§  ©Iauben§,  fonbern  bleibt  ba§  ge* 
niale  e  r  ft  c  unb  mä(^tigfte  ©  u  b  j  e  1 1  be§felben.  ®r  ift  ein 
'jß  r  0  p  t)  e  t.  3)cr  2Weffia§gebante,  ber  fic^,  ftrittig  unter  mctd)en 
näc^ften  Umftänben,  mit  feiner  ^erfon  oertnüpft  ^at,  ift  ein  ÜWij* 
t^ologem,  melc^e§  einmal  ben  ajJenfc^en  Sienfte  getan  ^at,  aber 
je^t  nic^t  mef)r  tut.  ©oD  unb  muß  man  für  ben  mirfUd^cn  3efu§ 
eine  ©teDe  in  ber  Sogmatif  au§ma^en,  fo  ^at  man  nur  etroa 
noc^  ein  SRec^t,  altbogmatif(^  gercbet,  i^n  ober  bie  Sßertünbigung, 
bie  ©rjäf)lung  üon  i^m  at§  ein  „©nabenmittel"  ju  rubrijicren, 
nid)t  fo,  rote  Sut^er  it)n  al§  ba§  perfonifijiertc  „SBort  ©otte§" 
an  un§  backte  unb  bie  'ißrebigt  oon  i^m  fc^Ie^t^in  at§  „ba§  ©na* 


Äattcnbufc^:  ^ie  fiage  bcr  f^ftemat.  a:^cotogic.  117 

benmittcl",  ba§  3ÄittcI  um  ©laubcn  ju  rocrfcn,  aber  immerhin  at§ 
cinc§  neben  anbeten  unb  oietteic^t  aU  baiS  noc^  immer  mirtung^* 
ooKfte.  3»n  geroiffem  3Wa§e  möge  man  bauernb  fagen,  ba§  @ott 
„in"  ^z^n  gefunben  merbe,  ber  ©ebante,  ba§  er  „burc^  3>cfu§", 
gar  „um  ^efu  miüen"  un§  bcr  SBater  im  ^immel  fei,  l^abe  feinen 
©inn  me^r. 

^6)  tann  in  einem  95ortrage  ni^t  uoKftänbig  barlegen,  warum 
id)  burc^au§  3tt)eifel  ^cge,  ba^  man  bur^  ben  bloßen  gläubigen 
3efu§  JU  feftem,  innerlich  gemiffem,  ftanb^altenbem  ©lauben  an 
ben  ©Ott,  oon  bem  er  rebet,  gelange.  SBar  3^efu§  nur  ein  Sudler 
mie  mir,  nur  eben  ber  ®eniu§,  ber  mit  fü^nem  SBagen  einen 
^fab  befd^ritten,  ben  niemanb  dox  x\)m  bemertt,  ben  unf^einbar^ 
ften,  fo  meint  man  ba§  ja  mobl,  unb  bod^  einen,  ber,  einmal  auf- 
gejeigt,  un§  unmillfürlic^  locft  unb  labet,  einen  fo  turjen,  mo^l 
junäc^ft  als  fteil  erfc^einenben,  bann  boc^  fo  „leichten",  fo  gang* 
baren,  ben  be§  einfachen  SßertrauenS,  ber  f  i  n  b  l  i  c^  e  u  Ein- 
gabe an  ben  „aSater" ,  f o  muffen  mir  oorau^fe^en ,  t>a^  fein 
©üangelium  aU  Se^re  un§  unmittelbar  burc^  fic^  felbft 
überjeugt  unb  g  e  m  i  n  n  t ,  b.  1^.  un§  in  bie  Situation  bringt, 
glauben  ju  „muffen",  auc^  in  ooUer  Sclbftbefmnung  glauben  ju 
tonnen.  Q\t  ^efu  „fie^re"  nid)t  oon  biefer  2lrt  —  unb  fie 
mirb  uns  in  ber  2:at  nic^t  ctma,  einmal  „oerftanben" ,  ju  einer 
„Selbftoerftänblic^feit",  ju  einer  „SJernunftma^r^eit"  (fiantifc^ 
gerebet)  — ,  fo  fönnte  eS  nur  eine  3lrt  Suggeftion  fein,  bie  er 
burc^  fein  mächtiges  333efen  auf  un§  ausübte,  geroiffermaJBen  eine 
Ueberrumpelung  unfereS  ©emütS,  bem  nic^t  3^Jt  gelaffen  mürbe, 
feine  3w>cifcl  geltenb  ju  machen,  ba§  in  feiigem  SBergeffen  feiner 
9töte  fic^  i^m  erfc^löffe  unb  üon  feiner  3uoerfid^t,  ob  fie  guten 
®runb  ^abe  ober  nic^t,  fid)  erfüllen  lie^e.  3lber  mer  möchte  fic^ 
ben  ©lauben  an  ©otteS  Siebe  im  Srnfte  oorftellen  alS  oerbunben 
mit  ber  2lufforberung ,  bie  äBirüid^teiten  feineS  ^crjenS  nur  ju 
oergeffcn? 

Sluc^  id)  fet)e  —  mer  fät)e  cS  nid)t?  —  ba^  bie  '^Srebigt  oon 
bem,  ben  bie  ®t)riften^eit  i^ren  „^errn"  nennt,  lauge  QQXt  ein= 
feitige,  blo^  fpefulatioe  Sat)nen  eingefc^lagen  ^at.  Qd)  tann  mic^ 
fo  auSbrüdfen,  baJ5  ic^  fage,   ber  mirtüc^e  menfc^lic^e  QefuS    fei 


118  ^attenbufc^t^ie  iSage  ber  f^ftemat.  3:^eoIogie. 

bi§  auf  Sut^er,  unb  bann  auc^  roicber  für  lange  3^'*  in  bct 
eoangelifc^en  ^irc^e,  hinter  bem  göttli^en  @)t|riftu§  ganj  Der« 
fd^rounben  gcroefen.  9Äan  rebete  in  ber  S)ogmatit  ja  nic^t  nur 
Don  ber  ©ott^eit,  fonbcrn  auc^  pon  ber  SÄenfc^^eit  ^efu  S^rifti, 
aber  in  abftrattcn,  allgemeinen,  unperfönli(^en  aWerfmalen.  ®§ 
ift  ber  ©egen  ber  mobemen  Sibelf orfc^ung ,  t>a^  bie  SWenfc^^eit 
3efu  ®^rifti  lieber  jur  fontreten  Slnfd^auung  geworben  ift,  baj5 
ber  SWenfc^  3»efu§  oon  ^lajaret  lieber  gu  feinem  9iec^te  gebrad^t 
ift.  2Bir  motten  e§  al§  unoermeibli^  o^ne  SWurren  mit  in  ben 
Äauf  nel^men,  ba§  bei  ben  Sßerfuc^en  ber  ©c^ilberung  biefe§  Qt\n^ 
fooiet  ©ubjettioe§  fid)  überall  mit  einmifc^t.  ®er  ^err  märe  fein 
lüirtlidier  SWenfc^  gemefen,  menn  er  nic^t  al§  fol^er  ^iftorifc^* 
inbioibueHeS  ©epräge  gehabt,  unb  er  märe  nic^t  einmal  ein  grojser, 
gefc^meige  ein  munberbarer,  ein  „befonberer"  3Wenfc^  gemefen, 
mie  bie  moberne  ^iftorie  if)n  ernftlic^  ju  erfaffen  fic^  bemüht, 
menn  er  fic^  nid^t  in  jebem  2luge  irgenbmie  anber§  fpiegelte,  wenn 
nid)t  über  gar  üiele§  im  S)etail  in  ber  Ueberlieferung  ^in  unb  ^er 
f^n  ftreiten  märe,  ob  unb  mie  e§  fid)  füge  ju  einem  lebenbigen 
33ilbe  üon  i^m.  Slber  mir  ^aben  e§  bermalen  nur  mit  bem  Sßi* 
berfpiel  ber  alten  ®f)rtftologie  ju  tun.  Qu,  mirtlid)er  3Wa^t  über 
bie  ©efd^i^te  ift  3»cfu§  nur  al§  ber  ®^riftu§  gelangt.  Sollte  ba§ 
ein  Quidproquo  ber  ®efd)ic^te  fein,  eine  2lrt  oon  9lf - 
!ommobation  @otte§  an  bie  3Wenfd^en  ber  erften  ^eriobe,  in  ber 
er  für  ba§  Soangelium  ©laubige  marb?  Sollten  mir  je^t  in  ber 
^meiten,  ber  mobemen  ^eriobe,  fooiel  ftärter  im  Innern,  fooiel 
beffer  jum  ©lauben  vorbereitet  fein,  ba§  mir  ol)ne  tiefere  ©efc^mer 
;3efu  nur  banfbar  unb  einfad^  „nac^glauben"  tonnten?  ^6^  meine 
üielmet)r,  e§  ^ei§e  beutlic^  einen  "^^Ijkx  machen,  menn  man  je^t 
bei  ber  ?5^age  nad)  ber  93ebeutung  beg  ajlanne^  be§  bleuen  2:e* 
ftamentg  ben  6^riftu§  einfach  ftrcic^e.  2Wir  fc^eint,  ba^  bie  ©lei« 
c^ung,  bie  fic^  in  ber  33e}eic^nung  biefe§  3Wanne§  al§  „3>cfu§ 
S^riftu§"  barbietet,  aufrecht  crf)alten  bleiben  mu|,  aber  fo,  t>a% 
man  nid)t  me^r  blo§  fagt:  Qefu^  oon  Slajaret  mar  ber  ®^ri* 
ft  u  ^ ,  fonbern  ganj  ebenfo  umge!e^rt :  ber  ß^riftu^  ift  niemanb 
unb  nicf)t^  al§  3  ^  f  w  2;  ü  0  n  ^Jt  a  j  a  r  e  t.  3)ie  Dogmatil  barf 
t>a^  alte  d)riftologifc^e  "ißroblem  nic^t  einfach  fallen  laffen,  ^at  e§ 


Äattenbuf^:  ^ic  ßaqe  bcr  f^ftemat  Xt^cologie.  119 

aber  mit  neuen  3Wittetn  ju  bearbeiten.  SBenn  SBernle  bezeugt, 
ba§  „mx",  b.  1^.  er  unb  ein  geroife  nic^t  ju  unterfc^ä^enber  örudE)* 
teil  treugefinnter  ©Triften  unter  un^,  „aller"  ß^riftologie  „fatt 
biö  jum  UeberbruJB"  feien,  fo  föntite  ic^,  wenn  ic^  eiS  liebte,  ebenfo 
impulfio  meine  ©effi^le  ju  äußern,  ma^rfc^einlic^  mit  ganj  ber 
gleichen  ©ered^tigung  im  5tamen  oieler  bejeugen,  ba§  „mir"  ben 
oiefen  „2luffaffungen"  Qe^u  a\x6)  nic^t  gerabe  mit  lauter  SSeroun* 
berung  unb  befonberem  Verlangen  nac^  „mel^r"  gegenüberftünben 
unb  uns  mo^l  fragten,  ob  e§  nic^t  fio^nenberes;  für  un§  gebe,  ate 
oft  red^t  flüd^tige  ^^antafien  über  ben  3>^fu^  ber  „@efc^id)te"  jur 
Kenntnis  ju  nehmen.  SSSir  mürben  un§  unb  ber  ©ac^e  be§  ©lau« 
ben§  boc^  fc^aben,  menn  mir  biefer  ablcl^nenben  Stimmung  emft« 
lid)  ©influfe  auf  un§  gcftatten  moUten.  Sffiir  muffen,  um  bem 
©^riftuS  ju  feinem  Siebte  unter  unS  ju  oer^elfen,  aud)  ben  3^efu§ 
mieber  in§  Stuge  f äffen,  ja  uns;  barauf  befmnen,  t>a^  bie  Z\)to» 
logie,  bie  3)ogmatif,  i^m  nod^  üiel  fc^ulbig  ift  unb  eS  no^  erft 
lernen  mug,  i^n  auc^  „t)iftorifd)"  ju  roürbigen.  0^  tialte  an 
ber  3uo«^pc^t  fcft,  ba|  unfere  ^iftoriter  auc^  mieber  lernen  mer- 
ben,  ben  (J^riftu^gebanfen  anbev§  al§  nur  eine  SBerlegen^eit  mit 
53ejug  auf  Q[cfw^  jw  Derfte^en. 

©d^on  feit  Sut^er  fönnte  bie  Dogmatil  barauf  aufmerffam 
fein,  ba§  eS  nic^t  nur  gelte,  ^efu§  burd)  ben  ®f)riftu§gebanfen 
}u  beleuchten,  fonbern  auc^  biefen  Ic^teren  baburd)  in  feiner  ei* 
gentlic^en  3Bat)r^eit  ju  erfaffen,  baJ5  it)m  fein  !ontreter  Qn^ 
^alt  burc^  bie  ^iftorifd)e  '^^Jerfon  3efu  gefid^ert  mirb.  SBer  unb 
ma§  ber  „Sl^riftu^"  fei,  ba§  ^aben  mir,  feit  3cfu§  al§  ber  S^ri«' 
ftu§  unter  un§  c  r  f  d)  i  e  n  e  n  ift,  e§  in  Slnfpruc^  genommen  \)at, 
ber  mirflic^e  unb  red)te  ®t)riftu§  ju  fein,  an  i^m  unb  feiner  gei^ 
ftig  ocrftänbli^en  2lrt  ju  erfennen.  2lber  mir  ^aben  auc^  umge^ 
fe^rt  un§  oorjul^alten,  ba^  Qefu  „2trt"  burc^  ben  ®t)riftu§gebanfen 
über  bie  b(o6  menfd^Iic^e  ©p^äre  ^inauSgerüdtt  roerbe,  mit  @otte§ 
Slrt  unb  SEBefen  in  ©leic^ung  unb  ^ufönimenl^ang  gebrad)t  merbe. 
Sut^er  rebet  einmal  baoon,  unter  ber  bloßen  ^bee  ber  „©ottt)eit" 
merbe  ber  ^err  un§  jum  „©efpenft",  ju  einem  bloßen  ©^ein= 
mefen.  Unter  ber  bloßen  -Sbee  ber  „9Wenfd)t)eit"  merbe  er  aber 
nid)t  roeniger  jum  „©efpenft",  mit  i^r  allein  erreiche  man  auc^ 

3eitf(^ft  für  Xiftolo^xe  unb  ilir<^e     16.  ^afftq.,  2.  $<ft.  9 


120  ^attenbufci^:^ie  Sage  ber  f^ftemat  ^^eologie. 

nid^t  bie  in  i^m  un§  cntgcgcntrctcnbe  Sicalitot.  6rft  al§  „©Ott* 
mcnfc^"  fei  er  in  feiner  2B  i  v  t  ( i  c^  f  e  i  t  erfaßt.  Sutl^er  tiat  e§ 
fe^r  oft  perfuc^t,  oerftänblic^  ju  machen,  ba§  man  @ottt)eit  unb 
SWenfdi^eit  in  bem  SWanne  be§  bleuen  Seftamente^  nic^t  einfach 
JU  abbieren  Ifabt,  fonbern  ba§  w\x  bei  it)m  ©ott^eit  unb  SWenfc^^^ 
^cit  in  einem  unb  bemfelben  ®inbrucfe  crfaffen  fönnten.  ®en)i§ 
\)ai  er  mit  feinem  ttieologifc^en  3)enfen  biefe  2Iuf9abe  nic^t  einfad^ 
unb  reftlo§  gelöft.  3lber  ic^  fe^e  (ein  $eil  barin,  ba§  man  je^t 
im  5tamen  ber  ^iftorie  bie  2lufgabe  überhaupt  negiert  unb  gar 
belächelt.  6§  ift  eine  Slufgabe,  bie  ber  ^iftorifd)e  Sefu§  felbft 
uns  ^interlaffen  ^at.  ®r  tiat  z§,  inbem  er  fic^  al§  ben  ®t|riftu§, 
fei  e§  auc^  nur  jurüdE^altenb  unb  fc^eu,  ergriff  ober  melme^r  be^ 
griff,  in  feinem  perfönlic^en  ©elbftempfinben  oermoc^t,  irbif^e 
unb  überirbifc^e,  menfc^li^e  unb  gott^eitlidje  SWomcnte  ju  leben* 
biger,  natur^after  unb  fittlic^er  333a^r^eit  ju  oereinen  unb  in  fic^ 
auSjuglei^en. 

®g  ift  boc^  nic^t  nur  ein  langer  munberfamer  Sraum  unb 
SEBa^n  ber  ®^riften^eit  gemefen,  roenn  fie  gemeint  ^at  ju  erfennen, 
ba&  in  ber  ^erfon  Qefu  i^r  ber  ©ott,  oon  bem  er  rebe,  f  e  t  b  ft 
begegnet  fei,  ©lauben  ermedfenb  in  einem  2(  b  b  i  I  b  e  feinet  S3B  z- 
fenS  fic^  jeige.  3)aS  tann  nic^t  umgefe^t  werben,  mie  SBernle 
e§  anbeutet,  in  ben  ©ebanfen,  bag  3^fu§  eine  „fd)öpferif^e  Of* 
fenbarung§perfon"  gemefen.  ©erabe  bem  blo^  „ Schöpf erifc^en" 
an  il^m  märe  ju  mißtrauen.  ®§  ftel^t  auc^  nidjt  fo,  ba&  mir  a 
parte  post  urteilen  lernten,  0^fu§  fei  oon  ©ott  „gefc^enft",  fei 
oou  i^m  unter  ben  SWenf^en  ermerft,  t)abe  alfo  „SßoUmac^t"  ge* 
^abt,  oon  ©ott  ju  reben  mie  er  rebe.  3)aj5  baS  ein  nachträgliches 
Urteil  fei,  ein  Urteil,  baS  im  ©tauben  erreicht  mcrbe,  nid)t  i^n 
bebinge,  ^ie§e  nac^  ber  bejeugten  ©mpfinbung  aUer  bercr,  bie  mir 
als  ;,ftarfe  gelben"  im  ©^riftengtauben  tennen  unb  auf  bie  mit 
JU  achten  boc^  gerabe  auc^  bem  ^iftorifer  na^e  liegen  mu§,  bie 
©ac^e  auf  ben  Kopf  ftetlen.  Unb  mir  fönnen  eS  nur  ju  fe^t 
empfinben,  baJ5  eS  nic^t  mögli^  ift,  auf  bie  bloge  eigene  „Sluto* 
rität"  Qcfu  ^in,  auc^  nic^t  auf  bie  ma^rlic^  ergreif enbc  unb  er* 
märmenbe  9Jlac^t  feineS  „3?orbilbcS"  ^in  o^ne  meitereS  mit  an 
feinen  ©ott  ju  glauben,  unS  mit  i^m  ju  feinem  ©otte  ju  ftellen. 


Ä  a  1 1  c  n  b  u  f  ^ :  S)ic  Sage  ber  fgftcmat.  a:^eoli)gic.  121 

333tr  lernen  e§  frcili^  burc^  ii)n,  unb  niemals  anber§  ate  bnrc^ 
xf)n,  an  einen  tebenbigen  @ott  unfere§  $eile§  ju  glauben,  aber 
nur  Dermöge  beffen,  ba^  er  ba^jenige  in  utt§  in  einer  SEBeife,  bie 
roir  für  SBa^r^eit  erflären  muffen,  überroinbet,  xüa^  un§ 
tatfäc^lic^  gerabe  oon  feinem  @ott  fc^eibet  unb  meil  e§ 
un§  oon  i^m  trennt,  au^  immer  mieber  in3w>«ifßl  ftürjt: 
Sobe^gefütil  unb  ©djulbbemu^tfein.  Äann  ber  i)u 
ftorifc^e  3»^fu§  ba§  —  er  fann  e§  nur,  wenn  er  ber  ®briftu§ 
mar,  unb  beS^alb  ber  Job  nid^t  ba§  le^te,  roaS  i^m  in  feiner 
„^iftoric"  miberfu^r  — ,  perfekt  er  un§  nid^t  blo^  in  einen  gei* 
ftigen  SRaufc^,  fonbcm  lä^t  er  un§  ganj  nüchtern  unb  ermecft  un§ 
boc^  in  pcrfönlic^er  öürgfc^aft  ben  ©lauben,  ba§  er 
un§  ©Ott  in  lebenbiger  SBirtlic^feit  offenbare  al§  ben,  ber  ber 
©ünben  ni^t  gebenfe  unb  bem  Sobe  me^re,  ba§  er  un§  behalte, 
fo  mirb  man  au^  al§  einer,  ber  ^iftorifc^e  93ibelforfc^ung  al§ 
eine  unbebingtc  3lufgabe  anertennt,  babei  bleiben,  ba§  e§  im 
S^riftentum  gelte  unb  rec^t  fei,  „a  n  3>cfu§  6^riftu§"  ju  glauben. 

3. 

S)ie  britte  ^rage,  bie  un§  befc^äftigen  foll,  ^ängt  mit  ber 
jmeiten  enge  gufammen,  aber  fie  ffi^rt  un§  fd^on  au§  bem  9lal)men 
ber  bloßen  J^eologie  ^inau§  in  ben  größeren  ®efid^t§frei§  ber 
allgemeinen  SReligionSmiffenfc^aft,  fpejieü  ber  faft  über  3lac^t  unter 
un^  aufgeblühten  unb  ju  einem  mic^tigen  ^attor  au^  be^  t^eo« 
logifc^en  3)enfen§  geworbenen  oergleid)enben  SReligion^gef^ic^te. 
SBirb  ber  ©ebante,  ba§  mir  an  <3cfu§  met)r  Ratten  at§  gemeinhin 
an  einem  „9leligion§ftifter",  ba§  er  nic^t  auSreic^enb  gemürbigt 
merbe,  menn  er  al§  @  e  n  i  e ,  fei  e§  auc^  ba§  ^öc^fte,  in  ber  ®e* 
fd^ic^te  ber  Sieligion  ocrgegenmärtigt  merbe,  fic^  noc^  behaupten 
laffen,  roenn  mir  ber  anbercn  fül^renben  ©eifter  auf  biefcm  ©cbiete 
gebenfen?  ©e^t  e§  an,  i^m  uub  mit  i^m  bem  ®^riftentume  eine 
prinjipieHe  ©onberftellung  in  ber  9ieligion§gefc^ic^te  gu  oinbiaieren, 
ober  empfinben  mir  nic^t  balb,  ba§  eS  unmürbig  gerabe  oon  fei* 
nem  ©otte  benfen  t)ei&e,  roenn  mir  uniS  porftellen,  er  t)abe  fic^  in 
bem  ©efc^i^t§jufammen^ange  beS  3llten  unb  bleuen  Jeftamentg 
in  ganj  einjigartiger  äöeife,  ja  ^ier  in  bem  3Weffia§  ;3efu§  noc^ 

9* 


122  ^  a  1 1  c  n  b  u  f  c^ :  S)ic  Sage  bcr  f^flemat.  Geologie. 

einmal  in  gcroiffcr  SEBeifc  efflufto  offenbart  unb  bcv  SWenfc^en  ju 
intern  ^eite  fi^  angenommen? 

<3f^  tann  l^ier  bei  einem  anbern  mobernen  2:^eoIo9en  an* 
fnüpfen.  3)er  ^arifer  ^rofeff ov  ^f  ^  ö  n  9i  e  o  i  1 1  e  l)at  ein  öuc^ 
erf (feinen  laffen,  baS  in  ber  beutf(^en  Ueberfe^ung  ben  Sitet  fül^rt: 
„aWoberne^  S^riftentum".  ®r  fd)ilbert  biejeS  ®t)riftentum  ate 
eine  roeitoerbreitete,  i^re§  guten  9lec^t§  längft  bemußt  geworbene 
Umprägung  be§  alten,  fpejieü  be§  eoangetif(^en  ®^riftentum§.  ®r 
fie^t  in  itim  eine  burd^  bie  (ärroeiterung  ber  fittlic^en,  befonberi^ 
ber  fojialen  ©rfal^rung  mit  9lotmenbigfeit  probujierte  Srmeic^ung 
unb  93efreiung  be§  ^iftorifd)en  @DangeIium§,  jumal  auc^  nac^  ber 
Slic^tung,  ba§  man  je^t  ni^t  mel^r  ben  ^iftorifc^en  93  ring  er 
be§  ®oangeIium§,  fonbern  nur  noc^  bie  ^  r  i  n  j  i  p  i  e  n ,  bie  er 
pertreten,  al§  ^eil§mittterifc^  anfetie.  ®r  f^reibt  (©.  84  f.): 
„3)arin  ftimmen  fie  (bie  mobernen  K^riften)  aüe  überein,  baß  ber 
^eilSmert  be§  ®oangeIium§  .  .  .  oon  ben  SJorftettungen,  bie  man 
fic^  über  ba§  SBefen  ber  ^^Jerfönliditeit  :3efu  mac^t,  unberührt 
bleibt.  Unfere  innere  3uftimmung  ju  ber  religiöfen  unb  ftttlid)en 
fie^re  3^efu  ift  ja  nic^t  ba§  JRefuItat  be§  93ilbe§,  ba§  mir  unS 
oon  3>^fu^  machen  ....  9li^t  weit  9efu§  ber  aWeffta§  geroefen 
märe  ober  ein  mit  aßerl^anb  munberbaren  Äräften  begabte^  über^ 
irbifc^e§  SEBefen  ...  ift  fein  ©oangelium  in  unferen  3lugen  bie 
befte  SBaffe  im  Kampfe  gegen  bie  ©ünbe,  fonbern  meil  bie  Sr* 
f a^rung  ....  unS  le^rt ,  baß  mir  in  biefem  (Soangelium  einen 
immer  fprubeinben  Duell  be§  2eben§  befi^en  .  .  .  Unb  biefe  un* 
fere  SBertf^ä^ung  ber  ^eilfamcn  ^raft  ber  religiöfen  unb  fittlic^en 
^rinjipien  be§  ®Dangelium§  ift  .  . .  bi§  ju  bem  ©rabe  (unabhängig 
oon  jeber  SBorftetlung  über  ^efu§),  baß  mir  gern  bereit  ftnb,  i^r 
aSor^anbenfein  unb  i^re  SBirtung  atlentf)alben  mit  J^euben  anju^« 
erfennen,  mo  mir  fie  roirflid^  finben,  auc^  in  Säubern  unb  bei 
9Söttern,  bie  niemals  oon  ^efu  ^aben  reben  l^ören,  ober  bie  fic^ 
menigftcng  nid^t  nac^  i^m  nennen,  fonbern  bie  burc^  UJermittlung 
anberer  SBeifen,  anberer  9leligion§ftifter,  anberer  ftttlidier  ^eroen 
eine  me^r  ober  meniger  große  Kenntnis  berfelben  ©runbfä^e  er* 
galten  ^aben  2C."  3llfo  ba  mirb  ba§  at§  uöHig  au^gema^t  ^in* 
gefteHt,  baß  ba§  ©oangetium  fo  menig  eine  ©onberfteüung  in  ber 


Äattcitbufc^:5)ie  Sage  ber  f^ftemot.  a:^eoli)gic  128 

©cfc^id^tc  cinncl^me,  ba&  e§  in^altlic^  and)  onbcrroärt^  cnt* 
bccft  ober  „cr!annt"  fei,  ni^t  fo  DoUftänbig  meüei^t,  roie  Don 
3efui8,  aber  boc^  dS  roirfungSfräftigcS  rettgiöfe§  unb 
fittlidjc^  ^beat. 

2)ie  2lrt,  wie  SRcoiUe  bic  ©ebanten  ber  „mobemen  ©Triften" 
fc^ilbert,  loirb  Don  ben  beutf^en  S^eologen,  bie  er  unter  feine 
„wir"  ntitbefaffen  fann,  gcn)i§  nic^t  o^nc  manche  SBorbel^alte  ge=» 
billigt  werben.  3)enn  fte  erinnert  in  i^rer  (roa^rfc^eintic^  burc^ 
bie  2lbfi^t  möglic^ft  weiten,  aud^  t^eotogif^  nic^t  gefd^utten  Greifen 
ncrftänblic^  ju  werben,  bebingten)  flauen  gormutierung  ber  ®e« 
genfä^e  mel^r  an  bie  SOSeife,  roie  bie  „mobemen  K^riften"  Dor 
^unbert  ^ß^^^n  fid)  auSjubrücfen  pflegten,  aU  an  bie,  welche  wir 
je^t  gerootint  fmb.  Unfere  beutf(^en  „mobcrnen"  ©Triften  ober 
roenigftenö  S^tieologen  befi^en  jroeifelloS  ein  ^iftorif^  oiel 
fenfiblercS  33erftanbni§  für  bic  93ebeutung  ^efu  unb  bic  an  feine 
^  c  r  f  0  n  gcbunbene  Äraft  feiner  Seigre,  bie  allein  ja  ate  „®oan* 
getium"  bejeic^nct  ift.  3»nbc§  bai^  ^ebt  freiließ  nic^t  auf,  ba^  fic 
im  Äcm  ber  ©cbanfen  mit  SReoiÜc  jufammentreffen.  Unb  ift 
bicfer  Äern  nid)t  au^  mirtlic^  ber  ®efc^i^tc  gcmä§?  Qft  c§ 
nic^t  ganj  richtig,  ba§  ba§  „Soangelium"  tcine§n)eg§  etn)a§  fd)le^t« 
^in  (Eigenartiges  ift,  ba§  e§  nur  in  rclatioem  ©inn  eine 
©onbcrftellung  bcanfpruc^en  fann?  iilod)  jcber  ift  erftaunt 
geroefen,  menn  er  junäc^ft  bloß  oon  ^efu§  gemußt  ^at,  bei  einem 
©  c  n  c  f  a  unb  S  p  i  1 1  e  t  ganje  ©ebanf enrei^cn  ju  finben ,  bic 
an  bic  mäc^tigften  SaSorte  3>«fu  erinnern,  ©ic  crflärcn  fic^  un» 
gcjmungcn  au§  bem  ©Aftern  ber  ©toa.  Unb  mie  oielcS  an 
^lato,  ober  um  in  einen  anberen  ^^fömmcnl^ang  ^inüberju= 
greifen,  bei  bem  53  u  b  b  1^  a ,  gemal^nt  unS  an  d)riftlid)c  ©cbanfen, 
3)inge,  oon  bcncn  mir  gemannt,  fte  unb  il^reSglcidjcn  fämcn  nur 
in  ber  SBibel,  fpejicH  bei  ®^riftu§  oor!  aWan  fann  au^  nic^t 
immer  fagen,  baj5  e§  fic^  ba  blo§  um  fittlid^e  ^been  tianbele,  auc^ 
fpcjififc^  religiöfe  QUen  tommen  in  öetrac^t.  ^n  ber  %ai,  e§ 
fc^eint  Kar,  ha^  eine  oorurteilSlofe  93etrac^tung  ber  SReligionS^ 
gefc^ic^te  ergibt,  e§  l^anbelc  fic^  barin  um  einen  großen  inneren 
3ufammcn^ang,  piclleid)t  großenteils  garniert  um  birette  öerü^« 
rungen,  3luStauf^ungen,  2lb^ängigfciten,  um  fo  gemiffer  aber  für 


124  ^attcnbuf^:®ic  fiagc  bcr  f#emat.  3:^eolo0ie. 

ein  rcügiöfe§  Slugc  um  bic  aßirfungcn,  bic  Offenbarungen  be§* 
f  e  t  b  e  n  ®otte§.  5ReüiKe  i)at  bei  bcm  populären  ©liaratter  feines 
93ud^§,  unb  ha  er  bIo§  einfad^  bie  Slbftc^t  i)at,  ba§  „moberne 
©^riftentum"  ju  fc^ilbern,  feinen  Slntag  gehabt,  anbere  9te« 
ligionen  in  il^rer  tonfreten  ©efamtart  üorjufüliren  unb  mit  bem 
©^riftentum  ju  üergleid^en.  Qn  ben  Suchern,  mo  ba§  gefd^iel^t 
t)erf ennen  umfid)tige  unb  ^iftorif^  fadjfunbige  Sl^eotogen  (ic^  nenne 
^ier  fel^r  gern  93  o  u  f  f  e  t)  nii^t,  bag  bie  ©injelparaDelen  jmifd^en 
d^riftlid^en  unb  öugerc^riftlid^en  fittlic^en  unb  retigtöfen  Qbeen, 
meiere,  im  erften  2(ugenblidfe  jumat,  bie  Saien  am  meiften  frap* 
pieren,  ft^  oft  nur  al§  äugerlid^e  barftellen,  bag  gleidje  3[u§brüdfe, 
Formeln,  ©itten  bod^  le^tlic^  felir  oerfc^iebenen  ©inn  liaben.  Qm 
Sibet*  unb  93abelftreit  ift  oon  ©eiten  ber  2:^eoIogen  mefentlid^ 
unter  biefem  ®eftc^t§punft  argumentiert  morben.  Q\t  ba§  o^ne 
3n)eifet  ganj  bered^tigt  unb  bem  ©eifte  roalirer  SBiffenfc^aft  burc^» 
au§  entfprec^enb,  fo  fe^t  e§  boc^  bie  93etra(^tung,  bie  SReoiDe  als 
bie  „moberne"  anbeutet,  nid)t  in§  Unred^t,  fonbem  gibt  i^r  nur 
eine  etmaS  anbere  gärbung.  SÄan  fann  nämlic^  bie  ^Religionen 
als  gro^e  Ä  o  m  p  t  e  j  e  au^  f o  miteinanber  ju  einer  l|  ö  l|  e  r  e  n 
®  t  n  ^  e  i  t  oerbinben,  ba§  man  fie  als  @  t  u  f  e  n  in  einem  roei« 
ten,  roeltumfpannenben  ©efd^tc^tSprojeffe  beutet  unb  in 
biefem  ben  HBerbegang  ber  maliren  SReligion  fielet.  2luc^  bann 
fallen  bie  inneren  ©d^ranten  jroifc^en  ben  SRetigionen,  aud^ 
bann  bleibt  ber  ©ebante,  ba§  man  oon  einer  Offenbarung 
©otteS,  beS  maleren,  eigentli^  mirflic^en  ®otteS,  beS  ©otteS  Qefu, 
in  ber  ganjen  SReligionSgefd^id^te  reben  muffe  unb  bem  6f)riften- 
tume  leinen  qualitatio  eigenartigen,  fpejififc^en  OffenbarungS^a* 
ratter  jufc^reiben  fönne.  SÄan  fteüt  bann  etroa  bie  JReligionS* 
gef^id^te,  mie  eS  fc^on  Seffing  getan,  unter  bie  3»i>ee  einer  „©r* 
jief)ung  beS  SRenfc^engefc^lec^tS".  2Ran  brauet  babei  gar  ni^t 
JU  Äonftruttionen  ju  greifen,  bie  in  ben  betannten  ®efc^icI)tSreti* 
gionen  einen  ftetigen  unb  lüdtentofen,  beutlid^  überall  baSfetbe  3ict 
oerratenben  ^ortfd^ritt  fonftatieren.  ®S  ge^t  ganj  mo^l  an,  ba* 
bei  im  einjelnen  oft  rüdfläufige  93eroegungen,  ba§  ic^  fo  fage  un* 
nötige  aSerboppelungen,  blinbe  SluSgängc  u.  brgl.  jujugeben  unb 
bo^  ben  ©ebanfen  feftju^atten,  ba&  ®ott  überall  feine  |)anb  im 


Äattcnbufc^;  ^ic  fiagc  bcr  f^ftemat  ^^eologic  125 

©picic  \)aU,  überaD  in  bcn  SRetigioncn  (wie  93  o  u  f  f  c  t  fid^  au§* 
brürft)  bic  ajJcufc^cn  „emporlodfc".  ®ibt  man  bann  ju,  ba§  feit 
ba^  ß^riftcntum  crfc^icnen  ift,  DOÜcnb§  feit  c§  ftc^  fclbft  ri^tig 
ocrftanbcn  \)at,  bic  anbeten  SHeligionen,  foroeit  fie  ftd^  no^  er^ 
galten  Ifob^n,  im  liö^eren  ©inn  au^gebient  f)aben,  mit  ber  3^^* 
gemife  auc^  üevfc^minben,  üor  bem  ©^riftentume  meieren  werben, 
fo  fann  man  benfcn,  aDen  berechtigten  2lnfprüc^en  be§  ©Triften« 
tum§  auf  einen  „SJorjug"  genug  getan  gu  ^aben.  S)ürfe  e§  fic^ 
freili^  nic^t  melir  al§  bie  allein  malere,  al§  bie  ganj  einjigartig 
bebingte  SReltgion  anfeilen,  fo  bod^  al§  bie  ma^rfte  unb  au^ 
al§  bie  am  t  i  e  f  ft  e  n  in  ®ott  gegrünbete,  immer  nod)  bie  Offen* 
barung^religion  xax'  i^oxV,  ^^  ^ö6)^tzn  3Ra§e. 

6ine  fol^e  ^Betrachtung  gänjlic^  abjulet)nen,  fann  id)  fein 
^[ntereffe  beim  S^riftentume,  n)enigften§  nic^t  beim  eoangelifc^en, 
entbeden.  ©ie  barf  ftd^  ru^ig  barauf  berufen,  ba§  aud^  ein  'ißau* 
lu§  nid^t  geglaubt  \)abt,  bag  (Sott  fici^  ben  |)eiben  überliaupt  un« 
bezeugt  getaffen  ^abe.  938irb  ba§,  n)a§  ^aulu§  mit  turpem  93lidt 
auf  ba§  ®  e  n)  i  f  f  e  n  unb  bie  9t  a  t  u  r  in  biefer  93ejiet)ung  in 
feiner  93etra^tung  be§  ®oangetium§  mit  in  Stec^nung  ftellte,  oon 
ber  mobernen  JReligionSgefd^ic^te  in  tomplijierterer  SBeife  jur  2lm 
fc^auung  gebracht,  fo  feigen  mir  ^ier  bod^,  mie  neuefte  unb 
d  1 1  e  ft  e  c^riftlic^e  2)entn)eife  ft^  auc^  nod)  begegnen  f önnen, 
nic^t  bto§  fic^  roiberfprec^en. 

3nbe§  ic^  meine,  ba§  noc^  ein  weitere^  SlBort  nötig  ift,  wenn 
bie  93etrad)tung  nid^t  oberflächlich  bleiben  foU.  2)ie  ©ac^e  fte^t 
fo,  ba§  mir  burc^  ba§  ®t)riftentum  in  ber  Zat  an  fid^  feinen 
3lnla&  befommen,  ben  ©ebanfen  abjule^nen,  ba§  ®ott  fiel)  allen t* 
l^alben  in  ber  ©efc^ic^te  bejeugt  ^abe,  oielerort^  ftc^  Or* 
gane  bereitet  f)abe,  um  ben  SRenfd^en  na^ejufommen  unb  fie  ju 
geroinnen,  ©o  mögen  mir  biefen  ©ebanfen  aud^,  roie  ^aului^, 
prattifd)  baju  benu^en,  umSlnfnüpfungSpunftebei  yixAjU 
^  r  i  ft  e  n  ju  finben.  2l6er  ba§  S^riftentum  oerlangt  bann  boc^, 
ftritt  feftgu^alten,  ba§  e§  prinzipiell  jebenfaQS  nur  ein  Ski  gebe, 
ju  bem  ©Ott  bie  SWenfc^en  ^injufül^ren  fuc^e,  Saueren  in  oielen 
SReligtonen  bie  ©ebanfen  oon  einer  ®  r  l  ö  f  u  n  g  auf,  f o  roerben 
roir  a\3  ©Triften  gern  jugeben,  ba§  allenthalben  e§  le^tlic^  unfer 


126  ^  a  1 1  c  n  b  u  f  c^ ;  ^ic  Sage  bcr  Mtcmat.  2:^eo(oflie. 

©Ott  x]i,  ber  bie  ^erjen  f  c  ^  u  f  ü  c^  t  i  g  mai)t,  ber  i^ncn  uid^t 
geftattct,  fic^  in  ben  ©ütcrn  ber  äBclt  ju  b  c  f  r  i  c  b  i  g  c  n ,  bcr 
i^nen  bcn  ®inbrudf  einer  ©ebunben^eit,  einer  SSerloren^eit  in  ber 
grembe,  einer  Sßerfunten^eit  in  unrofirbigcm,  jämmerlichem  SQSefen 
entftel^en  tagt.  2(bcr  mag  mir  bann  weiter  feigen,  ift  bod),  ba§ 
bem  ^eil§Dertangen  nod)  nirgenb§  b  i  e  ©rfüDung  ju  Seil  mirb, 
bie  mir  in  ®^riftu§  ^abcn,  unb  ba§  be^roegen,  roeit  bie  3loU 
empfinbung  noc^  teine§roeg§  b  i  e  2:iefen  ber  ©  ü  n  b  e  erreicht,  in 
melden  md)  d^riftli^em  aSerftänbni^  ba§  eigentliche  ®tenb 
bef^loffen  ift.  3)ic  ©rlöfung,  bie  SRettung,  bie  ^inauSfü^rung 
au§  ber  äBclt  unb  bie  ^inanfül^rung  ju  ®ott,  tritt  in  ben  an« 
beren  Sieligionen  nocl)  in  formen  auf,  bie  unö  mefentlicl)  at§ 
3 1 1  u  f  i  0  n  c  n  erf^eincn.  ©emig,  mir  fe^en  and),  roie  bie  an^ 
beren  ^Religionen  üielen  ^rieben  gcmä^ren,  mir  brauchen  aud^  nic^t 
ü  b  e  r  a  1 1  ju  urteilen,  bag  ba§  ein  2:  r  a  u  m  f riebe  fei.  Slber 
mir  muffen  bo^  urteilen,  ba§  in  ben  anbern  Sieligionen  menig 
oon  bem  magren  grieben  ©otte§  über  bie  ^erjen  tomme. 

^ier  berühre  ic^  einen  ^unft,  über  ben  bei  ben  9teligion§* 
^iftorifcrn,  auc^  ben  t^cologifd^en,  nod^  Unflar^ett  befte^t. 
^6)  la§  einmal  in  ber  „©^riftlic^en  Sffielt"  (gleichgültig  mann) 
einen  2luffa^  (gleichgültig  üon  mem  —  id^  betrachte,  ma§  ic^  ^ier 
^eranjie^e,  als  eine  ©ntgleifung  be§  SSerfafferS,  auf  ben  i^  fonft 
gern  ^öre),  ber  über  baS  a3er^ältni§  beS  (£l)riftentum§  unb  ber 
3Rit^rareligion  ^anbelte  unb  befonberS  bie  2:atfac^e,  \>a^  beibe 
eine  geiftige,  ja  ftttli^e  ©rlöfung  burd)  eine  SBiebergeburt 
»erzeigen,  in  93etrad^t  jog.  ®a  lief  bie  93etra^tung  barauf  ^in^ 
au§,  ba§  bie  SRit^rareligion  auc^  fo,  roie  fie  fic^  üom  ©Triften* 
tum  unterfc^eibe,  SBa^r^eit  l^abe,  ba|  fie  minbeften^  für  bie 
3Wenf^en,  bie  für  fie  bi^poniert  roaren,  fogut  SBal^r^eit  geroefen, 
als  für  uns  bie  S^riftuSreligion.  „@S  gibt  oi^ne  ßroeifel  Seute, 
meinte  ber  Sßerfaffer,  bie  eS  lieber  fe^en,  ba§  in  anberen  Sleli* 
gionen  gar  feine,  als  ba&  in  i^nen  roenig  ober  uiel  ©rlöfung  ge* 
boten  roirb,  roeil  i^nen  roeniger  an  ber  ®r(öfung  als  an  i^ren 
©ebanfen  über  bie  ©rlöfung  liegt.  2)enn  eS  barf  nur  eine  Slrt 
ber  ©rlöfung  geben,  roeil  fonft  bie  ©injigartigfeit  unb  ,g)crrlid)feit 
il^rer  eigenen  Stellung  beeinträ^tigt  erfc^eint".    Qd)  roei§  micti 


^att^nhn^d):  %it  Sage  ber  f^ftemat.  ^^eologte.  127 

für  meine  ^erfon  grünblic^  frei  oon  ber  3Jeigung,  me^r  üon 
meinen  ©ebanfen  über  bie  ®rlöfung  ju  galten,  al§  oon  ber  ®r* 
löfung  felbft.  3(ber  id)  meine,  e§  tonne  boc^  le^tlic^,  menn  eS 
nur  einen  (Sott  gibt  unb  te^tlid)  einerlei  3Renfc^enl^erj,  a\x6) 
nur  eine  roirttic^e,  roa^re  ©rlöfung  geben,  nur  e  i  n  m  i  r  f  l  i  c^  e  5 
^eit  für  un§  aKe.  SBenn  ber  ©ebanfe  ber  Sntmicflung  in  ber 
©efc^ic^te  baliin  gemenbet  werben  foD,  ba§  bie  jeroeiligen  SÄen^ 
fd)en  unb  i^re  ber  maligen  93ebürfniffe,  Sinfic^ten,  i^re  ber* 
maligen  religiöfen  „hülfen",  a\\6)  ba§  3Wa^  ber  SB  a  f)  r  ^  e  i  t  fein 
foCen,  menn  ber  ©ebante  gelten  foÜ,  ta^  ®ott  je  jur  Qät  ber 
mirftt^  „ift",  mofür  bie  3Kenfd)en  i^n  nel^men,  fo  ^alte  ic^  ba§ 
allerbingö  für  unoerträgli^  mit  bem  K^riftentum.  Qd)  brause 
md)t  alle  SÄenfi^en,  bie  nic^t  perfönli^  unb  berougterma^en  ba§ 
^eil  ö^fu  ®f)rifti  ergreifen,  für  oerloren  ju  erachten  unb  tann 
bod)  babei  bleiben,  ba§  in  SBa^r^eit  „fein  9Jame  ben  SÄenfc^en 
gegeben",  barinnen  fte  foDen  feiig  werben,  al§  allein  ber  9t am e 
5  e  f  u  ®  1^  r  i  ft  i.  Unb  fo  f^lie^t  ber  ©ebante  baoon,  bag  (Sott 
überall  bie  9Kenfc^en  fu^e  unb  üielerort^  aud)  oon  t^nen  in 
Stauung  ober  aud^  Icbenbiger  @injetertenntni§  mirtlic^  gefunben 
werbe,  auc^  ben  anbem  nic^t  au§,  ba&  er  —  ni^t  na^  blinbem 
belieben,  fonbern  geioi^  unter  Stotroenbigfeiten,  bie  mir  nur  nic^t 
JU  ergrünben  vermögen  —  allerbing§  in  einem  b  e  ft  i  m  m  t  e  n 
@ef(^i^t§jufammen^ang  eine  f  p  e  j  i  f  i  f  ^  e  SBirIfamfeit,  oieHei^t 
eine  befonbere  <3ntenfität  betätigt  \)abe,  auc^  jule^t  ein 
Organ  fic^  bereitet  ^abe,  ha^  freiließ  ein  anbere^  mar,  al§  bie 
Organe,  bie  er  fonft  in  93eroegung  gefegt.  @§  ift  ein  mertroürbig 
unlebenbiger,  jebenfallg  wenig  perfönlic^er  (Sotte^gebanfe,  ber  e§ 
ni^t  oerträgt,  fid)  @ott  in  ber  ©ef^ic^te  au^  ju  beuten  at§  fic^ 
tonjentrierenb,  al§  liier  fic^  jurüdf^altenb  unb  bort  brän- 
genb,  al§  ^ier  juwartenb  unb  bort  wirftic^  fc^affenb.  3)er  ®e» 
baute  oon  @ott  aB  bem  in  fi^  ftetigen,  immer  gleichen,  al§  bem 
aSater  im  ^immel  über  alle  9)lenfc^en  unb  ju  allen  Q^xkn, 
fd)tie§t  nur  jebe  SB  i  1 1 1  ü  r  in  feinem  Ser^alten  gu  ben  einjetneu 
ausi,  nic^t  aber  bie  aSerfdjiebenl^eit.  können  wir  bie  gange 
gieltgion§gef^id)te  irgenbwie  al^  ein  „®mporloden"  ®otte§  Der- 
ftel)en,  fo  foDen  wir  biefcn  ©ebanten  nic^t  mißbrauchen  ju  ^on» 


128  ^  a  1 1  e  n  b  u  f  rf) :  ^ic  Öage  bcr  f^ftemat  ^^cologie. 

fhuttioncn  üon  mancherlei  „SBa^r^eiten"  unb  „©rtöfungen".  ®g 
tüirb  für  ba§  c^riftlic^e  S)enten  babei  bleiben,  ba§  e§  freiließ  einen 
befonberen  (Sefc^ic^t^jufammenl^ang  gibt,  in  bcm  wir  erft  eigent* 
tid)  ®otte§  |)erj  fc^Iagen  l^ören  unb  @otte§  Äraft  fid^  roal^r^aft 
betätigen  fcf)en.  Unb  e§  wirb  unter  ©Triften  eine  @en)i^l^cit 
bleiben,  ba§  Sefu§  S^riftu^  allerbingg  eine  e  i  n  f  a  m  e ,  eine  un* 
T)ergteid)lic^e  Stellung  in  ber  ©efc^id^te  ^at  unb  al§  ^erfon  an* 
ber§  in  ®ott  bie  SB  u  r  3  c  l  n  feinet  9B  e  f  e  n  § ,  aU  bie  fonfttgen 
9ieligion§ftifter.  S)ic  ®efd)ic^te  ber  Sieligionen  braucht  un§  in 
biefer  3"^^^^^^  roai^rlid)  nic^t  irre  ju  machen. 


3)oc^  ic^  bin  freilid)  no^  nid^t  ju  ®nbe  mit  bcn  S^agen,  bie 
bei  bem  tjeutigen  ©tanbe  ber  äBiffenfc^aften  fi^  ergeben.  3)ie 
oierte  ^rage,  bie  mir  einen  3iö^if«t  bejeid^net,  ben  mir  f^ftema* 
tifc^cn  2:t)eologen  in§  3lugc  faffen  muffen,  lautet:  „Äann  ber 
©upranaturali^mu^  im  ®lauben  aufrerf)t  erhalten  werben?" 

aBa§  ic^  bi§l^er  über  ©^riftu^  roibcr  bie  ®ebanten  be§  fog. 
mobernen  (S^riftentum^  behaupten  §u  muffen  meinte,  inüobiert 
fc^licglic^  eine  fupranaturale  ®otte§ibee,  unb  gerabe 
ba§  ift  fic^er  geeignet,  üiele  „2Woberne"  abjufc^redfen  üon  ben 
®ebanfen,  bie  i^  »erfocht.  SÖBir  tommcn  ^ier  abermals  in  einen 
weiteren  ^wf^mmcn^ang,  nunmehr  ben  überhaupt  ber  allgemeinen 
3öeltanfd)auung  unb  i^rer  weitläufigen  ®efc^ic^te. 

Qä)  tann  mir  beuten,  ba&  ein  ^  ^  i  1 0  f  0  p  ^ ,  aud)  ein  f ol* 
^er,  bem  bie  SRetigion  ein  perfönlic^eS  Slnliegen  ift  unb  ber  bar« 
auf  bebac^t  ift,  bem  ©^riftentume  infonber^eit  geregt  ju  werben, 
f agen  wir  alfo  ein  3Wann  wie  ®  u  df  c  n ,  wenn  er  eine  S)ogmatit 
auc^  ber  legten  ßeit,  nur  eben  nic^t  „religion§gefc^id)tlic^en"  ®e» 
präget  (wie  e§  ja  auc^  nod)  feine  gibt),  fagen  wir  etwa  biejenige 
Ä  a  f  t  a  n  §  jur  ^anb  nimmt,  fic^  auf§  äu^erfte  bef rembet  f ü^lt 
üon  bem  ®  a  n  g  e  ber  Erörterungen,  ba§  c§  i^n  anmutet,  al§  fei 
alle§  in  einen  tünftlic^en  Stammen  geftellt,  einen  Stammen,  in  bem 
alle  Probleme  fid^  oerbögen.  S)a§  ®runbfc^ema  ift  aud^  bei  einem 
„SRitfc^lianer"  noc^  ba§  alte,  einem  „mobernen"  9Wenfd)en  oon 
üorne^erein  obfolet  fc^einenbe,  ba§  —  um   mid^  ber  grantfd^en 


^attcnbufc^;  ^ic  8agc  bcr  f#emat  Zf)^oloQk.  129 

Terminologie  ju  bebiencn  —  ber  „®encvation,  Degeneration,  SRe« 
gencration".  S)abei  werben  biefe  ^Begriffe  fe^r  oerfc^ieben  gegen 
einanber  abgeftuft,  aber  e§  bleibt  ber  @inbruct,  aU  fonftruiere  ber 
S)ogmati!er  ftd^  eine  ganj  befonbere  „938e(t",  jroeierlei  Steigen  oon 
©efc^e^en,  eine  „d^riftli^e"  unb  eine  „nic^t  djriftli^e",  „bIo§ 
natürlid^e".  SBir  S)ogmatiter  fc^einen  roirtlic^  eine  Slrt  oon  ^af^ 
fton  für  ba§  2lItmobif^e  ju  l^aben!  SSir  ^aben  in  ber  Sat  im 
©runbe  nod^  einen  SBurf  ber  Probleme  in  ber  ^anb,  ber  erft» 
mal§  in  einer  Qtxt  gemalt  ift,  bie  fonft  für  oerfunfen  unb  oer« 
fc^oDen  gilt  9lod)  immer  finb  für  un§  übermiegenb  5^'agen  oon 
93ebeutung,  bie  fd)on  jene  erfte  ^eriobe  ber  eoangelifc^en  S^l^eo* 
logie,  bie  fid)  an  3Jlelanc^tl^on  unb  ©alpin  anfc^lo^,  erörterte, 
©efpenftem  glei^  teuren  immer  roieber  in  ben  „Sogmatifen" 
längft  tot  erflärte  „Probleme"  jurücf.  Swfti"^^^^^  ^^^^  tritifie* 
renb  fe^en  fi^  bie  ©gftematifer  nod^  größtenteils  mit  gormein 
au§einanber,  bie  Don  ber  alten  t^eologifd^cn  S^n\t  be§  17.  ^a\)X' 
^unbertg  aufgebracht  mürben,  oon  ben  „©^olaftitem",  ben  „Or* 
t^oboyen",  an  bie,  mer  auf  93ilbung  l^ält,  bod^  nur  mit  ©Räubern 
beuten  tann.  Unb  ba§  foD  fo  meitergelien  ?  SBo^l  gar  in  infi- 
nitum?!  ^ann  jemanb  fi^  rounbern,  bag  „Siatente",  bie  fi^ 
no^  ber  S^eologie  jumenben,  ^ier  enblic^  auf  eine  SBenbung  [in* 
nen?  Oft  ߧ  nid^t  beutli^,  ba§  bie  übliche  2lrt  non  fgftematifc^er 
a^eologie,  unangenehmere  unb  erträgli^ere  3lüancen  oorbel^alten, 
im  ganjen  nur  noc^  eine  ^feubomiffcnfc^aft  ift? 

^c^  \)abt  biefe  g^agen  gar  nid^t  blo§  etpwvtxö);  geftellt.  6S 
ift  mir  teineSroegg  barum  ju  tun,  folc^en  jüngeren  2:^eologen,  bie 
befonber§  auc^  bie  ©efc^ic^te  ber  ^^ilofop^ie  ber  Jleujeit  tennen, 
ben  ®inbrucf  ju  erroeden,  al§  ob  fte  bei  un§  älteren  auf  gar  fein 
S8erftänbni§  redjnen  fönnten.  3)ie  ©efc^ic^te  ber  ^t)ilofop^ie  ift 
un§  roeber  fo  unbetannt,  nod^  fo  gleid^güttig,  ba§  wir  eS  nic^t 
empfänben,  mie  fel^r  ba§  tf)eologifd^e  3)enten  ®efa^r  läuft  fic^  ju 
ifolieren,  fic^  auf  fragen  ju  oerfteifen,  bie  feine  ernft^aften  gragen 
mel^r  fmb.  Slber  e§  ^anbelt  fid)  um  eine  ®  r  u  n  b  frage  unb  i^ 
menigftenS  tann  ben  ©inbrudf  nic^t  überroinben,  ba§  bie  ,,mobern" 
benfenben  2:^eologen  im  begriffe  fte^en,  eine  g^ftung  leichten  ^er^^ 
jen§  au^juliefern,  bie  in  SQäirflic^fcit  nid^t  ausgehungert  ift,  and) 


130  Ä  a  1 1  e  n  b  u  f  4 :  3)ic  Öagc  bcr  f^ftcmat.  2:^colo0ic. 

nid)t  für  ben  Äricg  im  großen  (rocnu  benn  oon  Krieg  jroifc^en 
bcn  aCBiffenfc^aftcn  bic  SRebe  fein  foü)  roertloS  geiüorben,  fonbem 
bie  rc^t  eigentlich  unfer  fianb  bebeutet,  ^ä)  meine  ben  ©upra* 
naturali§mug. 

Könnten  mir  J^eologen  un§  nid^t  junäd)ft  einmal  unter  unS 
felbft  barüber  üerftänbigen,  maö  e§  mit  bem  ©upranaturali^muä 
im  ß^riftentum  für  eine  93emanbtni§  ^at?  SSBa^  id^  bei  ben  je» 
nigen,  bie  it)n  entfd^loffen  ablehnen,  bur^roeg  oermiffe,  ift  ber 
aSerfud)  einer  SBürbigung  beffen,  ma§  er  an6)  foldjen  2:^eoIogen 
ber  ©egenmart  bebeutet,  bie  fic^  meber  gegen  eine  met^obifd^e 
®efc^id^t§forfc^ung,  no(^  gegen  bie  Slnregungen  be§  allgemeinen 
roiffenfd^aftli^en  3)enten§  Derfperren.  9latürlid)  ^at  bie  neue 
SHid^tung  auc^  i^re  mittaufenben  ©d^mä^er,  auf  bie  ni^t§  antommt. 
2lber  i^  fe^e  auc^  bei  einem  fo  gebiegenen  SWannc  mie  Sröltfc^, 
ben  feine  au§ge§eic^nete  Kenntnis  befonberS  ber  großen  ^iftorif^en 
93ebingungen  unb  be§  fomplijierten  aßerbegangS  ber  fog.  mobemen 
SBeltanfd^auung  fpejiell  baju  befähigt  unb  beruft,  bie  2lrbeiten 
ber  ©9ftematifer  ju  roürbigen,  nic^t  bie  Steigung,  ftc^  auc^  nur 
l^ripot^etifd^  ernft^aft  unb  mit  ©pmpat^ie  ^ineinjubenten  unb  ^in» 
einjufül^len  in  bie  Qfntereffen  be§  SupranaturaliSmuS.  ®r  lä|t 
am  ©upranaturali§mu§  bie  SWet^oben  ber  f^ftematifc^en  S^eo* 
logie,  bie  er  al§  bie  „bogmatif^e"  unb  bie  „gefc^ic^tli^e"  bejeic^-- 
net,  fid^  fc^eiben.  Q6)  mürbe  feine  2lrgumentation  jugunften  ber 
„gefd^id)tlic^en"  üieüeid^t  überjeugenber  finben,  al§  i^  bisher  Der* 
mag,  menn  fie  mit  einer  grttnblic^eren,  o^ne  Sßergröberungen  ar* 
beitenben  aOSibertegung  ober  Slble^nung  ber  „bogmatif^en"  b.  f). 
„fupranaturaliftifc^en"  arbeitete.  S^röltfd)  ift  gerecht  unb  Derftänb* 
ni^DoH  gegenüber  bem  „alten"  ©upranaturaliSmuS,  bem  ber  S^^eo» 
logie  be§  17.  Qa^r^unbertS.  Slber  er  fann  fic^  im  ©runbe  nic^t 
benfen,  ba§  e§  einen  anbern  @upranaturali§mu§  al§  jenen  gebe. 
©0  fielet  er  in  ber  9ieujeit,  mo  er  i^m  begegnet,  nur  nod^  l^att* 
lofe  Äompromiffe  ober  fc^roä^lic^e  ^iWonen,  bie  er  einfach  bei 
©eite  JU  fc^ieben  fu^t.  Wt  me^r  |)cftigteit  al§  Kraft  protla« 
miert  er  ein  aut  —  aut :  entmeber  ©upranaturali§mu§ 
im  ©inne  ber  mirflid)en,  eckten  Drtl^oboyie,  ber  beS  17. 
:3a^r^unbert§,  ober  9lntifupranaturaliSmu§  b.  ^.  „3  m  m  a  n  e  n- 


Rattenbufd^:  ^ie  iSage  bet  f^ftetnat  ^^eologie.  181 

jierung"  (ic^  glaube,  er  \)at  biefen  nidit  gcrabe  frönen  2:er* 
minu§  gebilbet;  er  \)at  aud)  ein  SÖSortunfle^euer  tüie  „SRetap^gft^^ 
jierung"  ber  neuen  S^eologenfpra^e  gef^entt).  @§  ift  nid)t  rid^* 
tig,  ba§  biefe§  aut  —  aut  gölte. 

3)er  ©upranaturaU§mu§,  ber  in  ber  altproteftantifd)en  Zi)tO'' 
logie  ben  ^intergrunb  ju  ollem  bilbet,  ift  junädjft  eine  räumliche 
2lnf^auung.  9iatürlid)  ift  er  mit  qualitatiüen  9Womenten  ber 
©otte^ibee  üerfnüpft,  aber  an  unb  für  ftd^  ift  er  mel^r  naturmif* 
fenf^aftlic^er  al§  religiöfer  2trt.  ®r  entfpra^  bem  alten  ptole=f 
m  a  i  f  (^  e  n  SBeltfgfteme,  roelc^eS  bie  ^riftlic^e  S^^eologie  mie  baS 
felbftt)erftänblid)e  mit  überfommen  ^atte  unb  n)eld)e§  bie  33ibel 
überall  üorau§fe^t,  barum  au^  bei  etwaigem  ^orfc^en  immer  „be^ 
fWtigt".  9Melan^tl|on  f)atte  e§  mit  üollem  93en)u&tfein  miber  ba§ 
lopernitanifd^e  al^  jum  53eftanbe  ber  eoangelifc^  d)riftlid)en 
Srtenntniö  ge^rig  ^ingefteDt.  3)ie  SWertmale  be§  ptotemäif^en 
©gftem§  fmb  bei  ben  2:^eotogen  ba§  ber  ®nblid^teit  ber 
9B  e  1 1 ,  bejm.  ber  gefcliaffenen  ©paaren,  b.  \),  alfo  be§  ^immelS 
fo  gut,  mie  ber  Stegion,  ju  ber  bie  ®rbe  unb  bie  ©terne  ge» 
^ören,  f obann  ba§  ber  3  ^ "  *  ^  0 1  i  t  ä  t  ber  @  r  b  e.  S)ie  le^^^ 
tere  fd)n)ebt  rul^enb  im  SRittelpunft  ber  938elt,  bie  ©onnc  unb  bie 
©terne  bewegen  ftc^  um  fie  ^erum.  Unenbli(^  ift  nur  @ott  unb 
üon  i^m  gilt  bie  Unenblic^teit  al§  ©ebanfe  ber  Unfa^lid^teit  burc^ 
ben  SRaum,  ber  „erfc^affen"  ift:  ber  |)immel  unb  aller  ^immet 
^immel  faffen  \\)n  nid)t.  3)o^  rool)nt  er  im  relatioen  ©inne  im 
^immel,  nämlic^  bi§  jum  2BeltgericI)te,  mo  mit  einer  neuen  ®rbe 
oud^  ein  neuer  ^immel  fommen  mirb,  Don  bem  mir  bermalen 
no^  nic^t§  roiffen  unb  beffen  2lrt  mir  taum  alinen  tonnen.  Sßon 
bem  je^igen  ^immel  au§,  mo  er  unter  ben  Sngeln  tl^ront,  regiert 
er  bie  ®rbe  al§  bie  befonbere  ©p^äre  feinet  Siebe^intereffe^.  ©ie 
fteltt  mit  i^rem  fieben  baS  bar,  mag  eigentlid^  al§  „9latur"  gilt. 
2nit  biefer  ^at  (Sott  an  ftc^  felbft  nic^t§  gemein,  fie  ift  fein  fficrt, 
mie  ber  |)immel,  aber  fie  ift  fein  SBo^nfttj  für  i^n,  fie  ift  nur 
wie  ein  ©c^emel  feiner  5ü§e.  ®r  ift  in  (S^rifto  ju  i^r  „Ijinab^ 
geftiegen'/,  um  „9Wenf^  ju  merben"  unb  baburc^  bie  9Wenfc^en 
ju  erlöfen.  3Welan^t^on  betont,  ba&  fc^on  biefe§  gaftum  allein 
bemeife,  menn  e§  ber  ©eroeife  roiber  Äopernitu§  bebürfe,  ba^  bie 


132  ^  a  1 1  e  n  b  u  f  c^ :  Xie  Sage  ber  f^ftemat.  ^^eologie. 

®rbe  ba§  „3^"^^^"^"  ^^^  gcfc^affenen  21D§  fei.  3)cnn  feine  an^ 
bete  Sphäre  bürfe  fic^  ä^nlic^en  SorjugS  rühmen,  unb  ma^ 
®^riftu§  auf  ®rben  üoUbrac^t,  fc^affe  ba§  ^eit  ber  ganjen  SBelt. 
2)iefe§  ptolemäifc^e  SBettbilb  unb  bic  mit  i^m  fpcjififd)  üer^ 
fnüpften  ti)eologifcf)€n  J^corien  ftnb  für  ben  mobcrnen  SWenfc^en 
unmögli^  geworben.  2)ie  topernitanifd)e  3(uffaffung  be§  Sonnen^ 
friftem§  ift  \a  freilid^  eine  ^ppotl^efe  unb  fann  an  ftd^  voo\)l  nie 
etroaS  anbere§  für  un§  werben,  aber  fie  ift  eine  ^gpot^efc,  ju 
ber  jebe  neue  tunbbar  roerbenbe  Satfac^e  ftimmt.  @o  tonnen  wir 
nid^t  um^in  fie  al§  eine  ©eroig^cit  ju  be^anbeln  unb  muffen  fo^ 
mit  freiließ  ben  Supranaturali^mu§,  ba&  ic^  mi^  fo  au^brücte, 
transponieren.  ®r  roirb  un§  au§  einer  „Slnfd^auung"  ju  einer 
„^bee"  werben  muffen.  ®r  roirb  ber  3Biberpart  ber  ^mmanenj* 
ibee  bleiben,  fomeit  biefe  ju  einer  2lnfd)auung  inf liniert.  SlBai^ 
mir  feit  Äopcrnifu§  in  93ejug  auf  bie  SBelt anfc^auung  mei* 
tercS  unb  größeres  noc^  burc^  Slftronomie  unb  S^eorie  oom  SHaume 
überliaupt  gelernt  l^aben,  ift  meit  me^r  no(^  al§  bto§  bie§,  ba§ 
bie  erbe  nic^t  ber  feftc  ^untt  ber  „9Belt"  ift.  SBir  ^aben  ge* 
lernt,  in  ben  Slet^er  ^ineinjufd)auen  roie  eine  ^erne  unb  %üU^, 
bie  feine  ^^antafie  ermeffe,  feine  Sßorftellung  begrenje.  SBeld^e 
fd^minbelerregenbeu  liefen,  meld^  unerhörtes  ©etriebe  oon  ©tcrnen, 
©ternfriftemen,  „9Kilc^ftra^en"  fennen  unb  a^nen  mir  f^on  allein 
auf  ©runb  ber  Seoba^tungen,  bie  bisher  gemad^t  finb.  (ä§  ift 
üor  einigen  3^^>^€«  gelungen,  einen  „9lebelfledE",  ber  auf  ber  füb^ 
liefen  ^emifp^äre  fid)tbar  ift,  auf  lange  eyponierten  unb  reijbaren 
^^3latten  p^otograp^ifd)  auf}unef)men,  unb  ba  l^at  man  runb  400  000 
©terne  gejault.  3)iefer  Stebelflecf  ift  nur  ein  3^^i^töufenbftel  ber 
jur  3^it  ^l^  crforfd)bar  geltenben  |)immelSfp^cire.  SSBaS  mögen 
fpätere,  meitertiin  nerfeincrte  tedjnifc^e  Hilfsmittel  noc^  erft  für 
©ummeu  ber  ^ier  üorf)anbenen  ©terne  unb  ooüenbS  berjenigen 
beS  Himmels  überliaupt  ergeben!  Unb  men  erbrüdEte  eS  nid^t 
fd)ier,  menn  er  ber  ©ntfernungen  jmifc^en  ben  H^^w^^'^^örpern 
gebadete !  Sßiele  ^f^^^taufenbe  bebarf  ber  ßic^tftra^l,  ber  oon  be» 
re^enbar  entfeniten  ©terngruppen  ausgebt,  um  bie  ®rbe  ju  er» 
reichen  unb  bod^  burc^mi^t  er  40  000  3Äeilen  in  ber  ©efunbe. 
2lHein  baS  aUeS  ergibt  ja  noc^  feiueSmegS  ben  ©ebanfen  ber  roirf^ 


^  a  1 1  c  n  b  u  f  ^ :  ^ie  Sage  bcr  f^ftcmat  a:^eologie.  133 

liefen  „SBelt".  ®§  beutet  un§  nur  an,  ba&  anä)  unfere  ^^an^ 
tafie  erlahme  angeftc^t§  bev  „SBäirtli^feit".  Unb  anbrerfeit^  jroingt 
un§  bie  SRat^ematif,  unfcr  SBeltbitb  ju  erbauen  noc^  unter  oiet 
weiterem  ©ebanten  al^  bem  ber  empirifd^en  Unerme§tid)teit,  näm^ 
lic^  unter  bem  ber  eigentlichen  „UnenbUd^feit" ,  be§  unenblic^ 
„@ro§en"  in  ber  einen  SRid^tung  unb  be^  unenbli^  „kleinen"  in 
ber  anberen  SRic^tung.  ^laö)  oben  unb  na^  unten  bc^nt  ftd)  für 
unö  eine  ufertofe  SBeite  be§  9taum§  unb  eine  unerfc^öpfbare  güüe 
ber  fieben§mögtic^feiten. 

6§  ift  wie  ein  ^elfenbei^  SBort,  um  überhaupt  ben  ®otte§^ 
glauben,  ja  gerabe  ben  c^riftlic^en  ju  retten,  erfc^ienen,  afö  man 
eS  magte  mit  bem  ©ebanfen  einer  „JranSfjenbenj"  @otte§  ju 
brechen  unb  bafür  ben  ber  „:3mmanenj"  einjufe^en.  211^  bie 
3Iuftlärung  in  ©efal^r  geriet,  im  Sßerfotg  ber  mec^aniftifc^en  3)eu^ 
tung  be§  „3Beltall§",  bie  ^Religion  einem  3)ei§mu§  glei^jufe^en, 
ber  ©Ott  aller  unmittelbaren  Seben§mirtlic^teit  ber  „@läu^ 
bigen"  entrüdfte,  i^n  aU  ben  SBeltbaumeifter  jroar  gelten  lie^, 
aber  oon  aller  biretten  ^Betätigung  in  ber  9tatur  unb 
®efd)i^te  au§f^lo§,  mar  e§  eine  gro^e  93ereic^erung  be$J  religiöfen 
©emüt^Iebenö  unb  mie  eine  5Reuentbedfung  ber  magren  ^orm  ber 
SHeligion,  ba§  ®ott  al§  fpürbar  unb  erlebbar  im  Sein,  al§ 
geftaltenber  ^ö'^or  gerabe  au^  ber  -3  n  b  i  o  i  b  u  e  n  im  3"fö"^' 
menl^ange  mit  bem  Hltfein  ^ingeftellt  mürbe.  äBar  ber  alte  ©e^* 
baute,  ba§  ©ott  burd^  lauter  Sonberbehete  regiere,  ba^ingefunten 
Dor  ber  neuen  mat^ematifd^-p^gfifalifc^en,  unbebingt  naturgefe^*» 
li^en  3Beltbeutung,  fo  mar  bie  SBelt  fc^ier  „gottlob"  geworben. 
®a  mar  e§  mie  ba§  3lufteuc^ten  eine§  neuen  ©lanje^  über  ber 
äBelt  empfunben,  bag  bie  Qn^nwnenjibee  oon  religiöfen  ©eiftern 
gemagt  mürbe.  9iirf)t  über,  aber  in  ben  „©efe^en"  tonnte  man 
je^t  glauben  ©ott  ju  „^aben",  ju  f puren.  9öir  brauchen  un§ 
nur  beffen  ju  erinnern,  roie©d)leiermad^er  burc^  bie 9teben 
mirtte,  mie  er,  ber  bem  ^ant]^ei§mu§  ganj  offenbare  ©^m^ 
pat^ien  entgegenbrad^te,  al^  SBieberbegrünber  mal)rer  unb  e^tcr 
c^riftlic^er  ^^ömmigteit  gefeiert  morben.  Unb  mir  bürfen  bem 
auc^  ^eute  ni^t  oerftänbni^lo^  gegenüberfte^en !  ©§  ift  boc^  ein 
©ibelmort,  bem  mir  bie  aBa^rf)eit  nic^t  abfpred^en  merben,  ba| 


184  ^attenbufc^:  ^ie  Sage  ber  f Qftemat  ^^^eologie. 

©Ott  nid^t  fern  fei  oon  einem  jeglichen  unter  unS,  „benn  in  i^m 
leben  unb  roeben  unb  fmb  mx'\  ^ier  tft  in  ber  %at  für  immer 
einer  religiöfen  Stimmung  i^r  SRec^t  gefiebert,  bie  fi^  gern  in  bie 
^mmanenjDorftellung  flüchtet  unb  i^r  ©gmpat^ien  fiebern  wirb, 
folange  man  nirf)t  ücrgi^t,  ba§  baö  ©^riftentum  mit  ber  9Sorau§* 
fe^ung  eine^  bireften  Seben§per^ättniffe§  jroif^en  ©Ott  unb  ber 
aJlenf^^eit  fte^t  unb  fällt.  Slber  \)abm  mir  ein  Siecht,  biefe§ 
£eben6üerl|ältni§  auc^  auf  ba§  9111  auSjubel^nen  unb  bürfen  mir 
bel^aupten,  ba§  bie  „938irfli(^feiten",  in  benen  mir  ba§  Sein  le^ 
benb  tennen  lernen,  unö  jmingen  ober  befonberS  bringlic^  neran« 
taffen,  bie  ^mmanenjibee  abfolut  ju  faffcn  unb  ftatt  jeber  3lrt 
oon  2^ran§f}enben}ibec  ju  bogmatifieren?  Um  ein  runbe^  ^^ntma^ 
ncnjbogma  l)anbelt  e§  ftc^  gegenmärtig  bei  ben  Si^eologen,  bie 
barauf  ®emic^t  legen,  ba§  redete  g^jit  ber  bisherigen  allgemeinen 
®ntmidflung  be§  SBeltoerftänbniffeg  ju  jie^en. 

aWännermie  Sröltfc^,  «ouffet,  ©ernte,  SBeinel 
moDen  fämtlic^,  menn  ic^  fte  rec^t  oerfte^e,  nic^t  „^ant^eiften" 
fein,  fonbern  Sßertreter  ber  2lnfc^auung,  bie  man  mo^l  „^an* 
e  n  t  ^  e  i  §  m  u  §"  genannt  l)at  Sie  motten  @ott  unb  SBelt  „un< 
terfc^eiben",  meinen  aber  beuten  ju  muffen,  ba§  feine  ©p^äre  unb 
bie  ber  SBelt  nur  abftrafter^  nicf)t  tontretermeife,  oiellci^t  mie 
^^nnereS  unb  2leu§ere§,  mie  SBille  unb  Jat  auSeinanberju^alten 
feien.  ®in  menig  fpielt  für  fie,  mie  mir  fc^eint,  ba§  ©traugfdje 
aOSort  oon  ber  „aQ3o^nung§not",  bie  bie  SEBiffenfd^aft,  ba§  neue 
^ilb  ber  „unenblic^en"  SBelt,  „brausen"  für  ®ott  erjeugt  ^abe, 
eine  SHoHe.  daneben  ift  e§  me^r  noc^  ber  ©inbrudf,  ba§  bie 
„SBirtlid^teit"  fo  gro§  unb  ergaben  fei,  in  i^ren  ge^eimni§üollen, 
unburc^bringli^en  Siefen  fic^  aber  anbeutungSmeife  fo  ibeen^aft, 
fo  geifteSmä^tig  jeige,  ba§  e§  oermeffen  fei,  @ott  anberSmo  ju 
fucl)en  als  eben  „überall"  unb  nur  in  bem  Satenfturm  emiger, 
fc^affenber  ©elbftauSroirtung.  Q\)mx\  fc^mebt  oor,  roaS  ®oet^e 
ben  ©rbgeift  fpre^en  lägt,  bag  er  in  feinem  3Bogen  „ber  ©Ott* 
^eit  lebenbigeS  Äleib  mebe".  ©ie  f ebenen  nid^t  jurüdf  oor  bem 
©ebanfen,  ba§  ®ott  „^erfon"  fei.  Sie  ftufen  auc^  ab  jroifc^en 
„9tatur"  unb  „©efc^ic^te"  unb  finben  in  le^terer  infonber^eit, 
ober  mit  überragenber  Äraft  unb  3)eutlid)feit,   „Offenbarungen" 


^  a  1 1  e  n  b  u  f  d^ :  ^ie  i^age  ber  ft)ftemat.  S^eologie.  186 

@ottc§.  S)a§  aDc§  ift  oon  ber  Sttrt,  ba^  e8  mir  ni^t  geftattcn 
iDflrbc,  nac^  biefen  Jl^cotogcn  Steine  ju  roerfcn.  Slber  anfd^tie^en 
fann  ic^  mic^  i^rcn  Slnfc^auungen  a\i6)  ntd^t. 

9Ba§  i^  bei  i^nen  üermiffe,  ip  bie  2ld^tfam!eit  barauf,  ba§ 
wir  im  ©l^riftcntum  gelernt  ^aben,  (Sott  al§  in  feiner  SBeife  roer* 
benb,  fomit  aU  frei  oon  ber  SBelt  ju  benten.  (5§  ift  bo^  etmaS 
anbere§,  ob  mir  un§  3^efu§  nur  aU  einen  unter  oielen  ,,^rop^e* 
ten"  unb  „Sehern"  benten,  ober  al§  bie  eJxtbv  xoö  *eoO  unb  ben 
Xapaxx^ip  Tfjs  ÖTCooTaaew;  aöxoO.  ^m  te^teren  ^aU^  tritt  un§ 
üor  2lugen,  ba§  mir  nic^t  berechtigt  finb,  ®ott  „überall"  ju 
fuc^en  unb  ba§  eS  ein  5«^lmeg  ber  ©pefutation  fei,  au§  ber  Sßer« 
gleidjung  ber  üielerlei  ©emegungen  unb  ©trebungen  im  2111  bie 
le^te  Dominante  unfere^  @ein^  ju  bioinieren.  SBir  lernen  bann 
nic^t  me^r  blo|  abftrafter^  fonbem  gerabe  tontreterroeife  „unter« 
fc^eiben"  jmifd^en  ®ott  unb  9Belt  unb  le^tere  aUerbingS  auc^ 
anfet)en  mie  etroaS,  ma§  @ott  „fremb"  fei,  mag  jmar  überall 
für  feinen  SBillen  erreid^bar,  ni^t  aber  überall  ein  3lu§brud  ba« 
für  fei.  3Wan  mirb  bann  glauben,  bag  ®ott  freiließ  inmitten 
alles  ©efc^e^en^  ftel^e,  jugleid^  aber  al§  ^erfon  barüber.  2)ieg 
le^tere  roieber  ni^t  nur  fo,  ba§  er  mie  ber  fic^  innerlid^  in  feiner 
2lrt  bel^auptenbe,  le^tlid^  »ftetige"  erfaßt  merbe  —  ic^  jmeifle 
ni^t,  ba§  Jröttfc^  jc.  i^n  fo  oerfteben  — ,  fonbem  fo,  ba&  er 
ni^t  gebannt  erfd)eine  in  biejenigen  Drbnungen  unb  ®efe^e, 
in  benen  er  ber  Söelt  ein  ®  i  g  e  n  leben  oerftatte.  ®er  ^anen« 
t^ei§mu§  tann  ni^t  umbin,  @ott  felbft  al§  „oerantmortlicb"  gu 
beuten  für  aQe§  unb  bamit  bieSc^ulbempfinbung  in  unS 
ju  läbmen.  ^n  93eträftigung  ber  festeren  meint  ba§  ©briftcntum 
umgetebrt  ftcber  ju  fein,  ba§  e§  jmeiertei  2lrten  be§  ®efdbebenS 
in  ber  „SQSelt"  gebe,  fol^eS,  ba§  ®ott  mirfe  unb  fol^e§,  ba§  er 
n  i  d^  t  mirte.  Kann  man  biefen  ®ebanten  überhaupt  erft  einmal 
üolljie^en,  fo  tommt  auc^,  unter  qnberem  ©efic^t^puntt,  ber  ®e« 
baute  oon  glaubbaren  SBunbern  roieber  in  ©ic^t.  2lber  barüber 
barf  man  Dor  mobernen  O^ren  ja  mobt  nic^t  reben,  benn  ^ba§ 
ift  eine  ^arte  SRebe;  mer  tann  fie  böten?" 

5. 

®anj  in  ber  9läbe  ber  ^^been,  bie  bie  3fiw»^onenjDorfiellung 

3eitf<^rift  für  X^eolofli«  unb  «irc^r    16.  ^af)XQ.,  a.  ^eft.  10 


136  ^  a  1 1  e  n  b  u  f  d^ :  ^ie  Sage  ber  f^ftetnat  ^^eologte. 

für  ba§  93cr^ältni§  jioifd^cn  ®ott  unb  bcr  SBcIt  empfehlen,  liegen 
biejenigen,  roelc^c  ba^in  brängen,  ba§  ©l^riftentum  für  eine  mög» 
lid^errocife  überbietbare  @rfd^einung  auf  bem  ©ebiete  ber 
9teligion  anjufel^cn  unb  un§  baran  genügen  ju  laffcn,  e§  al§  bie 
bislang  ^öc^fte,  noc^  nid^t  wirf tic^  fiberbotcne  SSBa^r^eit  auf 
biefem  ©cbiete  ju  bejeic^ncn.  Qn  biefem  Sinne  ^abe  i^  bie  raei» 
tere  ?5^age  aufgeworfen,  ob  fic^  ba§  ®t)riftentum  als  „abfolute 
SReligion"  betrachten  bürfe.  %üiixt  unS  bie  5^age  nac^  bem  Steckte 
beS  „©upranaturaliSmuS"  mel^r  in  ben  3wfammen^ang  ber  mo* 
bemen  SRaumempfinbung,  ber  Erweiterung  beS  SBcltbilbS  in  feinen 
äußeren  3)imenfionen,  ber  9tatur  im  engeren  ©inne,  fo  bie  nac^ 
ber  2lbfolut]^cit  beS  S^riftentumS  me^r  in  ben  ßiifömmcn^ang  ber 
mobernen  3^i^«w^Pp^^^u"9  ^  ^^^  bereicherten  2lnfdjauung  pon  ben 
ßcitgebilben,  b.  l),  ber  ©efc^ic^te,  ber  „5Raturgefd^id^te"  unb 
jumal  ber  „Äulturgefd^i^tc".  938ie  im  Siaume  bie  ©rfd^einungen 
ft^  brängen  unb  unterbrücfen ,  mie  cS  ^icr  im  einjctnen  nichts 
2lbfolute§,  fonbem  nur  SRelatioeS,  93cgrenjteS  gibt,  fo  jeigt  unS 
bie  3^it  nicl)t  minber  einen  emigen  SBec^fcl,  niemals  ein  ^Uu 
benbeS,  überall  ftcl)  SlenbernbeS,  (Sntfte^enbeS  unb  SBcrgel^eubeS, 
überall  Slufblül^en  unb  2lbblü^en.  @S  ift  baS  gro^e  unb  eigent- 
üd)  flaffif^c  3Weifterftüct  ber  beutfd^en  ^mmanenjp^ilofop^ie, 
ba§  fie  in  bie  2lnfc^auung  biefcS  emigen  2Bc^fetS  in  SRaum  unb 
3eit  ben  ©ebanf en  ber  @  n  t  m  i  cf  l  u  n  g  eingefügt  l^at.  3)ie 
<3mmanenj  1 1|  c  o  l  o  g  i  e  l^at  aud^  biefen  ©ebanfen  ergriffen  unb 
i^n  fc^liefelid^,  ni^t  gerabe  überrafc^enber  Söcife,  in  ber  2lrt  auf 
baS  S^riftcntum  angeroenbet,  ba&  beffen  53eurteilung  als  abfolute 
SReligion  in  ^J^age  gcftellt  mirb.  SSBer  gerecht  fein  mill,  mu&  ^er^^ 
Dorlicben,  ba§  2^röltf^,  ber  cS  juerft  als  baS  im  ©ruube 
felbftoerftänblic^e  Stefultat  ber  „gefc^i^tlid^en  9Jlet^obe"  in  Der 
S^^eologie  protlamiert  ^at,  ba§  eS  au^  auf  bem  ©ebiete  bcr  SHe« 
ligion  nur  SRelatioeS,  ni^tS  2lbfoluteS  gebe,  immer  auSbrücflic^ 
^injugefügt  ^at,  ba§  er  fetbft  nic^t  miffe,  mo  unb  wie  baS  &\)xu 
tentum  moi^l  überboten  werben  foüe.  ®r  ^at  ftc^  oft  unb  roarm 
barüber  auSgefpro^en,  ba§  i^m  p  c  r  f  ö  n  l  i  c^  QcfuS  ber  @rö§te 
fei,  ben  ®ott  unS  SRenfc^en  je  gefd^entt  l^abe,  unb  ba§  er  i^n 
mit  3)anf  unb  ®emut  als  ^errn  anerfenne.    fiaffe  man  Q^fwS 


^attcnbuf^:  5)ie  ßagc  bcr  f^ftcmat.  a:^eolo0ic.  187 

feine  „yiamtät",  ma^c  man  il^n  nid^t  jum  2Bettn)eifen,  neunte 
man  t^n^  wie  er  f\6)  gebe,  alg  ba§  unbeirrbare,  freie,  reine  @oU 
teStinb,  fo  fte^e  feine  ©eftatt  aufrecht  unb  feft,  bem  mobernen 
S)enter  nid^t  minber  eine  Seuc^te  auf  bem  SQSege,  al§  bem  fird^» 
liefen  ©Triften.  SBenn  %xöl^6),  93ouffet  2C.  barauf  aufmertfam 
ma^en,  ba%  ba§  Soangetium  in  feiner  urfprüngtid^en  @e* 
ftalt  gemifferma^en  nur  einem  du e Horte  gleiche,  ba§  ber  ©trom 
be§  fieben^,  ber  oon  i^m  ausgegangen,  b\xx6)  oielerlei  ®oolutionen, 
burc^  aWengen  oon  ®inf[üffen  im  Saufe  ber  ©efdjid^te  ftd^  erft  fo 
geftaltet  ^abe,  roie  er  unter  unS  ba§  Sanb  befrud^te,  unb  ba§  mir 
nic^t  me^r  bIo§  au§  ber  Cuetle  f köpfen  tonnten,  fo  werben 
mir  biefe  93etrac^tung  nic^t  einfach  ablel^nen  bürfen.  9Bir  werben 
babei  baran  beuten,  ba&  ber  ^err  felbft  bem  ©eifte  ber  SBa^rl^eit 
fibertaffen  ^abe,  un§  noc^  oieteS  ju  leieren,  unb  werben  nur  f^ärfer 
betonen  muffen,  ba§  3>o^annei^  ben  §erm  babei  bod^  aud^  ^er- 
oor^eben  laff e ,  ber  ©eift  n  e  ^  m  c  oon  bem  ©einigen  unb 
tue  nid|tS  anbere§,  ate  ba^  er  i^n  „oertfäre".  S)od^  ba§  beutet 
auf  fpejieDe  t^eologif^e  2lufgaben,  an  bie  ic^  ^ier  nic^t  ^eran= 
treten  fann. 

Raffen  mir  oielme^r  je^t  ben  ®n t micf tungSgebanten 
felbft  noc^  nä^er  in§  2luge,  um  un§  begreiftid)  ju  mad^en,  roie  er 
aQerbingS  baju  brängen  tann,  baS  S^riftentum  eigentlich  auc^  als 
eine  ©  p  i  f  o  b  e  ju  betrad^ten.  Slnbere  al§  Sröltfd^  unb  feine 
naiveren  g^eunbe,  au^  S^eotogen  —  ic^  htnU  j.  SB.  an 
93onuS  —  ge^en  f^on  juoerftd^tli(^  unter  bie  ^ropl^eten  einer 
gang  neuen  Slera.  ©S  ift  oor  allem  ber  Ütie^f  c^cfd^e  ©ebante 
be§  „U  e  b  e  r  m  e  n  f  d^  e  n"  ber  ßw^u^ft  ber  fold^en  ©eiftern  oor* 
f^roebt  unb  ber  fte  fo  beraufc^t,  ba§  fie  in  einer  2lrt  oon  neuer 
eS^atologifc^er  ©timmung  leben.  Qö)  tann  bie  Steigung  nic^t 
unterbtürfen,  biefen  fieuten  nod^  bur^  eine  intereffante  SRed^nung, 
bie  ein  ©eologe  oor  ni^t  langer  3^it  aufgeteilt  ^at,  ju  ^ülfe  ju 
tommen.  ©§  roirb  nichts  fd^aben,  wenn  mir  au^  unS  felbft  einmal 
üergegenroärtigen,  roaS  bie  feitl^erige  3Wenfc^engefd^ic^te  cigentli^, 
in  3ö^lenroerten  oerbeutlidtit,  für  eine  Slnf^auung  gerodl^rt.  ®ie 
3eit  ber  ©rbe  roirb  oon  jenem  SÄanne  auf  100  9Willionen  ^ö^re 
angenommen  unb  biefe  einem  Sage  oerglid^en.  Qm  ganjen  roerben 

10* 


188  Ä  a  1 1  c  n  b  u  f  c^ :  3)ic  fiagc  bcr  fgftcmat  3:^coIogic. 

bann  fc^§  ^erioben  untcrf trieben,  nämltc^  1.  eine  fog.  Urjeit, 
2.  ein  2lltertum,  3.  ein  9MitteIaItcr,  4.  eine  9teujeit  ber  ®rbe, 
ade  biefe  oier  ^crioben  nod^  vor  bcr  erften  ©pur  eineö  SBor^an:' 
benfein^  ber  9Kcnf^en.  ®iefe  ^erioben  müßten,  wie  folgt  bc* 
rechnet  unb  mit  Siagegftunbcn  ücrgtic^cn  rocrbcn:  Srfte  ^eriobe: 
52  3Hiaionen  ^a\)xt  =  12  ©tunben  28  aWinuten  48  ©efunben, 
S  n)  e  i  t  e  ^eriobc:  34  aRiüioncn  Qa^re  =  8  ©t.  9  aRin.  36  ©et., 
britte  ^eriobe:  11  aRiQionen  :3a^re  =  2  ©t.  38  3)lin.  24 
©ef.,  üierte  ^eriobe:  3  aJliöionen  ^a^re  =  43  aWin.  12  ©ef. 
S)iefe  oier  ^erioben  bilbcn  ben  erften  3BeItentag  unferc^  Planeten; 
bic  angegebenen  ©tunben  2C.  ergeben  jufammen  gerabe  24  ©tunben. 
9tun  folgt  al§  fünfte  'ißeriobe  bie  fog.  prä^iftorifc^e  Qüt  beS 
SBlenfd^engefc^tec^tS,  bie  auf  100—200  2:aufenb  Qa\)xt  angefe^t 
tt)trb  =  2—3  aWinuten  im  Sßerglei^  mit  bem  erften  ,,2:ag",  bann 
aU  fec^fte  ^criobe  bie  ber  menfd^ti^en  SEBeltgefd^i^te, 
runb  6000  Qa\)xt  =  5  ©efunben.  äBenn  l^ierbei  ber  erfte  2BcU 
tentag  auf  100  3WiQionen  Qa^re  angefe^t  ift,  fo  mirb  bemertt, 
ba§  ba§  in  SBirtUc^teit  ganj  ungenügenb  fei,  ma^rfc^einlic^  l^an^ 
bete  e§  fic^  um  1400  SRillionen  Qdf)xz,  3)ann  märe  bie  „aEBett* 
gefd^ic^te"  ber  SJlenfc^en  atfo  anjufe^en  mie  eine  ©panne  oon  5 
©etunben  im  93er^ättni§  ju  ooHen  14  Sagen.  3Wan  braucht  fold^e 
3al^ten  nid)t  aKju  ernft  ju  nehmen  unb  roirb  fid^  bod^  übergeugt 
Ratten  muffen,  ba§  ma§  mir  @  e  f  c^  i  c^  t  e  nennen,  mie  ein  3}lo^ 
ment  ift  im  ganjen  ber  oon  3Wenfd^en  überhaupt  in  SBorfteßungen 
erfaparen  ©ntmidflung  gar  nic^t  einmal  ber  ©onnenfgfteme,  be§ 
fog.  aOSeltaD^,  nein  b(o§  bcr  ®rbe  feit  \f)xtx  2lu§Iöfung  au§  ber 
©onne.  SBoHen  mir  ba§  auf  unferc  ^^antafie  mirfen  taffcn  unb 
bana^  bie  SluSfi^tcn  auf  jutünftige  Soolutioncn  be§  SRcnf^cn- 
tum§  bemeffen,  f o  ntögen  mir  roirf Uc^  beuten,  e§  fei  t  i  n  b  t  i  ^  e 
2^or^eit  un§  oorjuftcUcn,  ba§  S^riftentum  fei  ba§ 
®nbe  aller  8Bege@ottc§  mit  un§.  6§  entfte^en  bann 
Dor  unferem  Sluge  'ip^antagmagorien  eine§  nod^  möglichen,  eine§ 
tommenben  „Ucbcrmcnfc^entumö",  ba§  fid)  in  ®eftalten  ocrmirt« 
lid)e,  bie  mir  fo  menig  jc^t  ju  fc^ilbern  ocrmö^tcn  al§  ber  Qc^« 
t^9ofauru§  feiner  Qzxt  geaf)nt  ^abe,  roa§  mal  „ÜJlcnf^cn''  fein 
mürben.  Q6)  ^abc  auSbrücflic^  bicfcn  aScrgleic^  bei  einem  neueren 


^attenbufd^:  ^ie  Sage  ber  f^ftemat.  ^^eologie.  189 

©^riftfteöer  gefunbcn.  33  o  n  u  8  f^cint  oon  folgen  ^l^antaSma* 
goricn  wirf li^  inflammicrt  ju  fein ;  er  meint  f ogar,  ba|  juft  uu* 
fcrc  ©cgenioart  {voo\)l  bic  3^'*  f^  «tn^ö  f^it  1890?)  al§  eine 
;,aBcnbc  in  ben  S^^i^ntiDioncn"  ju  tayieren  fei,  roo  roa^  bi^^er 
SWenfc^entum  geroefen,  roieber  beginne  jurüdbleibenbe§  Slffentum 
JU  werben,  ^ö)  ^offe  beftimmt,  bag  ber  crfte  33anb  be§  t)on  einer 
Sleil^e  moberner  23^eologen  l)erau§gegebenen  SDBerfS  ,,2)ag  ©uc^en 
ber  3ßit"/  8"  ^^^  93onu§  mit  einem  apofalgptif^en  glugblatle 
folgen  3tn^Qlt§  bie  Ouoertüre  gef^rieben  \)at,  bur^  ben  „SReft", 
ber  ft^  au§  ber  „SWenfdjenjeit"  in  ben  neuen  3leon  hinüber juent» 
mirfeln  2luiSfi^t  l)at,  auf  einige  „Oö^tniitlionen"  gerettet  werben 
mirb.  Qm  übrigen  aber  muffen  mir  un§  hoi)  mo^l  fragen :  ma§ 
fe^t  benn  ber  ^riftli^e  ©laube  folgen  prop^etifd^en  9ta* 
fereien  entgegen? 

3^  meine  junä^ft  einmal  bie§,  ba§  il^m  ber  ©ebanfe  einer 
munberbaren  3iifu"ft  ^^^  JWenf^en  nic^t  fremb  fei.  2)a§  &\)xu 
ftentum  fennt  eine  emige  unb  unoergängli^e  Hoffnung  unb  ^at 
un§  längft  gemßl^nt  ju  glauben,  ba§  „no^  nid^t  erfd^ienen  fei, 
ma§  mir  fein  werben",  eS  lägt  un§  auf  einen  gortf^ritt  hoffen 
„üon  Ätar^eit  ju  Starl^eit".  3)abei  l)at  e§  freiließ  feine  imma* 
nente  ©ntmidOung  be§  aWenfci^entum§  auf  biefem  Planeten  im 
©inn,  fonbem  benft  an  ein  „3>  ^ "  f  ^  i  t  ^"-  2lber  ba§  ift  nun 
eben  bie  grage,  ob  e§  ni^t  auf  einer  @rfenntni§  fugt,  bie  t)iel 
tiefer  unb  größer  ifl  al8  bie  moberne  (5rfenntni§  ber  S  i  e  f  e 
unb  @röge  ber  SRäume  unb  3^^*^^,  in  benen  ftc^  bie  SBelt« 
entmidlung,  aud^  bie  t)on  un§  ÜWenfc^en,  üoUjogen  l^at.  Qö)  ge^* 
fte^e  ol^ne  weitere^  ju,  bajj  ba§  (£  ^  r  i  ft  e  n  t  u  m  un§,  wenn  mir 
nid^t  bie  antife  SorfteOung  t)om  SBeltbau  au§  ber  53ibel  mit  über» 
net)men  moflen  unb  bürfen,  n  i  d)  t  fagt,  ma§  baio  @nbe  unfereS 
^Planeten  at§  foldien  unb  ber  9Jlenfci^en  auf  il)m  al^  bem  erften 
©c^aupla^  i^re§  SBerben^  unb  Seben^  fein  werbe.  SBir  ge^en 
ba  einer  unbcfannten  gerne  entgegen  unb  muffen  un§  befd^eiben, 
gug  für  5"6  äw  f^^cn,  jU  arbeiten  unb  ju  fc^affen  an  bem,  wa8 
ber  Sag,  an  bem  wir  gerabe  leben,  forbert  unb  möglich  mac^t. 
2lber  ha^  S^riftentum  geftattet  un§  ba§  ^aupt  ju  ergeben  unb 
l)inüberjuf Chanen  über  aßen  9taum  unb  alle  3^^*/  ^^^  ^od^  ""^ 


140  ^attenbuf(^:^ie  Sage  ber  f^ftemot.  2:^eolo0ie. 

2lnfc^auung§formcn  unfcrcr  bcrmaligcn  @eifie§organifation  ftnb, 
unb  un§  ju  freuen,  ba|  loir  bic  9Worgcnröte  nod^  eine§  ganj  an^ 
bereit  2^Qge§,  aU  unfere§  SDBeltentagS,  mit  bem  innem  ©inn  er» 
fennen.  3)iefe  ^od^gcmut^eit,  bie  e^  un§  eingeflößt  ^at,  ift  be^ 
g  r  ü  n  b  e  t  in  ber  ®rtenntni§  von  bem  unenblid^en  SEBerte  be§ 
f i 1 1 1 i d^ e n  ©eifteS  unb  jeber  einjelnen  ÜWenfc^enfeele, 
bie  fi^  oon  i^m  erfüflen  unb  über  il)re  bloße  „Statur"  ergeben 
laßt.  Sie  meiß  ftc^  b  e  [t  ä  t  i  g  t ,  feit  bie  Äunbe  burc^  bie  Sanbe 
gel^t,  baß  3t«fu§  K^riftuö  nid^t  im  SCobe  geblieben  ift,  fonbem  ben 
©einigen  fx6)  bejeugen  burfte  al§  ber,  ber  ba  lebt  unb  i^nen 
„oorangegangen"  fei.  3)er  mobernc  ©ebanfe  beS  ^Uebermenfc^cn- 
tumö"  lebt  in  bem  Sraume  aud^  ber  „Ueberf i ttlic^teit", 
unb  übrigen^  in  l^arter  ©leic^gültigfcit  gegen  ben  ein« 
jelnen  9Wenfc^cn  al§  fold^en.  9tun  ift  ja  !ein  t^eoretifd^er  SemeiS 
möglid^,  baß  ba§  ©ittengefe^,  im  ©eiftc  S^rifti  aufgefaßt,  rei^ 
c^ere  unb  poliere  SBerte  für  ben  9Jlenfc^en  in  fi^  befc^ließe 
al§  bie  Ueberftttlic^feit  irgenbmeld^er  gorm.  8B3a§  un§  aber  t)on 
9tie^fd^e  unb  anberen  gejeigt  mirb  al§  etmaS,  maS  mel)r  fei 
aU  „gut",  was  jcnfeitö  non  gut  unb  böfe  ftel)e  unb  beibc§  gleich 
fe^r  0  e  r  g  l  e  i  d^  g  ü  1 1  i  g  e ,  ba§  ift  nic^t^  anbere§  ate  ein  b  r  u* 
tale§  Äraftgefü^l  unb  ein  äftl)  ctif  d|e§  |>oc^gefü^l, 
n)el(^eS  mir  ©l^riften  beibe§  einfach  nic^t  al§  einen gortfd)ritt, 
fonbern  al§  einen  JRüdfc^ritt  für  ben  aJlenfc^en  empfinben. 
®in  aWann  mic  93  o  n  u  §  l^at  gemiß  anbere^  oor  Slugcn ,  nur 
freiere,  gemaltigere,  gottinnigere  gormen  gerabe  be§  f  i  1 1 1  i  d)  e  n 
3Wenfc^entum§.  SEBcnn  er  bann  bod^  nur  bem  2:eufcl  ber  ®eift* 
reic^igtcit  nic^t  oerftatten  wollte,  i^n  immer  micbcr  ju  plagen  — 
i^  glaube,  er  f  ö  n  n  t  e  i^n  bannen,  benn  er  ift  für  einen  aJlann, 
ber  mirflic^en  ®eift  ^at,  roie  93onu§,  nic^t  fc^mer  ju  bannen! 

9iun  ift  e§  für  un§  ©Triften  nur  bie  S^age,  ob  mir  eS 
roagen,  ba§j|enige  Äraft^  unb  ^od^gefül^l,  melc^c§  un§  cinge* 
pflanjt  mirb  mit  bem  Slugenblidf,  mo  ber  @  e  i  ft  ®  ^  r  i  ft  i ,  ber 
®eift  be§  ®uten,  ber  ®eift  ber  Siebe,  ©ernalt  über  un§  gewinnt 
unb  un§  etma^  afjxim  läßt  oon  einer  908  i  e  b  e  r  g  e  b  u  r  t ,  in  ber 
mir  fte^en,  ob  mir  bicfe§,  ma§  unfer  ^erj  ooll  mac^t  oon 
munberbarem  Sinnen  unb  ^offen,  magen  einjufe^cn  unb  ju  bc* 


^attenbuf^:  ^ie  2aqt  ber  f^ftemat.  ^l^eologie.  141 

Raupten  lüibcr  jenc^  S^id^tigteitögcffi^l  bcr  JWenfc^l^cit  unb  be§ 
eingeincn  9Jlenfc^cn,  n)clc^e§  un§  befdjlcici^cn  mag,  ja  im  ©runbc 
muß  angcfid)tg  ber  mobcrncn  ©rtenntniö  über  unferc  arme  Keine 
(5rbe  unb  bic  (Snblofigteiten,  bie  bod^  felbft  fte  burc^bauert  l)at 
unb  noc^  bauern  5U  f oüen  f^eint.  2)em  e  i  n  §  e  l  n  e  n  JWenfc^en 
ift  je^t,  unb  be§  bürfen  mir  gemt§  fein,  immerbar  auf  @rben 
gefegt,  einmal  ju  ft  e  r  b  e  n.  5Wüffen  unb  foDen  mir  un§  bal^er, 
fomeit  mir  bod^  oorläufig  nod)  imSRenfc^entumc  ftecfen  unb 
ein  Uebermenfc^entum  nur  erft  mie  im  Sraume  ung  um* 
fc^meben  feigen,  nur  I)inabftürjen ,  ober  meinetmegen  l^inauf- 
f^mingen  in  ein  abftrafte§  Unenblid)!eit§bemu|tfein  unb  jum  93or« 
au^  barauf  anä)  ben  „Uebermenf^en"  ber  3wf""ft/  ^^^  mat)ren 
Rraftmenfd^en  nermeifen,  menn  benn  ju  feiner  3^it  öu^  er 
immer  mieber  fpüren  mirb,  ba§  feine  Äraft  fic^  oerbrau(^t?  Ober 
glauben  mir  e§  magen  jU  bürfen,  feftju^alten  an  bem  ®t- 
bauten  eine§  perfönlid^en,  emigen  ®otte§,  einc^  93ater8  im  ^im* 
mtl,  ber  biejenigen,  bie  feinem  @ot)nc  Qe\n  ©l^rtfto  glei^geftattet 
merben,  al§  ©injelne  bemal^rt  gerabe  auc^  über  ba§  Srben* 
leben  ^inau§? 

^ä)  fann  ntc^t  finben,  ba|  mir  bei  unferem  SBeltbilbe  ba§ 
mirflid^  fernerer  ^aben  al§  bie  alten  Ort^obojen,  aU  bie  alten 
©Triften,  al§  Qt\n^  felbft  auf  ®rben.  %üx  fte  alle  bebeutete  il^r 
Söeltbilb  auc^  ein  buntele§  9tätfel,  unb  aud^  fte  fc^auten  in  i^rem 
SWa^e  in  unburd^bringlid^e  liefen  bc§  Slaumeg  unb  ber  3^it.  ^n 
biefer  33ejie]^ung  fommt  praftif^  alle§  nur  auf  bie  ©mpfin* 
bung  an.  Unb  ba§  bcr  2Jlenfd),  menn  er  nur  fid^  anfielet,  emp* 
finbet,  ba^  er  ein  3lx6)t^  fei,  mie  ba§  ®ra§,  ba§  ba  frül^e 
blüi^et  unb  am  2lbenb  abgel^auen  mirb  unb  nerborret,  ba§  ift 
ma^rlic^  ni^t§  SWoberneS  erft.  ®a  fragt  e§  ft^  immer  jule^t, 
ob  mir  eine  lebenbige  ^  r  o  b  c  baoon  l^abcn,  bajj  e§  einen  retten* 
ben  unb  bematirenben  ®ott  gebe,  einen  @ott,  bem  ber  einjelne 
nid)t  ju  gering  ift,  um  i^n  ju  fuc^en  unb  l^inaufjujie^en  ju  ftc^, 
bcr  über  bem  Söeltojean  ttiront  unb  immer  mieber  i^m  ju  ge* 
bieten  mei|. 

a)a§  ift  bcr  ©inn  ber  21  b  f  o  l  u  1 1)  e  i  t  bc§  S^riftentumö, 
ba§  mir  meinen,  in^f^fu  ©^rifto  mirtli^  bie  ^  r  o  b  e  ju 


142  Ä  a  1 1  c  n  b  u  f  d6 :  ®ic  Sage  bcr  f^ftemat.  2;^cologie. 

^abcn,  ba&  ein  folget  ®ott  eyifticrc,  ba|  roir  nic^t  ju  fürditen 
braud^cn,  unfcrcn  Olauben  an  einen  SSater  im  ^immel  einmal  at§ 
^ßufion  ju  burd)fd)auen.  Db  unfere  ®rbc  ba§  räumli^e  Neutrum 
ber  aßclt  ift  —  fte  ift  e§  ja  gcmig  nid^t  — ,  ift  babei  ganj  gleich* 
gültig.  2)a^  ®otte§  Siebe^miüe  um  un§  3)lenfd^cn  freife  qI§  bie 
ein ji gen  SBefcn,  bie  er  fic^  gleich  geftalten  tonne,  bie  e§  in 
biefem  ©tnne  für  i^n  mert  feien,  ba|  er  ftc^  in  unenblid^em  ®r^ 
barmen  um  fte  bemühe  unb  fie,  menn  fte  „motten",  in  fein  emigeS 
Seben  emporhebe,  mer  miß  barüber  überhaupt  etmaö  fagen?  3)ie 
Slbfolut^eit  be§  ®^riftentum§  bebeutet  un§,  bajj  mir  in  ®ott  burd^ 
:3efu§  ben  ®^riftu§  ben  ^untt  gefunben  ^aben,  mo  fein  eigene^ 
Seben  quittt.  ^[ft  biefer  ^unft  fein  „^txi"  unb  ift  eS  fittlic^e 
Siebe,  bie  biefe§  ^erj  erfüllt  unb  treibt,  fo  meinen  mir  auc^ 
glauben  ju  bürfen,.ba&,  ob  mir  50lenfd^en  e§  allein  finb,  bie  i^n 
„oerfte^en"  lernen  ober  nic^t,  e§  an  ftc^  ba§  Se^te,  ba§  3^^^  f^t 
ba§  er  al§  Siebe  oerftanben  unb  erlebt  merbe.  aDBa§  Siebe 
fei  unb  voa^  aüt^  fte  fönne,  ba§  merben  mir  gemijj  noc^  fooiel 
anber§  erfahren  lernen,  menn  mir  in  bie  Klarheit  eingeben,  al§ 
un§  bermalen  befd^ieben  ift,  ba§  mir  ru^ig  benfen  mögen,  ei§  fei 
nur  ein  fernem  2l^nen,  in  bem  mir  flehen,  unb  e§  fei  nur  ein 
leife§  SBittern  beg  ®otte§leben§,  ba§  un§  auf  @rben  umfpielt. 

6. 

Q6)  l^abe  nod^  eine  S^age  bejeic^net  ate  burc^  bie  moberne 
J^eologie  ober  bie  moberne  ©ntmidtlung  in  Slnregung  gebracht. 
(Sie  lautet:  „3)ürfen  unb  muffen  mir  auf  neue  $ropt)eten  ^offen?" 

2luc^  menn  man  bie  2lbfolut^eit  be§  ®^riftentum§  anerfennt 
unb  ^t\n§  ®t)riftu§  ate  perfön lic^e,  lebenbige  efxwv  xoö  S-eoö  an* 
fte^t,  ift  biefe  gragc  ni^t  ftnnlo§.  (£§  mürbe  ftc^  bann  barum 
l^anbeln,  ob  man  nid^t  jemanb  mie  Sutl^er  al§  einen  „^rop^eten" 
bejei(^nen  bürfe  unb  ob  man  nic^t  einen  ä^n liefen  üJlann  er* 
l^offen  unb  oon  ®ott  erbitten  bürfe.  93ollenb§  merben  natür» 
lic^  biejenigcn,  bie  baran  benfen,  ba§  ba^  ©l^riftentum  überboten 
merben  tonne,  gcrabesu  barauf  red^ncn,  ba§  ju  gegebener  3^'^  ein« 
neue  ®eifte§au§gie^ung  ftattfinben  merbe. 

^6)  mei&  nid^t,  mer  juerft  bie  ©e^nfud^t  nac^  einem  neuen 


Äattcnbufd^:  ^ic  Sage  ber  f^ftemot.  ^^cologic.  143 

^Ißtop^ctcn  auScjefpro^cn  ^at.  9Jlir  fclbft  trat  fic  crftmal§  ent^ 
gegen  in  bem  SBorroort,  mit  bem  ^o^anneS  SQSeijj  1894  feine 
©c^rift  über  bie  „9tQd)folge  S^rifti  unb  bie  ^ßrebigt  ber  ®egen* 
wart"  hinausgehen  lic^.  9tad^bem  er  ben  ju  erroartenben  SRejen* 
fenten  feinet  33uci^§  begeugt  ba§  er  oon  ii^nen  3lner!ennung  nic^t 
erwarte,  baburc^  aber  noc^  nic^t  beirrt  werben  werbe  in  ber  ^off»» 
nung,  ba|  feine  ©ebanfen  „SBal^r^eit  unb  Kraft"  l^ätten,  fä^rt 
er  fort:  „$^d)  füge  nod^  ^inju,  ba§  meine  SBorfd^Iäge  berechnet 
finb  auf  unfere  prop^etenlofe,  geiftcSarme  ®egenmart.  ©oüten 
mir  in  S3älbe  eine  neue  @eifte§au§gie§ung  erleben  ober  foDte  un§ 
ber  ^rop^et  gef(^enft  werben,  ben  wir  erfetinen,  fo  wäre  aUe§, 
wa§  i^  gef^rieben  ^abe,  übcrflüfftg  unb  oerte^rt.  2)enn  bann 
würben  ganj  anbere  3Q8ege  gangbar  fein,  an  bie  wir  je^t  ni^t 
benfen.  33i§  ba^in  werben  oiefleid^t  gebulbige  unb  nac^fic^tige 
Sefer  einiget  oon  bem,  xoa^  auf  ben  folgenben  93Iättern  ftel)t,  ge* 
brauchen  fönnen".  —  ^emac^  ^at  SB.  SBeit  einmal  in  einer  be* 
fonberen  93rof^üre,  ru^ig  unb  in  gefc^i^tlic^er  3)arftcllung  ber 
oerfc^iebenen  Offenbarungen,  bie  ba§  ßl^riftentum  oorbereitet,  i^m 
jum  Seben  oer^olfen,  in  ber  Äir^e  je  unb  bann  fid^  ^eroorgewagt 
liabcn,  bie  5rage  erörtert:  „93raud^en  wir  neue  Offenbarungen?" 
6r  ^at  fie  bejaht,  aber  gemeint,  ba&  e§  gelte,  i^nen  oorjuarbeiten 
burc^  Bereitung  beS  ©oben§  für  fie,  jumal  baburd),  ba§  wir  un§ 
unfere  ©c^wäc^e,  unfere  Unfä^igfeit  mit  ben  oor^anbenen  religiöfen 
unb  fittlid^en  ®rfenntniffen  weiterjufommen,  jum  93ewu&tfein 
bringen.  @r  fc^to§  mit  ben  SJBorten :  „fia|t  un§  ba§  Unfrige  tun, 
bamit  ©Ott  ba§  ©einige  tun  fann". 

:3njwifd^en  ift  man  jum  2;eil  ju  ber  Ueberjeugung  gelangt, 
ba§  wir  feineSwegS  me^r  auf  ^rop^eten  blo§  ju  ^offen  unb  ju 
warten  braud)ten,  ba|  un§  folc^c  fc^on  befd)ert  feien.  aJlit  oieler 
@mp^afe  oerfi^crtc  mir  ein  J^eolog,  ben  id)  mit  91amen  ju  nen- 
nen natürlid)  fein  9lecf)t  ^abe,  ba§  er  e§  ftc^  nic^t  nehmen  laffe, 
griebric^  9^aumann  aU  einen  ^^ropt)eten  anjufe^en.  2luc^ 
anbere  Seute  —  e§  mag  i^nen  jum  3:eil  ein  bi§c^en  fd^redttjaft 
babei  ju  9Jlute  geworben  fein  —  finb  fi^on  ^in  unb  ^er  al§ 
^rop^eten  begrübt  unb  gepriefen  worben.  9Jlan  ift  offenbar  ba* 
bei,   bie  2lnfprüd)e  ju  ermäßigen.    SBer  mit  Sinfeitigf eit ,  aber 


144  ^  a  1 1  c  n  b  u  f  d^ :  ^ie  ßage  ber  fpftcmat.  2;^colo0ic. 

Äraft  be§  ®cmüt§  unb  ber  SRcbc,  ctroaö  „SRcueö"  für  bic  „©u^cm 
bcn"  ju  bringen  roei^,  tommt  lei^t  baju,  al§  ein  „^rop^et"  er» 
fannt  ju  werben.  3)a§  ift  !cin  3^^^^«  »on  oiet  Srnft  ber  „©u» 
c^enben",  n)äl)renb  bie  3cit  wirMid^  nai)  bitterem  ®m[te  oerlangt. 
2)er  SBoben,  auf  bem  ba§  Verlangen  nad^,  ^offen  auf,  ®Iau:= 
ben  an  „^rop^eten",  neue  ©e^er,  am  leb^afteften  geworben, 
ift  bie  unoerfennbar  über  t)iele  gefommene  SHatlofigteit  unb  ^ülf« 
lofigfeit  in  ben  mobemen  großen  f  i  1 1 1  i  d^  e  n  S^agen,  befonberö 
benen,  bic  bic  neuen,  immer  tomplijierter  merbenben  fojtalen 
93er^ältniffe  in  93emegung  gebraut  ^aben.  9]od^  feine  3^^  ^^t 
bie  ?Jragen  be§  metttit^en  ®emeinlebcn§,  ber  21  r  b  e  i  t ,  ber  Sc» 
bürfniffe  ber  Stationen  fo  beutlic^  unb  fo  tief  al§  fittlid^e, 
ja  auc^  in  gemiffer  9Qßeife  r  e  l  i  g  i  ß  f  e  empfunben  al§  bie  unfere, 
al§  bk  ®eneration,  bie  feit  etma  einem  falben  üJlenfd^enalter  be» 
gönnen  ^at  ftc^  politifc^  ju  intereffieren  unb  ju  betätigen.  ®8 
ift  t)iel  reiner  unb  ^o^er  Qbeati§mu§  babei  in  Slftion  getreten,  auc^ 
ocrbraud^t  morben.  JWit  93egeifterung  ^at  man  geglaubt, 
bem  S^riftentume,  bem  9leuen  Seftamente,  :3efu  felbft  bie  gül^» 
rung  ber  ®ciftcr  überroeifen  ju  fönnen.  93ei  ben  tl)eologifd^en 
aJlitteln,  über  bie  man  oerfügte,  ift  man  ba  balb  in  93erlegen^eit 
gefommen.  ^t  mef)r  man  bem  „mirfli^en"  :3efu§  na^e  trat,  um 
fo  fc^ärfer  meinte  man  feine  „©c^ranfen"  ju  fel)en.  ®in  „^iftori» 
fcr"  erf^ridtt  nic^t,  er  finbet  e§  üietme^r  balb  felbftoerftänblid),  ba§ 
mir  oon  ;3efu§  in  ben  eigentlidjen  Problemen  ber  ®egenn)art  feine 
geiftige,  mirflid^e  ^ülfe  me^r  ju  ermarten  l^aben.  %üx  bie  bto^e 
„^^römmigfeit"  meinen  jur  Qext  oiele,  fönne  man  mo^l  noc^  im» 
mcr  mit  i^m  au§f ommen,  merbe  t)  i  e  11  e  i  c^  t  fogar  für  aüe  3"* 
fünft  ba  fic^  an  i^n  anlehnen  fönnen,  aber  für  bie  ©ittlic^feit 
Dcrfage  er  al§  gü^rer.  3^  gto§  fei  bie  Stuft  jmifc^en  feinen 
aScr^ättniffen  unb  unferen  93cr^ättniffen,  feinen  auf  ben  ®Iaubcn 
an  eine  balbige  Söeltfataftrop^e  geftü^ten  fittlid^en  Qbealen  unb 
unferen  Problemen,  mie  fic  burd^  einen  mit  meiten  ^crnfid^ten 
auf  ba§  ®rbenleben  red^nenben  Söißen  bebingt  fmb.  3)a§  „^rift» 
lic^e"  ©ittengefe^  fei  nur  noc^  in  begrenjtcm  ÜWa^e  brauchbar. 
®er  ®ebanfe  ber  „Siebe"  tue  e^  eben  nic^t  aDein.  üJlit  i^m 
fa^re  man  in  allen  SSer^ältniff en ,  bie  nic^t  prioater  Siatur 


^attenbufd^:  ^ie  Sage  ber  f^ftemat.  ^^eologie.  145 

feien,  gegenroärtig  feft.  2Jlinbeften§  fcl)e  man  nid^t,  wie  man  mit 
i^m  buti^fomme,  roic  man  ^anbel  unb  SBanbel  in  feinen  neu- 
jcitlic^en  gormcn  unb  ®imenfionen,  mic  man  eine  notmenbige 
@ro§mac^t§poHtif  burc^  il)n  regulieren  fönne.  Sßiele  jmeifelloS 
fel^r  emfte  Seute  meinen  überl^aupt,  ba^  e§  unmöglich  fei,  eine 
„ftttli^e"  ^oUttf  8u  treiben,  „SWac^t"  fei  ba  atteS  unb  muffe  eS 
fein.  Slnbere  hoffen  eben,  bajj  @ott  no6)  einmal  SWänner  fenben 
merbe,  benen  er  munbcrbar  einraunc,  ma§  fein  SDBiOe  fei,  bie 
„ftttlic^e"  SWöglid^teiten  jeigen  mürben,  auf  bie  unfer  blöber  ©inn 
nic^t  tomme,  mit  bem  ©uangelium  allein  ni^t  tommen  „tonne". 

3^  meine  —  unb  ic^  ja  nic^t  allein  —  ba§  ba  ba§  ®oan* 
gelium  nic^t  rid^tig  norgeftettt  merbe.  Unfere  „|)iftorifer" 
^aben  ja  gemi§  einen  ®otte§bienft  an  ben  „3)ogmatitcrn"  getan, 
at§  fte  beren  ©l^riftugf d^abtonc  jerbrad^en.  Slber  mir  2)og=» 
matiter  f Bulben  e§  je^t  il)nen,  ba§  mir  fte  barauf  aufmerffam 
machen,  mie  fd^on  ^aulu§  gemußt,  ba§  ©l^riften  mit  bem  XP^^*^^? 
xaxa  oapxa  ni^t  auStämcn,  ba§  e§  ber  XP^^'^^S  ^^cTa  7cveö|jta  fei, 
an  ben  bie  ©einigen  fid)  ju  l^alten  Ratten.  SBer  SDB.  |)crrmann§ 
Sßortrag  über  „2)ie  fittticben  Söeifungen  ^t^fu,  i^ren  SWi^brau^ 
unb  il^ren  rid^tigen  ©ebrauc^"  gelefen  \)at,  mirb,  beute  i^,  etma§ 
baoon  gefpürt^aben,  ha^  bie  „blo^e  ^iftorie"  gar  nic^t  bie 
ganje  |)iftorie  <3efu  ift.  3luci^  roa§  Sröttfc^  über  „^olitifc^e 
et^it"  au§einanbergefe^t  l)at,  bietet  SBeifungen,  an  bie  id^  gern 
erinnere,  miemol)t  mir  feine  Slrt  ju  beuten  im  ganjen  fremb  ift. 
3^  felbft  meine,  ba§  bie  Siebe  im  ©inne  be§  ©oangeliumS  etma§ 
unenbtic^  oiel  Qn\)altvoUtx^^,  unenblid^  oiel  aßeiterblidtenbeS  fei, 
al§  ba§  mir  als  (St^iter  ba§  Stecht  t)atten,  algbalb  ba§  ©oange^ 
tium  für  antiquiert  unb  prattifd^  nic^t  mel^r  uermenbbar  ju  ertlä= 
ren,  menn  mir  nic^t  im  erftcn  Slnlauf  über  neue  etl^ifc^e  Probleme 
t)on  i^m  au§  uöllig  in  formulierten  ©ebanten  ^err  werben. 
®§  gilt  aud^  ba  bie  ®eoife  „Slrbciten,  nid^t  uerjmeifeln!" 

@8  tommt  ja  f^lieglid^  bei  ber  g^age,  ob  mir  auf  „neue 
^rop^eten"  reflettieren  bürften,  barauf  an,  ma§  man  unter  einem 
„^ropl^eten"  ftd^  bentt.  Qd)  l^alte  e§  für  eine  3)egrabation  beS 
Begriffs,  menn  man  a\x6)  nur  einen  Sut^er  sans  phrase  fo 
nennen  mill.    2)er  alte,  gefcftete  Segriff  be§  „^Reformators"  ift 


146  ^  a  1 1  c  n  6  u  f  d& :  55ic  Sage  bcr  f^ftcmat.  S^eologic. 

bcr  rid^tigcrc.  2lbcr  um  Söortc  rooUcn  loir  nid^t  ftrcitcn.  ÜWir 
loifl  nur  f^eincn,  ba|  man  ttbcrfc^e,  bcr  ®ott  bc§  ©oangcIiumS 
fei  atö  ein  ftttlic^^iebcooUcr,  crjic^cnbcr  @ott  au^  ein  fpar* 
famer  @ott  ber  nic^t  fo  oerfd^menberifc^  im  Sc^enfen  t)on  „^ro* 
Poeten"  ober  auc^  nur  ^Reformatoren  großen  ©tite  ift,  ba§  er 
un§  nid^t  jmänge  l^au§ju^alten  mit  bem  Kapital,  baS  er  un§  ge* 
ftiftet  ^at.  9ioc^  ftnb  mir  nic^t  fertig  mit  ber  Sieformation,  unb 
folange  mir  nic^t  al§  2:^eologen  alleS  oerfu^t  ^aben  pffig  ju 
machen  unb  auSjuf köpfen,  ma§  un§  burc^  £ut^er$  SBeifungen 
be}üglic^  be§  @oangeIium§  oerftänblic^  merben  fann,  l^aben  mir 
fd)merlic^  SluSftc^t,  ba§  ®ott  un§  mieber  einen  STOann  oon  feiner 
ärt  ermerfen  mirb. 


147 


%  Soüfletit'). 


^od^anfc^nli^e  ^^ftocrfammlung ! 

3lte  lieute  oor  aioei  3>ö^tl^unbertcn  ^l^ilipp  Qacob  ©pener, 
wenige  2;a9e  nad)  Sßonenbung  feinet  fiebjigften  Seben§ja^re§,  non 
langem  ©ied^tum  burc^  ein  fanfteö  (Snbe  erlöft  rourbe,  roogte  be* 
reite  um  feinen  9tamen  unb  fein  SebenSroerf  ber  erbitterte  Kampf, 
ber  noc^  lange  ni^t  ru^en  foüte  unb  bem  gegenüber  felbft 
ber  Sob  feine  nerföl^nenbe  SEBirtung  ni^t  bewährte.  SBä^renb 
ber  mit  ber  „2lbbantung"  im  ©terbe^au^  beauftragte  ©eiftlic^e 
in  überfc^mängli^er  5Rebe  ©pener  mit  5fflofe§,  bem  Anette  ®otte§, 

1)  IRcbe,  gehalten  in  ber  3lula  ber  ^aifcr^SBU^cImS-Unioerfltclt  p 
Strasburg  am  Sonntag  bcn  5.  gcbruar  1906.  —  %a^  jebe  SBeurtcilung 
Cpeneri^  in  ber  ba§  gcfd^ic^tlicfec  SWaterial  §ufammenfaffenben  unb  glücf^ 
lid^  oerroenbenben  S^tonogrop^ie  ©rfinbergiS  (I  1893.  II.  1.  1906)  eine 
fefte  unb  breite  ©ruttblage  finbet,  oerfte^t  ft^  oon  felbft.  $gl.  noc^ 
jur  t^eologifd^cn  unb  fird&lic^en  Söürbigung  Spencrg  31.  91  i  t  f  d^  l ,  ®  e- 
f^id^te  beä  ^ietigmug,  öanb  II  (1884),  ©.  97  f.,  ^ur  pf^c^o* 
logifrfien  unb  fultur^iftorif d^en  ®^ara!terifti!  Äa^niS,  ^er  innere 
®an0be8beutfrf)en^roteftanti8mu§,  »anb  I  (1874),  211f.; 
Sß.  ©d^erer,  ©efd^i^te  ber  beutfd)en  Sitcratur,  1883,  342f. 
—  @ine  mUfornmene  ^eftdtigung  ber  im  ^olgenben  gegebenen  ^ürbigung 
©penerg  liefert  o.  © rf)  u b e r  t ,  6;^riftH^e  3öelt  1906,9lum.6.  ©enn 
@^.  ©pener  ben  „©tifter  bc§  ^ieti§mu§"  nennt,  er^eUt  au^  bcn  rocitercn 
@rfldrungen  beS  SBerfofferS,  ba&  er  biefer  SBcjetd^nung  bo^  nur  ein?  fe^r 
bebingte  ^ebeutung  beilegt 


148    2  0  b  ft  c  i  n :  3ur  g^icr  bcg  200ia^r.  2:obc§tag8  oon  $^.  3-  ©pencr. 

ocrglid^,  crtlärtc  ber  SHoftoder  ^rofcffor  bcr  J^^eologie,  gc(^t 
ba^  bcr  SScrftorbene,  „rocgcn  feiner  unmäßigen  unb  unerfätttic^en 
9tcucrung§Iuft",  ni^t  ju  ben  „©cligen"  gejault  werben  bürfc. 

^eute  fxnb  foroo^t  bie  burd^  blinben  ganati§mu§  eingegc* 
benen  2Ingriffe  al§  and)  bie  au§  fritiflofer  93cgeifterung  fliejjenben 
Sobe^erl^cbungen  oerflummt.  ®cm  ^abcr  ber  Parteien  ift  ber 
in  fo  mand^e  ©treitigteiten  ocrroidtelte,  fclbft  fo  ^eftig  umftrittene 
®otte§gele^rte  entnommen.  O^ne  Unterfd^ieb  ber  ^Meinungen 
feiert  bie  ganje  eoangelifc^e  Rir^e  2)eutf^Ianb§  ba§  ®ebä^lm§ 
if)re§  treuen  ®iener§,  ber  turj  oor  feinem  2:obe  oerorbnet  i)atU, 
er  moüe  nic^t  im  fc^marjen  2lmt§tQlar,  fonbern  im  meinen  ©terbe^^ 
fleib  beerbigt  merben,  „jum  3^ic^^"'  ^^^  er  fterbe  in  ber  ^off^^ 
nung  einer  33efferung  ber  ftir^e  auf  ©rben".  2Bie  bie  ©tätten 
feiner  aOBirtfamfeit  im  beutfdjen  SBaterlanbe,  g^anffurt  a.  SWain, 
3)reSben,  93erlin,  ba§  @rab  ©pener§  am  f)eutigen  2^age  mit  bem 
Äranje  banfbarer  aSere^rung  unb  Siebe  fd^müdten,  fo  ift  e§  un§, 
in  unferer  engeren  ^eimat,  ©ebürfni§  unb  ^fli^t,  unfereö  elfäf* 
fifc^en  fianb^mannS  in  pietätooDer  Slnl^änglic^teit  ju  gebenten. 
Äann  e§  bod^  unfere  eoangetifc^-t^eologifc^e  ^öfwltöt  nid^t  oer* 
geffen,  ba^  ber  ^eroorragenbfte  aOBortfü^rer  be§  beutfc^en  ^ieti§« 
mu§  burc^  feine  fir^U^en  SReformbeftrebungen  belebenb,  befruc^* 
tenb,  befreienb  auf  ba^  t^eotogifd^e  ©tubium  eingeroirft  unb  eine 
Erneuerung  be^fclben  in  ber  Stic^tung  angebal^nt  ^at,  bie  in  ibealer 
©rmeiterung,  tritifc^  gefid^tet  unb  p^ilofop^ifd)  oertieft,  i^ren 
größten  SSertreter  in  ©c^Ieiermac^er  finben  foHte. 

®ie  ©ebeutung  ©pener§  lä^t  fic^  nur  im  3ufammen^ang 
mit  ber  firc^Iid^en  3citlc»gc  3)eutfc^Ianb§  im  fiebjel)nten  Qa\)X'' 
^unbert  rid)tig  beurteilen  unb  gebüt)renb  mürbigen.  3n>ör  ift 
fein  fiebenggang  mit  ben  n)eltgefd)ic^ttid^en  ©^idtfaten  feine§ 
aSoIteö  nid^t  enger  oerfloc^ten.  S)ie  93ebrängniffe  be§  brei^igjä)^* 
rigen  Kriegen  ^aben  feine  ^inb^eit  unb  ;3ugenb  nid)t  unmittelbar 
betroffen.  Oberelfäffer,  1635  in  JRappoIt^meiter  geboren,  ftu» 
biert  er  Jl^eologie  in  ©tra^urg,  fommt  auf  feinen  afabemifd^en 
SBanberungen  nac^  93afel  unb  ®enf,  nac^  Tübingen  unb  ©tutt* 
gart,  erhält  eine  greiprebigerfteße  in  ©tra^urg,  mo  er  fic^  auf 
bie  afabemifc^e  fiaufba^n  oorbereitet,  mirb  aber,  ein  einunbbrei^ig« 


fi  0  6  ft  c  i  n:  3ur  &eier  beä  200j[ä^r.  Zobt^ta^  von  $^.  3.  ©pcncr.    149 

jäl^rigcr  aJlann,  jum  Oberpfarrcr  („©cnior")  nac^  granffurt  a.  S0l. 
berufen;  bort  gibt  er  feinen  tird^Iic^en  SRcformgebanfen  eine  be* 
ftimmterc  SWic^tung;  bort  ocröffentlid^t  er  ba§  ©üc^tein,  roetdieS 
ba§  Programm  feiner  nunmehr  folgcnben  SDBirffamfeit  entwirft. 
®ann  füf)rt  i^n  fein  Seben^roeg  nad)  3)re§ben,  roo  er  al§  Ober* 
^ofprebiger  be^  Kurfürften  oon  ©ac^fen  bie  bamal§  Pc^fte  ©tel* 
lung  in  ber  lut^erif^en  Äirc^e  2)eutfd^Ianb§  einnimmt.  Seine 
©ittenftrenge  mad^t  i^n  balb  am  ^ofe  unmögli(^ ;  fc^liefelic^  mujj 
er  and),  oon  ber  @eifttid)teit  unb  ben  Unioerfttäten  fieipjig  unb 
SBittenberg  l^art  angegriffen,  ber  lut^erifc^en  SWec^tgläubigfeit 
meieren,  ©eit  1691  mirtt  er  al§  Äonftftorialrat  unb  ^ropft  an 
ber  9]ifolaitirc^e  in  ©erlin;  er  unb  feine  9ln^änger  tommen  in 
^^reu^en  jur  ^a6)t;  er  gewinnt  ben  entfc^eibenben  Sinflu^  auf 
bie  meiften  firc^U^en  SlnfteKungen ;  feine  3ȟnger  erhalten  in  ber 
neuen  Unioerfität  ^alle  eine  geflutete  ©tätte  i^rer  äöirffamfeit. 
S)ie  33en)egung  ergreift  ba§  ganje  lutl^erif^e  35eutf^lanb,  unb 
bie  2Jlänner,  bie  vor  wenigen  ^ß^^c"  i«  granffurt  oon  i^ren 
©egnem  ate  „grömmler",  „^ietiften",  oerfd^rieen  morben  waren, 
ftnb  längft  ni^t  mel^r  bie  ©tiHen  im  fianbe.  ©pener  felbft  jie^t 
fxä)  am  9lbenb  feinel;  Seben§  me^r  unb  me^r  in  bie  Verborgen» 
^eit  feine§  93ettämmerteinS  unb  feiner  ©tubierftube  jurüdt.  6r 
tritt  au§  ben  Steigen  ber  ftrcitenben  Kird)e,  o^ne  ba^  fein  äJer^^ 
fd)winbcn  eine  entfc^eibenbe  Slenberung  in  ber  firc^Iic^en  Sage  i^er* 
oorrufe.  ©rieben  wir  alfo  bie  gorberung,  ©pener§  93ilb  im  SWal^men 
feiner  3^^*  8"  betrachten,  fo  I)ei§t  ba§  nic^t,  ba|  er  in  ben  ®ang 
ber  ©reigniffe  beftimmenb  eingegriffen  unb,  wie  einige  unferer 
Steformatoren,  felbft  ®efci^icl)te  gemacht  ^at.  5ii^t  ba^in  jogen 
i^n  Slnlagen  unb  53egabung,  nic^t  barin  erblidtte  er  feinen  93eruf. 
®benfowenig  ^atte  e§  ©pener  auf  eine  Umgeftaltung  ber 
Ideologie  feiner  ß^it  abgefe^en.  ^n  ber  begriffli^en  5<Jffung 
unb  2lu§prägung  be§  eoangelifc^en  @lauben§  bewegte  er  fid^  auf 
üorgefc^riebenen  unb  breit  getretenen  93a^nen.  ©eine  ©trafeburger 
Seigrer,  ber  ^rofeffor  unb  9Jlünfterprebiger  3)ann^auer,  unb  ber 
um  bie  ©rtlärung  ber  l^eiligen  ©(^rift  nerbiente  ©ebaftian  ©c^mibt 
waren  bem  tirc^lid^en  93etenntni§  oon  ^erjen  jugetan.  3"  biefem 
©etenntni^  ftanb   auc^  ©pener  mit   ootler  9lufri^tigfeit.    ©ein 


160    2  0  6  ft  c  i  n:  3ur  S^cicr  bc8  200iäf)r.  ^lobegtagS  von  ^f).  3-  ©peitcr. 

Slufcnt^alt  in  Safcl,  roo  er  unter  bem  jüngeren  Sujrtorf  eifrig 
l^ebräifc^e  ©tubien  trieb,  unb  in  ®enf,  roo  er  au§  feinem  SBer^ 
fe^r  mit  Äaloiniften  manrfierlei  2lnregungen  erhielt,  erweiterte 
ixoax  feinen  tirc^Ud^en  unb  t^eotogifc^en  ®eftc^t§trei§,  ma^te  i^n 
aber  an  ber  JRi^tigfeit  ber  überlieferten  Se^re  nic^t  irre.  2lte 
i^m  1695  feine  SBSittenberger  ©egner  in  i^rer  „©^riftlut^erif^en 
SBorfteHung"  284  Stbroeic^ungen  oon  ber  2lug§burgifc^en  Äonfef^ 
fton  oorroarfen,  flößte  i^m  biefe  2lntlage  weniger  ©ntrüftung  ate 
93efremben  ein.  SBar  er  auc^  ber  Ueberjeugung,  ba^  mit  ber 
^Reformation  „noc^  bei  weitem  ni^t  atleö  gef^e^en  fei,  maS  ^ätte 
gefcl)e^en  foHen",  fo  galt  biefe§  Urteil  ni^t  ber  ^irc^e  al§  9Ser* 
tünbigerin  ber  eoangelifc^en  ^eil^le^re.  @r  lebte  be§  ®lauben§, 
baj3  bie  jur  ©rneuerung  be§  religiöfen  unb  fittli^en  ficbeng  er» 
forberlic^en  Gräfte  im  Sc^oge  ber  lut^erifd^en  Äirc^e  felbft  ent* 
galten  feien,  man  muffe  biefe  Kräfte  nur  ju  ungehemmter  SBirt« 
famteit  entbinben.  2lu^  ftammten  feine  aU  fetjerifc^  beurteilten 
(äigcntümli^feiten  niemals  au§  t^eoretifdjen  (Srmägungen,  au§ 
prinzipiellen  2lu§einanberfe^ungen  mit  bem  tir^li^en  Se^rbegriff : 
feine  lebenbigere  SBertfd^ä^ung  ber  93ibel,  feine  größere  Unab« 
l^ängigfeit  oon  ben  tird^lidjen  93efenntni§fc^riften,  feine  milberc 
^Beurteilung  ber  ^Reformierten,  feine  Sluffaffung  oon  bem  erbau* 
li^en  Qrozd  be§  ttieologifc^en  ©tubium§,  feine  Hoffnung  auf 
beffere  3^itc«  i"  ^^^  Kirche  berufen  ni^t  auf  einer  fritif^en 
JReoifion  ber  bogmatifc^en  Ueberlieferung  unb  ftellen  nic^t  bai^ 
®rgebni§  roiffenfc^aftli^er  2lrbeit  bar;  fte  fmb  burc^au^  praftifd) 
bebingt,  al§  ^tuijt  einer  grömmigteit,  bie  fid^  in  einem  oft  an* 
geführten  SBorte  einen  treul^erjigen  2lu§brudE  gegeben  ^at.  SBenigc 
aWonatc  oor  feinem  Sobe,  am  12.  Quni  1704,  befannte  ftd^ 
©pener  oor  feinen  3)iafonen  al§  einen  ge^orfamen  ©o^n  ber  lu* 
t^erifc^en  Äirc^e:  allerbing^  »glaube  er,  ba§  auc^  au§er  biefer 
Äirc^e  ®ott  bie  ©einigen  i)abt ;  benn  ber  ^err  3>ef u§  märe  ein  armer 
^eilanb,  wenn  er  nic^t  me^r  Seelen  ^ätte,  bie  i^m  angehören." 
2)er  2Rann,  ber  fo  fprac^,  mochte  noc^  fo  feft  überjeugt  fein, 
auf  bem  93oben  ber  reinen  Sc^re  ju  fielen,  —  biefe  Se^re  mar 
oon  i^m  anber§  empfunben  unb  gemertet  al§  oon  ben  Häuptern 
ber  ©c^ult^eologie.    3lxä)t  in  ba§  SBiffen,  fonbern   in  ba§  Zun 


2  0  b  fi  c  i  n:  3"^  S^eif  ^«^  200id^r.  ZoheSta^^  oon  ^f),  3-  ©pencr.    151 

bcr  SBa^rl^cit  oericgtc  er  bcn  Sc^iüerpunft  be§  ß^riftcntum§,  — 
junäc^ft  fcineö  pcrfönlid^cn  ®^riftentum§.  ©eine  Sln^ängcr  rooD» 
tcn  ipiffcn,  ba§  er  niemals  au§  ber  Jaufgnabc  gefallen  fei. 
©anftein,  ber  i^n  genau  fannte,  äußerte  xi)m  gegenüber,  er  traue 
©pener  nic^t  ju,  bag  er  jemals  böfe  geroefen  fei.  3iint  93en)eife 
be^  ®cgenteile§  führte  ©pener  an,  ba^  er  in  feinem  jwötften 
Qa^re  einmal  getanjt  \)abt.  93on  ber  SDla^t  ber  fieibenfdjaft, 
t)on  fc^meren  93erfud^ungen  jur  ©ünbe  f)at  er  faum  etmaS  ge* 
mugt.  ®S  ge^t  fein  SWig  burc^  bic  ftetige  ©ntmidtlung  feinet 
6^arafter§,  heftige  ©rfc^ütterungen  ftnb  i^m  fremb  geblieben,  ben 
x)on  ben  fpälern  ^^ietiften  geforberten  SBu^tampf  f)at  er  niemals 
erlebt :  er  ift  nid^t  mie  ein  ^cuerbranb  oon  bem  93erberben  gerettet 
morben.  äud^  oon  geiftigen  Slnfed^tungen  roarb  er  oerf^ont 
SEBenn  er  getegentli^  in  feetforgerli^en  ©(^reiben  oerftc^ert,  er 
fei  oon  3nJ^ifcl"  ^lic^t  unberührt  gemcfen,  fo  oernel^men  mir  au§ 
bicfer  füllen  Srtlärung  nic^t§  oon  bem  inneren  33eben,  ba§  un§ 
bei  einem  ^aöcal  fo  tief  ergreift.  ®r  ^at  oiel  ©treitfd^riften  oer^ 
faßt,  aber  fie  oermoc^ten  i^m  nic^t  einmal  ben  ©c^laf  ju  ftören : 
befennt  er  bod^,  ba|  mä^renb  feinet  ganjen  fieben§  er  nur  jmei 
ober  breimal  einen  Seil  ber  Stacht  nic^t  ^abc  fc^lafen  fönnen. 
3[n  biefer  ©eelenru^e  ^aben  feine  ©d^üler  bie  ©ignatur  be§ 
@otte^finbe§  erblicft;  er  felbft  urteilte,  fie  fei  in  feinem  2:empe^ 
rament  mit  begrünbet.  „^d)  ac^te  mir  folc^e  SWägigung  nic^t 
für  eine  eigentliche  2:ugenb,  fonbern  teilö  natürliche  ß^neigung, 
teils  oon  ^ugenb  auf  angenommene  ©emo^n^eit,  au§  bcr  e§  mir 
faft  fc^mer  mürbe,  mo  ic^  auc^  bei  wichtigen  Urfac^en  t)arte  aCBorte 
gebrauchen  foHte".  aSießeii^t  lie^e  ficf)  ein  ä^nlic^eS  oon  ben 
meiften  ®aben  unb  Gräften  bemer!en,  meieren  felbft  feine  ©egner 
i^re  ainerfennung  nic^t  oerfagen  fonnten.  91üci^teme  g^ömmig» 
feit,  unge^euc^elte  3)emut,  eifrige  9läc^ftenliebe,  93efonnen^eit  unb 
3Witbe,  ^eiligung§ernft,  ©ebetSgcift,  nehmen  ftc^  bei  i^m  auS,  mie 
bie  Sleußerungen  einer  gefunben  ^nbioibualität,  meiere  bie  c^rift* 
liefen  Sugenben  nid^t  im  Kampfe  gegen  bic  roiberftrebenbe  9tatur 
ju  erobern  unb  ju  behaupten  ^at.  ©oUten  nic^t  au^  bie  ©igen* 
tümlid^feiten,  bie  mir  al§  ©c^ranfen  unb  3Wängel  cmpfinben,  au§ 
jenem  oon  i^m   felbft  eingeftanbenen  'ip^legma   abjulciten    fein? 

3eitfc^rift  für  Ideologie  unb  Rix^e.  16.  Sa^rg.,  2.  §eft.  11 


152    8  0  b  ft  c  i n:  3ur  3rcicr  bcg  200iä^r.  Zobz^taq^  oon  ^^.  3.  ©pcncr. 

2)a§  tlcinlid^c,  bic  Slengftlic^feit  bie  nid)t  feiten  feine  J^atfraft 
(äl^mt,  bie  ©frupulofität,  mit  welcher  er  ilunft  unb  9latur,  ®r^ 
^olung  unb  ©efeüigfeit,  g'^eunbf^aft  unb  Siebe  beurteilt,  finbct 
ixoax  i^re  retatioe  ®rttärung  in  ber  äu^tlofigteit  ber  3^it9^noffen, 
fte  ift  aber  nid^t  minber  natürli^  bebingt  aU  religiös  unb  fitt* 
lid^  normiert.  2ll§  feine  93ermanbten  bie  2lngelegen^eit  feiner 
aSermä^Iung  in  bie  ^anb  nat)men,  meinte  ber  Sleununbjmanjig' 
jährige,  er  roäre  roo^l  ju  emft  um  einem  jungen  2Jläb^en  gu  ge* 
fallen:  ba§  befte  bürfte  fein,  er  heirate  eine  junge  SBitme,  bie 
einen  red)t  böfen  3Waun  gehabt,  eine  folc^e  mürbe  fi^  ei^er  an 
i^n  gewönnen.  ®r  Iie§  fid^  inbeffen  aud^  eine  jmanjigjä^rige 
*ißatrijiertod)ter  au§  ©tra^urg  aufreben.  S)iefer  unb  einigen 
Äanbibaten  überlief  er  bie  ©rjie^ung  unb  ben  Unterrid^t  feiner 
jal^Ireic^en  Äinber,  ma§  leiber  nic^t  bei  allen  gtüdtte.  —  @in 
©tubenmenfd^,  ein  33fi^ermenfc^,  ^atte  er  !ein  93erftänbnig  für 
bie  9latur.  ©^on  aU  ©tubent  fc^log  er  ftd^  einmal  SEBoc^en  lang 
mit  feinen  93üd)ern  ein.  ^n  S)re§ben  ift  er  ein  ganjeö  ^a^r 
n\ä)t  jum  ©tabttor  ^inau§getommen,  unb  in  93erlin  ^at  er  rüä\)^ 
renb  neun  Q^^re  nur  jmeimal  feinen  l)inter  ber  ^ropftei  gelegenen 
©arten  betreten.  3)a§  bei  folc^en  Einlagen  ©pener  fein  beben« 
tenber  ©dljriftfteDer  mar,  tann  ni^t  SBunber  nehmen,  ©eine 
^rebigten  mie  feine  t^eologifd^e  ©ebenten  leiben  an  ungemeiner 
©d^merfätligteit  unb  SBreite,  ben  trodtenen  ®rnft  feiner  ja^Uofen 
Sriefe  erhellt  fein  ©trat)I  l^eitern  ^umor§,  feine  geiftlic^en  fiieber 
finb  gereimte  ^Betrachtungen.  ©0  treten  bereite  bie  ^auptjüge 
be§  pietiftifd^en  2eben§ibeal§  bei  bem  aJlanne  ^eroor,  ber  an 
echter  Sleligiofttät,  ftttlic^em  (Srnft  unb  grünbtid^er  ©ele^rfamfeit 
hinter  feinem  feiner  @efinnung§genoffen  jurüdtftel^t ,  bagegen 
mand^e  ber  ©igenf^aften  nermiffen  lä|t,  bie  mir  bei  biefen  be- 
munbern.  ©r  befi^t  nid^t  ben  mutigen  Satenbrang  5randte§,  bie 
einfc^meid)elnbe  Sieben^mürbigteit  3i"JC"borf§,  bie  jarte  unb  tiefe 
©mpfinbung  2:erfteegen§.  3Jlan  finbet  bei  i^m  meber  ben  be* 
ftridenben  3ouber  ber  SDlgftif,  noc^  ben  fü^nen  ^Inc^  fpefulatioer 
^^^antafie.  @§  fel^lt  i^m  oor  allem  bie  feurige,  t)immelftürmenbe 
©lauben^begeifterung,  burc^  meldte  e§  Sut^er  ber  Seele  unfreS 
aSolte§  angetan  i^at    ©r  mar   ni^t  ber  ^elb,  ber  burc^   feine 


8  0  b  ft  e i  n:  3ur  JJeier  beg  200iä^r.  a:obegtaög  oon  ?^.  3.  ©pcncr.    153 

Srf^cinung  bie  ^crjen  im  Sturme  erobert  ober  burd^  fein  jün* 
benbeg  SBort  bie  ©eifter  entfeffelt  unb  bejioingt.  2)effen  loar  er 
ftc^  Too^l  bemüht,  ate  er  bem  @ifer  feiner  S^cunbe  wehrte,  „gür 
einen  ^Reformator  mi^  ju  galten,  taffe  ic^  mir  bie  Jorl^eit  ni^t 
aufftogen.    3)aju  braucht  ®ott  anbere  aWänner" ! 

Unb  boc^  eine  ©penerfeier?!  ^a  mo^t,  ^oc^oere^rte  Sln^ 
mefenbe,  unb  jmar  mit  ooßem  Stecht  unb  au§  tieffter  Uebergeu- 
gung !  SBir  bürf en  un§  ni^t  f ebenen,  ba§  Problem,  ba§ 
un§  bie  ©efc^i^te  aufgibt,  in  ungefd^mäci^ter  SBuc^t  auf  unS  mir* 
fen  JU  laffen:  SBie  tonnte  ©pener,  ber  feine  gemaltige  ^^erfönlic^» 
feit,  fein  tiefer  3)enfer,  fein  SHebner  ober  ©id^ter  non  @otte§ 
®naben  gemefen,  einen  fo  unerme^tidjen  @influ§  ausüben,  eine  bi§ 
in  bie  ©egenmart  hinein,  bis  in  bie  3wfw"ft  ]^inau§reid)enbe 
SBirfung  l^eroorbringen? 

®ie  Söfung  be§  SRätfelS  liegt  in  ber  S^atfac^e,  ba§  ©pener 
ben  tiefften  53ebürfniffen  feiner  3^it  entgegen  fam  unb  ba§  er 
ber  9Wann  mar,  ni^t  nur  i^nen  ©eftalt  ju  geben,  fonbern  fie  au^ 
JU  befriebigen.  ®§  ift  längft  bie  ©age  jerftört,  nad)  melc^er  ber 
?pietigmu§  al§*9leaftion  gegen  bie  SSeräu^erlid^ung  ber  Stcligion 
üon  ©pener  allein  ausgegangen  märe.  3Wan  ^at  bie  Slnlei^en 
feftgeftetlt,  meldte  biefe  ^emegung  bei  ben  9tieberlanben ,  ber 
©c^meij,  Snglanb  gemacht.  2luS  ben  ©chatten  ber  a3ergangenf)eit 
ift  burd^  bie  neuere  ^orfc^ung  eine  SBolfe  oon  3^W9^"  ^eraufbe« 
f^moren  morben,  bie  fic^  unS  als  SBorläufer  ober  3Jiitarbeiter 
©penerS  ju  erfennen  gaben,  ^atte  man  i^n  früher  als  ben  Sß  a« 
ter  beS  ^ietiSmuS  gepriefen,  fo  möchten  mir  i^n  e^er  ben  ^a* 
ten  beSfelben  nennen,  —  freiließ  einen  ^aten  f)ö^erer  Orb« 
nung,  ber  fic^  an  ber  retigiöfen  ©rjie^ung  feines  ^atenfinbeS  mit 
aufopfernber  Eingabe  beteiligt  ^at. 

Unb  mie  bringenb  mar  überhaupt  eine  folc^e  geiftlic^e  ^a^ 
bagogie  im  ßcitcilter  beS  großen  t)erf)ängniSootlen  Krieges  oon 
nöten!  SEBar  auc^  bie  ^^nnigfeit  frommen  SebenS  nic^t  ganj  er» 
lof^en,  fanb  fte  au^  in  unfterblic^en  Äird^enliebern  unb  ^errlid^en 
©rbauungSbüd^em  einen  oft  ergreifenben  SluSbrudC,  meld^  troft» 
lofeS  93ilb  gemährte  bamals  ber  beutfd^e  ^roteftantiSmuS !  ®ine 
fiarre  Äirc^lidjfeit,  bie  ben  ©lauben  ju  bloßem  ©ebäc^tniSmerf 

11* 


154    S  0  b  ft  e  i  n :  3ur  ^er  ht^  200j&^r.  2:obegta0iS  t)on  $^  $.  @pener. 

ocräufecrlic^t  t>ic  93uge  ju  gcbanfenlofer  Seichte  oerbilbct  ^attc, 
mit  abergläubigem  93erlag  auf  bie  ßraft  ber  Slbfolution  unb  ben 
mgfteriöfen  ©cgen  be§  2lbenbma^lögenuffc§;  auf  ben  Unioerfttä* 
ten  eine  neue  ©c^otaftif  o^ne  ben  pbitofop^ifc^en  ©c^arffmn  ber 
alten,  eine  mec^anifc^e  ^at^ebergelel^rfamleit,  bie  ^anb  in  ^anb 
ging  mit  fittli^er  SSerrol^ung;  auf  ber  Äanjel  bogmatifc^e  ©pi^« 
finbigteiten  unb  fanatifc^e  ^olemif  gegen  ^apiften,  ^Reformierte, 
©c^roarmgeifter ;  bei  gü^rern  unb  ©liebem  ber  ©emeinben  ber 
SBa^n,  bag  bie  SRein^eit  ber  Se^re  für  ben  aWatel  be§  Seben§ 
f^ablo§  galten  lönne,  —  aße  biefe  95erirrungen  ^at  nic^t  erft 
©pener  empfunben  unb  aufgebecft;  aber  er  l^at  ni^t  nur  getlagt 
unb  gerügt,  er  ^at  ge^anbelt  unb  geholfen,  ©eine  Pia  desideria, 
]^erjlic^e§  SSerlangen  na^  gottgefälliger  33efferung  ber  ma^* 
ren  eoangelif^en  Sirene,  „tonnten  fämtlic^  an  bie  urfprüngli^ften 
atuSgangSpunlte  ber  SReformation  anfnüpfen  unb  fanben  felbft  bei 
ben  aSertretem  ber  ftrengften  SRec^tgläubigteit  ooHe  3wft™w^"^9- 
2)en  fec^§  „einfältigen  SSorfc^lägen",  bie  er  in  biefer  ©c^rift  jur 
33efeitigung  ber  f^reienben  ÜRifeftänbe  empfiehlt,  fügte  ©pener  im 
Saufe  feiner  weiteren  äiätigfeit  unb  auf  ®runb  feiner  fpäteren 
(Erfahrungen  no^  anbere  ^inju,  bie  fic^  aber  aße  um  benfelben 
SWittetpunft  bemegen:  nid)t  äußerer  ®laube,  nic^t  äußere  SBerfe, 
nic^t  äugerlic^e  ©ebete  mad)en  ben  ©Triften;  ba§  S^riftentum  ift 
nic^t  aCBiffen,  ni^t  gürroa^r^alten,  nic^t  ©ebäc^tni^merf  ober  te^» 
nifc^er  ®otte§bienft ;  e§  ift  ©ac^e  be§  inneren  9Renfc^en,  @efm* 
nung,  (Erfahrung,  ^Betätigung;  ber  einjetne  mu§  babei  fein,  ©ott 
fie^t  ba§  ^erj  an,  bie  ße^re  mug  in  Sat  unb  Seben  umgefe^t 
werben.  SBe^e  benen,  bie  ba§  Äleinob  unferer  Äirc^e,  baS  @oan^ 
gelium  oon  ber  ®nabe  ®otte§,  jur  ©ic^er^cit,  jur  Sräg^eit,  jum 
fittüc^en  fieic^tpnn  mi^rauc^en!  äBel^e  benen,  bie  oon  einer  JRec^t^ 
fertigung  träumen,  bie  ftc^  ni^t  in  Heiligung  au^mirtt!  3)iefe 
aSerinnerlic^ung  unb  SSertiefung  be§  ®lauben§  jum  Seben  bilbet 
bie  ©eete  aller  5Ratfc^täge  unb  9Ragregeln,  bie  ©pener  feinen  QixU 
genoffen  einf^ärft.  ®r  oertangt,  ba^  mit  bem  allgemeinen  ^rie* 
ftertum  ®mft  gemad)t  unb  bie  a3ibeltenntni§  energifc^  au§gebrei» 
tet  merbe :  jene§  f oll  bur^  3Ritn)irfung  ber  Saien  mit  ben  ^far* 
rem,  biefe^  bur^  ^rioatoerfammlung,  ^auöanba^t,  9Ritfprec^en 


8  0  b  ft  e  i  n :  3ur  Sfeicr  beg  200jä^r.  %obt»taq^  Don  $^.  3.  ©pener.    166 

im  ®ebet  erreicht  loerben.  ®r  loedt  in  ben  S^rägern  be§  göttlichen 
9lmte§  baS  ©effi^I  i^rer  aScrantroortli^teit  unb  fragt  nic^t  weni* 
ger  nac^  il^rem  SBanbel  atö  na6)  \f)xtx  Se^rc.  ®r  forbert  SReform 
ber  ^ßrebigt,  au§  toel^er  er  bie  ©(^ulgele^rfamteit,  bic  t^cologi* 
fc^en  35^1^1^««^"/  ober  au^  bie  funftrei^e  Si^etorif  oerbannt 
wiffen  roiB.  (&x  nimmt  fic^  ber  Rinber  unb  ber  3w9«^ii>  ön,  be» 
lebt  ben  Äatec^i§mu§unterric^t,  rietet  bie  Konfirmation  ein.  ®r 
miH,  ba§  ber  geiftli^e  ©tanb  ni^t  bur^  trodene  ©ete^rfamleit 
jum  SBiffen  gcfc^ult,  fonbem  burc^  bie  ^eilige  (S^rift  jur  ®ott» 
feligfeit  erjogen  merbe.  ®r  tritt  ein  für  eoangelif^e  (Sinri^tung 
be§  33eic^tmefen§,  für  Organifation  überfi^tlid)er  ©eclforgerge* 
meinben,  für  ftrenge  ©onntag^^eiligung,  für  gemiffenl^afte  Sinber« 
juc^t.  @r  gibt  ber  ©emeinbepflege  neue  3>"^pwlfe  unb  roeift  i^r 
neue  93a^nen:  ba§  l^errlj^e  2)entmal  bemütigen  ©ottoertrauenä 
unb  tatträftiger  9läc^ftenliebe,  ba§  333aifen^au§  ju  ^atte  ift  auS 
feinem  ®eifte  geboren.  ®r  oerurteilt  bie  ^ä^lic^c  ^olemit  unter 
ben  lut^erifc^en  unb  reformierten  ^roteftanten  unb  mitt  bie  ge« 
meinfamen  ^^tereffen  aller  auf  bem  93oben  ber  Deformation 
fte^enben  Sird^engemeinfc^aften  jur  ®eltung  bringen.  @r  bringt 
bie  bi§  ba^in  !aum  geahnte  ^flid)t  ber  ^eibenmiffion  ber  prote» 
ftantif^en  (J^riftenl^eit  jum  ©emu^tfein:  au§  bem  grancfefc^en 
SBaifenl^aufe  fmb  bie  erften  lutl^erifdjen  ©enbboten  in  bie  Reiben* 
melt  ausgegangen.  SBcm  beim  3lnbli(f  cine§  folgen  fiebcnSmerfeS 
baS  ^erj  ni^t  aufget)t  unb  marm  mirb  in  aufrichtiger  Siebe  unb 
aScre^rung,  ber  ^at  feinen  ©inn  für  bie  ftitte  ©röfee  unb  bie  innere 
Äraft  eoangelifd^er  grömmigfeit. 

S)arum  feiern  mir  unfern  ©pener!  SGBir  preifen  i^n  ni^t 
als  einen  König  im  SReic^e  be§  @eifte§,  mir  ^utbigen  i^m  nic^t 
al§  einem  ^eiligen,  aber  mir  bauten  ®ott,  ba§  er  un§  einen 
ajiann  gefc^entt  l^at,  ber  in  jener  oerroa^rloften,  nad)  religiöfer 
unb  fittlidier  ®rneuerung  fic^  fe^nenben  3^it  "^^  ^^^^  gcmefen 
ifi  als  ein  ^elb  unb  mc^r  als  ein  ®enie:  baS  ®emiffcn 
beS  beutfd)en  ^roteftantiSmuS. 

^oc^anfe^nli^e  geftocrf ammlung !  ®S  berietet  ein  2lugen^ 
jeuge,  bafe  ©pener  jmei  2^age  oor  feinem  Sobe  bie  ©einigen  in 
fein  3'"^"^^^  tommen  lie§.     „3)ann  ma^te  er  ft^  ftart  roie  ber 


156    8  0  b  ft  e  i  n :  3ur  g^ier  be§  200jäf)r.  Zoht^taqS  Don  ?^.  3-  ©pencr. 

alte  Qatob  auf  feinem  Sterbebette  unb  betete  lang  unb  beroeglic^ 
für  ba§  |)eil  ber  c^riftli^en  Äirc^e."  Unter  ben  ©egenftänben 
biefer  gürbitte  nannte  ber  33eric^terftatter  auc^  bie  ©tabt  ©tra§« 
bürg,  „n)elc^e  @ott  bei  feinem  reinen  äBort  unb  @oangelium  bis 
an§  @nbe  ber  aCBelt  erl^alten  moBc!"  SDiit  biefer  Sitte  im  ^erjen 
unb  auf  ben  Sippen  legte  fic^  ber  mübe  Äämpfer  jur  ewigen  SRu^e 
nieber,  fi^  bi§  in  ben  %oh  ju  bem  ©tauben  belennenb,  ben  er  in 
einem  Ofterlieb  einen  fc^Iic^ten  2lu§bru(f  oerlie^en,  bem  fein  gan* 
}e§  Seben  unb  aCBirten  aber  ein  unenbli^  ^errli^ere§,  ein  unoer* 
gänglic^eS  ®en!mal  geftiftet  l^at^). 

1)  5)er  afabemifc^e  ^tc^enc^or,  ber  bie  fjeier  burc^  ®efang  beg  bop* 
pelc^örigen  ^falmeS  147  von  SKbcrt  93crfcr  eröffnet  ^attc,  trug  nac^  SBoH* 
enbung  ber  fjeftrebe  33er§  7  unb  8  beS  ©penctfc^cn  DftcrIicbeS  nac^  ber 
SWelobie  »Sefu,  meine  Srreube"  im  oierftimmigen  (S^orfaft  oon  3-  @.  SBac^ 
Dor. 


157 


luttrer  int  tr^$lt(^en  itbtn. 

&\n  93citrag  ju  ber  ncucftcn  fiut^erfontrooerfc,  na6)  einem 
SJortrag  in  ©tra^burg. 

Staxl  8ea. 


„Suttier  im  ^äu§Iic^en  Scben"  ift  abgefel^en  Don  ben  betreff 
fenbcn  Sapiteln  in  jcber  fiutl)crbiograp]^ie,  bie  baoon  ^anbeln, 
me^rfa^  Oegenftanb  populärer  ©d)ilberung  gemefen,  am  f^önften 
roo^t  in  ber  lieben^roürbigen  ©c^rift  oon  ©eorg  SRietfd^el  0. 
®iefe  ©d)ilberun9en  empfangen  i^re  Segrenjung  oon  ber  meift 
gemütlich  erbaulid)en  3lbätt)ecfung  fol^er  auf  bie  gro^e  ©emeinbe 
beregneten  ajlitteilungen.  ^ier  ift  bie  Slbfid)!,  ju  jeigen,  ba§  £ut^er§ 
(ä^eleben  unb  Familienleben  nid^t  etroa  ber  ibpUifc^e  3lbfc^lu§  feiner 
Kämpfe,  fonbern  ein  2:eil  berfelben  gemefen  ift,  ba^  ber  SJlann 
im  ^au^rorf  tein  anberer  ift  al^  ber  eifernoüe  ®otte§ftreiter  in 
ber  t^eologifd)en  Slrena,  ber  in  lobernbem  3öni,  mit  grimmigem 
|)umor  unb  mit  einer  in  ben  3lu§brürfen  niemals  mäl)lerif^en 
^olemif  feine  93ranbfd)riften  fc^reibt.  fintier  ift  in  jebem  fiebeng^ 
oerl^ältni^  er  felbft,  nämlid)  im  33ertel)r  ber  aHjeit  frotimutige, 
meift  gut  gelaunte,  fc^lagfertige  ^lauberer,  im  ©eben  unb  ©orgen 
für  anbere  oon  abfoluter  Uneigennü^igteit,  in  jebem  ©treit  t|i^ig, 
fd)arf  unb  unerbittlid),  allen  ©c^ma^en  unb  deinen  gegenüber 
gütig  unb  milb,  fd)onfam  gegen  greunbe,  oerjeil)enb  gegen  geinbe. 


1)  fiut^cr  unb  fein  §au§.    ©cf)nftcn  für  ba§  bcutfdftc  ^olf  ^crouSgc* 
geben  oom  SBcrcin  für  iHeformationägefc^ic^te  ^aUe  a.  @.  1888. 


158  @  e  1 1 :  Sut^er  im  ^duglic^en  :8eben. 

gegenüber  ®ott  ein  bemütiger  ©ünber  unb  ein  f)axmloä  oertrauen» 
be§  Äinb.  ©r  ^at  fi^  au^  in  ber  ®f)z  ni^t  in  einen  friebli^en 
^^ilifter  oerroanbelt,  unb  ein  „^au^l^ammel"  ift  er  nie  geworben. 
3)arum  aber  mu§  l^eute  oon  feinem  ^aufe  unb  oon  feiner  @^e 
bie  9tebe  fein,  weil  bie  neueften  9lngriffe  auf  fintier,  bie  beS 
®ominifanermön^§  ^einrid)  2)enifle  auf  biefen  $untt  feinet  fie* 
ben8  ftc^  richten.  3)ie  Sartegung  ber  gefc^ic^tli^en  SGBal^rl^eit 
barüber,  roie  Sut^er  jur  @^e  tarn  unb  roa§  er  barin  geworben 
ift,  f)at  ben  33cn)ei§  ju  erbringen,  ba§  fein  ^au§lic^e§  fiebcn  re^t 
eigentli^  bie  gru^t,  bie  Seroä^rung  unb  bie  Krönung  feiner 
|)elbenlaufba^n  roar. 

SJlac^bem  Sutl^er  ba§  alte  ©oangelium  neu  entbedtt  l^atte  mit 
bcm  ®riff  feiner  ftarfen  ®Iauben§]^anb  in  bie  unfi^tbare  ®otte§* 
melt  hinein,  nac^bem  er  bie  gtut  ber  SReooIution  1522  jum  ©te^en 
gebrad^t,  na^bem  er  eine  neue  gotte^bienftlic^e  ©emeinbe  unb  eine 
eoangelifc^e  ©c^ule  gef^affen,  un§  bie  beutfc^e  93ibel  unb  ha^ 
beutfc^e  Äirc^enlieb  gegeben,  roa§  fehlte  nod^?  SBer  ^eute  bie 
Äultur^öl^e  ber  tat^oUf^en  unb  proteftantifd)en  SSöIter  ber  ®rbe 
mit  einanber  oergteid^t,  bie  fic^  einigermaßen  al§  JRomanen  unb 
©ermanen  oon  einanber  trennen,  ber  SBölter,  oon  benen  gmeifetlo^ 
bie  JRomanen  bie  reid)ere  natürli^e  Begabung,  bie  frütiere  Steife 
in  ßunft  unb  SBiffenfc^aft  unb  bie  glürflid)ere  gorm  ber  perfön^ 
lid^en  ©etbftbarfteHung  befi^en,  unb  mer  bann  fie^t,  ba§  unleug» 
bar  ©nergie,  (Srfolg  unb  2lu§be^nung§fä^igteit  ber  jioilifatorif(^en 
lätigteit  größer  ift  bei  ben  Oermanen,  ber  fragt:  maö  ^aben 
biefe  in  i^ren  mcift  raupen  norbifd^en  fiänbern  befonbere^  oorauS 
oor  ben  SRomanen,  unb  waS  ift  eine  oorjüglid)e  Duelle  itirer  [x6) 
ftet§  erneuernben  Kraft? 

3)arauf  ift  eine  ber  möglid^en  2lntn)orten  bie:  fte  ^aben  oor^ 
au§  ba§  eoangelifdtie  ^farr^au§,  unb  in  if)m  jmifc^en  bem 
mo^l^abenben  ftäbtifdf)en  93ürgcr^au^  unb  ber  33auernbiele  einen 
nod)  ni^t  oerfiegenben  geiftigen  unb  förperlic^cn  Jungbrunnen,  auö 
bem  ber  ajJittelftanb  feine  beften  Kräfte  fc^öpft.  SWan  fel)e  fic^ 
boc^  nur  um  im  Kreife  ber  fül)renben  ©eifter  ber  germanifd)cn 
SSötter:  roie  oiele  i^rer  Siebter,  3)entcr,  ©elel^rten,  Künftler, 
©^riftfteller,  gelb^errn  unb  Staatsmänner  ftammen   irgenbmie 


<S  c  n :  2ntf)tt  im  f)äu§ac^cn  Scben.  159 

au§  einem  ^^farr^au§  l^er!  gür  biefe§  ^farr^au§  ]^at  Sut^er  im 
Söittenbetfter  Sluguftinerftofter  ba§  SSorbilb  gefc^affen,  oon  beffen 
2lrt  unb  Sü^tigteit  bei  ben  ftet§  offenen  genftern  unb  %\xxtn 
fxä)  feine  9Witbürger  tägtic^  überjeugen  tonnten  unb  überjeugt 
^aben.  3)er  Slnfang  beS  eoangelifc^en  'ißf arr^auf e§ ,  in  bem  ein 
el^emaliger  ^^riefter  unb  SWönc^  fic^  mit  einer  bem  Älofter  ent* 
flo^enen  Stonne  oereinigte,  ift  aber  baS  tatfäc^lic^e  ®nbe 
ber  3Könd)§fuItur. 

2Bir  werben  im  ©üben  unb  9brben  be§  SöaterlanbeS,  am 
Oberr^ein  unb  am  9tieberr^ein  geroi^  nic^t  geringfc^ä^ig  reben 
oon  biefer  9Wönc^§fultur,  ber  mir  oerban!en:  einen  großen  Steil 
unferer  Slrferflur  unb  unferer  aCBeinberge,  bie  prac^tooHen  roma* 
nifc^en  Klofter*  unb  9Jlünftertirc^en,  mir  merben  nie  oergeffen, 
ba§  fie  ^ier  in  Strasburg  unb  brunten  in  Äöln  ben  3öubergarten 
ber  gottinnigen  SJlgftit  angebaut  ^at  unb  bie  fügeften  2^öne  ber 
(J^riftuSminne  mie  ben  mä^tigen  polgp^onen  ©^orgefang  an* 
geftimmt  ^at  unb  merben  ftet§  ben  Älofter^of  mit  ber  gleichen 
©l^rfur^t  betreten  mie  bie  SRefte  ber  SRitterburg,  meil  e§  eine  3^it 
gab,  ba  oon  ^ier  au§  in  baS  Seben  unferer  2lltoorbern  Sic^t, 
greube  unb  "^^mhz  au§ftra^Ite. 

2lber  möchte  barum  irgenb  jemanb  jene  Qt'xt  jurürfmünf^en, 
ba  bie  Duette  ber  ©ilbung  unb  SBiffenfc^aft  bie  Älofterf^ulen 
maren  unb  bie  göben  ber  SGBeltgefc^ic^te  in  ben  Rauben  eine§ 
2lbte§  jufammenliefen  mie  in  benen  be§  aud)  oon  ßut^er  fo  ^od^ 
oere^rten  ^eiligen  33ern^arb?  Qeber  aber,  ber  ba§  nid)t 
me^r  mö^te,  ber  nimmt,  menn  au^  unbemu^t,  Partei  für  ßut^erS 
legten  unb  an  Kraftoerbraud)  oietteic^t  gemaltigften  SRefor* 
ma tion^lampf ,  ben  für  bie  ^riefterel^e  unbgegen 
baS  J!loftermefen. 

®§  mar  ber  gemattigfte  Jtampf,  meil  l^ier  ber  Seufel,  an  ben 
Sut^er  glaubte,  i|m  bie  fd^merfte  9bt  machte.  3)er  2:eufel  rief 
i^m  gu:  „atfo  barum  ^aft  bu  bie  ^atbe  SGBelt  in  Slufru^r  oerfe^t, 
barum  ben  g^uerbranb  in  bie  Sparren  ber  alten  Sir^e  gefc^leu* 
bert,  um  bir  ein  SB e i  b  nct)men  ju  bürfen?  SöerfleHe  bic^  nic^t: 
ba§  ift  ber  eigentlid)e  tieffte  Orunb  beiner  ganjcn  berühmten  9le* 
formation!"  —  2Benn  irgenb  etma§  gefd^ic^tlic^  fcftftel^t,  fo  ift  e§ 


160  @  c  1 1 :  Sut^cr  im  ^äuSlic^cn  Seben. 

bic§,  bag  Sut^cr  roebcr  am  Slnfang  be§  SRcfomtation^tampfÖ, 
no(^  auf  feinem  ^ö^epunft  irgenb  ein  perfönIid)eS  Qntereffc  oer* 
folgt  \)at  ®§  mar  hai^  ©oangelium,  mofür  er  ftritt  unb  lebte, 
nod^bem  er  e§  einmal  gef unben :  ein  ]^eilige§  ®otte§mort,  ein  i)tu 
liger  ®otte§miBen  unb  eine  in  göttlichem  reinem  Sichte  ftrablenbe 
^eilanbSgeftalt,  bie  er  feinem  SBolt  unb  feiner  3^it  roiebcrbrac^te. 
3)a§  mar  bie  „grei^eit  eine§  ®t|riftenmenfd)en",  für  bie  er  fc^rieb, 
rebete  unb  fang.  Unb  menn  man  i^m  fagte :  ,,nic^t  ®^riftu§  ift'§, 
mona^  bid)  oerlangt,  fonbern  \>a§  9Bcib"  —  fo  traf  i^n  biefe§ 
SBort,  menn  er  ftc^  nic^t  gänjlic^  oon  biefem  SSormurf  frei  mu^te, 
mie  ein  germalmenber  ®d)tag.  —  Unb  fie^e  ba:  mie  er  jebem 
aSormurf  ber  Söerroirrung  ber  ©emüter,  be§  greoelS  an  ber  üJlut» 
tertir^e,  be§  Staubet  am  ®ute  ber  ^eiligen  Sro^  bot,  fo  ^at  er, 
al§  bie  S^xt  gefommen  mar,  auc^  biefem  9Sorrourf  ftc^  gefteüt: 
9Äod)ten  fie  i^n  l^erab  in  ben  ©taub  jie^cn  bie  ®egner:  er  na^m 
boc^  ein  SBeib !  „2llle  (Snget  merben  lachen  unb  bie  Seufel  mei* 
neu  bei  biefer  Äunbe",  fo  fc^rieb  er  am  16.  ^uni  1525. 

©e^en  mir,  mie  e§  baju  tam  —  unb  fragen  mir  ma§  barauS 
roarb?  ©cI)on  in  ben  großen  SReformation^fc^riften  oon  1520 
l^atte  Suttier  bie  erjmungene  ©l^elofigfeit  ber  ®eiftlic^en  betämpft 
unb  bie  aSermanbtung  ber  Klöfter  in  ©d)ulen  geforbert.  2lber  er 
felbft  mar  im  2luguftinerorben  geblieben  unb  ^at  auc^  bann  bie 
Sutte  nid)t  abgelegt,  al§  oiele  2)lönd)e  ba§  Älofterleben  aufgaben 
unb  ja^lrei^e  Pfarrer,  barunter  feine  nä(^ften  J^^eunbe  ^Sugen^ 
l^agen,  Sinf,  SRei^enbufd^  u.  a.  fic^  oer^eirateten.  3^n  trieb  feine 
Steigung  in  biefer^ Slic^tung,  au^  nac^bem  il^n  nic^t  mel^r  ba§  ein 
für  allemal  geleiftete  SWön^ggelübbc  abhielt.  —  2)a§  aber  ^at 
lange  gebauert.  ®§  beburfte,  obmo^l  i^m  eine  innere  ©timme 
fagte,  bag  biefe  jufammen  mit  bem  ^rieftertum  mä^tigftc  unb 
mic^tigfte  ©inric^tung  ber  alten  Äirc^e  ein  §aupt^inbemi§  be§ 
®oangelium§  oon  ber  freien,  an  fein  menfd)li^e§  aSerbienft  ge« 
bunbenen  ®nabe  ®otte§  fei,  boc^  oieler  Ueberlegungen  unb  ber 
Beratung  mit  feinen  greunben,  bi§  er  fic^  ju  ber  ©emiffenöüber- 
geugung  l^inburc^gerungen  ^atte,  bag  jebc§  ®elübbe  an  @ott  nur 
bebingte  ®eltung  ^aben  fönne,  unb  ba§  ®ott  felbft  unbebingt 
oerbinblid)e  ©elübbe  für  ni^tig  erftärt  Ifab^  hnxi)  bie  eoangelifc^e 


®  e  U :  Sut^er  im  ^äuglic^en  Seben.  161 

grei^eit.  @§  gef^at)  loä^rcnb  bc§  3lufcnt^altcS  auf  bcr  SGBartburg. 
®ie  Slrt,  Toic  Sut^er  biefe  feine  Slnf^auung  mit  allen  ®rünbcn 
fc^otaftifc^er  ®ialefti!  unb  einc§  ni^t  nad^  ben  ©runbfä^en  ^eu* 
tiger  ^iftorif^er  Äriti!  geftatteten  ©^riftbemeifeS  in  einer  feiner 
tongften,  f^ärfften  unb  gebanfenrei^ften  Schriften  über  bie  9Wönc^§* 
gelübbe  oerfi^t '),  über  beren  ©ntftel^ung  er  juerft  einem  ©tra^* 
burger  Qtwripcn  $Ricolau§  ®erbel  oon  ber  SGBartburg  berichtet,  tft 
oon  ®enifle^)  gum  ©egenftanb  einer  über  300  Seiten  umfaffenben 
polemifc^en  2lu§einanberfe^ung  gemalt  morben.  —  ©ie  berührt 
un§  gar  nic^t  mel^r,  bie  roir  eben  burc^  fintier  längft  ^inau§  ftnb 
über  jene  ©emiffen^ffrupel.  3)er  ®laube,  auf  bem  j|ebe§  @ott  geleiftete 
©elübbe  ru^t,  al§  ob  e§  mögli^  unb  erlaubt  fei,  ba§  ein  SWenfc^ 
mit  bem  eroigen  (Sott  in  ein  a3ertrag§oer^ältni§  gegen* 
feitiger  Seiftungen  trete,  a\x^  beffen  pünttlic^er  ©rfüQung  gemiffe 
SBorteile  fi^  ergeben,  ift  non  un§  längft  mit  bem  befferen  eoange* 
Iifd)en  ©lauben  oertaufc^t  roorben,  ba^  e§  nur  einen  einjigen  roirt* 
lidöen  unb  ma^r^aften  @otte§bienft  gibt,  bie  SBei^e  be§  ^erjenS  unb 
®en)iffen§  an  ®ott,  unb  ba§  alle§  anbre  nur  bie  Sebeutung  ber 
Stteu^erung  biefe^  ^innerlichen  l^at.  SBir  tonnen  un§  barum  nur  no^ 
fc^mer  in  jene  feltfamen  tat^olif^en  ®eban!engänge  ^ineinfinben, 
mit  benen  ßut^er  ringt  in  benen  ©Ott  al§  ber  unerbittliche  ®eri^t§* 
oolljie^er  einmal  eingegangener  Verpflichtungen,  ber  93flenfc^  aber 
al§  ber  jur  3ö^Iung  bi§  auf  ben  legten  geller  gel^altene  ©c^ulb* 
!nec^t  erfc^eint,  unb  munbem  un§  barum  aud^  nic^t,  menn  er  nic^t 
immer  fiegreic^  ift.  ^n  unfrer  SBeltanfd^auung  ift  fc^on  für  bie 
fat^olifc^en  SSorau^fe^ungen,  auf  benen  bie  SJlönc^erei  unb  alle 
Älcrifei  beruht,  fein  ^la^  me^r.  ®arum  fragen  mir  auc^  gar 
nic^t  me^r  nac^  ben  ®rünben,  me§^alb  fte  nt^t  me^r  gelten  foHen, 
unb  nac^  ben  teitmeife  für  unreife  Seute  nid^t  beftimmten,  unb 
für  ben,  ber  bie  3)erb]^eit  jener  3^it  ^i^^  tennt,  oft  peinlichen 
Slufiieinanberfe^ungen,  fonbem  nur:  feit  mann  biefeS  9Könd^tum 
fic^  in  eoangetifc^en  ßanben  gum  gaU  für  immer  neigte?  2)a§ 
gefc^a^  feit  jener  ©c^rift  Sutt)er§  oom  ^ai)x  1521,  bie  erft  1522 

1)  de  votis  monasticis  W.  A.  VIII. 

2)  8utl)er  unb  Sutl^ertum  in  bcr  crftcn  ©ntmicfclung '.  I,  1.    3Jlainj 
1904. 


162  6  e  1 1 :  2ntf)tx  im  ^auSlic^en  geben. 

befannt  rourbc  unb  mit  bcn  ©runbfä^en,  bie  greunb  SWelan^tl^on 
glei^jeitig  in  feinen  loci  communes  au^fprac^,  übereinftimmte. 
93cibe  l^aben  bie  ©eroiffcn  frei  gemacht  oon  bem  SBa^ne,  als  ob  ®ott 
forbere,  ba§  ein  in  feiner  9H^tigteit,  feinem  Unroert,  feiner  SScrberb» 
lic^feit  ertannteS  SSerfprec^en  bennoc^  gehalten  merbe,  nur  weil  ei8 
einmal  gegeben  mar.  3lber  mä^renb  infolgebeffen  bie  aWönc^e  allere» 
orten  bie  ^löfter  oerliefeen,  bie  9tonnen  flogen  ober  oon  SSermanbten 
^erauSgel^olt  mürben,  bie  gemefenen  ^iefter  heirateten,  blieb 
Satter  in  feinem  Älofter,  fc^lie^lic^  nur  noc^  mit  einem  93ruber, 
flicfte  fic^  feine  Äutte  felbft  unb  entbel^rte  jeber  anmutenben  ^äu8* 
lic^teit,  bie  er  bei  anbern  greunben  lobt.  2)a  tarn  bie  beutf^e 
SReoolution,  ber  SBauerntrieg  1525.  Sut^er  bü^te  feine  ^opula« 
ritot  bei  bem  beutfc^en  Sanboolt  ein,  ja  er  marb  ein  ©egenftanb 
il^reS  grimmigen  ^affe§!  @r  mar  feinet  fiebenS  ni^t  me^r  ftc^er, 
erl^ielt  Srol^briefe  unb  machte  fic^  auf  ein  iä^e§  @nbe  gefaxt! 
9lun  f^ritt  er  ganj  plö^lid)  jur  SBer^eiratung.  ^m  SDioi  1525, 
mä^renb  ber  Slufru^r  i^m  in  bie  Ställe  rürfte,  fpric^t  er  jum 
erftenmal  oon  Katharina  oon  33ora  alsJ  „feiner  Äät^e".  3" 
^fingften  röt  er  feinem  alten  ®egner,  bem  Karbina^®rjbif^of 
oon  SWainj,  mit  bem  er  boc^  ju  3^'^^  freimütige  93riefe  roe^* 
feite,  fein  ©tift  ju  fäfularifieren  unb  ju  l^eiraten,  roorin  er  i^m 
oorangel^en  rooUe,  unb  am  13.  Qw^^i  f^nb  in  ber  übli^en  rein 
bürgerlichen  gorm  bie  S^ef^lie^ung  in  feiner  SBBo^nung  im  2lu« 
guftinerflofter  ftatt,  im  33eifein  einiger  meniger  greunbe,  barunter 
ba§  S^epaar  Suca§  ©ranadö,  ber  ©tabtpfarrer  93ugen^agen,  ber 
^ropft  3ona§.  ®ie  (Srroä^lte  gehörte  ju  ben  abiigen  9lonnen, 
bie  oor  jmei  3>ö^^en  oon  brei  2^orgauer  bürgern  gemaltfam  au8 
bem  Slofter  ju  9limp^fc^  bei  ©rimma  entführt  roorben  maren, 
unb  bie  großenteils  mittlenoeile  geheiratet  Ratten.  ®er  9lürn* 
berger  'ißatrijier  Saumgärtner  ^atte  bem  aufgemerften  refoluten 
^räulein  oon  93ora  ben  ^of  gemacht,  bann  aber  eine  reichere 
^^Jartie  oorgejogen.  3ll§  fintier  fic^  barum  bemül^tc,  \\)x  einen 
braoen  9Wann  ju  oerfchaffen,  ließ  fte  i^n  miffen,  nur  i^n  ober 
ben  3lm§borf  loerbe  fie  nehmen.  93iS  ba^in  fd^ien  Sut^er  fic^, 
menn  überhaupt,  me^r  für  ein  gräulein  oon  Sc^önfelb  }u  inter* 
effteren.    ©innen  meniger  SBo^en  muß  er  fic^  entf^loffen  ^aben. 


(Seil:  2ut^er  im  ^äudlic^en  8eben.  163 

®er  ®runb,  loarum  er  in  bic  @^e  trat,  war  einfa^  ber: 
ba§  er  fxi),  roenn  er  benn  fterben  foHte,  in  bem  ©tanb  unb  Or* 
ben  lootlte  finben  laffen,  ben  er  neben  ber  Obrigleit  al§  ben  ein« 
gigen  oon  ®ott  felbft  eingeteilten  ©tanb  nerfünbigt  l^atte:  im 
ß^eftanb.  ©einen  eoangelifc^cn  ®lauben§genoffen  roax  er  noc^ 
biefen  93en)ei§  feiner  Ueberjcugung^treue  fc^ulbig.  3)a§  er  aber 
nic^t,  xoxt  roo^t  man^er  feiner  greunbe  e§  roünf^te,  ein  e^rfame§ 
Sfirgermäbc^en  heiratete,  fonbern  eine  bem  Älofter  entflogene 
5lonne,  g^fc^ö^  au§  bemfetben  ®runb:  er  rootlte  oor  ®ott  unb 
aller  aCBelt  fic^  baju  betennen,  bafe  bie  ftloftergelübbe 
nichtig  unb  bie  angeblich  geiftlic^en  ^erfonen 
frei  feien  jur  ®^e.  ©eine  93er^eiratung  roax  alfo  in  erfter 
Sinie  eine  bemonftratioe  ^eroif^e  ^anblung.  ©ic  roar  eine 
®lauben§tat! 

©0  n)ie  er  ben  ®^eentfc^lu§  in  ben  3)ienft  feine§  ^ö^ern  Sc^ 
ruf§,  be§  93erufe§  fteHte,  „ber  SDeutf^en  ^rop^et"  ju  fein,  fo  l^at 
er  au^  fein  ©beleben  geführt.  14  2^age  nac^  ber  ®ioile^e  ^at 
er  ein  feftlic^e§  ^oc^jeit^ma^l  gehalten,  rooju  i^m  ber  Sftat  ben 
3EBein,  ber  Äurfürft  ben  traten,  bie  Unioerfttät  einen  ftlbernen 
©ec^er  nere^rt  ^atte.  S)er  Äarbinalerjbifc^of  fc^idtc  ein  reidjeig 
|)oc^jeit§gef^ent,  ba§  grau  Äät^e,  roiberroillig,  jurürfgeben  mu^te! 
3)abei  mag  auc^  ber  übliche  feierliche  Äir^gang  ftattgefunben 
^aben. 

aSerleumbungen  fc^limmfter  2lrt  regnete  e§. 

®§  foc^t  Sut^er  nic^t  an,  unb  fie  nerftummten  auc^  balb, 
ate  man  il^re  ®runblofigteit  anfa^.  Slber  auc^  9Jlelanc^t^on  mar 
nic^t  einoerftanben  mit  biefem  ©c^ritt,  burc^  ben  feiner  5Wcinung 
nac^  ber  gro^e  ÜWann  oon  feiner  ^ö^e  ^erabgeftiegen  mar,  unb 
lie§  feinem  ®roll  in  einem  re^t  ge^äffigen  ocrtrauten  öriefe 
freien  Sauf,  beffen  aut^entif^en  2:eft  mir  erft  feit  30  ^a^ren 
tennen^).  ®r  ^at  fic^  balb  gefunben,  ift  bann  Sut^crö  treuer 
^auSfreunb  gemorben  unb  ^at  fpäter  auc^  aufopfemb  für  Sut^ers; 
SBitme  geforgt. 

3Man  tann  ßut^cr^  ®^e  oergleic^cn  mit  fürftlii^en  ©tanbe^« 

1)  93gl.  6eö,  ^^ilipp  3JleIan(^t^on  unb  bie  bcutfi^c  ülcformation  bis 
1531.    (Sc^r.  bcg  93crcin§  für  <Heform.*®efc^.  9fh:.  56  @.  121. 


164  Seil:  Sut^er  im  f)&u§ltc^en  2thtn, 

c^cn,  bic  jum  größten  2:eil  au§  ^flic^t  gcfc^Ioffcn  loerben.  2lbcr 
bic  Siebe,  ^erjlic^e  Siebe  tarn  nai) !  3ll§  93erüei§  bafür  l^aben 
loir  Sutl^erg  93ricfe  an  SBcib  unb  Äinber  neben  einer  güBe  oon 
3eugniffen  feiner  ja^lreic^en  ^au§*  unb  2:iic^9enoffen.  Sxüti 
^arte  ^öpfe  waren  jufammengelommen,  bie  jtd)  ineinanber  fc^iden 
lernen  mußten.  @o  fagt  Sut^er  au§  eigner  ©rfa^rung  non  ben 
SBeibem :  „Ob  fie  gleich  juroeilen  fc^nurren  unb  murren, 
ba§  mu§  nic^t  fc^aben;  e§  ge^et  in  ber  @^e  nic^t  aHjeit  f^nur^^ 
gleich  iVL,  ift  ein  jufällig  2)ing,  be§  mu§  man  fi^  ergeben.  2lbam 
unb  @oa  werben  fid)  gar  roeiblic^  bie  neunl^unbert  ^ai)x  jer= 
fc^olten  böben  unb  @oa  jum  Slbam  gefagt  ^aben :  „®u  ^aft  ben 
3lpfel  gefreffen".  ^inmieberum  roirb  aibam  geantmortet  ^aben: 
„aSarum  ^aft  bu  mir  i^n  gegeben" !  Unb  er  fanb  au^  „ba| 
bie  aCBeibfen  gemeiniglich  alle  bie  Kunft  tonnen,  ba§  fie  mit 
SBeinen,  Sügen,  ©inreben  einen  SJlann  gefangen  nehmen".  ®em 
42jä^rigen  Öw«99cfcllen  mußten  loo^l  nid^t  blofe  Sloftergemo^n* 
l^eiten  abgewöhnt  werben,  unb  ber  mirtfc^aftli^en,  jufammen^aU 
tenben  5^au  ^at  e§  oft  äiränen  gefoftet,  wenn  ber  forglofe  ®otte 
bi§  auf  bie  ^atengcf^ente  ber  Rinber  unb  bie  wenigen  Äleino^ 
bien  alle§  wertooUe,  wa^  er  Ijatte,  oerfc^entte !  3)enn  Sutl^cr  l^atte 
au^er  freier  SBo^nung  unb  feinem  ?ßrofefforenge^alt  oon  200 
©ulben  nur  100  ©ulben  ©Bulben  unb  auger  fürftli^en  ®e« 
f^enlen  nur  wenige  fonftige  ®inna^men,  benn  Honorar  für  SJor« 
lefungen  unb  93ä^er  nat|m  er  grunbfä^lic^  nic^t.  Sro^bem 
brachte  bie  Jrau  e§  fertig,  burd)  raftlofe  Sätigfeit,  burc^  boS 
|)alten  oon  ^enftonären  unb  Roftgängern  in  teilweifc  fe^r  bunter 
Steige,  ein  Sanbgütd)en  ^erau^jufparen,  ba§  §au§  woljntic^  um* 
jugeftalten,  ©arten  ju  erwerben  unb  ben  großen  Slnfprüc^en  beö 
9Kanne§  an  i^re  ®aftfreunbfd)aft  ju  genügen.  2ln  gamilienfeften 
unb  fonftigen  ©ebenttagen  wollte  er  au^  etwa§  braufge^en  fe^en. 
„3)arf  unfer  $err  @ott  gute  groge  ^ec^te,  auc^  guten  Si^einwein 
fc^affen,  fo  barf  ic^  fie  wol)l  au^  effen  unb  trinfen".  2ll§  ouc^ 
bie  Sinber  tarnen,  ba  war  fein  gutc§  ©ewiffen  im  ©^eftanb  ool* 
lenb§  beftärtt:  „3Benn  biefe  brei  ©tüd  im  @^eftanb  bleiben,  nanu 
Sreue  unb  ©lauben,  Sinber  unb  Seibeöfrü^te  unb  ©atramcnt, 
bafe  man^  für  ein  heilig  2)ing  unb  göttlidjen  ©tanb  ^atte,  fo  ifti^ 


@  c  n :  2utf)tx  im  ^äuSIic^cn  2^btn.  165 

gar  ein  feligcr  ©tanb".  ©c^§  Äinber  ^at  feine  grau  Sut^cr 
geboren,  brei  $aare,  oon  benen  ein  üJläbc^en  frü^.  Senden,  ein 
ganj  befonberer  Siebling  be§  9Sater§,  fo  genannt  na^  9Jlu^me 
Sene,  aud^  einer  entflogenen  9lonne,  im  breije^nten  Qa^x  gar 
gottfelig  geftorben  ift.  Qn  unb  mit  feinen  Sinbern  ift  Sut^er 
roieber  jung  geworben.  @r  liebte  fie  auf§  järtli^fte.  3luf  allen 
SReifen  benft  er  i^rer,  forgt  barum,  i^nen  etmag  mitjubringen. 
3n  allen  unfern  ©c^ulbüd^ern  pnbet  fic^  ber  ©rief  ßut^er§  an 
fein  ©öt)n(^en  ^an^,  ben  er  oon  ber  ?5^fte  Coburg  au§  im  ^al^r 
1530  f^rieb,  roie  er  i^m  unb  feinen  fleinen  g^eunben  Sip§  unb 
Qo%  ben  ©ö^ncn  non  aWelanc^t^on  unb  3»ona§,  unterm  Silbe 
be§  aUerfc^önften  ®arten§  baS  ^ßarabie§  oerf priest.  9ludö  au§ 
ben  ja^treid^en  93riefen  an  feinen  lieben  „^errn  ÄctV  an  feinen 
„dominus  Ketha",  bie  „aUer^eiligfle  grau  3)o!torin"  ^ebe  id) 
nur  bie  legten  üor  feinem  ®nbe  gefc^riebenen  ^erau§,  meil  fte 
jeigen,  in  welchem  Jon  ber  alte  2)oftor  mit  feiner  grau  nerfe^rte, 
wie  er  fprubelt  oon  grömmigfeit,  tiefftem  ©ruft,  .^umor,  ©elbft« 
ironie  unb  gemeinnü^igem  3)enfen.  9tebenbei  lernt  man  ba 
and)  i^ren  beiberfeitigen  2lntifemiti§mu§  tennen. 

9Son  ©iSleben  auf  feiner  legten  Steife  fc^reibt  Sutl^er  am 
1.  gebruar  1546  feiner  „^erjli^en  $au§frauen,  Äat^arin  ßu« 
t^erin,  ®oftorin,  3ul§borferin,  ©äumärtterin  unb  n)a§  fie  fein 
tann  '). 

®nabe  unb  griebe  in  S^rifto,  unb  meine  alte  arme  ßiebe 
unb  mie  ic^  meife,  unträftige  juoorn.  Siebe  Äät^e!  Q6)  bin  ja 
fd^ma^  (b.  i.  franf)  gemeft  auf  bem  Söege  ^art  oor  ©i^leben,  ba§ 
mar  meine  ©c^ulb.  3lber  menn  bu  märeft  ba  geroefen,  f o  ^ätteft  bu 
gefagt,  e§  märe  ber  ;3uben  ober  i^re§  ©otte^  S^ulb  gemeft.  3)enn 
n)ir  mußten  burd^  ein  3)orf  ^art  üor  ®i§leben,  ba  oiel  ^uben 
inne  mo^nten;  oielleic^t  l^aben  fie  mic^  fo  tiart  angeblafen.  ©o 
ftnb  ^ie  in  ber  ©tabt  ®i§teben  itjt  biefe  ©tunbe  über  50  Quben 
mo^n^aftig.  Unb  roa^r  ift§,  ba  idö  bei  bem  ®orf  mar,  ging  mir 
ein  fol^  tatter  SBinb  hinten  im  äBagen  auf  meinen  Ropf  burd}§ 
93aret,  al§  mollt  mir§  ba^  §irn   ju  ®i§   mad)en.     ©olc^g   mag 


1)  5)ic  SBorte  in  ber  gcöenroärtigen  Sautgcftalt  roicbergegcbcn. 


166  (Seil:  Cutter  im  ^duSlic^en  Seben. 

nun  }um  ©c^roinbct  etmag  l^abcn  geholfen;  aber  i^t  bin  ic^ 
©Ott  Sob  woijl  gefc^ictt,  aufgenommen,  ba§  bie  fc^önen  grauen 
mic^  fo  ^art  anfechten,  ba&  ic^  roeber  ©orge  noc^  5"^c^t  ^^be 
oor  aller  Unteuf^^eit  *).  Söenn  bie  ^auptfac^en  gefc^lic^tet  mären, 
fo  muß  id^  mi^  bran  legen,  bie  Quben  ju  vertreiben.  ®raf 
2llbrec^t  ift  ibnen  feinb  unb  ^at  fte  f(^on  ?ßrei§  gegeben,  aber 
Stiemanb  t^ut  i^nen  noc^  nic^t§.  SBiUS  ©ott,  ic^  mitl  auf  ber 
Sanjel  ®raf  Sltbredjt  Reifen  unb  fie  au^  ?ßreiS  geben"  u.  f.  m. 

2lm  6.  gßbruax  fc^reibt  er  „ber  tiefgete^rten  grau  Äatl^erin 
fiut^erin,  meiner  gnäbigen  §au§frauen. 

®nab  unb  grieb.  Siebe  Kät^e!  SGBir  ft^en  l^ie  unb  laffen 
un§  martern  unb  märe  mo^I  gern  baoon;  aber  e§  tann  noc^ 
nic^t  fein  al§  mid)  büntt,  in  a^t  2:agen.  üJlagifter  ^^ilipps^^) 
magft  bu  fagen,  baß  er  feine  ^oftilla  corrigire;  benn  er  ^at  nic^t 
oerftanben  marum  ber  ^err  im  ®oangetio  bie  SWeic^tümer  ®ornen 
nennt,  •^ie  ift  bie  ©^ule,  ba  man  folc^§  oerftel^en  lernet.  2lber 
mir  grauet,  baß  aUemege  in  ber  ^eil.  ©c^rift  ben  2)ornen  baS 
geuer  gebräuet  mirb,  barum  i^  befto  größer  ®ebulb  l^abe,  ob 
i^  mit  ®otte§  ^ülfe  möchte  etmaS  @ut§  ausrichten.  3)eine 
©ö^nd^en  fmb  nod^  ju  üJlanSfelb.  ©onft  l^aben  ju  freffen  unb 
faufen  genügt)  unb  l^ätten  gute  Sage,  menn§  ber  oerbrießtic^e 
^anbel  t^ät  (litte?).  Wo)  büntt,  ber  Teufel  fpotte  unfer,  ®ott 
foH  i^n  mieber  fpotten,  2lmen.    33ittet  für  un§". 

2ag§  barauf  ^eißt  e§,  in  2lntmort  auf  einen  forglic^en  93rief 
„meiner  lieben  ^auSfrauen  Äatl^erin  Sut^erin,  3)ottorin,  ©elbft* 
martgrin  ju  SBittenberg,  meiner  gnäbigen  grauen  ju  |)anben 
unb  güßen. 

®nab  unb  grieb  im  Ferren.  Sie§  bu  liebe  Äät^e  ben  ^o^ 
^annem  unb  ben  fleinen  Sated^iSmum  baoon  bu  ju  bem  9Wat 
fageteft:  ®S  ift  boc^  alte§  in  bem  53ud)  oon  mir  gefagt.  3)enn 
bu  miUft  forgen  für  beinen  ®ott,  grab  al§  märe  er  nic^t  all» 
mächtig,  ber  ba  fönnte    je^n  2)octor  3Martinu§  fc^affen,  fo  ber 

1)  ^ic  ^amcn  waren  alfo  nic^t  l^übfc^. 

2)  a;icland)t]^on. 

3)  Offenbare  ^Infpielung  auf  2uc.  21,  34,  um  bag  33erfuc^crtfc^e  ber 
Situation  an^ubeuten. 


@  e  ( ( :  Sut^et  im  ^äuSU^en  Seben.  167 

einige  alte  erföffe  in  ber  ^aak  ober  im  Dfentoi^  ober  auf  SBolfS 
aSogel^eerb  ^).  Sa§  mic^  im  JJrieben  mit  beiner  ©orge,  ic^  l^ab 
einen  befferen  ©orger,  benn  bu  unb  alle  Sngel  finb.  3)er  liegt 
in  ber  Ärippen  unb  Ränget  an  einer  ^^ungfrauen  S^^^^ ;  ober 
jit^et  glei^mo^l  jur  regten  ^anb  ®otte§,  be§  allmächtigen  SßaterS. 
9)arum  fei  in  ^rieben.  3lmen. 

^ä)  benfe,  ba§  bie  ^ölle  unb  gange  SBett  muffe  i^t  tebig 
fein  oon  aOen  Teufeln,  bie  oieQei^t  alle  um  meinetmillen  ^ie  ju 
(Si^leben  jufammen  lommcn  finb,  fo  feft  unb  ^art  ftel^et  bie 
iSac^e*).  ©0  ftnb  au^  l^ie  ^uben  bei  funffjig  in  einem  ^aufe, 
mie  ic^  bir  juoor  gefc^rieben  .  .  .  S3etet ,  betet ,  betet  unb  ^elft 
un§,  ba§  roir§  gut  ma^en.  2)enn  ic^  ^eute  im  SBitlen  ^atte  ben 
SBagen  gu  formieren  in  ira  mea:  aber  ber  Jammer  fo  mir  oor 
fiel  meine§  58aterlanb§  ^at  mic^  gehalten,  ^i)  bin  nu  au^  ein 
^[urift  morben.  3lber  e§  mirb  i^ncn  ni^t  gebei^cn.  @§  märe 
beffer,  fie  liegen  mi^  einen  ä^^eologcu  bleiben,  ^omme  ic^  unter 
fie,  fo  i^  leben  foU,  id)  möchte  ein  ?ßoltergeift  werben,  ber  i^ren 
©tolj  burc^  @otte§  ®nabe  ^emmen  möchte,  ©ie  ftellen  ftc^,  al§ 
mären  fie  ®ott,  baoon  möchten  fie  roo^l  unb  billig  bei  3^^^  öb^ 
treten,  el^e  benn  i^r  ©ott^eit  jur  2^eufel^eit  mürbe,  mie  Sucifer 
gefc^a^,  ber  auc^  im  ^immel  oor  ^offart  nid^t  bleiben  tonnte. 
SBo^lan  ®otte§  SBiUe  gefc^e^e .  .  .  SBir  leben  l^ie  mo^l  unb  ber 
SHat  fc^entt  mir  ju  jcgli^er  üJla^ljeit  ein  ^alb  ©tübigen  SR^einfall^), 
ber  ift  fcl^r  gut.  3wmeilcn  trint  i^§  mit  meinen  ©efeöen.  ©o  ift 
ber  Sanbmein  l^ie  gut  unb  naumburgifc^  ©ier  fe^r  gut,  ol^ne  bag 
mi^  bünft,  e§  machet  mir  bie  33ruft  ooll  phlegmate  mit  feinem 
^ec^.  3)er  äieufel  t|at  un§  baö  ©ier  in  aller  SBelt  mit  $c^  oer* 
berbet,  unb  bei  euc^  ben  SBein  mit  ©c^mefel.  3lber  ^ie  ift  ber 
SDSein  rein,  o^ne  ma§  be§  Sanbeg  2lrt  gibt". 

®cr  jmeitle^te  feiner  Briefe  an  bie  5^au  oom  10.  gebruar 
1546  lautet:  „®nab  unb  g^ieb  in  ®^rifto.  SlHerl^eiligfte  grau 
®oltorin !    SGBir  bauten  eu^  gar  freunblic^  für  eure  groge  ©orge, 

1}  Söolf  ©icbcr^cr,  fiut^erg  g-attotum,  l^iclt  fic^  fel^r  au  8utl)erg  Um 
Sufricbcn^cit  einen  ^ogcll^erb. 

2)  %xt  Söcrgteic^goer^anblungcn  3n)ifcf)en  ben  trafen  oon  2Wan§feIb. 

3)  ©troa  ein  Öiter  eincä  ©c^aff^aufener  3Bcinc8. 

Seitf(^ft  für  Ideologie  unb  Kirche.  16.  Sa^rg.,  a.  ^eft.  12 


168  «Seil:  Sut^cr  im  ^äuSli^cn  ßcben. 

bafür  i^r  nic^t  fc^Iafcn  fonnt;  benn  fmt  bcr  3^'*  i^^  oor  unS 
gcforgct  l^abt,  roottt  un§  ba§  geuer  ocrjc^rt  f)ahtn  in  unfercr 
SBo^nuug  ^art  cor  meiner  ©tubentür;  unb  gcftern  o^n  3«>^'M 
au§  Kraft  eurer  ©orge,  ^at  un§  f^ier  ein  ©tein  auf  ben  Äopf 
gefaßen  unb  jerquetfc^t,  n)ie  ein  9Wäu§faIlen.  3)ann  e§  in  un^ 
ferem  ^eimlic^en  ®ema^  xDoi)l  jroeen  Slagen  über  unferem  Kopf 
riefelt  Kalf  unb  Seimen,  bi§  mir  Seute  baju  nahmen,  bie  ben 
Stein  anrül^rten  mit  jmei  gingern,  ba  fiel  er  ^erab  fo  gro§  al§ 
ein  lang  Riffen  unb  jmeier  großen  ^anb  breit,  ber  l^atte  im  ©inn 
eurer  ^eiligen  ©orge  ju  bauten,  roo  bie  lieben  ^eiligen  ©nget 
ni^t  gehütet  Ratten.  Qä)  forge,  fo  bu  nid^t  auf^öreft  ju  forgen, 
e§  möchte  un§  jule^t  bie  ©rben  oerfd)lingen,  unb  alle  ©lement 
oerf olgen.  Sernteft  bu  atf o  ben  Äatec^i§mum  unb  ben  Olauben  ? 
93etc  bu  unb  la§  Oott  forgen,  e§  ^ci^t :  äBirf  bein  9lnliegen  auf 
ben  ^erm,  ber  forget  für  bi^  ^falm  55  unb  oiel  mel^r  Orten. 
SBir  fmb  gotttob  frifc^  unb  gefunb  o^ne  ba^  un§  bie  ©ac^en 
Unluft  ma^en  unb  2).  3»ona§  mollt  gern  ein  böfen  ©c^enfel 
l^aben,  bo§  er  fid^  an  einem  Saben  o^ngefä^r  geflogen :  fo  grog 
ift  ber  9leib  in  Seuten,  ba§  er  mir  ni^t  moOit  gönnen  allein 
einen  böfen  ©d^enfel  ju  ^abeu.  ^iemit  ®ott  befohlen.  SBir 
rooUten  nu  faft  gerne  lo§  fein  unb  ^eimfa^ren  menn§  ®ott  mollt 
2lmen,  3lmen,  Slmen.    @uer  ^eiligen  roiUiger  2)iener  3M.  2." 

n. 

fragen  mir  nun  nac^  ber  ©efamtmirfung,  bie  ber  ß^eftanb 
unb  ba§  ^äu^li^e  Seben  auf  Sut^er  ausgeübt  l^aben,  fo  pnbet 
fi^  junäc^ft,  ba§  fie  i^n  um  nic^t§  meriiger  ftreitbar  unb  lampf^ 
bereit,  um  ni^t§  weniger  ungeneigt  gu  Kompromiffen  unb  9iac^^ 
giebigteiten  in  politifc^en  unb  tirc^enpolitifc^en  Singen  gemacht 
^aben.  3«^^^  1*^9*  ^^^  ©treit  mit  ^apft  unb  Klerifei  nun  im 
roefentlic^en  hinter  il^m,  ober  im  Slbenbma^tsftreit,  ber  nun  be* 
ginnt,  in  ben  Kämpfen  mit  man^ertei  „©c^marmgeiftern",  mie 
er  fie  nannte,  unb  mit  t^eologifd^en  ©egnern,  fütirt  er  biefelbe 
fd)arfe  Klinge,  abmec^felnb  mit  einem  berben  Knüttel  ober  fogar 
ber  9iarrenpritfcl)e,  in  ber  politifc^en  Seben^frage  be§  beutfc^en 
^roteftanti§mu§  feit  1529 :  Ob  e§  ben  3ln^ängern   beö  ©oonge- 


©eil:  Sut^er  im  ^duglic^en  2thtn.  169 

Iium§  erlaubt  fei,  bafür  ju  ben  SDBaffen  ju  g^^if^^/  ^^t  ^^  "^*> 
gerabe  in  ber  angftooßfteu  gefa^rtid^ften  Qtit  fteif  unb  feft  auf 
ben  Sa§  gehalten,  ba|  man  fi^  ni^t  wehren  bilrf e,  f onbem 
aQeg  über  ftd^  ergeben  laffen  muffe,  ba  ba^  @oangeIium  nur 
burd^  bai^  9Bort  verbreitet  merben  foQe,  ni^t  burd^  ®emalt  unb 
ba|  e§  bemä^rt  werben  muffe  in  Äreuj  unb  Seiben.  SJiid^t  ber 
äußere  (grfolg  ift  ber  83en)ei^  bafür,  ba§  @ott  mit  un§  ift,  fon» 
bem  oielmel^r  bie  Sle^nlic^feit  be^  @]^riften(eben$  mit  bem  ^reuj 
unb  ben  SBerfotgungen  be§  ^errn  unb  feiner  Slpoftel.  Unb  menn 
bie  bunfetn  ©tunben  ber  2lnfed^tung  über  ben  ftarten  SKann  fa* 
men :  mir  roiffen  nic^t,  mie  meit  fxe  bcbingt  waren  burc^  törper^^ 
tid^e  fieiben,  bie  ©tunben  ber  ©c^mermut  unb  ber  9Serjroeiflung 
bi^  jur  33erou|tIofigfcit,  ba  ^at  er  bei  treuen  5^^^^^^^^  2:roft 
unb  9{at  gefuc^t  unb  gefunben.  ^reilid^  gerabe  ba  ^at  ftc^  $rau 
Äätt)e  —  einmal  mar  fie  i^rer  (gntbinbung  na^e  —  ^errlic^  ge* 
galten  unb  i^n  aufgerichtet,  ba  er  um  ftc  unb  bie  Äinber  forgte : 
„ÜKein  Hebfter  ^err  2)ottor,  ift§  ©otteS  SBiße,  fo  miß  ic^  euc^ 
lieber  bei  unferm  ^errgott  miffen,  bcnn  bei  mir.  @§  ift  nic^t 
allein  um  mic^  unb  mein  Äinb,  fonbem  um  oict  S^riftcnleute 
JU  tun,  bie  eurer  no^  bebürfen,  moltet  euc^  meiner^alben  nic^t 
befümmem.  Qc^  befehle  eu^  feinem  göttli^en  SBilten.  @§  mirb 
©Ott  ermatten". 

3)ie  6^e  ^at  Sut^er  nid|t  ja^m  unb  nic^t  träge  gemalt.  SBiel^ 
leidet  aber  genu|füc^tiger?  ®§  ift  au^  in  weitere  Äreife  gebrungen 
bie  Öe^auptung  ®enifle§,  fintier  ^abe  ftd)  gern  im  ^äuSlic^en  Äreife 
betrunfen.  3)afür  l^at  S)cniflc  al^  fc^lagenbcn  93eroei§  einen  83rief 
2ut^cr§  oom  ^ai)xt  1535  an  ben  aWanSfelbifc^en  Äanjler  SKülter 
(alfo  au§  feinem  52.  Qa\)x)  angeführt,  ben  er  offenbar  in  3cd^c^* 
laune  gefc^rieben  ^aben  foK,  worauf  bie  ©rwä^nung  beg  guten 
93iere§  ^inbeutcn  foH,  unb  ber  breifac^  unterjei^net  ift:  3)oftor 
aWartinu^,  2)r.  fintier,  a)r.  ptcnu§,  „ber  oolle  3)oItor".  9tun, 
man  ^at  baS  in  Sftom  bcfinblid^c  Original  be§  93riefeö  neuerbing^ 
unterfud^t  unb  p^otograp^iert.  @§  ift  fet)r  flüd^tig  gefc^rieben. 
®a§  „gute  83ier"  gehört  ju  einer  ©tubentcnreben§art  —  benn  oon 
ber  Unterftü^ung  jweier  ÜKan§felbifc^en  ©tubenten  in  SBittenberg 
l^anbelt  er,  unb  bie  breifac^e  Untcrfd^rift  ßut^er§  erftärt  ft^  au§ 

12* 


170  @  c  H :  Sutl^cr  hn  ^duSIic^cn  Scbcn. 

ber  SRanbfc^rift  Sut^crg,  ba§  Sut^erS  grau  „^crr  Sät^e"  unb 
^an§  Sut^er,  ba§  ^atcnfinb  bc3  ^Briefempfängers,  il^n  grüben 
taffen.  Sie  lautet  nämlic^  roic  ba§  Original  jeigt  „®r.  9Kartinu§" 
—  ba§  ift  er,  ^S)r.  Sut^cr"  —  bamit  ift  „^crr  Kät^e"  gemeint, 
unb  ,,®r.  ^ang",  baS  bamal§  neunjährige  ^änSc^en  Sut^er. 

3[n  ben  83riefen  an  bie  grau  ift  öftere  oon  @ffen  unb  Xrinlen 
bie  SRebe  —  nun  roer  fc^riebe  berortigeS  nid^t  nad)  ^oufe  ?  Unb 
Sut^er  ^at  olö  alter  ÜWann  jungen  ©efetten  bie  SWoligfeit  em* 
pfo^Ien,  oon  ftd^  fetber  aber  in  goDen  ber  ©^(afloftgfcit  befannt 
„mir  alten  Seute  muffen  unfere  ^olfter  unb  Riffen  im  Äännlein 
fu^en".  2lber  roer  alle  ä^ws^iff^  überf d^aut ,  mu|  urteilen,  ba| 
e§  mit  Sut^cr  aud^  im  ®ffen  unb  Xrinfen  ni^t  anber§  ift,  mie 
mit  ^iSmardf.  Unb  biefe  ftarfen  SWenf^en,  biefe  Oeroaltmcnfc^en, 
ftnb  jur  potlen  Entfaltung  aller  i^rer  ©eifteS«  unb  OemütSgaben, 
au^er  in  ben  2lugenblidten  meltgefc^ic^tli^er  ©ntfd^eibung,  am 
öfteften  gefommen  im  gefeHigen  Greife,  in  2:ifd^gefprä^en  unb  in 
ben  ©tunben  fc^einbar  ^armlofen  Umgang^  mit  ber  9latur.  Unb 
biefe  Entfaltung  oerbantcn  fie  i^rer  ^äuölic^Ieit.  2llle  bie  intimften 
Slufjeic^nungen  über  Sutl^erS  SDBefen  unb  ^äu§lic^e§  Scben  mir 
fd^ulben  feinen  3;if^gäften.  greilic^  ^at  jum  minbeften  Einer 
bicfcr  Ontcroiemer  Sut^erö  aBortc  oielfac^  inS  üiol^c  vergröbert. 
Unb  fte  am  beften  }eigen  unS  mit  ber  güQe  pon  3lu§fprüd^en  über 
®rö§te§  unb  ÄleinfteS,  ein  wie  reid^e§  tinblic^cS  ®emüt,  meld^ 
tiefen  QueD  oon  ^umor  unb  ^oefte  fintier  in  ber  ©eele  trug. 
SDBag  er  ba  über  ^äume  unb  Sßögel  unb  ^ünblein,  über  Sinber 
unb  Äinberjud^t,  ebcnfo  mie  über  ber  SEBelt  Sauf,  über  ^olitif  unb 
S^eologie  geplaubert  ^at  —  ba§  fte^t  ebenbürtig  neben  bem,  maS 
un§  oon  ®oct^e  unb  oon  93i§mardt  aui^  d^nli^em  2lnla§  mitge* 
teilt  mirb,  unb  e§  ru^t  in  feinem  legten  ©runbe  auf  ber  gleid^en 
aSorauSfetiung. 

^n  Einem  ift  fiut^er  ben  bciben  anbern  überlegen,  afe  au§« 
übenber  ajlufiter.  SBaren  genug  gute  ©efeHen  oor^anben  unb  mar 
er  um  baS  Evangelium  in  ©orge,  ba  mu^te  mel^rftimmig  gefungen 
merben,  oft  uiele  ©tunben  lang.  S)ie  brei  großen  SWänner  waren 
am  allergrößten  ba,  mo  fte  jebe§  äußeren  @lanje§  entfleibet,  fic^ 
am  fc^li^teften  unb  natürli^ften  geben  tonnten,  im  Slaume  ber 


©eil:  Qut^er  im  ^ftuiSUc^en  Seben.  171 

allc§  Uneblc  unb  @cmcinirbif^e  auöfc^Iic^enbcn  unb  ba§  9iatfir« 
li^e  burc^  ben  älbel  be^  ©emütö  unb  be§  ©eifteS  oertlärenben 
^äu^Uc^fcit.  3)a§  eigene  ^au§,  bcr  eigene  $erb  waren  t^nen  bcr 
ftc^erc  Stanbort,  roo  il^re  @eete  im  ©teid^geroid^t  aü^x  SeibeS*  unb 
©cifte^fräfte  ftc^  Knigtid^  ber  ganjen  SQSelt  gegenüber  ju  behaupten 
n)u|te,  nid^t  um  über  fie  ju  ]^errfd)en,  fonbern  um  i^r  ju  bienen. 

®§  tft  nur  oon  einer  befriebetcn  unb  beglttdften  ^äu§lic^fcit 
au§  möglich  geroefcn,  mit  einer  fo  tiefen  f^roärmerifd^en  ©e^n* 
fu^t  ^ineinjuroanbern  in  ben  tiefen  ©a^fenroatb,  roo  man  nur 
ben  ©ped^t  jammern  ^ört,  mie  93i§mard!  tat,  in  ben  93lumen*  unb 
aSogelgarten ,  mie  Sut^er,  ber  ba  auf  bem  Bw^^igc  fM^  ^erren 
®octore§"  beobachtet,  bie  juf rieben  auf  i^rem  ß^^^ifll^i"  Pö^"/ 
®ott  für  fic^  forgen  taffen,  mit  gellen  9Iugen  roie  Heine  ©tcme 
in  bie  f^erne  btidfen,  unb  burd^  eine  ganje  ©tunbenlänge  ^inbur^ 
eine  fliege  erfpä^en  —  ober  roie  ®oct^e,  ber  glüdffeüg  an  feinem 
©artenfenfter  ftel^t  unb  bei  untergel^enber  ©onne  bie  görbenp^äno* 
mene  betrautet. 

@§  tft  nic^t  eine  oergrö&erte  (Sinjelleiftung,  noc^  eine  neue 
©eifte^*  unb  ©emüt§entroi(flung,  bie  ber  längft  fertige  Sutl^er  feiner 
^äuSlic^feit  oerbantte,  fonbern  bie  2lu§runbung  unb  2lu§reife  feinet 
ganjen  feurigen  3Befen§  gur  ooUen,  fixeren,  geiftbe^errfc^ten, 
männlichen  SJiatürli^Ieit.  3)icfe  ÜKänntic^feit  befte^t  aud^  barin, 
ba^  nun  ber  un§  oon  ©ott  anerfd^affenen  ftnnli^cn  SJiatur  i^r 
Siecht  rourbe.  fintier  ^atte  offenbar  unter  ben  Slnfed^tungen,  bie 
eine  roibernatürlic^e  2l^Icfe  mit  ftc^  bringt,  weniger  ju  leiben  ge* 
^abt,  aU  oiele  Orben§^  unb  ©tanbe^genojfen,  um  fo  inniger  fonnte 
er  bie  fpäte  33efreiung  oon  jebem  3^ö"9  l>cifört  mit  ben  ©aben 
ber  ©atteu''  unb  Äinbe^Uebe,  bie  fte  i^m  brachte,  aU  ein  gött= 
lic^e^  ©nabcngefc^enl  anertenncn,  unb  ben  S^eftanb  at§  „einen 
^eiligen  Orben"  feiern,  b.  ^.  aU  ben  ©tanb,  ben  ©ott  felbft  an 
bie  ©tcfle  bc§  ^Iofterteben§  treten  laffen  roiH. 

3in  bem,  roa§  er  erlebte  unb  nad^  i^m  2;aufenbe  unb  SJliCionen, 
ba  fptegeft  fic^  aber,  unb  ba§  roäre  ba§  le^te,  roa§  ^ier  au^ju« 
fütiren  ift,  ber  ©ang  roieber,  ben  bie  ©ef^ic^te  unfrer  üieligion 
überhaupt  genommen  ^at. 

Q[n  3icfw§  ift  ba§  ©oangelium  SWenfc^  geworben,  bie  gna= 


172  @  c  H :  fiut^cr  im  ^äuSIic^en  Scbcn. 

bcnrcic^c  ®ottc§botfd^aft,  über  bcr  in  ben  fiüftcn  ba§  prop^ctifc^c 
©ort  oom  „SRcic^e  ®ottc§'V  oom  „^immclrcid^c"  f^roebt.  3tpoftet 
trugen  e$  in  bie  Sanbe,  unb  al^  ®ott  ba^  kommen  be§  Sieid^eS 
@ottc§  in  bie  SBoIten  ber  SBeltgefc^i^tc  füllte,  ba  ^at  bie  S^riftcn» 
^cit  auf  Srben  mit  mächtigem  Qbealismuö  ftd^  ba§  aflcrumfaffenb* 
ftc  Qkl  geftedft,  maS  gebac^t  werben  fonnte,  ba§  Qitl,  biefe^ 
@otte§reid^  fetber  p  oerroirflid^en  in  einer  internationalen  SflSett^ 
fird^e,  in  einem  Äirc^enrei^.  3)a§  begann  mit  ben  römifc^en 
Saifem,  bie  bag  ®^riftentum  jur  SRei^§reIigion  machten,  e§  gip* 
feite  in  ber  fird^lic^«poIitifd|cn  Ober^errfc^aft  bc§  ?ßapfte§  über 
bie  Söller  be§  9Ibenblanbe§.  Sin  SRei^  mar  bie  Stiftung  ©^rifti 
geworben  mit  einer  SReid^gfprac^e,  einem  SRei^Sred^t,  mit  9ieid^§^ 
fteuern,  mit  ber  umfaffenbften  ©traf^  unb  3">o"9^9cn>ölt,  benn 
fte  öffnete  unb  fc^Io|  fogar  ^immel  unb  ^öUe  —  ein  91  e  i  ^ 
biefer  SBelt.  —  ®agcgen  (e^nte  ftc^  in  bicfer  Äir^e  felber  ber 
nie  erlofc^ene  Oeift  be§  erften  ®t)riftentum§  auf  unb  oerfud^te  roe* 
nigftenS  in  engerem  Rreife  ba§  Soangelium  jur  mirtlid^en  Seben§* 
reget  ju  machen  unb  ein  d^riftli^e§  SJlufterleben  ju  führen  unter 
a3er§id|t  auf  aQe  anbern  irbifc^en  55anbe,  al§  bie  be§  freimiüigen 
®e^orfam§  unter  ein  felbft  gemä^lte§  Oberhaupt  an  ®ottc§  ©tatt. 
3)a§  fxnb  bie  SJlönc^^orben^  unb  mag  fie,  jjeber  in  feiner 
SBeife  barfteüen  rooHen,  ba§  ift  ein  5Kufterbilb  c^riftlic^er  ©cfeC» 
fc^aft!  Qcber  Orben  bilbet  eine  geifttic^e  „g^milie",  in  ber  roenig« 
ften§  fd^einbar  ein  oöHiger  Kommunismus  ^errfc^t,  mo  aßer  9ieib 
unb  ©treit  geftitlt  fc^eint  unb  bie  ©eele  in  felbft  gemä^lter  Sin» 
famfeit  oon  allem  ^Irbif^en  ber  ^immtifdien  2l^nungen  unb  ©c^au- 
ungen  um  fo  froher  roirb.  lieber  alle  Stationen  breiten  fte  ftc^ 
au§,  leine  ©tröme,  5Keerc  unb  ©ebirge  ^inbern  fie.  a)aS  SWönd^« 
tum  be§  9WitteIaIter§  ift  bie  gro^artigfte  ®rfd^einung  eine^  int  er« 
nationalen  c^riftlic^en  ©ojiati§mu§!  2)arum  finb 
feine  großen  gü^rer  fämtlic^  mächtige  ^olititer,  gemaltige  2lgita== 
toren,  gro|e  ^^ilant^ropen  unb  nod^  größere  giwönjgenie^ !  SDBeil 
fie  nic^t§  begel)rcn  oon  ber  SEBelt,  l^errf^en  fte  über  bie  SBelt.  — 
3tlf 0  auc^  fie  motten  ^errfd^en !  SflSicberum  ift  ba§  SReid^  ber  Siebe 
eine  SWac^t,  menn  ani)  nur  eine  fojiate  5Kad^t  geroorben. 

5)a  bri^t  mit  fintier  bie  neue  3  ^  i  *  «  "  für  ba§  ©l^riften* 


@  c  U :  fiut^cr  im  ^äuSIid^cn  Sebcn.  173 

tum.  ©ic  beginnt  mit  einem  furchtbaren  S^f^mmenbrud^.  ®a§ 
Sirc^enreic^  unb  bie  fojialen  SWönc^grepubliten  jeigcn  beim  fiid^tc 
be§  neuteftamcntUc^en  @pangclium§,  ba§  Sutl^cr  ^o^  l^ält,  ber  üon 
©c^red  crftarrten  Saienc^rifien^eit  i^r  mirftic^c^  Slngeftc^t:  man 
fanb  nic^t§  barin  aU  meltlic^c  ^errfc^begier,  SKac^tmiJBbrauc^, 
©eetenoergeroaltigung,  2lu§bcutung  unb  93etrug.  S)ie  |)crrfci^aft§:^ 
gcftalt  ber  Äird^e  in  jcber  3lrt  roirb  al§  ba§  aEBiberfpicI  aüe§  mirt* 
liefen  S^riftentumS  erfannt.  Unb  Sut^er  vermutete,  ba|  bie  SBclt, 
bie  fo  lang  biefe§  3^^^^^^^  ^'"^^  ©otte^reic^^  getragen  ^atte,  bem* 
näc^ft  in  il^rer  oorroiegenben  aJlaffc  jum  Seufel  fahren  werbe. 

3lber  Dörfer  foOte  @ott  auf  @rben  bod^  t>a§  noc^  erleben,  bag 
ba§  ©nangelium  oon  ber  gnabenrci^cn  Siebe  roenigften^  in  einem 
fleincn  Häuflein  jur  Sat  mürbe.  2)er  Krei§,  in  bem  ftc^  mirfli^ 
ein  üiei^  ber  Siebe  aufri^tcn  lä^t,  roo  @otte§  93aterliebc  unb 
5Kuttertreue  unb  ber  tinblici^e  3)ant  froher  ©efc^öpfe  i^r  irbifc^cS 
©egenbilb  finben,  ba§  ift  ba§  §au§.  ^icr  lernt  man  täglich  bie 
©ebote  ber  93ergprcbigt  evfüüen :  ni^t  auf  fein  Siecht  po^en,  aQe§ 
mit  einanber  teilen,  immer  neu  oergebcn,  nic^t  rieten,  nid^t  ücr- 
bammen,  5^icbe  ftiften.  ^ier  aöein  tann  man  auc^  lernen,  mie 
e§  etma  bem  l^immlifc^en  93ater  ju  9Jlut  ift,  wenn  er  auf  feine 
SWenf^enfinber  ^erunterfd^aut.  9lirgenb§  fonft,  al§  im  ^a\i^  unb 
im  S^eftanb  tonnte  an  eine  aScrroirflic^ung  bc§  9ieic^e§  ®otte§ 
gebac^t  werben !  Unb  barum  mit  alt  feinem  Ärcuj  unb  Seiben,  mit 
allem  SJiatürlic^en,  ma§  i^m  ani^aftet,  mar  er  bie  rechte  unb  einjige 
Sorf^ute  bc§  ^immlifc^cn  @nabenleben§,  mar  er  ber  einjige  „^ei= 
lige  @tanb"  für  bie  ©Triften. 

SBclc^  tatfäd^li^e  ®r^öl)ung  be§  meiblic^en  ®ef^lec^t§  l^icrin 
lag  —  ganj  im  ©egenfa^  ju  ber  mittelaltcrli^cn  aSere^rung  ber 
rounberbaren  @otte§muttcr,  benn  bicfc  SJerel^rung  galt  boc^  nid^t 
ber  aWutter,  fonbcrn  ber  «Jungfrau,  fie  galt  nic^t  bem  SBeibe,  \>a^ 
be§  aJlanneS  ©c^ilfin  ift,  fonbern  bem  Sffieib,  ba§  be§  9Jlanne5 
emige§  nie  c  r  r  c  i  c^  t  e  §  ^  b  e  a  l  ift,  fte  galt  einem  2^raum  üon 
„SDBciblic^teit",  ni^t  benen,  bie  unfcre  SWütter,  ©attinnen  unb 
©c^roeftern  fmb  —  ba§  nac^jumcifen  mürbe  ju  meit  führen.  9tod^ 
oiel  meiter  aber  mürbe  bie  bamit  jufammenl)ängenbe  5^'age  führen : 
mot)in  bie  fo  üerfc^iebene  S33ürbigung  beS  Familienleben^  unb  ba* 


172  @  c  U :  fiutl^cr  im  ^öuSIic^en  Scbcn. 

benreic^c  ®ottc§botfd^aft,  über  ber  in  bcn  Süften  ba§  prop^ctifc^c 
©ort  oom  „SReic^c  ®ottc§",  oom  „^immctrcic^c"  f^rocbt.  2lpofteI 
trugen  e§  in  bie  SJanbe,  unb  at§  (Sott  ba§  Sommen  beS  SReid^eg 
@ottc§  in  bie  äBotfen  ber  SBeltgefc^i^te  ^ütttc,  ba  ^at  bie  S^riften* 
l^eit  auf  Srbcn  mit  mächtigem  j^bealismuS  fi^  ba§  aflerumfaffenb^ 
fte  Qitl  geftedft,  roaS  gebac^t  mcrben  fonntc,  ba§  Sxtl,  biefe^ 
®ottc§rci^  fctber  p  ocrmirfUc^en  in  einer  internationalen  JEBcIts 
firc^e,  in  einem  Äird^enrci^.  3)a§  begann  mit  ben  römifc^en 
Saifem,  bie  ba§  ®]^riftentum  jur  Sleic^^retigion  mad^ten,  e§  gip* 
feite  in  ber  Kr^Iid^^politifc^en  Ober^errfc^aft  be§  ?ßapfteS  über 
bie  ajöKer  be§  2lbenblanbe§.  @in  9ieic^  mar  bie  Stiftung  ®^rifti 
geworben  mit  einer  9iei^§fprac^e,  einem  SRei^Sre^t,  mit  9iei(^§= 
ftcuern,  mit  ber  umfaffenbften  ©traf-  unb  3n>ong§gen)alt,  benn 
fte  öffnete  unb  fci^to|  fogar  ^immet  unb  ^öDe  —  ein  91  e  i  ^ 
biefer  SBcIt.  —  2)agegen  lel^nte  fid^  in  biefer  Äird^e  felber  ber 
nie  ertofc^cne  ©eift  bc§  erften  6^riftcntum§  auf  unb  oerfuc^te  me« 
nigftcn§  in  engerem  Greife  ba§  ©oangclium  §ur  mirflici^cn  Seben§* 
reget  ju  machen  unb  ein  d^riftlid|e§  SRufterleben  ju  führen  unter 
93er§i^t  auf  aQe  anbern  irbifc^en  55anbe,  at§  bie  be§  freiroißigen 
®e]^orfam§  unter  ein  felbft  gemä^lteS  Oberhaupt  an  ®otte§  (Statt. 
® a§  ftnb  bie  5Könc^§orben,  unb  ma^  fte,  jeber  in  feiner 
S33eifc  barfteßen  motten,  ba§  ift  ein  aWufterbilb  c^riftlic^cr  ®cfeC* 
fc^aft!  ^eber  Orben  bilbet  eine  geiftlic^e  „g^ntitie",  in  ber  roenig* 
ften§  fc^cinbar  ein  tjötliger  Kommunismus  ^errfc^t,  roo  aller  9leib 
unb  ©treit  geftitlt  fc^eint  unb  bie  Seele  in  felbft  geroä^lter  ®in» 
famfeit  oon  aßem  ^Irbifc^en  ber  ^immlifc^en  2l^nungen  unb  ©c^au* 
ungen  um  fo  frol^er  mirb.  lieber  aße  Stationen  breiten  fte  ftc^ 
aus,  leine  ©tröme,  SWeere  unb  ®ebirge  ^inbcrn  fte.  S)aS  ÜKönd^* 
tum  bcS  SRittclalterS  ift  bie  gro^artigftc  ©rfc^einung  eineS  inter« 
nationalen  c^riftlic^en  ©ojialiSmuS!  2)arum  finb 
feine  groJBen  ^ü^rcr  fämtlid^  mächtige  ^olitifcr,  gewaltige  2lgita== 
toren,  gro^e  ^^ilant^ropen  unb  noc^  größere  ginanjgenieS !  SBcil 
fte  ni^tS  begehren  oon  ber  SEBelt,  l^errfc^en  fte  über  bie  SBelt.  — 
2llf 0  auc^  fie  rooßen  ^errfc^en !  ©ieberum  ift  baS  Sleic^  ber  Siebe 
eine  9Wac^t,  menn  auc^  nur  eine  fojiate  SWac^t  geworben. 

5)a  bri^t  mit  Sut^er  bie  neue  3 ^ i *  an  für  baS  ©l^riftcn:' 


Seil:  Sut^er  im  ^äu^lid^tn  Seben.  173 

tum.  ©ic  beginnt  mit  einem  furd^tbaren  S^fammenbruc^.  ®a§ 
^ir^enrei^  unb  bie  fojialen  SJlönd^^repubUfen  jeigen  beim  fiic^te 
bc§  neutepamentUc^cn  @pangelium§,  ba§  Sutl^er  ^o^  ^ält,  ber  üon 
©c^rcd  erftarrten  fiaienc^riften^eit  i^r  roirtli^ei^  Slngefic^t:  man 
fanb  nid^tg  barin  aU  meltli^e  ^^errf^bcgier,  SWac^tmiJBbraud), 
©eelenoergeroaltigung,  SluSbeutung  unb  93etrug.  ®ie  |)crrf^aft§5 
geftalt  ber  Äird^e  in  jeber  9Irt  mirb  al§  ba§  SBiberfpiet  atle^  roirt* 
liefen  S^riftentumö  ertannt.  Unb  Sut^er  vermutete,  ia^  bie  S33elt, 
bie  fo  lang  biefe§  3^^^^'!^  ^'"^^  ®otte§rcic^$  getragen  ^attc,  bem* 
näd^ft  in  il^rer  üormiegenben  SWaffe  jum  Seufel  fahren  werbe. 

2lber  üor^er  foHte  @ott  auf  Srben  bod^  ta^  nod^  erleben,  ba§ 
ba§  ©nangelium  oon  ber  gnabenreic^en  Siebe  menigften§  in  einem 
fleinen  Häuflein  jur  Sat  murbc.  2)er  Srei§,  in  bem  ftd^  mirtlid) 
ein  9iei^  ber  Siebe  aufrichten  lälst,  mo  ®otte§  93aterliebe  unb 
SMuttertreue  unb  ber  tinblici^e  ®anf  froher  ©efc^öpfe  i^r  irbifc^c§ 
©egenbilb  finben,  ba§  ift  ba^  §au§.  ^ier  lernt  man  täglich  bie 
®ebote  ber  93ergprebigt  erfüllen :  ni^t  auf  fein  Stecht  pochen,  alle§ 
mit  einanber  teilen,  immer  neu  üergebcn,  nic^t  rieten,  nic^t  per* 
bammen,  5^iebe  ftiften.  ^ier  allein  tann  man  auc^  lernen,  mie 
e5  etma  bem  l^immlifc^cn  SSatcr  ju  9Jlut  ift,  wenn  er  auf  feine 
SWenf^enfinber  l^erunterfd^aut.  9iirgenb§  fonft,  al§  im  $au§  unb 
im  S^eftanb  fonnte  an  eine  aSermirtlic^ung  be§  9ieic^e§  ®otte§ 
gebadet  werben !  Unb  barum  mit  aü  feinem  Äreuj  unb  Seiben,  mit 
allem  9tatürlic^en,  roa^  i^m  anhaftet,  mar  er  bie  rechte  unb  einjige 
SBorf^ule  be§  ^immlifd^en  ®nabenlcben§,  mar  er  ber  einjige  „^ei= 
lige  ©tanb"  für  bie  S^riften. 

SDBelc^  tatfäc^lic^e  ®r^öl)ung  be§  meibli^en  ®efc^le^tg  l^ierin 
lög  —  ganj  im  ®egenfa^  ju  ber  mittelalterli^en  93ere^rung  ber 
munberbarcn  ®otte§mutter,  benn  biefe  SJerel^rung  galt  boc^  ni^t 
ber  SWutter,  fonbern  ber  -Jungfrau,  fte  galt  nid^t  bem  SlBeibe,  ba§ 
be§  SWanneS  ®c^ilfin  ift,  fonbern  bem  SBeib,  ba§  be§  9Wanne§ 
emigeg  nie  e  r  r  e  i  c^  t  e  §  3  b  e  a  l  ift,  fte  galt  einem  2:raum  oon 
„933ciblid|feit",  ni^t  benen,  bie  unfere  SKütter,  ®attinnen  unb 
©c^meftcm  finb  —  ba§  na^jumeifen  mürbe  ju  meit  führen.  9toc^ 
üicl  meiter  aber  mürbe  bie  bamit  jufammen^ngcnbe  ^rage  führen : 
mo^in  bie  fo  oerfc^iebene  S33ürbigung  be§  Familienleben^  unb  ba* 


174  8  e  H :  Sutl^er  im  f^&udlid^tn  Seben. 

mit  ber  ©l^e  unb  bc§  SBctbeS  bic  oonoiegenb  tat^olif^cn  Stationen 
im  Unterfc^icb  oon  ben  proteftantifci^en  fü^rt. 

2)enn  nod^  eins;  ift  ju  fagcn:  inbem  Sut^cr  afö  bie  einjige 
©tätte,  in  ber  ein  roirflici^cg  unb  ma^r^aftigcS  S^riftcntum  mög» 
lid^  ift,  ba§  ^au§  mit  Sltcrn,  Sinbcrn  unb  ©efinbc,  mit  guten 
Jreunben  unb  getreuen  9tac^barn  ^infteCte,  ^at  er  ben  Stationen, 
bie  fein  ©oangelium  annahmen,  ben  Jungbrunnen  gejeigt,  aui^ 
bem  fi^  i^re  Slationalität  oeriüngen  fonnte.  Unb  ba§  ift  ge* 
fc^e^en!  S)ie  neue  Äunft  be§  ^roteftanti§mu§,  bie  Äunft  einc§ 
SRembranbt  unb  eine^  ©^atefpearc,  eine§  93ac^  unb  eineö  ^änbel, 
fie  ift  au§  bem  Ältma  be§  ^aufeg  l^eroorgegangen,  au§  einem 
Älima,  in  bem  Slatürlic^ci^  unb  ®ciftigc§,  ©innlic^e§  unb  ©itt* 
lid^eä,  aWann  unb  SBeib  feine  ©egenfätie  fmb,  bie  ftd^  fliegen, 
fonbern  beftimmt,  in  i^rer  Bereinigung  ein  gro|e§  tü^ttge§,  erben* 
frohes  unb  ^immetöfe^nfüc^tigeS  9Wenf(^entum  ju  begrünben.  3Benn 
oielerortcn  e§  ^eute  fo  fc^eint,  ate  ob  ber  le^te  3wf(uci^t§ort  be§ 
®^riftentum5  bie  Äinberftube  geworben  fei,  mit  i^ren  Sinber* 
gebetd^en,  mit  i^ren  Äinberliebem  unb  i^rem  SRärc^en  oom  geflü« 
gelten  S^riftfinbcl^en;  nun,  wenn  e§  fo  ift,  ift  baS  nic^t  bod^  beffer, 
al§  menn  anberroärt§  ber  le^te  3uPu^t§ort  bc§  ®^riftentum§  eine 
internationale  ©efetlfci^aft  oon  ^ageftoljen  ift,  für  bie  noc^  immer 
ber  ©taube  an  ein  3BeItrei^  ber  Jtir^c,  ba§  nie  me^r  möglich 
ift,  roenigften^  eine  einträgliche  politifd^e  ©petulation  bebeutet? 

®§  mar  Sut^erg  aufri^tigcr  ©taube,  ba§  e§  ein  fid^tbarei^ 
„SRei^  ©otte§"  auf  ©rben  nie  geben  werbe.  ®afflr  fei  bie  ©ünbe 
be^  SWenfc^en  ju  gro|.  Slber  „^eilig"  mar  it)m  jebe  ©tätte,  roo 
ber  ©taube  an  biefe^  SJeid^  erblühte,  Zeitig  barum  ba§  §au8  unb 
bie  ®t)e.  aOBir  ^eute  urteilen  oießei^t  nic^t  me^r  fo  pefftmiftifc^. 
S33ir  glauben  unb  ^offen,  ba§  ber  ©eift  be§  ®^riftentum§  nod^ 
ganj  anbcre  unb  neue  ©eftalten  in  ber  SSölfermett  annehmen 
merbe.  SÄber  mir  miffen  e§  nid|t  anberS,  at§  ba|  bie  ©tappen 
auf  biefem  S33egc  nic^t  bie  politifc^c  Slgentur  für  fird^lic^e  3)reffur 
ber  SBBelt  in  9lom,  nid|t  ber  internationale  ©ojiali^mu^  ber  3Wönc^§» 
orben  ift ;  fonbern  allein  ein  oom  ©eifte  ß^rifti  burd^roe^te^  ^a^ 
milienleben  —  ic^  fage  ni^t  „nac^  Sut^er§  93orbilb".  —  SBer  mit 
ben  2lugen  unb  O^ren   einc§   mobernen  9)ienf^en   ft^  in  jene 


@  e  U :  Sut^er  im  ^öu^Hc^ett  2thzn.  175 

redcn^afte  Qtxt  ocrtieft  mit  i^rcu  Sanb§tnc^t§manicren,  mit  it)rer 
grcnjcnlofcn  Ungeniert^cit  unb  ma|Iofcn  ®erbt)cit  auf  allen  Seiten, 
ber  roirb  ftd^  freuen,  irgcnb  etit)a§  bort  at§  no^  l^eutc  muftcr* 
giltig  l^injufteflen,  fofem  eS  ni^t  gerabe  ber  e^te  Sta^flang  be§ 
roieberentbedtten  SpangeliumS  ift.  Slber  Ratten  wir  bcnn  unfcre 
oerebeltc  ^äuSlic^teit,  Ratten  mir  ben  2:raum  oon  einer  jungen 
Siebe,  ben  unfre  ®id^tcr  träumten  oon  S^f^^^^  ^^^  SRüdert  unb 
®eibel,  l^ätten  mir  benn  ®oet^e§  ^ermann  unb  ®orot^ea  unb 
©c^iUerS  ©lode,  l^ätten  mir  bie  ^auSmuftf  oon  Sod^  bi§  auf 
©d^umann  unb  93ro^m§  unb  ^erjogenberg  ot)ne  ßutl^er?  3"9^' 
geben:  ba|  mir  für  unferc  heutige  Äultur  ben  Sut^er  oielleid^t 
nid^t  mel^r  brouc^en.  Slber  o^ne  i^n  märe  boc^  biefe  ganje  Kultur 
ntc^t !  %üx  eineö  aber  merben  mir  i^n  immer  brausen,  ma§  me^r 
ift  ate  aße  Kultur:  für  unfern  ©lauben.  ®arin  ^at  er  fi^  alg 
ben  [Reformator  ber  SRcligion  bemicfen,  ba|  i^m,  mcnn  e^  ft^  um 
ba§  ^öd^fte  ^anbclt,  um  ben  lebenbigen  ®ott,  alle§,  aber  auc^  alle§ 
ba^in  fant.  2)a  marb  in  i^m  ba§  ^falmmort  lebenbig,  ba§  er  fo 
rounberbar  oerbeutfdjt  ^at:  „menn  id^  nur  bic^  ^abe,  fo  frage  ic^ 
nichts  na^  ^immel  unb  ®rbe". 

®5  mar  im  jmeiten  Qa^re  feinet  ®^eteben§,  in  ber  3^it/  ba 
bie  ©c^eitcr^aufcn  für  bie  Sut^eraner  in  SSa^em  unb  Oefterrcic^ 
ju  raud^en  begannen,  ba  bie  ®efat)r  faifcrlid^er  9Serni^tung  ber 
eoangelifc^en  aWädjte  ^eranrüdfte,  ba  in  SBittenberg  bie  ^eft  um* 
ging,  ba  er  oon  tiefer  ©c^mcrmut  befallen  mar,  unb  er  feine  aller* 
ticbfte  Äätl^e  unb  fein  allerliebftc§  ^änölein  fc^luc^jenb  ®ott  befaßt 
„3i^r  l^abet  nidbt§,  ®ott  aber  qui  est  pater  pupillorum  et  judex 
viduarum  mirb  euc^  mo^l  bemal^ren  unb  ernähren"  —  ba  ^at  er 
aug  ber  tiefften  9tot  ^crau§  ba§  Sieb  angefiimmt,  baS  fc^lie^t: 

„fWcl^mcn  fic  ben  8cib 

®ut  @^r,  ^inb  unb  Söcib  — 

2a^  fal)ren  ba^in 

Sit  f)abzn'^  fein  ©eroinn 

%ad  dizid^  mu^  un§  boc^  bleiben." 


176 


§üB  ^n^v^mB  htt  §\btl  in  itt  (Bnimx^lms  itt 

5ßon 
Dr.  S^eobor  ^ärittg, 

^rofeffor  an  bev  Unioerfität  SlObingen. 


2lu§  großer  Qtit  roürttcmbcrgifc^cr  ©cf^ic^tc  ftammt  bcr 
feitbem  mand^mal  roicbcr^oltc  SflSa^lfpru^  :  „verbum  domini  ma- 
net  in  aeternum",  be§  ^^crrn  ©ort  bleibet  in  ©roigfcit  ^).  Unb 
unter  bcn  ©cbenttagen  be§  Ictitcn  ^a^reS  galt  einer  bem  größten 
aSerein,  bcr  bicfem  2Borte  bicnt,  ber  Srttif^en  unb  au^länbifc^en 
SibelgefeQfc^aft;  ^unbert  Qa\)xt  juoor  ivax  in  Sonbon  bei  ®r* 
roägung  bcr  5^öge,  ob  eine  fold^e  ©efeQfc^aft  für  SBBalcg  gegrünbet 
werben  foüc,  ber  bentroürbigc  SRuf  laut  geworben:  wenn  für 
2Bate§,  warum  nic^t  für  bie  SBBelt?  ^n  faft  oierl^unbcrt  ©pra* 
^en  ift  jet^t,  meift  burc^  ben  2)ienft  bicfer  (Sefetlf^aft,  bie  93ibel 
überfe^t ;  über  bie  ^älfte  biefer  SSölfer  l^at  erft  burc^  bie  Sibet^ 
überfe^ung  eine  ©djriftfpra^e  betommen.  Äein  anbereS  93u(^  l^at 
aud)  nur  annä^ernb  eine  ä^nli^e  aSerbreitung  gcfunbcn,  e§  fann 
ber  93ibet  jebenfatl^  um  biefer  SSerbreitung  miHen  ber  Sitel  ®a§ 
a3u^  nic^t  oorent^alten   werben^).    9ioc^  weniger  freili^,  weil 

1)  grejtrebc. 

2)  ©crjog  Ulric^  ftatt  fcinc§  frül^crcn  2öa^Ifpru(^§  »stat  animo". 
©  e  9  b ,  öcrjog  Ulric^  III,  607.  @  a  1 1 1  c  r ,  SBürttcmbcrg  unter  ben  ^cr- 
jogcn  III,  89. 

3)  SBgl.  8.  ®.  bcn  Ulrtücl  »r.  unb  9Iu§r.  »ibclgcf.  in  $aucf8  ^rot. 
SRcalcnc»  II,  691  ff. 


$  ö  r  i  n  0 :  3)a§  SBerftänbni§  bcr  SBibcI.  177 

e§  ba§  in  3«Pi>"*"un9  unb  aOSiberfpru^,  in  §a|  unb  fiiebc  um* 
ftrittenfte  Sud^  ift.  Schrieb  boc^  im  S-ubcIja^r  bcr  britifc^en  93ibel* 
gcfcOfd^aft  ein  englifc^cr  55ifc^of :  ein  93uc^,  für  bic  einen  ju  Zeitig, 
al§  ha^  man  barüber  ftrciten  bürfte;  für  bie  anbern  ein  ^ad 
fiügen,  }u  bcrb,  ate  bag  man  fic  ertragen  fönntc.  UnS  in  ®eutfc^« 
tanb  mag  biefe§  Sntroeber  —  Ober  frember  fein,  fo  geroi^  e§ 
auc^  bei  un§  nic^t  an  blinber  93ere^rung  unb  blinber  Serroerfung 
fe^lt  mobei  (entere  balb  jur  ganatifierung  ber  SDlaffen  bient*), 
balb  al§  miffenfc^aftlic^e  @ntgleifung  ftc^  barfteHt,  j.  93.  menn 
unter  bem  Xitel  „SBelträtfel"  alberne  fiegenben  ate  9Jleinung  ber 
^riftlic^en  Kirche  tro^  aller  83cle^rung  auc^  in  ber  neueften  9Iuf» 
läge  micber  vorgetragen  werben  *).  2lber  im  großen  unb  ganjen 
ift  jene§  Dilemma  „^eitige§  83u^  ober  Sügenpad"  bei  un§  nic^t 
^eimifd),  icbenfall§  ni^t  in  atabemifc^er  Suft.  gür  un^  ift  meit 
bejeic^nenber  ber  Srfolg  be§  93ibet93abelftreite§  in  meiten  Greifen 
beutfci^er  93itbung.  ®r  beftanb  boc^  mol^l  weniger  in  ber  reinen 
greube  an  jeber  mirtlid^en  ®rtenntni§  gefc^ic^tlic^cr  S^fammen» 
^änge,  al§  in  ber  ©tärhing  be§  oor^er  oerbreiteten  unbeftimmten 
©efül^tg,  ba^  bic  93ibel  be§  (Eigenartigen  unb  ©injigartigen  roe»^ 
niger  enthalte,  al§  frühere  ©efc^lcc^ter  angenommen,  unb  über» 
^aupt  bag  fte  eine  im  ®ang  ber  retigiöfcn  @ntmid(lung  mol^I 
roi^tige,  aber  bod^  für  un§  heutige  in  ber  ^auptfac^e  ücrgangenc 
@rö|e  fei.  2:reffenb  gibt  biefer  Stimmung  ba§  ©ort  be§  3)i(^= 
ter§  3lu§brudt,  ber  feinen  gelben  in  fc^merer  innerer  9tot  fagen 
la^t:  „menn  id^  nur  mü^te,  ob  e§  eine  55ibel  gibt"  ^).  Unb  baran 
änbert  bie  au§  anberen  ©rünben  ^öc^ft  erfrculid^e  Satfa^c  nid^t^, 
ba|  „bie  Sü^er  ber  2Bei§^eit  unb  ©c^ön^eit"  au^  einen  treff* 
liefen  9Iu§jug  au§  ber  93ibel  barbieten*),  fonbern  fte  bejeugt  in 
xi)xtx  9lrt  gerabe  bie  SWad^t  jener  Stimmung,  eben  inbem  fie  bie 
93ibel  unter  bie  übrigen  Sucher  einorbnet,  entgegen  ber  frül^ercn 
2lnfd|auung,  bie  in  SBalter  ©cott§  SBort  ftc^  fc^lic^t  au§brürft, 
bcr  in  feiner  legten  Äranl^eit  ben  SBunfc^  äußerte:  gib  mir  ba§ 

1)  „SBtbel  in  bcr  SBcftentaf^c". 

2)  ©ädcl,  aöeürdtfcl,  SSolfgau§gabc  @.  125. 

3)  fjr.  SBifti^cr,  2lu^  ©incr.    $BoIfgauggabc  @.  335. 

4)  Stuttgart,  ©reiner  unb  Pfeiffer  1903. 


178  ©äring:  %aS  SBcrp&nbniS  bcr  »ibel. 

93uc^!  unb  auf  bic  grage:  n)a§  für  ein  93uc^?  antroortcte:  c§  gibt 
nur  ®in  93u^. 

9lur  @in  9BBcg  fü^rt  ju  richtiger  S33ttrbigung  ber 
83ibcl.  @8  ift  bcrfclbc,  bcr  ttberl^aupt  allein  ju  bem  3*^1  fö^^, 
irgenb  eine  @rö§e  bc5  geiftigcn  2eben§  roa^r^aft  ju  roürbigen. 
9lämlic^  bie@rtcnntni§  t^rcrSOSirfungen.  2lUe§  ift 
für  un§  nur  in  bem  3Wa|  roirttid^,  al§  e§  ftd^  wirf f am  ermeift, 
unb  nur  fo  roirtlic^,  roie  e§  ftc^  mirffam  erroeift.  S)ie  SBergötte* 
rung  ber  93ibet  mie  ben  ^a^  gegen  bie  93ibel  mußten  mir  au§ 
eben  biefem  ©runb  blinb  nennen,  betbe  entfprec^en  ni^t  ber 
933irllid)feit  ber  93ibet.  Slüjulange  ^atte  man  ®xo^^^,  VLnr>tt^ 
gteic^li^eö  über  fie  behauptet,  über  i^ren  Urfprung  wie  i^re  Slrt. 
3uerft  o^ne  S^^^^^U  n>^W  "^^n  befonbere  ©irlungen  biefer  ©c^rif* 
ten  erfal^ren  ^attc.  2lber  bie  3Iu§fagen  becften  ft^  nic^t  mit  ber 
erfahrenen  SflSirfung;  unb,  noie  e§  bann  ju  ge^en  pflegt,  bie 
®t)rennamen  mürben  überliefert,  au^  o^ne  ha^  man  bie  ju  ®runb 
liegenben  ©rfal^rungen  ftet§  oon  neuem  machte.  Qn  manchem 
aSBappen  werben  2:itel  na^gefü^rt  t)on  ^errfc^aften,  in  benen  man 
nic^t§  me^r  ju  befehlen  ^at.  S)erfelbe  93erba(^t  er^ob  fic^  not» 
roenbig  gegen  bie  93ibel,  je  me^r  man  e§  mie  ein  5Kaieftät8i)er» 
bred^en  anfa^,  an  ber  ^ergebrad^ten  Se^re  über  bie  93ibet  ju 
jmeifeln.  ^rrtum^loftgfeit  in  SSejug  auf  ben  ^fn^^lt,  unmittelbar 
göttliche  Eingebung  in  ^ejug  auf  ben  Urfprung,  ba$  mar  bie 
2)oppelf rone ,  mit  ber  man  biefeS  33uci^  gefc^müdtt  ^atte.  ©ie 
mu|te  fallen  bur^  bie  ftiHe  SWac^t  be§  mac^fenben  933irflici^feit§* 
finne§.  2ll§  f^tec^t^in  unfel^lbareö  93uc^  ermie§  ftc^  biefem  bic 
93ibel  nici^t,  bann  aber  ^atte  e§  feinen  ©inn  mc^r,  i^ren  Urfprung 
in  einem  göttlichen  ®ittat  §u  fu^en.  ®aran  fann  fein  3^^ifcl 
fein.  Umgefel^rt  baran  nic^t,  ba^  bie  haßerfüllte  9Serroerfung  ber 
83ibel  nic^t  mit  i^rer  SEBirtlic^feit  ftimmt.  2lber  au^  jene  nor* 
ne^me  ©teöung  jur  93ibet  als;  bem  2)enfmal  einer  midjtigen  ©tufe 
in  ber  religiöfen  ©ntmidflung,  aber  einer  vergangenen,  mie  weit 
nerbreitet  fte  fein  mag,  lann  feinen  anbcm  93eroei§  für  il^re  yHi)- 
tigfeit  führen  al§  ben  au§  ber  mirf liefen  Sef^affenl^eit  ber  33ibel; 
o^nc  bicfen  83en)ei§  ift  unb  bleibt  fie  gleichfalls  nur  ein  SSorur* 
teil.    Unb  ganj  ebenfo  muffen  fid^   nun   au^  bie  g^eunbe  ber 


^drinß:  %aS  «erftanbniS  bcr  »ibcl.  179 

93ibet,  bie  mcl^r  in  i^r  [c^cn,  bie  i^r  für  immer  einen  befonberen 
SBert  beimeffen,  mit  öemu^tfcin  auf  bicfe  einjig  fac^gcmSle  93e* 
grünbung  bef^ranfen.  SBielme^r  fte  rooHen  ba§  tun,  motten  ben 
SDBirfüc^feit§finn,  ber  fo  oft  gegen  bie  fetbft  erbad^te  Se^re  oon 
ber  Sibel  ftd^  feierte,  für  bie  mirtli^e  93ibel  nü^en.  Stufen  nic^t 
roie  ein  fje^terlunftftürf,  fonbem  au§  e^rlic^er  Ueberjeugung  in 
offenem  Kampf,  ©ie  fteßen  nic^t  eine  Se^re  oon  ber  Sibel  auf, 
bie  man  annehmen  mü^tc,  um  bann  i^re  SSäirtung  §u  erfal^ren; 
fonbem  au§  i^ren  erfa^rbaren  aSBirtungen  moDen  fte  i^r  SBefen 
erfennen  unb  in  einfa^en  SBorten  auSfprcd^en.  Ober,  um  an  ein 
berül^mte^  83ilb  anjufnüpfcn*):  bie  a(te  Set)re  oon  ber  ©d^rift 
glic^  einer  ftoljcn  @d|lo&fefte  mit  SWaucm  unb  3iw"^nj  ^^^  ^m 
flei^igften  waren  unfre  J^übinger  J^^eologen  be§  fiebje^nten  ^a^r» 
l^unbertS  bei  i^rem  Slufbau  tätig.  93om  ^einbe  bebrängt  gab 
man  einen  gtügel  um  ben  anbern  prei§  unb  baute  auf  ben  Srüm* 
mern  unb  au§  ben  2^rümmem  be§  alten  ©c^loffe§  einen  neuen 
luftigen  ^aoiBon,  in  bem  ft^  l)eiter  roo^nen  lie§:  bie  äugerli^ 
mobemifierte  alte  Seigre.  Xoi)  nur  für  einen  fur§en  ©ommer 
ber  ©elbfttäufd^ung ;  burc^  bie  bünnen  SBBänbe  mu^te  ber  ©türm 
oerl^eerenb  einbrechen,  unb  fe^nfüc^tig  fa^en  bann  oiele  nac^ 
ber  alten  mächtigen  93urg  jurüd .  Slber  in  beiben  gößcn  mar  ber 
93au  nic^t  fac^gemä^,  entfprad^  nid^t  bcr  33ibel,  mie  fte  mirflid^ 
ift,  roie  fie  in  it)ren  SBirfungen  [x6)  fetbft  geltenb  mac^t:  unfern 
l^eutigen  5^ftung§bauten  mu§  er  gleichen,  bie,  unfd^einbar,  faft 
unfi^tbar,  in  ber  2:iefe  liegen,  felbft  ein  ©tüdt  be§  ju  oerteibi^ 
genben  $eimatboben§,  J^l^geftein  unb  ©rbfc^ic^ten,  unjugänglici^, 
uneinnehmbar. 

Unb  jroar  f oKte  ba$  2:^ema  f olc^er  Untemel^mungen  lauten  : 
93ibel  unb  ©ntroidlung  ber  3Kenf^]^eit.  9lic^t 
auf  ©injelroirlungen,  fo  mistig  fie  ftnb,  barf  ft^  befc^ränten, 
roer  t)erfte]^en  miß,  roaö  bie  33ibel  roirtlic^  ift;  i^re  SEBirlfamteit 
auf  bie  5Kenfc^^eit  unb  jroar  bie  SWenfc^^eit  in  i^rer  Sntroidflung 
mu§  aufgejeigt  roerben:  ift  boc^  ba§  gerabe,  roie  roir  un§  oer« 
gegenroärtigten,  ba§  f^roerfte  Sebenfen  gegen  bie  33ibel,  ba^  fte. 


1)  5).  3^.  @  t  r  a  u  ^ ,  5)te  ^r.  ®lauben§lcl)rc  II,  «S.  180  f. 


180  ©äring:  5)a8  SJcrftänbmS  bcr  fßibzl 

freiließ  eine  bcbcutfame  Kraft  nun  aufgegangen  fei  ate  ©eße  in 
bem  ©trom  ber  unenbtic^cn  Sntroidtlung. 

SlUein  bicfe§  Sl^ema  „^ibel  unb  SWenf^^eitSentroidflung" 
f ann  b  o p p e It ^  oon  bciben  ©eiten  au3  ocrftanbcn  werben.  ®§ 
fann  ^ei^en:  roel^e  SBäirfungen  fmb  oon  ber  93ibel  auf  bie  ®nt* 
roidlung  bcr  SWenfc^^cit  ausgegangen?  ^n  biefem  ©inn  \)at  eS 
fc^on  mannigfaltige  ©arfteHung  gcfunben.  Oft  roirb  babei  baS 
SBort  angeführt:  „je  ^ö^er  bie  ^a^r^unbcrte  an  33i(bung  fteigen, 
bcfto  me^r  wirb  bie  93ibet  jum  Seil  al§  fjunbament,  §um  2^eil 
al§  aEBertjeug  ber  Srjie^ung,  freiließ  ni^t  oon  naferoeifen,  fonbem 
noa^rl^aft  roeifen  SWenfd^en  genügt  werben"^).  ®S  ift  eine  ^o^e 
2lufgabe,  bie  Oefc^id^te  im  ganjen  mie  bie  ©efc^i^te  ber  2^t)eos 
logie  im  befonberen  unter  bem  genannten  @efi^tSpun!t  burc^ju^^ 
ge^en.  ^n  83e}ug  auf  le^tere  ^aben  bie  Äird^en^iftorifer  oft  be* 
jeugt,  ba§  jeber  g^ttf^ritt  oon  einem  neuen  9Serftänbni8  ber  ^. 
©d^r ift  ausgebe").  Unb  auf  ber  ^oc^fc^ule,  bie  mit  ber  unfrigen 
baS  Sibelftubium  al§  befonbere§  ®rbe  überfommen  ^at,  ift  jüngft 
in  umfaffenbem  Ueberblict  baoon  ge^anbelt  morben :  bie  ^ibel  baS 
83uc^  ber  3Wenfd^^eit;  fte  wirb  e§,  roeil  fie  eS  ift^).  3)er  ^SeroeiS 
biefeS  ©a|^e§  ift  oon  einer  güBe  forgfam  beamteter  2:atfac^en  gc* 
tragen;  unb  augenblidli^  gerabe  un§  Seutfc^en  im  ^M  auf 
©rfal^rungen  ber  Äolonialpolitif  na^e  liegenbe  ©inroänbc  merben 
oon  bem  ©efamtgang  ber  bisherigen  $0liffionSgefc^ic^te  roibcr* 
legt*).  Sbenfo  le^rreic^  ift  bie  Betrachtung  ber  aSirtungen,  meiere 
bie  33ibel  auf  bie  ©ntmidlung  ber  fc^on  längft  c^riftti^en  9Söl!er 
ausgeübt  ^at. 

9tun  tann  man  aber  in  bem  23^ema  „83ibel  unb  SWcnfc^* 
^eitSentmidflung"  auc^  umgefe^rt  ben  2:on  auf  baS  anbere  ©lieb 
legen^  ni^t  fomo^l  naci^  ben  aSSirtungen  ber  83ibel 

1)  9Sg(.  aujerbem  5.  93.  bie  bei  ff  iltf  c^,  ®oct^c§  relig.  ©ntroicflung, 
&otf)a  1894  ^ufammengefteQten  ^uSfagen  mit  ben  QueUenbelegen. 

2)  S^gL  u.  a.  bie  5)ogmcnöcfc^ic^te  oon  §  a  r  n  a  cf  bei  ^uguftin,  ßu* 
t^cr  u.  f.  to. 

3)  ^äl)Icr,  5)ic  »ibcl  t>a^  fSud)  ber  9Jlcnfc^l)eit,  «erlin  1904. 

4)  <5.  Ic^rrei^c  ®of umentc  in  SBarnedS  SlUgemeiner  SDWffionSjeits 
fc^rift  1904  unb  früher  in  ben  ©l)inan)irrcn  1900  f. 


©äring:  3)a3  SBcrftönbnig  bcr  »ibel.  181 

auf  bic  aWenfd^l^cit,  at§  üielmcl^r  nai)  bencn  bcr 
aWcnfc^^citgcntiDtcflung  auf  ba§  JBerftänbni§ 
bcr  93ibcl  fragen.  3)cnn  baä  aUgcmcinc  ®efc|^  bcr  SBBcc^fel* 
roirfung  gilt  auc^  ^icr.  Unb  gcrabe  auf  bicfc  Ic^tgcnannte  2lrt 
bcr  ^Betrachtung  möchte  ic^  weiterhin  i^rc  Slufmerffamteit  lenfcn. 
©ic  bietet  ft^  ni^t  fo  unmittelbar  bar,  aber  fic  ift  nid^t  roeniger 
frud^tbar,  unb  üon  i^rcr  Sebcutung  foH  nac^t)cr  au§brüdf* 
lic^  bic  SRebc  fein.  Q\xn&i)^t  ^anbclt  c§  fic^  aber  rein  um  bic 
geftfteHung  einer  2:atfac^c,  bcjie^ungSrocifc  barum, 
ob  mir  ein  üic^t  ^aben  ftc  feftjuftetten:  ncmlic^  eben  bic  2:at= 
fad|c,  ha^  in  bcr  ©ntmidftung  bcr  5Kenfc^^eit  bic  93ibet  fort^ 
fc^reitenb  tiefer  nerftanben  mirb.  SBa§  mit  biefem  tieferen  JBcr* 
ftänbni§  gemeint  ift,  ergibt  ftc^  au§  bem  bi§t)crigen.  TO^t 
t>a^  mir  auf  ©runb  bcr  p^ilologif^^tiiftorifd^en  SKet^obe  aud^ 
ba§  3)cnfmal  bcr  Vergangenheit,  ba§  mir  93ibel  nennen,  beffer 
in  feinem  urfprünglic^en  ©inne  oerftcl^en.  ®eroi^  ift  ba^  mis- 
tig, unb  jmcifelloiS  „wirb  bic  33ibcl  immer  f^öncr,  je  met)r  man 
einfielet  unb  aufbaut,  ba^  jebc§  SDBort,  ba§  mir  allgemein  ouf^^ 
f äffen  unb  im  befonberen  auf  un§  anmenben,  na^  gemiffen 
Umftänben,  nad^  3^^^*  wnb  OrtiSoer^ältniffcn  einen  eigenen 
befonbcrn  83ejug  gehabt  l^at"^).  ®ieg  mirb  ^ier  oorau§* 
gefegt;  aber  oietme^r  baoon  reben  mir,  ob  bie  83t bei,  inbem 
fo  im  S33c^fel  ber  3^^^«"  i^^  urfprfingtic^er  ©inn  immer  reiner 
crtannt  mirb,  fid^  in  bicfcm  i^rem  urfprttngli^cn 
©inn  für  bic  rocc^fetnben  3^itcn  ftetg  beben«' 
tungöooller  erroeifc.  3ebe§  anbere  gro^c  ©ciftc^jcugniS 
ber  93ergangcn^cit  fann  beutlic^  ma^cn,  um  ma§  c§  ftd^  ^anbelt. 
®ic  ©onne  ^omer§  leuchtet  3)ant  ben  Semü^ungen  unfrer  ^;p^i^ 
lologie  un§  jmcifclloS  t)eller  al§  oorangegangenen  @cfc^lec^tern, 
roenn  mir  unter  bem  gelleren  Seuc^ten  ba§  bcffere  95crftänbni§ 
beS  urfprünglic^en  ©inne§  oerftc^cn.  9to^  ni(^t  ift  aber  bamit 
cntf^ieben,  ob  bic  alfo  beffer  oerftanbenc  2)ic^tung  eine  immer 
intenfiücrc  unb  intimere  SDBirfung  auf  ba§  ©eifte^lebcn  ber  fic^ 
entmidtclnbcn  SWcnfc^l^cit  ausübte.    aWeinen  bo^  oiele,  ba|  jene 


1)  Ooct^c,  f.  1)  @.  180. 


182  $  ft  r  i  n  g :  %a^  Sßcrftänbmg  bcr  95tbcl. 

©onne  unferem  ©efc^lec^t  nic^t  mel^r  lächle  tüte  am  @nbe  bc§ 
fünfjel^ntcn  ober  ad^tjel^ntcn  Qfo^^^^unbcrtS.  3)cnn  nic^t  notroenbig 
tft  lieferet,  ^iftorifc^cg  aScrftänbniö  tiefere  Srfenntni§  ber  Uner* 
fc^öpflic^feit  cine§  3^uß^n  ber  aSergangen^eit  für  eine  anber§  ge» 
loorbene  ©egeniüart.  Äann  bod)  auc^  umgetel^rt  biefe  jenem 
oorau^eilen. 

@§  foD  nun  an  einigen  53eifpielen  beleuchtet  merben,  roiefem 
bie  ©efc^id^te  ber  93ibel  un^  ben  Sinbrucf  mac^t,  ba§  in 
biefem  ©inn  i^r  33erftänbni§  mit  ber  Sntmicftung  ber  SWenfc^« 
^eit  geroad^fen  ift,  unb  biefe  93eifpiete  ber  2lnfc^auung  foHen  auf 
einen  mögtic^ft  einfad^en  93egriff  gebracht  merben;  bann  aber 
ift  turj  }u  jeigen,  ba§  bicfer  ®inbrudf  eine§  mit  ber  Snt^ 
midtung  ber  SHenfc^^eit  roac^fenben  53tbetoerflänbniffe§  roirtüc^ 
begrünbet  ift. 

2Ufo  junäc^ft  :bie®efc^ic^te  mac^t  un§  jenen  ®in* 
brudf.  9lur  wenige  auS  ber  SBolfe  fic^  brängenber  Oeftalten 
barf  ic^  feftl^alten,  auc^  fte  nur  mit  flüchtigen  ©trieben  anbeuten. 
©Über  oon  einjelnen  SWännem  unb  grauen,  93ilber  oon  oer* 
fd^iebenen  Greifen  be§  geiftigen  Seben§,  Don  mannigfaltigen  93il* 
bungöfc^ic^ten,  Don  3^itolt^'^/  ^^n  93öltem.  3)a§  $autu§  in  2lu« 
guftin  unb  in  Sut^cr  tebenbig  mürbe,  miffen  mir  äße,  unb  ba§ 
biefe§  SBieberaufleben  ein  neue§  fieben  mar,  bei  beiben  SBirfung 
be§  alten  9Borte§  oon  ber  ©erec^tigteit  oor  ®ott  au§  bem  ©lau* 
ben,  aber  eine  SBirf ung,  in  ber  ba§  alte  SBort  in  neuer  3cit  ein  neue§ 
marb.  ^lel^men  mir  ctma  ^inju,  meiere  93ermunberung  burc^  bie 
beutfc^en  Sanbe  jog,  aU  Slein^arb,  ber  gefeierte  SBortfü^rer  eine^ 
nüchterner  gemorbenen  ©^riftentumg,  am  Sleujal^r^tag  1800  über 
biefen  alten  2)ejt^)  prebigte,  gemi§  nic^t  mit  2luguftin§  ober 
fiut^er§  Ocift  aber  nac^  allem,  ma§  bajmifc^en  lag,  boc^  auc^ 
mit  neuen  3w"9^"-  ®i«  anbereg  Silb.  B^ötf  Qal^r^unberte 
maren  vergangen,  feit  Qefuö  gu  bem  reichen  Jüngling  gef agt :  oer* 
taufe  mag  bu  l^aft  %  Qn  einer  c^riftlic^en  SQBelt  immer  mieber» 
l^olt,  mar  ber  9^uf  boc^  mie  ocrftungen.    2)a  trifft  er  be§  gran« 

1)  aiömerbrief  S,  28. 

2)  @o.  matt^.  19,  21. 


^  ä  r  i  n  0 :  %a^  ^erftdnbnüS  ber  W)tl  188 

ji§fu§  £)f)x,  fein  ^crj,  unb  roirb  neu,  ober,  mt  immer  mir  e§ 
ausbrüden  mögen,  eine  ©eite  feine«  ©inne§  mirb  neu  mit  bii^l^er 
unerl^örter  ©eroatt,  in  einer  bi§f)er  nic^t  erfd)auten  gorm.  ®abet 
flingt  noc^  ein  anberer  oertlungener  2ion  neu  in  be§felben  Span- 
nes ^evj :  menn  er  bie  93lumen  unb  bie  Sc^roalben,  feine  ©c^roe* 
ftem,  menn  er  SJlonb  unb  SQBolten,  SBaffer  unb  5«uer  jum  iJobc 
®otte§  aufruft  unb  felbft  ben  Stob  al§  93ruber  begrübt,  fo  ift 
\>a^  naä)  fo  oiel  Sonnenarmut  unb  fiebenSbüfter  ein  neue§,  in 
urfprünglic^er  ^errlic^feit  neu  oerftanbene§,  nic^t  nur  ein  mieber^ 
entbedCte§  alteg  Sieb*).  Unb  nun  reiben  Sie  an  fein  53itb  bie 
anbern  ungejä^Iten  gelben  ber  aufopfernben  Siebe;  anber§  nid)t 
nur  nac^  Qdt  unb  ^axbz,  fonbern  auc^  in  ber  innem  ©eftaltung, 
aber  boc^  alljumal  perfönlic^er  SQäiber^aH  be§  3Borte§:  baran 
mirb  jebermann  ertennen,  ba|  i^r  meine  jünger  feib,  menn  i^r 
Siebe  untereinanber  ^abt^)  —  grande  unb  ^eftalojji  unb  SBi^ 
c^em  unb  bie  greunbin  ber  ©efangenen,  bie  SBorfämpfer  ber 
©ttaoenfrei^eit.  Ober  beuten  ©ie  an  3)ante,  bie  „©eele  ooD 
großen  ^eimme^§",  unb  reiben  ©ie  an  il^n  bie  oielgeftattige  ©c^ar 
aller,  bie  irgenbroie  „baö  ©elig  fmb,  bie  ^eimme^  ^aben"  jum 
SlBa^lfpruc^  machen,  bi§  auf  ben  oon  moberuem  (Smpfinben  neu 
gemürbigten  2lmoö  Komeniu^,  ber  am  2lbenb  feinet  bemegten  Se^ 
ben§  ©Ott  banft,  ba&  er  il^n  attejeit  einen  9Jiann  ber  ©e^nfuc^t 
f)abt  fein  laffen  ^),  unb  bi§  auf  Qfung*©tiHing.  SBelc^  ein  SOSec^fel 
ber  S^ittn,  aber  eben  barin  auc^  meld^er  SRei^tum  im  3)ur(^foften 
unb  3)urc^leben  ber  ©e^nfuc^t,  beren  unerfc^öpflic^e  Queue  baS 
Söort  ber  93ergprebigt  *)  ift.  '3lo6)  f ürjer  als  bie  ©rinnerung  an 
e  i  n  j  e  l  n  e ,  beren  Seben  ein  SJieuerleben  unb  eben  barin  ein  tie* 
fere§  @rf äffen  ber  93ibel  mar,  mu^  bie  ©rinnerung  baran  fein, 
mie  ft^  biefelbe  93eobac^tung  im  93licf  auf  bie  mic^tigften  Ä reife 
be§  geiftigen  Seben§  aufbrängt.    93on  ber  9]aturroiffen= 


1)  Ueber  ba§  gefc^ic^tlic^  genauere  ^er^dltnii^  t?on  ^attf^.  19,  21  ^ 
SWatt^.  10,  7—14  tjgl.  Regler,  grranaiäfufii  oon  Slfrift  in  3eitf(^nft  für 
a:^coIogic  unb  Slirc^e  1896,  S.  395  ff. 

2)  @o.  So^.  13,  35. 

3)  %cS  cinaig  Slotmenbige,  übetf.  o.  3o^.  6  e  e  g  c  r  1904. 

4)  @o.  SWatt^.  6,  3.  6.    §cbr.  11,  8  ff.  13,  14. 

3eUf(^ft  füx  Z^eologie  unb  jtirt^e.  16.  ^a^rg.,  8.  ^eft.  13 


184  Döring:  %c^  ^erftänbniS  ber  ^ibel. 

fc^aft  \)at  Slante  tief  finnig  gcfagt,  ba§  fic  ol^nc  eine  reine,  bem 
®eift  entfprec^enbe  ^Religion,  bic  man  roirtlic^  glaubte,  überl^aupt 
nic^t  möglich  geworben  wäre,  unb  oon  ber  ®efc^ic^t§n)iffenf^aft, 
ba^  erft  ber  3Ronot^ei§mu§,  ber  fic^  oom  9laturbienft  (o§rei§t, 
@runb  unb  53oben  für  fie  fei  ^).  3)a§  gleiche  fann  in  93ejug  auf 
bie  9latur  aud)  ber  Saie  au§  ben  SSorreben  unb  Slad^roorten  eine§ 
Kepler  unb  9len)ton  fic^  anfc^auU^  oergegenroärtigcn  *) :  ba§  Söett» 
bilb  be^nt  fic^  in§  Unenblid^e,  bie  tieffte  Äraft  ju  fold)em  Söage* 
mut  be§  menfc^lic^en  ®ebanfcn§  ift  ber  fc^tic^te  @otte§glaube  ber 
93ibel.  Ober  ber  preu^ifc^e  Staat,  erteud)tet  Don  bem  ©onnen* 
äuge  griebric^ö  be§  ©ro^en,  be^errf^t  oon  feinem  3CBiÜen,  beffen 
©el^eimniö  ba§  93en)u§tfein  ift,  ba§  ber  gürft  ber  erfte  3)iener 
feines  ©taat§  —  ift  ba§  nid)t  neueS  mett^iftorifc^eS,  auf  bem 
®ebiet  be§  öffentlichen  SebenS  fic^  burc^fe^enbeS  93erftänbni§  be§ 
8Borte§  oom  2)ienen,  in  bem  bie  ^errfc^aft  liegt,  unb  oom  fiebeu:» 
gewinnen  im  Sebenoerlieren  be§  ®ienftc§^),  ein  95erftänbni§,  wie 
eS  nur  auf  bem  93oben  proteftantifc^er  93ibeltenntni§  in  @c^to§ 
unb  ^ütte  erblühen  fonnte,  in  bem  auc^  be§  König§berger  SBeifen 
„^fli(^t,  bu  erhabener  großer  9lame"  murjelt.  Unb  wenn  in  ben 
fojialen  flöten  unfrer  Qdt  ba§  93ilb  ber  erften  ®emeinbc  in  Qt-- 
rufalem  al§  realifiertc§  ^t^^öl  ber  ®ätergemeinfc^aft  gepriefen 
mürbe,  fo  mar  ba§  freiließ  unrichtige  unb  unpraftifdje  ©yegefe; 
aber  e§  mar  nic^t  eine  politifi^e  9ieben§art,  fonbem  feinfül^ligei^ 
SSerftänbniig  für  bie  treibenben  firäfte  ber  ®ef^id^te,  wenn  unfer 
(Staatsmann  feinen  entf^eibenben  Stritt  auf  biefem  unbetretenen 
9leulanb  als  pra!tifd^e§  S^riftentum  bejeid^nete.  Sie  le^tgenannte 
5tage  mag  uns  menigftenS  im  Vorbeigehen  erinnern,  roie  bie 
^ibel  in  ben  mec^felnben  ®enerationen  ber  d^riftlic^en 
SBelt  roec^felnb,  aber  immer  eigenartig  neu  oerftanben  mürbe. 
3.  ©.  als  bie  aintüe  i^re  le^te  93lüte  l^eHenifc^er  ©c^ön^eit, 
il^ren  9ieft  an  römifc^er  Kraft  fterbenb  mit  bem  ©oangelium  ocr- 
mahlte;  als  ber  ^elianb  baoon  3^^9"i^  fl^b,  wie  bie  gemaltfam 
bete^rten   Sai^fen   getreue  Se^enSmannen    beS    großen   ^erjogS 

1)  3BeIt0cfc^i4te  I  @.  30.  38. 

2)  5.  93.  Kepler,  opera  omnia  ed.  grifc^  I,  @.  96  ff. 

3)  ®ü.  anatt^.  20,  28. 


0  ä  r  i  n  g :  %cS  ^erftanbnid  bet  $ibel.  185 

iDurben  *) ;  al§  in  beutfc^cn  ©täbtcn  5lci§  unb  Äunft  mit  ber 
Sieformation  fic^  ncrbanb;  aU  ber  ©türm  ber  ^efreiungSfriege 
bic  bcutfc^e  Sugenb  ergriff.  Unb  in  jeber  biefer  ©pochen  müßten 
mir,  um  anfc^auUc^  gu  fein,  auf  bie  oerfc^iebenen  ©c^icftten 
ber  93ilbung  achten.  2luf  ba§  93ibeUefen  oornel^mer  Greife 
in  ©t.  ^eter§burg  unb  bie  ©tunbiften  an  ber  SBolga,  mie  auf 
bie  3lrt  gläubiger  Söoü^frömmigteit,  ber  Jolftoi  in  ben  „beiben 
©reifen"  ein  ergreifenbeö  3)enfmal  gefegt.  2luf  bie  ©d^riflfor* 
fc^ung  unfrer  „©tillen  im  fianbe",  aWutterfc^o^  für  bie  geteerte 
2lrbeit  eine§  Q,  21.  93engel  unb  mieberum  befrud^tet  oon  it)r.  Sluf 
oome^me  unb  oott^tümttc^e  franjöfifd)e  üKgftiter  fo  gut  al§  auf 
bie  buntgufammengefe^te  öglise  du  d^sert  unb  bie  ©yegefe  ber 
engUfd)en  ^itgeroäter,  ber  ©rünber  einer  neuen  SBelt.  2luf  bie 
geiftreic^en  QixUl  93erUn§,  unter  beren  ©ternen  ©c^leiermac^er, 
felbft  einer  erfter  ®rö§e,  im  ®^riftu§  be§  ^föl^^nne^eoangeliumS 
ben  3Wittelpuntt  feine§  unoergteic^lic^  bemegten  @eifte§leben§  ge« 
minnt,  Greife,  au§  benen  aSaterlanb^tämpfer  ^eroorge^en,  mie  jener 
greifen:  oon  J^abben*),  in  beffen  Jornifter  beim  ©efec^t  am 
aWontmartre  9leue§  2:eftament,  Ooet^eö  Sauft,  ©c^iHerS  aBallen« 
ftein  Don  bemfelben  feinbtic^en  ^ieb  getroffen  werben.  9lur  noc^ 
einen  ©lief  l^inauö  über  bie  europäifc^e  ©^riftenl^eit! 
53ei  bem  ermähnten  ^fubiläum  ber  93ibelgefellfc^aft  fam  ein  3)ant* 
f^reiben  für  bie  33ibelüberfe^ung  in  ber  burc^  fie  gefc^affenen 
©c^riftfprac^e  au§  Joro  meftlic^  oon  Uganba  ebenfo  mie  au§ 
Äleintibet'),  unb  ba§  bemeift  nic^t  nur  3)an!  für  bie  93tbel,  bie 
mir  l^aben,  fonbem  für  eine  eigenartig  oerftanbene,  fo  gemi§  bie 
3lrt  biefer  SBölfer  eine  anbere  ift  al§  bie  unfrige. 

SBeit  überjeugenber  märe  biefe  ganje  93ilberrei^e ,  menn  fte 
ftatt  btaffer  2lnbeutungen  aufgeführte  ©eftalten  bieten  bürfte. 
3)efto  mel^r  mürbe  ber  ©d)ein  fc^minben,  aU  ob  nun  eben  einmal 
einem  oorgefa^ten  ©ebanten  jutieb  atle§  mögliche  aU  fortfc^rei^» 
tenbe§  93erftänbni§  ber  93ibel  behauptet,  alle  glänjenben  gebem 
ber  SBelt  jufammengeraubt  mürben,  um  biefen  einen  ^arabieSoogel 

1)  a3gl.  Hilmar,  ^eutfc^e  «Uationalliteratur,  24.  Slufl.,  @.  26  f. 

2)  3lboIf  oon  a:^abben^2:neglaff,  «erlin  1890.  @.  10. 

3)  f.  0.  ©.  180,  5lnm.  2. 

13» 


186  Döring:  %aS  ^erftänbni^  ber  SBibeL 

ju  fc^müdfcn^).  ®cnn  bic  einge^cnbere  Betrachtung  würbe  oiel 
beutlic^er  ertennen  laffen,  ba§  in  ber  gciftigen  aSed^felroirfung 
groifc^en  93ibe(  unb  ft(^  entioicfetnber  SHenfd^^eit  nic^t  nur  ungc* 
i^eurc  SBirtungen  oon  ber  53i6el  auf  bie  SHenf^^eit  ausgingen, 
ba§  leugnet  im  Orunbe  tein  Sinftc^tiger,  fonbem  ba§  in  ber  Snt* 
roicflung  ber  üKenfc^^eit,  beftimmt  burc^  bie  eigentümliche  53ega* 
bung  unb  gü^rung  ber  Söölter  unb  einjelnen,  mie  burc^  il^re 
eigene  Jat,  ein  6effere§  SBerftänbniS  ber  93ibet  ^eroorgerufen 
mürbe,  unenblic^  mannigfaltig  unb  boc^  mirtlic^  Sßerftänbni^  ber 
«ibel. 

2lber  loie  foHen  mir  ben  Sinbrud  biefer  2lnfc^auung§beifpiele 
in  einem  93egriff  auSfpre^en?  ®tma  fo:  baS  fortfc^reitenbe 
aSerftänbni§  ber  93ibel  in  ber  ©ef^ic^te  ber  SWenfc^^eit  ift  93  e  r* 
einfac^ung  unb  jugleic^  aSertiefung,  quantitativ 
Stebuftion  be§  @toffe§,  qualitatio  Vertiefung  in  ben  Qfn'^olt.  (Se^ 
mi§  ift  bamit  nic^t  au§gefc^loffen,  bag  manchmal  au(^  ein  lange 
tot  liegenbeS  ©eftein  uon  ben  93ebürfniffen  einer  neuen  3^it  ^^^ 
roegt  unb  belebt  mirb,  mie  j.  93.  bie  93efc^äftigung  mit  ber  ^ro* 
p^etie  ber  93ibel,  ba§  SBort  im  engeren  ©inn  oerftanben,  nic^t 
o^ne  Srtrag  für  bie  ©efamterfenntniö  gemefen  ift.  2lber  im  ganjen 
^aben  folc^e  roieber  beachteten  ©tücfe  nur  in  bem  2Hag  ftc^  bauemb 
roirifam  ermiefen,  ate  fte  pc^  felbft  jener  oertiefcnben  SSereinfa* 
c^ung  bienftbar  machten,  mäl^renb  fie  fonft,  auc^  roenn  eine  S^iU 
lang  mit  SSorliebe  be^anbelt,  jum  ^emmni§  be§  maleren  Sort* 
fc^ritt^  mürben,  man  beute  an  bie  apofalpptifc^en  SRec^nereien. 
3)ie  gemeinte  aSereinfac^ung  ift  Don  boppelter  2lrt.  3)a§  nic^t 
bireft  SReligiöfe  tritt  jurüd  ober  mirb  ganj  abgefto^en,  unb  ba§ 
SReligiöfe  felbft  mirb  burc^  SJereinfac^ung  oertieft.  ®a§  erfte  ift 
am  anfc^aulic^ften  an  ber  öefeitigung  be§  alten  3Beltbilbe§:  bie 
@rbe  ru^enber  9Jlittelpunft  ber  Söelt,  bie  ©onne  um  fte  ftc^  be^» 
roegenb.  SBir  fennen  bie  Kämpfe,  bie  feine  93efeitigung  getoftet, 
für  un§  ift  fie  felbftoerftänblic^  gemorben.  9Bie  felbftoerftänblic^, 
mögen  mir  baran  ermeffen,  ha^  un§  auc^  Ätopftodf§  Umbic^tung 
be§  aSaterunferg  fremb  geworben  ift.    SSon  bem  „aller  ©onnen 


1)  f.  0.  @.  179,  5lnm. 


§  ä  r  i  n  0 :  %aS  «crpänbniS  ber  ©ibcT.  187 

©onnc  ajater  ^crr  bift  bu"  fmb  ipir  ju  bem  fc^Iic^tcn  „SJater* 
unfcr  in  bcn  ^immcln"  jurüdfgefc^rt,  rocit  roir  bic  2:icfe  feincS 
@inne§  in  ben  einfachen  SBortcn  lebcnbigcr  empfinbcn  al§  in  ben 
fc^cinbar  großartigeren,  bie  mit  bem  ermeitertcn  SBeltbilb  äußer» 
lic^  Schritt  l^atten  motttcn.  2Iber  bic  9iennung  be§  aSaterunfer§ 
fü^rt  un§  oon  felbft  ju  jener  anbem  Slebultion,  bie  in  SSal^r^cit 
Ocminn  ift;  ja  e§  lann  un^  gerabeju  al§  ba§  große  93eifpiel  für 
biefc  SBereinfac^ung  bienen,  bie  fic^  an  bem  unmittelbar  retigiöfen 
^[nl^alt  ber  93ibel  ooöjie^t,  nic^t  nur  auf  bie  bamit  fic^  oerbin« 
benben  Siebenoorfteöungen  ge^t,  bie  notmenbig  in  bie  Sprache 
einer  beftimmten  3«it  f^  Ö^nj  fic^  f leiben,  baß  fie  mit  i^r  oer^* 
ge^en  muffen.  Jreffcnb  \)at  man  gefagt,  ba§  SSatcrunfer  fei,  rec^t 
oerftanben,  ba§  @lauben§befenntni§  ber  S^riften^eit,  ba§  gemein* 
fame  mi)t  nur,  fonbern  ba§  einjig  auöreii^cnbe;  unb  gemiß  ift 
in  ber  Sieligion,  bie  im  tiefften  ©runbc  nid)t§  ift  al§  perfönlic^e^ 
SBertrauen  auf  ben  ftc^  offenbarcnben  perf anliefen  ®ott,  bie  un» 
mittelbarfte  £eben§äußerung  biefe§  SScrtrauen^,  b.  1^.  aber  bog 
®ebet,  ba§  eigenttii^e  93e!enntni§,  ba§  befte  ®ebct  alfo  ba^  befte 
93etenntni§.  Qn  unferem  3^fömmen^ang  aber  bürfen  mir  biefe 
SBa^r^eit  fo  roenbcn:  inbem  jebe  neue  Qtxt  unb  jeber  einjclne  in 
il^r  ba§  neu  gemonnene  9}erftänbni§  beö  (SoangeliumS  im  neuen 
aSerftänbni^  biefe§  ®ebet§  am  unmittelbarften,  im  innerftcn  reli* 
giöfen  Seben  felbft  oerrocrtet,  fo  ift  baran  ganj  befonbcr§  beutlic^, 
n)a§  mir  mit  ber  Vereinfachung,  bie  Vertiefung  ift,  meinen.  6§ 
ift  gerabc  auc^  roieber  für  un§  heutige  baö  fc^lic^tefle  unb  in 
biefer  ©infac^^eit  geroaltigftc  3^"9"i^  fö^  ^i«  pcrfönlic^c  SBcrbin» 
bung  ®otte§  unb  ber  ©ecle,  in  welcher  alten  gormel  unfre  ®e* 
genmart  gerne  au^brürft,  xoa§  xf)x  bie  SReligion  bebeutet ;  aber  e§ 
ift  ni^t  roeniger  ba§  fd)lic^tefte  unb  geroaltigfte  3«u9niö  ber  bcnf ^ 
bar  umfaffenbften  ®emcinfc^aft,  ber  ^crrfc^aft  ®otte§  über  alle 
unb  allc§:  auc^  uufrc  mobernften  ©orgen  finb  oon  bem  Flamen 
unb  bem  SGBillen  biefe§  ®otte§  umfc^loffen,  ber  l^ier  unfer  Vater 
^eißt,  unb  ben  mir  um  ba§  tägli^e  93rot  l^eute  bitten  bürfen, 
l^eute,  ba§  gcfiern  nod^  nic^t  ebenfo  mar  unb  morgen  nic^t  me^r 
ebenfo  fein  mirb.  Ober  ba^fclbe,  na^  einer  befonbercn  ©eite  unb 
in  einer  beftimmten  Veleui^tung  auSgebrürft:   mie  ift  in  unfrem 


188  Pacing:  %a2  ^erftänbntd  ber  93ibel. 

ajerftänbnig  be§  SBaterunferö  bcr  ©rtrag  jal^rl^unbcrtelangcn  SRin* 
gcn§,  bic  ©in^cit  bc§  SRetigiöfcn  unb  ©tttHd)cn  tiefer  ju  erfaffen, 
bcfd)toffen  unb  für  jeben  jum  ©ebrauc^  bereit!  2lIfo  um  ipieber 
ein  ttaffifcfte^  53eifpiel  ju  nennen,  bic  tid^erc  ®int|eit  be§  betannten 
abfi^ä^igcn  Urteite  über  ben  3iötobu§brief  bei  unfrem  SRcfomtator, 
be§  ^od)fc^ä^enben  bei  93i§marcf;  ift  boc^  bort  ba§  Vertrauen, 
für  beffen  Steinzeit  getämpft  wirb,  Äraft  roeltumgeftaltenber  fiiebe, 
unb  ^ier  ber  treue  unb  erfc^öpfenbe  ®ienft  feinet  angeftammten 
Äönig§  ba§  gelb,  auf  bem  ba§  Vertrauen  gu  ®otte§  @nabe  fi^ 
beroäl^rt  ^).  2lber  mit  biefem  roac^fenben  aSerftänbniS  be§  SBater* 
unferö  im  ©emufetfein  neuer  3^iten  unb  SWenf^en,  menn  mir  auf 
feinen  ^n^alt  fe^en,  ift  unzertrennlich  oerbunbcn  baö  mac^fenbe 
SBerftänbni^  beffen,  bem  mir  eö  ocrbanfen,  bc§  ^errn,  beffen  @c« 
btt  mir  e§  nennen.  ®§  mar  pon  ^aufe  au§  nid^t  eine  fic^  felbft 
tragenbe,  frei  fc^mebenbe  ®rö§e,  ein  Inbegriff  oon  burc^  fic^ 
felbft  überjeugenben  ©ebet^gebantcn.  3)a§  3wtrauen,  fo  beten  ju 
bürfen,  mar  oon  i^m  gemirft,  ber  e§  feinen  ^»öngern  gab,  al§  fie 
il^n  baten,  ba§  er  fic  beten  le^re,  unb  meli^e  3^wgen  feinet  eigc* 
nen  93eten§  maren.  3)a§  Vertrauen  ju  Oott  al§  biefem  SSater 
rul^tc  für  fte  barauf,  ba§  er  i^nen  Vertrauen  abgemonnen  für  ba§ 
3CBort,  ba§  nid^t  blo§  äöort,  fonbcrn  %at  feinet  Sebenö  unb  ©ter^ 
ben§  mar:  „niemanb  !ennt  ben  33ater,  benn  ber  ®o^n,  unb  ben 
©o^n,  benn  ber  33ater"  %  ©ine  unerfc^öpfli^e  (Sefc^ic^te  ^at 
biefem  SEBort  fc^on  l^inter  fic^.  Oebanfen  be§  grie(^ifd)en  ®enfen^ 
oerbanben  fxä)  mit  i^m;  al§  ba§  ®ogma,  bem  man  fic^  unter* 
merfen  muffe,  übte  e§  ^fo^^^u^berte  lang  ^errfc^aft.  ®tefe  ^err* 
fc^aft  al§  äugere  mu§te  um  be§  ®lauben§  felbft  roiHen  gebrochen 
merben,  eine§  um  ba§  anbere  ber  oon  3Kenfc^en  Q^m  umgelegten 
l^eiligen  ©emfinber  mu^te  fallen.  3ene§  3Bort  ftarb  nic^t;  in  ber 
Slürffe^r  JU  feiner  urfprünglid^en  Sinfac^^eit  oertiefte  fid)  fein 
aSerftänbniS,  unb  feine  Unerfc^öpfli^feit  fann  für  un§  übcrgeugenber 
fein  al§  für  bie  oor  un§.  3)enn  mit  tlarerem  93erou§tfein  fönnen  mir 
oerftel^en,  ba§  unb  marum  „er  felbft  bie  Sraft  feinet  @oangelium§"  ^) 

1)  «gl.  8-  «.  «rief  an  oon  ©cnfft^^ilfac^  20.  Wl&xi  1873. 

2)  @o.  matii).  11,  27  ff. 

3)  6  a  r  n  a  cf ,  %a^  Sßef en  ber  c^r.  Üteligion. 


$  ä  r  i  n  ö :  %cS  S5erft&nbni§  bct  SSibcI.  189 

bleibt,  bQ|  unb  roarum  nic^t  @cban!en,  fonbem  nur  eine  ^crfon 
„$crf6nlic^e§  feilen"  fonn^).  grcitic^  roic  wir  ba§  bann  nä^er 
oerfte^en,  ift  ftetö  auf§  neue  Oegenftanb  be§  %ox\6)tn^  unb  barum 
auc^  bc§  ©treite§.  Slbcr  ba§  er  unb  fein  ©oangelium  für  immer 
jufammenge^ören,  mirb  bem  ©laubcn,  bem  e§  aUejeit  geroi^  mar, 
nur  befto  beutlii^er;  ba§  e§  feine  Jäufc^ung  geroefen,  fonbem 
2Intn)ort  auf  fein  3QBort  menn  i^n  bie  erfte  ©emeinbe  ben  ^errn 
genannt  l^at,  mie  mannigfaltig  axiä)  biefe§  2öorte§  (Sinjelbeutung 
mar,  ift  unb  fein  roirb.  ©etbft  bie  ®rmeiterung  biefer  feiner 
^errfc^aft  über  bie  irbifc^e  SSelt  ^inau§  ift  längft  oon  ben  3^wfl* 
niffen  ber  93ibel  oorau^genommen,  menn  fie  fagt,  ba|  il^m  „baS 
Sichtbare  unb  Unftc^tbarc"  *)  bulbigt,  geroi§  ganj  in  ber  ©pra^e 
jener  Qdt,  aber  bem  tiefften  ©inne  na^  boc^  eben  ba§  alle§  um-- 
faffenb,  roa§  mir  je^t  bie  SEBelt  nennen.  Unb  bie  einbringenbften 
Unterfuc^ungen  ^aben  biefe  Ueberjeugung  nic^t  mibertegt,  fonbem 
gefeftigt:  benn  feine  ^erfon,  in  i^rer  Urfprünglic^feit  erfannt, 
roiberfte^t  ber  Sluflöfung  in  Tlx)ti)\i^  ober  ©age;  menn  auc^  meit- 
verbreitet,  ift  e§  boc^  ein  Söorurteit,  ba§  bie  ©trau^fd)e  SWet^obe 
ober  irgenb  eine  neue  2lbroanblung  berfelben  bieö  leiften  fönne, 
e§  märe  benn,  inbem  man  bie  fonft  gültigen  SWa^ftäbe  gefc^ic^t^ 
lieber  Unterfu^ung  ^ier  au§cr  ©eltung  fe^te^). 

2lDein  tro§  aöebem  fönnte  un§  ber  Oebanfe  ju  fc^affen  machen, 
biefeS  in  ber  ©ntmictlung  ber  3Jlenf^]^eit  fortfc^reitenbc  9Serftänbni§ 
ber  3Jibel  fei,  ftrenggcnommcn,  nic^t  eigentlid)  roac^fenbe§  95er^ 
ftänbni§  ber  33  i  b  e  l.  33ie(me^r  l)ab^  bie  93ibel  in  ber  unermej^s 
liefen  9Bed)fetmirfung  geiftiger  Gräfte  bie  gefc^ilberten  SQBirtungen 
allerbingg  mit  ^eroorgerufen,  o^ne  ba§  man  im  einzelnen  au§* 
machen  tonnte,  roa§  barin  auf  i^re  SRec^nung  ju  fe^en  fei ;  gerabe 
barüber  aber  bürfe  tein  3"^«^^  f^i^/  ba§  bie  93ibel  nic^t  al§  eine 
fo  eigenartig  in  fic^  beftimmte  Sraft  ftc^  au^geroiefen  \)abt,  um 

1)  <S4cIIinö. 

2)  5.  «.  ^ol.  1,  16  ff. 

3)  S3gl.  bie  ncucrbinö§  roicbcr  bcfonberS  lefcnöroertcn  Urteile  ^.  SEBeij* 
fäcferg  in  ben  ^a^rbb.  f.  beutfc^e  2:^cologie  über  ba§  Problem  beg  ,,8C' 
bcng  Sefu"  unb  feine  (^tmidlung. 


190  Rating:  %aS  ^erflftnbniS  ber  S^et 

jene  SBirfungcn  emft^aft  al§  aSevftänbniS  bcr  93ibcl 
felbft  in  biefer  i^rcr  urfprünglic^cn  (Sigcnort  ju  bejei^ticn. 
S)iefeg  93ebenten  Hegt  um  fo  nä^er,  aU  mx  fc^on  ju  Slnfang  ben 
©^aratter  bcr  aSec^fetroirfung  aöc^  ©cfc^cl^cng  and)  auf  unfrem 
®cbict  ftärter  betont  ^aben,  al§  oft  gefc^ic^t.  3^^i  53eobac^tungcn, 
im  biSl^erigen  mit  enthalten,  aber  nun  auSbrücflic^  ju  betonen, 
jerftreuen  jene§  53ebenfen.  @  in  mal,  ba|  in  allen  jenen  ffiec^feN 
roirtungen  bie  93ibet  fic^  at§  eigentümlich  beftimmte  unb  beftim* 
menbe  Kraft  ertennen  lä^t,  o^ne  t>a^  irgenb  bie  ®rö§c  ber  anbcrn 
Äräfte  nertleinert  mirb.  9li(^t  fo  nämli^  erfolgte  jener  gortfc^ritt, 
ben  mir  ate  gortfc^ritt  be§  93ibeloerftänbniffe§  bejeic^ncten,  ba^ 
eine  jebe  Stxt  gerabtinig  an  ba§  in  ber  Dorange^enben  erreichte 
9Serftänbni§  antnüpfte,  fonbern  ber  gortf^ritt  mar  jemeilen  3tü(t= 
griff  auf  ben  2lnfang,  3Iufteud^ten  be§  alten  Si^teS  in  neuer 
©tral^lenbred^ung,  barum  auc^  nie  o^ne  Kampf  burc^gefe^t.  2)a§ 
gilt  j.  93.  Don  jener  ^eraui^arbeitung  be§  mirtlic^en  93ilbe§  3i^fu, 
aber  auc^  Don  ber  ®rfenntni§  ber  fojialen  3Iufgabe  al§  einer  ^flic^t 
c^riftlic^er  Sölter  ober  oon  ber  g^auenfrage.  3)er  le^tgenannte 
Sali  jeigt  befonbcr^  Rar,  roie  fettfam  e§  märe,  mobeme  53eroe« 
gungen  birett  in  eintrieben  be§  Soangelium^  begrünbet  ju  beuten. 
3lm  ©egcnteit  tritt  ^iebei  mit  Siecht  uor  allem  ber  ungeheure  Um« 
fc^mung  bcr  Kulturoer^ältniffe  in§  ^emu^tfein,  ber  jene  93erein« 
fac^ung  ber  d)riftlic^en  Ueberjeugung,  bie  Vertiefung  ift,  mac^  ge* 
rufen  \)at  2lber  je  rücf^alttofer  bie§  betont  mirb,  befto  me^r  brängt 
fic^  auc^  bie  ©inft^t  auf,  mie  bie  ®rtenntnt§  unb  Söfung  biefer 
2Iufgabe,  fomeit  fie  übert)aupt  in  d^riftlic^em  @eift  gefc^ie^t,  in 
ber  Sat  eine  2luferftet|ung  ber  oft  totgefagten  unb  al^  unprattifc^, 
unmobem  ©erachteten  Söorte  be§  2lnfang§  ift.  <3e  bemühter  j.  93. 
bie  birette  Uebertragung  bcr  paulinifc^en  2Seifungen  über  c^rift* 
lic^e§  grauenleben  abgelehnt  mirb,  befto  lebenbiger  mirb  bie  feinen 
SBeifungen  ju  Orunb  liegenbe  ©efmnung  fi(^  at§  unerfe^lic^e 
9torm  unb  al§  unüberbietbare^  9Jlotio  für  bie  attuetlften  SageiS* 
beftrebungen  ermcifen.  Ober,  um  jene  anbere  3citfrage  mieber  ju 
ermäl^nen:  ift  2ut^er§  Semerfung  ju  ber  (Sütergemeinfc^aft  in 
^erufalem  „©^riften  fagen  nidjt:  ma§  bein  ift,  ba§  ift  auc^  mein, 
fonbern  ma^  mein  ift,  ba§  ift  bein"  nic^t  mirflid^e§  3Jerftänbni§ 


$  a  r  i  n  0 :  ^a§  ^erftanbtiii^  ber  SBibel.  191 

bc§  UrfmnS  unb  boc^  erft  einer  neuen  Qtxt  ganj  oerftänblid^,  and) 
un^  roieber  neu? 

2)aju  tommt  nod^  eine  anbete  ^Seobac^tung.  3)ie  53ibet 
fetbft  roiH  für  atte  3^'*^"  f^i".  ®enauer:  bie  SWenfc^en,  bie  i^re 
einjelnen  ©c^riften  oerfafeten,  ungel^euer  oerfd^ieben  nac^  Qtxt, 
©Übung,  inbioibueHem  S^arafter,  fmb  barin  ein§,  ba§  i^nen  bie 
9leligion  aüt^  x]t,  unb  jroar  nic^t  irgenb  eine  Sieligion,  fonbem 
bie,  welche  fie  auf  ®runb  ber  Offenbarung  beö  lebenbigen  ®otte§ 
SU  erleben  glauben.  ®en)i^,  o^ne  biefen  ®(au6en  gibt  e§  über« 
^aupt  teine  n)irtung§traftige  9ieIigion.  2lber  ba§  53efonbere  biefer 
^Religion  ift  ba§  öeroufetfein,  für  alle  unb  für  immer  ju  fein,  in 
einer  fonft  unerhörten  <3ntenfität.  5)iefe§  ©emu^tfein  ift  auc^ 
folgen  aufgefallen,  bie  bamit  nic^t  eine  perföntic^e  Stellung  ju 
biefen  Schriften  bejeic^nen  moHten:  feine  anbere  Sieligion  ift  in 
i^ren  ®enfmälern  fo  abfic^tlic^  ber  S^tunf*  gugemanbt  al§  il^r 
gehöriger  3^fw"ft^)-  Unb  ber  ®runb  biefer  mertmürbigen  Sr^» 
f^einung  fann  auc^  nic^t  jmeifel^aft  fein:  eg  ift  bie  ©igenart 
be§  ®tauben§,  be§  ©laubens  an  ben  lebenbigen  ®ott  ^eiliger  fiiebe, 
ber  eine  ®efc^ic^te  ber  SWenfc^l^eit  roill,  meiere  ®efc^id)te  feinet 
SReid^eg,  feiner  geiftigen  ^errfd^aft  ift.  93efonber§  c^arafteriftifc^ 
brürft  ft^  jene  ßu^^^P^t  fc^on  im  ©emufetfein  ber  großen  ^ro* 
Poeten  au§:  „©iel^eic^  fc^öffe  9teue§",  fo  aber,  ba§  e§  SBoHenbung 
be§  fcfton  93egonnenen  ift;  bie  ©in^eit  liegt  in  bem  ®ott  felbft, 
ber  biefen  ©lauben  mirtt^).  Unb  al§  ba§,  n)a§  für  fie  2öei§fa- 
gung  mar,  ©rfüHung,  mag  fic  oon  ber  ß^fi^^ft  erwarteten,  ®egen' 
mart  gemorben,  ba  fteden  bie  ^erolbe  ber  ®rfüllung§jeit  nic^t 
tleinlic^  eine  ®renje  feft,  fonbem  ber  Jriump^  il^reö  ©lauben^ 
ift,  ba§  e§  abermals  in  unerhörter  SBeife  ma^r  merben  roirb: 
fte^e  ic^  ma^e  alle§  neu^).  Qa,  pe  forbem  beibemale,  auf  ber 
Stufe  ber  SBorbereitung  unb  ber  ©rfüHung,  ba§  fommenbe  SIeue 
oorauSne^mcnb,  auf  ju  einem  neuen  fiieb  be§  SobpreifeS  auf  ben 
eroigen  ©ott*).   Unb  nur   um  fo  tiefer  ift  auc^  hierin  bie  93ibel 

1)  S5gl.  So^e,  9mfro!o§mu§»  III,  345  ff.  360  ff. 

2)  «gl.  Sefaja  ^op.  40  ff. 

3)  Dffenb.  3o^.  21,  5. 

4)  ^f.  96.    Dffenb.  So^.  5,  9.  14,  3.  15,  3. 


192  ^  d  r  i  n  g :  ^a3  55crpänbni8  bcr  SMbcI. 

oerftanben  iporbcn,  al§  in  ben  c^riftli^en  ^»ö^r^unbcrtcn  bcr  ^o^ 
rijont  fiä)  immer  mc^r  crmeitertc,  bi§  lüir  nun  fc^on  angefangen 
l^aben,  bie  Sia^ermeiterung  be§  @nbe§  in  bcr  crftcn  S^riften^cit 
nic^t  me^r  al§  2Infed)tung,  fonbem  al§  ©porn  unfrc§  ©laubeng 
ju  empfinben^). 

aSon  einer  2:atfac^e,  einer  nid)t  immer  beachteten,  aber  fic^ 
aufbrängenben  2:atfac^e  ift  bi§^cr  bie  Siebe  gcmefen :  oon  bem  in 
ber  SntroidCIung  ber  SWenf^l^cit  ficft  oertiefenben  aSerftänbni^  bcr 
93ibcl.  9lun  aber  möchte  ic^  bie  Scbeutung  bicfcr  XaU 
fac^e  in  ber  Äürjc  ju  oergegcnroärtigen  fuc^en,  i^re  Sebeutung 
für  bie  d)riftlid)e  9teligion  felbft  unb  i^re  Sebeutung  für  unfer 
nom  ®ntmictlung§gebanfen  be^errf^tc^  3^italter. 

gür  ba§  S^riftentum.  Unb  smar  meine  ic^  ie^t  nic^t 
bie  gcroaltige  3Iufgabe,  bie  jene  Jatfa^e  an  bie  ^riftlic^c  ©emeinbc 
[teilt  nämlic^  ben  i^r  anoertrauten  ©c^a^  noc^  oiel  geroiffenl^after 
ju  erfennen  unb  auf  aßen  ©ebicten  i^rer  Sätigfeit  au§jumänjen. 
2luc^  nic^t  bei  ber  im  beften  ©inn  einigenben  Äraft  folc^cr  2Irbeit 
möchte  x6)  ocrmeilen,  fo  roid)tig  fie  mir  fc^cint:  bcnn  roic  wenig 
au§fic^t§DoII  alle  äußern  Union^beftrebungen  jmifc^cn  ben  ^onfef« 
fionen  auf  abfe^bare  3^^^  ^inau§  fmb,  fo  fic^er  fönnte  bie  ftillc 
aSerfenfung  in  bie  ©c^rift  einen  ©oben  innerer  Sufammengel^örig« 
feit  bereiten,  aug  bem  ec^te,  ni^t  im  Sreib^auS  gejogene  ^rüc^te 
gegenfeitigen  9Serftänbniffe§  erma^fen.  SBielme^r  auf  bie  93ebeu* 
tung  jener  2:atfad)e  für  ben  innerften  unb  fc^roerften  Äampf  be§ 
c^riftlid)en  @lauben§  möd^te  ic^  ^inmeifen,  für  ben  Sampf  um 
feine  Söa^r^eit,  bei  bem  e§  mirfli^  um  ©ein  unb  Stic^tfein  fic^ 
^anbelt.  e§  ift  boc^  fo,  gegenüber  ber  grage  nac^  ber  SBa^r^eit 
bcr  SReligion  übcrl^aupt  unb  ber  Unüberbietbarfeit  unferer  SReli* 
gion  in^befonbere  erfc^einen  alle  anberen  im  einjelnen  noc^  fo  mic^^ 


1)  %xz  an  ftc^  wichtige  3^rage,  baS  S3cr^dltni§  ber  Offenbarung  unb 
i^rcr  Urfunbc  genauer  ju  befttmmcn,  namentlich  ber  S'^ac^rociä,  warum 
bie  il)rem  3(nfprurf|  nad^  oollenbetc  gef^icfttlicftc  SReligion  gciftiger  unb 
flttlic^er  3lrt  ntrf|t  o^ne  bcr  Offenbarung  entfprec^cnbc§  3«ugni§  fein  fann, 
barf  bei  Erörterung  beä  a:^cma§  in  ben  ^ier  gefterften  ©rcnjcn  unter« 
bleiben. 


Rating:  ^ad  ^erftönbitiS  ber  ^ibel.  193 

tigen  fragen  loic  nic^t§.  9lun  ift  c^rlic^er  Kampf  immer  Scben 
gcmefen;  aber  e^rlic^  tann  man  für  eine  ©ac^e  nur  Mmpfen,  an 
beren  ©ieg  man  glaubt.  3)iefe  3uoerfi(^t  mirb  in  manchem  fonft 
mutigen  Kämpfer  getat)mt  burc^  bie  ©orge,  bie  ©egner  fönnten  rec^t 
l^aben,  jmar  nic^t  mit  i^rem  oberflächlichen  ©pott  über  ba§  i^nen 
oft  faft  unbefannte  G^riftentum,  aber  mit  bem  ©ebanfen,  ba§  e§, 
mie  ^errlic^  immer,  ja  mie  fet)r  eine  l^öc^fte  Kraftquelle  oergange* 
ner  3^iten,  fic^  mit  ber  ßeit  erfc^öpft  ifabt  unb  mo^t  noc^  einer 
überfe^baren  3"^"^!^  3)ienfte  leiften  tonne,  aber  nid^t  immer  bie 
Sßa^rl^eit  oon  (Sott  fei.  3)iefer  S^^eifel  oeträt  ftc^  auc^  bei  man* 
c^en  fonft  lauten  ^Berteibigem  be§  @lauben§  in  bem  fc^redClic^en 
„3^oc^",  t>a^  fxd)  in  il^re  Slpotogien  oerirrt:  noc^  finbe  baS  SBort 
®otte§  ^örer,  noc^  übe  e§  feine  SEBirfung  auf  baö  öffentliche  Seben. 
©tatt  ba§  fie  roiffen  follten:  ber  mirtUc^e  ©taube  ^a^t  biefe§ 
„9loc^''  unb  lebt  oon  bem  „3)ennoc^",  oon  ber  ©emi^l^eit  feinet 
fieben^  tro^  allen  entgegenftet)enben  SWa^ten,  bie  i^n  tot  fagen. 
SJiun  ift  e§  für  uns  nicl)t  me^r  möglich,  nac^bem  mir  ba§  ffiefen 
ber  Sieligion  ju  r)erftel)en  begonnen,  in  tü^nem  glug,  etroa  mie 
einft  mit  bem  3<^uberftab  ^egelfd^er  3)ialeftif,  ba§  eroige  SWec^t 
ber  9leligion  unb  bie  3lbfolut^eit  unferer  Sietigion  ju  erroeifen: 
rocber  glauben  roir  noc^  an  bie  Kraft  biefer  SWet^obe,  noc^  ift, 
roas  baburc^  erroiefen  rourbe,  bie  ®rö|e,  um  bie  e§  bem  c^rift* 
liefen  ©lauben  ju  tun  ift.  Slber  gerabe  für  unfere  l^eutigen  3n>cifcf 
unb  i^re  ^eute  nötige  unb  mögliche  Ueberroinbung  geroä^rt  jene 
2:atfad^e,  bie  roir  betrachtet,  eine  wichtige  ^ilfe.  Unferem  junger 
nad^  3Birtli(^teit  bietet  fic^  in  i^r  eine  SBirfli^teit  ber  SSergangen^» 
^eit,  bie  boc^  nic^t  oergangen  ift,  bie  bi^^er  in  jeber  neuen  3Bir!^ 
lid^feit  fi^  beroä^rt,  oielme^r  oertieft  l^at;  unb  jroar  ein  3CBirt^ 
lic^e§,  ba§  nic^t§  anbere^  fein  roiH  al§  3^^9"i^  ber  Offenbarung, 
b.  1^.  aber  eben  be§  ©ic^roirtfamerrocifen§  ®otte§  in  ber  roirflic^en 
©efc^ic^te,  be§  ®otte§,  ber  feinen  innerften  Seben^ge^alt  in  biefer 
roirflic^en  ®efc^ic^te  roirtfam  mad^t,  eben  barum  aber  aud)  immer 
neue  ©ntroidtlungen  l^eroorruft,  bamit  jene§  ^^nerfte  unb  Sieffte 
immer  inniger  unb  tiefer  angeeignet  roerbe.  Qm  ©rieben  nun 
biefer  in  i^r  gegenroärtig  roirffamen  ®efc^id)te  fc^aut  bie  d^rift» 
lic^e  ®emeinbe  in  bie  ä^fwnft  mit  bem  93ertrauen  auf  Unüber* 


194  ^ dring:  ^ai^  ^erfianbniiS  ber  f&ibtl 

roinblic^tcit,  ba§  il^r  oon  SSnfang  cingepflanjt  ift.  ©ie  fagt  ni^t: 
c§  fmb  fc^on  a^tjc^n  Qa^rl^unbcrtc,  bic  Dom  Soangclium  leben^ 
unb  noc^  manche  rocrben  baoon  leben;  Diclmel^r:  e§  fmb  erft  fec^jig 
©enerationen,  bie  anfangen  fonnten,  baS  ©oangetium  auSjuroirten^ 
biefe  aSirtung  ^at  faum  erft  begonnen,  in  93ejug  auf  alle§  oben 
Oenannte,  auf  ben  innerften  SWittelpunft  i^re§  ©tauben«  wie  feinen 
@influ§  auf  alle  ©ebiete  be§  Seben§.  2)arum  arbeitet  fie,  wenn 
unb  foroeit  fte  biefe§  SSertrauen  l^at,  fte  tlagt  unb  jammert  nic^t, 
baju  fel^lt  i^r  bie  Qtit;  treu  in  ber  ©egenmart  ge^t  fie  getroft 
ber  3ufuttft  entgegen,  roeil  fte  ber  ©migfeit  fieser  ift. 

2Bie  bieg  gemeint  fei,  beleuchten  fd^on  einige  ber  oben  ge* 
nannten  SBeifpiete  (@.  182  ff.),  ©ie  fmb  leicht  ju  oermel^ren,  unb 
jmar  gerabe  in  53ejug  auf  folc^e  fünfte  (^riftlid)en  ©lauben§, 
bie  befonber§  oft  oon  feinen  ©egnern  al§  Slngriff^punfte  ocrmenbet 
morben  finb.  3-  33.  ber  ©laube  an  ©ott,  fo  wie  er  in  fort« 
fc^reitenber  SJertiefung  in  bie  3euguiffe  feiner  Offenbarung  oon 
un§  heutigen  erlebt  werben  fann,  fü^lt  fic^  feine^roegS  getroffen 
oon  ben  ©inmänben,  bie  gegen  ©ebilbe  einer  ©ergangenen  S^eo« 
logie  fid^  erl^eben  laffen,  etroa  oon  ben  üblichen  ©c^ilberungen 
be§  2:^ei§muS  ober  ®ei§mu§,  einer  äu^erli^en  2:ran§cenbena 
©otte§,  über  meiere  bie  übliche  ©c^ilberung  pant^eiftifc^er  Qm* 
manenj  leicht  ben  ©ieg  geminnt ;  jener  ©laube  roeig  fi^  im  53e« 
ft^  alles  beffen,  maS  an  biefer  ^»n^manenj  SBal^rl^eit  ift,  aber 
o^ne  ben  a3erjid)t,  ber  i^m  aU  ein  angeblich  notroenbiger  juge* 
mutet  mirb,  mie  ber  33erjic^t  auf  roirtlid)c§  ®tbü  unb  auf  mirf- 
lic^e  SJerantmortlic^feit.  ^n  biefer  feiner  Stellung  fielet  er  fi^ 
aud^  hinausgeführt  ebenfomol^l  über  ben  ganatiSmuS,  ber  anbem 
bie  eigene  Ueberjeugung  aufnötigen  miH,  roie  über  bie  mirfungS* 
arme  Joleranj,  bie  jebem  feine  Ueberjeugung  lä^t,  meil  im  ©runbe 
alle  Ueberjeugungen  gleich  berechtigt  fmb:  bie  bantbare  greube 
über  ©otteS  fiiebe  entjünbct  bie  Siebe,  bie  um  alle  mirbt,  aber 
niemanb  jmingt,  roeil  jene  ©abe  reic^  genug  für  alle,  aber  mirt* 
lic^  Siebe  ift. 

SReben  mir  fo  oon  ber  93ebeutung  be§  mit  ber  ©ntmidtlung 
ber  aWenfc^tieit  road^fenben  ©c^riftoerftänbniffeS  für  bie  c^riftlic^e 


Rating:  3)a8  SJcrftänbniS  bcr  SBibcI.  195 

©emcinbe,  fo  boc^  jugtci^  uniüiüfürlic^,  roeil  mit  innerer  9tot* 
roenbigleit,  oon  ber  SBebcutung  biefer  Satfa^e  für 
bie  SWenfc^^eit  überl^aupt  unb  jumal  für  bie  SJlenfc^^ 
l^eit  unfrer  3^**-  9iäntHd)  weit  wir  i^re  ©ebeutung  in  ©ejug 
auf  ben  ©ntroicflungSgebanfen  cnoägen ;  biefe  ^bee  aber  ift  bie 
eigentliche  3^tth:ötibee  be§  mobernen  ®eifte§.  SBon  biefem  König 
ber  ©ebanten  in  ber  heutigen  SEBelt  lä^t  fi^  freiließ  im  SBorbei^ 
flehen  nic^t  roürbig  unb  erfolgreich  reben.  2lber  einem  ®efamt* 
einbrucf  barf  ic^  mol^l  im  ©inoerftanbnig  mit  aßen  gafuttäten 
SlBorte  leiten.  91a^bem  ber  ©ntmirflung^gebante,  urfprünglic^ 
auf  bem  ©ebiet  be§  perfönlic^en  £eben§  unb  ber  ©efc^ic^te  ^ei* 
mifc^,  auf  ba§  ber  9laturforfci^ung  übertragen,  ^ier  ungel^eure  ®r» 
folge  errungen,  fo  leuchtet  fein  (Stern,  befonberi^  feit  er  nun  roieber 
auf  ha^  ber  ©efc^i^te  jurüctoerpflanjt  mürbe,  nic^t  mel^r  in  bem* 
felben  ®lanje,  mie  noc^  oor  turjem.  ©egen  feine  SSermenbung 
alg  Sc^lüffel  für  aße  Siätfel  unb  ba§  SSelträtfel  felbft  ergeben 
fic^  immer  ftärtere  93ebenfen.  ®er  Unterfc^ieb  ber  naturmiffcn^ 
fc^afttic^en  unb  tjiftorifc^en  9Jletl^obe  mirb  bur^  tief  einbringenbe 
Unterfuc^ungen  immer  bringlic^er.  2lber  auc^  auf  bem  Siaturgebiet 
felbft  erfd^eint  jener  ©ebanfe  je  länger  je  me^r  jmar  at§  fruchtbarem 
]^euriftif^e§  ^rinjip,  um  bie  gormen  be§  @ef(^e^en§  ju  orbnen, 
aber  ni^t  aU  le^tcr  rettenber  ©ebante,  um  ba§  ffiefen  be§  SSirf» 
liefen  }u  erfaffen.  Unb  §mar  nic^t  nur,  mie  man  ja  immer  ju* 
geben  mugte,  am  Slnfang  unfereö  6rfennen§  fte^t  ba§  gro|e  ®e* 
^eimm§,  fonbem  überall  tritt  e§  un^  entgegen;  bie  Jiefe  ber 
Singe  ift  nid^t  ergrünbet,  roenn  mir  il^re  Sänge  unb  SBreite  er* 
meffen  l^aben.  9Jlit  ber  miffenfi^aftlic^en  9iic^tbefriebigung  aber 
oerbinben  fid^  immer  unabmei^barer  praltifcl)e  ^»ntereffen.  3)ie 
Verarmung  unfereg  ^öl^eren  Seben§,  bie  Sßerflac^ung  beg  ®emüt§ 
burc^  bloße  ©c^einlöfungen  ber  legten  fragen  ober  burc^  ftep== 
tifc^e  93erjmeiflung  an  i^rer  Sd^barteit  mirb  mieber  in  weiteren 
Äreifen  empfunben.  9Wan  beginnt  ju  bangen  oor  ber  3»"t)alt§lO' 
figteit  eine§  3)afein§,  in  bem  nic^tö  @anje»,  nic^t§  Unbebingte^ 
fein  foH,  einer  ©ef^ic^te,  bie  leine  ©efc^ic^te  me^r  ift,  roeil  aud) 
bie  großen  ^erfönli^feiten  au§  il^rer  Umroelt  reftloö  begriffen 
roerben  foUen.    ÜÄan  geroa^rt  mit  Srftaunen,  ha^  bie  ©ilbung 


196  ©  a  r  i  n  ö :  %a^  S3crftänbni§  ber  S3ibcl. 

bc§  S8cr[tanbc§  roäc^ft  unb  bic  bc§  ®^aratter§  oertümmert.  2lu§ 
aßen  biefen  ©vüubeu  beginnt  ba§  SEBort  „unenbtic^c  Sntroictiung" 
feinen  btenbenben  Qanb^x  ju  oerlieren,  benn  wir  fangen  an  }u 
betonen,  ba§  enbloö  boppelfmnig  ift:  o^ne  ®nbe  nic^t  nur,  ba§ 
befeuert,  fonbem  au^  ot)ne  ^id,  ha^  läbmt.  3)aju  tommt,  ba§ 
bie  ©rroeitcrung  unfrei  2öiffen§  aud^  bic  Sinfic^t  in  bic  ©renjen 
be§  jroingenben  SBiffcnS  ücrtieft  l^at,  ba§  nur  nod)  ^armtofe 
9la^aügler  fic^  einbilben,  aSBcttanfc^auung  entfiele  überhaupt  auf 
bem  SBeg  allgemein  gültigen  SBiffen^,  o^nc  Sntf^eibungcn  bcS 
rooHenben  unb  fü^lcnbcn  ®eiftc§.  @in  bcrebte§  Qt\6)zn  biefer 
fic^  roanbelnbcn  ©cfamtftimmung  ift  bic  roac^fenbe  ^oc^fc^ä^ung 
ber  Äunft,  ftc  foH  ba§  fonft  oerarmenbc  Seben  oertlären.  3Iber 
roir  erfahren  e§  au^,  ba|  biefe  ^oc^erfreulid)e  greube  am  ©c^önen 
bie  größte  ©cfa^r  nic^t  bannt,  bcn  SWanget  an  ffiiHen,  ber  um 
bic  ^öc^ften  3^^^^  !ämpft,  unb  mir  laufc^en  mieber  auf  bic  ^ro* 
Poeten,  bie  jur  %at  aufrufen ;  bie  SQBicberte^r  oon  ©c^iller§  Jobc^'* 
tag  unb  ba§  ®cbäc^tni§  ber  Sieben  gic^te^  an  bie  beutfc^c  Sla^ 
tion  finbet  ein  empfängti^erc§  ®e^ör,  aU  noc^  oor  einem  ^a\)x^ 
je^nt  JU  erroartcn  ftanb^). 

Qn  biefe  Stimmung  muffen  mir  un§  oerfe^en,  menn  mir 
bie  Sebeutuug  ber  Jatfad^e,  bic  un§  ^eute  bef^äftigt  l^at,  für 
unfre  ©cgenmart  roürbigcn  moöen.  SBieber  einmal  gc^t  eine 
3cit  jur  Steige,  in  ber  e§  für  aufgeflärt  galt,  ba0  Unertlärlic^e 
JU  leugnen.  SBieber  einmal  erlebt  bie  SHenfc^^eit,  mag  fo  oft  ber 
einjelne  erlebt :  in  ber  meiten,  großen  SBctt  »ergibt  fic^  mo^l  eine 
2ßcilc  ba§  a3atert)au§,  aber  mit  ftar!er  ©e^nfud^t  jic^t  e§  au§ 
ber  gerne  bcn  grembgeroorbenen  ^eim.  Unb  bie  ^eimat  ftel^t 
offen.  Stielet  um  bcn  ^rei§,  ba§  man  bie  Sc^ä^c,  auf  ber 
SEBanbcrung  gefammclt,  brangäbe.  9tid^t  ju  bcn  ©öttcrn  einc§ 
au^geftorbenen  ^ant^eon  merben  mir  gerufen,  fonbem  ju  ®ott, 
ber  in  feiner  Icbenbigen  aBirffam!eit  9lntcil  an  feinem  cmigen 
Seben  gibt,  beffen  ®cmcinf(^aft  bie  fü^nften  glügc  jebe§  ©ntmicf* 
lung§träumer§  überbietet,   aber  bic  ®croät)r   ber  3Birflic^fcit  in 

1)  S8gl.  91  e  i  f  c^  I  c ,  (S^rtftcntum  unb  (£ntmicflunö§öcban!c  1898. 
aröltfrf),  5)ie  3lbfoIut^eit  bc8  O^^riftcntumg  1901.  Üieifc^Ie,  X^eol. 
u.  SReliflionägefc^ic^tc  1904  unb  bie  in  bicfcn  Schriften  ocrrocrtctc  fiiteratur. 


§  a  r  i  n  g :  %ad  SBerft&nbnig  bcr  fSibtl  197 

fic^  trägt,  ffienn  fo,  fanben  lüir,  roirft  bie  93ibcl  unter  uniS,  bic 
fclbft  nichtig  fein  wxü  al§  roirffameS  3^"9"i^  ber  Offenbarung 
be§  lebenbigen  ®otte§  in  ber  ©efc^ic^te:  nid)t  ate  S^ffcI  ber 
©elbftgeroißj^eit  be§  menfcfalic^en  @eifte§  ober  ber  8Beltbe^errfd)ung, 
fonbern  innerlich  binbenb,  nämlic^  SJertrauen  roedtenb,  binbenb  an 
bie  roertoottfte  aSirflic^feit,  eben  barin  befreienb,  wie  nid)t§  be^ 
freien  fann,  ba§  weniger  ift  aU  ©ott  felbft.  aWerfroürbig,  baj5 
brüben  über  bem  Ojean,  roo  bie  Sntroicflungen  rafd)er,  rüd^alt» 
lofer  unb  rücffic^tölofer  üerlaufen  al§  in  ber  ölten  SEBelt,  mitten 
im  Strom  bemegteften  fieben§  folc^e  Stimmen  fic^  mehren,  meiere 
jurüdt  jur  53ibel  rufen,  jurüdt  nic^t  im  Sinne  be§  9iüctfc^ritt§, 
fonbern  fo,  boJ5  ba§  3"^^^/  w)^*'  ^i"  hinein  in  bie  Offenbarung 
bc§  ©roigen  in  ber  Qni,  ber  ftärffte  SRuf  nac^  oorroärt^  ift.  3)a§ 
SBiffen,  fagt  j.  93.  ein  angefet)ener  ameritanifc^er  Se^rer,  mu| 
jum  3)ienfte  roerben.  3)a§  SBiffen  ibealifiert  ben  ®ienft,  ba§ 
ffiienen  bemohatifiert  bie  3Biffenfd)oft.  6in  ©entlcman  fagt  nic^t : 
ic^  bin  fo  gut  wie  bu,  fonbern,  bu  bift  fo  gut  roie  ic^.  Unb 
al§  Äraft,  eine  fo  ^o^e  Slufgabc  ju  löfen,  nennt  er  bie  SReligion, 
nic^t  irgenb  eine  üerfc^mommene,  fonbern  bie  ererbte,  aber  fo,  ba& 
mir  fte,  in  jenen  Sc^ac^t  ber  53ibel  ^inabfteigenb,  neu  ermerben, 
um  fie  ju  befi^en  ').  SEBir  ^aben  fc^on  oben  un§  erinnert,  pon 
roem  bie§  3)ienen  ftammt,  ba^  bie  SBclt  überminbet. 

2)ag  aQe^  ift  ^ier  nic^t  au^jufü^ren.  ^inroeifen  möchte  ic^ 
nur  noc^  auSbrüdUc^  auf  bie  S^rm,  auf  ba§  ©emanb,  in  bem 
ber  Sc^a^  un§  gegeben  ift,  auf  bie  Sprache  ber  53 i bei. 
SJlac^bem  nod)  unfre  Älaffiter  einig  maren  im  SRu^me  ber  53ibel' 
fprac^c  a(§  ber  auc^  fte  felbft  jur  Älafftjität  erjie^enben,  mirb 
je^t  pielfac^  barüber  geflagt,  ba|  fie  un§  weithin  fremb  geworben. 
®ie  ^atina,  bie  man  an  alten  Äunftmertcn  fc^ä^t,  mirb  ^ier  ge« 
ring  geachtet,  ^n  bem  SWa^,  at§  un§  ber  ^n^alt  mieber  me^r 
fein  wirb,  bürftc  auc^  biefc  gorm  al§  bie  ju  i^m  paffenbc  im 
SDSertc  fteigen.  Sollte  nic^t  unfer  „rciafame§"  ©efc^lec^t  ben  5Rei} 
biefer  Sprache,  fo  fern  unb  fo  nal^,  fo  grojj  unb  fo  oertraut, 
neu  empfinben?    2lu§  Sel^nfuc^t  namentli^  nad)  einem  für  alle 

1)  Sögt,  ^cabob^,  %it  Sfleligion  cine^  ®ebilbeten  unb:  ber  dl^axah 
ter  3efu  (S^rifti,  ©ic^en  1904. 


198  ^  a  r  i  n  g :  %a^  ^erftänbniiS  ber  ^ibel. 

perftänblid)en  2lu§brudt  bcr  ^ödjftcn  SßJcrte,  nad^  beni  ®nbe  ber 
jc^igen  bab^Ionifdien  ©pra^pcriüirrung  in  SGBcUanfc^auung^f ragen? 
Unb  unpcrgc^Iic^  foUten  fc^on  jc^t  attcn,  bic  ©octl^c  immer  im 
SWunbc  führen,  bie  ©rünbe  fein,  bie  er  in  „Sichtung  unb  SBa^r^ 
^cit"  für  feinen  Sßortrag  ber  ^atriarc^engefc^ic^te  angibt:  „roeil 
ic^  auf  feine  onbere  äBeife  barjufteQen  raupte,  mie  ic^  bei  meinem 
jerftreuten  fieben,  bei  meinem  jerftüdelten  Sernen  bennoc^  meinen 
©eift,  meine  ©efü^le  auf  Sinen  ^untt  ju  einer  ftitten  SBirtung 
üerfammelte ;  meil  id^  auf  feine  anbere  SEBeife  ben  ^rieben  ju 
fc^ilbern  oermö^te,  ber  mic^  umgab,  menn  e§  and)  braujsen  nod) 
fo  mitb  unb  munberlic^  ^erging.  Qd)  oerfentte  mic^  in  bie  erften 
83üc^er  SWofi§,  unb  fanb  mid^  bort  unter  ben  ausgebreiteten 
^irtenftämmen  jugleic^  in  ber  größten  Sinfamfeit  unb  in  ber 
größten  ©efetlfc^aft"  ^).  SKanc^er  SBiberfpruc^  gegen  ba§  frü^* 
ieitige  ^eimifc^merben  in  bem  ^ain  ber  biblifc^en  ©efc^ic^te 
unb  bie  Sinprägung  unpergänglic^er  SBorte  auS  i^r  mü^te 
perftummen.  ©erabe  bann  mürben  mir  gefc^idtter  werben,  au8 
unfern  heutigen  Sßer^ältniffen  l^erauS,  au§  ber  Q^xt  ber  9)la* 
fc^ine  unb  be§  ®ntmidt(uug<öbegriffS  neue  SGBorte  unb  Silber 
jum  2lu§brudt  ber  ^öd)ften  SBa^r^eit  ju  prägen.  2lud^  in  i^rer 
gorm  märe  bie  93ibe(  nic^t  ^emmni§,  fonbem  Äraft  be§  5ort= 
fd)ritt§  für  bie  religiöfe  Sprache. 

„aJlan  mag  bie§  ©nbe  f^märmerifc^  finben".  Qd)  braud^e 
abftc^ttidö  bie  9Borte  in  ©rinnerung  an  ben  ^l^ilofop^en  ^),  ber 
bann  fortfährt :  „ber  2lnb(i(f  be§  SQSeltganjen  ift  überaÜ  SBunber 
unb-^oefie,  ^rofa  finb  nur  bie  bef^ränften  unb  einfeitigen  Sluf^ 
faffungen  fleiner  ©ebiete  be§  ©nbUd^en.  3lber  e§  ift  nic^t  bie 
2lufgabe  be§  3)lenfd)en,  ben  Flamen  biefe§  SGBunberä  unnü^lic^  ju 
führen  unb  in  feiner  beftänbigen  Slnfc^auung  ju  fc^melgen". 
©oute  ba§  nic^t  gelten,  wenn  oom  ©rö^eften,  oon  ©ott  unb  bem 
3)entmal  [einer  Offenbarung  bie  Siebe  ift?  2lber  nur  um  fo 
wichtiger  ift  e§,  auc^  für  un§,  ba§  9iäc^ft(iegenbe  ju  tun  unb 
jum  ©c^lu|  bie  53ebingungen  ^eroorju^eben,  unter  meieren 

1)  ©oet^e,  3lug  meinem  fiebcn  1.  fdu^,  4.  ^op. 

2)  Soöe,  3«ifrofogmug*  III,  616.  II,  58  f. 


Rating:  %ad  iBerftänbniiS  ber  f&xhzl.  199 

bicfc§  Q\d  eineig  neuen  SBerftänbniffeS  ber  öibel  au^  in  ber 
(Sntoidtlung  unfrei  ®efd)Ie^t8  erreichbar  ift.  2)ie  eine  93e» 
bingung  ift  unbebingte  äBa^rl^aftigfeit,  unbebingte  Slnerfennung 
beS  äBirfUc^en.  @ine$  ertragen  mix  überhaupt  ni^t  me^r  in 
emfter  SBiffenfc^aft,  SBerfdileierung  eine«  Satbeftanbeä,  am  wenig« 
ften  auf  einem  ®ebiet,  ba§  ein  l^eiligeä  fein  mitt.  2)a8  Siegel 
be8  ©ötttic^en  ift  fieg^afte  SBirfUc^feit  beg  SBertPonften.  Sluc^ 
ber  le^te  @^ein  mu§  perfd^roinben,  atö  ob  e§  in  83ejug  auf  bie 
Sibel  etma^  gu  per^eimli^en  gälte  im  9}amen  beiS  @lauben§. 
3)er  ©laube,  ber  feinen  SJlamen  perbient,  ^at  nie  etmaS  ju  per* 
^eimli^en,  er  lebt  pon  ber  SBal^rl^eit.  SlUe^  au^  in  ber  83ibet, 
ja  in  i^r  befonberi^  mu^  fo  aufgefaßt  werben,  mie  e§  ift.  2lud^ 
menn  eine  fromme  ©emo^n^eit  miberfprid^t ;  fte  mu^  f^onenb 
befcitigt,  aber  fie  barf  nid^t  feftgel^alten  werben.  2llljutange  ^a»» 
ben  piele  3)tenfc^en  baS  Sud^  ber  f^rei^eit  als  ^nec^tung  emp« 
funben,  roie  einen  ®ö^en,  bem  man  aberglaubifd^e  SJerel^rung 
joHen  mu^:  ni^t  nac^  bem  ©inne  biefeS  öuc^S,  baoon  mar  bie 
Siebe,  fonbem  auS  frommem  unb  unfrommem  3Mi§perftanb.  ®ie 
93equemlid^feit  ^at  nie  bie  3wf"nft  für  fic^  gel^abt,  unb  ®r,  melier 
ber  perfönli^e  SWittelpuntt  biefeS  93u(^eS  ift,  l^at  nid^t  gefagt: 
„^ä)  bin  bie  ©emol^n^eit",  fonbern  „bie  SBal^r^eit".  ^ür  bie  Untere 
fu^ung  ber  Sibel  gibt  eiS  feine  anbem  SKa^ftäbe  als  für  irgenb 
eine  anbere  ©djrift.  Q^r  ^n^alt  mu§  fie  auSmeifen,  wenn  fie 
etmaS  93efonbere8  ift,  baoon  gingen  mir  auS.  ®iefen  3i«^ölt 
gilt  eS  immer  PoQer  unb  reiner  Pon  allem  3ufälligen,  SSergöng» 
ti^en  JU  erforfc^en.  3fm  fortfc^reitenben  SBerftänbniS  ber  83ibcl 
im  @an}en  gewinnt  bie  c^riftli^e  ©emeinbe  ben  ^Ha^ftab  ffir 
baS  einjelne  in  i^r.  S)a§  ift  nic^t  eine  2lrbeit,  l^eute  ober  morgen 
JU  PoHenben,  fonbem  nac^  i^rer  eigenen  Ueberjeugung  erft  am  Qid 
ber  @efc^id)te,  wenn  bie  93ibel  il^ren  göttlid^en  ®ienft  an  ber 
werbenben  SWenf^^eit  pollbra^t  l^at.  2lud)  finb  Umwege,  SRüdf» 
fd)rittc  eingefc^loffen,  ba§  oerftel^t  fi^  bei  einer  wirtlic^  gefc^id)t* 
liefen  ®rö^e  ganj  pon  felbft.  ^n  biefem  ä^f^nimcnl^ang  wirb 
aud)  o^ne  53ewei§  Aar  fein,  wa§  je^t  nic^t  untcrfu^t  werben 
fann,  baj5,  wenn  bisher  immer  unbefangen  pon  ber  93ibel  bie 
9tebe  war,  bamit  ni^tS  über  ben  Umfang  biefer  (Schriften 

3ettf<^rift  für  Xfftolo^xt  unb  Ritdft.  16.  3a^rfl.,  a.  ^eft.  14 


200  $  a  r  i  n  g :  2)a5  SBerftänbniS  ber  SBibel. 

im  cinjclncn  ausgemalt  rocrbcn  foUtc.  ^mz^  n)ad)fcnbe  ©efamt^ 
oerftänbniS,  pon  bcm  gefagt  rourbc,  ba§  eS  jum  aWa^ftab  be§  ein* 
jclnen  werbe,  urteilt,  auc^  roieber  natürlich  ni^t  in  grablinigem 
gortfc^ritt,  über  bie  ©renjen  be§  fogenannten  Äanon,  ber  Pon 
ber  Jtir^e  in  langer  ©ntroirflung  anerfannten  Sammlung  i). 
©Triften.  Qm  @ro^en  unb  ©anjen  l^at  fid)  il^r  Urteil  bewährt, 
aber  ebenfo  jnjeifellog  ift  e§  ftiUfc^roeigenb  berichtigt  aud)  im  93e* 
roujjtfein  ober  boc^  in  ber  prattifc^en  Haltung  berer,  bie  oft  nod) 
ongftlic^  fmb,  biefe  2;atfad)e  offen  anjuerfennen.  ©ie  perroerten 
nic^t  nur  im  Sllten  2;eftament  bie  perfd)iebenen  Seftanbteile  oer^ 
f^jeben;  maS  fie  nic^t  permerten,  ift  nic^t  roirffam,  alfo  au^ 
für  fte  nic^t  ein  roirtlic^er  Seftanbteil  be§  Äanon^).  ®ilt  in 
ben  genannten  öejie^ungen  bie  gorberung,  ni^tS  S33irtlid)c§  an 
ber  53ibel  ju  oerfc^leiern,  junäc^ft  i^ren  ^^eunben  unb  Sßere^rern, 
fo  bod)  überhaupt  ebenfo  i^ren  SJeräc^tern,  bie  nur  ein  2luge  für 
baS  aSergänglic^e  in  i^r  ^aben;  por  bem  aSirtlic^en  follen  auc^ 
fie  ftiHe  fte^en,  felbft  wenn  t§  über  i^re  mitgebrad)ten  ^Begriffe 
l^inau§ge^t  unb  i^nen  eine  neue  SEBelt  erfd^lie^t. 

3)a§  fü^rt  JU  bem  tiefften  ®runb  aller  SBal^rl^aftigfeit  auf 
beiben  ©eiten  unb  bamit  ju  ber  a  n  b  e  r  n  Sebingung  f ortfc^rei« 
tenben  93erftänbniffe§  ber  Sibel,  bie  im  ©runb  jeber  perfönlic^ 
erfüllen  mu§,  nämlic^  ba§  perfönlidie  9ld)t^aben  auf  i^ren  ;3n* 
^alt.  Unb  biefe§  mirtt  bann  ma^rl^aft  perfonbilbenb,  moburc^ 
fonft  größte  Unterfdjiebe  ausgeglichen  roerbcn.  ©c^on  oft  ift  e§ 
bem  tieferen  93eobac^ter  unferer  fc^roäbifc^en  Sanbbeoölferung  auf» 
gefallen,  wie  piel  malire  SBilbung  andj  über  baS  religiöfe  ®ebiet 
l^inaug  fie  il^rem  innigen  SBerte^r  mit  ber  SBibel  perbantt.  9lber 
ebenfo  merben  ^ödfjftgebilbete  burc^  ba§  fieben  in  i^r  ju  ß^arat* 
teren,  bie  anbern  ©inbrudf  machen,  oft  ol^nc  ba^  fie  bie  SBurjeln 
biefer  Äraft  fennen.  @o  meinte  e§  n)of)l  9tobert  3Jlaijer,  wenn 
er  einem  bamalS  berüfimtcn  2;f)eologen,  bem  bie  SBibel  ein  per* 
gangeneä  93uc^  mar,  fagen  lie§:  man  mirb  fte  Icfen,  wenn  Q\)xe 
^43üc^er  nid^t  mel^r  gelefen  werben.    Sticht  jum  93emei§  fei  baS 

1)  ^gl.  bag  im  ^auptpunft,  Pon  ben  aa^Uofcu  ©injclftrcttigfeitcn  ab= 
gcfc^en,  rocit^in  ^ufammenftimmenbe  Urteil  öon  9(.  §  a  r  n  a  cf  unb  2  f). 
3af)n. 


©  ä  r  i  n  9 :  5)ag  SBcrftanbnig  bcr  S3ibcf.  201 

gefagt  nur  jur  Qttwft^^tion.  @r,  ber  auf  wenig  ©citcn  feine 
roeltumroäljcnben  ©ebanfen  üon  ber  ©r^altung  ber  Äraft  bärge*' 
boten,  raupte  oud)  in  ber  SBelt  be§  innem  unb  eroigen  Bebend 
bie  J?raft  ju  fc^ä^en,  bie  fällig  ift,  roe^felnben  formen  fid)  roirf« 
fam  JU  erroeifen,  unb  alg  3^wgni§  biefeiS  ^öd^ften  fieben§  fc^a^te 
er  ba§  ©uc^,  mit  bem  ju  üerfel^ren  nid)t  SBerte^r  mit  einem  93uc^, 
fonbern  mit  bem  @ott  ift,  t)on  bem  e§  jeugt. 

^oc^anfe^nlic^e  SBerfammlung !  Sffiir  feieren  jum  2lnfang  ju* 
xM,  ju  bem  SBa^lfpruc^  bei^  ^aufe^  9Bürttemberg  in  großer  Qzit: 
Verbum  Dei  manet  in  aetemum.  3BeI^  ein  ®egenfa^  jroifdjen 
bamalig  unb  ^eute:  bamal^  ber  beginnenbe  Serritorialftaat  im 
ftc^  auftöfenben  JBaterlanb,  l^eute  ba§  roürbige  ©lieb  unfrei  neuen 
ffieutfc^cn  9Jei^§:  einft  eng  begrenzte  Äultur,  je^t  ba§  ß^it^^er 
ber  eiettriaität  unb  ber  ®ef^ic^t§roiffenfc^aft.  2lte  gürft  be§ 
mobemen  (Staate  \)at  unfer  fiönig  fic^  offen  betunbet,  ebenfo  mit 
aOSort  unb  %at  fc^on  oft  fic^  ju  jenem  alten  aOBal^lfpruc^  betannt. 
@r  fielet  barin  bie  Kraft  für  bie  Erfüllung  feiner  l^ol^en  2lufgabe 
unb  ben  @runb  für  ba§  SBo^l  feinet  Sßotfe^  unter  ben  ungel^euren 
Slnforberungen  ber  ©egenroart.  9li^t  im  ©inn  ber  oielmi^^ 
brauchten  SRebe  oon  ber  ©olibarität  jroifc^en  2:^ron  unb  2lltar, 
fonbern  im  ©inne  ber  grei^eit,  bie  au§  ber  ©ebunben^eit  an  ba§ 
®roige  fliegt,  in  ber  Slutorität  unb  ^ietät  einö  geroorben  ift, 
Unb  fo  rufen  mir  ^eute  roie  immer  an  biefem  feftli^en  S^age, 
bem  ®eburt§tag  be§  erliabenen  ©djirm^erm  au^  unferer  Unioerfi* 
tat:  ©Ott  erhalte,  ©ott  f^ütje,  ©ott  fegne  ben  König! 


206 


aSon 

Lic.  Sr,  mthttiaU, 

^n»atbO|enten  in  ^eibelberg- 


Einleitung. 

3)ie  93orau§fe^ung  für  bic  folgenbcn  ©aricgungen  bitbct  bcr 
nic^t  fcltenc  ©inbrudf,  ba§  man^c  ^cutc  gehaltene  ^rcbigt  gerabe 
fo  anmutet,  ate  roäre  fie  üor  brei^ig  Satiren  gel)alten  roorben 
ober  al§  ^ätte  fie  bamal§  gehalten  werben  fönnen.  Q^ren  tiefflen 
53en)cggrunb  bitbet  ber  ffiunfc^,  einen  53eitrag  jur  Seantroortung 
ber  grage  ju  geben,  bie  je^t  aQe  rül)rigen  ^^Jfarrer  befc^äftigt: 
3Bie  follen  wir  p rebigen,  um  unfrer3^it  gerecht 
ju  werben?  3^ene  fo  altmobif^  anmutenben  ^^rebigten  fto^en 
aufmerffame  ^örer  unb  Ärititer  burc^  jroei  fid)  oft  fe^r  bemert- 
bar  mac^enbe  ©igenfc^aften:  einmal  entfpringen  fie  einer  2luffaffung 
Dom  ©oangelium,  bem  ^n^alt  ber  ^rebigt,  bie  burd)  bie 
2lrbeit  ber  2:^eoIogie  ber  legten  Qa^rjel)nte  ^ier  ganj  übermunben, 
bort  f et|r  gefc^mäc^t  roorben  ift ;  unb  bann  reben  i^äufig  finge  unb 
treue  aWenf^en  auf  ^ird^  enbef  u^er  ein,  bie  in  3Bat)r^eit 
einmal  in  ber  Sßergangen^eit  ju  finben  maren,  gegenmärtig  aber  nur 
in  ber  fonftruierenben  ^^antafie  ber  ^erm  ^^farrer  oorf)anben  finb. 
Sie  antworten  auf  fragen,  bie  niemanb  fteüt,  unb  auf  bie  3^agen, 
bie  jleber  ftellt,  antworten  fie  nid^t.  S)e§  3lmte§  be^aglic^e§  gö^' 
ren  ober  bie  jjeber  (Sammlung  feinblic^e  ^e^e  eine§   ftäbtif^en 

1)  33ortra0  im  babifc^en  njiffcnfc^aftlirf)cn  ^rcbigcrocrein  ju  ^ar(g= 
ru^e  im  3>uni  1^^  (erweitert). 

3cltf(^nft  für  ai)eolO0ic  unb  Äirc^e.  16,  ^a^rg.,  8.  i^eft.  15 


204  91  i  c  b  e  r  9  a  1 1 :  ®ic  mobcme  ^rebigt. 

^farramtc§  bcförbcrt  in  manchem,  o^ne  ba^  er  es:  mtxtt,  bic  in 
bcn  I)öt)cr  fteigenben  Seben^jal^ren  fc^icr  unpermeiblic^e  SScrfcfti^ 
gung  ber  ganjcn  3luffaffung§^  unb  ©cnfrocifc,  bic  er  bei  anbern 
mit  leifem  SBebauern  ober  Säd)eln  ju  geroal^ren  pflegt,  ffiiefe 
äJerfeftigung  unb  SWec^anifierung  ju  ^inbern,  bie  2lnpaffung  an 
bte  fid)  immer  neu  geftaltenbcn  roirtlic^en  fiebenSoer^ältniffe  glatt 
unb  miüig  üoüjie^en  ju  l)elfen,  baju  foü  auf  unferm  ©ebiet  bie 
SBefc^äftigung  mit  ber  5^age  nac^  ber  2lufgabe  ber  mobernen 
^rebigt  beitragen. 

3uerft  ein  SDSort  über  ba§  SiBort  „m  o  b  e  r  n",  über  ben  ©inn, 
in  bem  e§  oorliegenbe  Slrbeit  permenbet.  @§  mirb  in  einer  bop* 
pelten  2Beife  gebraucht,  ©inmal  rein  aU  3^itbegriff  im  ©inn 
üon  ^au§  ben  legten  :3al^ren  unb  au§  unfrer  ©egenmart  ftam* 
menb".  3)iefer  objeftioen  53ebeutung  fte^t  nun  eine  anbere^  rein 
fubjeftioe  gegenüber:  mobern  —  bem  mirflid^en  ©inne  unb  ^Se^ 
bürfen  unfrer  3^it  entfprec^enb.  könnte  man  für  bie  erfte  93e* 
beutung  auc^  einfe^en  „gegenwärtig",  fo  trifft  ba§  SBort  mobern 
ben  jmeiten  ©inn  am  beften;  nod)  niel  beffer  al§  ba§  non  ^a* 
ring  gebrauchte  SBort  ^jeitgemä^",  weil  mit  i^m  ber  2lnfc^Iu§ 
an  bie  großen  geiftigen  fragen  unfrer  3^it  überf)aupt  am  beften 
angebeutet  ift.  3)a^  fic^  ber  ©toi}  ber  einen  unb  ber  ^a§  ber 
onbern  in  biefem  SBorte  jufammenfinbet,  tann  fein  ©runb  gegen 
feine  SSermenbung  fein,  wenn  e§  barauf  antommt,  auf  menigen 
©eiten  möglic^ft  War  bie  ©egenfä^e  ber  2:l)eorie  unb  ber  ^ayi§ 
l^erau§jufteüen,  mä^renb  ba§  Seben  ber  ©c^attierungcn  unb  Ueber* 
gänge  genug  bietet. 

3)er  jmeite  ©inn  be§  2Borte§,  a(fo  ber  fubjeftioe  SBertbegriff, 
l)errfc^t  im  erften  unb  im  brittcn  2:eit  unfrer  2lrbeit  oor,  mo  eiS 
barauf  an!ommt,  ba§  biefer  Stuffaffung  ber  mobernen  Sigenart 
entfprec^enbe  Obeal  ber  mobernen  ^^rebigt  auf}ufud)en  unb  in 
Umriffen  ju  jeic^nen ;  ber  erfte  ©inn,  alf o  ber  rein  objeftioe  QzxU 
begriff,  beftimmt  bie  (Sntmidtlung  im  jmeiten  Jeil,  roo  eine 
Steige  oon  ^rebigern  ber  legten  ^ö^re  in  i^ren  ^ntereffen  unb 
33eftrebungen  bargefteüt  werben  foU.  3)iefe  2)arfteUung  foU  ba* 
jn  bienen,  bie  im  erften  Jeil  gegebenen  wefentlic^  bebuftio  ge« 
tüonnenen  Umriffe  be§  mobernen  ^rebigtibeat^  mit  einseinen  fon^ 


5R  i  e  b  e  r  g  a  1 1 :  %k  ntoberne  ^rebigt.  206 

treten  QixQzn  au§jufütten.  3"9l^^  f^tt  in  biefem  2:ei(e  nic^t  nur 
bie  ^enntni§  gegentüdrtigcr  ^^rebiger  oietleid^t  ^ier  unb  ba  be- 
reichert fonbern  fie  fotten  fctbft  an  bem  oor^er  oufgefteHten  3Ka§* 
ftab  gemcffen  werben.  9Ber  fic^  oicl  mit  ^eroorragenbcren  ?ßre* 
bigten  unb  ^rebigern  ju  befc^äftigen  pflegt,  bem  brauet  nic^t 
gefagt  ju  werben,  mie  ein  folc^er  SSergleid^  ba§  Urteil  fd)arft  unb 
ben  ©efc^madf  verfeinert,  wie  fid)  unter  ber  2lrbeit  be§  aWeffenS 
unb  3Bägen§  unberou^t  in  einigermaßen  nac^  ©elbftänbigfeit 
ringenben  ©eiftern  nermögc  ber  geheimen  SWäc^tc  ber  2lnjie^ung 
bur^  ba§  SBa^loermanbte  unb  ber  2lbftoßung  burc^  ba§  S33efen§=^ 
frembe  ba§  eigene  l)omiletif^e  -^beal  unb  bie  ^omiletif^e  ^erfön* 
lic^teit  immer  fc^ärfer  ^erauöbitbet. 


I.  Sie  äJorauSfe^ungen  ber  ntobernen  $rebigt. 

2)a§  3»i>cal   ber  mobernen  ^rebigt. 

SBie  foll  ba§  3»  b  e  a  t  ber  mobernen  ^^rebigt  geroonnen  roer^ 
ben?  2Ba§  ift  beun  überhaupt  ^rebigen?  ^rebigen  ift  bie  in  be^ 
ftimmten  formen  üor  fic^  ge^enbe  2:ätigteit  einer  baju  berufenen 
religiöfen  ^erfönlic^feit,  bie  au§  i^rem  93erftänbni§  be§  @oange= 
lium^  ^erau§  einer  gotte^bienftlic^  nerfammelten  ©emeinbe  baju 
oer^itft,  auf  i^re  fragen  unb  9tötc  Slntmort  unb  ^ilfe  ju  finben. 
D^ne  baß  bamit  eine  ^ier  gar  nic^t  erforberte  genaue  Umfc^rei^ 
bung  be§  53egriff§  ^rebigt  geboten  merben  fotl,  tann  man  boc^ 
auf  allgemeine  3i^Piw^"^iii^9  red)nen,  wenn  man  fagt:  neben  ber 
^^erföntic^teit  tommen  jmei  gaftoren  in  93etrac^t,  bie  für  bie  ^^re= 
bigt  oon  begrünbenber  53ebeutung  fmb:  um  e§  fo  au^jubrüdfen, 
neben  bem  9t  o  m  i  n  a  t  i  o ,  bem  ^rebiger,  muß  berücf [id^tigt  mer* 
ben  ber  31  f  t  u  f  a  t  i  o ,  nämtid)  ba§  ©oangelium,  ba§  er  ju  oer= 
tünbigen  ^at,  unb  ber  ®  a  t  i  o ,  bie  ©emeinbe  in  i^rer  örtlichen 
unb  i^eitlid^en  93eftimmtt)eit,  ber  er  e§  oerfüubigen  foü. 

S)ie  moberne  ^rebigt  müßte  fic^  bemnad^  au§  jmei  g^ftoren 
ergeben :  au§  unf erm  9Serftänbni§  be§  @  o  a  n  g  e  l  i  u  m  §  unb  au§ 
unferm  SBerftänbni^  u n  f  r c r  Stil  5)ag  fotten  bie  jmei  Pfeiler 
fein,  auf  benen  unfre  ganje  Unterfuc^ung  ru^t.     2öir  fagen:  Söer 

15* 


206  ^^iebergall:  ^ie  moberne  ^rebigt. 

bcr  moberncn  3^it  öu§  bcm   mobcm  ücrftanbeneu  ®DangcIium 
3icl  unb  Umblirf,  2:roft  unb  Äraft  bietet,  ber  prebigt  mobern. 

SBir  muffen  alfo  juerft  fragen:  SBie  fie^t  ba§  moberne 
©oangelium  unb  roie  fie^t  ber  moberne  SWenfd)  au§? 
Onbem  id)  oorl^er  bemerfe,  ba§  ic^  in  bcn  folgenben  2lu§fü^rungen 
mir  bemüht  bin,  gan§  perfönlid)s,einfeitige"  Ueberjeugungen  unb 
SSeobac^tungen  ju  geben,  ge^en  mir  jum  Sßerfuc^e  einer  @rtennt= 
ni§  beibcr  ®röj5cn  mit  fotgenber  allgemeinen  SBorauSfc^ung  über: 
6§  gab  feine  >izxt,  roo  beibe  ®rö^en  nic^t  in  innerlicher  53e}ief)ung 
ju  einanber  geftanben  f)ättzn,  nömli^  in  älb^ängigCeit  oon  einer 
britten  ®rö§e,  bem  ®eift  ber  3^it-  ®^^  ®ciP  ^^^  3^it  ift  immer 
mobern,  e§  gab  immer  moberne  3Jlenfd)en,  e§  gab  immer  mober* 
ne§  ®oangelium§Derftänbni§.  SBir  fuc^en  au§  bem  ®eift  ber  3^it 
abjuteiten,  n)a§  mir  ^eute  in  beiben  Sejie^ungen  al§  mobern  er* 
fennen  unb  be^upten  fönnen. 

®er  ©eift  ber  ßeit. 

®§  fann  ni^t  unfre  Slufgabe  fein,  meit  eS  ju  meit  fü^rt 
unb  unfre  Gräfte  überfteigt,  bie  neue  3^it  i"  ben  größten  ge* 
fc^ic^tgp^ilofop^ifd)en  Slal^men  ju  fteUen.  ©onft  mürbe  man  etma 
biefeS  ausführen :  fte  ift  eine  weitere  ^^afe  in  bem  großen  ^^}ro* 
je§  ber  allgemeinen  ©ätutarifation,  wie  er  feit  ber  9ieformation 
unb  SRenaiffance  im  ®ange  ift.  ®§  fc^eint,  ba^  fie  mieber  einen 
ftar!en  SRud  in  ber  53emegung  bebeutet,  bie  barauf  au^ge^t,  ba§ 
3Wittelalter  abjuftreif en ,  beffen  c^aratteriftifc^eS  Ä'ennjeic^en  bie 
Unterorbnung  aller  fieben^gebiete  unter  bie  fird)lic^e  SBormunb« 
fc^aft  mar.  S)a^  fie  mieber  einen  ft arten  JRudf  bebeutet,  ergibt 
ftd)  au§  einer  meitoerbreitetcn,  allgemein  fpürbaren  inneren  Unruhe, 
mie  fte  immer  ftarf  ausgeprägten  Übergang^jeiten  einjumol^nen 
pflegt.  3)iefen  S^aratter  ber  ÜbergangS/^eit  finben  mir  in  einem 
gemiffen  imiefpältigen  ©runbjug  beftätigt,  ber  fic^  burc^  ba§  ganje 
moberne  ©eifteSmefen  ^inburc^jie^t  unb  auc^  auf  unfern  beiben 
Unterfuc^ung^gebieten  mieberfinbet. 

®^  ift,  mit  einem  SBorte  gefagt,  ber  ©runbjug  einer  b  o  p* 
pelten  SReaftion,  ber  unfrer  3^it  '^(i^  ©epräge,  il^re  Unrul^e 
unb  3lot,   aber  auc^  i^r  93ormärt§ftürmen  unb  i^re  SSebeutung 


Sf^tebergall:  ^te  mobeme  ^rebigt.  207 

gibt.  9li^t  nur  bie  ©coba^tunci  unb  Prüfung  bcr  ffiingc  fclbft, 
fonbem  auc^  eine  allgemeine  SBa^me^mung  füf)rt  ju  bem  aSer= 
fuc^,  in  biefer  SBcife  ba$  9Befen  unfrer  3^it  auöjubrüdten.  6§ 
fc^eint  nämlid)  fein  unbrau^barer  ©^(fiffel  jum  3Jerftänbni§  einer 
^eriobe  ju  fein,  wenn  man  fragt:  wogegen  reagiert  fie?  unb 
roctd^e  ©infeitigfeit  erl^ebt  fi^  in  ifjr,  bie  mieber  bie  SReaftion  ber 
nä^ften  ^eriobe  l^erüorruft?  ©o  fommt  e§,  ba^  immer  ber  ©ol^n 
am  fc^ärfften  roiber  ben  93ater  fte^t,  aber  ber  Snfel  über  ben 
93ater  fiinmeg  bem  ©ro^oater  bie  ^anb  reid^t.  3)iefer  Sidiad^ 
perlauf  gibt  ber  ganjen  ©ntmicflung  nid)t  nur  i^ren  äfttietifc^en 
SReij,  fonbem  aud^  ben  S)rang,  i^r  53efteg  auö  i^rem  ©c^ojje  ^er» 
au^ju^olen,  mie  immer  ber  SEBiberftanb  ba§  Se^te  an  Äraft  ^erauS* 
^olt  unb  bie  ©infeitigfeit  roiber  eine  ©infeitigteit  ©tärfe  unb  Ori^ 
ginalität  unb  in  ber  ^anb  eine§  orbnenben  Überlegenben  aEBeltroil* 
len§  bie  größte  görberung  großer  geiftiger  ©efamtaufgaben  bebeutet. 

Raffen  mir  fo  unfre  3^it/  ^^^^  bietet  fie  reijuolle  Rontrafte 
unb  ftarte  ©pannungen  genug :  einmal  jeigt  fte  noc^  ftarte  ©puren 
einer  9teaftion  gegen  bie  oerfloffene  ^^eriobe  einer  romantifc^* 
fpetutatioen  ©eifteiSric^tung,  in  bem  ^iftoriji§mu§  unb  9iaturalii^« 
mu§,  bem  9telatit)i§mu§  unb  2Wateriali§mu§ ;  unb  biefe  ganje 
@eifte§ric^tung  ^errfc^t  noc^  weithin  in  gebilbeten  unb  ^albgebiU 
beten  ©d^ic^ten.  daneben  aber  ^aben  mir  bereits  eine  ftarte 
iReaftion  ber  feelifc^en  Jicfe  gegen  bie  Dberfläd)entuttur,  ein  93er* 
langen  nad)  bem  5Rei(^  be§  @emüte§  unb  ber  ^^antafie.  ©o  ift 
ba§  ^räfen§  jum  2:eil  eine  9tac^n)irfung  be§  ^erfeftumS  unb 
3[mperfettum§,  hinter  benen  ba§  Pu§quamperfeftum  liegt,  aber 
fc^on  ragt  fe^r  ftarf  in  ba§  ^röfen§  ba§  futurum  l)erein,  ba§ 
fi^  in  mancher  feiner  Jenbenjen  mieber  mit  bem  ^lu§quamper» 
feftum  berührt. 

3)iefe  ßmiefpältigfeit  wollen  mir  nun  auf jujeigen 
oerfud^en  juerft  im  mobernen  93erftänbni§  be§  ©pangeliumS  unb 
bann  im  fogenannten  mobernen  2)tenf(^en.  Qm  le^teren 
ift  fie  ol^ne  ßn^^if^l  ^i^l  ftärf er  ausgeprägt ;  aber  fie  fc^immert  auc^ 
burc^  bie  9JJannigfaltigfeit  unb  ben  ©egenfa^  in  unfrer  t)eutigen 
t^eologifc^en  2trbeit  an  bem  93erftänbniS  beS  ©DangeliumS  ^inburc^. 


208  91  i  e  b  e  r  9  a  U :  ®ic  ntobernc  ^rebigt 

A.  ^üd  mobente  dbangeHitiitdberftfttibnid. 

S)cr  jroiefpältigc  ß^araftcr  bc§  3^it9^iP^^  fpi^fl^H  fid^  wicbcr 
in  bcr  mobcrnen  J^cologie ,  infofern  fie  einmal  f  r  i  t  i  f  c^  unb 
bann  p  o  f  i  t  i  p  ift. 

1.  Qn  erfter  Sinie  gibt  il^r  bie  fritifc^e  Slrbeit  be§ 
vergangenen  3ö^rl)unbert§  i^r  ©epräge.  S)ie  ganje  überlieferte 
Se^re,  faft  bie  ganje  biblif^e  Söelt,  piel  alter  93rauc^,  ift  il^r 
jum  Opfer  gefallen.  9tid)t§  roar  fo  l^eitig,  ba^  bie  ^änbe  ber 
JEritit  jum  ©ntfe^en  ber  ^ietät  unb  ber  2lutoritat  nic^t  ge* 
roagt  l)ätten,  bie  ©runblage  unb  ben  SKufbau  tüijl  ju  betaften  unb 
jum  großen  Seil  ju  üerroerfen.  Sbenfo  n)ie  in  bem  großen  ^roje^ 
ber  ©ätularifation  bie  anbern  fieben^gebiete,  ba§  redjtlic^e,  ba§ 
politifc^'^bürgerlidie,  ba§  fünftlerifd^e  unb  roiffenfc^aftlic^e  auä  ber 
religiö§4irc^lic^en  3Jormunbfc^aft  entlaffen  würben,  fo  greift  je^t 
biefe  @d)eibung  auc^  ba§  mit  bem  religiöfen  Seben  pon  ber  ©c^rift 
unb  2:rabition  ^er  oerbunbene  3)enfen  an.  ®iefe  2luflöfung  aller 
aSerbinbung,  bie  ba§  religiöfe  Seben  mit  ben  pcrfc^iebenen  Seiten 
be^  menfc^lic^en  @eifteöleben§  in  Qtxtm  gefc^loffen  ^atte,  mo  beibe 
Steile  einanber  ju  i^rer  Kräftigung  beburften,  l^at  eine  immer 
größere  Einengung  bes;  religiöfen  Seben§  jur  golge;  aber  nur 
fc^einbar,  benn  in  SBirflic^teit  wirb  an  Siefe  unb  Kraft  gemonnen, 
ma^  an  Umfang  eingebüßt  loirb.  Unter  biefem  ©efic^tspuntt 
muffen  mir  auc^  bie  Trennung  beurteilen,  bie  gegenwärtig  bie 
meiften  ©^merjen  ju  machen  fc^eint,  nämlid)  bie  2:rennung  ber 
Sieligion  üon  ber  alten  J^eologie  unb  i^re  Unterfc^eibung  oon 
jeber  2:^eologie.  üJlan  fann  e§  gut  nac^füt)len,  wie  biefe  2lrbeit 
ber  Kritif  manche  in  3orn  ober  in  äJerjmeiflung  bringt,  meil  fie 
i^nen  entmeber  i^ren  ©lauben  felbft  antaftet  ober  bie  3?eligion  im 
(Stauben  nadEt  mie  ein  ^ilflofe§  Kinb  in  ben  rauben  SBinb  ber 
Strafe  fe^t.  2luc^  bie  9tefignation  unb  bie  ©ntrüftung  berer  ift 
JU  perfte^en,  benen  e§  fo  porfommen  will,  al§  ob  bie  unermüb* 
lic^e,  rüdfic^t^lofe  2luf^ellung  ber  ge^eimni^potlen  Offenbarung^* 
jeiten  burc^  bie  eoolutioniftifc^e  aWetbobe  @otte§  Offenbarung  unb 
3Balten  bebro^te  unb  burc^  genauer  erfannte,  feinere  Kaufalju* 
fammen^änge  erfe^en  wollte.  9tac^bem  bie  neuere  3iaturwiffen= 
fcl)aft  ©Ott  in  SBo^nungsnot  gebract)t  ^at,  läfet  it)m  bie  t)iftorifc^* 


91  i  c  b  e  r  g  a  U :  5)ic  mobemc  ^rcbigt.  209 

fritifd)c,  im  ©inn  bc§  ©ntiüidEIungSgcbanfenS  betriebene  ®efc^id)t§* 
roiffenfc^aft  gar  feinen  9taum  mti)v,  um  in  feiner  nad)  ^riftlid^cr 
Sluffaffung  eigentUc^ftcn  3)omäne,  ber  9Jlenfc^engefd)ic^te,  ju  roirfen. 
Sie  bem  mec^anifc^^materlaliftifc^en  ©cifte  ber  3cit  entftammenbe 
?5orf^ung^metl)obe  fc^lingt  bic  SWafc^en  ani)  jmifc^en  ben  großen 
Offenbarung^trägern  unb  i^rer  Ummelt  immer  enger,  fo  ba|  fic^ 
bie  aWaffe  i^rer  ©ebanfen  unb  93cftrebungen  o^ne  gro^c  SWü^e 
QU§  immer  Harer  merbcnben  Quellen  ableiten  lä^t. 

2.  3)iefe  9töte  I)aben  immer  mel)r  oon  ber  Oberfläche  ber 
©ebanten  unb  aSorftellungen  in  bie  2:iefe  gebrängt  unb  bie  ®'u 
genart  be§  religiöfen  Seben§  fomie  bie  Offenbarunggftätte  ber 
©ott^eit  bort  fu^en  laffen,  mo  bie  gar  nic^t  ableitbare  Origina* 
lität  ber  ^erfönlid)feit  be§  Äaufaljufammenl^angg  fpottet  unb  ju* 
gtei^  auf  ben  Krümmern  alter  ^errlic^!eit  ganj  neueö  unb  oiel 
größeres  Seben  ^erüorf priesen  lä§t.  ®§  ift  nic^t  fo,  ba^  mir  au§ 
ber  yiot  eine  2:ugcnb  gemad^t  Ratten,  fonbern  bie  ganje  gü^tung 
unb  Seitung  be§  geiftigen  SebenS  burc^  @ott  i)at  burc^  bie  SSer* 
nic^tung  be§  geringeren  Sllten  beffereö  9]eue§  an  ben  2:ag  gebrad^t. 
aSBir  feigen  e§  al§  eine  gro^e  Sereid^erung  an,  wenn  un§  bie  SReattion 
gegen  bie  ©infeitigfeit  ber  ^ritif  unb  ba§  93ebürfni§  nac^  SGBa^r» 
l)eit  unb  2:iefe  bie  diriftlic^e  SReligion  mieber  entberfen  l^alf. 
®iefe  SGBelt  ber  religiöfen  ^erfönlic^!eit  ^at  unfre  ganje 
Stellung  unb  2luffaffung  umgeftaltet;  fic  i^at  un§  frei  gemacht 
üon  ber  balb  fned^tifd)  balb  jornig  getragenen  |)errfc^aft  ber  alten 
©ebanfen  unb  Sßorftellungen.  SQBir  ereifern  un§  nic^t  me^r  fo 
mie  früher  für  ober  gegen  bie  „3)  o  g  m  e  n",  fonbern  mir  per« 
ftel^en  fie  oon  innen,  faft  möchte  man  fagen  oon  unten  l^erauö, 
al§  jeitlid)  notroenbige  fieben^äu^erungen  eben  ber  c^riftlid)en 
^römmigfeit.  ©ntfpred^enb  bem  ©d}lagroort  „bie  Äunft  al§  2lu§^ 
brudf"  tonnte  man  fagen  bie  „S^eologie  al§  2lu§brudf".  ©o  tommen 
bie  3)ogmen  ju  fte^en  al§  SRefleje  ber  3lrt,  mie  man  @ott  erlebte, 
ober  al§  fold)e  intetlettuelle  Slefleje  fmb  fie  bann  allerlei  irreli* 
giöfen  3Käd)ten  preisgegeben.  3)iefe  ^etrac^tungSmeife  greift  auc^ 
auf  bie  ©  (^  r  i  f  t  über  unb  mac^t  fie  ju  einer  ©ammlung  oon 
ßeugniffen  einer  ftetig  auffteigenben  SReligiofität.  SBaS  oorbem 
Objett  beS  ®lauben§  mar  at§  bie  gefe^lic^  aufgefaßte  2leu§erung 


210  5R  i  c  b  e  r  0  a  n :  3)ie  mobemc  ^rcbigt. 

cinc§  flafftfc^cn  @Iauben§,  baS  wirb  nun  jurüdübcrfe^t  in  bic 
uvfprünglic^e  Sprache  unb  aU  SluiSbrucf  ocrftanben,  bcr  baju  ein* 
labt  benfclbcn  äöeg  oon  bcr  2leu^crung  in  ba§  3fnnenlebcn  ju^ 
rüdfjugcl^cn,  ben  ba8  93ebärfni§  bc§  rcligiöfen  ficben§  nad^  Älar= 
l|cit  unb  SWitteitung  oon  unten  nac^  oben  gefül^rt  l)atte.  SBir 
füllen  un§  immer  me^r  in  biefe  Qnnenmelt  be§  religiöfen  fieben§ 
ein,  lernen  bie  ®efü^le  unb  ©trebungen  nid)t  nur  erfennen  unb 
tjerfte^en,  fonbem  ani)  vergleichen  unb  abfc^a^en,  fo  bo^  mir  i^re 
^ortfc^ritte  unb  SBerberbniffe  feftftelten  unb  bie  gäl^lgfeit  einer 
SJorfteßung,  ju  it)rer  unb  ju  unfrer  3^it  au^jubrürfen,  xoa^  fie 
}um  2tu§brurf  bringen  follte,  abfc^ä^en  tonnen. 

©0  fmb  mir  burc^au§  p  o  f  i  t  i  o  gemorben^  in  unfern  tiefften 
^ntereffen  bur^  unb  burc^  pofitip.  aWögen  mir  and)  bie  J^ertömm* 
liefen  gormen  ablei^nen,  an  ben  großen  emigen  ®ütem  unb  Äräf^ 
ten  l^ängen  mir  mit  ganjer  ©eele.  S)ie  I)errfc^enbe  t^eologifc^- 
f irc^lic^e  Slnfc^auungämeife  mirb  fic^  baran  gemö^nen  muffen,  ba§ 
mir  biefelbe  ©ac^e  mit  unfern  oon  ®ott  gegebenen  2lugen  feigen 
unb  mit  unfern  ^änben  anfaffen.  2lber  ei^  gel)ört  eine  gro|e, 
bur^  grünbli^e§  ©tubium  ber  gefc^ic^tlic^en  ©ntmidlungen  ge- 
bilbete  aSeit^erjigfeit  baju,  menn  man  feine  2luffaffung  ber  ©ac^e 
nic^t  mit  ber  ©ac^e  felbft  oereinerleien  unb  auc^  anbern  2luf« 
faffungen  rechten  ©pielraum  geben  foU,  bie  boc^  nur  ©piegelungen 
berfelben  ®rö|e  in  einem  anber§  gefc^affenen  unb  geffil^rten  ®eifte 
ftnb.  3^ebenfall§  I)aben  mir  feinen  ®runb  mc^r,  länger  ju  er* 
tragen,  i>a^  ftc^  unfre  ®egner,  mit  einem  bebauernben  ober  oer* 
merfenben  ©tid  auf  un§,  pofitio  nennen. 

3.  SWit  biefer  SBeac^tung  ber  Sieligion  im  ©^riftentum  l^ängt 
ba§  Sntereffe  unb  93erftänbni§  für  bie  anbern  SÄeligionen  auf 
ba§  engfte  jufammen.  3)a§  gilt  für  alle  3«^^i9^  ^^^  t^coretifc^en 
J^eologie.  Qzig^t  bie  eyegetifc^e  bie  Sinflüffe  frember  SWeligion^^ 
fgfteme  unb  reid^e  2lnalogieen  ju  ®rfd)einungen  auf  bem  au^er* 
biblifc^en  ®ebiet,  jeigt  bie  I)iftorifct)e  ba§  üJBerben  ber  tird)lic^en 
SI)eologie  unb  bie  SSeränberungen  religiöfer  ©timmung  unter  bem 
©influ^  großer  religiöfer  Silbungen,  fo  bilbet  bie  ft)ftematifd)e 
S^eologie,  befonber§  bie  2)ogmatit  bag  gelb,  mo  bie  2lu§einanber^ 
fe^ung  mit  ben  anbern  ^Religionen  bie  mi^tigften  Slufgaben  ftellt. 


91  i  e  b  c  r  9  a  1 1 :  3)ic  mobcrnc  ^rebigt  211 

©ie^t  man  genauer  ju,  mag  hinter  ben  erbitterten  kämpfen  in 
ber  gegenwärtigen  Il^eologie  ftel^t,  fo  fönnte  man  bie  beiben  @eg* 
ner  etroa  mit  bief en  ©c^tagroörtern  bejeic^nen :  ^ier  S^riftentum, 
bort  JReligion;  ^ier  gläubig,  bort  fromm  unb  religiöiS.  3)amit 
fod  gefagt  fein,  ba§  e§  auf  ber  einen  ©eite  mel^r  auf  ben  mög* 
lic^ft  genauen  3lnfd)Iu§  an  ben  geiftig^gcfc^ic^tlidien  Äompicj  an^ 
tommt,  ben  man  ®l)riftentum  nennt,  bie  anbre  Seite  aber  me^r  SGBert 
barauf  legt,  bie  ^Religionen  ber  SDäelt  a(§  eine  ©efamtcrfc^einung 
ju  faffen  unb  ju  mürbigen.  ©etonen  bie  einen  bie  Muft  jroifc^en 
bem  ©^riftentum  unb  ben  anbem  Sietigionen,  fo  legen  bie  anbem 
ben  ^auptnad)bruct  auf  bie  in  ber  großen  religiöfen  ©efamtbe^ 
roegung  gegebene  geiftige  3Mac^t  unb  Offenbarung  ®otte§.  @ine 
genaue  Sefmnung  jeigt  freiließ,  ba^  beibe  ein  ^robutt  ber  ge^ 
fc^ic^tlic^en  ©eifteSentmirftung  üor  Sttugen  l^aben,  in  bem  fid^  ber 
oon  3efu§  ^errü^renbe  gaben  mit  oielen  fonftmofier  ftammenben 
ju  einem  ©eroebe  oerbinbet.  Q^m  begeic^nen  biefe§  ©emebe  mit 
bem  Flamen  S^riftentum,  weil  i^nen  ber  oon  3?efu§  ftammenbe 
21nteil  am  roic^tigften  unb  ber  2lnfc^lu^  an  bie  gro^e  ©ntmidlung 
be§  K^riftentumS  unb  ber  Äirc^e  unentbe^rlid)  fc^eint,  biefe  legen 
ben  9lac^brudt  auf  bie  bem  3Wenfc^en  oon  ^au§  au§  mitgegebenen 
3Womente  unb  roollen  üielen  ben  2lnfc^lu§  an  bie  ^Religion  er* 
möglichen,  benen  ber  9lame  S^riftcntum  unfgmpat^ifc^  ift.  3^ene 
fagen  „gläubig",  meit  fie  SEBert  legen  auf  bie  SBerbinbung  mit  flaf* 
ftfc^en  gefc^ic^tlic^en  ^erfonen  unb  3citc«/  Wefe  fagen  „fromm", 
roeil  fie  ©ott  überall,  im  Unioerfum,  befonberö  auc^  in  ber  9latur 
unb  ber  ^unft  ju  finbcn  glauben.  ®iefe  nennen  jene  eng,  jene 
^ei^en  biefe  bafür  jerflie^enb,  jene  betonen  ben  SBäillen  al§  ba§ 
DorneI)mfte  ©tüdf  in  ber  ^Religion,  biefe  ba§  ©efü^L  ^ene  for^ 
bem  perfönlid)eg  Seben  in  ber  ©emeinfc^aft  mit  bem  perfönlii^en 
©Ott,  biefe  fte^en  oft  pant^eiftifd)»mijftifd)en  Stimmungen  nic^t 
alljufem.  2lber  mit  biefer  Sc^ilberung  foll  nic^t  fortgefafiren 
werben;  jum  2tbfc^lu^  nur  bie  33emerfung,  ba§  c§  nur  auf  eine 
fe^r  allgemeine  ©^arafterifierung  unb  eine  ganj  ftijjen^afte  S^iä)> 
nung  antam,  bie  im  großen  unb  ganjen  bie  gegenfä^lidie  Stellung 
in  ber  mobernen  2:^eologie  gegenüber  bem  Problem  „©^riftentum 
unb  ^Religion"  erfcnnen  laffen  foll.    So  fe^r  bev  Sßerfaffer  auf 


212  9^  i  c  b  c  r  ö  a  n :  S)ie  mobcmc  ^rebigt 

bcr  mit  bcm  3Bortc  „S^riftcntum"  bcjeid^neten  ©citc  ftclit,  fo 
rocnig  ocrfcnnt  er,  ba§  bic  anbrc  2luffaffung  fojufagen  üicl  „mo* 
bemcr"  ift.  ©ic  entfpri^t  olinc  ^n^^ifcl  oi^I  w^^^ir  bcr  romantifc^* 
äftt)etificrcnben  S)entroeifc  bcr  ncueftcn  ©egenroart  unb  mag  barum 
bcn  3lnfc^cin  crroecfen,  a(§  ob  e§  il|r  gegeben  fein  fönnte,  „bie" 
SReligion  „be§"  mobernen  SUlenfc^en  ju  werben.  ®oc^  barüber 
foK  fpäter  genauer  ge^anbelt  werben,  wenn  mir  un§  au§fül|rlic^er 
mit  bem  mobernen  ^enfc^en  unb  ber  2lufgabe  ber  ®oangelium§* 
ücrtünbigung  befd^äftigt  Iiaben. 

B.  ^er  mobertte  ^ettfc^. 

Qm  folgenben  foK  ber  SSerfu^  gemad^t  roerben,  neben  bie 
oielen  oorl^anbenen  @d)ilberungen  be§  mobernen  SWenfc^en  noc^  eine 
anbre  SDarfteKung  ju  fe^en,  bie  manc^e§  oon  bem  in  biefen  93efc^rci^ 
bungen  ©efagten  aufnimmt,  anbere§  ^injugefügt.  ®anj  auSbrücf * 
lic^  fei  bemerft,  ba§  e^  gana  uni)  gar  unmobern  märe,  ju  glauben, 
^ber"  mobeme  SWenfd^  fäl^e  fo  unb  fo  aug,  alfo  jeber,  ber  mit 
33ett)u§tfein  in  ber  ©egenroart  lebt.  @§  ^anbelt  fi^  bIo§  um 
bie  ^Bereinigung  oon  @inje(jügen,  nic^t  um  bie  Sefc^reibung  oon 
©injelmenf^en,  e§  ^anbelt  fic^  um  einige  Qüc^t,  bie  im  Unterfc^ieb 
oon  früher  bie  geiftige  ^^gfiognomie  ber  Qtit  be^errfc^en,  foroeit 
e§  fid)  um  ba§  religiöfe,   d)riftlic^e  unb  fird^Iic^e  fieben  I|anbe(t. 

^6)  oerjic^te  foroo^l  auf  eine  Slbleitung  aU  aud^  auf  eine 
friftematif^e  Slbrunbung.  SQäir  motten  bie  Stufgabe  fo  ju  löfen 
fud)en,  ba§  mir  oon  äußerlichen  Äennjeid)en  ju  innern  Sigen* 
fc^aften  fortfc^reiten  unb  foroeit  e§  möglid^  ift,  ben  betreff enben 
3ug  an  einen  bctannten  mobernen  9iamen  ober  an  ein  folc^eS 
Sc^tagroort  anheften. 

1.  2)a§  erfte,  ma§  auffatten  muß,  ift  bie  Unraft  be§  fiebenS. 
3eit  ift  @elb,  @e(b  ift  Sßergnügen.  2tber  3eit  ift  auc^  ^orfd^en 
unb  Semen,  3^it  ift  aud^  Slufna^me  ber  unglaublid)  oielen  6in* 
brücfe,  bie  auf  einen  auf merff amen  unb  intereffierten  ®eift  lo§= 
ftürjen.  SÖelt  unb  Seben  merben  immer  intcreffanter,  unb  in  bem* 
felben  SJlaffe  nehmen  bie  fieute  ju,  bie  fic^  für  att  bicfe  S)inge 
intereffieren  unb  bie  bie  Seute  mit  ben  SDingen  betannt  machen 
motten.    2Bie  oiel  Qntereffante^  muß  man  an  fic^  oorübcrfluten 


3(1  i  e  b  e  r  ö  a  11 :  ^ie  mobeme  ^rcbigt.  213 

laffcn,  TDcit  man  ftd^  bcr  gcroö^nlic^cn  güHc  ber  auf  einen  ein* 
ftümienben  ©inbrüdte  nid)t  erwehren  !ann!  Xxoi^  einer  immer  Der« 
ftänbiger  merbenben  Körperpflege  unb  aller  S)iätetit  beS  ©eifteS 
ftumpft  bie  Ueberfülle  ber  in  ber  Äon!urrenj  immer  fc^ärfer  mer* 
benben  SReije  ben  3Wenfd)en  ab  unb  jerreibt  Sleroen,  ®eift  unb  ©eete. 
SJlanc^e  tonnen  o^ne  biefe  2lufregung  nid^t  me^r  leben,  anbre 
tlagen  o^ne  bie  Kraft,  bem  SBirbel  ju  entfagen.  3)a^er  tommt 
bie  ftarfe  SRerpenfc^roäd)e,  bie  fic^  in  ber  ©e^nfurf)t  nad)  i^rer 
eigenen  SHutter,  ber  2lufregung,  äußert;  aber  ba§  @nbe  ift  bie 
Unfä^igteit,  ftc^  Ju  f onjentrieren  unb  bie  bebenflic^e  SB  i  1 1  e  n  §* 
f^roäc^e  ber  ©egenroart,  bie  fic^  in  einem  SBiberroiHen  gegen 
jebeg  ,,®u  foUft"  unb  in  ber  ©e^nfuc^t  nac^  immer  betäubenberen 
©enüffen  unb  feineren  Qmpreffionen  äußert.  ®a§  ift  ber  meit 
verbreitete  3^mmorali§mu§  ber  ©c^roäc^e  ober  ber  blafierten  ©fepfi^, 
ba§  ift  bie  moberne  9]en)enfud^t,  bie  alleS  füllen,  ried)en  unb  be* 
taften  mu^,  meil  man  in  ba§  9lei^  ber  ©inne  t)inuntergefunten 
ift.  aWan  ift  fe^r  „reijfam"  (§äring),  b.  f).  man  ift  empfinblic^ 
unb  empfänglich  für  fleinfte  9leijbifferenjen,  bie  man  früher  nic^t 
cmpfunben.  @5  mirb  ftc^  aber  erft  fpäter  einmal  ^erau^ftellen, 
ob  man  biefe  SSerfeinerung  ber  9BaI|rne^mung§fät)igfeit  mit  ber 
oerjelirenben  ©ud)t  nad)  immer  neuen  feineren  Steijen  ober  auc^ 
nac^  ftärteren  ©inbrücfen  nic^t  ju  ^oc^  beja^lt  l^at.  3lber  oiel* 
leicht  ift  bie  moberne  Sleroofität  teleologifc^  ein  SUlittel  ju  neuer 
SSertiefung  ber  ®rfenntni§  unb  be§  Seben^genuffe^.  2)amit  ^ängt 
ber  3  »n  P 1^  ^  f  f  i  ö  "  i  ^  ^n  u  ^  jufammen.  3Jlan  ift  eilig  unb  man 
ift  ftumpf;  barum  nur  fd)arf  umriffene  ©eftalten,  wenige  grelle 
JJarben,  fd^nell  ein  paar  ftarfe  ©inbrücfe,  ein  paar  Siebter  auf  bie 
2)ingc  gefegt,  nur  nic^t  fc^ilbern  unb  langweilig  befc^reiben ;  benn 
man  ^at  fo  oiel  auf junef)men  unb  \)at  ju  ruf)iger  SRejeption  !eine  3cit. 
3)er  moberne  9t  e  a  l  i  §  m  u  ^  bebeutet  ben  alleinigen  SRefpeft 
oor  ben  J^atfad^en,  aber  auc^  ben  junger  nac^  roirflic^er  SBirf* 
lid)feit  um  jeben  $rei§.  SJJan  hungert  nad^  ber  äBirflic^feit  ber 
©efc^ic^te,  be§  ©eelenleben^,  nac^  ber  SBirtlid^teit  auf  bem  empi» 
rifd)en,  befonber^  auf  bem  fojialen  ©ebiet.  ©ie  mag  fein  luie 
fie  mill,  aber  fie  mu^  nur  ma^r  unb  ftar  fein.  Qft  fie  fc^limm, 
um  fo  beffer;  bo^  gibt  i^r  für  ben  oerbreiteten  ^effimi^mu^  unb 


214  Sfliebcrgall:  %xz  mobeme  ^rcbigt 

für  bic  greube  an  bcv  bci^cnbcn  Äritif  noc^  einen  ganj  aparten 
©efc^marf.  SRebenSarten,  QUuftonen,  @efüf)(§fd)rocl9ereten,  ©cban* 
!enfgftemc  ftelin  tief  im  Äur§.  9Han  mü  bie  ©inge  fennen  lernen, 
nid^t,  xüd^  anbre  barüber  gefagt  ober  babei  gefüllt  Iiaben.  93e» 
fonberö  wirb  eine  jebe  beraubte  93eeinflnffung  in  innertii^en  S)ingen, 
jebe  ^eud^elei  unb  Sßerfü^rung  jur  |)eud)e(ei  abgelehnt,  ^z  eigen- 
artiger unb  tiefer  fi^  bie  ^erfönlic^feit  jur  ©elbftänbigfeit  ent* 
roictelt,  befto  weniger  ift  anf  bem  SSSege  ber  Ueberrebung  ober  gar 
be§  3win9ß"wotten§  ju  erreichen.  93ei  bem  einen  oerfd^Iie^t  ber 
2:ro^,  bei  bem  anbem  bie  Heufd)t)eit  be§  ®mpfinben§  D\)x  unb 
9Kunb  einem  jeben  SSerfuc^  gegenüber,  eine  ©emeinfd^aft  im  2tu§' 
taufc^  über  innerliche  ®inge  l^eraufteKen.  .^öc^ftenS  Siatfa^en 
ma^en  (Jinbrucf  unb  geben  2tnla^  jum  weiteren  9lac^benfen,  menn 
i^re  ooHftänbig  eigenartige  unb  freie  2luffaffung  unb  SSerroertung 
geftattet  ift.  SWan  !ann  unfrer  3^it  ^i^l  93öfe§  nac^fagen;  aber 
man  mu§  i^r  ben  SRu^m  laffen,  ba§  fte  m  a  ^  r  I|  a  f  t  i  g  ift  unb 
einen  ©inn  für  ba§  SBa^re  ^at.  3)iefer  ©inn  für  ba§  SDBa^re 
ftö^t  aber  oft  genug  mit  ber  !ird)(id)en  ^rayiS  fc^arf  jufammen, 
bie  au§  @eroo^nf)eit  ober  au§  SRücffic^t  auf  bie  ©c^road^en  fic^ 
mit  überlieferten  2tnfd^auungen  unb  93räudöen  oft  leid)ter  unb  länger 
befreunbet,  al§  eS  bem  nüchternen  ©inn  für  bie  SBa^rl^eit  rec^t 
JU  fein  fd)eint.  S)a§  ganje  ©c^einmefen  unb  ©el^aben,  ba§  ^at^o^ 
unb  ba§  breite  ©efc^roä^,  ba§  in  unfrer  Äird)e  ^errfcl)t,  mac^t  fte 
biefen  Seuten  einfach  roiberlict).  Unb  ber  ®eift  ©^rifti  ift  ni^t 
roiber  fie. 

2.  ®§  ift  nict)t  leicht,  ben  0  "  ^  <^  1 1  be§  mobernen  @eifte§* 
unb  ©eelenleben§  ju  fc^ilbern,  ba  fic^  fcf)on  eine  l^od^moberne 
©c^ic^t  über  eine  anbere  gefc^oben  ^at,  bie  auc^  noc^  ben  9tamen 
mobern  in  2tnfpruc^  nimmt.  2luc^  ba§  nic^t  fpejififc^,  nic^t  in* 
Iiattlic^  aWoberne,  alfo  bie  alten  geiftigen  unb  feelifd)en  Qn^alte, 
fmb  oon  bem  ganjen  3ug  ber  3^it  berührt  unb  oeränbert  morben, 
fo  ba^  nur  menige  mel|r  mit  einem  geroiffen  ftoljen  Xxoi^  fx6) 
unmobern  nennen.  3)iefe  brei  ©ruppen,  bie  mobern  beeinflußte 
alte,  bie  mobeme  im  geroö^nlid)en  ©inn  unb  bie  I|oc^moberne, 
laffen  fidj  root)l  abftratt  i^ren  aJlertmaten  nad)  aufftetten  unb  au§' 
einanber   galten,    aber   in  SBirflic^feit   mögen   bie   oerfc^iebcnen 


9^  i  e  b  c  r  fl  o  n :  ^ie  mobcmc  ^rebigt.  215 

©timmungcn  unb  2:enbenjen  burc^  bic  3Wcnfc^cn  oon  ^cute  ^in 
unb  ^er. 

2Bir  rooUen  un§  miebcr  pon  unfcrm  @efc^  bcr  pfpd^ifc^en 
Slealtion  leiten  laffen.  9Bir  fe^en  ba  ein  mit  bcm  SSeginn 
be§  fpejififc^  mobernen  3)enfen§,  mo  ftc^  gegen  bie  SBor^errfd^aft 
ber  ©pefulation  unb  SRomanti!  um  bie  SWitte  be§  vorigen  Qa\)X' 
^unbert§  bie  SReaftion  ber  öefinnung  auf  bie  9latur  ergebt.  9la^ 
turcrfenntnig  unb  9taturbel|errfc^ung  geben  bem  mobernen  ®eifteS* 
leben  fein  ©epräge,  wie  bem  mobernen  ©emüt  feinen  ©tolj.  Um 
2Iu§fü^rungen,  bie  man  fd^on  ®u^enbe  oon  3Walen  gclefen  l^at,  ju 
erfparen,  rooDen  mir  nur  an  ben  großen  Äompley  oon  Ueberjeu* 
gungen,  Erfolgen,  Stimmungen,  Hoffnungen  unb  93eftrcbungen 
erinnern,  bie  il^ren  unübertrefflichen  2lu§bruct  immer  noc^  in  bem 
SBorte  finben  „mie  Iierrlid^  meit  mir  e§  gebracht  ^aben".  2luc^ 
über  bie  pliitofop^ifc^e  ^onfequenj  biefer  Sntroicflung,  ben  SWa* 
teria(i§mu§,  !5nnen  mir  ^inroegge^n,  um  ju  i^rem  un§  intereffie^ 
renben  Ergebnis,  bem  33ilbung§pf)iUfter,  ju  fommen,  ben  mir  oI§ 
Zpp  biefer  ganjen  ^^itric^tung  anjufe^en  ^aben  unb  \a  md)t  über  ben 
^oc^mobernen  überfeinen  bürfen.  2)iefer  SSilbung^p^ilifter  ift  na« 
türlic^  über  Pfaffen,  SHeligion  unb  Äird^e  meit  ergaben,  ©trau^* 
fc^e,  SBogtf^e  unb  3)arminfc^e  2ßei§^eit  laffen  i^n  am  ©tammtif^ 
mit  !ecfer  ©timme  aüe  9tätfel  löfen.  2lüe§  ift  retatio,  bie  alten 
SSerte  be§  Seben§  oerblaffen  oor  bem  blinjelnben  Sluge  ber  3Bci§^ 
tjeit,  bie  ba  roeig,  roie  e§  bei  i^rem  Urfprung  jugcgangen  ift.  9Bie 
mit  ben  ©renjen  ber  @rfenntni§  bie  ©d^ranfen  bc§  SebenS  fallen, 
mie  ber  t^eoretifc^e  in  bem  praftifc^cn  3Jiateriali§mu§  feinen  ge^ 
treuen  93ruber  finbet,  ^at  man  fo  oft  gelefen,  ba§  c§  t)ier  nur 
angebeutet  ju  merben  braucht.  Un§  intereffiert  I|ier  oor  allem 
ein§.  2)iefe  im  ganjen  oerfloffene  ^eriobe  Iierrfd^t  nod^  immer 
in  einer  breiten  SUlaffe  oon  foldjen  Seuten,  mit  benen  mir  al§ 
Pfarrer  jU  tun  ^aben.  2)er  93ilbung§p^ilifter  ift  jum  materiali* 
ftifc^en  ^Proletarier  unb  jum  aufgeflärten  Sauern  geroorben.  ®a^ 
neben  l)aben  mir  in  ben  fireifen  bcr  fleinen  83eamten,  ber  Sauf- 
leute, ber  ^anbroerfer  atigemein  biefe  Uebcrjeugung  al§  Iierrfc^cnb 
anjuerteunen.  SBir  bürfen  un^  burc^au^  feiner  2:äuf^ung  Ein- 
geben: biefe  2lrt  über  bic  ®ingc  bcr  9latur  unb  be^  Seben§  ju 


216  9^1  i  e  b  e  r  ö  o  n :  ^ic  mobcmc  ^ebtgt 

benfcn,  bie  gefe^Udi^^mec^aniftifc^c  Sluffaffung  bcr  SÖBclt,  fei  e§  im 
materialiftifd)en,  fei  e§  im  ibcaüftifc^cn  Sinn,  ift  unbemugt  ober 
bemüht  über  a((e  SJoIf^fc^ic^ten  oerbreitet,  überaß  ^at  man  3lot, 
fi^  bie  Sßirflic^teit  beffen  jum  öerou^tfein  ju  bringen,  ma^  nid)t 
mit  finnlid)er  6rfal|rung  nad)gen)iefen  werben  fann.  9Wag  fic^ 
^ier  bie  ^ietät  unb  ba§  |)erienSbebürfni§  bagegen  mehren,  mag 
bort  biefe  ©eifteöric^tung  fc^on  ben  grinfenben  Q\x%  be§  ©reifen* 
alter§  im  ©efic^t  tragen,  ba§  an  allen  befferen  unb  ^ö^eren  2Ber* 
ten  oerjroeifelt  unb  ooD  ®fet  an  bem  ganjen  (angroeiligen  ©etriebe 
I|offnung§(o§  bem  9lid)t§  entgegenfteuert,  alle§  ift  bod)  oon  biefer 
2luffaffung§roeife  burc^fe^t  unb  fommt  nid^t  baoon  Io§.  S)ie  ^o* 
lemif  be§  alten  @(auben§  bagegen  ift  cbenfo  überflüfftg  mie  bie 
fd)onenbe  93eforgni§  ber  Oleic^gefinnten.  SBir  werben  unbebingt 
nic^t  anber§  fönnen,  al§  ba§,  mag  mir  ju  bringen  ^aben,  cinju* 
jeid^nen  in  bie  Umriffe  biefer  ©efamtanf^auung.  SBir  muffen 
bem  9leIatioigmu§,  mir  muffen  ber  ©efe^lic^teit,  mir  muffen  bem 
®mpirigmu§  biefe  Einräumung  machen,  ba§  mir  unfer  ©tauben, 
Streben  unb  ^offen  in  bicfen  SRa^men  ^ineinftellen  ober  ba§  mir 
jene  Sluffaffungen  unferm  ©tauben  unb  hoffen  einfügen;  fonft 
lönnen  mir  nimmer  auf  ba^  9Serftänbni§  unb  ba§  ©e^ör  berer 
red)nen,  benen  jene  ©efamtauffaffung  jum  ftarren,  alle^  geiftige 
Seben  mit  feinen  abfoluten  SGBerten  ertötenben  üJie^ani§mu§  ge* 
morben  ift.  93rauc^en  mir  un§  bod)  alle  mit  einanber  nic^t  grope 
©emalt  anjutun,  menn  mir  jur  9lnbal)nung  eine^  aSerftänbniffe§ 
mit  biefen  unfern  ©eifte^genoffcn  jene  Stuffaffung  annef)men  moU* 
ten ;  fie  ftecft  uni^  ja  im  93(ut  mie  i^nen,  mögen  mir  aurf)  natür« 
lic^  beffer  at^  fie  in  bcr  Sage  fein,  jmifd}en  9tegelmä§igfeit  unb 
3mang  5u  unterfd)eiben  unb  ben  Folgerungen  ber  Oberfläc^lic^feit 
unb  ber  ©fepfi^  ju  entgegen. 

Slber  noc^  moberner,  ^  o  c^  m  o  b  e  r  n  ift  bie  9teaftion  gegen 
jene  glac^l)cit  im  Sinn  einer  tieferen  Seben^auffaffung.  SBir  fmb 
einmal  mieber  fe^r  innerlich  unb  fubjeftio  gemorben.  3lur  einige 
Flamen :  Sc^openl)auer  ift  immer  noc^  fel^r  mobern  at§ 
^^3^ilofop^  be§  Kulturefel^,  it)m  jur  Seite  bie  bubb^iftifc^e  ^:ßro'' 
pagauba.  ?H  e  ^  f  c^  e  tnüpft  an  Hjxi  an,  menbet  aber  pofitio  unb 
optimiftifc^,  ma§  fein  griesgrämiger  3Jleifter  nur  gallig  unb  negatio 


SltcbergaH:  ^ie  mobernc  ^ebigt.  217 

gejagt  l^atte.  @r,  bcr  gro^c  9tetnfagcr  ju  aßen  SBcrtcn  bcr  ©c- 
gcnroart,  bcr  2:obfcinb  bc§  ^erbcnd^riftcntum§  mit  feiner  ©MaDen* 
moral,  ift  boc^  an6)  juglcic^  ber  fd)(immfte  ®egner  atter  SWaffe 
unb  Patt^cit  überhaupt,  ein  SRufer  jur  Steoifton  unfrer  Sßerte, 
}ur  ©tär!ung  unfrer  Qnbioibualität ,  jur  Sßertiefung  be§  perfön== 
liefen  Seben§,  unb  fo  mag  er  in  @otte§  9tamen  fegnen,  mo  er 
fluten  miß.  SBir  ^aben  in  ben  Steigen  ber  mobernen  J^eologen 
einige,  bie  ben  !ü^nen  Sßerfuc^  gemad)t  ^aben,  ba§  ©eignen  9t ie^* 
fd^e§  nac^  ftarfer  ^erfönlic^feit  jum  Seitgebanfen  il^rer  S)arfteIIung 
oom  ®^riftentum  ju  machen.  aWan  tann  gegenwärtig  noc^  ni^t 
überfe^en,  wie  meit  ba§  bur^  5tie^fc^e  ermecfte  93ebärfni§  ftc^ 
nac^  einem  folc^en  ß^riftentum  be§  perfönlic^en  Seben§  unb  ber 
aWänn(ic^!eit  umfc^aut.  SBie  9iie^fc^e  ruft  auc^  2:  o  1  ft  o  i  au§ 
ber  Kultur  ^craui8,  aber  in  religiös  d^riftUc^e  2:iefen  doU  ©taube 
unb  fiiebe  hinein.  S)ie  allgemein  oerbreitete  äft^etifd)e  Äultur 
ober  3Wobc  ift  ein  beutlic^eö  Kennjeid^en  ber  liier  gefd^ilberten 
S3eroegung.  ^m  Flamen  ber  Kunft  erfe^nt  ^enrg  S^obe 
einen  neuen  ©lauben  noD  Kraft  ber  ©rlöfung.  @o  ftrebt  oie* 
Ie§  im  geiftigen  fieben  traft  jener  SReaftion  in  bie  2:iefe.  ^a 
manchmal  roiH  un§  biefe§  Seinen  unb  ©treben  fd)on  bebenflic^ 
unb  ungefunb  erfc^einen.  SWan  liebt  e§,  in  Stimmungen  ju 
fc^melgen,  ft^  mit  fic^  felbft  ju  bef^äftigen,  fic^  ju  beobad^ten 
unb  JU  jergliebern.  9Wan  fc^märmt  für  ba§  Jiefe,  ©e^eimni^Dotle, 
ÜJlgftifc^c.  9Uben  bem  uielen  anbem,  roa^  man  geniest,  geniest 
man  auc^  Sieligion.  3lber  biefe  SReligion  ift  ein  5^lb,  auf  bem 
fic^  bie  ©e^nfuc^t  unb  ber  fublime  9iaturgenu§  famt  bem  tiefen 
©efül^l  für  bie  ©rö^e  be§  Unioerfumg  äufammenfinben.  Qnm 
©eroiffen  ^at  fie  nic^t  bie  enge  öejie^ung,  bie  unfrer  c^riftlid)en 
^Religion  entfpric^t.  SJor  allem  ift  biefe  moberne  9teligiofität  ganj 
inbioibualiftifc^,  weil  fie  im  ©runbe  feinerer  @goi§mu§  ift.  SJlag 
e§  auc^  eine  gemiffe  feufc^e  ©c^eu  fein,  bie  i^nen  baoon  ju  fpred)en 
oerbietet,  fo  fe^lt  bod)  biefcn  SWobernreligiöfen  auc^  ber  2:rieb, 
fic^  im  2lu§taufc^  ju  ftären  unb  ju  bereid^ern,  fomie  anbere  mit 
bem,  ma§  i^nen  aufgegangen  ift,  ju  beglücfen. 

3.  @§  märe  oerfet)rt,   menn  mir  blo^  bei  ben  rein  geiftigen 
©emegungen  ftel^en  blieben,  bie  fic^  bod^  nur  in  einer  oer^ältni^- 


218  91  i  c  b  e  r  ö  a  n :  ^ie  moberne  ^cbigt 

mä^ig  formalen  ©d^ic^t  unferer  3cttflC"offcn  abfpicien;  mcl  roeiter 
reid^t  ber  6influ§  bcr  fojialcn  gragc  auf  ba§  2)cnfcn  unb 
©ebürfcn  bcr  ©egenroart.  2lltc  3wf*äni>ß  ^^^  ^ufammenl^ängc, 
bie  einft  burd^  bic  Slutorität  ber  Äird^e  i^re  Segitimation  erhielten, 
fmb  neuen  SSer^ältniffen  gcmid^cn.  3)iefc  Iiaben  au§  bem  ©Dan* 
gcUum  ganj  anbre  SBBeifungen  unb  Äräfte  entbunben  unb  ju  einer 
oöDigen  Umben!ung  oielcr  c^riftlic^en  ©ebanfen  unb  fird^lic^en 
atnfc^auungen  geführt;  benn  roä^renb  bie  großen  göttli^en  9tamen 
früher  ba§  2llte  rechtfertigten  unb  feine  ©c^attenfeiten  teil§  afö 
unoermeiblid^e  ®rbcnfd^n)ä^c,  teil§  a(^  geringe  üWängel  im  SBer» 
g(eid)  jur  I|immlifc^en  ^errlic^feit  erfc^cinen  liefen,  ftimmt  nun 
bie  aSerfünbigung  be§  ®DangeIiumi8  weithin  ein  in  ben  9luf  be§ 
@(enb§  naä)  ®ered^tig!eit  unb  überbietet  il|n  burc^  bie  gorberung 
ber  9lad^ftenliebe,  bie  ni^t  nur  3lImofen,  fonbern  SRec^t  gibt,  unb 
um  ber  ©eele  roiHen  auc^  bie  leiblichen  SSerliältniffe  ber  33rüber 
in  ®^riftu§  unb  ber  ©enoffcn  ber  SSoltögemeinfd^aft  beffem  roill.  — 
gaffen  mir  jufammen,  n)a§  ftc^  an  SBünf^en  in  ben  un§ 
jugängli^en  Greifen  regt,  bie  ein  9lect)t  l^aben,  t)on  unfrer  ^ebigt 
berüdtfic^tigt  ju  werben: 

1.  S)ie  aSaffer  be§  SRelatioigmuö  fteigen  oielen  bi§  an  ben 
^at§.  9Ber  ftcf)  noc^  feine  alte  9teligion  bemaliren  möct)te,  ^at 
e§  unenblicl)  fc^mer,  ba§  feftftet)enbe  9lbfolute  ju  galten,  roo  alle§ 
im  5Ii^&^"*  fd)cint,  mo  ftc^  ba§  2:ran§jenbente  unb  (Smige  at§ 
fubjeftioe  ^rojeftion  beS  93ebürfniffe§  in  bie  2tu§en-  unb  in  eine 
Uebermelt  erroeift.  2)ie  moberne  S^eologie  in  i^rer  fritifc^en  3lr« 
beit  I|at  auc^  ha§  Q\)xe  baju  getan,  bie  9Kenge  unfrer  3tnl|änger 
unfic^er  unb  nerjroeifett  ju  machen.  2)arum  muffen  mir  mit  einem 
großen  53ebürfni§  nac^  ®  e  m  i  §  ^  e  i  t  rechnen,  baS  auf  ber  einen 
©eite  burc^  bie  SBenbung  nad^  ber  3^nnerlicl)teit  ^erüorgerufen 
ober  oerftärft  mirb,  aber  auf  ber  anbern  nic^t  auf  Soften  beS 
SBaI|r^eit§fmne§  ftc^  befriebigen  lä^t. 

2.  2)cr  @fel  an  ber  oerbreiteten  materiatiftifd^en  fieben^auf^ 
faffung  will  Siefe,  mill  Seben^merte,  mill  p  e  r  f  ö  n  l  i  c^  e  §  S  e^ 
ben,  unb  lebt  in  oielen  Greifen,  bie  fic^  ju  gut  bünfen,  um  ft^ 
an  bie  falte  ©emalt  ber  9iatur  unb  ber  ©efefee  ju  oerfaufen. 
3)iefem  SSerlangen  entfpric^t  ba§  in  ber  gegenmärtigen  ^^^ilofop^ie 


91  i  e  b  e  r  g  a  1 1 :  5)ie  mobente  ^rebigt  219 

l^crrfd^cnbc  33eftrebcn,  bic  Sßertc,  an  bencn  ba§  ®cmüt  ^ängt,  bem 
SWc^aniSmu^  unb  ber  ©ntroicflung  abjugcminnen,  üon  bcrcn  @cl* 
tung  unb  SBaI|rI|eit  fid^  im  übrigen  ber  Sßerftanb  nad^  wie  oor 
überjcugt  \)ält 

3.  6§  ^errfd^t  ba§  Seinen  nad)  einer  neuen  Siebe  in  weiten 
Greifen,  benen  e§  in  ber  bi^^erigen  Seben^fül^rung  ju  falt  geroor^» 
ben  roar;  befonberö  bie  fojiale  5^age  verlangt  nad)  einer  Siegelung 
au§  bem  ®eift  ber  Siebe  l)erau§,  rooju  bie  ©ebote  unb  Kräfte 
be§  ®üangelium§  i^ren  unerfc^Iid)en  93eitrag  ju  fpenben  ^aben. 

©0  miU  man  Seben,  Kraft,  ^ilfe  unb  ©lücf  für  @emüt, 
©eroiffen  unb  SBiUen;  aber  nur  nid^t  um  ben  ^rei§  ber  SBa^r- 
^aftigfeit  unb  ©etbftänbigfeit  be§  2)enfen§,  nic^t  um  ben  ^rei§ 
ber  SlüdEfe^r  jU  alten  aSorfteKungen  unb  2)enfmet^oben.  ®ic 
atufgabe  unfrei  ^rebigen§  bürfte  fic^  alfo  oorläufig  bal|in  be= 
ftimmen  loffien:  innerhalb  ber  mobernen  3)entn)eife  unb  Sßeltan« 
fc^auung  mit  Kraft  unb  greubigfeit  bie  Sotfd)aft  üon  bem  ®ott 
ber  Kraft,  be§  Seben§  unb  be^  @lüdEe§  ju  oerfünbigen. 

Qm  ganjen  fann  man  fagen,  ba§  noc^  feiten  eine  günftigere 
3eit  im  Slnjug  mar  für  eine  neugeftimmte  Darbietung  eine§  fraft* 
ooUen  unb  erliebenben  @pangelium§,  al§  je^t.  S)ie  antimateria^» 
liftifd^e  SReaftion  ge^t  tief  unb  meit,  bie  antiultramontane  t)erl|in* 
bert,  ba^  bie  Siomantif  nad)  9tom  gel|t  unb  fc^ärft  ben  ©inn  unb 
93Iidf  für  flare  geiftige  Kraft.  ®g  ift  bie  roid|tigfte  Slufgabe,  bie 
un§  in  unferm  ganjen  Seben  roerben  tann,  bafür  }u  forgen,  bafe 
biefer  gro^e  ©trom  nid)t  an  ben  gefd)Ioffenen  Kird^türcn  oor* 
überraufc^t.  2Bir  muffen  bic  antimaterialiftifd)e  5Reaftion  üor  bem 
aSerfanben  in  ben  ©efilben  ber  3left^etif  unb  be§  SW^ftiji^muS 
bema^ren.  Unb  menn  e§  un§  au^  nid)t  gelingt,  biefe  Kreife 
mieber  ju  unfrer  Kirche  jurüdCjubringen,  tro^bem  fie  i^re  geinb^ 
fd)aft  gegen  ben  U(tramontani§mu§  bajit  bringen  foDte,  unb  roenn 
mir  fte  auc^  nic^t  an  unfer  ©^riftentum  ^eranjie^en  fönnen,  bann 
moDen  mir  boc^  auc^  an  fie  benfen  in  unfrer  ganjen  Slrbeit,  mir 
rooUen  un§  auf  ein  ®t)riftentum  bcfmnen,  mie  e^  unfrer  3^it  ^n* 
fte^t,  gteic^mie  alle  frül^eren  3^^*^^  i^r  S^riftentum  gefud)t  unb 
gefunben  ^aben,  ein  ©^riftentum,  ba^  bem  rid^tigen  3)enfen  feinen 
2lnfto§,  aber   bem  ^erjen  ^alt  unb  g^ieben  unb  ber  SBißen^^ 

3rttf(^rift  für  2(jcologie  unb  Äivc^e.  15.  ?[a^rfl.,  3.  ^cft.  16 


220  Silicbergall:  ^ic  mobcme  ^tebigt 

fd^roäc^e  gt^eubigfcit  unb  ©tdrfung  bietet.  S)a§  ift  ber  größte 
3ufammcn^ang,  in  bem  unfre  2lufgabe,  bie  mobernc  ^rebigt  ju 
fuc^en,  fte^cn  fann. 

II.  9Roberne  ^rebiger. 

SBit  rooKen  nun  eine  Stellte  oon  ^rebigern  ber  legten  ^ai)xt 
unb  ber  ©egenroart  an  un§  porüberjiclien  laffen,  um  fte  einmal 
}u  prüfen,  inroieroeit  fie  ben  eben  an  bie  moberne  ^rebigt  ge* 
fteUten  3lnforberungen  gered)t  werben  unb  um  bann  für  unfere 
abfd^Iie^enben  (Erörterungen  Slnfc^auungen  unb  Qfßuftrationen  ju 
geroinnen.  3)ie  einge^enbe  ©efc^äftigung  mit  oielen  ganj  t)er* 
f^iebenen  ^rebigern  befreit  üon  ber  ®efa^r,  bie  ftd)  leidet  bei 
bem  ©tubium  nur  eines  einjigen  ober  einer  ©ruppe  einftellt.  &§ 
ift  ni^t  unmöglich,  ba^  fic^  für  einen  Pfarrer  bei  bem  SSerfud^, 
pon  i^rer  3leu§erung  au§  in  bie  2:iefe  ber  religiöfen  unb  t^eolo* 
gifc^en  ^erfönlii^teit  einjubringen ,  bie  eigene  Seic^tigteit  er^ö^t, 
feinen  ©eelenin^alt  jum  SluSbrucf  ju  bringen.  3)urd)  bie  oer* 
gleic^enbe  Sefc^äftigung  mit  ganj  entgegengefe^ten  J^pen  fc^ärft 
ftc^  nid)t  nur  ba§  tritifc^e  Sßermögen,  inbem  ftd)  ein  bemühter 
ober  unbewußter  SWa^ftab  herausarbeitet,  fonbern  burc^  Slnjiel^ung 
unb  Slbftoßung  bilbet  ftc^  au^  baS  eigene  Qhtal  ^erauS.  hieben 
biefcr  allgemeinen  S3ebeutung  foD  bie  oon  unS  oorjufülirenbe  ®a* 
lerie  oon  ^rebigcrn  no^  ben  Svotd  Iiaben,  unS  barüber  ju  unter* 
rieten,  roa§  in  ben  oerfc^iebenen  Sägern  geprebigt  roirb,  roelc^e 
$rajiS  JU  ben  oerfc^iebenen  tl^eoretifc^en  ©runbanfc^auungen  ge- 
l^ört,  roelc^e  Sluffaffung  oon  ber  ©egenroart  unb  roe(d)e  Heilmittel 
ftc^  in  unferm  ganjen  eoangetifd)en  Kirc^enroefen  finben.  SBir 
ad)teu  unfrer  2lufgabc  entfpred^enb  einmal  auf  bie  Slrt,  roie  ber 
einjelne  ^rebiger  feine  3  ^  i  *  beurteilt  unb  in  welchem  SSer« 
l^ältniS  feine  Serfünbigung  ju  ber  in  unferm  ©inn  mobernen 
Sluffaffung  oom  ©oangelium  fte^t. 

SBir  get)en  oon  „red)tS"  nad)  ,,linfS",  inbem  mir  oon  jeber 
©ruppe  einen  ober  jroei  35ertreter  bel)anbeln.  2)ic  SluSroa^l  ift 
ganj  fubjettio  unb  oft  bur^  bie  jufällige  ^erü^rung  mit  bem 
betreffenben  33anbe  ^rebigten   bcbingt,    ©oroeit  eS  mögli^  mar. 


SüebcrgaH:  5)ic  mobeme  ^rebigt.  221 

ift  auf  bic  oerfc^icbeuftcn  2:gpcn  SRücffic^t  genommen  morben, 
j.  33.  @ro§ftabt%  3)orf=  unb  3fni>wPncflabtprebigten  fmb  in  me^re* 
ren  SSertretem  oorl^anben,  um  bur^  ben  SSergleid^  mit  ben  oer^» 
manbten  unb  burc^  bie  fd)ärfere  9lb^ebung  üon  ben  anberSartigen 
2lufgaben  unb  Söfungen  jebem  Pfarrer  ju  Reifen,  bag  er  fid^  felbft 
unb  feine  eigene  ®abt  unb  Slufgabc  finbet ;  benn  e§  gibt  fein  Qbeal 
„ber"  ^^Jrebigt,  e§  gibt  feine  allgemeine  9iorm,  fonbern  jeber  ^at 
an  feinem  Orte  unb  narf)  feiner  Slnlage  jur  gegebenen  ©tunbe 
ba§  ju  finben,  roaö  Qbeal  unb  9iorm  bebeutet. 

Slbotf  Stöcfer^)  beurteilt  unfre  Szxt  aU  f  r  a  n  f.  ®a§ 
gilt  üon  i^rem  ®enfen.  6§  ift  ein  jroeifelnbe§  ©efc^le^t,  ein 
beftänbiger  3lufrut)r  in  ben  ©eiftern.  3)a§  ^^rlic^t  ber  SlufHä^ 
rung  uerffl^rt  oiele,  ba^  fte  bem  ©lauben  untreu  iDcrben  unb  bem 
Unglauben  verfallen.  D^ne  9lut)e  fpetutieren  fie,  fic  motlen  Don 
feiner  Offenbarung  etroa^  roiffen,  ba§  21.  J.  mirb  in  ©egenroart 
be^  ÄaiferS  für  ein  aWärd)enbud)  erflärt.  9]ur  einige  SSemunft^ 
roa^rlieiten  tä^t  man  fte^eu.  2)er  Unglaube  rüttelt  an  ben  gun* 
bamenten  ber  ^irc^e,  bie  Seinbc  be§  9leid)e§  ©otte§  fmb  eifrig 
an  ber  2lrbeit,  ber  ©laube  ift  bebrol)t.  3)ie  3^it  ift  frant,  ba§ 
gilt  aud)  von  i^rem  fieben.  3)ie  Sffielt  fd)reit  nac^  irbifc^en  ©ü= 
tcm,  SBilltür  bel)crrfc^t  befonber§  bie  ^^ugenb ;  ot)ne  3l^nung  oon 
i^ren  ©ünben  fmb  fte  eingenommen  oon  fid)  felbft,  biefe  gebilbeten 
Ungläubigen,  unb  fterben  in  il)rem  Unglauben  ba^in.  @in  großer 
fojialer  ^ampfpla^  ift  bie  ©egenmart.  Seiber  fte^t  bem  SBBiber- 
c^riftentum  fein  ftarfer  ©laube  entgegen,  fonbern  fo  oft  nur  eine 
tote  9ied)tgläubigfeit  unb  eine  fc^laffüc^tige  Äirc^e. 

2)er  f raufen  Qdt  mirb  immer  roieber  „Zui  33u§e"  jugerufen. 
3)er  einjclne  foU  aufmachen,  ba§  93olf  foll  umfef)ren.  3)ie  ©nabe 
@otte§  fte^t  bereit,  Kräfte  ber  SBiebcrgcburt,  bie  ©eligfeit  ©otteö 
finb  in  ^^\\x^,  bem  ©efreujigteu  unb  2luferftanbenen,  ju  fiaben. 
3)amit  fommen  oiel  2:roflfräfte  über  ben  ©rbenpilger,  bamit  roirb 
Diel  3i«mmer  befeitigt.  S)ann  mirb  man  feinet  ^eil§  geroi^  unb 
arbeitet  felbft  mit  am  Kampf  gegen  bie  SBelt  unb  bem  2lufbau 
bc§  9{eic^e§  ©otteS.    3)iefe  ©rma^nungen  fte^en  in  engfter  9Ser^ 

1)  3u  ©runbe  liegt:  ^ie  fonntägtic^e  ^:prebigt  1902-03.    «crltn,  33q^ 
tcri.  ^erlag^anftatt. 

16* 


222  3'lteber8an:5)ie  mobeme  ^rcbigt. 

binbung  mit  bcr  alten  J^cologic.  „3Ba§  ^oft  bu  3roeiflcr  von 
beinern  Unglauben?"  ®^riftu§,  au§  ber  ^fungftau  geboren,  roa^t* 
Saftiger  @ott  unb  roa^rliaftiger  SWcnfd^,  ift  roa^r^aftig  auferftan* 
ben,  nac^bem  er  un§  burd)  fein  3}(ut  erlöft  f)at.  @§  gibt  eine 
©inroirfung  auf  ®ott  mittele  be§  ®ebete§,  eö  gibt  eine  Saufgnabe, 
e$  gibt  SBunbet.  SBcnn  boc^  uufre  3^**  roieber  ben  ©tauben 
annähme ! 

©ine  fel^r  gef^loffene  unb  ftarfe  ^omiletifc^e  ^JJerfönlic^teit 
tritt  un§  entgegen.  Q^re  Kraft  liegt,  abgefe^en  oon  ben  immer 
roirfung^Dollen,  Maren,  furjen  Sä^en  unb  ben  eingeftreuten  ®e* 
fd^ic^tc^en,  in  ber  unbeirrten  2lnroenbung  bcr  großen  (Sd)emata: 
®Iaube  —  Unglaube,  Kirche  —  SBelt.  ®ie  mobeme  ^eit  mirb  im 
ganjen  al§  ein  9lbfaU  gemertet,  i^r  ß^^^if^I  if*  ©ünbe  unb  bur^ 
53ete^rung  ju  befeitigen.  ^ier  fprid)t  nic^t  ein  9Mann,  bem  bic 
innere  9lot  ber  Q^it  an  bie  (Seele  gegangen  unb  bem  il)r  neue^ 
fi^  aufringenbeg  Seben  flar  gemorben  ift.  Svoax  l^at  er  rci^eS 
3}erftänbni§  unb  ^^ntereffe  für  bie  fojialen  Slufgaben  ber  ®egen» 
mart,  aber  bem  Sud^en  unb  SRingen  ber  mobernen  ®eifter,  ebenfo 
mie  allen  ©d)attierungeu  unb  Uebergängen  fte^t  er  bIo§  mit  fteifen 
®egenfa^paaren  gegenüber.  9lirgenbS  tandjt  ber  ®ebanfe  auf, 
ba§  au^er  ber  ort^obof^pietiftif^en  S^eologie  noc^  eine  anbre 
Sluffaffung  möglich  unb  berechtigt  ift.  gür  bic  SBirfung  auf  bie 
SWaffen  ift  biefe  ®infeitigfeit  oorjüglid^.  9Bir  ^aben  loo^l  in 
©töcter  ben  Zr)p  ber  lanbläufigcn,  „red^tgläubigen"  ober  „pofitioen" 
^JJrebigtmeife  ju  erblicfen. 

®a§  Sänbd)en  Ä  e  1 1  er  fc^er  'ißrebigten*)  mad)t  beim  ©ur^* 
blättern  einen  fet)r  mobernen  ©inbrucf.  ®^  mimmelt  oon  fingen, 
bie  ben  S^aratter  unfrer  3^it  be^eic^nen:  ©c^nelljügc,  |)oteI§, 
9lrbeit§Iofigfeit,  ®a§,  (Sleftrijität,  3tiefenfapitalien,  3«afd)inenbe^ 
trieb,  fogar  ber  jur  2)entmal^entf)üüung  eiujie^enbe  beutfd^e  Raifer; 
baju  fommt  eine  %ü\lt  oon  d)arafteriftifc^cn  Sdjlagroörtern:  jiel^ 
ftrebig,  ©tlaoenaufftanb  unb  anbere.  3Jlan  befommt  ben  ®inbrud 
einer  au^erorbentlic^  flotten,  realiftifc^en ,  ja  impreffioniftifc^en 
Scf)itberunfl§n)eife ;  feine  **^J^rafen,  feine  3)ebuftionen,  oft  brama* 

l)  ©amuel  Heller,   3tu§0eroäbltc  ^rebigten.     Bresben,  2eipat9/ 
3r.  SHic^ter. 


9{  i  e  b  e  r  9  a  11 :  ^te  ntobeme  $rebigt.  223 

tifct)c  Sjcnen  u.  f.  id.  216er  roenn  man  genauer  jufte^t,  bann  ift 
ber  ^n\)alt  fein  anberer  al§  ber  neupietiftifc^e ,  b.  i),  ber  burd^ 
einen  ftarfen  ®infd)(a9  angelfäc^fxfc^en  aWet^obi^muS'  befeuerte 
^ieti^muS  mit  ort^oboyer  ©runbfarbe.  ^t^n^  ber  Reifer,  3efu§ 
ber  SJurc^bred^er,  ber  ©penber  neuen  Seben§,  bie  93efel|rung  unb 
ber  S)urc^brud^  jum  Sichte,  ba§  neube!e^rte  ©otte^finb,  bie  neu* 
gemorbene  aßelt,  ber  re^tgläubige  ^aftor,  ber  Su^c  tat  unb  grie* 
ben  fanb  im  33Iutc  be§  Samme§  —  ba§  ftnb  einige  bejei^nenbc 
groben.  ÄeKer  miD  roecfen,  geminnen,  umroanbetn.  9Jlan  foH 
fic^  in  feiner  O^nmac^t  erfennen,  um  ftc^  bann  uon  3>cfu§  t)etfcu 
gu  laffen,  bann  bie  SBelt  Eingeben  unb  bem  ^errn  an  feinen  oer- 
lorenen  ^inbern  bienen.  —  3)a§  möge  genügen,  um  feine  ©teUung 
ju  jeid^nen.  ®r  ift  ein  aSertreter  bc§  mobernen  ^ieti§mu§,  ber 
fi^  mit  SWac^t  auf  bie  9Wenfc^en  ftürjt,  um  fte  ju  geminnen,  @§ 
roel^t  ^ier  eine  un§  fet)r  fgmpat^if^e  Suft,  infofern  al§  biefe  Seutc 
mit  beiben  %\x^tn  in  ber  ©egenmart  fte^en  unb  anftatt  bie  „®e^ 
bantenarbeit"  be§  ©laubcnö  an  bcn  Opfertob  ^lefu  ober  ein  an* 
bere§  3)ogma  ju  fe^en,  ncue§  Seben  bringen  unb  forbern  moüen. 
3)ie  ®(ei^gültigteit  gegen  bie  J^eologie  "ber  alten  ©c^ule  mac^t 
fotc^e  Scutc  un^  f^mpat^if^er  al§  ctroa  einen  ©töder.  Qebo^ 
mir  motten  un§  ni^t  täufc^en  laffen  burd^  ben  ©c^ein ;  loenn  man 
mit  aOSorten  mie  2lrbeit§(ofigfeit,  automobil,  (Jlcftrijität  um  ftd^ 
roirft,  ift  man  noc^  lange  nid^t  gefc^idEt,  bem  mobernen  SWenfc^en 
JU  prebigen.  @enau  betrachtet  benu^t  fetter  biefe  ©ac^en  faft 
nur  jur  Slnfnüpfung  unb  ^Uuftration,  alfo  alö  rebnerifd^e  SReij^* 
mittel.  SWan  ac^tc  j.  33.  auf  bie  äJermenbung  be§  aöorteS  „jiel* 
ftrebig".  (£§  ^anbelt  ftd)  xijxn,  ebenfo  mie  in  feinen  burc^  gro^e 
^(afate  mit  flingenben  mobernen  2^^emen  angefünbigten  5ßorträgen 
um  3lnIocfung,  aber  roenn  man  eine  93el)anb(ung  ber  burd)  ba§ 
mobeme  @eiftc§Ieben  angeregten  ^Jragen  unb  9iöte  erwartet,  roirb 
man  mit  met^obiftifd)em  ^^ieti§mu§  abgefpeift.  2)a§  ift  nic^t  red)t. 
:3mmer^in  fc^abet  c§  niemanb,  menn  er  fid)  oon  iljm  jur  genauen 
93eoba(^tung  be§  Sebenö  unb  ju  einer  intcreffanteren  ©prac^e  an* 
leiten  la%t  3»ft  bie  efflufioe  unb  abfolute  Setrac^tung^meife  biefe§ 
^ieti^mu^  auc^  bem  mobernen  @eift  fremb,  fo  fpric^t  un§  boc^ 
bie  Betonung  ber  erneuernben  Äraft  unb  bie  lebenbige  2lu5brucf§* 


224  92ieberga(l:  ^ie  mobeme  ^tebigt. 

loeifc  an. 

auf  eine  anbete  ^örerfc^aft  al8  ©töcfcr  unb  ^eDer  red^net 
ber  ©reiföioalber  Uniüerfität^profeffor  O  e  1 1 1  i  ^).  3)a  roe^t  gleich 
ein  anbetet,  ootne^metet  ©eift.  SJBeld^  eine  otiginalc  Ätaft  vtx» 
binbet  fid^  mit  einet  oft  fel|t  feinen  pfgc^oIo9ifd)en  ©atfteHung 
bet  ©t)tiftenfeele!  gteilid^  roiU  un§  ba§  Utteil  nb^x  ben  2lt^ei§mu§ 
al§  einen  petfönlid^  octf^utbeten  ®eifte§juftanb  ju  Iiatt  oottom« 
inen,  peinlich  betül|tt  auc^  bie  ^otemi!  gegen  bie  ttitifc^e  93e^anb* 
lung  bet  93ibel;  abtx  baneben,  wie  oiel  gefunbeö  c^tiftli(^e§  Utteil 
in  offenet  2tu§fptac^e !  S)ie  ©c^tif t  ift  nut  ein  SBeg  bi§  jnt  Zixx 
®otte§,  fie  ift  in  götmen  unb  Sextanten  i^ter  3cit  S^föfet;  roit 
btaui^en  @ott,  roie  et  ju  un§  tebet,  ni^t  wie  et  ju  9Wofe,  ^e« 
faia§  unb  ^aulu§  getebet  ^at.  ®ie  äuSbilbung  einet  feinen 
S^tiftotogie  fül|tt  ni^t  jut  Uebetjeugung  t)on  bet  SSJal^t^eit  beS 
2lnfptuc^§  3[efu,  bet  3Weffta§  ju  fein.  SDBet  @otte§  inne  unb  ge* 
n)i§  roetben  m\\i,  foU  fic^  mit  ^efu^  einlaffen,  in  bem  un§  ®ott 
gtü^t,  umfängt  unb  an  fein  ^etj  jie^t  —  in  biefem  ßufammen^ang 
fommt  fogat  bet  befannte  ©c^ulau^btucf  „Uebetmältigt  roet- 
ben  üon  ^efu^"  DOt.  S)ct  ^fattet  in  SSjörnfonS  „SStanb"  mirb 
getabelt,  meil  et  gtofee  Sc^aumunbet  oetlangt;  benn  ein  ß^tift 
foQ  ®otte§  Ratten  unb  i^n  übetall  fe^en.  3)a§  geiftlic^  unteufc^e 
SBefen  htx  gciftlic^en  J^cibeutet  mitb  ftäftig  jutücfgemiefen.  OettliS 
^[nteteffen  liegen  in  ben  gto^en  |)auptftagen  be§  tetigiöfen  SebeniS, 
mic  eS  feinet  tf)eotogifc^en  ®tuppe  entfptic^t :  <3efu§,  bet  ben  93ann 
bet  böfen  fiuft  butc^btidjt,  bie  gto^e  aOSenbnng  oon  ©ünbe  ju 
®nabe,  bet  Kampf  jmifc^en  ®eift  unb  gleifc^,  in  bem  nic^t  äße 
©tfal^tungen  et^ebenb  fmb,  bie  Söfung  bet  bun!eln  £eben§tätfel 
im  ©tauben  an  ben  SSatet,  bie  ^eilSgeroi^^eit,  bie  SeibenSfd)ule 
unb  ä^nli^e  2)inge.  g^e^tt  e§  au^  in  unfetn  3lugen  an  bem 
butd^  Siebe  gef^ätften  JBctftänbuig  füt  bie  9löte  be§  @egenroattS= 
menfd^en  im  befonbeten,  fe^tt  e§  aud^  an  bet  ®ttenntni§  be^  fpe* 
gießen  unb  fonttet*ptattifd)en  ®inroitfung§jiele§ ,  fo  rooßen  mit 
Oettli  boc^  bie  nüc^tetne  pfgd^ologifc^e  93eutteilung  be$  menfd^* 
liefen  ®utci^f^nitt§juftanbe§,  feine  eigene  3ltt,  bie  S)inge  ju  fe^en 

1)  Sßir  f)abzn  geglaubt  unb  erfannt.    3"^ölf  ^rebtgtcn  oon  D.  ©. 
Cetta.    ©üterSIol)  1902. 


9lieber9a((:  ^ie  mobeme  ^rebtgt.  225 

unb  ju  faflcn,  oor  allem  aber  feine  mutige  Stuffaffung  ber  tl^co* 
logifd^en  ©egenfä^e  ^od^  anrennen,  bie  fid^  einen  fc^önen,  nid^t 
immer  oon  feinen  @eftnnung§genoffcn  bc^erjigten  SluSbrud  oer* 
fc^afft  f)at  in  bem  SBorte,  „ba%  mir  ni^t  oon  ^efuS  au^fd^Iic^en 
foUen,  roQ§  nic^t  ju  un§  gehört". 

2)ie  Sammlung  3[  u  l  i  u  18  Ä  a  f  t  a  n  §  ^  ift  mit  bem  a:itel 
„Suchet  ma§  broben  ift"  fe^r  treffenb  bejeic^net.  6§  jie^en  fi^ 
bur^  bie  ^rebigten  ganj  befonber§  tiefe  Klänge  ^inburc^,  in  bcncn 
bem  Jtunbigen  bie  innerftc  Ueberjeugung  be§  ®ogmatifer§,  gut 
öom  Äat^eber  auf  bie  Äanjel  übertragen,  laut  unb  ftar  entgegen* 
tönt,  ©e^r  einbrud^PoH  ift  bie  ^rebigt  pom  ^öc^ften  @ut  bem 
SReic^  ©otteS,  nac^  ber  bie  ©Triften  gremblinge  finb,  bie  i^re 
^eimat  bei  ®ott  Iiaben,  aber  an  bie  Orbnungen  ber  SBBelt  burc^ 
bie  Siebe  gebunben  finb,  meldte  jugleid^  immer  tiefer  in  fein  SBefen 
^ineinfül^rt.  ®a§  mir  ®^riften  innerlid)  mit  ber  SDBelt  abgerechnet 
^aben,  mad^t  un§  oon  i^rem  ©ö^enbienft,  mie  j.  93.  oon  bem  ber 
öffentli^en  ÜJleinung  frei.  Kaftan  fpri^t  aud^  einmal  über  bie 
^eil§geroi^^eit,  bie  @rfenntni§  ©otte§  in  6^riftu§,  bie  ©rroä^lung 
—  aÜt^  in  ebclpopulärer,  jum  2:eil  plaftifc^er  Sprache  mit  meni*' 
gen  Kat^eberftäubc^cn.  ®aS  mobeme  SBerftänbniö  be§  ©oange* 
liumS  mac^t  fid^  nur  leife,  nur  inbirett  bemerfbar.  53efonbere 
©erüdtftd^tigung  moberner  93cbürfniffe  finbe  id^  nic^t.  2lud)  iikx 
übcrroiegt  ba§  93eftreben,  bie  großen  religiöfen  Seben§intereffen 
einjuprägen  unb  ju  pflegen,  oiel  e^er  in  einer  ben  ©egenfa^  gegen 
bie  moberne  93ilbung  I|erau8fe^renben  at§  ben  2lnfc^lu§  an  fie 
fu^enben  2trt;  benn  bie  ^rop^eten,  f)ei§t  e^  in  einer  Steforma* 
tion§prebigt,  ftnb  nie  jeitgemä^e  Seute. 

2lud^  ^ermann  Sd^ul^*)  überfe^t  feine  bogmatifc^e 
SReberoeife  in  bie  l^omiletifc^e  gorm.  ©r  bonbelt  oon  be§  a5ater§ 
^erj  in  be§  |)eilanbcig  fuc^enber  ©ünberliebe,  00m  SReic^e  ®otte§ 
al§  bem  Sauerteig  für  ba§  melttic^e  Seben,  oon  ber  Siebe  ju 
^efu  at§  ber  redeten  "ißrobe  ber  Sünbenoergebung ,  00m  red)ten 

1)  „S\xd)ü  n)a§  broben  ift".    ^rebigten  oon  D.  3.  ^aftan.    JJreiburg 
1893. 

2)  3lu8  bem  UnioerfttÄtSgotteSbienft.    ^rebigten  oon   D.  ^ermann 
Sc^ultj.    ©öttingen  1902. 


226  Sl  i  c  b  e  r  g  a  n :  5)ie  mobemc  ^tebigt. 

©eiüinn  be§  Scben§,  üom  ^immlifd^cn  im  irbifc^cn  Seruf,  rooju 
un§  Qefuä  neuen  ©inn  geben  will  unb  worin  voix  aüt  3Wenf^en 
für  ba§  SRcic^  ®otte§  fa^en  fönnen.  ^ütcn  foKen  roir  ung  üor 
bem  S^riftentum  ber  richtigen  2lnfic^ten  unb  uor  bem  SBBeltfinn, 
ber  un§  unb  unfre  gamilien  anftedten  roiß.  —  2)iefe  ^rebigten  mag 
man  einem  ju  lefcn  geben,  ber  bejmeifelt,  it>ie  fo  ein  SRitf^Iianer 
®DangeIium  prebigen  fann.  @r  mirb  ftc^  balb  baoon  überjeugen, 
mie  biefe  2^^eoIogie  gerabe  barin  i^re  ©tärfe  ^at,  ba^  fie  fi^ 
t^eologifc^  richtet  ober  gar  befd)ränft  auf  bas;,  roas  religiö8*fitttic^ 
förbernb  ift.  9lur  feiten  fällt  einmal  eine  SSemerfung  ab,  bie 
mobeme  2lufgaben  ftreift  unb  bann  ift  fte  fe^r  oorfic^tig :  „mögen 
©eroo^n^eiten  unb  ©ebanfen  ber  Sßäter,  bie  un§  lieb  maren,  neuen 
©eftalten  meieren,  ba§  foU  un§  nic^t  befremben ;  ba§  ift  im  @egen« 
teil  ein  93emei§  oon  ber  immer  no^  ®ärung  erjeugenben  Äraft 
bc§  (Sauerteige^."  2lber  im  ganjcn  mill  er  nid^t  auf  Mären  unb 
intellettuell  meiter  l^elfen,  fonbern  erbauen,  nid^t^  al§  erbauen, 
b.  ^.  gro^e  c^riftlic^e  ©runbfä^e  unb  SSJa^r^eiten  in  einer  SBeife 
barbieten,  mie  fie  einer  mobernen  3luffaffung  ber  alten  ©lauben^- 
loa^rlieit  entfpric^t.  greilic^  crfc^eint  oft  feine  ganje  3luffaffung 
j.  ©.  oom  @otte§reic^  unb  Seruf  al§  eine  ju  gefd^ictte,  ja  ju 
glatte  Söfung  ber  ©c^mierigteiten,  bie  fid^  au§  bem  Äontraft  ber 
biblifc^en  unb  ber  heutigen  Sage  ergeben. 

SBil^elm  93ornemann^)  bringt  in  feinen  unter  bem 
Sitel  „©Ott  mit  un§"  erfc^ienenen  21  ^rebigten  ä^nlid^  mic 
|).  ©c^ul^,  mit  bem  er  ftc^  t^eotogifcft  ftart  berührt,  auf  eine 
2)urc^bringung  be§  fiebenö  mit  ben  Kräften  be§  ©oangelium§. 
2llle  trübenben  unb  tä^menben  3Jläc^te  be§  Seben§  miH  e§  un§ 
überroinben  l^elfen  unb  un^  ju  frö^lic^en  ©ottegtinbern  mad^en, 
bie  man  an  i^rem  5^^i«i>«n,  i^rer  SSorfid^t,  3)emut  unb  Siebe  al§ 
folc^e  erfennen  fann.  9Bir  Sinber  ber  mobernen  SBclt  ^aben 
eine  folc^e  ©rquidtung,  wie  mir  fie  in  -3efu§  finben  fönnen,  fe^r 
nötig,  barum  mirb  immer  miebcr  auf  ben  ©eroinn  ber  greubig- 
feit  in  ber  d^riftlid^en  ^Religion  SQBert  gelegt.  3)ie  gro^e,  uufid^t* 
bare,  emige  ©eiftc^melt,  bie  fid)  in  biefem  2^bzn  ge^eimni^ooU 

1)  ©Ott  mit  ung.    ^rebtgten  oon  D.  3Ö.  «ornemann.    «afel  1901.  — 
Söete  unb  arbeite.    Scipsig  1904. 


92iebet0all:  ^ie  ntobeme  ^rebigt.  227 

auSroirft,  bte  un§  in  3^cfu§  aufgebt,  mac^t  un§  fro^  unb  frei. 
Sic  erneuert  ba§  |)er}  unb  bdi)nt  eine  Umroanblung  ber  SScr^ält* 
niffe  ber  SEBelt,  befonber§  ber  fojialen,  burc^  bie  ^^anjung  ber 
rechten  ©efmnung  an.  ©ornemann  fpric^t  and)  einmal  Don  bem 
Öeruf,  ber  unfern  S^aratter  bilben  ^ilft^  ebenfo  n)ie  bie  ©e- 
f^ioifter  ein  oon  @ott  georbnete§  SWittel  ju  biefem  Qxüzdt  fmb. 

^ier  finben  mix  fc^on  ganj  anbere  Slänge;  benn  e§  wirb 
ni^t  nur  au§  bem  mobernen,  nä^er  SRitfd^lfd^cn  aSerftänbniS  be§ 
®Dangctiumg  ^erau§,  fonbern  au^  in  bie  äußere  unb  innere  ©i* 
tuation  ber  SSWenfc^en  ber  ©egenroart  ^ineingeprebigt.  2lber  ber 
^auptjroedt  ift  unb  bleibt  boc^  bie  Pflege  be§  ®tauben§  unb  ber 
Siebe  jum  ©eroinn  eine§  freubigen  ®emüte§  unb  eine§  ftarfen 
liebet)onen  ®^arafter§.  3)ie  unter  bem  Sitel  „93ete  unb  ar* 
beite"  jüngft  erfc^ienene  ©ammtung  oon  fünf  ^rebigten  jeigt 
bei  größerem  9teic^tum  ber  ©ebanten  unb  ©c^roung  ber  ©prac^e 
ba§felbe  93i(b  einer  feelforgertic^en  ^rebigtroeife,  bie  oom  ®t)an^ 
gelium  au§  bie  Sejie^ungen  ber  ©emeinbeglieber  ju  ®ott,  ber 
SBelt  unb  ben  9Mc^ften  regeln  unb  geftalten  mill. 

2t  r  n  0 1  b  Ä  ö  ft  e  r  ift  in  feiner  ©ammlung  ,?l  e  u  e  aW  e  n- 
f  ^  e  n'  ^)  mobern  in  t^eologifc^er  |)infid^t  —  ber  ^iftorifc^e  &i)xu 
ftuig,  mit  feiner  Sreue  bi§  in  ben  Job,  in  bem  er  me^r  bem 
Sdmen  al^  bem  Samme  gleicht,  binbet  un§  an  feine  IJa^ne.  2)arin 
liegt  fein  ©ieg  unb  feine  Himmelfahrt,  ^n  i^m  fommen  auc^ 
mobeme  3Wenf^en  ju  ®ott  unb  jur  JRu^e.  Sine  moberne  Qt'xU 
prebigt  oon  guter  Drt^farbe  ift  bie  ©ebanprebigt  über  :3ef.  40. 
®a§  2luffa^ren  mit  glügcln  roie  2tblcr  mirb  juerft  etroag  breit 
auf  ben  Sluffc^mung  be§  ^anbelig^  ber  5nl>wftrie,  auf  g^otte  unb 
S3olt§ernä^rung  bejogen  —  biefc§  national^ojiale  Programm  be^ 
rü^rt  in  biefcr  Slu^fü^rlid^tcit  auf  ber  ftanjel  etroa^  unange^ 
ne^m  — ,  aber  bann  mirb  ber  Seyt  angeroanbt  auf  bie  33ebingung 
JU  biefem  Sluffc^mung,  nämlic^  auf  bie  Sntfte^ung  einer  neuen 
SRenfc^^eit,  bie  burc^  bie  Äraft  @ottc§  gezeugt,  Ijkv  arbeitet  unb 
fc^afft,  um  fic^  bann  in  baö  emige  5Reic^  ®otte§  mit  feinem  emi* 
gen  3)ienen  binüberjuretten;  alfo  nic^t  nad^  bem  33ilbe  fmgenber 


1)  9lcue  aWenfc^cn.    «on  3ltnoIb  Softer.    Öeipsig  1903. 


228  ^Hebergall:  %iz  mobcme  ^ebigt. 

Älofter^örc,  fonbcm  at§  inniges  93cr^ältni§  bc§  ©laubcnö  unb 
ber  Siebe  ju  @ott  foH  bic  cn)ige  ©etigfeit,  ber  bieSfeitigcn  ent* 
fpred^enb,  ausgemalt  werben. 

®benfal(§  in  boppelter  ©ejie^ung  mobern,  alfo  in  feiner  93er« 
fünbigung  felbft  wie  in  ber  Serücffid^tigung  ber  fonfreten  SSer^ält* 
niffe  ift  93.  3)örrie§^)  in  feinem  ^rebigtbanb  „3)  a  §  ®  o  a  n  g  c* 
(ium  ber  Slrmen''.  ^n  i^m  tritt  neben  ben  mobemen  @ro§* 
ftabtprebiger  ber  moberne  Slrbeiterpaftor.  ^ier  fpri^t  ber  jur  S^eo* 
logie  ber  „S^riftlic^en  SBett"  gehörige  J^eologe  ju  bem  Stanbe, 
bem  nun  einmal  bie  au^gefproc^cne  ©qmpat^ie  biefe§  ÄreifeS  ge* 
^ört.  ©tet§  fu^t  er  bem  SJerftanb  beS  »erbitterten  unb  irrege* 
leiteten  Unglauben^  bic  ^auptfätje  feiner  2:^eologie  annehmbar  ju 
ma^en,  in  immer  neuen  SBenbungen  bringt  er  ben  |)örern  ben  l^ifto» 
rifc^en  Qefu^,  ben  SBater  unb  ba§  @otte§reic^  entgegen.  35iefe  93ot* 
fc^aft  ift  non  ibm  ganj  auf  bie  5)entroeife  ber  Seute  abgcftimmt, 
eine  unenblic^  fleij^ige  unb  liebeuoUe  93ef^aftigung  mit  ben  fojial- 
bemofratifc^en  ©ebantenfreifen  unb  ®en!met^oben  fe^t  i^n  in* 
ftanb,  fein  SBort,  mag  e§  aud^  in^altlic^  gerabe  entgegengefe^t 
lauten,  mcnigften^  formell  in  bie  ®enfgen)o^nt)eiten  feiner  3u^örer 
einjubetten.  ^i)  mei^  leinen  anbern,  ber  fo  regelmäßig  unb  fo 
gefc^icft  genau  oon  einem  $un!te  au§juge^en  meiß,  ber  bem  3^n» 
tcreffen!rei§  feiner  ^örcr  unb  bem  eigenen  gemeinfam  angel^ört, 
um  bann  i^re  ©ebanten  oon  bem  irrigen  auf  ben  feinen  ju  len!en. 
«^ier  neigt  fic^  roo^l  am  tiefften  ba§  -^ntereffe  be§  aSertünbigerS 
unb  bie  SarfteHung  be§  ©oangeliumö  herunter  ju  ben  roirflid^en 
^ntereffen  einer  ganj  unb  gar  mobern  gerichteten  |)örerfd^aft.  @g 
tt)irb  nic^t  nur  ba§  Soangelium  angeroanbt  auf  ba§  Seben,  um 
e§  JU  burc^bringen,  fonbcm  Dom  Seben  au§  mirb  ^ilfc  unb  Slnt* 
mort  im  ©oangclium  gcfuc^t.  ©o  rocrben  j.  93.  mit  feinem  Sichte 
beleuchtet  bic  grauen-  unb  bie  Sibe^frage,  ber  93cruf,  baS  93olf§'' 
feft,  bie  SRcic^^tag^ma^l,  ba§  @elb,  bie  SBiffenfc^aft.  3)cr  Jcjt 
tritt  jurücf,  oft  fc^eint  ben  SRebncr  ber  93olf^oerfammlung  nur 
lofe  ber  Jalar  ju  umt)üllen;  2lnlage,  ®ebantenint|alt,  ©pra^e 
meiben  ben  S^aratter  ber  ^erfömmlic^en  ^rebigt,   ber  mannen 

1)  ©öttingen.    5)nttc  ^luflage  1904. 


Süebcrgall:  5)ie  mobeme  ^rebigt.  229 

ficutcn  f^on  an  ftd^  unangenehm  ift.  ©rjä^lungen,  ©vlebniffe, 
perfdnlic^e  ©inbrüdte  roürjen  bie  Darbietungen,  bic  o^ne  ^w'^if^t 
bie  mobernfte  ©rf^einung  bebeuten,  bie  wir  bi^^er  befproc^en 
^aben. 

(Siner  ebenfo  gcfc^Ioffenen  unb  mobernen  ©emeinbe,  aber  bo^ 
non  ganj  anberm  ©^arafter  prebigt  O.  93  a  u  m  g  a  r  t  e  n  ^).  ®r 
^ält  feiner  UniDerfitätögemeinbe  fleißig  i^r  93itb,  ba§  93ilb  be§ 
mobernen  SWenfc^en  nor,  mie  er,  burc^  einfeitige  Pflege  be§  intet 
(eftueUen  unb  äft^etifc^en  SebenS  au^ge^ö^It,  ^art  unb  eitel  ge- 
worben ift.  9tur  ber  ©inn  für  bie  SBirHic^feit  unb  ba§  93ebärf'' 
ni^  nad^  einem  ®egengen)tc^t  gegen  bie  jerftreuenbe  SBielfeitigteit 
be§  2ebcn§  bietet  no^  |)offnung  auf  Slneignung  ber  c^riftlic^en 
^Religion  bar.  3)iefe  fteflt  Saumgarten  oor  feine  ^örer  unb  2efer 
^in  aU  bie  geiftige  9Kac^t,  bie  ber  Unruhe  be§  äußeren  unb  in* 
nercn  Seben§  einen  |)alt  am  ®n)igen,  bem  Seinen  na^  SRu^e  ein 
Heiligtum  be§  oerborgenen  fieben^  mit  ®ott,  ber  Unfid^er^eit  im 
Seben  ein  fic^ere^  Saftgefü^l  anbietet,  aber  au^  bie  ^^ic^t  auf=^ 
erlegt,  bie  näc^ften  Seben^bejie^ungen  unb  ba§  Solti^leben  c^riftli^ 
ju  geftatten.  Um  bie§  ju  errei^cn,  ftellt  Saumgarten  ben  gcfd)ic^t* 
lid^en  ^t\vi^  in  ben  SSorbergrunb,  bem  ®ott  ber  innerfte  ©runb 
feine§  S)afein§  mar,  ber  in  feinem  fteHoertretenben  Opfertob  ba§ 
©rö^tc  für  bie  ÜJlenfc^^eit  geleiftet  ^at.  Oft  Hingen  auc^  feine 
unb  tiefe  mgftifdie  Jone  innigfter  Slrt  burc^  bic  ^^rebigten  l|in* 
burc^.  Saumgarten  ftellt  mieber  einen  ganj  mobernen  ^rebiger 
bar,  ber  au§  feinem  ganj  mobern  aufgefaßten  ®^riflentum  ^erauö 
feiner  mitten  im  ©egcnmart^leben  fte^enben  ©emeinbe  barreid^t, 
ma§  i^r  nötig  ift.  Sefonber^  intereffant  ift  für  un§,  baJ5  er  beiben 
mobernen  Stimmungen  entgegentommt,  mie  mir  fic  oben  gejei^net 
^aben :  ganj  offen  fteUt  er  fi^  aU  moberner  9Wenfc^  auf  bie  ©eite 
ber  heutigen  9latur*  unb  ®ef(^ic^t§erfenntni§,  aber  fein  ^auptbe- 
ftreben  ift  boc^,  ber  mobernen  3^^^iff«n^cit  unb  Unruhe  eine  SBelt 
ber  Äraft  unb  ber  9tut)e  ftarf  unb  !lar  ju  bejeugen. 

®benfatl§  in  einer  ganj  unb  gar  gleichartigen  ®emeinbe  oon 
gebilbeten  ®egcnn)art§menfc^en,  nämlic^  oor  amerifanif^en  ©tuben* 

1)  ^rebiflten  au§  ber  (Segenroart.    Söon  D.  D.  ©aumgarten.  a:üMn0en 
1903. 


230  Sfl  i  e  b  e  r  ö  a  U :  5)ie  mobetne  ^rebigt. 

tcn  i)at  ^  c  a  b  0  b  9  ^)  feine  prdd^tigen  2lbenbanbac^ten  gel^alten. 
®arum  fann  er  fid^  ganj  unb  gar  bcm  Qixq  feineS  @ciftc§  ^in* 
geben,  in  bem  jic^  moberne  2:^eoIogie  unb  liebeooUe  Serfentung 
in  ba§  gan§e  moberne  ©eiftei^roefen  ju  einem  frönen  93unbe  5u* 
fammengefunben  ^aben.  SBBelc^  ein  ©lüdt  mu^  ba§  fein,  eine 
folc^e  ©eele  au§juftrömen  in  eine  ©^or  üon  empfänglichen  jungen 
Seuten !  ®em  SRebner  fte^t  bie  ganje  innere  5lot  be§  heutigen  Se* 
ben§,  feine  raftlofe  ^e^e  naij  ®elb,  SBBiffen  unb  @^re,  bie  Ueber» 
füüe  feiner  STnregungen  auf  aßen  ©ebieten,  bie  ironifd^e  ©teßung 
ber  531afiert^eit  ju  ben  SBerten  be§  2eben§  tlar  unb  ^ilfeflel^enb 
t)or  Singen.  Unb  roie  er  mit  fc^arfem  Sluge  bie  Slöte  erfennt,  fo 
greift  er  mit  feiner  ^anb  in  ben  biblifc^en  9teic^tum  unb  ^olt 
oiele  überfet)ene  ©olbtörner  in  feinen  fnappcn  Slnba^ten  mit  je 
nur  einem  Seitgebanfen  ^erüor.  ®ott  ein  ®ott  ber  ©rfinbe  unb 
ber  33erge  —  ba§  ift  ber  ®ott  ber  Seben^^ö^epuntte  unb  be§ 
3)urc^fc^nitt§Ieben§;  auf  bie  glut  t>c^'  3lrbeit  bie  ®bbe  ber  ©amm* 
lung  in  ®ott ;  ®otteS  ®nbjiel  mit  ber  SBBelt  mirb  nid^t  burd^  feine 
®efe^e,  fonbern  bur^  feine  Äinber  erreid)t;  bie  Stot  be§  mobemen 
2eben§  ift,  ba§  fo  wenige  mit  feiner  '$ü\i^  umgeben  fönnen;  bie 
aSifionen  fmb  fein  2uju§,  fonbern  eine  Slotmenbigfeit ;  bie  Äraft 
eine§  Sanbe^  liegt  nic^t  in  feinem  SBo^lftanb,  fonbern  in  feinen 
^bealen;  am  beften  trägt  bie  eigne  Saft,  mer  noc^  eine  anbre  ba* 
juuimmt;  bie  2lufgabe  be§  mobemen  ©Triften  ift,  bie  moberne 
äBelt,  fo  unreinlich  fie  fein  mag,  ju  einem  neuen  Zr)p  moralifc{)er 
©d^ön^eit  umjuroanbeln ;  bie  ®abe  ber  9teligion  ift  ein  9lame, 
b.  i).  bie  perfönlic^e  Sebeutung  einer  ^i^bioibualität  für  einen 
3Wenf(^en,  bie  ©tetlung  eine§  ®otte§finbe§,  ftatt  einer  bloßen  S^¥ 
in  ber  SWaffe. 

aCBer  mertt  ni^t,  roie  fein  fic^  ^ier  ein  ma^berroanbter  ®eift 
in  bie  ®rö^e  unb  in  bie  9iot  ber  ®egenroart  ^ineinempfunben 
^at?  SBBer  freut  fic^  nic^t,  bei  ^eabobg  ju  finben,  mie  in  ber  alten 
33ibel  immer  noc^  eine  ^üUe  oon  ®ebanfen  and)  für  unfre  3^it 
ftecfen,  menn  man  fie  nur  lieft?  S)iefe  präct)tige  pfgd^ologifc^e 
Slnal^fe,  bicfe  gefc^icftc  9lnfnüpfung  unb  SSerroenbung  ber  2lllegorie 

1)  ^benbftunben.    ^Religiöfe  Betrachtungen  oon  3^.  ®.  ^eabobp.  ©ie- 
Jen,  1902. 


91  i  e  b  er  Q  a  U :  ^ie  ntobeme  ^rebigt  231 

ma^cn  bic  ^rcbigtcn  intereffant  unb  unocrge^Uc^.  2Bie  mcl  tonn* 
ten  n)ir  oon  ^cabobq  lernen,  um  unfre  SReben  ooCer  unb  —  türjer 
ju  machen! 

@in  paar  ©ro^ftabtprebiger  unb  bann  ein  paar  2)orfprebiger 
foHen  noc^  üor  unferm  93lidt  Dorüberjie^en. 

Sß,  Äirm§^)  nimmt  weniger  auf  bie  Sage  unb  3lufgabe 
be§  mobernen  ÜJlenfc^cn  au^brücflic^  Jftürffi^t  aU  auf  eine  mo^» 
berne  3)arftellung  be§  SoangeIium§.  SQBenn  auc^  natürlich  immer 
mieber  33emerfungen  einfließen,  bie  fid)  auf  bie  ©egenmart  er* 
[trerfen  (roie  j.  93.  über  bie  ©^ulb  ber  Sirene  am  2lbfatt  ber  ®e* 
bilbeten;  bie  laufc^igen  ©cfen  in  ben  mobernen  Söo^nungen,  in 
benen  aber  feiten  jemanb  einteert,  um  ©infamfeit  ju  fuc^en),  fo 
liegt  bod^  ber  9lac^brudt  auf  ber  mit  immer  neuer  Siebe  unb 
immer  anbern  93lic!en  anfe^enben  ©c^ilberung  ^lefu  unb  be§  reid^en 
Seben^,  ba§  man  burc^  i^n  gewinnen  fann.  3)ie  (Starte  biefer 
^]}rebigten  liegt  in  i^rem  roirtli^  erbauli^en,  rein  crbauli^en  6^a* 
ratter,  ber  i^re  große  Verbreitung  ertfärlic^  ma^t. 

©enauer  in  bie  Sage  moberner  ©ebilbeten  t)ineingeftimmt  fmb 
bie  ^rebigten  be§  Seipjiger  ^^farrcr^  ^  a  r  I  93  o  n  ^  o  f  f  ^j.  @r 
weiß  ba§  ®roße  an  unfrer  ßeit  ju  faffen  unb  jur  2lntnüpfung 
für  feine  ©DangeliumSoerfünbigung  ju  fc^ilbern:  i^rcn  SBa^r^eit^* 
fmn,  i^r  Seinen  nac^  einem  bleuen  unb  ©roßen,  i^r  SÖBeltbilb, 
ba§  ©Ott  nic^t  oerbrängt,  fonbern  nur  no^  größer  erfc^einen  läßt, 
i^r  SSertangen  nac^  3lu§geftaltung  be§  eignen  Qd),  überhaupt  aüe^, 
mag  fic^  in  i^r  oon  neuen  Kräften  unb  SBünf^en  einem  ftarten 
unb  großen  Äommenben  entgegenredtt  unb  ^fttccft.  @e^r  gef^irft 
fteHt  er  biefem  ©e^nen  feine  93ertünbigung  entgegen:  bie  Kraft 
be§  gegenroärtigen  gciftigen  ©otte^rei^eö,  ba§  ©^riftentum  ber 
^nnerli^teit  unb  ber  ©rneuerung  ber  Seele,  ba§  5Bad)fen  über 
fic^  felbft  f|inaug  burc^  Sitten  auf  bie  Jü^rungcn  bc^  Seben§; 
an  biefe  ©aben  unb  ©üter  binbet  er  oft  gefd)icft  an  ißerfonen 
au§  ber  biblifc^en  ©efd}ic^te.  SR\d)t  nur  ^^\n^,  fonbern  auc^ 
j.  93.  3^rc^iö§  erfc{)eint  a(^  Jräger  unb  ©innbilb  göttlicher  Kräfte 
unb  gü^rung;  feine  "ßerfon,  in  i^rer  ganjcn  l)iftorifc^en  SBirtlid^- 

1)  ^rebigten  oon  D.  ^:ßr.  %  ^irm§.    I.  93b.  2.  ^luflage.    iöerlin  1904. 
2i  ^rebiflten  oon  ^arl  ©onf)off.    2^ipm  1904. 


232  S'l  i  e  b  e  r  0  a  n :  5)ic  moberne  ^rebiflt. 

feit  erfaßt,  ^ilft  boju,  l^cute  benfelbcn  ©eng  ju  ge^en,  bcn  ber 
^ropl^ct  oon  ®ott  geführt  roorbcn  ift. 

ajle^t^orn^)  nimmt  oicßeic^t  no^  enctgif^cr  feine  9tic^» 
tung  auf  bcn  mobcrnen  aWcnf^en,  um  i^m  moberne§  ©oangcUum 
anjubicten.  @o  fü^rt  er  j.  93.  bie  ©ngcl-  unb  Sleufel^DorfteHung 
in  längeren  gefd^tc^t(id)en  ©ffurfeu  auf  t^re  religiöfen  aSurjeln 
jurücf ;  f 0  jeigt  er  im  gefd^ic^tlii^en  ®t)riftu§  ben  (Srunb  ju  unferm 
Olouben  an  feine  Unoergänglic^teit  auf  unb  ftcUt  aßeö,  ftatt  auf 
ba§  „®§  fte^t  gefc^rieben",  auf  innere  erlebbarc  @rfaf|rungen. 
@ut  ift  bie  ^rebigt  in  ber  er  mit  bem  Jejt  „^l)x  \)abi  nic^t  gerooDt" 
ber  mobernen  SQSillen^fc^mäci^e  ju  Seibc  ge^t.  Sitten  offene,  tlare, 
menn  auc^  etma^  Ief|rt)afte  ^rebigten  —  fe^r  mobern. 

Jlac^bem  mir  oiele  ©ro^ftabtprebigcr  betractjtet  ^aben,  moHen 
wir  un§  no^  oier  3)orfprebiger  oor  3tugen  ftellen  unb  babei  ber 
Hoffnung  2lu§brucf  geben,  ba§  immer  met)r  (Sammlungen  au§  ber 
^rebigtarbcit  in  ber  Meinen  ©tabt  unb  bem  3)orf  erfd)einen  mögen, 
bie  i^re  befonbere  Starte  weniger  in  ber  Originalität  ber  ©e* 
bauten  al§  in  ber  gefc^ictt  ben  SJer^ältniffen  angepaßten  ©intlei* 
bung  fu^en  follen.  ^n  biefer  93ejie^ung  geben  alle  oier,  grenf* 
fen*),  93itjiu§^),  §  ef  fei  ba^  er*)  unb  Söeingart*^)  manche 
intereffante  ®rmägungen  an  bie  $anb.  ^unäc^ft  ift  e§  wichtig 
JU  beoba^ten,  wie  fie  alle  i^re  2lu§fü^rungen  ganj  t)inunter  ju 
ben  beftimmten  tontreten  Sßer^ältniffen  i^rer  ©emeinbe  galten 
unb  i^re  ^rebigt  genau  in  bie  äußere  unb  innere  Sage  i^rer  |)örer 
^ineintomponieren.  3öir  betommen  fo  einen  ©inbrurf  oon  bet 
jmifc^en  ben  einjelnen  börflic^en  ©emeinben  ^errfctjenbcu  Sle^nlid)« 
teit  unb  ajerfc^ieben^eit.  2)a§  3)orf  am  ©tranb  ber  9lorbfee,  ba§  am 
93ieter  See,  am  9lerfar  unb  in  ber  9lä^e  ber  ^anfaftabt  93remen  — 
jebe§  fteigt  ttar  oor  unfern  Slugen  auf.  So  geneigt  wir  finb,  biefen 


1)  5lu$  $ö^en  unb  2:iefen.    ^^Jrebigten  pon  D.  'iß.  SD^el)(^om.    ßetpsig 
1904. 

2)  ^orfprebigtcn  Don  ®.  grenffen.    ©öttingen  1903. 

3)  31.  93itiiu§,  ^rebigten  «b.  1  u.  2.    «Bern  1897. 

4)  IMuS  ber  ^orfIircf)e.  3el)n  ^rcbigten  oon  ^.  ^effelbac^er.  2:übin0en 
1905. 

5)  !Surf)en  unb  fjinben  oon  §.  Söcingart    Öcip^ig  1904. 


9lieberflall:  5)ie  ntobeme  ^rebigt.  233 

|>intcr9runb  unter  bem  äftl^ctif^cn  ®cfi^t§puntt  intcreffant  unb 
angenehm  ju  finbcn,  fo  \if)x  muffen  wir  baran  benfcn,  ba§  für 
bie  |)örer  ein  anberer,  ndmlic^  ber  praftifd^e  in  33etrad^t  fommt. 
©ie  werben  immer  roieber  borauf  ^ingeiüiefen,  ba§  bie  fro^e  93ot» 
fc^aft  unb  bie  baju  gehörige  Seben§orbnung  für  i^re  ganj  be^ 
fiimmten  33er^ä(tniffe  gilt,  ©ie  werben  gleic^fam  in  i^rem  engen 
S)orfe  eingefreift,  ba^  fie  gar  ni^t  anberi^  fönnen  al§  jugefte^en : 
Nostra  res  agitur.  2)a§  tontrete  Seben  be§  3)orfe§  gibt  i^nen 
ba§  gclb^  auf  bem  fic^  ba§  ®^ri[tenleben  ju  betätigen  ^at  in  ©e- 
bulb,  ©e^orfam  unb  9täd)ftenliebe,  aber  auc^  reiche  Slnlnüpf ung§' 
unb  aSergleic^unggpuntte  für  bie  SBertünbigung  felbft.  93efonber§ 
bie  erften  brei  fuib  unermübli^,  bie  börflic^e  Umroelt  jur  5Hn« 
roenbung  unb  QHuftrierung  i^rer  93otfc^aft  t)ercinjuäie^en.  3)a* 
bei  ge^t  ©i^iu§  roo^l  am  tiefften  in  ba§  3mtag§leben  hinein: 
wenn  er  uon  ber  neuen  Jurmul^r,  ber  Rantonalabftimmung,  ber 
2lrmenpflege,  ber  ©tatiftit,  ber  ©^ul^auiSeinmei^ung,  ber  legten 
geuer^brunft,  bem  ©ängerfeft  fpric^t,  fo  t)at  man  ben  ©inbrudE, 
ba^  er  am  meiften  oon  allen  mit  bem  93Iicf  auf  ba§  ®orfleben 
bie  Sibel  aufgefc^lagen  unb  bie  ^anjeltreppe  beftiegen  ^at.  SDBenn 
er  oon  ©^riftgebanten  au§  feine  ^^Jrebigt  anfaßt,  bann  ift  boc^ 
immer  fein  Söunf^  auf  ba§  ftärtfte  bat|in  geridjtet,  feinen  Seuten  bie 
©c^riftmal^r^eiten  ganj  ttar  au  ma^en.  kleben  biefem  in  ba§  'ältltag^^ 
leben  brängenben  prattifc^en  Qmq  ^aben  alle  noc^  eine  oermanbte 
t^eologifd)e  2luffaffung  al§  ^ennjei^en  i^rer  mobernen  2lrt.  ^efu^, 
ber  gefd)ic^tlid)e  Se^rer  unb  ^eilanb,  lenktet  au§  allen  ^rebigten 
^eroor.  Sei  grenffen  ift  er  ber  treue,  reine,  ftarte  unb  gute 
9Kann,  ber  Offenbarer  unb  aSertraueu^mann  feiner  ©laubigen;  bei 
SBi^iuö  ift  er  ber  Se^rer,  aWeifter  unb  ba§  «orbilb,  bei  ^effel^ 
ba^er  ber  2:räger  ber  göttli(^en  Siebe  unb  ber  Duell  eine^  neuen 
©eifte^,  bei  SÖeingart  ber  95ilbner  oon  ®t)arafteren  unb  ^^erfön^ 
lic^teiten,  ber  SlngeU  unb  a)rel)punft  unfrei  Seben^.  S8on  ^efu^ 
au§  sieben  alle  brei  unermüblid)  Sinien  nad)  allen  ©eiten  be§  3111* 
tag^leben^,  um  c§  ju  oertlären,  ju  bur^bringen  unb  umäugcftalten. 
aSerf Rieben  ift  bie  2lrt,  roie  fie  i^re  moberne  ©oangelium^:' 
erfenntniö  in  it)rer  fpejififdien  3lrt  au^fpre^en  unb  betonen,  grenf* 
fen   gewöhnt  fe^r  gef^ictt  in  gelegentlid^en  93emertungen   feine 


234  Sflicbcrgall:  ^ie  ntobcme  ^rebigt 

^örer  baran,  ba^  c§  auf  bic  ®cf^i(^tlid^fcit  bcv  ©rjä^lungcn  unb 
bic  SEBa^r^cit  bcr  alten  3)ogmen  nic^t  antommt;  al§  ^oct  n)ei§ 
er  frei  unb  fein  ben  inncrftcn  ®c^alt  folget  ©ef^td^ten  ^crau§» 
julioten  unb  ju  geftalten,  au^  ganj  naio  oon  bem  ^tmmet  unb 
ben  lieben  ©ngeln  ju  reben.  ©itjiu§,  ber  grünblic^e  ©c^ulmetfter, 
räumt  mit  alten  SorfteHungen  auf  unb  fe^t  bie  richtigen  an  bie 
©teile,  ^effelbac^er  rebet  einfach  au§  bem  mobernen  Sinn  l^erau§, 
otine  }u  polemifieren  unb  feine  3tuffaffung  lange  ju  bcgrünben. 
©anj  anber§  aber  mac^t  e§  SBeingart.  3)ie  9tä^e  ber  großen 
©tabt  93remen  ^ei^t  i^n  ganj  grünblic^  auf  alle  fragen  ber  mo^ 
bemen  ßw^eifler  eingeben  unb  feine  Sluffaffung  im  ©egenfatj  ju 
ber  überlieferten  barlegen  unb  beroeifen.  ©o  be^anbelt  er  um* 
faffenb  bie  ^xaQt  m6)  @ott,  er  fprid^t  ganj  offen,  „bamit  i^r  e§ 
mi^t"  T)on  ben  SOBunbergefc^i^ten  aU  oon  lebenSooHen  ©lei^niffen, 
ganj  au^fü^rli^  fagt  er  feine  3)leinung  über  ^efuS,  über  bie  93i* 
bei,  „bamit  il^r,  wenn  i^r  fol^e  2)inge  oon  anbrer  ©eite  ^ört, 
nic^t  ftu^ig  werbet  .  .,  benn  baju  fte^e  i^  auf  ber  Kanjel,  um 
euren  ©lauben  ju  ftSrfen." 

Sßerfc^ieben  fmb  fie  in  ber  2lrt,  roie  fie  i^re  ©ebanten  äußern. 
33i§iu^  ift  ber  nüchterne,  prattif^e  93ott§erjie^er,  ber  oft  rec^t  ab^ 
ftra!t  ftet§  eine  Söa^r^eit  unb  3Wa]^nung  einprägt,  grenffen  ift 
ber  ^oet,  ber  feiner  bid^terifc^en  ©efiattung^traft  in  einer  SEBeife 
bie  309^1  fc^ie^en  lä^t,  bie  über  ba§  burc^  bie  De!onomie 
ber  *ißrebigt  bebingte  9Jla§  ^inau§ge^t.  ^effelbac^er  ^ält  feine 
reid^e  ©eftaltungstraft  ftet§  im  ®ienft  feiner  ^rebigtaufgabc,  um 
feine  Darlegungen  padtenb  unb  intereffant  ju  mad)en.  Söeingart 
oerfte^t  e§  oortreff lic^ ,  33cgriffe  unb  33e^auptungen  in  einjelne 
ton!rete,  farbig  aufgeführte  33eftanbteile  aufjulöfcn  unb  baburc^ 
bie  Slufmerffamfeit  mai^juer^alten. 

SÖBir  f^lie&en  noi)  ein  SBort  über  bie  3tnbac^ten  91  au- 
m  a  n  n  ^  ^)  an,  mit  benen  er  fieben  ^a^re  lang  auf  meite  Greife 
eingemirft  ^at,  bie  burct)  ben  mobernen  ©eift  oom  ®^riftentum 
unb  ber  ^Religion  abgefommen  fmb.  ^m  3JJittelpunft  ber  33er* 
fünbigung  ?laumann§  fteljt  3^fw^/  ^ud)  nacf)bem  er  if|n  auf  feiner 

1)  ©otteig^ilfe.    Sßon  D.  JJr.  91aumann.    ©öttingen. 


S'l  i  e  b  e  t  ö  a  1 1 :  5)ic  mobcrnc  ^rcbigt.  235 

^^aloftinareife  in  feiner  ganjen  menfdjlic^cn  33ebingt^eit  \)at  fenncn 
lernen,  QefuS  al§  ber  2Beg  ju  ©ott,  jum  ^rieben,  jur  Kraft  jur 
Umgeftaltung  ber  heutigen  Söelt  in  feinem  ©inne.  Jlaumann  f)at 
einen  tiefen,  flaren  ©inn  für  bic  aWad)t  ber  religißfen  Kräfte ;  gut 
^iftorifc^  gefdiult,  tt)ci§  er  gefc^i^tlic^e  ^^erfonen  unb  3^*^^"  ^"^ 
i^rem  3wf<^n^"^^J^^öng  ju  löfen  unb  fie  plaftifd)  unb  fräftig  al§ 
Jräger  göttli(^er  SOßeifung  unb  ©tärfe  in  bie  jener  ^iftorif^en 
entfpred^enbe  Soge  ber  ©egenroart  ^ineinäuftellen.  ©aneben  aber 
ift  er  ein  ^rop^et  @otte§,  be§  großen  unb  guten,  gewaltigen  unb 
rätfetoollen  ^errn  ber  SHJelt,  ber  ju  feinem  £)\)x  f priest  an^  ber 
9iatur,  ber  ©ntroicflung,  ber  Qnbuftrie,  furj  axi^  bem  ganjen 
Uniperfum.  äBir  ^aben  lange  feinen  fold^en  SJerfünbiger  ©otte^ 
gehabt,  ber  i^n  ^ört  mit  aufmer!famem  O^re,  mo  bie  anbern  feine 
Stimme  nid)t  oerna^men,  unb  ber  i^n  mit  einer  neuen  Sprache 
preift,  roctc^er  man  ba§  eigene  ®rlebni§  abfütilt.  9lu§  @ra§  unb 
ajleer,  au§  ^erbft  unb  6onne,  an^  alter  ©^rift  unb  aui^  neuer 
©eifte^beroegung  t)ört  er  ba§  Jftauf c^en  ber  ©timme  ©olteö ;  feine 
©prad^e  lä^t  alte  religiöfc  ©ebanfen  neu  erglänjen  unb  ^at  un§ 
manchen  (ginbrucf  neu  erfc^loffen.  ®r  fpric^t  ganj  in  bie  moberne 
3eit  hinein,  inbem  er  bie  neue  SBBelt  im  ©onnenglanje  ®otte^ 
jeigt,  inbem  er  i^r  in  all  i^rem  ©etriebe  ben  großen  emigen  ®ott 
a(§  Qkl  unb  2:roft  unb  §alt  uerftänblic^  mad^t.  Ob  nic^t  ber 
•^^Joet  in  i^m  bem  ^^rop^eten  gefä^rlic^  werben,  ob  nic^t  bie  SJor* 
liebe  für  5Haturftimmungen  bii^meiten  ben  6l)arafter  bc§  ©oange^ 
liumg  beeinträchtigen  tann,  ift  eine  grage,  bie  ftd^  n)ot)l  allein 
burc^  eine  Kenntnis  ber  Sefer  feiner  ©otte^^ilfe  ober  feiner  9lac^^ 
a^mer  beantworten  liege,  mel^e  ben  geiler  be§  Originale  oft  am 
tlarften  jur  ©c^au  tragen. 

93on  großem  ^ntereffe  fmb  für  un§  bie  SReben  be§  S3remer 
'ißaftorg  2t.  Äalt^off^),  ba  er  ganj  unb  gar  nic^t  nur  bie 
moberne  @eifte§art  bei  feinen  ^örern  oorau^fel^t,  fonbern  auc^ 
perfönlic^  teilt.  2)aju  gel)ört  junäc^ft  ba§  moberne  9taturbilb  famt 
ber  mobernen  9laturp^ilofop]^ie;  alfo  nic^t  nur  bie  Se^re  üon  ber 
©ntmidlung,  ber  SBererbung,  ber  9tnpaffung  unb  ber  Sr^altung 


1)  Gilbert  ^altI)off,  Üieligiöfe  Sßeltanfc^auung.    Scipsiß  1903. 

3cUf(^rift  für  Ideologie  unb  Äirc^e.    lö.  ^a^rfl.,  3.  $cft.  17 


236  9(1  i  c  b  e  r  0  a  11 :  ^ie  mobcme  ^rcbigt. 

bcr  Äraft  fonbcrn  anö)  bcr  ®laubc  an  bic  Uncnbti^fcit  bcr  fficlt, 
bic  eine  jcnfcitigc  SBBcIt  auSf erliegt;  baju  gehört  eine  3luffaffung 
ber  ©ef^i^te,  bic  in  ben  fojialen  Seroegungen  bic  treibenben 
Strafte  fie^t,  unb  enblic^  eine  reIigion§gefc^i^tIid^c  unb  rcHgion§* 
pfri^ologifi^c  2)enfn)eifc,  bic  ben  Urfprüngcn  ber  religiöfen  ®t^ 
banten  in  bic  2:iefe  ber  ©eete  hinein  na^ge^t.  SlDc  mobernen 
Stimmungen  ttingen  mit:  bie  |)o^fd^ä^ung  ber  aOBiffenfc^aft,  ber 
^ag  gegen  Äird^e  unb  ^faffentum,  ber  Sinn  für  ^oefie,  baS  93e» 
bürfni§  no^  ^erfönlid^feit,  ba§  SWifetrauen  gegen  aUe§,  roaö  ab^ 
folut  fein  miß  —  turj  unb  gut,  ber  moberne  SWenfc^,  mie  er  „im 
93ud^c"  fte^t,  fd^aut  au§  ben  SReben  ^eruor,  unb  bübet  einen  roic^^ 
tigen,  bem  JRebner  unb  ben  ^örern  gemeinfamen  33eftQnbteil.  ^n 
biefe  gciftige  SSerfaffung  rid^tet  nun  ÄaItf|off  feine  SluSftt^rungen 
hinein,  unb  jmar  nid)t  mie  bie  anbern  blofe  mit  gelegentlichen  ©r* 
mä^nungen  ober  mit  ftillfd)roeigcnber  ^ejie^ung,  fonbcrn  ganj 
au§fü^rlid)  unb  abfid^tlic^.  —  SEBeld^e  93otfc^aft  f)at  er  benn  ju 
bringen?  @r  f priest  oon  bem  ®ott  ber  Siebe,  mie  er  angcfid^t§ 
ber  entfe^li^en  ©clbftfuc^t  einmal  in  einem  (J^riftug^erjen  erroac^te, 
er  fprid^t  oon  bem  QkU  ber  Unenblid^feit,  moju  ber  9Jlenf^  bic 
Slnlogc  eine§  unenblid^en  SBBerbenS  in  fic^  trägt,  oon  bem  Smig^ 
feit^ge^alt,  ben  unoerloren  jebe§  SWenfc^enbafein  in  ftc^  trägt ;  in 
ber  Söclt  malten  emige  ®efe^e  be§  9lotroenbigen,  ba§  guglei(^  baS 
®utc  unb  ®öttli^e  ift,  maltet  eine  fittlid)e  Söeltorbnung  mit  ^o^en 
fielen  unb  <3bealen,  an  bie  ju  glauben  ben  SOBeg  ju  einem  neuen 
^enfc^en  bilbet.  ®iefe  SEBelt  ber  Q\)z^n  murjelt  nic^t  in  unfern 
aCBünfi^en,  fonbcrn  in  unfrer  ^flid^t,  an  beren  ©vfüHung  unS  fein 
9Jlec^ani§mu§  ^inbert,  beren  ©efolgung  unfre  fittlic^e  ^erfönlic^^ 
feit  ausmacht. 

®iefe  93erfünbigung  mirb  nun  auf  ba§  moberne  SBeltbilb 
felbft  gegrünbet;  fo  ift  bic  ©roigfeit  unb  Unenblii^feit  unfrei 
Seben^  unb  unfrer  Slufgabe  gegeben  mit  ber  Sntmicflung  unb  ber 
©r^altung  ber  ^raft  ober  e§  mirb  biefer  unb  jener  3u9  aw§  i^m 
fe^r  gefc^irft  jur  3tu§fü^rung  unb  Srläutcrung  benu^t;  fo  ift  ba§ 
moberne  Jiaturbilb  mit  feiner  unenblic^en  SBeite  ein  3^w9"i^  fö^ 
bie  Siebe  ®otte§,  fo  bie  2lnpaffung  eine  93erfc^ärfung  bcr  SJerant- 
mortIid)feit.ber®efellf(^aft  gegenüber  bem  ©injclnen,  aber  juglci^ 


91  i  e  b  e  r  ö  a  H :  %xt  moberne  ^rcbigt.  237 

eine  Slufforbcrung,  at§  ^erföntic^teit  bic  3Wa^t  bcr  Umroclt  ju 
überroinben  unb  bcffcr  §u  geftaltcn,  bic  SSercrbung  eine  aWa^nung, 
bic  gö^Iföi^c"  i>^^  ^erjcng  mögtic^ft  weit  au§juftrecfcn  in  uner- 
fättüc^cr  ©e^nfuc^t  nad^  Siebe  unb  Seben.  Snblic^  wirb  aber  auc^ 
bie  9iotn)enbigfeit  bcr  ^flidjt  bem  2We^ani§mu§,  bie  ©rbaufgabe 
be§  ©Uten  bem  @efe^  bcr  33ererbung  abgerungen. 

III.  @runbfä^e  ffit  bie  moberne  ^rebigt* 

aSerf^ieben  mag  ber  Sinbrurf  auf  ben  a3efd)auer  fein,  menn 
man  fo  bie  ganje  ©c^tai^trei^e  be§  'ißroteftantiSmug  oom  red)ten 
bi^  jum  linfen  Slügel  aufmarfc^iert  fie^t,  inbem  man  hinter  jebem 
ber  genannten  gal^nenträger  ein  paar  ^unbert  ober  taufenb  3Wann 
erblicft,  bie  mit  i^m  gleicher  ®efmnung  ober  oon  i^m  abhängig 
fmb.  3Jian  barf  fid^  mo^l  freuen  be§  einen  großen  SBBiüen^  in 
ben  fo  oerfd^ieben  uniformierten  ^Regimentern ;  fie  marfc^ieren 
boc^  alle  im  Flamen  beS  §errn  Q^fu^  (£^riftu§  mit  t)ellen  3cici^c« 
gegen  all  bie  finftern  ©eroalten,  bie  un§  SWenfd^en  bebrürfen. 
aJlöge  nur  bie  auf  bem  rechten  ^lügel  ausgegebene  ^arole  überall 
be^erjigt  werben:  9lic^t  oon  ^efuS  auSfd^lie^en,  roaS  ni^t  ju  un^ 
gehört !  9liemanb  fann  ftc^  bem  ©inbrucf  ber  Kraft  entjie^en,  bie 
burc^  biefe  großen  5Reit|en  ge^t.  Q^btx  xot\%  ber  Äampf  ift  fc^roer, 
aber  bie  ©ac^e  @otte§  ift  e§  roert.  Qfebem  tut  e§  gut,  [\d)  ein* 
mal  burc^  ben  ©ebanfen  an  bie  ajlenge  unb  Jattraft  ber  3Jiit* 
ftreiter  ba§  2luge  roeiten  unb  ben  3lrm  ftärfen  ju  laffen. 

2lber  e§  ^anbelt  fid)  für  un§  nic^t  um  SinbrüdEe,  fonbem 
um  ©rtenntniffe.  9Ba§  lernen  mir  au§  unfern  grunbfä^li(^en 
Srroägungen  unb  au§  ber  ©etra^tung  ber  mobernen  ^rebiger  für 
bie  2lrt,  roie  mir  ^eute  ba§  ©oangelium  oerfünbigen  f ollen? 

SQBir  fuc^en  unfere  aSemertungen  um  bie  beiben  aSrennpuntte 
ju  fummeln,  bie  uns;  bi§^er  ma^gebenb  geroefen  fmb :  mobern  oer^ 
ftanbene^  ©oangetium  unb  moberner  aWenfi^.  9lber  bamit  foll 
feine  fd^arfe  Einteilung  für  bie  uor jutrageuben  ®eban!en  gegeben  fein. 

ßuüor  noc^  eine  93emerfung  über  t>a^  93er^ältni§  ber  bärge* 
[teilten  ^rebiger  gu  bem  Don  un§  aufjuftellenben  ^beal.  ©^  ift 
ein  gegenroärtig  aud)  auf  anbern  ©ebieten,  j.  ^.  ber  9lational* 

17* 


238  ^itbtxQall:  %xt  mobeme  ^^rebigt 

öfonomie,  ber  ©taat§n)iffcnfd)aft  unb  ä^nli^en  prattifdjcn  3)i§* 
aipUncn  Dielocr^anbeltcS  Problem,  n)ic  fic^  au§  bcm  tatfä^lt^cn 
SScrlaufc  praftif^er  93cftvcbungcn  eine  SJorfteQung  oon  bem  QUal 
getoinnen  lä^t.  O^nc  auf  biefc  fd^roicrigc  S^age  ^icr  einjugcf)en, 
iDoflcn  tüir  fo(gcnbc§  aU  bic  93orau§)e^ung  unfrer  toeitercu  2lrbcit 
aufftetlen:  1.  3)ic  t^corctifc^en  33orftcÜungen  Dom  Qbcol  laffcn  fid) 
nid^t  au§  trgenbiuel^cn  aUgcmcincn  ^rinjipicn,  auc^  nic^t  an^  ber 
©efc^ic^te  ber  3)i^jiplin,  alfo  ^ier  ber  ^omiletif,  gciüinnen,  fonbcm 
fic  crroac^fcn  au§  einer  forgfamen  33eobQc^tung  unb  SScrarbeitung 
ber  ^rafiS.  3)ie  prattifi^cn  ^rebigtcn  ^aben  n\6)t  im  aßgemeinen 
bie  Slufgabe,  SSermirflic^ungen  ber  in  ber  ©tubicrftubc  aufgeftcü* 
ten,  gefc^i^ttic^  unb  prinjipiell  begrünbeten  St)corie  ju  fein,  fon» 
bcm  bic  J^eorie  f|at  burd^  eine  mög(icf)[t  intcnfioc  3)ioination 
fcftjuftcHen,  meldjen  3^9  i>i^  ^^rofi^  §u  nehmen  im  begriffe  ift 
um  baran  i^re  S^^eoric  }u  orientieren,  bie  fic  bann  natürlich  mit 
i^ren  gef c^ic^tüdien ,  prinjipicßen,  bcfonbcrS  pfqc^ologifdjen  unb 
empiriftifc^en  SWitteln  bc§  meiteren  ju  begrünben  unb  au^jufü^ren 
f)at,  Slber  bie  "ißrajig  ber  fü^renben  ©eifter  bleibt,  weil  fie  in 
unmittelbarer  SJerbinbung  mit  ber  2Bir!li^feit  fte^t,  unbebingt 
SÄu^gang^*  unb  CueHpunft  jeber  J^eorie.  2.  3)ie  füt)renben 
®eifter  unb  bie  gute  ^]?raf i§  ^erau^jufinben  unb  ben  3^9  ^^^  3^'^ 
aufiufpüren,  ift  natürlid)  eine  ganj  unb  gar  fubjettioe  3lufgabe. 
3tber  bie  einget)cnbe  S3erürffid)tigung  ber  objeüiocn  3Womente  fd)ü^t 
ben  J^eorctiter  oor  einfeitiger  fubjettioer  Sieb^aberei,  ma§  befon« 
ber^  flar  unb  offenfn^tlid)  ift,  menn  fein  perfönlic^er  ©cfc^macf 
ganj  ober  jum  Jeil  oon  bem  abmeiert,  wa^  i^m  fein  fac^lic^cr 
(Sinn  al§  3ug  ber  3^it  oufgejeigt  ^at 

Ueberblicfen  mir  bic  oon  un§  aufgefteüte  Steige  oon  ^^rebi* 
gern  unb  S^agen  barauft)in,  ma§  fid)  ^ier  an  neuen  bemegenben 
aJlotioen  unb  Q^^ölen  emporringt,  fo  mirb  fid)  biefe  unfre  Unter* 
fuc^ung  mit  ber  fdiönen  9lrbeit  oon  ^^}.  3)rero§0/  ^i^  'jßrebigt  bc§ 
neunje^nten  9af)rt)unbert§,  berühren.  3tttein,  ba  3)rero^  blo§ 
nac^  bem  ^JJrebigtgegenftanb  gefragt  f)at,  fo  ift  unfre  21ufgabe 
bod^  mit  feiner  Slrbeit  noc^  nid)t  ganj  erlebigt,  fo  miütommen  e^ 
un§  ift,  roenn  fic^  unfre  Srgebniffe  mit  ben  feinen  berüf)ren. 

1)  öie^cn  1904. 


9^1  i  e  b  e  r  0  a  r  I :  %k  mobeme  ^tebtöt.  239 

Unfrc  5^agc  fofl  angcft^tiS  unfrcr  53cfc^räntuncj  auf  bic  letzten 
15  3öt)tc  fo  (auten:  SEBorin  jeigt  fic^  ein  9]euc§  in  bcr  ganjen 
2luSfüt|rung  bcr  ^rebigt  jumat  in  bcn  <3ntercffcn,  bic  bcn  ^rc* 
biger  leiten?  S)ag  fann  fi^  am  beften  fo  ergeben,  wenn  mix  bic 
Don  un§  be^anbetten  mit  ben  ^rebigcm  ber  unmittelbar  oor^er- 
ge^enben  ^eriobe  oergtei^en,  alfo  j.  93.  mit  bcr  3^it  in  bcr  eine 
Sinie  von  ©teinmeper  über  ©erot  ju  ^einric^  2ang  unfrer  gront 
entfprtd^t.  Unter  ber  SBorau^fe^ung ,  ba§  bie  fotgenben  93emer» 
tungen  nur  at§  ©inbrttdtc  unb  SSermutungen  angefc^en  unb  jum 
ainlal  weiterer  genauer  SBcrgleic^e  genommen  werben,  fd^eint  fi^ 
folgenber  Unterfc^ieb  geltenb  ju  mad^en.  ®§  ift  nic^t  ber  @egen< 
fa§  be§  allgemeinen  unb  be§  fpejiellen  ®egcnftanbe§,  benn  aud) 
bie  früheren  ^rebigten  jcigen  fe^r  fpejieHe  unb  bie  neueren  fcljr 
allgemeine  ©egenftänbe;  e$  ift  auc^  nid^t  ber  Unterfc^ieb  ber  tt)eo» 
logifd^en  |)altung,  benn  ben  mobemen  S^eologen  in  jener  ent^^ 
fprec^en  fonferoatioe  in  biefer  $eriobe.  3)er  Unterf^ieb  liegt, 
glaube  ic^,  barin,  ba§  jene  ^rebiger  alle  metir  in  ber  „Schrift", 
in  ben  religiöfen  unb  t^eologif^en  Erörterungen  ftc^en  bleiben, 
mä^renb  biefe  alle  mit  einanber  me^r  auf  ba§  Seben  juge^en. 
3)er  Unterfc^ieb  ^ei^t  alfo  nid^t:  allgemein  unb  fpejieH,  fonbern: 
t^eoretifc^  unb  praftifc^.  9lber  ba§  genügt  aud)  noc^  ni^t.  ^raf* 
tifc^  fmb  jene,  j.  93.  @erof,  auc^.  Slber  i^  ^abe  ben  ©inbrucf, 
afö  ob  i^re  praftifc^e  Slnmenbung  auf  bie  aJlenfdien,  bie  SBett, 
bie  ©ünbe,  ba§  Seib  unb  bie  ajerfud}ung  über  eine  gemiffe  fd^e^ 
matifc^e  (Seftalt  nid^t  ^inau^fäme,  um  nid^t  ju  fagen,  iur  Oefo=» 
nomic  bcr  ^rebigt  get)öre.  SBä^renb  bie  älteren  bie  ©pejiali« 
fierung  unb  fontrete  9lu§legung  im  ©injelnen  i^ren  ^örern  über* 
laffen,  bemühen  ftc^  bie  neueren,  mögli^ft  ber  ßu^örerfc^aft  auf 
ben  Seib  ju  rüdten,  um  gauj  einbringenb  einjufc^ärfen :  tua  res 
agitur;  ic^  fenne  bid)  unb  beine  9iot,  erfenne  au^  mic^  unb  meine 
|)ilfe.  @o  befommt  bie  ^rebigt  einen  anbern  ß^arafter;  ftatt 
ber  l^erfömmlidjen  93e^anblung  einer  ©tcUe  au^  ®otte§  Söort,  bie 
nicl)t  feiten  ben  Sinbrudt  einer  auf  feften  tec^nifc^en  ^Regeln  be* 
ru^enben  fc^riftgele^rten  Seiftung  madjt,  meiere  eben  um  i^rer 
felbft  u) i 1 1 e n  oolljogen  werben  mu§,  befommt  bie  'ißrebigt 
eine  größere  Sto^raft:  fie  wirb  tatträf tiger ,  aggrefftoer,   wirft 


240  ^iebergall:  ^ie  tnobeme  ^rebigt. 

bic  alte  „bcroa^rte"  aWctf)obc  über  bcn  Raufen;  fie  toitt  nic^t  ©c^rift 
auflegen,  fonbcru  fie  roiH  Scben  gcftaltcn.  @bcn  barum  lüitt  fie, 
um  intcreffantcr  ju  toerben,  bic  SJlenfc^en  an  i^rcn  roirflidien  Qn^ 
tcreffen  parfcn,  fie  uerfu^t,  in  bie  roirflic^e  äu&erc  unb  innere 
Sage  ber  iJeute  ^ineinjurcben.  ©o  nerlegt  fid^  ber  ©c^roerpuntt 
oon  ber  ©d}rift  auf  ba^  Seben.  3)a§  9leue  liegt  barum  nic^t  in 
einer  anbern  2luffaffung  be^  ®oangelium§  ober  ber  ©c^rift,  fon* 
bern  in  ber  ©rfaffung  be§  mobernen  SSWenfc^en.  ÜWit  einem  3D8orte, 
ber  SReali^mu^,  ber  pfqc^otogif^e  unb  ber  fojiale  SRealii^mu^  biU 
ben  ba§  ^ara!teriftif^e  iStennjei^en  ber  mobernen  ^rebigt;  ober 
genauer  gefagt:  ^ier  ift  bie  neu  fic^  emporringenbe  Äraft  ju  fe^en, 
in  ber  ber  Qnq  ber  ©ntmirflung  fi^  gegenmärtig  offenbart. 

2Bic  biefe  ©ntwidthing  mit  bem  ganjen  gegenwärtigen  3^'^' 
geifte,  mie  fie  anö)  mit  ber  oeränberten  Slnfd^auung  oon  ber  33ibel 
jufammen^ängt,  braud)t  nad^  allem  SBor^ergegangenen  nid^t  me^r 
au^gefü^rt  ju  werben. 

$öie  ift  biefe  2lenberung  ju  beurteilen  ?  aWan  mirb  i^r  fidler 
juftimmen  muffen.  ®§  liegt  unabänberlic^  in  unferer  ®eifte§ri^* 
tung  begrünbet,  ba^  oon  ben  brei  ©liebern,  au^  bercn  ©qnt^efe 
nad^  ©c^teiermac^er  bie  ^rebigt  beftel)en  foH,  gegenmärtig  ber 
Slac^brucf  oon  bem  Seyte  auf  bie  ^erfönlic^feit  be§  ^rebiger§ 
unb  befonber§  auf  ben  3"^^"^  ^^^  ©emeinbe  fällt.  9]ur  oor 
einigen  ©efa^ren  muJ5  man  fic^  boc^  babei  ^üten.  ©inmal  barf 
teine  ©c^ablone  au§  biefer  2lrt  gemacht,  e§  mufe  5Raum  für 
jebe  anbere  2lrt  gelaffen  merben.  SBBenn  ber  5Reali^mu§  jur  SSer« 
geroaltigung  fü^rt,  ift  er  genau  fo  unrealiftifc^  mie  jebe  anbre 
roirtlic^teit^ferne  ©c^abtone  aud).  2)ie  2^^eorie  ber  ^rebigt,  alfo 
bie  ^omiletit  foüte  fid)  begnügen,  im  allgemeinen  }u  entmirfeln, 
mag  bie  ^rebigt  foU ;  aber  bann  möge  fie  au§  i^rer  eigenen  ®e* 
fd)ic^te  eine  güße  oon  SBegen  aufjeigen  unb  ben  Slirf  bafür 
fc^ärfen,  welcher  SÖScg  in  jeber  ©emeinbe,  ja  in  jebem  einjelnen 
Saß  JU  begel)en  ift.  2Öa§  un§  am  meiften  bie  'ißrebigtmirtfamfeit 
oerbirbt,  ba§  ift  bie  ©c^abloneni^aftigfeit,  oon  ber  bie  J^corie 
ernfte,  aber  bie  ^^Jraji^  oft  fe^r  fomifdie  groben  gibt.  |)at  bann 
and)  bie  ©tunbc  für  bie  3lUein^errfd)aft  ber  anali)tifd^49^^^^tif<^^" 
^^Jrebigtweife  gefc^lageu,  fo  mirb  fie  unter  ben  möglichen  SBegen 


91  i  e  b  e  r  fl  a  1 1 :  ^ie  mobemc  ^rebigt.  241 

immer  no^  eine  wid^tige  SRodc  fpielcn  bürfcn.  3)enn,  unb  ba§ 
ift  baö  jroeitc,  mir  bürfen  boc^  ben  Seyt  ni^t  cbenfo  oernac^Iäf« 
jigcn,  mie  bie  frühere  ^eriobe  ba§  Seben  oetna^Iäffigt  ^at.  i)ft 
auc^  ber  ®efic^t§punft  ber  ©(^riftau^Icgung  ganj  unb  gar  l^intcr 
bem  ber  ©iniüirfung  jurücfgetreten,  fo  ift  bie  ©nroirfung  gerabc 
oft  bann  am  fd^lagcnbften,  mcnn  fie  fic^  auf  ein  paffenbeig,  in 
einen  analogen  %aü  ^ineingcfagte^  Söort  ftü^t.  2Kfo  ber  2lu§s 
gang,  ber  ibeale  3tu§gang^puntt  ift  in  ber  SRegel  oon  bem  Seben 
ber  ©emeinbe  ober  beö  "^ßrebigerS  ju  nehmen.  ®nblid^  noc^  eine 
Sleinigteit:  e§  ift  ni^t  nötig,  ba§  ben  ^örern  immer  jum  93e« 
mu^tfein  gebraut  roirb,  ba^  man  i^re  Sage  fennt,  inbem  man 
fie  fc^ilbcrt.  ®a§  ftö|t  oft  ab  unb  mirft  ftörenb.  ÜWan  brauet  ja 
nic^t  immer  ju  fagen  roa§  man  tut,  man  foH  nur  tun.  ®arum  ift 
e§  fc^on  genug,  wenn  man  nur  feine  2tu§fü^rungen  praftif^er  2lrt 
in  bie  genau  erfannte  Sage  ber  ^örer  ^ineinric^tet  unb  richtig 
ftö§t,  anftatt  lange  ju  befc^reiben,  roarum  man  ba^in  ftö^t.  @S 
mu§  überhaupt,  ba§  fann  nic^t  oft  genug  gefagt  merben,  be§ 
9teben§  über  bie  ®inbrü(fe,  SBirfungen,  5Borau§fe^ungen  u.  f.  m. 
immer  weniger  unb  be§  jielbemu^ten,  auf  @runb  guter  Drien* 
tierung  richtig  angefe^ten  3D8irfen§  immer  me^r  merben.  —  9]un 
foUen  im  einjelnen  au§  einem  Sßerglei^  be§  crften  unb  jmeiten 
Seilet  bie  2lnforberungen  an  unfere  ibeal^moberne  ^rebigt  auf* 
gcjeigt  merbcn. 

A.  ^ad  mobetne  @t»aitge(ittiitdiier{itattbitid  unb  bie  ^tebigt. 

ßuerft  ba§  ®  o  a  n  g  e  l  i  u  m.  2)ie  S^age  lautet :  Qn  mie 
meit  foll  ba^  moberne  SBerftänbniS  oom  ®oangelium,  oon  ber  93ibel 
unb  bem  Sl)riftentum  übevt)aupt,  mafegebenb  fein  für  unfre  ^re« 
bigt?  S2BcId)e  ^^rebigtmeife  f (fliegt  e§  au§  unb  meiere  33ereid)es 
rung  fd^enft  e§  un§? 

3)a§  ift  Har :  loer  nid)t  auf  bem  mobernen  aScrftänbniö  be§ 
(£oangclium§  fte^t,  ber  prebige  c§  ani)  nic^t.  3lÜe  SRücffic^t  auf 
bie  mobernen  Seute  barf  nie  mein  SBerftänbni^  be§  ®oangetium§ 
beftimmen,  fo  menig  roie  bie  Diürfftc^t  auf  bie  ©emeinbeort^obofie. 
darüber  beftimmt  allein  mein  ©laube,  mein  SBiffcn  unb  mein 
©emiffen.    Sluf  ba^  allerentfc^iebenfte  ift  jumal  ber  3lnfänger  ba^ 


242  S'l  i  e  b  e  r  ö  a  U :  ^ic  mobemc  ^rebigt 

oor  ju  warnen,  ta^  er  bie  geringfte  Umroanblung  am  ©oangelium 
oornelime,  um  e§  „b  e  m"  mobemcn  3Jlenfc^en  fc^madC^af t  ju  ma»^ 
^en.  9lur  unfer  93erftänbni§,  nie  ber  S38unf^  unb  ©efc^macf 
ber  Seutc,  beftimme  ben  ^fn^alt!  ®troa§  ganj  anbereS  ift  e§  na* 
türlic^,  menn  unbenju^t  unb  ungcrootlt  weit  wir  boc^  auc^  uon 
^eute  fmb,  ber  (Seift  unfrer  3^it  w^f^^  95erftänbni§  mit  beein- 
flußt. 3lber  bewußt  feine  Unterfc^tagung,  feine  Slbfc^mäc^ung  ix- 
genb  einer  Seite  be§  Soangeliumö,  nämlic^  ber  frolien  93otfc^aft 
oon  bem  SSater  unb  ^errn  im  ^immel  unb  bem  emigen  SReid) 
unb  Seben,  i>a^  un§  armen,  fünbigen  unb  fc^ulbbefledCten  SJlen^ 
fdien  ^eil  unb  ^eimat  geben  foß.  ©arin  nur  ganj  fteifnadig 
bleiben!  9Bem  biefe  3)inge  nid^t  besagen,  ben  lorfen  mir  aud^ 
nic^t  burc^  2lbjüge  herein.  6r  roill  immer  melir  ab^anbeln  unb 
fc^ließlic^  lac^t  er  un§  bod^  au§.  2öir  muffen  un§  ganj  bringenb 
baoor  marnen  laffen,  baß  mir  nic^t  um  berer  miöen,  bie  nic^t 
jur  Äir^e  fommen  unb  um  bie  mir  werben  mit  aller  ^raft,  bie 
treuen  Äirc^englieber  unbefriebigt  laffen,  bie  an  unS  fd)on  man* 
c^e§  ju  tragen  ^aben,  aber  roenigften^  ein  Siecht  auf  religiö^-fitt* 
lic^e  aSoÜfoft  befi^en.  9tur  nic^t  bem  mobernen  SWenfc^en  nac^=^ 
fc^mac^ten  unb  i^n  mit  Opfern  an  3Bal^r^eit  ober  an  SBa^r^af* 
tigfeit  herein  nötigen,  mä^renb  bie  eigenen  Seute  oft  red)t  ftief« 
mütterlich  be^anbelt  werben!  ©§  ift  nic^t  fein,  \^a^  man  ben 
Äinbern  i^r  93rot  ne^me  unb  werfe  e§  oor  bie  ^unbe.  3Wir  ift 
bie  gabel  oon  bem  ^unbc  auf  bem  ©tege  eine  SEBarnung,  ber 
nac^  bem  anbern  ©tüdE  ^leifc^  fc^nappte,  unb  barüber  ba§  eine 
üerlor,  ba§  er  im  SWaule  ^atte  —  unb  ba§  anbere  war  bloß  ein 
;3llufion.  3)a§  gilt  nur  uon  ber  SSertünbigung  be§  ©oangelium^ 
in  ber  Äirc^e,  bie  immer  unfrc  Hauptarbeit  bleibt.  S)aß  wir 
fonft  alle§  tun  follen,  wa§  in  unferen  Kräften  fte^t,  um  bem  mo* 
bernen  SUlcnfc^en  in  feiner  SBeife  ba§  ©oangelium  tlar  ju  mad^en, 
alfo  in  SBorträgen  unb  S)i§!uffion§ftunben,  ift  bur^  ba§  ©efagte 
natürlich  nic^t  au§gefc^loffen.  SBiellci^t  fallen  ein  paar  Srofamen 
bann  an  ben  rechten  Ort. 

W\t  ber  Sffiarnung  oor  einer  SBertürjung  unfrer  93otfc^aft 
au§  Sdjeu  unb  SBerlangen  ju  gefallen,  ift  natürlid)  weber  bie 
9Iu§wa^l  gcwiffer,  oielleic^t  bi^^er  t)ernad)läffigter,  ©türfe  no(^  eine 


S'^icbergaU:  2)ic  mobcmc  ^rebtgt.  243 

geeignetere  gorm  ber  Darbietung  au§gefc^loffen. 

Sarüber  roollen  wir  un§  9lec^enfd)Qft  geben,  inbem  mx  un= 
fem  obigen  Vorlegungen  über  ba§  mobeme  ®Dangelium§oerftQnbni§ 
nac^ge^en  unb  erörtern,  roa§  au8  ben  einjetnen  fünften  für  unfre 
l^eutige  ^rebigt  folgt. 

1.  S)ie  Äritit  l|at  folgenbe  ©rgebniffe  njo^I  jum  allgemein 
anerfannten  93efi^  gema(^t :  a.  ®inmal  bic  91  u  f  I  ö  f  u  n  g  ber 
alten  S^eorie  oon  ber  SBerbalinfpiration.  ®a§  bebeutet 
nun  eine  gro^e  Srfc^roerung  ber  ^^Jrebigt,  infofern  man  nun  nic^t 
me^r  jebe  93ibelftelle  mit  einem  „®§  fte^t  gefd^rieben"  als  ®otte§ 
SEBort  ber  au§legenben  ^rebigt  jugrunbc  legen  barf.  ®in  93e* 
mei§  ber  ©c^n)ierig!eit  ift  ber  betannte  Umftanb,  ba§  oicle,  bie 
mit  ber  fie^re  im  allgemeinen  gebrochen  liaben,  bod)  mit  ber  ein* 
jetnen  ©teile  nic^t  anberS  ju  ocrfa^ren  miffen,  al§  märe  fie  in 
ber  alten  9luffaffung  infpiriert.  3^ft  bie  ,,  Schrift"  aber  eine  @amm= 
lung  oon  ©d^riften,  bic  eine  auffteigenbe  fiinie  oon  2lu§brürfen 
religiöfen  fieben§  enthalten,  bann  mu§  man  eine  jebe  ©teile  barauf 
^in  anfet)en,  ob  fte  bem  ®eift  be§  ®Dangelium§  entfprid|t.  S5a§ 
ift  etroaS  ganj  anberc§  al§  bie  9lu§legung  secundum  analogiam 
fidel  im  alten  ©inne;  baju  gehört  eine  eingelienbe  SBefd^äftigung 
mit  ber  93ibel,  bie  ben  ©efc^mad  für  bag  ©oangelium  medten  unb 
flären  mu§.  ©elbftuerftänblic^  !önnen  mir  bann  auc^  nic^t  mel^r 
in  ber  alten  SBcife  mit  ber  93ibel  afö  bem  Söort  ®otte§  beroeifcn, 
fonbem  mir  muffen  barauf  ausgeben,  in  bie  geiftige  3Belt  einju* 
führen,  beren  jeitgemä^er  2lu§brudf  bie  ©c^rift  ift.  Sic  5^age 
i)ei^t  nic^t:  SBag  fagt  un§  biefe  ©teile?  fonbern:  SBaö  lebte  in 
ben  Seuten,  bie  ju  i^rcr  3^it  i^)^  3*nnerc§  fo  au§brüd!ten  ?  3)iefe 
©rmägung  gibt  ju  ber  grage:  S^ematifi^e  ^rebigt  ober  ^omilie? 
ben  roeiteften  ^intergrunb.  aSerbleibt  bie  2lufgabe,  bie  ©emeinbe 
mit  ber  ©c^rift  befannt  ju  machen,  ber  93ibelftunbe  ober  bem 
58ibelfranj,  fo  ift  bic  ^rebigt  bie  perfönlic^e  äufü^rung  ^riftlic^en 
®eifte§  an  ber  ^anb  einc§  SibelmorteS  an  eine  fo  unb  fo  ge- 
artete ©emeinbe.  Sie  93ibel  ftellt  un§  eine  !laffifc^e  Q^xt  mit 
allen  Qbealen,  ^Richtlinien,  Äräften,  ©runbfä^en  ber  SebenS*  unb 
SBeltauffaffung  bar.  3)ie  eigentümliche  SUlifc^ung  uon  grei^eit 
unb  Slb^ängigfeit,  bic  ba§  9Jer^ältui§  einer  gegenwärtigen  ^criobe 


244  9^  i  c  b  c  r  fl  a  n :  S)ie  mobcnic  ^rebigt. 

ju  bcr  Haffifc^cn  S^xt,  auf  roelc^er  fic  ftc^t,  ju  bcjeid^ncn  pflegt 
mac^t  6cibc§  nötig,  2:cEt  unb  freie  SKnrocnbung  auf  unfre  ©egcn^ 
wart.  Seben  unb  SBett  im  fiic^t  ber  großen  ttaffifc^cn  ©runbgebanfen 
auf*  unb  anfaffcn  ju  teuren,  ift  f^tie^lic^  ber  ©inn  unfrer  ^rcbigt. 

SKud)  bie  moberne  ^rebigt  im  boppelten  ©inn  be§  SBorteä 
üerfä^rt  nic^t  anber§.  3Wag  aud|  ein  Unterfd)ieb  in  ber  53enu^ung 
ber  ©d)rift  fein  jmifc^en  ©töder  unb  3Jle^i^orn.  ©ic  roiffen  aüe, 
bag  mir  unfre  Urfunben  noc^  lange  nic^t  erfc^öpft  ^aben,  fonbern 
ba§  fie  un§  nod)  fe^r  oiel  ju  fagen  ^aben,  mie  ja  gerabe  ba§ 
Unerfc^öpftidie  ba§  Äennjeidien  be§  maffifd)en  ift.  9]ur  ft  a  1 1* 
^  0  f  f  töft  fic^  ganj  üon  ber  ©c^rift  log.  Qxvat  gebraucht  er 
einige  ©(^riftgebanfen  unb  2Borte,  aber  er  ^at  jeben  SJerfuc^, 
mit  ber  93ibe(seit  in  einer  Kontinuität  ju  bleiben,  aufgegeben  unb 
ftrf)  auf  moberne  91aturp^itofop^ie  gefteüt.  3Wögen  bie  anbern 
auc^  no^  fo  fe^r  in  bem  ©c^riftgebraud)  oon  einanber  abmeieren, 
ber  SBunfrf)  unb  ber  ®laube  ift  boc^  ba,  gegenroärtige§  Organ 
für  ben  ®eift  ber  ©c^rift  ju  fein. 

b.  ®a§  j  m  e  i  t  e  @rgebni§  ber  Äritit  ift  bie  U  n  t  e  r  f  c^  e  i- 
b  u  n  g  üon  2:  ^  e  o  t  o  g  i  c  unb  91  c  l  i  g  i  o  n.  2)ie  2:rennung  ift 
unmöglich,  benn  auc^  bie  ©efürroorter  biefer  Trennung  ^aben 
eine  J^eologie.  2tuct)  bie  Sleinreligiöfen  fmb  2:t)eotogen.  2lber 
fie  motten  ni^t  eine  beftimmtc  Slieologie  mit  ber  ^Religion  uer« 
einerteien,  um  bie  ®aUn  unb  Kräfte  ber  SJeligion  bIo§  um  ben 
^rei§  abjugeben,  ba§  man  il^rer  ©rttärung,  mie  fie  juftanbe  ge* 
tommen  unb  aufjufaffen  finb,  juftimmt.  ©ie  miffen,  Jl^eologie 
unb  ®ogma,  au^  fel^r  oie(e§  in  ber  ©c^rift,  ift  SKu^brud,  ni^t 
©egenftanb  be^  @taubcn§.  SBie  tann  man  aber  bie  ßuftimmung 
jum  ^erfömmti^en  2lu§brudt  be§  ®lauben§  jur  93ebingung  für 
hm  ©mpfang  bcr  im  ©lauben  au§gcbrüdEten  ©üter  unb  §i(fen 
machen !  ©e^en  fic^  auc^  bie  über  bie  Dberflädje  ^eroorragenben 
©tengel,  Stätter  unb  Slüten  häufig  menig  ä^nlic^,  bie  SOSurjeln 
unter  ber  ®rbe  glei(^cn  fic^  bebeutenb  me^r;  unb  fc^tiefelic^  ip 
e§  biefetbe  Seben^fraft  be^  grü^Iingö,  bie  alle  ölumen  auf  ber 
ganjen  SBiefe  tieroorgetrieben  i}at,  fo  oerfc^ieben  fie  auc^  nad^  i^rem 
©amen  unb  i^rem  ^la^e  fic^  oben  geftalten  mögen.  S)arum 
t)abc  jeber  feine  2:^eologie,  at§  ^ätte  er  fie  nid)t.    2)arum  ^aben 


9lieber0aII:  ^ie  moberne  ^rebigt  245 

wir  ^eutc  auf  bcr  Äanjel  un§  x>ox  einem  boppelten  ju  pten:  9EBir 
bürfcn  jucrft  beiou^t  nic^t§  üon  unfrer  J^eotogie  auf  bie  Äanjet 
bringen,  foubcrn  muffen  immer  mc^r  boran  arbeiten,  unfere  t^eo« 
logifd^e  Sprache  in  bie  Ijomitetifc^e,  nämlic^  in  bie  r  e  I  i  g  i  ö  f  c 
gurüdtjuüberfe^en.  ©aju  t)ilft  ein  unermüblic^e§  ©tubium  ber 
©c^rift  unb  ber  ©efc^ic^te,  bag  un^  gleiche  ober  ä^nlic^e  Sieligion 
in  ganj  oerfc^iebenen  3lu§bruct^n)eifen  ertennen  leiert  unb  baburc^ 
frei  mac^t  oon  fd)ematifc^er  SluSbrudömeife.  3lud^  ^ier  Ijitft  bie 
unermüblic^e  2lrbeit  be§  Ueberfe^en§  ju  einer  immer  freieren  93er^ 
fügung  über  ben  Qn^alt.  3Jlan  trägt  ja  natürlich  immer  feine 
Ideologie  an  fic^,  aber  fte  mirb  ein  immer  burc^fid^tigere^  unb 
entbe^rlid^ere§  ©emaub  für  ben  3"^ölt,  bie  ©efü^le  unb  ©tre- 
bungen,  Ueberjeugungen  unb  ©emi^^eiten  beö  religiöfen  2eben§. 
S)ann  mirb  man  fic^  auc^  oor  ber  ^olemif  gegen  frembe  2:^eo= 
logie  t)üten.  3lac^  bem  ©türm  ber  erften  2lmt§ja^re,  mo  mau 
o^ue  ©ifern  gegen  frembe  Ueberjeugungen  unb  Slnfic^ten  bie  ei^* 
genen  nid)t  meint  mit  fiiebe  unb  53egeifterung  betätigen  ju  fönnen, 
lernt  man  immer  me^r,  g^ieben  unb  ßraft  mit  einfachen  SEBorten 
Dom  aSater,  bem  ^errn  unb  bem  9lci(^  ju  pflanjen  unb  ju  pflegen. 
ÜKan  oergöttert  immer  weniger  bie  SJlittel  unb  nerabfolutiert  immer 
meuiger  bie  SSorau^fe^ungen,  fonbern  überlädt  e§  bem  9Jac^benfen 
ber  ©injelnen,  fic^  bie  ©rmöglic^ung  unb  Raffung  jener  ®aben  in 
i^rer  äöeife  jure^tjulegen. 

c.  ©ine  brittegrud)t  ber  Äritif  ift  bie  ©rfenntnig  fagen* 
^after  ©eftanbteite.  ^ft  bie  93ibel,  fmb  bie  überlieferten  Sin» 
fd)auungen  über  bie  ®rmögli(^ungcn  be§  ^eileö  ©egenftanb  be§ 
®lauben§,  bann  mu§  man  fic^  mie  ©töcter  gegen  bie  3luflöfung 
ber  ©c^riftoffenbarung  in  3)Mrc^en  n)et)ren.  <3ft  ber  ©laube  bie 
ßuftimmung  jur  ©rfenntnii^  ber  früheren  Stitm  oon  ben  SSorau^^ 
fe^ungen,  alfo  biefe  ^uf^iw^wtung  93ebingung  für  ben  ©mpfang 
ber  geiftigcn  ®üter,  bann  gilt  eig,  alle  aWotioe  ber  ^^Jietät  unb 
ber  2lngft  um  ba^  ^eilige  gu  ^itfe  ju  rufen,  um  einem  3^i^flicfe^« 
ber  ^eil§tatfad)en  in  „blo^e  :3been"  ju  fteuern.  2lber  wenn  loir 
mit  ber  Sategorie  „3lu6brurf  be§  gläubigen  Sefi^e^  ber  großen 
®aben  unb  |)ilfen  ®ottesi"  arbeiten,  bann  oerfc^lägt  e^  nic^t  fo 
oiet,  ob  fic^   ber  -S^^^alt  biefe^  ®lauben§  an  ben  großen  ftarfen 


246  91  i  e  b  c  r  0  a  n :  5)ic  moberne  ^rebigt 

• 

^eiligen  unb  gnäbigen  ®ott  in  einer  ©cfc^ic^te  ober  in  einer  ©age 
2lue;brurf  oerfc^affte.  ©o  bleibt  bic  @ef^id)te  üom  ©ünbenfaU 
2lu§brudt  für  bie  üer^ängniSooUe  3WQc^t  ber  ©ünbe,  ob  wir  fie 
nun  al§  eine,  wenn  aud^  nod^  fo  oerfürjt  überlieferte  gef(^ic^t= 
lic^e  93egeben^eit  ober  rein  aU  2)ic^tung  auf f äffen,  bie  unter 
bem  93ilb  eine§  einmaligen  93organge§  barftetlt,  voa^  immer  unb 
überall  gefc^ie^t.  Unfre  Ijiftorif^^tritifc^e  6rfenntni§  fe^t  un§  in 
ben  ©tanb,  gleid^fam  regreffio  ben  aOSeg  oon  ber  ©rjä^lung  ber 
Gegebenheit  ju  ben  Sinbrücten  unb  2:enbenjen  jurürfjuge^en,  ben 
bie  Sichtung  oon  ben  3^been  ju  ben  fon!rcten  ©eftalten  oorroärt§ 
gegangen  ift.  Ober  anber^  au^gebrüctt:  bie  Kriftalle  ber  ©rjö^- 
lungen  löfen  wir  auf  in  bie  elementaren  ©toffe,  bie  fid)  i^ren 
©efe^en  fotgenb,  ju  jenen  ©ebilben  oerbic^tet  Ratten.  SWag  man 
auf  ber  „pofitioen"  ©eite  fid^  auc^  SJlü^e  geben,  biefe  9heber^ 
fc^läge  ber  ©ebanfen  irgenbroie  alg  roirtlic^e  93egeben^eiten  ju  oer^ 
teibigen,  in  ber  ^xa]c\§^  oerfäl^rt  man  mit  jenen  ©ebilben  genau 
fo  mie  mir,  inbem  man  al§  religiöS'fittli^e  Slnmenbung  an  bie 
©efc^ic^te  heranträgt,  mag  mir  al§  i^ren  fonftituierenben  Äeim* 
gebauten  erfannt  ^aben.  9li(^tg  intereffanter  al§  ^rebigten  auS 
oerfc^iebenen  Sagern  über  bie  ©peifung  ber  günftaufenb  mit  ein^ 
anber  ju  Dergleichen,  ^in^^t  ^üben  mic  brüben  bie  religiö^^^* 
miletifd^e  ^erfönlic^teit,  mag  in  biefer  @efc^id)te  erbaulid^  ift,  fidler 
t)erau§,  fo  fc^enft  un$  biefe  unfre  tritifc^e  @r!enntnig  in  anbern 
fällen  oieÜeic^t  eine  leichtere  ^anb  unb  immer  ein  ru^ige§  ®e« 
miffen.  S)ie  3lrt,  mie  3Jl  e  ^  l  ^  o  r  n  bie  SBorftellungen  oon  2:eufel 
unb  Sngel,  mie  93  a  u  m  g  a  r  t  e  n  bic  Oftergefc^id^te  be^anbelt, 
ift  barum  fo  treffenb  unb  glüd^lirf),  meil  fie  biefelben  religiöfen 
Ueberjeugungen  unb  Jenbenjen  herausholen,  bie  im  93unbe  mit 
bem  SBiffen  unb  ©rfennen  ber  bamaligen  3^it  biefe  @efc^i(^ten 
gebitbet  ^aben. 

d.  @in  oierte§  3Woment  ift  bie  Seac^tung  be§  g  e  f  c^  i  c^  1 1  i* 
c^en  ©inne§.  3)ie  moberne  gefc^ic^tlic^e  J^eologie  ^at  ben 
gefc^i(^tlic^en  ©inn  für  bie  Siftanjen  unb  unfern  SBa^r^eitifmn 
gefc^ärft.  SBir  fönnen  auc^  in  ber  '»ßrafiS  nic^t  oergeffen,  ba§ 
bie  bibtifd)en  ©eftalten  eben  b  a  m  a  l  §  gelebt  ^aben  unb  bie  bib^ 
Uferen  ©c^riften  bamaU  gefc^rieben  morbcn  fmb.   2)arum  bürfen 


91  i  e  b  c  r  g  a  n :  ^ic  mobeme  ^rebigt.  247 

mx  bie  mcffianifc^cn  SBci^fagungcn  nid)t  meffianifd)c  SBei^fa^ 
gungcn,  borum  bürfen  mir  bcn  Äönig  ©aoib  nic^t  mc^r  bcn  (ic^ 
ben  frommen  ©ängcr  nennen,  barum  muffen  mir  baran  bcnfen, 
ba§  bie  ©ergprebigt  bamal§  gehalten  unb  bie  9Bieberfunft§ermar* 
tung  bamal^  fo  gehegt  morben  ift.  äBir  ^aben  aße  ju  oiet  gefd^ic^t^ 
liefen  ©inn  mitbctommen,  um  nic^t  bie  biblifc^en  2lu§fagcn  unb  @e» 
ftalten,  ftatt  auf  einer  gläc^e  wie  oorbem,  metmet)r  in  einer  ®ntmid:' 
lungöUnie  ju  fe^en,  unb  einer  jeben  i^rer  ©teße  gemä§  i^ren  be^ 
fonberen  eigentli^en  ©inn  jujufprec^en.  Qwax  brauchen  mir  nic^t 
oUeS  au^juframcn,  ma§  mir  miffen;  jeboc^  bürfen  mir  nic^t  ^an* 
be(n  gegen  bQ§,  ma§  mir  miffen.  3QBa§  ^iftorifc^  fatfc^  ift  mag 
Uturgifd)  noc^  lange  ertaubt  fein,  mirb  aber  nie  ^omiletifd)  richtig. 
Unb  legen  mir  etma  in  ber  SBeife  ber  Slüegorie  ein  ftatt  au§,  fo 
muffen  mir  minbeftenS  jeben  2lnfc^ein  be§  ©egenteit^  oermeiben. 

2.  ®a§  finb  einige  @rfct)merungen  ber  gemö^nlic^en  SÄrt  ju 
prebigen.  2lber  fie  merben  übermogen  burd)  bie  p  o  f  i  t  i  o  e  n 
^  i  t  f  e  n,  bie  un§  bie  ^iftorifc^*fritifc^e  Slrbeit  fc^enft. 

a.  9lid)t§  ift  ba  mit  ber  großen  ®aht  ber  religiöfen  ^erfön^ 
lic^ feiten  ju  vergleichen,  bie  un§  bie  Äritif  au§  ben  2:rümmern 
be§  infpirierten  SBorte§  al§  überreichen  ®rfa^  ^erau§ge^olt  ^at. 
333a§  ift  ber  bogmatifc^e  gegen  beu  menfc^lic^en  ^efu§  ba§  ®ben* 
bilb  @otte§,  ma§  ift  ^^Jauli  2:^eotogie  gegen  feine  ^erfon,  ma§ 
bie  ^fatmftellen  gegen  bie  ^^Jfalmiften,  ma§  bie  meffianifc^en  S5Jei§» 
fagungen  gegen  bie  ^rop^eten,  ma§  mand)e  @r}ät)tungen  gegen 
bie  ©rjä^Ier  unb  ma§  bie  9Jleinungen  gegen  bie  @efcf)ic^te !  SBie 
quillt  au^  altem  ©emäuer  überall  frifd}e§  perfönlic^e§  fieben  auf, 
mie  erfcf)eint  l)inter  bem  Söoltenfc^leier  alter  3)i(^tungeu  unb  ßon* 
ftruftionen  ber  eherne  @ang  @otte§  in  ber  ®efc^icl)te!  @ott 
überall,  aber  üor  allem  in  großen  flaffifcf)en  ©emalten  unb  ©e= 
ftalten!  Unb  mer  l)ier  fc^öpfen  unb  bie  gefüllten  Sec^er  meiter 
geben  fann,  lä^t  anbre  an  ben  alten  9Äauern  flicten,  flagen  unb 
fctjelten.  aBie  frei,  aber  auc^  mie  reic^  mac^t  bie  Sofung:  „bie 
©c^rift  al§  2lu§brucf  perfönlic^cn  ®otte§leben§",  unb  ba§  ©tubium 
ber  ©efc^ic^te  be^  21.  J.,  ba^  eine  erjiel)ung  3fraeli§  burd^  @ott 
barftellt,  bie  unerfc^öpfli^e  ©aben  unb  ^ilfen  reicht!  ^n  ber 
3eit  be§  ?3ureufriege§  t)abe  ic^  oft  geprebigt  über  ^rop^etenftellen. 


248  9^  i  e  b  e  r  ö  a  ( ( :  3)tc  mobemc  ^rebigt. 

bic  ®ott  pon  bcm  ©taat^intcrcffe  einc§  oermeintUc^  frommen  3}o(fe§ 
lo^löftcn;  fo  fann  man  etma  ani)  bic  aJtiffton^frcubigfeit  unb 
bic  neue  aWiffion^mcifc  be§  Slßgcmcincn  eo.^^prot.  9Jliffion§Dcrein§ 
einmal  rechtfertigen  burc^  bic  Stnalogic  be§  9lpoftel§  ^aulu^,  ben 
feine  neue  @rfenntni§  3efu  fofort  in  bic  aWiffion  unb  jmar  in 
eine  neue  2lrt  aWiffion^gebiet  hineingetrieben  l^at.  ©o  laffen  fic^ 
innerhalb  biefer  unfrer  tlaffifc^en  ©cfc^ic^te  eine  güüe  pon  ^er^ 
fönen  unb  33orfommniffen  auffinben,  bic  für  alle  3^iten  eine  tp* 
pifc^e  S3ebeutung  ^aben.  Unb  biefe  geminnen  fie  baburc^,  ba^ 
ba§  religiöfe  Seben  auc^  oon  beftimmten  9legelmä§ig!eiten,  @e^ 
fe^e  genannt,  bur^jogen  ift,  bie  wix  in  ber  SBieber^otung  bcr-- 
felbcn  3ufammen^änge  entberfen  fönnen,  mögen  auc^  bie  ^erfonen 
unb  bie  ©efc^e^niffe  fclbft  burc^  oicle  ^fQ^^'^uni^^i^l«  unb  große 
geiftigc  Unterfc^iebe  oon  einanbcr  getrennt  fein.  Qn  folc^en  Stc^ 
gelmaßig!eiten  gehört  j.  93.  ba§  9Ser^ältni§  oon  ^^rop^et  unb 
^riefter;  b.  \).,  loenn  irgenb  einmal  in  einem  großen  religiöfen 
®ntbecfer  neue  SBalir^eiten  unb  Söerte  aufgetankt  fmb  au§  ber 
Jiefe  be§  göttlichen  Offenbarung§leben§,  n)elcl)e  alte  gefe^lici^*}cre* 
moniclle  ®eftaltungen  ber  religiöfen  ®emeinfd)aft  antafteten  ober 
gar  über  ben  Raufen  marfen,  bann  bauert  e§  nic^t  lange,  bi§  ber 
alte  ©eift  auc^  bie  neuen  ©ebanten  übermuc^ert  unb  an  i^rer 
freien  Entfaltung  ^iubert.  2Ber  biefen  "ißrojeß  innerhalb  unfrer 
biblifc^en  ©cfc^ic^te  unb  Urfunbe  genau  ftubiert  unb  erfannt,  mer 
befonber§  bie  enge  SBerflec^tung  be§  Äreujeg  Qefu  mit  biefem 
^]Jrojeß  oerftanben  ^at,  ber  meiß,  voa^  Offenbarung  ift,  ber  meiß, 
baß  ju  \\)v  neben  anberm  gerabe  biefe  Uebcrioinbung  beS  ängft^ 
lic^^pebantifdjcn,  auf  9Jlaffener}iel)ung  berechneten  ®efe^e§geifte§ 
burc^  eine  Entfaltung  perfönlic^er  Äraft  gehört,  bie  jmar  nicht  fo 
bequem  ju  rubrijieren  unb  ju  tjanb^abcn,  aber  befto  mirffamer 
unb  nadjt^altiger  ift.  Ober  mer  einmal  erfannt  ijat,  mie  icbc 
®lauben6gemeinfc^aft  ba^in  ftrebt,  bie  Beobachtung  ber  hiltifc^en 
Ermöglic^ungen  religiöfen  Seben§  jum  Objeft  bes  religiöfen  Ser-- 
^alten^  felbft  ju  mact)en,  um  i^re  3wfunft  auf  Soften  ber  reli* 
giöfen  Dualität  ber  ®egenmart  ju  fid)ern,  ber  mirb  fofort  bie 
Siuie  fertig  im  Kopfe  ^aben,  bie  Qcfu  ^otemit  gegen  bie  Uebcr* 
fc^ä^ung  be§  Äultifc^en  mit   ber  lanbläufigen  Kirc^enfvömmigteit 


S^icbergaH:  ^ic  moberne  ^ebigt.  249 

uerbinbct.  ®iefc  rcligion^pfijc^ologifdicn  3tnatogicen  jroifc^en  unfrcr 
©cgcniüart  unb  unfrcr  flaffifc^cn  3^it  fi^l»  i>ic  gäben,  bie  l^iftorifd)- 
tritifd^c  2:^eoIogie  unb  ^rari§  mit  einonber  oerbinbcn.  9ln  i^nen 
fonn  man  fic^  com  J^eytc  jum  %\)ema,  ebcnfo  wie  a\x6)  pom  2:^cma 
jum  Scftc  bemcgcn.  2BiB  man  in  eine  gegenwärtige,  ber  aSerbeffe* 
rung  bebürftige  Sage  ein  SäJort  @otte§  ^ineinrufen,  bann  lege 
man  fic^  einmal  bie  g^age  nor,  ob  innerlialb  ber  ©d^rift  nic^t 
eine  analoge  Sage  fic^  finben  läfet,  unb  ma§  bie  ^rop^eten  unb 
Slpoftel  im  9lamen  ®otte§  in  fte  gefagt  ^aben.  SWan  wirb  nic^t 
immer,  aber  fe^r  oft  etma^  finben,  menn  man  nur  über  bie  nö^ 
tige  93ibelfenntni§  oerfügt;  fmb  boc^  bie  SJlenfc^enfci^irffate  auf 
ber  ®rbe  in  ben  noc^  fo  nerfc^iebenen  ^a^r^unberten  ftd^  fo  fe^r 
ä^nlid),  liegen  boc^  bie  großen  et^ifc^^religiöfcn  ©egenfä^e,  bie 
bamal^  al§  alte  rechtmäßige  unb  neue  ungläubige  Sluffaffung  mit 
einanber  rangen,  je^t  ebenfo  neben  einanber,  roic  mir  bie  ©rjeug^ 
niffe  ber  ocrfcl)iebenen  geologifc^en  ^erioben  neben  einanber  auf 
ber  ©rboberpc^e  finben.  S)en  SBeg,  ben  bie  religiöfe  ©ntmict* 
lung  Don  'ißfalm  1  über  ba§  33urf)  ^iob,  ben  73.  ^falm,  über 
®et^femane  ^inau^  bi§  Slömer  8,28  gegangen  ift,  werben  mir 
einen  jeben  SWenfc^en  mieber^olen  laffen  muffen. 

b.  93ietet  bie  33e^anblung  ber  religionSgefc^ic^tlic^en  2lnalo= 
gieen  barum  weniger  ©d^mierigfeiten  für  bie  ^rebigt,  weil  mir, 
um  unfre  ©egenmart  jum  3}erftänbni§  oon  bem  ®ange  ber  gött* 
liefen  gü^rung  anjuleiten,  im  mefentlic^en  ber  Schrift  nur  bie 
gorm  ber  Sluffaffung  entnel^men,  fo  ift  bie  ©ac^e  bebeutenb 
fc^mieriger,  wenn  e§  fic^  um  i  n  ^  a  1 1 1  i  c^  beftimmte  3luöfagen 
über  bie  3  b  e  a  l  e  unb  ft  r  ä  f  t  e  unfrei  religiöfen  Seben^  ^n* 
belt,  wie  pe  oon  gefdjic^tlid)  fixierten  ^^crfonen  ber  93ibel  ent« 
roeber  gelehrt  ober  felber  bargeftellt  morben  fmb.  3)eutete  man 
früher  unbefangen  fein  ^beal  in  bie  ©c^riftmorte  t)inein,  um 
il^nen  fo  2lutorität  unb  9lac^brurf  ju  geben,  fo  ^aben  mir  biefe^ 
SSerfa^ren  oerftet)en  unb  al^  notmenbig  begreifen  gelernt.  3lber 
roie  immer,  ^abcn  mir  6rfenntni§  mit  einem  SSerluft  uon  9laioität 
unb  Kraft  beja^len  muffen.  9Bir  ^aben  ertannt,  baß  eine  jebe 
3eit  entroeber  ba§,  ma§  fie  braucht,  au$  bem  93ilbe  oon  3^fu^ 
ober  ben  SBorten  be^  9t.  S,  ^erau^^olt  ober  gar  in  biefe^  93ilb 


250  9fl  i  c  b  c  r  0  a  11 ;  ^ic  mobcrtte  ^rcbigt. 

einträgt.  2Bir  fönnen  bcm  f^n)äd)cnben  6influ§  bicfer  allcS  rc* 
latiüicrcnbcn  ®rfcnntni§  ni(^t  bcffcr  entgegen,  als  rocnn  toir  au8 
bcm  6r!cnntm§gef e^  eine  5Ber^altung§rcgct  machen  unb  fagen :  Sllfo 
gut,  bann  machen  mx  e§  mit  bemfclbcn  SRe^te  mie  bie  anbem 
gerabc  fo.  a33ir  ^etfen  un§,  inbem  mir  §.  53.  bie  aSfetifc^^bua^ 
liftifd^en  gorberungen  a(§  unocrmeiblici^e,  unter  ben  bamaügen 
93ert)ältniffcn  aUcin  rid^tige  Folgerungen  be§  c^riftlid)en  SebenS^ 
ibealc§  begreifen  unb  mieberum  mit  einem  3lnalogiefc^(uffe  fragen: 
wa§  mürbe  berfelbe  SBille,  ber  bamal§  fo  fprac^,  ^eute  unter  bie* 
fen  unfern  9}er^ä(tniffen  oon  un§  forbern?  S)iefe§  9}erfa^ren  ift 
fc^mieriger,  aber  jebenfaü^  oiel  e^rlid)er  unb  crfolgrei^er,  al§  bie 
gemö^nlic^e  2lrt,  fic^  mit  ben  ate  abfotut  aufgefaßten  gorberungen 
abiufinben,  inbem  man  fie  fte^en  läßt,  aber  bod^  feinen  SBißen 
tut.  ®et)t  man  biefer  ^rayi§  auf  ben  ®runb,  bann  finbet  man 
al§  tieffteg  3WotiD,  mie  bei  ben  meiften  ©runbfragen,  auf  ber  (Seite 
ber  ©egner  ba§  93cbürfni§,  bie  Offenbarung  ®otte§  in  einer  ganj 
f onfreten  ©eftaltung  ber  SSergangen^eit  ju  finben.  3)iefe  mac^t  bann 
jebe  ©egenmart  ju  i^rer  Sflaoin.  ©o  merben  bie  großen  ßeiten  unfrer 
@efc^id)te,  bie  93efrciung  bringen  moUtcn,  ju  einer  Saft.  ®arum  bre^ 
d)en  oiele  bie  SSerbinbung  mit  ber  @efc^i(^te  überhaupt  ah,  um  i^rc 
Slutorität  in  einer  fog.  SSernunft  ju  finben,  bie  fetbft  nic^ti^  anbere^ 
al§  ba§  ©rgebni^  ber  ®efct|ic^te  unb  i^re  aftueüe  2lnmenbung  auf 
bie  3^i^w*"ftänbe,  aber  auc^  ebenfo  fä^ig  ift,  ju  einer  Sprannin 
}u  merben,  mie  bie  abfolute  2:rabition.  SJlag  aud^  ber  SBec^fel 
ber  ftrf)  auf  ben  gleichen  Flamen  berufenben  Qbeate  Unruhe  ober 
Spötteln  ^eroorrufen,  eg  ift  auf  jeben  ^aü  echter  unb  mat)rer,  be^ 
mußt  jene  ©ejie^ung  jmifc^en  einer  ©eite  ber  gefc^ic^tlid)en  QbtaU 
träger  unb  ben  2lufgaben  ber  ©egenmart  ^eriuftellen,  aU  bie  ^ben* 
tität  trampf^aft  auf  J^oftcn  ber  SBa^r^aftigfeit  feftju^alten.  ^ier 
f)aben  mir  mieber  in  anbem  2lu§bräden  benfelben  ®egenfa^  mie 
por^in:  roer  nur  in  einer  beftimmten  ^^eriobe  ber  SSergangen^eit 
bie  Offenbarung  fie^t,  bringt  bem  SBunfc^e  nac^  ber  Ueberein* 
ftimmung  mit  it)r  l)äufig  ba^  Opfer  perfönlic^er  et^ifcl)er  Duali» 
täten,  roeil  er  ba^  ®öttlic^e  immer  noc^  irgenbmie  in  ben  3)ingen 
fief)t,  unb  mären  c§  auc^  bie  geiftigen  3leußerungen  ber  ^ö^ften 
"Perfonen;  auf  ber  anbern  Seite   ^at   man  fi^   oon   einer  jeben 


91  i  e  b  e  r  g  a  n :  ^ie  moberne  ^rebigt.  261 

folc^cn  ©infpcrrung  @ottc§  frei  gcmad^t  unb  glaubt  i^m  mit  c^r^ 
liebem  Qrren  fogar  beffer  geredet  gu  tüerben,  a(§  mit  einer  nic^t 
gonj  ungejroungenen  forreften  2lnpaffung  an  ba§  Sllte.  2)ie  ticffte 
geiftige  SJotlage  Dieter  jungen  unb  atten  ©Triften  unb  S^eologen 
f ann  mau  in  bem  et^if^en  Äonflüte  jum  3Iugbruct  bringen :  SBa^ 
entfprid)t  me^r  bem  SEBiüen  (Sottet:  bemütige  ^ietät  gegen  ba§ 
ailte  ober  ef)rtic^e  Äü^n^eit  im  ©eftalten  eine§  9ieuen?  2Bir 
glauben  an  ba§  Siecht,  in  ber  Kontinuität  mit  ber  grunb* 
legenben  "ißeriobe  unfrer  Steligion  unfer  Qbeal  un* 
ferm  93ebürfni§  unb  ©inn  nac^  ju  geftalten.  ^\t  un§  ©^riftu^, 
ber  „©eiftgeber'',  aufteile  be§  t)iftorifc^  ftreng  fifierteu  3^efu§  ge« 
treten,  bann  tonnen  mir  un§  nur  freuen,  menn  bie  ^beale  fo  ab-- 
mec^fetn  unb  fic^.fo  fc^nell  folgen,  roie  e§  bie  ©rinner ung  auc^ 
ben  ^lungeren  unter  un§  heutigen  2:^eologen  noc^  ftar  oor  2tugen 
fü^rt.  ^ft  un§  suerft  al§  „ba§"  c^riftlic^e  fiebenöibeal  bie  ©elbft-- 
oerleugnung  oor  2lugen  gemalt  morben,  l^aben  mir  un§  bann  in 
ben  neunjiger  Qa^ren  für  3efu§,  ben  aSoltömann,  unb  ba§  fojiale 
Obeal  begeiftert,  fo  Rängen  lieute  nic^t  menige  unter  uns;  bem 
^[beale  ber  ©elbftbe^auptung  unb  ber  2lu§bilbung  eine§  au^ge* 
fproc^enen,  traftooHen  perfönlic^en  SebeniS  an,  roie  e§  eine  merf* 
mürbige  SWifc^ung  jroifc^en  ®^riftentum  unb  ^tie^fc^e  un§  ge* 
fd)enft  i)at  Slber  ma§  tut§?  S)a§  ift  ber  gegenroärtige  Qa^reS* 
ring  am  33aume  c^riftlid^er  Seben§fül)rung ;  anbere  Reiten  roerben 
roieber  einen  neuen  I)erum  legen,  roie  er  i^rem  unb  bem  ®eifte 
S^rifti  entfprirf)t.  SGBir  benfen  nic^t  an  geftern  unb  beuten  ni(^t 
an  morgen,  gef^roeige  an  e^egeftern  unb  übermorgen,  fonbern  roir 
oerfünbigen  al§  d)riftlic^e§  Seben^jicl  für  unfer  ©efc^lec^t  ein  ftä^ler* 
ne§  ©^riftentum,  anber^  al§  bie  S^itß"  oor^er  unb  al§  oiele  unfrer 
©rüber,  ein  fieben^ibeat,  in  bem  ba^  „©ei  bir  felbft  getreu"  einen 
ebenfold^en  ^^la^  einnimmt  roie  ba§  , Verleugne  bic^  felbft',  in  bem 
bie  ©e^auptung  ber  etl)ifc^en  ^erfönlic^feit  ben  Stammen  für  S)e* 
mut  unb  fiiebe  abgibt.  3Bir  f)abtn  ©inn  betommen  für  bie  ®i« 
genart  unb  bie  Kraft  einer  ^erfönlic^feit,  roeit  roir  fa^en,  roie 
ba§  üblid)c  S^riftentum  unb  bie  pofitioiftifc^e  öilbung^p^ilifterei 
blo§  bemütige  unb  fojialgeftnnte  SJlaffeneyemplare  juchten  roollte. 
Ob  nun  bie  @rtenntni§  ber  Sigenart  unb   ber  Kraft  -Qefu,   roie 

3eitf(^rift  für  a:^eolo0ie  unb  Äirc^e.  16.  Sa^rfl.,  3.  §eft.  18 


252  91  i  e  b  e  r  g  a  1 1 :  ^ie  mobeme  ^rebigt 

toir  fic  jc^t  überall  pnben,  auf  bie  ©cftaltung  biefe§  ;3i>catc§  ein« 
geioirtt  ober  ob  bicfc§  ^h^ai  im§  unbcrou^t  bic  Slugcn  geöffnet 
t)at  um  ^efu§  ri(^tigcr  ju  fclbcn  —  auf  jeben  %a\i  gehört  eine  @r* 
Ienntni§  uon  ^efu$,  bie  in  il^m  nic^t  ba§  Sämmtein,  fonbern  ben 
fiöroen  fie^t  unb  eine  ©etonung  eine§  männtic^eren  Ql^^ötc^  i^^ 
fammen ;  unb  and)  bie  ^rebigt  barf  in  biefer  93ejie]bung  üon  i^rem 
Siechte  hinter  ben  t^cotogifc^en  unb  allgemeinen  ®rfenntniffen  ber 
3eit  langfam  eintierjuge^en,   feinen  fd)äblic^en  Oebrauc^  machen. 

c)  Um  noc^  ein  SBort  über  bie  Gräfte  unb  @  ü  t  e  r  un- 
frei ®lauben^  ju  fagen,  fo  bebarf  e§  roo^l  feiner  großen 
(Srörterung,  ba^  ba§  93ebürfni§  ber  3^it  "i<^t  ^^^^  fo  cinfeitig 
bie  aSergebung  ber  ©ünben  unb  bie  jenfeitige  Seligfeit  au^  bem 
©c^^l^aufe  (S^rifti  ^erauS^oleu  ^ei^t,  roie  baä  bie  bogmatifc^e 
2^rabition,  befonberg  aber  noc^  bie  ^rebigtgen)o^nt)eit,  be§  öftern 
gebietet.  ®ine  genauere  ®rfenntni§  ber  S(^rift,  bcfonber§  auc^ 
be§  2lpoftel§  ^aulu§,  ber  ^eilfame  ä^^öng  ber  mobernen  ^eili^ 
gung^beroegung  unb  ba^  83ebürfni^  ber  Seelen  ^at  neben  i^r  bie 
et^if^c  Umroanblung  al§  ®abt  unb  Stufgabe  erfennen  geteert. 
3le  me^r  fic^  in  i^rer  J^lge  ba§  ^b^al  oerfeinert  unb  ber  Un^ 
terfc^ieb  jroifc^en  ©oll  unb  ^abcn  ^erau^ftellt,  um  fo  me^r  mirb 
fi^  mieber  ba§  Seinen  nac^  Sünbenoergebung  gettenb  ma^en. 
Rönnen  mir  auc^  in  biefem  3wfömmen^ang  eine  regelmäßige  aBie^ 
ber^olung  a^nen,  fo  betonen  mir  nun  einmal  rüdCfic^t§lo§  unb  un^« 
befangen  ba§  ®lieb,  ba§  gerabe  ju  uufrer  3^it  an  ber  SJei^e  ift, 
mag  ber  ®ott,  ber  allen  3^it^"  ^"^  ^^^  ©einen  ba^  ^\)xe  gibt 
unb  nic^t  in  eine  alte  ^ötm  feine  '^üüt  einfdiränten  läßt,  fpäter 
anbern  mieber  anbereS  barreic^en  laffen. 

2)ie  5Bertiefung  unfrei  3>nnenleben§  famt  ber  ©enfibilitat 
unb  inneren  ©c^roä^e  unfrer  Q^ii  laffen  e§  un§  auc^  geraten  fein, 
ben  ^alt  unb  ben  ftarten  greunb  in  @ott  ju  betonen,  ber  unfer 
ganje§  Seben  in  bie  Steige  bringen  fann,  mie  ba§  93aumgarten 
j.  33.  fo  gern  tut. 

d)  S)ie  ®  e  f  c^  i  d^  t  e  unb  bie  ^  r  e  b  i  g  t  werben  immer  mit 
einanber  oerbunben  bleiben,  folange  e§  fic^  in  ber  '^^rebigt  um 
Darreichung  oon  perfönlid^en  Seben^fräften  ^anbelt.  2)ie  genannten 
3)inge  finb  folc^e  J^räfte,  bie  un§  9)lenfd)en  baju  oer^elfen  follen. 


9^  i  e  b  e  r  g  a  n :  ^ic  mobernc  ^rcbigt.  253 

gegenüber  bcr  SWac^t  bcr  vergangenen  ©c^ulb,  gegenüber  ber  au^ 
ber  9latur  unb  ber  Umgebung  auffteigenben  ©eroalt  ber  SBcrfu» 
c^ung  unb  ber  in  bte  g^rne  f^auenben  ©orc^e  um  unfer  Scben 
unb  ®ebei^en,  un§  felbft  ju  ermatten,  Ferren  im  eigenen  §aufe 
unfre§  Innern  ju  bleiben  unb  alle  3Wäc^te,  bie  un8  pon  ber 
fieberen  ^ö^e  eine§  flaren,  felbftberou^ten  Seben^  in§  ®elebt*  unb 
©etriebenmerben  ^inabjie^en  motlen,  ju  bänbigen  unb,  menn  mög» 
li(^  jum  ftärferen  Slufbau  unfrei  ^fnnenteben^  ju  üermenben.  3)a§ 
ift,  jumal  bem  mobernen  9Wenf^en  gegenüber,  bie  Hauptaufgabe 
ber  ©eelforge  unb  ber  ^^rebigt,  meil  ber  befonber§  in  ber  ®efa^r 
fte^t,  p^^fifc^  gefc^mäc^t  unb  o^ne  ÄonjentrationSfä^igteit  mie  er 
ift,  fid^  ben  fo  breit  unb  ftar!  anbrängenben  gluten  be^  Seben§ 
JU  überlaffen.  3)a§  \)abtn  am  Harften  $  e  a  b  o  b  9  unb  3»  o-- 
^anneS  9Küllcr  erfannt.  ®§  ift  aber  fein  Zufall,  wenn  ge» 
rabe  biefe  beiben,  befonberS  ber  Untere,  fic^  mit  aller  üWa^t  an 
bie  ®efc^ict)te,  por  allem  an  bie  ^^crfon  ^efu  galten.  Senn  menn 
e§  auf  Äräfte  in  ber  SReligion  anfommt,  auf  Äräfte  perfönlic^en 
Seben§,  bann  werben  mir  auf  bie  ®efc^ic^te  gemiefen,  bie  un§ 
^^Jerfonen  unb  ®eftalten  jeigt,  oon  benen  mir  fd^on  unbewußt  le^ 
ben,  bie  un^  aber  immer  noc^  reicher  madien,  menn  mir  un§  be* 
mu&t  in  fie  oerfenfen.  äßenn  e§  auf  Stimmungen  in  ber  SReli^ 
flion  anfommt,  bann  ge^e  man  in  bie  5tatur  unb  in  ba^  Uni* 
uerfum,  menn  auf  SBa^r^eiten,  in  bie  SSernunft,  aber  Kräfte  motten 
au§  ber  ®efc^ic^te  geholt  fein.  (2)a§  mit  biefen  brei  ^nter* 
effen  ^ier  nur  anbeutungSroeife  brei  oerfc^iebene  Sluffaffungen  unb 
9JJetI)oben  bejeic^net  merben,  ba§  fic^  alle  brei  immer  fuc^en  unb 
mifd^en,  foll  nur  augebeutet  merben,  ba  ber  3wfammen^ang  eine 
nähere  2tu§fü^rung  unterfagt).  3Bir  l)aben  alfo  in  ber  aSerffin* 
bigung  bie  Slufgabe,  bie  ^^Jerfouen,  bie  entmeber  Ouellpunfte 
ober  erfte  (Smpfänger,  flare  ^lluftrationen  ober  flaffifc^e  ^eu* 
gen  biefer  göttlidien  ^ilfen  unb  Kräfte  marcn,  bem  33ebürfen  unb 
®ud)en  oor  Slugen  ju  ftellen  unb  an  größeren  3ufammen^ängen 
JU  jeigen,  mie  @ott  fein  5Reic^  baut  unb  feine  9)lenfc^en  erjie^t. 
2llfo  ftatt  ber  geiftreic^cn  'ißaratlele  jmifc^en  einer  gegenmärtigen 
unb  einer  biblifc^en  ®rfc^einuug  bie  2)urc^fü^rung  einer  begrün- 
benben  2lnalogie,  bie  in  ber  gegenmärtigen  2age  mutatis  mutandis 

18* 


254  S^icbcrgaK:  ^ie  ntobcrnc  ^rebigt. 

bic  ber  flaffifd^en  biblifd)cn  3^it  roicbcrcrfennt  unb  für  fic  bie* 
fcfbe  2lntn)ort  ober  bicfclbcn  ^eitmittet  in  Stnrocnbung  bringt  bic 
ber  ©cift  @otte§  burc^  propl)ctifd)e  SJlänncr  in  jene  hinein  \)at 
fagcn  laffen.  9EBcr  fo  bie  SSerbinbung  jroif^en  ^iftorifc^er  @r- 
tenntni^  unb  ber  ^omilctif^en  ^rajiS  jic^en  !ann,  ber  \)at  ben 
©d)lüffct  jur  mober  nen  93ibelprebigt.  SBir  wollen  ganj 
unb  gar  ©ibelc^riften  fein,  loir  wollen  un§  roebcr  auf  Qbeen  noc^ 
auf  @otte§  aSort  im  überlieferten  SSerftanbe  [teilen :  mir  oerlangen 
na^  bem  ®eift  unfrer  großen  flafftfc^en  3^^^  wir  l^ungem  nac^ 
gefc^id^tlic^  gegebenen  Kräften  unb  Si^l^"/  ^^^  bürften  nac^  SBirt- 
lic^teit;  unb  biefe  fd)entt  un§  bie  gefc^id)tlid)  oerftanbene  Schrift. 
Unfer  Sßerl^ältniö  ju  i^r  ift  bie  eigentümliche  SWifd^ung  oon  3lb= 
^ängigfeit  unb  ©elbftänbigteit,  roie  mir  fie  immer  flaffifc^en  Söerfen 
gegenüber  fe^en.  (Statt  eine§  ©d^meben^  in  ber  Suft  otjne  feften 
©runb  unter  ben  %ili%m  mollen  mir  ben  2lnfc^lu§  an  gro^e  Reiten, 
bie  i^ren  flaffifd)en  (S^aratter  in  i^rer  Unerfd)öpflic^teit  !unb  getan 
^aben ;  aber  ha  e^  i^r  ^n^alt  felber  ift,  ber  unfer  93ebürfni§  an* 
jie^t,  ba  fie  un§  immer  nod^  ju  mächtig  finb,  um  un§  lo§julaffen, 
bebarf  e§  feiner  gefet^lic^en  Sftegelung  biefe§  SBer^ältniffe^ ;  benn 
ba§  93ebürfni§  binbet  fefter  als  ba§  ©ebot.  ^thoä)  bie  Sinbung 
burc^  bie  Äraft  beS  53ebürfniffe§  er^eifd^t  unbebingt  gro^e  ©elb« 
ftänbigfeit,  roeil  e§  nic^t  auf  eine  gemaltfame  93eibe^altung  ber 
alten  Söeife,  fonbern  auf  ben  ©eminn  neuer  Qitlt,  ©inbrürfe  unb 
fträfte  au§  bem  alten  ©c^a^e  anfommt.  Unb  in  biefer  ©ejie^ung 
bürfen  mir  rul^ig  auf  bie  Unerfd^öpfli(^feit  unb  Unentbe^rlic^teit 
biefer  ©c^rift  oertrauen,  bie  für  un§  gerabe  in  i^rem  re(^t  er^ 
tannten,  gefd^ic^tlic^  menfc^lic^en  (S^araf ter  begrünbet 
liegt.  3)enn  biefer  mac^t  fie  un§  ju  einer  ©timme  ©otte§  für 
unfre  unb  alle  ©egenmart,  roeil  mir  in  i^rer  fc^einbar  iufätligen 
Somplijiert^eit  immer  eine  ^üüt  oon  3tnalogien  jur  Söfung  ber 
uerroirfelten  ©egenroart§aufgaben  finben.  ©o  j.  33.  ift  e§  nidjt  un- 
möglid),  ba§  fid)  in  ber  näd^ften  Qext  folgenber  oielleic^t  inner* 
lic^  begrünbete  ©ang  ber  biblifc^en  S^^eologie  roieberl)olt:  na^= 
bem  mir  un§  oon  bem  bogmatifc^en  6^riftu§bilb  ^auli  ju  bem 
ftreng  ^iftorifc^  fein  follenben  ber  ©^noptifer  geflü^tet  liaben,  t)at 
fic^  beffen  unjureic^enber  ©tjarafter  für  unfre  Slufgaben  \)txa\i^^ 


SticbcrgaH:  Xic  mobcmc  ^rebigt.  255 

geftcüt;  foKtc  fid)  je^t  nic^t  eine  SBcnbung  im  ©inne  bc§  jo^an* 
ncifc^cn  ®t)riftu§  anbahnen,  bcr  bcn  gefc^id^tlidicn  ^cfu^  aufnimmt, 
aber  in§  SEBeite  unb  Uniocrfale  menbct?  ®a§  bann  auc^  micbcr 
eine  3cit  nac^  ^^au(u§  rufen  wirb,  ift  fic^er;  jeboc^  immer  mirb 
berfefbe  ©d^riftin^alt  fid^  ber  neuen  3^it  anber§  barfteßen.  6§ 
miU  fc^einen,  al^  wenn  bie  refteftierenbe,  grübeinbe,  alle§  jer« 
fe^enbe  2lrt  ober  bie  ©timmung^fuc^t  ber  mobernen  Seute  für 
folc^e  3)inge  nic^t  ju  ^aben  märe;  jeboc^  oieüeidit  ift  gerabe  bie 
flare,  felbftgeroiffe  ©id^er^eit,  bie  unreftettierte  Sraft  unfrer  großen 
gelben  unb  Qtn^tn,  ebenfo  mie  bie  Oemalt  ber  gef^i^tlic^en 
9Birf(i(^feit  ba^  ©injige,  ma§  au§  bem  jmeifelnben  ©rübeln  ober 
bem  fc^mac^en  ©timmungSmefen  ^erau§reigen  unb  auf  feften  93o* 
ben  fteüen  fann.  9EBir  fangen  e§  Diel(eid)t  oft  ganj  oerte^rt  an, 
mir  t)aben  mo^t  bie  ^onfequenjen  unfrer,  um  eiS  furj  ju  fagen, 
^iftorifc^.'praftifc^en  ©teHung  nod^  ni^t  erfannt,  menn  mir  bi^- 
putieren  unb  argumentieren,  ftatt  ganj  einfach  barjufteUen  unb 
ju  bejeugen.  SBir  merben  niemals  bialettifd^  übermunbenc  ®egner 
jU  ben  5ö&^w  S^rifti  nieberjmingen,  fonbern  immer  nur  baS  3)e* 
bürfni^  nad^  Seben  unb  Unmittelbarfeit  ju  bem  SSerftänbni^  feiner 
felbft  bringen  unb  bann  an  bie  DueUen  be^  SebenS  leiten  tonnen. 
3)er  Cluat  ber  Steflejion  unb  ber  eigenen  Semü^ung  um  ein  not* 
bürftig  jufammenjujimmembe^  Seben  foüten  mir,  mie  ba^  ^o^ 
Cannes  SWüIIer  tut,  frif^  unb  nolt  SSertrauen  bie  ftarfe  unb 
fro^e  Unmittelbarfeit  be§  ^errn  3^efu§  jeigen  unb  e§  bem  Se^ 
bürfniS  unb  bem  ©uc^en  überlaffen,  ob  unb  mie  fie  fi^  finbeu. 
aäJir  foüten  btog  ben  Sttnfc^lufe  ^erjuftelten  miffen,  bag  baö  fieben 
ba§  93ebürfni§*  unb  ba§  Sebürfniö  ba§  Seben  finbe  bur^  ben 
^eiligen  @eift,  bem  mir  alle  immer  noc^  ju  menig  jutrauen,  ber 
aber  ftärfer  unb  flüger  ift,  aU  mir  mit  unfern  JReflefionen  unb 
2lrgumenten.  ^aben  mir  alfo  bie  abfc^lie^enbe  SBa^r^eit  in  bem 
Seben,  ^aben  mir  ba§  Seben  gefunben  in  ber  @efc^i(^te  mit  i^ren 
göttlichen  Jö^^ungen  unb  Seben^jentren,  bann  legt  fic^  un§  bie 
grage  na^e,  ob  „bie"  ^rebigt  ber  ©egenmart  nid)t  bie  @e* 
frf)i^t§prebigt  fein  f otl,  mie  fie  © u I j e  bef ürmortet  ^at. 
S)en  ©runbgebanfen  ^alte  irf)  für  burc^au^  ri(^tig;  nur  ^abe  id) 
mehrere  S3ebenfen.    SJlag  auc^  ein  feingebilbete^   "ipublifum  bie 


256  SfliebergaU:  S)ic  tnobcrnc  ^rcbigt. 

©prad^c  bcr  ^erfoncn  unb  bcr  ©efd^i^tc  oline  lange  Uebcrfc^ung 
üerftcl^cn;  ober  tpo  ^aben  roir  ein  fo  fein  gebilbcte^  ^ublüum  in 
ber  Äird^e?  Unb  bann  wirb  eine  fo(^c  ©efc^ic^t^prebigt,  wie  fie 
©uljc  t)or  einigen  ^fö^ren  in  ber  „®I)rift(.  SEBelt"  oeröffentlic^t  l^at, 
fofort  überall  ha^  einftimmige  Urteil  erroeden:  ba^  ift  ja  ein  SBor^ 
trag  unb  feine  ^rebigt.  SKbgefel^en  baoon,  ba§  e§  nur  fe^r  roe* 
nigen  gelingen  wirb,  bie  ©ac^e  ri^tig  unb  intereffant  barjuftcllen: 
n)cr  in  bie  Kirche  tommt,  will  nic^t  nur  ©ad)en,  fei  c§  Sßa^r^ 
Reiten,  fei  e§  2lufflärungen,  fei  e§  2)arftellungen,  fonbem  er  will 
©rbauung  b,  t).  ©tärfung  feineS  perfönlid)en  ®laubcn§leben§.  Unb 
baju  gel)ört  ttwa^  ^erfönlic^eS.  9Jlan  roill  ipo^I  allgemein  3^u9"i^ 
unb  er^ebcnbe  geier:  beibeS  tann  man  nic^t  ^aben,  menn  man 
ju  ^aufe  ftc^  etroa^  uornimmt  unb  lieft.  3Wan  will  f\ä)  an  einem 
ert)eben  unb  ftärfen,  ber  me^r  l|at  aU  man  felbft,  unb  barum  mill 
man  ben  3Wann  fe^en  unb  ^ören,  meil  nur  h\xt6)  biefe  geiftigen 
iätigfciten  ba§  ^mponberabilc  ber  perfönlic^en  Ueberjeugung  ap- 
perjipiert  werben  fann,  mä^renb  ber  S)rudE  nur  bie  ©ebanten 
überliefert,  o^ne  ba§,  ma^  bie  ©ebanfenäu^erung  ju  einer  mirt* 
lid)en  ^rcbigt  mac^t.  3)ie  ©gntl^efe  bicfer  beiben  erforberlic^en 
®inge  ergibt  fe^r  einfach  aU  2lufgabe  ber  ^rebigt  ba§  perfön= 
lic^c  3^wgni§  eine§  mit  bem  ©cgenflanbe  ucrmad^fenen  unb  baju 
gebilbeten  9Wanne§  über  bie  großen  ©cftalten  unb  bie  Säten 
(Sottet  in  ber  @efrf)id)te.  ^n  roeld^er  SBeife  fid^  einer  bem  ^beale, 
nämlic^  bem  ©leic^gemic^t  be§  objeftiüeu  unb  be§  fubjeftioen  ^ah 
tor§,  nähern  roill,  ^ängt  uon  feinen  ©aben  unb  Steigungen  ab. 
®a§  ber  uorgefd^lagene  Söeg  fein  neuer,  befonbcr^  au^  nid)t  ber 
einjig  rid)tige  ift,  üerftet)t  fic^  oon  felbft.  2lbcr  menn  e§  fic^  em* 
pfie^lt,  oerfc^iebenc  SBeifen  ber  2)arbringung  be§  @laubcn§in^altc§ 
in  ber  J^^eorie  ju  be^anbeln  unb  in  ber  ^rajiS  ju  ucrfud^cn,  fo 
barf  ber  foeben  bargcftellte  auc^  einen  ^ta^  beanfpruc^en.  5-  ^öU' 
m  a  n  n  ^at  I)äufig,  93  o  n  l)  o  f  f  bcfonberS  in  ben  ^rebigten  über 
^leremia  einen  f olc^en  2Beg  eingefc^lagen ;  ba§  fid^  bei  ben  anbern 
fo  feiten  etma^  berartige§  finbet,  meift  barauf  l^in,  ba^  bie  ^rattifc^e 
Ideologie  noc^  fel)r  oiel  auf  einem  ©ebicte  ju  tun  ^at,  ba§  noc^  nic^t 
bearbeitet  morben  ift,  mie  e§  \\6)  gebührte,  nämlic^  auf  bem  großen, 
noc^  jiemlic^  leeren  gelb  jroifc^en  i^rem  eigenen  unb  bem  ftreng 


^licbcrgall:  3)ic  mobcme  ^rebigt  257 

umhegten  SHaum,  auf  bem  i^rc  oornc^mcn  t^cotetif^cn  ©d^roc* 
flcrn  graben  unb  fäen.  68  ^anbclt  fid^  mit  einem  aOBort  batum, 
öibel,  ^irc^engef^id)tc  unb  SDogmatit  me^r  für  bie  Sluffinbung 
be§  ?ßrebigtftoffe§  ju  erf^Iie^en.  ^at  un8  bie  eycgetif^e  SBiffen« 
fd)oft  in  bcr  ^^i^nung  ölt*  unb  neuteftamentlid^cr  ©^arafterbilber 
unoergtcid)Ii^e  3)ienfte  geleiftet,  fo  ftc^t  un8  noc^  bie  greube  bc* 
oor,  bie  ©d)ä^c  ber  ©efc^ic^tc  in  ä^nlic^er  SBeife  jugänglic^  ge» 
mad)t  ju  bekommen.  SBir  mürben  bann  nic^t  nur  pielfeitiger  unb 
intereffanter  werben  fönnen,  fonbcm  por  allem,  morauf  e§  un§ 
in  biefem  ganjen  3ufammen^ang  anfam,  fo  picl  überjeugcnbe  unb 
geminncnbc  SBirflic^feit  obieftiocr  2lrt  beibringen,  aU  unfre  2luf* 
gäbe  überhaupt  nur  perträgt.  338enn  mir  pon  ber  ©efc^ic^töfc^rei* 
bung  etma§  Sunft  ber  SWenfc^enbarftcHung  lernen,  menn  mir  über* 
^aupt  pon  ber  Sunft  bie  gertigfeit  profitieren,  unfre  ©inbrücfe 
pon  großen  2)ingen  einfach  unb  ftarf  mieberjugcben,  mie  boi§  9lau» 
mann  fann,  fo  mirb  ber  gluc^  ber  Sangemeile  meieren,  bie  por 
bem  Slugc  cine§  geiftig  regen  mobernen  SWenf^en  auffteigt,  menn 
ba§  SBort  ^rcbigt  burc^  fein  öcmu^tfcin  gc^t.  5^^^'*^  erforbert 
eine  folc^e  Söcifc  ju  prebigen  me^r  Slrbeit  at§  bie  (eic^tgefc^ürjte 
2lu§(egung  einer  SSibcIftcHe  oon  ber  gemö^nlic^en  3Irt:  aber  e§ 
mürbe  fic^  auc^  jeigen,  bag  im  allgemeinen  bie  Sdf^l  bcr  Äirc^en* 
befu^er  in  einem  gerechten  ^Bcr^ältni§  fle^t  ju  ber  geiftigen  ®e« 
famtarbeit  unb  ber  befonberen  SWü^e,  auö  bcr  eine  ^^rcbigt  gc* 
boren  mirb. 

3.  3)a§  religion^gefc^ic^tlic^e  9Woment  unfrcr  neueren 
2:l)eoIogic  f^eint  eine  redjte  ©rfc^merung  bcr  ^rcbigt  ju  bebeuten. 
3Ber  fann  noc^  mit  gutem  ©cmiffen  über  bie  erften  ©eiten  ber 
Schrift,  mer  über  bie  Äinb^citsgef^ic^tc,  mcr  über  bie  Sotfac^en 
bcr  großen  geftc  prebigcn,  ol)ne  ba§  i^m  entmebcr  fein  t^cologi« 
f^c§  ©emiffen  ba§  Äonjept  oerbirbt  ober  bie  praftifd)c  Scnbenj 
bcr  (ärbauung  für  ein  paar  ©tunbcn  jeneS  au^cr  Äraft  fe^t! 

2lber  folc^e  93ebcnfen  gelten  boc^  nur  für  eine  2luffaffung 
ber  Offenbarung  unb  ber  ^rebigt,  bie  mir  um  i^rcr  rein  t^eo« 
rctifc^en  3lrt  millcn  längft  übcrmunben  ^aben  foUtcn.  3)ic  Offen* 
barung  unb  bie  Slufgabc  ber  "ißrebigt  beftel)t  nic^t  in  bcr  W\U 
tciluug  Pon  Jatfact)cn  empirif^cr  3(rt,  alfo  aus;  bem  ©cbict  ber 


268  dliebergatl:  ^te  moberne  ^ebi()t. 

©cf^id^tc  unb  bcr  ?latur,  bie  cbcnfo  ober  ätinlic^  in  älteren  SRe* 
ligion^fgftemen  flefunben  werben  fönnen,  fonbern  in  ber  SJlittei* 
lang  be§  beflimmten  @eifte§,  in  bem  in  unfrcr  flafftfc^en  Urtunbe 
biefe  2:atfad)en  aufgefaßt  unb  bargeflellt  würben,  ©o  le^rt  bie 
reIigion§gefc^ic^t(id)e  Slrbeit  bie  Eigenart  unfre§  ©laubenö  immer 
met)r  erfaffen  unb  in  ber  3)ifferena  jmif^en  ber  biblifc^en  unb 
ber  au^erbiblifd^en  ©arftellung  bie  Offenbarung  erblicfen.  ©ie 
jeigt  innerhalb  ber  biblifc^en  ©ntmicftung  ben  9}eft  ber  na6)  2lb* 
jug  ber  religion^gefc^ic^tti^en  3wflüffe  übrig  bleibt,  unb  ber  9ieft 
ift  ba§  ®anje. 

ein  mirtung^oolleg,  ^riftli^^euangelifc^e^  ^rebigen  ift  aber 
nic^t  bauernb  mögli^  o^ne  eine  genaue  @rfenntni§  ber  eigentüm« 
liefen  Äraft  gerabe  unfrei  @lauben§.  ^ier  treten  fic^  ja  bie  oben 
gejeic^neten  Unterfc^iebe  al§  ©runbauffaffungen  gegenüber,  bie 
fic^  beibe  ber  9ieligion§gefd)ic^te  bebienen,  bie  eine,  bie  mit  bem 
SBorte  „©^riftentum"  im  engeren  ©inn,  bie  anbre,  bie  mit  bem 
SBorte  „^Religion"  bejeic^net  rourbe.  3)ie  ganje  Haltung  biefer 
93lätter  roiberfprid^t  bem  93eftreben  um  berer  millen,  bie  bem 
überlieferten  (J^riftentum  abgeneigt,  aber  allgemeineren  reli^ 
giöfen  Jenbenjen  jugänglic^  fmb,  ba§  |pe5ififd)e  unb  c^arafteri* 
ftifc^e  aOBefen  be§  (J^riftentumS  al§  einer  nüchtern  auf  bie  3ln* 
regung  be§  SBiÜen^  unb  bie  93efriebigung  be§  @emüte§  ge« 
richteten  geiftigen  3Wac^t  aufzugeben,  um  fie  burc^  eine  allge^ 
meinere  Dteligion  ju  erfe^en.  Um  t)on  bogmatif^en  (Erörterungen 
ganj  abjufe^en,  ^at  immer  ba§  Äontrete,  ^wfammengefa^te,  2tn=^ 
fc^aulic^e  praftifd)e  SBirfung^fraft  üor  bem  Slllgemeinen  unb  SJer* 
f^raimmenben.  9Wögen  roir  folc^e  bie  ba  brausen  fmb,  anberS  ju 
gewinnen  fuc^en;  bie  ©d^ar  berer,  bie  auf  ber  d)riftlic^==fird^li^en 
Srabition  ftelien  unb  ft^  weiterbilben  laffen  wollen,  ift  immer 
noc^  gro§  unb  wertooU  genug,  um  nic^t  ba§  !onfret  gefd^ic^tlid)e 
©^riftentum  einem  angeblich  wahreren  uub  gere^teren  3lllgemeinen, 
ba^  ben  Sleligionen  jugrunbe  liegen  foH,  al^  Opfer  l^injugeben. 
Unter  ben  angeführten  ^rebigern  ge^t  eigentlich  nur  Äalt^off 
au§  bem  Umfreiö  be§  eigentli^  ©^riftlic^en  in  ta^  allgemein 
SJeligiöfe  ^inau<§.  Q\t  t>a^  feine  Ueberjeugung  unb  ba^  33erlangen 
feiner  |)örer,  fo  ift  ni^t^  bagegen  ju  fagen;   nur  ift  mit  aller 


9licbergaU:  %k  mobcrnc  ^rcbigt  259 

Äraft  bapor  ju  roamcn,  ba^  man  einer  anbern  3)urd^[c^mtt§* 
gemeinbe  fo  etroaS  al§  c^riftU^  porfetjt 

e§  ift  f (ar,  ba§  au^  bie  fjrage  nac^  ber  91  b  f  o  I  u  t  ^  e  i  t 
be§  S^riftentumö  einem  ^rebiger  t)ie(e  93ef(^n)erben  ma^en  fann. 
6§  ift  nun  nic^t  geraten,  um  reUgion§n)iffenfc^aftlid)er  93ebenfen 
mitten  auf  bie  Äraft  ju  oerjic^ten,  bie  in  bem  fröl)lid^en  ©tauben 
berul^t,  ba§  un§  ®ott  in  ©^riftu^  fein  ganje§  ^erj  aufgefdjloffen 
unb  feinen  SBitten  gefagt  ^at,  unb  fxä)  un§  immer  no^  offenbart 
in  ber  SBeife,  mie  mir  ^eute  ®f)riftu§  flauen  imb  nerfte^en.  3Ber 
JU  gemiffen^aft  ift,  um  fo  naio  unb  feft  ^t\\x§  al§  bie  Offen* 
barung  @otte§  ju  oerfünbigen,  mer  jo  bie  SRed^te  ber  93ubb^iften 
unb  9teger  nic^t  beeinträchtigen  miß,  ber  rebe  boc^  nid^t  fo  afl- 
gemein;  benn  bie  übergroße  ©erec^tigfeit  unb  öerüdtfi^tigung 
aller  anbern  fc^mäd^t,  unb  ba^  SlHgemeine  l^at  menig  Straft.  Unb 
menn  man  burc^  ©tubium  unb  SReflefion  bie  frö^lid^e  9kimtät 
baju  perloren  I|at,  bann  fteße  man  fie  fi^,  —  mie  ba§  \a  über^ 
l^oupt  unfre  9lufgabe  ift,  burc^  SReflefion  mieber  naio  ju  merben, 
—  bann  fteUe  man  fie  fic^  mieber  ^er  burc^  ben  ©ebanten:  ic^ 
min  in  ®otte§  9iamen  prebigen,  al§  menn  e§  au^er  unfrer  feine 
Offenbarung  @otte§  me^r  gäbe ;  benn  bie  Offenbarung  ©otteö  in 
ben  Sieligionen  ober  in  ber  SReligion  fe^t  oorau§,  ba§  jcbe  9te« 
ligion  pon  i^rer  Slbfolut^eit  überjeugt  ift,  menn  fie  etmaö  auf 
fid^  ^ält  unb  mirfen  miß,  me^^alb  i^  e§  auc^  fo  ma^en  mu§. 
3Bir  Iiaben  ja  ni^t  uom  ©tanbpun!t  @otte§,  fonbern  pon  unferm 
eigenen  bie  2)inge  ju  betrauten  unb  anjufaffen. 

®ie  ganje  religionSgefd^ic^tlic^e  Betrachtung  unb  Slrbeit  ge« 
^ört  nun,  meit  fie  rein  t^eoretifd^  ift,  auc^  bann,  menn  fie  ber 
^rebigt  ben  größten  Sinken  bringt,  nid^t  auf  bie  Äanjel,  fonbern 
in  bie  ©tubierftube.  ©ie  ift  nic^t  ©toff,  fonbern  9tegulatio  für 
bie  ^rebigt.  9tur  i^re  ©rgebniffe,  nic^t  i^re  SBege  unb  2)let^o= 
ben  foßen  praftifc^  fruchtbar  merben,  o^ne  ba§  man  etma§  »on 
ber  2lrbeit  fe^en  ju  laffen  braucht,  ©o  gut  e§  ift,  menn  j.  3). 
fSflt\)l\)oxn  bie  ©ngeU  unb  2:eufel§le^re  auf  ber  Äanjel  ri^tig 
ftetlt  unb  religiös  frud)tbar  mactjt,  bie  ©efc^id^te  ber  Seufel^oor« 
ftellung  erfc^eint  mir  für  bie  burctifc^nittli^e  ^rebigtaufgabe  über« 
flüffig.     aSenn  mir  bagegen  eifern,  ba§  bie  3lltgtäubigen   i^re 


260  9^  i  c  b  e  r  ö  a  1 1 :  ^ic  mobemc  ^cbigt. 

S^cologic  auf  bic  Äanjcl  bringen,  fo  rootten  wir  crft  red^t  bie 
unfrigc  baoon  fem  galten.  2)amit  foll  natürlich  ein  gelegentlicher 
©eitenblid,  xüo  93ebürfni§  unb  Sßerftänbni^  ift,  nic^t  auSgefc^loffen 
fein,  aber  bie  öele^rung  über  folc^e  ^^fonimen^änge  bleibe  ber 
Seftüre  unb  bem  SBortrag  überlaffen,  bie  ^rebigt  jie^e  immer 
nur  bie  prattif^en  Konfequenjen  au§  unfrer  2:^eologie,  bie  ftet§ 
eine  größere  ©rbauti^feit  unb  reinere  ^erauSgeftaltung  be§  6c^t« 
veligiöfen  unb  Siein^riftti^en  bebeuten  werben. 

2)a8  ift  eine  banfbare  2lufgobe  ber  ^raftifd^en  J^eologie, 
immer  me^r  greunb  unb  g^inb  bemüht  ertennen  ju  laffen,  ma^ 
bie  moberne  J^eologie  un§,  i^ren  2ln^ängem  für  unfre  ^rayiS, 
fc^on  gef^entt  l^ai,  o^ne  ba§  mir  e§  im  einjelnen  genou  überfe^en 
fönnen.  SBir  wollen  nie  in  ben  geiler  fallen,  S^eologie  auf  bie 
Äanjel  ju  bringen,  meil  ba§  für  un§  ein  boppetter  geiler  märe; 
mir  moHen  immer  me^r  ^erau<§arbeiten  unb  jur  ©eltung  bringen, 
roa^  je^t  fc^on  unfre  frö^lic^fte  Ueberjeugung  bilbet,  ba§  man  ate 
moberner  2:^eologe  nic^t  „aud^",  fonbern  gerabe  ganj  befonber§ 
in  ber  ^rayiö  mirfen  !ann,  meil  bie  moberne  S^eologie  bie  Kräfte 
unb  bie  ©üter  herausgearbeitet  ^at,  oon  benen  mir  leben  muffen. 
Unfre  ®egner  reben  immer  baoon,  ba§  mir  moberne  2:^eologie 
auf  bie  Äanjet  bringen.  aSenn  ba§  ma^r  märe,  märe  e§  grunboer^ 
fe^rt,  meil  mir  bann  noc^  nic^t  grünblic^  genug  bie  Konfequenj 
unfrer  Stellung  gejogen  t)ätten,  bie  eine  jebe  Ideologie  oon  ber 
Äanjel  au^fc^liegt,  aber  eine  rein  erbauli^e  SSejeugung  ber  SBelt 
unb  Kraft  ©otteS  in  3^efu§  unb  feinen  2lpofteln  oerlangt.  @e» 
lingt  un§  biefe  3lrbeit  ber  Umfefeung  t^eoretif^  fo  gut,  mie  fie 
nad^  9lu§mei^  ber  mitgeteilten  ^rebigten  praftifd^  gelungen  ift, 
bann  mirb  e§  feltener  merben,  ba§  oiele  in  ber  Sonfercnj  mobem 
finb,  bie  fid)  auf  ber  Kanjel  au§  Ungefd^idt  nod^  trabitioneU  geben, 
—  oon  benen  ju  gefd)meigen,  bie,  meil  fte  noc^  fein  geraber  SBeg 
oom  ^örfaal  auf  bie  Kanjel  fü^rt,  fachte  über  9lad)t  mit  ^raji^ 
unb  2:^eorie  fid^  auf  ba^  alte  ©eleife  umrangieren  unb  ba§  gute 
©emiffen  famt  ber  Kraft  oerloren  tiaben  —  tro^  allem  Slenegaten- 
gepolter. 


9fl  i  c  b  c  r  0  a  n :  ^ie  mobeme  ^rcbigt.  261 

B.  ^er  tnoberne  SRenf^  nitb  bie  ^rebigt 

®ic  @rtenntni§  bc§  mober  neu  SWcnfc^cn  fotttc  für 
un§  ber  jroeite  örücfcnpfeilcr  fein,  wenn  wir  nac^  ber  Slufgabe 
ber  mobernen  ^rebigt  fragen. 

1.  6§  ift  ganj  oevtet)rt,  nun  o^ne  weiteres  bie  ^Aufgabe  ber 
^rebigt  in  ber  ©egenroart  nac^  einem  aSerftänbniS  beS  mobernen 
aWenfd)en  ju  rid)ten.  SDenn  ber  für  bie  mobeme  2lrt  d^arafteri* 
ftifd^e  realiflif^e  ölic!  fottte  un§  fagen,  ba§  bie  fieute,  bie  ju  un8 
in  bie  Äird^e  fommen,  ebenfo  menig  moberne  3Jlenfd^en  fmb,  mie 
bie  mobernen  aWenfc^en  geneigt  ftnb,  in  bie  Äirdje  ju  ge^en.  9Wit 
3lu§na^me  ber  ©c^rift  oon  Pfarrer  äBoIff  in  Stachen  über  bie 
grage  ,,3Bie  prebigen  mir  ber  ©emeinbe  ber  ©egenroart  ?"  ^)  finbet 
man  oft  in  ben  unfre  fragen  be^anbelnben  ©d^riften  bicfen  ^t\)Ux 
in  ber  Sluffaffung  ber  ganjen  gegenwärtigen  Sage,  ^n  bem  Ueber* 
fc^mang  ber  93egeifterung,  ben  Seuten  mit  benen  man  ft^  in 
fo  oielen  fulturellen  Slngelegen^eiten  oerbunben  mei^,  ba§  Sefte 
ju  bieten,  in  einem  geroiffen  Ueberbru^  an  bem  |)eer  oon  braoen 
Keinen  Seuten  unb  älteren  grauen,  mit  benen  man  alö  Pfarrer 
faft  auSfd^Iie^Iic^  ju  tun  ^at,  möchte  man  gar  gern  eine  ^u^örer^ 
fc^aft,  bie  einen  beffer  oerfte^t,  unb  bie  jur  ©rgänjung  i^rer  ganjen 
©eelenoerfaffung  eine  SRetigion  gebrauchen  fann,  bie  aber  oon  ber 
gewöhnlichen  fe^r  oerfd^ieben  fein  mu§.  Unb  bann  beginnt  man 
mit  ber  ©c^i^t  ju  liebäugeln,  bie  ein  banfbarere§  ^ublitum  ju 
werben  oerfpri^t  al§  ba§  gemeine  Kirc^enoolt,  bem  man  bo^ 
ni^t  fein  öefteS  fagen  fann,  unb  biefe  kleinen  ßeute  über  bie 
3ld^fel  anjufel^en,  weil  fie  boc^  noc^  in  gar  ju  großer  SRüdtftän« 
bigteit  befangen  fmb.  Slbev  man  wirb  gar  balb  werten,  wie 
fd^recfli^  fc^werfällig  alleS  auf  bem  religiöfen  ©ebiete  oor  fic^ 
ge^t.  Qroax  fommen  bie  Heinen  fieute,  tro^bem  i^nen  ber  Pfarrer 
oieleS  JU  tragen  gibt,  meiftenS  noc^  mit  rü^renber  2:reue;  aber 
ben  Ferren  mobernen  SWenfc^en  fällt  e§  eben  gar  nic^t  ein,  weil 
au^  bie  liberale  Äirc^enluft  nic^t  fe^r  oiele  oertragen  tonnen. 

:3eboc^  wir  wollen  falfc^e  SSerallgemeinerungen  nad^  jeber 
©eite  l)in  oermeiben  unb  folgenbeS  ru^ig  erwägen  unb  be^erjigen. 

iy^ie^en,  «Rtdfcr  1904. 


262  9^  i  e  b  e  r  ö  a  n :  ^ie  mobeme  ^rcbtgt 

2lud^  unfcrc  fogenanntc  ©cmcinbc,  b.  \).  bic  Älrc^enlcutc,  finb  oon 
t)cute.  SWanc^c  ma^en  fic^  and)  i^re  ©ebanfen  über  SBunbcr 
unb  33ibel  unb  bentcn  anber§  al§  fie  e§  bcm  ^errn  Pfarrer  }u  acigcn 
pflegen.  SBie  meiften§  ift  ani)  \)kx  bie  aScratlgcmeinerung  im 
aWunbe  agitatorifd)cr  ©eiflcr,  ba§  SBoIf,  bie  eoangelifc^c  ©Triften* 
l)cit,  bie  ©emcinbe  fei  no^  „gläubig"  ober  fie  fei  im  ®runbe  nur 
fc^einbar  no^  mit  bem  alten  9Befen  oermad^fen,  ein  ^robutt  be§ 
9Bunf^e§,  ober  ber  @ifer  nimmt  partem  pro  toto.  3)ie  Seute 
finb  eben  ^ier  fo  unb  bort  fmb  fie  anber§.  Unb  mitunter  fmb 
fie  auc^  einmal  wenig  oon  ber  „SWucferei"  unb  oon  einem  Pfarrer 
erbaut,  ber  e§  ma^t,  mie  man  e§  oor  fünfjig  ^a^ren  gemacht 
i)at  Unb  bann  wollen  fe^r  oiele  —  fagen  mir  ja  nid^t  „bie" 
©emeinbe!  —  freier  gelehrt  unb  geleitet  werben.  3)er  Pfarrer, 
ber  freierer  Sluffaffung  ift,  gebe  fi^  offen  nac^  feiner  9lrt, 
ber  9lltgläubige  trage  fein  ^reuj  an  einer  fold^en  ©emeinbe,  ebenfo 
wie  c^  ber  „mobeme"  Pfarrer  tun  mu§,  ber  an  eine  altgläubige 
©emeinbe  fommt.  ?lur  bleibe  jeber  fic^  treu,  ne^me  um  ber  Seute 
willen  nic^tg  an  unb  lege  nichtig  ab,  xüa^  i^n  in  feinem  ©ewiffen 
tebrüdfen  fann,  weil  e§  für  i^n  jum  Qn^alt  be§  ©lauben§  ge* 
^ört.  SBer  felbft  freier  fte^t,  mag  ru^ig  auc^  einmal  barauf  hoffen, 
ba&  ein  im  SBergleic^  ju  feinen  Äirc^enleuten  wirtli^  moberner 
9Wenf(^  ben  Äopf  jur  Kirche  ^ereinftredft,  weil  i^n  ein  93ebürfni§ 
trieb  ober  ein  2lnla§  jwang.  3)er  wirb  wegbleiben  ober  wieber^^ 
fommen,  je  nac^bem  i^m  bie  religiöfe  Kraft  ba§  9Wa^  ber  mit 
il)rer  Darbietung  üerbunbenen  unaffimilierbaren  2:^eologie  ertrag* 
lic^  machte  ober  ni^t.  ©o  !önnte  man  noc^  eine  Steige  uon  "S&üm 
unb  entfpred^enben  SSorfic^t^ma^regeln  anführen ;  aber  biefe  ganje 
©rörterung  wirb  überflüffig  burc^  bie  2lufftellung  f olgcnber  ©runb* 
fä§e:  SQ3er  felbft  in  feinen  Ueberjeugungen  jur  mobemen  S^eo* 
logie  fid^  red^nct,  ber  gebe  fi(^  —  ni^t  wie  er  ift,  —  fonbern 
biefer  J^eologie  entfpre^enb  al§  einen  Serfünbiger  großer  ^ot)er 
©üter  unb  Kräfte,  ^e  unmittelbarer  unb  unbefangener  er  e§  tut, 
befto  beffer:  um  fo  me^r  werben  neben  feinen  t^eologifc^en  ©e* 
finnung^gen offen  i^m  auc^  bie  oon  ben  3lltgläubigen  anfangen, 
bie  fi^  am  ^rebiger  nähren  aber  nic^t  reiben  wollen ;  um  fo  met)r 
wirb  er  unter  ben  mobernen  Seuten  bie  anjie^en,  bie  uernünftig 


9fl  i  e  b  c  r  0  a  1 1 :  %iz  mobernc  ^rcbigt.  263 

genug  finb,  ben  SBein  ni^t  nac^  bcm  ®Ia[e,  fonbcvn  nad)  bcm 
Slöcrtc  ju  beurteilen.  Unb  bic  anbern  mu§  man  eben  laufen  laffen. 
Slöir  ^oben  o^ne  SSerleugnung  unfre§  befferen  ©elbft,  unb  bamit 
aller  Äraft,  fein  SWittel,  um  alle  ju  bef riebigen.  3)a§  ^aben  unfre 
2ltten  ni^t  getonnt;  bann  roirb  man  e§  au^  oon  un§  mobernen 
S^eologen  nid)t  al§  SRec^tögrunb  unfre§  3)afein§  in  ber  Sirene 
oerlangen.  2Bir  bienen  eben  ben  Seuten,  bie  ftd^  uon  un§  bienen 
laffen  moUen.  3)ie  anbern  muffen,  folange  einer  oon  un§  am* 
tiert,  übermintern,  ebenfo  mie  unfre  ®eftnnung§genoffen  in  ber 
©emeinbe  aud)  nmn^mal  überwintern  muffen.  Unb  t>a§  anbre 
ift  bie§:  Q)i  tiroa^  gut  unb  ri^tig  an  bem  mobernen  (Seifte,  bann 
werben  mir  e§  annehmen  muffen,  ober  e§  wirb  fic^  felbft  unfrer 
bemächtigen,  o^ne  ba§  man  e§  mcig.  Kommen  mir  bann  bem 
mobernen  aWenfd)en  näl)er,  gut;  aber  na^Iaufen  mollen  mir  i^m 
ni^t,  meil  fomot)l  er  mie  unfre  ©ac^e  ba§  am  menigften  oer- 
tragen  fann. 

2.  SBir  erinnern  un^  je^t  beffen,  ma^  oben  über  ben  mo^ 
bernen  SWenfc^en  gefagt,  ma§  an  allgemein  ju  beoba^tenben  3ü9^" 
jufammengeftellt  mürbe.  2Bir  fprad^cn  oon  ber  9t  e  r  o  o  f  i  t  ä  t, 
bie  eine  Konjentration  be§  geiftigcn  2eben§,  befonberö  aber  ba§ 
^ören  erf^mert.  3Q3ir  moHen  un§  oor  allem  ^üten,  i^r  burc^ 
eine  aufgeregte,  allju  impreffioniftifc^e,  burc^  tjrage^  unb  2lu§5 
rufung^jei^en  fomt  ©ebanfenftri^en  serriffene  3)iftion  ent- 
gegenjutommen ;  oielme^r  gerabe  burd)  eine  ruhige  flare  jufam* 
men^ängenbe  2lrt,  oon  unferm  93eften  ju  jeugen,  moUen  mir  ben 
Seuten  mitten  in  ber  ^e^e  be§  £eben§  Siu^epunfte  unb  geier- 
ftunben  gewähren.  9lber  bebenfen  mir  mobl,  mie  jebe  anbere 
2lrt  ber  SKitteilung  gegenmärtig  lebenbiger  gemorben  ift  unb  alle 
®eifte§träfte  in  Slnfpruc^  nimmt !  3)ie  langweilige,  abftratte,  um« 
ftänblic^c  2lrt  ber  ^rebigt  ift  fdjulb,  ta^  im  allgemeinen  ba§  SBort 
^rebigt  überhaupt  bie  SBorftellung  an  fromme  Hebungen  im  ©tille* 
fi^en  ermedt.  SBrauc^en  mir  au^  nid)t  ben  i?euten  in  ber  SSSeife 
ber  oon  93aumgarten  überfc^ä^teu  (äoangelifation  auf  bie  Sleroen 
ju  mirten,  etma§  mel^r  garbe  unb  Seben,  ein  paar  ri^tige  2ln* 
fc^auungen,  ein  paar  Sropfen  poetifd^en  Könnend  tun  un^  allen 
mit  einanber  gut;  benn  mir  finb  alle  für  bie  meiften  unfrer  ^e\U 


264  9^  i  e  b  e  r  0  a  U :  ^ie  mobeme  ^rebigt 

gcnoffcn  ^crjUd)  langmcilig. 

2)afür  fönnen  roir  nun  nic^t^,  aber  für  bic  Sänge  fönncn 
xüxx  etroaö.  Sffiir  roiffen  äße,  ba^  eine  9iebe  breimal  fo  furj  ift, 
roenn  man  fie  f)alt,  al^  wenn  man  fie  l^ört;  aber  wir  bebenfen 
ju  wenig,  ba§  fie  breimal  fo  lang  ifi,  roenn  man  fie  ^äxt,  al§ 
roenn  man  fie  ^ätt.  öefonber§  ber  mobeme  SJteroenmenfc^  ^ält 
feine  über  eine  ^albe  ©tunbe  bauernbe  Äonjentration  au§.  3)ie* 
felbe  Sleruenfc^mäc^e  foU  un§  ba ju  beftimmen,  ftatt  i^n 
burc^  ©timmung^probuftion  noc^  melir  ju  ruinieren,  i^m  fefte 
gute  SBillen^foft  ju  geben,  bamit  fid^  an  großen  ©eftalten  uolt  Sraft 
unb  Jener  ba§  le^te  Jö^K^in  ^on  Energie  mieber  entjünbe,  baS 
in  i^m  ift.  SDabei  muffen  roir  freiließ  barüber  nac^benfen,  mie 
mir  e§  perpten,  baß  er  burc^  ben  2lnblicf  folc^er  ©tärte  nid^t 
boppelt  elenb  mirb.  3)ie  Kunfl,  einem  ba§  SQBoHenfönnen  beiju« 
bringen,  mirb  roo^l  por  allem  in  ber  ©rmerfung  beS  ©laubenS 
an  bie  SWöglic^teit  neuer  Äraft  burc^  ba§  freunblic^  bcftimmte,  un- 
refleftierte  3^wgni§  eineS  SBertünbiger^  befielen,  ber  felbfl  burc^ 
©lauben  roieber  ftarf  geworben  ift.  Qwax  ift  e§  mirffomer,  burc^ 
unfer  ftarfe^  3^w9"i^  «nb  ba§  9lu§ftrömen  unfrer  ^erfönlidjteit 
lieber  bie  ©d^mac^^eit  ftar!  ju  machen,  ftatt  über  ©d^ma^^eit  unb 
Äraft  breit  ju  fdjmafeen,  lieben  mir  e§  boc^  immer,  über  3Bir* 
tungen  ju  reben  ftatt  SBirtungen  au^juüben;  aber  boc^  fönnten 
grogftäbtifc^e  ^rebiger  mit  entfpred^enbem  ^ublitum  öfter  einmal 
mie  e§  SÄ  e  ^  1 1)  o  r  n  in  einer  ^rebigt  getan  i)at,  auf  biefe  ©a^e 
fommen,  alfo  bie  Urfac^e  ber  SBitlen^f^mä^e,  i^re  nic^t  birefte, 
aber  mittelbare  93efämpfung  burc^  ©lauben,  ©elbftjud^t,  SSermei* 
bung  ber  Urfa^en,  SRegelung  be§  leiblid^^geiftigen  SebenS  befpre» 
^en.  2)a§  gäbe  ein  fpe}ietle§  J^emo  in  einem  allgemeinen  ^ai)-- 
men;  biefe  ©gnt^efe  ber  rationaliftifc^en  unb  ber  üblid)en  ort^oboy* 
pietiftifc^en  ^rebigtmeife  (fiet)e  3)ren)^,  2)ie  ^^rebigt  im  19.  ^ai)x^ 
pnbert)  mürbe  unfre  Äanjeln  roieber  ju  ©tätten  machen,  mo  ba§ 
©teic^mäfeige  unb  Smige  einen  „jeitgemä^en"  2lu§bruc!  finbet, 
unb  mürbe  fic^er  mele  fieute  anjie^en,  meil  fie  un§  ju  intereffan^ 
teren  ^rebigten  oer^ilft,  al^  e§  bie  burdjfc^nittlic^e  ejegetifc^e  ober 
bogmatifc^^ett)ifc^e  ^rebigt  ift.  @^  fmb  me^r  Seute  ba,  bie  ein« 
mal  etma§   tüc^tigeö  t|ören  mollen  al§  mir  glauben;    nur  mu§ 


91  i  c  b  c  r  g  a  n :  ^ie  tnoberne  ^rebigt.  265 

bcr  ©cgcnflanb  fic  anjie^cn ;  oHc  äußeren  9Wotioe,  ©ittc,  SRürf fic^t 
auf  ben  Pfarrer,  auf  bie  Sinbcr,  bie  äJorgcfefeten  Ratten  bo6) 
n\d)t  ©tid^  unb  machen  bie  9Hcnfc^cn  ju  ^cud^tcnt. 

®er  im  (Jt)araftcrbilb  ,,bc§"  mobcrnen  SWcnfc^cn  aufgejeigtc 
9lc ali^mu§  ift  ein  3^9/  ber  unbebingte  33erü(ffi^tigung  t)on 
allen  (Seiten  uerbient,  weil  fic^  in  i^m  ber  ©inn  für  bie  3&ai)V'^ 
^eit  unb  SBirttic^feit  auSfpric^t  ber  auc^  c^riftlid^  ift.  2Wögen 
roir  ©Triften  auc^  bie  aSorau^fe^ungen  eineö  c^riftlid^en  £eben§ 
nte^r  tennen  unb  pflegen,  fo  ift  bod^  in  monier  55e}ie^ung  auc^ 
nodö  ^eute  ber  ©omariter  beffer  al§  ^riefter  unb  Seoit.  Unb  ju 
biefen  aSorjügen  gehört  ber  freiließ  oft  bi§  jum  ©elbftjerfleifc^en 
unb  39^i^w^i*^  entroicfelte  ftarfe  ©inn  oieter  unfrer  3^it9^«öffen 
für  ba§  SBirtli^e.  9Bir  muffen  un§  einmal  im  SSerfe^r  mit  fol- 
gen Seuten  baoon  überjeugen ,  mie  unfre  ganje  2lrt  fic^  in  f olc^ 
einem  f^arfen  unb  nüd^tern  auf  bie  ^Realitäten  gerid^teten  ©eifte 
fpicgelt ;  bann  mürben  mir  etma§  anber§  urteilen  über  bie  ©efü^le 
ber  aWenf^en  beim  ©ebanfen  an  Äirc^e  unb  ^rebigt.  9Bie  gern 
machen  mir  e§  au§  t^eologifc^er  SSoreingenommenlieit  ober  au§ 
r^etorifc^er  ©cfallfud^t  mie  ©  t  ö  rf  e  r  unb  Keller,  ba§  mir 
nämlic^  in  großen  abfoluten  ©egenfä^en:  ©läubig^Ungläubig, 
S3efel|rt-Unbefet)rt,  uon  ben  Seuten  reben!  Slber  ber  ©lief  für 
bie  aOBirflid^teit  jeigt  ftetige  Uebergänge  unb  ©c^attierungen ;  in- 
folge beffen  mirb  an  $Bertrauen  ju  unfrer  ®infid)t  ober  ®^rlid)- 
feit  oerloren,  ma$  an  rebnerif^er  Kraft  gemonncn  wirb.  SBir 
fd)melgen  gern  in  flingenben  Unmöglic^feiten  unb  effettooHen  lieber- 
treibungen.  Unfre  ©efü^lömad^erei  unb  unfer  ^^rafenmefen  ftö^t 
bie  fieute  ab,  bie  mit  Sci\)Un  unb  9}aturfräften  }u  red^ncn  ^oben. 
9Bir  ^aben  un§  beftimmte  SBörter  unb  Schemata  bei  ber  öe« 
fd)reibung  feelifc^er  3wftänbe  angemöt)nt  unb  finb  ju  eilig,  um 
fie  immer  neu  nad^  ber  9Birtlid|teit  ju  oerbeffern ;  mir  ^aben  feine 
3eit,  un^  lieber  unb  oerftänbnigooll,  mie  ba§  j.  93.  Oettli 
aSaumgarten,  ^^Jeabobg  unb  anbere  tun,  in  ba§  füllten 
ber  heutigen  9Wenf^en  ju  oerfenten,  um  i^nen  gu  jeigen :  Könntet 
xi)x  mid)  fo  genau,  mie  ic^  euc^,  bann  fämen  mir  meiter!  So 
gilt  e§,  aWenf^en,  SQBelt  unb  Seben  immer  fc^ärfer  }u  erfaffen  unb 
richtiger  barjufteHen,  bamit  man   an  unfrer  Set)anblung   beffen. 


266  S^iebcrgall:  ^ie  mobemc  ^rcbigt 

Tua^  man  fie^t,  aScrtrauen  geroiime  ju  unfrer  ©ejeugung  ber  S)ingc, 
bie  man  nid^t  fie^t.  Qmmcr  bic  2;at[ac^eu  rcbcn  laffen  unb  mög« 
lic^ft  hinter  i^rer  3Suc^t  jurürftrctcn !  3)ic  feinften  unb  geiftoott* 
ftcn  and)  bic  cntrüftetften  2)cf(amationen  über  bic  ©ünbc  finb 
fc^roa^  im  SScr^ältnig  jur  nüchternen,  realiftif^en  S)arfteßung  i^reS 
5lu^e§  unb  SBcrberbcn^.  2)ag  roir  immer  unfre  Sprache  nad)^ 
fe^en  muffen,  um  un§  ni^t  in  Siebling^au§brüc!e  feftjufat)ren, 
ba§  mir  immer  freier  oon  allem  ^eiligen  ©d^atl,  ber  ©pra^e 
Sanaon§,  91icäa§,  SRitf^I^,  Sremerö  unb  Ää^ter^  merben  muffen, 
um  mit  immer  perfönli^erem  unb  treffenberem  2lu§bruc!  bie 
3)inge  ju  faffcn,  perfte^t  fic^  non  felbft.  2Ba§  ber  ©eift  ber  3^it 
jur  Kird)e  fagt,  ift:  SBerbe  n)al)r!  2luc^  ba§  3öort  „p r o f * 
tifc^"  mögen  mir  un§  auf  unfre  ©^reibmappe  f^reiben  loffen. 
©tatt  immer  über  bie  $Borau^fe^ungen  be^  c^riftlid^en  2eben§  ju 
ftreiten ,  ftatt  immer  breit  über  bie  SBege  ju  oer^anbeln,  medte  unb 
pflege  man  ba^  Seben  felbft  im  ©inne  be§  ©eelenfrieben§  unb  ber 
reinen  Siebe.  9Bie  gering  finb  bie  Unterfd^iebe  ber  oben  oufgefü^rten 
S^eologen,  menn  fie  praftifd^  merben,  fo  gering,  roie  fie  gro§  finb, 
menn  fie  ben  ©lauben  be^anbeln.  ®ie  al§  ein  Q^xd)en  ^ö^ercr 
unb  feinerer  ©eelen!ultur  ju  beurteilenbe  2tbneigung  meler  Oe« 
genmart^menfd)en  gegen  jeben  SSerfud^  aufbringli^er  öeeinfluffung 
ift  }u  fc^onen.  SJtiemanb  fud^e  etma§  burc^  ©türmen  unb  ©rängen 
ju  erreichen.  2)a§  liebt  man  nic^t  unb  man  ^at  Stecht.  ®er 
^rebiger  laffe  bie  ©ac^en  ju  SBort  fommen  unb  laffe  fie  mirten, 
n)a§  fie  in  biefer  ßage  an  biefen  SJlenfc^en  mirten  fönnen.  3llle§ 
3)rängen  räd^t  fid^  burc^  ben  äBiberfpruc^  ber  fenfiblen  ©elbftän* 
bigfeit,  alle$  Ueberftürjen  burc^  ben  unoermeiblic^en  JRücffdjlag. 
3QBie  unau^fte^li^  bem  burd)au§  natürlid)en  ©inn  bie  Unart  ift, 
ba§  ^eilige  »on  bem  "ißrofanen  burc^  eine  Umlautung  fämtlic^er 
aSofale  unb  bur^  ^ot|le§  ^at^o§  abplieben,  t|ätte  fc^on  oben 
bei  bem  9leali§mu§  ermähnt  merben  fönnen. 

3.  SGßenn  mir  un§  nun  fragen,  meieren  ®influ§  ber  ^n* 
^alt  be§  mobernen  S}emu§tfein§  auf  unfre  $rebigt  ^aben  foH, 
fo  motlen  mir  ben  einjelnen  3Womenten  nac^ge^en,  mie  fte  oben 
al§  93eftanbteile  ber  beiben  9ieaftion§bemegungen  gefd)ilbert  roor* 
ben  finb.     SBieberum   ift  auf  ba^  entfc^iebenfte  ju  betonen,   ba§ 


91  i  c  6  c  r  0  a  ( ( :  ^ie  mobcmc  ^cbigt.  267 

eine  tn^altlid^e  ©eeinpuffung  ber  SSertünbigung  auSgef^Ioffen 
fein  mu^.  Um  ber  mobemen  fieute  willen  etwa  in  ber  SBeife 
Ä  a  1 1  ^  0  f  f  §  ju  prebigen,  ift  für  jeben  auSgef^Ioffen,  ber  nid^t 
mit  93en)u|tfein  auf  biefem  ©tanbpunft  fielet.  <^ö(^ften§  ^anbelt 
eS  fic^  um  bie  SluSmal^t  unb  bie  ©arfteßung  ber  burc^  unfern 
©laubcn  bargebofenen  ®eban!en.  SBir  prebigen  nic^t  bieS  unb 
ba§,  weit  eS  bcm  mobernen  SÄenfci^en  fo  geföttt,  fonbern  ^öä)-- 
ften^  fo  ober  fo,  roeit  er  e§  fo  beffer  uerfte^t  unb  meit  i^n  baS 
interefpert. 

a)  6§  ^anbeft  ft^  junä^ft  um  bie  moberne  SWatur* 
unb  9Belter!enntni§  im  !ritifc^en  93erftanbe.  SOBie  foll 
man  ftd^  benn  baju  oer^alten  auf  ber  Äanjel?  ®a  liegt  bie  9lu§^ 
fünft  nic^t  fe^r  weit:  9Wan  foH  nic^t  bafür  unb  nid)t  bagegen 
prebigen,  aber  man  foK  nic^t  bagegen  ^anbeln.  3ltfo  meber 
bie  SWalurgefe^e  noc^  bie  SBunber  foß  man  retten  unb  preifen, 
roeil  beibe§  nic^t  auf  bie  Äanjel  gehört.  Ste^t  man  auf  bem 
33oben  ber  mobemen  naturgefefelid^en  ®rfenntni§,  bann  rebe  man 
entfpre^enb,  fte^t  man  nid^t  barauf,  bann  rebe  unb  fünbige  man 
nic^t  bagegen.  @§  ift  ja  nic^t  nötig,  ba^  man  bie  fieute  oor  ben 
Äopf  ftö^t  e^e  man  i^ncn  ba§  Seben^brot  jum  9Munbe  fü^rt. 
Unb  bie  Seute  beuten  in  biefer  93e}ie^ung  oietleic^t  »iel  moberner, 
al§  fie  e§  oor  bem  ^crrn  Pfarrer  merten  taffen.  SOBen  aber 
fein  ©emiffen  brängt,  alte  ^^gfif  mit  bem  ©oangelium  ju  oer* 
quirfen  unb  ju  oermec^feln,  ber  örgert  bie  ©u^enbcn  unter  ben 
©ebilbeten  immer  nur  meiter  ^inau§  auS  ber  Äir^e.  ®§  ift  ni^t 
ganj  überflüf ftg ,  oor  jeber  9lrt  oon  2lu§einanberfe^ung  mit  anbern 
©efamtanfd^auungen  ju  warnen,  benn  bie  Seute,  bie  ba  fmb,  be= 
galten  bod)  baoon  meift  faum  ben  „4§mu§".  9lber  e§  ift  fo  bil* 
ligeS  SüBfßl/  P<^  fl^g^w  öUe  bie  böfen  ^i^men  ju  entrüften,  an* 
ftott  befonnen  unb  gefammelt  Seben§fraft  an  ben  9Jlann  ju  bringen 
in  Harem  unb  magrem  3^wgni§  oon  ©elbfterlebtem.  ©ol^e  S^agen 
get)ören  in  bie  ©rofc^üren  ber  Stpologetifc^en  ^anbbibliot^ef,  in 
ben  3)i§fuffion^abenb,  in  ben  UJortrag.  SBir  wollen  un§  burd^ 
bie  paar  ©ebilbeten,  bie  einmal  in  eine  Äirc^e  ^ineinf^neien  unb 
ba  feine  Slntmovt  auf  bie  großen  fragen  finben,  nic^t  ju  einer 
93ern)ed)§lung  oon  SBortrag  unb  ^rebigt  oerleitcn  taffen.    liefen 

3eltf(^rlft  für  Z^cologie  unb  Äirc^e.  IB.  3a^rg.,  3.  vcft.  19 


268  91  i  c  b  e  r  0  a  l  ( :  %ie  mobcrnc  ^rcbigt 

^crrf^aftcn  gebührt,  rocnn  ftc  ftd^  bcflagen,  eine  flare  Slntiuort. 
S)enn  ftc  fönncn  nic^t  perlangen,  ba|  man  bic  gcroö^nlic^c  Sonn* 
tag^prcbigt  auf  bic  Scutc  einrichtet,  bic  nic^t  fommen.  ^at  man 
aber  folc^e  Scutc  an  bcn  großen  gcfttagen,  bic  faft  fämtlic^ 
fragen  au§  bem  Umfrei§  bcr  Statur*  unb  ©cfc^ic^t^roiffen* 
fd^aften  nahelegen,  bann  möge  man  ru^ig  unb  nebenbei  offen 
feine  Ueberjeugung  fagen.  ®ine  ©cmcinbe,  bie  ju  bcr  religiös* 
ftttlic^cn  ^erfon  i^re§  Pfarrers  95ertraucn  ^at,  erträgt  nicl,  unb 
fmb  man^e  au^  anbrcr  aWeinung,  bie  mciften  fmb  i^m  bantbar 
ober  ^aben  n)cnigftcn§  Sichtung  »or  feiner  SBa^r^aftigteit.  ^at 
fid^  um  einen  ^]}rebiger  mie  öaumgartcn,  ^eabobg  ober 
Ä  a  1 1  ]^  0  f  f  eine  ^erfonalgemeinbe  oon  mobemen  Seuten  gefd^art, 
bann  mirb  man  bcn  ^rebiger  unter  anbcrcn  ©eftc^tSpunften  ju 
beurteilen  ^aben,  als  ben,  bcr  als  cinjigcr  in  einer  gemifd^ten 
©emeinbe  fte^t.  Umfaffenbe  unb  rüdffic^tSlofe  2luSfprad^e  —  beibeS 
fann,  je  na^bcm,  ^^flic^t  ober  ©ünbc  fein.  3)ie  SBirüic^fcit  cr^ 
forbcrt  eine  Qnbioibualifierung,  roic  fte  meift  roeber  bcr  2:^corie 
nod^  bem  ^Regiment  pa^t,  meit  für  fie  bic  95erattgemeinerung  bcr 
näd)ften  unb  liebften  Sinbrüdte  bie  bequemfte  ober  bie  unoermeib* 
lic^e  aJict^obe  ift.  ©o  mu^  entfd^ieben  baoor  gemarnt  merben, 
in  bcr  ^rebigtmeife  non  3)örricS  unb  SBcingart  b  i  e  mobcrnc  Sir- 
beitcr=  unb  ®orfprcbigt  ju  fct)cn.  ^cibe  muffen  cS  miffen,  n)ie= 
meit  itirc  SBcife  i^rer  ©cmcinbc  entfpric^t ;  mer  in  ä^nlit^cn  9Ser= 
l^ältniffcn  mirft,  mag  auch  öfter  einmal  fo  prcbigen;  öfter,  benn 
cS  ift  aud^  roo^I  nur  3ufaU,  ha^  fämtlict)e  ^rebigten  SBcingartS 
bcnfelbcn  S^aratter  ^obcn.  ^m  atlgemcinen  mu§  barauf  beftan^ 
bcn  merben,  ba§  folc^e  (Erörterungen  t^cologifc^er  unb  apologeti* 
fc^cr  2lrt  ebenfo  menig  auf  bie  5!anjcl  gehören,  mie  mir  bcn  9Ilt* 
gläubigen  bic  Darbietung  i^rer  2:^eoIogic  geftattcn.  3)afür  muffen 
befonbere  (Sctegen^citen  gcf^affen  merbcn.  Unb  menn  bann  auf» 
mertfame  Scutc  in  unfern  ^rebigtcn  nid)tS  l^ören  oon  bem,  maS 
mir  in  bem  SJortrag  gefagt  ^aben,  bann  merbcn  mir  fic  leicht 
barüber  belehren  fönnen,  bajj  bie  ^rebigt  anbre  9Iufgabcn  ^at 
unb  ba^  unfre  SBa^r^aftigfcit  gcmafirt  ift,  menn  mir  nur  nichts 
©ntgegcngcfc^tcS  im  SBcrglcic^  mit  bem  SJortrag  fagen.  SlnbcrcS, 
aber  nichts  Sntgcgcngcfc^tcS;  baS  merbcn  mo^tmeinenbe  unb  oev- 


9^  i  e  b  e  r  9  a  11 :  ^ic  moberne  ^rebißt  269 

ftänbige  Scutc  begreifen,  unb  pon  bcn  anbctn  muffen  wir  un§ 
eben  „boppelgüngig"  freiten  laffen. 

b)  9luc^  ben  p  r  a  1 1  i  f  d)  e  n  Sßerirrungen  bev  3eit  gegenüber 
ift  bie  befte  SBeife  bie,  ba§  man  bie  entgegengefe^te  ©ehe  am 
Soangelium  ^erau^te^rt,  auftatt  ju  fc^ilbern  unb  gu  fd^elten,  maS 
oer!c^rt  ift.  2Bir  muffen  un^  gewönnen,  unfre  Rraft  immer  me^r 
in  bcm  einfad^en,  unmittelbaren  3^w9"i^  ^^^n  ben  großen  ^eiffräf« 
tigen  ©ütern  unb  Gräften  ju  fuc^en,  nid^t  in  unfern  SReflejionen 
unb  2lrgumentationen.  ©tauben  ^ei^t  aud^,  ber  9Wad^t  ber  3BaI|r'= 
^eit  über  bie  9Menfc^en  oertrauen. 

4.  SBie  foßen  mir  e§  t)alten  mit  ben  anbern  mobemen  Seu» 
ten,  bie  permöge  i^rer  tieferen  Seelenart  mieber  ein  SBerftänbniS 
für  religiöfe  3)inge  gemonnen  ^aben?  9tur  nid^t  an  fie 
allein  beuten !  ®enn  ma§  t)eute  bei  i^nen  aWobe  ift,  fann  morgen 
fdjon  mieber  übermunben  fein;  ift  e§  boc^  jum  Jeil  ein  fel^r 
unru^ige§,  nafc^^ofte§,  fat)rige§  ©ef^le^t.  2lber  natürlich  gibt  e§ 
auc^  anbere  barunter,  bie  ein  mirftic^e^  SBerlangen  na^  guter, 
ftarfer  ©peifc  t)aben.  ®enen  biete  man  fie,  na^bem  man  ft^  pon 
bem  SSerlangen  überjeugt  ^at,  mo  immer  man  mit  i^nen  ju  tun  ^at, 
einfa^  unb  treu,  o^ne  ^olemif  unb  Slnfpietungen,  oline  geiftrei^ 
c^elnbeS  2lnpaffen  an  i^ren  ©efc^madt,  allein  geleitet  pon  bem 
ftoljen  93emu§tfein :  Qi)  t)abe  unb  gebe  euc^,  ma§  i^r  f uc^t !  93on 
bo  au§  faßt  ein  Sic^t  auf  bie  befonbere  Slufgabe  ber  fo  fe^r  uer^* 
na^lofftgten  Äafualrebe,  bie  bie  meit  in  ba§  geinbesilanb 
porgefc^obene  9lpantgarbe  unfrer  geiftlic^en  2lrmee  ift.  SBer  an 
ben  großen  Stationen  be§  2eben§  in  gebilbeten  Käufern  ober  auf 
bem  Sir^^of  unaufbringlid)  leifc  Söne  anfc^lägt,  bie  bem  ©e^nen 
entgegentommen,  ftatt  in  feinem  gewohnten  Äird)enftil  eine  SSier* 
tetftunbe  ju  falbabern  unb  bie  Seute  ju  langmeilen,  ber  ift  ein 
3Keifter.  2lber  immer  feft  unb  flar  ben  ett)ifd)^religiöfen  ®^a* 
ratter  unfrei  ®pangelium§  bel)aupten,  niemals  ^Religion  um  ben 
"ißreiö  ber  St^it  pertaufen!  3lur  nid^t  bie  äftt)etifierenbe  3)^ca» 
benceftimmung  mit  ©c^ön^eit  unb  SWgftif  füttern,  um  rüdfgrat^* 
lofe  SSeic^tiere  in  Stimmungen  fdjmelgcn  ju  laffen !  S)a§  Sleft^e* 
tifc^e  unb  bie  ©timmung§arbeit  müdere  nie  ju  einem  felbftänbigcn 
gaftor  empor,  fonbern  begnüge  fi^  ftet§  mit  ber  ©teltung  ber 

19* 


270  91  i  e  b  c  r  9  a  U :  Die  mobevnc  '4^rcbiöi.' 

3Infnüpfung  unb  be§  Ornamente^.  2lu§  aller  3Wijftif  trete  flar 
unb  f^arf  ^erau§,  bog  e§  ft^  um  ben  ©eroinu  einer  ©eele,  eine§ 
ftarfen  unb  für  anbere  ^^ntereffen  felbftloö  aufgef^Ioffenen  S^araf« 
tcr§  l^anbelt.  Unfre  ^oeten,  g  r  e  n  f  f  e  n  unb  9t  a  u  m  a  n  n,  t)a* 
ben  wir  ba  häufig  an  ber  ®renje  getroffen;  fo  fe^r  wir  un§ 
über  bie  großartige  SBerbreitung  i^rer  ^rebigten  unb  Slnbad^ten 
freuen,  fie  fmb  roo^l  me^r  unter  bem  äft^etif^4iterarifc^en  ®e= 
fi^tSpunft  gelefen  unb  genoffen  roorben,  aU  un§  re^t  ift.  kleben 
biefer  müben  ober  genußfüd^tigen  @timmung§fu^t  gilt  e§  and), 
ben  tulturmüben,  erfc^Iaffenben  ®eift  9Iften§  ju  befämpfen,  l^eiße 
er  nun  Schopenhauer  ober  Jolftoi;  nur  foß  man  i^m, 
wie  immer,  meniger  burd^  ®onnern  unb  3lrgumente,  al§  mit 
bem  frotien  unb  ftarfen  3^w9"i^  ^^^  ^»^^ft  unb  be§  ®(auben§ 
entgegentreten.  Slber  ^ier  lauert  ein  geinb,  ben  bie  meiften  nod) 
nid^t  a^nen.  Sie  2:^obe'fd^e  Se^nfuc^t  nac^  neuem  ®lauben 
unb  neuer  Siebe  famt  ber  Srtöfung  mirb  fid)  nod^  au§  ber  ©p^äre 
ber  intereffanten  Stimmung  ^erau^juentmirfeln  ^aben,  e^e  fie  für 
unfre  Slufgabe  in  93etrac^t  tonunen  fann. 

2lllei§  in  allem:  moberne§  ©oangetium  unb  moberner  9Jlenfc^ 
geben  man^ertei  Slnregung  ju  moberner  ^^rebigt.  Slber  ^rebigt 
bleibt  ^rebigt,  ba§  ift:  erbauliche  ©elbftoerftänbigung  ber  ®e^ 
meinbe  über  i^r  ®lauben.  Sieben  unb  |)offen.  ^m  ®egenfa^  ju 
0.  ©aumgarten  glaube  ic^,  baß  bie  euangetiftifc^e  Slrt  immer  me^r 
au^juf^tießen  ift,  je  mel^r  bie  neue  3^'*  wn§  auc^  im  3)orf  nur 
Ontereffierte  in  bie  Rird^e  bringt,  ^n  bem  9Kaße,  atö  bie  Ouan* 
tität  abnimmt,  nimmt  bie  Qualität  su. 

SBaS  fagen  ©oangelium  unb  moberne  3^it  über  bie  2lufgabe 
ber  ^rebigt? 

93ring  ot)ne  ^^J^rafen,  !uri,  fraftootl,  anfct)aulic^.  Mar,  per* 
fönli^e§  Seben  in  gefc^ic^tlic^en  ®eftalten,  im  eigenen  ßeugni^ 
jum  ®en)inn  oon  g^i^ben  unb  Äraft,  in  einer  ben  befonberen  35er* 
mtniffen  beiner  ®cmeinbe  angepaßten  SBeife  bar! 

SBotlen  mir  analgfieren,  bann  fagen  mir:  ba§  moberne  ®oan* 
gelium  bietet  bie  9torm,  ba^  moberne  93emußtf ein  bie  5orm, 
ja  ni^t  umgefe^rt;  benn  e§  gibt  feine  oon  bem  ®uangelium  ge* 
botene  Jorm,  nod^  gibt  baö  moberne  93cmußtfein  bie  9lorm.   3)ie 


9t  i  e  b  c  r  0  a  n :  ^ie  mobcrnc  ^rebigt.  271 

%ovn\,  a(fo  bic  9iüdffi^t  auf  bic  mobetnen  ®er^ältniffc  im  2lu§cn* 
unb  Qmicnlcbcu,  ift  allgemein  oerpflid^tenb ;  (Streit  t)errfd^t  über 
bie  9torm.  9Benu  unfre  Ueberfic^t  jcigt,  ba^  bie  mobern  geriet* 
tete  2:^eologie  am  liebften  bem  mobernen  9Wenf(^en  in  [eine  Qn-^ 
tereffen  ^ineinprebigt,  fo  ift  ba§  Mar  ju  bcgrünben ;  benn  fte  i)at 
gleifd)  von  feinem  gl^ifc^  unb  93ein  oon  feinem  93ein,  unb  üor 
allem,  fie  fie^t  in  i^m  nic^t  einen  böömilligen  2lbtrünnigen,  fonbern 
liebt  it)n  al§  bie  l)eutige  2lu§gabe  be§  ®otte§geban!en8  „ÜWenfd^". 
3)er  SBetteifer,  i^n  ju  geroinnen,  begeiftre  bie  oerfd^ieben  rebenben 
33rüber  im  ©lauben:  ®r  ift  e§  roert,  benn  aud^  er  ift  nad^  unb 
au  ®otte§  öilb  gefc^affen. 


J^crlag  tion  X  €.  B.  Do^r  Oaul  ;5iebB*)  tn  (Itübingcn. 

(S(^7ißU4^e   ^batUcn    für    btc    ©uc^cnbcn    unferer    S^xt    gefammeU  von 
21.  Zerret.    8.    1905.    9W.  2.-.    ©ebuttbcn  m  8.-. 


XkviMidfC^  Ceben.    ^rcbigten  oon  emft  9lorff3,  gJapot  in  Dgnabrücf. 
8.    1905.    9W.  2.-.    Oebunbcn  3».  3.50. 


5»ÖIf  PfeMjjlen.    Söon  f  D.  ^llfrcb  $  cgi  et,  ^tofcffor  bcr  a^eologic 
an  bct  Uniocrfitat  a:übin9cn.    8.     1903.     SW.  2.25.     Oebunben  Tl.  3.—. 


5»8lf  PfeMgkn  ©on  2lborf  SJilfinßcr,  tpcilanb  ^rälat  unb  DberH^ 
prcbißcr.    8.    1902.    9Jl.  1.80.    Äattoniert  HW.  2.40. 


Dae  5iet  1>Cö  IPoIlend.  ^rcbigten  gegolten  in  ber  bcutf^cn  coangclifc^^ 
reformierten  ^irc^e  ju  JJranffurt  a.  SW.  t)on  Pfarrer  6ric^  3^oerfter. 
a    1902.    9W.  2.20.    ®ebunben  9Jl.  3.—. 


Die  stimme  Jefu  in  bev  Qkqenwavt.    ^rebigten  unb  »etra^tungen  oon 
$.3i«9Jeif/  früher ?apor prim. in Öiegnitj.  8.  1904.  9W. 4.—.  ®eb.3W.4.80. 


Pfebigteu  übet  XOovte  Jefu.     ^on    3  o  M  n  n  e  §   S3  a  u  e  r.     8.     1903. 
aW.  2.—.    kartoniert  9W.  2.60. 


Set  WpUct^e  IDefl  bee  Paulue.  ^rei  ^rebigten  über  bag  bretje^nte  ^a^ 
piter  beg  erften  ^orint^erbrief e§  t)on  Lic.  go^anneS  ©auer,  ^ro^ 
f effor  ber  5:t)eorogie  in  9Warburg.  ^(ein  8.  1904.  ®e^.  mit  ^otf c^nitt  HW.  —.80 

Ptebigten  am  bev  9kiCnwavt  «on  D.  D.  S3  a  u  m  g  a  r  t  e  n ,  iProf effor 
an  ber  Unioerfität  ^cl.  8.  1903.  m.  3.50.  ©ebunben  in  Seinroanb 
2R.  4.50,  in  %ud)  9W.  5.—. 


2(Uö  bet  Dotftir4^e.     3e^n  ^rebigten  t)on  ^.  $  e  f  f  e  ( b  a  c^  e  r,  Pfarrer  in 
9'ledaraimmem  (93aben).    a    1905.    3W.  150.    ®ebunben  aw.  2.40. 


Pfö'ttnet  8ct)Mlprebiflten.    söon  ^.  §.  ^a^nde.  a   1905.  m.  1.50.  ®e^ 

bunben  2W.  2.30. 

Ptebigt'Ptobleme.  Hauptfragen  b.  ^eut.  ©üangelium§Derfunbigung.  33on 
D.  D.  S3aumgarten.  dritte«  Saufenb.  8.  1905.  9W.  1.80. 
©ebunben  Tl.  2.50. 


l^rlag  DOtt  X  (E.  B.  Düftr  (Paul  ^xthttk)  in  ÄübingBn. 

Lic.  theol.  ^*  TXichcv^aU, 

im  Äonfirmanbenunterric^t. 
8.    1903.    an.  1.60. 


Clin  ^füh  }nx  (^mx^i^tü. 

stein  8.    1902.    5IM.  1.-. 

O^rtt  in  Cirilfniltts. 

(Öefte  jur  ^C^riftlit^n  fBelt"  40.) 
8.     1899.    Tl   —.60. 


IS^ic  preöiaen  tPtr  6em  moöernen  ISlenf^en? 

(Erfier  Seil:  (Eine  Untet?fuc^ung  übet  Wiotm  uni>  (Quietipe. 

3t9eite,  buri^gefe^ette  lluflage. 

fiey.  8.    1905.    2W.  3.-.    ©ebuttbcn  SW.  4.—. 

^ic  ittobctttc  ^rcbtgt^ 

Üadf  einem  Porlrag  im  babifc^^en  »iffenfc^^aftlict^en  Prebiger-Perein 

3U  Äafl6ru(^e. 

C^ntdaften  in  ,,deitff4rift  fftc  Sl^eolnsie  nnb  ftiri^e"  1905,  #(ft  3. 
einaelptcig  be«  §cftc§  ca.  3W.  1.20. 


Ueber  die  Absolutheit  des  Christentums 

Von  F.  Niebergall 

und 
Ueber 

historische  und  dogmatische  Methode  der  Theologie 

Von  E.  Troeltsch, 

Professor  dor  Theologie  in  Heidelberg. 
(Aus  „Theologische  Arbeiten  aus  dem  rhein.  wiasenachaftlichen  Prediger-Verein".    N,  F.  4.  Heft.) 

Gross  8.     1900.    M.  2.—. 


Pastoraltheorie. 

Von  Alfred  Krauss, 

weil.  Professor  der  Theologie  in  Strassburg. 

Durchgesehener  Sondprabdruck  aus  dem  „Lehrbuch  der  praktischen  Theologie». 

Herausgegeben  von 

Lic.  F.  Niebergall^ 

Privatdozent  in  Heidelberg. 

Klein  8.     1904.     Kartoniert  M.  2.—.     Gebunden  M.  2.75. 


273 


f te  ^m^tifxt  in  i>er  mohtxntn  f^frtmn,  IvAiftnftSitn 

fßon 
Lic.  Otto  Sii^eeU 


2:ro^  ber  g^ftigfeit  mit  bcr  bie  altlut^evifc^e  Jauffc^rc  in 
if)rem  fr|ftematifd)en  öau  cinanbet  roibcrftrebcnbc  ©(cmentc  ju* 
fammenget)alten  ^ot,  ftcüt  fic  fic^  boc^  al§  eine  fie^rform  bar,  bie 
unau^geglid^ene  2Biberfprüd)e  unb  ©egenfä^e  in  ftc^  birgt,  ©ie 
f)Qt  in  biefer  gorm  nur  einmal  eyiftiert,  eben  jur  Qext  ber 
^crrf^aft  ber  Ort^oboyie.  ®ie  gegenmärtig  fid)  pofitio  nennenbe 
2:^eologie,  bie  ba0  ®rbe  ber  SSergangenl^eit  gegenüber  ben  9ln* 
griffen  be§  mobernen,  oon  bem  nid)td^riftli^en  ober  unterd)rift* 
liefen  3cit9^ift  fic^  beftimmen  (affenben  „9tationan§mu§"  oertei^ 
bigen  miU,  orientiert  fid)  mo^t  meit^in  an  ben  Darbietungen  ber 
alten  2)ogmatiter,  ertennt  aber  boc^  mel^r  ober  weniger  bie  9tot* 
menbigteit  einer  Äritit  refpettioe  einer  9teubilbung  ber  Se^re  oon 
ber  Jaufe  an,  j.  %.  unter  Berufung  auf  iJut^er  unb  bie  ©c^rift. 
3lx6)t  baburd)  jeic^net  fic^,  fomeit  bie  fpcjieHe  S^age  nad^  bem 
SRec^t  eine§  ©aframentö  ber  2:aufe,  befonber^  ber  ^inbertaufe 
bel)anbelt  mirb,  bie  gegenwärtige  Situation  au§,  ba§  mirtli^  neue 
^rageftellungen  aufgetaud)t  wären,  bie  Se^re  oon  ber  Saufe  alfo 
auf  prinjipiell  anbere  Saf)nen  geleitet  märe,  fonbern  baburd),  ba§ 
man  ein  ftärfere§  ®cfü^l  für  ba§  ^roblematif^e  einer  bogmati* 
f^cn  9le(^tfertigung  be^  @aframent§  ber  ^inbertaufe,  überhaupt 
be^  Oaframent^begriff^  auf  bem  ©oben  be§  eoangelif^en  ©Triften» 
tum§  befi^t  unb  oermittet§  einer  ftrafferen  3)ur^fü^rung  beftimm« 
ter,  f^on  in  ber  aüproteftantifc^en  2^auflef)re  nad)n)ei§barer  ©e« 
bauten  be§  "ißroblem^  ^err  ju  werben  fic^  bemüf)t.    3)a§  ()at  benn 

3eitjc^rift  für  X^cologte  imb  ftirv^e.  15.  3a^rg.,  4.  ^cft.  20 


274    @  (^  c  c  l :  ^ie  2:aufle^tc  in  b.  mobcrncn  pojltit).,  lut^er.  ^ogmati!. 

freilid)  jur  golgc,  ba^  bic  gcgemüärtigc  pofitioc  J^eologic  ^)  ftär^ 
tcrc  SRid^tung^biffcrcnjen  aufroeift,  al§  bic  altprotcftantifd^e  S^co* 
logic.  S)cnn  tücnn  ^icr  bei  ben  oerfd)iebcncn  Sogmatifern  bie* 
felben  ©egenfä^e  in  bcrfclbcn  ©ruppierung  auftreten,  fo  \)at  bie 
moberne  ©ituation  vok  überhaupt  bie  Umgeftaltung  ber  altge^ 
meinen  raiffenfc^aftUc^en  Haltung,  ber  niemanb  tro^  atter  9lepri^ 
ftination  fi^  ju  entjiel^en  oermag,  e§  mit  fic^  gebracht,  ba^  bie 
Ätammern  ber  alten  Ort^obofie  gelodert  mürben,  bie  (Segenfä^e 
beutlid^er  fic^  entfalten  unb  alfo  SRid^tung§unterfc^iebe  begrünbet 
merben  fonnten,  bie  jur  3^it  ^^^  ^errfc^aft  ber  Ort^obofie  nid^t 
möglid)  maren.  3)ie§  berechtigt  aber  noc^  nic^t  ju  ber  9lnna^me 
eine§  DöHigen  9lu§einanberge^en§  ber  einjelnen  erfennbaren  dUd)- 
tungen.  Sine  folc^e  Slnna^me  mürbe  meber  ber  (Stimmung  ge* 
rec^t,  bie  bie  Sßertreter  ber  öerfc^iebenen  3lnfc^auungen  boc^  tro^ 
ber  Don  i^nen  felbft  erfannten  Sifferenjen  jufammentiält  *),  noc^ 
märe  fie  fac^lic^  au^reic^enb  begrünbet;  benn  im  geftf)alten  am 
@atrament§begriff  ift  ba§  @in^eit§moment  gegeben. 

aSon  bem  lutt)erifc^en  5?onfenfu§  entfernt  fi^  am  meiteften 
bie  ©ruppe,  meiere  am  fräftigften  bie  Sefonberl^eit  be§  fatramen^ 
talen  ®^arafter§  ber  Jauf^anblung  geltenb  mad)t  unb  eine  2:en* 
benj  fortführt  unb  tonfequent  entmidtelt,  bie  in  ber  altlut^erifc^en 
Drt^obofie  angebeutet  ift,  bie  ftc^  aber  unter  bem  ffirurf  ber  ge* 
nerelten  @atrament§tt)eorie  nic^t  l)at  entfalten  tonnen.  SBenn 
oorne^mlic^  ^utter  ber  Äonfequeuj  ber  ©aframent§ibee  nac^ge» 
geben  l)at,  ol^ne  jebod^  mirtlid)  al§  Vorläufer  ber  fogenannten 
tl)eofop^ifc^en  ©alrament§lel)re,  mit  ber  mir  e§  I|ier  ju  tun  ^aben, 
gelten  ju  bürfen,  fo  finbet  man  boc^  l^ier  ben  2Intnüpfung§punft 
unb  »erarbeitet  nun  bie  fpejififc^  fatramentalen  ©cbanfen  ^\xU 
ter§  felbftänbig  unb  original  unter  bem  Programm  ber  SBeiter^ 
bilbung  ber  lutl)erifd)en   @a!rament§tel)re.    SSon  bcnjenigen,   bie 

1)  3d)  bcbicnc  mid)  ber  ^rjc  falber  biefe§  mir  ni^t  ganj  f^mpa- 
tbifcf)en  ^u^brucfig,  beffen  3lnfpruc^  in  JJrage  gcftcHt  werben  !ann,  ber 
and)  nic^t  al§  logifd)  ju  gelten  brauet,  ^ud)  ber  SiberaliSmuS  fann 
pofitiD  fein,  ^ne  cinge^enbe  3lu§cinanberfeöung  mu^  ber  fpütcren  %ax=^ 
fteUung  ber  ®efamtcrfd)einung  ber  pofitiocn  5;f)cologie  vorbehalten  bleiben. 

2)  3}gl.  8aul,  3ft  bie  ^inbcrtaufc  bie  Söiebcrgeburt?  ^re^ben  1905 
@.  31. 


8  d|  c  c  I:  %k  3:aufle^tc  in  b.  mobcrncn  pofitiov  lut^et.  ^ogmatif.    275 

nur  bic  alte  J^eoric  rcpriftinieren,  iDcnbct  man  fi^  ab  im  öc* 
iDU^tfcin,  ctn)a§  ^ö^cre§  ju  vertreten  unb  eine  freiere  Stellung  ju 
befi^en.  3)er  Ülorroeger  Ärog^^Jonning  f)at  biefem  ^eroufetfein 
in  feinem  ®u(^  Ord  og  Sakrament  befonberS  beutlid^  Stu^brud 
gegeben^).  ®r  ift  e§  aud^  gemefen,  ber  biefer  neulut^erif^en 
©aframent^t^eorie  meinet  SBiffenö  bie  präjifefte  Formulierung 
gegeben  ^at.  Unter  ben  beutfd)en  2:^eologen  ift  oorne^mlic^  ^org 
}u  nennen  2).  Sine  eigenartige  Uebergang^fteHung  nehmen  2:^eo« 
logen  ber  ©runbtoigfc^en  ©^ule  ein,  bie  bem  SSer^ältniS  oon 
aSort  unb  Saframent,  bem  93egriff  unb  ben  SJlitteln  ber  aBieber^» 
geburt  eingetienbe  Erörterungen  gemibmet  ^aben.  Sefonberö 
^at  ber  ^f)ilofop^  ®.  3B.  fi^ng  in  feinem  ^uc^:  Grundt- 
vigianismen  og  Skrifttheologien  ftc^  mit  biefen  Fragen  befc^äftigt. 

Sgng  fpi^t  ba§  Problem  auf  bie  S^age  ber  ©ünbe  unb  SBieber^ 
geburt  ju.  äBä^renb  bie  „©d^riftt^eologen"  oon  ber  SSorau^^ 
fe^ung  auöge^en,  ba§  ba§  Sbenbilb  @otte§  burd)  bie  ©ünbe 
oöllig  oerloren  fei,  le^re  ber  ®runbtoigiani§mu§  nic^t  ben  oöHigen 
aSerluft;  unb  mä^renb  bie  ©c^riftt^eologen  eine  SEBiebergeburt 
tennen,  bie  me^rfad^  fic^  t)olliief)e  unb  traft  oerfc^iebener  3Wittel, 
nämlid)  traft  ber  Jaufe,  be§  SBorte^,  ber  ^rebigt  „unb  oiellei^t 
noc^  anberer  9Jlittel",  fei  ber  ®runbtoigiani§mu§  ber  Ueberjeu^ 
gung,  ba§  bie  SBiebergeburt  nur  einmal  oolljogen  merbe,  unb 
jmar  oermittelö  ber  Saufe  al§  beö  einjigen  2Wittel§  ber  SBieber* 
geburt.  3)ie  eigentlich  miebergebärenbe  Äraft  tommt  ^ier  bem 
äBorte  ®otte^  im  fpejififc^en  ©inn  ju,  nämlic^  bem  ©atrament^* 
mort,  bem  SBort  ber  (Sntfagung,  be§  ©laubenö  unb  ber  2:aufe*). 
@ut  unb  Söfe  fmb  nic^t  blo|  etma§  ©ubjettioe^,  fonbern  jugleid) 


1)  Bette  gjtelder  ogsaa  om  Philippi,  hvis  dogmatiske  Arbejde  ikke 
saa  meget  gaar  ud  paa  at  b  y  g  g  e  paa  den  af  Faedrene  lagte  Grundvold, 
8om  i^aa  at  fornye  det  17de  Aarhundredes  lutherske  Scholastik,  stöttet 
ved  den  senere  Videnskabs  Midier,     ^rogfl-^onning  o.  a.  D.  S-  35. 

2)  §or^,  bic  3:aufe  al8  ^inbertaufe. 

3)  fii)ng  a.  a.  D.  8.  5:  Det  der  egentlig  bar  gjenfödende  Kraft,  er 
hvad  de  kalder  Guds  Ord  i  udmterket  Forstand,  nemHg  Sakrament- Ordet 
her  Forsagelsens,  Troens  og  DöbeUens  Ord. 

20* 


276    @  c^  e  e  (:  ^ic  5;auf(c^re  in  b.  mobemen  pofltit).,  lut^er.  ^ogmati!. 

reale  SDläc^te  in  un§^).  ^n  bem  un§  feinesroeg^  ben  2lnla§  jum 
©elbftrul^m  gebenben  (Suten  in  un§  finbet  Sgng  bcn  pfpd)oIogi«' 
fc^en  2lntnüpfung§punft  für  bie  SRettung.  S)iefe  Srfenntnig  oon 
bem  natürlid^en  ©^arafter  be§  @utcn  ermöglicht  e§,  ber  SBieber« 
geburt  i^te  eigentliche  ©ebeutung  a(§  Erneuerung  ju  oerlei^en. 
3)enn  fte  befte^t  nid)t  barin,  ba§  ein  ^ft^biüibuum  fubftantieH  oon 
einem  anberen  abgelöft  mirb,  fonbern  barin,  bag  ba§  ^i^bioibuum 
DirtueU  mit  neuen  fiebenSträften  bereichert  roirb  *).  9Jlan  barf 
eben  nic{)t  bie  SBiebergeburt  mit  ber  93efe^rung  oermec^feln ;  benn 
bie  SBiebergeburt  ift  nic^t  al$  fubjeftiüe  ^^ömmigfeit  im  93en)u§t« 
fein  unb  aCBitten  aufjufaffen,  fonbern  ate  etmaS  Objeftioe^,  al§ 
eine  neue  oon  ®ott  felbft  au^ge^enbe  unb  t)on  un§  unabhängige 
SebenStraft.  ®a^  ba§  neue  Seben  rein  objettiü,  „o^ne  fubjettio 
}u  fein"  ^),  ef iftieren  fann,  erfennt  man  an  bem  getauften  ßinbe. 
Sann  mu§  au^  ein  Srmacl)fener  objettio  ®^rift  fein  tonnen  *). 
®a§  in  ber  SBiebergeburt  gegebene  neue  2tbm  ift  bemnac^  eine 
neue  Siaturfraft.  3)arau§  ergibt  fic^  nun  unferem  3)ogmatiter 
im  ^inblidt  auf  ba§  miebergebärenbe  SBort  eine  befonbere  SSor^ 
ftellung.  SBBeber  SJlenfc^enmort  noc^  ©ibelmort  ^at  miebergebä* 
renbe  Äraft.  SBeil  ba§  Söfe  fomo^l  mie  ba§  ®ute  eine  9latur^ 
ma^t  in  unö  gemorben  ift,  genügt  nic^t  bie  ©inmirtung  auf  un^ 
fere  ®rfenntni§  unb  unferen  SBiUen,  bie  bie  ^ibel  befi^t,  bie  aber 
au^  anbere  ©Triften  unb  Sieben,  menn  au^  in  geringerem  (Srabe, 
befi^en^).  3Bir  finb  ^erren  unfere§  2BiIlen§,  aber  nic^t  ^erren 
unferer  -Jtatur;  mir  fönnen  mo^l  bie  Äunbgebungen  ber  Slatur- 
mac^t  mobifijieren,  aber  fie  oeränbern  ober  fte  oöllig  aufgeben 
tawn  nur  biefetbe  9)lad)t,  bie  un§  unfere  Siatur  gegeben  ^at,  näm» 
lief)  @otte§  äBort  im  eigentlichen  Sinn,  ba^  allmäct)tige  ©c^öpfer* 
mort^).     Sin  folc^e§   ©c^öpfung^mort  ift  ba§  SBort  ber  93ibel 

1)  9L  a.  D.  6.  16. 

2)  fii)ng  a.  a.  D.  S.  20. 

3)  Uden  at  vaere  subjektivt.  4)  51.  a.  D.  8.  29. 

5)  Fordi  det  onde  saavel  som  det  gode  er  blevet  en  Natur-Magt  i 
OS,  derfor  er  det  ikke  nok  med  den  Indvirkning  paa  vor  Erkj endeise  og 
Vilje,  som  Bibelen  har,  men  sora  andre  Skrifter  og  Taler  ogsaa  har,  om 
end  i  ringere  Grad.  51.  a.  D.  B.  36. 

6)  ©.  37. 


@  ^  c  c  (:  %it  3:auf(c^rc  in  b.  mobemen  pofitiOv  lut^cr.  S)ogmatif.    277 

nid)t,  hai  ftd)  an  33cn)u6tfcin  unb  SBBitten  rocnbet.  6§  ift  etn)a§ 
nötig,  maS  bic  ©c^rift  nid)t  \)at,  bie  perfönlid^e  ^inroenbung  be§ 
SEBortcg  an  ben  einjelncn,  bic  im  münbli^cn  SSort  gefc^ic^t;  unb 
bie§  Icben^träftigc  münblid^c  SBort  ^aben  roit  im  ©atramenW* 
mort,  \>ai  feine  mefentlidie  ©ebeutung  afö  Jeil  einer  ^anblung 
^at.  3)a§  ©^riftentum  ift  bemna^  mefentUc^  eine  fatramentale 
Sieligion^).  ®^riftu§  felbft  t)at  angeorbnet,  ba^  bie^  lebenbige 
SEBort,  meiere«  allein  bie  SBiebergeburt  mirft,  immer  auf«  neue 
an  jeben  einjetnen  SWenfc^en  herangebracht  werben  foU.  @ben 
bie§  SBort  mu|  mieber^olt  werben,  nic^t  blo§  feinem  Q^n^alt  nac^ 
miebergegeben  werben.  S)enn  c§  ^anbelt  fid)  ^ier  nic^t  um  bto§e 
SBa^r^eit^bele^rung,  fonbern  um  bie  roirMic^e  ©cgenroart  unb 
aWitteilung  beö  ^errn  felbft^).  Unb  eS  mu§  einleuchten,  ba§ 
6^riftu§  nidjt  jugcgen  fein  fann  unb  nic^t  fxd)  felbft  unb  fein 
Seben  mitjuteilen  üermag,  roenn  nidjt  gemiffe,  beftimmte  3Borte 
unoeränbert  nadj  feiner  eigenen  Slnorbnung  mieber^olt  werben; 
wenigftenig  fo  weit  e§  möglid)  ift.  Senn  bie§  ^^ft^alten  beS  ^oxU 
laute«  will  Sgng  nic^t  im  ftrcngften  ©inn  oerftanben  wiffen*). 
©0  tommt  ba«  Jaufwort  allen  Slnfprüc^en,  bie  man  an  ba« 
lebenbigmac^enbe  SBort  ftellen  fann,  in  befriebigenber  aOBeife  ent^ 
gegen,  unb  fiijng  meint  mit  biefer  J^eorie  bie  rechte  SDlitte  inne 
ju  galten  jwifc^en  bem  Äat^olijiSmuS,  ber  in  ber  3Biebergeburt 
eine  objeftioe,  jauber^afte  Sßeränberung  ber  menfd)lic^en  9latur 
crblidtt,  unb  bem  ultraproteftantif^en  ©ubjeftioi^mu«,  ber  bie 
Slettung  nur  al«  eine  93eric^tigung  ber  ©rtenntni«,  eine  fiäute* 
rung  ber  Oefü^le  unb  eine  JJorrettur  be§  SBillen«  anfielt. 

®ie  l)ier  üon  figng  vorgetragene  J^eorie  erwerft  junäc^ft  ben 
(Jinbrudf  einer  erfrif^enben  ©ic^er^eit  unb  ©efc^loffen^eit.  2llle« 
wirb  auf  ba«  Seben  fc^affenbe  münblic^c  9Bort  geftellt  unb  bamit 
jugleid)  bie  für  ba«  religiöfe  Seben  fo  wichtige  Unmittelbarfeit 
unb  pcrfönlic^e  ^ejie^ung  garantiert.  ®a§  ber  33ucl)ftabe  tötet, 
aber  ber  ®eift  lebenbig  mac^t,  ba«  ift  ba«  überall  ^inburcl)flin» 
genbe  SKotio  biefer  2:aufle^re.    ©emeffen  an  ber  altlut^erifcl)en 

1)  S.  46.  2)  51.  a.  D.  ©.  52. 

3)  Denne   Fastholden   af  Ordlydeii  kan  her    naturligvis    ikke 
forstaaes  i  strengeste  Forstand. 


278    @  c^  e  e  I:  ^ic  3:auf(e^rc  in  b.  mobcmen  pofitiov  lut^er.  Dogmatil. 

Jauflc^re,  f^cint  fte  bic  bort  trcibenbcn  3Jlotiüe  aufgenommen  ju 
^oben,  o^ue  bie  ©c^mäc^en  bcr  ffiarftellung  unb  Sßerfnüpfung  ju 
teilen.  9Wit  ber  altlut^etifd)en  allgemeinen  ©atrament^le^re  eignet 
i^r  ba§  entfc^iebene  Eintreten  für  bie  bominierenbe  (Stellung  be8 
SBorteg;  mit  ber  fpejiellen  Sauflefire  oerfnüpft  fie  bie  energifc^e 
93etonung  be§  fatramentalen  ®^arafter§  ber  2:aufe.  ^a  Sgng 
flel)t  noc^  meiter,  menn  er  überl^aupt  ba§  ®t)rtftentum  als  fafra^ 
mentale  Sieligion  aufgefaßt  fe^en  miH.  3)ie  :3bee  be§  münblid^en 
SBortS  vereinigt  in  ftd^  beibe  3Jlotioe,  ba§  faframentale  fomol^l 
mie  ba§  ^f^^^^^ff^  öm  SBort.  (Sleid^jeitig  oermag  fie  jeben  bot^ 
trinären  unb  geiftlofen  ^ntellettuali§mu§  ab}umef)ren.  S)er  SBiber^ 
fpruc^  enbli^,  ber  un§  in  ber  altlut^erifi^en  SSel^anblung  ber  Sr- 
mac^fenentaufe  unb  Äinbertaufe  begegnet,  ift  befeitigt,  fofern  bem 
münblic^en  SBort  allein,  aber  anö)  ju  jeber  Qtxt,  roiebergebärenbe 
Kraft  jugefc^rieben  mirb.  ©o  tonnte  man  in  ber  auf  @runbtoig§ 
2:l)eologie  jurüdfgeljenben  2lnfct)auung  Sr)ng§  bie  2:f)eorie  ju  finben 
meinen,  bie  eS  möglich  gemacht  l)abt,  ben  altlutf)erifd)en  Qntereffen 
gered)t  ju  merben,  o^ne  beren  ©d^mäd^en  unb  Unfic^erlieiten  ju 
teilen. 

ajian  roirb  in  ber  Sat  einräumen  bürfen,  ba§  bie  Unfic^er" 
f)eiten,  bie  bei  ber  Setrad)tung  ber  altlutl^crifc^en  Slnfc^auung  un§ 
entgegentritt,  in  ber  S^eorie  SgngS  nid)t  enthalten  ftnb.  3)a§ 
fpric^t  aber  nod^  nic^t  für  bie  SRic^tigteit  ober  9lnne^mbarfeit  ber 
3:l)eorie  SgngS.  3)enn  e$  tauchen  anbere  Unflarl)eiten  unb  an* 
bere  ^ebenfen  auf,  bie  nic^t  meniger  firmer  wiegen  al§  bicjenigen, 
ber  feine  SE^eorie  au§  bem  3GBege  jU  ge^en  gemußt  ^at.  S§  barf 
fd^on  barauf  ^ingeroiefen  merben,  baJ5  Sijng  e§  gar  nid^t  oermoc^t 
^at,  feine  Jljefe  fo  ejatt  burd^jufü^rcn,  löie  bie  eigenen  93orauS^ 
fe^ungen  e§  forbern.  Sgng  mugte  im  ^^ntereffe  ber  oon  i^m  be* 
^aupteten  Objeftioität  be§  münblid^en  SBorte^  bie  ^orbcrung  auf* 
ftellen,  ba|  ba§  üon  ®f)riftuS  gefproc^ene  faframentale  SBort  mie* 
ber^olt,  nid^t  blofe  feinem  ^n^alt  nac^  miebergegeben  werben  muffe. 
®enn  nur  bie  unoeränberte  S!Bieberl)otung  beS  faframentalen 
3Bort§  oerbürgte  bie  mirflic^e  (Segenmart  ß^rifti  unb  bemjufolge 
bie  3Witteilung  be§  fiebenS.  SJJan  mü^te  alfo  erioarten,  ba^  Sgng 
alles  tut,  um  ben  SBortlaut  ju  fid)ern.    S)aS  ift  aber  jur  großen 


@  c^  c  c I:  2)ic  aauflc^rc  in  b.  mobcmcn  pofltbv  lut^er.  ^ogmotit    279 

Uebcrrafd^ung  be§  Sefer^  nid)t  bcv  gatt.  Qa  Sgng  meint  [ogar, 
man  bürfc  „natürlid)  nid^t"  ein  ftrcngc^  gcft^altcn  am  SBortlaut 
forbcm.  Sic  oon  figng  ^icr  oorauSgefct^tc  ©etbftDcrftänbUc^tcit 
bcr  Sinfdiränfung  ift  aber  fo  wenig  felbfloerftänbli^  ober  „na« 
türlic^",  ba§  man  oielme^r  auf  ba§  ^öc^fte  befrembet  mirb.  SRan 
oerfte^t  allerbingg,  mie  Sgng  ju  biefer  ©infc^räntung  gcfommen 
ift.  3)ie  ^iftorifc^e  Sritif  erf^üttertc  bie  3uoerftc^t  jum  aCBortlaut 
be§  „Heinen  3Borte§"  au§  bem  aWunbe  be§  ^erm.  3wnä(^ft  allere 
bing§  fönnte  e§  ben  Slnfc^ein  t)abcn,  aU  befinbe  ftd^  figng  im 
9Sortcil  gegenüber  ber  Sd^riftt^eotogie.  S)eun  au^  menn  man 
bem  2:aufn)ort  gegenüber  nid)t  aller  Sritit  entraten  formte,  fo 
fc^ien  boc^  bie^  Keine  3Bort  oiel  leichter  fritifc^  fic^cr  geftetlt 
merben  ju  tonnen,  al§  ber  Xejt  ber  neuteftamcntlic^en  Schriften. 
2lber  ber  SBorteil  mar  bod)  nur  fd^einbar.  3)enn  einmal  mar 
prinjipieU  bie  2:e5tfritif  jugelaffen  unb  bamit  einem  ftet§  oor^an^ 
benen,  menn  aud^  oielleic^t  nur  latent  oorl)anbenen  ©lement  ber 
Unfid)er^eit  SJaum  gegeben,  ©obann  geriet  man  oiel  ftärter  al§ 
innerhalb  ber  oon  Sgng  betämpften  ©^rifttt)eologie,  b.  ^.  ^nij' 
ftabentlieologie,  in  Slbl^ängigteit  oom  ©uc^ftaben.  2)er  ^uc^ftabe 
erhielt  de  fact^  eine  ^ebeutung,  bie  ber  al§  unpneumatif^  ana* 
t^ematifierten  Sc^riftt^eologie  fremb  mar.  SBeit  entfernt  baoon, 
ben  gormelbienft  ju  oermeiben,  mufete  Sgng^  2^^eorie  grabe  ba§ 
gormelmefen  begünftigen,  ganj  abgefe^en  baoon,  ba^  ber  einjelne 
®^rift  in  feinem  ß^riftenleben  ben  Slefultaten  ber  miffenfc^aft- 
liefen  6r!enntni§  untergeben  mirb  unb  prinjipieU  betrad^tet  jeber 
einjelne  ein  fpejififd)  religiöfe§,  nämlid^  ein  ©eligfcit^intereffe  an 
eigener  miffenfc^aftlid^er  @rfenntni§  ber  lebenfpenbenben  gormel 
befi^en  ober  geminncn  mu^.  @ben  biefe  2lb^ängigteit  oon  ber 
gormel  aber  mollte  Sring  oermittel§  be§  SRüdgang^  auf  ba§  le* 
benbige  9Bort  oermeiben.  Unb  enblid)  ermeift  fic^  ba§  Q\t\,  ha^ 
o^ne^in,  religiös  angefe^en,  nic^t  leiften  tonnte,  ma§  e§  leiften 
foHte,  aU  unerreid^bar.  Sgng  mu§  im  ^inblidf  auf  ben  mirf» 
liefen  ©ac^oer^alt  auf  bie  g^rberung  oerjic^ten,  bie  er  eingangs 
auffteHte.  2)amit  fügt  er  aber  feinem  eigenen  ^au  einen  un^eil* 
baren  9ti^  ju.  SEßenn  fc^on  bie  ^iftorifct)e  Sritit  bie  Unoeränber^^ 
lid)teit  ber  gormel  unmöglid)  mad)t,  bann  ift  eben  bie  Objetti«^ 


280    @  (^  e  e  l:  ^ie  a:auf(cl)rc  in  b.  mobernen  pofitiOv  Tut^et.  ^ogmatit 

oität  Einfältig  gcroorben,  in  bercn  93cfi^  fid^  Sgng  junä^ft  ber 
fubjcftioen  ©c^viftt^eologic  gegenüber  raupte.  ®crabe  baS  SWo^ 
ment,  ba§  allein  SgngS  2:^corie  ^ätte  ftü^en  fönnen,  voixh  oon 
i^m  felbft  preisgegeben.  @r  löft  alfo  unter  bem  ®rucf  ber  %aU 
fa^en  fein  eigene^  ©gftem  auf.  3)aran  änbert  ba§  Äompromi^ 
ni(^t§,  auf  ba§  er  fi^  einlädt.  S)enn  ^ier  ift  jebeS  Äompromig 
oom  Uebel;  e§  bebeutet  ben  SSerjic^t  auf  bie  3)urc^fü^rung  grabe 
be§  cntfct)eibcnben  ©ebantenS.  Slnfa^  unb  2lu!§fü^rung  fc^wäc^en 
fid)  gegenfeitig. 

^at  aber  Sijng,  um  oon  ber  S)urc^fü^rung  abjufe^en,  vot- 
nigften§  im  2lnfa^  bie  aufgefteHte  2:^efe  glaubhaft  gemad^t? 
2)er  2lnfa^  beftanb  ja  in  ber  JBorauSfe^ung,  bag  nur  in  bem 
üon  6^riftu§  angeorbneten  münblid)en  SBort,  fofern  eS  lieber* 
^olt  wirb,  Seben  mitgeteilt  mirb.  2)iefe  2:^efe  entölt  jmei  ®e^ 
bunten.  3""ä^ft  gilt  cS  ben  Stac^mciS  ju  führen,  ba^  bie§  fa« 
framentale  Xaufmort  oon  ß^riftuS  ftammt,  unb  fobann,  ba§  nur 
im  fog.  münbli^en  SBort  6^riftu§  jugegen  fei,  alfo  nur  ba§ 
münblic^e  SEßort  miebergebärenbe  Sraft  beft^t. 

3)en  erften  93en)ei§  bleibt  Sgng  fc^lec^t^in  f^ulbig.  @r  oer- 
ji(^tet  auSbrücflic^  auf  ben  ^iftorifc^en  SSemeiS  bafür,  baj5  ba§  Xan^^ 
mort  auf  ß^rifti  Slnorbnung  jurücfge^e,  üerquictt  aber  glei^« 
jeitig  biefen  SBerjic^t  mit  einer  SRefleyion  bogmatifc^er  Statur  über 
bie  ©egenmart  ©l^rifti  im  SBort  3)a§  ba§  mirtungSträftige  Sauf* 
mort  auf  ®f)rifti  Slnorbnung  jurücfgel^e,  fönne  man  ebenfomenig 
^iftorifd^  jmingenb  bemeifen,  mie  bie  i^rem  ^^n^alt  nac^  boc^  eben* 
falls  ^iftorifd)e  2lnna^me  ber  Offenbarung  ©otteS  im  gleifd^  vox 
2000  <3a^ren.  3)iefe  2lnalogie  ift  aber  rec^t  unglüdlid)  gerodelt. 
®enn  fie  ^at  ju  i^rer  SBorauSfe^ung  bie  Sermed^Slung  eineS  l)i* 
ftorifd)en  Urteils  mit  einem  ©laubenSurteil.  3)aS  ©laubenSurteil 
märe  fein  ©laubenSurteil  me^r,  wenn  e§  in  l^iftorif^en  Semeifen 
beftänbe;  unb  f)iftorifc^e  Urteile  als  Urteile  über  ^iftorifc^  ju  er- 
fennenbe  Satfad^en  finb  unabhängig  Don  bogmatifc^en  ©laubenS* 
urteilen.  ®ie  grage  na^  ber  Offenbarung  ©otteS  im  gleif^  ift 
ein  folc^eS  ©laubenSurteil;  bie  ^rage  aber  na^  bet  oon  S^riftuS 
Dolljogenen  2lnorbnung  beS  2:aufroortS  in  bem  üou  Sgug  bamit 
üerfnüpften  Umfang  unb  ^n^alt  ift  t)iftorifc^er  9iatuv  unb  mu§ 


<S  c^  e  e  (:  %xt  a:auf(e^rc  in  b.  tnobcmcn  pofitiov  lut^cr.  5)ogmati!.    281 

auf  bem  SBegc  be§  ^iftotifc^en  ®r!enncnS  cntiocber  gclöft  locrbcn, 
ober  aU  unlösbar  betrachtet  werben,  roenn  nic^t  gar  bie  Unge» 
fc^ic^tlid^teit  erroiefen  wirb.  2lnbere  2Rögttd^!eiten  gibt  e§  nic^t. 
@ine  auf  ^iftorifd)em  SBege  erfolgte  SBeja^ung  tennt  ßgng  nic^t, 
tann  er  aud^  nid^t  fennen,  roeil  ber  93en)ei8  unmöglich  ift.  S)ie 
beiben  anbercn  SWögüc^teiten  fmb  ober  tötlid)  für  feine  S^eorie. 
©0  fuc^t  er  bie  3Birf(id)teit  ju  retten,  inbem  er  in  fad)ti(^  nic^t 
gerechtfertigter  SEBeife  bie  S^^ge  nad)  bem  ^iftorifd^en  S3en)ei8  um^ 
ge^t  ober  ablehnt,  unb  nun  fic^  auf  bcn  religiöfen  ©rfa^rungS* 
beweis  refpettioe  baS  religiöfe  ^oftulat  beruft,  3Wan  foll  e§  mit 
einem  ©laubenSfa^  gu  tun  ^aben.  3)a§  ®^riftu§  in  feinem  SBort 
bei  uns  ift,  baS  glauben  loir,  roeil  mir  erlenncn,  ba§  eine  blo&e 
Hunbe  uns  nic^t  retten  fann,  fonbern  nur  bie  Oegenmart  S^rifti 
fclbft.  @S  ift  baS  ^eilSbebürfniS,  mcl^eS  unS  antreibt,  feine 
Offenbarung  im  ©aframentSmort  anjune^men.  S)er  SSeroeiS 
„mu^te  ein  ©laubenSbemeiS  werben^)".  3Wit  ber  ©rfenntniS  oon 
ber  ©yiftena  beS  S^riftentumS  auf  ®rben  ift  bie  ©rfenntniS  eincS 
„urfprünglic^en  unb  apoftolifc^en  3BortS"  gegeben.  S)ann  meig 
man  aber  auc^,  n?elct)eS  bieS  urfprüngli^e  unb  apoftolifc^e  SBort 
ift.  darüber  fei  man  auc^  nie  in  Unfic^er^eit  gemefen.  2)enn 
noc^  niemanb  \)abt  behauptet,  ba^  ein  anbereS  2:aufformular  ur- 
fprünglic^er  gemefen  fei,  als  baS  üblict)e.  Sie  9lid)tigteit  biefer 
legten  ^e^auptung  f oH  nic^t  geprüft  werben ;  ber  Äern  ber  Sacl)e 
ift  ber  ^ier  d^aratterifierte  beweis.  3Jlit  biefem  (SlaubenSbemeiS 
^at  fid)  fiqng  nxdjt  nur  auf  ein  re^t  bcbenflic^eS  ©ebiet  begeben, 
fonbern  gerabeju  einen  SBeg  betreten,  oor  bem  bringenb  gewarnt 
werben  mu^.  3)iefe  SBarnung  tonnte  SBefrembcn  erregen,  wenn 
boc^  anertannt  werben  foll,  ba&  allein  ©laubenSbeweife  in  einer 
eoangelifc^  beftimmten  Sogmatif  juläfftg  ftnb.  2lber  man  barf 
burd)  SEBorte  fic^  nic^t  irre  fül^ren  laffen.  9)er  ©laubenS  beweis, 
ben  Sgng  forbert,  ift  nic^t  ibentifc^  mit  bem  (SlaubenSbeweiS,  ber 
jum  gunbament  einer  jeben  bogmatif^en  (Erörterung  gemacht 
werben  mu§.  2)er  einjig  pläffige  ©laubenSbeweiS  rul^t  auf  ber 
Ueberjeugung  oon  ber  SEBirflic^feit  unb  ©ültigfeit,  refpettioe  93er* 
binblic^fcit  einer  Sunbgebung  unb  2:atfad^e,  bie  fid)  an  baS  @e» 

1)  ^.  a.  D.  ©.  54. 


282    @  c^  c  c (:  ^ic  3:auflc^rc  in  b.  mobcmen  pofltit).,  lut^cr.  ^ogmotit 

lüiffen  roenbet,  a(§  tatfa^Uc^e^unbgcbungoon  icbcm  ancrf annt  rocr« 
ben  tann,  al§  ücrbinbtic^c,  normatioc  ^unbgcbung  nur  t)or  bcm 
®cn)iffcn§urtcil  bcftc^t.  ajJit  bcm  üon  figng  poftulicrtcn  ©lau« 
bcn§bcn)ci^  ocr^ält  c§  ftd^  umgctc^rt.  ^icr  probujicrt  ober  po» 
ftuliert  ba§  ©ubjcft  bie  2:at[ac^c  auf  ®runb  eincö  unbcfriebigten 
®cbürfniffc§ ;  noc^  genauer,  e§  poftuUert  ni^t  ein  ©laubenSur* 
teil,  fonbern  eine  Satfac^e,  bie  i^rer  9iatur  nad)  ben  SRitteln  be8 
^iftorifc^en  @r!ennen§  unterfteßt  ift.  Slber  Sgng  überfielt  nic^t 
blo%  ba§  er  mit  biefer  Operation  einer  ©ebietSüermengung  fic^ 
f^ulbig  mad)t,  er  oerfättt  auc^  mit  bem  9letur§  auf  ein  ^ebürfni^, 
ba§  boc^  nur  al§  pfr|c^oIogif^e§  oorgeftcUt  werben  fann,  bem  ©üb* 
jettioi8mu§,  ben  er  bod^  gerabe  ber  (Sd)riftt^eotogie  oormarf. 
Slber  felbft  wenn  man  bie  ju  tage  tretenbe  ixeraßaat^  ef$  äXko 
yiyoi;  ignorieren  miH,  ift  SgngS  2)efinition  unhaltbar.  ®enn  menn 
e§  ein  (Slauben^urteil  ift,  ba§  ®f)riftu§  bei  un§  in  feinem  SBorte 
ift,  fo  fef)lt  ber  93emei§  bafür,  ba§  ®^riftu§  nur  in  bem  oon 
figng  d)ara!terifterten  münblicl)en  9Bort  jugegen  ift.  6§  ift  eine 
unberechtigte  53efc^räntung,  menn  figng  bem  ^ibelroort  bie  "S&^Q' 
teit,  6()riftu§  na^e  ju  bringen  unb  bie  SBiebergeburt  ju  roirfen, 
abfpric^t,  jumal  menn  er,  um  überhaupt  feine  2:^efe  bur^jufü^ren, 
mit  pfgc^ologifc^en  SBebürfniffen  red)nen  mug  unb  bemnad)  auf 
bem  ©ebiet  eine  Slntei^e  machen  muj5,  ba§  feiner  SE^eorie  jufolge 
jum  ®eltung§bereic^  beS  S3ibeln)ort§  gel)ört.  Sgng  meint  frei* 
lic^,  ba^  bie  ©ünbe  fo  mächtig  in  un§  ift,  ba§  eine  blo^e  @in* 
mirtung  auf  ben  SBitten  unb  ba§  53emu^tfein  nic^t  au§rei^enb 
fei.  aBenn  barau^  aber  ber  ©c^lu^  gejogen  mirb,  ba§  ba§  un* 
jureic^enbe,  gcfd)riebene  SBort  burc^  ba§  mänbUd)e  3öort  in  ber 
2:aufe  ergänjt  merben  m\x%  fo  ift  bie§  ein  ^altlofer  @d)lu§. 
®enn  er  fe^t  Dorau§,  bag  ba§  münblic^e  SBort  im  Unterfc^ieb 
oom  gef^riebenen  SBort  fid^  nic^t  an  ba§  ^emu^tfein  unb  ben 
SöiDen  menbet.  3)a^  ift  aber  eine  roillfürlic^e,  au§  bem  3Befen 
be§  SBort§  nic^t  ju  begrünbenbe  Unterfd^eibung.  2)a§  münbli^e 
Söort  mü^te  aufhören  3Bort  ju  fein.  ®inen  fc^einbaren  9fle(^t§* 
titel  für  bie  ©onberfteHung  be§  münblid)en  äBort^  fönnte  Sgng 
nur  au§  ber  2atfad()e  ableiten,  ba^  ®f)riftu§  felbft  nur  in  93er* 
binbung   mit  bem  gemi^   beftimmten,   unoeränbert   lüieber^often 


@  c^  c  c  (:  ^tc  2:auflc^re  in  b.  mobcmcn  pofitit).,  (utt)er.  S)O0mati!.    283 

SBorte  bic  aWittcilung  feinc§  Seben§  ocrfnüpft  ^ättc.  5)a§  ift 
ani)  bie  SWcinung  firingö.  Slber  grabe  I)icr  ocrfagt  fein  93en)ei§. 
Senn  figng  oeriid)tet  barouf,  bic  9lic^tigfeit  biefcr  ^e^auptung 
burc^  ben  ^iftorifc^en  9tac^n)ei§  ju  erhärten,  um  an  bic  ©teltc  be8 
notmenbigen  f)iftorif(^cn  9iad)iücifc§  ein  nic^t  tragfä^igeö  ^oftulat 
ju  fc^cn;  unb  bie  im  ©innc  Sting§  notmcnbige,  unocränbertc 
SEBicberf)olung  ber  oon  ®^riftu§  angcorbnetcn  SGBortc  murbc  t)on 
Sr)ng  felbft  nachträglich  al§  nic^t  notmenbig  ^ingeftellt.  Sgng 
bleibt  alfo  r\a6)  iebcr  9lid)tung  ^in  ben  ©emeiS  fc^ulbig.  ©eine 
2:^eorie  jeic^net  fid^  gegenüber  ber  alttut^erifc^en  nic^t  burc^ 
größere  Slarl^cit  unb  ©id^cr^eit  au§. 

ajlit  bcm  bi^l^er  ©cfagten  fmb  aber  noc^  feineSnoeg^  bic  (Sin* 
roenbungen  erfc^öpft,  bie  man  gegen  Sijng  erf)ebcn  mu§.  9Wan 
mag  t)on  ben  foeben  geltenb  gemachten  ©inroenbungen  2lbftanb 
nehmen  unb  einmal  mit  ber  33orau§fe^ung  rechnen,  ba^  Sr)ng 
roirflic^  ben  Oberfa^  feiner  S^efe  glaubhaft  gemacht,  bie  ©onber^ 
fteUung  alfo  be§  münblic^en  3GBort§  ermiefen  Ijat.  9Jlit  meldjcm 
SRec^t  mirb  nun  aber  behauptet,  ba§  ba§  ß^riftentum  eine  mefent* 
lid)  fatramentalc  SReligion  fei?  2lu§  bem  S3egriffc  be§  münb* 
lid^en  3Bort§  folgt  biefe  S3el|auptung  boc^  teine§meg§.  3^it9^* 
fc^ic^tlic^  unb  pfijd^ologifd)  ift  e§  ju  begreifen,  \>a^  Sijng  biefe 
Definition  aufftellt.  2)enn  Sgng  betennt  fic^  al§  einen  Sln^änger 
ber  ©c^ule  ®runbtoig§,  bie  mit  Snergie  auf  bie  ©atramente  ^in* 
mie§;  unb  ba§  münblic^e  SBort  mar  ja  baS  J^aufmort,  alfo  ein 
SBort,  meld)e§  mit  einer  ^anblung  oertnüpft  mar,  bie  al§  ©afra» 
ment  gemertet  rourbc.  Qa  firing  mochte  oielleicI)t  anij  glauben, 
ein  fac^licl)e§  SRec^t  für  feine  Definition  ju  f)aben.  Denn  er  \d)xkb 
ja  bem  münblic^en  SBort  eine  bic  9latur  umroanbelnbe,  mieber* 
gebärenbe  SBirfung  ju,  b.  i).  eine  3Birtung§fraft,  bic  bem  ge- 
prebigten  unb  gefd)riebenen  3Bort  oerfagt  mar.  9Wan  mirb  aber 
fd^roerlic^  behaupten  tonnen,  ba^  bamit  bie  obige  Definition  er* 
fd)öpfenb  gerechtfertigt  fei,  menigftenö  nid^t,  fofern  ber  eigentlid)e 
©aframent^begriff  jum  3Wa|ftab  genommen  mirb.  Denn  e^  cr^ 
fc^cint  miHtürlid^,  mit  bem  S3egriff  be§  münblicl)en  2Bort§  fc^lec^t* 
^in,  felbft  menn  Sqng  mirtlic^  in  fac^lic^  begrünbeter  SBeife  ba§ 
münblic^c  SBort  uom  gefd^riebenen  ju  unterfd()eiben  oermodjt  ^ätte. 


284    (S  c^  c  c  I:  ^ie  Sauflcf^tc  in  b.  mobcrnen  pofitiOv  Tut^er.  5)ogmatif. 

ben  93egriff  be§  ©afvamcnt§  ju  oerbinben.  Sqng  erreicht  nic^t 
einmal  ben  altlut^erifc^en,  bogmatifd)  feincSrocg^  einroanbSfreien 
©ebanfcn  be§  verbum  visibile.  SWag  man  aud^  bie  SDlotbe  be- 
greifen, bie  Sgngg  Definition  üorbereitet  ^aben,  fo  wirb  mon  bod^ 
gleii^jeitig  anerfennen  muffen,  ba&  biefen  ajJotiocn  ber  fac^lic^ 
unb  inneriid)  begrünbete  3ufammenl)ang  mit  bem  c^arafteriftifi^en 
©ebanfen  Spg§  fe^lt.  Sijng  burfte  nid)t  oom  ©l^rtftcntum  al§ 
einer  faframentalen  Sieligion  fprcc^en,  fonbem  nur  oom  ©firiften» 
tum  aU  einer  SReligion  be§  münblic^en  9BBort§.  @r  burfte  um 
fo  weniger  ben  ©aframent^gebanfen  mit  bem  93egriff  bc§  münb» 
liefen  3GBort§  oertnüpfen,  aU  er  felbft  gelegentlich  e§  au^fpric^t, 
ba§  ba§  aBort,  auf  n)eld)e§  er  ein  fo  entfd)eibenbe§  ®cmic^t  legt, 
feine  mefentlic^e  ^ebeutung  al§  2^eil  einer  ^anblung  ^at.  2)amit 
oerfc^iebt  er  ben  ©^merpuntt  ber  Betrachtung.  S)enn  nun  werben 
—  ob  mit  9icc^t  ober  Unred^t,  ba§  ju  entfc^eiben  ift  I)ier  irrele^ 
oant  —  aBort  unb  ^anbtung  einanber  gegenübergeftellt,  unb  ni^t 
ba§  münbli^e  SBort  qua  münblic^e^  SBort,  fonbem  at§  S3e» 
gteiterfc^einung  einer  ^anblung  geroürbigt.  3)amit  fällt  aber  ber 
^anblung  ba§  ^auptgemic^t  ju,  unb  bie  fonft  oon  Sgng  urgierte 
bominierenbe  Stellung  be§  münblid^en  2Bort§  mirb  erfc^üttert. 
3)ie§  oerbient  beamtet  ju  werben.  3)enn  e§  läfet  eine  Unftd^er^ 
I)cit  im  3^i^t^*ww^  erfennen.  9Birb  biefe  Unfic^ert)eit  aber  nic^t 
berüdfftc^tigt,  fo  oermi^t  man  oollcnbS  ben  SRec^t^grunb  für  bie 
Definition  be§  (Jf)riftentum§  aU  einer  mefentlic^  faframentalen 
aieligion.  2lu§  bem  S3egriff  be§  aBort§  afe  be§  münbli^en  SBortg 
lä^t  fi^  biefe  Definition  nid^t  mit  fa^lic^er  93ere^tigung  ^er* 
leiten.  Daran  mug  man  fic^  aber  oorne^mlid^  galten.  Denn 
Sr)ng  felbft  jie^t  nic^t  bie  Äonfequenj  au§  bem  eben  bemerften 
3ugeftänbni§.  Daö  münblic^c  SBort  foll  nac^  ben  Intentionen 
Sgng^  nic^t  oerbrängt  werben. 

Da§  erfennt  man  au§  ber  näheren  Erläuterung,  bie  bem 
münblic^en  SBort  ju  2^eil  wirb,  einer  Erläuterung,  bie  freiließ 
i^rerfeit^  neue  ©d^wierigfeiten  fd^afft.  figng  fprid)t  bem  gefdjrie^ 
benen  2öort  nur  bie  gä^igfeit  ju,  oom  §eil  ju  berichten,  nic^t 
aber,  ®f)riftu25  perfönlid^  na^e  ju  bringen.  @§  ift  alfo  bie  Eigen* 
tümlic^feit  be§  münblic^en  3öort§,  bem  einjelnen  bie  3un>«nbung 


@  ^  e  c  I:  5)ic  3:auf(e^re  in  b.  mobemen  pofltit).,  (ut^er.  5)ogmatif.    285 

@otte§  ober  ß^rifti  ju  übermitteln,    ^m  ©aframcntSTüort  rocnbet 
fic^  ©Ott  tüirtfam  an  bcn  einjelnen,  if)n  roiebergebärenb.    S)a§  ift 
ja  bcr  ©ebanfe,  ben  man  aU  Seitmotio  ber  Jauflel^re  Sgng^  be^ 
trad^ten  mu^te.    3^ri^9t  man  nun  aber  ba§  ©aframentgroort  in 
feine  einjetnen  93cftanbteile,   fo  mxü  bie  aWöglic^feit  biefer  |)in* 
menbung  ®otte§  nid^t  einleuchten.    2)a§  faframentale  Saufmort 
beftet)t  nämlict)  nicf)t  blo§  au§  ber  eigentlichen  Jaufformel,  fon« 
bern  jugteid^  au§  ber  SIbrenuntiation  unb  bem  ©laubenSbefennt- 
ni§.    O^ne  biefe  beiben  legten  ©tüde  ift  nact)  ber  SÄuffaffung 
Sring§  ba§  Jaufroort  unoollftänbig  bargefteüt.   ^ann  unter  biefen 
Umftänben  oon  einer  ^inmenbung  ®otte§  an   ben  Täufling  ge* 
fproc^en  merben  ?    Slbrenuntiation  unb  @lauben§befcnntni$  fe^en 
oielme^r,  worauf  aucf)  5?rogf|  *  Jonning  aufmerffam   ma^t,   eine 
ßumenbung  be§  2:äufling§  ju  @ott  oorau§.    ©ine  analijtifc^e  93e= 
tvad^tung  be§  2:aufn)ort§  füt)rt  alfo  auf  ba§  grabe  ©egenteil  oon 
bem,  maS  Sgng  beabfic^tigt.   3)er  Täufling  befennt  pon  fid^,  ba§ 
er  bem  2:eufet  entfagt  unb  an  ®ott  glaubt.    ®iefe  roefentlid^en 
33eftanbteile  be§  2:aufn)ort§  fügen  fict)  nic^t  ber  allgemeinen  ©tia^ 
rafteriftif  be§  Saufmort^  ein,  bie  fiel)  nur  auf  bie  birefte,  aber  nac^ 
Sgng  nur  einen   einjelnen  Seftanbteil  be§   2:aufn)ort§  bilbenbe 
2:aufformel  ftü^en  fönnte.    9lu§  bem  ffiefen  be§  Saufmortö,  fo 
mie  e§  Sgng  ct)aratterifiert,  mill  alfo  ni^t  bie  rcligiöfe  ^bee  fic^ 
ableiten  laffen,  bie  Sijng  bamit  oerfnüpft.    Qa  nod^  me^r.   SBenn 
Sijng  bie  ©ntfagung  be§  JeufelS  unb  ba§  53efenntni§  be§  ©lau« 
ben§  al§  mefentlic^en  93eftanbteil  be§  Jaufroort^  angcfel^en  miffen 
roiH,  fo  moHen  biefe  Elemente  be§  Saufn)ort§  ftc^  nicljt  oertragen 
mit  ber  ©runbtliefe,   ba§   ba§   münblid^e  SEBort   eine  bie  9tatur 
umgeftaltenbe  3Birfung§fraft   bcfi^t,   entfprec^enb  bem  urfprüng* 
liefen  ©d^öpfermort  @otte§. 

S)amit  finb  mir  aber  oor  ben  ^unft  gefteüt,  ber  bie  Äritit 
am  fc^ärfften  ^erau^forbert.  @§  ift  nic^t  ber  foeben  fonftatierte 
Sßiberfpruc^,  ber  ju  einer  fc^ärfercn  Äritit  Slnlafe  geben  fönute. 
SDBiberfprüc^e  unb  Untlar^eiten  maren  bereiti  met)rfad^  nacftmei^^ 
bar.  SEBa§  ^ier  üielme^r  jur  Kritif  reijt,  ift  ber  üöllige  93erjict)t 
auf  eine  Segriff^beftimmung  ber  SBiebergeburt,  bie  mit  bem 
S^riftentum  alB  einer  geiftigcn  SReligion   argumentiert,   ein  3}cr= 


286    ©  c^  c  c  l:  ^ie  a:aufle^re  in  b.  mobernen  pofitit).,  (ut^er.  S)ogmatif. 

ji^t,  ber  um  fo  auffallcuber  \\i,  aU  Sgng  im  ©cgenfa^  jur 
©^viftt^eologic  von  einer  J^eologie  be§  ©ciftcö  fptidjt,  bie  in 
feiner  eigenen  S^eologie  i^ren  2lu§brucf  finbcn  foü.  3)er  93egriff 
ber  SSJiebergeburt  mirb  baoon  aber  nic^t  berüt)rt.  S)enn  bie 
äBiebergeburt  foU  al§  Umbilbung  ber  Statur  be§  9Jlenfc^en  üer« 
[tauben  werben.  2)a§  33öfe  im  9Jlenfd^en  ift  nic^t  eine  böfe  @e« 
fmnung,  nic^t  Oelbftfuc^t  ober  fonft  ein  geiftige§  SBerberben,  fon^ 
bern  eine  reale  9laturmad^t,  ein  objeftioe^  S3öfefein.  2)ie  93e* 
fet)rung  ift  eine  SBanblung  ber  ©efmnung,  aber  bie  SQSiebergeburt 
eine  Sßeränberung  ber  91atur,  refpeftipe  bie  3WitteUung  einer  neuen 
9laturtraft.  3)ie  33egriff§beftimmung  ber  SBiebergeburt  fiet)t  mit 
aSorbebac^t  ab  t)om  Semu^tfein  unb  SBiflen.  @§  bebarf  feinet 
befonberen  Sia^meife^,  ba^  bamit  ba§  aSerftänbniS  ber  SBieber« 
geburt  Perlaffen  ift,  ba§  allein  auf  bem  aSoben  be§  ®^riftentum§ 
möglich  ift.  SGBenn  bie  ©ünbc  noc^  ett)if^  beurteilt  werben  barf 
—  unb  Sijng  felbft  fann  fic^  bem  nic^t  entjie^en,  menn  er  ein- 
räumt, ba^  ba§  |)anbe(n  be§  natürlichen  2Jienfci^en  @ünbe  ift, 
fofern  ba§  SJtotio  im  ®goi§mu§  befte^t  ^),  —  menn  alfo,  ganj 
allgemein  unb  formal  gefpro^en,  an  9tormen  ba§  ©ünbl^afte  er* 
fannt  mirb,  bann  oerbieten  bereite  et^ifc^e  Erwägungen  eine  2)e* 
finition  ber  SEBiebergeburt,  bie  nur  in  ber  ©p^äre  be§  Statur- 
l^aften  fic^  bewegt.  Unb  wenn  d)riftlic^e§  Seben  ni^t  barin  be» 
fte^t,  ba^  man  bie  oon  ®ott  gegebene  9taturgrunblage  unferer 
^erfon  fic^  felbft  überlädt,  fonbern  bie  natürlid)e  SUlitgift  ben 
9lormen  unterorbnet  unb  in  ber  au§  ©naben  oerliel^enen  ®emein« 
fc^aft  mit  bem  geiftigen  @ott  bie  3)löglic^feit  ba§u  gewinnt,  bann 
ift  e§  unmöglich,  bie  Söiebergeburt  aU  einen  9laturproje^  ju 
fd)i[bern.  2)enn  9]aturprojeffc  vertragen  fid)  ni^t  mit  bem  ^t-- 
griff  ber  9torm,  ber  geiftige  SEBerte,  ober  wenn  man  noc^  allge* 
meiner  fid)  au^brüden  wiH,  of|ne  bamit  freilid)  ba§  aSerftänbniö 
}u  mobifiäieren,  überhaupt  SEBerte  oorauöfe^t.  SBenn  aber  Sgng 
ben  aWenfc^en  nur  oon  ber  objeftioen  Seite  betrachten  wiH,  ba§ 
^öfe  fowo^t  wie  ba^  @ute  aU  eine  reale,  objeftioe  9]aturmac{)t 
in  un§  betrachten  will  im  Unterfd)ieb  oon  ber  fc^rifttl)eologifc^en, 
fubjeftiuen,  mit  ben  Gegriffen  be§  aSewu^tfeiu^  unb  be$  SBiUen^ 

1)  S^ng  a.  a.  O.  ©.  9. 


@  c^  c  c  I:  %k  a:auf(e^rc  in  b.  mobcmen  poritit).,  (ut^er.  ^ogmatit    287 

red)nenben  Setrad^tung,  fo  mag  feine  Slbfic^t,  ben  ©vnft  ber 
©ünbe  möglid^ft  beutlic^  jum  2lu§brucf  ju  bringen  unb  eine  ifo* 
liertc,  im  ©inn  ber  pelagianifd^cn  93eurtetlung  erfolgenbe  iBctracft« 
tung  ber  ©ünbe  abjule^nen,  bea^tenSroert  fein;  aber  il^m  üer^ 
fagen  bie  9Jlittel,  feine  befonbere  Slbfic^t  burc^jufül^ren.  5)enn 
er  mu§  anerfennen,  bag  ba§  93öfe  urfprünglic^  etn)a§  ©ubjeftipcs 
ift  *) ;  benn  nur  freie  SEBefen  fönnen  gut  ober  böfe  t)anbeln.  ^ier 
operiert  er  alfo  mit  bem  S3egriff  be§  freien  SBiOen^  unb  ber  ©elbft* 
beftimmung  aU  ben  Sßorau^fe^ungen  ber  böfen  93eftimmtt)eit. 
2)amit  wirb  aber  ber  Jl^eorie  oon  bem  objettioen  93öfen  unb  ber 
©ttnbe  al§  einer  ^laturmad^t  unb  umgetel^rt  ber  SSJiebergeburt 
al§  einer  S3egabung  mit  einer  neuen  9taturfraft  ber  2:obe§fto§ 
oerfe^t.  2)er  üon  Sgng  entmicfelte  Segriff  ber  SBiebergeburt  üer^ 
trägt  fic^  nic^t  nur  nid^t  mit  bem  SBerftänbui^,  ba§  pon  einer 
et^ifc^en  unb  d^riftlic^  religiöfen  Betrachtung  geforbert  mirb ;  bie 
oon  fiqng  oorgctragene  3)epnition  ber  SSJiebergeburt  befeitigt  nic^t 
bIo§  ein  mcfentlid^eö  9Jloment  ber  lutl^erifc^en  fie^re  oon  ber  2^aufe 
unb  SBiebergeburt,  fie  gerät  au^  in  Konflift  mit  ben  eigenen  2lu§s 
fü^rungen.  9luc^  an  biefem  filr  Sgngg  J^eorie  entf^eibenben 
^untt  oerfagen  bie  Gräfte  unb  3Wittel  jur  3)urc^fül^rung.  ^er 
SBerfud^  Spng^  alfo,  ben  ©c^mierigfeiten  ber  altlutl^crifc^en  2:auf« 
le^re  burc^  eine  neue  2:i^eorie  ju  entgegen,  bie  felbftönbig  unb 
original  9Jlomente  ber  alten  2:t)eorie  weiter  ju  bilben  fic^  bemüht, 
bürfte  al§  migglüdft  anjufe^en  fein.  2)ic  ©c^mierigfeiten  unb 
Unflar^eiten,  in  bie  fic^  Sgng  oermidfelt,  finb  nid)t  geringer,  unb 
er  befeitigt  ein  bercd^tigte^  3Jloment  ber  altlut^erifc^en  J^eorie 
üoUftänbig,  bie  fic^re  von  ber  regeneratio  spiritualis  unb  beren 
S3ejiel^ung  jum  ©lauben. 

9lu^er^ol6  ber  engeren  ©c^ule  ^at,  fomeit  mir  befannt  ift, 
firing  auc^  feine  9tad)folger  gefunben.  2)ie  Zi)toxk  oom  münb^ 
liefen  äBort  ober  S^aufmort  mar  ju  eng  mit  ber  ©igenart  ber 
©c^ute  ®runbtoig§  oerfnüpft,  unb  oon  ju  offenbaren  ©d)mierig* 
feiten  bebrüdtt,  al^  ba^  fie  fiel)  in  weiteren  Streifen  ^ätte  burd)* 
fe^en  fönnen.    2tnbev§  oer^ätt  e§  fid)  mit  ber  fonfequcntcn  Se- 

1)  Ul.  a.  D.  S.  16. 


288    @  c^  e  e  I:  ^ie  2:auf leiste  in  b.  mobemen  pofitiov  lut^er.  ^ogmatif. 

tonung  bcr  fpejifif^  faframcntalcn  SBirfung  bcr  Saufe,  bic  für 
bic  ©d^ulc  ®runbtDtg§  bejcic^ncnb  rourbc,  unb  bcr  im  norbifc^cn 
Sprachgebiet  ©runbtoigS  ©d^ule  ben  93oben  bereiten  ^alf.    3)a| 
man  ber  Jaufe  eine   befonbere,   nur   i^r   eignenbe   faframentale 
SBirfung  juertennen  muffe,  ift  bie  gemeinfame  Ueberjeugung  eine§ 
Ä'reifeS  geworben,  ber  nic^t  auS  einer  beftimmten  2:^eoIogenfci^uIe 
fict)  t)erleitet.   ^n  ben  ftreifen  ber  beutfc^en  aSermittlung^tl^eoIogie, 
innerhalb  ber  (ärlanger  ©c^ule  unb  unter  ben  mit  befonberer  ffim* 
pf)afe  Sutt)eraner  fic^  nennenben  2:^eologen  befannte  man  ftc^  ju 
biefer  Qbee.    Qf)xe  gefc^ic^tlic^e  QEyiftenjberec^tigung  fuct)te  man 
burc^  ben  9tac^n)ei§  ber  Kontinuität  mit  ber  altlutt)erifc^en  S^eorie 
}u  ermeifen;  bie  eigentliche  ^iftorifd^e  SBermittlung  l^at  man  aber 
nic^t  in  ber  altortl^obojen  ©c^ule  ju  fuc^en,  fonbern  üielme^r  in 
ber  2:t)eofop]^ie  Q.  S3ö^me§,  Oetinger§  unb  ©cfielling^,  mit  beren 
^ilfe  man,  befonber§  unter  bem  @influ&  o,  §ofmann§^),  bie  2ln* 
fct)auung  oon   ber  geift » leiblichen   SEBirtung  be§  2:auffaframentg 
auSgeftaltete,  um  erft  nachträglich  fte  bereite  bei  ben  Sllten  ange» 
beutet  JU  finben.    3)ie  verborgene  2:riebtraft  mu§  man  aber  in 
ber  ©atrament^ibee  überhaupt  finben,  bie  f^on  bie  altlut^erifc^en 
@ct)olaftiter  ju  Ronfequenjen  nötigte,  bie  au§  ber  2:i^eorie  oom 
©aframent  at§   bem  fic^tbaren  SBort  fid^  nid^t  erflären  laffen. 
Sine  fe^r  umfaffcnbe  unb  grünbli^e  9ied)tfertigung  biefer  bie 
ÜJlängel  ber  altlut^erifct)en  S^aufle^re  überminbenben  neulut^erifc{)cn 
Jauftl^eorie  ^at  ber  ^tormeger  Srog^'-2:onning  in  feinem  bereits 
mel^rfac^  jitierten  93uc^  oorgelegt.    Qt)m  tann  ber  beutfc^e  2t)eo* 
löge  ^ort)  jur  ©eite  gefteHt  werben.    ®anj   neuerbingä   nimmt 
mieber  SRoc^oH  l|ier  oertretene  ©ebanten  auf.    (S§  gilt  alfo,  bie 
5?rage  ju  unterfuc^en,   ob  biefe  2:^eorie  ju  einem  befriebigenben 
3iel  gelangt  ober  menigften§  ben  richtigen  SBeg  jur  (Seminnung 
be§  QkU  anbai)r\t 

3n  einem  bebcutfamen  "^^unft  unterfd^eiben  fiel)  ßrog^-Jon»' 
ning  fon)ot)l  mie  ^oxx)  oon  ber  foeben  gurücfgemiefenen  2:^eorie 
2r|ng§.    ®§  fommt  i^nen  nid)t  in  ben  ©inn,  ba§  ©^riftentum  als 

1)  Ob  V.  $ofmann  von  8(^cUing  ab^ngig  ift  —  fo  9t.  «Secbcrg, 
bem  @rü^mad)cr  folgt  —  braucht  f)icr  nic^t  untcrfuc^t  ^u  werben,  ^d) 
barf  auf  fpdtct  erfc^cinenbe  Unterfuc^ungen  oerrocifen. 


<3  c^  c  c  I :  ^ie  2:auf(e^re  in  b.  moberncn  pofitit).,  (ut^er.  ^ogmatit    289 

eine  wcfcntlict)  faframcntalc  ^Religion  aufjufaffen.  Ärog^=^2:onning 
Ic^nt  au^brücMic^  bicfe  Definition  ab,  in  bcr  er  einen  Slbfall  oom 
biblifc^cn  Sßerftänbni^  beö  ©l^riftentumS  erbltdt  2)a§  ©tiriften* 
tum  ift  eine  Derbale  unb  faframentale  SJeligion.  @§  fei  innere 
lic^  unwahr,  einfeitig  unb  irrefüt)renb,  wenn  man  unterfc^eiben 
motte  jmif^en  mefentlict)  faframentalem  unb  mefentli^  oerbalem 
S^riftentum.  ^n  SBal^r^eit  beftef)e  ba§  (J^riftentum  au§  beiben 
Steilen;  e§  fei  faframental  unb  oerbaP).  2W§  oerbale  ^Religion 
menbe  ftc^  aber  ba§  ©^riftcntum  an  ba$  33emu§tfein  unb  ben 
aBillen  ber  ^erfönlic^feit.  3)er  eoangelifc^e  ^n^alt  be8  3Borte§ 
mac^t  bie  Ouette  ber  Sraft  au§.  Un§  SWenfc^en  al§  ^erfönlid)^ 
feiten  tann  nur  baß  SBort  9Jettung  bringen*).  Qm  33emu§tfein 
^at  ba§  Söort  feine  SBirfung;  bie  SBirfungen  be§  9Borte§  fmb 
bemna^  ©eiftmirfungen  ^).  ^m  SBort  begegnet  un§  @ott  al§ 
freien  ^erfönlid)feiten  ^).  S)arum  tritt  er  auc^  für  ben  „Subjef* 
tiüi§mu§"  ber  „Sd)riftt^eoIogie",  ben  St)ng  fo  l^eftig  angegriffen 
t)atte,  mit  groger  Energie  ein.  ^orp  fprid)t  ft^  weniger  poin* 
tiert  au§;  if)m  fe^lt  bie  Slntit^efe,  an  ber  fic^  Ärog^  *  lonning 
orientierte.  @§  finb  aber  boc^  and)  ^oxx)^  Darbietungen  beutlic^ 
genug,  um  feine  Slnfic^t  in  ber  oorliegenben  JJrage  §u  ertennen. 
Dag  man  e§  mit  einem  geiftigen  93efi^  }u  tun  ^at,  ift  it)m  jmei» 
feüo§^).  Qa  ba§  SBort  ift  ein  notmenbiger  Seftanbteil  unb  ein 
notmcnbigeg  aSoüjug^mittel  ber  2:aufe®).  Da§  aCBort  mirft  aber, 
mie  e§  im  allgemeinen  t)eigt,  perfonbilbenb  ^).  Damit  nimmt  ^org 
biefelbe  Senbenj  auf,  bie  Srog^  -  Xonning  gegen  Sgng  oerfi^t. 
Die  9Jotmenbigteit  eineö  geiftigen  SSerftänbniffe^  be^  ®^riftentum§ 
foü  fo  menig  oerf ^leiert  merben,  bag  fie  oielme^r  folgen  gegen ^ 
über  geforbert  mirb,  bie  in  ben  geiftigen  Sebensbebingungen  üwa^ 


1)  ^rO0^=Sonmng  a-  a.  D.  @.  188:  Det  er  indevlig  usandt,  ensidigt, 
vildledende,  naar  man  vil  skjelne  mellem  vsesentlig  sakramental  og  vse- 
sentlig  verbal  Kristendora.  Sandheden  er  den,  at  det  er  aldeles  vsesent- 
ligt  for  Kristendommen  at  vtere  begge  Dele:  sakramental  og  verbal. 
«gl.  @.  74. 

2)  21.  a.  O.  @.  24.  3)  3(.  a.  O.  @.  25. 

4)  ßroö^=2:onnin0  a.  a.  D.  ©.  48. 

5)  $>oxx)  a.  a,  D.  8.  57.  6)  21.  a.  O.  @.  64. 
7)  21.  a.  D.  (S.  98. 

Seitfc^rift  für  2^<olOflte  unb  Ätrc^e.    16.  3a^rg.,  4.  i^eft.  21 


290    ©  c^  e  c  I :  ^ic  2:aufle^rc  in  b.  moberncri  pofitio.,  lut^er.  ^ogmatif . 

weniger  SGBic^tige^  ober  weniger  in  bie  2:iefe  @et)enbe§  meinen  er* 
fennen  ju  muffen. 

9l6er  bie  Sluffaffung  t)om  ©aframent  ber  Saufe,  bie  un§ 
l^ier  begegnet  ift  boc^  fo  menig  ibentifc^  mit  ber  altlut^erifd)en, 
ba^  üielme^r  eine  burc^greifenbe  Äorreftur  ber  altproteftantif^en 
2^auflel^re  geforbert  mirb.  2)amit  treten  ^org  unb  Srog^^Son- 
ning  ein  in  bie  auc^  pon  Stod^oQ ')  ergänjte  Steige  berjenigen 
2:f)eologen,  bie  ba§  SBcfen  be§  ©aframent^  im  Unterfc^ieb  üom 
SBort  in  ber  9lic^tung  tiefer  ju  begrünben  fic^  bemütiten,  ba§ 
man  auf  bie  9laturmirtung  be§  ©aframent^  ben  Slid  rieten 
lehrte  unb  in  biefem  „9teaU§mu§"  ba§  c^ara!teriftifd)e  Unter* 
fc^eibungömerfmat  ber  lutl^erifc^en  ©atrament^letire  ju  erfennen 
üerlangte. 

aCBenn  ba§  ^eil  in  ber  ©^rift  bem  ©tauben  jugemiefen  mirb, 
tonnte  bie  Saufe  überflüffig  erfd^einen.  ^org  rechnet  mit  biefer 
2fiternatipe  unb  er  oermirft  bie  gemöl^nlic^e  Söfung,  ber  jufolge 
ba§  ©aframent  ber  Saufe  bie  inbioibueÜe,  mit  ber  göttlict)en  Söer* 
gemifferung  unb  SBerfiegelung  uertnüpfte  9JlitteiIung  be§  ^eil§ 
bebeute  *).  S)enn  man  bürfe  nic^t  nac^  bem,  rva^  in§  ©efü^l 
unb  33en)u§tfein  trete,  ben  Segen  be§  ©atrament^  bemeffen.  Unb 
menn  bie  SBirfungen  be§  ©aframent^  perfd^ieben  feien  üon  ben* 
jenigen  be^  3Bort§,  fo  muffe  man  nac^  bem  fpejififc^en  9Wertmal 
ber  SBirfungen  ber  Saufe  fragen.  ®§  muffe  bemnac^  ba§  ©a* 
Jrament  etma^  bieten,  n)a§  ba§  SEBort  unb  ber  ©laube  in  ber 
Siegel  menigfteng  nirf)t  geben  fönnten^).  S)ie  alten  3)ogmatifer 
l^ätten  bie§  mo^l  gefüllt,  aber  feinen  SRaum  gefunben,  ba§  SBBefen 
be§  ©aframent^  beftimmter  ju  fijieren.  ®a§  Problem  beftet)e 
alfo  barin,  ju  jeigen,  mie  SBort  unb  ©laube  ebenfo  jur  ^eil^* 
erlangung  nötig  feien,  mie  bie  ©aframeute,  unb  mie  bodf)  beibe 
mieber  au^einanber  gelialten  werben  müßten.  9Jtan  bürfe  ni^t 
bem  ©lauben  alle§  jufc^reiben,  unb  bem  ©atrament  überhaupt 
nic^t§  ©pe}ififd)e§,  ober  umgefe^rt  *).  2lud)  J?rog^=Sonning  lebt 
ber  Ueberjeugung,  ba§  bie  Seseic^nung  bes  ©aframcnt§  als  eine^ 

1)  füod^oU,  Altiora  quaero,  fieipjig  1809. 

2)  $ort)  a.  a.  O.  S.  97. 

3)  §ort)  a.  a.  D.  ©.  78.  4)  %  a.  D.  @.  79. 


®  d^  e  e  ( :  ^ie  ^auf (el^re  in  b.  mobernen  pofttit).,  (ut^er.  ^ogmatit    291 

verbum  visibile  feineSroeg^  au§rcict)enb  fei  ^),  uub  ba§  man  barum 
fic^  entfc^Uc|cn  müffc,  bic  altlut^crifc^c  S^coric  fortjubilbcn.  Sticht 
barauf  fommt  e§  an,  ma^  im  Saframent  un§  gefagt  mirb,  fon- 
bcrn  barauf,  xoa^  mit  un§  üorgenommcn  mirb^).  @o  nimmt 
bcnn  Ärog^«2:onning  einen  bereite  bei  ben  alten  3)ogmatifcm 
aufgetauct)ten,  auc^  oon  figng  angcbcuteten  ©ebanfen  auf,  ba^ 
man  nämlicft  ba§  ©a!rament  ni^t  al^  äßort,  fonbern  aU  ^anb« 
lung  ju  begreifen  l^abe^)  unb  oom  93egriff  ber  ^anblung  au§ 
bie  fpejififc^e  ©Igenart  be§  Sauffaframent^  ju  fifieren  \)abi, 

3öa§  biefe  ^ortbilbung  ber  altlut^erifdjen  Sauf»  unb  ©a* 
frament^le^re  begünftigt,  ift  unfc^mer  ju  bemerfen.  ®^  ift  bie 
@rtenntni§  üon  ber  Unjulänglic^feit  ber  altlut^erifc^en  allgemein 
nen  @atrament§t^eorie.  9Jlan  fie^t  richtig,  bag,  menn  ba§  @a- 
!rament  neben  bem  SEBort  al§  etma^  befonbere^  befleißen  foH,  bem 
©aframent  eben  eine  fpejififc^e  ©igenart  nac^gemiefen  merben 
mu^.  ®ie  alten  3)ogmatiter  Ratten  bafür  mo^l  eine  ©mpfinbung, 
Dermoc^ten  i^r  aber  faft  nur  in  ber  fpejiellen  ©aframent§tel^re  2tu§^ 
brud  ju  ©erleiden  unb  o^ne  ba§  e§  i^nen  geglüdft  märe,  bie  3)ifferen^ 
jierung  innerlict)  ju  bcgrünben  (ogt.  @.  48  ff.  68  ff.).  3)iefe  innere 
93egrünbung  oerfuc^t  man  je^t  nac^ju^olcn.  ^orq  mirft  bie  ^rage 
auf,  ob  nic^t  bem  2lu§einanbergel^en  ber  $eil§permittlung  in  jmei 
!onftituierenbe  9Womente  eine  Unterf^ieben^eit  im  ©pcnbenben  unb 
©mpfangenben  jugrunbe  liege  '•).  ®ie  Saframente  finb  ba§  geift* 
leibliche  iöanb,  melc^c^  ®^riftu§  mit  ber  ©emeinbe  üerbinbet  im 
Unterfd^ieb  oon  ber  rein  geiftigen,  burc^  ben  ©lauben  üermittetten 
aSerbinbung.  ©ie  ftnb  eine  gortfe^ung  feinet  Äommen§  im  S^eifc^, 
net)men  jmifc^en  ber  oergangenen  unb  jufünftigen  ®rfci^einung 
®l)rifti  eine  3"^ifrf)^J^f^ßflung  ein  ^),  bürfen  barum  aud)  allerbing^ 
nic^t  al§  bie  abäquate  g^rm  für  bie  üollenbete  @emeinfcf)aft  mit 
(S^riftu§  gelten.  2tber  für  bie  bie^feitige  ©emeinfc^aft  finb  fie 
erforberlic^.  3)er  c^rifttic^e  fieben^proje^  ooltjie^t  fiel)  nämli^  in 
einer  Doppelreihe  oon  Sitten,  in  beren  einer  oorne^mli^  ber  ©eift. 


1)  ^rog^^^ionning  a.  a.  O.  8.  35.    iögC.  ^od^oü  a.  a.  O.  @.  63  unb 
SBrcttner  im  ÜJlccfl.  mrc^en«  unb  3eitblatt  1887  gegen  ^l)ilippi. 

2)  31.  a.  O.  S.  37.  3)  31.  a.  D.  S.  3a 

4)  §ori)  a.  a.  O.  ©.  80.  5)  21.  a.  O.  8.  82, 

21* 


292    (S  c^  e  e  ( :  1)ie  a:auflc^rc  in  b.  mobcrncn  pofitiov  Tut^cr.  5)ogmatif. 

in  bercn  anbercr  ®l^riftu§  oor^errfc^t.  5)ic§  fü^rt  $org  auf  bic 
93crmutung,  ha%  roie  bcr  ^eilige  ©eift  burc^  ba§  SBort,  fo  ®^ri* 
ftu§  üor^crtfc^cub  burd^  baS  ©aframcnt  roirfcn  fönne,  unb  alfo 
in  ben  bcibcn  Onabcnmittctn  ein  Untcrfc^icb  ber  roirtcnbcn  ^cr^ 
fon  üorau^gcfe^t  werben  muffe  ^).  3)a§  in§  ^erj  l^ineingefenfte 
SBBort  fei  moijl  felbft  tviebfräftig,  aber  bod^  nic^t  imftanbe,  au§ 
fic^  allein  bie  ganje  JJülle  be§  SebenS  in§  2)afein  ju  rufen.  SBirb 
e§  aber  üom  ©aframent  berührt,  fo  entjünbet  fid^  ba§  fieben; 
unb  auf  biefer  aSermä^lung  üon  SBort  unb  ©aframent  beruht 
jeber  g^ortf^ritt  beö  inroenbigen  9Jlenf(^en  ^).  3)amit  roäre  alfo 
eine  innere  93egrünbung  für  bie  ßw'^it^i'w^fl  ^^^  ®nabenmittel§ 
üerfui^t  n^ic  pc  allerbing^  oon  ben  am  ^anon  ber  inseparabilis 
operatio  ber  2:rinität  feft^attenben  alten  3)ogmatifern  nic^t  ge^ 
geben  merben  fonnte. 

Ärogl^sJonning,  bem  ebenfalls  bie  Unjulänglic^feit  ber  alten, 
von  ^t)ilippi  unb  21.  o.  Oettingen  mieber  aufgenommenen  Jl^eorie 
beiou^t  geworben  mar,  fu^t  auf  anberem  SBege  jum  Qid  ju  ge* 
langen.  SSon  bem  foeben  ffijjierten  ©ebanfen  ^orpS  mac^t  er 
feinen  ©ebrauc^.  ©r  ge^t  t)on  bem  ©ebanten  einer  oerfc^iebcnen 
aßirtungSmeife  bc§  2Bort§  unb  ©aframent§  au§.  5)em  ©afra^ 
ment  eignet  eine  mefentli^e  unb  eigentümliche  SBirfungöfraft  ^). 
2)a§  ©a!rament  ift  etma§  anbere§  al§  blo^e  aSer^ei^ung.  ®§  ift 
nic^t  SBSort,  fonbern  ^anblung  *).  5)ie  beiben  ©nabenmittel  mirten 
barum  bire!t  auf  t)erfcl)iebene  ©eiten  unfere^  9Bcfen§  ein.  3)a§ 
©aframent  aU  ^anblung  fann  nur  auf  bie  ©eite  unfereS  ©einS 
mirfen,  bie  i^rem  ©^arafter  na^  allein  geeignet  ift,  rein  pofitioer 
©egenftanb  folc^er  ^anbtung  ju  fein.  ®§  fann  alfo  nur  auf 
unfere  unbemu§te  Statur  cinmirfen.  Äraf t  be§  unauflö^li^en  3»* 
fammen^angeg  oon  Statur  unb  ©eift  finbet  bann  eine  inbirefte 
SBirfung  auf  ben  ©eift  ftatt*).  Qm  SBort  begegnet  un§  ©Ott 
aU  bemühten  ^^erfönlid)feiten,  im  ©aframent  al§  abhängigen  ©e^ 
fd^öpfen.  ^ier  finb  mir  paffio  unb  nehmen  bie  SBirtungen  ©otte§ 
einfarf)  ^in.    9tur  permöge  einer  fold)en  Söeiterbilbung  ift  bie  lu» 

1)  91.  a.  O.  8.  87.  2)  91.  a.  O.  @.  88. 

3)  ^og^^SConntng  a.  a.  D.  <5.  35.  4)  31.  a.  D.  8.  38. 

5)  9lod)oa  fennt  nic^t  biefcn  3ufammen^ang. 


@  c^  c  c  I :  S)ic  ^aufCc^re  in  b.  mobemen  pofitio.,  lut^cr.  ^^ogmatü.    293 

tl^erif^c  S^cologic  in  ber  Sage,  bic  ftiittigc  5^age  au^reic^cnb  ju 
beantworten.  2luf  einen  biretten  ©^riftben)ei§  mu§  man  atter* 
bing§  üerjid)ten  ^). 

®rgänjt  unb  geflutt  roirb  biefe  3:^eorie  burc^  Die  ©ünben- 
Iet)re;  unb  l^ier  treffen  roieber  ^orp  unb  Rrog^^Sonning  relatio 
aufammen.  3)ie  ©ünbe  ift  nämlic^  nic^t  b(o^  ^erfonfünbe,  fon* 
bern  auc^  9laturfünbe.  3)arum  bebarf  man  cinc§  ®nabcnmittel§, 
ba§  nid^t  blo^  mte  boS  SBort  auf  ben  ®eift  mirtt,  fonbern  auc^ 
auf  bie  Statur  ^).  3)iefcr  gorberung  tommt  ba§  @atrament  nac^, 
ba§  als  ^anblung  auf  bie  9latur  mirft,  unb  bemjufotge  bie 
©ünbe  aU  9laturma^t  trifft.  -3m  Sauffaframent  gibt  (Sott  bie 
®nabe  aU  9taturtraft,  unb  bie  Kraft  ber  ®nabe  in  ber  9latur 
erfennt  man  barauS,  ba^  bie  göttlichen  S)inge  aQmäl^lic^  ®egen' 
flanb  einer  neuen  ßuft  unb  3iineigung  merben  ^).  5)ie  Konfequenj 
biefer  Slnfd^auung  ift  natürlich,  ba|  eine  unausbleibliche  SBirtung 
bef)auptet  mirb.  3)iefe  t)on  ben  alten  ©ogmatifern  jurüdfgemie^ 
feue  aSorftetlung  beftreitet  Ärog^-'2:onning  au^  !einesmegS;  er 
gibt  fie  oielmel^r  ju  unb  erflärt  biefe  SSJirfung  barauS,  ba§  fie 
ba§  ®epräge  ber  Staturnotnoenbigfeit  trägt*).  9lur  barf  man 
nic^t  bei  biefer  faframentalen  SBirfung  ol^ne  weiteres  an  bie  ootle 
ajlitteilung  beS  ^eilS  ben!en.  ®S  foll  nur  gefprod^en  werben  t)on 
einer  SBirfung,  bie  nic^t  mit  bem  ootlen  ^eil  ibentifc^  ift,  ja 
nic^t  einmal  für  fic^  o^ne  weiteres  rettenb  ift,  fonbern  nur  burc^ 
bie  Schöpfung  eineS  neuen  pofitioen  SlnfnüpfungSpunfteS  für  baS 
^eil  in  unferm  SBefen  bic  ®runblage  legt^).  SWan  mu^  nur 
feft^atten,  ha^,  mäl^renb  ber  ®eift  nid^t  ber  Stotmenbigfeit  untere 
roorfen  ift,  bie  SBSirfung  beS  ©a!raments  unmiberftel^lic^  ift.  ©onft 
wäre  aud^  für  bie  Äinber,  bie  baS  SEBort  ni^t  aufnehmen  fönnen, 
eine  SJettung  unmöglid^.  93ei  ben  Äinbern  überwiegt  noc^  baS 
Staturleben,  fc^lummert  baS  ^erfonleben  ^).  ©anj  befonberS  in 
ber  fie^re  oon  ber  Kinbertaufc  ift  baS  93ebürfniS  nad)  einer  fa* 
framentalen  Slaturwirtung  neben   berjenigen  beS  SBorteS  äugen« 

1)  31.  a.  D.  @.  W.  2)  21.  a.  O.  @.  31. 

3)  51.  a.  D.  @.  66. 

4)  ^rog^=3:onning  a.  a.  O.  @.  71.  5)  91.  a.  D. 
6)  ^gl.  §or9  a.  a.  O.  @.  120. 


294    S  c^  c  c  I :  S)ic  ^auftc^re  in  b.  mobemen  pofitbv  lut^er.  S^ogmatit 

fällig.  SEBirb  bie  Saufe  loefentlid^  aufgefaßt  alB  ein  ffiort  an 
bie  ^inber,  bie  boc^  ben  SEBortcn  noc^  fein  Sßerftänbni^  entgegen* 
bringen  tonnen,  fo  üerfäüt  man  in  magifd^e  SSorfteDungen.  ^l^nen 
entgeht  man  nur,  menn  man  bie  ©pl^äre  be§  SBBortS  unb  ber 
^anblung  unterfc^eibet^). 

ajiit  biefen  9lu^fü^rungcn  fc^cint  aUerbing§  Srog^-2:onning 
jtc^  in  einen  SBiberfpruc^  ju  üermideln.  @r  moUtc  bie  9Jotn)en» 
bigfeit  be§  ©aframent§  neben  bem  SBort  bamit  begrünben,  ba^ 
bie  ©ünbe  aud^  aU  eine  5Jatunnac^t  gemertet  werben  muffe,  ber 
gegenüber  ba§  geiftig  mirfenbe  9Bort  ol^nmädjtig  ift.  <3n  ben  legten 
2lu§fül^rungen  bagegen  l^at  er  biefen  @efi^t§punft  fallen  gelaffen 
unb  lebiglic^  auf  bie  9latur  aU  unbemu^te  SRatur  ben  33lidf  ge« 
rict)tet.  Kräftiger  tritt  bie§  noc^  in  ben  einleitenben  Erörterungen 
an  ben  Sag.  ^ier  bemerft  er,  ba^  ber  9Jienf^  nic^t  blog  ©eift 
fei;  be§  ü)Jenfc^en  aßefen  befte^e  au§  ©cift  unb  9latur.  aCBenn 
nun  ba§  ©l^riftentum  eine  ©emeinfc^aft  be§  9Jlenfd)en  mit 
©Ott  fei,  fo  ^abe  man  fein  SRec^t,  einen  Seil  unfere§  2Befen§  mit 
©Ott  oereinigt  merben  ju  laffen,  einen  anberen  Seil  aber  nic^t  *). 
3JJan  mürbe  aber  Krog^-Sonning  unre^t  tun,  menn  man  in  biefen 
Darbietungen  i^m  einen  Söiberfpruc^  meint  nai^meifen  ju  muffen. 
2(Kerbing§  ift  ber  jule^t  genannte  ©ebanfe  atigemeinerer  2lrt; 
aber  er  tritt  bo^  nic^t  in  ©egenfa^  ju  bem  fpejießeren  ©ebanfen. 
S)enn  t)ermittel§  ber  ©inmirfung  be§  ©aframent§  auf  bie  Statur» 
fünbe  mirb  bie  9latur  felbft  oon  ben  ^eil^mirfungen  be§  ©afra* 
ment§  betroffen.  ®§  ift  barum  f^Iie^Ii^  gleichgültig,  ob  baS 
(Saframent  in  ber  ^Relation  auf  bie  Statur  ober  auf  bie  Statur* 
fünbe  in  ber  91atur  gefeiten  mirb.  @§  befielt  nur  ber  Unter* 
fd)ieb,  t>a^  im  erfteren  gaQ  bem  ©ebanfen  eine  birett  pofitioe 
SiBenbung  gegeben  mirb,  unb  bie  legten  Senbenjen  un^erpllt  an 
ben  Sag  treten,  mä^renb  fie  im  testen  gall  etn)a§  oerbedtt  er* 
fc^einen. 

53ei  ^oxx)  finbet  man  junäc^ft  biefetben  ©rmägungen.    5)a§ 

inbiüibuelle  Seben  ift  ein  ^wf^^^^^^i^f^i^  i^on  91atur  unb  ^erfon. 

SBä^renb  nun  ba§  SQBort  perfonbilbenb  mirft,  ^at  ia^  Saframent 

bie  gö^igfeit,   bie  Slatur  umjubilben,    ba§   fie   5ur   ö-eca   ^ua:^ 

1)  ^>ogl)*a:onning  a.  a.  D.  6  74.  2)  51.  a.  D.  @.  28. 


@  c^  e  c  I :  ^ie  2:auf Ief)rc  in  b.  mobcnien  pofitit).,  (ut^cr.  1)ogmatit    295 

tüirb^).  @o  bcgrünbet  neben  bem  Unterfc^ieb  bc§  6penber§  auc^ 
bie  Unterfc^ieben^eit  be§  empfangenben  SWcnfc^en  bie  ^n^ci^^it  ber 
©nabenmittel.  ^n  ber  alten  Statur  locft  ba§  ©aframent  bie 
göttlid^e  Slnlage  ^crüor  unb  roeil^t  baS  UngöttUc^e,  bie  9iaturfeite 
bc§  93öfen,  bem  2:obe.  3)ie§  foU  aber  ni^t  magif^  ju  üerfte^cn 
fein.  ^oxK)  miü  ebenforoenig  rote  Ärogl^==2:onning  einen  fold)en 
<3rrn)eg  betreten.  Um  biefen  ^f^^rmeg  aber  5u  permeiben,  fc^Iägt 
^org  einen  anberen  ©ebanfengang  ein  mie  Ärog^-2^onning.  2)e§ 
Unteren  2lu§funft  erfc^eint  im  ^liföw^n^c^^öng  ber  leitenben  :3been 
al§  bie  fonfequentere,  ^orp  aber  ift  ber  reformatorifd^en  ©d)ä§ung 
be§  @lauben§  innerhalb  ber  ©atrament^ibee  jugänglic^er.  ©ine 
magifct)e  3Qßirtung  be§  ©atrament§  meint  ^ort)  mit  ber  93el^aup* 
tung  au^fc^lie&en  ju  !önnen,  ba&  ba§  ©aframent  vom  3«ntrum 
be§  ^erfonenlebenö  au§  feine  SiBirtung  entfalte.  ®r  erfennt  feine 
unmittelbare  SBäirfung  be§  ©aframentö  an;  er  meig  mct)t§  von 
bem  ©ebanfen  Ärog^^Jonning§,  ba^  ba§  ©aframent  al§  ^anb^ 
lung,  nic^t  al§  SBort,  auf  benjenigcn  2:eil  be§  menfdjli^en  9Befen§ 
einmirfe,  ber  nur  ber  §anblung  jugänglid)  ift,  nämlic^  auf  bie 
Statur,  gür  ^oxx)  bet)ält  ber  ©ebanfe  ^raft,  ba§  bie  SBirfung 
be§  ©aframent^  oermittelt  ift  burc^  ben  ©lauben  ^).  3)a§  ©afra* 
ment  mirft  nii^t  unmittelbar  auf  bie  Seiblic^feit ;  bie  SBirfung 
get)t  üom  ^erfonleben  au§,  mie  auc^  ba^  aOBort  oom  3Wittelpunft 
au^  nad)  au&en  mirft^).  93ei  biefer  S^ffung  lä^t  fi^  nad^  ^orp 
aud^  begreifen,  ba^  bem  SBort  unb  ©aframent  oft  biefelben  SBir* 
fungen  jugefc^rieben  werben.  2lbcr  ba§  SBort  menbet  fi^  päba^ 
gogifc^  an  ben  einzelnen,  unb  e§  mirb  oerfc^ieben  aufgenommen. 
2)a§  ©aframent  bagegen  mirft  al§  unbegreiflid)e§  9Jlt)fterium  in 


1)  ^oxx)  a.  a.  C  @.  98.  2)  S(.  a.  O. 

3)  §ori)  a.  a.  D.  @.  99.  Sögl.  auc^  bie  cinleitenbcn  (Erörterungen 
über  ben  ^inberglauben.  SlUerbingS  warnt  ^oxx)  vox  einer  Ucberfpan- 
nung  ber  ©laubengforberung  (@.  76).  ^ie  ©d^rift  gibt  frf)on  hti  ber  (Sr* 
roarfifencntaufc  benjenigen  nic^t  9lcd)t,  welche  bie  gorbcrungen  an  ben 
hk  2:aufc  ermöglic^cnbcn  ©lauben  ju  l)oci^  fpannen.  S^ax  xüixb  ein 
entroicfcltcr  ©taube  ben  (Segen  ber  3:aufe  rafd)er  jur  ©rfc^einung  bringen. 
3^ür  ben  (Smpfang  ber  a:aufe  fe^en  aber  bie  ntl.  JBerid^tc  nur  bie  93e* 
tanntfc^aft  mit  ben  (^runbtatfac^cn  ber  (Srlöfung  oorauö  unb  eine  an= 
fang§mä&ige  Ueberjeugung  bapon. 


296    ©  c^  c  e  t :  5)ic  a:auf(e^re  in  b.  mobemen  pofltiüv  tut^cr.  2)O0matit 

ge^cimni^ooKcr  ©tiflc  im  9Jlenfc^en,  oi)m  in§  beraubte  SBillen^' 
leben  aufgenommen  ju  fein,  ©eine  SBivfungen  mögen  fufjeffio 
in  bie  @rfd)einung  treten;  bie  @abz  aber  mirb  nid^t  fufjeffto 
mitgeteilt  unb  fie  inbioibualifiert  fic^  nic^t  na^  ben  oerfc^iebenen 
^erfönlic^f'eiten,  mie  bie§  beim  Söort  bev  gaü  ift.  3)a§  eine 
folc^e  auf  bie  5toturfeite  erfolgenbe  8B3ir!ung  ber  2:aufe  unb  eine 
baburc^  begrünbete  91aturgemeinf^oft  mit  6^riftu§  möglich  ift, 
ergibt  fic^  bem  SMutor  au§  ber  ©efc^ic^te  -3^fw-  2)cnn  mit  ber 
®mpfängni§  (S^rifti  gab  e§  eine  ©otte^gemeinfc^aft  in  ©^rifto 
oor  bem  ermac^enbeu  93emugtfein ;  bai§  @öttlid)e  l^at  fi^  bi§  jur 
Unbemu^t^eit  erniebrigt  ^).  @§  gibt  alfo  eine  Oemeinfd^aft  ®otte§ 
mit  bem  SWenf^en  im  ©tabium  ber  Unbemu^tl^eit  unb  be§  ali- 
mäl^Iii^  aufbämmemben  ©elbftben)u§tfein§  be§  SWenfc^en^).  S)amit 
ift  bie  Äinbertaufe  bogmatifc^  gered^tfertigt.  S)ie  reinigenbe  Sraft 
ber  2:aufe  fommt  ben  Äinbem  ju  mit  ber  93efd)ränfung,  ba§  jum 
perfönlid^en  ^abitu§  afle§  erft  merbe  burc^  freiet,  ben)u§te§  et^i* 
fc^e§  S8ert)alten.  2)er  ^iftorifd^en  Kenofe  3^efu  entfpric^t  alfo  eine 
^enofe  mgftifc^er  ^mmanenj  im  Äinbe,  unb  ber  Äinbertaufe  fe^lt 
fein  aWoment  ber  faframentalen  Saufe.  9ll§  perfönlic^e^  SSer* 
galten  jum  göttli^en  Sßort  ift  ber  ®laube  im  Äinbe  nic^t  oor» 
tjanben.  SJor^anben  aber  ift  er  im  Äinbe  al§  ba§  unmittelbare 
9taturoer^ältni§  ju  ®^nftu§,  al§  eine  Smpfänglic^feit  für  bie 
Segnungen  feinet  SReic^e^^).  Qm  ^inbe^leben  überwiegt  noc^ 
bie  9laturfeite.  3)arum  mirb  bie  ®nabe  felbft  ju  einer  einer 
^ö^eren  Orbnung  ange^örenben  9latürlic^feit.  Q\xx  allfeitigen  ©nt^^ 
roidtlung  ift  allerbing^  no^  ba§  SBort  nötig  unb  ba§  gläubige 
SBer^alten.  2)a§  ift  aber  eine  Slotmenbigfeit,  bie  bie  Äinbertaufe 
mit  ber  ©rroac^fenentaufe  teilt*).  3rtit  biefem  @nbergebni§  be^ 
gegnet  fid^  ^org  in  ttwa^  mieberum  mit  Ärog^^Sonning,  ber 
auc^  t)on  feiner  befonberen  Sl^eorie  au§  ju  ber  2lnna^me  gelangt^ 
ba§  bie  9laturn)irfung  be§  ©aframent§  nic^t  o^ne  weitere^  feiig» 
mac^enb  fei,  fonbern  nur  auf  ba§  ^eil  abjiele^).  3)ie  9iatur^ 
luirfung  ift  noc^  ntd)t  ein  neue§   et^if^e§   @eifte§oer^ä(tni^  ju 

1)  Ul.  a.  D.  @.  110.  2)  31.  a.  D.  S.  117. 

3)  ^ovx)  a,  a.  O.  @.  119.  6)  31.  a.  O.  ©.  121. 

4)  ^ro0^*3:onning  o.  a.  D,  8.  90. 


©  d^  c  c  1 :  2)ic  2:aufIe^TC  in  b.  mobemen  pofltip.,  lutl^ex.  ^ogmalif.    297 

©Ott,  in  SBciüu^tfein  unb  SBillen.  ®ie§  fann  nie  fcl^lcn  im  felig- 
ma^cnbcn  SSer^ältniö  ju  it)m.  ^m  ©aframent  bringt  Oott  bic 
JBcbingungcn  in  un§  ^croor,  auf  ©runb  beten  bie  perfönlic^e  2ln- 
nal^me  bcr  ©nabe  juroege  gebraut  werben  fann.  ©in  objettiüeS 
@ut  wirb  in  unö  eingepflanst,  um  fubjettiü  ju  werben,  ^ür  bie 
Seligmac^ung  ift  ber  ©laube  üor^anben'). 

aWi^t  man  ^orq§  unb  Krog]^*2:onning§  Darbietungen  an 
einanber,  fo  mirb  ber  SBergleic^,  fofem  man  ben  SDla^flab  ber 
©ef^Ioffen^eit  gelten  laffen  miß,  nic^t  ju  gunften  ^orgS  au§* 
fallen.  93eiben  Slutoren  ift  ba§  Qntereffe  gemeinfam,  ba§  ©afra* 
ment  fpejififc^  oom  SBort  abjugrenjen,  beibe  behaupten  eine  Sk- 
turmirtung  be§  ©a!rament§  ber  2:aufe,  mie  benn  aucf)  beibe  bie^ 
felbe  Sluffaffung  pon  ber  ©ünbe  al§  9laturfünbe  ober  9?aturmac^t 
teilen.  2lber  nac^  ^orp  foll  ba§  nic^t  al§  verbum  visibile  ju 
befinierenbe  SBort  t)om  ^erfonenleben  au§  auf  bie  9tatur  mirten, 
bie  SBermittlung  be§  ©laubenö  foll  nic^t  ignoriert  werben,  ©oll 
aber  ba§  ©aframent  eine  Jiaturmirfung  ausüben,  fo  fd^eint  bie 
Betonung  bes  @lauben§  überflfiffig  ju  fein,  unb  ebenfo  bie  iffiir* 
fung  auf  bie  91atur  oom  ß^ntrum  be§  ^erfonenleben^  an^.  3Wan 
möd^te  bie  S^age  aufioerfen,  warum  benn  überhaupt  eine  SBirfung 
auf  bie  9latur  geforbert  wirb,  wenn  ba§  ©aframent  junäc^ft  auf 
ba§  5ßerfonenleben  einwirft;  unb  man  möd)te  meinen,  ba|  ^orp 
nur  im  ^fntereffe  einer  ©c^eibung  be§  ©aframent§  unb  be§  SIBorts 
jene  Sl^efe  burdjjufül^ren  fid)  bemüht.  ®ann  aber  fe^lt  in  ber 
©injelbegrünbung  grabe  ber  innere  9lac^wei§  für  bie  Slotwenbig- 
feit  ber  3n?^i^^it  ^^^  ©nabenmittel.  3Wan  mö^te  aber  be§  wei« 
teren  ber  Sßermutung  9laum  geben,  ba^  ^org  feinen  ganj  pra« 
jifen  93egriff  t)on  bem  befi^t,  ma^  er  Slaturwirfung  be§  2:auf^ 
faframent^  nennt.  S)enn  wenn  er  ba§  ^^erfonleben  jum  S)urclj- 
ganggpunft  für  bie  ©inwirfung  auf  bie  Statur  mac^t,  fo  fmb 
offenbar  ©eift  unb  Statur  einanber  gegenüber  geftellt.  2ln  anbe* 
reu  ©teilen  fd)eint  aber  Statur  ba^felbe  }u  bebeuten,  wie  ba§  un* 
bewußte  fieben,  b.  J),  alfo  bie  no^  nic^t  aum  geiftigen  33ewu§t* 
fein  gelangte  Slnlage  jum  ^erfonleben.  S)iefe  Sßorftellung  legen 
^org§  2tu8fü^rungen  über  bie  Äinbertaufe  na^e,  benn  l)ier  iben- 

1)  ebb. 


298    @  d^  c  e  I :  ^ie  2:auftc^re  in  b.  mobcmcn  pofitit).,  lut^er.  ^ogmatif. 

tifijicrt  er  ba§  unmittelbare  9taturper^öltni§  be§  ^inbeS  ju  ®^riftu§ 
mit  ber  Smpfänglic^teit  für  bie  ©egnungen  be§  SReic^e§  ß^rifti, 
unb  er  fprid)t  oon  einem  Olauben,  ber  noc^  nic^t  aU  perfönlic^eö 
aSer^alten  jum  göttlichen  SBort  fid)  oorfinbct.  9(nbererfeit§  mitt 
er  aber  bod^  bie  9taturfeite  im  Äinbe  al§  bie,  meiere  bie  geiftige 
übermiege,  ^ingefteüt  miffen,  bie  ©ünbe  a(§  9taturfünbe  oon  ber 
(Sünbe  aU  ©eiftfünbe  unterf^eiben  unb  bem  entfprc^enb  bie 
©nabe  be§  (Sa!rament§  al§  eine  einer  l^ö^eren  9taturorbnung  an« 
gel^örenbe  9tatürlic^{eit  c^aratterifiert  fe^en.  5)amit  fd)eint  mieberum 
©eift  unb  9Jatur  ber  Oegenfa^  ju  fein,  ber  ^ort)  im  ©inn  liegt. 
©0  fd^ittert  alfo  ber  begriff,  unb  Ocfc^loffenl^eit  ift  nic^t  üor» 
t)anben.  5)o^  ift  bie§  Spidern  intereffant  unb  bejeid^ncnb.  S)enn 
e§  bereitet  bie  ®rfenntni§  oor,  ba^  le^tlic^  me^r  oon  untlaren 
Stimmungen  al§  oon  beutKc^en  ©rtenntniffen  biefe  2:^eorie  ftc^ 
näl^rt. 

Um  grö&ere  2)eutUd){eit  bemüht  fic^  Ärogl^^^Jonning.  S)a§ 
nid)t  al§  Sffiort,  aud^  nic^t  at§  verbum  visibile,  fonbern  al§  ^anb* 
lung  anjufe^enbe  ©aframent  menbet  fic^  birett  an  bie  9?atur» 
feite  be§  ajienfd^en,  um  oon  l^ier  au§  inbirett  auf  ba§  geiftige 
Seben  ®influ§  ju  geminnen;  ba§  SBort  mirft  grabe  umgefe^rt. 
2)ie  Unf(arf|eiten  ^orp^  finbet  man  nic^t  oor.  Krogl^-Jonning 
braucht  barum  au^  nic^t  ben  ®lauben,  um  bie  Söirfung  be§ 
©aframent§  oerftänblic^  ju  mad)en.  93ei  i^m  fd)Iiegt  fic^  fc^ein» 
bar  jebeö  einjelne  ©lieb  foIgeridt)tig  an  ba§  anbere  an.  ©o  oiel 
barf  jebenfall^  gefagt  werben,  ba^  bie  Unterfd^eibung§beftimmungen 
burd^ficl)tiger  fmb  al^  bei  |)or9.  ÜWan  barf  aber  boc^  ^orp  unb 
ßrog^'Jonning  sufammen  betrachten.  ®enn  bie  Slic^tung,  in  ber 
fie  ba§  ©pejifif^e  be§  ©aframent^  fud^en  moHen,  ift  biefelbe. 
üJlit  n)elcf)em  ®rfoIg  fie  auf  bie  ©uc^e  gegangen  fmb,  ift  je^t 
nä^er  in§  2luge  ju  faffen.  Sßon  ben  Unfid)erf|eiten,  bie  in  ber 
3)arfteQung  ^ort)§  un§  begegneten,   barf   l^ier  abgefe^en  merben. 

^a^  e§  fid^  um  bie  Söfung  eine§  fcl)mierigen  ^roblem^ 
^anbelt,  ift  ^oxx)^  mie  Ärogt)=2:onning§  gemeinfame  Ueberjeugung. 
S)a§  gilt  befonbev^  im  ^inblict  auf  bie  SRect)tfertigung  ber  Äinber* 
taufe  ^).    SJtan  lounbert  fic^  freilicl),   ba§  bie§   nod)  ausbrüdtlic^ 

1)  §ort)  a.  a.  D.  3.  7. 


@  d)  e  e  I :  %\t  Jauflc^re  in  b.  mobemcn  pofltio.,  (utf)er.  ^ogmatif.    299 

^eroorge^oben  roirb.  ®enn  bie  ganje  Jl^corie  foll  ja  grabe  bcm 
bogmatifc^cn  SSerftänbniö  bcr  Äinbertaufe  bicncn.  Qft  bic  2^^coric 
bcgrünbct,  fo  ift  auc^  ol^ne  rocitcrcö  bic  Äinbcrtaufc  gerechtfertigt, 
aßenn  tro^bem  ^ier  bie  ©d)n)terigteiten  löcroorge^oben  roerben, 
fo  erwedt  bie§  ben  ®mbru(J,  ba&,  mag  aud)  gelegentlich  bie 
Rinbertaufe  al§  bie  ed^te  unb  redete  Saufe  behauptet  n)erben,  boc^ 
ba§  SBertrauen  auf  bie  eigenen  Darbietungen  nicl)t  unbebingt  ift. 
3)a§  ift  feine  fpi^finbige  aSermutung.  ^oxx)  n)enigften§  lä^t  3Wo* 
tipe  erfennen,  bie  bie  foeben  üermutete  SBirfung  auSlöfen.  2)enn 
einmal  perfc^afft  e§  i^m  Unbel^agen,  ba§  er  feinen  bireften  ©c^rift- 
grunb  für  bie  Rinbertaufe  nact)jun)eifen  in  ber  Sage  ift^).  Unb 
auct)  Rrog^^Jonning  mu§  einräumen,  ba§  bie  pon  if|m  pertretenc 
©aframent§Ie^re  nic^t  burc^  einen  bireften  @d)riftbemei§  geftü^t 
mirb  ').  S)ie  fd^riftgemä^e  9leci)tfertigung  feiner  J^eorie  ftnbet 
er  nur  wie  ÜWartenfen^)  pon  ber  biblifcl)en  ®fcl)atoIogie  au§,  bie 
ni(^t  blo^  eine  SBer^errlic^ung  be§  @eifte§,  fonbern  auc^  ber  Statur 
porau^fe^e.  Darum  bürfe  bie  im  ©^riftentum  burc^  bie  2:aufe 
poüjogene  9leufc^öpfung  nid^t  eine  blo§  pfijc^ologifi^e  iBebeutung 
l)aben.  Sie  mürbe  fonft  mit  bem  efd^atologifc^en  Oegenbilb  fic^ 
nic^t  pertragen*).  ®§  gibt  boc^  aud^  ju  beuten,  ia^  Krog^« 
Jonning  fi^  au§er  ftanbe  erflärt,  bie  9laturmirfung  be$  ©afra^ 
ment§  begreiflich  ju  machen,  unb  eine  abäquate  Definition  pou 
ber  SBirfung  ber  ©nabe  ®otte§  auf  unfere  9iatur  nic^t  geben  ju 
fönnen  behauptet '^).  Doc^  fei  bie§  nur  me^r  im  Vorübergehen 
bead^tet.  Ärog^^2:onning  fcfjlägt  bie  ©ebanfen,  bie  Pon  ^ier  au§ 
auftauten  fönnten,  burc^  ben  ^inmei§  auf  fo  mancl)e  anberen 
9tätfet  unb  3Wi}fterien,  bie  ba§  üeben  biete,  nieber.  ®§  ift  ba§ 
freilict)  feine  neue  SJlet^obe.  Die  Dogmatif  ^at  e§  ja  immer 
mieber  erleben  muffen,  ba§  bie  unferem  ©rfennen  überl^aupt  ge^ 
festen  ©renjen   neue  @et)eimniffe   unb   SRätfel,   bie   bie   eigene 


1)  (§:bh,  2)  ^roö^^aonning  a  a.  C  @.  54 

3)  9}iartenfen,  Dogmatil  §  253  2lnm. 

4)  ^rogf)'3tonnin0  a.  a.  D.  @.  61. 

5)  Det  er  ogsaa  vist  nok,  at  en  adaequat  Definition  af  Guds  Naades 
Virkning  paa  vor  Natur  maa  vi  erkleere  os  ude  af  Stand  til  at  levere. 
Er.^3:.  a.  a.  D.  3.  64. 


BOO    @  (^  e  e  I :  ^ie  ^auf  (e^re  in  b.  mobemen  poritit).,  lut^er.  ^ogmatit 

fpejieUc,  ni^t  mc^r  inncrl^alb  bcr  allgemeinen  er!enntni§t^eoreti* 
f^cn  Ovenjen  liegenbc  Sl^eorie  bietet,  roenn  a\x6)  nic^t  erfidren, 
fo  bo^  afö  notwcnbigc  unb  ni^t  bcfrcmblic^e  ©c^ranfen  ber  bog^ 
matif^en  Slrbeit  errocifen  foKcn,  burd)  beten  Syiftenj  man  alfo  fic^ 
nid)t  braucht  beunruhigen  ju  laffen. 

2öic^tiger  aber  ift  eS,  ba§  beibe§  ^or^  unb  Ärogl^^Sonning 
ben  ©ebanfen  ber  UnentbeJ^rlid^Icit  be§  ©atramentig,  auf  ben  bo^ 
bic  ^rämiffen  i^rer  2:^eorie  ^infü^ren,  nid^t  feftl^alten  tonnen. 
®§  berül^rt  boc^  eigentümlid^,  roenn  ^ort)  ft^  junäc^ft  bemüht, 
bic  altortl^oboje  ©aframent§auffaffung  al§  unjulängli^  nac^ju* 
weifen;  wenn  er  bie  ®^ara!terifierung  be§  ©atramentS  al§  be§ 
göttU^  georbneten  2JlitteI§  ber  iubioibu eilen  ^eU^aneig* 
nung  unb  göttlichen  SBergeroifferung  unb  SBerfiegclung')  oerroirft; 
wenn  er  auSbrücflic^  bie  Sücfe  in  ber  altortl^obojen  Sluffaffung 
iDom  ©aframent  auf  jeigt  %  unb  nun  bo^  grabe  in  biefem  Qn-- 
fammen^ang  bie  fpcjififc^e  ©aframentäroirfung  aud^  oom  SBort 
gelten  lä^t.  2)a§  ©aframent  rt\\x%  mie  |)orq§  gorberung  lautet, 
etmag  bieten,  mag  baS  SBort  unb  ber  ©laubc  für  ftc^  nic^t  ju 
geben  oermag;  aber  ^ox\)  fügt  biefem  ©a^  fofort  ein  ,,in  ber 
SHegel"  ^)  einf^räntenb  l^inju.  3Jlan  Derfte^t,  roie  ^orr)  ju  biefer 
(äinfd^räntung  tommt.  @§  gefc^iel^t  unter  bem  6influ§  ber  Slu^ 
toritdt  gemiffer  ©^rif tau^fagen ;  ©d)riftmotit)  unb  ©aframent^* 
motio  vertragen  fi^  eben  nid^t  bebingung$to§  miteinanber.  2Kan 
fann  alfo  ^or^g  ©inf^ränfung  begreifen;  bamit  ift  fie  aber  nid)t 
gerechtfertigt,  ffienn  i^m  mü^te  alle§  baran  liegen,  3öort  unb 
©aframent  fo  gegeneinanber  abjugrenjen,  ha%  ma§  bem  einen 
jugemiefen  mürbe,  oon  bem  anbeten  nic^t  gelten  bürfte.  2öenn 
in  beftimmten,  fei  e§  auc^  nod^  fo  fettenen  gällen,  haä  SBort  unb 
ber  ©laube  basfelbe  follen  geben  fönnen,  mie  ba8  ©aframent,  fo 
ift  bet  ©a^  oon  bem  fpcjifif^en  S^ataftet  be§  ©aftamentg  ptei^^ 
gegeben.  |)otr)  I)at  nid^t  ben  2Kut  bet  Sonfequenj  gehabt.  6t 
fonnte  i^n  nid^t  ^aben,  meil  bie  ©c^tift  i^m  bo^  eine  ju  ge* 
maltige  ©ptacl)e  tebete,  unb  ba§  ©c^tiftptiuaip  oon  il^m  nic^t  an* 
getaftet  metben  foUte.    Uutet  biefen  Umftänben  t)ätte  et  abet  bie 

iT^orp  a.  a.  D.  <S.  77.  2)  %  a.  D.  79. 

3)  (^bh. 


(S  c^  c  e  I :  ^ic  3:auf(e^rc  in  b.  mobcrncn  poritio.,  lut^cr.  'Dogmatü.    301 

^f(irf)t  gcf)abt  gegen  bcn  ©atrament^gebantcn  ftc^  fritifc^  ju  Der* 
t)alten.  3)a  er  bie§  nid^t  tut,  mclme^r  bcr  Äonfequenj  ber  fafva* 
mentalen  ajorfteöung  fic^  jugänglic^  jcigt,  roirb  er  einem  Som* 
promig  jugefü^rt,  ba§  nic^t  nur  nic^t  befriebigt,  fonbern  au^  bie 
eigenen  ^^rämiffen  über  ben  Raufen  roirft. 

3)iefelbe  Unfic^cr^eit  finbet  man  bei  Ärog^^S^onning,  ber  boc^ 
reiner  at§  ^ort)  ben  ©aframent§begriff  burc^jufü^ren  beftrebt 
mar.  Ärogl^*2:onning  oerfuc^t  ben  9lac^mei§,  bag  bie  Saufe  bie 
SBiebergeburt  mir!t,  bie  oon  ber  rclatioe  ©elbftänbigteit  befi^en* 
ben  Heiligung  unterfd)ieben,  ein  faframentalcig  ^robu!t  ift.  ®a§ 
ftimme  auf  ba§  genauefle  überein  mit  bem  93egriff  be§  ©atra* 
ment§  aU  einer  mit  un§  üorgenommenen  ^anblung  unb  mit  un* 
ferer  O^nmad^t,  bie  un§  auf  bie  neufc^affenbc  Slßmac^t  @otte§ 
oermeife ').  Slber  nun  finbet  ft^  biefelbe  c^arafteriftifd^c  (Sinfd)rän* 
fung  roie  bei  ^onj.  SBa§  Ärog^  *  Sonning  über  ba§  SBer^Uni^ 
pon  SBort  unb  ©aframent  au§fü^rte,  foll  auf  alle  g^älle  für  nor* 
male  aSer^ältniffe  ©ültigteit  ^aben*).  2lu  einer  anberen  ©teile 
fpri^t  er  fic^  nod)  beuttirf)cr  au§.  ®r  gibt  bie  aWöglid^teit  ber 
Erlangung  ber  ©eligfeit  ju  allein  ©ermittele  be§  @nabenmittel§, 
ba§  feinem  SBefen  nac^  tebiglic^  fid)  an  ben  ©eift  roenbet,  näm* 
lic^  traft  be§  2Borte§.  S)a§  foll  freiließ  etmaS  3lbnorme§  fein^); 
für  bie  prinsipielle  53eurteilung  mac^t  bie§  aber  nici^t§  au§.  -3ft 
einmal  ba§  ^rinjip  bur^löc^ert,  fo  ift  bie  prinaipielle  ©c^eibung 
preisgegeben,  unb  man  tann  bie  2:f)efe,  bie  al§  grunblegenbe  gelten 
foll,  nur  mit  ben  alten  2)ogmatifern  ocrmögc  einer  millfürlic^en 
©e^ung  retten.  S)iefen  3tu§meg  finbet  man  auc^  bei  Ärog^- 
Jonning,  menn  er  bie  9lu§na^me  freilief)  einräumen  mug,  fie  aber 
al§  2lbnormität  gemertet  fel)en  roill,  meil  @ott  eben  jmei  ®naben* 
mittet  gegeben  I)abe,  SBort  unb  ©atrament.    ©o  fel)lt  benn  auc^ 

1)  ^rog^^^^onning  a.  a.  O.  <S.  103 :  At  Gjenfödelsen  .  .  .  ejenJomme- 
ligen  er  et  sakramentalt  Produkt  eller  formidlet  ved  Guds 
Naade  i  Sakramen'tet,  dette  maa  ansees  for  at  stemme  paa  det 
nöjeste  overens  baade  med  Sakramentets  Begreb  som  Handling»  der  fo- 
retages  med  os,  og  med  vor  Trang  som  afmaegtige,  der  ej  kan  reddea 
for  Livet  uden  i  kraft  af  Guds  enevirkende,  nyskabende  Almagt. 

2)  i  alle  Fald  under  normale  Forhold.  ebb. 

3)  91.  a.  D.  @.  53. 


302    @  c^  c  c  I :  ^ic  a;auf (c^tc  in  b.  moberncn  pofitip.,  lut^er.  ^oßmatif. 

I^icr  de  facto  ber  innere  ^tac^roeis^  ber  Jiotmenbigteit  be§  ©atra* 
mentS  neben  bem  Sort,  mag  e§  auc^  ^ro9^^2:onnin9  weit  beffer 
at^  ben  alten  S)09matitern  geglürft  fein,  burc^  gormein  ben  f^fte^ 
matifc^en  ^e^ler  ju  üerbecfen.  S^ro9^'2:onmng  fönnte  alterbing^ 
barauf  tjinmeifen,  ba§  er  boc^  ein  ©egner  jeber  mec^anif^en  Sren* 
nung  ber  beiben  ©nabenmittcl  fei,  ja,  ba§  er  bem  ©aframent 
au^  ein  oerbaleö  3Woment  auftreibt  ^).  2)ie  f^mbolifd^e  2lrt  be§ 
©aframentg  mac^t  nad)  i^m  barauf  aufmertfam,  ba§  eS  auc^  auf 
ben  ®eift  mirten  foQ.  3)a§  ift  ri^tig,  bebeutet  aber  in  unferem 
3ufamment)ang  ni^t§;  e§  bebeutet  ^öc^ften§  eine  neue  SBerfd^teie- 
rung.  3)enn  immer  mürbe  e§  ftd)  nur  um  eine  inbirette  SBir- 
fung,  unb  jmar  be§  ©aframent§  tianbeln.  ®a§  entf^eibenbe  ift 
aber  bie§,  ba§  Ärog^*2:onning  bem  3Bort  bie  ooße  ^eilSmirfung 
unabpngig  oom  ©aframent  jufd)reibt.  @§  fann  auc^  beffen  no^ 
gebaut  werben,  ba§  Srogti^Sonning  im  weiteren  SSerlauf  biefer 
2lu§fü^rungen  feiner  ©aframent§t^efe  nur  in  ber  götm  einer 
^gpot^efc  ©rmä^nung  tut.  @in  günftige^  SJorurteil  für  bie  Slieoric 
tann  bie§  aUe§  nid)t  erroeden.  2)ie  S^eoretiter  felbft  verraten 
eine  bebcnflict)e  Unfid^erl^eit. 

3u  biefer  fqftematifc^en  Unftc^erlieit  gefeilt  ft^  eine  milltür^ 
ti^e  Segriff^begrenjung.  @§  oertrcigt  fid)  nic^t  mit  bem  6rnft 
fijftcmatifc^er  ©ebantenfü^rung,  wenn  ^or^  bie  grunblegenben 
Erörterungen  in  ber  ©eftalt  oon  Söermutungen  entroidelt.  ^or^ 
räumt  ein,  ba§  ba§  3öort  tonjentriert  wirf en  fann-),  ba§  e§  ben 
ajlenfc^en  in  feinem  innerften  ajlittetpunft  gleic^fam  mit  momem 
taner  3ufömmenfaffung  feiner  ganjen  Kraft  treffen  unb  fo  eine 
Dur^greifenbe  Umgeftaltung  bewirten  fann^).  ®§  foU  aber,  \>a^ 
ift  bie  oorau^gefe^te  ^^tberung,  ber  Unterfc^icb  oon  SBort  unb 
©aframent  nad)gewiefen  werben.  ®a§  gefc^ie^t  einmal,  inbem 
jur  Ueberrafc^ung  be§  Sefer§,  ber  bie  foeben  jitierten  SQSorte  noc^ 
im  @ebäd)tni^  ^at,  erflärt  wirb,  ba&  ba§  m^  ^erj  l^inein  gefenfte 
SBort  ,,wo^l  felbft  tricbträftig,  aber  nic^t  oermögenb,  au§  fic^ 
allein  bie  ganje  güUe  be§  Seben§  mit  allen  feinen  Attributen  in§ 
3)afein  ju  rufen"  *),  Dom  ©aframent  berührt  werbe  unb   fraft 

1)  Sl>oöl)^2:onning  a.  a.  D.  122.  2)  ^or^  a.  a.  D.  S.  84. 

3)  (§^bh.  4)  3J.  a.  D.  8.  88. 


@  c^  c  c  I :  S)ie  3:auf(cöre  in  b.  mobernen  pofltit).,  (ut^er.  ^ogmatif.    303 

bicfcr  SBcrü^rung  ba§  Siditlcbcn  fic^  entjünbe.  2)a§  ift  aber  im 
^iublid  auf  ba§  crftc  3u9^ftönbni§  eine  roiUtürlidje  53c^auptunfl. 
Sobann  wirb  aber  a\x6)  auf  bcn  Unterfc^icb  bcr  fpenbcnben 
^erfon  im  SBort  unb  ©aframcnt  aufmcrffam  gemalt.  2lbcr 
Icibcr  tann  ^org  bcn  93cn)ci§  für  biefc  Untcrfc^cibung  nid^t  brin= 
gen.  @r  fc^ilbcrt  in  längerer,  an  jolianneifc^e  ©teDen  fic^  an» 
f^Ue^enber  2tu§einanbcrfe^ung  bcn  @ang  ber  ^eiteaneignung  in 
bcn  einacincn  üKenfc^cn,  „um  bcn  ^unft  ju  bcftimmcn,  mo  ba§ 
©aframcnt  in  ba^fclbc  eingreift"  ').  S)er  SBatcr  bringt  bur^ 
bcn  be§  SSort^  fic^  bebienenben  ®eift  bic  innerfte  ©aite  bc§  @ottc§* 
bemugtfeing  jum  Süngcn.  3)ie§  roirtcnbc  SBort  ift  ba§  SBort 
ß^rifti,  foba§  bur^  bic§  SBort  ein  SBcr^ältni^  ju  ®^riftu§  ange- 
bahnt roirb,  i>a^  Siebe  unb  SScrcIirung  ber  SÄcnf^cn  unb  bic  ®r* 
fa^rung  göttlicher  Siebe  enthält.  ®ie§  immer  noc^  ni^t  bcn  rc* 
ligiöfcn  ^citSbefi^  unb  bie  Erfüllung  unb  bcn  93efi^  be§  ©lau- 
ben§  fennenbc,  fonbern  nur  oorbercitenben  S^arafter  tragenbc 
SßerljältniS  ju  ©^riftu§  mirb  in  ba§  Stabium  be§  ^aben§  über-- 
gefül^rt  bur(^  bic  auf  ©runb  eine§  2:un§  S^rifti  erfolgenbe  ©en* 
bung  be§  ®cifte§  in§  ^erj.  9Jlit  bem  ®eift  n)oI)nt  fic^  aber 
®^riftu§  felbft  im  SWenfc^en  ein  2);  ba§  rctigiöfc  Qul  ift  je^t  cr^* 
rei^t.  ®§  foll  ^ier  nid^t  bie  grage  untcrfuc^t  werben,  ob  biefe 
©fiSjc  bcr  ^eil§ancignung  bcn  rcformatorifd)en  9iec^tfcrtigung§* 
gebauten  überbietet  unb  baburc^  au§  feiner  be^errfc^enben  Stet« 
lung  oerbrängt.  ^ier  gilt  e§,  biefen  ©ntmurf  ber  |)eit^aneignung 
barauf  l^in  anjufe^en,  ob  er  bie  oon  ^org  bel^auptetc  Unterfc^ie* 
ben^eit  ber  ^erfon  be§  (Spenber§  im  SBort  unb  ©atrament  be^ 
weifen  tann.  Unb  eben  biesi  ift  nid^t  ber  gall.  3)ic  Sinien,  bie 
^org  ^ier  jieljt,  roerben  beftimmt  burd^  bie  ^untte  SBort  unb 
©eift,  SBort  unb  e^riftu§,  ©eift  unb  6:t)riftu§,  b.  ^.,  bie  aUge^ 
meine  ©tiaratteriftit  ber  ^eit^aneignung  tann  gegeben  merben, 
o^ne  ba§  ein  notmenbiger  ^la^  für  ha^  ©atrament  gefunben 
roirb  unb  ot)ne  i>a^  eine  notmenbige  Trennung  be§  ®eifte§  unb 
©l)rifti  nad^gemiefen  mirb.  2)cnn  ber  ©eift  bebient  fid^  bc§ 
SBortc§,  n)el^e§  ein  SBort  ©firifti  ift,  begrünbet  ein  a3crl)ättni§ 
ju  ®^riftu§,   baig   ergänjt  wirb  burc^   bie  ©enbung  be§  ©eiftcs; 

1)  §or9  a.  a.  O.  ©.  84.  2)  51.  a.  O.  6.  86. 


304    @  ^  e  c  1 :  2)ie  Slaufle^rc  in  b.  mobemcn  pofitu).,  lut^er.  ^ogmotit 

in§  ^crj,  mit  bem  nun  (£^riftu§  felbft  in§  ^crj  cinjie^t.  @S 
rocc^feln  alfo  rool^I  formal  bie  Scgriffe  Oeift  unb  S^riftuS;  aber 
roie  in  bcm  oorbcreitcnben  aift  2öort,  ©eift  unb  ffi^riftuS  jufam* 
mengeftimmt  crfc^cincn,  nid^t  aber  bifferenjiert,  fo  au^  in  bcm 
legten,  ben  cigentti^cn  53cft^  garanticrenbcn  Slft.  3Äit  bem  (Seift 
ber  ja  be§  SBorteg  fic^  bebiencn  mu§,  nimmt  (S^riftuö  SEBo^nung 
im  ^erjen.  ®er  üon  ^ox\)  gebotene  SBcc^fel  ber  ^Begriffe  ©eift 
unb  ®t)riftus  ift  nid)t  imftanbe,  eine  (Srgdnjung  be§  333ort§  burd^ 
ein  anbcre§  SJlittet  al^  notmenbig  ju  ermeifen,  ober  ba§  ber  ®eift 
unb  ®I)riftu§  oerfd^iebener  9JHttel  ftc^  bebienen  müßten,  ^org 
fetbft  f)at  eine  ®mpfinbung  für  biefe  Südfe.  S)cnn  er  erfldrt  am 
@cf|Iuffe  bicfe§  2tbfa^e§,  ber  ba§  bogmatif^c  Stefultat  auö  ben 
oorangegangenen  Srörterungen  ableiten  foö,  e§  l^abe  ftc^  eine 
SWei^e  Don  2lften  tierau^gefteßt,  in  benen  ber  ®eift  por^errfc^enb 
mar,  unb  eine  9teif|c,  in  ber  oon  ®^riftu§  bieS  galt,  „'^üt  bie 
eine  9leil)e  fteltte  ftcf)  un§  al§  Organ  ba§  SQSort  bar,  fotlte  e§ 
nic^t  für  bie  anbere  Steige  ba§  ©aframent  fein?  ©oute  nid)t, 
mie  ber  I)eitige  ©eift  burd)  ba§  SBort,  fo  ®^riftu§  oorl^errfc^enb 
burc^  ba^  ©aframent  roirfen"^)?  ©oldie  nict)t  einmal  burc^  bie 
Doraufgegangenen  ©rörterungen  glaub^^aft  gemachten  93ermutungen 
f)aben  natürlich  feinen  bogmatifc^en  SBert.  53ebeutung§ooll  fmb 
fie  aber,  fobalb  jur  2:^efe  ^org^  Stellung  genommen  werben  foH. 
©ie  bctunben  ben  Sßerjid^t  auf  bie  fijftematifrf)e  53egrünbung  grabe 
be§  fpringenben  ^unfte§. 

2luc^  ^rog^*2:onning§  3)arftellung  fann  man  oon  bem  aSor« 
murf  ber  SBillfür  ni^t  frei  fprec^en.  ®r  meint,  eine  JRettung 
befonber§  ber  Äinbcr  fei  nur  bann  möglid),  menn  ©Ott  auc^  burc^ 
ein  anbere§  SWittet  mit  un§  oerfe^ren  tonne  aU  burc^  ba§  SBort, 
nämlid)  burd)  bie  ^anblung,  unb  menn  biefe  ^anblung  an  baS 
Unperfönli^e  be§  SWenfd^en  fic^  menbe  ^).  ©o  mirb  ber  SSegriff 
ber  ^anblung  bejeidinenb  für  bie  ©igenart  be§  ©atrament§ ;  unb 
ber  ^anblung  ift  e§  eigentümli^,  nur  ^ffioität  im  3)lenfc^en 
üorau§5ufe^en  ^).    ^m  faframentalen  ©f)riftentum   ift  ©ott  l^an* 

1)  ©otQ  a.  a.  D.  ©.  87. 

2)  ^rog^^3:onning  a.  a.  D.  ©.  72. 

3)  9(.  0.  D.  @.  39. 


@  c^  c  c  I :  ®ic  aiauflc^rc  in  b.  mobernen  pofitip.,  Iutf)cr.  ^ogmatü.    305 

bclnb,  bct  SWenfc^  rcjeptio  ^).  S)q§  2öort  aber  fc^t  bic  freie  ^er* 
fönlic^!eit  oorau§^),  unb  bie  SBirtfamfeit  be§  2öorte§  ^ängt  ab 
oon  ber  ©ef^affenl^eit  unfcve^  ©eifte^^),  ber  fic^  nid)t  unmittcl* 
bar  beeinfluffen  Id^t  %  roie  bie  Statur,  ©o  ^at  burrf)  \>a^  9ta* 
türli^e  in  un8  ba^  9latür(ici^e  au§er  un§  S^flöng  »um  ©eiftigen. 
®a§  entfpri^t  auc^  ben  gorberungen  einer  gefunben  'ißfqc^ologie  ^). 
2)iefe  gefunbe  ^fr)c^o(ogie  fc^eint  aDerbing§  Ärog^52:onning  nid)t 
fo  einteuc^tenb  ju  fein,  roie  feine  Sl^efen  oermuten  laffen.  S)enn 
er  mu§  fie  bod^  fd)lieglic^  al§  SJlgfterium  beurteilen.  9lber  baoon 
mag  ^ier  abgefe^en  roerben.  ®ie  5^age,  auf  bic  e§  ^ier  oor 
aUcm  antommt,  ift  bie,  ob  Ärog^^Jonning  berechtigt  ift,  SBort 
unb  ^anblung  fo  gegen  einanber  abjugrenjen,  wie  e^  oon  il)m  gc* 
fc^e^en  ift. 

2)aB  ber  Sut^eraner  Ärog^^Jonning  mit  feiner  bie  SBieber^ 
gcburt  auf  ba§  (Sa!rament,  bie  Heiligung  auf  ba§  SBort  bejie» 
^enben  S^eorie  bie  a(ttut^erifd)e  Se^re  oon  ber  2öiebergeburt  oer* 
lägt,  ift  ba§  menigfte,  ba§  gegen  feine  Slieorie  einjumenben  märe. 
Ärog^^Sonning  mürbe  aud)  einen  folc^en  Sßormurf  nic^t  aKju 
fc^mer  nel^men;  er  miß  ja  nid)t  repriftinieren,  fonbern  meiter» 
bilben.  93ebeutung§ooUer  ift  aber,  ba§  bie  üon  il)m  beliebte  ©c^ei* 
bung  ba§  religiöfc  Urteil  unb  bie  pfg^ologifc^e  93etrac^tung  in 
einanber  mirrt  unb  in  ber  2luffaffung  oon  ber  SBortmirtfamfeit 
ju  ©ebanten  tommt,  bie  mit  ber  reformatorifd^en  ©nabenle^re  in 
Konflift  geraten.  S)a§  SBort  foU  nad)  Slrog^^Sonning  ben  9Wen* 
fd)en  nur  in  eine  neue  Situation  führen,  bie  i^m  bie  aWöglic^« 
teit  ber  3BaI)l  gibt^).  2)ie  fatramentale  ^anblung  aber  bebeutet 
eine  9teufc^öpfung  be8  ©ünber§.  2Bo  ba§  SBort  auftritt,  mirb 
an  bie  SWitmirfung  be§  3JJenfc^en  appelliert,  mä^renb  allein  beim 
Saframent  oon  ber  ^affioität  be^  3JJenfd)en  gefproc^en  merben 
tann.  SWit  biefer  Srflärung,  bie  bie  SBiebergeburt  auf  ba§  @a* 
trament,  bie  Heiligung  auf  ba§  SBort  einftellt^),  mill  e§  aller* 
bing§  menig  jufammenftimmen,  ba§  aud^  eine  SBiebergeburt  bur^ 

1)  21.  a.  D.  S.  78.  2)  21.  a.  D.  S.  48. 

3)  21.  a.  D.  S.  72.  4)  21.  a.  D.  ©.  97. 

5)  21.  a.  D.  S.  98. 

6)  ^rog^^2:onning  a.  a.  D.  S.  119.  7}  21.  a.  D.  @.  103. 

^citfc^rift  für  Ideologie  unb  Ritdit.  16.  aa^rg.,  4.  ^eft.  22 


306    @  c^  e  c  I :  "Die  2:auflcl)rc  in  b.  mobcrnen  pofitir).,  lut^cr.  ^oßntatit 

ha^  333ort  ancrfonnt  roirb.  I  ^ctr  1,23  lieg  fi^  ja  uid^t  igno- 
rieren, n)ie  benn  ilber^aupt  biefe  ©d^riftfteöe  eine  bleibenbe  crux 
für  bie  fpejififd)e  ©atrament§t^eoIogie  geworben  ift.  Srog^^Son* 
ning  pnbet  ftd^  aber  boc^  oer^ätttii§mä§ig  leicht  mit  bicfer  ©teUe 
unb  anberen,  älinUc^  lautenben  ab.  S)enn  er  f^idt  i^rer  ^efpre^ 
c^ung  ooran  bie  (SrKärung,  bog  ba§  ©aframent  ba§  nS^fte 
nnb  eigentlid^e  ajlittel  ber  SSiebergeburt  bleibe  unb  er  lägt  i^r 
unoermittelt,  unb  o^ne  bag  er  be§  3öiberfpruc^§  mit  bem  offen== 
baren  SBortlaut  ber  ©d^riftfteKen  ju  gebenfen  für  nötig  befinbet, 
bie  ®rfiärung  folgen,  bag  ba§  SBort  mit  bem  ©atrament  gufam* 
men  ba^  neue  Seben  mirft^).  SBenige  3^ilcn  oor^er  ^atteeraber 
fetbft  bie  SWi^tigfeit  be§  ©d^riftmort^  mit  ber  53el^auptung  be» 
grünbet,  bag  ja  @otte§  SBort  „®eift  unb  Seben"  fei  (^o^  6, 63). 
®^  ift  alfo  ein  mertmürbigeg  ©dimanfcn  jmifdien  bigparaten  9Wo= 
tioen  ju  tonftatieren.  SBiß  man  baoon  aber  feine  9Joti}  nel^men, 
fo  mug  man  jebenfallg  ben  9tac^mei§  bafür  oertangen,  bog  ber 
9tefur§  auf  ba§  SBort  allein  fguergiftifd^e  @eban!engänge  au^löft. 
3)enn  um  bie§  ju  oermeiben,  miß  ja  Srogl^= Jonning  auf  ba§  ©a^ 
frament  jurüdge^en.  2)en  9ta^n)ei§  tann  er  aber  nid^t  geben. 
3)enn  einmal  mug  er  ja  unter  bem  ®inbrud  geroiffer  ©d^rift* 
fteHen  feine  allgemeine  9luffaffung  oon  ber  SBirfung  bei^  aOBorteS 
fallen  laffen.  ©obann  aber  oermed^felt  ^rog^^Sonning,  roie  ba§ 
übrigen^  innerlialb  ber  fpejififd)  lutl^erifd^en  ^eil^le^re  üblid^  ift, 
bie  pfr)d)ologifc^e  ©pontaneität  mit  bem  religiöfen  Urteil  über  biefe 
©pontaneität.  Ärogl)^2:onning  t)at  ganj  gemig  SRe^t,  menn  er 
ein  rein  paffioeg  93erl)alten  be§  üKenfc^en  gegenüber  bem  2öort 
in  2lbrebe  ftellt.  SBo  ®eift  mit  ©eift  in  Serü^rung  fommt,  fann 
man  eben  nid)t  auf  ber  einen  ©eitc  fd^tec^tljinnige  2lftii)ität,  auf 
ber  anbcrn  ©eite  f(^te^t^inige  ^affioität  fonftatieren.  S)enn  ba§ 
Slttioum  trifft  auf  ein  SlftioeS.  S0Jit  ber  pfgc^ologifd^en  ©pon* 
tancität,  bie  ja  auc^  bereite  im  Segriff  ber  pft)d)ologifc^en  9le== 
jeptioität  entl^alten  ift,  mug  man  al§  mit  einer  unabmei^baren 
2:atfad)e  recfinen.  Slber  fie  barf  nic^t  ibentifijicrt  merben  mit 
einem  barauf  fid)  grünbenben  Slnfprud)  oor  (Sott  ober  auc^  nur 
mit  bem  ©ebanten  be^  liberum  arbitrium  indifferentiae.     Senn 


1)  m.  a.  D.  @.  108. 


@  c^  c  e  l :  ^ic  2;auf(c^rc  in  b.  mobcrncn  pofitiov  lut^cr.  ^ogmatif.     307 

ba§  agitatioc  SWoment  tann  man  nid)t  fid^,  fonbcrn  nur  bcm 
SBorte,  rcfpeftioc  Oott,  jufc^rciben,  unb  roa^  empfangen  wirb, 
betrad^tet  man  ni^t  al§  ben  @rfoIg  eigener  Jätigfeit,  fonbcrn  a(§ 
ein  ©nabengcfc^en!,  ba§  angeboten  mirb.  ®§  ift  auc^  feine  an« 
bere  ©teKungna^me  möglic^.  Senn  ba§  3Bort,  unb  mit  bem  SBort 
ba§  §eil§gut,  ift  unabl^ängig  oon  bem  einjelnen,  bem  eiS  gelten 
folt,  ba.  2)ie  ^fqc^ologie  ^at  fad^Uc^  nid)t§  mit  ben  geiftUd)en 
35Berten  unb  ©aben  ju  tun,  fie  bejeidjnet  nur  bie  allgemeine 
gorm,  in  ber  fie  n)irt(id)  werben,  ^f^c^otogifc^c  Urteile  unb  re» 
ligiöfe  Urteile  bewegen  fic^  in  ©paaren,  bie  fa^ti^  ni^t§  mit 
einanber  ju  tun  l^aben.  Sie  tonnen  fic^  barum  ni^t  gegenfeitig 
ftören.  3)a^  religiöfe  Urteil  mu§  ju  bem  pfgdjologifc^en  ^inju« 
treten,  bamit  eine  fac^lic^e  unb  inl^attlidie  ©rtenntni^  gewonnen 
wirb.  2)ie§  religiöfe  Urteil  ^ängt  bann  aber  nic^t  ab  oon  bem 
pfg^ologifc^en,  fonbern  oon  ber  Statur  be§  ^n^alt^,  nac^  bem 
aüein  e§  ftc^  richten  barf.  3öill  man  aber,  wie  S^rog^-Sonning 
e§  tut,  t)on  bem  pfg^ologifc^en  Urteil  au§  ein  in^altlicf|e§  Urteil 
gewinnen,  fo  oermengt  man  fad^wibrig  unb  willfürlic^  ni^t  ju^ 
fammenge^örigc  ©ebiete.  S?rog^«2onningö  2:t)eorie  l^at  aber  noc^ 
ben  weiteren  9kct)teil,  ba§  fie  in  bem  SlugenblidE,  wo  ber  "S&ixh 
famfeit  be§  SSorte§  geba(^t  wirb,  ben  ©nabengebanten  preisgibt. 
3)enn  J?rogt)^2:onning  meint  ja  nur  bann  ben  ©uabengebanfen 
fcft^alten  ju  fönnen,  wenn  eine  abfolute  ^^affioitdt,  wie  fie  im 
^inblid  auf  ba§  SBort  niemals  möglich  ift,  behauptet  wirb.  2)iefer 
Slonfequenj  fann  er  nur  entgegen,  wenn  er  eine  unoermittelte, 
lebenf^affenbe  SBirf famfeit  be§  2Bort8  oorausfe^t.  Slber  bieö 
würbe  nad)  Srogl^==2:onning^  ©rflarungen ')  immer  nur  eine  2lu§= 
nat)me  fein;  unb  e§  würbe  ferner  eine  fold)e  Säuffaffung  oon  ber 
aCBirffamfeit  be§  SBort^  in  SBiberfprud^  geraten  mit  feinen  eigenen 
grunblegenben  ©rörterungen  über  bie  2trt,  wie  ba§  SBort  wirft. 
^rogt)==2:onning  begrenjt  alfo,  fad^tic^  angefel)en,  willfürlic^ 
bie  SSirfung^art  be§  Söort§.  Söillfürlic^  ift  aber  auc^  bie  oon 
i^m  gebotene  Sßer^ältni^beftimmung  oon  SSort  unb  |)anblung. 
3)ie  ^anblung  allein  foU  imftanbe  fein,  an  ta^  Unperfönlic^e  be§ 
SJienfd^en,  an  feine  Statur  fic^  ju  weuben.    2lbcr  Srogt)^2onning 

1)  ^rog^--2:onning  a.  a.  D.  3.  107.  108. 

22* 


306    @  c^  c  c  ( :  ^ic  2:auf(c^rc  in  b.  moberncn  pofltii).,  (ut^cr.  ^oßmatü. 

t)a§  333ort  ancrfannt  roirb.  I  ^etr  1,23  lie^  fic^  ja  nic^t  igno* 
ricrcn,  wie  bcnn  übcrl^aupt  bicfe  ©c^riftfteüc  eine  blcibenbe  crux 
für  bie  fpejififd)e  ©atrament^t^cologie  geworben  ift.  Ärog^^^Son^ 
ning  finbet  fid^  aber  boc^  oerl^älthiöma^ig  leicht  mit  biefer  Stelle 
unb  anberen,  ä^nli^  loutenben  ab.  ffienn  er  f^idt  i^rcr  93efpre« 
c^ung  ooran  bie  ©rtlärung,  ha^  ba^  Saframent  ba§  nä^fte 
unb  eigentUd^e  üKittel  ber  2öiebergeburt  bleibe  unb  er  lä^t  i^r 
unoermittelt,  unb  ol^ne  \>a^  er  be§  2öiberfpru^§  mit  bem  offene 
baren  SBortlaut  ber  ©c^riftftellen  ju  gebenfen  für  nötig  befinbet, 
bie  Srtlärung  folgen,  ba§  ba^  SBort  mit  bem  ©atrament  jufam* 
men  ba^  neue  Seben  mirft*).  SBenige  Seilen  oor^^er  l^attecraber 
felbft  bie  JRic^tigfcit  be§  ©^rtftioort§  mit  ber  53e^auptung  be* 
grünbet  ba§  ja  @otte§  SBort  „(Seift  unb  Seben"  fei  (3o^6,63). 
®§  ift  alfo  ein  merfroürbigeg  ©c^manfen  jmif^en  bi^paroten  SWo- 
tioen  }u  fonftatieren.  SBill  man  baoon  aber  feine  ^Jotij  nel^men, 
fo  mu§  man  jebenfall§  ben  Jtac^meiS  bafür  ©erlangen,  ba§  ber 
9tefur§  auf  ba§  SQSort  allein  fgnergiftifc^e  @eban!engänge  au§löft. 
Senn  um  bie§  ju  oermeiben,  miH  ja  Srog^= Jonning  auf  ba§  ©a* 
frament  jurüdgel^en.  2)en  5ia^n)ei§  fann  er  aber  nid^t  geben. 
S)enn  einmal  mu§  er  ja  unter  bem  ®inbrucf  geroiffer  ©c^rift* 
ftellen  feine  attgemeine  2luffaffung  oon  ber  SBirtung  be§  2Borte§ 
fallen  laffen.  ©obann  aber  oermed)felt  Rrog^^Jonning,  mie  ba§ 
übrigeng  innerhalb  ber  fpejifif^  lut^erifc^en  ^eil^letire  üblic^  ift, 
bie  pfgd^ologif^e  ©pontaneität  mit  bem  religiöfen  Urteil  über  biefe 
©pontaneität.  Ärog^-Sonning  l^at  ganj  gemi^  SRed^t,  roenn  er 
ein  rein  pafftoe§  SJer^alten  be§  SJWenfc^en  gegenüber  bem  SBort 
in  Slbrebe  ftellt.  SBo  ©eift  mit  ©eift  in  93erü^rung  tommt,  tann 
man  eben  nic^t  auf  ber  einen  ©eite  fd^lec^tljinnige  2lftioität,  auf 
ber  anbern  ©eite  f(^led)tl)inige  ^affioität  fonftatieren.  Senn  ba§ 
Slftioum  trifft  auf  ein  2lftioe§.  S0Jit  ber  pfr)c^ologifd)en  ©pon* 
taneität,  bie  ja  aud^  bereite  im  Segriff  ber  pfpc^ologifc^en  SHe* 
jeptioität  enthalten  ift,  mu§  man  al§  mit  einer  unabmei^baren 
S^atfaclje  recfinen.  2l6er  fie  barf  nid)t  ibentifijiert  werben  mit 
einem  barauf  fic^  grünbenben  2lnfpruc^  oor  ©ott  ober  auc^  nur 
mit  bem  ©ebanfen  be§  liberum  arbitrium  indiffereutiae.     2)enn 

1)  3(.  a.  D.  S.  108. 


(S  (^  e  e  l :  ^ic  2:auf(ef)rc  in  b.  moberncn  pofitit).,  lutf)er.  ^ogmatif.     307 

ba^  agitatioe  SWomcnt  fann  man  nic^t  fic^,  fonbcrn  nur  bem 
aSorte,  refpcftioe  Oott,  jufdörciben,  unb  xoa^  empfangen  rairb, 
betrachtet  man  nic^t  aU  ben  @rfoIg  eigener  Jätigfeit,  fonbcrn  a(§ 
ein  ©nabengefc^enf,  ha^  angeboten  mirb.  @§  ift  auc^  feine  an-- 
bere  ©tenungnat)me  möglid).  S)enn  \>a^  SBort,  unb  mit  bem  Sßort 
ba§  ^ei(§gut,  ift  unabl^ängig  oon  bem  einjelnen,  bem  e§  gelten 
foH,  ba.  S)ie  ^fpc^ologie  ^at  fac^üd^  ni^t§  mit  ben  geiftlid)en 
2öerten  unb  ©aben  ju  tun,  fic  bejeidinet  nur  bie  allgemeine 
gorm,  in  ber  fie  mirtlic^  werben,  ^f^d^otogifdje  Urteile  unb  re* 
ligiöfe  Urteile  bewegen  fid^  in  ©paaren,  bie  fac^li^  nic^t§  mit 
einanber  ju  tun  l^aben.  Sie  fönnen  ftc^  barum  ni^t  gegenfeitig 
ftören.  3)a§  retigiöfe  Urteil  mu§  ju  bem  pfg^ologifdien  ^inju^ 
treten,  bamit  eine  fac^lic^e  unb  in^altlidie  ©rtenntni^  gewonnen 
wirb.  2)ie§  religiöfe  Urteil  ^ängt  bann  aber  nic^t  ab  oon  bem 
pfgc^ologifc^en,  fonbern  oon  ber  9tatur  be§  ^nt)alt^,  nac^  bem 
allein  e§  ftd^  richten  barf.  SBill  man  aber,  wie  Ärog^*2:onning 
e§  tut,  oon  bem  pfgdiologifc^en  Urteil  au§  ein  in^altlic^e^  Urteil 
gewinnen,  fo  oermengt  man  fad)wibrig  unb  willtürlic^  ni^t  ju^ 
fammenge^örige  ©ebiete.  Ärog^-Sonning^  Stieorie  l^at  aber  noc^ 
ben  weiteren  ^Jtad)teil,  ba&  fie  in  bem  Slugenblicf,  wo  ber  SBirf* 
famteit  be§  SSorte§  gebadet  wirb,  ben  ©nabengebanfen  preisgibt. 
2)enn  Krog^-Sonning  meint  ja  nur  bann  i>tn  ©nabengebanfen 
feft^alten  ju  fönnen,  wenn  eine  abfolute  ^affioität,  wie  fie  im 
^inblid  auf  ba§  35Bort  niemals  möglid)  ift,  behauptet  wirb.  2)icfer 
^onfequenä  fann  er  nur  entget)en,  wenn  er  eine  unoermitteltc, 
lebenfd)affenbe  aöirffamfeit  be§  2Bort8  oorau^fe^t.  Slber  bie§ 
würbe  nac^  Ärog]^52:onning§  ©rfldrungen')  immer  nur  eine  2lu§^ 
na^mc  fein;  unb  e§  würbe  ferner  eine  folc^e  2luffaffung  oon  ber 
aCBirffamteit  bc§  SSort^  in  SBiberfpru^  geraten  mit  feinen  eigenen 
grunblegenben  ©rörterungen  über  bie  2lrt,  wie  ba§  2Bort  wirft. 
Ärogti'Jonning  begrenjt  alfo,  fac^lic^  angefefien,  willfürlic^ 
bie  äBirfung^art  be§  3öort§.  aOBillfürlidi  ift  aber  and)  bie  oon 
i^m  gebotene  aSert)ältni§beftimmung  oon  Söort  unb  ^anblung. 
3)ie  |)anblung  allein  foU  imftanbe  fein,  an  ba^  Unperfönlic^e  be^ 
3Kenfc^en,  an  feine  ^natur  fic^  au  wenben.    2tbcr  ftrogti^Jonning 

1)  Ätoab^3:onnin0  a.  a.  O.  3.  107.  108. 

22* 


306    ©  c^  c  c  I :  ^ic  3:auflel)rc  in  b.  mobcrnen  pofitir).,  (ut^cr.  ^ogntatit 

ha^  3Bort  ancrfannt  lüirb.  I  ^etr  1,23  lieg  fic^  ja  ui^t  igno« 
rieten,  n)ie  benn  überl^aupt  bicfc  ©c^riftftette  eine  bleibenbe  crux 
für  bie  fpejififc^e  ©atrament^ttieofogie  geworben  ift.  ^rog^^Jon* 
ning  finbet  fid^  aber  bod^  Derl^älthi^mä^ig  leicht  mit  biefcr  ©teile 
unb  anberen,  äl^ntici^  lautenben  ab.  3)enn  er  fd)icft  i^rer  SBefpre^^ 
c^ung  ooran  bie  ©rftärung,  ba§  ba§  ©aframent  ba§  nä^fte 
unb  eigentlid^e  üKittel  ber  2Biebergeburt  bleibe  unb  er  lä^t  ilir 
unoermittelt,  unb  ol^ne  bog  er  be§  SBiber[prucf|§  mit  bem  offen* 
baren  SEBortlaut  ber  ©^riftfteßen  ju  gebenfen  für  nötig  befinbet, 
bie  Srflärung  folgen,  ba§  ba§  SBort  mit  bem  ©aframent  jufam* 
men  ba^  neue  Seben  mirft*).  SBenige  Seilen  oorlier  ^atteeraber 
felbft  bie  SWi^tigteit  be§  ©c^riftmort^  mit  ber  93e^auptung  be* 
grünbet,  ba^  ja  @otte§  Sort  „®eift  unb  Seben"  fei  (3[oH.63). 
6§  ift  alfo  ein  merfmürbigeö  ©^manfen  jmifdjen  bi§paraten  9Wo^ 
tioen  }u  fonftatieren.  aBill  man  baoon  aber  feine  9toti}  nel^men, 
fo  mu^  man  jebenfallS  ben  Jiac^mei^  bafür  verlangen,  ba§  ber 
9tefur§  auf  ba§  SQSort  allein  fgnergiftifd^e  Ocbanfengänge  au^löft. 
2)enn  um  bie§  ju  oermeiben,  roiH  ja  Srogl^^Sonning  auf  ba§  ©a* 
trament  jurüdfge^en.  ®en  ^aijxotx^  tann  er  aber  nid^t  geben. 
2)enn  einmal  mu§  er  ja  unter  bem  ©inbrucf  gemiffer  ©d^rift* 
fteHen  feine  allgemeine  Sluffaffung  oon  ber  SBirfung  be§  SBorteS 
fallen  laffen.  ©obann  aber  oern)ed)felt  ßrogt)=Jonning,  mie  \>a^ 
übrigeng  innerl^alb  ber  fpejififd^  lutl^erifd)en  ^eil^le^re  üblic^  ift, 
bie  pfgc^ologifc^e  ©pontaneität  mit  bem  religiöfen  Urteil  über  biefe 
©pontaneität.  Ärogfi-J^onning  ^at  ganj  getoi^  SRec^t,  menn  er 
ein  rein  pafftoe§  SSer^alten  be§  9Kenf^en  gegenüber  bem  3öort 
in  9lbrebe  ftellt.  SBo  ©eift  mit  ®eift  in  Serü^rung  fommt,  fann 
man  eben  nic^t  auf  ber  einen  ©eitc  f(^lec^t^innige  3lftioität,  auf 
ber  anbern  ©eite  f(^lec^tl)inige  ^affioität  fonftatieren.  3)enn  ba§ 
Slftioum  trifft  auf  ein  2lftioe§.  9JJit  ber  pf^diologifd^en  ©pon* 
taneität,  bie  ja  aud)  bereite  im  Segriff  ber  pft)d^ologifd)en  Sle^ 
jeptioität  entl^alten  ift,  mu§  man  al§  mit  einer  unabmei^baren 
2:atfacl)e  red^nen.  Slber  fie  barf  nic^t  ibentifijiert  werben  mit 
einem  barauf  fid)  grünbenben  Slnfprud)  oor  @ott  ober  auc^  nur 
mit  bem  ©ebanten  be^  liberum  arbitrium  indiffereutiae.     2)enn 

""i)  kTZo.  ©.  loa 


@  (^  c  e  I :  %k  2:auf(c^rc  in  b.  mobcrncn  pofitiDv  Iutf)er.  ^ogmatif.     307 

ba§  agitatiDC  SWoment  fann  man  ni^t  ft^,  fonbcrn  nur  bcm 
SBorte,  refpeftioc  ®ott,  jufc^reibcn,  unb  voa^  empfangen  rairb, 
betrachtet  man  nid^t  at§  ben  @rfo(g  eigener  Jätigfeit,  fonbern  a(§ 
ein  ©nabengefc^enf,  \>a^  angeboten  mirb.  6^  ift  auc^  feine  an-- 
bere  ©teDungna^me  mögtic^.  S)enn  ba§  3Bort,  unb  mit  bem  SBort 
ba§  |)ei(§gut,  ift  unabl^ängig  üon  bem  einjetnen,  bem  eö  gelten 
foH,  ba.  2)ie  ^fqc^ologie  ^at  fac^lic^  nid)t$  mit  ben  geiftlid)en 
SEBerten  unb  ©aben  ju  tun,  fte  bejeic^net  nur  bie  allgemeine 
gorm,  in  ber  fie  roirflic^  roerben.  ^fgdiologifc^e  Urteile  unb  re* 
ligiöfe  Urteile  bewegen  fid^  in  ©paaren,  bie  fac^li^  nic^tö  mit 
einanber  ju  tun  ^aben.  ©ie  tonnen  fic^  barum  nic^t  gegenfeitig 
ftören.  3)a§  religiöfe  Urteil  mu§  ju  bem  pfgdjologifdien  ^inju» 
treten,  bamit  eine  fa^lic^e  unb  in^altlidie  Srfenntni^  gewonnen 
loirb.  2)ie§  religiöfe  Urteil  ^ängt  bann  aber  nid^t  ab  oon  bem 
pf^d^ologifc^en,  fonbern  oon  ber  Statur  be$  ^n^att^,  na^  bem 
allein  e§  ftc^  richten  barf.  SBill  man  aber,  mie  Ärogl^-Sonning 
e$  tut,  oon  bem  pfqd)ologifc^en  Urteil  au§  ein  in^altlic^e^  Urteil 
gewinnen,  fo  oermengt  man  fad)mibrig  unb  roilltürlic^  nic^t  ju- 
fammenge^örigc  ©ebiete.  ^rogfi-Sonning^  Stieorie  ^at  aber  noc^ 
ben  weiteren  9kd)teil,  bag  fie  in  bem  Slugenblict,  wo  ber  äBirf* 
famteit  be§  SSorte^  gebac^t  wirb,  ben  ©nabcngebanfen  preisgibt. 
S)enn  5irogi^'2^onning  meint  ja  nur  bann  ben  ©nabengebanfen 
feft^alten  ju  fönnen,  wenn  eine  abfolute  'ißaffioität,  wie  fte  im 
^inblid  auf  ba§  3Bort  niemals  mögli^  ift,  beliauptet  wirb,  tiefer 
Äonfequenj  fann  er  nur  entgegen,  wenn  er  eine  unoermittelte, 
lebenf^affenbe  SBirffamfeit  be§  2Bort8  oorausfe^t.  2lber  bie^ 
würbe  nad)  Strog^^^Sonning^  ©rtlärungen')  immer  nur  eine  2tu§:: 
na^me  fein;  unb  e§  würbe  ferner  eine  folc^e  Säuffaffung  oon  ber 
äBirtfamfeit  be^  SSort^  in  SBiberfprud)  geraten  mit  feinen  eigenen 
grunblegcnben  ©rörterungen  über  bie  2lrt,  wie  \>a^  SBort  wirft. 
^rogt)^2:onning  begrenjt  alfo,  fac^lic^  angefel)en,  willfürlic^ 
bie  äBirfung^art  be§  äBort^.  SBillfürlic^  ift  aber  auc^  bie  oon 
i^m  gebotene  a3ert)ältni§beftimmung  oon  SBort  unb  ^anblung. 
2)ie  ^anblung  allein  foU  imftanbe  fein,  an  ba^  Unperfönlic^e  be^ 
ajJenfc^en,  an  feine  Statur  fid)  ju  wenben.    2lber  Krogl)==2:onning 

1)  Sirofl^^^onning  a.  a.  O.  3.  107.  108. 

22* 


308    ©  d)  c  c  I:  ^ic  3:auf(e^rc  in  b.  mobcrnen  pofitio.  lut^cr.  ^ogmatif. 

!onnte  boc^  nicf)t  um^in,  ben  fgmbolif^cu  ©^araftcr  ber  ^anb* 
lung  tjeroorju^eben  unb  alfo  bcm  ©atramciit  ein  „ocrbalc^  SJlo^ 
ment"  mitjugeben.  2)cr  93cgriff  ber  ©gmboUf  I)at  aber  bod^  nur 
einen  ©inn  üor  bem  geiftigen  gorum,  umfome^r,  wenn  ber  uer« 
balc  S^arafter  ber  ©gmbolit  au§brürf(ic^  betont  wirb.  @§  mü^te 
alfo  grabe  ocrmöge  feinet  oerbaten  ©^aratter§  ba§  ©atrament 
auc^  roirfen  wie  ba§  SBort,  b.  \).  alfo  gleic^jeitig  fatrameutal 
unb  oerbat.  2)aö  ift  aber  ein  SBiberfpruc^.  SBefeitigt  fönnte  er 
nur  werben,  wenn  auc^  ba§  SBort  primär  auf  bie  Statur  wirft. 
®iefe  2lnna^me  oerbieten  aber  ^rog^^2^ouning§  ^rämiffen.  ©ie 
würbe  aud^  nac^  feiner  Uebergeugung  in  ba§  ©ebiet  ber  SUlagic 
überleiten.  93öllig  preisgeben  tann  er  aber  aud^  nic^t  baö  oer* 
bale  SWoment  be§  ©aframent§,  t>a  e§  il^m  barum  ju  tun  ift,  je* 
ben  Oebanten  an  eine  me^anifd^e  Trennung  be§  333ort§  unb  ©a« 
tramentS  fernjulialten.  ®§  bleibt  alfo  ber  SBiberfpru^  beftel^en. 
®§  lä§t  ftc^  aber  be§  weiteren  nid^t  oerftänbtid^  machen,  in* 
wiefern  3Bort  unb  ^anblung  einen  ©egenfa^  bebeutcn,  ber  ju 
ben  ©d^lugfolgerungen  berechtigt,  bie  Äcogl^^Sonning  jiet)t.  Sie 
^anblung  !ann  auf  bem  ©ebiet,  mit  bcm  allein  wir  e§  ^ier  ju 
tun  t)aben,  nur  al§  tätiget  ©id^fetbftbejeugen  ®otte§  begriffen 
werben;  legt  bod)  auc^  Ärogf)*2:onning  ©ewic^t  auf  bie  ftiftung§» 
gemäße  93er waltung  beS  SauffaframentS  ').  2)a§  SSort  mü^te 
mau  bementfpre^enb  al§  bie  rebenbe  ©elbftbejeugung  ©otte§  auf- 
f äffen.  S)a§  fmb  aber  feine  ©egenfä^e.  Senn  bie  rebenbe  Selbft* 
bejeugung  ©otte§  ift  —  ^org  ^at  bie§  aud)  einräumen  muffen 
—  f^on  ein  ^anbeln.  SJWan  barf  e§  äbert)aupt  aU  willfürlic^ 
bejeid^nen,  au§  ber  Definition  be§  SBortS  ben  93egriff  ber  ^anb« 
lung  a  limine  auSjufc^lie^en.  ®a§  SBort  fann  fe^r  wof)l  eine 
^anblung  fein,  fo  ba^  Jlrog^»2^onning§  ©fflufwe  nic^t  ju  Stecht 
befte^t,  jumal  nod)  t)injufommt,  ba^  er  bod)  ba§  SBort  ©otteS 
als;  lebenbigcS,  Seben  fd^affenbeS  3Bort  fennt.  Umgefefirt  läßt  fic^ 
oom  53egriff  ber  ^anbluug  bie  ^bee  be§  ©inn§  nic^t  auSf^lie^en. 
^ebe  ^anblung  forbert  jur  5^age  wad)  i{)rem  ©inn  ^erau§  unb 
gewinnt  erft  al§  fmnoolle  ^anblung  SEBert ;  ooUenbS,  wenn  e§  ftc^ 
um  eine  tätige  ©elbftbejeugung  ©otte§  lianbelt.    Ärogf)=2:onning§ 

1)  ^roöö'^onning  a.  a.  D.  ©.  71. 


@  (^  e  e  I :  ^ic  a:auf(e^rc  in  b.  mobentcn  poritio.,  lut^er.  5)ogmatit    309 

2:^coric  leitet  aber  baju  an,  @ott  ein  fmn  —  lofe§  ^anbeln  juju* 
f^reiben.  2)as  f)ie§e  nid)t  blo^  ein  Oy^moron  !onftatieren,  fon* 
bcrn  auch  ben  geiftigcn  ©otte^begriff  oerni^ten,  voa^  Stxogfy-'Zon-- 
ning  bo^  ni^t  will.  9)kn  roivb  alfo,  wenn  man  ba§  ©atva« 
ment  al§  ^anblung  ®otte§  betrad^tet,  fofort  genötigt,  bie  5^age 
nac^  bem  ©inn  ju  (teilen.  Unb  eben  biefe  9Jötigung  jeigt,  ba§ 
roir  e$  mit  einem  geiftigen  Segriff  p  tun  l)aben  ober  mit  einem 
93egriff,  ber  nic^t  üor  bem  gorum  ber  9latur,  fonbern  Dor  bem 
gorum  be§  ©eifteä  Seftanb  ^at.  ©§  ift  alfo  ber  Segriff  ber  fa* 
tramentalen  ^anblung  nid^t  geeignet,  bie  9kturn)irtung  be§  @a* 
tramentg  8u  ertlären,  ba  ber  Segriff,  foll  er  nid^t  um  fein  me* 
fentlic^e^  9Kerfmal  gebrad^t  werben,  jur  9latur  feine  Sejie^ung 
tiat,  fonbern  oielmeI)r  auf  ber  ©tufe  be§  9Q3ort§  [x6)  bemegt. 
Ärog^'J^onning  mac^t  flc^  bemnac^,  roenn  er  3Bort  unb  Safra* 
ment  unter  ben  ©egenfa^  oon  SBäort  unb  |)anblung  ftellt,  einer 
roillfürli^en  Segriff^beftimmung  fc^utbig.  (£r  fann  alfo  nic^t  be^ 
meifen,  ma§  er  bemeifen  mill  unb  beweifen  mü^te.  ©eine  SSeiter- 
bilbung  ber  altlutl)erifd^en  Jt)eorie  gibt  nic^t  ben  bort  oermi^ten 
inneren  9lad)n)ei§  ber  iJtotmenbigteit  ber  3"^^i^^it  ^^^  ©naben^^ 
mittel  fomie  ber  fpejififc^en  35Birfung  be^  ©aframent§;  unb  ber 
nic^t  torrigierte  5^t)ler  mirb  noc^  um  einen  jmeiten  oermetirt:  ben 
SlbfaH  oon  bem  geiftigen  SBerftanbni§  ber  SBiebergeburt,  an  bem 
bie  alten  ©ogmatifer  fic^  tro^  allem,  ma^  baju  l^ätte  anleiten 
fönnen,  fc^lie^lic^  boc^  nid)t  irre  machen  liefen. 

©§  ift  für  Ä'rog^'-Sonningi  2:i^eorie  fef)r  gefä^rlic^,  ba§  bie 
Äritif  junäc^ft  nid)t  oon  einem  anberen  ©tanbort  be§  bogmati- 
f^cn  Urteilt  au§  oorjuge^en  braud)t,  fonbern  aB  immanente 
Kritif  bie  Unmöglid)feit  ber  2)nrdöfü^rung  feiner  2:^eorie  ju  er* 
meifen  in  ber  Sage  ift.  2)a§  le^tc  unb  entfdieibenbe  Urteil  ift 
bamit  freiließ  nod^  nic^t  gefällt;  aber  jebenfall^  ift  bo^  ba§  a3er== 
trauen  ftart  erfd)üttert,  ba&  man  überhaupt  auf  biefem  SBege  jum 
3iel  gelangen  werbe.  @^  !ann  aud)  noc^  ber  Ironie  gebad)t 
werben,  bie  hinter  ber  3)arftellung  oerborgen  lagert,  aber  ifire  ©fi- 
ftenj  bod)  ju  ertenuen  gibt.  2)en  ©atramenten  foll  etroa^  ©pe» 
}ififd)e§  gegeben  werben.  3)ie  ganje  Unterfuc^ung  ge^t  auf  ba§ 
SWotiü  jurüdE,  ben  ©atramenten  il)rc  finguläre  ©tellung  ju  wat)ren 


310    ©  d^  e  c  I :  ^ic  ^aufle^rc  in  b.  moberncn  pofltit).,  lut^cr.  5)ogmattf. 

unb  if)rc  Selbftänbigfcit  gegenüber  bem  3Bort  ju  retten.  ®§  wirb 
alfo  mit  einem  befonberen  fa!ramentalen  ^ntereffe  an  bie  2lrbeit 
herangetreten,  ba§  a(§  bie  SBieberaufna^mc  unb  tonfequente  ^^rt- 
fe^ung  be§  fd^on  bei  ben  alten  3)ogmati!ern  begegnenben  faframcn* 
talen  3^ntereffe§  betradjtet  werben  mu§.  ®a§  ®rgebni§  ber  2lrbeit  ift 
aber  eine  tatfäci^lid)e  9Winberung  be§  SEBerte§  be§  ©atrament§.  ®iefc 
Se^auptung  fönnte  93efremben  erregen;  fie  mu^  e§  anäj,  menn 
man  jum  9Ka§ftab  be§  Urteile  ba§  leitenbe  SWotio  nimmt.  Sie 
fann  e§,  roenn  man  bead^tet,  ba^  Krogf)=2:onning  in  ber  2:^efe 
üon  bem  faframentalen  unb  oerbalen  ®^ara!ter  be§  ®^riftentum§ 
eine  ^oorbination  be§  SDBürt§  unb  ©atrament§  Dornimmt.  fiäfet 
man  aber  fein  Urteil  Don  bem  tatfäc^lid^en  ®rfolg  beftimmt  mer* 
ben,  fo  mu§  man  oon  einer  de  facto  ju  tonftatierenben  2)epo* 
tenjierung  be§  ©atrament§merte§  fprec^en,  alfo  eine  @rfcl)einung 
fonftatieren,  bie  grabe  nirf)t  at§  genuine  gortfe^ung  ober  —  fo 
c^arafterifierten  ja  Srogf)*2:onning  unb  ^oxx)  \\)x  5ßerl)ältni§  ju 
ben  alten  ©ogmatitern  —  aCBeiterbilbung  ber  altlutl)erif^en  ©tel^ 
lung  jum  ©aframent  betrautet  merben  barf.  5)enn  f)ier  wollte 
man  ju  ben  SBirtungen  be§  3D3ort§  bem  ©aframent  no^  eine  be^ 
fonbere,  bie  3Bortn)ir!ung  überbietenbe  SDBirffamteit  jumeifen.  diu 
intereffante§  Oegenfpiel  ber  SKotioe  ift  bemnad)  in  ben  ^avbk^ 
tungen  ^rog^^Sonning^  bemerfbar').  ®ie  ©nergie  be§  (Safra« 
ment§gebanfen§  treibt  ju  einer  ^fotierung  unb  fpejififc^en  3Bürs 
bigung  be§  ©aframent^;  bie  Siid^tung  aber,  in  ber  biefe  SBürbi« 
gung  gefunben  mirb,  bebingt  eine  tatfäc^lic^e  ÜJlinberung  be§ 
2Berte§  be§  ©aframent^  unb  eine  grabe  umgete^rt  roie  in  ber 
altlut^erifd^en  2:f)eorie  fiel)  oolljielienbe  Srgänjung.  5)enu  Krogl^* 
Jonning,  ber  Sln^änger  be§  lut^erifd)en  ©c^riftprinjip^,  ber  ®eg* 
ner  ber  2:l)eologie  ®runbtoig§,  mu§  e§  al§  unoerträgtic^  mit  ber 
ganjen  biblifd)en  Offenbarung  erflären,  menn  man  ©ermittele  ber 
faframentalen  SDBirfung  bie  ooße  ^Mitteilung  be§  $eil§  glaubt  er» 
warten  ju  bürfen,  b.  ^.  ba§  SDBunber  ber  2Biebergeburt  ober  ber 
oolten  neuen  2eben§fd)öpfung  ^).    2)enn  bie  perfönlic^e  Slnna^^me 

1)  3^0^-  ouc^  §on)  a.  a.  D.  ©.  121. 

2)  ^ro0f)=2:onning  a.  a.  D.  B.  71:  Gjentödelsens  eller  den  fulde  nye 
Liv8-Skabelses  Under. 


@  c^  e  c  I :  %it  a:auf(c^tc  in  b.  mobetnen  pofitio.,  (utl^er.  5)oömati!.    311 

be§  ^cit§  i[t  ein  ct^i|d)cr  2lft,  ein  2lft  unfcrc^  ct^ij^en  3;^§  ^). 
Senn  barum  Ärog^'2:onnin9  oon  bcr  fatramcntalen  aBBirfung 
fpric^t,  fo  roilt  er  auSbrüdtli^  ben  ©ebonfen  an  ba§  ootte  ^cil 
au^f^Iicfeen.  Qa  er  jict|t  ben  ^rei§  noc^  enger.  ®§  folt  fid) 
„nic^t  einmal"  um  eine  S33irlung  ^anbeln,  bie  felbfi  an  unb  für 
ft^  unb  otine  mcitcreS  rettenb  ift  ^).  Stur  bie  ©runbtagc  für  ba§ 
^eit  mirb  gelegt,  inbem  ein  neuer  pofitioer  2lnfnüpfung§punft  für 
ba§  ^eit  gefc^affen  mirb  ^) ;  biefe  ©runblegung  gefc^ie^t  eben  irre- 
sistibiliter.  3)a^  bamit  eine  tatfäd^lic^e  S)epotenjierung  ber  ©c* 
beutung  be§  ©aframentg  gegeben  ift,  erhellt  o^ne  meitereg.  9lad) 
altortt)obofer  2(uffaffung  teilt  bie  faframentale  S33iebergeburt  ba§ 
oolte  ^eil  mit.  2)a^  biefe  neue,  fpejifif^  faframental  interefftertc 
S^eologic  biefen  ©ebanfen  nic^t  me^r  erreicht,  ba§  ift  bie  3^ronie, 
üon  ber  gefprod)en  murbc.  Ärogt|»2:onning  ^at  noc^  oiel  weniger, 
al§  bie  altlutl^erifc^c  S^eologie  e§  oermo^t,  ben  @aframcnt§ge« 
banfen  mit  bem  ©lauben^gebanfcn  unb  ben  grunblegenben  Jen* 
benjen  ber  ©d^rift*  unb  9Jcformation8t^eologie  in  befricbigenber 
SBßeife  au^jugleid^en. 

93eac^tet  man  aber  bie  foeben  fonftatiertc  9Winberung  ber  93e* 
beutung  be§  ©aframent§,  fo  ift  auc^  bie  bogmatifc^c  JRed^tferti* 
gung  ber  ^inbertaufc  nic^t  gegtüdtt,  an  ber  bod^  Ärog^'-2:onning 
ein  befonbereg  ^ntereffe  \)at  93ei  ben  Äinbern  fd^lummert  ba§ 
^^Jerfonleben,  übermiegt  ba§  Slaturleben.  ©äbe  e§  nun  ni^t  ein 
©nabenmittcl,  roeld^eg  eine  bireftc  Staturmirfung  ausübte,  bcffen 
©p^äre  unb  2Birtung§meife  oon  berjenigen  be§  3Bort§  fpejififc^ 
unterfc^ieben  märe,  fo  mü^te  man  auf  bie  Hoffnung  einer  9tet= 
tung  ber  ßinber  oerji^ten  ^).  2lber  bicfcr  ©a^  oerträgt  fic^  nic^t 
mit  ber  anberen  93e^auptung,  ba§  ba§  ©aframent  nur  eine  ben 
^eil§proje§  einleitenbe  93ebeutung  i)abt  unb  alfo  ba§  fatramen^ 
tale  S^riftentum  nie  ba§  ganje  ®f)riftentum  ift,  ba§  ©aframent 
al§  folc^e§  eine  feligmac^enbc  Kraft  befi^t.    ©oll  biefe  allgemeine 

1)  Qibt>. 

2)  %  a.  D.:  ikke  engang  om  en  Virkning,  der  selv  i  og  for  sig  og 
uden  videre  er  freisende. 

3)  58g(.  aud)  S.  90. 

4)  Rrog^^^onniug  a.  a.  0.  ©.  72.  73. 


812    ®  c^  e  e  ( :  ^ie  ^auf(e^re  in  b.  mobernen  poruit).,  (ut^er.  ^ogmatif. 

2:f)cfc  oon  bcm  ©cltuitg^bcrcic^  bc§  ©aframcnt§  befielen  bleiben, 
fo  fe^lt  ber  bringenb  notroenbigc  überjeugenbe  9tac^n)ei§,  ba^ 
burd^  bie  SIpplijierung  ber  faframentalen  ^anblung  bie  ^inber 
gerettet  unb  felig  werben.  ®enn  wenn  bie  SWettung  ber  Äinber 
oon  einem  ©nabenmittel  abhängig  gemad^t  wirb,  fo  mu^  na^ge* 
roiefen  werben,  ba§  bie  SBiebergeburt,  bie  bur^  bie  Äinbertoufe 
ooüjogen  roirb,  ba§  oolle  ^eil  unb  bie  roirflic^e  SRettung  oerlei^t. 
33ei  bem  ©ebanfen  einer  Einleitung  ber  ^eil§aneignung  fann  man 
nid^t  [teilen  bleiben.  @§  !önntc  nun  jmar  baran  erinnert  werben, 
bo^  Ärogti^Sonning  aui)  bem  ©aframent  ein  oerbale^  9Woment 
mitgab,  alfo  aud^  in  ber  Sinbertaufe  eine  am  93egriff  be§  SBorte^ 
orientierte  ©inmirfung  auf  ben  ©eift  oorauSgefe^t  werben  bürfte. 
3Iber  bicfen  2lu§weg  ift  Srog^'2:onning  nic^t  gewillt  ju  betreten. 
®r  mü^te  bann  mit  magif^en  SJorfteltungcn  operieren;  biefe  le^nt 
er  aber  grabe  in  bem  2lbf^nitt,  ber  auf  bie  Äinbertaufe  öejug 
nimmt,  ab.  2)cn  Äinbern  gegenüber  barf  man  nac^  Ärog^^2:on5 
ning  nur  faframentate,  nic^t  oerbalc  5äWomente  gettenb  machen. 
3)ann  mü^te  aber  angenommen  werben,  ba^  bie  in  ber  faframen- 
talen  Äinbertaufc  oermittelte  Slaturwirfung  al§  foldt)e  fd^on  fclig- 
mac^enb  unb  befinitio  rettenb  ift.  S)a§  wiberfpric^t  aber  ber 
unter  bem  6influ§  ber  ©c^riftworte  entwidelten  Definition  be§ 
aBirfung§bereic^§  be§  ©aframent^. 

Ärog^^2:onning  fc^eint  ein  ®efüt|l  für  biefen  get)ler  in  feiner 
Si^eorie  gel^abt  ju  ^aben.  2)enn  9tuneberg§  ®ebi^t  Sven  Dufva 
l)eranjiet)enb,  fonftatiert  er  ben  ®egenfa|;  eine§  ^erjen^c^riften^ 
tumS  unb  etne§  in  oerftänbiger,  burc^bac^ter  SBeife  fidt)  SRec^cn» 
fd)aft  gebenben  (S^riftentumS.  ®er  Äopf,  b.  1^.  alfo  ber  3>nteUeft, 
fann  f^wa^  unb  gering,  unb  ba§  §erj  boc^  lauter  unb  gut  fein^). 
2)aoon  jeugt  ein  Seben  oolter  ©elbftoerleugnung  unb  Siebesiübung, 
beffen  aWotio  nic^t  bie  reflefticrte  ®rfenntni§  ber  ^^3flic^t  ift,  fon» 
bem  ein  unwillfürlic^er  Srieb,  ba§  ®utc  ju  tun,  fobag  baS  ®ute 
jur  jweiten  9latur  geworben  ift^).  ©in  folcbe^  Seben  muffe  fa^ 
framentale§  (£t)riftentum  genannt  werben.    2)amit  ift  nun  allere 

1)  Ett  daligt  hufvud  hade  han,  men  hjertat  det  var   godt.    ^rog^^ 
^onning  (S.  71. 

2)  %  a.  D.  3.  78. 


@  d^  c  e  l :  2)ie  2:aufle^rc  in  b.  mobetncn  pofitiov  lut^er.  ^ogmati!.    313 

biitgS  ber  focben  fonftaticrtc  SBibcrfprudf)  nic^t  bcfeitigt.  2)ic 
prinjipiette  ©ttlärung,  baj3  ba§  bie  ©runblagc  legeitbe  ©aframeitt 
no^  be§  feligmad)enbcn  2Bortc§  unb  bc§  ©laubcnS  al§  einer  (£r- 
gänjung  bebarf,  wirb  oon  biefer  ©rörterung  nic^t  berührt  ober 
umgeftaltet.  SBol^l  ober  ift  etroag  anbere§  errci^t  roorben.  Ärogt)^ 
Sonning  ift  unoermerft  mit  biefem  jule^t  c^arafterifierten  „fa* 
framentalen  S^riftentum"  in  ein  „oerbaleg  ©tiriftentum"  hinüber* 
geglitten.  2)a§  uertangt  natürlid^  niemanb,  ba^  93ebingung  ber 
©eligfeit  eine  bur^  ben  ^fntellett  oermittelte,  refleyion^mä^ig  oor« 
gefteUte  fgftematifc^e  (SrfenntniS  be§  ©loubenS  unb  ber  ^flid^t 
fei.  Sinem  Sven  Dufva  auf  religiöfem  ©ebiet  fönnte  niemanb 
ben  ^eit^jugang  in  g'^age  ftetten.  2)er  ©treitpunft  ift  anber^mo 
ju  fu^en.  Srog^^S^onning  ging  oon  ber  2lntit^efe  einer  bur^  bie 
faframentale  ^anblung  oermittelten  bireften  SBirfung  auf  bie 
91atur  unb  einer  burc^  ba§  SBort  oermittelten  bireften  SBirfung 
auf  ben  ©eift  au§.  3Ba§  ^rog^-S^onning  aber  in  2lnle^nung  an 
bie  ©eftalt  be§  Sven  Dufva  jeic^net,  ift  ein  ß^riftentum,  ba§ 
felbfloerftänblic^  au^  bort  in  bie  ®rfc^einung  treten  fann,  mo 
eine  SBortmirfung  ftattgefunben  ^at.  SJtan  reffeftiert  nic^t  über 
bie  fgftematifc^en  3ufammen^änge,  gibt  fic^  feine  intellettuell  oer^ 
mittelte  SWed^enfd^aft  über  bie  Siragmeite,  Äonfequenjen  unb  93e- 
bingungen  beffen,  mag  aufgenommen  ift,  erfd^Iie^t  fic^  oielme^r 
einfältig,  fc^lic^t  unb  treu  bem  Qn^att,  feiner  motioierenben  Äraft 
unb  feiner  ba§  §erj,  b.  1^.  bie  ^erfonli^feit  padfenben  ©eroalt. 
®ie§  fc^lic^te  ^erjenöc^riftentum  faframentale§  ß^riflentum  ju 
nennen,  ift  roiHfürlic^  unb  oerleitet  ju  9Jli^oerftänbniffen.  2)cnn 
ber  9tero  biefe§  ^erjen§c^riflentum§  ift  bie  perfonlid^e  Gattung 
unb  3w"^^"bung.  ®§  ift  eine  befonbere  gorm  be§  perfönli^en 
Seben§,  nic^t  aber  ein  Seben,  ba§  au^erfialb  be§  ^erfönlid^en  unb 
©eiftigen  ftef|t  unb  nur  burc^  ben  33egriff  ber  SUatur  im  ©egen* 
fa^  jum  perfönli^en  ©eift^)  ^arafterifiert  roerben  fann.  Sluf 
bie§  ^erjen^^riftentum  ober  Sven-Dufva-(£t)riftentum  ipa^t  nic^t 
bie  ©i^arafteriftif,  bie  Ärogfi^Jonning  fonft  ber  bem  ®aframent^= 
begriff  offen  fte^enben  Slatur  ju  teil  roerben  lie^.  2)ie  äu^er- 
lic^e  S3emerfung  aber,  ba^  bic0  §erjcn§d)riftentum  jur  jroeiten 

1)  2(.  a.  D.  @.  39. 


314    @  c^  e  e  I :  ^ie  3:auf(el&rc  in  b.  mobertten  poritic,  (ut^cr.  5)0ömati!. 

9latur  geiüorbcn  fei,  berechtigt  noc^  feine§rt)eg§  oon  einer  bloßen 
Jiaturroirfung  ju  fprec^en.  Ob  biefe  SRebeform  übert)aupt  berec^* 
tigt  ift  ober  atten  Slnfprüd^en  be§  et^ifc^en  Urteile  genügt,  !ann 
^ier  unerörtert  bleiben,  ^ier  brauet  nur  barauf  l^ingerotefen  ju 
werben,  ba§  e§  fic^  um  ein  93ilb  jur  ^Huftration  eineö  get[ti= 
gen  93efi^e§  ^anbelt.  SBßenn  alfo  Krogti^Sonning  ba§  Sven- 
Dufva-(£t)ri[tentum  ein  fotramentale^  (J^riftentum  nennen  roiH,  fo 
mag  man  an  ber  SBiflfür  ber  93ejeic^nung  nad)fic^tig  oorüber* 
getien;  nic^t  aber  fann  man  baran  üorbeigeben,  ba^  bie§  fafra* 
mentale  ®t)riftentum  feinem  ®e^alt  unb  feiner  ©igenart  nac^  burd)* 
au§  üerfc^ieben  ift  von  bem  faframentalen  ®t|riftentum,  roelc^eS 
bie  ©aframent^t^eorie  Ärogt|*2:onning§  forbert.  Sieben  bie  bereits 
nac^gcmiefenen  Unflarlieiten  tritt  alfo  eine  neue  Unflar^eit.  ©ie 
ift  jmar  pfgc^ologifd)  intereffant;  benn  fie  lüftet  ben  Schleier,  ber 
ben  ßampf  ber  Ärogli^S^onning  bcmegenben  SWotioc  oerbedtt;  fte 
untergräbt  aber  bie  fpftematifc^e  ©icf)erl|eit  ber  bogmatifc^en 
J^eorie  unb  beleud)tet  auf§  neue  i^re  ^altlofigfeit. 

3luci^  SRoc^oU  ift  e§  ni^t  geglürft,  bie  S^eorie  oon  ber  p^ri» 
fifd^en  91eufc^öpfung  in  ber  S^aufe  lebenSfräftig  ju  geftalten.  ®r 
tritt  atlerbingS,  befonber§  im  ^inblid  auf  bie  ^inbertaufe,  mit 
mobernen  pfpc^ologifc^en  2:t)eorien  an  bie  Söfung  ber  2lufgabe 
^eran ;  ba|  er  aber  ba§  Problem  gelöft  Iiabe,  barf  man  mit  ©runb 
bejmeifeln.  Qta  man  tann,  menn  nic^t  bereits  Srogl^^SonningS 
Darbietungen  baoon  ju  überjeugen  oermod)ten,  an  it)m  infonber* 
t)eit  bie  Stotlage  ftubieren,  in  ber  fti)  biefe  Sauflefire  befinbet. 
Senn  JRoc^otl  muJ5,  um  fie  burd)}ufüt)ren ,  mie  fc^on  anberc  oor 
i^m  (ogt.  ®uen),  auSbrüdttic^  pon  ber  9ied)tfertigung§te^re  ber 
Sieformation  abfegen.  ®r  mac^t  freiließ  au§  ber  9tot  eine  2:u-- 
genb.  @ine  gauje  SRei^e  oon  3)ogmen  mürbe  oerfümmert  er* 
f (feinen,  wenn  man  bie  9ied)tfertigung  an^  bem  ©lauben  ju  ber 
bie  ganje  Äir^enle^re  bet)errfdf)enben  3Jlitte  mac^e^).     3)aS  fog. 

1)  9^orf)on,  3^om  ^nbergtauben,  9leue  fird^I.  3eitf*r  1902  @.  675. 
Söcnn  91.  fic^  auf  9titfrf)t  beruft,  ber  eS  für  unmöglich  cr!(ärt  f)attc,  Su* 
tf)cr§  ^IbenbmafiBIc^rc  auS  feiner  Üte^tfcrttgungSIe^re  al§  t>tm  ^rinjip 
feiner  3:^corogie  abzuleiten,  fo  ift  bamit  nid)tS  geroonncn.  %tnn  fctbfts 
üerftänblid)  fann  ber  einjelne  2:^eo(oge  f)etcrogene  (Elemente  in  fic^  auf« 
ncl^men.    '^^ie  ©mpirie  beweift  aber  nichts  gegen  bie  prinzipielle  O^orberung. 


<S  cf)  c  c  I :  ^ic  2:auf(cf)rc  in  b.  mobcmcn  pofitiov  lutf)er.  ^ogmatif.    315 

SJlatcrialprinjip  bcr  Sieformation  fei  übcrtiaupt  fein  p^ifofopt|i^ 
fc^e§  ^rinjip,  au§  bem  man  ba§  ganjc  ©pficm  aufbauen  mü^te^). 
©0  oorbeI|aItIo§  Iiaben  meber  ^org  noc^  Sroß^^Sonning  fic^  au§* 
aufprec^en  gemagt,  bic  boc^  bie  ©^mierigfeit  einer  jutreffenben 
bogmatifc^en  93egrunbung  be§  Sauffatrament^  lieroor^ebcn.  9Wit 
9to^oll§  SWayime  läjjt  fid^  eben  aöe§,  n)a§  irgenbroann  at§  tirc^- 
lic^e  Se^re  gegolten  ^at,  rechtfertigen.  3ln  bic  ©teße  einer  ge^ 
fd^loffenen  fac^Iic^en  93egrünbung  ift  bie  formale  tir^H^e  Sluto» 
rität  getreten.  SRoc^oll  roürbe  jroar  biefen  SSormurf  nic^t  gelten 
taffen.  35enn  er  [priest  oon  einer  3JieIt)eit  ber  3)inge,  bie  oor 
bem  ^rinjip  ba  gemefen  fei  2).  2lber  bie  95ielf)eit  ber  ®inge  ift 
in  biefem  galt  boc^  nur  bie  SSiet^eit  ber  Seigren.  Sine  fold^e 
93ielt|eit  ber  Set)ren  fann  aber  innert)alb  be§  ®^riftentum§  immer 
nur  als  3Iu§bruc!  oerfc^iebener  93ejie^ung§möglid)feiten  93eftanb 
liaben.  Äeine  Se^re  fann  be§  3^f^w^n^ß"^ö"9^  "^it  '^^^  3^"^^^ 
entraten.  ©ie  mü^te  in  ebenbemfelben  2CugenbIicf  auft)ören, 
eine  d)rift(irf)e  Set)re  ju  fein.  3Iu^  eine  oorne^mlic^  pfrid^ologi^ 
fc^e  93etradf)tung  gelangt  jur  Äonftatierung  ber  roefentlid^en  ©iu'- 
^eit.  2)enn  e§  ^anbelt  fi^  um  einen  d^arafteriftifdf)en  fiebeng^ 
üorgang,  ber  mit  bem  Slnfpruc^  auftritt,  ba§  ganje  Seben  be^err^ 
fd)enb  ju  erfüllen  unb  ju  regeln.  3)a§  ift  mieberum  nur  mög^ 
tic^,  menn  eine  foorbinierte  SSiel^eit  auggefc^loffen  mirb,  unb  ein 
eint)eitlic^e§  ®efüge  nad^mei^bar  ift.  @§  get|t  ba§  (Et)riftentum 
an  feinem  2(nfpruc^  jugrunbe,  wenn  man  e§  nid)t  al§  eine  ein= 
^eitlic^e  ®rfc^einung  auffaffen  barf,  bereu  SMomente  auf  einanber 
abgeftimmt  fmb  unb  einanber  gegenfeitig  bebingen.  3)a§  bebeutet 
nod)  nic^t  bie  ßurudtf ü^rung  be§  ®^riftentum§  auf  ein  „pt)ilof opbifc^e^ 
^^rinjip".  9Jlan  tonnte  bie§  mit  ©rünben  0.  §ofmann§  be* 
leuchten,  ju  bem  boc^  9tod)oll  unb  feine  ©efmnung^genoffen  mie 
ju  einem  fie^rer  emporfc^auen.  (Syiftiert  nun  aber  ein  folc^er 
jentraler  3wfammen^ang  unb  eine  fol^e  ©in^eitlic^teit  —  oon 
Vertretern  ber  pofitioeu  S^eologie  mirb  bieg  auc^  bereitmilligft 
anerfannt;  ic^  erinnere  nur  an  S?ä{)ler,  3t|me(§  unb  SR.  ©eeberg 
—  bann  ermeift  ftc^  9loc^oll§  Sßerfuc^,  ba§  ©aframent  ber  Saufe 
unter  ^rei^gabe   ober  rid)tiger  Os^^rierung  ber  9te^tfertigung§* 

1)  Otoc^oH,  Altiora  quaero  S.  38.  2)  9^^3 ,  a.  a.  0.  8.  675. 


ai6    @  d^  c  c  l :  ^ic  ^auflcl^rc  in  b.  mobcrnen  pofitio.,  lut^er.  S)oömatif. 

Ic^re  ju  retten,  aU  unbraudf)bav.  .^a  SWoc^oH^  ©rläuterungen 
(äffen  e§  überhaupt  dlS  jroeifel^aft  crfc^einen,  ob  er  bie  Äompe* 
tenj  ^attc,  eine  ^orberung  wie  bie  obige  ju  ftetten.  ®enn  er 
oertangt  ben  3wfammen^ang  ber  burd^  bie  2:aufe  geroirften  9teu' 
fc^öpfung  mit  ber  enbgültigen  ©rneuerung  beS  9Jlenfc^en  im  ^zn^ 
feit§,  forbert  bie  2lnerfennung  ber  gei  fielet  blicken  SBirtung 
be§  2:auffaframentS  unb  betont,  ba^  \>a^  SBßert  ber  Steufc^öpfung 
am  inneren  9Wenfd)en  beginne,  bie  Saufe  alfo  junäc^ft  als  ett|i* 
f^e  Erneuerung  ju  beftimmen  fei,  t>a^  aber  ba^inter  fic^  bie  Sln^ 
beutung  p^gfifd^er  SBiebergebärung  ergebe  ^).  3Jlit  biefer  ©rflä« 
rung  ^at  er  aber  bie  2:aufe  jum  3Jlittefpunft  gemacht  unb  einen 
prinjipielten  3wfammenl|ang  fonftatiert,  ben  ju  !onftatieren  unb 
erft  red^t  ju  forbern  er  feiner  Xi^toxk  jufolge  ni^t  intereffiert 
fein  fonnte.  SJlit  anberen  SBorten:  Siodfiolt  l^at  felbft  ein  bie 
d)riftlic^en  SebenSmirtungen  umfpannenbe§  „^rinjip";  nur  fuc^t 
er  e§  nid^t  in  ber  Siec^tfertigungSle^re,  bie  oerglid^en  mit  feiner 
Sauffel^re  bie  9toüe  einer  untergeorbneten  gunttion  übernimmt. 
dto6)oM  SRe^tfertigung  feiner  befonberen  Sluffaffung  oon  ber 
2:aufe  ift  alfo  meber  folgerichtig  burd^gefü^rt  noc^  fac^lic^  ju 
bulben. 

Sluc^  fein  pfpc^ologifc^er  93en)ei§  tann  nic^t  ba§  Problem 
löfen.  SWo^oU  fc^eint  al(erbing§  junäd)ft  einen  berechtigten  ^ro* 
teft  gegen  jebe  ntt^terne,  platte  SSerftänbigfeit  einjulegen  unb  mit 
fieserem  93lidE  für  bie  9Bßirflidf)feit  be§  pfp^ifc^en  SebenS  bie  Qx-- 
rationatität  unb  baS  Stätfel^afte,  ©e^eimni^oolte  ju  umf äffen. 
®arauf  ben  93lidt  ju  lenfen,  märe  an  fid^  fein  gute§  9te^t.  2lber 
er  mad^t  ficf)  einer  falfd^en  SSermenbung  f^ulbig,  unb  er  fann 
feinen  eigenen  Darbietungen  nic^t  3)urc^fid)tigteit  oerIeit)en.  ®r 
meint,  man  \)abt  e§  ju  menig  beachtet,  ba§  i>a§  SBerf  ber  Söie* 
bergeburt  nid^t  bto^  im  93emu^tfein,  fonbern  auc^  im  Unbewußt* 
fein  ficf)  oottjiet)e.  S)ie§  nennt  er  ba§  ^kc^tbemu^fein^),  über 
ba§  mir  feine  Oemalt  tjaben.  S§  fei  ein  ©ebiet,  in  melc^em  (Sott 
arbeiten  tonne,  in  meinem  etmaö  fic^  ereignen  tonne,  of)ne  ba^  mir 


1)  d\od)oU,  Altiora  quaero  @.  72. 

2)  (£bb.  S.  71 ;  9i^3.  a.  a.  D.  @.  674. 


@  cf)  c  e  I :  ^ic  2:auf (el^rc  in  b.  moberncn  poritio.,  lut^cr.  3)ogmatif.    317 

e§  lüiffcn  *).  2)ie  SSerou^tfcin^pf^c^oIogie  ift  nad)  i^m  nur  bic  ^olbc 
^f9d)olo9ic;  o^itc  ben  ^intergvunb  be§  Unbcmu^tcn  qI§  bcr  an* 
beten  ^älfte  bc§  3f4  jerfaltt  ba§  3fd)  in  bie  5Bielt|eit  ber  feeli* 
fc^en  Junttionen  ^).  SJlit  SWelimte  betrautet  er  bie  (Seele  aU  „ein 
immaterielle^  befonbere§  ©injelmefen".  3)ie  ©eelc  entfielt  ni^t 
evft  inbuftio  in  ber  SRegiftricrung  ber  @in}elerfat)rungen  ^).  SSon 
l^ier  au§  finbet  er  nun  ben  9Beg  jur  SWec^tfertigung  befonber§  ber 
Äinbertaufe.  2)ie  buntle  SWegion  beS  9]ad^tben)U^tfein§  birgt  eine 
55ülle  an  ^fn^olt,  oon  bem  nur  menig  in  unfer  reflejc§  93cn)u&t« 
fein  eintritt,  ©o  brauche  man  auc^  nic^t  an  bem  in  ber  2:aufc 
oon  oben  gemirften  ©lauben  beS  ^inbe§  ju  jmeifcln,  wie  benn 
überhaupt  bli^artig  au§  ber  Siefe  be§  pfpc^ifc^en  fieben§  unoer* 
mittclt  neue  ©ebanfcn  unb  SebenSbemegungen  auftauchen. 

3n)eifello§  ift  bic  l^elle  ©emu^tfeinSpf^^ologie  nid^t  bie  ganje 
^^f9ct)ologie.  Slber  meieren  SBert  tiaben  9tocl)oU§  Darbietungen 
für  bie  bogmatifc^e  ^Rechtfertigung  bes;  Saframent§  ber  ^inber- 
taufe?  SRoc^oll  oerlegt  ba$  ©c^mergemid)t  ber  ganjen  93etrac^5 
tung  in  bie  bunfle  Sftegion  be§  9ta^tbemu^tfein§.  2)a§  miber* 
fpricl)t  burc^au§  bem  93egriff  be§  geiftigen  perfönlidf)en  Seben§. 
®§  ^anbelt  fic^  bei  biefem  ©egriff,  unb  barum  auc^  bei  bogma* 
tif^en  ©rmägungen,  nic^t  um  pfgd^ogenetif^e  Betrachtungen,  fon* 
bem  um  jureid)enbe  Urteile  über  einen  geiftigen  Satbeftanb. 
SEBenn  nun  Stod^oH  bie§  93emu§tfeiu,  ba§  er  c^arafteriftifc^  genug 
9tad)tbemu^tfein  nennen  mu§,  bem  er  nur  in  ber  J^orm  einer 
iBetiauptung  einen  „tiefen"  3"^ölt  juioeifen  fann,  oon  bem  er  nur 
ben  negatioen  ©a^  aufftelten  !ann,  ba^  e§  ein  „Unbemugtfein" 
fei,  menn  SRod^oll  bie§  Unbeiou^tfein  al§  ba§  fonftitutioe  3Jloment 
be§  geiftigen  2eben§  t)infteHt,  fo  erließt  bie  unlogifc^c  9lrt  biefe§ 
UJerfa^ren§  oon  felbft.  5)enn  e$  ift  ein  logifc^er  SBiberfprud^, 
ben  ©c^merpunft  be§  geiftigen  Seben§  in  eine  ©pl|äre  ju  oer* 
legen,  für  bie  man  nur  ben  93egriff  „Unbeiou^tfein"  ju  prägen 
n)ei&.  3ft  erft  ba§  gciftigc  Seben  erioac^t  —  mie  e^  erioac^t, 
intereffiert  ben  ^frid^ologen,  tann  ben  $Religion§pft)c^ologen  inter* 
effieren,  ift  aber  bem  2)ogmatifer  gleid^gültig  —  fo  ^at  man  ben 

1)  "iRodjoU,  Altiora  quaero  8.  71. 

2)  9^513.  a.  a.  0.  S.  673.  3)  91.  a.  D.  S.  674. 


318    @  c^  c  c  l :  ^ic  3:auflc^rc  in  b.  mobcrncn  pofitio.,  Iutf)er.  ^ogmatit 

©c^iüerpunft  in  bcn  SOlcrfmalcn  ju  finbcn,  bic  eben  ba§  geiftige, 
ba§  beraubte  fieben  fonftituieren.  Unb  felbft  roenu  man  bie  pfg= 
c^ogenetifd^  orientierte  pfpd^ologifc^e  ^Betrachtung  9tod^ott§  befolgt, 
fommt  man  nid)t,  jum  5ftac^tben)u§tfein  f ortfd^reitenb ,  jur  ©eefe 
al§  einem  immateriellen  befonberen  ©injelmefen;  auf  pfqc^ologi* 
fc^em  3QBege  gelangt  man  nur  jum  SJerftänbni^  ber  ©eele  al§  be§ 
Konjentration§punfte§  be§  inbioibuellen  Qi)^,  SDßeiter  füi^rt  bie 
^^fgc^ülogie  nic^t.  ®§  ift  ganj  richtig,  ba^  unfer  ©eelenmefen 
nic^t  in  ber  9tegiftrierung  ber  ®injelerfa{)rungen  inbuttio  entfielt. 
Sine  folc^e  „materialiftifc^e  ^fg^ologie"  ^)  oerträgt  fic^  ni^t  mit 
ben  Srgebniffen  ber  Srtenntni^t^eorie.  2lber  oon  biefer  ^Iner« 
fennung  ber  2;^efe  $Roc^oll§  bi§  ju  feiner  SWetap^^fif  ift  noc^  ein 
gewaltiger  ©prung.  Unb  nur  oermittel§  eine§  ©prunge§  fönnte 
man  feine  SWetapti^fif  erreichen.  2lber  felbft  menn  man  fie  er^ 
reicht  l^ätte,  märe  ni^t§  gewonnen;  benn  man  ^ätte  ba§  SEBert* 
i)er^ältni§  fa^mibrig  umgetel^rt. 

9lod)oll  I|at  freilid)  ein  ^ntereffe  an  biefer  Umtel^rung.  ®r 
roill  ben  Sinberglauben  red)tfertigen,  ber  auf  bem  ©ebiet  be§  un* 
bemühten  Innenlebens  fi^  bemege.  2lber  mau  munbert  fi^  ho6), 
ba^  Slod^oll  an  bem  91ac^n)ei§  biefe§  Kinberglauben§  nod^  ein 
Sutereffe  ^aben  fann.  3)ie  alte  Ort^obojic,  ber  JRo^oU  gebenft, 
mar  an  bem  Siad^roeiS  ber  fides  infantilis  mefentli^  intereffiert. 
©ie  oerfte^t  ja  ba§  fie^rftüd  ber  Saufe  oon  ber  Slöiebergeburt 
unb  Sle^tfertigung  ber  ©rmac^fenen  au§.  Korrelat  ber  Stecht* 
fevtiguugSle^re  mar  aber  ber  @(aube.  JRoc^oU  jebod)  t)atte  einen 
foldjen  prinjipmägigen  2lufbau  oenoorfen,  er  brauste  alfo  um 
bie  bei  ben  alten  2)ogmatifern  in  i^rer  Stellung  mo^l  begreif* 
lic^e  fides  directa  fi^  ni^t  ju  tümmern.  ©efd^ie^t  bie§  bocl), 
fo  bemeift  t§,  mie  fe^r  i^m  bie  alte  ®ogmatif  uod&  2lutorität  ift. 
©eine  eigenen  ^rämiffen  t|ätteTf  biefen  9lac^mei§  nic^t  nötig  ge« 
mad^t,  ber  it)m  mieberum  einen  eigentümlichen  ©pra^gebrauc^ 
aufjmingt.  ®enn  er  fprid)t  —  Sc  1,  41  mu|  natürlich  mieber 
t)ev^alten  —  oon  einem  ©lauben,  ber  niemals  bemüht  mirb  *). 
2)a§  Kinb  mirb  au§  bem  3Biberftreben  genommen  unb  burc^  ben 

1)  m^iS.  a.  a.  D.  @.  673. 

2)  Q^b\>.  S.  642;  Altiora  quaero  ©.  71. 


©  d^  c  e  I :  S)ie  2:auf(e^re  in  b.  mobcrncn  pofitiov  lut^cr.  ^ogmatü.    319 

®eift  ju  fclbftcigcncm  ©ingcl^en  in  bcn  ^ö^eren  SSSiUcn  geführt, 
^ict  operiert  aber  SRoc^oU  überaß  mit  93cgriffen,  bie  bem  2:ag« 
berou^tfein  entnommen  fmb.  ®r  mu§  ni^t  blo^  ben  ©faubcn, 
wie  er  nun  einmal  auf  eoangetif^em  93oben  nur  oerftanben  roer* 
ben  fann,  um  feinen  eigentli^en  3i"t|att  bringen,  er  fann  biefen 
rebujierten  ©tauben  überliaupt  ni^t  befc^reiben,  o^ne  bie  ©renjen 
be§  9lac^tben)U^tfein§  ju  überf^reiten,  unb  alfo  begriffe  ju  prägen, 
bie  innerhalb  be§  9lac^tben)u|tfein§  überl^aupt  feine  ©ültigteit 
befi^en  fönnen.    ®r  fann  alfo  nur  behaupten,  nic^t  nadl)roeifen. 

Sluc^  bie  pfgc^ologifdl)e  2lnalogie,  mit  ber  er  arbeitet,  ift  un^ 
brauchbar.  SBeit  ^fnfpirationen  gleid^fam  au§  ber  bunflen  SEiefe 
be§  ©eetenlebenS  bli^artig  auftauchen  ^),  foll  ber  oon  oben  ge* 
mirfte  ®laube  be§  Äinbe§  pfgd^otogifd)  annä^ernb  ertlärt  fein. 
2lber  SRoc^oU  oergigt,  baj3  bie  bli^artigen  Qfnfpitationen  nur  bort 
oor^anben  fmb,  mo  bereite  bemu|te§  geiftigeS  &^bzn  befeffen  mirb. 
5äWag  bie  ^f^fpi^^tion  aud^  in  ber  gorm  ber  Sfftafe  in  bie  ®r^ 
fc^einung  treten,  möglich  ift  fie  nur  bort,  mo  ber  3uf*^"i>  ^^^ 
„Unbemu^tfeing"  eine  übermunbene  (SntmidElung^ftufe  ift.  liefen 
^nfpirationen  eignet  alfo  pfgc^otogif^  angefc^en  fo  menig  ber 
3ufammenl)ang  mit  ber  fides  directa,  ba^  oielme^r  ber  ßwfom» 
men^ang  mit  ber  fides  reflexa  geforbert  mirb.  2)ie  Sinologie 
oerfagt  bemnad^  oöllig. 

(Snblic^  ift  SWoc^olt  auc^  au^er  ©tanbe,  bie  geift4eiblic^e  SBir* 
fung  be§  2:auffaframent§  nur  einigermaßen  oerftänblic^  ju  ma- 
chen. 3)a§  SBort  übermittelt  immer  nur  @eiftige§  ^) ;  ber  ©cift 
fü^rt  nie  bem  fieibe  fieiblic^e^  ju^).  Qwax  fmb  (Seift  unb  Seib 
auf  einanber  geftimmt  *),  aber  ber  S)ualigmu§  oon  ©eift  unb  Seib 
bleibt  befielen  ^).  S)ie  geift4eiblic^c  Söirtung  gefc^iet|t  alfo  burd) 
ba^  SBßort  unb  ba§  ©lement^).  ®iefe  Darlegung  ift  aber  an  ber 
2lbenbma^l§le^re  orientiert;  SRoc^oU  oerfu^t  e§  nic^t,  fie  au§fü^r* 
li^  in  ber  Set)re  oon  ber  Saufe  ju  entmideln.  3)enn  mie  foHte 
ba§  ©lement  ber  2:aufe  bem  fieibe  etma§  Seiblic^e^  jufü^ren 
fönnen  ?  3)ie  alten  2)ogmatitcr  ließen  mit  gutem  ®runb  bie  ®in* 

1)  m^S-  d'  ö.  O'  ®-  674. 

2)  Otod)oa,  Altiora  quaero  S.  32.  3)  (^bb.  3.  34. 
4)  ebb.  3.  32.              5)  ebb.  @.  34.  6)  ©bb.  8.  35. 


320    @  d^  c  c  l :  %k  2:auf(c^rc  in  b.  mobcrncn  pofitiOv  tutl^er.  ^ogmatif. 

wirfung  bc§  ®Icmcnt§  auf  bcn  Scib  (corpus)  eine  äu^erlic^c 
bleiben.  Sto^oü  t)Qt  and),  wenn  er  uon  ber  aBBiebergcburt  fpric^t 
immer  nur  in  pfij^ologifc^en  Kategorien  geurteilt  ober  in  Äatc^ 
gorien,  bie  pfp^ologifc^  fein  fotten.  ®r  lägt  ba$  SBert  berSSäie* 
bergeburt  im  bewußten  unb  unbemujsten  ©inn  fic^  ooDjielien,  ®r 
fu^t  pfgc^otogifc^e  2CnaIogien  auf,  um  ben  Äinberglauben  an^ 
nät)ernb  ju  ertlären.  ^ier  ^anbelt  e§  fi^  alfo  ftet§  um  pfgc^o* 
logifc^e  ßufammen^änge,  mie  \a  benn  au^  Sftod^ott  ben  3)uali§5 
mu§  oon  ®eift  unb  Jiatur  bel)auptet  unb  ben  ®eift  nac^  ber  be* 
reit§  diarafterifterten  S)oppeI^eit  betrautet.  Unb  plö^lid)  erfährt 
man  nun,  bag  eine  9Inbeutung  plipfifc^er  SBiebergebärung ,  bie 
fic^  f)inter  ber  im  93orbergrunbe  fte^enben  et^ifc^en  Srneuerung 
ergebe,  ju  tonftatieren  fei  ^).  S)erartige§  tann  man  natürlid)  be* 
Raupten;  mill  man  aber  eine  bogmatifc^e  SRe^tfertigung  be§  ©a» 
framentg  geben,  barf  man  bei  Behauptungen  nid^t  fielen  bleiben. 
aWan  barf  boc^  ermarten,  ba§  ein  93erfu^  ber  Srflärung  gemad^t 
mirb,  Ärogl^^^^onning  ^atte  fid)  baoon  menigfteng  ni^t  bi^pen^ 
fiert.  ^a6)  SRo^oH  erf^eint  aber  biefe  geift  *  l  e  i  b  l  i  d)  e  ffiir^ 
tung  unoerftänbli^.  2)ie  SBiebergeburt  ooltjiel|t  fic^  feiner  2:^efe 
jufolge  im  93en)ugtfein  unb  Unbemugtfein.  2lf)er  bie§  Unbemugt* 
fein  ober  9lad)tben)ugtfein  ift  immer  nod^  ®eift,  nid^t  Seib  ober 
9tatur  im  pti^fif^en  ©inn.  @§  fann  alfo  oon  t)ier  au§  no^  feine 
2lnbeutung  einer  p^9fifd)en  SBßiebergebärung  aud^  nur  geatint  mcr* 
ben.  ©oHte  9io^oll  bie§  aber  bo^  für  möglich  galten,  fo  mügte 
man  ii^m  ben  SBormurf  ber  93egriff§oermen  gung  machen. 
3)enn  er  mürbe  nun  ben  93egriff  unbemugte  9latur  balb  aU  gei^ 
ftigen  unb  balb  aU  p^gfifd^en  93egriff  brausen,  unb  ben  eingangs 
aufgeftetlten  S)uali§mu§  oon  9latur  unb  ®eift  preisgeben.  3)a§ 
mögli^e  SBerftänbni§  für  bie  3lnbeutung  ber  p^rififd)en  SBieber- 
gebärung  mürbe  bemnac^  nur  mit  einer  anberen  Unflar^eit  er* 
fauft,  bie  nod)  baju  grunblegenbe  SSorauSfe^ungen  SRoc^oUS  um*= 
ftögt.  2luc^  burc^  9to^oll§  Darbietungen  ift  alfo  biefe  neulut^e» 
rifc^e  2:auflel)re  nid)t  flarer  unb  einleuc^tenber  gemorben. 

S)a§  gilt  an6)  oon  ^allerS  temperamentnollem  Eintreten  für 


1)  ^Roc^oü,  Alt.  qu.  @,  72. 


(S  d)  c  c  l :  ^ie  3:aufle^rc  in  b.  mobemcn  poptiOv  tutf)cr.  ^oömatit    321 

bic  in  bcr  ncufut^crifc^en  2)oftrin  cnttialtenen  ^^rtfc^nttc  ^)  unb 
feiner  au^fc^Iiegüc^en  3urüctfüt|rung  ber  SBßiebergeburt  auf  bie 
Saufe.  9Wan  fu^t  bei  Rätter  überhaupt  oergebenS  nad^  Haren 
bogmatifd^en  Sinien.  ©i(^er  ift  nur  bie  93e^auptung,  ba§  Saufe 
unb  S03iebergeburt  jufammenge^ören,  baj3  analog  ber  ©eburt  bie 
SBiebergeburt  aU  einmalige  Steufc^öpfung,  nict)t  al§  Umioanblung 
betrad^tet  werben  muffe,  unb  ba§  bei  bcr  a33iebergeburt  auf  SBßitte 
unb  53erou^tfein  überl^aupt  nic^t  SRüdffid^t  genommen  werben  mu§^). 
©0  fann  er,  mie  f^on  früher  ÜJlartenfen,  bic  Äinbertaufe  al§  bie 
normale  ^orm  ber  Saufe  anfeilen  3).  2)ie  ^urd^t  oor  einem  ^ in ^ 
übergleiten  in§  SWagifc^e  ift  unbegrünbet.  ®enn  eine  magifd)e 
aSirtung  ift  nur  bann  oorau§gefe^t,  menn  oon  einem  blo^  äu^er* 
lid^en,  pf)t)fifc^en  SWittel  eine  SBirfung  auf  ba§  innere  9Bßefen  einer 
3Wenf(^enfeete  ausgeübt  wirb,  ^n  ber  ^inbertaufe  mirb  aber 
nid)t  oon  einem  p^pfifd^en  2WitteI  eine  3QBirtung  ausgeübt,  fon=» 
bern  00m  allmächtigen  ®otte§millen.  SEBenn  er  fein  „9Bßerbe!" 
fpric^t,  fo  fei  bie§  nicbt  magifc^.  3Jor  magif^en  93orftellungen 
fc^ü^t  auc^  ber  Umftaub,  bog  ber  9Jlenfd^  in  ber  SBiebergeburt 
nic^t  einfach  fertig  umgefc^affen  mirb;  e§  mirb  oielme^r  irgenb 
eine  et^ifc^e  Selbftentf(^eibung  oon  ibm  geforbert.  @ott  t|at  bie 
abfolut  neue  Kraft  eingefc^affen,  bereu  befcligcnbe  ober  oerbam« 
menbe  äBirtung  bann  oon  ber  nac^folgenben  ober  gleidl)jeitigen 
©ntfc^eibung  abhängig  ift.  ®em  9Wenfc^en  mu^  erft  bcr  neue 
SebenSfeim  gegeben  fein,  er  mu^  erft  miebergeboren  fein,  et|e  er 
glauben  tann. 

Slber  mirb  burc^  biefe  nac^folgenbc  gorberung  be§  ®lauben§ 
nic^t  ber  Söert  be§  roiebergebärenben  Sauffaframent§  geminbert? 
^atler,  ber  bod)  ®dl)rifttt)eologe  fein  mill,  mu^  bo^  miffen,  bag 
mcr  miebergeboren  ift,  ba§  Seben  f)at.  2Birb  aber  nun  neben  ber 
SSiebergeburt  nod^  ber  ©laubc  oerlangt,  fo  ^at  ber  SSSiebergebo- 
rene  qua  SBiebergeborener  nid^t  bas;  Seben ;  b.  f).  aber,  nid^t  blo§ 
ba^  Saframcnt,  auc^  bie  SBiebcrgcburt  mirb  entioertet.  2lud^ 
^atler  oermag  alfo  bie  in  bcr  Stimmung  unb  3(bfid)t  oor^an* 

1)  $>ancr,  '2)er  93cgnff  ber  aßicbcrcjcburt  nac^  ber  ©^rift,  9fl^3.  1900, 
8.  610.  2)  21.  a.  D.  3.  592.  608. 

3)  %  a.  D.  G.  601. 

3eiM(^rift  für  Z^eoCogie  unb  Äirdje.  15.  ^a^ig.,  4   §<ft.  23 


322    @  d^  c  c  I :  S)ic  3:auflel^rc  in  b.  mobcrnen  pofitiov  lutl^er.  ^ogmatit 

bcnc  ^oc^fc^ä^ung  bc§  ©atrament^  in  bcr  Xi^toxiz  nid)t  onfcfiau* 
li^  ootftcflig  ju  mad^en.  SJlöglic^  roärc  bic§  nur,  roenn  er  über» 
^Qupt  auf  bcn  eüQngcnfd)en  @(auben§gebanfen  ocrji^tcu  rooUtc. 
2It§  coangclif^er  2^^coIoge  ift  er  baju  natürlich  nic^t  imflanbe, 
Toenn  er  auc^  für  bie  SBiebergeburt  bcn  ©laubenSbegriff  nic^t 
fruchtbar  }u  machen  wei^  unb  eS  fogar  als  eine  ®infeitigfeit  ber 
^Reformatoren  ^inftellt,  loenn  fie  bem  ©tauben  eine  fo  groge  ^e* 
beutung  für  bie  SBiebergeburt  beilegen. 

3u  bem  foeben  bemertten  gel|ler  gefeUen  fi^  anbere  Unftar» 
Reiten,  ^n  ber  Saufe  ift  einmalig  ber  neue  Seben^anfang  ge* 
fe^t.  3)arum  ^aben  bie  SReformatoren  Unrecht,  roenn  fie  ertlären, 
baj3  man  tro^  ber  SBicbcrgeburt  burc^  bie  Saufe  immer  me^r  ein 
Sinb  @otte§  werben  muffe.  2lber  nac^  ^aller  ^at  ber  oierte 
(Soangetift  (^o^.  1,  12)  biefen  ©ebanten  oertreten,  ben  boc^  bie 
^Reformatoren  angeblich  ju  Unred^t  oertreten.  Unb  obmot|l  bie 
SBicbergeburt  na6)  Slnalogie  ber  natürlichen  ©eburt  ju  oerfte^cn 
ift,  mirb  bod^  oon  ^aller  unterfc^ieben  jmifc^en  objeftioer  unb 
fubjeftioer  SEBicbergeburt.  ®§  gibt  folc^e,  bie  bie  neuf^öpfenbe 
Sat  ber  SBiebergeburt  burc^  @ott  nur  empfangen  l^aben,  unb 
fold^e,  in  benen  ba§  neue  2tUn  auc^  mirttic^  ju  ftanbe  gefommen 
ift.  2)iefe  Unflart)eit  mirb  noc^  oergrö^ert  burc^  bie  2tnnat|me, 
ba^  meift  bie  objeftioe  unb  fubjeftioe  3Kiebergcburt  in  einanber 
fliegen,  greilid^  gibt  e§  nun  bod^  manä)^,  in  benen  ba^  neue 
2zbm,  auf  ba§  c§  bie  neugebärenbc  Sat  @otte§  abgefe^en  ^at, 
nic^t  Satfa^e  gcmorben  ift.  ®erartige§  ju  oerfte^en,  bürfte  felbft 
bem  2lutor  biefer  (Sä^e  fc^mer  merben.  3Iber  felbft  bie  Unab- 
l^ängigteit  ber  SBiebergeburt  oon  ber  bemühten  SBitlen^bemegung 
mirb  ni^t  feftge^alten.  3)enn  fofern  e§  fic^  um  ®rmad)fene  })a\u 
belt,  mug  man  ben  SBßunfd^  nac^  ber  ^Jteugeburt  oorau^fe^en. 
2)enn  @ott  mirtt  niemals  jmanggmeife.  9Jlit  welchem  9te^t  be* 
tont  benn  ^aUer  fo  energifc^  bie  2lnalogie  ber  SIBiebergeburt  mit 
ber  natürli^en  ©eburt?  Unb  ift  e§  gerechtfertigt,  bem  Sauf» 
faframent  eine  unterfc^ieblic^e  bogmatifc^e  93egrünbung  ju  geben? 
Söenn  bie  Saufe  mirtlic^  bie  3Biebergeburt  mirft  unb  babur^  erft 
ben  ©lauben  möglid)  mac^t,  fo  i}at  ^alter  feine  fac^licf)e  SJeran« 
taffung,  bie  (gnt)ad}fenentaufe  anber§  barjuftetlen  aU  bie  Rinber* 


@  ^  e  c  I :  '3)ic  3:auflc^re  in  b.  mobcrncn  pofitio.,  (utl^er.  ^ogmatif.    323 

taufe.  53cibc  muffen  aU  SBiebergebuvt  roirfenb  bogmatifc^  glcid) 
fein.  3)enn  bet  bogmatifc^e  53en)ei§  gilt  unbebingt,  entmirfelt  ein 
in  ber  ©oc^e  liegenbe^  tonftante§  9Ser^ältni§,  bulbet  barum  feine 
2)iffcrenjiierung.  ®q§  ift  —  ic^  fommc  fpdter  nod)  barauf  ju* 
rüdt  —  überliaupt  bev  ©runbfa^,  ber  allein  ba§  2:auffatrament 
bogmatifd^  rechtfertigen  fann.  3)lan  tann  bie  ^inbertaufe  nic^t 
anber§  bogmatifd)  rechtfertigen  at§  bie  @rn)ac{)fenentaufe.  Qft  nun 
aber  feiten§  ^aßer^  für  bie  ©rroa^fenentaufe  boc^  eine  irgenbroie 
geartete  beraubte  SBßitten^bemegung  poftuliert,  fo  ift  roof^l  ba§ 
ÜJtotio  biefe§  ^oftulat^  ju  oerftelien;  bie  bogmatif^e  2:^eorie 
|)atler$  wirb  nun  aber  ju  einem  unauflösbare  SBiberfprüc^e  ent- 
tialtenben  Äompromip.  9Jlan  braucht  barum  bei  ^atler  fic^  nic^t 
lange  aufjut)alten,  mag  er  auc^  einer  Stimmung  2lu§brudE  geben, 
bie  meit  verbreitet  fein  mag  in  ber  gegenwärtigen  lutt)erifc^en 
Slirc^e.  Sie  ift  aber  ni^t  imftanbe,  fic^  einen  bogmatifc^  flareu 
Slusbrurf  jU  geben. 

®§  ift  fc^lie^tic^  biefe  ganje  ;£()eorie,  bie  mir  bii^tier  be* 
trachten  mußten,  fo  menig  tut^erifc^,  ba§  fie  baS  c^arafteriftif^e 
SJlerfmal  ber  lut^erifc^en  ©nabente^re  pötlig  preisgibt.  2)enn  fie 
let)rt  mieberum  bie  ©nabe  aU  eine  3kturfraft  uerfte^en.  ®amit 
ift/  göuj  abgefe^eu  von  ben  mannigfad)en  Unflar^eiten  unb  2öi* 
berfprücf)en,  bie  notiert  werben  mußten,  über  fie  ba§  Urteil  ge- 
fproc^en.  ®a§  bebarf  feiner  weiteren  2Cu§füt)rung.  SJlan  meint 
atlerbingS  mit  bem  Vorwurf  be§  Spiritualismus  unb  ^tatoniSmuS 
bie  Eingriffe  jurüdtfd)lagen  ju  fönnen,  meint  bei  ben  Seftreitern 
ber  auf  biefen  Seiten  uorgetragenen  S^^eorie  eine  moberne  gorm  ber 
alten,  ben  fieib  unb  bie  Seiblic^feit  i)erac{)tenben  3lSfefe  erblirfeu  ju 
bürf en  unb  bem  gegenüber  ben  gefunben  biblifd^en  StealiSmuS  ju  mx- 
treten.  Ob  ein  SRcaliSmuS  gefunb  ift,  ber  an  fo  mannigfaltigen  Uu= 
tlari^eiten  unb  unfaßbaren  Behauptungen,  wie  gejeigt  war,  frauft, 
mag  ba^ingeftellt  bleiben.  3)em  f)iblifcl)en  unb  reformatorifd^en  Qi}xu 
ftentumSuerftänbuiS  ijai  er  jebenfaöS  ni^t  bie  ^^af)n  frei  gemacht, 
vielmehr  nur  ben  fat^olifd^en  ©nabenbegriff  erneuert.  6S  braucht 
nur  an  ^or^S  ©rElärung  uon  ber  ©nabe  als  einer  einer  ^öliereu 
Drbnung  ange^örenben  9latürlic^feit  ober  an  i^rog^^SConningS  2)e^ 
finition  ber  ©nabe   als   einer  Skturfraft   erinnert    ju    werben. 

23* 


324    (S  rf)  c  e  l :  3)ic  2:auf le^rc  in  b.  mobcrnen  pofitiOv  Iutf)er.  Dogmatil. 

8ut{)er  {)Qtte  aber  bic  ®nabe  @ottc§  al§  bie  batmt)crjigc  ©cfm» 
nung  Dcrftct|cn  gelehrt,  bic  ftd)  pm  ©ünbcv  ^crobneigt,  feine 
©ünbe  richtet  unb  bcn  (Sünber  felbft  in  bic  geiftigc  ©cmeinfc^aft 
mit  fic^  aufnimmt.  3)amit  ^atte  Sutf)ec  bcn  ftoifc^=fat^olifd)en 
©nabcnbcgriff  cnbgüttig  übcrmunbcn.  2)a§  finb  befannte  ®ingc; 
icf)  barf  an6)  auf  bie  2lu§fü{)rungcn  pofitiocr  S^eotogcn,  fo  in* 
fonbcrf)cit  an  bie  9Iu§fü^rungcn  Don  3K.  Äät)(cr^)  unb  2llt^au§ 
ücrmcifcn.  5Hamentlic^  2lftt|au§  roirb  nic^t  mübe,  bic  „tl)eofo* 
pt)if^c"  Sauflctire  ju  bc!ämpfen  unb  bcm  ^icr  Dcrtrctcncn  9tca« 
li^mu§  gegenüber  bcn  cd)ten  biblifc^cu  9leali§mu§  ju  oerfec^ten, 
9ßir  bürfen  barum  bcr  von  2lltf)au§  unb  ebenfalls  oon  ©remer 
eingenommenen  ^^ofition  un§  je^t  jumenben. 

2. 

®§  fönnte,  menn  man  gemiffe  fünfte  bev  lauflctive  ©remerS 
unb  2lltt)au§'  fid)  ücrgcgcnmärtigt,  bcn  3lnfc^cin  ^aben,  a(§  ob  e§ 
überf)aupt  unberc^tigt  fei,  fie  in  irgcnbmefdic  Stelation  auf  bie 
octtiobofc  Jauftl^eovie  ju  ftcKcn.  2Ht^au§  fritifievt  bie  Sauflc^re 
ber  proteftantifc^en  Orttiobofic  fe^r  fc^arf.  93ei  ©remer  finbet 
man  jmar  feine  fo  einfc^neibenbc  3lu§einanbcrfe^ung  mit  ber  alt* 
lut^crifc^en  Saufboftrin,  aber  feine  teitenben  ^been  fmb  biefelben, 
bie  auc^  bei  9Ilt^au§  un§  entgegentreten.  Unter  biefen  Umftän« 
bcn  möchte  e§  benn  boc^  bebenflid)  erfc^einen,  bie  Jaufanfc^au* 
ung,  mit  ber  mir  un§  jc^t  ju  befc^äftigen  f)abcn,  jugteic^  in  einem 
ßufammen^ang  ju  betrachten,  ber  SRürffic^t  nimmt  auf  bie  ©tcl* 
lung  ber  altlutt)erifd)|n  Ort^obojic  jum  Jaufproblem.  3)ie  ur= 
fprünglic^e  J:t)eotogie  ber  9teformation§jeit  unb  bie  2;^eofogie  ber 
©c^rift  ift  für  3I(tt)au^  unb  ©remer  offenbar  ma^gebenber  unb 
einflußreicher  gemefen,  al$  bic  2^f)eologie  ber  alttut^erifd^cn  Cr- 
tf)obo5ie.  3)a^  ift  im  ganjen  richtig ;  tro^bcm  barf  man  bic  9te* 
lation  auf  bie  ort^obore  S)ottrin  nicf)t  al§  unangemeffen  beur* 
teilen.  2)a§  SJlotio  unferer  grageftcüung  forbert  ja  nic^t  eine 
ex  instituto  üorgeuommene  pofitioe  Orientierung  an  bcr  altluttiC' 
rifd)en  Sef)re.     (£§  ^aubelt  fiel)  oietme^r   um   bic  3rage,  melcl)c 


1)  9W.  Ml)Ux,  ^ie  Saframente  al§  ©nabenmitter,  Seip.jlg  1903. 


S  d^  e  c  l :  %it  2:auf(ef)rc  in  b.  mobernen  pofitiov  lut^er.  ^ogmatif.    325 

©teüung  bic  alte  Seigre  gegenroärtig  innerhalb  ber  2:^eo(o9ic  erhält, 
bic  fid^  aU  pofitiue  Slieologic  angefc^en  wiffcn  m\l  unb  bic  x.  L  ai^ 
^üterin  be§  Rrc^lic^cn  @rbc§  gelten  roiU.  3)a&  bie  ortl^oboren 
Formulierungen  fritifiert  werben,  barf  nic^t  93efremben  erroerfen. 
3ur  Äritif  mu^te  ja  bic  alte  ßc^re  ^crau§f orbern.  (5§  fommt 
auf  bie  Slrt  unb  ben  Umfang  ber  Äritif  an  unb  auf  bie  ©cfamt^ 
ftimmung,  bie  man  ben  bogmatifc^cn  ©runbibeen  ber  alten  2:^e0' 
iogic  entgegen  bringt.  2)ann  wirb  man  aUerbingS  be§  ©runb* 
fa§e§  inne,  ba^  bie  bogmatifc^e  ©e^anblung  be§  2:aufproblem§ 
nic^t  einen  unbebingt  juuerläffigen  ©c^tu^  auf  bie  ®efamtt|altung 
ber  2:{)cologie  anläßt,  ba§  gefunbene  ®rgebni§  alfo  nid^t  fc^tcc^t« 
t)in  ocraKgemeinert  merben  barf.  93Ici6t  man  aber  biefer  ^e- 
fc^ränfung,  bie  ju  bead)ten  baS  porliegenbc  Problem  nötigt,  fid) 
bemüht,  fo  barf  man  bie  Unterfuc^ung  über  bie  bogmatifcfjc  93e* 
^anblung  be§  2:aufprobIemg  in  ber  gegenmärtigen  pofitinen  J^eo-- 
logie  mot|I  mit  ber  ^rage  nerhtüpfcn,  roie  meit  biefe  pofitine 
S^eologic  auf  bic  9Wotioc  ber  altproteftantifd^en  2:t)eologie,  bie 
bod^  auc^  Sut^cr  nic^t  frcmb  maren,  fic^  einlädt.  Unb  märe 
roirfli^  eine  ftarte  SRebujierung  unb  Umbilbung  ber  alten  "Sox- 
mulicrungen  ju  fonftatiercn ,  fo  märe  ber  grabe  gegenmärtig 
nic^t  unerliebtic^en  ®rfenntni§  2lu§brurf  gegeben,  ba§  bie  S^^co« 
logie,  bic  pofitin-lut^erif^  fein  mill,  i^re  Slbfid^t  nur  burd)^ 
füt)ren  fann,  inbem  fie  met)r  ober  weniger  fritifdl)  fid^  oer^ält 
unb  alfo  bie  Drt^obojie,  fo  mie  fic  gef^ic^tlid^  gemorben  ift, 
ermeic^t,  refpeftioc  i^re  Siid^tung  gebenbe  Äraft  fc^mäc^t.  9tun 
mirb  freiließ  bic  na^folgenbc  Unterfuc^ung  noc^  jeigcn  fönnen, 
ba§  man  bei  biefcn  altgemeineren  3wföniment|ängen  nic^t  braud)t 
fte^en  ju  bleiben,  ba§  oielmct)r  tro^  aller  ^ritit  unb  2lbme^r 
fac^lic^e  SWotiDjufammenl^änge  na^meilbar  finb  unb  bie  lutt)e^ 
rifc^e  ©aframent§let)re  oertrcten  werben  foU^).  S)amit  märe  doII= 
enb§  bic  l)ier  oorgenommene  ©inorbnung  gerechtfertigt. 

äBenn  man  oon  ber  foeben  entmicf clten ,  al§  genuine  gort- 
bilbung  ber  lut^erifc^en  2:aufle^re  fid^  c^aratterifierenben  J^eorie 
Ärogl^^Sonning^  unb  feiner  ©efinnung^oermanbten  an  ©remer^ 

1)  §.  ©remcr,  ^aufe,  Söiebergeburt  unb  Rinbertaufe.    3">eitc  Slufi. 
mux^lol)  1901. 


826    @  d^  e  e  I :  ^ie  2;auflef)rc  in  b.  mobernen  pofitiOv  lut^er.  ^oömatif. 

unb  2l(t^au§'  Sarbictungcu  herantritt  ^),  fo  atmet  man  nic^t  blo§ 
crfcid)tert  auf,  weif  man  bcn  ©inbrudt  einer  üie(  loenigcr  fom* 
plijierten  unb  üiel  ftrafferen  S^eoric  crl^ätt;  man  begrübt  eS  auc^ 
freubig,  in  eine  ©pt)ärc  oerfe^t  ju  fein,  bie  bem  eüangefifc^en 
©nabengebanten  feine  ©igenart  unb  bominierenbc  ©teUung  magren 
mitt  unb  jene  l^od)Iut^crif^e,  in  SDßal^rl^eit  oom  lut^erifd^en  ®eift 
üerlaffene  Sluffaffung  unermübfid)  jurüdmeift.  @§  ift  ein  Sßer* 
bienft  ®remer§  unb  Slttl^auS',  jenem  lut^erifd)en  SReali§mu§,  ber 
bie  Jaufe  f^lie^Uc^  ju  einem  Staturmpfterium  maä)t,  bie  &tcu 
ftenjberec^tigung  ju  beftreiten.  9lber  ber  ^roteft  ridjtet  fic^  nid^t 
b(o^  gegen  eine  angeblich  „feiblid^e"  SBirfung  ber  Saufe;  man 
barf  nad)  ©remer  unb  2ltt!^au§  ni^t  einmal  oon  einer  fitt* 
liefen  Ummanblung  fpre^en.  S)ie  Saufe  ift  jmar  ba§  93ab  ber 
833iebergeburt  unb  Erneuerung.  ®otte§  ©nabengabe  mirb  in  ber 
Saufe  mitgeteilt,  ©remer  betrautet  e§  al§  eine  untut^erifc^e  unb 
fd)riftroibrigc  3luffaffung,  wenn  man  crflärt,  ba^  in  ber  Saufe 
nur  bie  ®nabe  angeboten,  ni^t  aber  bie  eigentli^e  ®ab^  ber  ®nabe 
mitgeteilt  merbe^).  ÜWan  barf  auc^  ni(^t  bie  Saufe  al§  blo^e 
93erbürgung  ber  ®nabe  ®otte§  bewerten,  ©in  fol^e§  Urteil  über 
bie  Saufe  mürbe  i^r  grabe  ben  ©^arafter  nel^men,  ben  fie  nac^ 
(£t)rifti  Slnorbnung  befi^en  foü.  3)enn  Sf)riftu§  ^at  ber  Saufe 
bie  Äraft  ber  833iebergeburt  mitgeteilt  ^).  ©oU  alfo  unfere  l^eutigc 
Saufe  nod)  al^  Saufe  gelten,  fo  mu§  fie  bie  Saufe  ber  SBieber* 
geburt  fein  *).  ©ic  mu^  met)r  geben  al^  blo^  eine  2lnmartfc^aft 
auf  ba§  ^eil.  3)enn  in  ber  erften  6l)riftent)eit  roaren  ©innbilb 
unb  SQSirftic^feit  oerbunben;   unb  tim  in  biefer  Sßerbinbung  be* 


1)  Sßfll.  auc^  V,  b.  Srencf,  SBicberQcburt  unb  ^efe^rung  in  i^rem  SBer* 
^ältni§  JU  einanbcr  unb  jur  Saufe,  fpcaieö  jur  ^inbcrtaufe.  ^aftoral- 
blätter  1904  ©.  741  ff. 

2)  externer,  a.  a.  O.  @.  14.  29.  lögt.  SHt^auS,  bie  $eil§bebcutung 
ber  Saufe  @.  293:  Tlan  mu&  unterfc^eiben  jtt)ifd)cn  ber  ^cilgbarbietung 
in  Sßort  xmb  ^rebigt  unb  ber  realen  ^eilSjueignung  bur(^  ba§  Saframent 
ber  Saufe.  8.  71  unb  208:  Söiebergeburt  unb  Erneuerung  werben  realiter 
in  un§  oottjogeu. 

3)  Gremer  a.  a.  O.  ©  30. 

4)  ebb.  <S  34.  36. 


@  c^  c  c  I :  ^ie  $ouf Ic^re  in  b.  woberncn  pofltiOv  lut^cr.  2)oömatil.    327 

ftc()t  bieg  SGBcfen  bc8  ©atramcnt§  bcr  Saufe ^).  2)ie  laufe  ift 
alfo  ba§  fatramentale  93ab  ber  aSiebergeburt.  SBebcr  ©remer  nod) 
2lltf)au§  bulbcn  eine  Slbfc^roä^ung  biefeS  ®ebaufen§.  @§  roirb 
t)on  i^nen  alfo  minbeften^  fo  energifc^  wie  Don  ber  altproteftan* 
tifc^en  Ort^obojie  ber  cf^ibitbe  ß^aratter  beS  2:auffaframent§ 
geltenb  gemad)t.  S)a§  SBort  unb  ber  SBiDe  (Sottet  garantiert 
biefe  SBirtung  ber  Saufe  ^).  ©remer  beutet  au^  felbft  biefen 
ßufammen^ang  mit  ber  alten  S)o!trin  an^  roeun  er  bie  mobcrtien, 
auc^  Don  pofitiuen  S^eologen  angefteQten  3}erfuc^e,  bie  Saufe  al$ 
©aframent  ber  93erufung  ju  oerftel^en,  als  unlut^erifc^  betämpft. 
3)ie  aMöglid)feit  einer  SBiebergeburt  oor  ber  Saufe  unb  eine  bar» 
au§  refultierenbe  93etra^tuug  ber  Saufe  afö  be§  äußeren  unb  in^ 
ueren  ©iegel§  für  bie  ©nabeueriDeifuugen  ®otte§  wiberftreitet  nac^ 
©remer  bem  tatfäd)ti^en  3fn^alt  ber  lut^erif^en  ©a!rament§* 
le^rc^).  S)iefer  93el^auptung  ©remerS  fann  man  aUerbingS  mit 
ftarten  3n^^if^I"  gegenüber  treten.  3)enn  bie  Sauflet)re  Ouen* 
ftebtS  lä^t  eine  fc^on  burc^  ba§  SBort  geroirEte  SBiebergeburt  er» 
fennen,  menn  auc^  tonftatiert  werben  muj3,  ba§  tro^  aDem  ber 
äJerfud)  gemalt  roirb,  ben  faframentalen  S^aratter  ber  Saufe 
feftju^alten.  9Q8enn  bemnad)  aud^  ®remer§  SBe^auptung  in  ber 
gorm,  wie  fie  aufgeftellt  ift,  unrid)tig  ift,  fo  barf  fie  bod^  info* 
fern  al§  gut  lut^erifd^  gelten,  alö  [\t  ben  ©aframentSgcbanten, 
bie  ej^ibitioe  2lrt  be§  SauffaframentS,  jur  2)arftellung  bringt. 
6remer§  SBe^auptung  bedt  fid^  ni^t  mit  bem  tatfäd)lic^en  93efunb 
ber  altlut^erifd^en  (Sa!rament§le]^re,  mo^l  aber  mit  bem  in  i^r 
enthaltenen  faframentalen  SMotip. 

3)ie  Saufe  ift  alfo  ein  Satrament  unb  gibt  al§  fold)e§  bie 
aSJiebergeburt.  Qn  ber  S3eftimmung  aber  beffen,  maS  SBieber« 
geburt  ift,  gc^en  ©remer  unb  2llt^au§  eigene  SBBege.  SDJan  t)at 
in  unbegreiflid)er  SBeife  *)  ©remer  bie  Slnftd^t  untergefd)oben,  ba§ 


1)  9L  a.  D.  S.  34.    «Bgl.   aurf)   Sllt^auS  a.  a.  D.   @.  293.  71  f.  unb 
feine  9(u§fül)rungen  über  bie  angebliche  testiticntio  bei  ben  alten  ^Jätern, 

2)  Grcmcr  a.  a.  D.  S.  28:  „9tic^t  burc^  ba§  §ören  beg  SöortS  unb 
ben  ©lauben  würbe  man  G^t)rift,  fonbcm  nur  bur4  bie  ^aufe." 

3)  Grcmer  a.  a.  D.  S.  15. 

4)  ^4^gl.  ^^3^i(abclpt)ia;  Drgan  für  coangcl.  ®emcinfrf)aft^pflcge  1900. 


B28    @  c^  e  e  I :  ^ie  ^aufle^re  in  b.  mobernen  pofitb.,  (ut^er.  ^ogmatü. 

er  ba§  Kteinob  bcr  ^Reformation,  bie  SRc^tfertigung  burc^  ben 
©tauben,  in  ^rage  ftcUe  unb  fo  bic  tat^olifd)e  3Ber!gerec^tigteit 
burc^  eine  ^interpforte  roieber  einlaffe.  2Ber  auc^  nur  oberftäc^* 
Uc^  bie  S^riften  ®remer§  tennt,  wirb  oon  ber  ^alttofigEeit  biefeö 
Sßorrourfö,  ben  ©remer  mit  Stecht  jurüdtroeift,  überjeugt  fein. 
2lud)  feine  fpejiette  Saufle^re  gibt  feinen  3(nlaj3  ju  einem  fold^en 
Sßorrourf.  Qntmer  mieber  tommt  t)ier  Sremer  auf  ben  SRed^tfer^ 
tigung^gebanfen  jurüdC.  S)ie  Saufe  gilt  i^m  grabeju  aU  ba§ 
Sßoßjuggmittel  ber  re^tfertigenben  ©nabe  ®otte§.  Unb  um  jeber 
©ntmertung  be§  reformatorifd^en  9ted)tfertigung8gebanfen§,  mag 
e§  ftc^  nun  um  fat^olifc^e  SRec^tfertigung^lel^re  ^anbeln  ober  um 
bie  in  ben  ®emeinfc^aft§freifen  ^errfc^enbe  Sntleerung  be§  SRed^t' 
fertigung§begriff§,  ben  SRiegel  oorjulegen,  meift  er  ben  ©ebanfen 
jurüdE,  alg  fei  bie  SBiebergeburt,  bie  bie  2:aufe  nermittelt,  eine 
fittlic^e  Umroanblung  ober  eine  SBertei^ung  ^ö^erer  göttlicher  Ju« 
genbfräfte  ^).  Siic^t  neue§  Seben  mirb  burd)  bie  Saufe  gefd^enft, 
fonbern  ba§  Seben  roirb  bem  Säufting  neu  gefd^entt.  „®urc^  bie 
Saufe  ate  ein  93ab  ber  SBiebergeburt  unb  ©meuerung  be§  l^ei- 
ligen  ©eifteg  n)iberfäf)rt  un8  bie  rec^tfertigenbe  ©nabe;  bie  9lec^t« 
fertigung  aber  befte^t  nac^  SRm  4,  5—8  in  ber  Sßergebung  ber 
Sünben,  unb  fo  ergibt  fi^,  baj3  bie  Saufe  ein  93ab  ber  SBBieber^ 
geburt  unb  ©rneuerung  be^  ^eiligen  ©eifte§  genannt  ift  meil  fie 
alte  ©ünbenf^utb  i^inmegnimmt  unb  baburd^  atte§,  unfer  ganje§ 
Seben  neu  maä)t"  ^).  SBiebergeburt  ift  nidjt^  anbere§  atö  93e* 
gnabigung,  at§  Sßergebung  ber  ©ünbe,  „unb  l^ei^t  nur  SBieber* 
geburt,  meil  nn^  burc^  bie  Sßergebung  ber  ©ünben  ba§  Z^btn  neu 
gefc^entt  roirb,  ober  roeit  mir  burd^  bie  Sßergebung  ber  ©ünben  frei 
roerben  oon  Sob  unb  ©eric^t  unb  baburd)  erft  roirftid^  in  ben  93efi^ 
be§  Seben^  fommen"  ^).  2)ie  Sßergcbung  ber  ©ünben  ift  bie  SBie* 
bergeburt,  ober  auc^,  bie  9ied)tfertigung  ift  bie  SBiebergeburt ; 
immer  aber  ift  Söiebergeburt  nid)t§  anbere§  at§  ^Rettung  unfereS 
Seben§  oom  ©eric^t.  ©ie  ift  nic^t  ein  jroeitc^,  ba§  bem  SöJen- 
fd^en  roieberfä^rt,  nad^bem  er  gered^tfertigt  ift.  33on  einer  fitt- 
liefen  Umfc^affung  ober  Umroanblung  ober  oon  einem  neuen  ©üb» 

1)  G^remer  a.  a.  O.  8.  65.  2)  9(.  a.  O.  S.  48. 

3)  21.  a.  D.  3.  54. 


(S  ^  c  cl :  S)ie  ^aufle^re  in  b.  mobemen  pofitio.,  Iut^cl^  ^ogmatif.    829 

jcft,  einem  neuen  Q6),  ba§  burc^  bie  SBiebergeburt  juftanbe  tom* 
men  foße,  tann  feine  Sftebe  fein^}.  3)ie  SBicbergeburt  ift  über* 
I)aupt  nic^t  etn)a§  au^ev  ober  neben  ber  SRe^tfertigung  ^).  3)ie 
SBiebergeburt  ift  bcmnoi^  ein  „foteriologifc^er"  ©egriff  unb  be- 
beutet  ben  foteriologif^en  2ltt  ber  SBegnabigung  be§  ©ünber§. 

®iefe  foteriofogifdie  S3etra^tung  teilt  and)  3llt^au§.  SBenn 
man  in  ber  ©ünbenabroafc^ung  me^r  finben  mitt  al§  ben  ein» 
maligen  2ltt  ber  göttlichen  SoiSfprec^ung  von  ber  6^ulb  unb 
©c^ulboer^aftung,  fo  gelangt  man  unmeigerlic^  ju  einer  tat^oli* 
fierenben,  magif^en  Sluffaffung  ber  Saufroirfung  ^).  3Jlan  barf 
an  feine  fittlid)e  Ummanblung  benfen,  fonbern  nur  an  ba§j|enige 
l^eitömägige  Sun  @otte§,  fraft  beffen  er  fein  Sßer^ältni^  jum 
ÜJlenf^en  nic^t  me^r  burc^  bie  ©ünbe  beftimmt  fein  lä§t,  S)er 
aWenfc^  mirb  in  ein  neue§  SBerl^ältniS  ju  ®ott  oerfe^t,  ol^ne  ba§ 
bamit  fc^on  ein  neue§  SBer^alten  t)ergefteßt  märe*).  @§  ^anbelt 
fic^  in  ber  Saufe  um  ben  ein  für  aÖemal  üoHjogenen  ©intritt  in 
ein  objeftiü  religiöfeö  Sßer^ältniö '^) ,  um  ben  foteriologifc^en  3lft 
ber  Sonfolibierung  eine§  ^eilöuer^ältniffe^  ju  ®^riftu§  bem  6r» 
löfer  ®).  3)ie  ntl.  33egriffe  ber  SBiebergeburt  unb  Erneuerung  be» 
jeic^nen  nxdjt  eine  fittlic^e  Ummanblung  unfere§  SBiUeni^  fonbern 
einen  einmal  Doßenbeten,  in  fic^  gef ^(offenen  Sßorgang,  eine  Sat 
@otte§  an  un§.  SGBirb  alfo  bie  Saufe  al§  ba§  SBab  ber  SBieber* 
geburt  unb  ©rneuerung  gcfc^ilbert,  fo  foH  bie§  bie  Saufe  al§  ben 
Segnabigunggs  unb  ®rrettung§aft  d^arafterifieren  ^),  al§  ben  re« 
ligiöfen  Slft  ber  gnabenmäjjigen  Slnteifgabe  an  ber  ©rlöfung^), 
al§  eine  9teufd)enfung  be§  ^eil^gut§,  eine  3Bieber^erfteÜung  in 
ben  Status  eineS  oom  ®erid^t§Der^ängni§  befreiten  fiebenS  ^).  3)a» 
mit  ^at  3lft^au§  ben  „t^eofop^if^en"  SBiebergeburt^begriff  aufg 
fräftigfte  abgelehnt  unb  in  ber  ©e^ung  eine§  neuen  Sßer^ältniffe^ 
JU  ©Ott  ba§  d^arafteriftifc^e  ÜJJerfmal  ber  SBiebergeburt  unb  ©r- 


1)  31.  a.  O.  ©.  55. 

2)  SC.  a.  D.  @.  57.  3)  mtf)an§  a.  a.  D.  ©.  81. 

4)  %  a.  D.  ©.  82. 

5)  3irtl)au§  a.  a.  O.  @.  112.  6)  ©bb-  @.  113. 
7)  ebb.  8.  256.                 8)  @bb.  @.  240. 

9)  ebb.  8.  255. 


830    @  d^  e  e  I :  %k  ^auf (el^re  in  b.  mobemen  pofttiOv  lut^er.  Xogmati!. 

neuerung  unb  bemjufolgc  oud)  bcr  J^aufroirfung  gcfunbcn.  68 
wirb  an  un§  bcr  vcfigiöfc  2lft  bcr  fotcriologifd^cn  Erneuerung 
realiter  oottjogen^).  2)a§  ift  naä)  Sllt^auS  bcr  cc^t  lut^erifc^c 
SRcaU§mu§  bcr  2:auf(e^rc. 

SBilbranbt  f)at  bie  beibcn  3Slotm,  bie  un§  in  bcr  2;auPe^re 
®remcr§  unb  2lft^au§  bisher  begegneten,  fid)  angeeignet,  3)ie 
üoße  SBebeutung  be§  JauffaframentS  fott  allen  3lbfd)n)äc^ung§=' 
oerfu^en  gegenüber  erhalten  bleiben.  2lnbererfeit§  roirb  bie  fo* 
teriologifd)e  SRed)tfertigung  ber  a:aufe  fo  energifd^  burc^gefü^rt, 
ba§  SBilbranbt  nur  oou  einer  SBSirfung  @otte§  am  Täufling,  ftatt 
im  2:äufling  gefpro^en  fe^en  mü%  ®iefe  SBSirtung  am  S^uf* 
ling,  bem  ßwfammcnl^ang  naä)  am  fiinbe,  roirb  al§  ein  Urteil 
über  ba§  Kinb  gef^ilbcrt,  unb  jroar  ate  ein  Urteil,  ba§  nic^t  ju^ 
gleich  ate  innere  ©inmirfung  auf  ba§  Äinb  befiniert  merben  barf. 
aSergebung  ber  ©ünbe  unb  Slufna^me  in  bie  ^inbfd)aft  ift  bcr 
^[nl^alt  biefe§  Urteils.  Sllfo  aud)  ^ier  eine  „foteriologifdie",  am 
9ted^tfertigung§gebanfcn  orientierte  3:auflcl^rc. 

©omeit  ^at  man  e§  jebenfaHS  mit  einer  einl^eitlid^cn  unb 
ftraffen  3)oftrin  ju  tun,  mit  einer  S)ottrin,  bie  jufolge  i^re§  ®e- 
l^altcS  refpeftiert  merben  mu§  unb  bie  mit  Diel  größerem  9ied)t 
al§  biejenige  Srog]^^2:onning§  al§  lut^erifd^  gelten  barf.  Qdi  benfe 
je^t  nic^t  an  bie  bereits  l^crauSgc^obene  3wföntmenftimmung  mit 
bem  altlut^erifc^en  ©atramentSmotit).  @S  barf  Dielme^r  baran 
erinnert  merben,  ba§  auc^  bie  fpcjififd^  foteriologifc^e  Slbjmerfung 
ber  2:aufe,  bie  junäc^ft  als  9Zeuerung  angefe^cn  merben  !önnte, 
bo^  fi^  auf  lut^erifd^c  Srabition  berufen  fann.  Sllt^auS  l^at  bieS 
auc^  einmal  oorübergel^enb  getan.  3)enn  er  tonftatiert,  ba§  faft 
alle  älteren  lut^erifd^en  Sfegeten  bie  2:aufe  menigftenS  in  einer 
SBejiei^ung  i^rer  abgef^loffenen  93ebeutung  na^  bef^rieben  l^ätten, 
b.  f).  nac^  il^rer  foteriologif^en  Seite  als  ben  ®runb  eineS  neuen 
|)eilSDer^ältniffeS.  ^ier  merbe  bie  SBiebcrgeburt  richtig  gebeutet 
auf  ben  göttlidjen  ©nabenatt  bcr  grunblcglic^en  ^ineinücrfc^ung 
in  ben  objeftiücn  ©tanb  beS  ^cilS^).    93ei  Oucnftebt  fann  man 

1)  @bb.  ©.  236.  260. 

2)  SBilbranbt  im  ajiccflcnburgifc^cn  li?ird)en=  u.  3eitblatt  1903  @.  324. 

3)  2((tf)auS  a.  a.  D.  6.  261. 


@  c^  e  e  I :  ^ic  ^aufle^rc  in  b.  mobcmen  pofitio.,  lut^er.  ^ogmatif.    331 

me^rfa^  al§  SEBirfung  bet  S^oufe  bic  translatio  in  regnum  gratiae 
t)erjcid)net  finbcn^),  unb  alfo  eine  offenbar  foteriologifc^  geratete 
93efc^rcibung  bcr  2:aufn)irfung.  Slbcr  felbft  iDcnn  bicfc  formale, 
Don  2l(t^au§  roirflic^  ooUjogcnc  Scrfnüpfung  mit  ber  alten  Sra« 
bition  ^)  nic^t  möglich  märe,  bürfte  man  bod)  in  ber  oon  ©remer 

1)  JJür  bie  eigentli^e  2:auflc^rc  Ouenftebtä  braud^t  man  aber  biefe 
^ormcl  ni(^t  su  bcrücffid^tigcn.  @ic  ^ebt  nid^t  ba§  d^arafteriftifd^c  aJlo- 
ntcnt  F)crau§,  ba^  »ielme^r  in  ber  SWitteilung  ber  vires  credendi  unb 
operandi  gcfud^t  werben  mix^.  Cuenftebt  ^ot  biefe  grormel,  bie  fi^  mit 
feiner  F)9perp^9ftfc^en  ©ei(§le^re  ni^t  »erträgt,  au§  ber  ©^rift  unb  bog* 
matif^en  3:robition,  inäbefonbcre  ben  93efenntni§f^riften  übernommen; 
fic  ftc^t  unausgeglichen  neben  bm  anberen  ^oti^en.  58ornc^mIi^  an^ 
ben  93efenntni§fd^riften  ift  fie  bann  in  5(u§Iegungen  be§  (utl)crifc^en  Äa* 
te^i§mug  übergegangen.  @o  wirb  fic  aud^  oon  ZI).  Äaftan  in  feiner 
fc^r  weit  oerbreiteten  „^luSleßung  bc§  Iutf)crif^en  Äatcc^igmuS"  (3.  2lup. 
©^(c§mig  1901)  ocrtreten,  mie  benn  übcrF)aupt  Äaftan,  ouf  ben  ft^  5llt= 
baug  ßelegcntUc^  bejieben  fann,  ju  ben  SBertreteni  ber  ,,foteriologifc^cn" 
a;auf(el)re  gejäblt  mcrben  barf,  bie  alfo  auf  eine  längere  ^rabition  jurücf- 
bUden  !ann.  %xe  2:aufe  ift  nac^  Äaftan  \>a^  Saframent  ber  SSicberge- 
burt,  meit  fie  in  ben  6tanb  ber  9®iebergeburt  oerfetjt,  bie  Seftung  eine§ 
neuen  Sßerl)ältniffc§  wirft.  2)arauf  liegt  ber  a:on  (@.  328.  331.  332).  3n 
ber  2aufe  mirb  ber  aD^cnf(^  aufgenommen  in  ®otte§  gnabenrei^e  ©c- 
meinf^aft,  unb  gmar  oon  ®ott  felbft.  ,t%aiM  bebarf  e^  in  ber  2aufe 
feines  Söcmu^tfeinS  barum  auf  ©eiten  beg  3:äufling§"  (338).  %w  d^a-- 
rafteriftifc^en  SWomente  ber  foteriologifc^en  3:aufboftrin  fmb  an(i^  in 
RaftanS  ©rflärunß  ber  2:aufc  enthalten.  %a  Äaftan  aber  entfpred^enb  ber 
3lbri^t  feines  93ud^e§  feine  93eranlaffunfl  b^ttc,  in  eine  auSfül)rUd^e  bog= 
matif^e  unb  biblifcf)=:t^eologifd)e  93egrünbung  fcineS  @tanbpunfte§  einjus 
treten,  mag  e§  genügen,  ^ier  feine  5luffaffung  t^etifc^  ju  fonftaticren; 
mit  ber  ©ad^c  felbft  werben  mir  un8  nod^  ausgiebig  ju  befd^äftigcn 
baben.  ^aftang  Darbietungen  fmb  oornebmlic^  be§megen  bebcutungSooU, 
weil  ein  großer  3:eil  bcr  lutberif^en  ©ciftlic^fcit  ftc  fi^  wirb  angeignet 
baben.  %a^  \\t  um  fo  ma^rfc^einli^er  unb  begreiflieber,  al§  ^aftan  e§ 
glücflicf)  ücrftanben  f)ai,  bie  gärten  unb  legten  8pitjen  ber  foteriologifi^en 
Doftrin,  wie  fic  bei  (Iremer  unb  9lltbau§  un§  noc^  begegnen  werben,  ju 
ocrmeiben,  überl)aupt  bic  Doftrin  in  einer  JJorm  oorjutragen,  bie  bcm  in 
lut^crifc^er  Umgebung  9(ufgcwac^fcncn  einleud^tenb  erf(^cint,  um  fo  mebr, 
al§  baä  paulinifcb=lutberifc^c  ©nabenbewu^tfein,  in  bcm  man  bic  Ä'raft 
bcr  fotcriologifcben  3luffaffung  fuc^cn  mu&,  in  ben  mc^r  fd)lic^tcn,  auf 
ben  Unterriebt  abgc^wcdtcn  i?lu§fü^rungen  S^aftan§  einen  bcftimmtcn  unb 
ba§  ©cwiffen  anfaffenbcn  ^lussbruef  f)at  finben  fönnen. 

2)  Sögl.  ba§  ju  Slaftan  in  bcr  legten  5lnm.  ©cfagtc. 


332    @  ^  c  c  1 :  5)ie  a:auflc^re  in  b.  mobcrnen  pofitiov  lut^ct.  2)o0motit 

unb  3Ut^au§  t)crfod)tencn  ^ofition  bcn  altlutl^crifc^cn  ®cift  roieber 
crfenncn,  mögen  anä)  im  Q^ntcreffc  einer  präjifen  unb  ftraffen 
2)urd^fül^rung  ©infc^ränfungen  unb  Umbilbungen  vorgenommen 
fein^).  2)er  3)uttu§  ber  altlut^erifc^en  Sie^tfertigungäle^re  lebt 
nämlic^  miebct  auf  unb  fuc^t  fic^  eine  ©eltung  ju  oetfc^affen,  bie 
felbft  bie  in  ber  alten  Ort^oboyie  übliche  übertrifft.  2)enn  nirgenb§ 
^at,  fomeit  mir  betannt  ift,  bie  alte  Ortl^oboyie  e§  vermögt,  ber 
SRec^tfertigung§le^re  eine  folc^e  bominierenbe  Stellung  im  bogma^ 
tifdjen  Softem  ju  geben,  mie  fie  bei  ©remcr  unb  3llt^au§  un§ 
begegnet.  S)er  SBerbinbung  be§  trabitioneH  lut^erifd)en  SBerftänb* 
niffe§  ^auli  mit  ber  oon  fintier  ge^anb^abten  Terminologie,  mie  fie 
2llt^au§  bei  Soofö^)  oerjeic^net  fanb,  ift  biefe  Äonjentrierung  ju 
oerbanten,  bie  al§  Äonjentrierung  auf  ben  religiöfen  93egriff  ber 
9iec^tfertigung  unb  SCBicbergeburt,  refpeftioe  Erneuerung  betrautet 
n)erben  foll.  ®§  Derbient  aber  au^brüdElid)  bemerft  ju  werben, 
ba§  biefe  religiöfe  S^ffung  ibentif^  ift  mit  ber  rein  forenfif^en. 
S)enn  bie  ^Rechtfertigung  gilt  9llt^au§  al§  bie  objettioe  reale  Qn^ 
eignung  be§  ^eilöertrage§  ber  fteHoertretenben  ©ü^netat  S^rifti^); 
fie  ift  ein  forenfif(^er  9ltt^).  3)ann  aber  mirb  bie  Saufle^re  burc^ 
bie  ort^oboy  geworbene  SRed^tfertigung^lel)re  beftimmt,  bie  bei  ben 
alten  S)ogmatitern  nur  mü^fam  unb  unbeutlic^  fid)  neben  ber 
]^9perp^9fifd^  gebeuteten  unb  in  biefer  ®eutung  grabe  bie  Sauf* 
lct)re  beftimmenben  ^eit^le^re  geltenb  mad)en  fann.  ©inb  bem^ 
nac^  aud^  er^eblic^e  ©ifferenjen  mit  ber  alten  Slnfc^auung  oor* 
l)anben,  fo  fmb  bo^  au(^  mieberum  93ejie^ung§puntte  ju  tonfta* 
tieren,  unb  einem  c^aratteriftifc^en  SUloment  ber  altort^obofen 
2:t)eologie  ift  eine  fpftematifc^  burc^greifenbe  ©eltung  oerf^afft. 
6§  barf  alfo  mo^l  bie  uon  2ltt^au§  unb  ©remer  vertretene  ^o* 
fition  mit  bem  Slnfpruc^,  lut^erif^  ju  fein,  auftreten.  SWit  biefer 
^ofition  l^at  man  aber  oor  allem  ben  Sßorteil  gewonnen,  ba§  bie 
religiöfe  ©runbanfc^auung   ber  9leformation  vom  Sßerl^ältnig  bes; 

i)  ^0(.  bie  foteriorogifd^e  fjaffung  avi(i^  ber  ©rneucrung,  unb  baju 
Cuenftcbt  über  bie  renovatio. 

2)  8oof§,  ßeitfabcn  ber  2)oömen0cfc^i(^tc '  1893  @.  352. 

3)  mtf)au^  a.  a.  D.  @.  275. 

4)  ©bb.  @.  276.    58ergl.   auc^  bie  2(u§einanberfe^ung  mit  ^^ilippi 
8.  274. 


@  ^  c  e  1 :  5)ic  2:aufle^tc  in  b.  mobernen  pofltio.,  Tut^cr.  ^ogniatit    333 

(3ünbcr§  ju  @ott  bie  gcbül^rcnbe  SerüdEfi^tlgung  finbct.  93ei 
bicfcr  Sauflc^re  tanu  bcr  ©cbantc  ni^t  auftauchen,  baj3  unfer 
^ci(  abhängig  gemacht  roirb  oon  beftimmtcn  SBcränbcrungen,  bie 
roir  erleben.  ®§  fäUt  auc^  jeber  @d)cin  fort,  atS  !önnte  eine 
iustitia  infusa  jur  ^eil^bebingung  gemacht  werben.  @§  roirb  an- 
bererfeitg  ebenfofe^r  berjenigen  93eftimmung  ber  ©nabe  porgebeugt, 
bie  bie  ©nabe  ju  einer  9taturtraft  begrabiert.  ©in  ^kturmpftcrium 
fann  bei  biefen  ^rämiffen  bie  2:aufe  nie  roerben.  ®enn  einer 
jubijieHen  ©rflärung  fe^lt  als  fotc^er  jebe  SBejie^ung  auf  ben  ©e* 
banfen  einer  p^gpfd^  ober  ^albp^pfifc^  oorgefteHten  9Banb(ung. 
®§  ^anbelt  fi^  nic^t  um  ^pperp^^fifdje  Äräfte,  fonbern  um  ein 
eine  ©rtlärung  abgebenbe§  3Bort.  3)ann  mu§  bie  5iaturgemein* 
fc^aft  burc^  bie  ^erfongemeinfc^aft  erfe^t  werben^),  ba§  natur* 
bafte  93erftänbni§  bem  au§fdblie§lic^  geiftigen  SßerftänbniS  be§ 
©^riftentum§  n)cid)en. 

Jro^bem  ^at  bie  foeben  i^rer  |)aupttenbenj  nad)  c^aratteri^ 
fierte  J^eorie  ffiiberfpruc^  gefunben.  ©ofem  ber  3Biberfprudb 
ausgebt  oon  SSertretern  berjenigen  Slnfc^auung,  bie  bie  2:aufe  ju 
einem  ^laturm^fterium  mac^t,  barf  er  t)icr  unberüdE fu^tigt  bleiben, 
S)enn  bereu  S^eorie  ermicS  fid^  in  jeber  S3ejie^ung  a(§  ^altloS 
unb  unannehmbar,  ^fntcreffe  bagegen  erroedtt  e§,  ba§  folc^e,  bie 
obne  ber  ^tl^eofop^ifc^en"  Sluffaffung  SRec^t  ju  geben,  ben  fafra^ 
mentalen  ©^arafter  ber  Jaufe  gema^rt  fe^en  moUen  unb  „pofitio" 
bogmatifcbe  Slnfd^auungen  ju  ©erfechten  beanfprudien,  oon  ber 
2:auftebre  ©remev^  unb  Slttl^auS'  nic^t  befriebigt  fmb.  3)er  SBiber* 
fpruc^  richtet  fid)  gegen  bie  foteriologifc^e  2lbjroedtung  be§  2:auf= 
faframent§,  fpejiell  alfo  gegen  bie  oon  ©remer  unb  2llt^au§  oer* 
tretene  Definition  ber  SBBiebergeburt  unb  ©rneucrung.  Unb  menn 
man  ba§  bogmatifcbe  aWotio  be§  2öiberfprud)§  beamtet,  roirb  man 
feiner  Berechtigung  ftct)  nict)t  entjiet)cn  fönnen. 

©§  mar  in  unferer  Sarfteüung  bie  foteriofogifc^e  S:auflet)re 
of)ne  atüdEfic^t  auf  ben  ©tauben  reprobujiert.  SCBeldje  Stellung 
bem  ©tauben  jugeroicfen  mirb,  mu^  bcmnäd)ft  noch  unterfudjt 
werben.  @§  galt  juoor  ba§  ©runbmotio  ober  bie  ^aupttenbeuj 
f)erau^iuftelten,  felbft  auf  bie  ©efa^r  f)in,  bag  bie  nacl)fotgenbe 

1)  dremcr  a.  a.  D.  8.  77. 


334    @  ^  c  e  r :  ^ie  3:auf (c^re  in  b.  mobertten  pofitiOv  Tut^er.  ^ogmatit 

3)avftcttun9  eine  ©rgänjung  nötig  mad)t.  3)ie§  ^auptmotiü  ift 
bcr  ftartc  ^roteft  gegen  jebiüebe  fittlic^e  Umwanblung,  ift  bie  ^ox- 
beruug  cine^  rein  religiös- foteriologifc^cn  SßerftänbniffeS  ber  SBieber- 
geburt  unb  Srneuerung.  33efonber§  beuttic^  ift  bie§  3Jlotio  oon 
SBilbranbt  gettenb  gemad)t;  in  feiner  Darbietung  tritt  barum  auc^ 
befonberS  offenfunbig  bie  ©c^iüäc^e  bicfcr  S^corie  au  ben  S^jg. 
SRomberg^)  ^at  gegen  2Bifbranbt§  Sfiefe,  ba§  e§  fi^  in  ber  Saufe 
um  eine  SBirfung  @otte§  am  Äinbe  t)anbfe,  ertlärt,  ba§  man  bei 
9BiIbranbt§  Sluffaffung  überhaupt  nid)t  üon  einer  SDßirfung  am 
Rinbe.  fprec^en  fönne.  3)enn  ein  bto§e§  Urteil  über  ba§  Äinb  fei 
überhaupt  feine  äBirtung  ©otteS  am  Äinbe  mel)r  ju  nennen,  ba 
burc^  ein  Urteil  aunäd)ft  ni^t§  am  ^inbc  geroirft,  fein  93eftanb 
nid)t  geänbert  merbe  unb  jebeS  ©ingel^en  beö  Äinbe§  auf  baS  Ur* 
teil  \a  auSgefd^loffen  merbe  *).  Sine  geiftige  i8erül)rung  unb  Sin^ 
mirtung  fei  nid)t  erfolgt,  äöenn  SBilbranbt  tro^bem  üon  einem 
„gemaltigen  ©ingriff"  ®otte§  in  ba§  Seben  be§  ^inbe§  fpred)e, 
fü  Ifabt  er  ju  biefer  5ßerfic^erung  feinen  ©runb.  3)a  baS  Urteil 
(Sottet  ba§  Sinb  nic^t  berüfire,  tonne  üon  einem  „Singriff"  ®otte§ 
in§  Z^bzn  beS  ^inbeö  überhaupt  nic^t  bie  9iebe  fein'),  SRomberg 
betont  bem  gegenüber,  ba§  (Sott  nie  am  ober  über,  fonbern  ftct§ 
im  SJJlenfdjen  ba§  ^eil  mirfe,  ba§  eg  überhaupt  feine  bloßen  Ur^ 
teile  ®otte§  auf  bem  ^eilSgebiet  gebe,  ®otte§  Urteile  melme^r 
ftetS  iufammenge^en  mit  a:aten  ®otte§.  93ci  2Bilbranbt§  3)ar* 
ftellung  falle  ba§  ®eben  ®otte§  unb  ba§  Stemmen  be§  2Jienfc^en 
nic^t  jufammen,  fonbern  au8  einanber^). 

ajlit  biefen  SBemertungen  ^at  m.  ®.  9tomberg  auf  ba§  SWo^ 
ment  aufmerffam  gemad^t,  an  bem  bie  2:f)corie  oon  ber  objeftioen 
aJerfe^ung  in  ben  ®nabenftanb  fd)eitern  mu§,  jebenfallS  fofern 
e§  fic^  um  eine  bogmatifrfie  SHed^tfertigung  ^anbelt.  ®§  liegt  in 
ber  Siatur  beS  bogmatif^en  Urteile  begrünbet,  ba§  bie  3)ogmatif 
uon  objeftioen  2:!^eorien  nic^t  reben  fann,  2)ogmatifc^e  Urteile 
finb  ®laubenSurteile,  genauer  gibujialurteile.    9Jian  fann  biefen 

1)  Otomberg  im  ÜJ^ecflcnburgifc^en  ^irdE)en^  unb  3eitblatt  1903  mx.  8. 
20,  bef.  <5.  404  ff. 

2)  31.  a.  D.  S.  404.  3)  %  a.  D.  S.  405. 
4)  %  a.  D.  8.  147. 


8  c^  e  e  I :  ^ie  3:aufle^re  in  b.  mobemen  poflttp.,  (ut^et.  ^ogmatif.    335 

©a^  nur  ignorieren^  wenn  man  bie  ©pl)äre  bc§  eüangclifd^en 
^eil8perftänbniffe§  überhaupt  oerlaffen  roiD.  SWon  mag  bem 
©laubenSbegriff  ber  ,,mobernen  S^eofogie"  mit  no^  fo  großer 
©fepfig  begegnen,  man  fann  bo^  nic^t  in  Slbrebe  [teilen,  bag 
irgcnbmie  jum  ^Begriff  eine^  uollftänbigen  bogmatifc^en  Urteile 
ba§  gibujialmoment  gel^ört,  3)enn  man  ^at  e8  in  ber  c^riftlic^en 
Sogmatif  mit  bem  geiftig  gearteten  religiöfen  Seben  ju  tun.  9iid)t 
aU  foUte  l^ier  bie  in  mannigfachen  gormen  in  bie  ®rfc^einung 
tretenbe  religiöfe  ©mpirie  bef(^rieben  werben.  3)a§  märe  bie  2luf* 
gäbe  ber  SReligionSpf^i^ologie^  nic^t  ber  3)ogmatit,  für  bie  ber 
©cgriff  beS  Stormatioen  !onftitutip  ift.  3)a^  änbert  aber  nichts 
baran,  bag  eine  Slbftraftion  üom  religiöfen  Se6en  eine  Selbftoer* 
nid)tung  ber  3)ogmatif  märe,  ©ie  mürbe  oermittelö  einer  folc^en 
Slbflraftion  ben  S3oben  unter  ben  gü§en  üerlieren,  beun  fie  mügte 
auf  i^re  eigene  SWaterie  oerjic^ten,  ben  -Sn^alt  i^rer  3lu§fagen 
preisgeben,  ©ie  entmicfelt  bie  iWomente,  o^ne  bie  ha^  befonbere 
unb  inbioibuetle  c^riftlid)e  fieben,  bejie^ungSmeife  bie  c^riftlidje 
^eil8erfenntni§,  nic^t  gebac^t  merben  tann.  ®ag  gibt  ben  bog- 
matif^en  ©ä^en  it)re  attgemeine  unb  allgemeingültige  2lrt.  2lber 
fie  entmidEelt  boc^  bie  ÜKomente  be§  c^riftlid^en  Seben§  unb  ber 
c^riftlic^en  fiebenSbejie^ung,  benen  als  folc^en  SBirflic^feitSmert 
eignet.  ®S  fmb  atfo,  üorauSgefe^t,  ba§  man  überhaupt  ein  SWec^t 
l^at,  ba8  ©^riftentum  als  geiftige  ^Religion  ju  üerfte^en,  ftetS  pf^- 
c^if^e  <3n]^alte,  ober  in  bie  ^^f^c^e  aufgenommene  ^n^alte,  bie 
jur  ®rmägung  fte^en.  Xawn  mirb  aber  bie  9icbemeife  oon  einem 
obieftioen  realen  93efi^  bogmatifc^  unoerftänblic^.  ^n  bemfelben 
SÄugenblidt,  in  bem  man  eine  objeftioe,  o^ne  glei^jeitige  fubjettioe 
(Srfc^einungen  erfolgenbe  SBerfe^ung  bel^auptet,  mirb  bie  ©igenart 
beS  bogmatifd)en  Urteils  preisgegeben,  mirb  bie  aufgeftellte  93e* 
l^auptung  illuforifd^,  bie  nur  fo  lange  mit  einem  ©c^ein  beS  JRec^tS 
auftreten  fann,  als  bie  93ebingungen  beS  bogmatifc^en  Urteils  un* 
beachtet  bleiben. 

SDJan  oerfud)t  freili^  eine  letzte  SRettung,  inbem  man  bie 
Slnalogie  beS  rec^tlid)en  S3efi^eS  jur  ©rflärung  ^eraujie^t.  3Jlan 
fann  ber  berufene  (Srbe  fein,  ot)ne  bod^  in  ben  mirflidien  @enu§ 
ber  @rbfd)aft  eingetreten  ju   fein.    3lber  biefe  2tnalogie  bemeift 


336    @  c^  e  e  ( :  *2)ic  2:ouftef>rc  in  b.  moberncn  pofitiOv  lut^cr.  ^ogmatü. 

ni^tig,  wie  überhaupt  rcd)tnc^c  Slnalogicn  nic^t  an  bic  l^ö^entage 
bcr  ^Religion  bc§  ®^riftcntum§  heranreichen,  ba§  richtige  SBerftänb* 
ni§  nid)t  ju  Permitteln  üermögen,  e§  öielme^r  nur  gefä^rben 
f önnen.  Sntwebcr  man  ^at  ba§  ^eil ;  bann  ^at  man  e§  nur  ate 
Seben§in^alt,  alfo  nur  in  pfgc^otogifc^  faßbarer  gorm.  Ober  man 
^at  e§  überhaupt  nic^t;  ein  2)ritte§  gibt  e§  nic^t.  ®in  „objet* 
tioer,  realer  S3efi^"  ift  in  ber  ^Religion  überhaupt  no(^  fein  53efi^. 
S)arum  fann  bie  3)ogmatif  aud^  mit  biefem  93egriff  nid)t§  an* 
fangen,  unb  einer  bogmatifc^en  2:^eorie,  bie  mit  biefem  53egriff 
operiert,  fe^lt  ha§  fignififantc  3Jlerfmal  be§  bogmatifc^en  Sa^e§. 
5)er  fog.  objef tipe  SBefi^  ift  no^  feine  religiöf e  ®rö|e  geworben ; 
biefe  ,,rein  religiöfe"  Betrachtung  ift  alfo  überhaupt  noc^  feine  reli« 
giöfe  S3etra^tung.  Unb  felbft  menn  man  bie  rec^tlict)e  Slnatogie 
gelten  laffen  fönnte,  märe  für  bic  ^ier  jur  2)i§fuffton  fte^enbe 
2:t)eorie  nod)  nic^t§  erreict)t.  Senn  biefe  2lna(ogie  mürbe  nur  ju 
einer  S^arafteriftif  ber  2:aufe  atö  etne§  (Saframentö  ber  ^Berufung 
füf)ren  ober  eine§  2Ifte§,  bcr  bie  Slnmartfc^aft  auf  ba§  ^ei(  gibt, 
©egen  eine  fold^e  Definition  ber  Saufe  aber  mc^rt  fic^  grabe  bie 
fotcriofogifd)e  2:^eorie^).  Sie  mc^rt  fic^  mit  gutem  ®runb  ba« 
gegen.  3)enn  inbem  fie  bie§  tut,  gibt  fte  ju  erfennen,  ba§  \>a§ 
foeben  entmicfcttc  unb  gegen  bie  ^ier  befpro^ene  2:^eorie  gefeierte 
3Jlotip  i^r  fetbft  nicf)t  fremb  ift,  mag  i^m  auc^  bie  gebü!^renbe 
33erüdEfid|tigung  nid^t  geiporben  fein.  SMit  einer  bloßen  SInmart* 
fc^aft  fann  bie  3)  o  g  m  a  t  i  f  unb  bic  bogmatifc^c  S3egrünbung 
ebcnfomenig  etma§  anfangen  mie  mit  einer  rein  foteriologifc^cn 
2:f)eorie,  bie  prinjipicH  Slbftanb  nimmt  pon  fubjeftipcn  aMomenten. 
6§  bleibt  aud)  unpcrftänbfid^,  mie  fi(^  pcrcinigcn  lä^t  bie  93e* 
^auptung  einer  mirffamen,  aber  bod^  bto§  objettipcn  ©rflärung 
@otte§  unb  bie  SInerfennung  be§  ®^riftcntum§  aU  einer  SReligion 
be§  @cifte§,  refpeftipc  be§  9Bort§  unb  be^  @(auben§.  3)a§  ^eiU«: 
f)anbc(n  ®otte§  ift  nie  ein  objettipc^  ober  blo^  foterioIogif(^e§. 
3)cnn  um  e§  aU  §ei(5;f)anbeln  mürbigcn  unb  c^arafterifieren  ju 
fönuen,  fann  man  ber  pfijc^otogifc^cn  Sebingungen  nic^t  entraten, 
bie  33orau§fe^ung  einer  fofc^en  SBürbigung  finb, 

1)  Sögt,  befonberg  ©remer  a.  a.  O.  @.  25.  33.  113.   ^n  ®ottc§§an* 
beln  fei  übcrf)aupt  nii^t  ^u  f^cibcn  5n)ifd)cn  ^nroartfc^aft  unb  ®ahz. 


<S  ^  e  e  ( :  ^ic  3:aufU()rc  in  b.  moberncn  poptiü.,  lut^cr.  2)o0mati!.    337 

^abm  Srcmer  unb  3Jltt)au§  ipirflic^  bicfc  6rtcnutni§  mU^ 
ftänbig  unbcvürffid)tigt  gelaffcn?  3)ie  SWotioe  ju  einer  folc^en 
Ülid^tberürffic^tiflung  fmb  jroeifeUoö  pov^anbcn,  unb  wie  fie  luirfen 
tonnten,  jeigen  bie  Darbietungen  SBilbraubtö.  Sluci^  lä§t  ba§  93ilb, 
JU  bem  bcr  erfte  ©inbrudt  ber  t)on  ©remer  unb  3(lt^auö  gebotenen 
aiu^fü^rungen  oerleitet  unb  bo^  manchen  al§  burd^au§  jutreffenb 
gelten  mag^),  e§  af§  unjroeifel^aft  erfc^einen,  ha^  bie  gorberungen, 
bie  focben  aufgefteüt  würben,  ni^t  bead)tet  finb.  3Jlan  mu§  ober 
boc^  fic^  ^üten,  ben  Don  9llt!^au§  unb  ©remer*)  immer  mieber^ 
polten  ^^roteft  gegen  bie  ct^ifc^e  ©rneuerung  ©ermittele  ber  9Bieber« 
geburt  al§  einen  unbebingten  "ißroteft  auc^  gegen  irgenbmelc^e  fub* 
jeftioen  SSeränberungen  im  aWcnfc^en  aufjufaffcn.  @§  mürbe  frei^ 
lic^  bem  befonber^  oon  2llt^au§  ftort  geltenb  gemachten  Jenor  ber 
foteriologifc^en  93etrad)tung  entfprec^en,  menn  man  biefer  9tnna^me 
fid)  juneigen  mürbe.  33eoor  man  aber  einer  fofdjen  Slnna^me 
golge  gibt,  t)at  man  ba§  eigent(id)e  aWotio  be§  Äampfe^  gegen 
bie  Definition  ber  SCBiebergeburt  al§  einer  et^ifc^cn  ©rneuerung 
fic^  t»or  ba§  9luge  ju  ftetten.  SBenn  man  oon  einer  fittlic^en  Er- 
neuerung traft  ber  Saufe  nicl)t§  miffen  miü,  fo  mirb  unter  ber 
fittlic^en  ©rneuerung  bie  Sefeitigung  ber  natürlichen  ©ünb^aftig* 
teit  oerftanben,  b.  I).  mau  betrachtet  unter  biefen  Umftänben  bie 
renovatio  al§  eine  SQBanblung  be§  t)abitueUen  3wftö^^^^^  ^^^ 
Sünberö,  al^  eine  SSeränberung  feiner  fünbigen  9iatur  ober  ber 
9ktur  über^aupt^).  Dann  mirb  man  felbfioerftänblicl)  2llt^au§ 
unb  ©remer  ba§  9tec()t  juertennen  muffen,  bie  Definition  ber 
SEBiebergeburt  al^  einer  fittlict)en  Ummanblung  abjule^nen.  SJJlan 
^ätte  eine  3In(eif)e  gemad)t  beim  tat^olifc^en  |)eil§gebanten,  ben 
eoangelifc^en  ©nabenbegriff  oerlaffen.  9Man  tonnte  oietteic^t  bie 
^tage  aufmerfen,  ob  e§  terminologifc^  gefc^icft  mar,  ben  93egriff 
ber  et^ifd)en  ©rneuerung  im  engeren  Sinn  ber  ©efeitigung  einer 
natürlichen  ©ünbigteit  ju  oerfte^en.  Sobalb  man  aber  auf  bie 
(Sact)e  felbft  fiel)t,  tonnen  berechtigte  ©inmänbe  nict)t  erhoben  werben. 

Da§  erfct)eint  noct)  weniger  möglich,  menn  man  bcmertt,  \)a^ 

1)  Oiutj,  3:aufe  unb  SSiebergeburt  ^^3-  1901  ©.  589. 

2)  SBgl.  auc^  (S.  ©acfer,  %k  ^eilSorbnung,  ©üterölo^  1898. 

3)  ^^l  mtiau^  a.  a.  O.  B.  82;  ©rcmer  a.  o.  D.  @.  76. 

3<itf<^nft  für  X^eoloßie  unb  Äird?<.    16.  Sat^rg.,  4.  $eft,  24 


338    ©  d)  c  e  t :  ®ie  2:auflef)rc  in  b.  mobcnicn  pofitio.,  Tut^cr.  Dogmotif. 

TDcbcr  ©rcmcr  noc^  2llt^au§  eine  rein  foteriologifd)e,  t)on  je9lid)et 
SBeiüu^tfein^manblung  abfcl^enbe  2)urd)fü^rung  i^rer  Jauft^eoric 
gegeben  ^aben.  S3ei  biefem  2:atbeftanb  fönntc  e^  evft  re^t  ben 
Slnfc^ein  erroedten,  aU  ^anbfe  e§  fic^  um  nicl)t^  weiter  of^  um 
eine  rein  formale,  terminotogifc^e  S)ifferenj. 

Sremer  nämfic^  erflärt,  e§  beginne  mit  ber  S3egnabigung 
nic^t  blo§  ein  neuer  Seben§abfd)nitt  für  ben  SMenfc^en,  fonbem 
ein  neueö  ßeben^).  3)en  S3egriff  ber  SBegnabigung  fann  er  ober 
in  biefem  3wf^"^*^ß"^öng  au^  burc^  ben  93egriff  be§  @(auben§ 
erfe^en  unb  bemgemä^  erHären,  \>a^  mit  bem  ©tauben  ba§  neue 
Seben  beginne.  S)ie§  Seben  lüirb  nun  näl^er  bal^in  erläutert,  ba^ 
e§  ein  Z^btn  in  banfbarem,  feiigem,  ernftem  ©tauben  fei.  SEBenn 
er  aber  offenbar  einfc^ränfenb  fortfährt,  biefe§  neuen  gebend  aWad)t 
unb  Äraft  fei  unb  bleibe  nur  bie  93ergebung§gnabe  unb  nic^t§ 
anbere§,  fo  mirb  niemanb,  ber  ben  retigiöfen  ®e!^att  be§  paulini* 
fd)en  ®^riftentum§Derftänbniffe§  noc^  at§  au  JRec^t  befte^enb  aner* 
fennt  —  ba§  er  ju  9ted)t  befte^t,  brandet  t)ier  nic^t  ermiefen  gu 
werben  —  gegen  biefe  ©infc^ränfung  ernft^afte  S3ebenten  anju== 
führen  l^aben.  ©ie  mirb  oietme^r  at§  fac^ti^  geforbert  erfc^einen, 
unb  barum  auc^  de  facto  nic^t  ben  ®^arafter  einer  loirflic^en 
©infc^räntung  ober  eine^  SRücf juge§  tragen.  %a\t  nodj  inftruftioer 
fmb  bie  2Ibfd)nitte,  in  benen  ©remer  oon  ber  SBirffamteit  be§ 
^eiligen  @eifte§  fpric^t.  3)er  ®eift  wirft  nid^t  in  un§  in  ber  Äraft 
einer  neuen  ^ö^eren  Statur;  fonbem  ein  ^erj,  mdd)e§  ba§  3Bort 
aufnimmt,  inbem  e^  in  fraft  be§  l^eitigen  @eifte§  glauben  ternt, 
ba§  nimmt  mit  bem  SBBort  ben  l^eitigen  ©eift  auf  unb  mit  bem 
l^eiligen  ©eift  ben  SBater  unb  ben  So^n^).  2)ie  oon  ^autu$ 
@ai  5,  22  c^arafterifierten  ^rü^te  be§  ©eifte^  roirtt  tatfäc^tic^ 
ber  ©eift  in  un§,  aber  bo^finbmir  e§  felbft,  bie  e§ 
üben,  aud)  wenn  mir  un§  baju  überminben  muffen^). 
3)ie  ^erfon  ©otte§  ift  e§,  bie  in  feinem  f)eitigen  ©eift  mir  gegen* 
märtig  geworben  ift  unb  ben  ©tauben  wirft,  SWut  unb  5lraft  wer* 


1)  ©remcr  a.  a.  O.  8.  57. 

2)  ©remcr  a.  a.  D.  8.  75. 

3)  ebb.  ©.  76.  S8on  ©remcr  gefpcnt. 


S  c^  c  e  r :  ^ic  2:auf(c^re  in  b.  mobenien  positiv.,  lut^er.  ^ogmatif.    339 

Icil)t  unb  bcn  Söillcn  waä)  ruft\V  ©faubcn  ift  oiel  mc^r  al§ 
@ute§  tun;  c§  frf)Iie§t  ba§  ®utc§  tun  nid^t  bIo§  ein,  fonbcrn 
©lauben  löft  ben  SWcnfd^en  dou  bcr  ©ünbe ;  bcnn  bic  SJcrgcbunflg^ 
gnabe,  bie  er  ergreift,  ift  e§,  bie  i^n  (o^mac^t.  @§  gibt  feine 
ftärfere  Söfung  oon  ber  ©ünbc  a(§  bie  93erge6ung§gnabe  burc^ 
bic  ©emeinfc^aft  be§  breicinigen  ®otte§  im  l^eiligcn  Oeift  mit 
un§  ^).  3)ie§  bejeic^net  ©remcr  al§  bie  Üleugeftaltung  unfere^ 
fieben§  burc^  beu  ^eiligen  Oeift^).  Unfer  geben  mirb  burd^  i^n 
ein  ©lauben^Ieben  unb  bleibt  ein  ©lauben^Ieben.  3Bir  glauben 
burc^  ben  (Seift ;  aber  ©lauben  ift  nic^t  ein  einmalige^  unb  nic^t 
ein  erfte§  Sßer^atten,  f onbern  ein  bleibenbe§  Sßer^alten. 
S)arum  l^ei^t  roiebergeboren  fein  glauben;  au§  bem  ®eift  geboren 
fein,  ^eigt  glauben*).  3)urc^  ben  ©lauben  gel^t  bic  innere  SBBanb* 
lung  mit  un§  öor.  „®er  ©laube  i  f  t  biefe  innere  Umroanblung, 
nämlid^  ber  ©laubc,  roelc^er  gcred)tfertigt  roirb  nid)t  um  biefer 
Ummanblung  mitlen,  fonbern  al§  ©laube  be§  ©otttofen"  ^). 

9Wit  größerer  SReferoe  fpric^t  ft^  2llt^au§  au§;  aber  e§  be« 
gegnen  un§  bod)  ©cbantengänge,  bic  in  ber  Stic^tung  ber  foeben 
bei  ©remer  fonftatierten  liegen.  ®urc^  bie  SEaufe  ift  ber  ©eift 
in  un§  ^ineingefommen;  er  roo^nt  in  unferem  ^erjen^).  2)er 
©rfolg  ber  eifusio  spiritus  sancti  ift  nid^t  ein  fittlic^er  ^abitu^ 
neuer  ?trt,  aber  bod)  ein  neue§  religiöfe§  Sßer^ältni^  ber  ^er* 
fönlic^feit  ju  ©ott^).  ©ine  Sßeränberung  im  SQBiUen  be§  a:äufling§ 
folt  jmar  nid|t  Dorau§gefe^t  merben  ^)  unb  jeber  ©ebante  an  eine 
attioe  3Jlitbeteiligung  unfererfeit§  mirb  abgemiefen.  Slber  2llt^au§ 
fpric^t  boc^  Don  einer  ftttli(^en  Zat,  bie  fic^  freiließ  fofort  eine 
SRebuftion  auf  reseptioe^  miUcntlic^e^  Sic^untergeben  unter  bie  bar* 
gebotene  $eil§tat  ©otte§  gefallen  laffcn  mu^^).  9ln  einer  anberen 
©teile  mirb  jugegeben,  ba§  bie  SBiebergeburt  fc^on  eine  ©rfri* 
fc^ung  unb  ^Belebung  unb  freubige  Stufrid^tung  ber  ^erjen  in  fid) 
befc^lie^t  ^%  ®a§  obieftioe  3Biberfa^rni§  ber  SBiebergeburt  ^at  al§ 
folc^e§  jugteic^  feineu  SReflej  im  ^erjen  be§  93egnabigten ;   „e5 


1)  @bb.  @.  77.  2)  ®bb.  @.  78.  3)  ©bb.  ©.  82. 

4)  @bb.  8.  84.  5)  (gbb.  @.  85. 

6)  mtf)au^  a.  a.  D.  8.  52.  7)  (5bb.  8)  @bb.  S.  127. 

9)  ^(tt)au§  a.  a.  O.  8.  167.  10)  (Sbb.  8.  279. 

24* 


H40    @  d^  c  c  l :  ^ic  2:auflcf)re  in  b.  mobcrncn  pofitio.,  lutf)cr.  *2)o0mati!. 

mac^t  ein  tröfta^c§,  frö^Iid)c§  ©ciüiffcn"  0-  ^cbcnfaUg  bic 
SBanbtung  unfcrc§  rcHgiöfen  93cit)u§tfcin§^)auf 
grunb  ber  in  ber  Stec^tfertigung  ober  SBicbcrgeburt  ooUjogcnen 
3Q3anblung  unfcre§  93ct^ältniffc§  ju  ©ott,  bic  frcubigc  ©r^cbung 
be^  ber  empfangenen  ©ünbenüergebung  innc  roerbenben  ®c^ 
füt)l§  roirb  jugegeben.  3Jlit  ber  SBiebergeburt  ift  unmittelbar  bie  fub* 
jeftioe  ©eroig^eit  be§  ^eil§  gegeben^),  ©ofem  bie  Saufe  eine 
objcftipe  ^inroegfd^affung  ber  ©ünben  vermittelt,  oerfe^t  fie  ben 
9Wenfc^ctt  in  ein  neue§  Ser^ältnig  ju  ®ott,  o^ne  freiließ  ein  neue§ 
SBert)alten  ^ergeftettt  ju  t)aben.  SIber  mit  ber  ©ntfernung  ber 
©ünbe  au§  bem  93eroufetfein  ®otte§  ift  jugfeic^  eine  Entfernung 
berfelben  au§  bem  menfd^Uc^en  ©elbftbemu^tfein  geiuirf t  *).  3Kan 
wirb,  menn  man  ber  anfängli^  befproc^enen  Slu^fü^rungen  6re^ 
mer§  unb  2llt^au§'  gebeult,  gcmi^  nic^t  ganj  o^ne  Ueberraf^ung 
bie  ^ier  foeben  entmidteltcn  ©ebanfen  aufnehmen,  3)em  SBortfaut 
nad^  entf)alten  fic  jebenfaH§  me^r,  alS  man  auf  grunb  ber  erften 
2lu§fü^rungen  ermarten  burfte,  3lber  am  SBortlaut  ju  Heben  ift 
unangebracht  unb  roertlo^.  3)lan  barf  im  ^inblidt  auf  biefe 
legten  ©rörterungen  ®remer§  unb  2lft^au§'  barauf  aufmerffam 
machen,  ba§  eine  rein  objeftiDe  «Interpretation  be§  foteriologifc^en 
2Ifte§  ber  äBiebergebnrt  unb  (Erneuerung,  bem,  xva^  3ltt^au§  unb 
©remer  gemoUt  l^aben,  nic^t  gerecht  mirb,  ba&  i^r  ^roteft  gegen 
bie  fittlic^e  ©rneuerung  üorne^mlid^  bem  natur^aften  a}erftänbni§ 
be§  93egriff§  gilt  unb  ba§  i^re  2lnfd)auung  oon  ber  SBBieberge- 
burt  nid)t  o^ne  3u^iff^"ö^me  ber  ^bee  einer  SBanbtung  nic^t 
blo§  ber  objettioen  Sage,  fonbern  auc^  be§  menfc^lic^en  93erou§t» 
fcin§  (2llt^au§)  ober  be§  menfd^lic^en  a3er()alten§  ((Sremer),  re* 
fpeftioe  ber  inneren  Ummanblung  burc^gefüt)rt  werben  fann.  3)ar* 
au§  müfete  fid)  bann  ber  ©c^lu§  ergeben,  bafe  bie  anfangs  ge* 
botene  (J^aratteriftif  ber  J^eorie  ®remer§  unb  2lltl)au§'  einer 
er^ebtidjen  ftorrettur  unterjogen  werben  mu§.  Snm  minbeften 
barf  gefagt  werben,  ba§  ber  SBorwurf,  ben  SRomberg  gegen  SBit- 
branbt  ergeben  tonnte,  f)infällig  wirb,  fobalb  man  bie  oon  ®remer 
unb  2lltt|au§  entwickelte  2:f)eorie  in^  2luge  faßt. 


1)  8.  278.  2)  «ou  31.  gefpcrrt.  3)  (Sbb.  4)  ©.  82. 


©  d^  e  c  I :  Xie  ^aufle^re  in  b.  mobevnen  pofitio.,  lut^cr.  ^ogmatif.    34 1 

9(bcr  e§  barf  borf)  bic  S^^agc  aufgeworfen  werben,  ob  biefc 
legten  ^luöfü^rungen  fic^  mit  bcm  Sölotio  oertragen,  ba§  roir  in 
ben  crften  2lu§einanberfe^ungen  !enncn  lernten,  unb  ob,  faH§  bie 
legten  2lu§fül)rungen  bered)tigt  ftnb,  bie  glatte  9lble^nung  be^  ®e^ 
banfen§  einer  etl)ifrf)cn  ©rneuerung  ober  „93emeuerung"  fad)Iid^ 
gercd)tfertigt  erfcf)eint.  fie§tere§  bürfte  faum  ber  5^0  fein.  SEBa^ 
2ltt^au§  unter  bem  2:itet  ber  iffiiebergeburt  foeben  befc^rieben  t)at, 
ift  re  Vera  eine  ftttUrf)c  Srneuerung,  ober,  um  mid)  Dorfid)tiger 
au§}ubrücten,  tann  nur  unter  bem  93egriff  ber  fittlic^en  Srnene^ 
rung  oorgeftettt  merben.  3llt^au§  ^at  in  ben  53egriff  ber  äBieber« 
geburt  bie  93etebung  unb  freubige  2lufric^tung  be§  ^erjen§  auf» 
genommen,  fpric^t  oon  einer  Sntfernung  ber  ©ünbe  au§  bem 
menfc^Iic^en  ©emu^tfein  unb  oon  ber  freubigen  Sr^ebung  be§  ber 
empfangenen  ©ünbenoergebung  inne  merbcnben  ®efü^t§.  S)a§ 
bie§  eine  innere  unb  fubjeftioe  Ummanblung  ift,  fann  9l(t]^au§ 
nic^t  beftreiten.  @§  fott  aber  feine  prinjipieöe  Seränbcrung  un^ 
fere§  3Befen§  fein,  unb  bie  et^ifcl)e  ©rneuerung  liegt  nic^t  i  n  bem 
2lft  ber  SBiebergeburt  an  ftd),  fie  ift  nur  eine  notmenbige  g^^^fle 
ber  in  ber  SBiebergeburt  fid|  oottjie^enben  r  c  I  i  g  i  ö  f  e  n  ©rneue* 
rung^).  SBenn  aber  ba^  ®efü^t  gemanbelt  mirb,  unb  menn  an- 
bererfeitg  ba§  menfc^Iic^c  Semu|tfein  eine  fo  burdigreifenbe  SBer* 
änberung  erfäl)rt,  ba§  bie  ©ünbe  barau§  entfernt  mirb  %  bann 
tann  man  nic^t  mel^r  eine  et^ifd)e  Erneuerung  be§  menfc^Iid)en 
SB  e  f  e  n  §  in  Slbrebe  fteüen.  9Wan  mü^te  fonft  ju  ber  un^alt= 
baren  SBorfteHung  fic^  bequemen,  ba^  ©elbftbemu^tfein  unb  ®e* 
füt)t  nid)t  jum  SBefen  be§  3Jlenfd)en  gehören,  fonbern  nur  ber 
tätige  Söitle.  "SJlan  barf  Sllt^au^  biefe  Äonfequenj  oor^alten; 
benn  er  oerfidjert  nid)t  nur,  ba^  bie  iffiiebergeburt  al§  fükt)e  noc^ 
feinerlei  2(u§tilgung  unferer  natiirlidien  ©ünbt)aftigfeit  enthalte  — 
baoon  mar  bereite  gefprod)en  —  fonbern  aud),  ba^  fie  n  i  d)  t 
einmal  bie  p  r  i  n }  i  p  i  e  1 1  e  93eränberung  unfere^  SB  e  f  e  n  ^ 
in  ftc^  befd)(iefee.  ©emnad)  märe  eine  mefentlidie  93eränberung 
be§  üJJenfc^en  erft  in  bem  9(ugenb(irf  eingetreten,  mo  ber  SÖgitle 
in  faßbaren  ^anblungen  fid)  betätigt.  3)a§  märe  jebenfaü^  noc^ 
bie  erträglid)fte  5)eutung  ber  oon  ?llt^au^  gegebenen  93erfid)erung. 

1)  3llt^auö  a.  a.  C  8.  278.  2)  31.  a.  C  <5.  82. 


342    @  cf)  e  e  I :  ^ic  2:aufle^rc  in  b.  mobemcn  pofitiov  lut^er.  ^O0motit 

aSieüeic^t  bavf  man  aber  hinter  i^r  noc^  mcl|r  ccblirfen.  ®cnn 
ftc  cripcctt  im  ^wfammcn^ang  mit  bcr  SSc^auptung  Don  bcr  2lu5* 
tilguug  ber  natürlicf)cn  Sünbtiaftigfeit  ben  Sinbrud,  al§  ob  Sltt- 
l)au^  bie  gvagcfteUung  ber  t^cofopl|ifd|cn  2)o{trin,  gegen  bie  er 
fic^  boc^  fo  energifc^  me^rt,  nic^t  ganj  übermunben  ^ätte.  3)ie 
©ünb^aftigfeit  f(^eint  ein  aWoment  ber  91atur  geworben  ju  fein, 
in  bie  5Jtatur  ^erabgeftiegen  ju  [ein,  an§  ber  fte  nun  in  attmä^^ 
lid)  fortfc^reitcnbem  ^^voje^  entfernt  werben  foÜ.  2llt^au§  mürbe 
fid)  bemnad^,  faU§  man  ein  Stecht  i)at,  \\)m  bie§  Steftbuum  ber 
„t^eofopI)ifcf)en"  ^^ageftetlung  jujumeifen,  oon  feinen  ©egnern 
nur  baburd)  unterfc^eiben,  bag  er  bicfe  J^agefteUung  für  ben  Se^ 
griff  ber  SBiebergeburt  nic^t  frud)tbar  machen  miü;  im  SSerlauf 
ober  be§  weiteren  ^eil^projeffei»  mürbe  biefe  gragefteUung  mieber 
auftaud)en.  ©ollte  e§  fic^  aber^)  nur  um  bie  Äorrettur  oon 
SBiden^regungen  l^anbeln,  fo  märe  auc^  biefe  2lnna^me  bebenf« 
lieber  2lrt.  SÄud)  bann  lie^e  fic^  ber  ©ebanfe  nii^t  oerfediten, 
ber  eine  prinjipieüe  Jßeränberung  unfcre^  SBefen^  au^fc^Ue^t. 
S)enn  e§  liegt  boc^,  logifc^  angefe^en,  im  33egriff  be^  äBefen^  ber 
©c^merpunft  unb  ba§  entfd)eibenbe  SäJJoment.  ^Jlac^  Slltljau^' 
?ßrämiffen  mürbe  bann  aber  bie  SBiebergeburt  feine  birette  Se« 
jie^ung  jum  SBefen  geminnen.  2)er  für  3l(t^au§  entfd)eibenbc 
religiöfe  53egriff  ber  3Biebergeburt  mürbe  nur  mit  Slfjibenjen  in 
aSerbinbung  gebrad)t.  3)a§  I)ätte  aber,  abgefcl)en  oon  ber  logi« 
fc^en  ©c^mierigteit,  gefährliche  Äonfequenjen  für  bie  f9ftematifd)e 
©tetlung  ber  SBiebergeburt.  3)enn  nun  märe  bie  golge,  ba^  im 
^inblidE  auf  bas  SBefen  —  unb  oom  äBefen  abjufe^en  ift  boc^ 
ein  2)ing  ber  Unmöglid^teit  —  bie  SBiebergeburt  nur  ein  oorbe^ 
reitenber  Sltt  rairb,  tia^  @c^mergemid)t  alfo  in  bie  ©rneuerung  oer^ 
legt  mirb.  2)icfe  Folgerung  mu^  aber  Sllt^au^  au§  religiöfen 
©rünben  ablehnen.  2)ann  aber  entftet)t  ein  |)iatu^,  ben  er  nic^t 
legitim  befeitigen  tanu. 

2)ie|er  .^iatu§  ift  aber  unnötig  unb  burd)au§  oermeiblic^. 
3)enu  ma§  2l(t^au^  unter  ben  5Jegriff  ber  SBiebergeburt  fubfum^ 
miert,  ift  bereite  eine  SBefensmanblung.  ®e^  9Jlenfd)en  SBefen 
ift  gemanbelt,   meun  feine  ©efü^Ie  unb  fein  ©elbftbemuptfein  gc« 

1)  mt\)anä  a.  a.  D.  8.  278:  „Straft  .  .  .  ju  etf)if(^cr  iöetätigung". 


©  c^  c  e  t :  ^ic  %an^kf)xt  in  b.  mobernen  pofitiOv  tutf)er.  ^oömotif.    343 

roaubelt  finb.  2)cnn  eben  bamit  ift  anertannt,  ba§  bic  SBiöen^^ 
ftettung  be^  SJlcnfc^cn  eine  anbete  getporben  ift.  2Ran  tann  ben 
©efül^Ien  nid)t  bie  oon  2(It^au§  i^nen  jugefd)riebene  JHic^tung 
ocrlei^cn,  unb  baneben  bie  alte  3BiUen§fteüung  be§  in  bie  ©ünbe 
uerfnec^teten  Sölenfc^en  feft^alten,  fei  e§  ani)  nur  in  begrifflicher 
93eleucf)tung.  3)ie  retigiöfen  „©efü^tc",  bie  2llt]^au§  im  Sluge  f)at, 
ba§  Oefü^I  ber  freubigen  ©rl^ebung  auf  ®runb  ber  empfangenen 
©ünbenüergebung,  bie  93elebung  unb  freubige  Slufric^tung  be§ 
.^ergen^  fe^en  bie  SBiUen^roanbtung  oorau§.  3)ie  ©ad^Iage  uer* 
l)ält  ftd^  umgefe^rt,  n)ie  fte  21lt]^au§  befc^reibt.  Solange  man  oon 
äÖiHen^erneuerung  prinjipiett  nic^t  fprec^en  barf,  ift  e§  unmögtid), 
Dou  einer  53elebung  unb  ®rfrif(^ung  be§  ^ergeng  ju  fprec^en. 
2)enn  biefe  Belebung  mü^te  —  felbft  menn  e^  möglich  roäre,  fie 
o^ne  ©esie^ung  auf  ben  53egriff  be^  SBillen^  ju  benfen,  unb  felbft 
loenn  man  bie  ^c^^^ifung  be§  geiftigen  ©efamtlebenö  be§  SRen« 
fd)cn§  oorau^fe^en  bürfte,  bie  Sllt^auö  offenbar  al§  möglich  an^ 
nimmt  —  oernic^tet  werben  im  ^inblirf  auf  ben  ber  ©rneuerung 
nirf)t  teilliaftig  geworbenen  ffliüen.  2)enn  e§  bliebe  ein  noc^  nid)t 
befeitigter  SBiberfpru^  beftelien.  S§  fann  natürlirf)  barauf  l^in^ 
gemiefen  werben,  ba&  im  ß^riftenleben  ber  Kampf  jmifc^en  ber 
©ünbe  unb  bem  ®eift  (Sottet  permanent  ift,  alfo  ein  SBiberfprud^ 
unfer  Seben  begleitet  unb  boc^  tro^  biefe^  aBiberfpruc^g  bie 
„freubige  ©r^ebung"  be§  ^erjeu^  unb  bie  Seben^jUDerfic^t  mög- 
lid)  unb  mirflic^  ift.  3)a§  ift  ri^tig,  wenn  auc^  fein  9lnta^  be^ 
fte^t,  bie^  JU  fräftig  ju  betonen.  ®§  fönnte  fonft  leicht  ber  @rnft 
ber  SReligion  unb  ber  ftttlicf)en  Verpflichtung  jugteic^  gefä^rbet 
werben.  3)oc^  baoon  barf  ^ier  abgefel)en  werben,  wo  nur  bie 
Satfac^e  felbft  interefftert.  Slber  c§  ift  mit  biefer  2:atfac^e 
für  bie  J^corie  2llt^au§^  nocl)  nicf)t§  gewonnen.  3)enn  in  feiner 
2f)eorie  ^anbelt  e^ .  fic^  um  einen  prinjipiell  überhaupt  noc^ 
nict)t  gelöften  SBiberfprud).  ^n  et^if^er  33e}ie{)ung  t)at  bem 
^rinjip  infolge  überhaupt  noc^  feine  Sinwirfung  ftattgefunben. 
(£§  bleibt  alfo  ba^  3Jewu§tfcin  um  ben  ungcfd)wäc^ten  unb  unbe^ 
rührten  93eftanb  be^  fünbigen  äBillen^.  5)anu  tann  bie  'äele* 
bung  be^  .^erjen§  entweber  nict)t  moglid)  fein,  weil  fie  nur  auf 
bem  ©runbe  eine^   einl)eit(ic^en  33ewu^tfein§   fid)   ert)eben  fann. 


344    ©  c^  c  e  I :  ^ic  2:aufrc^re  in  b.  mobenten  pofitio.,  lut^er.  ^ogmatü. 

ober  fic  roäre  eine  Qtlufion,  bie  bal)infc^n)inben  müßte,  fobalb  ber 
roirfticftc  2:atbeftanb  beutlid^  in§  33en)u§tfein  träte. 

2lber  e§  f önnte  oietleic^t  bie  et^ifd)e  ©rneuerung  ermattet 
werben  ?  ©ie  fo((  ja  eine  golgc  ber  SBiebergeburt  fein ;  mz  2llt^ 
t)auö  ertlärt:  eine  notroenbige  innere  5*^(ge.  3lber  auf  ®runb  n)o« 
oon  barf  man  biefe  ©rmartung  ^egen?  ®§  ift  au^  bem  begriff 
ber  SBiebergeburt  ja  grabe  ba§  3Woment  entfernt,  ba§  gu  biefer 
©Öffnung  2lnla§  geben  tonnte.  9Wan  bürfte  alfo  bei  ber  Don 
2lltt)au§  oorgefc^Iagenen  g^ffung  im  heften  galt  nur  oon  einer 
unfi^eren  Srmartung  fpred)en.  3)ann  märe  aber  mieberum  bie 
freubige  2lufric^tung  be§  ^erjen§  problematifd)  geworben,  ©oü 
alfo  bie  oon  2l[t^au§  gefd^ilberte  SBiebergeburt  möglich  fein,  fo 
mu§  er  ben  Segriff  ber  fittlic^en  Smeuerung  in  bie  Sßiebergeburt 
aU  ein  9Woment  ber  SDSiebergeburt  aufnehmen.  @r  oermag  fonft 
meber  bie  „notmenbige  innere  5<^l9^"  ^^^  etl)ifrf)en  ©rneuerung 
au§  ber  retigiöfen  ©meucrung  nac^jumeifen,  nod^  überhaupt  ber 
religiöfen  Erneuerung  ben  On^ött  ju  geben,  ben  er  i^r  tatfäd)lid) 
gegeben  ^at. 

Stuf  ba§fetbe  9tefultat  werben  mir  ^ingefü^rt,  menn  mir  ber 
anberen  oon  2(It^au§  gegebenen  SBerfic^erung  na^ge^en,  baß  mit 
ber  Entfernung  ber  ©ünbe  au§  bem  göttli^en  93emußtfein  ju« 
glei^  eine  Entfernung  ber  ©flnbe  au§  bem  menfd)Iic^en  ©elbft^ 
bemußtfein  gegeben  fei,  aber  eine  gleicf)jcitige  SJeränberung  im 
SQSiüen  be§  Säufling^  au§gef^Ioffen  fei^).  2)enn  mie  fann  bie 
©flnbe  au§  bem  menf^lid)en  öemußtfein  entfernt  fein,  menn  im 
aBitten  bie  ©ünbe  noc^  oöttig  ungebrod)en,  nod)  ganj  genau  ebenfo 
mie  bi§t)er  fortlebt?  E^  muß  boc^  bie  3Bitten§ric^tung  ober  bie 
aflSittenöftettung  eine  anbere  gemorben  fein,  eine  93eränberung  er^ 
fafiren  ^aben;  fonft  mürbe  ja  mieberum  ber  Qn^^lt  be§  neuen 
93emußtfein§  fic^  al§  ^ttufion  ermeifen.  3)em  Semußtfein  mürbe, 
fobalb  e§  ft^  auf  ben  SBitten  rid|tet,  bie  oerfc^ulbenbe  Äraft  biefeö 
aBiüen§  entgegentreten  unb  au§  bem  menfd)nd^en  Semußtfein  märe 
bann  eben  bie  ©ünbe  nid)t  entfernt.  23orau§fe^ung  be§  oon  311t* 
^au^  bem  33emußt|ein  jugefi^riebenen  3^nba(t§  ift  bie  3tenberung 
ber  äÖiüensivic^tung,  b.  l).  aber  eben  bie  33evänberung  be^  aOSiüen^ 
r  9(rtöau§  a.  a.  D.  <S.  8'2.  127. 


@  cft  c  c  1 :  5)ic  3:auf Ic^re  in  b.  mobemen  poptii).,  lut^cr.  S)oömatif .    345 

felbft.  3)enn  barin  grabe  beftct|t  bic  2BiHcn§änbcning,  ba&  bic 
aBitten^ric^tung  unb  bic  SBiUcn^fteHung  eine  3lenberung  erfährt. 
®§  ift  alfo  unmöglich,  ben  oon  3llt^au§  erläuterten  Segriff  ber 
SBicbergeburt  feftju^alten,  unb  bod)  ben  ©ebanten  ber  etl^ifc^en 
Srneuerung  au§  bem  93egriff  ber  SBiebergeburt  au§jufrf)eiben.  ®ie 
3Biebergeburt  ift  alfo  ni^t  eine  fog.  objeftioe  SBiebergeburt.  3)a§ 
l)at  3llt^au§  fc^lie^Ii^  erfennen  muffen,  roenn  er  eine  pfgd^olo* 
gifc^e  Srgänjung  bringt.  SCber  feine  ©rganjung  ift  nid)t  au^^ 
reid^enb ;  bie  SDSiebergeburt  l^at  ju  i^rem  SWoment  bie  et^ifd^e  6r^ 
neuerung. 

Sei  ©remer  ift  bie  Sachlage  noc^  einfacher.  ®r  befiniert 
ja  im  weiteren  SSerlauf  feiner  Darbietungen  bie  äBiebergeburt  al§ 
ein  neues  SJer^alten,  aU  ba§  bleibenbe  äJer^alten  be§  ®lauben§, 
ba§  ®ute§  tun  in  fic^  einfd^tie^e.  -3"bem  er  aber  fo  oom  SWittel- 
pun!t  be§  @Iauben§  au§  ba§  SBerftänbniS  ber  SBiebergeburt  finbet, 
l^at  er  eben  baburc^  ba§  fittlic^e  Clement  mit  in  bie  SQSieberge* 
burt  aufgenommen.  Qn  unb  mit  bem  ©lauben  ge^t  bie  innere 
SBanblung  oor  ftd^').  SBenn  er  einfd)ränfenb  berherft,  e§  fei  ju 
oiel  gefagt,  ba§  burc^  bie  SSäiebergeburt  ein  neue§  ©ubjeft  merbe, 
fo  braud^t  man  bei  biefer  ©infc^ränfung  ftd)  nicf)t  aufju^alten. 
3)enn  fie  gilt  ber  Slbme^r  ber  l^eiliftifc^en  93en)egung.  2Ba§  un§ 
interefftert,  ift  bie  Satfadje,  ba§  ©remer  au§  bem  Segriff  ber 
SBiebergeburt  ba§  fittlicf)e  SJloment  nid)t  ganj  l^at  auSfd^eiben 
tonnen,  im  ©laubenSbegriff  bie  SBerbinbung  ber  religiöfen  unb 
et^ifc^en  (Seite  gefunben  l)at.  ©o  fpric^t  er  ja  au^  oon  einer 
^erfongemeinfd)aft,  bie  nid^t  möglich  ift  ol^ne  ^nanfprud^na^me 
be§  3Biüen§. 

9lun  tonnte  man  freilid^  auf  bie  Jaufle^re  QuenftebtS  per« 
roeifen,  ber  jufolge  bie  regeneratio  im  Unterfc^ieb  oon  ber  reno- 
vatio  als  religiöfer  Segriff,  na^  2lnaIogie  ber  oorliegenben  9(uS* 
fü^rungen  2lIt^)auS^  ju  oerfte^en  ift  unb  ber  jufoIge  erft  bie  re- 
novatio  baS  etl)ifd)e  SOterfmal  nad^{)oIt.  9Jtan  tonnte  bemnad) 
l^ier  eine  oon  3I(tt)auS  felbft  freilief)  nid)t  ertannte  aSermanbtfd)aft 
mit  bev  a(tortl)obo5en  SSorftetlung  tonftatieren,  unb  e§  tonnte  ben 
2lnfc^ein  geminnen,  als  ob  bie  focben  gegen  3I(t^auS  gerid)tete 

1)  ©vemer  a.  a.  D.  S.  84. 


346    ©  d)  e  c  ( :  2)ic  2:auf le^rc  in  b.  mobemen  pofitiOv  lut^er.  S)o0mati!. 

^^ofcmif  fic^  md)t  Dertrügc  mit  bcm,  n)Q§  für  bic  2)arftcöun9  bcr 
2(nfd)auun9  Oucnftcbtö  Don  bcr  regeneratio  unb  renovatio  ju 
gelten  i)at  Slbcr  bei  Cuenftebt  ^anbelt  e§  fid)  bod^  nur  um  eine 
quaestio  facti,  bie  über  ba§  prinjipietle  Stecht  ber  ©c^eibung  be§ 
religiöfen  unb  fittUc^en  3Jloment§  nic^t  entfc^eibet  (ogl.  ©.  35  f.). 
SInbererfeitg  märe  e§  Derfrü^t,  menn  man  2lIt^QU$'  foteriotogifd)en 
3Biebergeburt§begriff  mit  bem  SBiebcrgeburt^begriff  Duenftebt§  ju^ 
fammenfc^auenunb  alfo  eine  neue  9Serf nüpf ung  mit  ber  altortl^oboyen 
2)üftrin  tonftatieren  moflte.  S)enn  Cuenftebt  tennt  fad)lic^  nid^t 
bie  innere  SSerbinbung  von  SDSiebergeburt  unb  ©rneueruug,  bie 
2lltt|au§  tro§  allem  oorau§fe^t.  ^ladi)  2ltt]^au§  fott  bie  etl)ifc^e 
©rneuerung  bie  notmenbige  innere  gotge  ber  retigiiJfen  SBieber^ 
geburt  fein.  93ei  Oucnftebt  taffen  ftc^  mo^t  au§  ber  SReforma- 
tiün§tf)eologie  ftammenbc  gotmeln  finben,  bie  einen  berartigen 
^ufammen^ang  ijon  SBiebergeburt  unb  (Erneuerung  behaupten; 
faditid)  liegen  bie  3)inge  aber  fo,  ba§  er,  um  jur  renovatio  ju 
gelangen,  eine^  erneuten  gratiosus  influxus  bebarf,  ber  ÜWittei« 
lung  ber  ^gperp^gfifdien  vires  operandi.  S)iefe  SSorftellung  le^nt 
3lltl|au§  mit  Siecht  ab  unb  erreid)t  fo  eine  engere  SSertnüpfung 
Don  äBiebergeburt  unb  (Erneuerung  ate  mie  fte  Cuenftebt  mög* 
lic^  ift.  aOBeitere  93erbinbungen  mit  ber  altproteftantifd)en  3)of* 
trin,  al§  mie  fie  bereite  nad)gemiefen  maren,  ftnb  bi§  ^ierliin  alfo 
nic^t  JU  fonftatieren. 

2)a|  bie  Slble^nung  be§  ®ebanten§  einer  et^ifd)en  (Srneue* 
rung  fad)lic^  nic^t  gered)tfertigt  ift,  bürfte  epibent  geworben  fein  '). 
ittun  mar  aber  nod^  bie  grage  geftellt,  ob  bie  ©efamtanfc^auung 
oon  ber  SÖiebergeburt,  mie  fie  in^befonbere  bei  Sllt^au^  un§  ent^ 
gegen  getreten  ift,  fic^  mit  bem  SJlotio  ©erträgt,  ba§  un§  in  ben 
erften  3lu^fü{)rungen  über  ben  foteriologifd^en  ©tiarafter  ber  2Bie* 
bergeburt  begegnete.  6§  bürfte  fc^raer  fein,  bie  ^rage  ju  bejahen, 
unb  bamit  fte^en  mir  oor  einem   neuen  ^iatu§.    @^   fann  ba^ 

1)  ©ben  barum  barf  auc^  auf  ben  ^ad)wtx§  ber  efegcttfcfien  Uni)alt' 
barfeit  ber  ^ofition  5C.§  üerjicfitet  roerbcn.  ^er  Scbriftbeioeig  31.^,  unb 
fltabe  biefer  ift  aud)  fo  oft  fritifiert  roorben,  baj  man  überflüffige  9(rbcit 
tun  mürbe,  wenn  man  i^n  aufg  neue  prüfte.  6ier  galt  es,  ber  fgftcmas 
tifd)en  ©cbanfenarbeit  nä^er  ju  treten. 


Bd)^^l:  2)ie  3:aufle^re  in  b.  mobcrnen  poptio.,  lut^cr.  S)ogmatit    347 

bcutlic^  crfcnnbarc  SRotio  bcr  fotcriologifc^cn  3Bieber9eburt§(e{)vc 
burc^  bic  ©rgänjung,  bic  foeben  bcfpvoc^en  roorbcn  ift,  nicf)t  aB 
belanglos  ober  gar  at§  nid^t  oor^anbcn  erflärt  werben.  ®a^  e§ 
üorl^anben  ift,  betunbet  bie  Snergic,  mit  ber  infonber^eit  2lltt|au§ 
bie  jubijielle  2lrt  bcr  ertöfenbcn  ©rtlärung  ®otte§  ^croorliebt, 
befunbet  ber  oon  ©remer  poftutierte  3ufammen^ang  ber  833ieber- 
geburt  unb  Saufe  mit  ber  JRec^tf crtigung ,  befunbet  bie  oon  il^m 
gern  vorgenommene  Sejie^ung  ber  SBiebergeburt  auf  ben  ®eban^ 
!en  ber  Sieufc^enfung  be§  öebenS  unb  ber  ©rlöfung  pon  Job  unb 
©eric^t,  betunbet  cnblic^  auc^  bie  eigenartige  93eforgni§,  bie  et^i^ 
fd)e  SBanblung  in  ben  93egriff  ber  SBiebergeburt  aufjunel^men^), 
obwohl  boc^  bies  gefc^e^en  !ann,  ol^ne  ba§  ei^  nötig  märe,  an  ben 
^rrgängen  ber  „t^eofop^ifc^en"  Xa\x\U\)xt  ober  ber  ^eiligungS* 
bemegung  fid)  ju  beteiligen  unb  baburd)  bie  retigiöfe  ^raft  be§ 
SHec^tfertigungSgebantenS  illuforifc^  ju  machen.  Somo^l  Sremer 
n)ie  2lltt|au§  fürd^ten  baS  Se^tere.  3)ie  2lufna^me  ber  et^ifd^en 
SBeränberung  in  ben  SBiebergeburtSbegriff  ocrlangt  natürlich  al§ 
Äonfequenj  bie  2lnertennung  ber  Spontaneität  be§  menfc^lic^en 
SBillen^.  9lun  jeigt  fid^  aber  ber  bereite  tonftatierte  ßufömmen* 
^ang  ber  Sluffaffung  ®remer§  unb  2llt^au§'  mit  ber  alten  or^ 
t^obofen  gragefteHung  barin,  ba^  biefe  2lnertennung  al§  3lbfall 
pou  bem  bur^  bie  ^Reformatoren  neu  entbedten  ©nabeneoangelium 
beurteilt  mirb.  2lltf)au§  lehnte  barum  jeben  ©ebanten  an  eine 
aftioe  9Jlitbeteitigung  unfererfeit§  ab,  roenn  er  auc^  nid^t  imftanbe 
war,  biefen  ©ebanten  mirtlic^  fad)ent]prec^enb  burd)jufü^ren,  unb 
eben  barin  ju  er!ennen  gibt,  mie  frf)mer  e§  bei  ber  l^eutigen  oer- 
änberten  t^eologifc^=n)iffenfc^aftlid^en  (Situation  ift,  bie  3Wotioe 
ber  alten,  einer  anberen  ioiffenfd^aftlid)en  ©efamtfituation  ent= 
ftammenben  ort^obojen  Stieologie  feftju^alten.  2lber  ba§  SWotio 
ber  alten  2et)re  mill  er  boc^  ni^t  preisgeben  unb  eben  bieS  jebe 
meufc^lid)e  2Ktion  ober  Spontaneität  auSfc^liegenbe  SUlotio  oer- 
trägt  fic^  mit  bem  erften  3JJotiD,  baS  in  ber  foteriologifc^en  2)e== 


1)  ^er  an  fxc^  a(§  bere(f)tigt  erfannte  $roteft  %^  unb  ©r.S  flegcn 
ben  ©cbanfcu  einer  fittlid)en  9teufc^öpfung  fü^vt  rociter,  al§  juläffig  ift. 
53erec^tigt  war  er  alä  ^roteft  gegen  eine  falfc^c  Sillen§pl)i^fif ;  er  burfte 
aber  ni(f)t  auf  bie  SiüenSpfi)cf)o(ogie  au§gebet)nt  werben. 


348    @  d^  e  e  I :  %it  ^ouflc^rc  in  b.  moberncn  pofttiOv  lut^er.  S^ogmatif. 

finition  ber  SBicbcrgcburt  ftd^  unS  offenbarte,  ©bcnfo  urteilt 
©remer;  xvix  l^aben  bie  %xt\i)txt,  bie  ®nabe  abjule^ncn,  nic^t  aber 
bie  %xz\f)^\t,  barauf  etnjugel^en  ^).  Qxx  ber  Sriäuterung  biefc§ 
®eban!en§  finbet  ©remer  bie  ©elegen^eit,  feine  ^arabojatt^eo- 
logie^)  ju  entroideln,  bagegen  empfinbet  er  nid^t  bie  9Zötigung, 
bie  pfr|d)oIogifc^e  unb  barum  aud)  roiHentlic^e  Spontaneität ') 
be§  aWenfc^en  su  betonen.  2Ran  finbet  alfo  bei  ©remer  benfelben 
c^arafteriftif^en  Söiberfprud^,  ber  bereite  bei  Cluenftcbt  (ogl.  ©.  37) 
unb  überhaupt  in  ber  alten  Drt^obojie  fid^  bemertbar  mad^t  *). 
3)iefer  SBiberfpruc^  beftätigt  aber  mieberum  bie  Sfiftenj  be§ 
junäd^ft  ^erau§gel|obenen  9JiotiD§,  ba§  mit  ber  immanenten  So^ 
gif  ber  fpäteren  SQSeiterfü^rung  be§  SBiebergeburt§gebanfen§  jur 
Sin^eit  nic^t  fic^  gufammenfc^lie^en  lä^t.  S)er  Sogit  biefe§  SWo^ 
tio§  entfprid|t  nur  eine  fold)e  äuffaffung  oon  ber  iffiiebergcburt, 
bie  ftc^  auf  bie  Äonftatierung  ber  objeftiocn  3tenberung  unfercr 
Sage  befc^räntt,  aber  auf  unfer  SSer^alten  ober  auf  unfere  fub« 
jeftioe  5Jeränberung  feine  SRüdEftc^t  nimmt.  3llt^au§  bot  aurf)  be§ 
öfteren  biefcm  ©cbanfen  aiu^brudf  gegeben.  3)ie  2;aufe  mirb  jum 
©intritt  in  ein  objeftio^religiöfeS,  nid)t  fubjeftio-et^ifc^c^  SBer^ 
^ältni§^);  ba§  objeftioe  6eil^oerl|ältni§  mirb  mieber^ergeftetlt  ®). 
Unfere  Sage  mirb  gemanbett;  e§  ^anbelt  fid)  nid)t  um  bie  93er^ 
änberung  unferer  fubjeftioen  3wftä^ibli^feit,  fonbern  unfere§  ob* 
jeftioen  3uftönbe§^).  3)ic  2:aufe  ift,  mie  e§  an  einer  anberen 
©teile  t|ei|t,  ba§  833iberfa{)mi^  ber  objeftioen  äBaublung  unferer 
religiöfen  Sage,  nic^t  aber  ber  fubjeftioen  SSeränberung  unferer 
93ef^affent|eit  ®).  SCBenn  man  ftd^  ber  3lu§fü^rungen  3llt^au§'  er* 
innert  in  benen  er  bie  SBanblung  be§  menfc^li(^en  ©elbftbemufet* 
fein§  unb  ber  ©efül^te  einräumte,  b.  \).  alfo  bod)  eine  fubjeftioe 

1)  ©remer  a.  a.  D.  ©.  98. 

2)  Solan  c^arafterifiert  oicüei^t  am  jutreffenbften  bxt  ^^eologte  ©re- 
mer§  aB  biblijiftifc^e  ^arabojalt^eologic. 

3)  ^er  93e0riff  ber  Ülesepttoität   fann  xid)t\Q  oerftanben  werben,  ift 
aber  boc^  äJit^beutungcn  auggefetjt 

4)  %a^  er  nicf)t  ein  notroenbigcS  9Jlerfma(  ^^pofititjcr''   $l)eologie  ift, 
erftel)t  man  baraug,  ba^  9)1.  ^'äbler  i^n  befämpft. 

5)  3(It^au§  a.  a.  D.  ©.  112.  6)  51.  a.  D.  @.  159. 
7)  51.  a.  D.  ©.  182.                 8)  %  a.  D.  ©.  256. 


@  cf)  c  c  l :  ^ic  $;auflef)re  in  b.  moberncn  pofttio.,  Iutl)cr.  5)o0matif.    349 

SBeränbcvung  jugab  —  bcnn  bicfe  SDSanblung  bc§  33cipu§tfcin^ 
uub  bcr  @cfü{)Ie  fann  nur  ate  fubjeftbe  Sßcränberung  uufcrer 
Sefdjaffenl^cit  porgcfteüt  werben  —  fo  wirb  man  mit  93efremben 
bie  foeben  ^erau^ge^obenen  ©ä^e  2llt{|au§^  lefen.  ®a§  SSefrem^ 
ben  wirb  aber  aufhören,  wenn  man  auf  ha^  SRotio  ber  2:auf« 
le^rc  2lltt)iau§'  ad^tet.  3)ie§  üWotio  nötigt  ju  biefen  legten  2lui8s 
fagen.  9Jlan  wirb  bann  bie  ©ä^c,  bie  eine  unb  fei  e§  auc^  eine 
auf  ein  2Rinbeftma|  rebujierte  fubjettioe  93eränberung  anerfennen, 
mit  53efremben  aufnetimen  unb  fte  aU  uuDerträglic^  mit  bem 
eigentlidien  3Motio  ber  Jaufle^re  ültt^au^'  betrachten,  2)a§  l^ei^t 
aber,  e§  barf  bie  ©rgänjung,  bie  bem  SBiebergeburt^begriff  ju 
teil  würbe ,  nur  alö  eine  unter  bem  S^^ng  ber  S^atfac^en  unb 
im  SBiberfpruc^  mit  bem  eigentlichen  aJiotio  erfolgenbe  ©rgän^ 
jung  beurteilt  werben.  ®a§  genuine  SWotio  biefer  foteriologifcl)en 
Jauf*  unb  SBiebergeburtsile^re  ^aben  wir  in  bem  aJlotio  ju  er- 
blidfen,  ba§  an  bie  ©pi^e  unferer  ©rörterung  geftellt  würbe.  S)ie 
3)ifferen}  ift  atfo  me^r  al§  eine  blo§  terminologifc^e  Sifferenj,  wie 
gelegentlicl)  oermutet  werben  fonnte  (®.  146).  Unter  biefen  Umftdn* 
ben  werben  wir  nun  aber  boc^  einen  ungelöften  833iberfprud^  tonfta» 
tieren  muffen.  3)a§  al§  genuin  bejeic^nete  ÜJlotio  mu^te  aber 
immer  wieber  fic^  burc^fe^en,  weil  man  ebenfo  wie  bie  altprote^ 
ftantifc^e  S^eologie  bie  et^ifd)'pf9c^ologifc^e  93etrac^tung§weife  nur 
al§  ©efä^rbung  be§  Sie^tfertigung^gebanfen^  ju  bewerten  in  ber 
Sage  war. 

3JJan  barf  aber  eine  noc^  feftere  93erbinbung  mit  ben  SWo^ 
tioen  ber  altproteftantifc^en  Saufle^re  tonftatieren ,  aU  wie  fie 
bi^lier  nad)juweifen  war.  Unb  man  fann  biefe  Sßerbinbung  an 
einem  ^un!t  nac^weifen,  ber  junäc^ft  bem  2lnfc^ein  na^  nur  uon 
3)ifferenjen  }u  reben  geftattet.  Um  biefen  ©a^  ju  erläutern  uub 
JU  rechtfertigen,  bebarf  e§  juoörberft  einer  Erörterung  ber  5^age, 
wie  fiel)  im  fpejiellen  ba§  93er^ältni§  dou  Jaufe  unb  ©laube  ge* 
ftaltet.  3)ie  altlut^erifc^e  Jaufle^re  l)atte  ba§  ^^Jroblem,  ia§  burc^ 
bie  93erfnüpfung  be§  Satvament^begriff^  mit  bem  eoangelifc^eu 
®lauben§gebanten  gcfcf)affen  würbe,  nicl)t  bcfriebigenb  ju  löfen 
uermoc^t.  iSlaw  f)atte  bie  2Inna^me  einer  auf  magifct)em  SBege 
ooüjogenen  2Biebergeburt  burct)  bie  Jaufe  woi)l  ju  oermeiben  ge= 


350    8  4  e  e  I :  ^ie  2:oufIe^rc  in  b.  mobernen  pofitio.,  lut^cr.  ^ogmatif. 

rou§t  ba  man  SDSiebcrgeburt  uub  ®Iaubc  in  Korrelation  ju  ein-- 
anbcr  brachte.  3Iber  c§  rourbc  ba§  Problem  boc^  nur  jurüdgc^ 
f^oben;  benn  bic  (Sntfte^ung  bc$  ®Iauben§  raupte  man  nic^t  bc« 
greiflic^  5U  mad^en.  3Wan  lie^  i^n  in  ^gpcrp^gftfc^cr  äBcifc  gc* 
mirft  fein,  ol)ne  baß  man  au§  ber  eigenen  ^^tIofopt)ic  unb  ^^fr)^ 
c^ologie  bie  3Jlittet  jur  ©rläuterung  biefer  Slnnatime  ^erne^men 
fonnte.  Unb  anbererfcitS  fa^  man  ftd^  unter  bem  QwanQt  be§ 
@atrament§gebanfen§  genötigt,  bcfonbere,  nic^t  genauer  ju  um* 
fd)reibenbe  SBirfungen  gu  poftulieren. 

gür  ©remer  unb  2l(t^au§  ift  nun  bie  2:aufe  ba§  ©aframent 
ber  realen  SBiebergeburt.  ©inen  Unterfd^ieb  gmifc^en  Äinbertaufe 
unb  ©rmad^fenentaufe  gibt  e§  ni^t.  Unfere  heutige  2:aufe  ift 
entmeber  bie  2:aufe  ber  urc^riftlid)en  ©emeinbe,  bie  S^aufe,  mie 
fie  ®^riftu§  felbft  gemoöt  l^at,  ober  pe  ift  überhaupt  feine  2:aufe 
me^r.  So  gut  mie  bie  (Srma^fenentaufe  ift  barum  aud)  bie  Kin* 
bertaufe  ba§  ®ab  ber  realiter  oottjogenen  SQSiebergeburt.  2Bie 
oerträgt  fic^  biefe  Sel^auptung  mit  bem  reformatorifc^en  ®runb^ 
fa^,  ta^  ber  ®Iaube  bie  33erl)ei^ung  I)at  unb  nur  im  ®Iauben 
ba§  ^eit^gut  bcfeffen  rairb?  ®§  müfete  offenbar,  oorauögefe^t 
natürfid),  ba^  biefer  ®runbfa^  anerfannt  unb  auc^  ba§  befonber^ 
beuttic^  Don  (Sremer  entmirfcitc  ^)  ©aframentömotio  feftge^alten 
mirb,  bie  altortl^obofc  2lu§funft  oom  Äinberglauben  mieber  auf* 
gegriffen  merben. 

3)a§  ift  nun  aber  boc^  nid)t  ber  gatl;  n)enigften§  gilt  bie§ 
junäd)ft  für  ben  auf  2[lt^au§  fu^enben  J^eotogen  aSilbranbt.  ®r 
beftreitet  ben  Äinbergtauben ,  ba  er  pf^d^ologifc^  unmöglich  fei. 
®rft  „nac^  oerftanbe^mä^iger  3lneignung  be§  3Borte§  oon  ber 
Sünbe  unb  ®nabe"  ^)  ift  ber  ®Iaube  möglirf).  3)er  Segriff  be§ 
„unbemufeten    ®Iaubeu^"    ift   ein    miberfpruc^öooller   33egriff  *). 

1)  G^remcr  a.  a.  D.  @.  34. 

2)  iEfladl  mxd^.'-  u.  Btblatt  o.  a.  D.  @.  300. 

3)  Sßgl.  0.  b.  2:rencf,  ^aftoralblättcr  1904:  „'2)iefc  ^nnabme  (sc.  be§ 
^inberöIaubenS^i  trägt  ju  bcutlic^  ben  Stempel  ber  petitio  principii  an 
ber  Stirn,  unb  cntfprid^t  auc^  fac^Iic^  fo  locnig  bem  biblifd^en  ^Segriff 
bc§  ®(auben§  roic  aUen  %ai\ad)m  ber  ©rfa^rung,  ba&  auc^  8utt)er,  ber 
fic  eine  3eit  lanq  im  ^ntcrcffc  ber  .^inbertaufc  vertreten  ju  muffen  glaubte, 
fic^  boc^  Sule^t  im  großen  Siatec^i§mu§  mieber  oon  i^r  lo^gefogt  i^at*" 


@  d^  e  e  t :  ^ic  2:aufrcl)rc  in  b.  mobcmen  pofitio.,  (utfjer.  ^ogmatif.    351 

Sro^bcm  foü  nad)  SBilbranbt  bic  Äinbertaufc  bic  ooUe  Hneig* 
nung  bcr  ^cil^gnabc  uermittctn,  b.  ^.  bie  SBcrgcbung  bcr  ©ünbe 
unb  bic  Äinbfd)aft.  2lbcr  fc^on  Stdmberg  t|at  gegen  äBilbranbt 
ben  begrünbeten  ©inroanb  erhoben,  ba§  SBergebung  ber  ©ünbe 
bußfertigen  ©lauben  üorau§fe^e  ^),  unb  ba§,  roenn  ber  bußfertige 
©laube  be§  Äinbe§  beftritten  roirb,  bie  aHöglid^teit  ber  ©ünben^ 
oergebung  aufgel^oben  fei  unb  otfo  bie  adoptio  unbenfbar  roerbe^). 
Siomberg  erbtieft  aU  Äonfequenj  ber  Don  SDSilbranbt  gegebenen 
Betonung  be§  93erftanbe§  aU  be§  ®rfenntni§organ§  bie  pödige 
9(uf(öfung  ber  Saufgnabe,  unb  er  meint,  baß  eine  berartige  ob* 
jettioe  93erfe^ung  be§  Sinbe§  in  ben  ©nabenftanb  oon  bem  Sor- 
rourf  be§  SWagifd^en  fic^  ni^t  werbe  frei  l^alten  tonnen^).  9Wan 
fann  fid^  ber  93ebeutung  be§  Don  SRomberg  erhobenen  ®inn)anbe§ 
im  allgemeinen  nic^t  Derfc^Iießen.  ^öd^ften^  über  ben  SSormurf 
be^  3Wagifc^en  ließe  fid^  bi§futieren.  3)enn  SQSilbranbt  betrad)tet 
ja  bie  2:aufmirfung  nic^t  al§  eine  SBirfung,  bie  im  Äinbe  ftatt= 
finbet.  ®r  fpric^t  nur  oon  einem  Urteil  ®otte§  über  ba§  Äinb. 
eine  folc^e  Sluffaffung  ift  ebenfo  burd^fic^tig,  mie  bie  ortliobofe 
9ted^tfertigung§(e]^re.  9Wan  muß  aber  ben  anberen,  nid)t  weniger 
fc^mer  miegenben  SJormurf  ergeben,  baß  bie  Eigenart  be§  reli* 
giöfen  93er^ältniffe§  unb  be§  bogmatifcl}en  Urteile  feine  ©erücf^ 
fic^tigung  gefunben  l^at,  alfo  bereite  au$  biefem  ®runbe  bie  von 
SBilbranbt  gebotene  9led)tfertigung  ber  Saufe  refpeftiue  Äinber* 
taufe  feine  bogmatifc^e  ^Rechtfertigung  ift  unb  bemnac^  feine 
Süfung  be§  ^roblem§  bebeutet.  ®§  fü^rt  biefe  2:^eorie  SBilbranbt^ 
no^  ju  ber  weiteren  logifd)en  ^olge,  baß  bie  Sebeutung  ber  Saufe 
geminbert  wirb.  SBilbranbt  mürbe  bie§  natürlich  nic^t  jugeben; 
er  barf  bie§  auc^  nid)t,  wenn  er  nic^t  feinen  2lu§gang§punft 
preisgeben  miü,  baß  bie  Saufe  ba§  in  ftd)  au§reid()enbe  ©afra- 
ment  ber  SBiebergeburt  ift.  2lber  wenn  erft  burdf)  erjie^ung  unb 
Unterricht  ba§  Kinb  jum  ©emußtfein  feiner  Saufgnabe  gelangen 
unb  jum  @lauben§leben  fic^  entmidfeln  foK,  fo  wirb  man  in  biefem 
gortfc^ritt  notgebrungen  eine  qualitatio,  nid)t  quantitatio  anbere 
?^orm  be§  ^eilSbefi^e§  erblidEen  muffen,  b.  1^.  aber  einen   fad)= 

1)  i^ecfr.  Ä393I.  a.  a.  D   @.  404. 

2)  91.  a.  O.  3.  405.  3)  91.  a.  D.  8.  147. 


352    <3  c^  c  c  I :  '2)ic  ^auflc^re  in  b.  mobernen  pofitio.,  Iutf)cr.  3)ogmatif. 

lid)en  5ortfd)ritt  über  bie  Saufroirfung  f)ix\a\x^  anjucrtenncn 
babcn.  3)em  fac^Iic^en  J^ortfc^ritt  mufe  aber  bie  ^ö^ere  SBertung 
jugemeffen  lüerben.  2)a§  taxin  nur  gefc^e^en,  inbem  ba§  ©atra- 
ment  ber  S^aufe  in  feiner  93ebeutung  de  facto  geminbert  roirb^). 
^an  tonnte  alfo  bie  2:aufe  nur  unter  bem  ©efic^t^puntt  ber  2ln* 
bietung  ber  ®nabe  ober  al§  ba§  ©atroment  ber  Berufung  6e» 
trachten.  3)a§  aber  roiberftrebt  grabe  bem  treibenben  aWotio  ber 
foteriologifc^en  Sluffaffung  nom  ©aframent  ber  Saufe,  ©o  n)irb 
man  an  biefem  SBiberfprud)  beffen  inne,  ba^  9Bitbranbt  nic^t  im* 
ftanbe  ift,  feine  S^eorie  burc^jufü^ren,  o^ne  fte  töblic^  ju  ge=^ 
fä^rben. 

3)arf  man  oon  2llt^au§  balfelbe  behaupten?  @r  ift  ein 
©egner  ber  altort^obojen  2:t|eorie  uom  Äinberglauben.  ^m  ein* 
jelnen  ben  SSemeis;  bafür  anjutreten,  bürfte  überflüfftg  fein.  @§ 
fei  nur  barauf  ^ingemiefen ,  ba^  er  e§  aU  ben  %zi)Ux  ber  alten 
2)ogmatifer  betrad^tet,  ba§  fte  t>a^  2lttribut  be^  rec^tfertigenben 
unb  feligmac^enben  ®(auben^  auf  bie  aptitudo  passiva  ber  un* 
münbigen  Äinber,  seil,  auf  bie  angeborene  ®mpfängticf)feit  unb 
formale  9taturbefä^igung  jum  Olauben  übertrugen  unb  mit  biefem 
fälfc^lid^  fo  genannten   „®lauben"  bereite  bie  nova  vita  gefegt 


1)  J8ei  t).  b.  %xtnd  ift  bie§  ©rgebni^  aroeifcUoS.  3l)m  fte^t  e§  feft, 
ha^  bie  Äinbcr  feinen  ©lauben  ^abcn  {^aftoralblätter  a.  a  O.  <S.  747). 
@r  leugnet  aber  einmal,  ba&  bie  JBebingung  beä  ©(aubeng  unbcbingt  fei. 
%aS  ^.  Z'  fenne  feiner  (£ntftef)un0§5eit  zufolge  nur  bie  SHüc{fi(f)t  auf  bie 
@rnjad)fenen.  Tht  bicfer  ©rfenntni^  »crfc^afft  o.  b.  2:renrf  fi^  bie  SWög* 
Ud^teit,  bie  ntl.  JJorbcrung  ber  Ttioxtg  unb  jisidvoia  im  §inblicf  auf  bie 
Äinbcrtaufe  für  unt»erbinbUc^  ju  erüären,  alfo  au^  offen  mit  bem  refor^ 
matorifc^en  (S^runbfafe,  baj  bie  fid.  salvifica  haS  §eil  ergreift,  ju  brechen, 
^icfe  flare  preisgäbe  ber  ©ültigfcit  be§  ®runbfa^e§  fc^fec^t^in  jcugt 
aücrbingS  oon  einer  bcutlic^en  drfcnntniö  ber  oorliegenben  ©d^wicrigfeit 
unb  einem  nic^t  geringen  ÜJ^ut  im  §inberni^nebmen.  Slber  man  barf 
biefen  3Kut  boc^  al§  ben  Tlnt  ber  ^erjroeiflung  anfprec^cn;  unb  ber 
58arrierenfprung  ift  nic^t  geglürft  5)a§  erl)cnt  au^  bem,  mag  gegen  SBil- 
branbt  bereite  geltenb  gemad)t  mürbe.  So  mu§  benn  auc^  o.  b.  ^rencf 
einräumen,  bab  bie  fpätere  perfönlic^e  Selbflentfrf)eibung  für  ben  oollen 
®enu^  ber  ^inbfd)aft,  nid)t  aber  für  bie  Siebergeburt  bcbingenb  fei. 
%.  i).  aber,  bie  Söiebergeburt  ^at  nur  oorbereitenben  Sert  imb  baS  Sa= 
frament  ber  2:aufe  uerliert  feine  umfaffenbe  93ebeutung. 


@  d^  c  c  I :  ^ie  ^^auflc^rc  in  b.  mobcrncn  pofitiOv  lut^cr.  ^ogmotif.    353 

fein  liefen  ^).  3Iltf|QU§  d^aratteriftert  bicfc  3tnna^mc  al§  ein  5^9* 
ment.  Ouenftebt^  J^eorie  Dom  Kinberglauben  roeift  er  jurücf^). 
Sinen  bewußten  Äinberg(auben  tcnnt  aud)  2Wt^au§  nid)!. 

9lber  3llt^au§  l)at  nid)t  ben  9Jtut,  ben  d.  b.  Jrend  bcfap, 
bic  JWid^tigfeit  ber  S^efc  uon  ber  SSebingung  bc§  ®lQu6en§  über=^ 
l)aupt  }u  beftreiten.  S)ie  Se^re  Don  ber  Jaufe  roagt  er  nic^t  bar* 
jufteüen,  ot)nc  be§  ®(aubenö  ju  gebcnten.  ^nbem  er  jn)ifd)en 
einem  Dor^ergc^enben  unb  nad)foIgcnben  ®Iauben  unterfc^eibet 
gewinnt  er  bie  9JlögIic^Eeit  einer  53erädEfid)tignng  be§  @(auben§. 
3((t^an§  wiü  nid^t  leugnen,  ba§  ber  ^rofelgtentaufe  ein  ©laube 
ooranjuge^en  t)abe^).  ©in  geroiffer  ©taube  „in  irgenb  n)etd)em 
©rabe"  fei  a(^  allgemeine  fubjettioe  SBorbebingung  ber  ©afra« 
ment^erteilung  geforbert  roorben  unb  ju  forbern  *).  Um  jum  @m* 
pfang  be§  Saframent^  befähigt  gu  fein,  genüge  bie  ^5efanntfd)aft 
mit  ben  ©runbtatfac^en  ber  ©rlöfung,  eine  allgemeine  Kenntnis; 
be§  |)eil^  unb  be§  eigenen  Un^eil§,  eine  gemiffe  Ueberjeugung  Don 
ber  ffia^r^eit  be^  geprebigten  2Bort§  unb  bie  SBiHigfeit,  ba§  Söort 
anjune^men  ^).  2/ie  ^eiUbebürftigfeit  fotl  gemedt  merben.  5)iefer 
bem  Saframent  oorange^enbe  ©laube  mirb  einer  oerlangenb  au§« 
geftrecften  offenen  unb  leeren  (!)  ©ettler^anb  Derglid)en,  roä^renb 
ber  bem  ©atrament  nad)folgenbe  ©laube  bie  gefüllte  §anb  ift, 
bie  bie  @d)ä^e,  bie  jener  begehrte,  tatfäc^lid)  empfangen  l^at  unb 
nun  feftt)ält  *).  ®er  ber  Saufe  oorange^enbe  ©laube  ift  alfo 
nid)t  bie  fides  salvifica,  unb  ebenfo  menig  mac^t  er  bie  Saufe  ju 
bem,  tt)a§  fie  ift.  ©§  mar  ber  'St\)Ux  ber  alten  3)ogmatifer,  ba§ 
fie  bicjenige  fides,  bic  ba^  |)eil  begehrt  unb  fid)  oerlangenb  nad) 
bem  ^eil  au^ftredt,  o^ne  e§  fc^on  ju  ^aben  unb  ju  befi^en,  ben 
rec^tfertigenben  ©tauben  nannten^),  ^ier  mirb  alfo  bie  altor* 
tl)obore  Jfieorie  entfc^ieben  abgelet)nt.  Statt  beffen  tnüpft  2ltt= 
l)au§  an  bie  altproteftantifc^e  Unterfc^eibung  ber  fides  generalis 
unb  specialis  an.    2)en  ber  Saufe   uorange^enben  ©tauben   be* 


1)  3llt^au§  a.  a.  D.  3.  299. 

2)  ^llt^au^,  bic  ^iftor.  unb  bogm.  ©runblaöcn  2C.  S.  78. 

3)  mii)a\x^,  ©cil^bcbeutung  S.  298. 

4)  ebb.  S.  297.  5}  (Sbb.  S   301.  6)  @bb. 
7)  Sat^auä  a.  a.  D.  S.  299. 

3citf(^rift  für  Xbeolcjjie  unb  Äirc^e.    15.  ;\a6rq.,  4.  $eft.  25 


354    ©  c^  e  c  I :  ^ic  3:auf Cc^re  in  b.  mobcrncn  pjofitio.,  (utf)et.  ^ogmatit 

jctd)net  er  bcm  gema^  al§  bic  fides  generalis,  ben  nac^folgcnbcn 
©tauben  al§  bie  fides  specialis^).  3)ie  Saufe  bilbet  ben  ent* 
fc^eibenben  SBenbepunft  an  n)eld)em  ber  l^eil^oerlangcnbe  ©taube 
in  ben  ^eitSempfangenben  unb  ben)al)renben  übergel^t^.  -Snt 
aCBort  finbet  eine  allgemeine  Sßcrgegenroärtigung  be§  ^eit§  \iatt, 
roä^renb  bie  2:aufe  ba§  ©a!rament  ber  inbiüibuetlen  ^eil^jueig* 
nung  ift,  ber  fpesiellen  2lpplifation  be§  ^eit§.  „91irf)t  at§  ob  in 
ber  Saufe  burc^  eine  rounberbare  9Wad)tn)irtung  be§  tieitigen 
©eifteö  ber  ©taube  „eingeflößt"  würbe,  abgefef)en  com  Sßort  fo* 
baß  aud^  fd)on  bei  unbewußten  Äinbern  mittete  be§  ©a!rament^ 
bie  donatio  fidei  ootljogen  würbe.  Sßielmel^r  bleibt  immer  ba§ 
verbum  praedicatum  ber  gottgeorbnete  SBeg,  auf  meldiem  ber 
©eift   ©otteg  ba§   SWenf^en^erj  jum  ©tauben   fü^rt"  ^).    S)üd) 


1)  m\>.  @.  302. 

2)  ®bb.  @.  303. 

3)  @bb.  @.  304.  —  3n  feiner  erften  Sd^rtft  über  bie  3;aufe  l)at  ^lU 
l)anS  offenbar  nodj  eine  anbcre  ©tcflung  eingenommen,  m^nn  aud)  eine 
ä^nlicf)e  ^artition  be§  ©loubeng  in  ben  bege^renbcn  unb  bcfi^cnbcn  oor^ 
au^gefe^t  ju  fein  fd)cint.  ^n  biefer  früt)eren  ©d^rift  loiü  31.  ^loar  nid)t 
bie  attort^obojc  3;l)corie  oom  ^inberglaubcn  oertrcten,  aber  bod)  ben 
ricf)tiflen  ©ebanfen  biefer  3;t)corie  retten  (@.  78).  9öic  ein  unmünbige^ 
^inb,  ba§  md)t  fprec^en  fann,  auc^  o^ne  Söorte  um  5'laf)run0  fle^t,  fo 
gibt  c8  au(f)  eine  ftumme  S3itte.  Ob  bemüht  ober  unbewußt,  ber  ÜJlenfc^ 
in  feinem  natürlichen  Sünbenetenb  unb  feiner  angeborenen  (SrlöfungS* 
fät)igfeit  fc^reit  nad)  58arm^erjigfeit.  3Wan  barf  bem  Ä'inbe  ein  tjeimtic^e^ 
<Se^nen  nac^  ber  (Erfüllung  mit  einem  neuen  götttid)cn  2ih^n  5ufpre(f)en 
(39).  ©§  gibt  im  ^inbc  ein  83eget)ren  ber  ^aufe  al§  unbetou&tcn,  aber 
boc^  al§  roirflic^en  3"ftanb  (40).  ^urc^  bie  Saufe  mirb  nun  im  ^inbc 
5(ufgefc^toffent)eit  unb  (Smpfänglid^feit  für  bie  fein  SnnereS  berüt)rcnbe 
göttüd^c  Snfluenj  geroirft,  foioie  bie  JJa^igfcit  jur  Empfangnahme  ber 
burc^  bie  äuoorfommcnbe  ©nabc  it)m  gebotenen  ®üter  (78).  SBermittel^ 
beä  Saframentä  mirb  eine  folc^e  innere  ©inroirfung  ®ottc§  auf  ba§  Siinb 
norauSgefetjt,  baß  c§  baburc^  in  ben  <5tanb  gefegt  ift,  fid)  ber  entgegen^ 
fommenben  ®nabc  ©otte§  aufaufc^Iie^cn  (76).  Söon  ®(auben§aftioität 
barf  jeboc^  nid^t  bie  iHebe  fein.  9lbcr  ha^  ©aframent  ber  3:aufe  gibt 
bem  ilinbe  bie  Snitiatioe  jum  ©tauben,  in  gleicher  Seife,  mie  beim  ©r^ 
joac^fcnen  ba^  2öort.  ^ie  Saufe  forbert  nic^t  ben  ©Cauben,  fonbern  be- 
wirft il)n.  „Tlan  barf  aud)  nid)t  betjaupten,  magifd)  feien  alte  Knaben- 
wirfungctt,  welche  bem  33en)u&tfein  unb  Söilten  üorange^en."  „E§  gibt 
aud)  ein  ©ebiet  unbewußter  3öirfungen  im  5^aturgrunb  ber  ^eetc."  Sßenn 


@  c^  e  c  ( :  %k  3:auf (c^rc  in  b.  moberucn  pofitio.,  lut^cr.  ^ogmatif.    355 

ba§  bleibt  feft  befte^cn,  t>a^  c§  o^nc  Saufe  feinen  perfönlid)en 
^ei(§glauben  gibt  ^).  ®§  barf  jeboc^  jum  ©c^Iu|  noc^  bavauf  ijxn-' 
gewiefen  werben,  ba§  9llt^au§  bcn  ©lauben  nie  in  bem  Sinn  5uv 
S3ebingung  ber  a:aufe  gemacht  fe^cn  will,  ba^  ber  ©laube  evft 
bic  Saufe  juv  roirf liefen  Saufe,  b.  i.  jur  realen  ^eilggabe  ma- 
6)z\\  mü^te.  3)ie  Saufe  ift  roirffam  al%  götttic^e§  ©uabenroert 
an  unb  für  fic^^). 

®ag  atlt^au^,  aU  er  bie  altort^obo^e  Unterfc^eibung  ber 
fides  generalis  unb  specialis  für  fid)  in  2lnfpruc^  na^m,  feiner 
glücf(id)en  ©ingebung  5<>'9^  leiftete,  fei  nur  im  Vorübergehen  er^^ 
ipä^nt^).    2)ie  fides  generalis  ber  altproteftantifc^en  3)ogmatif 

fic^  ®ottc§  ®cift  nur  burc^  93en)ujtfein  unb  Söillcn  vermittelte,  bann  frei= 
lic^  roäre  ber  ^Hnbcrglaubc  unmöglich  (79). 

3llt^aug  ^at,  fo  oiel  ic^  fc^e,  bicfc  3lu§fü^rungen  nic^t  roiberrufen. 
3>c^  glaube  aber  bo(^,  if)rcr  bloj  anmer!ung§n)eife  gebcnfen  ju  muffen 
unb  fie  aU  ba§  3eugni^3  einer  früf)crcn  (Sntmicflunggftufc  %S  betra(f)ten 
5u  bürfen.  "3)cnn  il)re  ©inorbnung  in  bcn  (SJebanfcngang  feineS  fpäteren 
S8u(f)e§  begegnet  ju  großen  Sc^micrigfcitcn.  9öäf)rcnb  er  ^ier  eine  „©in- 
flö^ung"  bc§  ®Iaubcn^  beftrcitet  unb  eine  donatio  fidei  hei  ^inbcrn  oer- 
mittele  bc§  Saframentä  ablehnt,  roiü  er  bort  noc^  bic  3Köglic^fcit  be§ 
^inberglaubeng  fcftbalten,  fpric^t  er  au§brücfUd)  oon  einem  burc^  bic 
Saufe  gemirftcn  ©tauben  unb  einer  @mpfänglid)fcit  für  bie  ha^  Qunere 
beg  Slinbcä  bcrü^renbc  göttliche  Snflucnj.  ^aujerau  b^t  auf  grunb  biefcr 
@c^rift  gcurteilt,  5t.  babe  bie  ^ofition  ber  alten  ^ogmatifer  oerfaffcn 
unb  fei  glücfCic^  jur  römifc^cn  Cebre  oom  character,  bcn  bie  Saufe  präge, 
foioic  auc^  jur  53crtaufc^ung  be§  lutbcrifcben  ®nabenbegriff^  mit  ber  fd)0= 
laftifcben  gratia infusa  gelangt  (Sb-8-3tg.  1893,  Sp.  2B9).  5)ie  3lbn)cid)ung 
^2(.ä  Don  ber  ^^Jofition  ber  alten  ^ogmatücr  erfc^eint  mir  nic^t  fo  groß 
mic  S^amerau,  ber  offenbar  nic^t  bcrücffi^tigt,  baß  nac^  aItprotcftantifd)er 
3lnfcbauung  eine  b9Perpbi)Pf^e  Infusio  fidei  ftattfanb.  3cb  roei^  aber 
nid)t,  n)ie  bie  bier  oon  31.  oertretcne  ^^^ofition  mit  ber  fpätcr  oon  ibm 
cntroicfeltcn  5lnfcbauung  au^jugleicben  ift.  ^er  SÖiberfprud)  ift  fo  gro6 
nnt>  mibcrftreitct  bem  2öort(aut  ber  fpäteren  2(u§fübrungen  fo  fcbr,  baj 
er  bic  ©i)potbefe  berauSforbert,  5C.  babc  fpätcr  ftiUfcbmeigcnb  feine  früberc 
^ofition  aufgegeben,  ^d)  glaube  barum  berechtigt  ju  fein,  oon  einer  ^iä- 
hiffion  biefcr  f ruberen  ^Icu^crungen  3t. §  3lbftanb  ju  nebmen,  unb  mid) 
aüein  an  bie  in  feinem  ^ucb  über  bie  §ei(öbcbcutung  ber  Saufe  niebcr* 
gelegten  3(nfcbauungen  bitten  ju  bürfen. 

1)  9ntbau§  a.  a.  D.  3.  305. 

2)  @bb.  S.  306. 

3)  Sögl.  ^unfe,  ber  Scbrftrcit  über  bie  ^inbertaufe.  Gaffel  1900  3. 68. 

25* 


356    8  d^  c  c  I :  ^ic  aauffc^rc  in  b.  mobetncn  pofitio.,  lut^cr.  ^ogmatit 

\x>ax  eine  fides,  wie  fie  auc^  ben  Teufeln  jugefc^rieben  rocrbcn 
tonnte,  md)t  aber  ein  begef)renber  unb  tieit^oerlangenber  ©laube. 
3(ber  bei  biefcr  Ungcnauigteit  brauchen  roir  un§  f)ier  nic^t  aufju* 
l)a(ten,  roo  un§  bie  3I(tf)au§'  eigentümliche  ^^Jofition  intereffiert. 
3Bir  ^aben  bemnac^  bie  grage  ju  unterfuc^en,  roa^  2l(t^au§  mit 
biefer  Unterfc^eibung  erreicht  ^at  unb  wie  fic^  befinitiu  feine  bog^ 
matifd)e  9tec^tfertigung  be§  Jauffatrament^  geftattet. 

3n  einem  notmenbigen  3wfammenl|ang  mit  feinet  eigentlichen 
©aframent§tt)eovie  ftef)t  bie  Unterfct)eibung  ber  fides  generalis  unb 
specialis  nid)t.  Sßenn  9Ilt{)au§  übert)aupt  meint,  ben  ®aframent§* 
gebauten  }unäcl)ft  entmicfetn  ju  tonnen,  ot)ne  au§brücflicl)  be§  @Iau* 
ben§  ju  gebenten  —  unb  ber  bei  lueitem  größte  Seil  ber  Unter* 
fud)ung  2t(t^au§  rul)t  auf  biefer  93orau§fe^ung  —  fo  ließe  e§  fic^ 
mo^l  noc^  oerftet)en,  menn  nachträglich  al^  eine  au§  ber  euange* 
Uferen  Stellung  be^  2lutor§  begreiflicf)e  ®vgänjung  ber  ®lauben§« 
begriff,  mie  er  ber  9teformation  fic^  evfc^loffen  t)at,  in  bie  ®v== 
örterung  aufgenommen  mürbe.  3lber  man  mü^te  eben  bann  eine 
Erörterung  nur  be§  Ji^uji^^Ö^^"^^"^  erwarten,  ©tatt  beffen  mirb 
auf  eine  boppelte  2lrt  be§  @lauben§  9tücfficf)t  genommen,  oon  ber 
nur  bie  le^te  bogmatifc^en  Söert  l|at.  ?Senn  bie  2)ogmatit  f)at 
e§  ja  nur  mit  ber  $eil§ertenutni§  ju  tun.  2öenn  nun  bocf)  neben 
bie  fides  specialis  bie  fides  generalis  geftellt  mirb,  fo  i)at  bie§ 
bei  2llt^au§  feinen  ®runb  in  ber  autoritatiuen  ©eltung  ber  ©d)rift, 
bie  eine  fo  abfolute  53el|anblung  be^  Jauffatrament^,  mie  fie  Sllt* 
f)au^  junäc^ft  gegeben  ^attc,  nid)t  tennt.  Unter  bem  ®inbrud  ber 
Sc^riftmortc  mu§  2tlt^au§  uor  bem  Soltjug  be§  Jauffatrament^ 
menigfteng  eine  gemiffe  Srtenntni^  be§  |)eit^  unb  eine  geroiffe 
Ueberjeugung  pon  ber  2Ba^rt)eit  ber  "^^rebigt  üorau^fe^en.  2ln* 
bcrerfeit^  perbot  bie  fd}on  genügenb  bcfanute  fatramcntale  2Bür* 
bigung  ber  Saufe,  biefem  ber  Saufe  oorauge^enben  ©tauben  einen 
befonberen  ^cil^mert  jujufc^reiben.  2)ann  märe  ja  ba§  ©atra« 
ment  entleert.  So  jmingen  bie  fatramentale  Sc^ä^ung  ber  Saufe 
unb  bie  Ueberjeugung  oon  ber  fc^lec^t^inigen  bogmatifc^eu  93er= 
binblic^feit  ber  Sc^riftmovte  3(ttf)au§  ju  bem  Äompromi^,  ba$ 
un^  in  ber  mit  bogmatifd}er  ftvaft  au^geftatteten  Stiefc  dou  ber 
fides  generalis  tunb  mirb  unb  ax\^  bem  Saframent^gebanten  Stlt- 


@  d)  c  c  I :  ^ic  ^aufref)rc  in  b.  ntobernen  pofitio.,  lut^cr.  ^oßmatif.    357 

l)au2f'  allein  md)t  ticvgetcitct  iDcvbcn  tonn.  @r  mu^  alfo  in  feine 
bogmatifc^e  ^Rechtfertigung  ber  Jaufe  einen  ©ebanfen  aufnehmen, 
bcr  einen  eigentUd^cn  bogmatifd)en  SEBert  nid)t  befi^t.  ©r  mug 
ben  @Iauben§begriff  in  jroei  qualitatio  buvd)au^  Don  einanber  ge^ 
fc^iebene  unb  and)  uon  it)m  felbft  einanber  fern  gef)altene  2Womente 
jertegen,  um  überf)aupt  ben  ©laubensgebanfen  retten  ju  fönnen. 
2)a§  ift  aber  nid)t  ber  einjigc  Srfolg  biefer  SWanipulation. 
2)ic  fides  generalis  rourbe  al^  ucriangenber  ©taube  befiniert  unb 
mit  ber  leeren  93ett(er^anb  oerglic^en.  2)iefer  Söergleic^  ift  burc^ 
bie  Jrabition  gefdjü^t.  ©c^on  bie  Sßäter  ber  ort^oboyen  2:{)eoIogie 
fannten  i^n.  (Jr  ift  aber,  fobalb  er  inncrl^atb  ber  ®pt)äre  be§ 
religiöfen  fieben§  gebraucl)t  mirb,  rec^t  menig  gefc^idtt.  2)a§  fie^t 
man  aud)  an  2llt^au§'  Darbietungen.  2)enn  biefe  leere  fidea 
generalis  wirb  bod)  menige  Q^iUn  fpäter  al^  ein  @(aube  be= 
fc^rieben,  ber  eine  gemiffe  Ucberjeugung  üon  bcr  äBa^r^eit  bee; 
geprebigten  Söort^  unb  bie  SBSiüigteit,  ba§  SBort  aujuncl^men,  in 
fid)  befd)lie§t.  2)iefc  Ucberjeugung  unb  biefe  3Q3iüigfeit  ift  nur 
möglich,  menn  ber  Qn^alt  be§  ^eil§mort§  an  ber  ©eele  be§  SWen^ 
fd)en  gearbeitet  ^at,  b.  i),  alfo  |)eil§n)irfung  ausgeübt  tiat.  Söenn 
aber  ein  3wftanb,  refpcftioe  eine  93efc^affen^eit  anerfannt  werben 
mu^,  bie  al§  ^eifSmirfung  ju  bejeic^nen  ift  unb  bereit^  pofitiüe 
@üter  oermittelt  l^at  —  benn  ein  pofitiDeS  @ut  ift  j.  SB.  eine 
noc^  fo  limitierte  Ueberjeugung  oon  ber  SDBa^r^eit  be§  geprebigten 
3Öort§  —  bann  luirb  ber  Sergleid)  mit  ber  leeren  Settler^anb 
hinfällig.  D^erjenigc,  bem  bie  fides  generalis  jugemiefen  werben 
barf,  ift  nic^t  mel)r  befi^lo§,  oielme^r  im  ®efi^  cine§  ^eilömert 
t)abenben  @ut§.  @^  uermag  bcmnac^  9ltt^au§  feine  urfprünglid)c 
2lufc^auung  oon  ber  fides  generalis  nid)t  feftju^alten.  2)ie  fiogit 
beig  93egriff^  treibt  i^n  weiter,  al^  ber  eigenen  S^^eorie  juträg^ 
lic^  ift.  ^d)  l)abe  ^ier  baoon  abgefe^en,  ba^  ber  ©ebanfe  eine^ 
na^  bem  ^eil  ftc^  ftredenben,  aber  nid^t  be§  |)eil§  teilhaftig 
merbenben  ®tauben§  bem  eüangelifc^en  93erftänbni§  ber  c^rifttid^en 
^Religion  nid)t  cntfprid)t.  3Q3er  oerlangenb  nac^  bem  ^eil  aus- 
^ijaxii,  ba^  nid)t  in  nebelliafter  ^crne  in  unerfennbaren  Umriffcn 
auftaud)t,  fonbern  im  |)eil§n)ort  beutlid)  unb  präji^  umfc^rieben 
üor  bie  Seele  tritt,  ber  ^at  aud)  ba$  ^eil.     SRan  müßte  ben  äSe- 


358    ©  df)  c  c  l :  ^ie  ^auflcf)rc  in  b.  mobcrncn  poritic,  lutftcr.  5)ogmatil. 

(jriff  bc§  aScr^cigungigroorte^  um  fein  c^araftcriftifc^c§  9JlertmaI 
bringen,  wenn  man  einem  fel^nfüc^tigen  SBevIangen  nac^  bem  ^Se- 
ft^  ber  flar  er!ennbaren  SSertieilung  ben  (Srfotg,  alfo  ben  ©in^^ 
tritt  in  ben  ^efi§,  ftrittig  machen  moUte.  2)a§  eine  fotd)e  Sin« 
naf)me  prattifc^  fel^r  bebentlic^e  folgen  jeitigen  mü|te,  bebarf  feiner 
näheren  3tu§fül^rung.  |)ier  genügt  e§,  ben  logifc^en  aBiberfpru^, 
ber  in  biefer  2lnna^me  enthalten  ift,  aufjubeden.  Sie  bringt  ben 
Segriff  ber  93er^ei§ung  um  feinen  eigentlid^en  ^n^att,  behauptet 
eine  93er^ei§ung,  bie  bo^  feine  93ert)ei^ung  ift.  2)a§  ift  eine  ab== 
furbe  9Inna^me.  2lttt)au§  fann  fie  an6)  ernft^aft  nic^t  üertreten. 
2)enn  er  mugte  ja  bie  fides  generalis  in^aIt§DolIer  befc^reiben, 
al§  e§  feiner  eigentli^en  Jenbenj  nac^  gefc^e^en  burfte.  S)arum 
fotl  auc^  ber  SBßiberfpruc^,  ber  mit  2ltt^au§'  urfprüngli^er  2:t)efe 
üon  ber  fides  generalis  gegeben  ift,  ^ier  nid)t  befonber§  f)erau§i 
gehoben  werben,  menn  er  auc^  nic^t  unermät)nt  bleiben  burfte. 
3Bot)I  aber  mu§  man  barauf  nac^brüdlic^  aufmerffam  machen, 
ha^  an^  ben  33emertungen  biefe§  2lbfd)nitte§  bie  Unf)altbarfeit  ber 
Uuterfc^eibung  einer  fides  generalis  unb  specialis  fid^  ergibt. 

"Sflan  barf  aber  noc^  auf  eine  weitere  ©c^mierigfeit  bie  2luf* 
merffamfeit  f)in(enfen.  2)a§  $eiI§mort  übte,  wie  2l(tl^au§  jugeben 
mu^te,  gemiffe  $eil§n)irfungen  au§ ;  unb  menn  e§  aud^  nac^  2ltt* 
f)au$  nur  oortäufige  SlBirfungen  waren,  fo  waren  e§  boc^  ^eil§* 
wirfungen.  S)a  erl^ebt  fic^  aber  benn  bie  J^age,  warum  biefe 
SBirfung  nur  eine  oortäufige,  feine  befinitioe  ift.  3Wan  tonnte 
baran  benfen,  ba§  ber  aJlenfd)  felbft  e§  üerfc^ulbet,  ba§  bie  uoUc 
SBirfung  ausbleibt.  ®ag  wäre  an  fid)  eine  mögliche  2lnnal^me; 
aber  fie  wiberftrcbt  bem  3wfammenf)ang,  in  bem  wir  un§  befin- 
ben.  ®inmal  würbe  gauj  ba^fetbe  na^  3Iltt)au^'  ^rämiffen  aud^ 
Don  ber  Saufe  gelten.  'J)enn  eine  unwiberftet)lic^e  SBirfung  ber 
Jaufe,  bie  oon  SJertretem  ber  neulutf)erifc^en  J^eorie  behauptet 
würbe,  leugnet  3lltt)au§.  Slnbererfeit^  fe^lt  bem  93ert)atten  be§ 
Ü)len]d)en  gegenüber  bem  ^^eit^wort  ^ier  ba§  SWerfmal  be§  SOBiber- 
flreben§.  @r  will  ja  nid)t  SBiberftanb  leiftcn,  fonbern  wiHig  auf 
ba^  angebotene  .^eil  eingeben.  Streben  uac^  bem  ^eil,  nic^t 
Söiberftreben  gegen  ba§  ^eil  ift  bie  (Signatur  be§  bie  fides  gene- 
ralis l)abenbeu  9Jlenfc^en.     '^m  SJJenfc^en  liegt  e§  alfo  nid)t  bc* 


8  d)  c  c  I :  Xic  3:auflc^rc  in  b.  mobcrncn  poptitj.,  lut^cr.  Dogmatil.    359 

grünbct,  wenn  bic  SBirfung  nur  eine  oorläupgc  ift.  2)ann  tonn 
man  nur  bic  Urfac^c  im  SBort  [uc^cn.  2)a§  ber  9Kenfc^  uor  bcm 
SBoüjug  ber  2:aufe  c§  nic^t  weiter  bringt  aU  bi$  jur  fides  gene- 
ralis, mü^te  auf  ba§  ^eil§*  unb  SBerf)ei§ung§mort  jurüdgefü^rt 
merben,  ba§  feiner  Statur  nad)  fo  geartet  [ein  mü§te,  ba§  c§  x>oü^ 
ftänbige  SBirfungen  aud)  unter  ben  günftigften  Umftdnben  nic^t 
au^juüben  imftanbe  ift.  3)a§  biefe  2Infc^auung  ft^  roebcr  auf  bie 
©c^rift  noc^  auf  bie  2:i^eotogie  ber  ^Reformatoren  unb  altpro* 
teftantifc^en  SBäter  ftü^en  fönntc,  ift  eoibent.  3)ic  altprote^ 
ftantifc^c  S:t)eologie  roei^  oon  einer  nur  burc^  baS  SBort  iDoVi-- 
jogcnen  Söiebergeburt  unb  93cfef)rung ;  unb  fie  mei^  in  i^rer  S)og' 
mati!  baoon  ju  fpred)en,  weit  fie  ben  einfad)en  SBortlaut  ber  ©c^rift, 
infonberf)eit  oon  ©teücn  mie  9lm  10,  17  unb  I  ^etr  1,23  in 
bem  näc^ftliegcnben  SSerftönbni^  gelten  lä^t.  2)a§  bamit  für 
bie  bogmatifc^e  ^Rechtfertigung  ber  Saufe  al§  eine§  befonberen 
@atrament§  eine  crux  auftauchte,  bie  um  fo  unangenel^mer  mürbe, 
a(§  man  in  ber  ^olemit  gegen  bie  reformierte  S^eologie  mit  ber 
Slnerfennung  ber  fetigmacf)enben  Sraft  be§  2Bort§  ber  reformierten 
©aframent^auffaffung  SBorf^ub  Iciften  ju  fönnen  fc^ien,  ba§  atfo 
mit  biefem  bogmatifc^en  Urteil  über  bie  ^eil^bebeutung  be§  9Bort§ 
ber  eigenen  ©atramentSt^eorie  fein  guter  2)ienft  ermiefen  mürbe, 
ba§  tonnte  bie  attprotcftantifcI)e  Ort^obofie  nid)t  abgalten,  ber 
6rfenntni§  fiut^er§,  bie  jugleic^  eine  6rfcnntni§  ^^ßauli  mar,  un* 
bcbingt  9laum  ju  geben,  "^üx  2lct.  10  mu&  auc^  2llt^au§  mit 
©remcr  eine  2lu§na^me  jugeben.  greilicl)  fucl)t  er,  wie  auc^  Sremer 
unb  0.  b.  Jrendt,  bie  Sragmeite  biefer  2Iu§na^me  möglic^ft  eng 
JU  begrenjen.  ®§  foHtc  bem  2lpoftel  ^etru§  gejeigt  merben,  ba§ 
ani)  Reiben,  ol^ne  erft  3fraeliten  ju  merben,  am  ^eit  ®otte$  21n* 
teil  erlangen  fönnten.  S)ic  Äorneliu^eraö^lung  foU  alfo  eine 
^^Jarallete  jur  ^fingftgefc^ic^te  merben.  3Iber  biefe  biblifd^^ttieo* 
logifc^e  ©rt'Iärung  bürfte  rocnig  befriebigen.  ©ie  mac^t  ben  Äampf, 
ben  '^aulu§  ju  führen  ^atte,  unuerftänbli^.  Silber  e§  foUen  ^ier 
nid)t  ausigefü^rte  biblif^=t^eologifci^e  (Erörterungen  gegeben  merben, 
jumal  fie  nic^t  unbebingt  nötig  finb.  Sine  Unterfud)ung  ber  (gr^ 
övtcrungen  Sllt^aus'  auf  ibren  fgftematifclicn  @e^a(t  l)in  ift  au§* 
rcic^enb.     3lu^  ber  üon    il)m  ftatuiertcn  aiu^nat)mc  erbeut,   ba^ 


860    @  d^  c  e  I :  S)ic  $auf(c{)re  in  b.  mobcrncn  pofitiüv  lut^er.  ^ogmotif. 

bem  SBBort  bic  bcfc^ränfte  ^cbeutung,  bie  um  ha^  SJor^onbenfcin 
bto§  ber  fides  generalis  ju  crflären,  i^m  crfc^loffcn  iDcrben  mu§tc, 
an  fid)  nid}t  eignen  fann.  SBenn  nun  ober  roebev  im  SJlenf^eu 
noc^  im  SBort  ein  jureic^cnber  ®runb  gefunben  werben  fann,  fo 
fte^t  man  vox  einem  SRätfel,  beffen  man  fid^  nur  permittel^  ber 
bereits  in  ber  altort^oboyen  S^aufte^re  gebotenen  SluSfunft  ent^ 
lebigen  !önnte,  ba^  e§  ber  nid^t  meiter  auf  feine  2lbfid)t  \)'m  in 
©rmägung  ju  jiel^enbc  SDBille  ©otteS,  alfo  ber  SBiütürmiüe  @otte§ 
fei,  bem  biefe  ungleiche  SBirtung  }ugefd)rieben  werben  muffe. 
®ann  aber  erfd)üttcrt  man  erft  rec^t  bic  3ut)erfici^t  auf  bie  Üraft 
feinet  SBorte§. 

2l(t^au§  barf  um  fo  weniger  biefen  3tu§meg  betreten,  aU  eS 
feine  Ueberjeugung  ift,  ba§  immer  baS  geprebigte  2öort  ber  ge^ 
orbnete  SBeg  fei,  auf  bem  ber  ®eift  ©otteS  ben  aWenfc^en  jum 
©tauben  fül^rt.  2)iefe  Ueberjeugung  uertritt  er  ja  befonberS  ftarf 
in  ber  2lu§einanberfe§ung  mit  ben  neueren  SBerfuc^en,  bem  ©afra* 
ment  ber  laufe  ctmaS  „Spejififd)c§"  ju  mnbijieren.  S^nen  gegen* 
über  gibt  er  ben  alten  3)ogmatifern  Stecht,  wenn  fie  bie  ©in^eit 
ber  im  äBort  unb  ©aframent  befd^toffenen  ^eili^gabe  prinjipielt 
geltenb  mad^ten.  2llle  93eranftaltungen  jur  ©rlöfung  tragen  hen 
ganjen  ^eilSin^alt  ooU  unb  ungeteilt  in  fid)^).  ^rebigt  unb  2^aufe 
get)ören  alfo  jufammen.  ®§  wirb  in  ber  2^aufe  nic^t  burc^  eine 
munberbare  9KacI)tn)irtung  bc§  ^eiligen  ©eifte§  ber  ©laube  einge* 
flö^t,  abgefe^en  oom  SDBort,  fonbern  immer  ift  cS  ba§  SBort,  ba8 
bie  SBirfung  ausübt  2).  5)em  SBort  eignet  alfo  nac^  2llt^au8' 
eigener  Ueberjeugung,  prinjipietl  unb  auf  ben  «^n^att  gefe^en, 
nic^t  jene  ^efc^räntung,  bie  oorauSgefe^t  werben  mu§te,  um  ju 
oerftel^en,  ba^  bie  5Bertünbigung  bcS  Sßer^ei^ungSworteS  nur  ben 
©rfolg  ber  fides  generalis  ju  oerjeic^nen  ^atte.  SBar  cS  bereits 
ein  logifc^er  SBiberfpruc^,  wenn  2lltt)auS  ju  bem  93er^ei§ungSwort 
nur  einen  oerlangenben  ©tauben  in  3Jejiet)ung  fe^te,  fonnte  Sllt- 
^uS  felbft  biefe  33orftelIung  nid^t  burc^fü^ren,  fo  fommt  nun  nod^ 
l^inju,  ba§  feine  S3eftimmung  beS  SBortS  unb  bie  Söerfnüpfung 
beS  alfo  beftimmteu  SBortS  mit  ber  Saufe  als  beS  eigentlid)en 
agens  ber  Saufe  erft  red^t  bie  Ütätfet  oergvö^evt  unb  bie  Schwierig* 
i)  2llt[)au6  a,  a.  O.  3-  71.  2)  (5bb.  e.  304. 


©  c^  c  c  l :  ^ie  $auf(e^rc  in  b.  mobetncn  pofitiü.,  lut^er.  ^ogmatif.    361 

feiten  oermc^rt.  ®^riftu§  fann  ja  nun  im  SBort  nic^t  anbev§ 
gegenwärtig  fein  al§  in  ber  Jaufe;  eben  ber  ®^riftu§  unb  eben 
ba§  Seben,  ba§  im  SBort  un§  na^e  fommt,  tritt  un§  aud)  in  ber 
Jaufe  na^e.  3)er  ©nabenanerbietung  mu§  aber  md)  2llt^aus' 
eigener  Slnna^me  bie  3ueignung  ber  ®nabe  folgen'),  ©ann  mu§ 
bQ§  SBort  bereite  bie  SBirtung  ausüben  fönnen,  bie  von  3I(t^au§ 
ber  2:aufe  jugefc^rieben  mirb.  ^m  93egriff  be§  9Bort§  ift  nid^t^ 
enthalten,  ha^  biefe  jueignenbe  SBBirfung  unmögli^  mad)en  fönnte. 
2llt^au§  entbedt  ober  bod^  nod^  einen  legten  SluSmeg.  ^m 
SBort  finbet  bie  allgemeine  Sßergegenroärtigung  beg  $eil§  ftatt, 
roä^renb  bie  Jaufe  ba«  Saframent  ber  fpejiellen  ^eiBjueignung, 
ber  fpejiellen  2Ipplifation  be§  ^eil§  ift.  3lber  biefe  Unterfc^eibung 
^at  feinen  bogmatif^en  3Bert.  ©ie  ^ätte  e§  nur,  wenn  man  ben 
^n^alt  beS  SBorteS  oerallgemeinern  bürfte,  b.  ^.  alfo  bie  33ebeu= 
tung  be§  SBort§  entwerten^  mill.  3)a§  liegt  gänjtic^  au^er^alb 
ber  3tbfic^ten  2llt^au§'.  3)iefe  ganje  Unterfc^eibung  grünbet  fic^ 
alfo  nur  auf  bie  menf^lid)'jufällige,  burc^gängig  üblid)e  2lrt  ber 
Darbietung.  SSon  ber  g  o  r  m  ber  Darbietung  fann  man  aber 
nic^t  bogmatifc^e  Urteile  über  ben  SEBert  unb  bie  93ebeutung 
einer  ®ad)e  abhängig  machen.  ®ott  ift  nic^t  ein  9Wal  allgemein 
gegenwärtig,  unb  ein  anbere§  SWal  fpejiell  gegenwärtig.  ®ie 
©egenwart  (Sottet,  oon  ber  allein  bie  ^Religion  unb  barum  auc^ 
bie  Dogmatif  un^  ju  fpre^en  erlaubt,  ift  immer  eine  wirflid)e, 
b.  \).  alfo  eine  fpejielle  ©egenwart.  SDBenn  mau  bie  bogmatifc^e 
93ebeutung  be§  3Q3orte§  al§  eine§  ®nabenmittel§  nic^t  entwerten 
will  unb  wirflic^  oon  einer  ©egenwart  @otte§  im  ^©orte  ju 
fpred)en  wagt  —  unb  2lltf)au§  wäre  wo^l  ber  le^te,  ber  bie  ©egen- 
wart  ©ottes;  im  Sßort  bcftritte  —  bann  oerliert  bie  Unterfd)ei^ 
bung  ber  allgemeinen  SJergegenwärtigung  unb  ber  fpegieUen  Slp-- 
plifation  ben  bogmatifc^en  äöert,  ben  i^r  2(ltt)aui§  beilegen  will. 
9Jlef)r  al§  bie  ©egenwart  ©otte§  fann  ber  9Äenfc^  nic^t  gewinnen. 
2)tan  mü^te  fonft  bie  I^eorie  oon  ber  unio  mystica  substantialis 
wieber  aufleben  laffen.  Derartige  Slbfic^ten  liegen  aber  2lltt)au^ 
fern.  Dann  oerlievt  aber  feine  Unterfc^eibung  jeben  bogmatifd)en 
^alt.    Diefe  llnterfc^eibung  würbe  ja  auc^  bereits  auf  ba^  9Ser^ 

1)  Q^bt).  3.  70. 


362    ©  d)  c  c  l :  ^ic  ^auf (e^rc  in  b.  mobcrnen  pofitit).,  Iutf)cr.  ^Jogmotif. 

f)ä(tni§  be§  verbum  praedicatum  jur  9lbfotution  jutveffen,  unb 
alfo  bcn  fatramcntalcn  ©^aratter  bcr  3lbfotution  begrünbcn.  SRan 
oern)cd)felt  eben  bie  religionSpfpdjoIogifdjc  ^Betrachtung  mit  ber 
bogmatifc^cn. 

2)ic  (Erörterungen,  bic  3(lt^auS  bietet,  crroedten  nun  befon^ 
berc§  ^ntcreffe  be^^alb,  rocil  fie  ba§  ©aftroment^motiD  beutli^  er* 
fennen  laffen.  3)ie  Jaufe  foB  üroa§  roirfen,  w)a§  ba^  SBort  nic^t 
wirft.  O^nc  Saufe  gibt  e§  feinen  perfönlid)en  |)eil§glauben  ^). 
2)a^  ber  befonbere  9Jlobu§  be§  9ta^cbringen§  berfclben  res  biefen 
(Srfotg  tiaben  foHte,  ern)ie§  ftc^  al§  eine  bogmatifc^  unhaltbare 
93orfteßung.  9Benn  tro^bem  nur  auf  grunb  ber  noDjogenen  2:aufe 
pcrfönlic^er  $ei(§glaube  mög(id)  fein  foH,  fo  roirb  biefe  Slnna^me 
nur  uerftänblic^,  wenn  man  eine  93erüf)rung  oon  jenem  SWotio 
uoraufe^en  barf,  ba§  in  ber  attort^obofcn  Sauflel^re  aU  ein  fpe^ 
jififci^  faframentate§  SKotiu  un§  entgegentritt.  2I(t]^au§  fönnte 
jmar  biefe  Formulierung  al§  unjutreffenb  empfinben.  2)enn  er 
roeift  bie  bei  ben  altproteftantifc^en  93ätern  un§  begegnenbe  Sßor^^ 
ftetlung,  ba§  burc^  bie  2:aufe  ein  unbefinierte§  quiddam  pcrmit« 
te(t  roerbe,  fräftig  jurüd.  (Sin  unbefinierte^  quiddam  mirb  auc^ 
in  ber  Jat  nad)  2llt^au§  ni^t  burc^  bie  2:aufe  übermittelt.  ®^ 
ift  ja  fraft  ber  3^^I^9wng  be§  @lauben§  in  eine  fides  generalis 
unb  specialis  genauer  umfd)riebcn,  n)a§  ben  alten  3)ogmatifern 
ju  umfd)reiben  nid)t  möglich  mar.  2)ie  J^aufe  wirft  eben  ben 
perfönlic^en  ^eiföglaubcn,  bic  fides  specialis.  3lber  biefe  S)iffe^ 
renj  mit  ber  alten  Ort^obofie  ift  bod)  nic^t  eine  ®ifferenj  be§ 
9Kotip§.  SKan  befd)reibt  bie  SBirfung  uerf^ieben;  unb  ba^  bie 
93efc^reibung,  bie  9llt^au§  gibt,  bcn  Sorjug  gegenüber  berjenigen 
ber  alten  3)ogmatifcr  uerbient,  ift  jmcifello§.  2lber  ba§  SWotiu, 
ba§  JU  biefer  93efc^reibung  anleitet,  ift  bei  beiben  boc^  ba^felbc. 
@§  foH  ber  2^aufe  eine  SBirfung  jugemiefen  werben,  bie  man  bem 
3Bort  allein  unb  fc^lec^t^in  nic^t  jujuweifen  wagt.  3)eutli^  tritt 
bie§  SJlotiD  in  ber  ©rflärung  9llt^au§'  an  ben  Jag,  ba&  bie  Saufe 
ben  entfc^eibenben  SBenbepunft  bilbe,  an  weld)em  ber  f)eil§Der» 
langenbe  ©laube  in  ben  ^eit^empfangenbcn  übergebe.  2)iefe  ®r* 
flärung  erinnert  felir  ftarf  an  bie  altbogmatifd)e  2lnfd)auung  uon 

1)  mti)an^  a.  a.  D.  S.  305. 


@  d)  c  e  l :  ^ic  %an^Uf)xt  in  b.  mobcmen  pofitio.,  lut^cr.  Dogmatil.    363 

ber  Infusio  fidei  ücrmittet§  ber  2:aufe.  9Benn  man  behaupten 
würbe,  ba§  2tltt)Qu$  bicfc  2tnf^QUung  roieber  eingcfüfirt  pttc, 
würbe  er  bic§  gcroig  at§  einen  unbered^tigten  SSorrourf  jurücf« 
weifen^).  2)enn  er  ^at  grabe  in  bem  ^wfammen^ang,  in  bem  fic^ 
ba§  foeben  angejogene  SBort  bepnbet,  fid^  gegen  jebe  „ßinflö^ung" 
beg  ©tauben^  au§gefproc^en,  wie  er  ja  auc^  oon  magifd)en  SBir^ 
fangen  nichts  wiffen  roiD.  2lber  ba§  @aframent§motiD  ift  bei  it)m 
boc^  ftär!er,  al§  ber  $roteft  gegen  unliebfamc  Honfequenjcn  be§ 
@aframcnt§motiD§.  SBenn  bie  Saufe  ben  SBenbepuntt  bilben  foU 
unb  wenn  biefer  ©a^  bogmatif^e,  alfo  allgemeingültige,  unb  nic^t 
religion§pfgc^ologifc^e93ebeutung  befi^en  foß,  bann  mu§,  bogmatifc^ 
angefe^en,  bem  Jaufmort  eine  9Birfung§fraft  eignen,  bie  bem 
©nabenmittcl  be§  3Q3ort§,  bogmatif^  angefe^en,  nic^t  eignen  fann. 
S)enn  fonft  fällt  bie  93ered)tigung  fort,  in  einer  bogmatifc^en  Un- 
terfu^ung  über  bie  Jaufe  ba§  ©aframent  ber  Saufe  aU  ben  ent* 
fd)eibenben  SBenbepunft  ju  betrachten.  ^^rinjipieH  angefe^en  fönnte 
weber  ba§  üorangcl^enbe  noc^  ba§  nad)folgenbe  SBort  ber  ©naben« 
oer!ünbigung  perfönlid^en  ®laubcn  erjengen.  Ob  2lltl^au§  ben 
}ettlid)en  SSolljug  be§  Saufaft§  al§  ben  cntfc^eibenben  SBenbepunft 
mürbigt,  ift  au§  ber  ^^ffwng  be§  ©a^e§  nic^t  erftc^tlic^.  6§  roürbc 
biefe  2lnna^me  natürlid^  ber  (Snergie  be§  ©a^e§  am  beften  fic^ 
anpaffcn.  3)ann  freiließ  mürbe  2lltt)au§  erft  re^t  ben  SSormurf 
einer  magifc^en  „(Sinflö|ung"  be§  @lauben§  unb  ber  9lnba^nung 
ber  altbogmatifc^en  SSorftellung  ber  Infusio  fidei  fürchten  muffen. 
2)oc^  bie  un§  bereite  betannten  ©rörterungcn  9lltf)au§'  über  bie 
Saufe  al§  ba§  ©aframent  ber  SDBiebergeburt  nötigen  ni^t  ju  biefer 
au§  ber  ^onfequenj  be§  ©a^e§  fid)  ergebenben  2lnnal^me.  9kn 
mürbe  freiließ  bie  Zueignung  be§  $eil^befi^c§  unb  ber  jur  perfön- 
liefen  ßraft  gemorbenc  93efi^  au^einanbcrfaUen.  2)a§  bcfc^löffe 
aber  in  fic^  bie  ©efä^rbung  be§  faframentalen  (Jt)arafler§  ber 
Saufe  in  bem  ©inn,  wie  fic  bei  äBilbranbt  ju  bemerfen  mar,  ober 
e§  mü^te  eine  latente  unb  ni^t  weiter  ju  erflärenbe  SBirfung  ber 
Saufe  poftulicrt  werben.  2)ann  bcfänbe  man  fid)  aber  wieber  im 
93annfrei§  be^  SJ^agifc^en,  ben  2lltt|au§  boc^  grabe  permeiben  will. 
(£§  fet)lt  if)m  alfo  bie  9J}öglid)feit,   feinen  @a^  mit  ber  erforber- 

1)  ^on  feiner  früheren  Schrift  fönnte  bie§  freilief)  !aum  gelten. 


364    (S  c^  c  c  I :  ^ic  ^auflcf)re  in  b.  mobcrncn  pofitiPv  lut^cr.  2)O0motif . 

Ud)cti  fgftcmatifc^en  Älar^eit  burdiaufü^rcn.  Unb  fie  fc^lt  i^m, 
rocil  er  inncrl^atb  feiner  Sauft^eorie  ein  rocit  ftärtcreS  93erftänb^ 
iiisi  für  ben  geiftigen  6t)arattcr  be§  S^riftcnlum^  beft|>t,  al$  roie 
e§  in  ber  altbogmatifc^en  2:auflcf)rc  feinen  Slu^brudt  finben  fonnte. 
2l^tet  man  aber  auf  baS  le^te  3Jlotio,  fo  finbet  man  biefelbe 
bogmatifc^e  Ueberfc^ä^ung  be§  JauffafrantentS,  bie  foroo^I  bei 
Ouenftebt  roie  bei  ^utter  unS  begegnet  unb  bie  2llt^au§  in  ber 
bort  uor^anbenen  gormutierung  jurüdroeift.  ®ie  Senbenj,  bie 
SBirfung  be§  Sa!rainent^  uom  ©tauben  unabhängig  ju  ftetlen 
unb  bem  Sauffatrament  tatfädjUd)  einen  bogmatifc^  ^ö^eren  SBert 
jujuujeifen  al§  bem  ©nabenmittel  be^  SBort§,  ift  unbeftreitbar  oor« 
l^anben.  So  lentt  biefe  mobern  pofitioe  (Erörterung  ber  3:aufle^re, 
bie  fo  ftarfe  Äritif  an  ber  aItbogmatifcf)en  Jaufte^re  üben  fonnte, 
bod)  jurürf  JU  bem  Satrament^motio  ber  attproteftantifd)en  %t)to^ 
logie.  SBort  unb  ©laube  erhalten  ni^t  bie  il^nen  gebü^renbe 
bogmatifd^e  (Stellung,  ©o  fe^r  bie  S^eorie  2llt^au§'  im  SSergleic^ 
mit  ber  attort^oboyen,  im  SJerglei^  befonber§  mit  ber  neulut^e^ 
rifc^en  2lnfc^auung  ben  SJorjug  oerbient  unb  at§  ein  roirflid^er 
gortfc^ritt  bejei^net  merben  barf,  fo  nad^brüdlic^  mu^  man  boc^ 
anbererfeitS  auf  bie  Sd^mierigteiten  aufmcrffam  mad^en,  oon  benen 
au^  biefe  S^eorie  bebrüdtt  wirb,  unb  auf  i^reu  3wfammen^ang 
mit  ber  alten  J^eorie  in  einem  entfc^eibenben  ^untt. 

Qn  einer  Sejiel^ung  aüerbing§  fönnte  biefe  bogmatifc^e  Ueber* 
frf)ä§ung  be§  JauffaframentS  in§  ©egenteil  umjufd)lagen  bro^en. 
Solan  fönnte  oermuten,  ba§  2ltt^au§  eine  bogmatifd)e  SRed^tferti* 
gung  ber  Äinbertaufe  a(§  be§  ©aframent^  ber  SBiebergeburt  nic^t 
}u  geben  in  ber  fiage  fei.  S)enn  bie  2;t)eorie  oom  Äinberglauben 
wirb  beanftanbet.  Segt  man  aber  bie  Slu^fü^rungen  ber  erften 
©d)rift  2ltt^au^'  ber  93etrad)tung  jugrunbe,  fo  mürbe  man  fc^mer* 
lic^  oon  einer  3)epotenjierung  bc§  ©aframent§  fprc^en  bürfen. 
3)enn  t)ier  roiü  er  nod)  ba§  aBa^rf)eit§moment  be§  ^inberglauben§ 
^erau^fteüen  unb  eine  ba§  3^^"^^^  be§  ftinbe^  berü^renbe  3n* 
ftucnj  @otte§  burc^  ba§  ©aframent  tonftatieren.  2)ie  in  biefer 
erften  ©c^rift  niebergelegte  Slnfc^auung  mar  ju  allem  anberen  e^er 
geeignet,  a(§  ju  einer  Sefeitigung  be^  „9Wagifc^en"  a\x^  ber  ©afra^ 
mentsit^eorie.    ^ier  infonbert)eit  lie^e  fid)  ber  3ufammenf)ang  mit 


@  d^  e  e  ( :  ^ic  Sauffc^rc  in  b.  mobcmen  pofitio.,  Iutf)cr.  5)ogmatit    365 

bcr  altboflmatifdjen  Safmmcntätticone  fonftaticvcn.  2Iber  bic  (Sr* 
flärungcn  in  ber  jrociten  ©d)rift  über  bie  2:aufc  liegen  e§  boc^ 
qI^  fraglich  erfc^einen,  ob  SHtl^auS  feiner  urfprünglic^en  ^Option 
treu  geblieben  fei.  ©robe  im  ^inblicf  auf  bie  unmünbigen  Kinber 
rourbe  bie  ©inflögung  be§  ®Iauben§  beftritten.  3)emnad)  tonnte 
e§  fc^einen,  at§  ob  bie  Saufe  ^ier  jum  Saframent  ber  93erufung 
begrabiert  fei,  bie  Stinbertaufe  atfo  nid^t  me^r  ba§  ©aframent  ber 
SBiebergcburt  fei.  @§  fd)eint  mir  aber  biefe  Interpretation  nic^t 
gegen  jeben  3n)eifel  gefiebert.  Sinen  fac^Iid)en  Unterfd)ieb  jroifc^en 
Äinbertaufe  unb  ®rn)ad)fenentaufe  m\l  2ltt^au§  nic^t  jugeben. 
3)tan  bürfte  alfo  nur  fagen,  ba§  feine  ©rflärungen  über  bie  Saufe, 
bie  im  ^inblidC  auf  bie  ®nüad)fenentaufe  erfolgt  fmb,  eine  bog* 
matifd)e  ^Rechtfertigung  ber  Äinbertaufe  erfc^meren.  @^  tonnte 
ja  nic^t  einmal  bie  fides  generalis  ben  Äinbern  jugemiefen  luer« 
ben.  Unb  ebenfomenig  ift  e§  mög(id),  oon  einer  auf  grunb  ber 
Saufe  gemirtten  fides  specialis  ju  fpred)en.  2)a§  Jlinb  ift  ja 
nod)  gar  nic^t  in  bcr  Sage,  ba§  333ort  aufjune^men.  :3m  ftrengen 
©inn  be§  3D3ort§  tonnte  man  alfo  ben  ©a^,  ba|  bie  Saufe  ben 
entfd)eibenben  3D3enbepuntt  bitbe,  an  bem  bie  fides  generalis  jur 
fides  specialis  merbe,  auf  bie  Äinbertaufe  nic^t  übertragen.  9]un 
märe  ja  freiließ  bie  Stu^tunft  mögü^  —  unb  oermutlic^  mürbe 
aud)  9Ittt)auS  biefe  2tu§tunft  geben  —  ba§  ein  jeitlic^e§  Q\x^ 
fammenfatlen  be§  Saufuoßjuge§  mit  ber  9Birtung  be§  perfönli^eu 
©tauben^  nic^t  geforbert  merben  bürfe.  @oU  nun  ber  Äinber* 
taufe  nic^t  ber  ®t)aratter  eine§  ®atrament§  ber  ffiiebergeburt  ge« 
nommen  merben  unb  foll  bie  foeben  angejogene  ©rtläruug  ju 
SRec^t  befielen,  fo  märe  nur  bie  3)eutung  mögtid^,  bie  bereite  oben 
gegeben  mürbe  unb  bie  au§  bem  ^Banntrei§  be§  SDlagifd^en  nid)t 
^iuau^fü^rte.  @§  märe  aber  jugteic^  ber  bogmatifc^  notmenbige 
3ufamment)ang  be§  ®ebcn§  unb  ^inne^men^  jerriffen,  b.  f|.  aber, 
bie  @in^eittid}teit  ber  Saufmirtung  mirb  aufgelöft.  3)a§  fafra= 
mentale  SJlotio  ift  gerettet,  aber  gleidjjeitig  ift  bie  bogmatifc^e 
9led)tfertigung  preisgegeben,  ober  ber  ©runbfa^,  ber  allein  eine 
bogmatifc^e  5Re^tfertigung  ermöglid}en  tonnte.  @S  muß  oon  5Red}t' 
fertigung,  ©ünbenoergebung  unb  Söiebergeburt  gefprodjeu  merben, 
ot)nc  bag  be§  rec^tfertigenben  ©laubcuS  gebad)t  mevbeu  barf.   2)ie 


366    @  d)  c  c  r :  S)ic  2;auflc^rc  in  b.  mobcrncn  pofitit).,  Cutter.  5)09motif. 

Don  3l(tt)au§  tjorgenommcne  Umbilbung  bcr  alten  ©ofttin  ift 
fc^lie^lic^  cbcnforücnig  burc^füt)rbav  wie  bie  oon  i^m  bcfämpftc 
„t^cofop^ifd^c"  gortbilbung  bcr  alten  fie^re,  mit  ber  fie  ba§  ©afra» 
nient^motio,  wenn  aud)  in  anbetet  Slbftufung,  teilt. 

9loc^  beutlid)et  tteten  in  ben  9tn§fü^tungen  ©temetS  bie 
©c^roietigfciten  an  ben  3:ag.  ®§  ift  feinen  ©rflätungen  jufolgc 
falfc^,  wenn  man  ben  S3eft§  be§  ^cit§  nut  nebenbei  an  bie  Saufe, 
in  SBitflic^feit  an  ben  ®lauben  binbet'),  ©tcmet  räumt  allet- 
bing§  ein,  ba^  bie  S^aufe  in  „unlöflic^em  3uiömmen^ang"  mit 
bem  SOBott  be5  ^eit§  fte^t:  abzx  bie§  SBort  mecft  hod)  nut  $eil§* 
oettangen.  S)er  2:on  liegt  auf  bem  „nut".  2)enn  ba§  ^eit^oet* 
langen  ift  etft  b  e  t  ©laube,  bet  bie  3}etgebung  ^at,  nic^t  bet 
ganje  ©laube,  fonbetn  etft  bet  2(nfang.  ©temet  untctfc^eibet 
batum  ebenfalls  ben  ©lauben,  bet  bet  Jaufe  ootange^t  oon  bem 
®lauben,  ben  bie  2:aufe  mitft.  gut  bie  3ueignung  bet  @nabe 
^at  ®^tiftu§  ba§  ©aftament  htt  2:aufe  angeotbnet  *),  beten  fa« 
ttamenta(e§  SBefen  in  bet  SSetbinbung  oon  Sinnbilb  unb  SBitf* 
lid)feit  befielt  ^).  3»"i>«nt  jum  SBott  bet  SBettünbigung  bie  2:aufe 
^injufommt,  l)aben  mit  an  unfetet  Saufe  bie  SJetgebung  unfetet 
Sünbe.  SWan  t)at  oon  feinem  ©tauben  nic^t^  ot)ne  bie  Saufe  *).  „®§ 
gibt  tatfäci)lic^  feinen  anbeten  SCBeg  jur  Sitc^e  @otte§  ^injugetan  §u 
metben,  al^  butc^  bie  Saufe.  9Jlan  fann  fic^  noc^  fo  piele  jutteffenbe 
©ebanfen  ma^en  übet  @ott  unb  (J^tiftu§,  übet  ba^  ^eil  in  ®^tiftu§ 
unb  üb^v  \x\\§,  bie  ©ünbet,  füt  bie  e^  ba  ift  —  babutc^  ift  man  nod) 
fein  (S^tift.  3Jlan  fann  ba§  aud)  ©lauben  nennen,  menn  man  mill, 
ja  man  fann  bieUebetjeugung  ^aben,  ha^  ha^ 
alle^auc^fütun^,  fütmid)  \)a  ift  —  laff c  id^  mic^ 
nid)t  taufen,  fo  bin  ic^  no^  fein  S^tift,  fein  ju  ©naben  ange* 
nommeue^  ftiub  @otte§,  mie  'iJJaulu^  etft  babutc^  ein  S^tift  routbe, 
ha^  et  tat,  ma^  i^m  2lnania§  fagte"  ^).  „9tut  butc^  bie  Saufe 
mitb  mau  ein  ®^tift,  nut  butd)  bie  Saufe  fommt  man  in  ben 
Sefx^  bet  SJetgebung  bet  ©ünben,  nut  butd)  bie  Saufe  alfo  in 
ben  33efi^  bet  9tec^tfettigung^guabe"  ^). 

Klatet  fann  ba§  ^JÄotiü,  mit  beffen  ftouftatietuug   mit  bie 


1)  O^remer  a-  a.  O.  @.  25.  2i  (Sbb.  S.  89.  3)  (Sbb.  S.  34. 

4)  ®bb.  <3.  95.  5)  ©bb.  8.  148.  6)  ©bb.  <B.  149. 


@  (^  c  e  I :  ^ic  $oufIcf)re  in  b.  mobcrncn  pofitiOv  lut^cr.  ^ogmatif.    367 

Sarftcttung  ber  2:auflc]^rc  2llt^au§'  fd)Io[fcn,  nic^t  jum  Slusibrucf 
gebracht  roerbcn.  3)a§  ec^t  lut^crif^e  ©aframcnt^motio  feiert  ^ier 
einen  Sriump^,  ben  e§  in  ber  oltort^obojen  Sc^re  in  biefem  Um* 
fang  nid)t  feiern  burfte.  Sergebeng  fuc^t  man  bei  ben  altprote* 
ftantifc^en  2:t)eotogen  eine  berartige  bogmatifc^e  93etonung  be§ 
2:auffatrament5.  9Kan  fragt  gefpamit,  wie  ©rcmer,  ber  bod^ 
©c^riftt^eologe  fein  roiü,  biefe  J^efe  begrünbct.  2)ie  9lntn)ort, 
bie  man  erhält,  lä^t  einen  gefc^Ioffenen  unb  fieberen  bogmatifd)en 
Seroeiö  uermiffen;  fc^Iie^Iid^  trägt  bie  J^eorie  ein  formaler  33i* 
bUji§mu§,  ber  feinen  ma^gebenben  ^n^alt  Dom  atttut^erifd)en  ©a- 
fvamentSmotit)  ^er  geminnt. 

3luf  bie  Unterfc^eibung  be§  ber  Saufe  oorange^enben  unb 
be§  i^r  nac^fotgenben  ®(auben§  braucht  ^ier  nid^t  mieber  einge^ 
gangen  ju  werben.  SBaö  in  biefer  öejie^ung  gegen  3lltl)au§  ge* 
fagt  mar,  gilt  aud)  gegen  ©remer.  SBo^l  aber  mu§  barauf  ^in= 
gemiefen  werben,  ba§  (Jremer  oon  einer  SBirffamteit  be§  3D3orte§ 
fpric^t,  bie  fic^  mit  feinen  befinitioen  2lu§fül^rungen  über  bie  bog^ 
matifc^c  93ebeutung  ber  2:aufe  nid)t  verträgt.  SWan  fönnte  fc^on 
baran  benfen,  baß  Sremer  bereits  im  $inblid  auf  bie  @d)rift 
fic^  genötigt  fie^t,  feine  2:f)efe  einjufc^ränten.  ®enn  angeficl)t§ 
ber  ©rjä^Iung  Don  ÄorneliuS  muß  ©remer  gefielen,  baß  bie 
Saufe  be§  ÄorneliuS  weniger  gab,  al§  fonft  bie  Saufe  ^).  grei* 
lic^  Derfuc^t  ©remer  fel^r  balb  biefem  Swfl^ftäJibniS  burc^  fräftige 
Simitierung  jebe  meitertragenbe  Sonfequenj  ju  nehmen.  2)ie  Saufe 
be§  ßornetiuS  wirb  aU  3tu§nat)mcfatl  gemürbigt.  Ob  biefe  ©r- 
{(ärung  ejegetifc^  richtig  ift,  mag  bal^ingeftellt  bleiben,  ©tatt 
beffen  ift  i^r  bogmatifc^er  ®et)alt  ju  prüfen.  3)a  ergibt  fid^  benu, 
wenn  man  fi^  auf  ben  Soben  ber  ©rtlärungen  ©remerS  fteüt, 
baß  bie  bogmatifc^e  93emei§ffl^rung  gefä^rbet  wirb.  2)enn  ber 
bogmatifd^e  öemeiS  bulbet  feine  2luSna^men  ober  Süden.  ®r 
fteöit  ja  bie  notroenbigen  93cbingungen  feft,  bie  gelten  muffen, 
wenn  oon  bem  ^eiBmert  eine§  DbjettS  gefproc^en  werben  foU. 
3)arf  man  aber  mit  SRe^t  oon  einer  2luSnat)me  fpred^en,  fo  muß 
man  auf  einen  in  ber  ©ac^c  felbft  liegcnben  ^eweiö  oerjid)ten 
unb  ftatt  beffen  ben   autoritären  ©d)riftbewei§   wieber  intt)roni^ 

1)  ©remer  a.  a.  D.  @.  107. 


368    ©  d)  c  e  I:  ^ic  2:auf(cörc  in  b.  mobcrncn  pofitiov  tut^cr.  ^ogmott!. 

ficren.  SJlan  gibt  alfo  nic^t  mci^v  einen  bogmatifdjen,  fonbern 
einen  bibtijiftifc^en  53en)ei§,  gegen  ben  auc^  ©remer  feine  roirt* 
tirf)en  Seb.enfen  f)aben  roürbe').  333ill  man  abev  eine  bogmatifc^e 
9tec^tfertigung  geben  —  unb  ©remer  felbft  roitl  baranf  boc^  nic^t 
oerji^ten ;  benn  er  fragt  nic^t  blo^,  ma^  fc^riftgemä^  ift,  fonbern 
aud^,  roa^  glauben^gemä^  ift  ^)  —  fo  ertjeDt,  ba^  jene  9lu§na^me, 
bie  ©remer  ftatuiert,  nid)t  jur  Ätärung  ber  Sai^e  beiträgt,  oie(* 
mel^r  bie  bogmatifc^e  ^en)ei§füt)rung  nnr  erfc^roert.  Qa  ©remer 
Iä§t  e§  auffälliger  ffieife  bei  biefer  einen  3tu§nai^me  nic^t  fein 
33en)enben  ^aben.  3)enn  er  gibt  an  einer  frül^eren  ©teile  feiner 
Schrift  }u,  ba§  burc^  „fonberlic^e  SBeranftaltungen  @otte§  einmal 
einer  ol)ne  Saufe  6t)rift  werben  tann,  ber  nid)t  blo§  fo  l^ei^t, 
fonbern  ber  auc^  ift,  n)a§  er  ^ei^t,  ein  begnabigter  ©ünber"^). 
2lct.  10,  44  bemeift  bie  9nöglid)feit  eine§  foldjen  %am.  @§  ift 
bann  aber  bie  2lct.  10  beri^tete  ©efc^ic^tc  nic^t  me^r  ein  ^eil§* 
öfonomifc^  ju  oerftef)enber  9lu§na^mefall,  fonbern  ein  2ln^alte* 
punft  für  immer  erneut  ju  ftatuierenbe  2tu§na^men.  3)er  Äor^ 
neliu^erjä^lung  mirb  alfo  ein  weiterer  ©pielraum  gemäf)rt,  al§ 
bie  Don  ©remer  felbft  gegebene  ©yegefe  julä^t.  Unb  mit  biefer 
33ermet|rung§möglic^teit  ber  3lu§na^me  mirb  erft  rec^t  bie  bog^ 
matifc^e  9ied)tferligung  ber  2:aufe,  mie  fie  Sremer  beabfic^tigt, 
gefä^rbet.  2)enn  je^t  ift  au^  abgefe^en  oon  ber  Saufe  ber  @r^ 
folg  möglid^,  ben  ©remer  am  ©c^lu§  feiner  ©c^rift  au§brücflic^ 
ber  Saufe  oinbijierte. 

2lber  aud)  wenn  man  oon  einer  SSermertung  biefe§  oon 
©remer  notgebrungen  gemad^ten  3wgeftänbniffe§  abfegen  mill, 
barf  boc^  behauptet  merben,  ba§  er  ba§  ©nabenmittel  be§  9Bort§ 
in  einer  SBeife  befd^reibt,  bie  mit  feinen  ©rtlärungen  über  bie 
Saufe  ftc^  nicl)t  gut  oerträgt.  ^n  bem  3Ibfd^nitt,  ber  ber  SBirf^ 
famteit  be§  ^eiligen  ®eifte§  gemibmet  ift,  mirb  ber  ©ebanfe  ent* 
midelt,  ba§  mer  jemals  glauben  gelernt  t)at,  feinen  ®lauben  ber 
SSirtfamfeit  be§  ^eiligen  ®eifte§  oerbanft.  2Bo  aber  ber  ^eilige 
@eift  ben  ®lauben  mirfe,  ber  ba  fage:  „mir  ift  93arm^er}igteit 
miberfa^ren",  ba  ftel^e  smifc^en  i^m  unb  benen,  bie  ba  glauben, 
nid)t^  met)r.    'iJiun  l^aben  aber  @otte^  S)iener  unb  ^Soten  bejeugt, 

1)  (5bb.  3.  121.  2)  {§:bt>.         3)  Cremet  a.  a.  D.  ©.  32. 


S  c^  e  e  I :  S)ie  a:auf Ic^re  in  b.  mobcrnen  pofitiOv  lut^er.  Xogmotit    369 

roa§  Toir  glauben  foUcn  unb  bürfen.  „®§  bleibt  immer  ba^fclbc 
unb  n)irb  immer  auf^  neue  erlebt,  unb  barum  ift  ®otte§  SBort 
unb  i^eitiger  ®eift  an  einanber  gebunben.  ©in  ^erj,  roetc^e§  ba§ 
3Q3ort  aufnimmt,  inbcm  e§  in  traft  be§  f)eiligen  ®eifte§  glauben 
lernt,  ba§  nimmt  mit  bem  SBBorte  ben  t)eiligen 
©eift  auf  unb  mit  bem  f)eiligcn  ©eift  ben  9Sater 
unb  ben  So^n'),  foba^  e§  fagen  fann,  i^  f)abc  it)n,  ic^  f)abt 
ben  Sater,  ic^  i)abt  meinen  ^crm  6t)riftu§"  ^).  2Wan  barf  ben 
t)ier  üon  ©rcmer  üertretenen  ©ebanfengang  a!jcptieren,  begreift 
aber  nid)t,  mie  er  fic^  mit  bem  2:aufmotio  ®remer§  jmanglo^ 
oereinigen  (ä§t.  ®a§  ©nabenmittel,  bem  ©remer  f)icr  bie  foeben 
befd)riebenen  SBirfungen  jumeift,  ift  ba§  SBort  fd^(ecl)t^in.  ®§ 
mirb  nic^t  auf  ba§  Saufmort  rebujiert;  nid)t§  beutet  eine  fotc^e 
9tebuttion  an,  bie  oielmetir  au^gefc^loffen  ift.  2)cnn  mag  mir 
glauben  bürfen,  ^aben  bie  2)iener  @otte§  bejeugt.  Unb  mit  biefem 
uermöge  be5  ®eifte§  fräftigen  3Q3orte  nimmt  man  ®ott  auf,  ^at 
man  ben  |)cil§glauben.  2)ann  begibt  fic^  ©remer  be§  bogmati* 
fd)en  9lec^t^  ju  einem  ©a^e  mie  bem,  ba^  unfer  ®laubc  nichts 
ift  o^nc  bie  2:aufe.  SBenn  ©remer  mirfli^,  maS  nid)t  bejmeifelt 
merben  fann,  bogmatifc^  unb  nid)t  re(igion§pfg^ologifd)  gemeinte 
©rmägungcn  aufteilt,  fo  ^at  er  mit  biefen  2lu§fül|rungen  über 
ba§  SGBort  feine  2:f)eoric  umgeflogen.  Sine  fc^einbare  ^Rettung 
märe  nur  möglich,  menn  er  t>a^  Söort  im  ©inne  ber  allgemeinen 
®nabenoerfünbigung  oerftanben  miffen  mollte.  3)ann  mü^te  aber 
nid)t  nur  ber  Slac^fa^  geänbert  merben,  man  mügte  bann  auc^ 
fofort  gegen  biefe  J^eorie  oon  ber  allgemeinen  ©egenmart  ®otte§ 
im  äBort  ben  ©inmaub  crt)cben,  ber  gegen  3Ilt^au§  gettenb  ge* 
mac^t  mürbe.  SSäre  e§  aber  bie  3lbfic^t  ©rcmcr^,  biefe  bogma* 
tif(^e  ©ntmicflung  über  bie  ^eitsbebeutung  bc§  2öort§  mit  feinen 
fpäteren  2lu^fül)rungen  über  bie  Jaufe  bergeftalt  ju  ^armonifieren, 
ba§  auf  ba§  2aufmort  eyemplifijiert  mürbe,  fo  mü^te  eine  folc^e 
|)armonifierung  nic^t  blo^  an  bem  äßortlaut  ber  t)ier  gebotenen 
Formulierung  fc^eitern,  fonbern  auc^  baran,  ha^  nun  bod^  ba§ 
^^ßroblem  be^  allgemeinen  Ser^eißung^mort^  mieber  auftaucht,  ol)ne 
einer  befriebigenben  Söfung  entgegen  gebracht  merben  ju  fönnen. 

1)  SBon  ©vcmcr  gefperrt.  2)  3(.  a.  D-  S.  75. 

3citfc^nft  für  X^toloöie  unb  St\x<i}c.  16.  ^«^^3.,  4.  ^cft.  26 


370    <S  d^  c  e  I :  %\t  2:auf (e^rc  in  b.  mobcrnen  pofitip.,  lut^er.  S)ogmatif. 

6§  bleibt  olfo  bcr  SBibcrfprud^  befielen.  ®ic  eigenen  3)arbie* 
tungen  (Jremer^  ert)cbcn  fic^  gegen  feine  Sanfteste,  ber  alfo  bie 
innere  fa^li^e  unb  notroenbige  93egrünbung  fe^tt. 

©rft  red)t  Raufen  fid)  bie  ©c^roierigfeiten,  loenn  man  ber 
Don  ©remcr  oerfu^tcn  bogmatifc^en  SRed^tfertigung  ber  Äinber« 
taufe  nac^ge^t.  ®r  uerlä§t  nie  ben  ©runbfa^,  ba§  unfere  heutige 
^inbertaufe  mit  ber  ntl.  Saufe  ibentifc^  ift  unb  ibentifd^  fein  m\x% 
um  überhaupt  Saufe  ju  fein.  @ine  Slnmartf^aft  auf  bie  ©nabcn^ 
gäbe  barf  nic^t  behauptet  merben.  Qn  @otte§  ^anbeln  ift  über^ 
^aupt  nid)t  ju  fc^eiben  jroifc^en  Slnmartfc^aft  unb  ©abe^.  3ln« 
bererfeit^  fann  man  nic^t  ^oc^  genug  Dom  ©tauben  beuten.  3)urc^ 
ben  ©lauben  \)at  man  alle§,  ma§  @ott  für  un§  ift  unb  ^at  ^). 
©taube  mu^  jur  Saufe  ^injufommen,  bamit  man  ^ält,  xoa^  un§ 
gegeben  ift^).  3)a§  fönnte  mieber  auf  bie  Sf)eorie  nom  Kinber^ 
glauben  ^infü^rcn. 

©remer  roill  in  ber  Sat  nid^t  über  ba§  SBort  üom  ©tauben 
ber  Kinber  fo  abfpred)enb  geurteilt  roiffen,  mie  e§  üielfad^  ge* 
fd)e^e^).  3mmer  oom  „bemühten"  ©tauben  al§  ber  Sebingung 
für  ben  ©mpfang  ber  ©nabe  au  rcben,  fei  ein  üer^ängni^Dotlcr 
^[rrtum^).  Sei  2ltt^au§  mar  in  feiner  fpäteren  ©c^rift  eine 
folc^e  ©rftärung  nid)t  ju  finbcn.  93ei  ©rcmer  überraf^t  fie  me* 
niger,  at§  fie  bei  3lttt)au§  überraf^en  mürbe.  S)enn  ©remer 
i^atte  ja,  roie  früher  gejeigt,  ben  fotcriologifd^en  S^aratter  ber 
äBiebergeburt  weniger  entfc^ieben  burc^gefüf)rt  at§  9llt^au§.  ©8 
mü§te  nun  au§  bem  ^roteft  ®remer§  gegen  ben  bemühten  ©tau« 
Un  ber  jeittic^e  Sufo^^^^^^^öng  oon  ©taube  unb  Saufe  gefolgert 
merben.  2)arauf  fd^eint  ©remer  e§  auc^  abgefe^cn  ju  ^aben. 
©Ott  begnabigt  un§  mit  feinem  SBort.  ©ein  Segnabigung§mort 
fotl  ben  ©tauben  in  un§  mirten  unb  mirtt  i^n  fo,  ba§  mir  oon 


1)  ©rcmcr  a.  a.  O.  @.  117.  2)  @bb.  @   119. 

3)  (Bbb.  @.  131. 

4)  (S^remcr  a.  a.  D.  @.  123. 

5)  ®bb.  ©.  128.  Sßgl.  @.  131:  ,M  ift  nid)t  blofj  ein  ücr^ängnigDOÜer, 
nein,  e§  ift  ein  gcfäl^rlid^et,  ein  fcelengcfdl)rlidf)er  Irrtum,  ben  »iele  üer= 
treten,  meiere  gegenmärtig  gegen  bie  ^inbertaufe  rcbcn  unb  (^reiben,  ber 
Irrtum  »on  bem  einzig  mcrtootten  fogcnannten  beraubten  ©lauben" 


8  c^  e  e  ( :  Xie  ^aufle^re  in  b.  mobemen  pofttiov  lut^er.  ^ogmotit    B71 

ha  ab  un§  nur  rockten  f önnen  gegen  unfer  ^cil  unb  ®otte§  Siebe, 
wenn  wir  nic^t  glauben  rooBen').  ®urc^  unfere  ©egnabigung 
wirft  er  ben  ©tauben.  ®a§  ift  „nic^t  fo  gemeint,  ba&  barum 
^egnabigung  unb  @(aube  iDeit,  meit  auSeinanberliegen  fönnten, 
ober  ba§  93egnabigung  unb  ®Iaube  al§  jroei  oerfc^iebene  Sßir« 
fungen  @otte§  oon  einanber  unterfc^ieben  unb  getrennt  werben 
tonnten.  @ott  wirft  ben  ©tauben  baburc^,  ba§  er  un8  im  @oan* 
getium  feine  ©nabc  ....  oerfünbigt,  ....  welche  gibt ,  fobalb 
fein  aBort  un§  erreid^t"  ^).  Söo  barum  ©Ott  feine  ©nabe  inS 
^erj  fenft,  ba  wirft  er  bamit  ben  ©lauben,  unb  fo  bewirft  er 
aucft  im  Kinbe,  wenn  anber§  bic  Sinbertaufe  Saufe  ift,  ben  ©lau^ 
ben^).  2)amit  fc^eint  ©remer  bie  altbogmatif^e  2:^eorie  üom 
^inberglauben,  bie  r>.  b.  2:rencf  at§  petitio  principii  bejeic^net 
l)atte,  bie  2l(t^au§  in  feiner  fpäteren  Schrift  abgelehnt  ^atte,  weit 
fie  jur  93orftettung  einer  magifd^en  „©inftö^ung"  beS  ©tauben§ 
fül^ren  mü&te,  wirftid^  ernft^aft  ücrtreten  ju  wotlen.  SKan  ift  ju 
biefcr  SKnna^me  um  fo  e^er  geneigt,  al§  er  53egnabigung  unb 
©taube  nid^t  aU  jwei  oerfc^iebene  Söirfungen  ©otte§  angefe^en 
wiffen  witl.  2)ann  aber  fönnte  man  i^m  ben  93orwurf  nic^t  er* 
fpareu,  ba§  feine  bogmatifc^e  ^Rechtfertigung  ber  Kinbertaufe  bie 
aSorftettung  oon  ber  Infusio  fidei  nid^t  legitim  jurüdtweifen  fönnte. 
Um  bie  2:aufe  nid^t  in  ein  Saframent  ber  Berufung  umwanbetn 
JU  muffen,  um  i^r  ben  ntt.  ^fn^att  wahren  ju  fönnen,  beträte  er 
einen  2Beg,  ber  ben  t)on  i^m  fetbft  anerfannten  ©runbfa^,  ba§ 
unfere  ©emeinfc^aft  mit  ©Ott  geiftige  ©emeinfc^aft,  ^erfonge* 
meinfd^aft  unb  unfer  ©taube  ein  9Ser^atten  be§  SöiO[en§  fei,  nic^t 
me^r  gebül^renb  berüdtfic^tigen  fann. 

©0  fet)r  aber  auc^  bie  ©nergie  biefer  Slu^fü^rungen  ©remerS 
in  bie  93a]^n  ber  alttut^erifd^en  I^eorie  einjulcnfen  bemüht  ift, 
fo  wenig  barf  man  boc^  ©remerS  2:^efe  oom  Sinbergtauben  mit 
ber  atttutt)erifd)en  ibentifijieren.  ®enn  oon  einem  unbewußten 
©tauben  witt  er  tro^  feinet  ^rotefte§  gegen  ben  bewußten  ©tau^ 
ben  boc^  nict)t§  wiffen.  ^Sewußter  ©taube  ift  überatl,  wo  ©taube 
ift  *).  2)er  ©taube  fott  wac^fen,  nic^t  aber  auö  unbewußtem  ©tauben 

1)  @bb.  3.  125.  2)  (5bb.  @.  126.  3)  @bb. 

4)  Gremer  a.  a.  D.  S.  128. 

26* 


372    @  d^  e  c  I :  %k  2:auf(c^rc  in  b.  mobcmen  pofitb.,  lut^cr.  ^ogmatif . 

ju  beiüu^tem  ©laubcn  werben  ^).  ©remer  crflärt  fclbft,  fi^  ni^t 
auf  bie  2lnnat)mc  früherer  Qzitzn  üom  Sinberglauben  jurücf jicl^en 
ju  raoKen.  3Jlan  fönntc  in  biefen  Slcu^crungen  einen  nid^t  gu 
löfenben  aBiberfpruc^  mit  bcn  2reu^erun9en  erbliden,  auf  bic  ju^ 
erft  aufmcrffam  gemad^t  rourbe. 

©ie  fielen  aber  boc^  nic^t  ganj  unüermittelt  neben  einanber. 
©remer  fennt,  wenn  er  oom  Äinberglauben  rebet,  in  bcr  %ai  nur 
einen  beraubten  ßinbergtauben.  3)ie  Satfac^e  unfere§  Äinbcr^ 
glaubend  liegt  fo  roeit  jurüd,  wie  unfer  93en)u^tfein  ^).  2Kan 
barf  fogar  bem  ^roteft  ©remerö  gegen  ben  beroufeten  ©tauben 
ein  gen)iffe§  9Jla§  t)on  S3ered^tigung  nid^t  abfpred)en.  SJÖenn 
©rcmer  fragt,  ob  ber  Olaube  üieHeid^t  fein  ©taube  war,  ber  noc^ 
nid^t  „ootlfommen"  war  ober  ber  noc^  nic^t  bie  ganje  3uoerfid^t 
be^  ©tauben^  ermeffen  tonnte,  fo  ent^ätt  biefe  gragc  ein  ric^tige§ 
ajlotiü.  Quantitatioe  3)ifferenjen  peränbern  nic^t  ba§  Siöefen  be§ 
@tauben§.  9Bo  roirfti^  ©taube  t)ort)anben  ift,  ba  barf  man  mit 
©remer,  mill  anber§  man  ni(^t  ben  geiftigen  ®t)arafter  be§  ®^ri^ 
ftentum§  gefä^rben,  bewußten  ©tauben  t)orau§fc^en,  ol^ne  bie  ifloU 
loenbigteit  eineS  9Ba(^fen§  unb  SReifen^  in  2lbrcbc  ftetten  ju  muffen. 
©Ott  erft  ber  „bemühte"  ©taube,  b.  t).  atfo  je^t  ber  ©taube,  ber 
atle§  überfielt,  atte§  in  feinen  aSorau§fe^ungen  unb  gotgerungen 
überfct)aut,  in  feiner  Slotmenbigfeit  begreift,  in  feiner  ganjen  ^raft 
unb  ^errtid)teit  ertebt,  ©taube  genannt  werben  bürfen,  bann 
würbe  nid^t  nur  ben  roenigften  bie§  ^räbifat  jugefc^rieben  wer* 
ben  tonnen,  man  mürbe  aud)  bie  5^age  aufmerfen  muffen,  ob  e§ 
unter  biefen  Umftänben  mögti^  fei,  jematg  ben  ©tauben  jutref^ 
fenb  }u  befct)reiben.  3)enn  wo  quantitatioe  SWa^ftäbe  güttig  fein 
fotlen,  wirb  man  nie  eine  fidlere  9iorm  finben  tonnen.  9Wan 
märe  ja  auf  bie  ©mpirie  angeroiefen,  bie  nie  uubebingte  SWagftäbe 
ju  geben  in  ber  Sage  ift.  3Jlan  mürbe  entmeber  bei  bcn  tjöc^ften 
3tnfprüd)en  nur  einen  oortäufigen  ©renjpunlt  finben,  olinc  bic 
©arantic  ju  Ijaben,  ba|  man  fid)  mirtlic^  mit  bem  gcfunbcnen 
jufricben  geben  bürfc,  ober  man  mü^tc  einen  fdtjtic^tid)  bod^  nur 
mitlfürtic^  feftjufe^cnbcn  2)urd)fc^nitt^puntt  auffuc^cn,  ber  grabe 
al§  3)urd)fd)nitt  unbrauchbar  wirb.    S)enn  eine  9ieligion  wie  bie 

1)  @bb.  2)  (^bt>.  8.  132. 


@  (i^  c  e  I :  %k  2:auf(c^re  in  b.  mobemen  pofitiov  (ut^er.  3)ogmati!.    373 

c^riftlic^e  fann  ftc^  nid^t  mit  ©urc^fd^nitt^ma^äben  begnügen. 

3n  bicfcr  93egrünbung  möd^tc  id^  mid^  bem  ^roteft  ®remer§ 
gegen  ben  „beraubten"  ©tauben  anfc^Iie^en,  aber  bic  Folgerungen 
©remerS  möchte  ic^  für  unerlaubt  lialten.  3)ic  ganje  foeben  ent- 
widtcite  Betrachtung  über  ben  ©lauben  ift  religionSpfgd^oIogifd^ 
orientiert,  ^frid^o-  unb  pifteogenetifd)e  ©rroägungen  \)abtn  aber 
al§  foId)e  in  ber  ®ogmatit  feinen  ^la^.  ®enn  bie  3)ogmatif 
roid  bie  S3ebingungen  be§  ?3egriff§  feftfteüen,  nid^t  aber  bie  ton^ 
trete  ©injelgeftattung  in  ber  religiöfen  ©mpirie.  3)ie  3)ogmatif 
tennt  alfo  nic^t  quantitatio  beftimmte,  fonbern  qualitatio  unb  nor* 
matiü  beftimmte  Probleme.  SBenn  barum  ©remer  gegen  ben  „be== 
raupten"  ©tauben  fo  energifd^  proteftiert,  fo  ift  jroar  fein  ^ro^ 
teft,  fobalb  man  if)n  ifoliert  betrad^tet,  bered)tigt.  SCBenn  aber 
©remer  au§  biefem  ^roteft  bogmatifc^e  Folgerungen  ableitet,  fo 
mad)t  er  fic^  eine§  Uebergriff^  in  ein  anbere§  ®ebiet  fct)ulbig, 
perquidtt  fad^mibrig  bie  religionSpfgd^oIogifc^e  unb  pifteogenetifc^e 
Unterfud)ung  mit  ber  bogmatifd^en.  ©eine  Slu^fü^rungen  ver- 
lieren alfo  ben  bogmatifc^en  SCBert,  ben  fie  boc^  ber  SKbftc^t  na^ 
ijabtn  foden.  ©ie  tonnen  alfo  nic^t  bie  bogmatifd^c  2:^efc  t)om 
Rinberglauben  ftü^en.  ®§  l^aben  aber  biefe  3lu§fü^rungen  ®re* 
mer§  offenbar  ben  Qrozd  gehabt,  eine  irgenbroie  pfr)d)ologifd)  ge* 
artete  Serbinbung  ^erjufteüen  jn)ifd)en  ben  erften  2lu§fü^ruugen 
über  ben  burrf)  bie  2:aufe  im  Äinbe  gemirtten  ©tauben  unb  ben 
testen  3lu^f üt)rungen ,  bie  nur  bemühten  ©tauben  anertennen. 
3)aran  fte^t  man  benn  auc^,  ba^  ®remer§  ©tettung  jum  Äinber- 
gtauben  nid^t  ibentifd^  ift  mit  ber  attbogmatifd^en.  2)enn  bic 
attbogmatifd^e  SKnfc^auung  üon  ber  fides  infantilis  t)at  jum  d)a- 
rafteriftif^en  SKerfmal  bie  Unterfc^eibung  ber  fides  directa  unb 
fides  refiexa.  ©ine  fotc^e  Unterfd)cibung  tegt  aber  ©remer  feinen 
2lu^fät)rungen  grabe  nid^t  jugrunbe. 

2)arf  mau  aber  bie  eben  !onftatierte  SBermitttung  für  jurei^ 
d)enb  t)atten?  ©c^mertic^;  bie  SWotioe  be§  erften  unb  be§  jmeiten 
©ebantengangeö  rocifen  nämtid)  in  eine  oerfc^iebene  SRid)tung.  2)er 
erfte  ©ebanfengang  fud)te  Jaufe  unb  ©taube  mögtic^ft  eng  mit 
cinanbev  ju  oer!nüpfen,  fo  eng,  ba§  ein  }eittid)e§  ^wf^^tt^^^f^^^^" 
be§  2:aufaft§  mit  ber  ©ntfte^ung  best  ©lauben§  geforbert  fd)ien. 


B74    @  c^  c  c  ( :  %k  3;auf Ief)re  in  b.  mobcmen  pofitiOv  lut^er.  ^oflmatif . 

^icr  entroidettc  ©rcmcr  feine  Sluöfü^rungen  o^ne  9iüdftd)t  auf 
irgenb  n)eld)e  ^fgc^otogie.  3)er  Oebanfe  an  ba§  ej^ibitioe  2:auf» 
faframcnt  gab  ben  ®rörterungen  bic  JRic^tung.  Qm  jroeiten  @e= 
banfengang  bagegen  ifi  biefer  @eftc^t§pun!t  jurüctgeftellt.  ^ier 
lä^t  ©remer  fi^  oom  ©tauben  beftimmen,  ben  er  tro§  aller  93e* 
grenjungen  bod^  al§  einen  93en)u§tfeinSoorgang  ju  befinieren  fuc^t. 
2)ann  befielt  aber  boc^  jroifd^en  ben  erften  unb  ben  jroeiten  2lu§= 
füfirungen  eine  Südte,  bie  unau§gefüttt  geblieben  ift.  Qn  ber  Äon* 
fequenj  biefe§  jroeiten  ©ebanfenS  liegt  e§,  2:aufoottjug  unb  Olau* 
ben  jeitlid^  oon  einanber  ju  trennen,  ßremer  ^at  biefer  Ronfe^ 
quenj  fid)  nirf)t  entjogen;  benn  er  tennt  "S&üe,  in  benen  ber  ©laube 
erft  „lange,  lange  Qtxt,  nac^bem  man  getauft  ift"^),  beginnen 
fann.  Unter  biefen  Umflänben  wäre  aber  bie  bereite  erwähnte 
2lbtt)e^r  ber  SKeinung,  ba|  33egnabigung  unb  ©laube  „roeit,  roeit 
au^einanberliegen",  ober  ^egnabigung  unb  ©laube  aU  jroei  oer« 
fd)iebene  9Birfungen  ®otte§  getrennt  werben  !6nnten  ^),  illuforifd^ 
gemacht.  ®aran  ertennt  man,  bag  in  ©remerS  2lu§fü^rungen 
über  ben  J^inberglauben  unb  bie  2:aufe  aWotioe  enthalten  fmb, 
bie  gegen  einanber  arbeiten,  ftatt  jufammen  ju  arbeiten.  3)ie  oon 
©remer  felbft  gegebene  93ermittelung  ermeift  fid^  al§  unjureic^enb. 
6§  bleibt  bann  nur  noc^  bie  5^age  fibrig,  ob  bie  SWotioe 
gleid^roertig  neben  einanber  ^erlaufen,  ober  ob  ein  SDlotio  ba§ 
Uebergen)id)t  erf)alten  ^at.  ®a§  fiepte  ift  ber  %a\i.  ©remer 
benft  fe^r  ^oc^  oom  ©tauben.  „Slber  me^r,  oiel  me^r  noc^  . . . 
mu§  man  fagen  oon  ber  ©nabe"  ^).  ©taube  ift  bemjufotge,  ba 
ja  jur  %a\x\z  ber  ©taube  gehört,  bort  oor^anben,  mo  bie  Öe-- 
gnabigung  eingetreten  ift,  „aud^  menn  er  nod)  eingefct)toffen  ift  in 
bie  Segnabigung,  mit  ber  ber  breieinige  ©ott  un§  fc^on  aU  Äin« 
ber  getragen  f)at".  „3)er  ©laube  ift  fo  lange  eingefc^toffen  in  ber 
93egnabigung,  bi§  er  fi^  jeigt,  unb  er  jeigt  fic^,  roenn  ba§  ®r* 
fenncn,  ba§  93en)u|tfein  fic^  jeigt"  *).  Qn  biefen  2leu§erungen 
tritt  ba§  eigentliche  3Wotio  ber  2:auflet)re  ®remer§  mieber  an  ben 
Sag;  fie   ftimmen  jufammen  mit  ben  anfangt  abgegebenen  ©r-- 


1)  Gremcr  a.  a.  C.  ©.  119.  2)  (5bb.  S.  126. 

3)  (Eremer  a.  a.  D.  @.  119.  4)  (Sbb.  B.  132. 


<5  d&  c  c  ( :  %k  a:auf Ic^re  in  b.  mobcrncn  pofitio.,  (ut^er.  ^ogmatif.    375 

flärungcn  über  bie  2:aufc  aU  ba§  ©aframcnt  ber  SCBiebergeburt. 
Slbcr  fie  oerfaßen  nun  aud^  bem  Urteil,  ba§  bort  au^gcfproc^en 
roerbcn  mu&te.  Stun  tann  natürlich  ber  ej^ibitioc  ©^araftcr  ber 
Jaufc  behauptet  werben,  aber  auf  Orunb  einer  SBorftclluug,  bie 
foroo^I  bogmatifc^  unhaltbar  ift  at§  auc^  ©remerS  ©a^,  ba^  ber 
©taube  ftct§  beraubter  ©laubc  ift,  paratgfiert.  S)er  in  ber  ^e= 
gnabigung  cingefc^Ioffene  ©laube  tann  gar  nic^t  üorgeftellt  n)er== 
ben.  ®r  ift  überhaupt  tein  ®Iaube.  3)cnn  ber  ©taube  ift  ein 
33ctt)u|tfein§oorgang.  ^ier  aber  roirb  in  ber  ©lauben^befinition 
prinjipiett  2lbftanb  genommen  oom  ^emu^tfcin.  2)er  ©taube 
wirb  feiner  pfgd^otogifc^en  2lrt  enttteibet  unb  in  ben  foterioIogi= 
fct)cn  2lft  aufgenommen.  3)a§  fmb  SBorte,  nic^t  me^r  3Infrf)au= 
ungcn.  9Wan  fann  fie  bem  SBcrftänbni^  nur  bann  nät)er  bringen, 
wenn  man  eine  93egnabigung  abgefet)cn  nom  ©tauben  t)orau§fe^t, 
mie  aud^  2ttlt)au§  eine  9Biebergcburt  unb  ^Rechtfertigung  bct)aupten 
mu^te,  ot)ne  auf  ben  rec^tfertigenbcn  ©tauben  5RüdEfi(^t  ju  nel)' 
mcn.  ®remer§  [tariere  ^eroor^ebung  be§  ©tauben§begriff§  in 
ber  foteriologifct)en  Jaufboftrin  füt)rt  atfo  ju  nur  noc^  größeren 
Sctiroierigfeiten.  9Jlit  bem  ©a§,  ber  ben  ©tauben  in  ber  33e* 
gnabigung  cingefc^toffen  fein  tä^t,  ift  bie  attortt)obo5e  2:f)eoric 
von  ber  fides  directa  ebenfo  fe^r  überboten,  mie  bie  attortf)obore 
Jaufte^re  bur^  bie  ©e^auptung  überboten  mürbe,  ba^  o^nc  bie 
Saufe  perföntid^cr  ^eit^gtaube  nic^t  ejiftieren  tonne.  3)iefe  Ueber^ 
bietung  ber  atten  Saufbottrin  ift  bie  d^araftcriftifc^e  Spi^e  ber 
Saufte^re  ®remer§.  9lu§  ben  ocrfd^iebenen  3Jlotioen  feiner  Jauf^ 
Iel)re  t)cbt  fid)  frf)tie^tid)  bag  ©aframent^motio  bcuttid)  heraus;. 
9Jlan  mag  bem  retigiöfen,  pautinif^en  ©runbton  feiner  ©ntmide= 
tungen  bie  Slncrtennung  jolten,  bie  er  oerbient;  bie  2:t)eotogie  ber 
©nabe  üerteugnet  ©remer  nirgenbS,  unb  er  mei^  it)r  einen  mar? 
men  Jon  ju  geben.  Slber  feine  ©nabentt)eotogie  ift  ungtürftic^ 
oertnüpft  mit  bem  ©atrament^motio  unb  bem  attproteftantifc^en 
©d)riftmotio,  unb  er  t)at  a\x§  %VLx6)t,  ben  römifc^en  93erbienftge* 
bauten  mieber  in  bie  eoangetif^c  J^eotogie  einjufü^ren,  e§  nic^t 
oermoc^t,  ber  ct^ifd)^pft|c^otogifrf)en  ^etrad)tung§form  bie  ©tetlung 
einjuräumen,  bie  i^r  oor  atlem  au§  bogmatifcf)en  ©rfinben,  bie 
Ijier  nic^t  mieber^ott  ju  merben  braud)en,  gebül)rt.  6^  barf  bar? 


376    ©  (i^  c  c  l :  ^ie  Xauflc^rc  in  b.  mobcrncn  pofitio.,  (ut^cr.  ^ogmatif. 

um  bcv  93erfuc^,  ble  2:auf(c^rc  in  ber  von  ©rcmer  unb  Sllt^aus 
gegebenen  foteriologifd^en  S^ffung  ju  begrünben,  al§  gefc^eitert 
angefet)cn  werben.  9)lan  roirb  oor  Probleme  gefiedt,  bic  ni^t  ge^ 
löft  werben  fönuen  ober  bie  im  Stammen  ber  coangelifc^en  3)og* 
matif  nid)t  gebulbet  werben  bürfen. 


»77 


$0$  $jibtn  m^  htm  dSoattg^liimt'). 

Sßon 
D.  @6eri|arb  Sifdier, 

^rofeffor  Ux  X^eologie  in  »afeX. 


®§  ift  ein  rcic^cg,  n)cite§,  ja  —  toic  einer  ber  fantonalen 
SRef erentcn  *)  urteilt  —  uferlofcS  ®cbiet,  ba§  unfer  Sfiema  um* 
f erliegt,  unb  c§  ift  oon  üom^erein  auSgefc^Ioffen,  a\x6)  nur  baS 
SCBefentlic^fte,  xoa§  f\6)  barüber  fugen  Hege,  in  ber  mir  jugemef* 
fenen  ß^it  oorjubringen.  Qn  einer  jiellofen  %a\)xt  uuf^  unbe* 
grenjte  SKeer  braud)en  mir  un§  aber  buburc^  bennoc^  nic^t  per* 
führen  ju  (offen,  '^üx  unfer  ©efc^lec^t  enthält  pielme^r  unfer 
J^ema  eine  ganj  beftimmte,  fonfrcte  ^i^age,  bie  un§  allen  auf  ber 
Seele  brennt.  3)ie  grage:  fmb  mir  al§  ©Triften  perpflic^tet,  nac^ 
bem  ©pangelium  ju  leben  ?  Unb  ift  ein  folc^eS  Seben  möglich  in 
ber  SCBelt,  in  bie  mir  geftettt  fmb?  SBie  aber  —  baS  ift  ein 
3meifel,  ber  gerabe  an  ben  ©mften,  9tac^benfenben  unter  ben 
©Triften  ber  ©egenmart  nagt  —  mie  aber,  menn  un§  ba§  ®nan» 
gelium  ein  Seben  jeigte,   ba§  fic^  in  biefer  SBelt  gar  nic^t  per* 

1)  58ortrag ,  gehalten  am  22.  ^luguft  bc§  So^reS  in  2Iarau  bei  ber 
cinunbf ec^jiöften  ^a^re^perf ammlunfl  ber  fc^meiaerifc^cn  reformierten  ^re« 
bigcrgefeüfciöaft. 

2)  S)a§  intcreffante  9lefcrat,  ba§  ^rof.  2lmoIb  9Kcper  in  ber 
2l§fetifc^en  ©efeßfc^aft  in  S^xid)  erftattet  ^at  unb  im  5JerIag  pon 
3.  ©.  93.  2Wobr  (^aul  Giebccf)  peröffentlid^t ,  ift  mir  erft  mit  ben  Sior* 
refturbogen  angegangen  unb  fonnte  be^^alb  Pon  mir  bei  ber  ^bfaffung 
meines  95ortrage§  nid&t  benü^t  werben.  Um  fo  me^r  freue  ic^  mic^ 
über  bie  Uebereinftimmung  an  roefentlidjen  fünften. 

3eitf<^rtft  für  X^eo(oflte  unb  Äirc^e.  16.  J^^rfl.,  5.  ^eft.  27 


378  35  i  f  c^  e  r :  ^a§  ßcben  nad&  bcm  (Snanq^linm. 

lüirtlid^cn  Iic|c,  ober  ba§  bod)  ftct§  nur  oon  cinjehten  geführt 
iDcrbcn  fönntc  unb  fc^on  beS^alb  bc§  SRcc^teS  pcrluftig  ginge,  aßen 
als  ^htal  üorgc^alten  ju  werben?  935enn  un§  ba§  öeftreben, 
@rnft  }u  machen  mit  ben  gorberungen  beS  ©oangeliumS,  un§  in 
allen  unfern  ^anblungen,  in  unferm  ganjen  Seben  al§  jünger 
^efu  JU  ben)äf)ren,  in  unlösbare  Äonflifte  oerroictelte,  unS  $um 
minbeften  nötigte,  auf  bie  SBerroirtlid^ung  oon  2luf gaben  ju  per* 
5irf)ten,  bie  roir  al§  unfere  SWenfc^enpflic^t  erfennen,  bie  an  un§ 
als  ©lieber  einer  götnilie,  eineS  SßolfeS,  mannigfacher  ®emeim 
fc^aften  herantreten? 

®S  ift  baS  teine  ^xa^t,  bie  irgenb  ein  bem  Seben  frember 
X^eoretifer  erfonnen  ^dtte.  ©ie  brängt  fic^  gcrabe  benen  am 
meiften  auf ,  bie  mitten  im  ©efc^SftSleben  brin  fte^en  unb  feine 
Slnforberungen  täglich  empfinben.  Qa  mir  bürfen  fagcn :  ©ie  ift 
bie  5örm,  in  bcr  ber  3"5^if^I  ^n  ber  SBoHtommen^eit  beS  S^ri* 
ftentumS  in  ber  ©egenroart  am  einleud)tenbften  auftritt.  Unb  Un« 
jä^ligen  fc^eint  eS  unmöglich,  ftc  frö^lic^  ju  verneinen,  ©o  leib 
e§  manchen  unter  i^nen  tut,  fo  glauben  fie  bod^  ju  bem  3w9^' 
ftäubniS  genötigt  ju  fein,  ba^  niemanb  me^r  baS  ®Dangelium  als 
9iorm  für  fein  ganjeS  Seben  betrad^ten  tonne,  ba§  man  ^öc^ftenS 
in  beftimmten  %&Ütx[,  auf  gemiffen  ©ebieten,  fo  etma  im  Sßerte^re 
mit  ben  näd^ften  g^milienangel^örigen  bem  Soangelium  gemäg 
l^anbeln  fönne. 

aSor  einiger  Q^xt  ^aben  ftc^  Ideologen  über  bie  Slbfolutl^eit 
beS  ©^riftentumS  geftritten  unb  babei  bie  5^age  erörtert,  ob  bie 
Offenbarung  ®otteS  in  ^efuS  S^riftuS  jemals  fiberboten  merben 
tonne.  Unb  mä^renb  beibe  ©egner  barin  übereinftimmten ,  bag 
fie  bis  je^t  noc^  nie  überboten  morben  fei,  tonnten  fte  fic^  nur 
nic^t  barüber  einigen,  ob  bie  9Jlöglid^teit  einer  Ueberbietung  über« 
^aupt  angenommen  merben  bürfe  ober  nid^t.  ^m  93ergleic^  mit 
unferm  Probleme  erfd^eint  biefe  %xaQt  als  eine  afabemifct)e  ©treit« 
frage  oon  unenbli^er  ^armlofigteit.  3)enn  mä^renb  bort  um 
etmaS  geftritten  mürbe ,  baS  oieHeic^t  in  ferner  3wtunft  einmal 
eintreten  tonnte,  baS  aber  eigentlict)  niemanb  für  ma^rfc^einlid^ 
^ielt,  Ijanbelt  eS  fid^  ^ier  um  bie  fd)mere  ©orge,  ob  S^riftuS  unS 
gegenmdrtigen,  je^t  tebenben  aWenfd^en  nod^  meiter  ber  g^ü^rer  fein 


$tf4ieT:  %cS  geben  nac^  bem  ^angelium.  379 

fönne  unb  bütfe,  t)on  bem  lüir  un8  unfere  QkU  jctgen  laffcn  bei 
ber  täglichen  2lrbeit,  im  Berufe,  im  prioaten  mie  im  öffentlichen 
Seben,  ber  un^  neuen  2Wut  gibt,  menn  mir  angefic^tS  ber  SCBiber« 
ftänbe  in  un§  unb  au^er  un§  oerjagen.  @§  ift  eine  5^age^  neben 
ber  bie  alten  ^arteigegenfä^e  innerhalb  ber  c^riftlic^en  Sirene  un« 
bebeutenb  crfc^einen.  3)enn  nun  ^anbelt  e§  fic^  nic^t  me^r  barum, 
ob  ba§  ®t)riftentum  in  biefer  ober  jener  gorm  feftjut)alten ,  ob 
biefeö  ober  jene§  @tüd  preiSjugeben  fei.  ^a^  S^riftentum  felber, 
feine  3WögIic^teit,  feine  Berechtigung  mirb  in  gragc  geftettt.  Ober 
ha  ba§  S^riftentum  ein  oielbeutiger  Begriff  ift,  unb  ba  e§  gerabe 
^eutjutage  beliebt  ift,  ba§  S^riftentum  mit  ber  ^^rm,  in  ber  e§ 
ju  einer  beftimmten  Qtxt  aufgetreten  ift,  ju  ibentifijieren :  e§  ^an* 
belt  fic^  barum,  ob  mir  auc^  noc^  in  ber  ©egenmart  mit  3efu§ 
leben  fönnen,  ob  feine  935orte  auc^  noc^  für  bie  ©egenmart  bie« 
felbe  begeiftembe,  oerpflid)tenbe  unb  tröftenbe  ®emalt  ^aben  mie 
für  frühere  3»Q^vl|unberte ,  ober  ob  mir  —  menn  oieÜeic^t  auc^ 
fc^meren  ^erjen§  —  gefte^en  muffen,  fobalb  mir  nur  offen  unb 
e^rlid^  fmb,  ba§  unfer  ©efc^lec^t  fic^  nac^  an  bem  ©ternen  richten 
muffe. 

1. 

aOäir  miffen ,  mie  e§  ju  biefer  g^agc  gefommen  ift.  ®%  ift 
jebod^  le^rreid^  unb  tröftlic^,  fic^  bie  ©efc^ic^te  be§  ^robIem§  in 
Erinnerung  ju  rufen;  benn  fic  jeigt  un§,  ba§  nic^t  bIo&  SJBeltfmn 
unb  Seiben^fc^eu  ju  jmeifeln  begonnen  ^aben ,  fo  fe^r  aud^  beibe 
an  ber  Jrage,  fomie  an  ber  oft  aÜjurafc^  gegebenen  oerneinenben 
2lntmort  beteiligt  fein  mögen. 

2lm  fd^roffften  ^at  in  ber  Oegenmart  5lie^fc^e  ba8  5lein 
formuliert,  e§  at§  Unmöglic^feit  bejeic^net,  ba§  jemanb  jugleic^ 
S^rift  fein  unb  an  allen  mobernen  Seben§aufgaben  teilnehmen  fönne. 
„Söo^in  tam  ba§  le^te  @efüt)l  oon  Slnftanb,  oon  Sichtung  oor  fic^ 
felbft,  menn  unfere  Staatsmänner  fogar,  eine  fonft  fe^r  unbefangene 
3lrt  SWenfc^  unb  Slntic^riften  ber  S^at  burc^  unb  burc^,  fic^  t)eute  noc^ 
©Triften  nennen  unb  jum  2lbenbmaf)l  ge^en?  ....  Sin  gürft  an  ber 
©pi^e  feiner  ^Regimenter,  prac^tootl  als  StuSbrud  ber  Selbftfuc^t 
unb  Selbftüber^ebung  feines  JBolfeS,  —  aber  o  ^  n  e  jebe  ©c^am 

27* 


380  35 i feiger:  %aS  8cbcn  noc^  bcm  ©oottgelium. 

fic^  als  ©Triften  bcfcnncnb ! .  .  .  9Bcn  oemcint  bcnn  ba§  ©Triften» 
tum?  aBa§  ^cigt  cö  ^aSelt'?  3)a^  man  ©olbat,  ba|  man  SRic^* 
ter,  ba§  man  Patriot  ifl;  ba§  man  fid^  mc^rt;  ba§  man  auf  feine 
®^re  ^ält;  ba|  man  feinen  SBorteil  miH;  ba§  man  ftolj  ift .  .  . . 
Sfebe  ^raftif  jebeS  2lugenblicf^,  jeber  ^»nftinft,  jebe  jur  %at  mer^ 
benbe  SBertfc^ä^unq  ift  ^eute  antid^riftlid^:  n)a§  für  eine  SWi^* 
geburt  üon  S^Ifc^^eit  mu§  ber  moberne  SDlenfd^  fein,  ba& 
er  fic^  tro^bem  nidjt  fc^ämt,  S^rift  noc^  ju  ^ei§en!" 

®§  märe  iebodi  ein  Irrtum,  mürbe  man  glauben,  bafe  aBein 
9lie§fc^e,  ober  bo^  er  als  eine  ber  ^aupturfad^en,  bie  93eun» 
ru^igung  innerhalb  ber  S^riften^eit  ^eroorgerufen  l^ätte.  SBiel* 
leicht  me^r  a(§  je  fprict)t  ^eutjutage  ber  ©injelne  nur  anS,  xoaS 
Unjä^Iige  bemegt,  menn  fie  e§  oieÜeic^t  auc^  me^r  noc^  empfinben 
unb  a^nen  als  Mar  erfennen  unb  auSjufprec^en  permögen.  Sn 
gleicher  3cit  mit  5lie^fd)e  ocrfünbigt  Jlolftoj  ba^felbe  3)ogma 
üon  ber  Unüercinbarfeit  be§  ®oangeUum§  mit  bem  Kulturleben 
unb  ber  ®efeflfc^aft§orbnung  ber  ©egenmart,  menn  auc^  oom  ent^ 
gegengefe^ten  Stanbpunfte  aixS.  Slber  bie  Unoerfö^nbarteit  ber 
mobernen  Äulturibeale  mit  bem  ©^riftentum  roirb  fc^on  oon 
©traug  unb  Schopenhauer  als  felbftoerftänblic^e  9Ba^rt)eit 
behauptet. 

S33arum  ift  nun  aber  bie  5^age  pjö^tic^  aurf)  in  ber  c^rift* 
liefen  Oemeinbe  felber  brennenb  geworben? 

9Bir  befinben  un§  im  testen  ©tabium  eine§  langen  ©ntmicf* 
Iung§pro}effe§,  ber  mit  bem  9iationali§mu§  anfing,  burc^  bie  SHe» 
ftauration  im  2lnfang  be§  legten  3fa^rl|unbert§  unterbrod)en  mürbe, 
nac^^er  aber  um  fo  rafc^er  fortfc^ritt.  ^rre  gcmorben  an  ber 
d)rifttid^en  ®ogmatif,  t)atte  man  fic^  auf  bie  rf)riftlid^e  ®t^if  ju* 
rüdgejogen.  Ueberbrüffig  einer  2luffaffung  be§  S^riftentum§,  bie 
au§  i^m  eine  Se^re  mad}te,  moüte  man  e§  jur  Xat  merben  laffen. 
gür  manrfie  mar  e^  ein  SRüdjug  auf  baS  S3el)auptbare,  eine  ^rei§^ 
gäbe  oon  ^ofitionen,  bie  nic^t  me^r  ju  galten  fd)icnen.  9lnberer= 
feit§  mar  e§  bod)  aud)  Unjä^ligen  ju  SJlute  roie  bei  einer  2Bie* 
berentberfung.  Unb  mit  einer  ^inrei^euben  Segeifterung  unb 
einem  ©rnfte,  ber  oor  feinen  Opfern  jurüdfc^eute,  machten  fie  fid) 
awS  SBert,  it)rem  ringenben,  fuc^enben,  fi^  fet)nenben  @efct)Ie^te 


$if  c^et:  %c^  Seben  nac^  bem  QN)angeUum.  381 

Sefuö  al8  bcn  Reifer  in  allen  9tötcn  ju  üerfünbigen  unb  fic^  bei 
i^m  bic  Sofung  für  bic  fojialen  Äämpfe  bcr  ©cgcniüart  ju  ^olcn. 
^e^ntic^  iDte  einft  nac^  bem  brei^igiä^rigen  Sleligion^triege  be§ 
17.  3fa^r^unbert§  roodtc  man  fid^  nad)  bem  trcnnenben  ©trcite 
um  bie  3)ogmen  in  ber  tätigen  Jlac^folge  3»«fu  roicber  finbcn. 
S)er  mit  neuem  ®ifer  unternommenen  Untcrfuc^ung  ber  c^riftlid)en, 
in^befonberc  ber  urc^riftlidien  @efd)i^te  entnahm  man  bie  ©r^» 
tenntni^,  ba§  man  bisher  -3cfu§  üiel  ju  fe^r  im  Sichte  fiut^erö 
unb  ^aulu§  gefe^en,  unb  ba§  e§  nun  gelte,  jum  3efu§  ber  @qn* 
optifer  }urüd(jufe^ren.  91ict)t  auf  ba^  göttliche  äBefen ,  ba§  oom 
^immel  ^emicberftieg,  um  bic  Sünben  ber  üMenfc^^eit  ju  fü^ncn, 
fonbern  auf  ^e^n^,  i>^n  %xz\xnb  ber  Slrmen,  Sd)mac^en  unb  Unter» 
brüdten  richteten  fic^  bie  93lidte,  ober  —  mie  man  mo^l  auc^  fagte 
—  auf  5efu§,  ben  fojialen  ^Reformator,  älflentl^alben  mar  oon 
d^riftUc^^ojial  bic  SRebe.  Unb  in  3)eutfd)lanb  fam  e§  fogar  unter 
9?aumann§  gw^^^^fl  W  ©tünbung  einer  neuen  politifc^cn 
'^^Jartei,  meiere  bic  ^örberungen  bc§  ©oangcliumS  nun  cnblic^  ein* 
mal  burdijufc^en  bemülit  fein  follte. 

2lber  bie  Srnüc^terung  tam  merfmürbig  rafc^.  Unb  oer^ 
fcl)iebene§  trug  baju  bei,  ba§  man  an  bem  neuen  %m\\>t  irre 
mürbe.  SKan  crfannte,  ba|  aud)  ber  fgnoptifc^e  3efu§  oicl  me^r 
bie  3^9^  ^^^  bogmatifc^en  ®^riftu§bilbe§,  oon  bem  man  fic^  lo§* 
fagen  mollte,  trage,  al§  man  juerft  ^attc  jugcben  moBen.  SEBic^* 
tiger  jeboc^  mar,  ha^  gerabe  ber  ^iftorifc^e  Qefu§,  ben  bic  erneute 
gemiffcn^afte  ©rforfc^ung  bc§  Urc^riftcntum§  fanb,  bcn  bie  "^ifan-^ 
tafle  be§  ^aläftina  bercifcnben  Siebter^  unb  ^olitifer§  jeid^netc, 
unfer  ©cfc^lec^t  oietleic^t  noc^  frembartiger  berührte  al§  ber  ®^ri* 
ftu§  be§  3)ogma^.  SBa§  bie  mobcrne  gorfc^ung  al^  SRefultat  i^rer 
airbeit  barbietet,  ba§  ift  nic^t  me^r  bcr  rationaliftifc^c  SRcnfc^en* 
freunb  früherer  ,Scben  3^efu',  ber  rebete  mie  ein  aufgetlärter  beut* 
fc^er  ^rofcffor  unb  fic^  im  3)icnfte  bcr  ©emeinnü^igteit  auf je^rte. 
SBir  finben  einen  ^efu^,  bcr  an  ®ämoncn  glaubt,  ber  ba^  na^c 
SBcltcnbe  crmartet,  bcr  ftc^  um  ^olitif,  Äunft  unb  SCBiffcnfc^aft 
unb  taufenb  anbcrc  3)inge,  bie  baö  fieben  be§  mobernen  üWenfc^en 
auffüllen,  nid)t  fümmcrt. 

Unb  angcfic^t^  bicfe§  -Qcfu^bilbe^,  ba^  fi^  al§  ba§  ^iftorifd^e 


382  $  i  f  c^  e  r :   ^ai  Seben  nac^  bem  ©Dangelium. 

gab,  würbe  nun  crft  rcc^t  bie  g^agc  brennenb,  ob  Qt\\x^  nod^ 
weiter  unfcr  gü^rev  fein  fönne,  burc^  ben  wir  unferm  ^anbeln 
bie  ^kU  jeigen  laffcn,  bcr  ^eilanb,  üon  bem  roir  ^ilfc  erwarten 
bürfen.  @§  ift  nic^t  bcr  Unglaube,  ber  fo  fragt,  ©eroi^  er  auc^. 
aiber  feine  S3ebenten  fönnten  !einen  Sinbrucf  mad^en,  wenn  fie 
nid^t  im  ©laubigen  93unbe§genoffen  fanben.  9Bo  lebiglic^  Un* 
glaube  —  ic^  meine  Unglaube  im  tiefften  ©inne  beS  SQ3orte§: 
3Wi§trauen  gegen  @inn  unb  üMa^t  ber  SBeltleitung,  platte  @elbft* 
jufrieben^eit  unb  SKangel  an  S^rfurd^t  üor  bem  ©ro^en  unb 
liefen  —  bem  Olauben  gegenüberfte^t,  ba  prallen  bie  ßw^cif^l  öu 
bem  ©lauben  ab,  mag  aud^  bie  SJÖeltanfc^auung ,  bie  mit  bem 
©lauben  oerbunben  ift,  taufenb  2lngriff§punfte  bieten.  2lber  ge* 
rabe  im  ©lauben  felbft  te^rt  fic^  etwa§  gegen  bie  gorbe» 
rung,  bem  fo  gejeii^neten  ^iftorifd)en  3fefu§  na^jufolgen. 

®er  ©laube  an  ben  lebenbigen  (Sott  empfinbet  e§  aU  un= 
fromm,  eine  ©efc^ic^te  oon  faft  jwei  ^a^rtaufenben  burc^juftrei» 
c^en.  2luf  ©runb  biefer  ©ef^ic^te  finben  wir  unS  aber  atlent* 
falben  3luf gaben  gegenübergeftetlt,  welct)e  bie  erften  ©Triften  mit 
gutem  Steckte  oerna^läffigen  mochten,  an  beren  Söfung  mitjuar« 
beiten  wir  un§  jebod^  oerpflic^tet  füllen.  ®en  erften  ®f)riften, 
weli^e  bie  ©eftalt  biefer  SBelt  ba^infc^winben  ju  fe^en  meinten, 
fonnte  eg  beffer  unb  ©otteg  SCBillen  angemeffener  erfi^einen,  ftc^ 
nic^t  mit  ben  Sorgen  ju  belaften,  welche  bie  Stellung  eineö  @^e* 
gatten,  eine§  §au§oater§,  einer  ^auSmutter  mit  fid)  bringt.  SBir 
urteilen  umgete^rt,  ba§  nur  in  beftimmten  %ä\ltn  ber  SSerjic^t  auf 
bie  S^e  geboten  fei,  ba§  in  ber  Siegel  aber  ber  ©^eftanb  al§  bie 
gottgewollte  3^orm  für  ba§  3ufammenleben  ber  beiben  ©efc^lec^ter 
ju  gelten  t)abe.  2B  i  r  ertennen  in  ben  ftaatlic^en  Orbnungen  bie 
^üter  wertooUer  ©üter  unb  füllen  un§  gebunben,  fie  ju  galten 
unb  ju  oerteibigen.  2Bir  glauben,  ba|  unfer  eigene^  fßolt  eine 
beftimmte  SWiffion  ^abe,  unb  fe^en  e§  be§f)alb  al§  unfere  ^fli^t 
an,  il^m  al§  93ürger,  al§  ©eamte,  al§  ©olbaten  ju  bienen. 

2Bie  aber,  wenn  O^fw^  fü^  oHe  biefe  Slufgaben,  bie  un§  bar» 
a\x^  erwac^fen,  fein  33erftänbni8  gehabt,  wenn  er  fid^  i^nen  gc* 
geuüber  ablet)nenb  oerl^alten  ^at?  gü^rt  un§  bann  bie  Slnerten* 
nung  ^efu  al§  be§  ^errn  unb  bie  Eingabe  an  ben  göttlict)en  9Bit» 


I^i  f  (^  er:  %aS  2tbtn  nac^  bem  Ch)angelium.  883 

Icn,  wie  toir  i^n  and)  in  bcr  ©efc^id^te  ber  ©egcnroart  crfcnncn, 
titelt  in  unlösbare  Äonflifte? 

@o  ift  bic  gragc,  ob  xoxx  auc^  ferner  in  3»efn§  unfern  %üf)^ 
rer  unb  ©rlöfcr  fe^en  bürfcn,  gerabc  be§^a(b  fo  beunru^igcnb, 
roeil  i^re  93eja^ung  un§  oor  eine  ^fli^tenfodifion  ju  fteßen  fdieint. 

SBenn  roir  nun  bie  5^age  ju  löfen  oerfuc^en,  fo  tun  roir  e^ 
nic^t  aU  9lpoIogeten.  2Bir  fteden  un§  nic^t  al^  ©Triften,  für  bie 
e§  feine  3tt^^ifcl  wnb  ©c^roierigfeiten  mc^r  gibt,  ben  9lic^t<^riflen 
gegenüber.  Söir  füllen  oielme^r  nur  attjufe^r,  roelc^c  cmfte, 
fc^roere  ©ac^e  cS  ift  um  roa^reg,  ed^teS  ß^riftentum,  unb  wie  fe^r 
man  fid^  pten  xnn%  o^ne  weiterem  bie  ©cjeic^nung  c^riftlic^  für 
ftc^  in  SKnfpruc^  ju  nehmen  unb  fic^  baburc^  oon  anbern  ju  un* 
terfc^eiben.  9Bir  fprcc^en  mi)t  ate  ©lüdtUd^e,  bie  im  ooüen  öe^ 
fi^e  ber  Söfung  finb,  oielme^r  afe  Siingcnbe  ju  SRingcnben,  aU 
©uc^enbc  JU  ©uc^enben.  SBo^I  aber  treten  mir  afö  folc^e  an  ba§ 
^^oblem  ^eran,  bie  roiffcn,  mclc^  ein  unerfe^Iid^cr  SBerluft  e§  für 
bie  SWenfc^^eit  märe,  menn  bie  SBa^r^eit  baS  ®ingeftänbni§  cr^ 
forberte,  ba§  mir  heutigen  auf  meiten  Oebieten  unfern  SJBeg  o^ne 
ober  im  SJBiberfpruc^  ju  3f«fu§  ge^en  müßten.  SCBir  treten  al§ 
fol^c  an  bog  ^^roblem  ^eran,  bie  an  ber  Hoffnung  einer  befrie* 
bigenben  Söfung  feft^alten. 


6§  ift  nic^t  nur  eine  ^flic^t  ber  ®^rlicl)f eit ,  fonbem  e§  ift 
and)  jur  richtigen  33curteilung  ber  oorl)anbenen  ©c^mierigfeiten 
unumgänglii^  nötig,  ba§  mir  unS  juerft  einmal  ben  ®egenfa^ 
jmifc^en  unfcrer  heutigen,  proteftantifc^en  2luffaffung  be§  ß^ri^ 
ftentum§  unb  ber  Qa^r^unberte  lang  t)errfc^cnben  in  ©rinnerung 
rufen.  ?3efonber$  bcr  oor  furjem  in  S3afel  oerftorbene  ^rofeffor 
Ooerbed  ^at  mit  bem  größten  ^tac^brud  barauf  ^ingemiefen  unb 
betont,  ba§  imifd)en  ß^riftentum  unb  Beteiligung  an  ben  Kultur«* 
aufgaben  ein  unoerfö^nlic^cr  SBiberfpruc^  befte^e.  @r  ^at  im 
SKönc^tum  bie  c^aratteriftifc^fte  ®rfc^einung  be§  ®l)riftentum§  ge* 
fe^en  unb  al§  unbeftrcitbare  Jatfac^e  behauptet ,  ha^  mir  alle, 
in§befonbere  mir  Stac^fommen  ber  jüngeren  SBölfer,  ^eutjutage 
oom  S^riftentum   fc^mertid)   anbcr§  müßten   al§  oom  gricdiifd)» 


884  ©if  (i^er:  5)a8  öebcn  nad)  bcm  ©oangeKum. 

römifd^cn  ^cibcntum,  $arfi§mu§,  öra^maniSmu«  unb  anbcm 
^Religionen,  roenn  bie  alte  Kirche  ba§  üWönd^tum  nic^t  erjcugt  ^ätte. 
yiod)  geroiffer  ift  il^m  bie  anbete  Jatfac^e  erfdjienen,  ba§  üom 
nierten  Qa^r^unbert  bi§  jur  SReformation  nichts  ®ro§e§  in  ber 
Sirene  lebt  ober  gefd^ie^t,  ba§  nic^t  au§  bem  Älofter  ^eroorge* 
gangen  rodre  ober  boc^  irgenbroie  bamit  jufammen^inge. 

aCBir  !önnen  norlöupg  bal^ingeftellt  fein  laffen,  ob  loirflic^  — 
n)ie  er  glaubt  —  ein  S^riftentum,  ba§  in  mancher  53ejie^ung  ein 
ganj  anbere§  ©efic^t  jeigt  al§  ba§  ber  erften  Q^^^^unberte,  roirf» 
lic^  fein  Stecht  auf  biefen  5lamen  me^r  ^abe.  Q^bcnfallä  werben 
mir,  je  pertrauter  wir  mit  ber  ©ef^idjtc  ber  Kirche  fmb,  befto 
beffer  oerfte^en,  ba^  gerabe  ein  fo  gelehrter  Kenner  ber  alten 
Jtirc^e  ju  ben  3:]^efen  gefommen  ift,  bie  Ooerbed  nertreten  ^at. 
®a§  alte  ©^riftentum  trägt  in  ber  %at  einen  auggefprod^en 
roeltflüd^tigen  ©^aratter.  Unb  wir  fönnen  ein  flärfereö  ober  fc^roa* 
c^ere§  SWi^trauen  gegen  Äunft  unb  2Biffenf(^aft  noc^  bi§  in  bie 
fpäteften  3^^*^*^  hinein  gerabe  bei  ernften  ©Triften  immer  mieber 
entbecfen.  Unb  e§  fmb  feineSroegS  blo§  befabente  ©eftalten  ober 
ßeute,  benen  e§  an  93erftanb  unb  3:atenten  gefehlt  ^ätte,  in  benen 
e§  ftc^  regt.  Oleic^gültigfeit ,  ja  geinbfeligfeit  gegenüber  bem 
©taate  unb  feinen  9lufgaben  ift  ben  ©Triften  fd^on  oon  ®elfu§, 
aber  auc^  fpäter  ^äufig  mieber  oorgemorfen  morben.  Unb  roenn 
mir  fe^en,  roie  enge  j.  33.  ein  Xertullian  ben  Krei§  ber  bem  &i)xu 
ften  erlaubten  öefd^äftigungen  jie^t,  fo  oerfte^en  mir,  marum  ber 
^eibnifc^e  ®egner  im  ©Triften  ben  2lnarc^iften  unb  Qtx^iäxzt  ber 
©runblagen  erblidtte,  auf  benen  fid)  bie  menfc^lict)e  ©efeßfc^aft 
aufbaut. 

2Bir  merben  jeboc^  bem,  ber  ben  mobemen  ©Triften  auf  ben 
©tanbpuntt  ber  alten  Sirene  jurüdtjute^ren  ober  auf  ben  ®^ri* 
ftennamen  ju  t)erjid)ten  nötigen  miH,  oerfd)iebene§  entgegenhalten 
fönnen  jur  ^Rechtfertigung  bafür,  ba§  mir  fein  ©ntmeber^Dber  ab^ 
lelinen.  ^i)  meife  nur  auf  jmei  fünfte  ^in.  1.  S)ie  Stellung 
eine§  Jertullian  unb  anberer  ju  bem,  ma^  man  geroö^nlic^  unter 
bem  9Borte  9Belt  jufammenfa^t,  mirb  erft  bann  rii^tig  oerflanben, 
menn  man  im  3luge  behält,  ba&  biefe  3Belt  ju  i^rcr  Qtxt  noc^ 
ooUftänbig  unter  ber  |)errfc^aft  be§  |)eibentum§  ftanb,  ba^  man 


SBifc^er:   ^aS  Seben  nad^  betn  ©DangeCium.  385 

nic^t  Staatsbeamter,  nic^t  ©olbat,  nic^t  ^atibelSmann,  nic^t  fie^* 
rer  u.  f.  m.  fein  tonnte,  ol^ne  fottroä^renb  in  93ejie^ung  jum 
©ö^enbienfte,  [omit  in  ®efa^r  ju  geraten,  ben  d^riftüd^en  ©tauben 
ju  nerleugnen.  9Bie  fe^r  bicfe  Jlatfac^e  bei  ber  richtigen  SOBürbi- 
gung  üieler  ^roeltflüc^tiger'  SBorte  unb  SRatfc^ldge  in  ©etrad)t  ju 
jie^en  ifl,  jeigt  ba§  oeränberte  Sßcr^alten  ber  Äirc^e,  fobatb  bie 
^öd^fte  aJlac^t  im  ©taate  in  bie  ^änbe  üon  ©l^riften  übergegan^ 
gen  mar.  Unb  2.  —  unb  ba§  ift  nod^  mic^tiger  —  ma§  e§  l^ei^t, 
ein  3fü"9^i^  xi^\^  ß^rifti  ju  fein,  baS  entnehmen  mir  in  te^ter 
Sinie  nid^t  ber  ©^riften^eit  ber  erften  <3[af)r^unberte,  fonbern  Qefu 
Söorten  felber.  Unb  fo  abfurb  auc^  O n  erbe d  bie  2lnfic^t  erfc^eint, 
„ba§  S^riftentum  f)aU  juerft  eine  etma  fünfje^n^unbertjläl^rige 
^eriobe  burd|}uma(^en  gehabt,  in  melc^er  feine  eigentliche  Seben§* 
anfid^t  t)on  einer  il^m  ganj  fremben  pcrbrängt  gemefen  fei",  fo 
merben  mir  e§  bennoc^  für  möglid^  galten,  ba&  3f«fu§  in  ocr* 
fc^iebener  ^ejie^ung  feit  ber  ^Reformation  beffer  oerftanben  mirb 
als  in  ben  oor^erge^enben  ^f^^r^unberten.  Qn  jebem  ^aüt  mer* 
ben  mir  e§  nic^t  nur  für  unfer  Siecht,  fonbern  für  unfere  ^flii^t 
galten,  unS  bei  ^efuS  felber  barüber  ju  unterrid^ten,  ju  melc^em 
Seben  er  feine  3>ön9^^  ocrpflid^tet. 

^aben  mir  nun  aber  mirflic^  angefic^tS  ber  SBorte,  bie  ^i\\x^ 
felber  gefproc^en  ^at,  ba§  9ied)t,  eine  anbere  Stellung  jur  Söelt, 
i^ren  ©ütern,  Gräften  unb  SWäc^ten  einjune^men  als  bie,  moju 
fic^  bie  ©Triften  ^al^r^unberte  lang  oerpflict)tet  füllten,  menn  fie 
fie  auc^  fe^r  oft  mit  fc^lec^tem  ©emiffen  in  ber  Sßxa^i^  preiSge* 
geben  ^aben?  ©eraten  mir  nic^t  bann  erft  rec^t  in  fc^mere  ©e* 
miffenSnot,  menn  mir  unS  allein  bei  ^t\u^  felber  bie  Slntmort 
Ijolen  auf  bie  S^age,  ju  melc^em  fieben  feine  S^ac^folge  oerpflii^tet? 
Sie  miffen,  ba§  innerhalb  ber  ®l)riftent)eit  oor  allem  9iaumann 
in  feinen  33riefen  über  SRcligion  ben  SJÖiberfpru^  jmifc^en  3^fu 
SGBorten  unb  bem  Seben,  baS  mir  führen,  baS  mir  alle  als  felbft* 
oerftänblid^  anfe^en,  als  unüberbrüdtbar  bejeic^net  ^at.  SCBic  auS 
bem  oor^er  in  ©rinncrung  ©ebrac^ten  t)eroorge^t,  fagt  er  bamit 
nichts  9leueS,  91ieg€t)örteS.  2lber  er  fagt  eS  oon  einer  Stelle  auS, 
roo  i^m  ein  meiter  Qu^öxzdxti^  gemi§  ift,  unb  er  fagt  eS  in  be- 
fonberS  padEenber  g^vm.    Unb  jmar  finb   feine  8B3orte  beS^alb 


386  liß  i  f  d^  e  r :  %aS  2^htn  noc^  bem  ©oongelium. 

fo  einbrudE^DoD,  tDetI  man  baS  SSerlangen  bur^^ört,  fooiel,   alS 
f\d)  nur  immer  mit  ©^rli^fcit  ocrträgt,  ein  S^rift  ju  bleiben. 


3)ie  ^auptf^mierigtcit  für  bie,  meiere  naä)  bem  (Soan* 
gelium  leben  moQen,  liegt  nic^t  ha,  wo  fie  oft  gefacht  wirb:  in 
einjetnen  SEBorten  ber  93ergprebigt. 

Sffiir  aDe  fennen  bie  2lu§fprüc^e,  bie  jeber  buc^ftäblic^en  ©r* 
füKung  fpotten ,  unb  bie  eben  be^l^alb  immer  mieber  angeführt 
werben  jum  SSemeife,  ba§  3^efu§  Unmögliches  oom  3Äenf^en  oer* 
lange,  ©o  etma  ba§  Sffiort  oom  2lu§rei§en  be§  2luge§,  ba§  un§ 
ärgert,  oom  Raffen  ber  2lnge^örigen,  oom  nic^t  ©orgen  für  ben 
folgenben  Sag,  bann  aber  au^  ba§  oom  ^in^alten  ber  lin!en 
SBange,  wenn  man  unS  auf  bie  rechte  fc^tägt,  oom  Ueberlaffen 
beS  SRanteU  an  ben,  ber  mit  unS  um  ben  Slodt  rechtet.  ®§  ift 
nic^t  nur  bie  offenf unbige  Unmögtic^teit,  bie  un§  oerbietet,  einjelne 
biefer  Sffiorte  bu^ftäblid)  ju  erfüllen.  SBol^in  fämen  mir,  menn 
fic^  jeber  ba§  2luge  angriffe,  ba§  i^n  in  Sßerfuc^ung  f ü^rt  ?  2lu^ 
bie  ©rroägung,  ba§  mir  gar  nic^t  im  ^f^tereffe  unferer  9lä^ften 
^anbeln  mürben,  oerbietet  un§  häufig,  nac^  bem  SEBortlaute  ber 
2lu§fprüd)e  3f^fu  ju  oerfal^ren.  ©erabe  bie  9lüdffid)t  auf  ben 
5iäc^ften  fann  unS  häufig  jmingen,  Unrecht,  baS  un§  zugefügt 
wirb,  nid)t  einfa^  ru^ig  ^injunel^men,  oielmel^r  un§  jur  ffie^re 
JU  fe^en  unb  auf  bie  5)eftrafung  be§  UebeltäterS  ju  bringen.  Ober 
mä^renb  un§  ^^ul^eit  unb  SeibenSfc^eu  oietteic^t  rät,  bie  ©orge 
für  ben  folgenben  2;ag  roirtlic^  bem  folgenben  Sag  ju  überlaffen, 
beftimmt  un§  ber  Oebanfe  an  ba§  un§  anoertraute  3Bo^l  anberer, 
unfere  3Ma§regeln  für  bie  3wtunft  ju  treffen  unb  bur^  ange^ 
ftrengte  2lrbeit,  fo  oiel  in  unfern  Säften  fte^t,  9lot  unb  Äum^ 
mer  oon  un§  unb  ben  Unfern  ferne  ju  galten.  S)a§  aDeS  ifl 
fc^on  fo  häufig  gefagt  roorben,  ba§  ic^  mic^  mit  biefer  furjen  2ln* 
beutung  begnügen  barf. 

Unb  ebenfo  genügt  ber  blo^e  ^inroei§  auf  bie  fc^on  oft  mit 
SRec^t  ^eroorgel^obenc  Satfa^e,  ba§  3f^fu§  felber  in  einjelnen  %aU 
Icn  gegen  ben  buc^ftäblic^cn  ©inn  feiner  SBortc  gel)anbelt  l)at.  3^ 
erinnere  nur  jum  93eifpiel  an   ba§  SBort ,   baö  jebem  93ittenben 


SBif  c^er:  %aS  2tbtn  nad^  bem  ©oongeltum.  387 

©eroä^rung  geben  Reifet,  unb  bie  ©efd^ic^te  oom  tanandifd^en 
SBeibe.  ©erabe  bie  Unmöglic^teit  einer  roörtlic^en  @rfüKung  jeigt 
uns  bie  richtige  3lnn)enbung  biefer  9Borte.  Unb  e«  brandet  nur 
ein  wenig  guten  aGBitlen,  um  fte  ju  erfennen.  ©erabe  bie  Unmög*' 
lic^feit  manche  einjelne  2lu§fprüc^e  buc^ftäblic^  jU  befolgen,  jeigt 
f^on,  roaS  jeber,  ber  fic^  nur  ein  wenig  in  bie  3GBirtfamfeit  <3efu 
oerfenit,  oon  bem  ©elfte  feiner  ^erfönlic^feit  ^at  berühren  laffen, 
fofort  erfennt:  ^z^n^  ift  fein  ©efe^geber  gleich  3Äo^ammeb.  3)a§ 
©Düngelium  ift  fein  Koran.  ®a§  malere  fieben  na^  bem  ©oan^^ 
gelium  ift  fein  Scben  nad)  einem  ©efe^e  —  unb  mären  bie  |)erren» 
morte  biefe§  ©efe^  —  fonbern  ein  fieben  in  unb  mit  bem  ©otte 
3lefu  S^rifti.  Un§  ju  einem  folgen  fieben  im  2lngefic^te  be§  le* 
benbigen  ©otte§,  in  fortroätirenber  ©emeinfc^aft  mit  i^m  ju  oer* 
Reifen,  ba§  mar  ba§  ^iel,  für  ba§  er  gelebt  ^at,  für  ba§  er  ge* 
ftorben  ift.  3)ie  SBorte  Q[«fu  bürfen  nic^t  oon  feiner  ^erfon  ah 
gelöft  unb  ifoliert  betrautet  merben.  ^efuS  unb  fein  ©oangelium 
fmb  untrennbar  oerbunben.  2Wag  auc^  manche  grage  beS  fiebenS 
^efu  infolge  ber  lüden^aften  Ueberlieferung  in  einem  nic^t  me^r 
auf^ellbaren  3)unfel  bleiben.  SWag  ft^  oon  manchem  einjelnen 
SBorte  nic^t  mel^r  ausmachen  laffen,  ob  eS  oon  3t^fu§  gefproc^en 
ift  ober  ob  barin  bie  9lnfc^auung  feiner  ©emeinbe  jum  2lu§brucf 
fommt.  SWag  mit  Stecht  über  fe^r  wichtige  93eftanbteile  ber  ©e« 
banfenmelt  Qefu  unb  i^ren  urfprünglic^en  ©inn  geftritten  merben. 
©erabe  über  bie  5^age,  auf  bie  e§  ^ier  anfommt,  fann  fein  Qwtu 
fei  l^errf(^en.  SBer  au§  ben  einjetnen  SBorten  ^i^fu  ein  neueS 
©efe^  bilben  mill  unb  fein  3fü"9c>^  i^^  f^i"  glaubt,  menn  er  e§ 
bud^ftöblic^  erfüllt,  ber  i)at  ^efu§  nid^t  oerftanben.  Unb  felbft 
menn  bie  erften  3>ö"9^^  -SefuS  fofort  follten  mi^oerftanben  ^aben, 
fo  ^at  jebenfallS  il^r  3Mi§oerftänbni§  nic^t  oer^inbert,  ba§  ber 
eigentli^e  Qnl^alt  feinet  ßeben§merfe§  in  ber  Ueberlieferung  beut^ 
lic^  l^eroortritt.  Unb  menn  man  bagegen  bie  Sluffaffung  ber 
äBorte  burc^  manche  Kird^enoäter,  bie  buc^ftäbli^e  $eobad)tung 
einjelner  SBorte  burc^  mand^e  ^eilige  geltenb  mac^t,  fo  meifen 
mir  oor  allem  auf  ben  Slpoftel  ^^aulu§  ^in  jum  93emeife,  ba§  bie 
oon  un§  oertretene  Sttuffaffung  nic^t  erft  eine  ©ntbedfung  ber  9leu= 
jeit  ober  boc^  beS  ^roteftanti§mu§  ift. 


388  liB  t  f  c^  e  r :  %a^  fieben  nod^  bem  ©Dangelium. 

2Wan  pflegt  ^cutc  in  geroiffcn  Greifen  ber  S^cologie  mit  SBor* 
liebe  ben  Unterfc^ieb  jroifc^en  QefuS  unb  ^aulu§  ^eroorju^eben 
unb  e§  ate  ein  Unglüd  ju  bejeic^nen,  ba§  in  ber  ^riftUc^en  Äirc^e 
ba§  Soangelium  Q^fu  burc^  bie  paulinifd^e  a:()eologie  jurücfge^ 
bvängt,  ja  rool^I  gar  oerbrängt  roorben  fei.  2Wan  foUte  aber  über 
ber  geroi§  nötigen  Beobachtung,  ba|  in  ber  2^at  burc^  ^au(u§ 
©ebanfen  in  ben  Sßorbergrunb  gefc^oben  roorben  ftnb,  bie  in  ber 
aSerfünbigung  Qe^n  nid^t  biefe  93ebeutung  Ratten,  ja  oielleii^t 
gänjUd^  fel)Iten,  bie  3:atfa^e  ni(^t  oergeffen,  ba§  ^aulu§  tro^ 
aQebem  Qefu^  gerabe  an  bem  roic^tigen  fünfte,  auf  ben  e§  l^ier 
anfommt,  im  mefentlic^en  richtig  oerftanben  l^at.  Unb  mag  un§ 
auc^  feine  Se^re  oon  ber  ©erec^tigteit  au§  bem  ©lauben  um  be§ 
rabbinifc^en  ®eroanbe§  roiQen,  in  bem  fie  un§  entgegentritt,  roie 
ein  Äinb  auS  einer  fremb  unb  unoerftänblid^  geworbenen  SEBelt 
berühren,  ©ie  entl^ält  in  oergänglii^er  ^üKe  bie  eroige  SCBa^r* 
^eit,  ba|  3efu§  ®^riftu§  nic^t  getommen  ift,  um  un§  auf§  neue 
in  bie  Kne^tfd)aft  eine§  @efe^e§  ju  f flirren,  fonbem  un§  in  bie 
grei^eit  ber  ®otte§finber  ju  oerfe^en.  3)er  ^err  ift  ber  ®eift, 
roo  aber  ber  ®eift  be§  ^errn  ift,  ba  ift  grei^eit.  3fefu§  ift  nid^t 
al§  ©efe^geber  gefommen  fonbem  aU  ©rlöfer.  @r  ift  gefommen, 
un§  frei  ju  ma^cn  oon  allem,  roa§  un§  oon  ©ott  trennt.  ®r 
fteHt  un§  in  ba§  rid^tige  93cr]^ältni§  ju  ©ott,  ber  SEBelt  unb  ben 
9iä^ften.  Unb  mit  ben  betannten  paraboyen  SEBorten,  bie  ic^ 
nic^t  im  einjelnen  anjufü^ren  braud^e,  l^ebt  er  bie  füllen,  bie  unS 
bie  aSSirflid^teit  oerbergen,  räumt  er  bie  ©c^ranfen  ^inroeg,  bie  fic^ 
immer  roieber  jroifc^en  ©ott  unb  ben  2Wenfc^en  ftellen,  jie^t  er 
bie  Konfequenj  au§  bem  ©a^,  ba§  e§  bem  SWenfc^en  nid^tS  ^ülfe, 
roenn  er  bie  ganje  SBelt  geroönne  unb  nel^me  ©c^aben  an  feiner 
©eele.  SGBärcn  fie  buc^ftäblic^  ju  erfüllen,  roie  9iaumann  meint, 
at^  ^aragrapl^en  eine§  ©efe^e§  ju  oerftel^en,  bann  roflrbe  ^efuS 
fein  SEBerf  felbcr  jerftören.  3)enn  nur  ber  3Jlenfc^  ift  ein  auf« 
rec^t  fte^enber  ganjer  SJlenfc^,  ift  ein  freiet  ©otte§tinb,  ber  ootl« 
ftänbig  frei  nac^  eigener  Ueberlegung  l^anbelt  unb  in  jebem  2lu* 
genblidEe  tut,  rooju  er  fx6)  burc^  fein  ©eroiffen  getrieben  fü^lt. 
5)a§  ift  eine  @rtenntni§,  bie  mir  nic^t  erft  ft  a  n  t  ober  überliaupt 
ben  mobernen  ©tl^ifern  oerbanfen.    3)afür  l^at  nic^t  blofe  ^auluö 


liß  i  f  (^  e  V :  %a^  Seben  nac^  betn  (^ongelium.  889 

geftrittcn.  3)a§  ift  bie  93orauSfe^ung  aKcr  SBorte  unb  Säten 
Ocfu.  SEBir  foüen  üollfommcn  tocrbcn,  roie  ber  l^immlifc^c  SJater 
ooCfommcn  ift.  9Bir  foBcn  un§  im  SBcrfc^re  mit  bem  9läd^ftcn 
nic^t  hinter  ein  gcfd)ricbenc§  ober  ungefc^riebeneS  ®efe^  jurflcf« 
jie^en,  fonbem  il^nen  baS  erroeifen,  oon  bem  mir  münf^en,  ba§ 
bie  fieute  e§  un§  tun.  3^efu§  tennt  feinen  anbern  ©otte^bienft, 
als  ein  Sffianbeln  in  ber  SBBa^r^eit,  im  finblic^en  2tufblid  ju  ®ott 
unb  in  brüberlic^er  Siebe. 

3)e!gt)atb  tonnen  mir  fomol^I  als  ®injetne  mie  atS  ©lieber 
oon  ©emeinfc^aften  in  bie  Sage  tommen,  bireft  gegen  ben  buc^* 
fiäbli^en  ©inn  einjelner  SEBorte  ^e^n  ju  l^anbetn  unb  babei  ben* 
noc^  ein  guteS  ©emiffen  l^aben  unb  überjeugt  fein,  ba§  mir  Qün* 
ger  ®^rifti  geblieben  fmb.  3>€fu§  binbet  unS  nic^t  an  irgenb  eine 
aSorftetlung  oon  ©ott,  fonbem  er  ftellt  un§  oor  ben  Icbenbigen 
©Ott.  Unb  eben  babur^  mac^t  er  unS  }u  freien  aWenfc^en,  bie 
jebe  beffere  JlenntniS  ber  SBirftic^feit  nic^t  in  93erlegent|eit  fe^t, 
fonbem  beffer  unb  fieserer  i^ren  2Beg  ge^en  lä^t.  9Hd)t  bie  er* 
fennt  er  al§  feine  3>ö"9^^  ö"/  ^^^  om  eifrigftcn  ^err,  §err  ju 
il^m  fagen,  fonbem  bie  ben  SBitlen  beS  93aterS  im  ^immel 
tun.  ©S  ift  nic^t,  mie  91  au  mann  aufS  neue  fagt,  ^riefter* 
f^laul^eit,  meiere  bie  3lu§flu^t  erfunben  l^at,  S^efu  SBorte  feien 
oon  oorn^ercin  nic^t  mörtlid)  gemeint  gemefen.  ®§  ift  fd)on  öf* 
terS  mit  Stecht  betont  morben,  ba§  eS  unter  Umftänben  leichter 
ift,  ein  SBort  buc^ftäblic^  ju  befolgen  al§  fid)  oon  bem  ©eifte  lei« 
ten  au  laffen,  in  bem  e§  gefpro^en  ift.  ®§  ^aben  ebenfo  oft 
©(^mac^l)eit  unb  2:rägl)eit  mie  ©ruft  unb  Opferfreubigfeit  oer=« 
fu^t,  au§  einjclnen  Sprüchen  ^efu  aufS  neue  ein  ©efe^  ju  ma* 
c^en.  Uub  nic^t  fetten  tam  gerabe  ba,  mo  man  einjelne  SluS* 
fprüc^e  aufs  93uc^ftäblic^fte  genommen  l^at,  etmaS  ^erauS,  baS  il^rem 
©eifte  fremb  mar.  3Mit  Stecht  fagt  91  au  mann  felber,  ba§  bie 
Älöfter,  in  benen  9Wöncl)e  unb  9tonnen  na^  bem  SBortlaute  ber 
eoangelifc^en  SBeifungen  leben  motlen,  teineSmegS  baS  ©aliläa  ber 
93ergprebigt  fmb. 

3lber  ift  mit  biefer  ©rtenntniS,  bie  in  ber  ©egenmart  befon- 
berS  §errmann  einbringlic^  unb  unermüblic^  oertritt,  alte 
©^mierigfeit  gel)oben? 


390  SB  t  f  d|  c  r :  %cS  fieben  nac^  bem  ©oangeHum. 

4. 

®cn)i^  ba§  ©oangcUum  fann  nic^t  oon  bcr  ^crfon  3f^fu 
abgclöft,  feine  SBorte  bürfen  ni^t  ifolicrt  unb  jum  ®efe^e  ge* 
mac^t  roerben.  ^efu§  ift  mel^r  al§  ein  ©efe^geber.  ^n  i^m  tritt 
un§  ba§  Seben  mit  ®ott  at§  erf c^ütternbe ,  befetigenbe  ^Realität 
entgegen.  ®r  gibt  uns  feine  ©ittenregeln,  nac^  benen  toix  im  ein* 
}elnen  %aUt  l^anbeln  fönnen^  bie  un§  bie  eigene  Ueberlegung  unb 
ben  eigenen  @ntfd^(u§  erfparen.  ®r  bringt  un§  in  bie  ri^tige 
Stellung  ju  ber  un§  umgebenben  SBirflic^feit.  9lic^t  ein  fieben 
x\a6)  ben  Sprüchen  ^z^n,  fonbern  ein  fieben  mit  bem  ®otte  3»cfu 
S^rifti  ift  ba§  fieben  noc^  bem  Soangelium. 

9lber  gerabe  mit  biefer  @rfenntni§  beginnt  nun  erft  bie  ei* 
gentlic^e,  bie  ma^re  ©c^mierigfeit.  3)enn  nun  ergebt  fic^  erft  bie 
grage:  ift  ein  folc^e§  fieben  möglich?  Qft  ein  fieben  mögli^  in 
biefer  SBelt,  ba§  (Srnft  mac^t  mit  Qefu  ©otte^glauben? 

3n)eiertei  ift  auf§  engfte  mit  biefem  ©otte^glauben  oerbun* 
ben  unb  lä^t  fic^  nid^t  baoon  ablöfen:  Q^efu  (Stellung  jur  Sffielt 
unb  feine  (Stellung  ju  ben  3Renfc^en. 

®ie  SBelt  ift  Qf^fu^  bie  (Schöpfung  @otte§  unb  oergönglic^. 
©ie  ift  ein  SEBert  au§  ®otte§  ^anb,  gefd^affen,  ber  oorüberge^enbe 
©c^aupla^  ber  menfc^lic^en  ©efc^ic^te  ju  fein,  in  allen  i^ren  Sei* 
len  unter  ber  unmittelbaren  fieitung  ®otte§  unb  feinem  SEBiQen 
gel)orfam.  @r  forgt  für  Die  SBögel  unter  bem  ^immel  unb  tlei* 
bet  bie  fiilien  auf  bem  gelbe,  fo  ba§  au^  ©alomo  in  aller  feiner 
^errlic^teit  ni^t  angetan  mar  roie  eine  oon  i^nen.  @r  lä§t  bie 
©onne  jeben  SWorgen  aufgellen  unb  fd^cinen  über  Söfe  unb  ®ute 
unb  regnen  über  ®erec^te  unb  Ungerechte.  Kein  ©perling,  bereu 
mon  boc^  jroei  um  ein  3l§  üertauft,  fällt  ol^ne  feinen  SlBillen  oom 
®ac^e.  2Bie  Diel  mel)r  ift  ba§  fieben  beig  aWenfc^en  unter  fei* 
ner  fortmäl^renben  fieitung!  3luc^  bie  |)aare  auf  bem  Raupte 
be§  aWenf^en  fmb  alle  gejault.  Q[ft  ein  SEBort  benibar,  ba§  ben 
feften  ©lauben  an  bie  fortroäl^renbe  unbebingte  fieitung  alle§  bef* 
fen,  voa^  auf  ber  @rbe  gefc^ie^t,   ftärter  jum  3lu§brucf  braute? 

Unb  mie  biefe  3GBelt  oon  ®ott  gefc^affen  ift  unb  feinen  SBin* 
ten  gel^orc^t,  mie  nid^t§,   auc^  nic^t  ba§  3lllerfleinfte  barauf  ge* 


35  i  f  c^  e  r :  ^a§  Seben  nad|  bcm  ©oangcltum.  391 

f^c^en  fann,  ba§  er  nid^t  gcorbnet  f)at,  fo  bebarf  c§  nur  eincS 
SEBinfcS  ®otte§,  unb  fic  fmtt  in  ü)x  9lic^tS  jurüdf.  ^immel  unb 
@rbe  rocrbcn  ocrgcl^cn  unb  einer  neuen  SBelt  Slaum  mad^en.  2lHe§, 
ma^  je^t  bog  3lu9e  be§  SWenfd^en  burc^  feine  Sc^önl^cit  unb 
Drbnung  erfreut,  ift  bod^  nur  eine  i)ergdnglid)e  Srfc^einung.  SEBa§ 
je^t  ber  ©d)aupla^  ber  menf^U^en  Slrbeit,  ber  menf^Iid^en 
Kämpfe,  ber  menfd^lic^en  Sor^eit  unb  93o§^eit  ift  —  e§  i)at  Uu 
nen  bleibenben  93eftanb.  Unb  bie  raa^re,  ooHfommene  Sffielt  roirb 
in  ^älbe  tommen. 

Unb  ber  ÜJlenfc^  fetbft,  ber  93eroo^ner  bicfer  oergänglic^en 
®rbe?  ©ein  SEBert  ift  feine  Seftimmung,  ein  Äinb  bc8  ^immli« 
fc^en  Sßaterö  ju  fein,  ©egenüber  bicfem  Qid  tommt  aüe§,  roorum 
fic^  bie  SWcnf^en  ju  bemül^en,  xooxnad)  fie  ju  jagen  unb  ju  ringen 
pflegen,  nid)t  in  Setra^t.  SBorauf  e§  anfommt,  ba§  ift,  ju  trac^^ 
ten  nac^  ®otte§  9teid)  unb  na^  feiner  ®ere^tig!eit.  SBer  bie§ 
oermag,  bem  wirb  aöeö,  roeffen  er  ju  biefem  oergängli^en  Seben 
bebarf,  ^injugefügt  werben.  (Sben  biefe§  ,2lHe§'  erfc^eint  aber 
<3efu§  angeftc^tö  be§  eroigen,  jenfeit^  biefer  @rbe  liegenben  Qkk^ 
fo  geringfügig,  fo  nebenfäd^lic^,  ba§  er  e§  gar  nic^t  ber  ®txüäi)^ 
nung  wert  l^ält,  ba§  aüe§,  wa^  be§  mobemen  2Wenfc^en  Äopf  unb 
^erj  au§füHt,  feine  Seele  gar  nid^t  bewegt.  SlBo  er  oom  ®elbe 
fpric^t,  beffen  Srroerb  für  Unjä^Iigc  ba§  einjige  3^^^  i^^^^  ß^" 
bcn§  ift,  ba§  afe  93efi^  überall  eine  faft  unüberroinbUc^e  ^err* 
f(^aft  ausübt,  al§  loctenber  ßo^n  SKitlionen  oon  ^änbe  in  93e* 
roegung  fe^t,  bie  SWenfc^en  jum  Kriege  treibt  unb  jum  ^rieben 
jroingt,  ba  fpric^t  er  oon  il^m  nur  al§  oon  einem  ^inberniffe, 
ba§  ben  SWenfd^en  abl^ält,  fein  Qkl  ju  erreid^en.  2Kan  fann  nic^t 
®ott  bienen  unb  bem  äWammon.  Sntroeber  wirb  man  biefen  ^af* 
fen  unb  jenen  lieben.  Ober  man  mirb  jenem  anhängen  unb  ben 
anbern  oerac^ten.  Unb  e§  erfd^eint  Qe^uS  lei^ter,  ba§  ein  Kamel 
bur^  ein  9iabetö^r  ge^e  al§  ein  JReid^er  inS  SReid^  ®otte§.  Unb 
nur  infofern,  aU  mir  un§  greunbe  mad^en  lönnen  mit  bem  un* 
geregten  3Mammon,  fo  ba§  fte  un§,  wenn  er  unsJ  auögel^t,  in  bie 
emigen  ^ütten  aufnehmen,  fann  fein  gluc^  in  ©egen  umgemanbelt 
merben.  3^*9*  ni^t  f^on  allein  biefe§  eine  SEBort,  wie  fel^r  ^t\n^ 
ba§  ganje  2Wenfc^entcben  nur  im  Sichte  be§  jufünftigen  ®otte§^ 


392  iSifc^er:  %aS  Sebeit  nad^  bem  ©oangeUum. 

rcid^c§  bctrad^tct,  roic  fcl^r  allcS  je^t  93eftc]^enbc,  oKe  au§  bcr  irbi» 
fd^cn  (Syiftcnj  ^eroorgcl^cnbcn  ©eftrcbungcn,  auf  i^re  (Sr^altung 
unb  SBerDoHfonimnung  gcri^tctcn  ©cmül^ungen  il^m  hinter  bcm 
fornmenbcn  übcrrocltlid^cn  Qkk  ocrfd^roinbcn  ? 

Unb  bod^  roar  er  fein  lücltabgcroanbtcr  ©enfcr,  bem  bie 
großen  ©ebanfen,  bie  il^n  erfüllten,  ben  ©lief  getrübt  Ratten  für 
bie  il^n  umgebenbe  9Birf(ic^!eit.  ©eine  ©leic^niffe  oor  allem  geigen 
un§,  melc^  fc^arfe§  2luge  er  gel^abt  l^at  für  baig  Seben  in  feiner 
unenbü^en  aWannigfaltigfeit.  @r  fennt  bie  SÄrbeit  be§  Sanb» 
mann§,  ber  feinen  Samen  auswirft  unb  je  nac^  ber  93efc^affen= 
l^eit  bc§  2lrferboben5  balb  gar  nichts,  balb  brei^ig^  balb  fec^jig^ 
balb  ^unbertfältig  erntet.  ®t  roeife,  roie  ber  boö^afte  Sla^bar 
i^m  bie  gruc^t  feiner  9lr6eit  ju  fd)mälern  fuc^t,  inbem  er  ^eim* 
li^  in  ber  9la^t,  roä^renb  bie  Scute  fc^lafen,  auf  baS  J^lb  gc^t 
unb  Unfraut  unter  ben  SEBeijen  fäet,  wie  aber  ber  fluge  @ut§^err 
bie  ^ne^te  abl^ält,  baS  Unfraut  unb  bamit  aud)  mertoollen  3Bei« 
Jen  auSjuraufen,  unb  ru^ig  bis  jur  &xnU  märtet,  um  bann  baS 
Untraut  befonberS  ju  binben  unb  ju  oerbrennen.  @r  fennt  bie 
SlBeife  be§  ©ärtnerS,  bcr  gemiffen^aft  bem  unfru^tbaren  ©aume 
noc^  einmal  alle  Sorgfalt  jumcnbet,  beoor  er  i^n  umbaut,  um 
ben  ^la^  anberS  ju  oerroenben.  ®r  fc^ilbert  bie  ^auSfrau  unb 
i^re  3Wägbe  bei  il^ren  mannigfa^en  SJerric^tungen,  ben  Kaufmann, 
ben  ^anbter  unb  ben  ^anbmerfer.  @r  mei§,  ba§  bie  ^errfc^er 
ber  Sßölfer  fie  unterjo^en  unb  bie  ©ro^en  fie  oergeroaltigen,  ba§ 
bie  93ölfer  mit  einanber  Srieg  ffil^ren.  (5r  ift  oertraut  mit  ben 
(Spielen  ber  Kinber  unb  mci|,  roie  äl^nlid^  i^nen  bie  Oemo^n^ei* 
ten  ber  ©rma^fenen  fmb.  Unb  bie  2lrt,  mie  er  oon  aUebem 
fprid^t,  bemeifl,  mie  felbftoerftänblic^  i^m  ba§  aHe§  ift.  (5§  ift 
i^m  felbftoerftänblic^ ,  bo§  bie§  aüeS  fo  fortgebt,  fo  lange  biefe 
®rbe  no^  befte^t,  \>a%  roie  einft  in  ben  Sogen  oor  ber  ^Iwt  bie 
3Renfc^en  a^en  unb  tranfen,  freieten  unb  fic^  freien  liegen,  bi§ 
aioai)  in  ben  Äaften  ging,  fo  auc^  ba§  aße«  fortgel^en  roirb  bis 
jU  ber  2lnfuuft  beS  SDlenfd^enfol^neS.  3lber  fo  felbftocrftänbli^ 
il)m  baS  ift,  fo  roenig  finb  mir  o^ne  weiteres  berechtigt,  nun  bar* 
aus  ben  ®d)lu§  ju  jie^en,  bag  QefuS  auf  alle  biefe  3)inge  ben 
9Bert  gelegt  l^abe,   ben  mir  i^nen  beijulegen  geneigt  fmb.    2luc^ 


^  i  f  c^  e  r :  %aS  fieben  noc^  betn  ©oongelium.  393 

ba^  ftuge  93ene]^men  beS  ungered^ten  ^anSf^aÜnS  gibt  i^m 
bcn  ©toff  ju  einem  ©leid^niS.  3lber  wie  l^ier,  fo  rocift  er  au^ 
fonft  nur  mit  ber  Slbfic^t  auf  baS  2:reiben  be§  täglichen  fieben§ 
l^in,  um  feinen  ^örern  ba§  SBcfen  be§  ^immelrci^e§  aufnu» 
f^Ue^en. 

Qa  angefic^tg  ber  SBertrautl^eit  ^t^fu  mit  bem  täglichen  iJeben 
feines  SßolfeS  mu§  man  x)ietme^r  bie  grage  auf  werfen,  ob  man 
löirflid)  ein  SRec^t  ^at,  bie  ©leic^gültigfeit  3f^fu  gegen  aUe§  ba§, 
xoa^  xüit  unter  Kulturarbeit  jufammenaufaffen  pflegen,  barauf  ju* 
rüdfjufül^ren,  ba§  i^m  in  feiner  Umgebung  beren  SBic^tigfeit  ^abe 
entgelten  muffen,  ©eroi^  ber  galiläifd)e  ©oben,  auf  bem  3«fu§ 
fie  gefproc^en  ^at,  gibt  feinen  SBorten  i^re  ^arafteriftifc^e  gär« 
bung.  Unb  al§  e^ter  SWenfd)  mar  Qt\n^  ein  Kinb  feiner  Qzxt. 
SBer  aber  nur  ein  menig  aufmerft  erfennt,  ba§  bie  3Äenfc^en  im 
mefentli^en  biefelben  g^agen  befc^äftigt  ^aben  wie  l^eute.  Unb 
ba§  e§  eine  Säufc^ung  ift,  ju  glauben,  Qt^n^  \)abt  nur  beS^alb 
fo  mand^e§  in  feinen  ©prüd^en  gar  nid^t  berül^rt,  weil  er  ein  Äinb 
@aliläa§  mar,  meil  er  al§  ©lieb  eines  Keinen,  abfeitS  Dom  großen 
aßeltftrom  liegenben  SßolteS,  alS  ©o^n  einer  einfachen  gamilie 
aufgemac^fen  mar.  SEBol^l  mag  bieS  alle§  in  93etrac^t  gejogen 
merben,  menn  mir  perfud^en,  in  baS  SEBefen  feiner  ^erfönli^feit 
einjubringen.  Silber  ben  eigentlid^en  ©d^lüffel  ju  il^rem  SBerftänb* 
niS  finben  mir  ^ier  nic^t.  ®iefer  ift  üielme^r  fein  ßeben  mit  ®ott. 
©Ott  fielet  fo  gro§  oor  feiner  ©eele,  erfüllt  fo  fe^r  fein  ganjeS 
^erj,  ba§  feinem  auf  ©ott  gerid^teten  ©lidte  alleS  3>^bifc^e,  SBer* 
gängli^e  jum  mefenlofen  Scheine  mirb. 

Unb  oon  biefem  ©otteSglauben  au§,  burc^  ben  er  fortmä^* 
renb  mit  ©ott  in  ©emeinfc^aft  fte^t,  fc^aut  er  auc^  ba§  SBerl^ält« 
niS  ber  SWenf^en  ju  einanber  an.  SEBie  alle  2Wenf^en  nur  als 
Kinber  ©otteS  i^re  ^öeftimmung  erreichen,  fo  fielen  mir  nur  bann 
im  richtigen  SJer^ältniffe  ju  unfern  ajlitmenfd)en ,  menn  mir  in 
i^nen  bie  Sinbcr  beSfelben  ^immlifd^en  SSaterS  unb  bamit  unfere 
©rüber  feigen.  SBir  fmb  alle  in  gleid)er  SBeife  mit  allem,  maS 
mir  fmb  unb  l^aben,  oon  ber  ©nabe  unfereS  ^immlifc^en  SßaterS 
abl)ängig.  3Bir  ^aben  aüe  im  beften  JJalle  nur  getan,  vs>a§ 
mir  }u  tun  fd^ulbig  maren,  bebürfen  aber  täglich  ber  Vergebung 

3eltf<^rift  für  XfftoiOQxt  unb  Stiv^t.  16.  ^a^rg.,  5.  *eft.  28 


894  liß  i  f  d^  e  r :  %a^  Seben  nad^  bem  (^ongeltutn. 

für  haS ,  xoa§  toir  ocrfäumt  ober  übel  getan  l^aben.  ©o  follen 
anä)  mir  unfern  9täc^ften  ©ergeben,  roie  unS  ber  l^immlifc^e  SBater 
unfcre  ©Bulben  ©ergeben  ^at  unb  ©ergibt,  unb  beffen  eingebenl 
fein,  ba§,  wenn  mir  unbarmherzig  finb,  ber  SBater  im  ^immel 
aud^  un§  jur  JRec^enfc^aft  jiel^en  wirb. 

@o  ift  e§  ber  gemaltige  ®otte§gIaube,  ber  3fcfu§  bie  SEBelt 
unb  bie  SReufd^en  nur  in  i^rer  ^ejie^ung  )u  ®ott  betrauten  lä^t. 
Unb  er  gibt  feinen  SBorten  ben  Qn^alt,  ber  e§  unS  fcbmer,  jo 
unmöglid^  erfc^einen  lä^t,  ein  fieben  na^  bem  ^©angelium  ju 
führen.  SWan  \)tbt  meift  nur  bie  SWal^nungen,  bie  geinbe  ju  He» 
ben,  fic^  nic^t  ju  rächen  für  erlittene  UnbiD,  fxd)  nic^t  abjumcn» 
ben  ©on  bem  93ittenben  u.  f.  m.  ^er©or,  atö  ob  bie  ©c^roierigfeit, 
na^  bem  (Snangeüum  ju  leben,  gerabe  ^ier  am  beutßd^ften  ju 
Jage  trete.  2lber  no^  ©iel  gewaltiger  tut  fic^  ©or  un§  bie  Äluft 
auf,  bie  unfere  ©tellung  jur  SEBelt  unb  ben  SRenfc^en,  unfere  3luf * 
faffung  be§  ßeben§  ©on  ber  ^f^fu  trennt,  menn  mir  ba§  SEBort 
©on  ben  ©perlingen  nic^t  blo|  gebantenlo§  nad)fc^roa^en,  fonbem 
e§  un§  mirfli^  anjueignen  ©crfuc^en,  e§  in  allen  feinen  Äonfe« 
quenjen  ausbeuten.  3)ann  erfennen  mir:  ber  roa^re  @runb, 
warum  unS  ein  ßeben  na^  bem  ©oangelium  ate  gänjlid^  un* 
mögli^  erfc^eint,  ift  ber,  ba§  mir  ben  ©ottegglauben  nid^t  be- 
fi^en,  in  bem  biefeö  95Bort  gefpro^en  ifi.  9li^t  bie  SBelt  ift  an^ 
ber§  geworben  unb  bie  Seben§©er^ältniffe  ©crmidfelter.  Ober  mö^ 
gen  fte  anbcre  geworben  fein  in  bem  Zeitalter  ber  2)ampfmaf(^i» 
neu  unb  ber  (Sleftrigität,  fo  liegt  bo^  ber  le^te,  eigentliche  ®runb, 
warum  wir  bie  ©tellung  Q^fw  nic^t  einnehmen  fönnen  unb  woUen, 
ni^t  barin.  3)er  @runb  ift  ber,  ba§  wir  feinen  ®lauben  ni(^t 
ju  teilen  ©ermögen.  Unb  e§  war  ganj  berfelbe  @runb,  ber  ben 
^^ariffier  in  3efu§  ben  gefäl^rlic^en  95olI§©erfü^rer  feigen  lie§, 
berfelbe  ®runb,  ber  ber  politifc^en  Srwägung  ju  ©runbe  lag: 
e§  ift  beffer,  ba§  ein  SWenf^  fterbe,  al§  ba§  ba§  ganje  SBolf  ©er« 
berbe. 

SEBir  ©ermögen  ben  ®lauben  nid^t  ju  faffen,  au§  bem  ^erauS 
bie  SBorte  gefpro^en  ftnb.  SBol^l  ift  weit  über  ben  ÄreiS  berer 
^inau§,  bie  fid^  ju  ber  c^riftlic^en  Äir^e  rennen,  ber  ®laube  an 
ein  göttli^eS  SEBefen  ©orl^anben.    ^a  man  barf  getroft  annehmen. 


SJifd^er:  %a^  öeben  nac^  bcm  ©oangetium.  896 

ba§  fclbft  bic,  lücld^e  fi^  mit  bem  2Wunbc  afö  STtl^eiftcn  bcfcn^ 
ncn,  im  inncrftcn  ^crjcn^grunbc  ftd^  in  irgcnb  einer  Sffieife  oon 
einer  I)ö^ern,  hinter  ber  SBelt  ftel^enben  3Wa^t  abhängig  fül^Ien. 
3Ber  ®ott  üemeint,  oerneint  im  ©runbe  ftetg  nur  eine  beftimmte 
9Sorfteüung  x)on  ®ott,  oerncint  ben  @ott,  an  ben  er  ju  glauben 
erjogen  roorben  ift,  ben  @ott  feiner  ^lac^barn,  ben  ®ott  ber  Jfir* 
c^en.  2lber  neben  biefem  Olauben  an  bie  götUid^e  fieitung  unb 
Ißorfel^ung,  ber  fi^  überall  in  einem  gemiffen  ÜJlafee  finbet,  ift  bie 
materialiftifc^e,  bie  SEBett  entgöttlic^enbe  SlBeltbetra^tung  au^  tief 
in  bie  c^riftlic^en  Jlreife  ^ineingebrungen.  Unb  mir  alle  laffen 
un§  oiel  me^r  oon  i^r  leiten,  al§  mir  un§  beraubt  fmb.  Sitten 
mir  genau  auf  unfer  Sßerl^alten  im  täglichen  ßeben,  im  ©efd^äft, 
in  5lranf]^eiten,  angepc^t^  oon  Unfällen,  in  ber  93eurteilung  ber 
öffentlichen  ®inge !  93erglcic^en  mir  bie  oon  ©Triften  gef^riebenen 
Leitungen  mit  anbern  93lättern.  SSJie  jum  Sßermec^feln  ä^nlic^ 
ift  boc^  meift  ba§  93ene]^men  unb  ba§  Urteil  be§  ©l^riften,  beffen^ 
ber  fi^  al§  ©Triften  betennt  unb  e§  aufri^tig  fein  miH,  unb  bef^ 
f en,  ben  mir  al§  9lic^tc^riften,  als  2ltl^eiften,  al§  Reiben  betrad^ten ! 
Un§  allen  ift  bie  SßorfteHung,  ba^  ba§  SBeltgetriebe  baS  (Ergebnis 
oon  Kraft  unb  ©toff  fei,  ba§  junger  unb  Siebe  bie  2Wäc^te  feien, 
bie  ba§  3JJenfc^enlcben  regieren,  fo  in  ^I^ifd^  unb  93lut  überge* 
gangen,  ba|  mir  in  oielen  ^äütn  aui)  o^ne  meitere§  nad^  biefer 
Ueberjeugung  ^anbeln,  mögen  mir  unig  auc^  noc^  fe^r  mit  bem 
3Äunbe  JU  entgegengefe^ten  Ucberjeugungen  befennen  unb  beS  gu= 
ten  @lauben§  fein,  bag  biefeS  33cfenntni§  mirtli^  unferer  inner« 
ften  Ueberjeugung  entfpred)e. 

®§  ift  ba§  Siecht  9laumann§  auf  biefe  Slatfa^e  ^injumei- 
fen  unb  ben  SBiberfpruc^  aufjubecfen,  ber  jmifc^en  unferm  ^an* 
beln  unb  einem  üom  ©eifte  S^rifti  be^errfc^ten  fieben  befte^t. 
Unb  menn  er  au§  ber  ^rajiS  bie  2:^eorie  jie^t,  menn  er  fagt: 
„e§  gilt  ®^rift  ju  fein,  fo  oiel  unb  fo  gut  e§  in  biefer  Sffielt  mög* 
lic^  ift,  man  mu^  barauf  oerji^ten,  nur  c^riftlic^e  SKotioe  ju  ^a* 
ben,  fonbern  man  f)at  fie  neben  anbern",  fo  motten  mir  un§  ju* 
tiäc^ft  ber  ®^rlic^teit  freuen,  bie  ftc^  barin  au§fpric^t.  ®^rlic^e§ 
@ingeftanbni§  einer  9lot  ift  ftet§  eine  ©runbbebingung,  baoon  frei 
JU  merben. 

28* 


396  $  i  f  d)  e  r :  %a^  Seben  noc^  bem  (^angelium. 

@§  fragt  fic^  frciUd^,  ob  wir  ein  SRc^t  ^aben,  3iü"8^i^  3fcfw 
ju  ^cifecn,  TOenn  loir  eS  für  unmögli^  crtlärcn,  feinen  ©otteS« 
glauben  au^  in  ber  ©egenroart  feftjul^atten.  ®en)i§,  e§  war  ein 
^[rrtum,  wenn  man  oerfannte,  ba§  3tcfu^  i>i«  Äinbf^aft  @otte§  in 
Oaliläa  prebigte,  unb  bag  bie  ganje  ^^rm  feiner  SJerfflnbigung 
babur^  beftimmt  ift  galiläif^e  fiofalfarbe  trägt.  SEBir  aße  ^aben 
un§  ^eute  baran  geroö^nt,  man^e§  al§  jeitgefc^i(^tlid)e  ^^rm  an* 
jufe^en,  bie  n)ir  o^ne  weitere^  preisgeben.  3lud|  bie  Äonferoa^ 
tioften  unter  un§.  ©o  \)at  un§  @ott  bur^  bie  ©efd^ic^te  felber 
gelehrt,  ba§  bie  @rn)artung  be§  na^en  SEBeltenbe§  ein  ^fnrtum  roar. 
9lber  wenn  mir  au^  bie  jeitgefc^ic^tUc^e  Jö^bung,  in  ber  un§  ber 
@otteSgIaube ,  ber  ünblic^e  @laube  an  bie  älQmac^t  ©otteiS  ent< 
gegentritt,  al§  vergängliche  gorm  preisgeben,  wenn  fidi  unfere 
Hoffnung  auf  ben  enblid)cn  ©ieg  be§  ©otteSrei^eS  in  ein  anbereS 
®en)anb  fleibet,  ben  ©ottcSglauben  Qefu  fetbft  tonnen  roir  ni^t 
als  eine  fc^öne  aber  unhaltbare  Säufdjung  erflären,  ol^ne  3»cfuS 
felber  preiSjugeben. 

fiägt  fi^  nun  aber  mit  ^t^n  ©otteSglauben  unb  ben  Äonfe» 
quenjen,  bie  er  barauS  jie^t,  in  ber  3GBeIt  leben,  ja  bürfen  mir 
bamac^  leben? 

5. 

©teilen  mir,  beoor  mir  biefe  5^oge  gu  beantmorten  ©er* 
fuc^en,  junä^ft  mit  aller  Sntfc^ieben^eit  baS  feft,  bag  baS  im 
©lauben  ©efproc^ene  {ebenfalls  nur  bem  ©lauben  gilt.  Unb  ma« 
c^en  mir  unS  flar,  maS  baS  l^eifet. 

3fefuS  ^anbelt  unb  fpri^t  im  93lic!  auf  bie  !ommenbe  SBelt. 
3fft  auci  bie  SGJelt,  bie  befielt,  baS  SBert  beS  ^immlif^en  SBaterS, 
bef(^ienen  x)on  feiner  ©onne,  fo  ftel^t  bo^  baS  SRei^  ©otteS  erft 
noc^  beoor,  unb  mir  foHen  barum  beten,  ba§  eS  balb  fomme. 
®iefer  ©laubc  ift  ber  ©runbton,  ber  burc^  aUeS ,  maS  er  fagt, 
^inbur^flingt.  @r  lä§t  ftc^  ni^t  oon  3f^fu  SEBorten  trennen,  o^ne 
ba§  man  i^nen  i^re  SSSirfung  nimmt. 

ü)]an  ^at  auc^  in  fold)en  Äreifen,  bie  an  bem  d^riftlic^en  ©lau» 
ben  irre  gemorben  maten,  gemeint,  roenigftenS  an  ber  cfariftlic^en 
©t^if  feftl)alten  ju  tonnen.    Unb  Seute,  bie  baS  ®l|riftentum  als 


^  t  f  d^  e  r :  %a^  lieben  noc^  bem  ^ongelium.  397 

aicligion  oerroarfcn,  glaubten  boc^,  ba§  bic  c^riftlic^c  SWoral  in 
i^rcn  ^auptforbcrungen  ba§  9lid)tigc  träfe,  unb  fic  fachten  bicfen 
gotberungen  eine  religion^lofe  SBcgrünbung  ju  geben  unb  ju  itu 
gen,  bafe  fie  erft  nun  roirtlic^  überjeugenb  geworben  feien.  ®a§ 
mar  ein  gewaltiger  Q^tum.  ®urd^au§  mit  SRec^t  fagt  9t ie^« 
fc^e:  „©ie  fmb  ben  ^riftlidjen  ®ott  Io§  unb  glauben  nun  um 
fo  me^r  bie  djriftlic^e  2Woral  feft^atten  ju  muffen  ....  ^ür  un§ 
anbere  ftel)t  e§  anber§:  menn  man  ben  cftriftli(^en  ©tauben  auf»' 
gibt,  jie^t  man  ftd^  bamit  ba§  Siecht  jur  d)riftlic^en  ÜJloral  unter 
ben  gü§en  roeg.  .  .  ®a§  ©^riftentum  ift  ein  ©Aftern,  eine  jufam* 
mengebac^te  unb  ganje  Slnfi^t  ber  ®inge.  93ri^t  man  i^m 
einen  ^auptbegriff,  ben  ©lauben  an  @ott,  ^erau§,  fo  jerbric^t 
man  bamit  auc^  ba§  ©anje." 

®ie  gorberungen  be§  ©oangeliumS  ^aben  nur  für  ben  einen 
Sinn,  ber  ben  ©lauben  Qefu  teilt,  bem  ba§  ©üangelium  mirf* 
lic^  eine  fro^e  ©otfc^aft  ift.  ©tel^t  bie  SEBelt  nic^t  unter  ber  fort- 
roä^renben,  unmittelbaren  ßeitung  einer  SWac^t,  bie  ba§  ©Ute  jum 
©iege  fü^rt  unb  in  oäterli^er  Siebe  über  jebem  einjelnen  3Ren* 
fcl)en  ma^t,  gibt  e§  für  bie  SWenfc^enmelt  feine  anberen  QkU  al§ 
ba§,  xoa§  fid)  in  biefer  SBelt  erreichen  lä^t,  bann  fd^minbet  ni^t 
nur  ber  SÄut,  fonbern  auc^  ba§  9led^t,  unbetümmert  um  ba§, 
roa^  oor  2lugen  liegt,  nac^  bem  ©oangelium  ju  leben.  9lic^t  etma 
be^^alb,  meil  nun  bie  2lu§fic^t  auf  ben  „ßot|n"  fehlte,  fonbern 
roeil  fid)  bic  2lufgaben,  bie  mir  unferm  ^anbeln  ftetlen,  nac^  ber 
53eftimmung  ber  3Belt  unb  be§  3Wenfc^en  rieten  muffen.  3Wand)e 
gorberungen  be§  Soangelium^  ftänben  bann  aber  fo  fe^r  im  äBi* 
berfpruc^  }u  bem  Sinn  be§  ßeben§,  mie  i^n  bic  tägliche  ©rfa^rung 
lehrte,  ba|  mir  i^re  93eobad)tung  aU  unoemünftig  unb  fo  fc^licg» 
lic^  auc^  al^  unftttli^  beurteilen  müßten.  ®er  beftc  93emei§  bafür 
ift  bie  Jatfad^e ,  bafe  man  ba ,  mo  man  lebiglic^  an  ber  SBer- 
binblic^teit  ber  fittlic^en  Jorberung  feft^altcn  miK,  ben  ^riftli^en 
©lauben  aber  al§  einen  SDBa^n  preisgibt,  ganj  oon  felber  alfmä^^ 
lic^  auc^  bie  ^flic^ten  ^eruntcrfd)raubt,  bic  ftttlic^en  Qbealc  be§ 
®t|riftentum§  preisgibt.  ®§  lie^e  fiel)  ba§  befonberg  an  ber  Sttuf^ 
faffung  be§  §umanität§gebantcn§  unb  ber  Stellung  jum  Selbft* 
morbe  beutli^  nad)mei|en. 


898  35tfd|er:  %aS  Scben  nad&  bem  ©oanflelium. 

@o  tann  e§  un§  auc^  nic^t  rounbcrncl^men,  rocnn  ba§  SBer!^ 
ba§  bie  ÜJliffton  treibt,  immer  mieber  auf  l^eftigen  SBiberftanb 
ftögt,  menn  ge^ö^nt  ober  getobt  wirb  über  eine  SBirtfamteit  unter 
fremben  SBöltern,  bie  bie  Ueberjeugung  jur  Sßorau^fe^ung  f^at, 
ba§  Quc^  fie  ®otte§!inbcr  fmb.  3Wöc^ten  fic^  boc^  bie  SWiffionare 
ftet§  an  ba§  SEBort  erinnern:  SlBe^e,  menn  fie  eu^  mo^treben! 
9lur  mit  93ebauern  lann  man  eine  UJerteibigung  lefen,  bie  na^roeift^ 
bafebie  SWiffionare  e§  ftet§  für  eine  ^auplpflic^t  anfeilen,  bie^eiben^ 
unter  benen  fie  mirfen,  ju  richtigen  3)eutfd^en,  granjofen  u.  f.  ro, 
ju  mad)en.  Sld^  bie  gjerfudf)ung,  bie  ben  3Wiffionaren  bro^t,  ift 
nic^t  bie,  ju  wenig,  fonbem  im  ©egenteil  ju  oiel  einjuge^en  auf 
bie  nationalen  Prätentionen  ber  ©uropäer.  ^6)  fage  ba§  n\ä)t, 
um  einen  SSorrourf  ju  erl^eben,  fonbern  nur,  um  an  einem  93ei* 
fpiete  }u  jcigen,  wie  bie  Stellung  jum  ÜJlitmcnfc^en,  bie  fi^  au8 
bem  c^riftlic^en  ©lauben  ergibt,  bem  al§  2^or^eit  erfc^cinen  mu§, 
ber  biefen  ©lauben  nic^t  teilt. 

S)ie  SBorte  ^efu  fmb  an  ßeute  gerid^tet,  bie  bem  @t)ange» 
lium  ©laubcn  fc^enfen.  @ie  menben  ftcft  an  bie  ^^üngergemeinbe. 
Slud^  ba^  ift  in  93etrac^t  ju  gießen,  mill  man  i^nen  nic^t  einen 
iSinn  geben,  ber  i^nen  ooBftänbig  fremb  ift.  ©ie  rooUcn  auc^ 
für  bie  jünger  fein  ®efe^  fein.  9ioc^  weniger  aber  ftnb  fie 
SRegeln,  nac^  benen  gemaltfam  bie  Orbnung  aufeer^alb  ber  Qün^ 
gergemeinbe  ^erjuftellen  märe.  SBorte  wie  ba^  über  bie  @^efc^ei* 
bung,  ben  @ib  u.  f.  ro.  ftetlen  nidjt  ®runbfä§e  für  bie  öffentliche 
©efe^gebung  auf.  ©leic^  roie  üWofe§  um  ber  ^erjen§^ärtigfeit 
loiUen  geftatten  mu|te,  bie  grauen  ju  entlaffen,  fo  mirb  auc^  ^eute 
ber  @taat  fo  lange  nic^t  auf  ä^nlic^e  33eftimmungen,  bie  mit  ber 
menfc^lic^en  ©c^roä^e  unb  93o§^eit  rechnen,  üerjic^ten  tonnen,  als 
nid^t  bie  ganje  SWenfd^l^eit  ober  boc^  alle  feine  3lnge]^örigen  oom 
®eifte  ©l^rifti  regiert  werben.  ®a§  ift  o^ne  weitere^  flar  unb 
wirb  roo^l  auc^  faum  beftritten  werben,  fo  ba|  e^  nid^t  weiter 
auggefül^rt  ju  werben  braud)t.  Unb  ber  ®l)rift,  ber  al§  ©taatS* 
mann  unb  9ti^ter  berartige  ©efe^e  erläßt  unb  au^fül)rt,  l^anbelt 
bamit  nic^t  gegen  ba§  ®Dongelium.  ®a§  ift  gegenüber  Solftoj 
geltenb  ju  mad)en.  SBol^t  befi^en  wir  fein  Söort  Q^\u,  baS  mit 
ber  ajlögtic^feit  rechnet,   ba|  dtiriften  in  folc^er  Stellung   tätig 


lißif  c^er:  ^od  Seben  nad^  bem  ©oangelium.  899 

feien.  3)a§  aber  ha,  wo  man  nic^t  na^  freier  SDSa^I  baS  fieben 
nac^  bem  @DangeUum  ju  fül^ren  unternimmt,  anbere  @efe^e  ^err« 
fc^en  muffen,  ift  eine  Sffial^rl^eit,  bie  un§  @ott  felber  leiert,  ©c^on 
^13aulu§  fäKt  c§  nic^t  ein,  ba§  il^m  mol^lbetannte  SlBort  ^efu  über 
bie  Untrennbarfeit  ber  @^e  aud^  auf  fol^e  ®^en  anjuroenben,  mo 
roenigftenS  ber  eine  2:eil  gläubig  ift.  9lac^bem  er  im  erften  Äor. 
7,  10  gefd^rieben  ^at:  ben  (S^epaaren  gebiete  nic^t  ic^,  fonbern 
ber  ^err,  bafe  fid)  bie  %xa\x  oon  i^rem  2Wanne  ni^t  trennen  foK, 
fä^rt  er  fort:  ben  Uebrigen  fage  ic^,  nid^t  ber  ^err:  menn  ein 
93ruber  eine  ungläubige  %XQn  \)at,  unb  biefe  milligt  ein,  mit  i^m 
ju  leben,  fo  foD  er  nic^t  oon  i^r  laffen  .  . .  S33enn  fic^  aber  ber 
ungläubige  Seil  loSfagen  mitl,  fo  foll  er  e§  tun.  SBruber  unb 
©c^mefier  fmb  in  folc^en  fällen  nic^t  gebunben.  @ie  foDen  gar 
feinen  SJerfuc^  ma^en,  ben  anbem  Seit  ju  l^atten.  ©^on  inner» 
^alb  ber  ©liriftengemeinbe  felber  oerji^tet  er  barauf,  bie  ibeale 
gorberung  gemaltfam  burd^jufe^en.  Unb  in  ber  Sat  ^ei^t  e§ 
aud)  ^ier :   alleö,  mag  nic^t  au^  bem  ©lauben  f ommt,  ift  ©ünbe. 

3)a§  Seben  nac^  bem  (äoangelium  ift  ein  Seben  im  ©lauben. 
Unb  nid^t  blo§  oon  bem  einen  SBorte  gilt:  nid^t  alle  f äffen  e§, 
fonbern  bie,  benen  e§  gegeben  ift.  ®^  ift  ein  ßeben  gegen  ben 
©c^ein.  Unb  nid^t  immer  befommt  ber  f^on  auf  biefer  SBelt 
rec^t,  ber  bamac^  lebt.  Unb  3^fu§/  ^^^  i>ö^  SBort  oon  ben  ©per* 
lingen  gefproc^en  \)at,  beren  feiner  o^ne  ben  SBillen  be^  ^immli' 
fd)en  Sßaterö  oom  ®ac^e  fäUt,  oon  ben  paaren  unfereS  ^aupteS, 
bie  alle  gejault  finb,  ^at  am  Äreuje  fein  irbifc^e§  Seben  geenbet. 
äßer  möd^te  aber  bel^aupten,  ba§  er  angefic^tS  be§  Sobe^  iene§ 
SBort  ni(^t  gefproc^en  ^ätte?  ^at  er  bod^  aud)  ben  Job  als 
bittem  ^el^  au§  be§  ^immlif^en  SBatcr^  ^anb  angenommen. 

Sticht  nur  mem  irbifc^e  SBo^lfa^rt  ba^  ^öc^fte  ^i^l  ift  niufe 
ba§  teoangelium  oermerfen.  2lu(^  loer  in  braoer  S^rlic^feit  bie 
gro§e  SWittelftra^e  ju  ge^en  münfc^t,  o^ne  grobe  Uebertretungen 
ber  göttli^en  ©ebote  ju  begeben,  aber  auc^  o^ne  fic^  gro§  in  2Bi* 
berfpru^  ju  fe^en  ju  bem,  roa§  bei  ber  SWenge  SRec^t  unb  Srauc^ 
ift,  wirb  fic^  fagen  muffen,  ba§  er  in  ber  %at  barauf  oerjid)tet 
\)ai,  fid)  in  aücn  S)ingen  hnxä)  ba§  ©oangetium  leiten  ju  laffen. 
Unb  mer  unter  un§  magt  ju  behaupten,  ba§  bie§  nic^t  auc^  oon 


400  SB  i  f  d^  e  r :  %a^  Seben  nad)  betn  ©oongenum. 

i^m  gilt.  SBer  Don  un^  oUen,  ni^t  blo^  bie  ©efd^aft^Ieute^  bie 
^änblcr  unb  ^anbroertcr,  bie  ©taatömänncr  unb  fSRilit&x^,  and) 
wir  2:l)coto9cn,  loir  fieiter  unb  @eclf orger  ber  ©emeinben^  mir 
Pfarrer  unb  ^rofefforen,  niu§  nic^t  geftc^cn,  ba§  er  immer  mie^ 
ber  nad)  bem  Sa^e  9laumann§  ^anbelt:  ic^  roiH  S^rift  fein, 
f 0  oiel  unb  f o  gut  e§  in  bief er  SEBelt  mögli^  ift  ?  ®a§  er  immer 
mieber  barauf  oerjid^tet,  nur  ^riftli^e  2Wotioe  ju  ^aben,  fonbem 
fte  neben  anbern  ^at? 

3)ie  SWoral  be§  ©oangeUumg  ift  eine  l^croifc^e  3MoraI.  (5§ 
ift  eine  rid^tige  @rfenntni§,  wenn  bie§  in  ber  ©cgenmart  mieber 
entfc^ieben  betont  wirb.  Unb  biefe  rid)tige  ©rfenntniö  lag  ber 
oiet  gefc^oltenen  Sd^eibung  ber  tat^olifi^en  S^riftenl^cit  in  jmei 
Klaffen  ju  Orunbe.  Unb  e§  fragt  fic^  oietleic^t  noc^,  mer  bem 
©oangelium  me^r  ©emalt  antut:  3)er,  melier  in  ber  @rtenntni§, 
ba§  ftet§  nur  menige  ben  ©tauben  befi^en,  ben  ba§  @oangelium 
oorau^fe^t,  bie  Unfä^igteit  ber  großen  ÜJlenge  ju  einem  Seben 
na^  bem  (Soangelium  offen  eingeftel^t,  ober  ber,  melier  au§ 
bem  ©oangelium  eine  SInmeifung  mac^t,  mie  man  in  @^ren  unb 
2ßot)lftanb  grau  merben  unb  juglei^  t)a^  emige  £eben  erlangen 
fann.  3)a§  fieben  nac^  bem  ©oangelium  ift  ein  fieben  roiber  ben 
©c^ein  unb  barum  ein  Seben  ber  ©elbftperleugnung,  ein  freimil^ 
Iige§  2:ragen  be§  Äreuje^.  @in  ^eroifc^e§  fieben,  ba§,  fo  lange 
bie  ®rbe  beftrf)en  mirb,  ftet§  nur  oon  wenigen  gelebt  werben  wirb. 
^a  aud)  nur  ber  crnftlic^e  Sßerfu^,  biefe§  Seben  ju  führen,  wirb 
ftet§  nur  oon  wenigen  gemacht  werben.  3)a§  füllen  wir  alle, 
unb  fein  einjiger  oon  un§  wirb  auf  ©runb  feineö  wirflid)  gefül^r* 
ten  ßeben^  9laumann  wiberlegen  fönnen. 

aber  —  ba§  ift  nun  bie  wid^tige  JJrage  —  ift  ba§  nun  aud^ 
rec^t  f 0  ?  Äönnen  unb  bürfen  wir  gar  ni(^t  ein  ootle§  Seben  nac^ 
bem  @oangelium  führen?  Qft  e§  gar  nic^t  wünf^en§wert ,  ba§ 
rec^t  oiele  ©lieber  einer  ©emeinfc^aft,  einei§  93olte§,  re^t  oiele 
©Itern  unb  Äinber,  rec^t  oiele  ©efc^äft^leute  unb  93eamte  bemüht 
fmb,  fic^  in  i^rcm  ganjen  ätben  oon  d^riftlic^en  2Wotioen  leiten 
JU  laffen?  aJlü^te  bie  menfc^lid^e  ©cfeKfc^aft  ju  ©runbe  gelten, 
wenn  alle  i^re  Slngeliörigen  ganje  S^riften  wären ,  müßten  bie 
Kräfte  brac^  liegen,  bie  ©aben  oerfümmem,  bie  boc^  gerabe  nac^ 


^if  d^er:  %a^  Seben  nad^  bem  (^angelium.  401 

d^riftttc^cm  ©tauben  ®ott  fclbft  in  btc  aWenfc^l^eit  unb  bie  @rbe 
gelegt  ^at? 

6. 

®ie  5rage  roare  bann  ju  bejal^en,  wenn  bie  2luffaffung 
be^  (Spangelium^ ,  bie  feit  @^open^auer  immer  n)ieber 
al§  fetbftDerftänbUc^  auftritt,  unb  bie  aud^  bei  9laumann  bur^«* 
Hingt,  Siecht  ^ätte.  9lber  fo  richtig  e§  ift,  wenn  ba§  ^eroif^e 
be$  @oangeIium§  betont  n)irb,  fo  einfeitig  ift,  barau^  oor  allem 
ben  ^eroiSmuS  ber  Sntfagung  ]^erau§  gu  ^ören.  ®er  ®laube 
an  ba§  @oangelium  mac^t  energifc^e  älrbeit  in  unb  an  ber  äBelt 
nid^t  unmöglich,  ebenfo  wenig  ein  mannhaftes  tapferes  93ene^men 
im  aSertel^r  mit  bem  9läd^ften.  SBir  finb  im  ©egenteil  ju  beibem 
befto  gefc^icfter,  je  me^r  in  un§  etroaS  oon  bem  ©ottoertrauen 
3efu  e^rifti  lebt. 

©0  fc^r  bie  Uebergeugung  oon  ber  aSergänglid^teit  biefer 
aOBelt  unb  bie  Hoffnung  auf  einen  neuen  ^immel  unb  eine  neue 
®rbe  bur^  alle  SBorte  3»^fu  ^inbur^flingt ,  auc^  ba,  roo  unfer 
an  ben  3Bcltlärm  gcmö^nteS  D^r  fte  nid^t  oernimmt,  fo  ifi  bcn=* 
noc^  nic^t  rid^tig,  baJ5  bem  3»önger  3»^fw  f«i"«  anbere  (Stellung 
gur  SQSelt  gejieme  als  bie,  ftc^  fo  meit  als  immer  nur  möglich  oon 
allem  S-tbifd^en  loSjulöfen,  bie  gegenwärtige  ©rbe  mit  allen  i^rcn 
3uftänben,  Orbnungen  unb  ©inric^tungen  preiszugeben  unb  in 
ftiltcr  öefc^aulid^feit  i^r  ©nbe  ju  erwarten  unb  ft^  auf  bie  gu* 
lünftige  oorgubcrcitcn.  ©en)i|  biefc  Äonfequeng  ift  gcgogen  mor« 
ben.  SBor  aUem  im  SWönd^tum.  Slber  f^on  bie  Stellung  beS  Ur* 
c^riftentumS  gur  aSSelt  ift  nic^t  einfad^  bem  roettmüben  ^effimiS* 
muS,  in  ben  bie  Sulturfd^märmcrei  immer  mieber  umf^lägt,  glei^- 
gufe^en.  ©S  fpric^t  ftc^  —  wie  nic^t  überfeinen  werben  barf  — 
eine  gewaltige  SebenSbeja^ung  barin  auS,  baJ5  aUerbingS  baS  SSer* 
ge^en  ber  bisherigen  ©r&c  erwartet,  ni^t  aber  auf  ein  im  91ebcl 
oerfd^wimmenbeS  ^enfeitS,  oielmel^r  auf  eine  neue  ©rbe  gehofft 
wirb  unb  auf  bie  Sluferfte^ung  bcS  ficibeS,  wenn  aud^  ein  2lufer* 
fielen  in  einer  neuen  ooDfommeneren  ©eftalt. 

®S  ift  ein  ^ftrtum,  wenn  man  immer  wicber  aufS  neue,  auc^ 
aiaumann,  in  SWitleib  unb  Äeuf^^eit,  ©nt^altfamfeit  unb  ber 


402  $  t  f  d^  e  r :  %aS  fieben  nad^  bem  ^ongelium. 

gä^igfcii,  Seiben  unb  öeleibigungen  gebutbig  ju  ertragen,  bte  ^ole 
eoangelifd^er  ©ittlic^fett  fie^t.  ^n  lauter  paffioen  Sugcnben.  SBie 
ganj  anber^  mü|te  ba§  SSilb  ^z^\x  au^fe^en ,  al§  e§  un§  in  ben 
Soangelien  entgegentritt  ?  @o  etroa,  n)ie  e§  un§  gejeic^net  wirb  in 
fü^li^en  aSitbem  ber  gebcr  unb  be§  ^infelö.  ffield^  eine  Kluft  liegt 
aber  groifc^en  bem  fanften  unb  bulbenben  3>^fw^  biefer  93ilber,  bem 
6^riftu§  mit  bem  gefd^eitelten  Soden^aupte,  bem  fü^en  ölümelein 
unb  93ruber  Sämmlein  ber  3iwjß"i>örffc^en  fiieber  unb  ber  ernften, 
gerben  ©eftalt  ber  brei  erften  Soangelien!  S)em  3>ßfu§,  ber  ge« 
jürnt  ^at,  roie  wenige  3Wenfd^en  ju  jümen  imftanbe  ftnb,  ber  fei« 
neu  ^ünflß^  ©atan  gefc^olten,  feinen  Sanbeöfürften  einen  guc^§ 
unb  ben  frommen  unb  SRe^tgläubigen  oorgeroorfen  ^at:  9Be^c 
euc^,  i^r  ©c^riftgele^rten  unb  ^^arifäer,  i^r  ^euc^ler,  ba§  il^r 
ba§  SReic^  ber  ^immet  jufd^tiegt  cor  ben  SWenf^en;  benn  i^r 
tommt  nic^t  l^inein  unb  Ia|t  aud^  anbere  nid^t  ^inetntommen,  bie 
I)ineinge]^en  motten.  3Be^e  eud^,  i^r  ^euc^ler,  ba§  i^r  3Weer  unb 
Sanb  burc^ftreifet,  um  einen  einzigen  ^rofelpten  ju  ma^en;  unb 
wirb  er  e§,  fo  mac^t  i^r  au§  i^m  einen  ©o^n  ber  ^ötte  jroeimaC 
fo  arg  al§  i^r.  3Bie  wenig  ^at  er  fx6)  banor  gehütet,  ju  nerle^en 
unb  an§ufto|en,  wie  mutig  unb  unbefümmert  um  bie  golgen  ben 
Kampf  geführt  gegen  atte  abftc^tlic^e  unb  unabpc^tlt^e  Süge! 
aSSelc^e  ©nergie,  meiere  greube,  ju  mirfen,  fo  lange  e§  Sag  ift, 
meiere  2lu§nü§ung  ber  Qzxt  unb  ber  non  @ott  gegebenen  Ärafte! 
Unb  auc^  feine  ©tettung  jum  Seiben,  mie  anber§  tft  fie  al§  bie 
atter  berer,  proteftantifc^er  unb  fat^olifd^er  |)eiliger,  bie  «^  ate 
Oefd^enf  ®otte§  begrüben,  ja  e§  rool^I  gar  felber  l^erbeifü^ren. 
SEBie  ^at  er  energifd^  ben  Kampf  bagegen  aufgenommen  unb  ben 
aWü^feligen  unb  33elabenen,  bie  er  ju  fid^  rief,  nic^t  blog  geiftlic^c 
^ilfe  gebracht.  aBie  wenig  ^at  er  fic^  aber  auc^  ba,  mo  er  ben 
Seibenben  geholfen  ^at,  non  fc^mäc^ltc^em  SWttleibe  leiten  laffcn 
unb  ftd^  nic^t  gefc^eut,  bie  mit  ftrengen  aOBorten  jurüdEjumeifen, 
bie  i^n  ju  oerloden  fc^ienen,  non  ber  i^m  Dorgejei^neten  93a^n 
abjumeic^en. 

Unb  au^  feine  aCBorte  werben  falfc^  oerftanben,  wenn  man 
ftetS  nur  bie  Jtegation  ^erau^^ört.  ©ewijg  er  fagt :  ©orget  nic^t, 
wenbe  bic^  nid)t  ab  oon  bem,  ber  bic^  bittet,  richtet  nic^t  u.  f.  w. 


^ifd^er:  %cS  Seben  na^  bem  (St^angelium.  403 

älber  bod^  ni^t  baiS  9tic^ttun  oon  irgenb  etiuaS  ifi  eiS,  loa^  bem 
SWenf^cnleben  in  feinen  äugen  ben  SBert  gibt.  S33ir  foDen  nic^t 
im  ^afd^en  nad)  irbifc^en  ©ütern  unfer  fieben  verlieren,  fonbern 
md)  bem  SReic^e  ®otte§  trauten.  Sflgir  foDen  bem  9iäd)ften  tun, 
n>a§  mir  mflnfd^en,  ba^  e^  unS  bie  fieute  tun.  ^e§^a(b  ftnb  aUe 
biefe  SBorte,  bie  mit  5lid^t  beginnen,  bo^  nur  bie  2lu§Iegung  ber 
pofttioen  ffieifung:  2;rac^tet  juerft  na6)  bem  SReic^e  @otte§  unb 
feiner  ©ere^tigfeit,  fo  roirb  euc^  aüe§  Uebrige  anfallen,  nur  ®r* 
läuterungen  ber  3Barnung:  SBaö  ^ülfe  e§  bem  SWenfc^en,  roenn 
er  bie  ganje  äBelt  gemänne  unb  ne^me  bod^  @c^aben  an  feiner 
©eele,  nur  2lnroenbungen  ber  großen  ©ebote:  S)u  foHft  @ott 
beinen  ^erm  lieben  oon  ganjem  ^erjen  unb  beinen  Stäc^ften  mie 
bic^  fetbft. 

©0  geigt  benn  and)  bie  Oefd^ic^te,  ba|  bie  SUlenfd^en  burc^* 
ani  nic^t  in  bem  3Wa|e,  in  bem  fie  ber  ®eift  (S^rifti  erfüllt, 
gleichgültiger  werben  gegen  bie  Slrbeit  in  ber  3Belt  unb  mutlofer 
im  aSerfe^re  mit  i^ren  ajlitmenfd^en.  9Wan  barf  im  ©egenteil 
fagen:  feft  unb  fidler  auf  biefer  @rbe  fann  nur  ber  fte^en,  ber 
mit  ^cfu§  an  eine  gufünftige  glaubt.  Saffen  ©ie  mid^  einen  un^ 
oerbäc^tigen  3«W9cn  anführen.  ® o e t ^ e  bemerf t  ju®cfermann: 
„^i)  mö^te  mit  fiorenjo  oon  SRebici  fagen,  bag  alle  biejenigen 
auc^  für  biefei^  fieben  tot  fmb,  bie  fein  anbereö  hoffen",  :3a 
e§  lie|e  ftd^  unf^mer  nac^roeifen,  bafe  aller  maljrer  gortfc^ritt  ju* 
fammen^ängt  mit  bem  ©lauben  an  QkU,  bie  jenfeitö  be§  ^v\>u 
fd^en  liegen. 

S)ie,  meiere  bie  93e^auptung  oertreten,  ba§  man  ^öc^ftenö 
nod^  auf  einjelnen  ©ebieten  al§  S^rift  leben  !önne,  ba§  Eingabe 
an  bie  non  ©ott  i^rem  SSolfe  gefteHten  Slufgaben  unoereinbar  fei 
mit  einem  fieben  na^  bem  ©oangelium,  fül^ren  gerne  ^i^mardCS 
Flamen  im  ÜWunbe.  2lber  gerabe  Sigmar  dt  ^at  mit  aller  @nt» 
fc^ieben^eit  befannt,  bafe  man  il^m  mit  bem  ©lauben  au^  ba§ 
aSaterlanb  genommen  ^ätte,  ba§  er  o^ne  feinen  ©lauben  niemals 
geworben  märe,  xoaS  er  mar.  3Belc^  ergreifenben  2lu§bnidt  ^at 
er  aber  feiner  Ueberjeugung  oon  ber  SBergänglid)feit  unb  ber 
©leid^gültigfeit  alle^  Qrbifc^en  oerlie^en!  Unb  bennod^  mit  me^ 
djer  unermüblic^en  Energie  ^at  er  fic^  um  alle  2lufgaben  feinet 


404  SB  i  f  cl^  c  r :  %a^  ßcben  nac^  bcm  ©oangclium. 

öcrufeS  gctümmert,  rocil  et  i^n  au§  ®ottc§  ^anb  na^nt!  Stbcr 
an6)  auf  bcm  ©ebictc  bcr  Sagiffenfd^aft,  ber  Runft  unb  bcr  Ztä)' 
nif  lücrben  bic  l^ö^ftcn  Qkh  nie  oon  bcm  ^eute  oiel  gepricfencn 
SHcaIi§mu§  erlangt  werben,  ni^t  oon  jener  materialiftif^en  aBelt*» 
betrad^tung,  bie  —  menn  fte  aud^  ®ott  nid^t  gänjltd^  negiert  — 
boc^  ein  egoiftifc^eS  ^anbeln  at§  notroenbig  unb  ba§  ©(Raffen 
materieller  aOSo^lfal^rt  aU  roic^tigfte  Slufgabe  anfielt  ')• 

3u  b  ief  er  ©eftnnung  fte^t  freiließ  baiS  ©oangelium  in  abfo* 
lutem  ®egenfa§.  Unb  eben  ba§  biefe  ©efmnung  bie  ganjeSBelt 
erfüUt,  bag  fie  ben  SBerfe^r  jmifc^en  ben  einjelnen  SWenf^en  mie 
ben  SJöIfern  be^errfc^t,  ba|  fte  unjä^Iigen  Einrichtungen  unb  @e» 
fe^en  ju  ©runbe  liegt,  mai^t  e§  un§  f^roer,  ja  oft  gerabeju  un- 
möglid^,  ba§  Seben  nac^  bem  ®oangeIium  ju  oerroirflic^en.  S)et 
Kaufmann  fann  oft  nic^t  fein  ©efd^äft  treiben,  o^ne  baburc^  bie 
Syiftenj  feinet  Äonturrenten  ju  ruinieren.  3)ie  ®in^eit  be§  einen 
95olte§  mu|  auf  Unfoften  be§  anbem  erlauft  werben.  Q^bem 
bie  Srfinbung  einer  neuen  SWafc^lne  einer  Keinen  9lnja^l  ben 
Äampf  um§  3)afein  erlei^tert,  beraubt  fte  eine  gro|e  3Wenge  i^rer 
bisherigen  ©inna^mSqueflen.  3)a§  ift  bie  9lot,  bie  Staumann 
ergreifenb  fc^ilbert.  3)ie  ©efcHfd^aft,  in  bcr  mir  leben,  ift  in  ber 
3:at  fo  bef^affen,  ba§  ber  einjelne,  ber  nac^  bem  ©ebote  3«fu 
feinen  Städ^ften  lieben  möchte  roie  fid)  felbft,  i^m  roe^  tun  muJ5, 
um  ftc^  felbft  ju  erhalten.  Unb  mir  alle  empfinben,  ba|  e§  ein 
Unrecht  toäre,  i^n,  ben  einjelnen,  obne  roeitcreS  bafur  oerant= 
mortlid)  }u  ma^en,  i^m  e§  al§  perfönlicf)e  ©^ulb  anjure^nen. 
®r  fann  nic^t  anber§  ^anbetn,  miH  er  fic^  in  feiner  Umgebung 
behaupten. 

2lber  —  unb  ba§  ift  nun  mieberum  bie  grage  —  follen  mir  biefe 
Satfac^e  ate  ein  UnglüdE  empfinben,  at§  bie  ©d^ulb,  menn  nic^t 
beS  einjelnen,  fo  boc^  ber  ganjen  SJlenfc^^eit,  aU  eine  Srbfc^ulb, 
unter  ber  au^  mir  feufjen,  ober  follen  mir  un§  i^r  al§  einem 
unabänbcrlic^en  5iaturgefe§e  beugen?  Können  mir  bem  Soange- 
lium,  baS  au§  bem  finblic^en  ©lauben  an  bie  allmächtige  aSater« 
liebe  ©otteS  geboren  ift,  oermöge  einer  beffern  unb  tie* 

1)  ^Jcrgl.  bie  intereffantcn  SluSfü^rungcn  btx  fjr.  SB.  g-ocrftcr,  a:ec^s 
nif  unb  ©t^if  (ßeipaig  1905)  ©.  16  ff. 


IBifd^er:  %aS  Seben  nac^  bem  ©oangelium.  405 

fetnSBelt^  unb  ®otte8crtcnntni§  ba§  @cfc§ be§  Äampfcö 
um§  3)Qfein  entgegenl^aUen ,  baS  ®efe^,  bajs  auf  ber  @rbe  baS 
SBo^t  bcä  einen  ftetö  nur  auf  Äoften  be§  anbem  erfauft  wirb, 
jeber  gortfc^ritt  ber  einen  für  bie  anbern  eine  9lieberlage  fein  mu§? 
SBenn  wir  jum  ©d^Iuffe  noc^  biefe  ^rage  ju  beantworten 
unternehmen,  fo  fte^t  —  x6)  n)et§  ba§  roo^l  —  ®fau6e  ©tauben 
gegenüber.  3lber  ein  ©taube,  ber  fic^  ebenfo  fe^r,  ja  mit  me^r 
Ste^t,  auf  bie  Satfac^en  berufen  fann  aU  bie  angebtid^  reatifti* 
fd^e  3Bettbetrad^tung,  bie  mit  bcn  beftc^enben  3i^ftäi^*>^"  öt§  un* 
abänberlic^en  rechnet. 

7. 

JBBo^er  fommt  c§,  ba|  ba§  ©oangetium  für  fo  üiete  Unbe* 
friebtgte  unb  Slottcibcnbe  ein  tecrer  ©c^alt  ift,  roä^rcnb  fte  fic^ 
bod^  fo  bereitmitlig  oon  jcber  nod)  fo  trügcrifd)en  Hoffnung  todEen, 
ftc^  fo  leicht  für  atle  mögtid^en  ^beatc  begeiftcrn  laffen? 

©ie  fe^en  im  ®oangelium  nur  bie  Äunbe  üon  etroaS,  baä 
oor  nun  batb  jrocitaufcnb  ^fö^ren  gcfd^c^cn  ift.  aSon  Sreigniffen, 
bie  oiettetd^t  einft  oon  ber  attergrö^ten  93ebcutung  geroefen  fmb, 
oon  ©reigniffcn,  beren  SBirfung  ftc^  nod^  bi§  in  bie  ©egenroart 
erftredEt.  Sro^  altebem  aber  bie  Äunbe  oon  etroaö,  ba§  ber  SSer« 
gangenl^eit  angehört,  ©ie  aber  feufjen  unb  ringen  unter  bem 
l^artcn  ®rudte  ber  ©egenmart  unb  flauen  in  ben  wenigen  furjen 
SlugenbtidEen,  mo  ber  Äampf  mit  ber  tägtic^en  9iot  nid)t  fieib 
unb  ©eete  gefangen  nimmt,  brennenben  2tuge§  in  bie  bunffe  3"' 
lunft  na^  Qtxdi^n  au§,  bie  bie  ©eftattung  neuer  befferer  3uftänbe 
üerl^eigcn.  ©ie  bei  ber  c^rifttic^en  Äirc^e  unb  i^rcr  93otfc^aft  ju 
fuc^cn,  baö  fommt  il^nen  ni^t  in  ben  ©inn. 

Unb  tonnen  mir  i^nen  bc^megen  einen  SJormurf  mad^en,  ja 
fönncn  mir  un§  überhaupt  nur  rounbern  barübcr,  ba§  bem  fo  ift, 
ba|  für  Unjä^lige  unter  unfern  3eitfl^"öffen,  ba|  für  bie  grojge 
aJlaffe  fpejietl  be§  arbeitenben  aSotfe^  ba§  ©oangetium  unter  ben 
2:atfad^cn,  an  benen  ftc^  ber  ©taube  an  eine  fc^önere  beffere  3"* 
fünft,  an  bie  ©rtöfung  au§  atl  i^rer  teibtic^en  unb  geiftigen  SRot 
emporranft,  feine  ©tetle  ^at  ?  <3ft  boc^  au^  für  bie  gro|e  SWc^r* 
ja^t  berer,  bie  fic^  ®t)riften  nennen,  ba§  ©oangelium  im  mefent^ 


406  $if(^er:  %aS  2ebtn  nac^  bem  (^angelium. 

Itd)cn  nur  bic  ©otf^aft  oon  bcr  @riö[ung,  bie  einft  3*fu§  doQ* 
bracht  ^at,  unb  bancbcn  noc^  bie  Hoffnung  auf  ein  in  ferner 
3)ämmcrun9  liegenbcS  3^enfeit§.  9lur  fpärlid^  unb  fd^road^  aber 
lebt  bie  Ucberjeugung,  bag  and)  für  bie  Umgeftaltung  biefer  ffielt 
im  ®oangeIium  Sßunberfräfte  Derborgen  liegen. 

SBir  ®I)riften  ^aben,  roenn  oietleic^t  ani)  noc^  nic^t  ade  in  ber 
S^eorie,  fo  boc^  äße  in  ber  ?ßrayiS  ju  rafc^  mit  ben  befte^enben 
Sßer^ältniffen  unb  ber  fie  rec^tfertigenben  brutalen  materialiftif^en 
SBeltanfd^auung  fapituliert.  Un§  ift  e§  felbftoerftänbli^,  ba|  im  aSer» 
fet)re  ber  aSölfer  miteinanber  ®en)alt  vox  Siedet  ge^t,  bajg  ^olitif  unb 
®t^if  mit  einanber  nid)t§  ju  tun  ^aben.  3)a§  bie  ©runblage  aller 
Sultur  t>a^  2:rac^ten  nac^  @elb  unb  93efi§  fei  unb  fein  muffe,  unb 
ba§  im  ©rmerb^leben  einfad^  bie  ro^e  Kraft  ju  entfc^eiben  i)abz. 
®a|,  roenn  aud^  nic^t  ber  einjelne,  fo  bod^  bie  ©efamt^eit  gegen 
bie,  meiere  fid^  am  (Eigentum  unb  bem  fieben  i^rer  3Kitmenfd^en 
©ergreifen,  naä)  bem  ©runbfa^e  2luge  um  2luge,  Sa\)n  um  Qa\)n 
JU  ©erfahren  f^ah^.  Unb  nun  fommen  anbere  unb  nel^men  bie 
©teile  ein,  mel^e  bie  SSertreter  be§  ®nangelium§  preisgeben.  9tun 
fommt  bie  ©ojialbemofratie ,  nun  fommen  bie  Sonfumgenoffen* 
fdjaften,  bie  griebenSoereine,  alle  bie  ungä^ligen  ©uc^er  unb  ®nt* 
bedter  naturgemäßer  SebenSmeifen  u.  f.  m.  unb  jeigen  nic^t  nur 
ba§  Smpörenbe  ber  befte^enben  Orbnungen  unb  ©itten,  fonbern 
rollen  jugleic^  auc^  Silber  einer  beffern  fc^önern  3iifwnft  auf. 
Unb  fte  fu^en  SBege,  wie  bie  S^räume  einer  fc^önern  3"f""ft 
allmä^lic^  jur  S33irfli^teit  gemacht  merben  fönnen.  Unb  fo  geben 
fie  ben  SRenfdjen  nic^t  nur  eine  Hoffnung,  bie  fie  in  ben  fd^roe» 
ren  ©tunben  tröftet,  fonbern  aud)  SitU,  für  beren  ©rreic^ung 
fie  in  begeifterter  2lrbeit  alle  Kräfte  anfpannen.  SBiH  man  fxi) 
überjeugen,  wie  fe^r  auc^  in  folc^en  Greifen,  bie  fic^  junä^ft  nur 
jur  materiellen  93efferung  i^rer  Sage  jufammengefunben  ^aben, 
ber  ©ebante  an  eine  oollftänbige  Umgeftaltung  aller  SJer^ältniffc 
begeifternb  mirft,  fo  lefe  man  j.  93.  bie  Siebe,  bie  ber  ©efretär 
be§  a3erbanbe§  f^roeijerif^er  Äonfumoereine  in  biefem  Qa\)xe  bei 
ber  (Eröffnung  be§  37.  britifc^en  ®enoffenfc^aft§fongreffe§  in  ^ai§* 
leg  gehalten  ^at^). 

1)  Dr.  $.  simulier,  Ueber  hxt  Orunblagcn  ber  ©cnoffenfc^aftSberoe» 


$  i  f  d^  e  r :  %aS  Seben  na($  bem  ©oangeliinn.  407 

©c^on  oDctn  bic  Zat\aä)t,  bo^  biefc  Sßertrctcr  üon  SReform^ 
bcrocgungcn  rocnigftcn^  bcn  ®rud  ber  bcfte^cnbcn  aSer^ältniffc  nid)t 
einfach  al§  ctroaS  unabänbcrli^c§  ^tnnc^men,  bafe  ftc  bcn  ©lau« 
bcn  an  feine  ^cbung  ni^t  preisgeben,  geroinnt  i^nen  ba§  Sßer* 
trauen  bcrer,  bic  am  mciften  barunter  leiben,  ein  aSerttauen,  ba§ 
bcn  ^rebigem  beS  6oangclium§  fo  oft  nic^t   bargebrad^t   roirb. 

aKu§  baS  fo  fein,  unb  ift  eS  rec^t,  ba§  e§  fo  ift? 

Qd)  beftreite  nid^t,  ba§  3«fu§  nichts  non  einem  Sfteid^e  ©ot^ 
te§  n)ei|,  ba8  fid^  aflmä^Iic^  burc^  menfc^lic^e  2lrbeit  auf  ber 
®rbe  oermirKic^t.  Qä)  l^abe  mit  9lac^bru(f  barauf  ^ingcmiefen, 
ba§  bic  gange  beftctjcnbc  6rbe  mit  allem,  xoa§  bic  SWenf^cn  bar« 
auf  gefc^affen  ^aben,  i^m  ein  nergänglid^eS  ©ebilbe  ift,  ba§  bin* 
nen  furjem  einem  neuen  ^immel  unb  einer  neuen  ®rbe  meieren 
mirb.  Unb  ic^  ne^me  aud^  jc^t  fein  ©ort  baoon  jurfidt.  2)lit 
aUer  (Schärfe  möchte  ic^  e§  oielme^r  nochmals  betonen,  bag  i^  bcn 
©tauben,  ber  in  biefer  SBclt  nic^t  bic  roa^re  SBelt  fie^t,  oielme^r 
bcn  Slidt  barüber  ftinauS  rid^tet,  mit  bem  (Soangelium  unabtrenn« 
bar  oerbunben  ^alte.  9lber  ic^  bin  jugleic^  aud^  beffcn  gemi^, 
ba|  mir  gerabe  at§  3ü«9«^  -S^fu  nic^t  fo  grog  benfen  bürften 
non  ber  Unabänberlic^feit  mand^eS  befte^enben  unb  nic^t  fo  gering 
Don  ber  ftraft  beS  ©oangeliumS  aße  Sßer^SItniffe  umjuroanbeln. 
®er  ©Ott  unb  ber  Sßater  3^efu  ß^rifti,  ber  biefe  SQBelt  jerf^kgen 
fann  mie  ein  3:öpfer  baS  9Ka^merf  feiner  ^änbe,  befi^t  au^ 
bie  ÜWac^t,  fte  na^  feinem  SflgiUen  ju  leiten  unb  umjugeftalten. 
Unb  im  ^inblidt  auf  biefe  ©rbe  ^at  OefuS  gßfost:  ma^rli^  ic^ 
fage  eud),  roenn  i^r  ©lauben  ^abt  mie  ein  ©enftom,  fo  merbet 
i^r  JU  biefem  93erge  fagen:  rüdtc  oon  ^ier  meg  bort  l^inüber,  unb 
er  mirb  fortrüdten,  unb  nichts  mirb  euc^  unmöglich  fein. 

dhemanb  ^at  me^r  im  ©lauben  an  bie  93ergdnglic^feit  biefer 
aSSelt  gelebt  al§  bie  erften  ©l^riften.  Unb  bennoc^  mit  welcher 
©nergie,  ja  mit  roeld^em  2:ro^e,  man  mö^te  faft  fagen,  ©tarr=^ 
föpfigfeit  ^aben  fte  barauf  oerjid^tet,  fxi)  in  bie  befte^enben  aSer« 
^ältniffe  ju  fc^idten.  aBa§  märe  au§  bem  ©^riftentum  gemorben, 
menn  fc^on  fte  fo  rafc^  i^ren  grieben  gemalt  Ratten  mit  ber  fte 
umgebcnben  2Belt?  ffienn  fte  nic^t  ber  befte^enben  ©efcHfc^aftS« 
gung.    ©afcl,  JBerbanb  fc^roetjer.  Äonfumoereine  1905. 


408  ®  i  f  d^  c  r :  %a^  ficben  nad^  bcm  ©oanoclium. 

orbnung  jum  S^ro^c  oerfu^t  l^ättcn,  ber  eine  me^r,  bcr  onbere 
TDeniger  tapfer,  naä)  bem  (SoangeUum,  fo  me  fte  e^  oetftanben, 
ju  leben?  3)em,  roai  man  ben  SRigoriömuS  ber  alten  Äirc^e  ju 
nennen  pflegt,  ber  ben  SRömern  unbegreiflichen  ^artnädtgfeit,  bie 
ni^t  leben  rooDte,  n)ie  man  oon  je^cr  ju  leben  gemo^nt  mar.  Der« 
banfcn  mir  e§,  ba§  mir  un§  ^eute  no^  ©Triften  nennen  fonnen. 
Unb  ^aben  ni^t  biefe  ©Triften,  meil  fie  fic^  meigerten,  bie  ^orberun* 
gen  gu  erfüllen,  bie  oon  i^ren  Se^örben  mie  i^ren  SBolf^genoffen 
an  fte  gefteUt  mürben,  unb  bie  fie  al^  9Biberfprud^  Q^c^tn  ba§ 
Soangelium  empfanben,  gcrabe  baburc^  geholfen,  bie  3Belt  in  ge» 
maltiger  S33eifc  umjugeftalten  ?  ©ooiel  and)  l^eute  noc^  ^errfc^t, 
xoa^  JU  ben  ^orberungen  beig  6oangelium§  im  aOSiberfpru^e  fte^t, 
fo  ift  bod^  man^e  ©inrid^tung,  manche  ©itte,  bie  beim  Eintritt 
be§  ®]^riftentum^  in  Sraft  ftanb,  üor  ben  g^tberungen  be§  c^rift^ 
li^en  Oeroiffeng  gefc^munben  ober  menigften§  au§  ber  Oeffent» 
li^!eit  in  ba§  3)unfcl  gebrängt  morben.  SOBer  magt  aber  mirf^ 
li^  3U  behaupten,  ba|  ba§  @oangetium  mit  feiner  ^aft  an  bie 
©renjen  feiner  9Birffam!eit  gelangt  fei,  ba|  nic^t  noc^  unjäl^lige 
Oebiete  ber  ^errfd^aft  ber  brutalen  ©eroalt  gu  entjie^en,  ber 
aSernunf t  unb  ber  Siebe  ju  untermerfen  mären ,  menn  mir  nur 
entfc^iebener  unb  mutiger  oerfud^en  moHten,  nad^  bem  ©oangelium 
JU  leben? 

aOSir  tun  unS  l^eutgutage  oiel  ju  gute  auf  unfere  Kenntnis 
ber  Äräftc,  bie  in  bcr  5iatur  unb  bem  fojialen  Seben  ber  9Kenfd^» 
^eit  malten,  unb  auf  unfere  realiftif^e  Setrad^tung  ber  S)inge, 
bie  fte  nimmt,  mie  fte  ftnb,  ftatt  fie  in  ba§  t)erflärenbe  Sic^t  un« 
ferer  SBünfc^e  unb  Hoffnungen  ju  ftellen.  Unb  fern  baoon  bar« 
über  ju  fpotten,  motten  mir  un§  gerabe  al§  ©Triften  biefeS  ©tre» 
ben§,  ber  SBirfli^teit  flar  in§  2luge  ju  fe^en,  freuen.  @e^t  boc^ 
auc^  atte  ed^te  f^römmigfeit  barauf  au§,  burc^  bie  ^üQe  bei^ 
@d^einc§  jum  SBefentlid^en,  3Birflid^en  burd^jubringen  unb  barin 
JU  leben  unb  mebcn.  Unb  3fcfu§  felber  ift  fein  Sleligionöftifter 
in  bem  ©inne,  ba|  er  unS  an  irgenbmelc^e  ©ä^e  über  @ott  unb 
bie  SOBclt  bänbe.  6r  miU  un§  Reifen,  auf  bem  feften  93oben  ber 
S33irflic^feit  ju  fte^en.  Unb  je  me^r  mir  un§  oon  attem  2;ruge 
unb  ©c^cine  frei  ma^en,  befto  nä^er  fommen  mir  aud^  bem  @otte. 


$  i  f  d^  e  r :   %aS  Seben  nac^  bem  ^angelium.  409 

ju  bcm  un§  ju  führen  Qe\n  einjigeS  3i^I  if*-  Sf*  «§  «w^  ober 
roirfli^  —  allein  barum  ^anbett  e§  fic^  —  tft  c§  nun  roirflic^ 
beffere  Kenntnis  ber  aSSirflic^feit  unb  ber  fte  regterenbcn  SWäd^te, 
iDenn  toxx  ein  fieben  nac^  bem  (Soangelium  al^  unDoUite^bar  tx* 
Hären  unb  ber  gorberung,  auf  ®ott  gu  oertrauen  unb  ben  3läi)^ 
ften  JU  lieben  roie  un§  felbft,  ba§  ®efe^  entgegenftetlen,  ba|  aKe§ 
Sebenbe  fid^  nur  im  Kampfe  behaupten  fann? 

2Bir  alle  tennen  ben  ©egen,  ber  auf  ber  2lnftrengung  ru^t, 
unb  miffen,  melc^  fc^Iedjten  S)ienft  man  unS  unb  unfern  9iä^' 
ften  erroiefe,  !önnte  man  un§  ba§  ^Ringen  unb  2lrbeiten  erfparen. 
©c^tummembe  Gräfte  erroac^en,  nerborgene  Jugenben  fommen 
jum  93orfd^ein,  menn  bie  9lot  an  ben  3Wenfd^en  l^erantritt.  Unb 
bie  ©efc^i^te  gibt  manche«  93eifpiel  bafür,  roie  Sßölfer  ju  neuem 
Seben  ermac^t  fmb,  al§  e§  für  fie  galt,  im  blutigen  Äampfe  um 
i^re  Syifteng  ju  ringen,  ©ö  fann  id^  e§  fe^r  rool^I  oerftel^en, 
loenn  gerabe  Äenner  ber  menfc^Iic^en  9iatur  unb  ber  ©efc^ic^te 
gegenüber  ben  93eftrcbungen  ber  JriebenSoereine  für  einen  „f rifc^en, 
frö^üc^en"  ^rieg  in  bie  ©c^ranfe  treten,  ober  menn  anbern  ber 
©ieg  ber  ©efinuung,  bie  im  ©oangelium  jum  StuSbrucf  fommt, 
al§  ba§  größte  Unglüdt  erfc^einen  roitt,  ba§  bie  SWenfc^^eit  treffen 
fönnte. 

2lber,  m.  ^.,  mir  ^aben  bereite  ba§  aWi^öerftänbuiS  jurüdE» 
geroiefen,  ba^  in  3efu§  nid)t§  al§  ben  ftiUen  3)utber  unb  in  bem 
©oangelium  nur  bie  2lnmeifung  jur  SQBo^Itätigfeit  unb  9lgfefe 
fielet.  9tic^t  weniger  märe  eS  aber  ein  feltfamer  ^fnrtum  gu  meinen, 
ba|  roirflic^  ber  SUlenf^^eit  aß  ber  ©egen  geraubt  mürbe,  ber 
in  ber  Slnftrengung  unb  im  Kampfe  liegt,  wenn  immer  metjr  bie 
©eftnnung  ^crrfd)enb  mürbe,  in  ber  einer  be§  anbern  befteS  fuc^t. 
©ibt  e§  nid^t  fd^on  jet^t  ja^Itofe  ©ebiete,  roo  Äraftanfpannung 
unb  ©elbftüberroinbung  glänjenbe  ©iege  baoon  trägt,  o^ne  baJ5 
ber  2lrm,  ber  aüe  Äräfte  anfpannt,  ba§  Qkl  ju  erreichen,  ju* 
gleich  ben  93ruber,  ber  ebenfaflig  mit  Slnftrengung  feiner  Äräfte 
ftd^  oormärtg  fämpft,  rüdtfic^t§lo§  nieberfc^lägt  ? 

2)oc^  bie  3Bett  Ic^rt  un§,  fo  fagt  man  un§,  ba^  aKseit  bag 
3Bo^I  be§  einen  erfauft  werben  mu§  burd^  ben  SRuin  bc§  anbern. 
ÜJlan  ftettt  bem  93atergotte,  ben  3^fu§  oerfünbigt,  ben  @ott  ent* 

3(itf(^rift  fflr  Zt^cologie  unb  Airc^e.    16.  ^a^rg.,  5.  ^eft.  29 


410  $  i  f  d^  e  r :  %a9  2ehtn  nad^  bem  ^angeltum. 

gegen,  ber  fx6)  im  äBcltlauf  offenbart.  Unb  in  ber  %at  fe^en 
toix  nid^t,  roic  ber  Jö^«/  ^«^  ^^  grü^ja^r  bie  9ltpen  üom  (Schnee 
befreit  unb  auf  ben  erftorbenen  gluren  ncue§  Seben  crroedft,  gu« 
gleich  auc^  bie  üerberbenbringenben  Saroinen  in  93cn)egung  fe^t, 
©aumftamme  Inicft  unb  ba§  glimmenbe  ^erbfeuer  jum  jerftören« 
ben  93ranbe  entfa^t?  ©e^en  wir  nid^t,  roic  bie  ©d)n)albe,  um 
il^re  jungen  ju  füttern,  an  einem  einzigen  2:age  unjdl^Iigen  9B3ür« 
mern  ben  ®arau§  mad)t?  Unb  mufe  nic^t  fie  felber  oieHeic^t 
roieber  bem  großem  SRauboogel  jur  9ta^rung  bienen?  @emi^. 
Slbcr  erlaubt  un§  bie  SBernunft,  erlaubt  un§  bie  ©ef^ic^te,  be§' 
^alb  meil  ber  SQSolf  baS  fiamm  fri|t,  meil  ber  ftürjenbe  5et§  er« 
fc^Iägt,  roa§  fi^  feinem  Saufe  entgegenftellt,  nun  al§  ein  unab^ 
änberlt^eS  @efe^,  ba§  un§  ®ott  felber  le^rt,  ju  proftamieren, 
bafe  aud)  ber  SW  e  n  f  c^  fi^  auf  ber  ®rbe  in  alle  ®mig!eit  nur 
behaupten  fann,  inbem  er  feinen  5läc^ften  niebertritt?  ©elbft  bie 
©efc^ic^te  ber  Sßölfer  miberlegt  für  ben,  beffen  93licf  nic^t  am 
cinjelnen  S^age  haften  bleibt,  biefe  SWeinung  unb  gibt  un§  fein 
9ied)t,  baran  ju  jmeifeln ,  ba§  ni^t  brutaler  @goi§mu§  fonbern 
©ered^tigfeit  ein  Sßol!  er^ö^t,  ba|  ©ottoertrauen  unb  Släc^ften« 
liebe  f^tie|lid^  nic^t  ju  ©d^anben  werben. 

aöo^in  Mmen  mir,  roenn  mir  au§  bem  ©ebiete  ber  9tatur 
unb  be§  2:ierleben§  ober  auc^  au§  bem,  ma§  nod^  je^t  meite  Greife 
ber  ÜWenfd^^eit  be^errfc^t,  bie  ©efetje  ableiten  mottten,  an  bie  mir 
für  alle  ßeiten  gebunben  ftnb?  ©tatt  meiter  ju  fc^reiten  auf 
bem  3Bege  ber  SßerooHfommnung  mürbe  bie  SWenfc^^eit  att- 
mä^li^  mieber  auf,  ja  unter  bie  ©tufe  be§  2:ierc§  jurücffin!en. 
2luc^  auf  bem  ©ebietc  be§  gcfd^led^tlic^en  fieben§  laffen  mir  un§ 
nid^t  leiten  burc^  ba§,  roa§  mir  auf  niebern  ©tufen  beoba^ten, 
fonbern  mir  fmb  überjeugt,  ba^  für  ben  9Wenfc^en  al§  aSemunft*^ 
roefen  anbere  ©efe^e  gelten  al§  für  bie  unoemünftige  Äreatur. 
Unb  menn  mir  au^  ba§  3>^eal  ber  monogamen  ®^e  no^  lange 
nid^t  überall  oerroirflic^t  fe^en,  fo  oerjid^ten  mir  bo^  bamit  meber 
auf  bie  IJorberung,  nod^  unterlaffcn  mir,  fooiel  an  un§  felber 
liegt,  fie  ju  oermirtlic^cn.  ©anj  biefelbe  ©teHung  muffen  mir 
aber  einnehmen  ju  att  ben  anbern  görberungen,  bie  fi^  au§  bem 
©lauben  an  ©ottc§  SlHmac^t  unb  aSatcrliebe  unb  ber  SInerfennung 


^ifd^er:  %a^  Beben  nadi  bem  Q^oangelium.  411 

unfercr  aWitmcnf^en  qI§  uuferer  93rüber  ergeben.  Unb  eben  xvtxl 
ber  einjelne,  ber  nac^  bcnt  Soangetium  leben  miü,  babei  atlent* 
l^alben  auf  ©c^ranfcn  ftö§t,  bie  er  allein  nt^t  wegräumen  !ann, 
ift  eö  unfere  S^riftcnpflic^t,  nic^t  bIo§  in  un§  felber  ju  befämpfeu, 
roa^  bem  Soangelium  SBiberftanb  leiftet,  fonbcm  auc^  barnac^ 
JU  ftreben,  bag  afle  bie  Sitten  unb  ;3inftitutioncn,  bie  un§  rote 
ein  fefte§  9le§  umfc^Iingen,  immer  mel^r  oom  ©eifle  beS  ®oan* 
geliumS  bur^brungen  unb  umgeftattet  roerben.  SBo^l  roenbet  fic^ 
ba§  oon  ^e^VL^  Oefproc^ene  an  ben  ©lauben,  rieten  ftd^  bie  '^ox^ 
berungen  be§  ®oangelium§  an  bie,  benen  feine  fro^e  93otf(^aft 
bie  SOBal^r^eit  fpric^t.  Unb  \ö)  roitt  feine^roeg^  ba8,  roa§  ic^  oor* 
l^er  barüber  auSgefül^rt  ^abe,  nun  roieber  irgenbroie  jurüctne^men. 
aiber  ein  anbercS  ift  e§,  Orbnungen  geroä^ren  gu  laffen,  bie  um 
ber  ^erjenS^ärtigfcit  mitten  nötig  fmb,  roic  ba§  au^  ^aulu§  ^at 
tun  muffen,  ober  folc^e,  bie  oon  ber  ©ünbe  ^eroorgcrufcn  ftetä 
neue  Sünbe  erjeugen  muffen. 

©0  ift  e§  g.  53.  gcroi^,  fotange  e§  Seftien  in  SKenfc^enge^ 
ftalt  gibt,  nötig,  mit  (Seroalt  gegen  fie  oorjuge^en.  2lber  auc^ 
biefc  ©c^u^einri^tungen  für  bie  menfc^lid^e  ©efettfc^aft  tonnen 
in  und)riftlic^em  ober  c^riftlic^em  ®eifte  gefdjaffen  unb  ge^anb^abt 
roerben.  ©eroijg  ift  ei^  ein  O^-rtum,  §u  glauben,  ba§  mit  beffern 
^[nftitutionen  o^ne  roeitereS  aud^  bie  einjelnen  SWenfc^en  beffer 
roürben.  3loäi  oiel  geroiffer  ift  aber,  ba§  unenbli^  oiel  Qammer 
unb  ©ünbe  bie  notroenbige  ^«'Ige  ber  traurigen  aSer^altniffe  ftnb, 
in  benen  au^  in  ben  c^riftlii^en  Sänbern  noc^  unjä^lige  leben. 
äBo^l  glauben  roir,  ba§  @ott  aud)  9tot  unb  6lenb  benü^en  tann, 
um  bie  SOtenfd^en  gu  ftc^  gu  gießen.  9lber  ba§  ^at  O^fuS  nic^t 
ge^inbert,  au^  ber  leiblichen  9lot  gu  ^ilfe  gu  tommen  unb  oft 
oor  ber  geiftigen.  Unb  gerabegu  rud^to^  roäre  e§,  roottten  roir 
mit  bem  ^inroeife  auf  @otte§  3lttmac^t  ben  S)ingen  i^ren  fiauf 
laffen.  SBir  galten  eg  für  unfere  ^flic^t,  un§  unfere  eigene  !ör* 
perlid^e  SeiftungSfä^igfeit  unb  fo  aud^  ben  ©eift  frifc^  gu  erhalten. 
aSBir  fu^en  unfere  Sinber  nac^  Kräften  fc^limmen  Sinflüffen  gu 
entgie^en,  i^nen  eine  ©teUung  gu  oerfc^affen,  bie  i^ncn  mögli^ 
mac^t,  fic^  o^ne  fortroä^renben  Kampf  gegen  bie  93erfu^ung  i^r 
93rot  e^rlic^  gu  oerbienen.    Unb  auc^  bie  unter  un§,  bie  etroa 

29* 


412  IBifd^er:  %c^  Seben  nad^  htm  ^angelium. 

auf  bcn  ©cgen  bcr  Slrntut  l^injurocifen  lieben,  tun,  n)a§  fte  fönnen, 
um  oon  fic^  felbft  unb  ben  Q^rigcn  ben  SWangel  ferne  ju  Italien. 
Unb  eS  wäre  unnatürlich,  roenn  fte  eS  nic^t  täten.  2)ann  muffen 
mir  e§  aber  auc^  al§  unfere  ^flic^t  anerfcnnen,  eine  ®efellfc^aft§» 
orbnung  ocrmirfli^en  ju  Reifen,  bie  jebem  einjelncn  möglich  mac^t, 
nad)  bem  @oangelium  ju  leben,  ol^ne  ba^  er  babei  }u  ©runbe 
ge^t.  S)ann  ift  e§  unfere  ^flic^t,  nic^t  ju  ru^en,  bi§  oon  bem 
biegten  9ie^e  fc^ltmmer  ©emo^n^eiten  unb  ©inri^tungen,  in  ba§ 
Unroiffcn^eit  unb  ©c^ulb  bie  menfc^lic^e  ©efellf^aft  feit  ^al^x* 
taufenben  oerfd^lungen  l^at,  SJtafc^e  um  iSlaf^e  jerrei^t. 

Sticht  blo6  bie  mir  jugemeffene  3^^^  verbietet  mir,  auf  alle 
bie  fünfte  ^injuroeifen,  mo  bie  2lrbeit  aller  berer  einjufe^en  ^at, 
bie  im  ©oangelium  ni^t  ein  roeltfrembe^  3»beal  erblicfen.  3)a^ 
®Dangelium  enthält  feine  beftimmte  ©efeUfd^aft^orbnung.  Unb 
bie  einjelnen  SBäorte  Qefu,  fo  fategorifc^  fte  oft  lauten,  ftnb  feine 
®efe^e§Dorfc^riften,  an  beren  SBortlaut  mir  un§  galten  fönnten. 
9Ber  ben  ©eift  beS  ©oangeliumS  in  ftc^  mirfen  lagt,  mug  ftc^ 
ben  SBeg  felber  fud^en,  ber  i^m  al§  ^[ünger  ^z\\i  ju  ge^en  jiemt. 
Unb  allerlei  äßege  fül^ren  ju  bemfelben  S^zU. 

3u  allen  3^it^"  ^^t  e§,  folange  bie  c^riftlic^e  Kirche  befte^t, 
aud^  einjelne  mie  gange  ©ruppen  gegeben,  bie  bie  einjelnen  ©orte 
3efu  möglic^ft  buc^ftäblic^  ju  erfüÜen  oerfuc^t  ^aben.  Unb  fo 
menig  ic^  bie  ©efa^r  oerfenne,  bie  in  einer  folc^en  Stellung  liegt, 
fo  fe^e  ic^  eä  bennod^  für  ein  ©lüdt  an,  ba|  e§  ber  Äird^e  nie  an 
fold^en  ©Itebern  gefehlt  ^at.  ©te  lehren  unS  immer  roieber,  ntc^t 
gar  ju  rafc^  über  bie  einjelnen  SBorte  Q[efu  unb  bie  barin  Ite* 
genbe  S33eifung  tjinmegjuge^en.  9öer  ift  unter  un§,  ber  j.  93.  nic^t 
unter  bem  ©inbrucf  ber  erfc^üttemben  ^rebtgt,  bie  S  o  l  ft  o  j  in 
Derfc^iebenen  feiner  93üc^er  über  bie  SBorte  „Sticktet  ni^t"  ^ält,  bie 
©mpfinbung  gewonnen  ^at,  bag  un§  biefeö  aQBort  boc^  me^r  }u 
fagen  ^at,  al§  mir  i^m  gemö^nlid^  entnehmen?  ©ollte  ni^t  btc 
©efinnung,  bie  barau§  fpric^t,  roenn  mir  fte  un§  angeeignet  Ratten, 
in  gang  anberer  äßeife  au^  in  unferm  ©eric^tSmefen  unb  aQ  ben 
©inri^tungen,  mit  benen  bie  ©efellf^aft  ber  ©c^mac^^eit  unb  ber 
93o§^eit  entgegentritt,  jum  2lu§brurf  fommcn  ?  ^ängt  nid^t  oieU 
leicht  bie  ©rfolgloftgfeit  unferer  ©trafpflege,  bie  ft^  immer  me^r 


^ifc^er:  %aS  Seben  nac^  bem  ©oangelium.  413 

aufbrängt  bamit  jufammcn,  ba§  ftc  auf  Sßorau^fe^ungen  beruht, 
oor  bcucn  fc^on  3^cfu§  gcroarnt  ^ot?  Unb  roic  auf  bicfcm  ©c* 
biete,  fo  ftedten  wir  nod^  aDent^atben  in  ©efettfd^aftSorbnungen, 
©eiuo^nl^eiten  unb  ^nf^auungen,  bie  n)tr  als  ura(te§  @rbe  mit» 
f^Ieppen,  tro^bcm  fie  jum  2:eil  in  biref tem  SBiberfpruc^e  gu 
ber  ©efmnung  be§  ©oangeliumS  ftel^en.  9lur  langfam  empfinbet 
bie  (S^riften^eit  biefen  ffiiberfprud^,  unb  noc^  langfamer  gelingt 
e§  i^r,  il^n  aufju^eben.  2lber  bie§  ift  fein  ©runb,  il^n  alS  un* 
oermeiblicb  anjufe^cn.  3Ba§  auf  fo  otelen  ©ebieten  möglid^  ift, 
bafe  bie  aQBo^Ifa^rt  unb  ber  ^ortf^ritt  be§  einen  nic^t  burc^  ben 
gatt  be§  anbern  erlauft  wirb,  follte  ba§  ni^t  au^  auf  bem  ©e^ 
biete  be§  ©rroerbSlebenS  möglich  fein,  fobatb  mir  un§  nur  non  bem 
teuflifc^en  ^fvrma^ne  befreit  ^aben,  ba|  nur  bie  fc^rantentofe  ©elbft^ 
fud^t  ba§  Seben  geminnt?  9lod^  be^errfc^t  biefe  SJleinung  ba§ 
Renten  weiter  Äreife  au^  innerl^alb  ber  S^riften^eit,  tro^bem  ba§ 
mir  nietteii^t  mit  bem  SWunbe  ba§  ©egentcil  befennen.  Unb  fo 
gilt  e§  benn  auc^  meift  als  felbftoerftänblid^,  bag  bie  mei^e  Stoffe 
ba§  Siecht  l^abe,  ben  ©djmarjen  nid)t  nur  ba§  Sanb  ju  nehmen, 
fonbern  fte  ouc^,  menn  fie  fic^  jur  aßel^re  fe^en,  mit  aßen  9Kitteln 
ju  untermerfen.  ©o  flafft  freiließ  ein  unüberbrüdbarer  aSBiber* 
fpru^  jmifc^en  ber  ©taatSraifon  unb  bem  Seben  nac^  bem  Soon* 
gelium.  aber  ba§  barf  un§  ni^t  l^inbern,  al§  ®^riften  immer 
mieber  gegen  bie  ©runbfä^e  ju  proteftieren,  bie  in  bem  SSerfe^re 
ber  aSölfer  untereinanber  no^  al§  fclbftoerftänblic^  gelten.  Unb 
mir  brausen  bie  Hoffnung  bur^ouS  nid^t  oufjugeben,  bog  fic^ 
au^  auf  biefem  ©ebiete  bie  ©ebote  ber  ©ere^tigteit  unb  3Wenf^« 
lic^feit  burc^fe^en. 

©0  fe^en  mir  im  Sirf)te  be§  SoangeliumS  altentl^alben  2luf= 
gaben,  bie  un§  jur  2lrbeit  aufforbem.  9lod^  liegt  im  ©oangelium 
ein  ©^atj  oon  Kräften,  ber  9Bunber  ju  tun  vermag.  Unb  menn 
mir  nic^t  ben  ©tauben  befttjen,  biefe  Kräfte  fetber  ju  entbinben, 
biefen  ©c^o^  felber  ju  lieben,  fo  moDen  mir  unfern  Rleinglauben 
e^rlic^  cingefte^en,  aber  ni^t  bem  ©oangelium  bie  ©c^ulb  geben 
unb  ba§  3B3ort  gelten  laffen,  ba§  alle  3)inge  möglich  finb  bem, 
ber  glaubt,  ©emi^  ba§  ©oangelium  jeigt  un§  ein  Seben,  boS  im 
aSiberfprud^  fte^t,  ju  bem,  roa§  oor  3lugen  liegt,    ©erabe  ba§  ift 


414  ^  i  f  d^  e  r :   %a^  £eben  nad^  bem  ^ongelium. 

aber  ein  ß^ici^en  feiner  Unoergängllc^feit.  Unb  ftatt  beS^alb  baran 
ju  üerjroeifeln,  rootlcn  wir  banf bar  fein,  ba|  eö  un§  immer  roieber 
oor  äugen  f)&%  toaS  fein  fofl,  unb  unS  foroo^l  aU  einjelne  wie 
al§  ©efamt^eit  baoor  bemal^rt  un^  mit  bem  (Errungenen  jufrieben 
JU  geben.  Unb  menn  e§  in  ber  %ai  je^t  noc^  fe|r  oft  atö  un> 
mögtic^  erfd^eint,  na^  bem  ®oangelium  ju  leben,  fo  ift  e8  für  alle 
bie,  meldje  an  ben  SSater  ^e^n  ©^rifti  glauben,  ^ßflic^t,  barnac^ 
}u  trachten,  ba§  immer  mel^r  f^on  auf  biefer  (Srbe  bie  Sitte  jur 
(Erfüllung  gelange:  3)ein  Steid^  lomme. 


415 


>ßfr.  «.  ^laiiif 
(SBronnroeilcr  bei  IHeutlinöeit). 

1 — 3.    S)ic   (Sntitjicf lung    be§    „SWoberncn"    au§   ber 
tlaffifdjen   @eifte§n)clt. 

1.  2)ie  Maffifc^e  ^^criobc  beutfc^cn  ®eiftcglebcn§  gcid^net  ftd^ 
oor  anbcm  ftafftfdjcn  ^criobcn  (bem  griec^if^en  2lltcrtum,  bcr 
atcnaiffance,  bcr  cnglifdjcn,  franjöftf^cn  Älaffif  u.  f.  xo.)  baburd) 
au§,  ba§  in  il^r  jum  erftcnmal  auc^  bic  ©efe^c  aller  Äloffigität 
ju  üollem  flaretn  93en)u§tfein  gcbradjt  roorben  fmb.  Srmöglic^t 
lourbe  beren  ^erouHarbeitung  burc^  ein  in  ber  ganjen  SBeltgc- 
fd^i^te  (au^  in  ©riec^cnlanb)  nid)t  bagcn)efene§  $anb  in  ^anb^ 
arbeiten  oon  3)ic^tfunft  unb  5)enffraft,  oon  fünftlerifc^cr  ^^robut» 
tionSfraft  unb  tritifd^*fpetulatioer  @eifle§fc^ärfc.  ©o  fann  auc^  erft 
Don  je^t  an  ba§  „ÜRobeme"  (roie  baiS  „Sflomantifc^e")  feinerfeitS 
in  bewußten  ©egenfa^  gegen  bie  Älaffijitat  treten.  Sie  ©cfe^e  ber 
(enteren  ftnb  junäc^ft  für  bie  Äunft  unb  i^re  ©ebiete  burc^  bie 
Seffmgfc^e  Ävitif,  für  baö  ©ebiet  be§  gefamten  ©eiftesilebens;  burc^ 
^m.  Äant  in  muftergültiger ,  alfo  felbft  flaffifc^er  3B3eife  aufge* 
fteüt  roorben.  3öa§  nämlic^  Äant  in  feinen  brci  großen  fritifd^en 
SBerfen,  ber  Äritif  ber  reinen  SJernunft,  bcr  prattifd)en  aSernunft 
unb  ber  ^ritif  bcr  Urteil^fraft  nac^rocift,  ift  im  ©runbe  gar  nic^tö 
anbcrc^  al§  eben  jene§  ®efe^  bcr  inneren  ©in^citlid)* 
teit,  ©efc^mäjsigfcit  unb  ©inftimmigteit,  n)clc^c§  bü§  ganjc  be- 
wußte ©eiftc^Icbcn  in  feinen  brci  gunftionen,  im  2)cufen,  SBoücn 


416     ^lancf:  Älafftfc^c,  mobcmc  unb  rcitgiöfc  8cbcn§auffaffung. 

unb gefü^I^mä^igcn Urteilen al§gcbietenbc§9bcal  be^crrf c^t. 
9lac^  biefem  ®efe^  miß  ber  ®cift  fraft  innerer  Slötigung  bic  ganje 
SBelt  ber  ©rfal^rung  aufgefajst,  beurteilt  unb  geftaltet  roiffen. 
3)ie§  ®efe^  ift  aber  nichts  anbere§  al§  ba§  @efet>  ber  Älaffisität 
fclbft,  ba§  ffaffifc^e  geiftige  SebenSibeal,  ba§  nun  unferc  3)ic^ter 
in  ber  lebenbigen  3lnfc^auung  be§  SBa^ren,  be§  ®utcn  unb  be§ 
©^önen  un§  na^egebra^t  unb  in§  ^erj  gefc^rieben  ^aben.  2tt§ 
tlaffifd)  ift  ba^er  ein  ®eifte§n)er!  (n)iffenfc^aft(i^e§,  fünftleri[c^e§, 
politifd^esi,  foaia(e§,  juribif^e^)  immer  bann  ju  bejeic^nen,  menn 
e§  lebiglic^  in  5Würffid)t  auf  bie  innere  ©in^eit  ber  ©ac^e  entmor* 
fen  unb  ausgeführt  morben  ift;  mobern  (ober  romantifc^)  ift  eS, 
menn  e§  in  feiner  9lnlage  oon  irgenb  meieren  fonftigen  9iüclftci^* 
ten  unb  Qntereffen  be^errf^t  ift,  e§  mag  fonft  fo  bebeutenb  fein 
als  e§  miß.  ®ie  ftrenge  innere  ©a^lid^!eit,  bie  ©cfe^mäjsigfeit, 
bie  au§  ber  3WannigfaItigteit  unb  SBerfc^lungen^eit  ber  ®rfa^- 
rungSmelt  mit  ftegl^after  Ätar^eit  ^erauSleuc^tet,  bie  ift  immer  baS 
üUlerfmal  ber  ÄtaftUität. 

®a  bie§  ®efe^  ber  inneren  ®inl|eit  mie  gefagt  in  aCen  brei 
©eiftcSfunftionen  ba§felbe  ift,  fo  gibt  e§  ben  fic^  barauf  grünben* 
ben  ®eifte§gebieten  be§  ftrengen,  wahrhaftigen  3)enten§  b.  i.  ber 
aSiffenfc^aft,  be§  ftrengen  ftttli^en  SöoUenS  unb  ^anbelnS,  b.  i. 
be§  9iec^t§M/  be§  ftrengen  auc^  in  ©ac^cn  be§  ©efü^lS  unb  ©e^ 
fd)macfS  rein  fa^Uc^en,  gefe^mä^igen  Urteilend  unb  ©eftattenS, 
b.  i.  ber  Äunft,  i^r  9iec^t  auf  Slutonomie,  b.  t).  auf  ©elbftbeftim* 
mung  rein  au§  ben  in  i^rem  Qbeal  liegenben,  nict)t  Don  au§en 
^erjugebrac^ten  ®efe^en  ^erau§,  unb  bamit  auc^  i^rc  ®Iei^be* 
re^tigung  untereinanber. 

®ie  l^ö^ere  innere  ®in]^eit  biefer  brei  geiftigen  SätigfeitiS^ 
formen   untereinanber   mirb  l^ergefteüt  burc^  ben    „^rimat  ber 

1)  S)a§  $H  e  d^  t  e  ift  ba§  ®utc  im  fonfrctcn  ©inaelfan.  (So  ift  ba^cr 
immer  nur  unter  ben  betreffenbcn  fpe^icücn  S3crt)dltniffen  gültig,  alfo  nur 
relatio  gültig ,  nic^t  abfolut  roic  bag  ®ute  felbft.  %a  aber  immer  nur 
im  ©injelfaß  mit  ©ic^cr^eit  auäjuma^en  ift,  mag  „$Hc^t"  auf  (Geltung 
beanfpruc^cn  fann ,  fo  fann  nur  bog  Dlec^te  mit  ber  SmangSgeroalt  be* 
fleibct  werben,  al§  „ditd^V,  rod^reub  ba§  reine  ®ute  felbft  immer  inner* 
l)alh  ber  ©efinnung  fielen  bleiben,  fic^  mit  bem  inneren  ©emiffenSurteit 
begnügen  mu^. 


platte!:  ^lafPfc^c,  mobemc  unb  rcliöiöfc  ficbcnSauffaffung.     417 

praftif^en  JBcrnunft"  m.  a.  SB.:  bic  Icitcnbc  3^«t^alii>^«  ift  bic 
bc§  ftttlic^  @utcn,  bcr  bic  ^htm  bc§  SBa^rcn,  be§  SRcc^ten 
unb  bc§  ©^öuen  untergeorbnct  ftnb;  jcbo^  fo,  bog  bicfc  auf 
t^rcm  eigenen  ®ebiet  Dößig  autonom  bleiben  unb  nur  i^re  je^ 
roeiligen  Srjeugniffc  in  i^rem  9Berte  für  ba§  @anje  unb  in  il^rer 
SBirtung  auf  ba§  @anje  Don  jener  erfteren  abwägen  unb  regu« 
Heren  laffen  muffen.  SBiffenfdiaft  Stecht  unb  Äunft  fmb  autonome 
gleic^bere^tigtc  ©ebiete,  ba§  rein  Sittliche,  ba§  ®utc  aCein  l^at 
ba§  ausifc^Ue^lic^e  9iec^t,  gemiffe  —  relatio  berechtigte  —  miffen* 
fd)aftlic^e  juribifd^e,  fojialiftifc^e,  fünftlerifc^e  Sinfeitigfeiten  in  i^re 
©c^ranfen  ju  meifen  unb  fo  ba§  geiftige  ©efamtleben  oor  Ueber^ 
griffen  ju  fc^ü^en. 

2)ie  afabemifd)'  unb  fünft(erifc^erfeit§  häufig  beliebte  ^aral« 
telificrung :  3Biffenfc^af t  —  ©ittli^feit  —  Äunft  fc^eint  ung  bem* 
nac^  unHafftfc^  unb  unrichtig  ju  fein.  SBiffenf^aft  unb  Äunft 
foCen  bic  ^\>etx[  be§  SBa^ren  unb  ©^önen  al§  fritif^e  3Wäc^te 
auf  bem  SBoben  bcr  tonfreten  9Bir!tic^!eit  bc§  menfc^lic^en  ©eifteö* 
unb  ®efenfc^aft§leben§  vertreten.  3)ie  SJertreterin  bcr  ^bet  be§ 
®uten,  bcr  reinen  ©ittUc^feit  foC  auf  bicfem  »oben  ba§  9iec^t 
fein,  freiließ  ift  e§  ba§  nic^t  immer,  fo  menig  SBiffenf^aft  unb 
Äunft  immer  bic  ©ac^e  bcr  reinen  9Ba^r^eit  unb  ©^ön^eit  oer* 
treten  l^aben.  SBiffenfc^aft,  9iec^t  unb  Äunft  !önnen  ba^er  unter* 
einanber  mo^t  in  Äonflift  fommcn,  SBiffenfc^aft  unb  Äunft  mögen 
in^befonbere  gegen  oeraltete  9iec^t§^  unb  ©ittenbegriffe  anfämpfen, 
moju  ja  bie  politifc^e  SBertretung  ber  5Rec^t§ibec  au^reic^enbe  tri^ 
tifc^e  ©clegen^eit  gibt,  aber  gegen  bie  ©ittlic^feit  aU  folc^e  fi^ 
aufjule^nen  ift  für  beibe  ©etbftüber^ebung.  ®arnac^  mag  man 
abfc^ä^cn,  mag  an  ben  befannten  Slnfprü^en  ber  Mnftterfc^aft 
SBal^re^  unb  g^tf^cs;  ift:  gen)i&  ift  ftttli^e§  unb  äftt|etif^e§  Ur-- 
teil  jmeiertei  Urteil,  aber  in  feinem  SBert  für  bie  ©efamt^eit  mirb 
ba^  ^unftmert  eben  boc^  le^lic^  auc^  nac^  feinem  ftttlic^en  @e^alt 
geroertet.  3)a§  ©itttic^e  ift  ba§  rein  aWenfc^li^e;  unb  aud^  ba§ 
Äunftmert  ift  fc^lie^li^  nur  ein  9Wittel,  um  bie^  jur  reinen  3)ar' 
ftellung  su  bringen ;  bie  üirtuofefte  ^anb^abung  ber  tünftlcrifd^en 
Jec^nif  fann  ben  9Wanget  an  innerem  meufc^lic^en  ©e^alt  ni^t 
erfe^en. 


418    ^  I  a  n  cl :  Älafftf cftc,  mobcmc  unb  rcligiöf c  SebenSauff affung. 

2.  2)cr  politifc^c  fitberaü§mu§  mar  eS,  ber  al§  Xcftomcntö* 
Doßftrerfcr  bc§  tlafftfc^cn  Qbeali^muS  bicfc  Slutonomic  oon  SBif» 
fcnfc^aft  Siecht  unb  Äunft  in  ber  großen  Ocffcntlic^feit  burc^fc^te 
gegenüber  Don  ber  biiS^erigen  ftaatlid^en  unb  Fir^Uc^en  ®ebun« 
benbeit  ber  öffentlichen  aJleinung.  3)a§  ift  fein  ^iftorifd)e§  9}er^ 
bienft.  ®ie  golfl^  bk\e^  ©iegeS  —  einer  ber  pofitiDen  Errungen* 
fcbaften  be§  3»ö]^^e§  1848  —  war  aber  nichts  weniger  aU  eine 
neue  ©tüte  be§  flofpfc^en  3i>^oliSn^w5.  @§  trat  oielme^r  ein 
DöQiger  Umfc^n)ung  ein. 

2)ie  ftreng  Maffifc^e,  mit  ben  9lamen  Sant  ^  gierte « ©d)iDer» 
^egel  bezeichnete  9lic^tung  ^atte  ben  SOtenfc^engeift  me(  ju  febr 
aU  felbfttätigeS,  ja  felbftfc^öpferifcbeS  SBefen  aufgefaßt,  fie  ^atte 
ba§  pafftoe,  empfängliche  Clement  in  ibm,  ba§  boc^  aßen  ©toff, 
auc^  benjenigen  für  bog  ®eifte§leben  liefert,  faft  ganj  ignoriert 
unb  infolge  baoon  bie  Slb^ängigteit  aße§  menfc^Ucben  (Seiftet* 
lebend  oon  natürlichen  unb  fojialen  33ebingungen  fo  gut  wie  gar 
nic^t  beachtet.  2lnbere,  oon  ©oetl^e,  ©c^clting,  S^leiermac^er 
oertretene  SRic^tungen  machten  jmar  l^ierin  nic^t  mit,  opponierten 
auct)  bagegen  oom  äft^etifc^en,  pfpc^ologifc^en,  religiöfen  ©tanb» 
punft  au§,  maren  aber  boc^  felbft  oiel  )u  fe^r  im  allgemeinen 
5lbeali§mu§  (ober  auc^  Silafftjiömu^)  befangen,  um  jene  ®infeitig- 
teit  aufwiegen  ju  tonnen.  9toct)  weniger  mar  ^ieju  bie  tünftleri* 
fcf)e  unb  religiöfe  9iomantit  imftanbe  mit  i^rer  einfeitig  ftimmungs;^ 
mäßigen  Seben^auffaffung.    So  mar  ber  JHüdfc^lag  unausbleiblich. 

3.  2)ie  aßiffenfd^aft,  ba§  SRecbt  unb  bie  Äuuft,  fobalb  fie 
i^rer  2lutonomie  ftct)  bemüht  unb  fro^  geworben  waren,  liefen 
alle  ibealen  unb  pbitofop]^ifd)en  ^rinjipienf ragen,  mittelft  beren 
fte  eben  erft  il^r  Siecht  in  ber  Deffentlic^feit  fic^  erftritten  Ratten, 
fahren  unb  gingen  oöUig  in  i^rcr  ftofflicben  gegenftänblic^en  2lr^ 
beit  auf. 

a)  3)ie  SBiffenfcbaft  fpric^t  ficb  junäc^ft  in  bewußter  3Beife 
bie  fc^öpferifcbe  gäbigfcit  ab;  an^  bem  ^Jbeal  bcS  fc^öpferifc^cn 
3)enfer§  wirb  ha^  beS  gorfc^er§  in  ^Jktur  unb  ©efc^ic^te.  3)ie 
3Biffenfct)aft  wirb  rein  befc^reibenb.  2)urc^  biefe  Selbftbefc^räu' 
fung  gewinnt  fie  eine  3Jlcnge  eingebenber  foliber  ^enntniffe  auf 
allen  ©ebieten   ber   erfat)rbaren  äBirflicbfeit ,   fic  wirb  auc^  oor 


$lancf:  ^lafflfc^e,  mobente  unb  reltgidfe  SebeniSauffaffung.     419 

aDcm  in  bcr  mat^cmatifc^^mcc^anifdöcn  9ioturn)iffcnfc^aft  unmittcis 
bar  fruc^tbor  für  bie  roirtfc^aftlic^c  5hiltur.  2lbcr  bei  foldjcm 
^Betrieb  miß  bic  ®r[c^einungg*  unb  ©rfal^rungSroclt  eben  immer 
nur  ou§erlid)  erflärt,  ni^t  aber  einheitlich  unb  innerlich  begriffen 
merben  unb  barum  bleibt  ber  ©toff  9Jleifter,  ber  jerfe^enbe  SBer» 
ftanb  geminnt  e§  über  ben  jufammenfoffenben  jentralifterenben 
(Seift  unb  bie  3Biffenfc^aft  fte^t  am  SRanbe  be§  aWateriali^muS. 

b)  Sie  Äunft  —  fomeit  fie  roieber  in  bie  SBa^nen  ber  5Ro» 
mantif  einlentt,  fc^Iie^t  fte  fi^  felbft  oon  ber  unmittelbaren  ®e* 
megung  ber  ©eifter  au§  unb  tommt  mefentlic^  al§  SReattion^er* 
fd)einung  gegen  biefe  in  SBetrac^t  —  bie  Äunft  gewinnt  burc^  bie 
neue  ftofflic^^naturmiffenfc^aftU^e  SRic^tung  ebenfalls  eine  SJlenge 
tec^nifd)er  Slu^bruct^mittet  unb  geminnt  baburc^  an  ^ä^igfeit  auc^ 
bie  alltägliche  SBirflic^teit  äft^etif^  ju  burc^bringen ,  moran  eS 
ben  Älaffifern  boc^  in  ^o^em  @rabe  gefehlt  ^atte.  2lüein  ber  au§« 
gefproc^ene  SWangel  an  jebem  geiftigen  Qheal,  bie  g^eube  an  ber 
^ä^lic^en,  ja  gemeinen  ©eite  be^  üebenS  seitigt  ^ier  nic^t  meniger 
unfpmpat^ifc^e  ®rf^einungen  al§  e^  bie  SluSmüc^fe  be§  mirtfc^aft» 
liefen  £iberali§mu§  maren. 

c)  ®ine  nic^t  weniger  afute  „aSermeltlid^ung"  erlitt  ber 
Slec^t^ gebaute,  wie  er  ben  Älaffitem  oorf^mebte  (Schiller, 
gid)te,  Urlaub).  3^nfolge  ber  traurigen  ©rfal^rungen  be§  Qal)xz§ 
1848  unb  ber  ^olgejeit  oermanbelt  fic^  ber  „Äampf  umö  SRec^t" 
in  einen  immer  bemühter  merbenben  Äampf  um  bie  SRa^t,  fo» 
mo^l  auf  nationalem  ©ebiet  —  l^ier  unter  gü^rung  ©iSmardö^) 
—  al§  auc^  auf  bcm  mirtfc^aftli^en  unb  fojialen  —  ^ier  unter 
JJül^rung  einfeitig  manc^efterlidjer  unb  fogialiftif^er  2:^eoretiter. 
®a^  beutfc^e  3Solf  fud^t  ben  SSorfprung,  ben  bie  anbern  SBölter 
auf  bem  ©ebiete  ber  nacften  Q[ntereffenpolitif  feit  ^a^r^unberten 
ooraug^aben,  mit  bemühter  beutfc^er  ®rünblict)teit  ^ereinju^olen. 

2)er  Staat  felbft  grünbet  au^gefprocf)enerma^en  feine  ©fi^ 
ftenj  auf  ben  nationalen  unb  mirtfd)aftlict)en  ®goi§mu§  —  roei^ 
man  bod),  ba§  ber  @goi§mu§  bie  meitau§  ftärffte  Jriebfeber  ber 

1)  ®ie  S'lotroenbigfeit  unb  Unumgdnglic^feit  oon  33i§marc(§  33orge^en 
angefic^tS  ber  politifc^en  ©ai^lage  foH  bamit  in  feiner  ©eife  in  3n>eifel 
gebogen  werben. 


420    ^  I  a  n  (f :  Älafflfc^c,  mobcme  unb  religiöfc  ßcbenSouffaffung. 

Slrbeit  bilbct !  9lur  barf  man  ftd^  nic^t  barübcr  rounbcm,  rocnn 
bicfc§  ^rinjip  in  bcr  breiten  erroerbenben  95oIt§maffe  einen  SBiber^ 
^aC  finbet,  ber  einem  fc^Iie^Iic^  boc^  un^eimlic^  mirb.  S)ie©döran« 
tenlofigfeit  ber  Ronfurrenj,  bie  mit  bem  fallen  aDer  ftoattic^en 
unb  jflnftlerifc^en  S^ff^I^  eintritt,  nerfü^rt  junäc^ft  ju  aCer  mög» 
tiefen  Unfolibität  im  ©rmerb  (unreelle  2lugenblicfSgrünbungen, 
billiger  ©c^unb  ftatt  prei§merter  2lrbeit);  fobann  bringt  fte  aber 
auc^  jroifdjen  bie  mirtfc^aftlic^  fü^renbe  unb  bie  mirtfc^aftlic^  ge» 
fül^rte  klaffe  einen  unüberminblic^  f^einenben  ©egenfa^,  benn  bie 
le^tere  mu§  ftd^  je^t  lebiglic^  als  (SrmerbSmittel  in  ber  ^anb  ber 
erfteren  porfommen.  ®er  liberale  Staat  finbet  e§  ferner  für  gut, 
im  felben  2lugenblidt  bie  aSoltSmaffe  auc^  non  fir^lic^er  SReligion 
unb  Slutorität  ju  emanzipieren  unb  fo  mit  ben  äußeren  33anben 
auc^  bie  inneren  fittlic^en,  menn  ni^t  auf julöfen,  fo  boc^  ju  lorfem 
—  tein  äöunber,  roenn  je^t  im  gefelligen  fieben  bie  plattefte  öbefte 
©enu^fuc^t  ftc^  breit  mac^t,  im  öffentlichen,  politifc^en  unb  rec^t* 
liefen  fieben  aber  baS  laut  geprebigte  SRi^trauen,  nor  allem  bie 
^e^e  ber  geführten  SJolfStlaffen  gegen  bie  fü^renben  bie  ^err« 
fc^aft  antritt.  Staatliche  unb  tir^Hc^e  ^^ürforge  jufammen  mit 
prioater  95erein§tätigfeit  tonnen  bem  bi§  ^eute  nur  ein  fc^mac^e§ 
©egengeroic^t  bieten.  2luc^  anbermeitige  2lnnä^erung§nerfuc^c 
muffen  junäc^ft  fc^eitern. 

S)a§  jmeite  ffirbe  ber  neuen  ^olitit,  oon  ©iSmardt  gen)i§ 
nid)t  gemoDt,  aber  mit  neranla^t,  ift  ber  nationale  ©^auniniSmuS, 
ber  ein  ebenfo  bequemet  ate  geiftlofe§,  freiließ  Don  unferen  9Jac^s 
barnationen  noc^  in  ungleich  ftärferem  3Wa§e  ausJgebeuteteS,  po» 
litifc^e§  9lgitation§mittel  barfleUt  unb  bem  gemiffe  Ijalbroiffenfc^aft» 
lid)e  Strömungen,  JWaffent^eorien  unb  fi^nlic^eS  bebentlic^en  SJor* 
fct)ub  leiften. 

4  unb  5.    ftlaffifct)e   unb   religiöfe  Seben^auffaffung. 

4.  2Bem  ift  nun  bie  Sc^ulb  an  biefem  2lbfall  jujufc^reiben? 
9iac^  allem  SBi^^erigen  trägt  ber  flaffif^e  ^beali§mu§  ein  gut 
Seil  ber  ©c^ulb  felbft,  fofern  er  in  ifarifc^em  §oct)flug  fic^  felber 
überftiegen  l^atte  unb  nun  burc^  fein  ©c^idEfal  feinen  brei  legiti« 
men  Äinbern,  ber  SBiffenfc^aft,  bem  9lect)t,   ber  Äunft  e§  felber 


$  l  a  n  (i :  ^laffif ^e,  mobeme  unb  religidf e  SebenSauffaffung.    421 

nahelegte«  ftc^  an  bte  93ebingungen  ju  erinnern,  an  roet^e  oQe^ 
3)afein  —  auc^  ba§  be§  3^beal§  —  auf  biefer  ®rbe  gefnüpft  ift. 
Slttein  bicfe  notiücnbige  ©elbftbefmnung  rourbe,  wie  c§  bei  biefer 
abroärtöfü^renben  3)entric^tung  naheliegen  mu§,  allma^Iic^  immer 
me^r  ju  einem  ftc^  ge^en  laffen,  bie  berechtigte  ^^^rberung  ber 
9leujeit,  aller  Slrbeit,  auc^  ber  geiftigen  gegenftänbtic^e,  fruchtbare 
unb  greifbare  Qkk  ju  geben,  führte  ju  einem  aWaterialiSmuS  ber 
©efmnung,  bie  fic^  nun  eben  auc^  in  ber  rein  materiellen  2luf« 
faffung  Don  Statur  unb  SJlenfc^enteben  bur^  Äunft  unb  SBiffen* 
f^aft  gefiel,  fie^tere  l^örten  aber  bamit  auf,  ber  ©emein^eit  be§ 
alltägli^en  3)afein§  ein  ©egengemic^t  ju  bieten;  bie  SBiffenfc^aft 
lieg  i^ren  fritif^en  ©mpiriSmu^  plö^lid)  in  platten  2naterialiS< 
mu§  umfc^lagen;  ber  9tec^t§gebanf e ,  ber  einft  bem  SBolt  bie  po* 
litifd^e  ©elbftbeftimmung  sugefproct)en,  gab  üollenb§  fic^  felber  preis, 
al§  er  fic^  jur  nacften  ö^tereffenpolitif  oerflüc^tigte.  Unb  —  mie 
e§  JU  ge^en  pflegt  —  je  mel^r  man  be§  ibealen  ©runbe§  ber  2luto* 
nomie  dou  SGBiffenfc^aft,  SRed^t  unb  ^unft  oergag,  befto  me^r  mur« 
ben  biefe  fic^  Selbft jmecf ;  bie  SDBiffenfc^aft  gefällt  fi^  jeitroeilig 
in  unfrucJjtbarer  2)etailträmerei,  bie  ^unft  fuc^t  me^r  Slnflog  ju 
geben  bur^  3)arftellung  be§  ^äglic^en,  ja  ©emcinen  al§  ©r^e* 
bung  unb  ©rbauung  burc^  2)arftcliung  be§  S^önen.  ©rftereö 
ift  freili^  auc^  leichter.  2ll(eö  in  aüem :  SBiffenfd^aft,  SRec^t  unb 
Äunft  maren  fel^r  ftolj  auf  i^re  neugemonnene  ibeate  Slutonomie, 
allein  in  biefem  freubigen  ©tolj  ^aben  fie  bie  Don  berfelben  ge« 
flellte  gorberung,  beren  ©rfüQung  boc^  eben  SSoraugfe^ung  biefer 
2lutonomie  ift,  teilmeife  migact)tet,  teilmeife  aber  au^,  voa§  noc^ 
fc^limmer  ift,  mit  falfc^er  SJlünje  ju  beja^len  nerfu^t^). 

©0  blieb  ba§  Seben  ber  unmittelbaren  ©egenmart  o^ne  alle 
ibealen  gaftoren,  unb  wer  o^ne  folc^e  ni^t  leben  mod^te,  mußte 
fie  roieber  ba  fu^en,  mo  fie  bisher  o^ne  SSerü^rung  mit  ber 
großen  ©eifteSberoegung,  ja  jumeift  unter  bemühter  2lble^nung 
eine§  SompromiffeS  mit  i^r,  ein  ftiHeS  3)afein  gefriftet,  nämlic^ 
bei  ber  ^Religion;  man  ging  alfo  mieber  in  bie  Äirc^e.  3lber: 
SDBiffcnfd^aft,  SRec^t,  ^unft  foKen  i^re  Slutonomie  behalten;    fein 

1)  ®amit  foll  naturlid)  bie   fubjcftioe  SBal^r^aftigfeit  einc3  <Strau&, 
^üc^ner,  $äcfel  u.  a.  nic^t  in  3n>eifel  gebogen  tuerben. 


422    ^lancf:  ^(affifc^e,  mobeme  unb  religidfe  SebenSauffaffung. 

crnft  ju  nc^mcnber  üWcnf^  fann  rüiücn§  fein,  fie  neuerlicher  SBc« 
Dormunbung  burc^  ben  ©taot  au^jufe^en  ober  fte  bem  (Bd)o^  ber 
Äirc^e,  bem  fte  einft  entfpro^t  jurürf$ugcben.  ^aben  fie  an6)  ben 
SBater,  ben  tlaffifc^en  3ii>cöli§mu§  j.  %,  fd^nöb  verleugnet,  er  lä§t 
fie  boc^  ni^t  me^r  an§  mütterliche  ©ängelbonb  feffeln.  S)ur^ 
biefe  Sachlage  ift  nun  aber  auc^  bie  öffentliche,  b.  i.  bie  firc^U^e 
SReligion,  in  bie  9lottt)enbigfeit  oerfe^t,  i^r  eigene^  religiöfe§  Se» 
benSibeal  neu  ju  beftimmen  unb  e§  }um  flaffifc^en  in  ein  tlareS 
93er^ältni§  ju  fe^en.    ^Beginnen  mir  mit  bem  le^teren! 

a)  3)a§  ttaffifd^e  Seben^ibeal  mirb  am  beften  be« 
jeid^net  al§  ba§  be§  $umani§mu§:  e^  miß  alle  in  ber  STOen« 
fc^cnfeete  liegcnben  Seime  entmideln,  ben  üWenfd^en  erft  jum  DoHen 
SWenfc^en  machen,  i^n  baburc^  erft  recf)t  ju  fic^  fclber  bringen, 
i^m  erft  ba§  ®efü^l  feiner  magren  SBürbe  geben.  3)a§  SBefen 
be§  9Jlenfd)engeifte§  aber  mürbe,  mie  gejeigt,  faft  ausfc^tiejslic^ 
in  feine  2tttioität,  feine  felbftf^öpferifdje  Kraft  gefegt,  ^hin  ift 
gemi§  ber  attioe,  b.  \).  ber  fittlic^  freie,  felbfttätige  SDBillc  ba§  ibeate 
3iel  be§  3Wenfc^en,  aber  ein  rein  attioeg  SBefen  tann  berSWenfc^ 
feiner  9iatur  nac^  niemals  werben;  ift  er  boc^  einmal  nic^t 
©c^öpfer  fonbern  ®efd)öpf.  Qn  SBirtlic^feit  fommt  ber  SÖlenfd^ 
be§^alb  niemals  oon  feinem  ©efü^Ugrunb  lo§,  unb  biefer 
bringt  i^m  immer  mieber  feine  natürliche  unb  fojiale  ©ebunben» 
lieit  ^anbgreiflid)  jum  ©emu^tfein.  2Ba§  auf  bem  2öeg  geiftig« 
fittli^er  ©elbfttätigfeit,  ©elbftjud^t  unb  ©elbftbilbung  erreicht  roer* 
ben  tann,  ift  alfo  nur,  ba§  bie  9teattion  gegen  biefe  im  ®efü()l 
empfunbene  Slb^ngigfeit  nid^t  eine  bumpf  inftinttioe  unb  ro^ 
egoiftifc^e  bleibe,  fonbern  me^r  unb  me^r  eine  geiftig  freie  unb 
unioerfale  merbe.  3lber  ber  Quellpunft  alleS,  auc^  be§ 
llö^ftentmicfelten  ®eifte§leben§,  mirb  immer  im  @e» 
fü^l  liegen  unb  jroar  an  ber  Stelle,  mo  Q[nftinft  unb 
2:rieb,  Seibenfc^aft  unb  Slffeft  fi^  jur  2tcu§erun-g 
b  rängen.  Unb  bie§  immer  neu  queHenbe,  unmittelbare  ©efü^fe^ 
unb  2:riebleben  lä§t  fic^  niemals  t)on  bem  gegenftäublic^  gemor* 
benen,  reflettierten,  auf  Schrauben  geftellten  ®eifte$leben  oerbrän» 
gen  noc^  fi^  baburcf)  erfe^en.  ®§  erfc^eint  i^m  gegenüber  fei* 
neSroegÖ  al§  urfprünglic^eS,  fc^öpferif^e§,  t)ielmet)r  alg  tünftlic^e§^ 


^  I  a  n  cf ;  ^lafflf cftc,  mobcme  unb  rcligiöfc  8cbcn§auffaffung.    423 

gcmac^tc§.  ®a§  SBorflellungSlcbcn  unb  ber  SBiUe  l^abcn  i^m  ge* 
genübcr  nur  bic  gunftion,  bic  ocrfc^iebcncn  finnlid^cn  unb  gcifti^ 
gen  ©efü^Ic  gegen  einanber  abguroägen  unb  ben  geiftig  ftttlic^cn 
ben  Sßorjug  ju  geben  vor  ben  fmnli^  egoiftif^en.  2lber  bie 
erfteren  rooKen  junor  roirtUd^  atö  ©efü^l^roerte  empfunben  fein, 
elie  fie  tatfäc^Ud)  bie  ©d)ä^ung  erlangen,  bie  i^nen  gebührt,  ©onft 
finb  fte  nic^t  e^t.  2ttte  roirüid^  roertooHe  geiftige  Slrbeit  (ah* 
gefe^en  von  ber  bloßen  ©mpirie  unb  2:ed)nitj,  befielt  bemnad)  in 
ber  SBerfung  geiflig  fittli^er  @efül|le. 

S)iefe  SBerfung  ift  geroi^  gefnüpft  an  bie  felbfttätige  Slrbeit 
bei^  S)enten§  unb  2BoKen§,  aber  fie  gef^ie^t  boc^  burc^au§  auf 
bem  93oben  be§  @efü^I§;  bleibt  fte  über  bemfelben,  errei^t  fie 
ben  ®runb  be§  @efüt)I§  nic^t,  fo  wirb  fie  faftifd^  unroirffam,  wirb 
bloge  ©Beinarbeit,  geiftige  3)reffur,  bie  ftc^  burc^  ben  fc^lieg* 
lidjen  unausbleiblichen  SRüdfaH  in§  Oemeine  al§  ©d)n)inbel  ent* 
puppt.  ®a]^er  ber  9Jame  93ilbung§fc^n)inbel.  8Ba§  com  ©emüt 
nid)t  re^tmä^ig  erworben  roorben  ift ,  baS  fann  aud)  ber  SBille 
l^ernac^  nic^t  Don  fic^  au§  geben,  xoa^  ni^t  im  SJlenfc^en^erjen 
felber,  b.  \).  in  ben  liefen  be§  ®emüte§  erlebt  unb  erzeugt  roor« 
ben  ift,  ba§  fann  aixä)  nid)t  au§  i^m  ^erauS.  2)en  fmnlid^en 
trieben  unb  Qnftinften  niu§  ©d^ritt  für  Schritt  ber  33oben  ab>^ 
gerungen  roorben  fein  dou  ben  geiftigen  ©efü^tSroerten,  ben  egoi* 
ftif^en  üon  ben  uniüerfal  gerid^teten.  ®er  SBitte  ift  mithin  immer 
nur  fooiel  fittlid)  frei,  aU  ba§  ©efü^föleben ,  auf  beffen  @runb 
er  fic^  felber  erfaßt,  nergeiftigt  ift.  3)ie  geiftige  grei^eit  muJ5  al§ 
^a^  ^ö^ere  empfunben  roorben  fein  gegenüber  uon  ber  ftlaüif^en 
Suft  ber  ©innlidjfeit,  bie  Siebe  al§  ba§  ^ö^ere  gegenüber  Don 
jeber  3lrt  bes  felbftif^en  @enuffe§. 

S^nSbefonbere  aber  ift  jebe  au^erorbentli^e  SBiüenSanfpan« 
nung  nur  mögli^  auf  @runb  einer  ebenfo  anbauernben,  au^er* 
orbentlic^en  ©efü^lSer^ebung,  jeneS  /,9Ku§",  ba§  bie  ©röfeen  ber 
SReligion,  einen  ^eremia,  gransiSfuö,  ^aulu§,  fintier,  auc^  3f^fu§ 
felbft  bei  i^rem  SBerfe  trieb,  mar  nt^t  ber  2lu§brucf  eine§  SBil* 
len§Dorfa^e§,  einer  refleftierten  93eftrebung,  fonbern  ber  2lu§brucf 
eines  im  innerften  ®efü^l  erlebten  geiftigen  ß^angeS,  einer  3lngft 
um  bie  eigene  ©eele.    Unb  erjie^bar  ift  aud^  ber  homo  communis 


424    ^  l  a  n  cf :  ^lafftfd^e,  mobeme  unb  religidfe  SebenSauffaffung. 

(bcr  MtagSmcnfc^)  nur  fo  vkl,  aU  fein  ©cfül^telebcn  fic^  Dcr» 
gciftigcn  lä^t. 

b)  SBcrgciftigung,  SBcrfittlic^ung  bc§  ©elbftbcrougtfcin^,  b.  \). 
be§  ©ctbftgcfül^lS  ift  aber  gar  md)t§  anbereg,  al§  roaS  ba§  ®^ri» 
ftcntum  oon  je^cr  afö  fieben§programm  für  jeben  aWenfc^cn  auf» 
geftetlt  ^at;  Setc^rung,  Erneuerung,  SBiebergeburt  fmb  nur  an* 
bere  SBorte  bafür.  Qn  au§gefprod)enfter  Söcifc  roill  c§  an  ©teile 
beg  „gteif^eömenfc^en"  ben  ;,@eiftesimenfc^en"  fe^en,  an  ©teUc 
ber  ftnnlic^  felbftfüc^tigen  ©yiftenj  bie  fittlic^  unioerfal  gerichtete 
.©fiftenj.  SJlit  biefer  ©efamtforberung,  me^r  noc^  aber  mit  i^rer 
©ic^erfteHung  burc^  bie  le^te  unb  ^öc^fle  fieben^mac^t,  burc^  @ott, 
^at  bie  ^riftli^e  SHeligion  in  it)rer  eoangelifc^en  S^ffung  bem 
üafftfc^en  3ii>^ali§mu§  einen  Unterbau  anjubietcn,  ben  biefer  nic^t 
ol^ne  weitere^  t)on  ber  ^anb  roeifen  barf.  ^a,  m\i  er  feinem 
^ibeal  nic^t§  vergeben,  fo  mu^  er  fte  bireft  ju  ^ilfe  rufen. 
3)enn  ber  33en)ci^  ift  nun  eben  burc^  bie  tatfä^lic^e  @ntmicflung 
pon  aSJiffenfc^aft  Siecht  unb  Äunft  nic^t  erbradjt  roorben,  ba^  fie 
üon  fi^  aus  bie  ^bee  be§  äBa^ren,  ®uten  unb  Schönen  jum 
©iege  führen  werben,  ©inmal  mar,  mie  gejeigt,  ber  ©turj  in§ 
©emeine  auf  aUen  brci  ©ebieten  gro^  unb  bie  ©r^ebung  barau§ 
ift  nod^  auf  feinem  ®ebiet  DöHig  gelungen,  nic^t  einmal  auf  bem 
ernft^afteften  oon  ben  breien,  bem  ber  ftrengen  Söiffenfc^aft.  Qt 
me^r  fie  fic^,  mie  baS  jur  Qtit  gefd)iet)t,  auf  bie  empirifd^^friti« 
fc^c  gorf^ung  befc^ränft  unb  bamit  i^r  eigene^  3^beal  oertürjt, 
befto  weniger  ift  fte  imftanbe,  einen  ibeaten  Jaftor  im  SßolBlebcn 
felbft  barjuftellen.  3)aju  ftedtt  fie  bod)  noc^  oiel  ju  fe^r  im  ©toff. 
Ober :  ©oll  bie  bermalige  politifc^e  SSertretung  beS  9ied)tSgeban* 
fen§  jenen  ibealen  gaftor  bilben?  ^a,  ^ört  man  bie  ©ojialbemo* 
tratie,  fo  märe  fie  ba§  einjigc  ibeate,  mas  e§  noc^  im  aSoIteleben 
gibt.  2lber  ba§  glauben  mir  i^r  eben  nid)t  ganj.  Ober  foU  ba§, 
ma§  oon  Sunft  l^eutjutage  Dor  unb  unter  baS  SSolt  fommt,  bie 
©ac^e  be§  ^beal§  oertreten  ?  3)a§  roirb  bod^  niemanb  im  ®mft 
behaupten  motten. 

©erni^:  jene  brei  3^been  machen  ben  reftlofen  Q[  n  ^  a  1 1  be§ 
gefamten  geiftig  fittlic^en  SebenS  auS,  mie  ba§  unfere  3)ic^ter  unb 
3)enfer  unS  fo  fc^ön  oeranfc^aulic^t  unb   bemiefen   ^aben;    roai 


^land:  ^(afftfc^e,  mobetne  unb  religiöfe  SebenSauffaffung.    425 

aber  nur  bic  SReligion  beioeifen  fann  unb  nic^t  SBiffcnfc^aft,  nic^t 
JRec^t  ni^t  Äunft,  ba§  i%  baj5  biefc  3^been  nic^t  ein  blo^c^,  oft 
fc^ulbig  gebliebene^,  oft  nur  mü^fam  ^erauögcquältcS,  wenn  nic^t 
gar  mit  falfc^er  3Wünje  bcja^Itc§  „©oß"  barfteOcn,  fonbern  n>irf« 
lic^  bie  geiftige  Stiften}  be§  SOtenfc^en  überhaupt  ausmachen,  bie 
geiftige,  b.  i.  bie  einjig  roirflic^e  ©jiftcnj,  für  bie  e§ 
ben  ®otte§männem  nic^t  gu  oiel  war,  bic  irbifd^e  ©yiftenj  ju 
opfern.  3Wit  biefem  Opfer  ben>icfcn  fte,  ba^  e§  ft^  in  ber  ^Jrage 
be^  3^bealö  eben  nid)t  bIo§  um  eine  me^r  ober  weniger  fd^öne, 
anflänbige  ©fiftenjroeife  be§  SWenfc^en  Ijanbelt,  fonbern  um  ben 
aJlenfc^en  felber,  feine  ©eligfeit  ober  Unfeligfeit.  ®§  ift  bie  ein* 
jigartige  ©tärfe  ber  Sieligion,  bag  in  i^r  ba§  Qbeat  wie  auf 
feinem  anbern  fieben^gebiet  aU  unmittelbare  mirfli^e  ©jiftenj 
(®^riftu§)  bafte^t,  unb  ba§  e§  bann  in  fold)er  Steinzeit  unb  ^o* 
^eit  fte^en  bleibt,  wie  nirgenbS  fonft.  2)enn  Söiffenfc^aft,  iRe^t 
unb  Äunft,  bie  auf  biefer  ©rbenroelt  fc^affen  muffen,  fmb  ber  9la* 
tur  ber  <Bad)z  nad)  beftänbig  in  ©efa^r,  eg  ju  materialifteren 
unb  bamit  oon  feiner  ^ö^e  ^erabjujie^en.  Qn  ®ott  allein  ift  ba§ 
perfönlic^e  ^beal  jugleid^  ba§  einjig  Sleale,  ba§  e§  gibt  unb  o^ne 
ba§  ber  ajlenf^  gar  nic^t  SWenfc^  ift.  9Bir  beuten  alfo:  fot^er 
tieferen  ©egrünbung  unb  ©rgänjung  burc^  bi«  SRctigion  foHte  fic^ 
ber  flafftfc^e  3?beali§mu§  nid)t  entjie^en.  ®r  oergibt  bamit  feiner 
reinen  ©eiftigfeit  geroife  nic^t§ ;  er  gefte^t  nur,  ba§  bie  oon  i^m 
gewollte  3Belt  Haren,  aufrii^tigen  ®enfen§,  rechten,  eblen  ©tre« 
ben§  unb  fc^önen  @eftalten§  nic^t  möglich  ift  obne  bie  elementare 
©runblage  eine§  t)ergeiftigten  ©efü^lslcbens,  mie  e§  eben  nur  bie 
Unmittelbarfeit  ber  SReligion  Ijeroorjurufen  imftanbe  ift. 

älllein  nac^  allem  bi^l^erigen  ift  bod^  noc^  me^r  ju  fagen.  2)er 
flafftfc^e  3[beali§mu§  t)er  l  angt  auc^  bireft  biefe  Srgänjung,  menn 
er  an  bem  obengenannten  ^rimat,  ber  praftifc^en  äSernunft,  ber 
3bee  be§  ®uten,  feftl|ält.  3)enn  ber  @ott  be§  @oangelium§  ift  ja 
gar  nic^t^  anbere§,  al§  eben  bie^  ®ute,  ba§  al§  le^te  unb  ^öc^fte 
perfönlic^e  aJlac^t  empfunben  wirb,  ju  ber  e§  fein  anbere§  SJer* 
^ältni§  geben  fann,  al§  ba§  abfoluten  95ertrauen§  unb  ©e^or- 
fam§.  ffläa§  ift  ®ott,  b.  i.  bie  ^eilige  Siebe  felbft ,  anbere§  al§ 
jene  reine  ©ittlic^feit  in   perfönlic^er   ®eftalt?    ©omit  ift  edjte, 

Seitf<^rift  für  X^eoloflie  unb  Äirc^e.    15.  Sa^rg.,  6.  ^eft.  30 


426    ^land:  Stlafflfc^e,  mobetne  unb  religidf e  Sebeniouffaffung. 

coangclifc^c  SRcItgion  gar  nic^tö  anbetet  al§  bie  SBcrtrctung  jener 
3entralibee  be8  ©uten,  ber  bie  anbern  ^bten  roie  gefagt  in  i^rer 
SBirtung  auf  ba§  ©anje  unterfteCt  fmb.  ©o  wirb  e§  pfpc^olo* 
gifc^  auc^  ocrflänblic^ ,  warum  in  früheren  Stxim  bie  SHeligion 
bie  ©eroalt  über  alle  ©eifte§^  unb  ^errfc^aft§gebiete  überhaupt 
beanfpruc^te  unb  ausübte,  unb  roarum  SBiffenfc^aft,  SRec^t  unb 
Äunft  roillig  i^re  ^öc^ften  Seiftungen  in  i^rem  S)ienft  Dottbrac^ten. 
Sltlein  jene  Seiten  geigen  freiließ  auc^  unroiberteglid^,  ba§  jroif^en 
ibealer  9teligion  unb  empirif^  fir^Iic^er  ^Religion  berfelbe  9Bi* 
berflreit  obroattet,  roie  bei  ^unft,  9iec^t  unb  SBiffenf^aft,  ba§  ftc 
in  i^rer,  freiließ  roieber  ganj  anber§artigen  SBeife  ebenfo  ftart 
unb  ftnnenfäüig  bem  ^rosejs  ber  9Jlaterialifierung  anheimfällt  — 
benn  auc^  ber  91berglaube  ift  im  ©runb  ein  STOaterialismu^,  unb 
ber  ed^te  ©laube  ift  aCejeit  immer  nur  ber  f^male  ^fab  jroif^en 
3lberglauben  unb  Unglauben  geroefen  —  roie  jene  brei  von  ^au§ 
au§  me^r  gegenftänbtid)en  ®eifle§gebiete.  3Serfd)ärft  roirb  ber 
©egenfa^  be§  Qbealen  unb  be§  empirifc^  9Birtlic^en  auf  bem  reti- 
giöfen  ©ebiet  no^  babur^,  baj5  bie  SReligion  oiel  enger  al§  jene 
brei  freieren  ®eifte§gebiete  mit  bem  befte^enben  9lc^t  unb  ber 
l^errfc^enben  (Sitte  t)ertnüpft  ift,  ba^er  auc^  i^re  Steinigung  — 
9ieformation  ^ei^t  man§  l^ier  —  eine  ganj  anbere  ©a^e  ift,  ai^ 
etroa  eine  Slutauffrifc^ung  in  SDBiffenf^aft,  ^unft,  ^un^P^^ubeng 
unb  auc^  ^olitif.  ferner  ift  bie  fird|lid)e  Stetigion  pon  i^rem 
göttlichen  ©runbe  unb  SRec^te  au§  geroö^nt,  aud^  fold^e  gorbe* 
rungen,  bie  in  SEBirtlic^teit  nur  relative  ©eltung  beanfpruc^en  fön« 
nen,  alg  abfolute  ju  ergeben,  fragen  ber  SBeltanfc^auung ,  mit 
roelct)er  freiließ  ber  SBunberglaube  unb  bie  ganje  ©atrament§ma«= 
gie  oerfnüpft  ift,  ju  2)ogmen  unb  ©lauben^befenntniffen  ju  ftem* 
petn,  oon  beren  2lnnaf)me  ober  9iid)tanna^me  gleich  ©eUg!eit  ober 
Unfeligteit  be§  SRenfc^en  abhänge,  ©o  ift  e§  brum  nic^t  ju  per« 
rounbern,  roenn  ber  tlaffif^e  3fbeali§mu§  feinet  fritifc^en  Urfprung§ 
eingeben!  bie  ^erfömmlic^e  SReligion^übung  in  feiner  SBeife  an* 
greift,  unb  bringenb  eine  Steinigung  unb  Äldrung  roenigften^  be§ 
3entralen,  ber  retigiöfen  SebenSauffaffung  felbft  oerlangt. 

c.  ^ene  Sefel^rung,  bie  ber  ®^rift  al§  SBiebergeburt  bejeic^net, 
roeil  er  fte  al§  götttid)e  Steufc^öpfung  empfinbet,  mu§  boc^  roefent* 


$  ( a  n  cf :  ^laffif c^e,  moberne  unb  religiöfe  SebenSau ffaffung.     427 

lic^  mit  als  3Berf  bci8  freien,  fctbftberou^ten  4öiücn§  gefaxt  roerben, 
fonfl  lüäre  fie  ja  reine,  göttliche  9Wagie,  jauber^afte  SJerroanblung 
unb  bamit  fitttic^  roertloS.  S)amit  ift  aber  weiter  gegeben,  bafe 
baS  natürliche  ©efü^lS-  unb  Iriebteben,  au§  bem  aöeS  SBoOen, 
aud)  ber  ftttli^e  Söiöe  al§  SBiDe  entfpringt,  nic^t  oon  Slnfang  an 
al§  mit  ber  @rbfünbe  bei^aftet  abgetan  merben  barf,  3)ie  „©ntmürbi^ 
gung"  ber  menfd^Uc^en  „9latur"  ift  ber  ^auptanfto§,  ben  unfre  ftlaf- 
fifer  am  ^ertömmlic^en  S^riftentum  genommen  ^aben.  @$  tann 
fic^  in  Söirtlic^feit  auc^  bei  ber  SBefe^rung  nic^t  um  eine  Unter« 
brüdEung  berfelben  ^anbetn,  fonbern  nur  um  eine  Ummanblung, 
bcffer  noc^  um  eine  SSereblung,  mobei  auf  ben  für  fic^  allein  frei- 
li^  unfru^tbaren  milben  Stamm  ein  eble§  SReiS  aufgepfropft  mirb 

—  religiös  gefproc^en:  ba§  Söort  ®otteS,  flafftfct)  gerebet:  ha^ 
Qbeal  —  mobei  le^tereS  aber  bo^  erft  burc^  ben  oon  jenem  ein« 
ftrömenben  ©aft  unb  2:rieb  feine  SebenSfäl^igfeit  unb  gruc^tbar* 
feit  erhält.  Unb  mie  bei  ber  93e!e^rung  beS  ©injelmenfc^en,  fo 
ift§  bei  ber  ber  ©efamtmenfc^l^eit  burc^  bie  göttliche  „Offenbarung". 
aWit  bem  ^inmeiS  auf  biefe  2:atfac^e  ^at  ber  flaffifd^e  QbealiSmuS 
jmeifelloS  Siecht  gegenüber  oon  einem  aSfetifc^en  S^riftianiSmuS 
unb  einer  burd)S  ^erfommen  geheiligten  Äirc^enfprac^e,  bie  eben 
ni^t  an  ber  ^irflic^feit  orientiert  ift.  @r  ^at  bamit  auc^  bei 
aHen,  bie  i^r  natürliches  @mpfinben  nic^t  bem  ^ertommen  geopfert 
^aben,  bereits  gefiegt.  Siegt  eS  boc^  auf  ber  ^anb,  ba^  bie  Se« 
benbigfeit  unb  §rifc^e  beS  natürlicf)en '^nflinfteS  fict)  fc^led^terbingS 
nic^t  erfe^en  lä§t  burcl)  refleftierte  SBiHenSanftrengung.  fie^tere 
fann  unb  foU  oielme^r  ben  erfteren  blo§  merfen  unb  anregen.  S8on 
beS  ©ebantenS  ©läffe  angefräntelte  ^Religion  ift  unfruchtbare  Älo* 
fterreligion ;  eS  ift  nichts  bamit,  „auf  ben  Krümmern  beS  ^^nftinftS 
bie  2:ugenb  aufbauen  ju  roollen".  3)aS  gibt  eine  ©erlogene  ^eilig* 
feit,  jene  fpejififc^e  2:ugenb,  meiere  bie  offijielle  SReligion  immer 
unb  immer  mieber  oer^a§t  unb  oerac^tlict)  gemacht  ^at.  SlÜe  te« 
benbigen  großen  ©eifter  ^aben  für  ©otteS  ©ac^e  mit  aller  nur 
benf baren,  natürlichen  üeb^aftigfeit  unb  inftinftioer  5rif^^  geftritten 

—  ein  93en)eiS,  ba§  eS  fic^  beim  religiöfen  Qbeai  nic^t  um  Untere 
brürfung  ber  Statur,  oiclme^r  nur  um  richtige  fieitung  beS  natür« 
liefen  ©mpfinbungS«  unb  JrieblebenS  ^anbelt.    Unb   jebem  älter 

30* 


428     $  l  a  n  (f :  ^lafftfd^e,  mobeme  unb  religiöfe  8ebenSauffaffung. 

Toerbcnbcn  brängt  c§  fid^  auf,  ba§  er  oß  bic  Sufl  unb  %n\ä)e, 
bic  er  einft  bem  jugenbü^en  ©piel  cntgcgenbroc^te,  nic^t  etwa 
unterbrürfen  foße,  fonbem  jufammcnfaffen,  fonjentrieren  auf  baS 
53eruf§n)cr!  feinet  Sebcn§.  SBenn  unÖ  alfo  nod)  ^eutgutage  auc^ 
in  befferen  religiöfen  ^Blättern  unb  SBüc^ern  bie  SÄnfc^auung  ent* 
gegentritt,  ba§  S^riftentum  forbere  Ueberroinbung  bcr  Statur, 
Slbftreifung  be§  Slatur^af ten  in  unig,  f o  fagcn  mir :  Stein !  e§  ^an» 
bclt  ft^  nur  um  ein  ginben  ber  eckten  gefunben  SRidjtung  unfre§ 
natürlichen  gü^Ien^  unb  (Strebend,  bie  mit  ber  göttlichen  SebenS* 
rid^tung  mefentlic^  ein§  ift,  atlerbingg  unter  beflänbiger  93etämpfung 
ber  fic^  immer  ^eroorbrängenben  ungefunben  unb  falfc^en.  3)ie 
finnlid^  felbftfü^tige  ^erip^erie  unfrei  S)a* 
f  e  i  n  § ,  ba§  2;ierif^e  in  un§,  ba§  bie  ganje  SBreitfeite  unfrei  2e» 
ben§  au^ma^t  foU  in  ben  Sienft  beS  gciftigen  ßem 
trum§  gejmungen  merben.  3)ie§  ift  ba§  fittlic^ 
retigiöfe  fieben^pr ogramm  be§  @t)angelium§ 
mie  beö  tlaffif^en  3»i^^öIiSmu§. 

2luf  biefem  SBege  unb  nur  auf  biefem  fönnen  ber  flaffifc^e 
0[beaU§mu§  unb  bie  eoangelifc^e  SReligiofität  ju  innerer  2Jerfö^» 
nung  unb  gegenfeitiger  2lnertennung  gelangen.  Sie  SReligion 
bleibt  bie  jentrale,  geiftige  fiebenSmac^t  felbft, 
beren  Sraft  in  erjie^erif^er^infic^t  ber  !laffif^e  Qbeali§mu§  nic^t§ 
an  bie  Seite  ju  [teilen  ^at.  S)enn  nur  in  il^r  ift  bie  fittlid^e  gor* 
berung  be§  SGBd^ren,  Outen  unb  ©c^önen  jur  felbftüerftänblic^en 
geworben,  ber  fittlic^e  Seben^nero  ift  in  i^r  am  unmittelbarftcn 
lebenbig,  ba§  3^beal  fte^t  in  unroanbelbarer  Steinzeit  über  ber  ge* 
meinen  ©rbenmirflic^teit,  inbeffen  e§  burc^  bie  2lrbeit  oon  Söiffen« 
fd^aft,  SHec^t  unb  Äunft  in  bie  ^eripl^erie  be§  Seben^  eingeführt 
wirb,  roo  e§  bann  immer  auc^  SJerunreinigung  erbulben  mu^.  2ln* 
bererfeitg  bleibt  bie  Sieligion  o^ne  jene  gegenftänbli^e  2lrbeit  un» 
fruchtbar,  benn  ba§  Qbeal  foU  bod^  nic^t  bloß  in  feftlic^er,  tuU 
tifc^er  geierli^feit  angef^aut  unb  oere^rt,  fonbem  auf  biefer  ®r* 
benroelt  fo  oiel  al§  möglich  oermirflicJjt  werben.  Sonft  tann  fic^ 
ba§  S^riftentum  ber  furd)tbaren  Slnttage  auf  unfru^tbare  Sran^* 
jenbeng  nict)t  erme^ren.  S)er  tlafftfc^e  3^bealigmu§  ift  e§  brum, 
ber  bie  ganje  ^JüHe  be§  mirflic^en,   fittlic^en  2eben§in^alte§   bei« 


$  l  a  n  cl :  ^lafftfc^e,  mobetnc  unb  rcUgiöf c  öcbcnSauffaffung.    429 

bringt,  bic  SReligion  gibt  i^m  i^rcrfcit^  bcn  tragcnbcn  ®runb  unb 
fein  ftd)crc§  Qid,  bamit  auc^  erft  bcn  ooUen  ®rnft  unb  ^ah. 
©emeinfam  mu^  beibcn  fein  ber  eigentli^e  Stero  alle§  roa^r^aftcn 
©eifte^leben^ :  bie  S^rfurc^t  oor  bemSDBirÜi^en  unb 
bie  Sßerfö^nung  mit  il^m  in  ber  fittlic^en  ©rl^ebung  über 
ba§  ©emeine  unb  in  ber  religiöfen  ©rgebung  in  ba§, 
roo§  getan  unb  getragen  fein  mu§. 

©injelne  6efonber§  ftrenge  Sßertreter  be§  Mafftfc^en  3i>caU§* 
mu^  ^aben  inbeffen  bie  i^nen  Don  religiöfer  ©eite  angebotene 
Unterbauung  i^re§  ©tanbpunft§  j.  Z.  mit  ©ntrüflung  jurürfge* 
miefen.  Qu  i^nen  gehört  u.  a.  ber  SWarburger  ^rofeffor  5Ha* 
1 0  r  p.  6r  meint,  in  ber  religiöfen  ©r^ebung  (Slnbad^t,  @ebet, 
gotte^bienftlid)e  ^eier)  merbe  nur  ba§  im  Ueberfc^mang  be§  @e^ 
fü^I§  norroeggcnommen,  mag  bie  menfc^Uc^e  Sultur  in  ftrenger, 
gebulbiger  2lrbeit  fc^affen  muffe.  Qm  „3^"f«i*^"  merbe  nur  ba§ 
al§  erfüllt  angefc^aut  unb  im  norau^  genoffen,  roa§  in  SBirKic^^ 
!eit  nur  ba§  9tefultat  ernfter,  ftttlic^er  3lrbeit  an  ftc^  felbft  unb 
an  ber  Kulturmenfc^^eit  fein  fönnc.  S)ie  cinjige  e^rlic^e  2luf« 
gäbe  ber  9ieligion§übung  fei  ba^er  bieS  fittlidje  ^i^al  bem  aWen^^ 
fd^en  ftetS  tebenbig  unb  gegenmärtig  ju  erhalten.  StatorpS  ©tanb:= 
punft  frantt  aber  an  einer  Ueberfpannung  ber  menfd)lic^en  ©elbft« 
tätigteit  in  ber  obengejcic^neten  SRi^tung  3=ic^te§.  3)er  3Wenfc^ 
non  gteifc^  unb  S3lut  bcbarf  eben  ni^t  blo§  einer  SBergegen* 
märtigung,  fonbern  auc^  einer  n)irftid)en  Sicherung  feine§ 
fittlid^en  QbtaU ,  bie  i^m  eben  nur  bie  Sieligion  ju  bieten  im* 
ftanbe  ift. 

5.  Sltlein  nun  ergebt  fic^  auc^  bie  anbere  5^age:  !ann  unb 
barf  ba§  ß^riftentum  o^ne  meitere^  bie  ^anb  jur  SJerfö^nung 
bieten,  fann  eö  eine  Sebenöauffaffung  julaffen,  bereu  Slu^gangs^ 
punft  bie  grunbf  ä^  lic^e  9lnertennung  bcrSlutono* 
mie  be§3Menfcl)cngeifte§  ift?  Slntmort :  ^a,  wenn  mirf» 
lic^  unter  biefem  Sßenfdjengeift  nic^t  ber  gemeine  empirifc^e,  fon* 
bem  ber  ibeale  oerftanben  mirb.  Setyterer  ift  boc^  roo^l  nid^tö  an* 
bereg,  af§  ma§  ber  S^rift  mit  bem  „©benbilb  ©ottes"  meint,  mo* 
nad)  ber  SWenfc^  gefc^affen  fei.  Sefmnt  ber  aWenfc^  fid^  mirflic^ 
auf  ftc^  felbft,  fteigt  er  auf  ben  ©runb  feinet  ^erjenS  ^inab,  fo 


*430     ^lancf:  ^laffifc^c,  mobcme  unb  rcligiöfc  Scbcngauffaffimg. 

ftöjst  er  bort  auf  feine  eigenen,  eroigen  ©runbgefe^e,  eben  jene 
^been,  bie  fic^  nun  ebenfo  menfc^U^  anfüllen,  al§  fic  bem  S^ri« 
ften  t)on  Äinb^eit  auf  alg  erhabene,  göttliche  ^ei(igfeit§gefe^e  er^ 
fd)ienen  finb.  ®öttlic^e§  unb  9Wenf^Iic^e§  eint  fi^  nun.  ®in 
SHaffael  malt  göttli^e  unb  menfc^Iidje  ©d)ön^eit  in  einem  2ln^ 
geftd^t.    t^^-eilic^  bie  2)iffonanj  ma^t  fi^  immer  mieber  fühlbar: 

„Sw'if^^  ©innenglüd  unb  ©eclenfricben  bleibt 

bem  SWcnfc^en  nur  bie  bange  9Ba^l, 
^uf  ber  @tim  ber  ^o^en  Uraniben  leu(^tet 

ibr  ocrflärter  ©trabl." 

3)a§  man  aber  auf  bie  Satfa^e  biefer  S)iffonanj,  religiös 
gefprod^en  ber  Sünbe,  rein  menf^lic^  gefproc^en:  biefe§  fteten 
9lbfaltiS  be§  SWenfc^en  non  feinem  magren  ^d),  ba§  S^riftentum 
^eute  noc^  al§  eine  grunbfä^lid)  ^eteronome  (fremb^gefe^lic^e) 
9ieligion  au§jugeben  magt,  biefe§  SWi^nerftänbniö  foHte  auf 
proteftantifd^er  ©eite  nic^t  me^r  für  möglich  gehalten  roerbcn. 
3Benn  ber  ^opft  bie  autonome  SHeligion,  ©ittlic^teit/Söiffenf^aft 
^unft  nerflud^t  unb  bie  römifc^4at^olif^e  9Biffenfc^aft  if)m  barin 
folgt  (mie  j.  SB.  ber  "ißrager  ^rofeffor  Söiümann  mit  feiner  n)ü= 
ften  aSerfe^erung  Äant^),  fo  tä§t  pc^  ba§  begreifen,  man  fürdjtet 
ja  für  bie  eigene  SWa^t  unb  ©yifteng,  aber  auf  coangelif^er  Seite 
foHtc  man  barüber  Mar  fein,  ba^  eine  ^eteronome  Steligion  nic^t 
me^r  unb  nic^t  weniger  bebeutet,  aU  3)ienft  eine§  bem  9Jlenfc^cn 
felbft  roefen§fremben  ®otte^,  b.  i.  ©ö^enbienft.  'ißrotcftantiSmuS 
bebeutet  aiutonomie  be§  religiöfen  @eroiffen§,  ba§  Einigung,  5Ber* 
föt)nung  mit  feinem,  feinem  fremben  ®otte  fu^t,  non  bem  e§ 
feiner  Statur  nac^  gar  nic^t§  miffen  !önnte.  3)a§  ®oangelium 
mag  bem  oerirrten  unb  oerblenbeten  ÜWenfc^engeift  noc^  fo  oft  ate 
frembe^  Qöc^  (•^eteronomie)  er f  (feinen,  gel^t  e§  i^m  einmal  in 
feiner  magren  ^ebeutung  auf,  fo  mu§  e§  i^m  im  felben  Slugen* 
blidt  als  SGBiebererlangung  feiner  3lutonomie  unb  greit)eit,  al§ 
JRücffe^r  }u  feiner  magren  eigenften  9iatur  erfd)einen.  3)a§  ®ött= 
lic^e  ift  gleid^  bem  roal^r^aft  ertannten  9Kenfd)lid^en ;  ift  bem  nic^t 
fo,  fo  finb  Söorte  mic:  „Kinbf^aft  ®otte§",  „Sbcnbilb  ®otte§", 
'^^Jtirafcn  ot)ne  allen  ^intergrunb.  35er  autonome  SJlenfc^  ift  ber, 
ber  fic^  felbft  ein  ®efe^  ift,  ber  nic^t  oon  äußeren  finnlic^en,  fon^ 


planet:  ^lafftfd^e,  mobeme  unb  religtöfe  SebenSauffaffung.    431 


I 


bern  dou  inneren  geifttgen  SRotioen  —  unb  bieS  fmb  erft  roirflid^ 
feine  eigenen  —  geleitet  wirb  unb  bQ§  ift  boc^  roo^I  Sl^eonomie, 
göttliche  fieben^art. 

©eroig  ift  beim  gemeinen  9Wenfd)en  immer  bie  ©efa^r  Dor» 
^onben,  bag  bie  i^m  }ugefproci^ene  Autonomie  in  älnomie  (Unge« 
fe^Iic^teit)  umfd)Iägt;  ^ier  liegt  aber  ein  ^Betrug  beS  %k\^6)^^* 
menfd^en  Dor,  ber  für  ftc^  in  2lnfpruc^  nimmt,  maS  nur  bem 
©eifte  jugefproc^en  n>Qr.  3)iefe  leibige  Satfoc^e  ^ot  aber  j.  93. 
ben  2lpoftel  ^ßaulug  feine§n)eg§  baju  oerleitet  ha^  SBort  Don  ber 
Jrei^eit  ber  Äinber  ©otte§  unb  oon  ber  2luft|ebung  be§  ©efe^eö, 
b.  i.  ber  ^eteronomie,  mieber  jurüdjune^men,  meil  etliche  ©emetn« 
beglieber  in  ©alatien  unb  Äorint^  e§  fleifc^lic^  mi^rauc^t  Ratten. 
@g  ift  aud^  eine  falfc^e  ^äbagogif,  bie  bad  tun  miD,  benn  fo  oiel 
Unfug  ber  jugenblic^e  SWenfc^  mit  SBorten  treibt  —  biefelbe  ^n-- 
gcnb,  ber  man  burc^  falfc^e  ©efetjlid)feit  ein  frembeS  3^oc^  auf* 
legt,  räc^t  ftc^  für  biefe  Unn>a^r^aftigteit  in  ganj  anberer  SBeife. 
5)a§  3Jli§trauen  ift  rafc^  bei  ber  ^anb ;  nur  baburc^ ,  ba^  biefe 
?5orberungen  aU  folc^e  be§  ureigenften  fid^  felbft  red^t  oerfteben« 
ben  $IWenfc^engeifte§  auftreten,  Derlieren  bie  gorberungen  be§  SBat}'- 
ren,  ©uten  unb  ©c^önen  ben  aufbringlidien  unb  läftigen  S^araf ^ 
ter,  ben  fie  mäl^renb  ber  langen  ©rjie^ung^jeit  oft  annehmen  müf* 
fen.  ©0  aber,  menn  i^nen  ber  ©^aratter  ber  3Iutonomie  gewahrt 
bleibt,  werben  fie  me^r  unb  metir  als  bie  innerjien  jentralen  fie=» 
benStriebe  be§  9Wenfd)en  empfunben,  bie  freilid^  nic^t  rafd^  auf^ 
fc^ie^en  mie  ba§  aüejeit  lebenSluftige  Untraut,  bie  oielmetir  lange 
im  ^erjenSgrunb  gehegt  unb  gepflegt  fein  mollen,  oft  genug  aud^ 
oon  mütterlicher  unb  oäterlic^er  ^anb  oerteibigt  fein  moDen,  bi§ 
fte  ftarf  genug  fmb,  i^rer  geinbe  ftc^  fetber  ju  erme^ren.  2)er 
3)ienft  be§  ^tbealen  ift  bann  nid^tS  anbere§  me^r,  al§  bie  ^erau§* 
arbeitung  be§  wirflic^  ©c^ten  in  unfrer  9latur,  be§  eigentli^ 
aWenfc^lic^en  in  unS,  ba§  in  feinem  Kern  ba§  ©öttlid^e  ift,  2)ie§ 
©efü^l  }u  medfen  ift  boc^  auc^  ba§  93eftreben  einer  fpejififc^  eoan« 
gelifc^  c^riftli^en  ©rjiel)ung;  fie^t  ein  SSater  bei  feinem  ©o^n 
ba$  @efüt)l  ber  ©elbftoerantmortlic^teit  in  bem  bejei^neten  ©inne 
aufteimen,  fo  tann  er  i^m  getroft  bie  ßügel  ber  ©rjietjung  me^r 
unb  me^r  übevfaffen.    ©oUten  in  biefem  ft'arbinatpuntt  nic^t  eoan* 


432     g^land:  ^(affifd^e,  mobeme  unb  religiöfe  SebenSauffaffung. 

gcUfd^cr  ©inn  unb  tloffifc^cr  QbcaliSmu^  einig  fein? 

®en)ig  gegen  bie  Sluflöfung  in  „tlafftfc^en  ^^^ali^mu^"  mug 
fic^  bie  eoangelif c^e  SRetigiofttät  entfc^ieben  wehren ;  benn  bie  fitt* 
lic^e  9lutonomie  unb  grei^eit  ift  nur  bie  eine  (Seite  i^re§  3Befen§. 
3)ie  anbete  aber,  ber  Sieligion  urfprünglic^  eigcntüm* 
lic^e  liegt  auf  ber  paffioen  fiebensifeite  be§  SWenfc^en,  bie  er  eben 
nid)t  felbftänbig  unb  frei  ju  geftalten  Dermag,  bie  er  oielme^r  afe 
göttliche  gügung  in  Ergebung  ^inne^men  fotl.  ®§  betrifft  ba§ 
an  bie  natürlid^en  fojialen  unb  gefd^ic^tUc^en  33cbingungen  feinet 
3)afeing,  alle§  ba§,  wonach  er,  um  mit  ©c^rempf  ju  reben,  ein^ 
fad)  „gelebt  mirb".  3IIlein  biefe  jmeite  ©eite,  bie  eigentlich  reli* 
giöfe,  ftimmt  mit  ber  erfteren  oöflig  überein,  benn  unfer  eoan* 
gelifc^er  ^eil^glaube  ge^t  eben  ba^in,  ba&  atle§,  roa^  ber  gläu» 
bige  SWenfc^  erfährt,  jur  SBedfung  unb  ©tärfung  feinet  magren 
©elbft  führen  mu^,  b.  i).  jur  görberung  feiner  fittlid^en  Slftioität, 
jur  Sr^ö^ung  feiner  fittlic^en  ©panntraft,  menn  er  eig  auc^  nic^t 
gleich  auf§  erfte  SWal  fo  oerfte^t.  Entbehrungen  unb  Seiben  fmb 
jum  äBac^^tum  be§  inmenbigen  SDlenfc^en  nötig  (oergt.  ba§  ©teic^* 
ni§  üom  reidien  SWann  unb  armen  Sajaruö),  o^ne  fie  mirb  au§ 
bem  SWenfc^en  eben  nid^tö  SRec^te^.  ©o  oerfö^nt  fid^  ber  ®läu* 
bige  auc^  mit  bem,  mag  unter  i^m  ift  (Ooet^e),  inbem  er  aüt^ 
auf  bie  Sr^ö^ung  feiner  fittlic^en  ^erf önlic^f eit ,  nic^t  auf  fein 
äufeere^  SBo^Ierge^en  bejie^t.  93ei  ben  garten  groben  aber,  bie 
ber  ©taube  im  Seben  butc^jumac^en  ^at,  märe  e§  nur  angejeigt, 
menn  ber  tlaffifc^e  S^ealii^muS  offen  eingeftünbe,  ba^  er  fic^  im 
Seben  nur  fc^roer  ju  behaupten  oermag,  o^ne  biefe  ©runblagc 
be§  eoangelifc^en  ®Iauben§  unb  ber  i^m  entfpringenben  fpejififc^ 
religiöfen  Jugenben  ber  ®emut  unb  ®ebulb.  3)ie  ^öc^fte  fitt* 
lic^e  ©r^ebung  ift  nur  möglich  auf  bem  ©runb  ber 
religiöfen  ©rgebung.  33eibe  erf orbern  unb  ergänjen  ein* 
anber  gegenfeitig.  9tur  fo  fommt  e§  ju  einer  mirflic^en  ftttlic^ 
religiöfen  perfönlic^en  ©efamtejiftenj. 


$(ancf:  ^afftfd^e,  mobente  unb  religiöfe  l^bendouffaffung.    433 

6.  ©cbiet^bcftimmung  für  ba§  jittlic^  rcligiojc  Sc- 

bcnSjcntrum  cincrjeitig  unb  für   bic  perip^crifc^cn 

©ctfte^gcbictc:    SBiffcnfc^aft,   SRec^t    unb   Äunft 

anbcrcrfcitg. 

Saffen  wir  nun  jum  ©c^Iu|  bie  gen.  brei  Äinbcr  i^rc  gor* 
bcrungcn  ftcUcn  auf  @runb  ber  i^ncn  oom  tlaffifc^en  ^bcali§mu8 
jugefproc^enen  unb  Dom  mobemen  @eifte§Ieben  behaupteten  äluto« 
nomie.  2)ie  ßonfequenjen  für  bie  äRutter,  bie  Sieligion,  n)erben 
ftc^  ^ierau§  oon  felbft  ergeben. 

1)  3n  S^agcn  ber  SBa^rtieit  erflärt  fic^  bie  SSäiffenfc^aft 
für  allein  !ompetent,  infofern  ate  fie  baS  fic^  felbft  3Biberfpre«= 
c^enbe  in  ber  SBorftellungSroelt  be§  aJlenfc^en  nic^t  bulbet,  unb  er* 
tlärt  für  bie  innere  @in^eit  unb  ©efetjmä^igfeit  unfrer  ©cban* 
!enn)elt  allein  forgen  ju  wollen,  ^icrburi^  aber  tommt  fte  in 
Konflift  mit  bem  religiöfen  SBunberglauben,  nic^t  fofern  bie  9teli= 
gion  bie  Sac^e  beö  einheitlich  fd^öpferifc^en  ©otteögeifteS  oertritt 
—  ^ier  ^at  auc^  bie  SBiffenfc^aft  nur  anjuerfennen  —  rool^l  aber 
fofern  ber  religiöfe  ®laube  oon  feiner  Vergangenheit  l^er  bic  9lei* 
gung  übertommen  ^at,  ®ott  felbft  in  oereinjeltcr,  fprung^after  unb 
bal^er  naturroibriger  SBeifc  in  bie  SBelt  eingreifen  ju  laff en  unb  bantit 
bie  ©efd^loffen^eit  be§  ©^öpfung§gan§en  auf ju^cben.  ^iemit  mutet 
er  aber  bem  SWenfc^cngeifte  ju,  bie  eigene  innere  ©in^eit,  b.  \).  ftc^ 
felbft  preiSjugeben.  3)a§  SGBunber  im  alt^ergebrad^ten  ©inn  fprengt 
nic^t  blo§  ben  5laturjufammen^ang ,  fonbem  bie  93ebingungen 
unfrer  eigenen  geiftigen  ©yiftenj.  SBer  brum  nic^t  ben  SWut  ^at, 
ba^  tonfequente  einheitliche  3)enfcn  einfach  al§  ©ünbe  ju  bejeic^« 
nen,  tann  ba^er  alö  S^rift  rec^t  mo^l  ber  materialiftifc^en  9tatur« 
auffaffung,  nic^t  aber  ber  nü^ternen,  fritifd^en  gorfc^ung  böfe 
fein,  gür  bie  ©egenmart  l^at  ja  ber  ^rotcftantiiSmu^  längft  auf 
ba«g  SDBunber  ocrji^tet,  nur  für  aSergangen^eit  unb  ßw^i^nft  ber 
göttlichen  Offenbarung  ^ält  er  eig  nod^  aufrecht.  2lllein  mer  für 
ben  ©ang  ber  fittlid^en  Orbnung  in  ber  ©efc^ic^te  ein  offene^ 
Sluge  ^at,  wirb  nic^t  jugeben,  ba&  ®ott  ft^  etmag  oergebe,  roenn 
er  fic^  auf  bem  SBeg  ber  fogenannten  immanenten  inneren  ®nt« 
midtlung  offenbart,   ftatt  auf  bem  be§  fprungmeifen  ©ingreifenS 


4B4    $  I  a  n  (! :  ^lafftfd^e,  mobente  unb  religiBfe  SebeniSauffaffung. 

oon  QU^cn  ate  deus  ex  machina.  S)cnn  nur  bei  crftcrcr  3lnfd)QU5 
ung  lüirb  bcr  Jlnotcn  lüirtlic^  aufgclöft,  beim  SBunber  alter  Orb- 
nung  wirb  er  immer  nur  jer^auen.  .^ier  \)ai  bie  SBiffenf^aft 
ämeifelloS  eine  reinigenbe  Slufgabe  in  93ejie^ung  auf  baS  religiöfe 
ißorftellunggleben  felbft.  Somit  mirb  freiließ  bie  ganje  ©tettung 
be§  ©Triften  jur  ®rbenn)trflic^!eit  unb  bie  ganje  SebenSauffaffung 
eine  anbcre.  gättt  jene  göttliche  SBunberroelt  ba^in,  fo  mirb  um^ 
geteert  aud^  ber  Job  nid^t  länger  me^r  al§  eine  oon  au§en  über 
bie  SDlenjc^^eit  üertjängte  göttliche  Strafe  —  al§  negatioeS  338uns 
ber  —  angefe^en  werben,  menn  er  au^  immer  noc^  aU  ber  ©tacket 
ber  ©finbe  empfunben  mirb  unb  sugleid^  al§  ftärffter  antrieb, 
baig  turje  Srbenleben  mit  eroigem  ©ehalte  ju  füllen.  3lber  ba^ 
ganje  aSer^ältni§  jum  Seben  überhaupt,  feinen  33ebingungen,  Stuf* 
gaben  unb  ©ütern  roirb  ein  anbereö,  ein  pofttiüere^,  ein  üerfö^n* 
tereS,  al§  e§  bei  ber  mittelalterlich  a§fetifc^en  unb  auc^  noc^  ber 
ort^oboy  pietiftifc^en  fiebenöauffaffung  mar.  3)iefe  oeränberte  ©tel* 
lung  ift  burd)  bie  SBiffenfc^aft  geiftig  angebahnt  roorben ;  in  bie 
SBirflid)teit  überfe^t  rourbe  ftc  burc^  eine  fc^einbar  ganj  anber§« 
artige  93eroegung,  nämlic^  burc^  bie  neue  Stellungnahme  jum 
9tec^t§gebanten,  jur  ^olitif,  bie  ftc^  in  oielen  eoangelifc^en  Srci« 
fen  unter  bem  9tamen  ber  d^riftlic^  ober  eoangelifc^  fojialen  ©e* 
roegung  ooUjog.  Qn  i^r  ^at  fic^  nämlic^  bei  biefen  Greifen  bie 
®rfenntni§  ber  natürlichen  unb  fojialen  93ebingungen  burc^gefe^t, 
an  bie  für  ben  aWenfc^en  eine  ftttlic^e  fiebenSfü^rung  getnüpft  ift  : 
ol^ne  menfc^enroürbige  äußere  ®yiftenj  ift  e$  für  bie  SDlaffe  tat« 
fäc^li^  unmöglich,  bem  fittlic^  religiöfen  ©ebanfen  ^olge  ju  geben, 
benn  roer  ftd^  roirtfc^aftlid^  nur  al§  35Bare  gefd^ä^t  unb  be^anbelt 
fietjt,  bem  fe^lt  auc^  bie  ftttlic^e  ©elbftacf)tung ,  meiere  bie  aller* 
erfte  9Sorau§fe^ung  jeber  fittlic^  energifd^en  Seben^fü^rung  ift.  ©o 
ift  aud^  in  religiöfen  Greifen  ber  95oben  vorbereitet  jur  SHnerfen^ 
nung  be§  jroeiten  §aftor§  in  ber  mobernen  ®eifte§roelt,  nämlic^ 
2)  ber  2lutonomie  be§  rechtlichen  gebend,  roelc^e^  eben  jene 
äu§cren  93ebingungen  für  ein  oon  fittlic^en  aJlotioen  be^ 
^errfc^te§  menfc^li^e^  3)afein  ^erftellen  foH.  ffi§  ertiebt  bie  gor- 
berung,  ba§  auc^  ber  religiöfe  SWenfc^  fein  roirtlic^e^,  —  freilid) 
nic^t  blofe  oermeintlic^e^   —  Seben^intereffe  oertreten   bürfe  mit 


planet:  ^lafflfd^e,  mobeme  unb  reltgiBfe  SebenSauffaffung.    435 


t 


allen  geiftig  unb  ftttlid^  ertaubten  SRittetn,  bie  i^m  ju  ®ebote 
fte^en,  oor  aDem  auc^  auf  bem  SSSeg  ber  ^olitit,  nur  ba^  er  aud^ 
^ier  beS  ©prud^ei^^  nic^t  oergeff e :  @in  jeglicher  fcl^e  nic^t  auf  ba§ 
©eine,  fonbern  aud^  auf  baig,  xoa^  be§  anbem  ift. 

3ene  3Borte :  diriftlic^^  eoangeUfc^  fojial  ^aben  bemnac^  frei« 
(i^  it)re  ^ebeutung  junäc^ft  nid^t  auf  bem  po(itifc^en  @ebiete 
felbft,  roo^I  aber,  roa^  ba§  Äaifertelegramm  oom  Qaf)x  1896  roo^I 
nid^t  bebac^te,  auf  bem  religiöfen  ©ebiet,  auf  bem  fte  mie  gejeigt, 
eine  mefentlic^e  Äorreftur  oofljogen.  3)ie  Vertreterin  ber  9ieli» 
gion,  bie  Kird^e,  ^at  auf  ®runb  ber  neuen  Srfenntniig  nic^t  me^r 
mie  früher  Stecht  unb  $flid)t,  bie  ^olitit  aU  eine  $rioatfad)e  ber 
fürftlic^en  Äabinette  ^injufteflen,  wenn  fie  felbftnerftänblic^  aud^ 
nac^  wie  oor  9Sertrauen  prebigen  wirb,  roo  fte  e§  mit  gutem  @e* 
roiffen  fann.  SlfleS  mcitcre  tonnte  in  ber  3^1*  ber  politifc^en  unb 
mirtfd^aftlic^en  ©elbftbeftimmung  beig  SBolteS  nur  SWi^trauen  gegen 
bie  SReligion  felber  fäen,  ba^er  auc^  ber  9tame  „enangelifc^  fojial" 
mit  SRec^t  au§  ber  politifc^en  ^arteioertretung  oerf^munben  ift. 
3)enn  roer  im  Flamen  ber  ^Religion  auftritt,  ber  tritt  mit  einem 
gcmiffen  abfoluten  3Infpruc^  auf  unb  ju  bicfem  2lnfprud^  pagt 
eben  ba§  politifc^e  Seben  mie  bie  gauft  auf§  Sluge.  3)ie  ^olitit 
ift  einmal  eine  rein  menfc^lidie  SWac^tfrage  —  auc^  ba ,  mo  in 
SBirflid^teit  ber  ©ebante  be§  SWec^te§  ber  erfte  ift  —  unb  brum 
ift  fie  eine  oiel  ju  mec^feloolle  ®rö§e,  oiel  ju  fe^r  eine  SRec^nung 
mit  allen  möglid)en  relatioen  göftoren,  al8  ba^  jener  älnfprud^, 
mit  bem  jebe  im  9tamen  ber  SReligion  erhobene  gorberung  auf« 
tritt,  ^ier  2tu§fic^t  auf  bie  i^r  gebü^renbe  93ea(^tung  ^aben  tonnte. 
3)a^er  lag  baö  ©c^icffal  ber  ©tödterifc^cn  ?ßarteigrünbung,  auc^ 
roenn  e§  perföntid)  unoerbient  mar,  boc^  in  ber  9latur  ber  ©ac^e. 
3(ber  auf  tirc^lic^cm  unb  religiöfem  ®ebiet  ^aben  jene  5Ramen 
nac^  mie  oor  i^r  gute§  SRec^t  gegenüber  ber  noc^  immer  mäd^ti« 
gen  religiöfen  ©timmung,  afö  \)abt  ber  „Untertan"  tein  politifc^e§ 
©elbftbeftimmung^rec^t,  ^abe  fic^  oielme^r  feiner  Obrigtcit  al§  ber 
Stelloertreterin  ®otteg  mit  abfolutem  ©e^orfam  unb  aSertrauen 
JU  unterroerfen.  Q]i  e§  einmal  cinfa^e  SBa^r^eit,  ba§  ber  3Renfd^ 
bod)  nur  auf  ©runb  einer  menigften^  einigermaßen  gefid^erten 
©riftenj  auc^  jum  aSeroußtfein  beffen  gelangt,  ma§  er  fic^  felbft 


436     $  I  a  n  d :  ^lafftfd^e,  mobeme  unb  religiöfe  SebenSauffaffung. 

in  gciftig  ftttüc^cr  ^infid^t  fc^ulbig  tft,  fo  f)at  er  bamit  and)  ein 
fittlic^e^  Stecht  in  biefen  gragen  ber  äußeren  ©jiftenj  ein  SEBort 
mitjureben. 

%a^  ber  römifc^e  ^ot^oIiji^muiS  freiließ  einen  @o« 
jioIi^muS  im  mobernen  @inn  überhaupt  nid^t  anertennen  fann, 
liegt  auf  ber  ^anb.  2)a§  ein}tg  Slutonome  ift  für  i^n  ja  bie 
römifc^e  SBeltfirc^e,  welche  jebe  anbere  2lutonomie,  bie  be8  mo« 
bemen  ©taat§  n)ie  ooßenbö  biejenige  be§  (SinjelfubjetteS,  oerflu* 
c^en  mu§.  SBai^  ber  ultramontane  ©ojiali^mu^  e^rlic^erroeife 
oerfprec^en  fann,  ift  alfo  nur:  möglic^fte  grei^eit  oon  ftaatlic^em 
3n)ang,  baju  ein  beffercr  gutterpla^,  bafür  mu&  aber  ber  SRcnfc^ 
auf  feine  geiftige  2lutonomie,  ju  ber  nac^  allem  bi§l^erigen  boc^ 
au^  bie  rec^tlic^^politifc^e  @elbftbefttmmung  gehört,  oei^ic^ten. 

3)  2)ie  Slutonomie  ber  Äunft  verlangt  oom  ©Triften,  ba^ 
er  nic^t  bie  religiöfe  ober  gar  auSfc^lie^lid^  tirc^lic^e  Äunft  für 
bie  im  ©runb  allein  bafeinSberec^tigte  anfe^e,  oielme^r  ba$  gange 
aWenfd^enleben,  9tatur  unb  ©efc^ic^te  al§  mürbigen  ©egenftanb 
ber  Sunft  anerfenne,  oor  allem  aber,  ba§  er  alle  Äunft  an  bem 
i^r  felbft  eigentümlichen  aWa^ftab  meffe,  nämlic^  baran,  ba§  fie 
ec^t  fei,  b.  f).  ba^  bie  innere  be^errfc^enbe  Sin^eit  be§  @eifte$ 
auc^  mirflic^  i^ren  SluSbrudt  gefunben  \fabt  in  ber  äußeren  ®e* 
ftaltung  unb  93ilbung,  im  Son,  SBort,  garbe,  Stein,  ba§  alfo 
nic^t  frembe,  äu^erlic^e  ober  gar  gemeine  aWotioe  ben  SDlei^el, 
^infel  unb  bie  geber  regieren.  3)a§  ©emeine,  ha^  [xd)  burc^  ge* 
fällige  gorm  fo  oft  alö  „fc^ön"  ausgeben  barf,  foll  bann  mo* 
möglid^  ni^t  burc^  äußere  ©emaltmittel,  fonbern  burd^  el^rlic^e 
unb  energifc^e  Sunftfriti!  in  ber  Deffentli^fcit  unmöglich  gemacht 
merben.  Qu  biefem  @nbe  barf  ber  eoangelifc^e  S^rift  nun  frei« 
lic^  etroaö  me^r  ©elbftermannung  oon  ber  Äünftlerfc^aft  ermarten, 
al$  biefe  bi^  ie^t  aufgebracht  ^at! 

SBirb  aber  bie  Sieligion  geneigt  fein,  aud^  ber  mobernen 
Äunft  eine  tritifc^e  SBirtfamfeit  i^r  felbft  gegenüber  aujugefte^en? 
©emi^  ift  ba§  ©efü^l,  ba§  im  öft^etifc^en  Urteil  lebenbig  mirb, 
ein  ganj  anbere§  al§  bag  religiöfe  ©efü^l  —  nur  im  letzteren 
^anbelt  e§  ftc^  ja  um  bie  innere  ffijiftenj  be§  SWenfc^en  felbft,  beim 
erfteren  nur  um  feine   äußere   me^r   ober   weniger   anfpred^enbe 


^lonc!:  Älafflfd^e,  mobemc  unb  rcligiöfc  fiebenSauffaffung.    437 

©yiftcnj  tt)  e  i  f  c  —  unb  bo^  locrbcn  xoit  bcm  äft^ctif c^cn  Äritifcr  aud) 
ein  Urteil  über  ec^te  unb  uned^te  SReligiofttät  juertennen  muffen, 
wenn  er  roirtli^  natürlichen  Sinn  für  ec^teS  ober  unechtes  ®e* 
ffi^I  überhaupt  i)at,  für  urfprünglicft  (Smpfunbencö  unb  für  me^r 
ober  weniger  aufrichtig  unb  tünftüc^  9lac^empfunbene§.  3)enn 
ba§  erftere  wirb  in  feinem  Slu^brudf  ganj  oon  felbft,  o^ne  e§  ju 
miffen  unb  ju  motten,  aud^  dft^etifc^  feine  innere  ©eroalt  beroeifen 
(j.  95.  bie  Schriften  beS  neuen  2;eftament§,  ber  ^rop^eten  u.  a.), 
mä^renb  ba$  Untere  eben  aucf)  in  biefer  93ejiel^ung  fic^  mit  be* 
foratioen  9taci^l^ilfen  begnügen  mug  unb  eben  bamit  auc^  bie  metir 
ober  meniger  mangeinbe  innere  SBal^r^aftigf eit  bofumentieren  mirb. 

@§  l^at  nun  freilieft  nicftt  ben  3Infcf)ein,  aU  ob  bie  bermalige 
tircftlicfte  Steligiofität  ficft  biefe  breifacfte  Äritif  feftr  ju  ^erjen 
geften  liefee.  Unb  —  leiber  muffen  roir  ba§  jugeben  —  pe  \)at 
bei  bem  bermaligen  ©tanb  be§  geiftigen  Seben§  nur  attjuoiel 
©runb,  gegen  jene  ©inreben  oorficfttig  ju  fein,  ©o  lang  bie  93er« 
treterin  ber  ^hzz  beig  SBaftren,  bie  SBiffenfcftaft,  lebiglicft  fritifcft« 
empirifcft  orientiert  ift,  fo  lang  fte  iftren  legten  93eruf,  ber  SRenfcft* 
tieit  ein  einfteitUcfte^  geiftigen  SDBeltbilb  ju  geben  —  bafe  roir  ba* 
mit  feiner  Strt  oon  oberfläcftUcftem  9Woni§mu§  ba§  SBort  reben, 
ift  rooftt  felbftoerftänbli^  —  taum  nocft  als  ibeateS  Qkl  gelten 
lö^t,  fo  lang  ftat  fte  aucft  felbft  oiel  ju  roenig  fa^IicfteS  Qntereffe, 
um  in  folcften  g^agen  emftlicf)  ®eftör  beanfprucften  ju  tonnen. 
Unb  fo  lang  bie  ^otitif  mit  iftrer  bermaligen  parlamentarifcften 
^^Jarteioertretung  bie  einjige  9Sertreterin  be§  SRecf)t8gebanfen§  in 
ber  breiten  Oeffentlicftteit  ift,  fo  lang  roirb  aucft  bie  Sieligion  oon 
iftr  roenig  geiftige  ^ilfe  erwarten  bürfen.  Unb  ebenfo  roirb  iftr 
bie  Äunft,  bie  nodft  immer  ftauptfäcftlicft  naturaliftifcf),  b.  ft.  eigent» 
lieft  blo^  tecftnifcft  interefftert  ift,  feine  roefentlicfte  ©tütje  fein  tön« 
nen.  2)a§  Slnfä^e  jur  95efferung  auf  atten  brei  ©ebieten  oorftan* 
ben  finb,  fott  bamit  nicftt  geleugnet  roerben. 

3)ie  m 0 b e r n e  SB e 1 1  \)at  \a  ein  guteS  9te^t  jubie* 
fer  iftrer  ®infeitigteit.  3)enn  bie  SBelt  roitt  geroi§  ju« 
oor  roirtlicft  getannt  unb  tecftnifcft  befterrfcftt  fein,  efte  fte  roirtlicft 
bem  ftttlicften  SebenSjroerf  unterroorfen  roerben  fann.  Sie  ftat 
alfo  baö  ganje  SRecftt  ber  leibftaftigen  SBirtlicftteit  in  iftre  2Bag* 


438    $  ( a  n  c! :  ^laffifd^e,  mobeme  unb  reltgiofe  SebeniSauffaffung. 

fetale  ju  loerfcn.  Unb  bic  SBcrbienfte,  lüclc^e  fid)  SBiffcnfd^aft  unb 
^^Jolitit  2:ec^nif  unb  Äunft  um  bic  mobernc  SKcnfd^tieit  fc^on  cr^ 
roorbcn  ^aben,  fmb  ja  gar  nid)t  rocgjubringcn.  ©ic  ^abcn  roirtUd^ 
ba§  menfc^U^c  ©cfamticbcn  in  feinem  äußeren  öcftanb  merf= 
lid)  gehoben.  SlUcin  e§  fmb  boc^  immer  nur  bie  pcripl^erifc^en 
Scben§gebiete  gemefen,  benen  i^re  3Irbeit  gegolten;  oom  eigentli^* 
d)en  ScbenSjentrum  ber  SWenfc^l^eit  ^abcn  fie  ftc^  bi§  je^t  tatfäd^* 
lic^  mit  mirMic^er  3Irbeit  ferngehalten.  Seilö  roeil  fte  grunbfä^* 
lid^  i^m  bie  2)afein§berec^tigung  abfprac^en ,  teils  meil  fte  auf 
biefem  fc^mierigen  ®ebiet  bie  ^Neutralität  oor}ogen.  ^Uein  bag 
ber  je^ige  ©tanb  ber  3)inge  ein  befriebigenber  märe,  tann  mit 
gug  nic^t  behauptet  werben.  2)enn  ma§  baruntcr  leibet,  ba§  ift 
ber  SWenfc^  felbft,  beffen  geiftige  (Sin^eit  e§  auf  bie  3)auer  nic^t 
erträgt,  ba^  bie  ganje  OeiftcSmelt  in  SBiffenfc^af t ,  SRed)t  unb 
Äunft  fc^lec^terbing§  feine  gütilung  me^r  ^at  mit  biefem  unmittel = 
baren  ftttlic^^religiöfen  gütilen,  Renten  unb  aBollen.  2)a8  93e* 
bürfniig  eines  inneren  SluSgleic^S  mirb  ein  immer  lauteres  merben, 
unb  menn  bie  SSertreter  ber  SReligion  einerfeitS,  bie  Vertreter  Don 
SBiff enfc^aft,  SRec^t,  Äunft  anbererfeitS  roirflic^e  2R  e  n  f  d^  e  n  fmb, 
fo  mirb  baS  93ebürfniS  fic^  auc^  in  i^nen  felbft  regen,  unb  bic 
Ictitercn  merben  ben  erfteren  gegenüber  nid^t  me^r  blofe  fritifc^ 
breinreben  moHen,  foubern  i^r  auc^  mirMic^  pofitioe  geiftige  ^ilfe 
JU  bieten  fuc^en.  3)ie  9leligion  itirerfeitS,  meiere  als  SJertreterin 
ber  3^"tralibee  beS  ©uten  jenen  tritifc^  freieren,  aber  boc^  mie« 
ber  ftofflid)  gebunbeneren  ©eifteSgebieten  gegenüber  übergeorbnct 
bleibt  (um  einen  ®rfati  ber  ^Religion  burc^  SBiffenfc^aft  unb  ftunft 
tann  eS  fic^  im  ®rnft  nic^t  me^r  ^anbeln !),  mu§  aber  auc^  felbft 
biefe  ^ilfe  fuc^en  unb  fie  annehmen,  ©ie  befinbet  fid^  —  baS 
ift  feine  Srage  —  bcrmalen  in  einem  ©tanb  geiftiger  Unfreil^eit, 
ber  itiren  roirflic^  berechtigten  ftttlic^  :=  religiöfen  @influ§  auf  bie 
SWaffen  nur  fc^äbigen  fann.  ^ier  l^at  bie  SBiffenfc^aft  unter- 
ftü^enb  einjugreifen ,  freilid^  nic^t  burc^  Sinfü^rung  ber  mec^a» 
nifc^en  SBeltbetrad^tung  in  baS  2)ogma,  fonbern  burc^  ^erauSar- 
beitung  eineS  baS  ®emüt  roie  ben  SBerftanb  gleich  befriebigenben 
aOBeltbilbeS  in  ber  oon  unfern  Älaffifern  eingefc^lagenen  3)enfric^« 
tung,    benen   baS  SBeltganje   ein  einheitlicher  Organismus  mar. 


$  l  a  n  c! :  ^laf rtf c^e,  mobeme  unb  religt5f e  Seben^auffaffung.    439 

SBcitcr  aber  f)at  bie  tirc^Iid^c  SRcIigion  runb  an§uer!cnnen ,  ba§ 
fte  gegenüber  Don  ben  3näd^ten  be§  ©emeinen  in  ber  Sßelt  nid^t 
bie  geiftigen  2Wittel  f)at  unb  au^  nid^t  l^aben  barf,  bie  ^ier 
nötig  fmb.  ®§  fe^lt  i^r  bie  nötige  ©c^ärfe  unb  oor  allem  auc^ 
bie  genaue  Äenntniig  um  ba§  93öfe  ba  ju  faffen,  mo  e§  fi^t.  ©ie 
bebarf  alfo  iJ^rcrfeitö  be§  ftarfen  SlrmS  be§  Sflec^t§,  ba§  mit  ber 
meltlic^en  SWac^t  im  93unbe  ftel^t.  Ol^ne  biefcg  mürbe  bie  Sieli* 
gion,  bie  immer  etma§  SWilbeS  ^aben  mu^  —  miß  jte  boc^  in 
te^ter  Sinie  nic^t  nehmen  unb  f^äbigen,  fonbern  geben  unb  feilen 
—  fc^Iie^Iic^  jum  ©pott  ber  SBelttinber.  ®rft  menn  bie  fri^ 
tijc^e  ©c^ärfe  ber  SJBa^r^eit  unb  beö  9lec^t§  hinter  i^r  fte^t  (nid^t 
me^r  al§  tnec^tifc^e  fonbern  al§  freie  ©ienerin),  ift  fie  oor  bem 
SWi^brauc^  i^reö  2Borte§  fi^er.  gerner  ift  fc^on  au§gefü^rt 
roorben,  ba§  bie  SReligion  auf  eine  roirfli^e  SBürbigung  unb 
93eac^tung  i^rer  SJBa^r^eit  gar  nid^t  hoffen  fann,  roo  nic^t  ba§ 
SRec^t  juoor  für  eine  menfc^enroürbige  @yiftenj  geforgt  ^at! 

®nblic^  ift  auc^  bie  ^unft  eine  unentbehrliche,  felbftänbige 
Wienerin  ber  ^Religion,  benn  biefe  !ann  i^re  2lufgabc  nur  bann 
erfüllen,  menn  bie  be^errfc^enbe  innere  ©in^eit  be§  ©eifteiB  nic^t 
bto^  im  QenfeitS  oere^rt,  fonbern  fooiel  möglid)  in  biefer  SBelt 
jur  gegenmärtigen,  tebenbigen  2lnfd)auung  gebrad)t  mirb.  Unb 
ba§  tann  nur  bie  Runft  teiften.  ©ie  roe^rt  ber  OemütöDerrol^ung, 
bie  eben  fc^liefelic^  auc^  ein  geinb  ber  ftttlid^en  fieben^auffaffung 
mirb.  ©0  braucht  bie  SReligion  bie  Äunft  nic^t  blog  um  i^re 
^iftorif^en  unb  ftimbolifc^en  93ilbcr  t)on  i^r  malen  ju  laffen,  ober 
mürbige  9täume  fic^  oon  i^r  geben  ju  laffen,  fonbern  um  bem 
ganjen  Seben  ben  ©tempel  ber  geiftigen  SBei^c  aufjubrüdten. 

©inb  aaSiffenfc^aft,  SRec^t  unb  Äunft  auf  bie  oolle  ^ö^e  il)re§ 
93erufeg  getommen,  fo  merben  fte  ber  eoangelifc^en  Sfteligiofität 
biefen  3)ienft  oon  felbft  erfüllen.  ®iefe  bleibt  bie  le^te  unerfe^^ 
lic^e  ®eifte§ma^t,  bie  ftc^  ju  i^ren  Wienerinnen  ©erhält  mie  ba§ 
reine,  roei^e  Sic^t  ju  feinen  oerfc^iebenen  garben.  2lnbererfeit§ 
^aben  mir  aber  aud^  un8  überjeugt,  ba§  fte  bie  i^r  gebü^renbc 
@eifte§mac^t  in  ber  mobernen  SBelt  otine  bie  ^ilfe  oon  biefen 
niemals  roieber  erreichen  mirb.  ®rft  mu§  bie  ^Religion  burc^  ba§ 
tlare,  leibenfc^aftölofe  3luge  ber  SBiffenfd^aft  ju  fieserer  ©elbft= 


440    $lanc!:  ^lafftfd^e,  mobeme  unb  religidfe  SebenSauffaffung. 

unb  SBcItcrtcnntniS  geführt  fein,  bcr  ftarfe  Slrm  beg  SRec^ö  mu§ 
i^r  burc^  ^erfteDung  einer  einheitlichen,  innerlich  n)ie  äu^rlid^ 
befriebigenben  nationalen  unb  fojialen  SebenSgemeinfc^aft  ben  93o« 
ben  bereitet  Iiaben,  unb  enblid^  mu§  bie  ©eele  ber  Äunft  auc^ 
ba§  äu^erlic^e,  unmittelbar  gegenwärtige  fieben  bur^brungen 
^aben,  et|e  fte  roieber  al§  bie  le^te  jentrale  Äraft  beS  SWenfc^en 
roirb  anertannt  werben  unb  fte  il^re  voüt  933irffamteit  entfalten 
tann. 

3)ie  Ueberroinbung  beö  ©egenfat^eS  freilid^,  ber  unfer  ganjeS 
2)afein  fonftituiert,  beig  ®egenfa^e§  groifd^en  ben  oerfc^iebenen  Se» 
ben^intereffen,  biefer  ^^erip^erie  unfereö  2)afein§  unb  bem  geifti» 
gen  3cntrum  unfereg  Seben§  felbft  ift  roie  bie  b  I  e  i  b  e  n  b  e 
fiebenSaufgabe  be^  einjelnen,  fo  bie  ©efamtaufgabe  ber  menfc^^ 
ticken  Äulturgemeinfc^aft  überhaupt.  Unb  e§  ift  nic^t  ju  fürchten, 
ba§  fie  bamit  fertig  fein  wirb ,  wenn  einmal  i^r  irbifc^er  Sag 
getommen  ift. 


441 


$tt  ^miflt^xt  in  l^^r  m0i^ttntn  ^üPvttn,  Irxtl^txif^tn 
Lic.  Otto  @4eel* 


3. 

Qwtx  bcbcutfamc  SJcrjud^e,  bic  altluttierifc^c  Sauflc^rc  um* 
jubilbcn  rcfpcftioc  roeitcrjubilbcn,  o^ne  bcn  ß^föntmcnl^ang  mit 
i^r  Qufjugeben,  Ratten  fi^  ol^  unburc^fü^rbor  ^erau^geftedt.  @nt« 
mcbcr  crmicfcn  fid)  bic  SKotioe  ate  unbrauchbar  ober  bie  ®inicl» 
au§fü^rung  brad)tc  unlösbare  Probleme,  ober  bcibeig  mar  bcr 
gatl.  Sin  2Bcg,  bcr  fieser  jum  Qkl  ^ättc  führen  tonnen,  mürbe 
nic^t  gcfunben.  ^a  c§  ermuc^^  au§  bcr  ®ejamtbe^anb(ung  be§ 
Problems  bic  ®rfenntni§,  ba^  eine  SRed^tfertigung  bc§  ©atra* 
mcnt§motio§  unb  eine  bamit  jufammen^angenbc  3»bcntifi}ierung 
bcr  Sinbcrtaufe  mit  bcr  ®rmac^fenentaufe,  eine  folc^e  Häufung 
bcr  ©c^micrig!citcn  mit  fic^  bringe,  ba^  man  bei  biefen  ^rämiffen 
überhaupt  auf  eine  fiö[ung  \>z§  Problem«  merbc  ocrjic^tcn  muffen. 
6§  fc^eint  bcmnad^  ba§  Stäc^ftlicgcnbc  ju  fein,  burc^  äbftric^c  gc* 
ringerer  3Irt  bie  größten  ^inberniffe  ju  bcfeitigcn  unb  auf  ©runb 
bcr  alfo  tjorgenommenen  SRcbuttion  be§  ^robIcm§  ^err  ju  mer« 
bcn.  3)icfcn  Slu^mcg  l^at  man  in  bcr  2;at  betreten,  unb  oiclc 
fmb  e§,  bie  gegenmärtig  mit  bcr  ^ier  gefunbenen  fiöfung  fic^  ju» 
frieben  geben. 

3)ic  biö^cr  inS  2luge  gefaxten  bogmatifc^en  Erörterungen  über 
bic  Saufe  ftimmten  tro^  aller  3)ifferenjen  barin  übercin,  ba^  bic 
Saufe  al^  ba§  93ab  bcr  SEBicbcrgcburt  gemertet  mcrbcn  muffe. 
3mar  burfte  man  intialttic^  ben  altort^obofcn  93egriff  bcr  äBie* 
bergeburt  mcber  mit  bcmjcnigcn  bcr  „t{)eoföp^ifc^cn",  noc^  mit  bem* 
jenigen  bcr  „fotcriologifc^cn"  Saufle^re  ibcntifijicren.    3ici>cöwial 

3eitfc^rift  für  X^eologie  unb  Ätrc^e.    15.  Oa^rg.,  6.  ^eft.  31 


442    @  c^  e  e  l :  ^te  ^auf (e^re  in  b.  mobemen  porttio.,  lut^er.  ^ogmatü. 

xoax  ein  eigentümliche^  9SerftänbniS  ber  SDBiebergeburt  ju  fonfla* 
tieren.  3Iber  barin  fanben  ftc^  bod^  bieje  brei  unter  fic^  fo  oer« 
fd)iebenen  Sqpen  ber  bogmatifc^en  ©egrünbung  ber  J^aufe,  bag 
fie  formal  bie  Saufe  aU  ba§  ey^ibitiüe  Satrament  ber  3Bieber^ 
geburt  angefe^en  roiffen  TOottten,  unb  foIgerid)tig  biefen  ©a§  nic^t 
auf  bie  ®rroac^fcnentaufe  befd^ränften,  fonbem  auc^  auf  bie  Sin= 
bertaufe  belogen,  alfo  eine  bogmatifc^e  Unterfd^eibung  oon  @r< 
mad^fenen«  unb  Äinbertaufe  ju  oermeiben  fud)ten.  3>P  nian  nun 
ni^t  in  ber  Sage,  ben  SBiebergeburtSbegriff  ber  foteriologifc^en 
Saufle^re  ftc^  anjueignen,  fie^t  man  fic^  alfo  genötigt,  bie  „6r* 
neuerung"  in  ben  begriff  ber  SBiebergeburt  aufjune^men,  o^ne 
ieboc^  ber  „t^eofopf)if(^en''  Interpretation  ben  @iege§prei§  juju^ 
erfcnnen  unb  o^ne  bie  oon  ben  altproteftantifc^en  3)ogmatitern 
gegebene  t^eologifc^e  @rflärung  ber  äBiebergeburt  unb  @meue« 
rung  unbebingt  für  richtig  ju  galten,  f o  tonnte  man  entmeber  ben 
faframentalen  ©tiarafter  ber  Saufe  überl^aupt  beftreiten,  freiließ 
ouf  bie  ©cfa^r  t|in,  nic^t  me^r  für  „pofitio"  ju  gelten,  ober  man 
fonnte  e§  oerfuc^en,  unter  öeibel^altung  beS  ©atrament8begriff§ 
ber  Sinbertaufe  eine  anbere  ©tettung  jujuroeifen,  ate  ber  ©r^ 
mad^fenentaufc.  3)iefem  93erfuc^  begegnet  man  oornel^mlid^  bei 
«unteO  unb  ©aul^). 

93unte,  ber  feine  2lu^ffil^rungen  teilmeife  auf  bie  (Erörterungen 
ber  lut^erifc^en  öetenntni§fd^riften  glaubt  ftü^en  gu  tonnen,  fin* 
bet  in  ber  Saufe  meber  eine  fpejipfc^e,  im  ©inne  ber  Sleulut^e« 
raner  oerftanbene  ©atrament^gnabe,  noc^  ein  3Wittel,  baS  bie 
®nabe  mitteile  unb  mirte,  fonbem  nur  bie  SKnbietung  ber  gött* 
li^en  ©nabe^).  3)ie  Saufe  ift  aufjufaffen  alö  bie  3lnbietung  be§ 
oer^eigenen  $eit§  an  ben  einjelnen,  bie  93ebingung  aber  für  ben 
©mpfang  be§  ^eil§  ift  ber  bemühte  unb  perfönlic^e  ©taube,  ber 
au§  ber  ^^ßrebigt  ftammt^).  2)arau§  ergibt  fid^,  ba&,  falls  eS  fic^ 
um  bie  Saufe  eine§  unmünbigen  ÄinbeS  ^anbelt,  erft  oiele  3a^re 


1)  ®.  SBunfe,  S)er  ße^rftrcit  über  bie  ^inbertaufe  innerhalb  ber  lut^e* 
rifc^cn  ^irc^e,  Raffet  1900.  S89L  auc^  ©töcfer  in  feinem  SOorroort  ju 
SBunfeS  8c^rift. 

2)  @aul,  a.  a.  O.  3)  93unfe,  a.  a-  D.  @.  1. 
4)  ®bb.  (S.  8. 


6  ^  e  e  t :  ^te  2:aufle^re  in  b.  mobernen  porttio.,  lut^er.  Dogmatil.    443 

itac^  bcm  SBoKjug  bcr  Jaufe  bcr  ©laube  eintreten  tann.  .3>nbem 
nun  aber  bie  SReformatoren  unb  bie  93cfenntni§fc^riften  feine  SBie^ 
bergeburt  o^nc  SJedjtfertigung  unb  teine  9ted)tfertigung  ol^ne  ben 
beraubten  ^eilSglauben  tannten,  anbcrerfeitö  bie  3Biebergeburt  aud^ 
ber  Äinber  burc^  bie  Saufe  behaupteten*),  getaugten  fie  ju  einer 
magifc^en  SSorfteKung  oon  ber  S^aufroirfung.  2)enn  fie  lehrten 
je^t  eine  3Wagie  be§  SBortS  unb  ber  ©nabe.  SEBeil  man  ftinbcr» 
taufe  unb  ©rroac^fenentaufe  ibentifijieren  rooKte  ^),  oerfiel  man  felbft 
in  ben  fat^olif^en  ^S^ttum,  ben  man  boc^  abjuroeifen  bemül^t  mar. 
2lu§  biefer  3n>itf"^ii^l^  f^nn  man  nur  bann  befreit  merben,  menn 
man  oon  ber  ßtnbertaufe  nid)t  me^r  behauptet,  afö  ftc^  mit  bem 
SBefen  be§  2:auffatrament§,  roie  e§  oon  aßen  93e!enntni§f^riften 
au^gefproc^en  ift,  oerträgt.  95unfe  gelangt  bemnac^  ju  folgenber 
Definition:  „3)ie  Jlinbertaufe  iji  bie  2lnbietung  unb  3"f^c^c^w"9 
be§  in  S^rifto  befc^loffenen  göttlichen  ^eil§  an  ben  einjelnen. 
©ie  ift  bie  ©runblage  unb  ©tü^e  für  ben  fpäter  entfte^enben 
©lauten  be§  Säufling^,  ben  berfelbe  traft  be§  ^eiligen  ®eifte§ 
burc^  ba§  3Bort  erlangt.  5)ie  Äinbertaufe  ift  nic^t  bie  SBieber* 
geburt.  3)iefe  gefc^ie^t  erft,  roenn  ber  Täufling  jum  ©tauben 
tommt"^).  Slud^  ©töder  erttärt  in  feinem  SBorroort  jur  S^rift 
95unte^,  ba§  man  ben  93egriff  be§  ©tauben^  entleere,  wenn  man 
oon  einem  Sinbergtauben  fpred^e,  unb  bafe  man  ben  95egriff  ber 
SBiebergeburt  entteere,  menn  man  bie  Sinbertaufe  al§  ba§  93ab 
ber  aBiebergeburt  befiniere.  ß^föwtmenfaffenb  erKärt  SBunfe: 
„bie  Saufe  ift  ba§  ©aframent,  burc^  metc^eö  ©ott  bem  einjetnen 
feine  ^eil^gnabe  barbietet  unb  jufid^ert.  ®iefe  Darbietung  unb 
Sufic^erung  gefc^ie^t  burc^  ben  Zeitigen  ©eift.  9Kit  ber  c^rift« 
ticken  Saufe  ift  ©eiftmirtfamfeit  oerbunben.  %&\)xt  erft  bie  ©na« 
benanbietung  in  ber  Saufe  in  bem  Saufbemerber  jum  3)urc^bruc^ 
be§  ©Iauben§,  fo  mirft  bie  Saufe  bie  SBiebergeburt  im  ooDen 
Umfang,  b.  ^.  SRed^tfertigung  unb  ©eiftmitteitung  unb  oerftegett 
biefen  SSeftt;  im  95en)u§tfein  be§  Säuftingg,  ^at  bie  9tec^tferti* 
gung  be§  ©ünberS  fd^on  ftattgefunben  burd^  ba$  ©nabenmittet 
be§  SDBort§,  ba§   im  ©tauben  angenommen  mürbe,   fo    ootlenbet 

1)  93un!e  a.  a.  O.  @.  23. 

2)  @bb.  @.  33.  3)  @bb.  @.  34. 

31* 


444    ©  d^  e  c  1 :  5E)ie  Sauflc^rc  in  b.  mobcmcn  pofltio.,  lut^cr.  3)09matit 

bic  Saufe  bic  SBicbergeburt  burc^  bic  SWittcilung  bc§  ^eiligen 
®ciftc§  al§  ^rinjip  bc§  neuen  fieben§  unb  SBeftotigung  ber  Stecht» 
fcrtigung  im  93en)u&tfein  be§  ©etouften.  3fft  bie  ganje  SCBieberge« 
burt  fc^on  vox  ber  Saufe  gcfd^e^en,  fo  ift  biefe  baig  äußere  unb 
innere  ©iegel  für  bie  Onabenerroeifungen  be§  breieinigen  ©otteS 
an  ben  ©etauften.  3^9'^'^  U*  ^^^  Saufe  bie  2lufna^me  in  bie 
©emeinbe  be§  er^ö^ten  ^erm,  in  meiner  berfelbe  burc^  SDBort 
unb  ©aframent  mit  feinem  ®eift  maltet"  *).  2)ie  Kinbertaufe  ift 
barum  nur  bie  3wficf)erung  unb  Slnbietung  be§  $eil§,  nic^t  baS 
95ab  ber  SBiebergeturt.  2)enn  bie  ftinber  befi^en  nid)t  ben  rec^t^ 
fcrtigenben  ©lauben  unb  barum  eben  barf  i^nen  nic^t  bie  SEBie» 
bergeburt  jugefc^rieben  werben  2). 

6inen  ätinlic^en  ©ebanfengang  oerfolgt  ©aul.  @r  mirft  bie 
grage  auf,  ob  bie  Äinbertaufe  bie  SBiebergeburt  fei,  um  biefe 
grage  ju  oemeinen.  ^infic^tüd^  il^rer  unmittelbaren  ^eil§roir^ 
tung  ift  bie  Äinbertaufe  nic^t  ber  ©rmac^fenentaufe  gleic^.  ®§ 
fetjlt  an  ben  fubjettioen  aSorau^fe^ungen  auf  menfc^lic^er  ©eite 
baju,  ba^  bie  Äinbertaufe  bie  ganje  güUe  ber  ®nabe  unb  beS 
^eil.  @eifte§  uermitteln  tonnte.  @rft  bann  erfolgt  bie  SBieberge- 
burt,  roenn  ber  gläubig  geworbene  S^rift  au§  eigener  Ueberjeu*^ 
gung  ba^jenige  bejaht,  mai^  il^m  in  ber  Sinb^eit  gefc^e^en  ift. 
3)aju  fommt,  ba§  bie  ©d^rift  nid)t  bie  ^inbertaufe  !ennt.  ©o 
fönnte  bie  Äinbertaufe  überflüfftg  ju  fein  fc^einen.  9lber  einmal 
fpric^t  bod^  ber  ganje  ®eift  ber  ©d^rift  für  bie  Äinbertaufe  ^) ; 
anbererfeitS  barf  man  bie  Äinbertaufe  boc^  menigftenS  eine  Saufe 
jur  SBiebergeburt  nennen,  ©ie  gehört  nad^  ®otte§  Orbnung  jur 
SOBiebergeburt,  bilbet  bie  ®runblage  für  bie  SBiebergeburt*).  „SBei 
ber  Äinbertaufe  ooflaie^t  ftc^  ber  erfte  3ltt;  @ott  teilt  fc^on  ba^ 
oom  neuen  fieben  ober  oon  ber  SBiebergeburt  mit,  roa^  i^re  eigeut* 
lic^e  ®runblage  bilbet:  ein  neue§  aSer^ältni§  ju  ®ott,  b.  i).  SJer« 
gebung  ber  ©ünben,  ®otte2Jf inbfc^aft,  ©rbfc^aft  be^  eroigen  fieben§, 
er  bietet  feine  ®nabe  bar!"^)  ®ie  Kinbertaufe  oermittelt  atfo 
biejenigen  ®nabengabcn,  bie  man  au^  o^ne  perfönlid)en,  berou^* 

1)  SBunfe  a.  a.  D.  ©.  114.  2)  (&hh.  @.  116. 

3)  ©aul  a.  a.  O.  ©.  18.  4)  (Bbh,  @.  27. 

5)  ®bb. 


6  ^  e  e  l :  ^ie  ^auflebte  in  b.  mobemen  pofltio.,  lut^er.  ^ogmatü.    445 

tcn  ^cilSglaubcn  empfangen  !ann*).  ©oul  will  alfo  nic^t^  üom 
perfönlic^en  unb  beraubten  ^eilSglaubcn  bcr  Äinbev  roiffen  unb 
folgerichtig  andj  bie  S^efe  oon  ber  aSicbergeburt  ber  Äinber  ni^t 
anerfennen.  2lnbererfcit§  ift  er  aber,  wie  er  fagt,  „pofitiüer" 
S^eologe  unb  al§  folc^er  intereffiert  an  bem  tro^  allem  feftju« 
^altenben  ©aframent^c^arafter  ber  Äinbertaufe.  3wJ"  ©atra-- 
ment  gehörte  aber  boc^  ber  ®Iaube.  3)ie  SSefreiung  an^  bem  Di- 
lemma oerfc^afft  bie  Stjefe  oon  ber  Äinbertaufe  al§  bem  @afra* 
ment  ber  Slnroartfc^aft  auf  bie  SBiebergeburt  ^).  ©o  erf lärt  ftc^ 
©aul  in  ber  Sage,  auf  biefe  Äinbertaufe  bie  2:ermini  anmenben 
ju  fönnen,  bie  bei  2llt^au§,  ©remer  unb  o.  b.  Jirendt  un§  ent» 
gegentraten,  nur  mit  bem  einen  Unterfc^ieb,  baft  er  auf  ben  93e« 
griff  ber  SBiebergeburt  oerjic^tet.  3)ic  ^inbertaufe  ©ermittelt  bem* 
nac^  eine  pofitioe  ®abe:  ba§  neue  93er^Itni$,  in  ba§  ber  2:äuf' 
ling  ju  ®ott  üerfe^t  rnirb  ^).  ®§  mirb  bamit  juglei^  bie  ®runb* 
läge  gelegt  ju  einem  neuen  fieben,  ober  „e§  mirb  ber  Stnfang  ge*= 
mac^t  mit  einem  perfönlic^en  ®emeinfc^aft$leben  mit  S^riftuS,  bad 
bann  beginnen  fann,  menn  ber  SWenfcft  glaubt  unb  für  ©tiriftuä 
fic^  entfc^eiben  fann"^).  2Benn©aul  alfo  auc^  ni^t  bie  J^efe  fic^ 
aneignen  fann,  ba^  bie  Äinbertaufe  bie  SBiebergeburt  fei,  fo  oer* 
ma^rt  er  ftc^  boc^  gegen  ben  SBorrourf,  in  fubjeftioer  ©elbft^err* 
lic^feit  ba§  ©aframent  ju  oerac^ten  ober  bem  ©^riftmort  ben 
©etjorfam  ju  oerfagen*).  Sluc^  bie  oon  ber  Srma^fenentaufe 
unterfdjiebene  Kinbertaufe  bleibt  ein  ©aframent,  eine  ^anblung, 
burc^  bie  ®ott  bem  Kinbe  ein  neue§  93erl)ältni§  ju  ft^  gibt  unb 
bie  Befreiung  oon  ber  ©ünbe  unb  ©c^ulb  i^m  juteil  merben 
lä^t«). 

Ob  €§  pofitio  ift,  ein  ©aframent  in  feiner  93ebeutung  ju  re* 
bujieren,  mag  baf)ingefteKt  bleiben,  ©remer  ^at  j[ebenfall§  in 
biefem  2lbfc^n>äc^ung§oerfuc^  einen  9lbfall  oom  Sut^ertum  unb 
ber  ntl.  3lnfc^auung  erfannt ') ;  unb  %i).  ^arbelanb  ^at  ni^t  me^ 


1)  @aul  a.  a.  D.  8.  19. 

2)  (Sbb.  @.  21.  3)  @bb. 

4)  i&hh.  @.  22.  5)  @bb.  8.  31. 

6)  ^bb,  <B.  30.  7)  Bremer  a.  a.  D.  8.  15. 


446    @  d)  e  e  I :  ^ie  2:aufle^re  in  b.  mobemen  pofitiOv  lut^er.  ^ogmatit. 

nigcr  fc^arf  biefe  ^ofition  bctämpft^).  SBic^tigcr  aber  al§  bie 
^rage  na6)  bem  pofitipen  S^aratter  biefer  2:Quf(e^re  ift  bie  %xaQt 
nac^  i^rer  bogmatifd^en  ^altbarfeit.  Sag  biefe  2:^eorie  manches 
befi^t,  ipqS  i^r  geneigt  machen  tonnte,  foQ  nic^t  beftritten  n)erben. 
6^  ift  oornel^mlic^  ba§  ^ntereffe  an  bem  poUen  bogmatifd^en  SBe« 
griff  bev  ffiiebevgeburt  unb  bie  SBerüdfic^tigung  be§  reformato« 
rifd^en  ©lauben^begriffS  in  biefer  2:^eorie  jur  ©eltung  gelangt; 
unb  fie  perfuc^t  e§  nic^t,  ^altlofe,  aber  burc^  bie  2:rabition  fant- 
tionierte  SSorfteüungen  ju  repriftinieren  ober  in  neuer  SBerbrämung 
annehmbar  ju  machen.  Ob  bie  in  ber  bogmatifd^en  Unterfc^ei* 
bung  ber  Äinbertaufe  oon  ber  ©rroad^fenentaufe  begrünbete  ®r» 
ipeid^ung  ber  alten  2:^eorie  pom  @a{rament  ber  Saufe  geeignet 
ift,  ein  3Witte(  ber  Sßerftänbigung  mit  folc^en  ju  werben,  bie  eine 
noc^  ,,rabitatere''  Haltung  einzunehmen  ftc^  perpflid^tet  fügten, 
brandet  ^ier  nic^t  unterfud^t  ju  n)erben.  @S  mürbe  eine  folc^e 
Unterfu^ung  leidjt  ©efa^r  laufen,  rein  atabemifc^e  (Erörterungen 
JU  pflegen,  jumal  bie  ©timmung,  bie  unö  bei  ben  Sßerfed^tern 
biefer  2:^eorie  entgegentritt,  menig  per^eifeung^poll  erfc^eint;  ^ier 
^aben  mir  nur  bie  ©rmeic^ung  feftjufteüen,  unb  jmar  eine  6r« 
meic^ung,  bie  fic^  auf  bie  ©rfenntniö  pon  ber  ma|gebenben  ©tel« 
lung  beö  epangelifc^en  ©lauben^begriffg  jurüdtfü^rt.  2)a$  ©lau« 
ben^motip,  nic^t  ba$  SaframentSmotip  ^at  ^ier  baS  Uebergemic^t 
erhalten. 

3lber  mie  ftel^t  eS  mit  ber  bogmatifc^en  9tec^tfertigung  ber 
2:^eorie?  3wnäc^ft  fmb  menigftenS  Ungenauigteiten  por^anben. 
33unfe  meint  feine  2:^efe  auf  ben  2:aufbegriff  ber  lut^erifc^en  33e* 
fenntni^fc^riften  ftü^cn  ju  fönnen.  3)ie  bort  niebergelegte  Ueber» 
jeugung  pom  SÖefen  ber  Saufe  berechtigt  i^n,  mie  er  meint,  bie 
Äinbertaufe  al§  bie  2lnmartfc^aft  auf  ba§  ^eil  ju  befinieren.  2lber 
fc^on  ^arbelanb  ^at  barauf  ^iugemiefen,  ba^  S3unfe§  2lnna^me 
einer  2lnbietung  pon  ©ütern,  bereu  Stealifierung  erft  nac^  längerer 
3eit  eintrete,  ein  burdjauS  m oberner,  ben  Steformatoren  frember 
5)egriff  fei^).  3)a§  oiferre  bejeic^ne  nic^t  eine  3wp^^^'wng  für 
bie  3wfunft,  fonbern  eine  SÖlitteilung  in  ber  ©egenmart  ^).  ^uufe 

1)  Zf).  §arbe(anb,  %aS  f&ab  ber  SBiebergcbutt,  ^annoper  unb  f&tf 
lin  1902.  2)  §avbe(anb  a.  a.  D.  8.  6.  3)  ®bb.  @.  7. 


@  (^  e  e  I :  ^ie  3:aufle^re  in  b.  mobernen  pofitbv  lut^er.  ^ogmatit    447 

fann  auc^,  felbft  roenn  man  ^icroon  abfeilen  roiD,  fogar  na6)  feinen 
eichenen  vorangegangenen  Erörterungen  in  fo  unbebingter  äBeife 
fi^  nic^t  auf  bie  SBetenntni^fc^riften  berufen.  3)enn  er  felbft  l^atte 
e§  al§  beren  2luffaffung  erroiefen,  baß  bie  Saufe  ba§  ©aframent 
ber  SBiebergeburt  fei.  2)ann  fann  er  nic^t  au§  ber  SBorfteDung 
ber  SBetenntni^fc^riften  Dom  SBefen  ber  2:aufe  ben  ©c^lu§  ab' 
leiten,  bag  bie  £aufe  nur  bie  älnbietung  unb  3uftc^erung  be§  in 
ß^rifto  befc^loffenen  ^eilS  an  ben  einjelnen  fei.  9lber  gegen  biefe 
2)efinition  erl^eben  fic^  au(^  bogmatif(^e  SBebenfen.  @§  rvat  bur(^* 
au§  berechtigt  wenn  (Jremer  bie  2lnna]^me  einer  in  ber  Saufe 
blo§  gegebenen  2lnn)artfc^aft  auf  ba§  ^eil  jurüdwieS.  2)aDon 
fann,  woran  je^t  nur  erinnert  ju  werben  brau(^t,  bie  2)ogmatif 
jufotge  ber  Eigenart  bes;  bogmatif^en  SBeweife^  nic^t  fpre(^en. 
®ö  bebeutet  ben  Sßerjic^t  auf  bie  religiö^^pfgc^ologifc^e  9tatur  be§ 
bogmatifc^en  93egriff§,  wenn  man  eine  blofee  Slnmartf^aft  be* 
l^auptet,  bie  aU  fol^e  no^  feine  |)eil2;güter  mirflic^  oertei^t.  9lur 
mit  |)itfe  ber  9tec^tSana(ogie  liege  ftc^  eine  folc^e  ^el^auptung 
plaufibet  machen.  Stber  bie  9lec^ti^analogie  ermieS  [xä)  aU  un« 
jureic^enb,  religiöfe  93egriffe  ju  erläutern;  au(^  rourbe  auf  biefe 
SÖeife  ber  bogmatifc^  ju  forbernbe  einheitliche  ^wfö^nicn^ang  oon 
©eben  unb  ^inne^men  jerriffen.  ©rabe  im  ^fntereffe  ber  bog» 
matifc^en  Segrünbung  mu|  93unfe§  S^eorie  abgelehnt  werben, 
©eine  ^Rechtfertigung  ber  Äinbertaufe  ift  überhaupt  feine  bogma^ 
tifc^e  ^Rechtfertigung  *).    3)ann  aber  taud^t  bie  5^age  auf,  ob  e§ 

1)  %a^  barf  au6)  oon  Dlutj,  Saufe  unb  SOMebergeburt  (91^3.  1901) 
gelten.  9lu^  ift  ebcnfo  roenig  wie  löuufe  geneigt,  bie  ^ofltion  ©remerS 
unb  3lIt^oug'  fi^  anzueignen.  3^1  ber  lut^erifd^en  ^ird)e  f)ab^  bie  3lb- 
fl^t,  bie  SBirffamfcit  ber  ©aframente  fidjcr  gu  fteflen,  bttju  geführt,  oon 
ber  SBcbingung  beg  ©(aubeng  mc^r  ober  weniger  objufc^en  (594),  eine 
Senbena,  bie  er  aud)  bei  SBocfer  unb  3lltbau8  pnbet  (595).  ^ic  (S^rift 
ober  beäci*nc  augbrücfüc^  ha^  SBort  aU  iWittel  ber  SBiebergeburt  (600), 
unb  eine  3öiebergeburt,  oon  ber  ber  Söetroffcne  nid)t§  roei^,  gebe  e8  nid)t 
(604).  ©bcnforoenig  brauche  unfcr  ®Iaube  immer  bie  3:aufe,  um  fid)  an 
etroog  galten  ju  fönnen.  3)enn  er  bah^  ba§  SBort  ®otte§,  (S^^rifti  ^crfon 
unb  2öer!  (605).  *2)ag  pnb  burc^auS  beoc^tengroerte  9lu§fü^rungen.  3(ber 
SRutj  böngt  boc^  am  SahramentSbegriff  aU  einem  befonberen  93egriff. 
5)enn  er  er!(ärt,  ba6  e«  hei  feiner  5luffaffung  fc^mierig  fei,  einem  erwach- 
fenen,  ntd)t  getauften,  gläubig  geworbenen  9Wenfd)en  no^  eine  befonbere 


448    <S  d)  e  e  l :  2)ie  Xaufle^re  in  b.  mobemen  poftttD.,  lut^er.  2)ogmatif. 

überhaupt  geftattct  ift,  bogmatif^  einen  Unterf^icb  jroifc^en  Äin- 
bertaufe  unb  ®rn)ac^fenentQufe  ju  machen,  ob  man  atfo,  faU§  man 
bie  £aufe  bogmatif^  rechtfertigen  miU,  nic^t  vielmehr  genötigt 
roirb,  aUe§,  ma^  oon  ber  2:aufe  au^jufagen  ift,  unbebingt,  o^ne 
©infc^ränfung  unb  3lu§na]^me  oon  ber  Saufe  au^jufagen. 

©aul  lä^t  im  roefentli^en  oon  benfelben  ÜKotioen  fic^  be« 
ftimmen,  mie  93unte;  boä)  ift  er  einen  Schritt  weiter  gegangen. 
3Benn  nac^  93unfe  bie  Sinbertaufe  ba§  ©aframcnt  ber  Sinbietung 
ber  ®nabe  mar,  fo  fuc^t  ©aul  menigftenS  au§brüdlic^  ben  ©e- 
bauten  einer  ©nabenmitteilung  für  bie  Äinbertaufe  gu  retten.  3)te 
Äinbertaufe  ift  ba§  ©aframent  jur  SBiebergeburt,  meil  bie  JBer- 
gebung  ber  ©ünbe  bem  Rinbe  in  ber  2:aufe  gef(^enft  mirb.  ©o 
ma^rt  ©aut  fräftiger  ate  SBunfe  ben  fatramentalen  ©^arafter  ber 
Sinbertaufe,  menn  er  auc^  unterfdjeibet  jmifi^en  ber  Saufe  ber 
@rroa(^fenen  unb  ber  Sinber.  ^nbem  aber  ©au(  bie  ÜKitteilung 
einer  ®abe  in  ber  Äinbertaufe  behauptet,  uerfic^t  er  auc^  ein  bog^ 
matif(^  ric^tigeg  ÜKotio.  Sro^bem  !ann  man  [x6)  mit  feiner  (Sr* 
flärung  ebenfo  roenig  befreunben,  mie  mit  berjenigen  93un!e§.  ®ie 
bogmatifc^en  ©c^mierigteiten,  bie  l^ier  entftel^en,  ftnb  ni^t  ge« 
ringer.    3wnäc^ft  mirb  ©aul  genötigt,  SDBiebergeburt  unb  ©flnben^ 

SBirfung  ber  Saufe  äujumeifen.  3Ran  werbe  nur  fc^rocr  über  bie  unbe^ 
ftimmte  „rounberbare  ^ermc^rung  ber  ©eifteSgabcn",  wie  fie  bie  alten 
3)O0mati!er  hzi^aupttitn,  ^inau§!ommen,  ober  am  ($nbe  au^  bei  bem  für 
bag  5luge  ftcfttbaren  ©nabenäcid^cn  fid)  genügen  laffen  ober  auf  ein  igno- 
ramus  fid)  jurücf^ie^en  muffen.  5lbcr  bicfcr  SRac^teil  fei  gering  gegenüber 
ber  ®efabr  einer  9Jcrle^ung  beg  SWaterialprin^ipS  (606.  607).  ©obonn 
bcpniert  er  boc^  fpäter  bie  a:aufc  alg  ba§  gcroiffc  ^anbgreiflic^e  3eic^en 
ber  @nabe  ©otteS,  an  melc^em  fid)  in  @tunben  ber  @c^mad)^eit  ber 
a)lenf^  aufrid)ten  fonn  (608),  roö^rcnb  $Hutj  bod)  bicfe  Söirfung  fd)on  bem 
aSort  jugcmiefen  ^atte  (605),  abgefe^en  baoon,  ba&  bicä  überhaupt  feine 
bogmatifc^e  SRcd^tfertigung  ift.  Unb  enbli^  betrautet  er  bie  ^inbertaufe 
aU  bie  erfte  5lnbietung  ber  ®nabe  ®ottc§,  b.  ^.  alfo  bie  Saufe  al§  ba§ 
8afromcnt  ber  ^Berufung  (618).  ^amit  aber  oerfüUt  er  bem  3rebler,  ben 
mir  bei  iöunfc  fci&on  (onftaticren  mußten.  3mmerl)in  bebeuten  feine  ^luS- 
f Urningen  eine  ftarfe  @d)mäc^ung  ber  faframcntalen  SBertung  ber  2:aufe, 
menn  auc^  ftctS  nod&  baö  @a!ramcnt  i^m  ctmaS  bcfonbere^  ju  fein  fc^cint, 
bem  er  nun  freiließ  nid)t  me^r  einen  bogmatifc^  (laren  5lusbrud  ju  geben 
ocrmag. 


@  d)  e  e  ( :  2)ie  ^laufk^re  in  b.  mobemen  pofitit).,  lut^er.  ^ogmatü.    449 

oergebung  oon  einanbcr  ju  trennen.  @rft  bann  ift  ber  9Kenfc^ 
roiebergeboren,  roenn  er  im  ben)u|ten  ©tauben  ©^riftuS  gefunben  ^) 
unb  mit  Semugtfein  unb  SEBiDen  burc^  93u^e  unb  ©tauben  eine 
anbere  SRic^tung  eingef erlagen  ^at*').  @rfl  je^t  ift  bie  SBirtung 
ber  2:aufe  oolljur  ©ettung  gelangt,  erft  je^t  bie  ganje  güde 
ber  ®nabe  unb  be§  ©eifteS  ©ermittelt  %  SJlit  biefen  ®rflärungen 
^at  ©aul  tatfäd^li(^  ber  Söiebergeburt  bie  ©ünbenoergebung  unter* 
georbnet.  S)icfe  ©rörtcrungen  nötigen  ju  bem  bogmatifc^en  ©c^lu§, 
baß  erft  ber  SDBiebergeborene  im  S3eft^  be§  |)eite  ft^  befinbet,  alfo  bie 
©ünbenoergebung  nidjt  ba§  ganje  ^eil  oerleil^t.  2)ann  aber  ift 
bie  reformatorifc^e  ©c^ä^ung  ber  ©ünbenpergebung  preisgegeben 
unb  ©aul  ^at  einen  SDBeg  betreten,  ber  bie  „bloße  93egnabigung" 
üon  einer  nad^folgenben,  ^ö^ere«  oermittelnben  3Biebergeburt  unter* 
fdjeiben  te^rt,  eine  2lnna^me,  bie  energifc^  beftritten  ju  l^aben  ba§ 
aSerbienft  ber  Jaufle^re  ®remer§  ift.  ©aul  fönnte  biefer  fatalen 
Sonfequenj  nur  entgegen,  menn  er  feine  (Erörterungen  nid^t  al§ 
bogmatifc^e  angefeben  roiffen  miß,  fonbern  nur  bie  empirifc^e  @nt* 
faltung  religiöfer  93en)uJ3tfein§öorgänge  ate  ©egenftanb  feiner  9lu§* 
einanberfefeungen  betrachtet  fe^en  roiH.  3lber  eine  folc^e  Slnna^me 
mürbe  boc^  ben  2lbfic^ten  ©aul§  miberfpred^en ;  benn  ©aul  mill 
ja  grabe  einen  bogmatifc^en  93eroei§  geben.  SDBill  man  alfo  ©aul 
Dor  ber  bogmatifc^  bebentlic^en  ^onfequenj  fdjü^en,  bie  implicite 
in  feinen  2lu§fü^rungen  enthalten  ift,  fo  mürbe  man  i^m  boc^ 
feinen  2)ienft  ermeifen.  S)enn  nun  müßte  man  gegen  il^n  ben 
aSormurf  ergeben,  baß  er  c§  an  bem  a3erfu(^  l^abe  fel^len  laffen, 
feinen  93e^auptungen  bie  b  o  g  m  a  t  i  f  c^  e  Me^tfcrtigung  nac^* 
folgen  ju  laffen. 

©^on  bie  eben  fonftatierte  Satfac^e  mürbe  un§  nötigen,  ©aulS 
2lu§fü^rungen  gu  beanftanben  unb  nac^  einer  anberen  Stec^tferti* 
gung  be§  2:auffatrament§  un§  umjufe^en.  ®§  fommt  aber  nod^ 
^inju  bie  nic^t  minber  bebenfli^e  Satfad^e,  baß  ©aul  eine  ÜRit* 
teilung  beS  ^eilS  abgefe^en  pom  ©lauben  tennt,  unb  93e]^aup« 
tungcn  aufftellt,  bie  unoerftänbli^  roerbcn.  ©aul  meint,  baß  mit 
ber  ftinbertaufe  bie  ©runbtage  gelegt  merbe  ju  einem  neuen  fieben, 

"  1)  ©oul  o.  a.  D.  ©.  26.  2)  @bb.  @.  24. 

3)  ebb.  @.  26. 


460    @  c^  c  e  I :  S)ie  a:auf(e5rc  in  b.  mobcmcn  pofttio.,  lut^er.  ^ogmotit 

bcr  2lnfang  gemai^t  toerbe  mit  einem  perfönlic^en  @e« 
meinfc^af trieben  mit  (J^riftu§,  baS  bann  beginnen  f önne,  wenn 
ber  aWenfd^  glauben  tonne  ^).  9lac^  ©aul  aber  fe^tt  e§bemÄinbe 
noc^  am  bemühten  Seben;  perfönH(^e§  ®emeinf^aft§(eben  fe^t 
aber  bemu^te^  Seben  ooraug.  2)ann  fann  aber  boc^  nid^t  fd^on 
in  ber  Sinbertaufe  ber  Slnfang  gema(^t  werben  mit  einem  perfön* 
li^en  @emeinfc^aft§Ieben.  ©aul  fc^eint  biefen  SBiberfpruc^  ge» 
fü^It  ju  ^aben.  ®enn  er  unterf^eibet  ja  jmifd^en  bem  „2lnfang 
machen"  unb  bem  „beginnen".  2lber  biefe  Unterfc^eibung  bürfte 
^öc^fteng  Dor  bem  gorum  ©aul§  befielen.  ®er  ©at(  ©aufö  ent» 
^ält  alfo  jmei  ni^t  mirflic^  vereinigte  aJiotioe.  ®§  foU  bem  ®Iau* 
ben  fein  SRe^t  gema^rt  werben,  unb  e§  foD  ba§  ©atrament  ber 
Äinbertaufe,  ba§  üom  Olauben  ni^t  ju  fprec^en  erlaubt,  mit  ej* 
^ibitioer,  wenn  auc^  rebujierter  Kraft  auSgeftattet  merben.  S)a§ 
ift  ein  Söiberfpruc^,  ben  nur  SDBorte  f^einbar  oerbeden  tonnen. 
3)a§  aber  auc^  ^ier  noc^  ba§  ©lauben^motiü  üormaltet,  ertennt 
man  baran,  ba|  ©aul  bie  unperftänblic^e  Unterfc^eibung  be§  „2ln* 
fangmac^en§"  unb  be§  „53eginnen§"  einführt. 

3u  biefem  über  ben  Erörterungen  ©aul§  tagernben  unb  fic^ 
nic^t  lichten  moüenben  3)untel  gefeilt  fic^  nun  bie  ©rflärung,  bag 
bie  Äinbertaufe  nur  folc^e  ©aben  »ermitteln  bürfe,  bie  man  o^ne 
bemühten  ©tauben  empfangen  tonne,  ©aul  fe^t  alfo  oorau^, 
bag  bie  eDangelif(^e  ®ogmatit  ^eiUgüter  tennt,  bereu  S3efi^ 
nic^t  an  ben  ©tauben  gebunben  ift.  Um  ben  fatramentalen  ©b^* 
rafter  ber  Äinbertaufe  ju  retten,  öer(ä|t  er  je^t  bie  ©runbpofi= 
tion  be§  reformatorifdien  Sßerftänbniffe^  be§  ©l^riftentumö.  ®er 
M^n^eit  biefe§  SBorge^enö  wirb  man  erft  rec^t  inne,  menn  man 
beachtet,  ba|  e§  fic^  um  bie  ®abt  ber  ©ünbenoergebung  ^anbelt. 
®§  bürfte  ^ier  nac^  allem,  mag  oorangegangcn  ift,  mo^t  genügen, 
biefen  ©a^  ^erau^jufteüen,  um  feine  Un^altbarteit  unb  bamit  bie 
Un^altbarfeit  ber  bogmatif(^en  ^Rechtfertigung  ber  Kinbertaufe,  fo 
mie  fie  ©aut  ju  geben  uerfuc^t,  barjutun.  ®§  fei  nur  beffen  noc^ 
gebad)t,  ba^  ©aul  felbft  im  |)inblid  auf  ©remer,  2llt^au§  unb 
t).  b.  Srend  ben  ©a^  geprägt  ^at:  „ber  §eil§gtaube  ber  Kinber 


1)  ©aul  a.  0.  D.  ©.  22. 


6  d)  c  c  I :  %xz  2:aufle^re  in  b.  mobemen  pojlticv  lut^er.  ^ogmotit    461 

wirb  alfo abgelehnt,  unb  e§  wirb  eine  SBiebergeburt  ==  SRec^t^ 

fertigung  =  ©ünbenpergebung  bel^auptet,  ol^ne  bajs  ber  ©taube  ba* 
ju  nötig  ift"  ^)!  S)ann  ^atSaul  über  feine  eigenen  fpäteren  2lu8* 
fü^rungen  ba§  Urteil  gefpro^en,  bie  pfg^ologif^  nur  oerftänb* 
lic^  werben,  wenn  man  bie  fSlaöit  f\6)  pergegenroärtigt,  bie  ba§ 
©aframentömotin  immer  noc^  über  ©ante  bogmatifc^e«  3)enfen 
ausübt.  SBenn  er  aber  enblic^  ertlärt,  (£remer§  unb  9l(t^auS' 
@a^,  ba^  burc^  bie  Äinbertaufe  ber  läufling  in  ein  neueS  JBer« 
t)ältni§  JU  ©Ott  gefegt  werbe,  fu^  aneignen  ju  fönnen,  fo  fällt 
biefe  ©rtlärung  unter  ba§  SBerbift  ber  SBemerfungen,  bie  im  3«* 
fammenl^ang  ber  Jaufle^re  ©remer^  gegeben  werben  mußten, 
©aul  ^at  feine  ^ofition  baburd)  nic^t  getlärt,  ba§  er  eine  leife 
aSermittlung  mit  ber  foteriotogif^en  3)oftrin  anftrebt,  o^ne  be* 
ren  bogmatifd^  ri^tige§  9Kotio  ju  atjeptieren. 

3um  Schlug  fann  noc^  barauf  ^ingebeutet  werben,  ba§  biefe 
2:^eorie  e§  nic^t  oerftanben  ^at,  ben  bogmatifc^en  ®ewei§  für  bie 
9lotwenbigteit  ber  3"^^^^^'*  ^^^  ©nabenmittel  ju  erbringen,  unb 
t>a^  bie  ©rünbe,  bie  etwa  angeführt  werben,  nic^t  bogmatifc^er, 
fonbern  religion§pfi)c^o(ogifc^er  Statur  finb.  gür  93unfe  fowo^l 
wie  für  ©aul  fte^t  e§  feft,  baj3  ba§  SDBort  auc^  beim  ©atramcnt 
t>a^  fonftituierenbe  SWoment  ift^).  SBie  foü  e§  benn  begreiflich 
fein,  ba^  ba§  Saufwort,  ba§  über  bem  unmünbigen  Täufling  ge* 
fprod^en  wirb,  au^  nur  bie  abgef^wdc^te  ffiirfung  befi^t,  bie 
©aul  ber  Äinbertaufe  juweift?  3)a§  3Bort  fe^t  geiftige  Slufna^me« 
fä^igfeit  oorau^;  biefe  aber  wagte  ©aut  für  bieg  ©tabium  ber 
©ntwirftung  be§  tinbli^en  fieben§  noc^  nic^t  oorauSjufe^en.  9Kan 
mü^te  alfo  eine  „magifdje"  3Birtung  be§  2:aufwort§  fonftatieren 
benn  e8  würbe  bem  2:aufwort  eine  3Birfung  jugewiefen,  bie  man 
fonft  nic^t  bem  ©nabenmittet  be§  2Bort§  jujufc^reiben  ben  3Wut 
t)at.  3)ie  notwenbige  ^olge  wäre  bie,  ba^  man  ba§  Jaufwort 
c^aratteriftifc^  unterfc^eiben  mügte  oon  bem  fouftigen  ©nabenwort. 
3)ann  wäre  aber  bie  ©runbt^efe,  oon  ber  ausgegangen  würbe, 
preisgegeben ;  unb  boc^  f ül^rt  ein  orbnungSgemäfeeS  2luSge^en  oon 
biefer  J^efe  ju  biefer  legten  Folgerung,  b.  f).  alfo  jur  ©elbftauf^^ 

1)  ©aul  a.  a.  D.  @.  11. 

2)  iSauI  a.  a.  D.  ©.  25.    löunfc  o.  a.  D.  ©.  9.  11. 


462    6  (^  e  e  I :  S)ie  a:auflc^tc  in  b.  mobemcn  poflti©.,  lut^er.  S)oömatit 

löfung  ber  2:^cfc.  2)iefcm  @rgcbni§  tann  man  bann  nur  mit  ber 
©rflärung  begegnen,  ba§  man  baS  ®rgebni^  nic^t  anertennen  mü. 
9Wit  einer  fold^en  (Srflärung  märe  notürli(^  nic^fö  gewonnen,  mU 
mel^r  nur  bie  eigene  Unfic^er^eit  jum  2lu§brud  gebra(^t.  ©o  ge* 
rät  man  alfo  in  ba§  ®ilemma,  ba%  bie  Äinbertaufe  ein  ^eil§« 
gaben  oerlei^enbe^  ©aframent  ift  unb  bo(^  bem  SDBort  au(^  für 
bie§  ©atrament  tonftitutioe  ©eltung  eignet.  Unb  eben  bamit  fe^It 
eS  mieberum  an  bem  inneren  9tac^n)ei§  für  bie  3"^«i^^it  ber  ©na- 
benmittel.  6§  eyiftiert  ja  im  ©runbe  nur  ba§  SBort  al§  ®na» 
benmittet.  ®a^  e§  in  ber  gorm  ber  Hinbertaufe  apptijiert  mirb, 
peränbert  nic^t  feinen  ©^aratter  al§  3Bort,  SBo  foU  benn  ber 
@runb  bafür  gefuc^t  werben,  ba§  bie  Sinbertaufe  bo(^  eine  SDBir*= 
fung  ^at,  bie  ba§  einfadje  SÖort  nic^t  ausübt?  3)iefe  fragen  fönnte 
man  nur  befeitigen  burc^  ben  ^inroeiö  barauf,  ba§  bie  ©(^rift 
jmei  @nabenmitte(  behauptet,  unb  mir  im  ©el^orfam  gegen  bie 
©c^rift  uns  biefer  2:atfad)e  ju  beugen  Ratten.  S)ie  alten  3)og^ 
matüer  l^atten  bereite  biefe  Söfung  gefunben;  aber  biefe  Söfung 
ift  unbraud)bar.  9lu§  bem  3)i(emma  fäme  man  nur  ^erauS,  menn 
nmn  e§  magte,  bem  Jauffaframent  eine  fpejififd^e  SDBirfung  juju^ 
meifen,  bie  bem  3Bort  als  3Bort  nic^t  eignet.  3)ann  märe  jmar 
bie  Orunbt^efe  pom  ©ort  als  bem  tonftituierenben  3Womcnt  ber 
S^aufe  aufgegeben  unb  gleidjjeitig  bie  generelle  ©aframentSt^eorie 
ber  alten  3)ogmatiter  hinfällig  gemorben.  Slber  man  l^ätte  hoä) 
eine  53a^n  betreten,  bie  jum  3i^l  ben  inneren  SladjmeiS  ber  9lot« 
menbigteit  jmeier  ©nabenmittel  i)at  3)a6  biefer  3Beg  atlerbingS 
nidjt  jum  ßiel  führen  tonnte,  jeigt  bie  öefprec^ung  ber  J^eorie 
Jlrog^^SonningS.  3)aS  ift  auc^  ©aul  ni^t  verborgen  gemefen. 
@r  ^ätte  fonft  nic^t  fo  energifc^  im  ©ort  baS  fonftituierenbe  SWo^ 
ment  ber  2:aufe  ju  finben  gelehrt.  3)ann  aber  bleibt  eS  bei  bem 
Ergebnis,  ba^  meber  auS  bem  ©^arafter  ber  2:aufe  als  beS  SÖorteS 
bie  oorauSgefe^te  SBirfung  ber  2:aufe  begreifli^  gemacht  merben, 
noc^  bie  9Jotmenbigteit  jmeier  ©nabenmittel  nac^gemiefen  merben 
fann,  unb  ba|  anbererfeitS  bie  SBirfung,  bie  ber  Saufe  ber  Äinber 
jugefc^rieben  mirb,  über  beren  allgemeine  ^eftimmung  als  äBort 
hinausführt. 

®ie   ganje   bogmatifc^e  Unfid^er^eit  biefer   2:aufboftrin   ^at 


S  ^  e  e  I :  ^te  2:aufIe^Te  in  b.  mobettien  pofttit).,  lut^ec.  ^ogmatit    453 

Sunfc  einmal  ^araftcriftif^  crtcnnen  (offen,  nämlic^  in  jener  be* 
reitS  jitierten  ©teile,  bie  feine  jufammenfaffenbe  Slnf^auung  Don 
ber  2:aufe  entwidelte  ^).  ^ier  foU  einmal  bie  Saufe  bie  SBieber* 
geburt  im  oo  Ken  Umfang  mitten,  b.  ^.  ^Rechtfertigung  unb  ®eift« 
mitteilung  unb  Sßerfiegelung  biefe§  SBeft^eS  im  ^erou^tfein  beS 
JäuPingS.  2lnbererfeit§  ift  e§  möglid^,  ba§  bur^  ba§  ©naben^ 
mittel  beö  Sffiort«  bie  SRed^tfertigung  be8  ©ünberS  bereite  ftatt* 
fanb;  bann  Dollenbet  bie  Jaufe  nur  bie  SOBiebergeburt  bur^  bie 
SRitteilung  be§  ©eifte^  als  $rin}ip  be§  neuen  fiebenS  unb  al$ 
SBeftätigung  ber  ^Rechtfertigung  im  93erou|tfein  be§  ©etauften. 
©d^liefelic^  ift  eö  möglich,  ba§  bie  ganje  ffiiebergeburt  oor  ber 
Saufe  gefc^e^en  fei;  bann  ift  bie  Saufe  baS  innere  unb  äußere 
©iegel  für  bie  ©nabenerroeifungen  ©otte§.  3)er  bogmatifc^e  ©e* 
^alt  ber  Saufe  mirb  alfo  in  biefer  Stufenfolge  immer  mc^r  re* 
bujiert,  unb  ni^t  nur  ber  Saufbegriff,  auc^  ber  bogmatifc^e  53e* 
griff  ber  ^Rechtfertigung  mirb  entleert.  3)enn  e§  tcnnt  nun  93unfe 
eine  9le(^tfertigung,  bie  im  ©lauben  angenommen  mürbe,  aber 
nod^  nid^t  ba§  ^rinjip  be§  neuen  Seben§  unb  bie  ^eitegemi^^eit 
enthält.  S)iefen  ÜRangel  ergänjt  nun  bie  Saufe.  Slfaer  ©unfe 
^at  mit  biefer  (Srflärung  mcber  ber  Sc^re  oou  ber  ^Rechtfertigung 
noc^  berjenigen  oon  ber  Saufe  einen  guten  3)ienft  ermiefen.  3)eun 
er  rebujiert  ben  bogmatifc^en  S3egriff  ber  Stec^tfertigung  fo  ftar!, 
bag  man  bie  reformatorif^e  9tec^tfertigung§le^re  ni^t  micber  er^ 
tennt,  unb  er  beeinträchtigt  anbererfeit§  bie  bogmatifc^e  ©elbftän» 
bigteit  be§  Sauffa!rament§.  Unb  roenn  oollenbö  bie  ganje  äöie^ 
bergeburt  oor  ber  Saufe  gefc^e^en  ift,  fo  bleibt  für  bie  Saufe 
überhaupt  nidjtS  mel^r  übrig,  ©ie  foU  jroar  immer  nod^  roenig« 
ften§  als  ba§  äußere  unb  innere  ©iegel  für  bie  ©nabenermeifungen 
©otte^  an  ben  ©etauften  gelten.  2lber  tann  bie  3Biebergeburt 
üollftänbig  unb  oollenbet  fein,  menn  i^r  baS  ©iegel  fel)lt?  Unb 
ift  bie  Saufe,  menn  e§  eine  ooUftänbige  3Biebergeburt  fc^on  oor 
ber  Saufe  gibt,  etmaS  anbereS  mie  eine  blo|e  3^vemonie?  ©ie 
fönnte  ^öc^ftenS  als  äu|ere§  ©iegel  in  SBetrac^t  fommen,  ba§  aber, 
ba  ja  bie  ffiiebergeburt  al§  oollenbet  oorgeftellt  mirb,   bogmati* 


1)  »unfe  a.  a.  D.  @.  114/115. 


454    <S  d)  e  e  I :  ^ie  ^auflel^re  in  b.  mobemen  pofttiov  lut^er.  'Dogmotif. 

fd^en  SBert  nic^t  bcft^t.  ^icr  ift  a(fo  bcr  bogmatifi^e  SScgriff 
bc§  SauffQframcnt§  ooüftänbig  aufgclöft.  93un!e§  (Srörtcrungen 
fönntcn  ^öc^ftcn§  a(§  ©efc^rcibung  be§  möglid^en  @ntn)i(f(ung§* 
gQng§  etne§  religiöfen  ^nbioibuum^  ®e(tung  befi^en;  man  fönnte 
it)ncn  alfo  m5gli(^ern)cife  rcligion^pf^c^ologifd^en  SBcrt  jufd^rciben. 
Slbcr  bann  roäre  eben  bic  bogmatifd^e  93croci§fü^rung  aufgegeben. 
3)arum  barf  man  aud^  biefe  ©rörterung  93unfe§  a(§  ben  DoUgüI« 
tigen  33en)ei§  ber  bogmatif(^en  Unft^er^eit  in  ber  ©egrflnbung 
ber  2:auPe^re  betrachten.  3)ie  3)ogmatif  tanu  nic^t  ein  unb  bem« 
felben  Objeft  eine  fo  bifferente  ©tettung  gueignen,  wie  e§  l^ier  oon 
93unfe  l^inft^tlic^  ber  S^aufe  gefc^et^en  ift.  2Ba§  bie  3)ogmatif 
Don  ber  Saufe  au^jufagen  ^at,  mu§  unter  atten  Umftänben  unb 
immer  gelten,  ©onft  ^ebt  man  ben  bogmatif(^en  93egriff  ber 
2:aufe  auf.  ®ntmeber  mu&  man  oon  ber  2:aufe  au^fagen  fönnen, 
ba§  fie  baS  33ab  ber  933iebergeburt  fei,  unb  bann  ift  bie§  tonfti« 
tutip  für  ben  bogmatifc^en  93egriff  t)on  ber  Saufe,  ober  man  mu^, 
\a\l^  bie§  nid^t  gefagt  merben  barf,  überhaupt  auf  eine  bogmatifc^e 
aSerroertung  be§  Saufbegriff§  oerjic^ten.  6in  britte§  gibt  e§  nid^t. 
3)ann  erließt  aber  aud),  ba§  bie  Unterfd^eibung  ber  Äinbertaufe 
öon  ber  6rma(^fenentaufe  bogmatif^  unbegrünbet  ift,  unb  ba§ 
©remer  ein  ri(^tige§  aWotio  öertrat,  al§  er  gegen  bie  Unterfc^ei« 
bung  be§  ©aframent^  ber  93erufung  ober  ber  3lnn)artfc^aft  auf 
ba§  ^eil  Don  bem  ©aframent  ber  933iebergeburt  proteftierte.  93untc§ 
aSerfuc^  ermeift  fi(^  fc^Iie^lic^  aU  ein  Kompromiß,  ba§  angefid^t§ 
ber  9lormen  be§  bogmatifc^en  Urteile  fw^  al§  unhaltbar  ^erau^fteUt. 


9Wit  ben  oon  93unfe  gebotenen  Sntmidtlungen  ift  man  alfo 
ni(^t  imftanbe,  bie  SWängel  ber  J^eorie  ©remerS  ju  erfc^en.  ®ie 
Saufe  mu&te  al§  933icbergeburt  unb  ©rneuerung  mirfcnb  begriffen 
werben;  anbererfeit§  mar  ber  neulutberif(^e  93egriff  ber  SOSieber* 
geburt  ooüftänbig  oerfe^lt;  unb  eine  bogmatifd^e  Unterfc^cibung 
ber  Kinber^  unb  ©rmad^fenentaufe  lie^  fic^  ebenfalls  nic^t  burdi« 
führen.  Unter  biefen  Umftänben  tonnte  e§,  menn  benn  übcrl^aupt 
no(^  bie  Saufe  etma^  bebeuten  foü,  angemeffcn  erfc^einen,  mieber* 
um  ben  Seftimmungen  ber  altort^obojen  3)ogmatifer  fic^  guju« 
roenben,  benen  jene  oon  93unfe  burc^gefü^rte  Setra^tung  ber  Äin* 


8  c^  e  e  ( :  ^ic  Zanftt^xt  in  b.  mobemen  pofttit).,  lut^er.  3)O0matit    465 

bertaufc  aU  be§  ©aframent^  ber  SSerufung  frentb  ift  unb  bic  ju^ 
nä(^ft  unterfd^icb§(o§  Hinbcr^  unb  ©noac^fcncntaufc  atS  ba§  ©atra* 
ment  bcr  SEBiebergcburt  unb  Erneuerung  anjufe^en  lel^rt.  6§  fel^tt 
in  ber  %at  gegenwärtig  nic^t  an  ba^inge^enben  SBerfuc^en.  3lu§ 
bcr  3^^^  berjenigen,  bie  am  fräftigften  ben  2lnfc^luj3  an  bie  gor* 
mein  ber  alten  S)ogmatif  ooHjiel^en,  feien  2:^.  |)arbelanb  unb 
SRomberg  ^erau§ge^oben.  O^ne  Heinere  @rn)ei(^ungen  tommt  man 
freiließ  —  ba§  gilt  in^befonbere  oon  |)arbelanb  —  au^  ^ier  nic^t 
burd^.  2l6er  e§  werben  \>o6)  im  ganjen  bie  Formulierungen  ber 
alten  3)ogmatiter  feftge^alten.  S)ie  Saufe  mirb  burc^auS  al§  ba§ 
©atrament  ber  933iebergeburt  befiniert ;  ba§  gilt  namentlid^  in  ber 
Slntit^efe  gegen  SunteS  UmbeutungSperfuc^e.  3[n  ben  ^Begriff  ber 
3Biebergeburt  ift  anbererfeit§,  wie  gegen  ®remer  geltenb  gemalt 
mirb,  ber  93egriff  ber  (Erneuerung  auf  junel^men.  3)ann  muj3  man 
auc^  ein  d)arafteriftifc^e§  ÜKerfmal  ber  altproteftantifc^en  2:auf' 
le^re,  bie  SSorftetlung  oom  Sinberglauben,  mieber  aufgreifen  unb 
burc^jufü^ren  oerfuc^en.  3)enn  nur  vermittels  biefer  S^eorie  ift 
e§  offenbar  möglich,  bereits  bem  unmfinbigen  Äinbe  ben  oollen 
93efi^  ber  SBiebergeburt  jujuroeifen,  unb  alfo  93un!eS  3lbfc^roäc^ung 
fomo^l  mie  ©remerS  Umbeutung  unb  Hrog^^SonningS  9leubi(bung 
ju  oermeiben,  bejiel^ungSmeife  ju  überminben.  Um  bie  J^eorie 
uom  Kinberglauben  tonjentriert  fid^  barum  au(^  baS  3"tereffe 
biefer  mobernen  SRepriftinatoren. 

SlDerbingS  ift  bie  ©infw^t  in  ben  Sinberglaubcn  bei  biefen 
mobernen  SBertretem  ber  alten  2:^eorie  ni(^t  größer  geworben,  als 
wie  jur  3^'*  ber  altproteftantifd)en  Ortl^obofie.  SKan  ift  jroar 
in  ber  Sage,  auSfül^rlic^c  ©ntmidlungen  über  bie  pfpc^ologifc^e 
aJlöglic^teit  beS  KinberglaubenS  ju  bieten,  man  fann  ganje  2fb^ 
fc^nitte  aus  3^if^n^i^  ^^^  3)eli^fc^  jitieren,  man  fann  über  bie 
Äurjfid^tigfeit  unb  bie  fel^r  ber  (Srgänjung  bebürftige  Orientierung 
berer  fic^  aufl^alten,  bie  in  ber  2:^efe  oom  Kinberglauben  eine 
petitio  principii  meinen  ertennen  ju  muffen,  bie  auS  pfpc^ologi* 
fc^en  foroo^l  wie  religiöfen  Orünben  fic^  gegen  bie  2lnna^me  eineS 
re(^tfertigenben  ÄinberglaubenS  unb  gegen  beffen  ^bentifijierung 
mit  bem  perfönlic^en  ^eilSglauben  fträuben,  man  fann  alfo  fel^r 
ftar!  baS  ©emugtfein  ber  religiöfen  fomo^t  roie  roiffenfc^aftlidjen 


456    S  c^  e  e  l :  S)ic  Xaufte^rc  in  b.  mobemen  pofitit).,  lut^er.  ^oömatif. 

Uebcrlegen^eit  bcfi^cn  unb  gelangt  fc^tiej^lic^  boc^  ju  bem  93e* 
fenntni^,  ba§  man  oor  einem  SRätfel  fie^e.  Statt  nun  aber  auö 
ber  6rfenntni§  be§  Unaufgctlärten  unb  9tätfel^aften  ein  SJiotio 
jur  aSorfi^t  unb  3w^ttcf^oltung  ju  geroinnen,  ^ulbigt  man  einem 
äJerfa^rcn,  ba§  entgegengefc^te  SBa^nen  einjufdjlagen  geneigt  ift. 
^n  ber  SRetigion  maltet  ja  offenbar  roeit  ftärfer  ba§  ©e^eimniS 
als  in  ber  unS  umgebenben  SBBelt.  SBeroegt  ftc^  aber  bie  9ieligion 
im  aW^fteriöfen,  bann  fann  bie  ©ntbedung  eineö  buntein  SRätfetö 
ben  ©inn  nic^t  beunruhigen  ober  auf  bie  3)auer  irritieren.  ÜJian 
meint  bei  2lner!ennung  bc§  ®e^eimniffe§  in  ber  ^Religion  auf  bcn 
fritifc^en  ®ebrau(^  ber  3)ent6egriffc,  benen  boc^  logifc^e  9iotroen* 
bigfeit  eignet,  oerjic^ten  ju  bürfen.  3)enn  über  ber  ©p^äre  beS 
oemflnftigen  3)enfenS  ergebt  ftc^  bie  ^ö^ere,  bem  profanen  ^n« 
tetleft  oerf(^loffene  unb  nur  bem  roa^r^aft  Jwmmen,  b.  ^.  tief 
bußfertigen  unb  unbebingt  gel^orfamen  ÜWeufc^en  ftc^  ein  rocnig 
entfc^leiembe  ©p^äre  ber  ge^eimni^ooffen ,  oberen,  überoemünfti* 
gen  aßelt. 

©0  befennt  benn  9tomberg,  roenn  ber  Olaube  bie  conditio 
sine  qua  non  ber  ©eligfeit  fei,  unb  roenn  baö  Sinb  eine  menf^» 
lic^e  ^erfönlic^feit  fei,  fo  i)abe  man  fein  SRec^t,  beim  Sinbe  eine 
2lu§na^me  ju  machen,  roeil  man  bie  ©ac^e  ni^t  oerfte^en  fönne  ^). 
Um  ju  fieberen  ®rgebniffen  jU  gelangen,  bürfe  man  nur  ben  SBeg 
ge^en,  ben  Sut^er  gegangen  fei  unb  ber  bei  aüen  ajlgfterien  ©otteS 
ber  adein  richtige  fei;  man  muffe  unbebingt  feft^atten  an  ben  in 
ber  ©^rift  offenbarten  ^eifenormen,  o^ne  Stüdfic^t  auf  i^re  ©r- 
flärbarfeit.  „®§  roirb  fic^  immer  beroa^r^eiten,  baß  bie  bann 
gefunbenen  SRefultate  au^  oor  bem  SBerftanbe  ftc^  als  „^ö(^fte 
aSemunft"  erroeifen  unb  unS  reinigen  oon  unrichtigen  SSorurteilen 
unb  93egriff§beftimmungen"  ^).  ©o  erfal^ren  roir  benn ,  baß  e§ 
Dödig  grunbloS  fei,  bem  Äinbe  ein  „Unberoußtfein"  ju  imputieren. 
3um  SBeroußtfein  gehören  nic^t  notroenbig  bie  erfennbaren  Sleuße* 
rungen  beSfelben.  @§  frage  fi^  nun  roeiter,  ob  ba§  Äinb  g  I  a  u  * 
ben  fönne ^).  3)er  ®(aube  ift  bie  oertrauenSooüe  Eingabe  be§ 
Qij^  an  ein  anbereS  <3d),  eine  Eingabe,  bie  nic^t  in  erfter  fiinic 


1)  an^Söt.  1903,  (S.  147.  2)  ®bb.  3)  ebb.  @.  148. 


@  (^  e  e  I :  ^ic  a:auf (e^rc  in  b.  mobemen  po\itio,,  tut^er.  3)oömatit    457 

burc^  SRcflcyton,  fonbcm  burc^  Intuition  geiüirft  roerbc.  ®ic 
®lQuben§fraft  ru^t  nic^t  im  benfcnbcn  Sßcrftanb,  fonbcrn  im  ®e« 
fü^I  unb  SEBilten,  bie  mit  bcm  3)enfen  cinS  fein  fönnen,  aber  eS 
oft  genug  nic^t  finb.  ©efü^I  unb  SÖiüe  fmb  aber  beim  Sinb 
beutli^  toirtfam  f^on  in  ben  crften  fiebenStagcn.  3)ie  Organe 
)ur  @lauben§bUbung  fmb  a(fo  por^anben.  3)er  @Iaube  ift  ni^t 
ein  ben)uj3te§  „f\6)  aneignen",  fonbern  ein  habitus,  in  bem  ber 
SJlenf^  fte^t^),  ein  habitus  fiduciae,  ber  oon  @ott  gemirft,  oom 
üRenfc^en  mere  passive  angenommen  mirb*).  Slüerbing^  ift  für 
unfer  2luge  ba§  93en)u|tfcin  be§  Äinbe§,  ber  ®eift  be§  ÄinbeS, 
im  @c^tummer  befinbUc^,  tatfa^li(^  aber  in  l^öc^fter  2:ätig!eit  be* 
griffen^).  ®a§  e§  aber  Sflomberg  barum  ju  tun  ift,  ben  ®lau* 
benöbegriff  in  feiner  eoangelifc^en  Sigenart  feftjul^alten ,  erfennt 
man  baran,  bafe  er  oon  bem  tiefen  SBu^gefü^l,  beffen  ein  unmün« 
bigeS  Rinb  fä^ig  ift  unb  uon  bem  habitus  be§  ®lauben§,  ber  ein 
mirfli^er  ®laube  fei,  fpric^t*). 

aWan  barf  Stomberg  ba§  3«ugni§  geben,  ba|  er  bie  ÜJiänget 
be^  ©remerfc^en  SDBiebergeburtö«  unb  2:aufbegriff^  oermeibet  unb 
bie  au§  ber  altlutl^erifc^en  älnfd^auung  folgenbe  ^onfequenj  anju^ 
nehmen  fic^  nic^t  fd^eut.  3)a|  feine  ätuSfül^rungen  aber  überjeu^ 
genb  mirtten,  !ann  nid^t  behauptet  werben.  ®ie  oertrauen§ooIle 
Eingabe  be§  ^6^^  an  ein  anbere§  ^c^  foH  burc^  Intuition  ge» 
mirtt  fein;  aber  boc^  nic^t  au^fc^Ue^li^.  ®enn  SRomberg  roeift 
boc^  auc^  ber  SRePeyion  eine  ©teile  ju,  menn  anä)  nic^t  bie  erfte 
©teile*).  <3ft  «iber  beibe§,  Steflepion  fomo^l  mie  Intuition,  für 
bie  Sntfte^ung  be§  ®lauben§  notmenbig,  fo  ift  für  ba§  SSerftänb« 
ni§  be§  Äinberglaubene^  mit  ber  Unterfc^eibung  9tomberg§  nic^t^ 
gemonnen.  3)enn  nun  müfete  ja  9iomberg  au^  ben  unmünbigen 
^inbern  JReflefion  jufc^reiben,  bie  er  boc^  fpäter  grabe  au^ge» 
fc^toffen  fe^en  miH.  3)enn  er  befiniert  fpäter  ben  ®lauben  al§ 
fides  directa.  Unter  biefen  Umftänben  barf  man  roenigftcn^  er^^ 
flären,  ba|  bie  fpäteren  2luSfü^rungen  mit  ben  früf)eren  nic^t 
ausgeglichen  fmb.    SÖenn  er  nun  be§  weiteren  baran  erinnert,  ba| 

1)  ebb.  <B.  149.  403. 

2)  (gbb.  ©.  403.  3)  (§:bh. 

4)  3(.  a.  D.  @.  149.  5)  51.  a.  D.  8.  148. 

3eitf(^rtft  für  X^eologie  unb  5lir<^e.  15.  Jja^rfl.,  6.  ^eft.  32 


458    @  d^  e  c  I:  S)ic  aiauflc^re  in  b.  mobemen  pofltiov  lut^er.  ^oßmotif. 

bic  ®taubcn§traft  nt^t  im  benfcnbcn  Sßerftanbc,  fonbcm  im  ®e* 
fü^l  unb  aOSiücn  rourjelt,  unb  grabe  beim  Äinbe  ®cfü^t  unb  SBille 
bcuttic^  mirtfam  ftnb,  fo  ift  bic  erfte  ^älfte  biefe§  ©a^e§  richtig. 
SRomberg  pergi^t  aber,  ba§  ber  933i(Ie,  auf  ben  bie  ®ogmatit  SRflrf* 
jtc^t  nehmen  muj3,  ni^t  ba§  unbemuj^te  Jrieblcben  be§  Äinbe§  ift, 
fonbern  ein  SBide,  ber  mit  Sßorfteffungen  pertnüpft  ift.  SDBie  t(ar 
biefc  95orftenungen  finb,  roic  beutlic^  bie  6r!euntni§  oon  ber  2:rag* 
weite  biefer  95orftelIungen  ift,  ba§  ift  eine  %xaQ^,  bie  im  !on!reten 
©injelfall  bie  3)ogmatif  ni^t  ju  unterfudjen  l^at,  ber  ja  bie  reli« 
gionSpfgc^ologifc^e  2lufgabe  fern  liegt,  ©ie  ^at  überhaupt  nic^t 
bie  S^age  aufjumerfen,  mann  ein  folc^er  ©taube  möglich  ift.  3^re 
9lufgabe  ift  e§,  bie  tonftanten,  unentbehrlichen  SWerfmale,  bie  ben 
93egriff  fonftituieren,  ju  entmideln.  9Dem  ©tauben  ift  e§  aber 
eigentümlich,  eine  ^^nttion  be§  entroicfelten  93en)u§tfein§leben§  ju 
fein.  3Ba§  SRomberg  bei  Säuglingen  ©efül^l  unb  3&\üt  nennt, 
ift  noc^  gar  ni^t  ber  etl^ifc^e  SBitte,  ber  9tormen  tennt  unb  9ln* 
fc^auungen  ^at,  fonbern  eine  triebmä^ige  fieben^äufeerung.  SBenn 
JRomberg  ba§  ®efü^l  unb  ben  SBitlen  be§  ©äugling§  al§  bie 
3Burjel  ber  ®lauben§traft  bejeic^net,  müj^te  er  al§  ®ogmatifer 
für  bie  bogmatifc^e  ®eftaltung  be§  ®lauben§begriff§  bie  pom 
Säugling  abftra^ierten  9Jlomente  ma|gebenb  mad^en.  3)enn  bie 
S)ogmatif  fann  nic^t  pon  jmei  perfc^iebenen  3lrten  be§  ®lauben§ 
fprec^en.  SBa§  pom  ®lauben8begriff  entmidelt  mirb,  gilt  aüge* 
mein  unb  notmenbig.  SWan  mu§  alfo  entmeber  an  ber  fog.  fides 
reflexa  bie  933efen§merfmale  be§  ®lauben§  entroideln,  ober  an  ber 
l^gpot^etifc^en  fides  directa.  ®a§  folgt  au§  ber  9latur  ber  bog=» 
matifc^en  2lrbeit.  933itl  aber  SRomberg  biefe  ^onfequenj  ni^t  gelten 
laffen,  fo  mac^t  er  fic^  eine§  fgftcmatifi^en  ge^lerS  f(^ulbig  unb 
feinen  Slu^fü^rungen  fe^lt  bann  bie  bogmatifc^e  Äraft;  fie  roer* 
ben  bogmatifd^  mertlo§. 

9tun  fc^eint  mirflic^  SRomberg  biefe  9totmenbigfett  anertennen 
JU  mollen.  3)enn  er  fprt(^t  pon  bem  tiefen  93uj3gefü^l,  beffen  ein 
unmünbigeg  ^inb  fä^ig  fei.  ®r  trägt  alfo  boc^  allem  Slnfc^ein 
nac^  einen  ein^eittidjen  bogmatif(^en  ®lauben§begriff  por,  finbct 
bie  roefentlic^en  3Kerfmale  an  ber  fides  reflexa  unb  befiniert  nun 
ben  ^inberglauben  al^  einen  mirtlic^en  ®lauben.    ®a§  au§  ber 


@  d)  e  e  (:  %xt  ^aufle^re  in  b.  mobemen  pofittD.,  (ut^er.  Dogmatil.    459 

9latur  bcr  bogmatifc^en  Slrbcit  entfprmgcnbe  bogmatif^c  SWotio 
tttadjt  ft(^  gcn)i§  ^icr  bemerfbar.  9tun  aber  wirb  man  genötigt 
eine  Äreujung  jroeier  aWotioe  jti  tonftatteren.  S)ie§  leitete  wichtige 
bogmatifd)e  ^otip  mirb  burd^treujt  oom  Yeligion^pfgc^ologifc^en. 
^enn  bie  älu^fül^rungen  9iom6erg§  über  ba§  @effl^I  unb  ben 
aOSiüen  ber  Äinber  Ratten  nic^t  jum  2lu§gang§punft  bie  bogma«' 
tifc^e  (Srtenntni^  be§  ®lauben§begriff§,  fonbem  bie  pfgc^ogenetifc^e 
Jragefteflung,  bie  nohoenbig  bie  SRebuftion  im  ©efolge  l^atte,  nun 
aber  bogmatifc^  oermertet  mürbe  unb  barum  einen  933iberfprud) 
in  bie  bogmatif(^en  3lui§fü^rungen  l^ineintragen  mu§te.  2)iefer 
3Biberfpru(^  ift  au^  unfc^mer  in  ben  meiteren  3)arbietungen  SRom* 
bergö  ju  ertennen.  2)er  ©taube  mirb  al§  habitus  befc^rieben, 
nä^er  aU  ein  habitus  fiduciae.  Sro^bem  mirb  bie  SBufee  por* 
au^gefe^t.  93u|e  ift  aber  nie  ein  habitus,  fonbern  ein  actus. 
2lnbererfeit§  ift  e§  aber  auc^  unmögli(^,  im  ®lauben§begriff  einen 
©egenfa^  uon  habitus  unb  actus  ju  fonftruieren,  berartig,  ba§ 
ba§  3wpö^b^'ö>^>^^'^  ^^^  ©laubeng  ein  actus,  ber  ®laube  felbfi 
ein  habitus  fei^).  ®aS  miberfpric^t  bem  ©runbfa^  uon  berpfg-- 
^ologifc^en  Spontaneität,  mie  benn  überhaupt  ber  ©egriff  beS  ha- 
bitus möglic^ft  ungeeignet  ift,  um  geiftige^  £eben  ju  d^arafteri» 
fteren.  SSoDenb^  ift  e^  ein  SBiberfprud),  uon  einem  habitus  fi- 
duciae ju  reben.  ©nmal  gehört  bie  fiducia  ber  ©pi^äre  ber 
fides  reflexa  an ;  f obann  f ann  man  bie  fiducia  nid)t  aU  habitus, 
fonbem  nur  a(§  actus  befdjreiben.  O^ne  ben  actus  ift  i^r  936^ 
griff  überhaupt. nic^t  ben!bar.  ©o  bemegt  fic^  StombergS  SSer* 
fu^,  bie  alte  2:auft^eorie  mieber  ptaufibel  ju  ma(^en,  in  un» 
lögbaren  933iberfprü(^en.  ®r  mitl  eine  bogmatifc^e  Erörterung 
geben,  mirrt  aber  bie  bogmatif^e  unb  religiongpfgc^ologifc^e  9lr* 
beit  ineinanber ;  er  mitl  ber  ^fgi^ologie  gerecht  merben,  ignoriert 
aber  ba§  ©runbbatum  be§  pfp^ifc^en  Sebeng;  er  miH  bie  SWerf* 
mute  ber  fides  reflexa  auc^  für  bie  fides  infantilis  gelten  taffen, 
ift  aber  nun  nur  imftanbe,  miberfpru(^goolle  Segriffe  ju  bilben. 
SBirb  aber  ber  SSerfu^  gemad^t,  biefen  SBiberfpruc^  aufjulöfen, 
fo  mirb  notmenbig  ber  Kinberglaube  feinet  <3[n^altg  entteert,  ber 
bogmatif^e  93egriff  beg  ®tauben§  mirb  fa(^mibrig  rebujiert  unb 
1)  51.  a.  O.  @.  403. 

32* 


460    6  d)  e  e  l:  ^ic  Jaufle^re  in  b.  mobcmen  poflti©.,  lut^er.  ^ogmotit 

batum  auc^  bic  bogmatifc^e  SRe^tfcrtigung  bcr  Äinbertaufc  iüu* 
forifc^. 

®effcn  wirb  man  erft  rcc^t  innc,  roenn  man  ^arbelanbS 
SRcd^tfcrttgung  bc§  Äinberglauben§  ftd^  ocrgegenmärtigt.  ®^  mar 
gejcigt,  bafe  ^arbclanb  mit  Siecht  93unte§  Jauf t^corie  juvürf mieS ; 
g(eic^faü§  ift  er  im  SRe^t  wenn  er  bic  äöicbergeburt  nid^t  mie 
ßremer  foteriologifc^  befc^reibt,  fonbern  ben  ©egriff  beS  neuen 
Seben§  in  bie  SSorftcltung  pon  bcr  3Biebergcburt  mit  aufnimmt. 
3)ie  2:aufe  ift  atfo  ba§  ©ab  bcr  SDBicbergcburt.  ^arbelanb  be- 
tont bie^  im  3lnfc^lu|  an  bie  lut^erifc^-ortl^oboye  Se^re  t)on  ber 
Saufe;  alfo  mirb  bie  2:^efe  be§  Äinberglauben§  notmenbig.  6r 
ift  bereit,  biefe  S^efe  fic^  anjueignen,  aud)  wenn  fie  unoorftellbar 
fei.  „SEBcnn  etmaö  t)on  ber  ^eiligen  ©c^rift  bejeugt  mirb,  fo 
fragen  mir  nic^t,  ob  ba§  oorftedbar  ift  ober  nic^t,  fonbern  beugen 
un§  unter  bie  ©c^rift  unb  erfennen  bie  2:atfac^en  an,  auc^  menn 
mir  fte  nic^t  oorjufteüen  uermögen"  ^).  ^arbelanb  l^ätte  nun  frei* 
lic^  nic^t  nötig  gehabt,  ^ier  fo  ftarf  feinen  ©e^orfam  gegen  bie 
©c^rift  ju  betonen.  ®enn  oon  einem  Äinberglauben  fpric^t  nir* 
genbg  bie  ©c^rift.  o.  b.  2:rencf,  ber  bem  ©atrament§begriff  fic^ 
beugte,  ^atte  barum  auc^  bie  33ebingung  be§  ®(auben$  nic^t  al§ 
unbebingt  betrachtete).  Slber  ^arbelanb  mirft  boc^  fofort,  nac^* 
bem  er  ba§  ©c^riftprinjip  in  ber  foeben  gejeigten  aiu^fd)lie|lid^* 
feit  geltenb  gemacht,  bie  J^age  auf,  ob  benn  mirflid^  bie  SUlittei* 
lung  be§  ®eifte§  an  unmünbige  Äinber  eine  unooUjiel^bare  9Sor* 
ftellung  fei.  9lad)  langen  3itöten  an§  ben  ©c^riften  Sei^6)voii^' 
unb  3)eU^fci^'  gelangt  ^arbelanb  ju  bem  ®rgebni§,  ha^  ber  Äin* 
berglaubc  nic^t  unmögli^  fei.  2lber  ^arbelanb  magt  bo^  nic^t 
red)t,  ben  93egriff  be§  Äinberglauben§  fo  ju  geftalten,  baß  er  mit 
bem  93egriff  be§  |)eil§glauben§  fic^  »erträgt.  SSon  aüen  3)og* 
matifern  merbe  ber  ©taube  alö  bic  ^anb  bejeic^net,  mit  ber  mir 
bie  bargebotene  ®nabc  ^inne^men.  ®ie§  33ilb  bürfte  ben  Äinber^ 
glauben  begreiflich  mad^en.  „können  pe  (sc.  bie  Äinber)  nic^t, 
o^ne  baoon  eine  Kenntnis  ju  ^aben,  ftd^  großen  Sleic^tum,  roo^l 
gar  eine  Ärone  fc^enfen  (äffen?    Saffen  fte  ftc^  nic^t  ein  reiche«; 

1)  ©arbelanb  a.  o.  D.  S.  19. 

2)  ^aftoralblätter  1904  ©.  748. 


@  cf|  e  e  (:  ^te  ^oufle^re  in  b.  mobemen  pofitit).,  tut^er.  ^ogmati!.    461 

^ßatcngefc^cnf  gefallen,  o^ne  e§  fpätcr  qI§  einen  3)rucf  ju  empfin* 
ben  ober  barüber  ju  flogen,  bo^  e§  i^nen  aufgebrungen  ober  auf* 
gejroungen  fei?"  „Unb  roie  ba§  Äinb,  wenn  man  it|m  ein  ®olb* 
ftücf  in  bie  $anb  legt,  unroiÜtürlic^  o^ne  2l^nung  beS  8Berte§ 
bie  |)Qnb  fc^lie^t  unb  eö  ergreift,  foüte,  wenn  ®ott  in  bie  geift^ 
lic^e  ^anb  bie  geiftlic^en  @üter  legt,  ba§  Äinb  nic^t  auc^  foju* 
fagen  mit  feiner  geiftlic^en  $anb  gugreifen  tonnen"  ^)?  „@old)e§ 
(Srgreifen  aber  ift  ®laube"  % 

®iefe  ^Interpretation  be§  Äinbergtauben^  ift  rec^t  bebenflic^ 
für  bie  S^eorie  $arbclanb§.  2)a§  Sefen  bes;  ®laubcn§  beftet)t, 
auc^  nac^  ^arbelanb^),  im  SSertrauen.  Unb  nun  foU  man  93cr^ 
trauen  ^aben,  o^ne  ju  roiffen,  ba^  man  oertraut?  2)a§  ftnb  2Borte, 
benen  niemanb  einen  ©inn  abgewinnen  fann.  2)enn  ber  oer^ 
trauenbe  aWenfc^  roei§,  ba§  er  oertraut;  unb  roci|  er  e§  ni^t, 
fo  ^at  er  fein  Vertrauen.  @§  märe  ftnnroibrig,  bieg  ju  leugnen. 
3u  fmnroibrigen  Slnna^men  fann  bie  bogmatifd^e  Strbeit  aber  nie 
oerpflic^ten.  3)arum  fc^roäc^t  benn  auc^  |)arbelanb  feine  2lu§= 
fü^rungen  ab,  „Hülan  mag  ben  3lu§brurf  (sc.  ®lauben)  beim 
Äinbc  nic^t  ju  gebrauchen  roagen,  fo  liegt  baran  roeniger"  *).  „933er 
ben  2lu§brudE  „®laube"  f|ier  nic^t  ju  gebrauten  roagt,  mü§te, 
fall§  er  in  ber  ©ac^e  juftimmt,  einen  2lu§brud  mäfilen,  ber  boc^ 
im  ®runbe  biefelbe  ®eftnnung  meint,  bie  man  al§  ®laube  bc^ 
ieic^net"  ^).  .^arbelanb  gelangt  alfo  nur  fo  meit,  eine  bem  ®lau' 
ben  ä^nlic^e  ®cfinnung  ju  f onftatieren ;  ben  ^eil^glauben  felbft 
erreicht  er  nic^t.  $)a§  biefe  2)ifferenj  belanglos  fei,  ift  nur  §arbe= 
lanbS  Se^auptung,  bercn  bogmatifd)e§  SRec^t  er  nic^t  erroiefeu 
t)at  unb  bie  mit  feiner  SHed^tfertigungSle^re  fic^  nic^t  oerträgt. 
Sie^t  man  fic^  nun  aber  ben  oon  ^arbelanb  rcbujierten  Äinber* 
glauben  nä^er  an,  fo  fann  man  bei  bemfelben  nic^t  fielen  bleiben, 
©ntmeber  führen  |)arbelanb§  Srörterungen  jur  J^eorie  Sunfes. 
3)a§  Äinb  lä^t  fic^  in  ber  Saufe  bie  ^eilSgüter  f^enfen**),  ohne 
fie  mirflic^  ju  bcfi^en,  b.  i),  bie  2:aufe  märe  nur  eine  Slnmart* 
fdiaft  auf  ba§  ^eil.    3)icfe  Folgerung  miH  ^arbelanb  nic^t  ge* 

1)  §arbclanb  a.  a.  D.  S.  28.  2)  @bb. 

3)  (5bb.  4)  ^bh.  5)  @bb.  @.  29. 

6)  ^arbetanb  a.  a.  O.  @.  28. 


462    6  c^  e  e  (:  ^ie  2:aufle^re  in  b.  mobenten  pofttit).,  lut^er.  ^ogmotif. 

jogen  lüiffcn.  ®r  bcftrcitct  ja  bie  SRic^tigteit  bcr  I^eoric  93unfe§. 
2)ann  ift  nur  bie  jrocitc  Folgerung  möglich:  bic  Jaufc  wirb  ju 
einem  opus  operatum.  3luc^  biefe  &^aratteriftit  (e^nt  freilid^ 
^arbelanb  ab^),  unb  feine  S)efinition  be§  Äinbcrglaubeng  als 
eines  (SrgreifenS  ber  in  bie  geiftlic^e  ^anb  —  aber  luaS  ift  bie 
geiftlid^e  $anb?  —  gelegten  ®üter  foü  offenbar  ben  uoUgültigen 
93en)ciS  für  bie  Unmöglic^teit  einer  folc^en  9luSIegung  erbringen, 
^ber  $arbe(anb  ftei|t  ftc^  i>oä)  genötigt  ju  erflären:  ,,Unb  mag 
fic^  baS  ftinb  ber  3Birfung  in  ber  Sauf^anblung  nic^t  entjie^en 
tonnen,  unb  infofern  ein  geioiffer  3">ött9  flattfinben, 
fo  finbet  ber  ©eift  ja  ba§  Äinb  in  folc^er  Sefc^affen^eit  oor,  ba§ 
eS  gern  auf  feine  (beS  ©eifteS)  SBirffamteit  eingebt"  2).  3)iefe 
(JrKärung  ift  oon  ber  2:^eorie  beS  opus  operatum  menigftenS 
nic^t  me^r  weit  entfernt.  (Sic^  i^r  entjic^en  fönnte  ^arbelanb 
nur^  wenn  er  ben  rebujierten  ©lauben  bereits  als  uor  ber  2:aufe 
oor^anbeu  betrachtete.  S)ann  mürbe  er  aber  einer  oon  ber  alten 
Drt^obojie  mit  9tec^t  jurücfgeroiefenen  2lnna^me  anheimfallen  unb 
ben  9lec{)tfertigungSgebanten  gefä^rben.  @o  ^at  alfo  |)arbelanb 
baS  opus  operatum  nur  mit  3Borten  auS  bem  Jaufbegriff  auS* 
gefc^ieben;  fac^lic^  mirb  er  biefer  S^eorie  gugetrieben.  Stnberer« 
feitS  oermag  feine  Slnfc^auung  oom  Äinberglauben  nidjt  metir  bie 
alte  Söffung  ber  Ort^obojie  feftju^alten  unb  barum  eben  nic^t  ju 
leiften,  maS  fie  boc^  leiften  foU. 

2luc^  Sil.  0.  Oettingen  bemüht  ftc^  um  eine  fiöfung  beS  ^^ro« 
blemS,  bie  bic  Saufe  in  jeber  95ejie^ung  als  baS  ©aframent  bcr 
äBiebcrgeburt  unb  ©rneuerung  ju  faffen  geftattet  unb  boc^ 
bie  £inie  ber  altlut^erifc^en  2:^eologic  inne  ^ält.  @S  entfpric^t 
biefe  2lbfid)t  ja  nur  ber  ©efamt^altung  bcr  ©ogmatif  o.  Oet« 
tingenS,  bie  mit  o.  ^ofmannfc^cr  aJlct^obit,  ben  Sttnfprüc^en  beS 
beutfc^en  ^ietiSmuS  auS  ber  3)iitte  beS  oerfloffcnen  ^a^r^unbertS, 
einem  reichen  3itö^^"f^ö§  ^"^  ^^^  allgemeinen  moberneren  Site» 
ratur  bem  ©eift  bcS  17.  3>ö^rt)unbertS  roieber  frifc^e  ficbenSfraft 
cinju^auc^en  fic^  bemüht,  ©o  mirb  o.  Oettingen  tro§  aller  fc^ein= 
baren  gü^lung   mit  ben  Gräften  ber  ©cgeumart  jum  SSertreter 


1)  ©arbclonb  o.  a.  D.  ©.  29.  2)  ©bb. 


@  c^  e  e  (:  ^ie  ^aufle^re  in  b.  mobemen  pofttit).,  lut^er.  ^ogmati!.    463 

einer  reoftionären  ©ogmotif,  jum  93ilbner  eine§  rea!tion&rcn 
glügcte  innerhalb  ber  t^eologifc^en  Stiftung  be§  Derfloffenen  ^di)x^ 
^unbertö,  bie  mit  v.  ^ofmonn^  ber  erfolgreid^  neue  unb  roertootte 
^roblemfiettungen  in  bie  J^cologie  feiner  3cit  t)ineinjutragen  raupte, 
güölung  genommen  ^otte.  SWit  oer&nberter  SWet^obe  fuc^t  er 
boc^  }u  repriftinieren.  SRan  mürbe  o.  OettingenS  Stedung  unju« 
reic^enb  befc^reiben,  wenn  man  hm  ©efic^tSpuntt  ber  reaftio* 
nören  Siepriftination  gang  unbead^tet  Iie§e.  Slber  niemanb,  in 
bem  überhaupt  etma§  Don  ber  ^bee  eine§  geiftigen  ®ut8  Seben  ge^» 
monnen  t)at,  tann  auf  bie  2)auer  gegen  ben  (Strom  einer  großen 
geiftigen  ©efamtberoegung  grabe  anfc^mimmen.  2tuc|  o.  Oettingen 
^at  e§  nic^t  Dermoc^t;  ba^  ertennt  man  beutlic^  befonberS  an 
feiner  Jaufietire,  bie  gleic^geitig  aU  eine  oon  5Rüdtftänben  nid^t 
ganj  freie  Slu^einanberfe^ung  mit  ber  eigenen  Sßcrgangen^cit  fic^ 
betunbet. 

®ie  allgemeineren  Stic^tlinien  jur  93eftimmung  ber  ^ofition 
0.  Oettingen§  innerhalb  ber  gegenmärtigen  ©teHung  be§  2!auf» 
Probleme  geminnt  man^  menn  man  oon  feiner  ^^olemtt  au§ge^t. 
®§  barf  aber,  um  jebeö  ÜWi^oerftänbniS  au^jufc^Iiefeen,  jugleic^ 
barauf  aufmerffam  gemacht  werben,  ba§  o.  Oettingen  nic^t  in  ber 
2lu§einanberfe^ung  mit  ben  mobernen  pofitioen  J^eorien  über  bie 
2:aufe  feine  Sluffaffung  geroonnen  ^at,  fonbern  oielme^r  mit  einer 
lange  fertigen  2lnfd)auung  in  bie  3)i§fuffion  eingreifen  fonnte. 
2)ie  Orunblinien  feiner  ^ofttion  roeifen  junäd)ft  birett  auf  bie 
altlut^erifc^en  ©ogmatiter  ^in.  9Wit  ben  au§  ber  altproteflan« 
tifc^en  Ort^obofie  gewonnenen  3lrgumenten  begibt  fic|  o.  Oettingen 
in  ben  Kampf,  in  ber  generellen  ©aframentSt^eorie  fc^einbar  bie 
altlutt)erifc^e  2luffaffung  burc^  leife  Äorre!tur  fonjentriercnb,  in 
ber  @ingelargumentierung  mit  altproteftantifdjen  Sinroürfen  ar* 
beitenb,  im  fc^lie^lic^en  ©rgebniS  bie  attorttiobofe  S^corie  ah 
fc^mäc^enb. 

®er  ttieologiegefc^ic^tlic^en  (Stellung  ber  2)ogmatif  o.  Oet* 
tingensJ  entfpricf)t  e§,  ba§  in  feiner  ^olemif  bie  ältefte  ©teile  unb 
ben  breiteten  JWaum  bie  2lu§einanberfe^ung  mit  ber  neulut^eri* 
fd)en  S)oftrin  einnimmt,  ju  ber  er  felbft  oorübergc^enb  fic^  be* 


464    6  c^  e  e  (:  ^ie  2:Quf(e^re  in  b.  ntobenten  pofitio./lut^er.  ^ogmatit 

tannt  ^atte  ^).  @r  rocnbet  fic^  gegen  ben  mi&oerftänblic^cn  ©o^, 
ba^  „nur  in  bcr  2;aufe  unb  nur  oermittelft  berfelben"  fic^  bie 
SBiebergeburt  vo\likf)t"  ^).  SWan  barf  nic^t  bie  SWöglic^feit  beS 
@Iauben§  ober  einer  33efe^rung  beö  SWenfc^en  üor  ber  Joufe  ober 
o^ne  biefelbe  leugnen,  ©etouft  fein  unb  roiebergeboren  fein  ftnb 
nid)t  ibentifd^e  ^Begriffe*);  unb  burc^  bie  93etonung  einer  leib* 
liefen  9laturn)ir!ung  ber  laufe  gefä^rbet  mon  ba§  lut^erif^e  93e* 
fenntniö*).  3)oc^  barf  man  ftc^  auc^  nic^t  mit  ©remer  unb 
SBunte  ibentifijieren.  ©remer  get|t  ju  meit,  wenn  er  beftreitet, 
ba§  mit  ber  äBiebergeburt  bur^  bie  Saufe  ein  neuer  ficben^an» 
fang  in  un§  gefegt  merbe^  meil  jene  SBiebergeburt  noc^  nic^t  fitt* 
lic^e  Ummanblung,  fonbern  nur  Vergebung  ber  ©finbe  unb  9ie^t== 
fertigung  in  fic^  fc^Iie^e*).  ®§  finben  fxd)  mebrfac^  bei  ü.  Oet^» 
ttngen,  namentlich  auc^  in  feinem  älteren  Sluffa^  in  ber  3)orpater 
3eitf^rift,  2lu§brü(fe,  bie  e§  roa^rfdjeinlic^  machen  tonnten,  al§ 
f)abt  er  fc^on  Dor  ©remer  bie  foteriologifc^e  2;aufanfd)auung  ge* 
le^rt,  fo  befonberS,  menn  er  alö  bie  ^auptfac^e  bejeic^net,  ba§ 
man  burc^  bie  2:aufe  auS  bem  2:obe  gerettet  fei**).  3lbe>:  ein 
folc^e^  93erftänbni§  ^at  boc^,  mie  bie  näheren  ©rläuterungen  jei« 
gen,  d.  Oettingen  fem  gelegen,  unb  er  tonnte  barum  fpäter,  otine 
feine  urfprünglic^e  ^ofttion  ju  mobifijieren,  ®remer§  a5erftänbni§ 
ber  2:aufe  jurüdroeifen.  9Wit  bemfelben  9ted)t  burfte  er  93unfe§ 
J^eorie  ablehnen,  mie  bie§  in  bcr  3)ogmatit  gefc^el^en  ift^).  3)enn 
fc^on  in  ber  ©orpater  3^itf^rift  ftellte  er  t>a§  Programm  auf, 
bie  9totn)enbig!eit  unb  SWöglic^feit  bcr  SBiebergeburt  bc§  Äinbe§ 
burc^  bie  Saufe  ju  crmeifcn**).  ^n  einem  fpätcren  2luffa^*)  ^t 
0.  Oettingen  bie§  Programm  au§geffit|rt.  3)amit  ^at  er  bann 
jugleic^  ben  3lufri|  ber  altlut^erifi^en  Saufle^re  geroonnen. 

1)  %  V,  Oettingen,  ^ie  Siebergeburt  burc^  bie  Riubcrtaufc,  ein  ar- 
ticulus  stantis  et  cadentis  ecclesiae,  ^orpater  3eitfc^nft  für  S^eologie 
unb  mrc^e  1862  ©.  MB. 

2)  Ül  a.  D.  @.  330.  3)  ®bb. 

4)  @bb.  ^ßl.  @.  343  unb  o.  Oettingen,  fiut^erifc^e  ^ogmatif,  35b.  2 
^cil  2.    anünc^en  1902.    @.  385.  436. 

5)  %Qt  a.  a.  O.  @.  437.  6)  ^3^1)^.  62,  338. 
7)  %Qt  @.  437.  8)  ^33:^^.  62,  331. 
9)  ^3^^Ä.  1863. 


@  cf|  e  c  I:  5)ic  Saufle^re  in  b.  mobcmen  poptio.,  lut^cr.  5)o0mati!.    465 

SWad^t  fic^  aber  v.  Octtingcn  im  großen  unb  gonjen  bcn 
3lufri§  ber  altlut^erifc^en  ®ottrin  ju  eigen,  fo  barf  man  oermu* 
ten,  bo§  rocnigftenS  ein  %t\l  ber  bort  Dor^anbenen  ©c^roierigfeiten 
roieberfe^rt.  Sie  fmb  nic^t  ouSgeblieben,  wenn  auc^  d.  Oettingen 
junäc^ft  eine  größere  Jtonjinnität  erftrcbt.  ®r  tonnte  biefcm  Qn^ 
tereffe  golge  geben,  weil  er  an  ber  neulut^crifc^en  2:t)corie  bie 
©efa^r  be§  fatramentalen  ^rinjipS  erlebt  ^attc.  ©o  greift  er 
benn  mit  Energie  auf  ben  ©runbgebanfen  ber  generellen  ©afra« 
mentSt^eorie  ber  alten  2:auflet|re  jurüdt,  wenn  er  ben  9leulut^e* 
ranern  oorroirft,  ba§  fte  bie  reale,  alle  ^eiföroirfung  oermit^^ 
telnbe  SWac^t  be§  2Bort§  unterfc^ä^ten  unb  eine  falf^e  eyf  luf  ioe 
aSer^ältni^beftimmung  oon  2Bort  unb  2:aufe  gäben,  aU  ob  bie 
2:aufe  ctroaS  anbere§  roirten  fönnte,  benn  i>a^  3Bort.  2)a§  ffiort 
©otteS  fei  nic^t  bIo|  überjeugenb,  fonbem  jeugenb  ^).  ®ine  folc^c 
3eugung§!raft  befi^t  aber  ba§  SÖBort,  roeil  ber  eroige  fiogo§,  ber 
ganje  ®^riftu$,  im  SÖBort  real  gegenwärtig  ift,  ft^  felbft  an  fein 
SÖBort  gebunben  t)at  unb  barum  oon  feinem  SÖBort  baS  3^w9"i^ 
gibt,  i>a^  e§  ®eift  unb  Scben  fei^).  @r  ift  ganj  ebenfo  real  in 
feinem  SBort  roie  in  feinem  ©aframent  jugegen.  SBer  barum 
©otteö  roa^reS  SBort  ^ört,  ber  empfängt  Qtjn^  ebenfo  notroenbig, 
roie  berjenige,  ber  ha^  ©a!rament  erhält  ^).  2)ie  Saufe  ift  nicht 
ba§  einjige  9Biebergeburt§mittel ;  man  barf  bem  SÖBort  nic^t  ab-- 
fprec^en,  roa§  boc^  im  ©aframent  nur  burc^  ia^  SBort  geroirtt 
roirb.  I  ^etr.  1,  23  ift  für  o.  Oettingen  ebenfo  bebeutung^ooU 
roie  für  bie  alten  3)09matifer^).  Wlan  barf  eben  ba§  SBort  nic^t 
JU  einem  flatus  vocis  oerflüc^tigen^).  9)a§  SBef entließe  in  ber 
Saufe  ift  alfo  ba§  SBort. 

aWan  ^at  feinen  ©runb,  biefe  ©rflärungen  o.  Oettingen^  ju 
beanftanben.  9tun  fotl  aber  boc|  ba§  Sauffaframent  neben  bem 
SBort  bogmatifc^  gerechtfertigt  roerben.  Um  biefe  9lbfic^t  ju  oer« 
roirf liefen,  finbct  o.  Oettingen  feinen  anberen  SBeg,  al§  roie  i^n 
bereite  bie  aItproteftantifd)e  Ort^obofie  fannte.  ®a§  ©aframent 
gibt  ba§felbe  ^eilögut  roie  ba§  SBort,  aber  in  einer  anberen 
SBeife   ber  Vermittlung.     @§  beftätigt  unb  oerftegelt  nic^t  blo^ 

1)  ^3^i)^.  62,  343.  2)  ebb.  ©.  345. 

3)  ebb.  S.  346.  4)  ebb.  535.  5)  ©bb.  538. 


466    @  cf|  e  e  (:  ^te  ^aufle^re  in  b.  mobemen  pofvtiv.,  lut^er.  ^ogmatit 

bic  ^eilSroirffamfcit  beg  3Bort§,  fonbcm  !onjentricrt  unb  xnhxvU 
bualiftert  fte  etgentämli^.  3)arum  f)at  man  ha^  @atrament  mit 
9tcd|t  baö  verbum  visibile  flcnannt.  ©eine  mefentlic^e  (Eigentum» 
lic^feit  aU  äBiebcrgeburtSmittel  murjclt  in  ber  Äraft  bcS  3Bort§, 
boS  ^ier  nic^t  bIo§  ^örbar  ift,  fonbern  ein  fic^tboreS,  fü^lborcS 
Slemcnt  ber  SBermittlung  ju  feinem  Jräger  i)at^).  S)a§  oertün* 
bigte  8D8ort  richtet  [läj  an  bie  ©efamt^eit  ober  an  oiele  ju  gleicher 
3eit^),  ba§  ©a!rament  aber  ift  baS  inbimbuett  applijierte  SBort'). 
®rft  bur^  ba§  ©aframent  ber  Saufe  fann  ber  eingelne  feiner 
^Rettung  perfönlic^  gen)ij5  werben^).  3Wan  mirb  gang  an  ^utterS 
2lu§fü^rungen  erinnert,  wenn  man  bei  o.  Oettingen  lieft,  ba§  ba§ 
SBort  bas  einjige  auöreic^enbe  SWittel  märe,  faö§  ber  einjelne,  in 
feinem  ©eroiffen  beunruhigte  ©ünber  burc^  bie  an  fein  ben)u|te§ 
©cifte^Ieben  fic^  menbenbe  3Bortoertünbigung  ju  ooHer  perfön» 
Iic{)er  ^eilSgemi^^eit  gelangen  fönnte.  ^er  }u  ^eilenbe  SJIenfc^ 
ftedt  aber  burc|  fein  leibUc^  bebingteS  9tatur(eben  eine  eigenartig 
ausgeprägte  3itti>iJ>il>wötitdt  bar.  $)arum  ift  eö  üon  Dom  herein 
ein  Srmciö  ber  gnabenreic^en  ^erablaffung  S^rifti,  ba§  er  feiner 
Oemcinbe  t)eilige  ^anblungen  eingeftiftet  ^at,  in  benen  ganj  fpe» 
jieH  bem  einjelnen,  unb  groar  in  Siüdtft^t  auf  fein  inbiDibuelleS 
^ebürfniS  bie  ^eilSgnabe  unb  ^eilSgabe  gugeft^ert  unb  burc^ 
leibliche  elementare  2^räger  mitgeteilt  werben  fott  unb  !ann*). 

©0  roenig  nun  bie  altbogmatifc^e  S^eorie  aU  eine  bogma== 
tif^e  ^Rechtfertigung  be§  Sauffaframentö  gelten  fann,  fo  menig 
fann  bie§  üon  ben  2lufftettungen  v.  Oettingen^  bet)auptet  werben. 
3Jlit  ber  an  bie  2^^corie  oom  verbum  visibile  p^  anle^nenben 
2)efinition  bringt  man  e§  nic^t  gu  einer  bogmatifc^en,  fonbern 
^öd)ften§  gu  einer  religion§pfgd)oIogifc^en  ^Rechtfertigung,  fofem 
man  auf  befonbere  pfqcl)ifc^c  Sebürfniffe  eingelner  O^^i^il^wen 
refurriert,  bie  befonberer,  fmnenfäüiger  aWebien  bebürfen,  um  über« 
^aupt  i^re§  religiöfen  93efi§e§  bauernb  fro^  unb  gemi^  gu  merben. 
5ür  bie  bogmatifc^e  ©rfenntniS  unb  SRec^tfertigung  ift  bamit  no^ 
ni^t§  gewonnen.    3)enn   bie  2)ogmatif  t)at  ja  bie  in  ber  ©ac^e 

1)  ^33:f)^.  62,  347  S)0t.  381.  384.  2)  %^t  8.  381. 

3)  ^3$^^.  62,  348  ^gt.  @.  381. 

4)  %S^W'  62,  563.  5)  ^gt.  @.  381. 


@  cf|  e  e  I:  ^ie  2:auf(e^re  in  b.  mobemen  pofUb.,  lut^er.  Dogmatil    467 

fclbft  licgenben,  notroenbigen  unb  allgemein  Derbinblid^en  SWomente 
^erau^gu^eben,  o^ne  auf  fpe}ielle  pfqd^ifd^e  ^ebürfniffe  StädEftc^t 
ju  nehmen.  3)ie  Jrage,  roie  ba§  ^eil  bem  einjelnen  natie  ge^ 
bracht  werben  foÜ,  ift  überhaupt  feine  bogmatifc^e  grage.  2luc^ 
fü^rt  bie  3)efinition  be§  ©atramentS  ate  be8  verbum  visibile 
unb  ber  inbioibueHen  ^eiteapplifation  unb  Onabenjufic^erung  nic^t 
auf  bie  2;aufe,  fonbem  auf  bie  aibfolution.  ©c^on  J^ieblib  ^at 
auf  biefen  (Sinn)urf  au^brücfli^  ^ejug  genommen  unb  i^m  mit 
bem  ^inmeiiS  gu  begegnen  Derfuc^t,  bag  ber  in  ber  Slbfolution 
ftattfinbenben  inbioibueßen  Slpplitation  ber  aSer^ei^ung  ba§  Sig- 
num externum  fe^le.  2)ogmatifc^en  ^alt  tann  er  freiltd^  biefem 
©inmanb  nic^t  geben,  u.  Oettingen  \)at  ebenfaü^  feine  befonbere 
3)efinition  ber  Jaufe  gegen  ben  auö  biefer  Definition  ft^  er^e* 
benben  Sinroanb  fc^ü^cn  muffen.  2lber  auc^  er  gelangt  feinen 
Schritt  weiter  al§  grieblib.  ®r  fann  nur  miebertiolen  —  ba§  er 
aug  Ji^iebtib  felbft  fein  2lrgument  gefc^öpft  ^abe,  foll  bamit  nic^t 
gefagt  merben ;  mir  ift  eine  a3efanntfc|aft  d.  OettingenS  mit  grieb^ 
tib  ^ier  nic^t  entgegengetreten  —  maö  fc^on  grieblib  gefagt  ^atte. 
0.  Oettingen  meint,  ba^  jmar  fc^on  bie  2lbfotution  al^  ba§  inbi« 
oibuatifierte  unb  infofeni  bem  einjelnen  oergeroiffertc  SDSort  bc* 
jeic^net  merben  fönnte.  2)a^er  bilbe  fie  auc^  ben  berechtigten 
Uebergang  dou  ber  (Sigentümlic^feit  bt^  äBort§  gu  ber  be§  ©afra« 
menti^^);  unb  o.  Oettingen  ift  in  ber  glücf liefen  Sage,  fic^  auf 
bie  confessio  Augustana  2lrt.  12  berufen  ju  fönnen.  9Benn  er 
nun  boc^  nic^t  bie  Folgerung  au§  biefem  3w9cftä«i>ni2i^)  i^^^U  fo 
^at  bieS  feinen  ©runb  barin,  baj5  für  bie  in  ber  Slbfolution  ftatt« 
finbenbe  ^anbaufiegung  ber  birette  SBcfe^l  ®^rifti  fe^lt,  unb  ba§ 
ferner  bie  ^anbaufiegung  fein  leibliches  ©lement  ift,  ba8  al§  Srä* 
ger  be§  3Bort§  bem  einjelnen  Empfänger  applijiert  merben  fönnte. 
SJlit  biefer  3Biebergabe  eineS  alten  2lrgument§  braucht  man  fic| 
nic^t  auf§  neue  gu  befaffen.  @S  genügt  gu  fonftatieren,  ba^  auc^ 
0.  Oettingen  eine  neue  gorm  ber  öegrünbung  nid|t  ^at  finben 
fönnen. 

9Bot|l  aber  barf  beffcn  gebac^t  merben,  ba^  bie  befonbere 

1)  ^32:F)^.  1862  ©.  348. 

2)  «gl.  0,  a.  O.  6.  563  unb  ^gt  <5.  388. 


468    @  cf|  e  e  l:  5)ie  a:auf(e^re  in  b.  mobcmen  poptiü.,  lut^cr.  S)09motit 

bogmatifc^c  ^Rechtfertigung  beg  2:ouffatromcnt§,  bie  v.  Octtingcn 
anftrebt,  eine  3lbfc^n)äc^ung  ber  bogmotifc^en  Siec^tfertigung  be§ 
SBortg  aU  ©nabenmittel  jur  f^olge  ^at.  üRan  fonnte  nic^t  gut 
bie  „QQVLQaxiQ^txa^V*  be^  3Borte8  ftärfcr  betonen,  olS  e8  burc^ 
0.  Oettingen  gcfc^e^en  voat,  ber  jum  Ucberflu^  noc^  in  ber  3lu§» 
einonberfe^ung  mit  ben  ÜUeulut^eronern  bie  ©jiftenj  cineS  ©lou* 
bcn§,  einer  95cfet)rung  unb  SBiebergeburt  oor  ber  Saufe  uub  ab-- 
gefe^en  oon  ber  Saufe  sugab,  roie  ja  auc^  ber  alten  Ort^obojie 
bicfe  S^cfc  nic^t  fremb  ift.  9tun  aber  wirb  ber  Unterf^ieb  von 
SBort  unb  ©atrament  bat)in  feftgelegt,  ba§  erft  baö  ©atrament 
bie  perfönlic^c  ^eil^Dergcroifferung  ju  geben  uermögc^).  9Benn 
nun  mit  ben  2lltlut^eranern  ertlärt  mirb,  ein  Untcrfc^ieb  oon 
SBort  unb  ©atrament  quoad  rem  fei  nid^t  uor^anben,  fonbcrn 
nur  quoad  nos,  fo  mü§te  u.  Oettingen  ber  Ueberjeugung  ^ulbi* 
gen,  ba§  bie  ^eil^geroi^tieit  nur  ein  jufälligeö  ÜRoment  ber  ^eil§* 
gäbe  fei.  ®enn  fonft  mürbe  ja  ein  Unterfc^icb  quoad  rem  !on« 
ftatiert  merbcn  muffen.  SBitt  aber  x>.  Oettingen  biefer  Folgerung 
nic^t  nad^geben,  fo  oerUert  bie  aufgeftellte  formet  i^re  Berech- 
tigung. 3)ann  märe  aber  bie  S^efe  oon  ber  umfaffenben  SBebeu- 
tung  be§  9Bort§  al§  be§  au§reic|enben  @nabenmittel§  gefä^rbet 
unb  man  ^ttc  ben  crftcn  2lnfa^  ju  einer  befonberen  faframen* 
taten  SBürbigung  ber  Saufe  gemonnen.  9tun  fann  aber  v.  Oet« 
tingcn  bie  ^eitegeroi^^eit  ni^t  für  belanglos  ober  nebenfdc^li^ 
ertlären,  ift  au^  feincSmegS  gemillt,  auf  eine  folc^c  Betrachtung 
fic^  einjulaffen.  3)ann  bleibf  i^m  nur  ber  2lu§meg,  bie  93ebeu* 
tung  be§  3Bort§  als  ©nabenmittel  cinjufc^ränfen.  ffir  ^at  bicfen 
SluSmcg  nic^t  oermeiben  fönnen.  3)enn  er  fic^t  fic^  ju  ber  ®r* 
tlärung  oeranta^t,  bafe  erft  bort  baS  Sebcn  ber  SBiebergeburt  mirt» 
lict)  eingetreten  fei,  mo  ®ott  nic^t  blo^  burcl)  ba§  allgemein  oer^ 
f ünbigte  33äort,  fonbern  burc^  ba^  inbioibuell  applizierte  ©atramentS« 
mort  ^eilSorbnungSmä^ig  ben  SÄenfc^en  erfaßt  ^abc^).  SSSenn 
alfo  erft  traft  ber  Saufe  mir  imftanbe  ftnb,  als  Ä'inber  OottcS 
ju  leben  ^),  unb  fc^lect)terbingS  o^ne  biefelbe  bie  ^eilSgemi^^eit 
beS  einzelnen  nic^t  möglich  ift*),  bann  mirb  ber  Saufe  eine  2Bir* 

1)  ^33:^.  62,  ©.  U7.  2)  @bb.  @.  348. 

3)  Qibh.  8.  351.  4)  @bb.  @.  350. 


(S  cf|  e  e  (:  ^ie  Xaufle^re  in  b.  mobemen  poftttDv  (ut^et.  ^ogmatit    469 

fung  jugcfc^ricben,  bic  bem  SBort,  baS  boc^  aud^  Doßgültige^ 
©nabcnmittcl  fein  foHtc,  nic^t  eignet.  3)o§  SBort  tann  alfo  bcn 
roirttic^cn  Eintritt  ber  3Biebcrgeburt  nic^t  vermitteln.  2)onn  barf 
man  aber  nic^t  8D8ort  unb  2;aufe  bogmatifc^  auf  eine  ©tufe  fteHen. 
(Srinnert  man  fic^  aber  nun  ber  anfänglichen  3lu§fage  über  ba§ 
©ort,  fo  begreift  man  ni^t,  marum  bem  SBort  nii^t  biefe  nur 
ber  laufe  jugefc^riebene  2Bir!ung  möglich  fein  foK.  S)enn  im 
äBort  mar  ®^riftu§  real  gegenwärtig.  ®ine  folc^e  ©egenroart 
6t)rifti  fann  aber,  roie  bereite  bei  ber  Erörterung  ber  foteriolo- 
gifc^en  Saufle^re  auögefü^rt  rourbe,  nie  eine  „aügemeine"  fein, 
fonbern  ftet§  nur  eine  inbimbuelle.  3)ie  bogmatif^en  Erörterungen 
D.  Oettingen§  a(fo  über  ba$  3Bort  al§  ©nabenmittel  berechtigen 
gar  nic^t  ju  ber  Unterfc^eibung  quoad  rem  unb  quoad  nos. 
3)ann  mürbe  aber  mieberum  bie  oon  0.  Oettingen  gegebene  be« 
fonbere  3Bürbigung  be§  2:auffaframent§  ^infäUig  merben,  ma§ 
auc^  barau§  ertieHt,  ba§  d.  Oettingen  in  ber  ^olemit  gegen  bie 
9tculut^eraner  bie  neulut^crifcf)e  Jtiefe  öon  ber  auSfc^lie^Iiclien 
3urürffüt)rung  ber  2Biebergeburt  auf  bie  2:aufe  beftritt  unb  c§ 
monierte,  ba§  man  bie  3Wöglict|feit  be§  ®Iauben§  unb  ber  S8c= 
fe^rung  üor  ber  Jaufe  unb  o^ne  bie  Jaufe  grabeju  leugnete*). 
2)ogmatifd^  angefe^en  barf  aber  ber  ©laube,  ben  ba§  SBort  wirft, 
nic^t  unterfc^icben  fein  uon  bem  ©tauben,  ben  ba§  Saufmort 
mirtt.  ©onft  ift  ber  burc^  ba§  3Bort  gemirtte  ®laube  nod^  nic^t 
ber  ^eil§glaube. 

(So  mirb  e§  alfo  ü.  Oettingen  unmöglict),  feine  2:t)eorie  burcti* 
jufütiren.  @e^t  man  oon  feinem  93egriff  be§  2Bort§  als  be§ 
@nabenmittel§  au§,  gelangt  man  ju  einer  Entwertung  be§  ©a!ra« 
ment§.  ®e^t  man  aber,  um  üon  ber  Unjulänglidjfeit  ber  Einjel* 
begrünbung  jc^t  abjufc^en,  üon  ber  bem  S^auffatrament  jugemic* 
fenen  2Birfung  au§,  fo  gelangt  man  ju  einer  2lbfcf)mäc^ung  ber 
bogmatifctien  93ebeutung  be§  8EBort§  aU  eineS  @nabenmittet§. 
33eibe§  aber  roiberfprid^t  ben  Slbftc^ten  0.  Oettingen^.  2)ann 
aber  fann  man  mof)l  bcl^aupten,  ba§  in  ben  Darbietungen  ü.  Oet* 
tingenS   bic  ©aframent^ibec   eine   9ioUe   fpielt,  ba§  er   ftärfer. 


1)  ^33:^^.  62  @.  330. 


470    @  (^  e  e  (:  ^ic  a:oufle^re  in  b.  mobcmen  poflth).,  lut^cr.  S)ogmati!. 

atö  er  felbft  ^^  jugcbcn  ro'xü,  unter  bem  ©influ^  be§  ©atrament«» 
begriffe  ftel)t;  man  fann  aber  nic^t  behaupten,  ba§  ei^  i^m  ge^ 
glüdt  fei,  ben  b  o  g  m a  t  i  f  c^  e n  93cioeiS  für  bie  Stotroenbigfeit 
jroeier  2lrtcn  beS  Onabenmittefö  ju  geben.  3)enn  feine  2lu§fü^« 
rangen  ^cben  fic^  gegenfeitig  auf  ober  geraten  roenigftenS  in  StoU 
lifion  mit  einanber,  um  fc^lieglici^  bei  unaui^gleic^baren  3Biber» 
fprüc^en  fte^en  ju  bleiben.  @o  bleibt  nur  bie  änöglic^feit  übrig, 
burc^  ben  einfachen  SRefurö  auf  bie  ©c^rift  ben  Slac^meiS  ber 
3n)ei^eit  ber  Onabenmittel  ju  erbringen,  ©c^on  bie  alte  3)og* 
matif  mu^te  babei  fte^en  bleiben;  auc^  d.  Oettingen  !ommt  ni^t 
weiter.  ®r  gibt  biefem  ^tac^meiö  jroar  ein  anbere§  ©emanb.  Qn 
ber  Jaufe  empfängt  bie  ÜBirtung  be§  äBortö  i^ren  „tieiföorb* 
nung^mä^igen"  2lbfc^lu§^).  Solle  JRu^e  ^atte  ber  Hämmerer  erft, 
als  er  getauft  mar  (ärt.  8).  ©tma  au^  Äorneliuö?  Unb  bie 
©amariter  glaubten  boc^  nac^  o.  Oettingen  oor  ber  2:aufe^). 
3)iefe  „bcilSorbnungSmä^ige"  9te^tfertigung  ift  ni^tS  meiter  ate 
bie  ^Berufung  auf  bie  äußere  3lutorität  ber  ©c^rift.  3)amit  ift 
aber  für  bie  innere  ®rfcnntni§  ber  ©ad)lage  noc^  nichts  erreicht. 
2)a§  3w^üdge^en  auf  bie  äußere  ©c^riftautorität  ift  ber  tatfäd^^ 
lic^e  Seriic^t  auf  bie  Söfung  beg  Problems. 

3Benn  aufeerbem  noc^  auf  bie  ®laubcn§ftärtung  ^ingeroiefen 
mirb,  bie  bem  ^eilSbebürftigen  burc^  ba§  ©a!rament  ju  teil  mirb, 
fo  märe  e§  natürlich  unmöglich,  eine  folc^e  ©tärtung  in  Slbrebe 
)u  ftellen.  Slber  mit  bem  ^inmeiS  auf  eine  eingetretene  @laubenS> 
ftärfung  ^at  man  noc^  feine  bogmatif^e  ^Rechtfertigung  gegeben. 
üRit  Duantität§^  unb  Ont^«fitöt§erfc^einungen  t)at  e§  bie  2)og* 
matif  nic^t  ju  tun;  ba$  ift  mieberum  bie  2lufgabe  ber  SRcUgionS« 
pfgd)ologie.  ®ie  ©ogmatit  fäme  auc^  in  eine  übte  Sage,  wenn 
fic  berartige  ©rfc^einungen  in  i^re  93eroei«fette  aufnehmen  moUte. 
Senn  nun  märe  fie  gehalten,  ber  tonfreten  ©ntroidtlung  beö  ein* 
seinen  ^nbioibuumS  nac^juge^en,  o^ne  einen  3lbfc|lu^  unb  o^ne 
einen  SWa^ftab  ju  finben.  SSSeber  bie  grage  nac|  bem  „SBann" 
ber  ©ntfte^ung  beS  ®lauben§  nod|  bie  5^age  nac^  bem  3Bac|§» 
tum  unb  ber  SBerftärtung  be§  ®laubcn§  ift  eine  bogmatifc^e  S^age, 


1)  ^S'^^'  18Ö7,  @.  542.  350.  2)  @bb.  @.  541. 


8  cf|  e  e  l:  S)ic  Saufte^re  in  b.  mobemen  pofltit).,  lut^er.  S)oömatü.    471 

fonbcrn  nur  bic  S^agc  nac^  bcm  „3Bic"  unb  ber  9lrt  bc§  ©lou^ 
bcn§,  alfo  Die  Jrage  noc|  ben  ^Scbingungcn  unb  3Wcrfmalen  be§ 
93cgriff§.  3)ic  2:^eoric  v.  OcttingenS  ift  alfo  nic^t  cinlcuc^tcnbcr 
al§  bic  oltorttioboye  X^eorie.  @8  !e^rcn  j.  I.  ganj  biefclbcn 
93cbcnfcn  roieber,  bic  gegen  bic  alten  3)ogmatifer  erhoben  werben 
muffen ;  unb  bic  leichte  korreftur,  bie  o.  Oettingcn  oorgenommen 
f)at,  ift  üicl  ju  roenig  eingreifenb,  al§  ba§  ein  roirtlic^er  (Srfotg 
erwartet  werben  !önnte.  ©o  fetir  er  im  Siecht  ift,  roenn  er  ©re* 
merl;  unb  93unfe§  ^ofition  ablehnt,  fo  wenig  ^at  er  bod^  oer« 
moc^t,  eine  wirtlic^  bogmatifc^e  ^Rechtfertigung  feiner  bie  alte  2el)re 
repriftinierenben  J^eorie  ju  geben. 

2luc^  feine  ^Rechtfertigung  ber  Äinbertaufe  befriebigt  nic^t. 
^ier  wagt  er  eS  freiließ  nic^t,  fo  unrebujiert,  wie  bei  ber  aHge* 
meinen  2:aufle^rc  bie  altorttiobojen  2lnfc^auungen  ju  oertreten; 
aber  ein  wirtlicl)cr  ©ewinn  ift  boc^  nic^t  ju  oerjeic^nen.  o.  Det* 
tingen  ift  freiließ  feft  überjeugt,  ni^t  blo^  oon  ber  5Rotwenbigfeit 
ber  Äinbertaufe  —  bie  ja  ein  articulus  stantis  et  cadentis  ec- 
clesiae  ift,  bie  man  nur  beftreiten  fann,  wenn  man  mit  bcm 
sola  gratia  nid)t  ernft  mac^t  0;  at§  ob  bie  2lner!ennung  ber  alt^ 
ort^obofen  2^^eorie  oon  ber  capacitas  mere  passiva^)  unb  ber 
bloßen  bem  Äinbe  oorbc^attenen  JRenitenj  ^)  bie  Sßorau^fe^ung  für 
bie  pra!tifi^^religi6fe  unb  fgftematifc^4l^eoretifc^e  2lnerfcnnung  be§ 
®nabengebanfen§  wäre  —  fonbcrn  auc^  oon  ber  9Wöglic|feit  i^rer 
bogmatifc^en  9iecl|tfertigung,  fobalb  man  nur  ein§  jugeben  woHe  : 
ba^  man  nict)t  ba§  SRec^t  tiabe,  jU  leugnen,  wag  man  nic^t  be« 
greifen  !önne*).  9Rit  einer  folc^en  Erinnerung  lä§t  fic^  fc^lie^^ 
lic^  jebc§  nicl|t  ju  löfenbe  Problem  ber  alten  3C^^eologie  au§  bem 
S33ege  räumen,  unb  man  t)at  nod^  obenbrein  ben  Vorteil,  ben  ®in« 
brucf  JU  erweden,  als  ob  nur  fo  bie  religiöfe  ^flic^t  ber  2)emut 

1)  ^gt   S.  402.  2)  S)3a;^Ä.  1863  @.  346. 

3)  3u  bicfem  Söibcrfpruc^  ogl.  OuenftcbtS  Darbietung  ber  a:auf* 
Ic^re.  3»u  ^er  Dogmatif  brücft  flc^  o.  Oettingcn  ctwoS  rcferoiertcr  aug: 
Sebcm  Äinb  eignet  eine  ^»gemiffc  paffwc  ©eilSempfänölic^fcit".  5)a§  ju 
leugnen  wäre  graufam  (@.  412).  5)ic  ^©ytraoaganj"  ber  Cucnftebf fc^en 
Definition  beg  ^nbcrfllaubcnS  Ic^nt  er  ab  (@.  433). 

4)  5)33:^^.  1863  @.  349. 


472    @  c^  c  e  l :  5)ie  Saufle^rc  in  b.  mobcmen  pofitit).,  lut^er.  S)08matü. 

unb  be§  @c^orfam§  noirRic^  geübt  werben  !önnte  unb  ber  t^eo« 
logifd^e  ©egner  fxd)  unb  fein  Äönncn  fclbft^crrlic^  gegen  ®ott 
roenbe.  ®S  fommt  eine  folc^e  (SrHärung  auc^  einer  weit  oer^ 
breiteten  mobernen  Stimmung  entgegen,  bie  bie  9leIigion  als  @e* 
^eimniS  Derfte^en  leieren  miU.  3)a§  jebe  lebenbige  ^Religion  nid^t 
blo|  bem  irreligiöfen  9Wenfc|en  mgfteriöS  erfc^eint,  fonbern  auc^ 
ba§  fromme  Qnbioibuum  oor  2:iefen  ftettt,  bie  eS  nic^t  ergrünben 
!ann,  ift  ganj  gemi^  richtig.  Slber  im  @e^eimni§  liegt  ni^t  bie 
Sraft  unb  nic^t  baS  eigentli^e  fieben  ber  SReligion.  ®ie  3^^'^ 
unb  3SBerte  finb  offenbar  unb  einleuc^tenb  in  i^rer  ^Relation  auf 
bie  ©injelfeele.  ®a§  Unerflärbare  fängt  erft  an,  menn  man  e§ 
oerfuc^t,  bie  Sinjelerfc^cinungen  in  einen  großen  meltumfpannen^ 
bcn  3iifön^"^ß'i^ong  einjuorbnen,  ober  wenn  e§  gilt,  bie  5^agc 
nac^  bem  „SSSie"  unb  „SBann"  ber  ®ntfte^ung  be§  religiöfen  fie« 
benS,  nac^  bem  „SÖBie"  ber  Offenbarung  ®otte§  in  ben  Offen* 
barungSträgern  ju  beantworten.  $ier  Derfagen  fc^lie^Iic^  bie 
aWittel  unfereS  ®rfennen§.  2)ie  ©ogmatif  ^at  feinen  @runb,  bie§ 
@e^eimni§  ju  ignorieren.  Slber  e§  faßt  jufammen  mit  ben 
©c^ran!cn  unfereS  (SrtennenS  übert)aupt,  mit  ©c^ranten,  bie  auf 
bem  ®ebiet  beö  profanen  2Biffen§  bereits  beginnen.  2)ie  3)og* 
matif  felbft  barf  aber  bieS  auS  allgemein  roiffenf^afttic^en  ®r* 
mägungen  in  feinem  3)afein  ju  oerfte^enbe  ©e^eimniS  nic^t  burc^ 
neue  ©e^eimniffe  innerhalb  ber  (SinjetbiSfuffion  ber  einjelnen  loci 
oerme^ren.  ^n  ber  ©injeterörterung  barf  man  nur  ba§  ®e^eim« 
ni§  micbcrfinben,  baS  au§  ben  allgemeinen  ©rörterungen  fic^  er« 
gibt,  ober  man  ^at,  falls  neue  SRätfcl  ftc^  ergeben,  einen  falfc^en 
SBeg  betreten.  3)ie  ©rfenntniS  fol^er  Slätfcl  oerpfliditet  bann 
nic^t  JU  einem  bemütigen  aScrjiit  auf  weitere  3lrbeit,  ber  nur  ber 
intcHeftuellcn  9teblic^feit  gefä^rlid)  werben  !önnte,  fonbern  ju  einer 
5Reoifion  ber  eigenen  bogmatifc^en  ®ntwidflungen.  ®ogmatifc^en 
aBert  ^at  alfo  eine  folc^e  95erufung  auf  baS  Unbegreifliche,  wie 
fie  bei  ü.  Octtingen  unS  begegnet,  nic^t.  3)ic  ^inbertaufe  mu^, 
fobalb  eS  fic^  um  it)re  bogmatifc^c  ^Rechtfertigung  ^anbelt,  ebenfo 
begreiflich  fein  wie  bie  ©rwac^fenentaufe.  ^ft  fie  eS  nic^t,  fo 
jeugt  baS  oon  einem  geiler  in  ber  fgftematifc^en  Slntage.  3)ag 
tro^bem  immer  wieber  ber  Berufung  auf  baS  ®et)eimniSoolle  in 


@  c^  e  e  I :  ^ie  ^auf (e^re  in  b.  mobemen  pofIttOv  tut^et.  ^ogmati!.    473 

ber  bogmatifc^cn  ^Rechtfertigung  ber  Äinbertaufe  ftottgegcben  wirb, 
^at  feinen  @runb  in  ber  unjulängüc^en  SJergegenroärtigung  ber 
Sragroeite  be§  religiöfen  3Wotioö  ber  3)emut  unb  in  ber  SJerroec^* 
feiung  ber  religion^pfqc^ologtfc^en  3lufgabe  mit  ber  bogmatifc^en. 
©ie^t  man  nun  aber  öon  bem  unbere^tigten  SRefurS  v.  Det* 
tingenS  auf  ba§  Unbegreiflid^e  ab,  um  feinen  poftttDen  2)arbie« 
tungen  nad^juge^en,  fo  mu|  man  fonftatieren,  ba§  er  bic  altort^O'^ 
bo;e  älnf^auung  t)on  ber  ^inbertaufe  abgefc^mäc^t  ^at,  o^ne  i>od) 
eine  jutreffenbe  bogmatifc^e  9lec|tfertigung  gegeben  ju  ^aben.  2)ie§ 
le^tere  gilt  auc^  bann,  menn  man  fic^  auf  ben  93oben  feiner  ei» 
genen  grageftettungen  begibt,  o.  Dettingen  ^atte  58unfe§  fiöfungS* 
oerfuc^  jurücfgemiefen.  3)te  ^inbertaufe  barf  alfo  nic^t  atö  ba§ 
©aframent  ber  93erufung  ober  Slnmartfc^aft  auf  ba^  ^eil  erKärt 
werben.  @§  mufe  bie  faframentale  2Biebergeburt  behauptet  mer» 
ben.  3)a§  ift  aud|  gcfd^etien.  o.  Oettingen  meint,  ba§  nirgenb^ 
ber  Unterfc^ieb  oon  SBort  unb  ©aframent  fo  beutlid^  mie  in  ber 
Äinbertaufe  merbe.  ^ier  tonne  ba§  3Bort  ber  ^rebigt  nic^t  2ln* 
menbung  finbcn.  ®§  fei  alfo  Slberglaube,  menn  man  bie  gorm 
ber  ^rebigt  für  ba§  ^inb  anmenben  rooUte.  Sie  einjig  bentbare 
gorm  ber  ^eiteapplüation  an  ba§  Äinb,  alfo  ba§  ÜWittel  feiner 
^Rechtfertigung,  fei  bie  Jaufe  ober  bie  faframentale  SSSiebergeburt. 
©rabe  meil  im  neugeborenen  Sinbe  baö  (Elementare  oorroalte,  fei 
bie  Jaufe  für  bie  Äinber  ba*).  2lber  mü^te  bicfe  SBegrünbung 
niclit  auf  bie  2:^eorie  Ärog^^Sonningö  ^infü^ren?  Ärog^^2:on» 
ning  ^atte  ja  mit  ^ilfe  grabe  biefe§  @ebanten§  bie  fpejififc^e 
Eigenart  be§  ©aframent§  neben  bem  SBort  betont.  2)icfer  Son* 
fequens  burfte  aber  o.  Oettingen  nii^t  golge  geben;  er  ^atte  ja 
bie  Unoerträglid^feit  ber  t^eofopt)if^en  Saufle^re  mit  bem  lut^e^ 
rifc^en  ©nabengebanten  ertannt  unb  ba§  ^auptmotio  ber  gene* 
retlen  ©atrament^le^re  ber  alten  ©ogmatiter  ft^  angeeignet.  2)ann 
merben  aber  bie  foeben  giticrten  ©rtlärungen  über  bie  Äinbertaufe 
unoerftänblic^.  2Benn  baS  2Bort  jum  tonftituierenben  9Roment 
ber  Jaufe  gemacht  ift,  mcnn  au^brüdlic^  bie  SBirfung  be§  ©a« 
frament^  auf  ba§  2Bort  jurürfgefü^rt  mirb^),  fo  oerftel^t  man 

1)  ^32:^^.  1863  ©.  SM  ff. 

2)  (5bb.  1862  ©.  538. 

Scitfc^rift  für  X^eologie  unb  Äir(^.  16.  ^^o^rg.,  6.  ^eft.  33 


474    <S  c^  e  e  ( :  ^ie  Saufle^re  in  b.  mobemen  pofUiOv  lut^er.  Dogmatil. 

nic^t,  Toarum  baS  verbum  visibile  ouf  bo§  Äinb  eine  3SBirfung 
foD  ausüben  tonnen,  bic  bem  verbum  praedicatum  oerfagt  bleibt. 
@8  fann  ja  bod^  nur  bo§  verbum,  baS  feinem  ©e^olt  unb  feiner 
d^arafteriftifc^en  ©cflimmt^eit  nad^  mit  bem  verbum  praedicatum 
ibentifc^  ift,  in  ber  Äinbertaufe  bie  SBirtung  ausüben,  ©ie^t 
man  aber  genauer  ^in,  fo  finbet  man,  ba§  u.  Oettingen  ^ier  über» 
^aupt  mit  einem  anberen  @egenfat(  operiert,  alS  er  it)n  fonft  in 
feiner  a;aufle^re  tennt.  ®enn  bic  urfprünglic^e  ©cgenüberfteüung 
beS  verbum  visibile  unb  audibile  mar  barin  begrünbet,  ba|  baS 
verbum  visibile  bie  inbioibucKe  3lppli!ation  ber  ^eilSgnabe  jur 
3)arftetlung  braute  unb  barum  bie  ^eilSgemi^^eit  mirtte.  3)iefer 
©efic^tSpuntt,  oon  beffen  SRe^t  ober  Unrcd)t  nic^t  mcl^r  gefproc^en 
ju  merben  braucht,  ift  ^ier  in  ber  Erörterung  über  bic  Äinbcr« 
taufe  oöllig  aufgegeben.  ®r  ^ätte  ja  auc^  feinen  ©inn.  Senn 
biefer  befonbere  Erfolg  ber  Saufe  fetjt  bie  2Birffam!cit  beS  ver- 
bum praedicatum  oorauS,  unb  rechnet  mit  einer  golgc,  bic  o. 
Oettingen,  ber  ftärter  als  bie  alte  Ort^obojic  auf  bie  ^fgc^ologie 
9hld(ftc^t  nimmt,  ben  unmünbigen  ^inbem  gegenüber  ni^t  ftc^er 
8U  ftatuieren  roagt.  @o  fällt  nun  aber  auS  ber  bogmatifc^en 
SRed^tfertigung  ber  Äinbertaufc  grabe  baS  9Womcnt  fort,  bem  o. 
Oettingen  in  ber  bogmatifc^cn  9tec^tfertigung  ber  S^aufe  übcriiaupt 
baS  entfc^cibenbe  ©emic^t  oerUe^en  tiatte.  9)ian  mu^  alfo  in  ber 
ä^aufle^re  o.  OettingenS  einen  fd^roeren  fqftematifc^en  %e\)Ux  fon« 
ftatieren,  unb  im  3wfömmen^ang  bamit  eine  auS  ber  grunblcgen^ 
ben  Sluffaffung  o.  OettingenS  nic^t  ableitbare  neue  Formulierung 
beS  aScr^ältniffeS  oon  9Bort  unb  ©aframent,  ober  rid|tiger,  bie 
2lnba^nung  einer  neuen  Formulierung.  3)enn  ju  einer  folgerid)« 
tigen  Surc^fü^rung  fommt  eS  nic^t,  ba  fie  in  bie  t^eofop^ifd)e 
Slnfc^auung  einjutenten  nötigen  mürbe.  Sann  aber  bleibt  neben 
bem  tonftatierten  fgftematifc^en  F^^ler  bie  unoerftänblic^c  33e^aup* 
tung  fte^cn,  ba§  baS  33äort  baS  mirtfame  9Webium  in  ber  3:aufe 
ift,  eS  aber  boc^  abcrgläubifd)  märe,  eine  9Birffamfeit  beS  SBortS 
auf  bic  ^inber  oorauSjufc^cn.  2)ie  2Birfung,  bie  ber  Äinbcrtaufe 
jugefc^rieben  mirb,  nämlic^  bie  faframentale  SBiebcrgcburt^),  er* 

1)  ^33:^^.  1862  8.  335. 


S  ^  e  e  ( :  %ie  2:auf(e^re  in  b.  mobemen  poftttOv  (ut^er.  ^ogmottf.    475 

tlärt  fic^  nic^t  au§  ber  Jatfadie,  ba§  bic  2:aufe  ate  verbum  be* 
pniert  roirb.  5Da^  o.  Dcttingcn  bic  ^äbifatc  audibile  unb  vi- 
sibile  nennt,  ^t  feine  SSebeutung.  3)enn  fte  änbem  nid^t  ba§ 
8D8efen  be^  3BortÖ.  Unb  aixä)  mit  53ejug  auf  ba§  visibile  ftänbc 
man  oor  einem  SRätfel.  3)enn  bic  anfc^auUc^e  SRebe  ber  2:aufe  ifi  für 
bad  Äinb  noc^  feine  anfc^aulic^e  iftebe.  ®^  fann  alfo  o.  Oettingen 
feine  X^eorie  oom  SDBort  de  facto  nic^t  aufredet  erhalten;  menn 
er  fie  aber  ber  9lbfic^t  nac^  aufrecht  credit  ^  »ermicfelt  er  fic^  in 
einen  unlösbaren  SSSiberfprud^  ober  gelangt  )u  einer  au$  feinen 
^rämiffen  nic^t  oerftänbtic^en  SSe^auptung.  ^n  beiben  gäöen 
aber  ift  bic  beabfic^tigte  bogmatifc^e  Sled^tfertigung  unmöglich  ge* 
morben. 

^a  man  mufe  einer  noc^  größeren  Unfic^er^cit  in  ber  bog* 
matifc^en  ^Rechtfertigung  be§  @aframent§  ber  Äinbertaufe  begeg* 
nen,  als  roie  fic  bisher  ju  erfennen  mar.  2luf  grunb  ber  bisher 
befproc^enen  2luSfü^rungen  o.  OcttingenS  burfte  man  bod^  nur 
oon  einer  Unjulänglic^feit  ber  öegrilnbung  ber  behaupteten  SSSir* 
fung  unb  einem  —  freiließ  unlösbaren  —  9Biberfprud^  mit  ber 
allgemeinen  ©aframentSt^eorie  reben.  9flun  fte^t  aber  v.  Oet^ 
tingen  fic|  genötigt,  überhaupt  bic  faframentale  SBiebergeburt 
burc^  bic  Jlinbertaufe,  bie  er  boc^  behauptet  ^atte  ^),  in  Jrage  ju 
ftellen.  2)aS  ift  um  fo  befrcmblic^er,  als  93unfeS  Jauft^eorie  oon 
i^m  abgelehnt  mürbe.  <3unäc^ft  mirb  ber  Äinberglaube  rebujiert. 
®a§  baS  aWoment  ber  „aSernunft"  ober  beS  „95emu|tfcinS"  fe^lt, 
bereitet  o.  Oettingen  aDcrbingS  feine  ©c^mierigfeiten.  3)enn  er 
meint  auf  grunb  ber  ©c^rift  (ogl.  fic.  1,  41)  oom  Olauben  auc^ 
bann  fprec^en  ju  bürfen,  menn  biefe  SWomente  nic^t  oor^anben 
finb.  2lber  tro^  feiner  @ct)riftgebunbenl^eit  unb  feineS  SiüdjugeS 
auf  baS  Unbegreifliche  fte^t  er  boc^  ju  ftart  unter  bem  ©inbrurf 
ber  pfgc^ologifc^en  93ebentcn,  als  ba§  er  OuenftebtS  2:^eorie  un* 
bebingt  fic^  l^ätte  aneignen  fönnen.  @ie  galt  i^m  ja  als  (Sftra* 
oaganj.  9)ann  freiließ  fönnte  eS  fraglict)  erfc^einen ,  ob  nun  bie 
2:^eorie  oom  Äinberglauben ,  ber  ja   boc^  ^eilSglaubc  fein  foll, 

1)  ^33:F)Ä.  1863  (S.  335;  ogl  6.  345:  bie  reale  aBiebcrgeburt  Dott* 
jief)t  fic^  tatfäc^Uc^  burc^  bie  2:aufe  im  ^inbe.  p.  Oettingen  ^at  biefen 
5luffa^  nic^t  antiquiert,  Dietmc^r  in  feiner  ^ogmatif  i^n  ancrfannt 


476    €  c^  e  e  ( :  ^ie  ^aufle^re  in  b.  tnobenten  pofitio.,  lut^er.  Dogmatil 

bogmatifc^  tragen  fann,  xoaS  fte  tragen  fott.  3)iefem  SSebenten 
fuc^t  t>.  Oettingen  baburc^  ju  begegnen,  bag  er  aU  baS  jentrate 
aWoment  beS  ®Iauben§  ben  ÄinbeSfinn  betrachtet  ^).  3)amit  wäre 
bann  roieberum  bie  bogmatifc^  einl^eitUc^e  Betrachtung  be§  ©(au- 
ben§begriff§  geftd^ert.  Slber  ftinbeSftnn  ift  boc^  nie  ibentifd^  mit 
Unberou^tfein.  Unb  roenn  man  biefen  Äinbe^jtnn  aU  actus  di- 
rectus oom  actus  reflexus  unterfc^eiben  roitl,  fo  fül^rt  bie  Untere 
fc^eibung  boc^  nic^t  weiter  aU  bi§  jur  Slnertennung  ber  Jatfa^e, 
ba|  man  e§  mit  einem  offenen  unb  aufgefc^toffenen  95ertrauen  ju 
tun  l^at,  bag  argto^  ift  unb  noc^  (eine  9tec^enfc^aft  über  ben 
®runb  feines  95ertrauenS  fic^  ablegt.  Qn  einem  Vertrauen  aber, 
ba§  um  ftc^  felbft  ni^tS  roei^,  gelangt  man  nie.  SWan  mürbe 
fonft  au6),  roic  fc^on  früher  bemerft,  ben  Segriff  be§  SSertrauenS 
auf  lieben.  3""^  ©lauben  gel^ört  aber,  mie  o.  Oettingen  roei§, 
no^  bie  53u|e.  @r  meint,  ba§  bem  ^inbeSglauben ,  „mie  e§ 
fi^eint",  bie  53u§e  fe^Ie*).  S)a§  mürbe  bann  freilid^  bie  bogma^ 
tifc^e  93ebeutung  beS  ÄinbergtaubenS  auf§  äu^erfte  gefäl^rben. 
3)arum  fül^It  fi^  o.  Oettingen  gebrungen,  bem  Slugenfi^ein  ent* 
gegen  ben  SSegriff  ber  93u|e  in  ben  Kinberglauben  aufjune^men. 
3)a§  93u|ringen  „mu|  unb  mirb  im  Äinberglauben  feinen  gott* 
gefegten  Äeim*  unb  9lnfang§punft  l^aben,  fofern  \a  ber  ©taube 
nichts  anbereS  ift  al§  gottgemirtter  ÄinbeSfinn  unb  biefer  im  fün* 
bigen  KinbeS^erjen  nii^t  anberS  erjeugt  unb  geboren  werben  fann, 
als  burc^  eine  gottgemirfte  jiexavota,  ©inneSänberung ,  met^e  ja 
eins  mit  bem  biblifc^en  53egriff  ber  33u|e  ift"  %  @S  foü  ^ier 
nic^t  herausgehoben  merben,  ba|  o.  Oettingen  bie  Jatfäc^Iic^^ 
feit  ber  33u§e  in  ber  g^rm  einer  gorberung  unb  eineS  ^oftu« 
latS  tonftatiert,  roaS  offenbar  ein  Unbing  ift.  ©S  fei  oielme^r 
beffen  gebac^t,  ba§  er  glaubt  oon  einer  ©inncSänberung  fprec^en 
ju  bürfen,  roo  er  felbft  nod)  fein  93emu§tfein  anerfennt.  ©inneS* 
änberung  ift  boc^  eine  Slcnberung  beS  33cmu§tfeinS  unb  ber  SEBil« 
IcnSric^tung.  SSorauSfe^ung  ber  93u|e  im  ©tabium  beS  Unbe* 
mu^tfeinS  bürfte  bann  alS  begrifflict)er  SBiberfpru^  beurteilt  mer^ 
ben.  2)em  ®eroid)t  ber  oon  allen  ©eiten  fic^  er^ebenben  93ebenfen 

1)  ^33:15^.  1863  @.  B47. .  2)  @bb.  @.  349. 

3)  ^SZ\)^.  @.  350. 


<S  (^  c  c  l :  %xt  3:auf (c^rc  in  b.  mobetnen  pofitto.,  lut^er.  3)o0mati!.    477 

!ann  ftc^  anä)  o.  Octtingcn  ni^t  gonj  cntjicl^cn,  ®cnn  er  tommt 
fd^Uellid^  ju  bcm  rcfignicrtcn  @rgc6m§:  „2Bir  tooUcn  un§  ja  gern 
befd^ciben  über  biefcn  ^unft:  rote  unb  ob^)  ber  ©laubc,  ber 
n)irtlid)e,  ^eiUempfänglic^e*)  ©laube  in  ben  Äinbern  t)or=» 
l^anben  fein  fonn,  ober  üielme^r,  ob  loir  biefe  gottgeroirtte  ^2luf* 
gefc^Ioffenl^eit  für  ba§  ^eil"  ©taube  nennen  bürfen,  etroaS  ent* 
fd^eibenbeö  ju  beftimmen"  ^).  ®in  fotc^eS  93e!enntni§  gefä^rbet 
aber  bie  fQftematifct)e  ©ic^er^eit  ber  bogmatifd)en  SRe^tfertigung 
be§  Äinbertauffatrament§.  3)en  ©tanbort  einer  bloßen  Slnroart» 
fd)aft  auf  ba§  ^eil  b^ben  roir  aÖerbingg  nocb  nii^t.  2lm  ®e« 
bauten  einer  SGBirfung  be§  2:auffaframentö  wirb  feftge^altcn.  2lber 
e§  fel^It  boc^  ba§  SSertrauen  auf  bie  eigene  2:beorie,  bag  bei  ben 
alten  3)ogmatifern  uorl^anben  roar,  unb  e§  finbet  eine  tatfäc^üc^e 
SRebujierung  be§  bogmatifc^en  93cgriff§  be§  Sinberglaubenö  ftatt, 
ben  0.  Oettingen  auc^  in  biefer  abgefc^roäi^ten  gorm  nii^t  oon 
ben  bem  93egriff  felbft  an^aftenben  Unflar^eiten  frei  ju  macben 
üerftanben  ^at. 

3lber  bei  ber  foeben  un§  begegnenben  SRefignation  bleibt 
0.  Oettingen  nic^t  fte^en.  ®r  wirft  in  feiner  2)ogntatif  bie  ^rage 
auf,  o6  burcb  ben  3lft  ber  Äinbertaufe  bie  JRed^tfertigung  unb 
©ünbenoergebung,  bie  an  ben  bewußten  ©tauben  at§  93ebingung 
gebunben  fei  ^),  bem  unmünbigcn  Äinbe  geroä^rteiftet  werben  Wune, 
unb  wir  tefen  bann  bie  SBorte:  „Ob  roir  jenen  göttlichen  ©na^» 
benaft  beim  unmünbigen  Täufling  atö  SBiebergeburt  ober  SRecbt* 
fertigung  im  üotten  *)  ©inn  be§  SBorte^  bejeicbnen  bürfen,  lann  ja 
.  •  .  .  fragtic^  fein,  ja  nic^t  obne  ©runb^)  angefochten  werben"^). 
S)ann  wäre  aber  bie  bogmatifc^e  SRedjtfertigung  ber  ^inbertaufe 
mißgtüctt.  2)ie  ®ogmatif  tann  nicbt  unterfct)eiben  jroifi^en  ootler 
unb  ntct)t  ootter  SGBiebergeburt.  3)at)on  roar  bereite  in  ber  3lu§s 
einanberfe^ung  mit  93unfe  gefpvod^en  worben.  9Jlu§  man  alfo 
eine  unoolltommene  ^Rechtfertigung  unb  SBiebergcburt  jugeben, 
bann  l^at  man  eingeräumt,  ba§  ber  ^eil§6efi§  noc^  nicbt  oorban- 
ben  ift.    ^ann  bie  Sinbertaufe  atfo  nic^t  bie  9tecbtfertigung  unb 

1)  93on  mir  gefperrt. 

2)  31.  a.  D.  @.  359.  B)  ^gt  §  53,  1.  3. 

4)  Söon  o.  Dettingcn  gefperrt  5)  ^gt  ©.  417. 


478    S  (^  c  c  l :  3)ic  Zau\it^xt  in  b.  mDbcrnen  pofiti©.,  lut^er.  5)ogmatif . 

SGBicbcrgeburt  ganj  oerlei^cn,  [o  i)at  fie  überhaupt  ni^t  ba§  ^eU 
mitgeteilt.  SBenn  tro^  biefer  ©inf^ränfung  bcr  buri^  bic  ftinbcr» 
taufe  ertDirlten  ffliebergeburt  unb  Sftec^tfertigung  ü.  Oettingen  boc^ 
erf lärt,  ba§  fic^  in  ber  ftinbertauf e  to  i  r  1 1  i  ^  unb  n)  i  r !  f  a  m  ^) 
um  S^rifti  n:)iUen  bie  geiftlic^e  3Biebergeburt  be§  fleifc^lic^  gebo* 
renen  Äinbes^  ooHsie^c,  ober  boc^  nur  in  bem  ©innc  unb  in  ber 
SEBeife,  ba|  ber  l^eilggemiffe,  roeil  Don  @ott  gefi^enfte  STnfang 
bc§  neuen  fiebcnS  in  ber  ©otteStinbfc^aft  bamit  ein  für  allemal 
gefegt  fei,  um  innerl^alb  ber  d^riftlid^en  Oemeinf^aft  einer  be* 
mußten  (Entfaltung  entgegen  ju  ge^en,  fo  bebeutet  biefe  (ärllärung 
bogmatif^  angefe^en  einen  SBiberfpruc^  mit  bem  erften  Singe* 
ftänbniö.  ©oü  aber  ber  93licf  auf  bie  (gntfaltung  be§  SebenS  ge« 
richtet  merben,  fo  ift  ber  bogmatifd^e  ©efi^t^punft  preisgegeben, 
dn  beiben  ^äUen  ift  aber  bie  bogmatifc^e  9tec^tfertigung  nic^t 
erreicht,  üielme^r,  bogmatifc^  betrautet,  baS  ©aframent  ber  Äin* 
bertaufe  abgefc^mäc^t,  bie  altortl^oboye  S^eorie  üon  ber  Äinber» 
taufe  als  bem  sacramentum  regenerationis  rebujiert  unb  in  bie« 
fer  SRebuttion  unbrau^bar  gemorben. 

®§  fül^rt  alfo  auc^  o.  OettingenS  SSerfud^,  auf  ben  93a^nen 
ber  alten  £aufle^re  baS  Sauffaframent  bogmatifc^  ju  begrünben, 
ni^t  jum  Qkl  2BaS  er  errei^t,  ift  nur  eine  bogmatifc^  ni^t 
ocrmertbare  2lbf^mäc^ung  ber  alten  2:^eorie.  ^a  eS  mu§  jum 
©c^tu§  noc^  barauf  ^ingeroiefen  werben,  ba|  fogar  3iefte  ber 
t^eofop^ifc^en  93etrad^tung  nic^t  ganj  übermunben  fmb,  o.  Oettingen 
bemnad^  in  feiner  ä^aufoorftellung  SRubimente  feiner  eigenen  SSer* 
gangen^eit,  bie  er  hoä)  ni^t  me^r  anertennen  wollte,  ^at  jurüd* 
bleiben  laffen.  ®ine  birefte  9iaturn)ir!ung  beS  Jauffatramentö 
mitl  er  aUerbingS  ni^t  teuren  ^),  unb  mit  ^^ilippi  möd^te  er  ®in» 
fprac^e  ergeben  gegen  bie  annähme  einer  9laturn)ir!ung,  weil  bic 
®efa^r  einer  magifc^^bgnamifc^en  Sluffaffung  Dor^anben  fei  ^). 
3lber  ein  9teft  jener  Deutung  ift  boc^  jurücf geblieben ;  benn  o. 
Oettingen  mill  „feineSmegS  jene,  unfere  leibliche  9tatur  ^eiligenbc 
SCßirfung  göttlicher  ©nabe  überhaupt  beftreiten"  ^),  nur  meint  er, 

1)  %^t  6.  417.    SBon  V.  Oettingen  gcfperrt. 

2)  V.  Oettingen,  ^gt.  @.  385. 

3)  ®bb.  @.  436.  4)  @bb.  8.  386. 


6  d^  e  e  ( :  %\z  ^aufle^re  in  b.  mobevnen  pofUio.,  (ut^et.  ^ogmotü.    479 

ba|  fic  ftd)  bereits  bur^  boS  SQSort  üoBjie^e.  Unb  tro^  feineS 
fpäteren  3"fönimenge^enS  mit  ^^ilippi  fann  o.  Oettingen  boc^ 
erflären:  „SBir  unfererfeit«  beftreiten  teineSioegg  —  tüie  bai^  j.  93. 
^ß^ilippi  in  cytremer  9Beife  tat  —  bie  r  e  l  a  t  i  d  e  ^)  ©ere^tigung 
jener  reatiftif^en  Sluffaffung  ber  g e i ft  * I e i b li ^  ^)  im  ©aframent 
un§  bargereic^ten  ©nabengabe.  Sluc^  mir  gefte^en  ju,  \a  möc^* 
ten  e8  befonberö  betonen^),  maS  2:]^omafiu§  fogt:  mäl^renb 
boS  SEBort  mit  feinem  3^"9"i^  f^^  on  bie  felbftbcmugte  ^erfön* 
lid^feit  bc§  SWenfci^en  menbct,  um  auf  fie  unb  oermittelft  i^rer  auf 
ben  ganjen  SWenfd^en  ju  mirfen,  roenbet  fic^  ba§  ©aframent  an 
ben  ganjen  geift4ci6lic^en  9Befen§beftanb  be§  aWenfd^en"  ^).  @o 
fc^eint  e§  benn  aud^  nur  bebenMic^,  eine  birefte  SBirtung  auf  bie 
leibli^c  Staturfeite  be§  SWenf^en  afö  ba§  ©pejififci^e  beS  ©afra«^ 
mentS  §u  bel^aupten  *).  @ine  inbireftc  SBirfung  fdjeint  alfo  me« 
niger  bebenftic^  ju  fem.  Slber  größeres  ©eroid^t  barf  man  taum 
bicfen  ^rflärungen  beilegen,  bie  me^r  ein  pfgi^otogifc^eS  Qntereffe 
crmedten,  fofern  fie  al§  SRubimente  eineS  früheren  ®ntroi(IIung§^ 
ftabiumS  0.  Oettingen^  fic^  befunben.  gär  ba§  bogmatifct)c  5Ber* 
ftänbniS  ber  Saufle^re  ü.  OettingenS  l^aben  fie  ^öc^ften§  ganj 
untergeorbnete  ©ebeutung;  fu^te  er  bod^  icbc  gefal^rbro^enbe 
aSenbung  ju  befeitigen. 


@ine  SRei^e  oon  ^arafteriftifd^en  SöfungSoerfuc^en  ift  an  un^' 
feren  Slugen  Dorübergejogen.  9Man  ücrfuc^te  be§  ^roblemi^  ^err 
JU  werben  üermittelft  einer  SBeiterbilbung  beö  fpejififc^  faframen* 
talen  9Motit)§  ber  attort^obojen  Saufte^re;  man  oerfuc^te  e§  mit 
einer  am  tut^erifi^en  SRec^tfertigungSgebanfen  orientierten  9leu* 
bilbung  ber  alten  Se^re;  man  oerfuc^tc  e§  mit  einer  SRebuftion 
ber  überlieferten  Se^re  ober  mit  einer  }eitgemä|en  unb  barum 
nic^t  ganj  traftooQen  SRepriftination.    @ine  Söfung,  bie  ben  9lor* 


1)  SBon  mir  gcfpertt. 

2)  0.  Oettingen,  ^gt.  ©.  401.  §icr  barf  man  oicUci^t  au^  pf9^o« 
logifc^  unb  ^iftorifc^  baS  5Berftänbni§  fuci^cn  für  jene  SBorfteUung  o.  £)c3 
com  3:aufu)ort,  bie  in  bie  ©al^ncn  ^rog{)'3:onning§  ^inüberleiten  mußte 
unb  einen  fremben  Unterton  in  bie  Darbietungen  einfüfirte. 

3)  ®bb.  S.  400. 


480    @  c^  e  e  ( :  ^ie  ^auflel^re  in  b.  mobernen  pofttiov  lut^er.  ^ogmotif. 

men  beö  bogmatifc^cn  3)enfcn§  ©cfricbigung  ju  gctDÖl^ren  ocr^ 
mod^t  l^ottc,  rourbc  nic^t  gefunbcn;  unb  allen  95erfu^en  eignete 
in  Derf^iebcner  55orm  unb  in  oerfc^iebencr  ©tärfe  baS  bogma^ 
tif^e  Äteben  am  ©aframcntöbegriff,  äJcrgegcnroärtigt  man  fi^ 
ben  ^n^att  ber  aItprote{tantifd^en  ^aufle^re  unb  bie  bogmatifc^e 
93el^onb(ung  be§  2:auffaframent§  in  ber  gegenmärtigen  |)ofitioen 
Ideologie,  fo  f^eint  bie  SRei^e  ber  in  grage  tommenben  SWöglic^^ 
feiten  einer  bogmatifd^en  ©rörterung  be§  2:auffa!rament§  im  „po-^ 
fitioen"  ©inn  erfdjöpft  ju  fein.  ©rroieS  ftc^  aber  feine  biefer 
Erörterungen  ate  jutänglid^,  fo  ift  offenbar  ein  rabifaler  Schnitt 
ba§  einjige  Heilmitteln  atfo  in  einer  „reformierten"  Entleerung 
unb  SBerflüc^tigung  ber  rettenbe  SGBeg  ju  crbticfen.  S)od^  el^e  biefe 
aWöglid^feit  ermogen  mirb,  fei  noc^  jroeier  9lu§roege  gebadet,  bie 
nid^t  grabe  neu  finb,  aber  mit  entfc^toffenem  9Mut  betreten  mer* 
ben,  baburd^  freili^  erft  rec^t  bie  Sfiotlage  beleud^ten,  in  bie  man 
l^ineingeraten  ift. 

3fn  ber  „atigemeinen  eoangetifi^^lnt^erif^en  Äird^enjeitung"  *) 
^at  '^x.  ^.  eine  SRcil^e  oon  STrtifeln  oeröff entließt  unter  ber  Ueber* 
fc^rift:  „^[nitiale  unb  SRanbjeic^nungen  jum  ©aframent  ber  Slaufe". 
®§  fann  nic^t  meine  Slufgabe  fein,  in  eine  ©injetbefprec^ung  fei* 
ner  3)arbietungen  mic^  einjulaffen.  ®a§  mürbe  ju  überflüffigen 
SBieber^oIungen  führen.  (£§  werben  biefe  2lrtitel  nur  beömegen 
erroäl^nt,  roeil  fie  jum  @c^Iu§  ein  3Wotio  erfennen  laffen,  ba§ 
un§  bereite  gelegentlid^  entgegengetreten  mar,  aber  in  biefer  un» 
oer^üUten  ©eftalt  bo6)  faum  oorgefunben  mürbe,  gr.  ^.  ift  ein 
energifc^er  SBertreter  ber  2luffaffung  ber  2^aufc  al§  be§  ©afra* 
ment§  ber  SBiebergeburt;  unb  er  oerfte^t  biefen  @a^  im  ©inne 
be§  93efenntniffe§  unb  ber  Siturgie.  2lber  er  mei§  au^,  melden 
©c^mierigfeiten  biefer  ©a^  begegnet.  &x  leugnet  nic^t,  ba§  e§ 
möglich  fei,  au§  ber  ffiiebergeburt  in  ber  2:aufe  im  ©inn  ber 
©e^ung  eine§  neuen  £eben§anfange§  in  menfc^Iid)en  ©ebanfen« 
gangen  gotgerungen  abjuteitcn,  bie  anberen  grunblegenben  Se^ren 
be§  ®oangeIium§  miberfpred^en  ^),  3lber  er  legt  SBerroa^rung  ba* 
gegen  ein,  bag  man  in  menfi^Iii^en  Folgerungen  @ott  bie  SBege 

1)  9iag.  QivAutf).  ^.3t9.  1902. 

2)  5(.  O.  O.  @.  487. 


@  d^  e  e  I :  ^ie  ^aufle^re  in  b.  mobemen  pofttto.,  (ut^er.  ^ogmatü.    481 

üorfc^reiben  mü,  bic  er  auf  grunb  einer  in  feinem  SDBorte  be* 
jeugten  ©nabentat  nun  gelten  mu&.  „SWenfc^cn  gegenüber  befielt 
ba§  @efe§  ber  gotgeri^tigtcit  ju  Siecht.  5Ber  eö  aber  auf  ®otte§ 
geoffenbarte§  ®oangeUum  anwenben  roiü,  wirb  bie§  Unternehmen 
fc^eitern  feigen  unb  Schiffbruch  leiben  am  Olauben.  Qn  SGBa^r^ 
l^eit  mu|  ber  c^riftli^e  ©taube  t)ie(e  ®inge  in  fic^  jufammen- 
f äffen,  bie  na^  SWenfd^engebanten  eitel  SBiberfprüctie  fmb;  unb, 
menn  irgenbmo,  fo  ^at  er  eben  hierin  bie  ©d^mad^  (£l^rifti  ju 
tragen"^).  ®ag  ift  iebenfaCS  eine  offene  ©pra^e;  maS  oon  xi)x 
ju  galten  ift,  braui^t  l^ier  ni^t  weiter  auiSgefü^rt  §u  werben,  ^n 
ber  Erörterung  ber  Saufte^re  SRo^oQS  unb  ü.  OettingenS  mar 
bie^,  mie  ic^  ^offe,  au§reic^enb  gef^el^en.  @tma§  fuc^t  nun  frei^ 
ti^  f^r.  ^.  hoä)  einjulenlen.  ®cnn  e§  foC  „felbftoerftänblid^  nid^t 
geleugnet  fein",  „ba|  mir  je  nac^  unferer  fiebenSfü^rung  berufen 
fein  lönnen,  bie  2:atfad^en  unb  SGBal^r^eiten  beö  Himmelreichs  auc^ 
in  ber  menfc^licl)en  Sßorftettung  unb  im  menfc^Iic^en  begriff  p 
einem  einheitlichen,  miberfpruc^Slofen  ©anjen  aufammenjufaffen"  ^). 
aOSie  bieg  freiließ  möglict)  fein  fann,  wenn  boc^  !urj  oor^er  be* 
l^auptet  mar,  ba|  im  ^riftlic^en  ©lauben  t)iele  3)inge  enthalten 
feien,  bie  nac^  menfd^li^en  ©ebanfen  „eitel  SGBiberfprüc^e"  feien, 
erfäl^rt  ber  Sefer  nic^t,  SDBol^l  aber  barf  er  nun  mieberum  ^ören, 
ba|  bie  gorbcrung,  ein  miberfpruc^§lofe§  ®anje§  ^erjuftellen,  über 
ba§  ©tabium  eine§  SBerfud^S  nic^t  ^inauiSfommen  tann.  „3)oc^ 
bleibt  bieg  ein  Sßerfuc^.''  „3Birb  er  in  ber  SEBeife  burc^gefü^rt, 
ba§  man  geoffenbarte  Jatfac^en  unb  SBal^r^eiten  augfc^eibet  ober 
änbert,  meil  fie  in  bag  felbft  gemä^lte  ©Qftem  nic^t  paffen,  fo 
bleibt  er  nic^t  me^r  ct)riftlic^,  fonbern  wirb  im  legten  ©runbe  ju 
einer  eitlen  ©elbftoergötterung.  2)iefe  trägt  i^r  ©eric^t  fi^on 
barin  in  fi^  felber,  ba§  biefelben  ©rgebniffe,  meiere  bem,  ber  fie 
auffteHt,  aüe  SEBa^rl^eit  in  fid^  faffen,  anberen  jum  ©egenftanb  be§ 
©pottcg  merben."  „Obmo^l  mir  bemnad^  nii^t  leugnen,  ba|  aug 
ber  Stnertennung  ber  obje!tioen  SGBiebergeburt  in  ber  Saufe  gol* 
gerungen  abgeleitet  mcrben  lönncn,  bie  anberen  grunblegenben 
Se^rcn  be§  (Soangeliumg  miberfpred^en,  fo  t)at  bieg  für  ung  feine 


1)  91.  a.  D.  (3.  487.  2)  @bb. 


482    S  ^  e  e  ( :  ^ie  ^aufle^re  in  b.  mobemen  pofitw.,  lut^er.  ^ogmatit 

toeitere  ^ebeutung.  SBir  toasten  unS  in  DoQer  3ut>erftc^t  baS 
coangclifc^c  Sflc^t,  feine  einjige  bicfcr  Folgerungen  anjuertennen. 
9la^  ©otteS  SBort  wirb  bur^  bie  SEBiebergeburt  in  ber  ä^aufe 
!ein  f)üf)txtS  ^eiti^moment  ber  9tec^tfertigung  l^injugeffigt,  bie 
Sfte^tfertigung  nic^t  in  ©ered^tmac^ung  umgewanbett  unb  bem 
3Befen  unb  ber  9lotn)enbig!eit  ber  ©efe^rung  unb  beg  ©loubenS 
nichts  abgefprod^en.  3fn  feinem  SBort  enoeift  ft^  ®ott  immer 
qI§  ein  ®ott  ber  Orbnung  für  ben  ©e^orfom  be§  ©tauben^,  aber 
atlerbingS  nid)t  atö  ein  @ott  be§  ®gftemg  für  bie  natürli^e  93er< 
nunft"  0-  3)iefer  2lutoritätgben)ei§  überbietet  nod)  ben  altprote« 
ftantif^en.  3)enn  bie  alten  S)ogmati!er  ftanben  boc^  unter  an^ 
beren  aUgemeinmiffenfc^aftlic^en  SBorau^fe^ungen  mie  gr.  ^.,  mit 
bem  eine  9(u§einanberfe^ung  um  fo  meniger  angebracht  ift,  al0  er 
jeben  (äinmanb  al§  ä[u§Pu|  ber  felbft^errlii^en  SSernunft  jurücf* 
meifcn  mürbe.  2)a  ^ört  natürli^  jebe  2tu§fid^t  auf  SBerftänbigung 
auf.  ®§  genügt  barauf  ^injuroeifen,  ba|  er  ben  2lriabnefaben 
meint  gefunben  ju  l^aben,  ber  au§  bem  Sabgrintl^  ft^er  ]&inau§« 
fü^rt.  3)a|  aber  ber  Don  i^m  gemiefene  2lugmeg  ungangbar  ift, 
bürfte  au§  bem  bi^^erigen  Sßerlauf  unferer  Unterfu^ung  einleuchten. 
@ine  anbere  53a]^n  ^at  ©teinme^  eingefdjlagcn  *).  6r  miß 
bie  2:ciufroiebergeburt  primär  al§  religiö^^foteriologifc^e  perftanben 
miffen;  ba§  ift  ba§  rict)tige  an  ber  S:aufle^re  ®remer§.  2lber 
©teinme^  ibentifijiert  fi^  ni^t  mit  ber  foteriologifc^cn  Sxiufbof« 
trin ;  benn  er  nimmt  in  ben  begriff  ber  SGBiebergeburt  bie  et^if c^e 
SBanbtung  auf.  3)a§  neue  foteriologifdje  SBer^ältni^  ju  @ott 
fann  nic^t  gebucht  merben,  o^ne  ba§  e§  in  ung  eine  Äraft  neuen 
fittUc^en  £eben§  entfaltet^).  3)ie  SBiebergeburt  ift  al§  SBiberfatir* 
niö  unb  treibenbe  fittlic^e  Stuf  gäbe  ju  oerfte^en  *).  3Inbererfeit8 
barf  man  2llt^au§'  9lnfd|auung  oom  ©lauben  üor  unb  nac^  ber 
Jaufe  fic^  nic^t  aneignen.  2)enn  ber  ^eilSglaube  ift  eö,  ber  im 
91.  %.  bei  ber  ©rroac^fenentaufe  bie  93orau§fe^ung  für  ben  2:auf« 
empfang  bilbet.   ^eil^glaube  ift  oor  bem  ©aframent  oor^anben  ^). 

1)  31.  a.  D.  ©.  487. 

2)  ©teinmetj,  2:aufe  unb  Siebergeburt,  m^S-  1902. 

3)  9^3.  o.  a  D.  <S.  79. 

4)  ^bb.  @.  151.  5)  @bb.  ©.  162. 


6  c^  e  e  I :  %it  ^auf (e^ve  in  b.  mobemen  pofitiOv  lut^er.  Dogmatil.    483 

3)a6  cS  nun  natürli^  fc^rocr  wirb,  bie  Slotroenbigfeit  ber  Jaufe 
ju  begreifen,  ift  felbftoerftänblic^.  @tetnme^  n)ei|  ha§  and)  fe^r 
rool^I.  ©8  tau^t  oor  i^m  ein  fc^roereS  Problem  auf  ^).  (5r  löft 
e§  burc^  bie  Jt)efe,  ba|  ba§  SBort  ben  ©lauben  wirft,  ber  Olaube 
baS  ^eil  ergreift,  ba§  ©atrament  aber  bie  fpejiefle,  inbimbueße 
9lp))(itation  bebeutet.  (£^  mac^t  unS  noc^  fi)e3ieU  be§  ^ziU  ge^ 
miß%  @inc  bogmatifc^c  Sfted^tfertigung  ift  bic§  freiließ  ni^t. 
3)enn  ber  ^eilägloube  eyiftiert  nic^t  o^ne  ^eilSgeroig^eit.  3)o^ 
barauf  braud^t  in  unferem  3ufo»wmen^ang  nii^t  weiter  eingegangen 
ju  werben,  ^ier  intereffiert  junä^ft,  ba§  ©teinme^  ba§  äJer^ält* 
ni^  pon  Saufe  unb  ilBiebergeburt  fo  ju  entwidEeln  perfu^t^  ba^ 
bem  SEBort  unb  bem  ® tauben  nichts  genommen  wirb,  ba|  bie 
3Biebergeburt  nic^t  afö  rein  foteriotogif^er  Sltt  üerftanben  wirb 
unb  bie  ^ebeutung  be^  @aframenti^  tro^  adem  gewahrt  bleiben  foU. 
9lun  aber  fteüt  fid^  neben  bie  bereits  üon  Steinme^  bemertte 
©c^mierigteit  eine  neue.  SBenn  er  nid^t  mit  2llt^auS  einen  erft 
nad^  ber  Jaufe  ju  tonftatierenben  ^eil^glauben  jugeben  will,  fo 
Knute  bie  ^Rechtfertigung  ber  Äinbertaufe  in  5^age  geftetlt  wer» 
ben.  SWan  fann  nac^  Steinme^  nii^t  oon  einem  Olauben  ber  Äin» 
ber  oor  ber  Jaufe  fpre^en,  auc^  ni(^t  oon  einem  in  ber  S^aufe 
gewonnenen  ©tauben.  93eibe§  ift  unpfQc^otogif(^^).  Sann  !ann 
e^  bei  ber  Sinbertaufe  mit  bem  ©tauben  ni^t  biefetbe  öewanbt^ 
ni§  ^aben,  wie  bei  ber  Srwa^fenentaufe.  93ei  ber  Äinbertaufe 
tritt  ber  nac^fotgenbe  ©taube  an  bie  ©tette  beg  ©taubeng,  ber  bei 
ber  ©rwac^fenentaufe  oorange^t,  eine  öe^auptung,  für  bie  er 
einen  birelten  @d^riftbewei§  nic^t  ju  geben  in  ber  Sage  ift,  bie 
er  nur  auf  grunb  ber  analogia  fidei  aufrecht  ermatten  ju  fönnen 
erltärt.  9lun  aber  f^eint  ba§  ©aframent  ber  Äinbertaufe  eine 
bto^e  Qtxtmonit  ju  werben.  ®ann  ^ätte  aber  ©teinme^  wiber 
SBitten  ben  tut^erif^en  ©aframent§begriff  oertaffen.  ©o  bteibt, 
ba  auc^  ein  Slu^weg,  wie  ber  oon  ^x.  ^.  empfol^tene,  i^m  nic^t 
fgmpat^ifd^  fein  !ann,  nur  noc^  eine  ÜHögtic^teit  übrig:  bie  Jaufe 
at§  opus  operatum  ju  faffen.  ©teinme^  wei§,  ba|  i^m  fein  am 
berer  2lu§weg  bleibt;  unb  er  ^at  ben  9Mut,  biefen  SBeg  ju  ge^en. 

1)  ms   a.  a.  O.  @.  161.  2)  @bb.  ©.  162. 

3)  @bb.  @.  226. 


484    @  (i^  c  c  ( :  3)ic  a:auflc^rc  in  b.  mobcnten  pofltio.,  (ut^cr.  S)oflmatü. 

SBenn,  fo  meint  er,  Sllt^auS  bie  SBirlung  ber  2:aufc  ex  opere 
operato  bcftrcitc,  rocil  ber  Olaubc  nad^folgc,  fo  (affc  er  unberücf* 
fic^tigt,  ba|  boc^  beim  ©mpfang  ber  Saufe  ber  ©laube  fel^le, 
Sfflan  fönnc  barum  nxä)t  umritt,  in  gemiffem  @inn  üon  einem 
opus  operatum  ju  fpred^en,  unb  man  tonne  eben  nur  bel^aupten, 
ba§  ber  nad^folgenbe  ®Iaube  bie§  opus  operatum  (imitiere*). 
9leu  ift  auc^  biefe,  auf  euangelifd^em  93oben  immerhin  bcfrembenbe 
©rflärung  nic^t.  @^on  SRi^ter  ^at  biefetbe  93el^auptung  mit  ber-- 
fetben  Simiticrung  im  ^fa^re  1861  jur  a)i§!uffton  gefteDt«),  ©ag 
bie  Dogmatil  mit  biefer  2^^efe  nic^t§  anfangen  tann,  bürfte  au§ 
ben  ®rörterungen  in  ber  2Iu§einanbetfe^ung  mit  ber  foteriologi* 
fc^en  3)oftrin  fic^  ergeben,  ©teinme^  ^at  mit  biefer  (SrMärung 
feiner  S:aufle^re  auc^  einen  unheilbaren  SRi|  jugefügt.  3)enn  er 
trennt  nun  b  o  g  m  a  t  i  f  ^  bie  Sinbertaufe  oon  ber  ©rmad^fenen* 
taufe,  aiuc^  fein  ffleg  mirb  ungangbar,  felbft  menn  bie  2^^eorie 
oom  opus  operatum  eine  bogmatifc^  mögliche  SßorfteHung  märe. 
®§  werfen  alfo  mo^I  bie  beiben  legten  5Bcrfud)e  ein  intereffante§ 
©(^lagUct)t  auf  bie  Situation;  aber  irgenb  meiere  Sfflittel,  in  le* 
flitimcr  SGBeife  bie  9tot  ju  befeitigen,  ^aben  fie  ni^t  na^juroeifen 
uermod^t. 

^d)  fe^e  nur  einen  SBeg,  bie  bogmatif^e  9totIage,  bie  bie 
je^t  hinter  un§  liegenben  Unterfu^ungen  tennen  gelehrt  l^aben, 
ju  überminben,  ben  SBeg  nämlich,  ber  eine  befonbere  bog* 
m  a  t  i  f  d^  e  3Bertung  be§  S^auf faframent^  au^fc^Iie^t.  SÄÜen  SBer* 
fuc^cn,  mit  benen  mir  un§  befc^äftigen  mußten,  mar  bei  aller 
©ifferenj  biefe  befonbere  bogmatifc^e  aCBertung  be§  ©atrament^ 
gemeinfam.  ©ic  fonnte  ganj  maffio  jum  2lu§brudE  tommen,  fie 
tonnte  f(^lie§lic^   aud^  me^r  ftimmung^mä^ig  al§  in  bogmatifd) 

1)  m^S'  a.  a.  D.  @.  229. 

2)  mdittx,  %k  Äinbcrtaufe,  i^x  SBefen  unb  \\)x  SHcc^t.  a:^©t^^r.  1861 
@.  247.  —  o.  b.  ^rcnrf  ^attc  f<^on  gefüllt  (ogl.  ©arbelanb),  ba^  feine 
^^coric  bem  ^Borrourf  bc§  opus  operatum  anheimfallen  fönntc.  ®r  meint 
bem  SBorrourf  mit  ber  bo0mcnöef4icf)tlici^  unhaltbaren  SBorftclIung  begcg* 
nen  ju  fönnen,  ba^  in  biefer  2{)eonc  c§  borf)  nur  ba§  menfrf)üc^c  opus 
im  Saframcnt  gcmcfcn  fei,  ba§,  of)m  ©laubcn  geübt,  al§  mcrtlo^  au  gel^ 
tcn  Ijdbz,  niemals  aber  bag  opus  divinum,  ba§  in  feinem  ®efd^el)en  un* 
abl^ängig  t)om  Glauben  fei. 


@  c^  e  e  ( :  ^ie  ^aufle^re  in  b.  mobemen  pofttiov  Iut()er.  ${)09matil.    485 

f larer  Formulierung  it)ren  SluSbrucf  finben ;  aber  fic  war  überall 
noc^roetSbar.  ^c^  brauche  nid^t  im  einjelnen  ju  refapitulieren  unb 
jufammenfaffenb  ju  mieber^oten,  jufammenfaffenb  bic  Sinien  noc^ 
einmal  ooigufü^ren,  bie  fic^  l^erau^ftettten.  ®8  barf  an  bem  ^in* 
n)ei§  auf  baS  aflen  ©cmeinfame  fein  53en)cnbcn  ^aben.  3Benn 
nun  bie  S^age  noc^  erörtert  werben  foü,  ob  ber  foeben  angeben* 
tete  2Beg  gangbar  ift,  fo  mö^te  ic^  bie  (Erörterung  biefer  5^age 
jugleic^  mit  einer  ©l^aratteriftif  ber  ©atramentglel^re  9W.  Ää^Ierg 
oerbinben,  bie  freiti^  auf  eine  befonbere  Betrachtung  ber  ©afra» 
mente  ni^t  oerji^tet,  bic  aber  boc^  fo  referoiert  fic^  oer^ält,  ba| 
man  oon  i^r  a\xS  ben  Uebergang  mag  finben  fönnen  ju  ber  $o« 
fition,  bie,  wenn  ic^  rec^t  fel^e,  allein  eine  roirflic^e  Ueberminbung 
ber  ©(^mierigtciten  oer^eigt 

4. 

Ää^ler^  S^auf'*  unb  SaframentSte^re  ift  ber  tonfequentefte 
SBerfuc^  innerl^alb  ber  pofitioen  2)ogmatit  bic  fatramentale  SBer* 
tung  be§  ©aframent§  ju  überroinben.  ®r  mirft  freili^  bie  grage 
auf,  ob  bie  reformatorifc^e  ©c^ä^ung  ber  ©aframentc  nod^  }u 
5Red)t  beftcl^e,  unb  er  roirft  biefe  ^rage  auf  um  fie  ju  bejal^cn. 
Jro^bem  möd)te  man  fragen,  ob  er  überhaupt  nod^  eine  bogma« 
tifc^e  SRe^tfertigung  ber  öefonber^eiten  bei8  ©aframent^  gibt. 

Unbebingt  in  bie  erfte  ©teile  rüdtt  ba§  SBort;  bie  ©a!ra» 
mente  treten  hinter  ba§  ©ort  in  bie  jmeite  Sinie  ^  unb  fie  muffen 
irgenbroie  bie  2lrt  be§  SBorte§  an  [x6)  ^aben^).  ®a§  ©emcinfame 
ber  ©atramente  mit  bem  SGBort  liegt  barin,  ba|  beibe  ben  gleii^en 
3iU^alt  l^aben,  nämlic^  6^riftu§  unb  feine  ®nabe,  unb  ba§  burc^ 
biefe  aWittel  fid)  (£^riftu§  felbft  barbietet  be^uf§  be^  ®lauben§  an 
i^n  ^).  3)aju  tommt  at^  jmeiteö  SWerfmat,  ba§  ba«  jum  ©tement 
^injutretenbe  SBort  nic^t  für  eine  rounberroirtenbe  Formel  gilt, 
fonbern  bem  ®lauben  ba§  Soangelium,  bie  ©nabenbotfc^aft  an- 
bietet. ^®§  liegt  ^ier  alfo  ba§  ©nabenmittel  be^  3Borte§  oor, 
eingefaßt  in  einen  tirdjlic^en  93raud^."  3)ie  ©nabenroirtung  be§ 
©aframcnt§  ift  an  ben  ©lauben  gebunben  unb  biefer  roieberum 

1)  SW  ^ä^Ier,  a.  a.  O.  8.  6.  2)  (5bb.  @.  49. 

3)  @bb.  S.  48. 


486    @  ^  e  e  ( :  ^ie  Xaufle^re  in  b.  mobetnen  pofttit).,  (utl^er.  Dogmatil. 

an  baö  beutcnbe  SBBort  ®otte§^).  9lic  barf  ba§  ©aframcnt  in 
bie  Sftei^c  etwaiger  neben  ba§  SEBort  tretenber  ©nabenmittel  ge* 
ftcttt  werben,  ani)  bann  nic^t  wenn  man  oom  ©aframent  etroa^ 
93efonbere^  auSfagen  roitl^).  Ol^ne  ©lauben  empfängt  niemanb 
bie  @aframent§gnabe  %  unb  ber  ©ame  ber  SEBiebcrgeburt  ift  ba§ 
©ort,  ba§  SGBort  oom  auferftanbenen  ©etreujigten*).  Ää^lcr 
fü^It  feine  SBerantaffung,  biefen  ©a^  einju[^rÄn!en.  „3)ie  SBer« 
mittelung  ber  Saufe  tommt  bann  entroeber  au§  bem  ©ort,  in 
roelc^eö  baS  SBaffer  üerfa^t  ift,  ober  bie  2:aufc  teilt  bie  3BirffamIeit 
mit  bem  SBort.  ÄeinenfattS  wäre  e§  ber  il^r  augfd^lie|lic^  eig« 
nenbe  ©e^alt"*). 

2lber  Ääl)(er  miti  ben  @a!ramenten  bo^  elmaS  93efonbere§ 
gewährt  fe^en.  Qu  biefem  33e^uf  l^ebt  er  eine  Slnjal^I  oon  SWert* 
maten  ^erau§,  auf  bie  mir  un§  nic^t  äße  einjutaffen  braud^en, 
ba  fie  feineSmegS  alk  bogmatifc^e  ^ebeutung  ^aben.  S)oc^  feien 
junä^ft  bie  befonberen  5WerfmaIe  genannt.  ®a§  53efonbere  ber 
©aframente  neben  bem  SDBort  finbet  Ää^ler  in  gemeinfamen  Äenn== 
jeic^en.  3)ie  ©aframente  fmb  junäc^ft  auf  ben  Seib  bejogene 
©itten  **) ,  bebeutf ame  93ilb^anblungen ") ,  unmanbetbare  Unter« 
pfänber  für  ba§  ^anbeln  bc§  lebenbigen  ©l^riftu^  traft  i^rer  @in^ 
fe^ung^,  nic^t  bIo|  auf  bie  Su^iflnung  ber®nabe  an  bie  einget- 
nen  berechnet,  fonbern  oorne^mlic^  in  il)rer  ®efc^t^tlid)teit,  SRed^tS« 
titet  unb  ©ame  ber  Äirc^e®),  ctma^  93efonbere§  nii^t  burc^  il^ren 
®el^a(t,  fonbem  burc^  bie  9trt  ber  S)arbietung  ^^),  unb  enbli^ 
ftiftungSmä^ig  93e!enntni§^anblungen  be^uf§  ber  @emeinfd)aftlid^« 
feit^i). 

®§  bebarf  feiner  näheren  53egrünbung,  ba|  ben  erftcn  beiben 
aWomenten  fein  bogmatifc^er  SBert  eignet.  ®ogmatifd^e  93ebeu* 
tung  tonnte  ba§  erfte  SWoment  \a  nur  bann  gewinnen,  wenn 
irgenbroie  loieberum  bie  naturl^afte  SBirtung  be§  ©a!rament§  er» 


1)  m\)Ux,  o.  a.  O.  <S.  52. 

2)  (gbb.  @.  63.  3)  ©bb.  6.  61. 
4)  ©bb.  8.  65.  5)  ®bb. 

6)  ebb.  @.  60.  7)  @bb.  <B.  61. 

8)  (Sbb.  ©.  63.  9)  ebb.  @.  61. 

10)  ebb.  @.  65.  11)  ebb.  @.  69. 


6  d^  e  e  I :  S)ic  a:ttuf(c^rc  in  b.  mobcmcn  pofltu).,  lutl^er.  3)09matit    487 

loiefen  tuerben  foQte.  ^aS  ift  aber  ein  @ebanfe,  ber  ^ä^Ier  DöUig 
fremb  ift  mag  er  fic^  aucft  me^r  al§  einmal  gegen  atte  „oerftie* 
gene"  ©eiftigteit  menben  unb  barum  am  9tea(i§mu§  ber  fatra^ 
mentalen  ^anblung  feine  e^reube  ^aben.  (Sbenfomenig  fommt  bem 
jmeiten  SWoment  bogmatifc^er  SBert  ju,  menn  benn  anberS  ju 
9le(^t  befte^t,  ma§  fid)  un§  im  SSerlauf  ber  Unterfui^ung  al$ 
bogmatifc^  crmiefen  ijatU.  3)ie  ©l^arafteriftif  ber  ©aframente  al§ 
3!)arftettungen  unb  3^^^^"  f^ö  ^n  fic^  ni^t  beanftanbet  merben; 
nur  ba§  foU  betont  werben,  ba§  biefe  ®l^arafteriftif  nod^  nichts 
mit  einer  bogmatif^en  ^e^anbtung  be§  @atrament§  )u  tun  l^at. 
(äbenfo  ift  e§  richtig,  menn  Äa^ter  in  ben  ©atramenten  ben  SRec^tS* 
titet  ber  äußerlichen  Äiri^e  erblicft  unb  biefen  ©a^  befonber§  im 
^inblidt  auf  i^rc  gcfc^i^tlic^e  ©eftimmt^eit  gcfprod^en  l^aben  mifl. 
Stbcr  auc^  bie§  ift  no^  feine  bogmatifc^e  SDBürbigung  be§  ©afra^ 
ment§.  2)enn  e§  ^anbelt  fic^  in  biefer  S^arafteriftit  um  l^ifto* 
rifdje  ®aten,  bie  al§  fol(^e  tonftatierbar  finb  unb  beren  93ebeu- 
tung  man  crtennen  fann,  o^ne  bie  @lauben§frage  aufrollen  ju 
muffen.  2lu§  biefer  Betrachtung  ergibt  fic^  benn  aud^  bag  le^te 
SKoment,  ba§  oon  Ää^ler  genannt  mirb.  ®ie  fiängcnroirfung  gel^t, 
um  eine^  2lu§fpruc^S  Rä^lerS  mic^  ju  bebienen,  in  bie  53reite. 
Ratten  bie  ©a!ramente,  gefc^i^tlic^  betrad^tct,  gcmeinfc^aftftiften* 
ben  SBert,  fo  l)aben  fie  au^  einen  bie  ©emeinfc^aftlic^teit  xoaf)^ 
renben,  feftigenben  unb  oerbreiternbcn  SGBert.  9lber  bie§  !ann  be* 
Rauptet  rocrben,  o^ne  ba§  bie  religiöfe  93ebeutung  ber  ©atramente 
au^brüdElic^  in  bie  ®i§fuffion  ^ineingejogen  ju  merben  braucht. 
SaSer  in  religiöfen  Drganifationen  nid^t  lebiglid)  etroa§  ^atl)oIo* 
gifc^eS  }u  crblidten  geneigt  ift,  unb  mer  ben  fo5ialpf9c^ifct)en  SBert 
üon  ©gmbolen,  ©ebräuc^en  unb  ©itten  ertannt  l^at,  ber  roirb  bie 
üon  Ääl^lcr  herausgehobenen  aWomente  al§  richtig  beurteilen  tön* 
nen,  o^ne  genötigt  ju  fein,  bie  ©aframentc  al§  SWebien  ju  be* 
trachten,  bie  ^immlifd^c,  eroige  Oüter  oermitteln  ober  irgenb  rocl^e 
Sejie^ung  ju  einer  SBermittlung  fold^er  ©üter  befi^cn.  ©o  fü^rt 
auc^  biefe  Betra(^tung  nic^t  ju  einer  bogmatifc^en  SBürbigung  beS 
©aframentc.  ®§  bleibt  alfo  übrig  nur  bie  ®rtlärung,  baß  bie 
©aframente  ba§  unroanbelbare  Unterpfanb  für  ba§  ^anbeln  bc§ 
lebenbigen  S^riftuS  traft  i^rer  ©infe^ung  finb,  unb  baß  fie  ctroaS 


488    ©  d^  c  c  l :  %xt  Zau^Uf^x^  in  b.  mobcmen  poptio.  (ut^cr.  3)o0matit 

93cfonbcrc§  nid^t  bur^  tl^ren  ©e^alt,  fonbcm  burd^  i^rc  9lrt  ber 
S)arbictun9  barfteQcn.  2ln  bicfer  ©rflärung  tüirb  jjcbcnfatlS  baS 
©aframcnt  aU  3Mittct  ber  ©nabcnjucignung  gcbac^t  ol^o  ber  @c« 
ftc^t^punft  erörtert,  ber  für  eine  bogmatif^e  Unterfuc^ung  über 
ba§  ©atrament  in  gragc  fommt.  @o  fpri^t  benn  M\)hx  banon, 
ba|  e§  im  ß^riftentum  beftimmtc,  l^crauSge^obene,  fojufagen  „pri* 
üilegierte"  SWittet  ber  ©nabenjueignung  gibt,  bie  ber  jucignenben 
(Sinroirtung  @otte§  auf  unS  ocrmittelft  feinciS  auSgcgoffenen  unb 
bei  un§  roo^nenben  @eifte§  btenen^).  So  ift  e§  nac^  Ääf)Ier  eine 
empfinblic^e  Surfe,  wann  3f.  Saftan  auf  bie  SBefonber^eit  ber 
©aframentc  in  genere  neben  bem  SBorte  nx6)t  tiefer  eingebt,  n)ä^* 
renb  ü.  Oettingen  in  biefem  ^untt  ergiebig  fei^).  2lber  biefe 
Berufung  auf  o.  Oettingen  berechtigt  nid^t  ju  einer  ^^bentifijie' 
rung  ber  Slnfc^auung  Kä^Ier§  mit  berjenigen  v.  Oettingen^.  Slüer^ 
bing§  fennt  Ääl^Ier  eine  fatramenttic^e  öegrfinbung  ber  ©ernein^ 
f^aft  mit  6;^riftu§  in  ber  Jaufe^).  2lber  Kavier  ^ebt  nic^t  bIo§ 
t)ert)or,  ba§  ol^ne  ©lauben  nicmanb  bie  ©atrament^gnabe  empfängt 
—  baS  wäre  feine  Ääl^lcr  eigentämUd)e  93e^auptung  —  er  urteilt 
au<^  au|erorbentIic^  nüd^tern  über  bie  fatramentlic^e  ^ebeutung 
ber  2iaufe  unb  oerjidjtet  DoUenbö  barauf,  bie  Sinbertaufc  burc^ 
bie  2:^eorie  oom  unben)u|ten  ©tauben  ju  rechtfertigen,  ©in  un* 
bemühter  ©laube  ift  i^m  unfa^lic^,  ebenfo  wie  ein  33en)u|tfein 
o^ne  ©in^eit  be§  93emu|tfein§.  ^nx  ein  ^eroorbrec^en  be§  mit 
ber  2:aufe  eingepflanjten  ©tauben^  mit  ber  2leu§erung§fä^igteit 
be§  53emu§tfein§  ^at  er  bisher  nirgenb^  93elege  gefunben  *). 

SKbcr  mie  geftaltet  fi(^  benn  bie  bogmatifc^e  Slei^tfertigung 
ber  S^aufe?  ®ie  Saufe  mirb  jur  untcrpfanblii^en  S)arfteüung  ber 
93erufung^).  ®§  !am  Sut^er  barauf  an,  ben  ©^riftu§  für  un§ 
fo  nat)t  mie  möglii^  an  un§  ^eranjubringen.  3)ie§  gcfc^iel^t  burc^ 
ba§  ©aframent  in  feiner  93eftimmt^eit  at^  Unterpfanb  ^).  3)oc^ 
Mi)Ux  begnügt  ftc^  nic^t  mit  ber  SBieber^oIung  bicfe§  in  ber 
Iut^erifd)en  2:rabition  immer  roieberfel^renben  ©ebanfen§.  3»"bem 
er  biefem  ©ebanten  nadige^t,  erfennt  er,  ba§  gerabe  unfere  Jaufc 

1)  Ää^Ier,  ebb.  @.  16.  2)  @bb.  ©.  16  5lnm.  2. 

3)  ®bb.  @.  61.  4)  ebb.  @.  91  2rnm.  h 

5)  @bb.  S.  68.  6)  ®bb.  @.  53. 


@  d^  e  e  l :  S)ie  Xaufle^te  in  b.  mobcmcn  pofitu).,  lut^er.  ^oöutatit    489 

fid^  [c^iücr  bicfer  SSegrünbung  einorbncn  Iä|t.  Unfcrc  2:aufc, 
bic  er  au(^  qI§  „SBinfcItaufc"  bcjcic^nct,  tann  !aum  alö  anfc^au* 
lic^e  SRebc  gelten,  ©ic  oerliert  bic  SÄnfc^auIic^feit,  roeil  xoxx  nur 
bur^  ^örenfogen  oon  i^r  roiffen^).  3)er  Jauffd^ein  mit  bcm 
Äir^enfiegel  foü  bie  anfc^aulid^c  ^anblung  erfe^cn.  3)ag  ift 
offenbar  ein  Uebclftönb  ^).  9Dlan  foüte  barum  auc^  weniger  reij* 
bar  gegen  bie  2:aufgefinnten  fein^).  Unfere  Saufe  ift  nic^t  wie 
bie  ÜWiffioniStaufe  ein  rebenber  2tft.  ^ä^ler  beftreitet,  ba|  unfere 
„SBinteltaufe"  eine  barfteCenbe,  bürgenbe  ^anblung  für  ben  ein* 
jelnen  fei*).  3)ie  S^aufmirfungen  fmb  nur  bann  fatramentUc^ 
bargeboten,  wenn  bic  ^anblung  für  ben  Jäufting  in  bilblic^er 
Unterpfanbfc^aft  roirffam  werben.  Unb  baö  ift  in  unferer  93e« 
l^anbtung  ber  ^inbcrtaufe  nur  in  einer  Unbeutlic^feit  oor^anben, 
bie  an  Slufl^cbung  ber  faframentlid^en  93ebeutung  ftreift*).  @o 
bürfte  fid^  benn  auc^  bie  unbebingte  ^lotrocnbigteit  ber  Äinber* 
taufe  weber  au§  ber  ©d^rift,  no^  au§  ber  Sac^e  enoeifen  laffcn  ®). 
S)amit  fc^eint  eine  bogmatifc^e  ^Rechtfertigung  ber  Jaufe  ber  Un* 
münbigen  l^infäUig  geworben  ju  fein,  jumal  ber  Äinberglaube  be* 
ftritten  wirb. 

Stber  fönnen  biefe  9lu§fül^rungen  roirtlic^  al§  eine  befonbcre 
bogmatifc^e  ^Rechtfertigung  ber  2:aufe  gelten,  bergeftalt,  ba|  man 
oon  bcm  ©atrament  ber  2:aufe  in  bogmatifd^er  93ejie^ung  etmaS 
öefonbercfl^  au§fagen  fann?  ffi§  bürfte  bici^  nic^t  ber  gaß  fein, 
unb  e§  miß  mir  fi^cincn,  a(^  ob  auc^  Mi)kx  biei^  faum  ernftlii^ 
be^au))ten  fönnte.  ®enn  ber  ganje  9tac^brudE  liegt  bei  i^m  in 
ber  Unterorbnung  ber  S:aufe  unter  baö  SBort  unb  in  ber  ©l^a* 
raftcriftif  ber  S^aufe  a(^  einer  rebenben  ^anblung.  3)ogmatifc^ 
betract)tct  fallen  alfo  S^aufc  unb  SBort  unter  ein  unb  biefclbe 
SBürbigung,  unb  Ää^lcr  ^ättc  f(^n)erlic^  in  einer  SBcifc,  bie  nur 
i^m  eigentümlich  ift,  bie  unterpfanbli^e  ^cbcutung  unferer  Saufe 
angcjmeifelt,  roenn  ni^t  ber  bogmatifc^e  ©runbgebante  feinet 
©aframent^begriff^  feine  geber  geleitet  l)otte.  3Ba§  Köhler  mit 
biefem  befonberen  aWoment  geroonnen   ^at,   ift  nirf)t  eine  bogma^ 

1)  ®bb.  @.  57.  2)  ebb.  @.  58. 

3)  ebb.  4)  ®bb.  @.  61. 

5)  Ää^Icr,  ebb.  8.  91.  6)  ebb.  6.  90. 

3ettf(^rift  für  X^eoloflie  unb  Äirc^c.  16.  ^aift^.,  6.  ^eft.  H4 


490    @  <^  e  e  ( :  ^ie  ^aufle^re  in  b.  mobernen  pofttiOv  lut^er.  Dogmatil 

tif^c  93cgrünbung,  fonbcrn  immer  nur  eine  rctigionSpfg^oIogifc^c; 
b.  \).  aber,  bie  befonbcren  SWomente,  bie  Sanier  herausarbeitet 
bienen  inSgefamt  nic^t  einer  bogmatifc^en  SRe^tfertigung  ber  SSe» 
fonbcr^eit  ber  2:aufe^).  Sie  ^eben  nic^t  bogmatif^e  ©igentüm« 
li^feiten  ^erauS,  auc^  bort  nic^t,  mo  bie  bogmatifd^e  Sebeutung 
beS  ©aframentS  ber  Skiufe  auSbrüctlid^  jur  ®i§tuffton  geftellt 
mürbe.  ®ie  oerfc^iebenc  SSeife,  ha§  ©oangelium  an  bie  fieute 
Ijcranjubringen^),  begrünbet  feine  bogmatifc^e  ®ifferenj.  Ää^ler 
^at  alfo  nic^t  eine  bogmatif(^e  ^Rechtfertigung  ber  befonberen  ÜWert* 
mate  ber  @a!raniente  gegeben. 

3)em  lauffaframent  im  allgemeinen  ift  bemnac^  fo  menig 
eine  befonbere  bogmatifd)e  (Erörterung  juteil  gemorben,  ba§  oiel« 
me^r  baS  einjige  aWoment,  bem  bogmatif(^er  SBert  nietleic^t  ju* 
erfannt  werben  !önnte,  au^cr^alb  ber  ©pl)äre  be§  ®ogmatifci^en 
liegt.  @S  fct)eint  aber  Ää^ler  hoä)  für  bie  Äinbertaufe  noc^  ein 
befonbereS  bogmatifc^eS  Strgument  in  öereitfc^aft  ju  ^aben.  S33a* 
ren  feine  Urteile  aud^  nod)  fo  referoiert,  unb  meint  er  au^  un* 
ferer  heutigen  5orm  ber  Sinbcrtaufe  faft  ganj  bie  fa!ramentlid)c 
a3ebeutung  abfprec^en  ju  muffen,  fe^t  er  auc^  eine  ernft^afte  c^rift» 
li(^e  (Sntmictlung  o^ne  S^aufe  aU  mögli(^  PorauS,  fo  meint  er 
boc^  behaupten  ju  bürfen,  ba§  6^riftu§  im  ©atrament  ^anbelt 
unb  bie  @nabe  ber  Äinbfc^aft  anbietet.  2)aS  fommt  auf  ben 
©ebanfen  ber  juoortommenben  ®nabe  l^inauS  ^).  3)ieS  aber  mürbe 
auf  bie  J^eorie  führen,  bie  mir  in  93unfe§  Darbietungen  fennen 
lernten.  @S  märe  aber  auc^  ber  Oebanfe  einer  gratia  praeve- 
niens  gar  ni^t  fpejififc^  für  bie  SCaufe.  3)a§  gilt  —  ganj  abge* 
fe^en  baoon,  voa^  bogmatif(^  oon  biefer  2:^eorie  ju  l^alten  ift  — 
üon   jebem  ^eilSmort,   bas!  gilt  ebenfo   fe^r  unb  mellcic^t  noc^ 

1)  ^ann  roirb  aber  fein  Sßorrourf  gegen  ^aftan  f)infällig.  ^cnn  bie 
5)ogmatif  t)at  fid^  md)t  um  33ctra(4tung^meifcn  ju  fümmem,  bie  bogma^ 
tifd^  betanglog  ober  wertlos  fmb.  ©cbeutung  ^ätte  ^äl)(er§  ©inroanb 
nur,  menn  bie  befonbcren  9Jlerfina(e  be§  Gaframentjg  im  Untcrfc^ieb  oom 
Söort  bogmatifd^  befonbere  aJierlinale  mären.  (S^  märe  nicfjt  auSgefd^Iof« 
fen,  ba&  .^ä^Ier  bie^  in  ber  Zat  meint,  ^ann  ift  gegen  i^n  baSfelbe  ein- 
gumenben,  roie  früher  gegen  n.  Oettingen ;  Häl)(er  ^ätte  alfo  bie  religion^^ 
pf^d^ologifd^e  Betrachtung  mit  ber  bogmatif(f)en  oermengt 

2)  ®bb.  ©.  66.  3)  31.  a.  D.  @.  91. 


6  d^  e  c  1 :  5)ic  a:ouf lel^re  in  b.  mobemcn  pofttit).,  lutl^er.  ^ogmatif.    491 

mel^r  oon  bcr  c^riftti^cn  ©rjic^ung  al§  oon  bcr  2kxufc  bcr  Un* 
münbigcn.  2tuf  jebcn  gaU  ^attc  man  aber  mit  bicfcm  ©cbanten 
nic^t  bic  Äinbcrtaufc  bogmatifc^  gcrc^tfcrtigt,  jumal  bcr  ©cbantc 
bcr  gratia  praeveniens  nur  bann  ernftti^  bogmatifc^  berc^tigt 
ift,  menn  fein  bircttc§  Äorrelat  bic  menf^U^c  SRcjcptioität  ift. 
©onft  mürbe  man  einem  tat^oUfc^en  ober  bogmatif^  in^altlofcn 
9Scrftänbni§  bcr  gratia  praeveniens  oerfaCen.  Sanier  barf  um 
fo  meniger  bicfcm  ©cbanten  befonbere  bogmatifcft  begrünbenbc 
Äraft  jumeifen,  al§  er  c^riftU^e  ©ntmidtlung  ol^nc  Saufe  für 
möglich  ^ält,  unb  al§  er  in  bcr  gcncrcBcn  Srörtcrung  über  bic 
Saufe  bic  SQBirfung  bcr  Saufe  auf  ba§  ©nabenmort  jurürffü^rte 
ober  auf  ben  r  e  b  c  n  b  e  n  2lf t  bcr  Saufe  auf mertf am  ma^te, 
o^ne  bic  ^inbertaufe  au^brürflic^  auöjufc^lic^cn.  ©oU  bic  Qbce 
bcr  gratia  praeveniens  bic  Äinbertaufe  mirHic^  bogmatifc^  rec^t* 
fertigen,  fo  mürbe  ni^t  nur  ein  ^ier  bogmatif(^  nic^t  au^rcic^cns 
bcr  ©egriff  mit  bogmatifc^cr  ^raft  au§gcftattct,  e8  mürbe  auc^ 
eine  leichte  Spannung  jmifc^en  bcr  Sicc^tfcrtigung  bcr  Äinbertaufe 
unb  bcr  Saufe  überhaupt  ju  tonftatiercn  fein,  fofern  für  bie  Saufe 
ber  Äinber  eine  anbere  ^Rechtfertigung,  al§  für  bie  Saufe  im  gc* 
ncreCen  notmenbig  gemorben  ift. 

3)lan  mag  an  ben  tleinen  Spannungen,  bie  offenbar  noc^ 
oorl^anben  fmb,  noc^  ben  3wföntmen^ang  Ää^terS  mit  bcr  „po« 
fitioen"  Sauflc^rc  cr!cnncn;  man  mirb  aber  au^  bann  noc^  ju» 
geben  muffen,  ba|  M^ter^  Sauflc^re  faft  ben  ©egcnpol  bilbct  ju 
einer  ^oc^tut^crif^en  3Bürbigung  be§  @atramcnt§  unb  t>a^  feine 
Sauflel^re,  fofern  man  fte  im  ^wfammen^ang  mit  ber  ort^oboyen 
St)eorie  betrachtet,  bie  bentbar  ftärffte  9tebuttion,  menigften§  bie 
ftärffte  gefc^ic^ttic^  gemorbene  SRebuttion  bebeutet.  Slbcr  ^ier 
tommt  e§  jetjt  nic^t  ^auptfä^lic^  barauf  an,  biefe  Siebuttion  na^* 
jumeifen  ober  ber  tleineren  Spannungen  ju  gebenfen,  bie  tonfta^» 
tiert  mcrben  tonnten;  ^ier  bemegt  fic^  ba§  ^»ntereffe  um  ben 
©runbgebanten  Ää^ler^,  bcr  auf  rcformatorifc^c  Qmpulfc  jurürf- 
gc^cnb  eine  folc^e  3)urc^fü^rung  geftattet,  ba&  Unftc^cr^citen  unb 
Spannungen  oermicbcn  mcrben,  eine  mirtlic^  einheitliche  5Rec^t« 
fertigung  ber  Saufe  gegeben  unb  bo^  bie  reformierte  93etra^tung, 
ju  ber  fc^einbar  aßc§  ^inbrängte,  oermicbcn  mcrben  tann.    ®a§ 

34* 


492    6  d^  c  c  I :  Die  a:auflc^rc  in  b.  mobemen  pofltio.,  tut^er.  Dogmatit 

ju  jcigcn,  bcbarf  c§  nac^  allem,   loaS  üorauf gegangen   ift,  nic^t 
mcl^r  oieler  9Borte. 

3)ie  2lu§einanberfe^ung  mit  ber  bogmatifc^en  Se^anbtung  be§ 
Saufprobicmö  in  ber  ortl^obofen  unb  pofitiüen  lut^erifc^en  Zf^to- 
logie  ^atte  eine  Stellte  üon  ©runbfä^en  entfielen  fe^en,  an 
bie  je^t  nur  furj  erinnert  ju  mürben  braucht,  um  ba§  bogmatif^e 
©rgebniS  ber  oorangegangenen  Unterfuc^ung  ju  geroinnen  unb  bie 
^alblieiten  in  ber  bogmatifc^en  33egrünbung  be§  JauffaframentS, 
bie  ju  fonftatieren  roaren  unb  oon  benen  übrigens  auc^  fog.  mo» 
berne  2%eologen  ni^t  frei  ju  fprec^en  fmb,  ju  überroinben.  9Wan 
möd)te  üermuten,  ba|  ein  oöflig  rabifale§  ©d)tu§ergebni§  bie  not» 
roenbige  golge  ber  oorangegangenen  Äritit  fei,  baß  atte§  auf  ein 
rfictftc^t§(ofe§  preisgeben  beffen  l^inauSläuft,  roaS  im  lut^erif^en 
aSerftänbniS  be§  ®^riftentumS  ^eimatSrec^t  geroonnen  l^at.  ^zhtv, 
ber  für  eine  fpejififc^  bogmatifd^e  338ürbigung  be§  2:auffaframentS 
meint  eintreten  ju  muffen,  roirb  geneigt  fein,  einen  folc^en  SBor» 
rourf  ju  ergeben  unb  bamit  s^gtci^  ba§  ric^tenbe  Urteil  ju  fäßen, 
Sin  folc^eS  Urteil  mürbe  aber  boc^,  falls  eS  gefprod^en  mürbe, 
oerfrü^t  fein  unb  nic^t  auSrei^enb  fubftanjiiert  roerben  fönnen. 
@S  barf  oielme^r  für  bie  in  ben  tritif^en  Semertungen  nieber* 
gelegten  pofttioen  bogmatifc^en  2lnfci^auungen  eine  ©runbtenbeng 
ber  lut^crif^en  2:aufle^re  in  3lnfpruc^  genommen  mcrben.  Mer» 
bingS  nic^t  in  ber  SBBeife,  ba§  man  einfai^  eine  beftimmte  ®e* 
banfenrei^e  ^erauSfc^älte,  il^r  baS  ^räbitat  beS  genuin  fiut^eri» 
fc^en  gäbe  unb  nun  mit  lut^erifc^en  ^rätenfionen  bie  eigene 
Xl^eorie  entroirfelte.  @in  berartigeS  SSerfa^ren  mürbe  auf  ©elbft« 
täufc^ung  hinausführen,  ben  ^iftorifc^en  Sai^oer^alt  oerfi^teiem 
unb  bie  SrtenntniS  oerbunfeln,  ba§  bie  bogmatif(^e  Slrbeit  in 
i^rer  Stetation  auf  bie  gefc^ic^tlid^e  SBergangen^eit  ftetS,  um  eS 
furj  JU  fagcn,  fgnt^etifc^en  S^arafter  tragt.  3)iefe  ©c^ranfe  miß 
atfo  beachtet  ober  oielme^r  gegen  alle  SWi^beutungen  unb  falfc^en 
©inglieberungen  oon  oorn^erein  aufgerichtet  fein. 

9Wit  biefem  SSorbe^alt  barf  aber  jeber  aSerfuc^,  als  bie  Äon« 
fequenj  ber  bist)erigen  Srörterungen  bie  reformierte  „Sntteerung" 
ober  „aSerflü^tigung"  beS  2:auffa!ramentS  ^injuftellen,  als  unbe* 


@  ^  e  e  l :  ^ie  Xaufle^re  in  b.  mobemen  pofUiOv  (tttl^er.  ^ogmatif .    493 

grfinbet  jurüdgeiDiefen  werben.  9ln  ber  pulgär  reformierten  lauf» 
anfc^auung  ift  grabe  bieS  ju  beanftanben,  ba§  fte  bie  Saufe  bIo| 
al§  einen  äu^erli^en  33rauc^,  al§  ein  äu§ere§  3^^^^"  anfielt, 
eine  3Bttrbigung  ber  Saufe  aU  eines  ©nabenmittetS  überhaupt 
nic^t  ju  pnben  permag.  S)a§  ^ei^t  aber :  bie  reformierte  3lnfci^au* 
ung  ignoriert  grabe  baS  SWoment,  ba§  mir  alsf  mefentüc^eS  ÜHo* 
ment  meinten  ^erauSfteCen  ju  muffen,  bie  Beurteilung  ber  Saufe 
als  eines  verbum  promissionis.  Sarum  genügt  eS  feineSmegS^ 
bie  Saufe  blo§  ftgnifitatio  ju  oerfte^en;  man  mu§  oielme^r  mit 
ben  alten  ^ogmatifem  für  bie  Saufe  als  ©efamt^anblung^  bog«' 
matifc^  angefe^en,  baS  ^räbifat  beS  Sj^ibitioen  magren.  ®ie 
3)ogmatif  ift,  gemä§  bem,  waS  über  bie  9latur  beS  bogmatifc^en 
Urteils  ausgeführt  mar,  nid^t  in  ber  fiage,  eine  anbere  Stellung 
jur  Saufe  einjune^men.  ©ie  fönnte  bieS  nur,  menn  fie  barauf 
oerji^ten  wollte,  bie  Saufe  als  rebenben  Sltt  aufjufaffen.  ®ann 
mürbe  fte  aber  bem  fc^on  o^ne  bogmatifc^e  (Stellungnahme  er» 
fennbaren  tatfae^lic^en  Befunb  beffen,  maS  als  Saufe  bejeic^net 
fein  mill,  nic^t  gerecht.  Sine  Slenberung  ber  foeben  geforberten 
bogmatifc^en  Stellungnahme  jur  Saufe  mürbe  notmenbig  bie  ge* 
f^ic^tli^e  Saufe,  bie  Saufe  alfo,  roie  fie  mirflic^  ftattfinbet,  igno« 
ricren  unb  als  Saufe  entroeber  einen  Slft  d^araf terifieren ,  ber 
oöllig  unoerftänbli^  ift  ober  bem  überl^aupt  jebe  93ejie^ung  auf 
baS  |J)eil  fe^lt.  Qn  beiben  fällen  mügte  bie  2)ogmatit  barauf 
perji^ten,  oon  ber  Saufe  9loti)  ju  nel^men;  in  beiben  Italien 
märe  aber  au^  noc^  gar  nic^t  an  bie  Saufe  gebac^t,  mie  fte  tat^ 
fäc^lic^  geübt  mirb,  ober  genauer,  mie  fte  in  gefc^ic^tli^er  ©eftalt 
oorliegt  unb  als  c^riftli^e  Saufe  in  ber  lut^erifc^en  S^riften^eit 
fi^  barftcllt.  aSergegenmärtigt  man  ftc^  biefe,  fo  mirb  man  ftetS 
einem  in  äBorte  gefaxten  Brauch  gegenübergefteQt.  2)a  aber  in 
ber  ©ppre  einer  geiftigen  Steligion  93rciuc^e  als  fol^e  nichts  be* 
beuten,  fonbem  nur  in  i^rer  SBerbinbung  mit  bem  äBort,  b.  \). 
alfo  als  finnoolle  93räuc^e,  fo  ift  baS  3Bort  ber  9len)  ber  Sauf* 
^anblung.  SSSie  anf^auli^  bieS  SBort  ift,  baS  ift  junäc^ft  gleich* 
gültig,  baS  ift  eine  grage,  bie  überhaupt  junäc^ft  nid^t  intereffiert, 
unb  ob  fte  bogmatif^  interefftert,  ift  auc^  ^ier  ni(^t  ju  miffen 
nötig.    3)aS  ©ntfd^eibenbe  ift   oielme^r  bieS,  ba|  baS  9B3ort,  fo 


494    ©  d^  e  e  1 :  3)ic  2:aufle^rc  in  b.  mobcmcn  poritto.,  lutl|cr.  Dogntotit 

mit  unb  bei  bcm  9D3affer  ift,  bic  bcftimmcnbc  ©tcHung  bcfleibet. 
3)ann  l^ängt  aber  ba§  bogmatifc^c  Urteit  über  bie  Jaufe  oon  bem 
bogmatifc^en  Urteil  über  ba§  938ort  ab.  9Mit  anbcren  9D3orten: 
man  fann  bogmatifc^  jur  Jaufe  nur  ©teCung  nehmen,  inbem  man 
fie  ate  verbum  promissionis  ju  oerfte^en  fu^t.  Q\t  fie  aber 
verbum  promissionis,  bann  mu§  il^r  ej^ibitioer  (S^arafter  bei^ 
gemeffen  merben.  3)a|  fie  verbum  promissionis  ift,  ergibt  ftd^ 
au§  bem  3ufammen^ang  be§  3n^alt§  be§  SaufmortS  mit  bem 
aSer^eigungSmort  überhaupt  unb  einer  barauS  refultierenben  ©in« 
orbnung  in  bie  a3ebingungen ,  unter  benen  überl^aupt  ein  SQ8ort 
^eiI§mort  ift.  2)arau§  ergibt  fxc^  freiließ  auc^  beö  meiteren,  ba§ 
ber  2:aufe  fein  befonberer  ejl^ibitioer  ®^arafter  jujuroeifen  ift, 
ba|  fie  nur  in  bemfelben  ©inn  aU  ej^ibitit)  ju  gelten  ^at,  mie 
bie  2)ogmati!  bie§  oom  SBort  überhaupt  au^jufagen  imftanbe  ift. 
3)er  IJe^ler  ber  alten  3)ogmatif  mar  e^,  tro^  genereller  Sinorb* 
nung  be§  2:auffa!rament§  unter  ben  93egriff  be§  SEBorteS  ben  ey» 
^ibitioen  (J^arafter  be§  ©aframent§  bei  gleid^jeitiger  Sorferung 
ber  93erbinbung  oon  ®eift  unb  S^aufmort  boc^  energifc^er  unb 
ejfluftoer  ju  faffen,  al§  bie§  in  ber  SBetra^tung  über  ba§  SBort 
al§  ©nabenmittel  gefc^a^,  unb  bem  entfprec^enb  bann  für  bie  nac^ 
einer  bur^  ba§  Sßort  fc^le^t^in  erfolgten  Se!e^rung  unb  SBieber- 
geburt  ooÜjogene  Saufe  bogmatifc^  noc^  eine  befonbere  SEBirtung 
JU  oinbijiercn.  9D3enn  barum  aud^  mit  ber  alten  Dogmatil  ber 
ey^ibitioe  ®^arafter  be§  Jauffatramentö  feftge^alten  merben  foB, 
fo  gilt  e§  boc^,  bie  bogmatifc^  notmenbigc  Sluanjierung  biefe§ 
®ebanten§  ju  beachten,  um  nic^t  roiebcrum  in  ben  93annfrei§  be§ 
faframentalen  aKotio§  ju  geraten.  3)ie  Saufe  ift  nic^t  ein  blo^e§ 
Su^ertic^eg  Q^'\ö)tx\,  fonbern  ein  mirffameö  ©nabenmittel,  aber  fie 
ift  mirtfame§  ©nabenmittel  in  gauj  bemfelben  ©inn,  mie  bieS 
oom  SBort  bogmatifc^  au§gefagt  merben  barf. 

Ste^t  bie§  feft,  fo  tann  man  bie  Saufe  bogmatifc^  nur  als 
ba§  93ab  ber  SDBiebergeburt  bejeic^nen.  ^ebe  anberc  Definition 
mürbe  bie  bogmatifc^e  aSebeutung  ber  Saufe  nic^t  blog  rcbujieren, 
fonbern  überhaupt  eine  bogmatifc^e  aSetrac^tung  ber  Saufe  un» 
möglich  machen.  @S  mar  beffen  gebaut,  ba§  ber  ©ogmatit  bie 
Slufgabe  jufäHt,  bie  93ebingungen  feftjuftellen,   unter  benen  ber 


@  ^  e  c  1 :  5)ie  a:auflc5re  in  b.  mobemcn  pofitit).,  lut^cr.  ^oßniati!.    495 

Segriff  cyifticrt.  3)ie  ©ogmatit  ^at  i^rc  Analogie  nirf)t  an  einer 
pfg^ogenetif^en  SBiffenfd^aft,  fonbern  an  ber  Sogit  unb  ©rfennt* 
ni^t^corie.  ©ott  nun  bie  2:aufe  einem  bogmatifc^en  Urteit  unter* 
ftellt  werben,  fo  barf  junäcftft  nic^t  eine  unterf^iebUrfie  Slntroort 
gegeben  werben  auf  bie  %xaQt,  roaS  bie  S^aufe  roirte,  unb  e§  barf 
anbererfeitö  nur  eine  Slntroort  al§  richtig  gelten,  bie  SlHgemein* 
gültigfeit  beanfpruc^en  tann,  eine  3ingemeingütttgteit,  bie  felbft* 
oerftänblic^  il^r  fpejififc^eS  ©epräge  erhält  burc^  bie  allgemeinen 
93ebingungen,  unter  benen  überhaupt  nur  bogmatifc^e  SBerte  be« 
fielen. 

3)lan  barf  atfo  junäc^ft  nic^t  bifferenjieren ;  benn  jeber  Sßer»' 
fud^  einer  ©ifferenjierung  würbe  fic^  in  ba§  ©ebiet  ber  Smpirie 
unb  ber  fontreten  ©ntroidlung  be§  Seelenleben^  begeben  unb  ju^ 
gleich  bie  Sinl^eitli^teit  unb  @ef(^loffen^eit  be§  fgftematifc^en  Qn^ 
fammen^ang§  auflöfen.  3)iefer  5^^ler  roirb  bort  gemalt,  wo  man 
jmifc^en  ^inbertaufe  unb  ©rmac^fenentaufe  unterfc^eibet.  9Benn 
©aul  feine  ©c^rift  über  bie  2:aufe  betitelt:  ^\t  bie  Äinbertaufe 
bie  3Gßicbergeburt?  fo  mac^t  er  fic^  einer  bogmatif^  falfc^en  5^age* 
ftellung  fc^ulbig.  ®enn  nun  fte^t  er  fic^  oeranla^t,  roo^l  bie 
2:aufe,  aber  nid^t  bie  Äinbertaufe  al§  baS  33ab  ber  SBiebergeburt 
ju  befinieren,  unb  atfo  oon  bemfelben  ©atrament  jmei  bur^auS 
oerfc^iebene  bogmatifc^e  3lus;fagen  ju  machen.  93effcr  fte^t  e§ 
aurf)  nic^t  mit  ber  weithin  üblid)en  bogmatifc^en  ^Rechtfertigung 
ber  Sinbertaufe  burc^  ben  ©ebanten  ber  gratia  praeveniens. 
3)enn  einmal  roei^  bie  ®ogmatif  nur  oon  einer  mirtfamen  gratia 
praeveniens  }u  fpre^en,  ba  bie  SSorauSfe^ung  einer  bogmatifc^en 
2lu§fagc  über  bie  gratia  praeveniens  bie  ertannte  SSirflic^feit  ber 
juoorfommenben  ©nabe  ift.  2lnbererfeit§  tann  bie  3)ogmatif  bie 
juoorfommenbe  ®nabe  nic^t  al§  eine  2:eiterfc^einung  be§  |)eilS 
betrachten,  bie  nun  burc^  eine  anbere  ©nabenanerbietung  unb  ©na- 
benmitteitung  ergänjt  merben  mü^te,  fonbern  nur  al§  ba§  ganje 
^eil  ober  bie  9JJitteitung  be§  ganjen  ^eil§gut§  unter  bem  befon* 
beren  religiöfen  ©efic^t^puntt  be§  3uDorfommen§  ber  fiiebe  ©otteö, 
ober,  ma^  ba^felbe  ift,  unter  bem  ©eftc^t^puntt  ber  Slble^nung 
be§  a8erbienftanfpru^§  ©Ott  gegenüber.  ®ie  ©nabe  ©otteS  ift 
immer  bie  ganje  ©nabe  ©otte§.    ©ine  Seilgnabe  fennt  bie  ®og=» 


496    @  ^  e  e  l :  5)ie  2:auflc^re  in  b.  mobemcn  pofltiUv  lut^er.  5)oömatit 

matif  nic^t,  ipcil  fic  ni^t  bcn  ^rojcß  verfolgen  faitn^  unter  bem 
allmä^Uc^  bcm  rcflcttierenbcn  ©crou^tfcin  bie  cinjelnen  3Womentc 
in  i^rer  Scbcutung  fic^  entfalten  ober  in  i^rer  i>a^  ©efamtleben 
immer  fräftigcr  in  Slnfpruc^  ne^menben  aWotioation  mirtfam  mer* 
ben;  fonbern  mit  ber  ®rtenntni§,  ba§  e§  eine  ®nabe  ®otte§  gibt, 
t)at  fie  aud)  bie  ganje  ©nabe.  ©ie  mürbe  fonft  anä)  nie  norma* 
tioe  Srfenntniffe  geminnen,  fonbern  nur  empirifc^e  9Ma&ftäbe, 
unb  barum  jugleic^  eine  ftete  Unfic^er^eit  ^infic^tlic^  ber  Slbgrenjung 
unb  geftfteÜung  be§  3Wa^ftabe§  mit  in  ben  Kauf  nehmen  muffen, 
^eiteunfid^er^cit  märe  bann  bie  le^te  g^tge  einer  fotc^en  falfd^en 
^ragefteUung.  ®§  mu^  bemjufolge  bie  ooCe  bogmatifc^e  33etrac^« 
tung  auc^  im  ^inblirf  auf  bie  ^bee  ber  gratia  praeveniens  ge* 
übt  merben,  miU  man  ni^t  bem  ^gperp^gpfd^en,  foteriologi|c^en 
ober  fat^olifc^en  aSerftänbni§  ber  ®nabe  mieber  oerfaßen.  9Äeint 
man  alfo  mit  bem  ©ebanten  ber  gratia  praeveniens  bie  ftinber* 
taufe  bogmatifc^  rechtfertigen  unb  ben  Sc^mierigtciten  au^  bem 
aOBege  ge^en  ju  fönnen,  bie  bie  2)efinition  ber  Kinbertaufe  afö 
be§  @aframent§  ber  3Biebergeburt  bereitet,  fo  ^at  man  bie  ©c^mie» 
rigfeiten  nic^t  befeitigt,  fonbern  nur  oerfc^Ieiert.  ®§  befielen  tat^ 
fä^li^  auc^  bei  biefer  ^Rechtfertigung  ganj  biefelben  Schmierig* 
feiten,  mie  bei  bem  SSerfuc^,  bie  Äinbertaufe  al§  bai  ©atrament 
ber  9Biebergeburt  ju  oerfte^en.  Unb  man  ^at  no^  bagu  ben 
f^ftematifc^en  5^^Ier  gemacht,  oor  bem  bie  le^te  Definition  ocr- 
fd^ont  bleibt,  ba§  man  bie  @in^eit(icft!eit  be§  fgftematifc^en  3"= 
fammen^ang§  gefprengt  unb  in  bie  ©p^are  pifteogenetif^er  ®r* 
mägungen  fic^  begeben  ^at,  alfo  bie  c^arafteriftifc^e  ©igenart  be§ 
bogmatif^en  Urteile  ni^t  berürffic^tigt,  unb  barum  auc^  au§  bie- 
fem  ©runbe  eine  bogmatifc^e  9ie^tfertigung  nic^t  gegeben  ^at. 
3QBenn  alfo  bie  5)ogmatit  auf  inbioibuell  pfpc^otogifc^e  unb  pfqc^o» 
genetifdje  S^agen  fic^  nic^t  einjutaffcn  ^at,  mu§  fie  eine  bogma* 
tifc^  abgejmerfte  Sifferenjierung,  mie  fie  ber  Unterfd)eibung  ber 
Äinbertaufe  unb  Srmac^fencntaufe  jugrunbe  liegt,  al§  bogmatifc^ 
oerfe^lt  jurürfmeifen,  fic  al§  eine  ^Betrachtung  anfprec^en,  bie  eine 
©ebiet^oermengung  unternimmt  unb  ber  9leligion  nid)t  minber 
mie  ber  ®ogmatit  gefä^rlic^  mirb,  o^ne  bie  ^inbemiffe  befeitigt 
ju  ^aben,  bie  man  au§  bem  SQBege  räumen  wollte. 


@  d^  c  e  I :  ^ie  a:aufle^re  in  b.  mobemen  poptit).,  lut^cr.  5)oginotit    497 

^ft  alfo  bic  ©iffcrengicrung  unmöglich,  fo  fann  man  bic 
Saufe  nur  a(§  ba§  Saframcnt  bcr  SBicbergcburt  bcjeic^ncn.  3)a* 
mit  wirb  man  bcr  götbcrung  gerecht,  bie  au§  bcr  Statur  be§ 
bogmatif^cu  Urteilt  ftc^  ergibt.  3)a8  bogmatifrfie  Urteil  ^atte  e§ 
nur  mit  ben  tonftantcn,  immer  gültigen  SWcrtmalen  ju  tun.  ®a§ 
ift  nun  bie  Eigenart  be§  @nabenmittel§  be§  3Bort§,  ba§  e§  Seben 
ücrlei^t,  üom  2:obe  jum  fieben  fü^rt.  3)er  3Beg,  auf  bcm  bieg 
erreicht  mirb,  ift  naturgemäß  oerf trieben.  9iatürlic^e  9lnlage, 
Temperament,  ^erfunft,  foiialeö  ÜWilieu,  ©ruft  bcr  eigenen  ©e«' 
fmnung  unb  bcr  Umgebung,  unb  mag  bergleic^en  met)r  ift,  aUesf 
bieg  mirb  ben  ©ntmidtlungggang  becinfluffen  unb  geftaltcn.  2lber 
bag  entfd)eibenbe  religiöfe  unb  bogmatif^e  Snoment  bleibt  überall 
bagfelbe:  göttli^cg  Seben  oerlei^t  nur  bag  SEBort  ©otteg;  b.  ^. 
nur  bem  ffiJorte  ©otteg  ift  eg  eigcntümli^,  eine  ganj  beftimmte^ 
auf  bie  ©igenart  beg  3Borteg  jurüctge^enbc  Sebengric^tung  unb 
SBiUengftclIung  ju  erjeugen.  3)ag  ift  aber  gemeint,  menn  man 
oon  ber  roiebergebärenben  ^raft  beg  SBortg  unb  t)on  ber  SQBieber* 
geburt  fpric^t.  3)ie  ®ogmatit  ^at  nun  bie  c^aratteriftifc^en  9Wcrf> 
male  biefer  SBiebergeburt  ^eraugjufteUen,  alfo  bie  SRertmale,  bie 
bem  33egriffe  int)ärcnt  ftnb,  o^ne  bie  ber  93egriff  nic^t  gebadet 
merbcn  fann.  3)cr  bogmatif^e  33egriff  ber  SQBiebergeburt  becft 
ftc^  bemnac^  nic^t  mit  ber  empirif^en  2Biebergeburt ;  aber  bie 
empirifdjc  SSSiebergeburt  finbet  an  bem  bogmatifc^en  93egriff 
i^re  9lorm.  ^^at  nun  aber  bag  SBort  ©otteg  feine  bogmatifc^e 
9Bürbigung  in  bem  ©ebanten,  baj3  eg  SQBiebergeburt  mirft  ober 
göttlic^eg  Seben  unb  ©eligteit  oerlei^t,  fo  fann  auc^  bie  2:aufe 
nur  alg  bag  93ab  ber  SBiebergeburt  bejeic^net  merben.  3)enn  bie 
Saufe  mar  ja  ein  in  ©otteg  333ort  gefaßter  93rau^.  Unter  bem 
©efx^tgpuntt  beg  ©nabenmittelg  betrautet  fann  barum  oon  ber 
Saufe  nur  gelten,  roa^  oom  3Borte  gilt,  muß  aber  auc^  oon  ber 
Saufe  alleg  bag  gelten,  mag  oom  333orte  gilt.  SWan  minbert  i^re 
bogmatifc^e  ©ebeutung,  menn  man  fie  nur  alg  bag  ©aframent 
ber  aSerufung  ober  ber  Slnmartfc^aft  auf  bag  ^eil  befiniert.  SWan 
oerläßt  bie  @pt)äre  beg  bogmatifc^en  Urteilg,  wenn  man  auf  bie 
SBirfung,  3)le^rung  unb  SSergemifferung  beg  ©laubeng  ^inmeift. 
3)enn  nic^t  mit  quantitatioen,  fonbem  mit   qualitatioen  ©rößen 


498    @  (^  c  c  I :  %it  2:auflc^re  in  b.  mobcmcn  pofitiOv  Iutl)er.  5)o0matif. 

\)at  c§  bie  Sogmatit  ju  tun.  2tuc^  roürbe  man  übcrfc^cn,  ba§ 
ba§  SBac^Stum  be§  ©tauben^  —  fo  toenig  bieg  ju  befc^rcibcn 
eine  Slufgabe  ber  ®ogmatif  ift  —  mannigfa^  bifferenjiert  jur 
©rfc^einung  tommt.  Unb  n?enn  man  als  ein  befonbere§  bogma« 
tifc^e§  9JJcrtmaI  ber  Saufe  eine  fpejieüe  SBergeroifferung  bc§  ©lau^^ 
ben§  behauptet,  mürbe  man  bie  roiebergebärenbe  Kraft  be§  333ort§ 
unb  bie  9Birfung  beS  @lauben§  burc^  baS  SQBort  in  grage  fteUen. 
3)ie  2:aufe  ift  bemnac^  ein  in  bem  nä^er  umgrenjten  ©inn  ju 
oerfte^enbeS  ey^ibitioeS  ©nabenmittel,  unb  fie  ift  aU  folc^eS  ba§ 
33ab  ber  3Biebergeburt.  ©ine  anbere  bogmatifc^e  SteUungna^me 
}ur  Saufe  ift  nid^t  möglic^. 

Sefte^t  nun  aber  nic^t  ein  SBiberfpruc^  barin,  ba§  bem 
SBorte,  aber  auc^  ber  laufe  bie  3Birfung  ber  SBiebergeburt  ju» 
gemiefen  mirb?  ^optioe  ©ogmatifer,  bie  nic^t  ber  SBerfuc^ung 
erlegen  waren,  ba§  (Satrament  al§  etmaS  93efonbere§  sui  generis, 
oom  9Bort  feinem  SBefen  unb  feiner  SBirfung  nac^  ooüftänbig 
aSerfc^iebeneS  ju  betrachten,  bie  üielme^r  baS  ec^t  reformatorifcfte 
aWotio  ber  bie  ©nabe  oermittelnben  93ebeutung  be§  SD3ort§  unb 
ber  Korrelation  be§  SD3ort§  auf  ben  ©lauben  fic^  angeeignet  Ratten, 
maren  boc^  nic^t  in  ber  Sage,  eine  fie  felbft  befriebigenbe  2lnt» 
mort  auf  bie  S^^age  nac^  bem  9Ser^ältniö  oon  Saufmirtung  unb 
SBortroirfung  ju  geben.  3)a§  2Bort  mürbe  al§  ber  ©ame  ber 
SCBiebergeburt  gemertet  unb  man  magte  fogar  eine  aSergemiffcrung 
burc^  baS  SBort  fdilec^t^in  ju  bel^aupten.  3)ann  f^ien  baS  Sauf* 
fatrament  überflüffig  ju  mcrben.  3)a  aber  eine  folc^e  Äonfequenj 
nic^t  jugegeben  roerben  burfte,  mu^tc  man  mieber  bie  ©puren  ber 
alten  3)ogmatiter  auffuc^en  unb  eine  befonbere,  nic^t  nä^er  ju 
befc^reibcnbe  äBirtung  ber  Saufapptitation  tonftatieren ,  ober  bie 
SCBiebergeburt  al§  ba§  ^robuft  ber  ^rebigt  unb  ber  Saufe  ^in» 
[teilen,  ober  aber  einen  energif^en  Schnitt  tun  unb  ba§  ©c^mer* 
gewicht  in  bie  Saufe  oerlegen.  S)oc^  feiner  biefer  äöege  ^atte  fid) 
aU  gangbar  erroiefen,  unb  nun  fte^cn  mir  felbft  offenbar  oor  ber- 
felben  ©arfgaffe. 

3lber  e§  fc^cint  boc^  nur  fo.  S)cr  ©c^ein  fann  nur  entftel^en, 
menn  man  unberürffic^tigt  lä^t,  ba§  bie  3)ogmatif  übert)aupt  nic^t 
fic^  auf  bie  ^^c^age  nac^  bem  „SBann"  unb  „2Bie"  ber  ©ntfte^ung 


@  ^  e  e  r :  ^e  Xauflel^re  in  b.  mobernen  pofttit).,  lut^er.  Dognmtit    499 

bcr  SQBicbcrgcburt  cinjulaffen  ^at.  SBer  eine  SRoIlcnoertcilung 
jiDtfc^cn  bem  fog.  generellen  SBort  unb  ber  Saufe  Dorjune^men 
beginnt,  i^at  bereite  ba§  ©ebiet  ber  bogmatifdjen  Slrbeit  oerlaffen 
unb  ftc^  in  bie  ©pl^äre  ber  religionSpfgc^ologifc^en  ®mpirie  be^ 
geben,  bie  al§  empirifc^e  ftet§  nur  inbioibueÜ  gettenbe  SSorftel* 
lungen  übermitteln  !ann.  2)ie  Saufe  fann  at§  ba§  ©nabcnmittet 
be§  aCBort^  bie  SBiebergeburt  roirfen,  unb  ba§  SBort  !ann  in  ganj 
bemfelben  Umfange  unb  in  ganj  berfelben  SBeife  bie  SBiebergeburt 
mirten.  Ob  im  fontreten  ©injelfall  ba§  SQBort  ober  bie  Saufe 
biefe  SCBirfung  ausübt,  ba§  ju  entfc^eibcn  ift  bie  ®ogmatit  über*^ 
^aupt  nid)t  in  ber  £age,  bie  ja  nur  bie  bogmatifc^e  ^ebeutung 
be§  93egriff§,  nic^t  aber  beffen  (Stellung  in  ber  tontreten  inbioi* 
bueHen  3Birflic^teit  ju  unterfuc^en  ^at. 

2lber  ift  man  mit  biefer  ©rflärung  roirtlic^  au§  ber  ©ad* 
gaffe  ^erauSgetommen,  in  bie  auc^  mir  ju  geraten  fc^ienen? 
aWü^te  nun  nic^t  entmeber  ba^  SEBort  ober  bie  Saufe  für  über^ 
flüffig  ertlärt  merben?  ®in  folc^er  ®inmanb  märe  begreiflich; 
^at  boc^  bie  trabitioneHe  bogmatifc^e  Erörterung  be§  Saufproblem§ 
nie  bie  bogmatifc^e  Betrachtung  oon  ber  empirif^en  unb  religion§^ 
pfgc^ologifc^en  reinlich  gefonbcrt,  unb  alfo  3)enfgemo^n^eiten  er* 
jeugt,  bie  fc^mer  ju  überminben  finb.  Slber  e$  lä^t  fic^  boc^  bie 
Unjulängli^teit  biefe§  ®inmanbe§  nac^meifen.  ®§  mürbe  nämlici) 
ein  folc^er  6inmanb  —  oorau^gefe^t  einmal,  i>Q^  er  fic^  mit  ber 
Statur  ber  bogmatifc^en  3lrbeit  ocrtrüge  —  notmenbig  baju  an^^ 
leiten,  auc^  einer  bogmatifc^en  2)ifferenjierung  ber  generellen  2Bort* 
oertünbigung  nac^juge^en.  SBenn  bie  S^efe  gilt,  bap  ba§  3Bort 
bie  SQäiebergeburt  mirft,  unb  menn  auf  grunb  biefer  S^efe  nun 
bie  Saufe  für  überflüffig  ertlärt  merben  foll,  fo  mü^te  man  bie 
grage  [teilen,  mel^e  ^^rm  ber  SBortoertünbigung  benn  bie  äBie« 
bergeburt  gemtrtt  ^at  unb,  fobalb  biefe  5rage  eine  Slntmort  ge* 
funben,  jeöe  anbere  3orm  ber  SBortoertünbigung  für  überflüffig 
ertlären.  ^a  nod)  me^r;  bie  letzte  Äonfequenj  biefer  5^age* 
ftellung  märe  bie  ©rflärung,  ba§  bem  ^3Biebergeborenen"  über« 
^aupt  ni^t  me^r  ba^  aBort  oertünbigt  merben  muffe.  2)aig  märe 
nun  natürlich  praftifc^  unburc^fü^rbar  unb  in  religiöfer  Sejie^ung 
pemijiö^,  ba  man  ftatt  auf  ©otte^  ©nabe  fi^  ju  oerlaffen,  fub^ 


500    @  c^  e  e  I :  ^ie  ^aufle^re  in  b.  mobenten  pofitit).,  lutl^er.  ^ogmotif. 

jcftioer  SSorgängc  fic^  ju  rül^mcn  angeleitet  würbe.  Unb  c§  roürbe 
auc^  au§  ber  bogmatifc^en  93ebeutung  beS  9Bort§  ftc^  nic^t  be* 
grünben  laffcn.  ®enn  roenn  ba§  SQ8ort  bic  SBiebergeburt  roirft, 
fo  xo'xxtt  e§  ftet§  unb  tann  e§  ftet§  nur  ba§  roirten,  roaö  ^fn^alt 
biefe§  93egriff§  ift;  e§  lüirtt  atfo-bie  SBiebergeburt  nid^t  al§  einen 
momentanen  2l!t,  um  nun  h^n  SWcnfc^en  fortan  fid^  felbft  ju 
überlaffen,  e§  mirft  fie  oielme^r  al^  eine  ftet§  erneute,  immer« 
roä^renb  erfotgenbe  SBiebergeburt.  2)iefer  bogmatifc^  notmenbigen 
S^efe  entfpric^t  an6)  auf§  genauefte  bie  9latur  be^  SEBiUenS.  3)ie 
miebergebärenbe  Kraft  be§  3Bort§  ift  bemnac^  ibentifc^  mit  ber 
bie  SSStebergeburt  er^aftenben,  Sonft  !önnte  ba^  SBort  überhaupt 
nic^t  bie  äßiebergeburt  mirten.  3)amit  ift  nid^t  in  ben  93egriff 
ber  SBiebergeburt  etma^  qualitatio  9leue§  aufgenommen.  SJa^ 
jur  93eurteilung  gefteßt  ift,  ift  immer  nur  bie  SBiebergeburt.  9tur 
bie  53ejie^ung§linien  fmb  anbere.  3)a§  eine  9Wal  ^anbelt  eS  fic^ 
um  prinjipieüe,  abfolute  ©rroägungen,  ba§  anbere  9WaI  um  rela* 
tioe.  3lber  bie  relatioen  erma^fen  au§  ben  prinsipiellen,  bringen 
alfo  etmaS  93efonberei§,  ®igenartige§  nic^t  neu  ^inju  unb  fönnen 
barum  jeberäeit  mit  ber  prinjipießen  (Srmägung  oertnüpft  merben, 
®§  ift,  prinjipiett  betrachtet,  immer  nur  bie  SBiebergeburt,  mit 
ber  mir  e§  ju  tun  ^aben.  ®ann  aber  er^eßt,  ba§  man  meber 
ben  93rauc^  ber  2:aufe,  noc^  bie  oerfd^iebenen  gormen  ber  SBortoer* 
fünbigung  für  überflüffig  ju  erflären  au§  bogmatif^en  ©rünben 
ein  SRec^t  ^at.  @o  tann  bie  bogmatif^e  2;^efe,  ba§  baS  SBort 
bie  SBiebergeburt  oertei^t,  unb  bie  bogmatifc^e  2:^efe,  ba^  bie 
Saufe  bie  SBiebergeburt  oerlei^t,  nic^t  ©c^mierigfeiten  ber  oben 
c^ara!terifierten  2lrt  begrünben.  3)a§  märe  nur  möglich,  menn 
ber  bogmatifc^e  ©egriff  ber  SBiebergeburt  preisgegeben  mürbe. 
Ommer  nur  ift  e§  t)a^  SBort,  roelc^e§  bie  SBiebergeburt  mirtt; 
mann  aber  unb  in  roeld^er  gorm  ber  Sarbietung,  fann  bie  ®og* 
matit  nic^t  fagen.  @o  menig  man  aber  eine  ftetige  SBieber^olung 
ber  SBortoertünbigung  für  überpüffig  ^ält,  obwohl  bic  „erftc 
SBiebergeburt"  gemirft  fein  fönnte,  fo  menig  barf  man  auf  grunb 
ber  2:t)efe,  ba&  ba§  SBort  ba§  9Äittet  ber  SBiebergeburt  ift,  bie 
2:aufe  für  unnötig  erMären.  2)enn  auc^  ^ier  mirft  ba§  SBort  unb 
auc^  ^ier  liegen  bogmatif^  bie  ^inge  genau  ebenfo,  mie  bei  ber 


@  (6  c  c  l :  S)ic  ^auflc^re  in  b.  mobcmcn  pofltio.,  Iutl)er.  5)o0matif.    601 

aUgemeinen  SBortoerfünbtgung.  SBtQ  unb  tann  man  bemna^  bie 
eine  Sonfequenj  ntc^t  für  juläffig  erMären,  borf  man  auc^  bie 
anbere  Sonfequenj  nic^t  gießen,  unb  bie  Uebung  ber  2:aufe  für 
nu^lo§  ober  unbegrünbet  Ratten,  ©ie  ift  ebcnfomenig  überf[üffig, 
mie  bie  aQgemeine  Iffiortoertünbigung.  Unb  fo  menig  man  im 
^inblirf  auf  bie  tonfrete  SlBirtlic^feit  jeberjeit  eine  ^eilfame  aCBir« 
tung  ber  Sßortoerfünbigung  behaupten  tann,  ebenfomenig  ift  man 
oerpflic^tet,  bie  Sauf  Übung  abhängig  ju  machen  oon  ber  gorbe* 
rung  einer  notroenbigen  l^eilfamen  SBirfung.  3Wan  ^at  bogma* 
tifc^  angefe^en,  gar  fein  Siecht,  für  bie  Xaufübung  eine  größere 
Sicferoe  ju  beanfpruc^en  al§  für  bie  SQäortoertünbigung.  2Bo  bieS 
gefc^ie^t  mirft  immer  noc^  ein  uneoangetifc^er  ©aframent^begriff 
nac^;  man  mürbe  bann  fc^lie^lid^  auf  33a^nen  gebrangt,  bie  eine 
irreftftibte  SlBirfung  ber  S^aufe  »erlangen.  3Äan  mu§  bemnac^ 
bei  ben  einfachen  bogmatifc^en  SCuSfagen  fte^en  bleiben  unb  fic^ 
ba§  bogmatifc^e  ^onjept  ni^t  burc^  @eftc^t§puntte  oerbaU^omi« 
fieren  laffen,  bie  einer  unbogmatif^en  Erörterung  entnommen  fmb^ 
fa^mibrig  in  einer  bie  bogmatifc^e  Srtenntniig  fcftäbigenben  SSSeife 
SRürffid^t  nehmen  auf  empirif^e,  fontrcte  ©injetfäße^  um  nun  oon 
^icr  aus  jugteic^  ben  reügi6|en  begriff  ber  SBiebergeburt,  ber  in 
fiut^erö  @rMärung  oon  ber  täglichen  3Biebergeburt  feinen  betann« 
teften,  menn  auc^  bogmatif^  nic^t  ganj  präjifen  SluSbrud  gefun^ 
ben  ^at,  Ju  gefä^rben  unb  alfo  oon  einem  geiler  jum  anberen 
geiler  getrieben  ju  werben.  ®8  bleibt  bemjufolge  bei  ber  bog* 
matif^en  2lu§fage,  bag  bie  ins;  2Bort  gefaxte  Saufe  mie  ba§  „aü-- 
gemein"  oertünbigte  äBort  bie  SlBiebergeburt  mirtt  unb  ba^  jeber 
^erfuc^  einer  Sfollenoerteilung  frembe  unbogmatifd^e  ©eftc^tSpunfte 
in  bie  bogmatifc^e  (Erörterung  l^ineintrögt  unb  ju  einer  bogma« 
tifd^en  3)epotenjierung  entmeber  be§  3Bortg  ober  ber  Saufe  unb 
einer  religiös  unerträglichen  SJeränberung  beS  ©egriffS  ber  SlBie* 
bergeburt  fü^rt. 

3lber  mu^  nun  nid^t  mit  bemfelben  Stecht,  mie  bieS  ^inftc^t* 
lic^  ber  SEBortoertünbigung  gilt,  bie  SBieber^olung  ber  Saufe  ge=^ 
forbert  merben?  ^n  ber  Sat,  bie  bogmatif^e  Erörterung  ber 
Saufe  tonnte  teine  ©d^ranten  aufroeifen,  bie  bie  3Bieber^olung 
unmöglich  matten.    Wlan  mü^te,  falls  man  auS  ber  bogmatif^en 


502    @  d^  e  e  I :  ^te  ^Quftef)re  in  b.  mobernen  pofitit).,  (utl^er.  ^ogmotit 

SBürbigung  bcr  2:aufc  eine  folc^e  bie  338ieber]^oIung  au§fci)lie§enbc 
Jolgcruttfl  ableiten  roottte,  bie  grunblegenbe  bogmatifc^e  (Sriennt^ 
m§,  bie  geroonnen  xoax,  preisgeben  unb  entroeber  bie  römifd^e 
Stellung  jur  Saufe  fid)  aneignen  ober  in  bie  93a^nen  be§  neu» 
tutt)erifd)en  Jaufbegriff^  einlenten  ober  jum  minbeften  bie  Saufe 
bogmatifc^  oom  SBort  unterfc^eiben.  3)ann  würben  aber  roieber* 
um  alle  bie  ©c^roierigfeiten  auftauchen,  bie  in  ber  oorangegange* 
nen  Unterfuc^ung  un§  entgegen  getreten  waren.  ®arum  tann 
bogmatifc^  tein  @runb  gefunben  werben,  ber  bie  SBieber^olung 
ber  Saufe  al§  etroa^  Unmöglid)e§  ^injufteUen  geeignet  ift.  3Bie 
man  ba§  2lbenbmat)l  mieber^olt,  bie  2lbfolution  mieber^olt,  bie 
SBortoerfünbigung  n)iebert)olt,  mü^te  man,  bogmatif^  angefe^en, 
auc^  bie  Saufe  mieber^olcn  fönnen.  Sro^bem  märe  eine  SEBieber» 
l^olung  ber  Saufe  jmedmibrig.  3)enn  man  ^at  bie  Saufe  nic^t 
bto^  unter  bem  ©eftc^t^puntt  be^  ®nabenmittel§  ju  betrauten, 
fonbern  äugteic^  al§  ben  Sltt  ber  3lufna^me  in  bie  ©emeinbe  be§ 
^eilö.  3)ie  Saufe  ift  nic^t  blo^  ©nabenmittel,  fonbern  gleirfijeitig 
2lufna^meritu§  in  bie  9leligion§gemeinfc^aft,  bie  fic^  al§  c^riftlic^e 
oon  ieber  anberen  9teligton§gemeinfrf)aft  unterfc^ieben  mei§.  ®er 
Saufe  eignet  alfo  au^  eine  bie  gefd^ic^tlic^e  ©^riftengemeinbe  be* 
grünbenbe,  jufammen^altenbe  unb  oerbreitcrnbe  9Birfung.  Unter 
biefen  Umftänben  fann  natürtid^  an  eine  SBieber^olung  ber  Saufe* 
ni^t  gebac^t  werben.  SBürbe  man  tro^bem  eine  SBieber^olung 
f orbern,  'fo  würbe  man  nur  ju  ertennen  geben,  ba|  man  ben 
2lufna^mcatt  al§  fotc^en  mit  bogmatifc^en  ^ntereffen  betrautet, 
alfo  eine  untereoangelif^e  3luffaffung  oon  ber  ©nabe  ftc^  ju  eigen 
mac^t.  9Man  würbe  bem  SHitu^  al§  9iitu§  lieiteoermittelnbe  93e* 
beutung  juweifen;  man  mü^te  bann  für  ben  '^aü  ber  fünbigen 
®ntwi(flung  ober  einer  eingetretenen  „Sobfünbe"  entweber  eine 
ftetige  SBieber^olung  ber  Saufe  forbcrn  ober  eine  (Srgänjung  ber 
Saufe  burc^  ein  ©aframent  vok  ba§  römifc^e  93u^fatrament. 
93eibe§  täme  fad)lici^  auf  ba§felbe  ^inau^.  ^n  beiben  ^ätt^n 
würbe  bie  ^eil§oermittlung  ni(^t  auf  ba§  9Bort  fc^lec^t^in  jurücf« 
gefül^rt,  fonbern  an  einen  beftjmmten  9litu§  gebunben,  fo  ba§  ber 
9titu§  al§  folrfier  eyliibitioe  SBirtung  erlangte  unb  bamit  jum 
bogmatifd^en  3^"t^wwt  ber  Saufe  gemacht  wäre.    SEBiH  man  aber 


@  d^  c  e  I :  Die  aiauflc^re  in  b.  mobemcn  pofitit).,  lut^cr.  5)ogmotit    503 

biefcn  2Bcg  oermctben  —  unb  ba§  er  ocrmicbcn  rocrbcn  mu§, 
ergibt  fi^  au§  her  bogmatif^en  SBürbigung  bcr  Saufe,  bie  allein 
al§  möglich  ertannt  rourbc  — ,  fo  barf  man  nic^t  au§  bogmati* 
fc^en  ©rünben  bie  Unroieber^olbarteit  ber  Saufe  behaupten,  fon* 
bern  nur  au§  bem  oben  genannten  @eft^t§puntt.  ^t\>t  bogma* 
tife^e  SBürbigung  be§  Slufna^meritug  al§  eine§  9litu§  ber  Sluf» 
na^me  roürbe  fofort  ba§  eoangelifc^e  aSerftänbni§  ber  Saufe  un= 
mögli^  madien  unb  fpejififc^  fatramentale  aOBirtungen  au^löfen, 
um  beim  opus  operatum  }u  enbigen.  9Wan  ^at  alfo  ben  bog* 
matifc^en  9Bert  ber  Saufe  uon  i^rem  fojialen  ober  ©emeinfc^aft 
bilbenben  3B3ert  reinlid^  ju  fonbern,  unb  nur  mit  bem  legten  bie 
Unmicber^olbarteit  ber  Saufe  ju  begrttnben. 

2)arau§  erbeut  bann  freili^,  ba%  bem  ©aframent  ber  Saufe 
befonbere  SWertaale,  d)ara!teriftifc^e  ©igentümlic^teiten  eignen. 
93ei  ber  ®arftellung  ber  Saufle^re  Äd^lerg  mar  eine  Steige  foU 
c^er  3Jlomente  ^erau§ge^oben,  beren  Stid^tigfeit  nic^t  in  3"^ßJf^t 
gejogen  merbcn  burfte.  2lber  biefe  ®rfenntni§  tann  bie  bereite 
entmicfelte  bogmatifc^e  ®rfenntni§  ber  Saufe  al§  eine§  ©naben^ 
mittete  nid^t  umfto^en,  !orrigieren  ober  ergänjen.  ®§  roirb  frei* 
lic^  in  ber  bogmatifc^en  fiiteratur  über  bie  Saufe  immer  mieber 
ber  aSerfu^  gemacht,  biefen  Sefonber^eiten  ber  Saufe  bogmati« 
fc^en  SGBert  jujufprec^en,  2lm  beutlic^ften  tritt  biefer  SBerfu^  an 
ben  Sag  in  ber  (Erörterung  be§  untcrpfanblic^en  6^aratter§  ber 
Saufe.  Steinte  man  boc^  oon  l^ier  auö  überhaupt  bie  bogmatifc^e 
9iec^tfertigung  ber  Saufe  finben  ju  muffen,  o^ne  bie  Ronfequenjcn 
baoon  für  ben  bogmatifc^en  öegriff  be§  3GBort§  ober  ben  bogma» 
tifc^en  ©egriff  be§  ®lauben§  ju  bemerten.  Unb  bafe  bie  Saufe 
unterpfanbUc^en  SQBert  gewinnen  fann,  ober  aU  inbioibueße  ^ei(§^ 
jueignung  erlebt  merben  fann,  ba|  man  auf  fie  jurüctblicten  fann 
al§  ben  93en)ei§  ber  juoorfommenben  Siebe  unfereö  @otte§  unb 
in  biefcm  SRürfblicf  @tauben§fraft  unb  ^uJ^^^^^^t  erlangen  tann, 
ba$  in  ^rage  ju  ftellen  liegt  mir  oöflig  fem.  ®a§  mu^  einem 
jeben  fern  liegen,  ber  ben  3^W9"iff^n  laufest,  bie  bie  Saufe  au§* 
gelöft  ^at  unb  immer  mieber  auf§  neue  au^löft.  ®ie  Saufe  ift, 
fo  oiel  tran!^afte  unb  abergläubifc^e  93orftetlungen  fid^  auc^  mit 
i^r  oerfnüpft  ^aben  mögen,   bo^  ein  md^tiger  ^ebel  d^riftlirfier 


B04    @  d^  c  e  I :  %xt  ^auflc^re  in  b.  mobcmen  pofitiov  lut^er.  S)o0matit 

gtömmigfcit  gcroorbcn.  ®ine  ©efd^idjtc  bcr  ^riftli^en  J^öm* 
migteit,  ja  auc^  nur  eine  ©tijje  fotc^cr  ©cfc^ic^te,  tann  an  ber 
Saufe  nic^t  üorübcrgel^cn.  @lc  roirb  oielme^r  einen  treiben* 
ben  ®inPu§  biefer  ^nftitution  anerfennen  muffen.  Unb  je  breiter 
bie  ©runblage  ber  Äir^e  wirb,  mit  befto  größerem  Qntereffe  mirb 
fie  über  ber  ®rl^altung  ber  Saufe  machen.  3)enn  in  ber  Saufe 
l^at  fte  ein  SDtittel,  an  aQe  heranzutreten  unb  unter  bie  ba§  ®e> 
roiffen  anparfenbe  9Mac^t  be§  SBort^  auc^  biejenigen  ju  ftetten, 
bie  fic^  ber  regelmäßigen  Sertünbigung  ber  ©emeinbe  fern  ge« 
l^alten  ^aben  unb  bereu  93eruf  unb  Umgebung  ernfte  S'^ogcn  unb 
@tt)ig!eit§gcbanfen  nic^t  erjcugt. 

2me§  bie§  foll  anertannt  werben.  2Iber  ^at  man  bamit 
mirflii^  eine  bogmatifdje  SCBürbigung  be§  Sauffaframent^  gegeben? 
Um  bei  bem  jule^t  genannten  @ebanten  anjuf nüpf en :  niemanb 
fann  eine  fol^e  Slbsmerfung  ber  Saufe  al§  eine  mit  SWüdtfic^t  auf 
ben  Säufling  erfolgte  befonbere  bogmatif^e  ^Rechtfertigung  ber 
Saufe  beurteilen,  ^ier  ift  bie  Saufe  ba§  ©nabenmittel  be§  aOBort^, 
wenn  auc^  ein  unter  befonbere  SlBei^c  gcftettte^  unb  in  einbrucf^* 
ooß  anfdöaulic^er  g^tm  oorgetrageneö  ©nabenmittel  beS  3Bort§. 
aSon  ^ier  ausJ  merben  mir  nur  jum  verbum  praedicatum  geführt, 
um  eineö  alten  Serminuö  mic^  ju  bebienen.  3)a§  ift  natürlid^ 
auc^  bie  Saufe;  unb  oielleic^t  mirb  biefer  (S^arafter  ber  Saufe 
bei  ben  großftäbtifc^en  9Maffentaufen  ju  menig  jum  SluSbrudt  ge* 
bracht.  3)aß  aber  mit  biefer  (J^arafteriftif  eine  befonbere  bogma- 
tifc^e  53cgrünbung  grabe  ber  Saufe  gegeben  fei,  bürfte  faum  je« 
manb  bel^aupten  rooÜen.  ÜWan  iiat  c§  ja  in  biefem  %aU  nur  mit 
bem  allgemeinen  ©nabenmittel  beö  3Bort§  in  feiner  öejie^ung  auf 
bie  münbige  Umgebung  ju  tun. 

SWit  bem  unterpfanblic^en  unb  inbioibueQ  applijierenben  ®^a« 
ratter  ber  Saufe  oerl^ätt  e§  fic^  natürlich  anber§,  Slber  e§  nnir 
fc^on  früher  beffen  gebac^t,  ba§  eine  folc^e  ®^aratteriftil  ber 
Saufe  ni^t  ibentifc^  fei  mit  einer  bogmatifdjen  SHec^tfertigung. 
9Wan  ^at  c^,  mo  bie  Saufe  berartig  gemertet  wirb,  mit  befonbe^ 
reu  @rlebni§n)eifen  ber  §eil§aneignung  ju  tun,  auf  bie  bie  Sog* 
matif  al^  Slormmiffenf^aft  feine  9W(ffic^t  nehmen  fann.  3)enn 
nic^t  maS  in  inbioibuell  tonfreten  gdllen  erlebt  werben  fann,  ober 


@  ^  e  e  1 :  5)ie  a;aufle^rc  in  b.  mobemen  pofltit).,  lut^er.  5)oömatif.    605 

toorauf  cinjelnc  ^fnWüibucn  ftc^  berufen  mögen,  fonbern  ma^  aß* 
gemeingültige^  ®rgebni§  fein  mu^,  ^at  bie  3)ogmatif  ju  ent« 
mirfeln.  ©enereße,  nic^t  fpejieüe,  balb  tonftatierbare,  batb  über»' 
^aupt  nic^t  oor^anbenc  ÜJlerfmale  ftnb  e§,  mit  benen  fie  fic^  ab* 
gibt.  SBenn  barum  ber  Saufe  unterpfanbli(^e  93ebentung  juge* 
roiefen  mirb,  beten  SGBert  übrigen^  3Jl.  M\)kx  auf  ein  üJlinimum 
rebujieren  mu^te,  fo  ^at  man  mit  biefer  ©^aratteriftit  bie  Saufe 
nur  unter  religion§pfr|(^oIogifclöe,  nidjt  unter  bogmatifrfie  93eleuc^s 
tung  gefteflt.  3)ie  aSermengung  beiber  93etrac^tungen  ^atte  fi^ 
al§  ein  immer  mieberfel^renber  geiler  ermiefen.  ®ine  fiebere  unb 
miberfpruc^^lofe  bogmatifc^e  Sic^tfertigung  ber  Saufe  mirb  erft 
bann  möglich  fein,  wenn  biefe  unglüdfli^e  SSerbinbung  bi^parater 
Betrachtungen  gelöft  wirb.  3)ie  religion^pfgc^ologifc^e  93eurtei* 
lung  ^at  [tet§  nur  inbioibueße  ©injclfäße  im  9luge,  benen  i>a^ 
c^arafteriftifc^e  Äennjei^en  ber  bogmatifc^en  Beurteilung,  bie  aß» 
gemeine  93erbinblic^feit  unb  9Serpf(ic^tung  fe^lt.  2Ba§  auf  befon* 
bere  pfgc^ifc^e  ©rregungen  Slüdfic^t  nimmt,  befonbere  pfpc^ifc^e 
Bcbürfniffe  in§  3luge  fa^t,  fann  nie  aßgemein  oerbinblic^  fein. 
SWan  mag  eine  fol^e  (Srflärung  afe  oerftiegene  ©eiftigteit,  pla* 
tonif(^en  (Spiritualismus,  3lbfaß  oom  bibtifc^en  9leali§mu§,  ober 
mie  man  fonft  noc^  lüiß,  branbmarten.  ©c^lagmörter  begrünben 
feinen  3led)tStiteI,  unb  mögen  fie  mit  noc^  fo  großer  Snergie  ge* 
bilbet  unb  in  bie  5)iStuffion  gemorfen  merben.  ^n§  Unrecht  ge* 
fe^t  werben  fie  aber  burc^  bie  bereits  nac^geroiefene  Satfa^e,  bap 
eine  bogmatifc^e  SJermertung  religionSpfgc^oIogif^er  3Jlomente  fO' 
fort  bie  anerfanntc  bogmatif(^e  Bebeutung  beS  SBortS  als  eines 
©nabenmittelS  ober  bie  bogmatifc^e  93ebeutung  beS  ©taubenS  ge= 
fä^rbete,  in  grage  fteflte  ober  überhaupt  aufhob.  Vestigia  terrent; 
barum  gilt  eS  rein  ju  f treiben,  bogmatifc^e  ©rroägungen  nid)t 
mit  religionSpfpc^ologifc^en  ju  oerquiden,  ben  te^teren  jmar  i^r 
aus  ber  öefc^affenlieit  ber  inbioibueflen  ^^Jfqc^e  ^erjuleitenbeS  Siecht 
JU  betaffen,  nid^t  aber  barauS  bogmatifc^e  Äonfequenjen  ju  jie^en. 
2)aS  verbietet  fic^  aud)  auS  bem  ®runbe,  ba^,  mie  früher  l^eroor» 
gehoben  mar,  bie  für  bie  Saufe  in  2tnfpru(^  genommenen  9Wo^ 
mente  ni(i)t  eyttufio  für  fie  in  Stnfpruc^  genommen  werben  fonn- 
ten,  oielme^r  auc^  anberen  ^eitSbarbietungen,  ^eilSerfa^rungen  unb 

3€ttf(^ntt  für  X^eologle  unb  Äir(^e.    15.  Sa^rg.,  6.  $eft.  35 


606    @  ^  c  c  1 :  5)ic  a:auflel^rc  in  b.  tnobemcn  pofitio.,  lut^er.  Dogmatil 

ScbcnSfü^rungcn  jugctüiefcn  werben  fonnten  unb  mußten.  9Bac^§* 
tum,  ©tärfung  unb  93crtiefung  waren  aber  überhaupt  mä)t  oon 
ber  ©ogmatif  ju  berüdtftc^tigenbe  SRerfmale  be§  ®Iauben§.  ®ie 
bcfonbcren  ajlomente  alfo,  bie  man  ber  2:aufe  meinte  retten  ju 
fönnen,  ermeifen  fid^  al§  fol^e,  bie  für  bie  bogmatifdje  ©rörte^ 
rung  ber  S^aufe  nid)t  in  S^age  fommen. 

®in  foIc^c§  bogmatifd^  befonbercg  9Werfmal  fönntc  aber  mth 
kxä)t  bie  ©infe^ung  burd^  ®^riftu§  fein.  6§  ift  bi§^er  biefe 
grage  abfic^ttic^  ganj  jurüdtgcfteflt  morben;  unb  c§  foO  bie  ^ifto^ 
rif^e  5^age,  ob  6^riftu§  bie  Saufe  eingefe^t  ^at,  au§  gleich  ju 
entmidteinben  ©rünbcn  ^ier  überhaupt  ni^t  erörtert  werben.  ®aß 
fe^r  ftarte  ^w^^if^t  erhoben  werben  fönnen,  wci&  jebcr  Äunbige. 
@§  jeugt  ni^t  grabe  oon  ernfter  Beteiligung  unb  SJtitarbcit  an 
bem  f^wierigen  ^iftorifc^en  Problem,  wenn  ©aul  in  feiner  Unter- 
fud^ung  über  bie  Sinbertaufe  erttärt:  „2luf  bie  Sßerbä^tigungen, 
bie  neuere  2:^eotogen  in  93ejug  auf  bie  ©^t^eit  ber  (Stiftungen  3^efu 
au§fpre^en,  inbem  fie  fagen,  fo  wie  bie  neuteftamentlic^cn  ©c^riften 
bie  ©atramente  in  urc^riftlic^em  93rauc^  unb  ur^riftti^er  ©c^ä^ung 
auf jeigen,  fönne  3^efu§  fie  nid^t  eingefe^t  ^aben,  aud^  auf  bie  2ln* 
feditung  ber  e^t^eit,  bie  ;3efu  aniffion^befe^t  {iSflt  28, 19)  burc^ 
^arnad  erfahren,  . .  .  ge^e  id^  ni(^t  weiter  ein.  Jraurig  ift  eg, 
ba&  berartige  Erörterungen,  ,wel^e  ba^  S^riftentum  entwerten, 
unb  e§  in  eine  gefd^ic^t^tofe  Slügemeinfrömmigfeit  auflöfen  woDen', 
mit  5tei§  ins;  SSolf  hineingetragen  werben  unb  bie  ®eriugf(^ä^ung 
ber  ©aframente  noc^  weiter  oerbreiten  unb  nod^  größer  machen, 
aU  fie  fc^on  ift"^).  2)a§  finb  2:öne,  bie  man  oft  oernel^men 
tann,  bereu  SDSert  aber  ni^t  baburd^  gefteigert  wirb,  ba^  fie  im- 
mer wieberl^olt  werben,  ^ier  nü^en  feine  3)eflamationen,  unb 
wären  ftc  aud^  noc^  fo  gut  gemeint,  fonbern  nur  emfte  ffiertie* 
fung  in  ba§  Problem  felbft.  Sann  wirb  bie  ©ic^er^eit,  mit  bev 
man  oon  „93erbäd)tigungen"  fpric^t,  oon  felbft  aufhören  unb  einer 
etwa§  fritifc^eren  ©timmung,  referoierteren  |)altung  unb  größeren 
Stulpe  'ißla^  machen.  Slber  ^at  bie  2)ogmatif  SJeranlaffung,  biefe 
junäd[)ft  bem  Oebiet  ber  neuteftamentlic^en  gorfc^ung  angel)örenbe 
5?rage  auc^  oon  fic^  au§  ju  unterfu^en  ?  Qft  bie  ®inf e^ung  burd) 
1)  Saul,  a.  a.  D.  ©.  15. 


@  c^  e  e  1 :  5)ie  2:auflc^rc  in  b.  mobemcn  poptio.,  lutl^et.  S)oömatif.    607 

®^riftu§  bic  conditio  sine  qua  non  bcr  bogmatif^en  ©rörtcrung 
bcr  Saufe? 

Mf)kt  legt  großes  @zwx6)t  auf  bic  ©infe^ung  ber  2:aufe 
bur^  (£^riftu§.  @r  fü^rt  ben  ©ebanten  au§,  ba§  loir  un§  lüo^I 
ber  eigenen  SBorte  ^efu  im  Üfl,  %.  freuen  fönnen,  aber  bo^  nic^t 
bem  peinü^en  S^agen  na^  feiner  buc^ftäbli^en  SHebe  nac^jugebeu 
^aben.  „3)a§  geiftgele^rte  ©oangelium  über  il^n  i  ft  ba§  @oan* 
gelium"  ^).  SSir  ^aben  taum  einen  9Iu§fpruc^  oon  i^m  roörtUc^; 
n)ir  fe^en  i^n  immer  mit  ben  2lugen  ber  Seric^tenben.  Qf^be 
|)anblung  mirb  un§  in  Sluffaffung  unb  ©rinnerung  dritter  ge^ 
malt.  3lnber§  uer^ält  e§  fid^  mit  ben  ©ahamenten.  @ine  uon 
®^ri[tu§  georbnete  ©itte  ge^t  ungemanbelt  oon  i^m  ju  un§. 
©eine  SScrmäc^tniffe  ftnb  un§  Unterpfanb  bafür,  ba^  bie  ä^^f^gc 
be§  ®DangeIium§  bie  feine  ift^).  3)a§  neuteftam.  Sibelmort  ift 
au§  ber  c^ri filieren  ©emeinbe;  Scfu§  ^at  e§  nic^t  gefc^rieben. 
„9Iber  in  ben  ©aframenten  l^ören  mir  feinen  ^mperatio"  ^). 

2)oc^  meldier  bogmatifdje  ©eminn  ift  mit  biefer  Unterfc^ei» 
bung  unb  ber  barau§  refultierenben  53etonung  ber  ©infe^ung  ber 
2:aufc  burd^  ®^riftu§  gegeben?  ®^riftu§  ift  na^  Ää^ler  un§ 
gegenmärtig  im  SBort,  unb  nur  ba^  SBort  oermittelt  bie  ®nabe. 
3)arum  muffen  aud^,  roie  Ää^lcr  burc^füt)rt,  bie  ©aframente 
irgenbmie  bie  Sttrt  be§  2Bort§  an  ftd^  ^aben'*).  9lun  märe  aber 
biefe  Uuterfc^eibung,  bie  Kälter  oomimmt,  geeignet,  bie  3ut)erfid^t 
auf  ba§  Söort  ju  trüben.  5)enn  e§  ift  i^m  mertooK  ju  miffen, 
ba^  mir  in  beit  ©aframenten  ben  ^mperatio  ©^rifti  oeme^men, 
mä^renb  ba§  3Bort  fonft  un§  nur  im  Qüngerberic^t  entgegentritt. 
2)ann  mürbe  de  facto  ba^  ©aframent^mort  jur  oberften  ^nftanj 
gemad^t  unb  jur  ®eutung§norm  für  bie  fonft  un§  überlieferten 
Söorte  ^t\n  erhoben.  SGBäre  bie§  aber  ber  gafl,  fo  mügte  man 
ftet§  an  bie  übrigen  SBorte  mit  einem  nic^t  ganj  ju  befeitigenben 
©efü^t  ber  Unftc^er^eit  l^erantreten.  ©ie  tonnten,  oorau^gefe^t, 
ba§  Ää^Ierg  ^^artition  ri^tig  ift,  nie  mit  berfelben  ©i^er^eit  al§ 
©nabenmittel  jur  (Seltung  gelangen  mie  ba^  ©atrament^mort, 
fo  ba§  auf  Umroegen  nun   aud^  Ää^ler  eine  Ueberorbnung  be§ 

1)  ^tt^Ccr,  a.  a.  D.  ©.  65.  2)  ©bb. 

3)  ebb.  6.  67.  4)  @bb.  @.  49. 

36* 


508    @  c^  c  e  1 :  5)ie  2:aufle^te  in  b.  tnobernen  pofitto.,  lut^er.  5)oömatü. 

©atrament§  erteilt  ^ättc.  Unb  c§  mü^tc  nun  erft  grabe  ba§ 
„pcinti^e  fragen"  nad)  bcr  buc^ftäblid^cn  9lebc  Qz^n  cinfc^cn, 
alfo  bic  SScrirrung  ber  9Äagbatcna  am  Oftcrmorgcn  roicbcr  (Sc* 
ftalt  gewinnen.  2)a§  würbe  aber  Ääl|ler§  eigenen  Intentionen 
ftc^  ni^t  einfügen,  bie  barauf  auSgel^en,  ben  ^iftorijiftifc^en  3lbcr* 
glauben  ju  befämpfen,  ba&  bie  apoftolifc^e  Sßerfünbigung  un§  ben 
©inn  Qefu  oerbunfle  unb  man  barum  na^  ber  aut^entifc^  eckten 
^rebigt  3[efu  forfc^en  muffe,  um  baran  bie  3IpofteI  ju  meffen. 
3)iefe  ©d^eibung  Kä^Ier§  mü^te  alfo  in  einer  bogmatifc^en  Erör- 
terung über  bie  2:aufe  nic^t  blo§  golgeerf^einungen  jeitigen,  bie 
Ää^ler  ni(^t  lieb  ftnb,  fonbern  auc^  bie  bogmatifc^e  ®eltung  be§ 
3Bort§  in  i^rer  unbebingten  ©id^erl^eit  ungünftig  beeinfluffen. 

Slber  Dorau§gefe§t  einmal,  ba§  Ää^ler§  ^artition  angängig 
fei,  mürbe  fie  mirtlic^  leiften,  roa§  fte  leiften  mitl?  ®a§  bogma^ 
tif^  ©ntf^eibenbe  am  2:aufbraud^  ift  boc^  ba§  Saufmort.  Slber 
grabe  bie§  2iaufmort  begegnet  ^infic^tlid^  feiner  S^ffung  ben 
allergrößten  ©c^mierigteiten.  @§  tauchen  ^ter  jum  minbeften  ganj 
biefelben  ©c^roierigfeiten  auf,  bie  ^äl^ler  fonft  bei  ber  5^age  nad^ 
ber  9Wöglic^feit  einer  aut^entifc^en  SBiebergabe  ber  SBorte  Qefu 
^eroor^ebt.  2)aß  mir  ^ier  nic^t  mit  größerer  ©ic^er^eit  mie  fonft 
Dor  ein  unmittelbare^  unb  birette^  9Bort  Qefu  geftetlt  fmb,  baß 
aud^  bieg  SBort  nur  in  ber  Ueberlieferung  ber  ©emeinbe  ober  in 
bem  93eric^t  ber  S^ünger  un§  gegeben  ift,  ba^  ift  jmeifelloS.  3)a§ 
barf  au(^  ber  jugeben,  ber  bie  Sinfe^ung  ber  Saufe  auf  ®^riftu§ 
aurüdfü^rt.  ®§  bliebe  alfo  bloß  ber  93raud^  be§  Saufend  felbft 
jurüdt,  ber  al§  folc^er  feine  bogmatif(^e  Sebeutung  l^at,  mie  Ääl^* 
ler  ba§  auc^  eiujuräumen  fein  Sebenten  trägt ;  ber  9titu§  gewinnt 
erft  bur^  ba§  beutenbe  SBort  feinen  ©inn.  3ft  bieg  beutenbe 
äBort  aber  benfelben  Sebingungen  unterfteHt,  mie  bie  übrigen 
SBorte  3»efu,  fo  fällt  jebe  Sßeranlaffung  fort,  bie  2:auf^anblung 
in  ber  SBeife  ^eraugjul^eben,  mie  eg  Kühler  in  ben  jitierten  ©teilen 
getan  ^atte.  2)ann  aber  mirb  bie  grage  nac^  ber  ©infe^ung  ber 
2:aufe  bur^  ®^riftu§  bogmatifd^  glei(^gültig.  3)ie  2:aufe 
fte^t  je^t  nic^t  ifoliert  ba,  fonbern  im  3wfo"^wi^^^öng  mit  ben 
übrigen  3leußerungen  unb  ßunbgebungen  Qz\n.  ©ie  finbet  il^r 
aSerftänbnig  nid^t  burd^  ftc^  felbft,   fonbern  nur  im  äuf^ni*"^"^ 


@  ^  c  e  I :  %xz  a:aufle^re  in  b.  mobemcn  pofltio.,  lut^et.  S)oömatit    609 

^ang  mit  bem  ganzen  fiebenSiperf  ^efu^  xou  ba^  \a  and)  analog 
im  Hbenbmal^t  bcr  gaD  ift.  3)arau§  ergibt  fid^  aber  eine  grabe 
umgete^rte  SBertfc^ä^ung  al§  mie  jte  Ää^Icr  fennt  menn  er  bie 
2:aufe  aB  ba§  a3crmäd^tni§  ß^rifti  betrachtet,  ba§  un§  ein  Unter* 
pfanb  bafür  ift,  ba§  bie  3wfage  be§  @oangeUum§  bie  feine  fei. 
S)iefe  ©(^ä^ung  ifoliert  bie  SCaufe.  3>ft  ober  eine  fotc^e  QfoUe* 
rung,  mie  gejeigt,  ni^t  mögti^,  fo  mirb  auc^  ber  oon  Ääl^ler 
bem  fälfc^Iii^  ifolierten  ©aframent  jugemiefene  9lormc^arafter  ^in* 
fäDig.  3)er  ^wf^ntmen^ang  mit  bem  ganzen  SebenSmerf  3^efu 
mirb  ba§  entfd)eibenbe  9Jloment.  3)ann  aber  l^at  bie  grage,  ob 
bie  Sauf^anblung  burc^  3^efu§  eingefe^t  ift  ober  nic^t,  feine  bog* 
matif^e  ©ebeutung.  ®enn  felbft  menn  fte  nic^t  oon  il^m  einge* 
fe^t  unb  erft  eine  ©ct)öpfung  ber  Urc^riftenl^eit  märe,  mürbe  bie 
©ogmatit  nur  bie  S^age  nac^  bem  Qfn^alt  be§  ^eiI§mort§  auf* 
jumerfen  l^aben^).  2)iefer  ^n^alt  ift  aber,  mie  oon  felbft  ein* 
leud)tet,  nic^t  baoon  abl^ängig,  ob  ber  Sraud^  be§  2;aufen§  auf 
3efu  auöbrüdlid^e  Slnorbnung  jurüdge^t.  Äann  man  baS  a;auf* 
mort  auf  eine  ©tufe  mit  bem  ©nabenmort  Qefu  ftellen,  fo  barf 
man  bie  a:aufe  bogmatif^  erörtern,  o^ne  ber  ®infe^ung  i>\xx6) 
®]^riftu§  befonberiS  gebenfen  ju  muffen.  ®a§  ^ei^t  aber:  bie 
5rage  nac^  ber  ©infe^ung  ber  2:aufe  burc^  ©liriftuS  ift  bogma* 
tifd^  belanglos.  3)arum  braucht  aurf)  bie  ©ogmatif  fic^  nii^t  mit 
bem  fomplijierten  ^iftorifc^en  Problem  ju  befd^äftigen,  ba§  ^ier  oor* 
liegt,  unb  mir  ^aben  feinen  2lnla&,  ber  ncuteftamtlic^en  gorfc^ung 
in§  ®et|ege  ju  tommen^),  inSbefonbere  bie  oon  ^eitmüKer  ange* 
regte  ^rage  in  ben  Sreis  unferer  bogmatifc^en  ©rmägungen  tierein 
JU  giel^en^).    @ine  anbere  ^rage  ift  e§,   ob  bie  ®infet^ung  ber 

1)  Senn  e§  fic^  um  ba§  2Bort  ®otte8  a(§  ©nabenmittel  ^anbclte, 
fomtte  auc^  Cutter  ba§  autoritäre  ©i^riftprinjip  ignorieren. 

2)  ®§  mu^  überhaupt  eine  bogmatif^e  Unterfuc^ung  über  bie  ^aufe 
mögli^  fein,  o^nc  ba^  man  in  ber  alten  3öcife  einen  aufgeführten  unb 
bo(^  nie  jcbcn  übcrgcugenbcn  @^riftbcn)ci§  liefert.  gebenfaUg  ^at  biefe 
5lrbeit  e§  oerfu^t,  ba§  3^aufprobIem  bogmatifc^  ju  erörtern,  o^ne  eine 
umfaffenbc  biblifc^-t^eologif^e  Unterfud^ung  ooranjufc^icfen.  ®egcn  ben 
SBormurf  beä  „©ubjeftioiämug",  mit  bem  man  ja  immer  f^nell  jur  $anb 
ift,  fd^ü^t  roo^l  ber  2:enor  bcr  gonjcn  2lugfül)rung. 

3)  0.  ^obf^üt^  ^at  bie  ^igfuffton  in  ben  a:^8t^.  1904  eröffnet 
5)0^  ogl.  ^eitmüCierg  «eric^Hgung  in  Z\)^t^x.  1905. 


510    @  c^  c  e  l :  %xz  2:auflc^re  in  b.  mobemcn  pofittOv  lut^er.  ^ogmatü. 

Xa\x\z  hnxä)  ®^riftu§  Sebcutung  geminnen  fönnte  für  btc  ^^agc 
nac^  bcm  gemeinf^aftSbUbcnbcn  SBcrt  ber  Saufe,  unter  welchem 
®eft^t§puntt  fie  and)  betrachtet  werben  burfte,  ober  für  bie  reli- 
9ion§pfr)(^olo9ifc^en  ©rroägungen,  bie  jtc^  mit  ber  Siaufe  üer^ 
tnüpften.  3)a§  ift  aber  eine  "^xaqz,  bie  au^er^alb  be§  3ta^men§ 
unferer  Unterfuc^ung  liegt.  9Bir  brausen  fie  roeber  ju  beant* 
Worten  noc^  überhaupt  bie  S^age  nad^  ber  2:aufeinfe^ung  burc^ 
®^riftu§  anjufc^neiben.  Un§  genügt  ooflftänbtg  bie  ©rfenntni^, 
ba§  bie  bogmatif^e  Erörterung  ber  Saufe  unberührt  bleibt  oon 
bem  6rgebni§  ber  Unterfud^ung  über  bie  genannte  l^iftorifdie 
grage.  2)amit  finb  aber  bie  3WögIi(^feiten  erfdiöpft,  bie  ber 
Saufe  eine  befonbere  bogmatif^e  Slec^tfertigung  unb  befonbere 
bogmatifd^e  aWerfmale  jufü^ren  tonnten.  ®ine  Äorrettur  ober 
©rgänjung  ber  bereite  gebotenen  bogmatifd^en  Erörterung  ber 
Saufe  wirb  nic^t  blo^  überflüffig,  fte  würbe  aud)  bie  bogmatif^e 
©ebantenbilbung  mit  fremben  ®efid)t§pun!ten  oerquidten  unb  ba- 
burd^  ben  bogmatifc^en  93en)ei§gang  iOuforif^  machen. 

5)a§  ein  „reformiertet"  aSerftänbni§  ber  Saufle^re  in  einer 
bogmatifd^en  Erörterung  über  bie  Saufe  al§  ©nabenmittel  abju* 
lehnen  fei,  mar  gejeigt;  nur  im  9Infc^Iu§  an  ben  tut^erifdjen 
Sgpu§  lie^  fi^  eine  befriebigenbe  9Intmort  geminnen.  S)a§  mujste 
tro^  aller  Äritif,  bie  an  ber  attort^oboyen  Saufle^re  unb  ber  po^ 
fitioen  Saufle^re  ber  ©egcnmart  ju  üben  ift,  feftgel^alten  werben. 
Äönnte  nun  aber  ni^t  bie  baptiftifd^e  ^raji§  bie  notmenbige 
?5olge  unferer  Entwidtlungen  fein?  9Jlan  mu^  fid)  ja  beffen  er* 
Innern,  ba^  fomo^l  bie  aItortl)obofe  Sl)eorie  oom  Äinbcrglauben 
al§  auc^  bie  ebenfalls  eine  einheitliche  fqftematifd^e  Erörterung 
ermöglic^enbe  foteriologifc^e  Sottrin  aU  au^  enblic^  bie  9JebU' 
jierung  ber  Äinbertaufe  auf  ben  @eban!en  einer  2lnwartf^aft  auf 
ba§  ^eit  jurüdtjuweifen  ift.  3)ie  ^rajci^  ber  ^aptiften  fc^eint 
bemna^  bie  aBein  folgeri^tige  Saufpraji^  ju  fein,  unb  bie  in 
ben  oorau§gefct)idtten  3)arbietungen  entwirfelte  Saufk^re  fc^eint 
ben  Enabengebanfen  ber  lut^erifd^en  S^eotogie  umjufto^en.  Sluf 
beibe  Einwänbe  wirb  man  gefaxt  fein  muffen;  aber  beiben  Ein* 
wänben  fe^It  boc^  ein  jurcic^enber  SRe^t^grunb. 

2ln  bem  legten  Einwanb  barf  man  fc^neU  oorübergel^en.   Er 


4 

©  c^  c  e  l :  2)ie  a:auflc^tc  in  b.  moberncn  pofltuj.,  lut^er.  2)0ömatif.    511 

enthält  allcrbingg  bcn  f^roerftcn  Sßoriüurf,  bcr  einem  ^riftli^ 
frommen  SWenfc^en  gemacht  merben  tann,  unb  infofem  mfire  e§ 
mo^I  angebracht,  länger  bei  i^m  ju  oermeilen.  Slber  ein  foId)er 
2luf enthalt  uerbietet  fic^  f^on  baburc^,  ba§  in  ben  ®injelbemer- 
tungen  biefer  Unterfui^ung  öftere  ju  biefer  S^age  ©teDung  ge« 
nommen  werben  mugte.  2Benn  tro^bem  immer  mieber  man  auf 
aSormürfe  gefaxt  fein  muj5,  bie  in  ber  eben  angebeuteten  Stiftung 
fic^  bemegen,  fo  jeugt  bieS  nid^t  für  bie  ©yiftenj  eine§  immer 
größer  merbenben  SlbfaUg  oom  ®runbbe!enntni§  ber  SHeformation 
in  ben  Steigen  ber  eoangelifc^en  Jl^eologie,  fonbern  nur  für  bie 
ftarte  9Wac^t,  bie  immer  noc^  bie  t^eologifd^e  Formulierung  biefe§ 
©ebanfenö  burc^  bie  S^eologie  einer  unter  ganj  anberen  miffen- 
fc^aftlid^en  unb  p^ilofop^if^en  Sebingungen  fte^enben  Qzxt  au§^ 
übt.  TOc^t  bie  ©rö^e  be§  2lbfaa§,  fonbern  bie  3Jla^t  ber  t^eo^ 
logifd^en  2:rabition  erfennt  man  in  folgen  Sßormürfen.  9tun  ^at 
man  an  fic^  jroar  feine  Sßerantaffung,  an  fold^en  93orn)ürfen  glet^« 
gültig  oorüberjuge^en ;  nid^t  blo§  be§roegen,  meil  weniger  Äun* 
bige  bur^  fotd^e  ©inroänbe  immer  mieber  oerroirrt  unb  in  falfd^e 
Urteil^ba^nen  geleitet  merben,  fonbern  aud)  be^megen,  meil  fie 
ba§  un§  allen  gemeinfame  religiöfe  93efenntni§  jum  3lu§brud 
bringen  unb  in  i^rem  religiöfen  ©el^alt  ju  einer  9li(^tfd)nur  für 
bie  eigene  Slrbeit  merben.  ^n  unferem  ßufammen^ang  mag  aber 
biefe  gorm  ber  93erüdtfic^tigung  be§  ©inroanbcS  genügen;  ba§  er 
fac^lic^  ungerecht  unb  unjutreffenb  ift,  mu&  fxd)  au§  ben  früheren 
Erörterungen  ergeben. 

®tma§  eingel^enber  bagegen  l)at  man  fx6)  mit  bem  erften  ©in- 
manb  ju  befc^äftigen.  2)a§  ©efpenft  be§  2lnabapti§mu§  ift  immer 
mieber  in  ben  coangetifc^cn  ßird)en  aufgetankt  unb  immer  mieber 
l^at  bie  eoangelifc^e  2)ogmatit  c§  ju  befc^roören  unternommen. 
9lun  erließt,  ba§  bie  altort^oboje  Jaufletire,  menn  einmal  il^re 
^rämiffen  ju  Siecht  beftanben,  fel^r  mo^l  in  ber  Sage  mar,  biefe 
^Ibmel^r  mirhingsifräftig  uorjunelimen.  3lber  mie  liegen  bie  ®inge 
^eute?  oorne^mlic^  bann,  menn  bie  in  biefer  Unterfuc^ung  ent* 
midelten  ©ebanten  berechtigt  fmb? 

3uDürberft  barf  bie§  betont  werben,  ba§  ber  SSaptiSnm^ 
!eine§meg§  bogmatifd^  jmingenbe  ®rünbe  für  feine  ^raji^  geltenb 


512    @  c^  e  e  l :  ^ie  ^aufle^re  in  b.  mobemen  pofttiov  lut^er.  ^ogmatit 

mai^cn  fonn.  ©einen  autoritären  ©c^riftberoei^,  ber  ju  einer 
ganj  unbegrüubeten  93ud^ftabentne(^t[^aft  fü^rt,  fann  man  fclbft- 
oerftanblic^  nic^t  für  überjeugenb  galten.  ®amit  wäre  bic  ^rayi^ 
felbft  frei(i(^  ni(^t  roiberlegt,  roenn  \\)x  auc^  eine  ^auptftü^e  cnt- 
riffen  wäre.  S)a§  ©ntfc^eibenbe  ift  oielmcl^r  bieg,  ha^  ber  93ap' 
ti^muS  an  bemfelben  gebier  leibet,  roie  fein  l^eftigftcr  ®egner,  bie 
Ort^oboyie.  ®a§  flingt  parabojc,  o^ne  jebod^  e§  ju  fein.  3)enn 
beibe  legen  bem  ©atrament  eine  befonbere  SBertung  bei.  93eibe 
üben  ba§  ©atrament  ber  Saufe,  o^ne  einen  inneren  bogmo* 
tifdien  93eroei§  für  bie  befonbere  ©d^ä^ung,  bie  e§  erfährt, 
erbringen  ju  fönnen;  unb  beibe  ^aben  ben  3^Jtpuntt  ber  Ertei- 
lung abl^ängig  gemacht  oon  pf^i^ogenetifd^en  (Srmägungen  unb 
biefe  pfgd^ogenetifc^en  ©rmägungen  nun  fad^roibrig  ju  bogmati« 
fc^en  geftempelt.  2)a§  bie  eigenartige  ^raji^  ber  93aptiften  noc^ 
befonbere  retigiöfe  ©cfa^ren  jeitigen  fann,  ift  fo  oft  ^eroorge* 
l^oben,  ba§  c§  unnötig  ift,  e§  ju  mieber^olcn.  ®arin  liegt  auc^ 
nid)t  ber  ©c^roerpuntt.  2)enn  Oefal^ren  entfd^eiben  fd^lieglic^  nid^t 
über  baS  Stecht  ober  Unred^t  einer  ©ac^e.  3)a§  ©ntfc^eibenbe  ift 
oietmel^r  bie  falf^e  bogmatifd^e  grageftellung,  bie  fic^  barin  be== 
tunbet,  ba§  man  in  ber  S)ogmatit  bie  grage  nac^  bem  „9Bann" 
ber  Jaufe  al§  eine  bogmatif^e  g^age  bel^anbelt,  roa§  fie  nic^t  ift. 
S)ann  aber  gewinnt  ba§  Problem  ber  Äinbertaufe  eine  an* 
bere  ©cftalt.  ®ogmatifd^e  Erörterungen  fönnen  fte  nic^t  in§  Un=^ 
rec^t  fe^en.  ®enn  bic  ®ogmatif  entroidfelt  nur  bie  Sebingungen 
be§  93egriff§,  fann  aber  nic^t  unterfudien,  mann  in  ber  Empirie 
biefe  ©cbingungen  oorl)anben  finb.  9Jlan  mürbe  alfo  bie  ©ren^ 
Jen  ber  bogmatifc^cn  Slrbcit  überf c^reiten ,  menn  man  au§  i^r 
©pejiatregeln  für  bie  firc^li^e  SSerfünbigung  unb  ba§  firc^lid)e 
|)anbeln  ableiten  moHte.  SBo^l  aber  barf  man  bie§  ^eroor^eben, 
ba^  ein  oitale^  ^ntereffe  befte^t,  mögli(^ft  balb  bie  einjelnen  bem 
Einfluß  be§  ®nabenmittel§  ju  unterfteHen.  E§  oer^ält  fid^  mit 
ber  ßinbertaufe  analog  mie  mit  bem  fir^lid)en  Unterricht  unb 
ber  fir^li^en  äBortoerfünbigung.  ©o  roenig  man  ^ier  bie  nie 
JU  beantmortenbe  unb  te^tli^  ungebü^rli^e  g^^ge  ftellt,  ob  aüe 
Sebingungen  für  ein  mirffame§  ^anbeln  erfüllt  fmb,  fo  fe^r  man 
im  (Segenteil  intereffiert  ift,   ben  c^riftlic^en  Unterricht  fc^on  in 


@  c^  e  e  I :  %it  ^auflc^re  in  b.  mDbemen  poptio.,  lutl^cr.  $)ogmati!.    513 

bcn  crflen  ©tabien  bcr  ©ntioidtlung  beginnen  ju  laffcn,  bcn  ©a* 
men  au^juftreuen,  ber  nun  mit  @ottei8  §ilfe  unb  wann  c§  i^m 
gefällt,  SBurjel  fc^tagen  foK,  fo  ^at  man  auc^  feinen  ®runb,  bie 
^inbertaufe  burc^  bie  ©rroac^fenentaufe  ju  erfe^en.  @§  mürbe 
bann  nic^t  nur  einer  fatf^en  SBertung  beg  ©aframentS  erft  re^t 
bie  Sür  geöffnet^  man  mürbe  auc^  bie  Orunbfä^e,  bie  bie  aüge^ 
meine  aBortuertünbigung  leiten,  preisgeben.  SBann  ba§  SBort 
ben  ©tauben  mirft,  miffen  mir  nid^t,  braucht  bie  2)ogmatif  nic^t 
JU  miffen.  3^r  genügt  e§  ju  fonftatieren,  ba§  ba§  SBort  ®tau* 
ben  jeugenbe  unb  miebergebärenbe  Äraft  befi^t.  ®ann  ift  bie 
Sir^e  alö  bie  oerantmortUc^e  Slepräfentantin  ber  ^eitSgemeinbe 
oerpflic^tet,  nic^t  ju  jögcrn  mit  ber  SSertünbigung  be§  SBortS, 
unb  bieg  aSerantmortlid^feitögefülil  au^  ben  einjelnen  ©liebem  ein»' 
juprägen.  ®en  ©rfolg  ermartet  fie  nic^t  oon  i^rem  ^anbeln, 
fonbem  oon  ber  ^raft  ®otte§,  bem  fte  bie  ©ntfc^eibung  über  3cit 
unb  ©tunbe  überlaffen  barf.  ©ilt  aber  bie§  für  bie  SBortoer« 
fünbigung  im  allgemeinen,  fo  gilt  e§  anä)  für  bie  2:aufe,  bie  ja 
nic^tö  anbere§  al§  SSerfünbigung  be§  9Borte§  ift.  2lu§  bogmati* 
fd^eu  ©rmägungen  fann  man  bemnad^  nic^t©rünbe  l^erleiten,  bie 
bie  Kinbertaufe  unmöglich  machen.  SWan  mürbe  ja  oielmel^r  ba§ 
ber  2)ogmatit  oorbe^altene  ©ebiet  Derlaffen,  menn  man  au§  bog« 
matif^en  ©rünben  bie  Sinbertaufe  betämpfte.  Sann  aber  bie 
©ogmatif  bie  Äinbertaufe  nic^t  al§  ungebührlich  l^infteDcn,  fo 
madien  bie  befonberen  9J?omente,  bie  o^ne  bogmatifc^er  9latur  ju 
fein,  mit  ber  Saufe  oer!nüpft  maren,  bie  Stinbertaufe  jur  ^flic^t. 
2)aö  bogmatifd^e  Urteil  über  bie  Saufe  forbert  alfo  teine^meg§ 
bie  baptiftifc^e  ^rajis;  ^erau§.  3)ie  2)ogmati!  mu§  fi^  jebe^  bi= 
re!te  Urteil  über  ba§  Stecht  ober  Unre^t  ber  Äinbertaufe  uerfagen, 
mill  fie  nic^t  i^re  Äompetenjen  überfc^reiten.  2lllgemeine  ©rmä* 
gungen  ber  eben  genannten  Slrt  fprec^en  aber  gegen  bie  baptiftifc^e 
für  bie  firc^li^e  "ißrafi^. 

Slber  mü|te  nic^t  bo^  bie  übliche  ^rayi§  bie  Sinbertaufe  ju 
einem  blo§  jeremoniöfen  aitt  ftempeln?  Unb  mü^te  man  nid)t 
ein  oöHigeS  SSerfagcn  be^  Saufmort^  behaupten  unb  bamit 
bie  ^Rettung  ber  Äinber  leugnen?  ©in  jeremoniöfer  2lft  fann 
bie  Saufe  nie  merben.    ®enn  bie  Saufe  ift  jugleic^  ein  ^eilSmort 


514    @  ^  e  e  ( :  5)ic  2:auflcf)re  in  b.  mobcmcn  pofitiov  lut^er.  ^ogmati!. 

an  btc  Umgebung  unb  fte^t  in  bicfem  ©inn  unter  benfelben  93e* 
bingungen,  wie  bie  äJertünbigung  be§  3Bort§  überhaupt.  Qm 
übrigen  aber  ift  ein  offenbar  unroirffame§,  b.  i).  in  pofitiüer  93e* 
jte^ung  unn)irffante§  ^anbeln  auc^  mit  ber  aügemeineu  SEBort« 
oertünbigung  üerbunben  ober  oon  i^r  nic^t  au§jufc^Ue§en.  ©ine 
auf  ein  einjclne§  ^[nbioibuum  abgejielte  mirffame  ^anblung 
aber  ju  forbern  ^aben  mir  nie  ein  Stecht.  SBir  müßten  fonft 
aud^  für  bie  SBortoerfünbigung  ba§  ©leic^e  forbern,  ma§  nid)t 
gefc^ie^t.  SBirb  aber  bie  f^rage  nad^  ber  ©eligteit  ber  getauften 
unmünbigen  Kinber  aufgemorfen,  fo  begreift  man  ba§  iS^tereffe 
an  biefer  5^age,  ba§  bie  J^eorie  einer  unbebingten  ey^ibitioen 
SQBirfung  grabe  be§  2:auf  fatramentö  gejeitigt  l^at  unb  im* 
mer  mieber  jeitigt.  SMber  e§  oer^ält  fic^  l^ier  boc^  nid^t  anber§ 
al§  mit  ber  5^age  nad^  ber  ©eligteit  berer,  an  bie  ba§  9Bort  ber 
93crl)ei6ung  überhaupt  noc^  nid^t  ergangen  ift.  ©o  wenig  ^ier 
emige  9Jerbammni§  t)orau§gefe^t  mirb,  fo  menig  ^at  man  ein 
Stecht,  biefe  Sßorau§fe^ung  im  ^inblidt  auf  eine  2:auft^eorie  gel= 
tenb  ju  ma^en,  bie  ein  bebingungi^Io^  mirtfame§  ^anbetn  ®otte§ 
al§  eine  bogmatifc^  unhaltbare  SßorfteHung  ablehnt.  ®ie  aften 
3)ogmatifer  badeten  bcfd^eibener  unb  au^  ^riftli^er,  menn  fie  ben 
Orunbfa^  oerfoc^ten,  ba^  nic^t  ber  defectus,  fonbern  nur  ber 
contemptus  ber  Jaufe  fc^äbige.  SBerl^ält  e§  ftd^  aber  mit  ben 
unmünbigen  ^inbern  nid)t  anber§,  al§  mit  ben  überhaupt  nod^ 
nid^t  unter  bie  SBirtfamteit  be§  SDBortg  gefommenen  SKenfc^en,  fo 
fällt  ganj  jebe  33eranlaffung  fort,  Sauft^eorien  ju  bilben,  bie  mit 
bem  eoangetif(^en  SBerftänbni^  ber  S^aufe  fxä)  nic^t  oertragen. 

®in  folc^e§  eoangelifc^eg,  genauer  eoangelifd^-reformatorifc^e^ 
93erftänbni^  ber  2:aufe  möchte  bie  in  biefer  Unterfuc^ung  oorge« 
tragene  2:t)eorie  für  fid)  beanfpru(^en.  ©ie  mürbe  alfo  ben  2ln* 
fpruc^  ergeben,  minbeften^  fo  pofttit)  ju  fein,  mie  bie  Sauft^eo* 
rien  ber  pofttioen  S^eologie.  Ob  fie  freili^  biefen  Slnfprui^  mirb 
burd^fe^en  fönnen,  fte^t  ba^in.  2)a§  ^ängt  oon  bem  3Wa§ftab  ah, 
ber  über  ben  pofitioen  ®^aratter  entfc^eiben  fott.  9Birb  bie  tra^ 
bierte  JJorm  ber  Saufle^re  jum  3Wa^ftab  genommen,  bann  aller* 
bingg  mü§te  man  fic^  bef^eiben  unb  ru^ig  ben  93ormurf  be§  dia- 
bitati^muö  l)inne^men.    3)enn  an  ber  alten  S^eorie  in  it)rer  ®e* 


@  c^  e  e  I :  %xt  Xauflc^re  in  b.  mobemen  poptio.,  lut^er.  ©ogmotif .    615 

famt^cit  gemeffcn,  ift  bicfe  Slicoric  rabifal.  Slber  c§  bürftc  bcr 
Seiocig  crbrad^t  fein,  ba^  ni^t  bIo§  bic  alte  Jl^coric  unfcrcr  alt« 
protcftantifc^cn  3)ogmatifcr,  fonbcm  aud^  bic  neueren  pofitiocn 
Saufle^ren  —  bie,  obn)o]^l  poptio,  boc^  j.  2:.  bie  alte  fie^re  rebu- 
jiertcn  unb  i^re  ^gperp^gfif^e  Unterlage  preisgaben  —  mit  ^in^^ 
berniffcn  ju  tämpfen  liatten,  bie  unüberroinblid^  roarcn.  ^i)xzn 
pofitioen  S^arafter  betätigten  biefe  2:^eorien  bann  barin,  ba§  fie 
bie  eigentliche  crux  ber  alten  Sauflel^re,  bie  ©a!rament§ibee,  irgenb* 
n)ie  tonferüierten  unb  bie  religionSpfgc^oIogifc^e  grageftetlung  mit 
ber  bogmatif^en  oermengten.  3}on  biefem  ®efic^t§puntt  auS 
burfte  bie  Saufle^re  al§  ©yponent  ber  t^eologiegefc^ic^tlid^en  @nt* 
roidlung  betrad^tet  werben.  9Iber  e§  gibt  no^  anbere  SRa^ftäbe 
als  bie  fan!tionierte  S^eologie  eine§  beftimmten  3citalter§.  Ääliler 
l^atte  ben  bogmatif^  aDein  möglid)en  9Wa§ftab  beutlic^  heraus- 
gearbeitet. Segt  man  aber  biefen  aWa^ftab  jugrunbe,  fo  bürften 
au^  bie  2lu§fü^rungen  biefer  Unterfud^ung  ben  2lnfpruc^  ergeben, 
„pofitio"  ju  fein,  ba  fie  ben  allein  bogmatif^  möglichen  ©runb^ 
gebauten  ber  SReformationSt^eologie  ^erauS^eben,  i^n  in  einer  ben 
Stormen  beS  bogmatifc^en  ®en!en§  entfprec^enben  SBeife  burc^ju* 
fül^ren  fuc^en  unb  auc^  bie  ©rflärungen  Sut^erö  im  fleinen  Kate* 
c^iSmuS  ni^t  in§  Unred^t  fe^en.  2Iber  fc^Iie&Iic^  ^anbelt  e§  ftc^ 
nid^t  um  bie  im  tirc^Iic^en  ^arteitampf  ber  ©egenmart  aufgerollte 
grage,  maS  pofttio  ift  ober  liberal  unb  rabifal,  fonbern  um  bie 
grage,  maS  bogmatifi^  richtig  ift.  ®a  mirb  man  benn,  menn 
anberS  man  feinen  ©tanbort  in  ber  reformatorif^en  SrfenntniS 
nom  ©oangelium  nehmen  tann,  unb  menn  man  bie  ©igenart  beS 
bogmatif^en  unb  fgftematifc^en  Urteils  fid^  tlar  gemacht  ^at,  in 
bie  Sal^n  geleitet,  bie  in  biefer  Unterfui^ung  bie  5Wittet  jur  Kritit 
fomo^l  mie  jur  t^etifc^en  2)urc^fü^rung  gab.  3)aS  bogmatif^ 
SRid^tige  mirb  fi^  bann  non  felbft  al§  baS  „^ofitioe"  lierouSftetlen. 


516 


®in  SBort  ber  SSerföl^nung  unb  jur  SJcrföl^nung  in  bcn 
augcnblidtli^en  Stampfen. 

fßon 

^Qftor  asSeflertnann 

in  @nmerfinn  bei  (Emben. 


9ltd)t  neue  ©rgebniffc  ju  förbcm  bienen  bie  folgenbcn  2lu§= 
fü^rungcn,  aSielmc^r  bienen  fte  baju  eine  geroiffe  JftüdEfc^au  ju 
i)Qlten,  eine  ©elbftbefmnung  auf  (Srunb  gefunbener  ©rgebniffe. 
©oroeit  fic^  auf  biefem  ©ebietc  oon  ©rgebniffen  reben  lä^t.  3)enn 
auc^  rüdfic^tUc^  i^rer  ^aben  roit  mit  bem  2lpoftet  ^aulu^  ju  be^ 
tennen:  nid^t  ba§  ic^'§  fc^on  ergriffen  f)abz  ober  fd^on  ooDfommen 
fei;  ic^  jage  i^m  aber  nac^,  ob  iäf^  and)  ergreifen  möi^te,  nad)^ 
bem  ic^  Don  ©^rifto  3icfu  ergriffen  bin.  2Bir  ftnb  auc^  in  biefer 
^inftc^t  nid)t  am  Qkl,  auf  bem  SBeg  jum  QkU  jtnb  mir  erft. 
®er  fiebenbige  ift  nie  fertig,  fertig  ift  nur  ber  Sote.  SBir  fe^en 
je^t  bur^  einen  (Spiegel  in  einem  bunfeln  SQBort.  ©inen  abge* 
f^Ioffenen  ©tanb  mit  ber  Qnf(^rift:  ^ier  ge^t'g  ni^t  meiter, 
gibt'§  nic^t  unb  tann'§  unb  barf  §  ni^t  geben,  2)er  SBiffenf^aft^ 
aud^  ber  religiöfen  SBiffenfd^aft  ein  ®nbe  fe^en  l^ei^t  ben  menfc^* 
lid)en  ®eift  jum  ©tiöftanb  oerurteilen.  Unb  ©tittftanb  ift  SRüd^ 
fc^ritt. 

2)a§  liegt  auc^  nid^t  im  ^[ntereffe  ber  ©ac^e  felbft.  ©oll  bie 
SReligion  eine  mirtlic^  mirffame  üRad)t  fein,  fo  mu^  fie  nötig  fein, 
b.  \).  menn  au^  nic^t  au§  ben  S^itoer^ältniffen  l^erauSgema^fen, 


aBeftermann:  aBa§  ift  ung  ScfuS?  517 

fo  boc^  auf  btc  fragen  ber  jeweiligen  ^^it  Slntroort  gebcnb.  @ine 
Meltgion,  bie  mit  i^rer  3^'*  ^i^  93erü^rung  oerltert,  mu§  not« 
roenbigerroeife  i^re  Sebeutung  unb  Äroft  juglcid^  oerlicren.  S)a 
nun  aber  bie  3^i*o^^^äl^"iffc  i"^  5^w&  f^^i^/  f^"^  ^i^  SHeligion 
ebenforoenig  einen  ein  für  allemal  abgefc^loffenen  ©tanbpunft  ein* 
nehmen.  Sluf  i^re  eigenen  Äoften  mürbe  fie  ba^  tun.  ©ic  mürbe 
fic^  felber  töten.  Sie  mürbe  jule^t  ju  einer  9tuine  oergangener 
^a^rtiunbcrte,  o^ne  in  i^re  3cit  ^ineinjupaffen :  SRuinen  bemun» 
bert  man  mo^l,  bemo^nt  fte  aber  nic^t  me^r.  (5§  mu§  ein  gort* 
f^reiten,  mie  auf  allen  ©ebieten,  fo  auc^  auf  biefem  ®e6iet,  auf 
bem  ©ebiet  ber  9teligion  geben. 

2)a§  e§  ba  o^ne  Äampf  nic^t  abgelit,  ift  felbftoerftänbtid^. 
Sßor  allem  in  unfrer  3^'*  if*  ^^  entbrannt,  ^od^  ge^en  jurjeit 
bie  aBeDen.  2ln  unb  für  fid)  ift  ba§  tein  ©c^abe  unb  lein  9tac^* 
teil.  aSäenigftenö  nic^t  notmenbigermeife.  ®§  mag  ja  fein,  ba§  bie 
3erfplitterung  in  bie  oerfd)iebencn  Stiftungen  eine  gemiffe  ©c^mäc^e 
unb  O^nmac^t  im  ©efolge  l|at,  jum  minbeften  feinen  befonber^ 
imponierenben  @inbrud  mac^t.  3)a  fte^t  bie  fat^olifc^e  Sird^c  in 
i^rer  inneren  ©efd^loffen^eit  unb  Slbgefc^loffen^eit  ganj  anber§ 
ba  —  aber  auf  Soften  be§  inneren  Seben§  unb  ber  inneren  Jrei- 
^eit.  2)er  Äat^olif  beugt  fic^  im  letzten  ©runbe  oor  ber  Sluto^ 
rität  ber  Kirche:  Roma  locuta,  causa  finita.  Söir  ^^Jroteftanten 
erfennen  nur  eine  SMutorität  an:  bie  SBa^r^eit.  ®in  Äampf  um 
bie  äBa^rlieit  ift  e§,  ber  augenblidtlic^  geWmpft  mirb.  SBenig* 
ften§  im  ©inn  unb  na^  bem  Sinn  ber  Stampfer.  3)er  SBa^r^eit 
miU  man  nä^er  tommen.  2)ie  SBa^r^eit  miß  man  ergrünben. 
Um  bie  ift  ber  Äampf  entbrannt.  Unb  ba§  ift  an  fic^  fein  ©c^abe. 
Sampf  ift  Seben.  Kampf  üerrät  Seben.  Äampf  förbert  auc^  ba§ 
Seben.  SDBenn  man  feine  ^Option  ju  oerteibigen  l^at,  lernt  man 
bie  ©c^mad)en  unb  ungebecften  ©teilen  berfelben  erfennen.  3Wan 
baut  feine  ©teDung  au§.  3Wan  mirb  ftc^  flarer.  3)er  Kampf  al^ 
fol(^er  ift  nie  ein  beflagen^merter  3^ftönt>.  ®^  forbert  jur  Sln^ 
fpannung  ber  nor^anbenen  Kräfte  auf,  bie  ben  Kämpfer  felbft  am 
mciften  förbert.  3lur  auf  bem  333ege  be§  Kampfe^  merben  bie 
©c^ä^e  gehoben,  bie  im  tiefen  ,3nnern  be§  ®^riftentum§  ru^en. 
SJian  mag  nun  über  bie  augenblicflic^en  ©egenfä^e  benfen  mie  man 


518  2öcftcrmann:  SBa§  ift  un§  3[efu§? 

Tüxü,  ba§  ift  nid)t  ju  leugnen :  roir  l^abcn  roieber  gelernt,  ba§  bie 
ererbte  SBalir^eit  roiH  erworben  fein,  um  befeffen  ju  werben, 
©elernt  ^aben  wir,  ba^  bie  SBol^r^eit  tein  ein  für  allemal  fertiget 
®ing  ift,  baö  man  oon  frül^eren  3«it^«  übernehmen  !önnte;  ba^ 
oielmc^r  jeber  für  ftc^  augjumacben  ^at,  mag  SBal^rl^eit  ift,  ^aben 
mir  gelernt.  SBir  ftnb  auf  bem  9Beg  jur  SQBa^r^eit.  S)ie  SEBa^r* 
tieit  fuc^en  mir.  3Bie  roirb  boc^  gearbeitet  in  unferer  Qzxtl  SQBie 
Diele  Äräfte  finb  ba  tätig!  9Irbeiten  unb  Slufgaben  ^aben  ftd^ 
un§  aufgetan.  2ln  unb  für  fxd)  ift  ber  Kampf  !ein  ©c^abe,  fein 
©d^abe  für  ba§  S^riftentum  felbft. 

2lud^  fein  ©c^abe  für  bie  ©emeinben.  2)ie  merben  ja  mo^l 
bebauert  in  unferer  Qtxt  öebauert  mirb,  ba^  aixfi)  in  fte  bie 
Uneinigfeit  hineingetragen  mirb.  Sie  foDen  in  i^rem  ®lauben§^ 
ftanb  erfc^üttert  merben.  ®erabe  bie  neueren  93erfud^e,  auc^  bie 
©emeinben  mit  ben  ©rgebniffen  ber  neueren  gorfc^ung  befannt 
ju  machen,  mie  pe  j.  ^.  in  ben  religionSgef^ic^tlid^en  SBolfS« 
büc^ern  oorliegen,  merben  üon  gemiffen  ©eiten  unb  in  gemiffen 
Greifen  fc^arf  oerurteilt.  Sie  miH  man  auf  bie  t^eologif(^en 
Greife  befc^ränfen,  be^anbelt  fet)en  unb  miffen  nur  in  tl^eologi* 
fc^en  3^itf<^^if^^^-  Slber  ni(^t  üor  ber  ©emeinbe.  S)ie  foll  oer* 
fc^ont  bleiben. 

©ine  gemiffe  Berechtigung  bürfte  bem  ni^t  abjufpre^en  fein. 
3)a§  bürfte  bod^  ni^t  üergeffen  merben,  ba^  bie  ©emeinbe  nic^t 
mit  ^gpotl^efen  beunrul^igt  merben  barf.  äJergcffen  merben  bürfte 
\)o6)  nid)t,  ba^  manc^eg,  ma§  al§  fic^ere^  @rgebni§  ausgegeben 
mirb,  lebiglic^  mel^r  ober  minber  begrünbete  ^gpotl^efe  ift.  ^an^ 
c^c§,  roa^  al§  enbgültig  ausgemacht  l^ingefteHt  mirb,  ift  noc^  im 
gtu^.  ©ine  gemiffe  SBorfic^t  alfo  nic^t  oergeff en !  ©in  Unterfc^ieb 
mu^  gemad^t  merben,  oor  mem  man  rebet.  ©§  fann  auc^  ju 
meit  gegangen  merben. 

3u  meit  gegangen  merben  fann  aber  nic^t  minber  auf  ber 
anberen  ©eite.  ^d^  meine,  menn  fünftlic^  ben  ©emeinben  bie  ©e* 
genfä^e  oorentl^alten  merben.  3)a^  ©egenfä^e  ba  fmb,  miffen  pe. 
Unb  menn  fie  i^nen  oon  benen,  bie  i^re  berufenen  93ertreter  fmb, 
ni(^t  gefagt  merben,  fo  fic^ertic^  oon  anberer  ©eite.  Ob  ba§ 
aber  bann  immer  jum  guten  auSfc^lägt,  bürfte  fc^r  fraglich  fein. 


aSeftctmann:  2Ba§  ift  un§  ^cfuS?  519 

2)ic  (Segcnfä^c  werben  häufig  übertrieben.  2Iuc^  bie  SBcrböditi^ 
gungcn,  bie  laut  ober  ftiüfc^roeigenb  gegen  bie  ©eiftlic^en  erhoben 
werben,  al§  ob  fie  nic^t§  me^r  glaubten,  oielme^r  nur  auf  53efe^( 
fo  rebeten,  roie  fie  reben,  l^aben  größtenteils  barin  i^ren  ®runb. 
3Wan  !ann  al§  ©eiftli^er  furchtbar  unter  benfelben  leiben.  ®ö 
tonnen  einem  baburc^  g^njiffe  ^Arbeitsgebiete,  geroiffe  Greife  ge- 
rabeju  üerf^Ioffen  werben.  ®ie  ©emeinbe  ^at  ein  Sted^t  barauf 
üon  ben  Srgebniffen  ber  neueren  5<^^Ww"9  i^  ^ören.  5)a  ju 
fagen:  nubicula  est,  transibit,  ge^t  m6)t  an.  3)amit  ift  ber 
©emeinbe  nic^t  gebient.  S)ie  Jatfa^e  lä&t  fid^  nic^t  auS  ber 
äBelt  bringen,  ba§  ein  großer  Seit  unfereS  SßoIteS  bem  ©Triften* 
tum  entfrembet  ift.  ®ar  mandje  SSer^ältniffe  mögen  baju  beige« 
tragen  l^aben.  9lic^t  jum  minbeften  aber  bie  f^orm,  in  ber  i^m 
baS  ß^riftentum  na^c  gebradjt  ift.  @S  tiafft  eine  Äluft.  SReben 
mir  nic^t  immer  oon  ber  ^erjenS^ärtigfeit  unb  Oottlofigteit  ber 
9Jlenfc^en,  um  biefen  3wftanb  ju  er!lären.  Sttrbeiten  mir  oiel* 
me^r,  bie  Kluft,  bie  nun  einmal  befte^t,  ju  überbrüdten.  93ringen 
mir  unferen  3^it9^*^<^ff^"  ^^S  ©^riftentum  mieber  na^e  burc^  ben 
ÜlacbmeiS  be§  Unterfd^iebeS  jmifc^en  gorm  unb  Qn^alt,  burc^  ben 
9tac^meiS,  baß  bie  gorm  jeitlicb,  ber  :3n]^alt  aber  emig  ift,  burd^ 
ben  yiaäjvoti^,  baß,  mögen  auc^  gemiffe  formen  faDen,  bo^  aud) 
fo  baS  S^riftentum  ewigen  ©e^alt  unb  Qnl^alt  behält,  @§  wirb 
woI)l  oon  fog.  ort^obojer  (Seite  geltenb  gemalt,  baß  bie  SiebeS* 
tätig!eit  ein  "ißrobuft  be§  „alten"  ©laubenS  fei.  @ie  üerlangt 
wot)t  oon  ber  anberen  Seite,  ftc^  aud^  erft  in  biefer  SBeife  auS^ 
guweifen.  O^ne  auf  biefe  gragefteüung  nä^er  einjuge^en,  b.  l). 
auf  bie  S^age,  ob  bie  SiebeStätigteit  wirflic^  ein  ^robu!t  ber 
Ort^obofie  ift:  wenn  nun  mal  auf  bie  @r folge  eingegangen  wirb, 
gefragt  wirb  nac^  ben  Srfolgen,  fo  fönnte  biefe  gragefteUung  boc^ 
auc^  für  bie,  bie  fo  operieren,  fe^r  gefä^rlic^  werben.  Unter 
weffen  Seitung  ift  bie  ©ntfrembung  eingetreten,  wie  fie  augen^ 
blidtlid)  befte^t?  SBem  l^aben  wir'S  ju  üerbanten,  baß,  ®ott  fei 
3)ant,  in  ben  legten  3>Q^^cn  wieber  eine  SÖanblung  jum  33efferen 
eingetreten  ift?  ®S  ge^t  in  ben  legten  ^^^ren  wieber  ein  3wg 
}um  ©wigen  burd^  unfere  3^^^-  Ob's  bloß  jufäHig  ift,  ha^  bieS 
mit   ber    Sntwidflung   ber    neueren   ä^^eologie    jufammenfäUt  ? 


520  ^eftetmann:  ^ag  ift  und  ^efug? 

SBicIen  ift  boc^  ba§  S^riftcntum  roiebcr  na^egcbra(^t.  ®ic  ®e« 
meinbcn  bürftcn  bei  bem  Sampf  nic^t  ocrloren,  fonbern  gewonnen 
^abcn. 

S)cr  9]Qc^teiI  ^at  fic^  crft  im  ©cfolgc  bc§  Kampfes  cingc- 
ftcflt.  SDBir  [teilen  in  berOefa^r,  über  bie  SBcrfc^ieben^eiten,  bie 
un^  trennen,  ba§  ©emeinfame,  bo^  unö  ocrbinbet,  ju  ocrgcffen. 
3ln  ber  ©cfa^r  fte^en  roir,  ba§  ba§  gemeinfame  33anb  jerriffen 
n)irb.  Unb  oon  ^ier  an^  erroäc^ft  aüerbingS  eine  gro^e  ®efa^r. 
2tuc^  für  bie  ©emeinben.  5Ri^t  nur  ba§  fie  manche  Slrbeiter  ocr* 
liert.  Unb  jmar  nic^t  bie  fcl)lecl)teftcn.  ©erobe  in  ber  legten 
3eit  me^rt  ft^  bie  Qa\)l  berienigen,  bie  fic^  au§  bem  2lmt  jurüd* 
jie^en.  33or  allem  unter  bem  jungen  5iac^n)u^§.  Sie  glauben 
bei  i^rer  (SteKung  nic^t  me^r  im  ©egen  mirfen  ju  fönnen.  SDBirb 
boc^  bie  Slrbeit  man^er  ©eiftlic^er  geftört,  menn  nid^t  gerabcju 
lahmgelegt  bur^  bie  SBerleumbungen  unb  Söerbö^tigungen,  bie 
üon  ber  einen  ober  anberen  Seite  erhoben  merben.  SBie  fc^aKen 
bie  boc^  hinüber  unb  herüber.  SBie  mirb  ba  gerebet  oon  einer 
grunbftürjenben  S^eologie,  bie  bie  gunbamente  erfc^üttere.  2öie 
mirb  ba  bie  Staatsgewalt  gar  angerufen,  bem  oermeintlid^en 
grcoel  ©in^alt  ju  tun.  Qa,  e§  fe^lt  nic^t  an  Stimmen,  bie  oon 
ben  ber  mobernen  SRic^tung  3ln^angenben  gerabeju  oerlangt,  fid) 
Don  ber  Kirche  ju  fc^eiben  unb  eine  eigene  firc^lid^e  ©emeinfc^aft 
jU  grünben.  ©§  ift  ju  befürd^ten,  ba§  e§  f^Iiegli^  noc^  jur 
Stuffünbigung  ber  tiri^lic^en  ©cmeinfd^aft  feiten§  ber  oerfc^iebenen 
t^eologif^en  SRic^tungen  tommt.  Unb  ba§  märe,  menn  au^  fein 
9tuin  be§  S^riftentumS  —  eine  ©in^eit  auf  Äoften  ber  9Ba^r^eit 
unb  grei^eit  märe  ju  teuer  crtauft  — ,  aber  bod^  eine  furchtbare 
Sc^roäc^ung  be§  '^^5roteftanti§mu§.  ©§  märe  auf§  tieffte  ju  bc* 
tiagen.  3)a  mal  einer  93erftänbigung  ober  menigften§  Annäherung 
unb  gegenfeitigen  2lnertcnnung  t>a^  Söort  au  reben,  ju  reben  ein 
SBort  ber  3?erfö^nung  unb  jur  aSerföt)nung  bürfte  ebenfo  bere^* 
tigt  mie  notroenbig  fein. 

@§  liegt  mir  babei  oöttig  fern,  bie  beftel^enben  ©egenfä^e  ju 
Dermifd)en.  3)ie  fmb  ba  unb  laffen  ftc^  nic^t  auS  ber  SBelt 
bringen,  darüber  ^inmeg  ju  reben  ober  ^inmeg  ju  täufd)en,  fic^ 
unb  anbere,  bürfte  nid)t  bem  g^i^i^^"  bienen.    3)ie  SBerfd^ieben^ 


SBeflcrmann:  SBag  tft  un§  ^cfuS?  621 

Reiten  unb  SBerf^icbenartigfcitcn  laffen  ftc^  nid&t  leugnen.  3lber 
@in§  ^aben  unb  wollen  bie  oerfd^iebenen  SRic^tungen  gemcinfam 
^aben.  2)a§  perfönlicl)e  ©^riftentum.  Unb  baS  ifi  ba§  SBetrübenbe 
in  unferer  Qzit,  baj3  bie§  fo  l^öufig  bcm  ©egner  oon  bem  ©egner 
abgefproc^en  wirb.  SEBir  fönnen  e§  nidjt  oerl^el^len,  ba§  biefer 
geiler  vox  allem  oon  ber  ort^obojen  ©eite  gemalt  wirb.  SBir 
wollen  eS  i^r  gar  md)t  beftreiten,  ba§  fte  in  gutem  ©lauben  il^re 
^Option  oerteibigt.  93eftreiten  wollen  mir  eS  i^r  m6)t,  ba§  fie 
e§  e^rlid^  unb  aufricl)tig  meint,  meint  bamit  bem  ^erm  einen 
®ienft  ju  tun.  Safe  aber  fein  ©ifern  um  ben  ^errn  mit  Un» 
oerftanb  barau§  werbe!  Äeine  Sinjweiflung  be§  inneren  ©Triften» 
tumS  foH  ba§  fein.  SSon  ber  fmb  wir  weit  entfernt.  2lber  bann 
foUte  unb  mü^te  fie  bod)  ju  berfclben  Slncrtennung  auf  ber  an* 
beren  ©eite  fic^  entfi^Iie&en  unb  entfc^lic^en  fönnen.  aWan  mag 
nun  über  bie  neuere  gorfcl)ung  benfen,  wie  man  will:  ber  ^ox^ 
wurf  ber  grioolität  unb  fiuft  2tlte§  ju  ftürjen,  um  i^r  eigenes 
JßJerf  an  bie  ©teile  beSfelben  ju  fe^en,  bürfte  bod^  unberechtigt 
fein.  ®§  ge^t  ein  großer  ©ruft  l^inburd).  2)er  @rnft :  i^  glaube, 
barum  rebe  x6);  xd)  mug.  Sßer  tann  unb  barf  ba  baiS  ©Triften« 
tum,  ba§  perfönlic^e  S^riftentum  abfprec^en?  2)ie8  tonnte  unb 
mü^te  ben  gemeinfamen  SBoben  abgeben,  oon  bem  aug  eine  93er* 
ftänbigung  möglid)  wäre.  &^  f)at  baS  ^errmann  in  feinem  „SSer* 
fe^r  beS  ©Triften  mit  @ott"  fc^on  oor  Qa^rcn  betont.  9li^t§, 
roa^  l^ärter  ift,  al§  jene  SIburteilung.  9lid^t  nur,  bag  bamit  bem 
(Jf^riftentum  wal^r^aftig  ni^t  gebient  wirb,  gebient  wirb  nur  ben 
unc^riftlic^en  unb  au^erc^riftlid)en  Äreifen:  bie  Siebloftgfeit,  bie 
babei  mit  unterläuft,  ift  unb  fann  bod)  nie  im  ©inne  ^efu  fein. 

Q6)  wci^  wo^l,  roa^  barauf  entgegnet  wirb.  (Entgegnet  wirb 
barauf,  ba§  eben  ba§  fein  ©^riftentum  mel^r  ift,  ba§  oon  ber 
mobcrnen  9ticl)tung  al§  (S^riftentum  ausgegeben  wirb.  ®arauf 
wirb  entgegnet,  ba^  bie  begriffe  unb  Slnfd^auungen  [fallen  unb 
gefallen  finb,  bie  für  baS  ecl)te,  wal^re  ß^riftentum  fonftituie* 
rcnb  fmb. 

aSir  wollen  wicber  nid^t  oern)ifcl)en  unb  oer^el^len.  Sin 
groger  Äomptey  oon  93egriffen  unb  Slnfd^auungen  ift  gefallen. 
®ine  ganje  Steige  oon  ©ä^en  ift  gefallen.    Unb  wa^  feine  Äraft, 

3rttfc^nft  für  X^eologle  unb  Äirc^e.  15.  Sa^rg.,  «.  $eft.  86 


522  aBcftermann:  ®a8  ift  un3  3efug? 

feine  93cbeutung  für  ©lauben  unb  Seben  oerliert  —  c§  mag  noc^ 
roeitet  gcfdileppt  werben  fönnen,  aber  aflmä^Iid^  ge^t  eS  unter,  e§ 
oerfi^roinbct.  9lur  roaS  (ebt  unb  ficbcn  gibt,  bleibt.  ®anje 
Steigen  Don  @ä^en  ^aben  i^re  ^raft  oertoren.  ^urj  auSgebrüdtt: 
bie  (Sä^e  über  ^^nS.  ®a  finb  gar  mand)t,  bie  un§  —  man 
mag  e§  nun  bebauern  ober  ni^t  —  nxd)t  mel^r  intereffieren. 
SBenigftenö  fielen  fie  nid)t  für  ung  in  erfter  Sinie.  2)ie  @nt^ 
fte^ung  3efu  mit  all  ben  S^agen,  bie  fic^  baran  fnüpfen,  mit  ben 
gragen  ber  ©ott^eit  unb  Srinität;  bie  objcftioe  SSerfö^nung  mit 
ber  Opfer?  unb  ©teHoertretungSt^eorie ;  bie  ganje  JReil^e  ber  fog. 
^eilStatfad^en.  3urüdgetreten  ift  ba§  „über  ;3efug".  ®a§  ift 
nun  einmal  Satfa^e.  üJlag'S  einen  ®runb  ^aben,  ben  e§  roiH 
—  ob  l^iftorifd^  berechtigt  ober  unberechtigt,  moÜen  mir  ^ier  ni^t 
unterfud^en.  greilicl)  fo  fcft  ftel^en  bie  fünfte  nii^t,  wie  fie  l^äufig 
ausgegeben  werben.  @§  ift  ba  manches  bunfel.  Um  nur  @in§  l^er* 
auSjune^men,  tfxt  rounberbare  ©eburt  ;3efu:  ob  bie  ©oangelicn, 
menigftenS  bie  ©gnoptifer  mit  berfelben  rechnen,  bürfte  minbe* 
ftenS  fraglicl)  fein.  üJlf.  3, 21.  31  ff.  lägt  fc^mertic^  eine  anbere 
(grflärung  ju.  Unb  baj3  ber  ©laube  burc^  Slufgabe  jener  ^ofi^ 
tion  nichts  oerliert,  jeigt  am  beften  ber  Slpoftel  ^aulu§,  ber  nid^t 
bamit  rei^nct.  ®in  anbereS  93cifpiel  —  bie  objcftioe  SBerfö^nung: 
bei  ^t^n^  felbft  finben  mir  biefelbe  nicl)t.  3)ic  gro^e  ©ünberin 
^at  aSergebung  o^ne  berartigc  Vermittlung;  bie  ©efc^ic^te  oom 
oerlorenen  ©o^n,  barm^erjigen  Samariter,  3öfl"^i^  wnb  ^^ari^^ 
fäer  fc^lic^en  biefelbe  nid^t  minber  auS.  Qm  2lugeftd)t  ber  ^anb^^ 
lungSmeife  Qefu  felbft  galten  berartige  ^Optionen  nic^t  ftanb.  2)oc^ 
baS  nur  nebenbei.  3Wag'§  einen  ©runb  ^aben,  ben  e§  miH:  fie 
ftnb  unferem  ©mpfinben  entfd)n)unben,  entfc^munben  bem  ©mpfin* 
ben  unferer  3^^*-  Unfere  Q^xt  mag  ja  oieleiS  mieber  lernen ;  bag 
fie  aber  fic^  jemals  mieber  für  jene  5wgen,  um  bie  früt)ere  Qaf)x* 
^unberte  fo  ^art  unb  ^eij3  geftritten  ^aben,  begeiftern  tonnte,  ift 
nic^t  anjune^men.  @§  ift  anberS  geworben.  2)ie  2)ogmatif  ^at 
i^re  3ugfraft  oerloren.  3)a§  3)ogma  über  ^efu§  —  turj  auS- 
gebrüdt  —  ift  jurüdgetreten. 

2lber  Qcfu§  felbft  ift  babei  nid^t  untergegangen,   ^m  ©egen* 
teil.    Qt\\x^  felbft  ift   geblieben,   ja  um  fo  me^r  l^erporgetreten. 


SQeftermann:  SaS  ift  uttS  SefuS?  523 

308ic  nod^  nie  in  unfcrcr  ^^xt  ©o  wie  in  unfercr  ß^it  ^^^t  nod^ 
rool^I  fein  ;3a^t^unbcrt  fxä)  mit  O^fuS  befd^äftigt.  ©o  intcnfto. 
©0  cingc^cnb.  2)a§  ©ogma  oon  unb  über  ;3cfuö  ift  jurüdgc* 
treten.  2lber  e§  ift,  al§  ob  bie  5^age  nad)  bem  gaÜen  ber  (£r* 
tlärungen  unb  2)cutungen  früherer  3^it^"  *iwr  um  fo  brcnnenber 
geworben  märe,  bie  grage:  wer  voax  benn  nun  eigentlii^  biefer 
3[cfu§  oon  Stajaret^?  mag  ^at  er  gerooHt?  roaS  ^at  biefer  SWann 
gemottt  mit  feinen  SBorten  unb  feinen  2:atcn  unb  fd^lieglid^  noc^ 
mit  feinem  rounberbaren  Sterben?  2H§  ob  unfere  3^it  "wn  erft 
red^t  barauf  2lntn)ort  l^aben  mü^te.  3)a  erfd)einen  bie  93ü^er 
mit  bem  einfachen  unb  boc^  f o  wuchtigen  Sitel :  QefuS.  Unb  md)t 
nur,  ba^  bie  i^re  SBerfaffer  finben  unb  gefunben  ^aben,  bie  finben 
unb  ^aben  auc^  i^re  Sefer  gefunben.  Sticht  ein  Sebcn  ^t\n,  ha§ 
un§  ^ier  oorgefü^rt  wirb  —  bie  SSerfuc^e  ftnb  mo^l  enbgültig  ab- 
getan. 2Iber  oorgefül^rt  mirb  unS  ba  biefer  aWann  oon  9tajaret^ 
in  feiner  ganjen  @infa(^^eit  unb  ©röfee,  in  feiner  ganjen  SWilbe 
unb  SBud^t,  in  feinem  ganjen  ®rnft  unb  feiner  ganjen  greunblic^« 
feit.  SBorgefül^rt  mirb  unS  ba  ba§  innere  Seben  biefeö  SRanneS, 
fo  ^immell^oc^  ba§  unferige  überragenb  unb  boc^  and)  mieber  fo 
ju  bem  unferigen  fi(^  ^ernieberlaffenb  unb  ba§  unferige  roedenb. 
®g  ift  rü^renb  mit  anjufe^en,  mie  fid^  bie  ©eifter  unb  ©eeten 
mü^en,  biefen  inneren  ^em,  ben  Kern  biefe§  inneren  Sebenö  ju 
erf äffen:  feine  SBSorte  unb  Saaten  bie  genfter,  burc^  bie  mir  in 
ba§  innere  Qfefu  flauen  unb  ju  flauen  fuc^en,  wie  ftd)  9tau* 
mann  au^brüdt.  ;3efu§  ift  mieber  lebenbig  gemorben.  SBieber 
auf  bem  ^lan  ift  3>«fu§.  S^f^^  leuchtet  burd^  bie  ^lO^^^^unberte 
unb  Siöl^rtaufenbe  l^inbur^.  Unb  2:aufenbe  unb  Slbertaufenbe 
jic^t  biefer  3iefu§  in  feinen  SBann.  ®r  lägt  fie  nic^t  mieber  to§. 
®r  tut  eg  il^nen  an.  @r  nimmt  unb  ^ält  fie  gefangen.  SWan 
mag  über  bie  neuere  gorfc^ung  benfen,  roie  man  miU:  fie  ^at 
ung  3i^fu§  mieber  oerfte^en  gelehrt  ober  oielmcl^r  fie  leiert  ung 
Qefug  mieber  immer  metir  oerfte^en.  SBicber  na^e  gebracl)t  l^at 
fie  un§  ben  SWann  au§  ^lajaretl^,  ben  SWann  mieber  lieb  unb 
mert  unb  ^oc^  unb  grog  gemacht  f)at  fie  ung.  9iicl)t  ben  -3^fw§ 
ber  aSergangenl^cit,  ben  ®ottmenfc^cn  nxd)t  ©onbern  biefen  3efu§ 
oon  iJtajaret^  o^ne  ade  füllen,  bie  Siebe,  2Inbetung  ober  Unoer^» 

36* 


524  SBeftexmann:  SBa8  xft  unS  ScfuS? 

ftanb  früherer  3^it^^  i^"^  umgelegt:  ber  tommt,  ber  ift  loieber 
ha  ju  fud^cn  unb  feiig  ju  mad^en,  roaS  oerloren  ift. 

Slber  ift  ba§  nod^  ©l^riftentum?  ift  babei  S^riftentum  no^ 
möglich?  3)a§  ift  bic  grage.  3)ie  wirb  oon  ber  ©egenfeite  t)er^ 
neint. 

greilic^  fprec^e  fie  nic^t  t>on  einem  93ruc^  mit  bem  ®Iauben 
ber  93ibel,  ber  Sßäter,  ber  ^Reformation.  Um  ein  ungeteiltes  unb 
unteilbare^  ®anje  ^anble  e§  fic^  ^ier,  fage  fie  nic^t.  2)amit 
mürbe  fie  fic^  felbft  ben  33oben  unter  ben  gü&en  roeggraben. 
Senn  bagegen  ift  bod^  root)l  bie  ©egenfrage  erlaubt:  mer  ^at  noc^ 
ben  DoHen  ©lauben,  ben  ©tauben  in  allen  feinen  ©injcl^eiten  ? 
mer  ^at  noc^  ba§  ooHe  Söeltbilb  ber  ©d&rift?  mer  nod^  ben  ©lau« 
ben  an  bie  9tä^e  ber  ^arufie  ?  ©age  man  ni^t,  ba§  feien  fünfte, 
bie  an  ber  ^eripl^erie  lägen,  gür  bie  bamalige  Qext  ftc^er  nic^t. 
3)a§  bilbet  einen  mefentlic^en  SBeftanbteil  i^re§  ©laubenS.  SBenn 
man  nun  einmal  ben  oollen  ©lauben  l^aben  mill,  menn  man  jjebe 
Slbroeic^ung  ober  SRobifijierung  mit  bem  Slnat^ema  belegt,  bann 
roenbe  man  bie§  aud)  erft  einmal  auf  unb  gegen  fic^  felber  an. 
3Bo^l  teiner  me^r,  ber  in  allen  fünften  auf  bem  früheren  ©tanb* 
punft  ftel^t.  308ir  ^aben  unterfc^eiben  gelernt  unb  muffen  unter*= 
fc^eiben  jmifd^en  ©lauben  unb  ©lauben§gebanten.  ^inft^tlic^  ber 
le^teren  l^at  fid^  eine  Slenberung,  eine  Söeitcrentmidtlung  oolljogen. 
SBie  auf  allen  ©ebieten,  fo  aud^  ^ier.  Unb  e§  märe  traurig, 
menn  baS  nid)t  ber  ^aü  märe.  SRit  biefem  ©runb  ift  bat)er  nic^t 
JU  operieren,  bie  oermeintlic^e  Unc^riftlid^feit  ber  neueren  Sl^eo^' 
logie  ju  bemeifen. 

Sluc^  nic^t  mit  bem  anberen  ©runbe,  ba§  baburc^  eine  gro^e 
aSereinfac^ung,  eine  SBefeitigung  gro&er  Steile  ber  ^rifilic^en  ober 
oielme^r  oermeintli^  d&riftlid^en  Se^re  oerbunben  ift.  @§  ift  ba§ 
in  SBirtli^feit  ber  %aü.  2)ie  3)ogmatifen  oerlieren  an  3)ide  unb 
Umfang.  2lber  meit  entfernt  gegen  bie  neuere  gorfd^ung  ju 
fprec^en  fprid^t  ba§  gerabe  für  fie.  ®§  ift  ba§  ein  ©ebanfe,  ben 
^arnad  mit  Sted^t  geltenb  mac^t.  ^f^be  SReformation,  jebe  6r* 
neuerung  ift  mit  einer  aSercinfad^ung,  93ef^ränfung  oerbunben. 
Sie  ift  in  erfter  Sinic  fritifc^e  Stebuttion.  @§  ift  baS  bei  ^efu§ 
ber  %aU:  m6)t  baS  ift  ba§  a3emegenbc,  roa§  er  9leue§  oerf ünbigt ; 


SBeftetmann:  2BaS  ift  imS  SefuS?  525 

oielmc^r,  ba§  er  fo  mand^cS  2lltc  unb  Ucbcriicfcrtc  rocgfaHcn  Id^t. 
Stcl^men  wir  j.  93.  bie  SBcrgprcbigt:  loaS  ift  ba8  9lcue?  SRic^t 
roaS  3»cfu^  foö*-  2)a§  ober  rocnigftcn^  baS  mciftc  finbct  [\6)  avLÖ) 
bei  ben  JRabbinern.  2)arin  ift  ben  ;übifd^en  ©elel^rten  Döttig  rec^t 
ju  geben,  roenn  pe  behaupten:  3»^fuS  l^at  nichts  SIeueS  gebracht, 
^ber  er  ^at  Dielet,  mag  bamal^  a(§  Zeitig  galt,  geftric^en.  3)ag 
ift  baS  9teue  bei  3t^fu§:  oieleS,  voa^  bie  ^^arifäer  unb  ©c^rift* 
geleierten  fagen,  fagt  er  nic^t.  @r  rebujiert.  @r  ^ebt  baS  SBSefen 
^erüor  unb  Iä§t  ba§  Stebenfäd^lic^e  Stebenfäd^ü^eg  fein.  2)aS 
^atte  Dörfer  bag  JßJefen  nur  ju  fel^r  übcrroud^ert.  ®r  befc^neibet 
bie  Derroitberte  ^ftanje,  bie  in  ber  ©efa^r  fte^t,  in  roilbe  ©c^ö§* 
linge  i^re  Äraft  ju  oerlieren.  Stid^t  ntinber  ift  e§  ber  gaH  bei 
unb  in  ber  Steformation.  SOSeld^  eine  93ef(^ränlung!  (£§  ift  nun 
einmal  ein  Slaturgefe^:  im  Saufe  ber  3^it  ^urd^  2lnpaffung  an 
bie  aSer^ältniffe  wirb  manches  in  bie  SReligion  aufgenommen,  ma§ 
nic^t  JU  x\)x  gel^ört.  ©ie  fd)iegt  9tebentriebe.  Steu^erlid^  f^einen 
fie  JU  bem  e^ten  Stamm  ju  gehören.  2lfö  ju  bem  ecl)ten  ©tamm 
ge^örenb  merben  fie  l^ingefteHt  —  notgcbrungen  mirb  ba§  9teuc 
unter  ben  ©d^u^  ber  9teligion  gefteQt.  SBenn  ber  ©tamm  nic^t 
nerroilbern  foH,  mu§  non  3^it  ju  Qtxt  ber  Sfteformator  tommen, 
ber  il^n  Don  aBen  SJlebentrieben  reinigt.  2)er  mu§  rebujieren. 
Sllfo  ba§  ift  nic^t  au§fc^laggebenb.  SSielme^r  lönnte  baiS  gerabe 
für  bie  ^Berechtigung  ber  neueren  SRic^tung  fprec^en.  Ueber  baS 
©l^riflentum,  ba§  perfönlid^c  S^riftentum  entfc^eibet  nid^t  ba§  aWe^r 
ober  9Minber  beS  @laubenin^alt§.  (gntfd^eibenb  ift  ba  bie  ©tel* 
lung  JU  Qefu.  Ob  ^[efu^  im  3Rittelpun!t  fte^t  unb  bleibt.  Ob 
3>efu§  ift  unb  bleibt  bag  3^*it^wm.  SWögen  ba  bie  einzelnen 
(Slauben^gebanfen  auc^  noc^  fo  oer!et)rt  fein.  ^6)  l^alte 
bie  ort^oboye  Siid^tung  mit  i^rer  Se^rmeife  p  ®ott  ju  tommen 
für  falfd^,  glaube  fogar,  ha^  fie  birett  bie  ajlenfcl)en  ^inbert,  ben 
redeten  SBeg  ju  finben.  2lbcr  bie  SBertreter  ortliobojer  9licl)tung 
l^alte  i^  für  ©Triften.  3l\d)t  i^re  J^eologie  ^at  fie  ju  ©Triften 
gemacht.  3^  ©Triften  geworben  finb  fie  auf  ganj  anberem  SQäege. 
3)a§  perfönlid)c  ©^riftentum  ^angt  an  ber  Stellung  ju  ;3efu. 
gür  men  Qefu§  unb  jmar  ber  gefc^ic^tlic^e  QefuS  aufhört  9Wittel* 
puntt  JU  fein  für  ©laubcn  unb  Seben,  ber  ift  fein  S^rift  mel^r. 


526  ffieftermann:  SBaS  ift  uitjg  3cfu3? 

So  lange  ic^  mi^  aber  an  3>^fum  tiammere,  burd^  ^f^fwi«  n^i^ 
leiten  unb  beftimmen  (äffe,  ^at  feiner  baS  JRe^t,  mein  inneres 
S^riftentum  anjujroeifeln. 

Unb  ba§  nun  ^btn  ift  bie  grage.  Ober  anber§  auSgebrücft : 
bie  grage  ift,  ob  ;3efu§  auc^  fo  ber  ^eilanb  ift  unb  bleibt.  93e* 
^ält  Si^fuS/  na^bcm  jene  begriffe  unb  Se^ren  gefallen  fmb,  auc^ 
fo  noc^  Qn^att  genug  31  unb  D  für  bie  ju  fein  unb  ju  bleiben, 
für  bie  jene  ^Begriffe  unb  Seigren  gefallen  fmb?  ®ag  ift  bie 
grage. 

Unb  biefe  g^age  wirb  oon  ber  gegnerif^en  ©eite  mit  nein, 
mit  einem  ftriften  Stein  beantwortet,  ©efagt  wirb:  QefuS  bleibt 
für  euc^  ni^t  ^eilanb  unb  ©rlöfer  unb  barum  ift  feine  Ueber* 
einftimmung  mögli^.  3f«fuS  ift  ^ö^ften§  für  euc^  noc^  SSorbilb, 
aWufter.  3lu§  ber  ©rlöfung  mirb  ©elbfterlöfung.  SluS  ber  Srlö* 
fungSreligion  wirb  bie  JReligion  ber  ©elbfterlöfung.  Unb  3efu§ 
miß  me^r  fein,  mel^r  al§  SSorbilb. 

3Benn  ba§  roal^r,  menn  3»efu§  ha^  nur  für  unS  ift,  bann 
^ot  bie  gegnerif^e  ©eite  red^t.  3)a§  ift  gar  ni^t  ju  leugnen. 
@en)i§,  nic^t  ha^  biefe  Betonung  Qefu  als  beS  SSorbilbeö  fo  gauj 
oermerflid)  unb  oeräd^tlic^  mdre,  mie  fie  geroö^nlic^  ^ingefteUt 
wirb.  ®o8  mirb  fie  ja.  93ei  glömmen  roie  9tic^tfrommen  ift  e§ 
SWobe  geworben.  2lber  bemgegenüber  ift  bod)  ju  beachten,  ba§ 
^efuS  felbft  öfters  bieS  SRoment  betont.  Unb  aud^  oon  ben  Slpofteln 
mirb  eS  ^eroorge^oben.  ^a,  ein  2lpoftel  ^etruS  fann  barin  bie 
ganje  93ebeutung  beS  SeibenS  Qefu  jufammenf äffen:  Sl^riftuS  ^at 
gelitten  für  unS  unb  unS  ein  SBorbilb  gelaffen,  ba|  il^r  foHt 
nachfolgen  feinen  gu^ftapfen.  SBSir  l^aben  unS  baran  gemöl^nt 
mit  einer  gemiffen  ©eringfd^ä^ung  auf  bie  Stxt  mit  bem  „Sugenb* 
menfd)en"  QefuS  ^erabjubliden.  Sticht  richtig.  2lbgefel^en  baoon, 
ba§  mir  unS  freuen  fönnten,  mcnn  biefer  ©laube  nod^  überall  bei 
uns  lebenbig  märe  unb  jmar  Icbenbig  nic^t  nur  in  SEBorten,  oiel* 
me^r  in  ber  Zat  unb  im  Seben.  Qene  ©poc^e  l^at  and)  il^re  93e* 
beutung.  @ie  mar  lebigli^  baS  Sytrem  ju  ber  oor^ergcl^enben, 
ber  ©nabent^eorie,  ber  übertriebenen  ©nabentl^eorie,  in  ber  unb 
burc^  bie  ber  3Wenfc^  §u  einer  9lull,  einem  ©tein  gemorben  mar. 
Sie  mar  eine  Steaftion  beS  fc^affenben,  arbeitenben  Qal^r^unbertS, 


ffieftermann:  ®a8  tft  ur^  SefuS?  527 

bte  Slntroort  auf  bcn  Duieti^muS,  ber  oicÜeic^t  im  ©cgcnfaS  ju 
bcr  fatl^otif^cn  SBerttrciberci  in  ber  SHeformation^jcit  am  ^Ißia^ 
xoax,  aber  ni^t  au§reid^te  für  aÜe  3^it.  2llfo  fo  gan§  rid^tig 
bürfte  bie  unter  un§  jur  9Wobe  geworbene  2lrt  über  jene  Qzxt 
JU  [potten  nic^t  fein. 

Unb  bod^:  menn  jene  ©el^auptung  ber  ®egner  roa^r  märe, 
fte  mären  im  Stecht.  9ti^t  nur,  bag  jene  2;^eorie  in  ber  2luf* 
flärungöjeit  enbgültig  abgemirtfd^aftet  i^at,  mit  biefer  2:^eorie  mirb 
man  ;3efu  unb  bem  S^riftentum  felbft  nid^t  gered)t.  ^t\\x§  mitt 
mel^r  fein.  2lu^  fü^rt  jene  Söertung  ^t^n  ju  ©d^mierigfeiten, 
bie  unlösbar  ftnb.  6§  märe  ba  oor  allem  an  9taumann  }u  er* 
innern,  für  ben  biefe  93etrad^tung  gerabeju  ju  einer  3^^fplitterung 
fü^rt:  ate  religiöfeS  ^rinjip  miH  er  ^fcfum  feft^alten,  als  fitt* 
lid^eS  ^rinjip  ift  er  für  i^n  überbietbar  unb  ju  überbieten,  mirb 
3[efu§  für  i^n  jum  „fulturlofen  orientalifd^en  SBSanberprebiger". 
aSon  bem  festeren  nimmt  er  fc^merjlid^  Slbf^ieb  al§  fämpfenber  unb 
arbeitenber  SWann  feiner  3^it-  S^ft  ^ält  er  an  3^fu  unb  feiner 
^eiligen  ©eele,  fomeit  er  Siettung  für  feine  ©eele  bei  @ott  fud^t 
unb  finbet.  Slbgefe^en  baoon,  ob  9laumann  auf  bie  ®auer  mirb 
in  biefer  ßerfplitterung  bleiben  fönnen,  er  ge^t  babei  oon  einer 
falfcl)en  JßJertung  Qt^n  au§.  6r  quält  fic^  ab  mit  ben  oerfc^ie* 
benen  Söorten  unb  aSorfd^riften  ;3efu,  bie,  fo  mie  fte  lauten,  ge* 
rabeju  unburd^fü^rbar  fmb  für  ben  ^ulturmenfc^en  unferer  Qüt: 
roenbe  bic^  nic^t  oon  bem,  ber  bir  abborgen  miH;  fo  jemanb  bir 
ben  9iorf  nel^men  miß,  bem  la§  aud^  ben  SRantel;  fo  bir  jemanb 
einen  ©treic^  gibt  auf  beine  recl)te  Sade,  bem  biete  bie  anbere 
auc^  bar  u.  f.  ro.  ®r  mirb  ftu^ig  barüber,  ba§  Ö^fuS  gar  nicl)t 
in  alle  SSer^ltniffe  eingegangen,  ganje  ftttlicl)e  Berufe  gar  nic^t 
berührt  l|at  unb  md)t  berül^ren  tonnte,  ^n  ganje  ©ebiete  ift  er 
nic^t  eingegangen,  ni^t  in  baiS  ©ebiet  be§  g^milienoaterS,  nic^t 
in  baS  ©ebiet  be§  @efc{)äft§manne§,  nid^t  in  ba§  ©ebiet  beS 
Staatsbürger^.  2llfo,  fd^lie^t  9iaumann,  ^[efuS  als  SSorbilb  nic^t 
mel^r  für  unS  }u  gebraucl)en. 

2)aran  ift  etmaS  SRid^tigeS.  Sinfac^e  SRac^a^mung  S^efu  ift 
nid^t  möglid).  3>^fuS  !ennt  nur  eine^i^bioibnalet^if:  neben  ®ott 
unb  ber  einjelnen  Seele  oerfmit  alles  anbere,  oerlieren  alle  an* 


528  SBeftetmann:  fßaS  ift  utt§  ^efuS? 

bcrcn  Scjic^ungen  unb  SBcr^ättniffc  i^rc  93cbcutung.  2)a§  efd^a» 
totogifi^e  SWoment  lüirft  babci  mit.  ®r  glaubt  ba§  3BcItcnbe  na^c, 
fte^t  in  bcr  ganjen  SBeltarbeit  in  93cruf  unb  ©taat,  in  bcn  rec^t* 
lii^en  unb  gefcHfc^aftlic^cn  gönnen  feine  Weibenben  SBerte.  ©eine 
ganje  Stellung  ift  lebigli^  religiös  gcgrünbet  unb  gerid^tct.  3lxd)t 
bag  er  ba§  menfc^lid^e  ©emeinfc^aft^Ieben  bireft  betämpft  unb 
aufgebt:  feine  SBorte  über  bie  ®]^e  fmb  eroig  gültig;  ben  SÖSert 
ber  Rinberfcete  i^at  er  erft  erfennen  geleiert  unb  jum  roeltgefcl)id^t* 
liefen  gaftor  ift  fein  SBort  l^infi^tlid^  be§  Staates  geworben: 

gebt  bem  Äaifer 2lber  tro^bem  liegt  ber  Sc^roerpunft  Qefu 

an  anberer  ©teile.  3)en  ^auptnad^brudt,  ja  beinahe  ben  einjigen 
SRad^brudt  legt  er  auf  bie  ©efmnung  unb  jroar  religiöfe  ®efin» 
nung.  Unb  barum,  fage  id^,  ift  jene  onbere  SBSertung  ^efu  falfc^. 
®amit  wirb  ^t\\x^  jum  ©efe^geber.  @r  ^ört  auf,  ^eilanb  ju 
fein.  ®§  wirb  oergeffen,  ba^  Qt\n^  n\d)t  Safuift  ift  unb  au^ 
nic^t  fein  roiH.  ;3efu§  ge^t  ni^t  barauf  au§,  SBer^altungömag* 
regeln  ju  geben.  ®r  oerbinbet  fein  ®oangelium  nid^t  mit  einem 
beftimmten  Sulturjuftanb,  turj  auSgebrüdtt.  ^ätte  er  ba§  getan, 
er  \)&tit  ®n)ige§  unb  aScrgängli^eö  oermifc^t.  5)er  Äulturjuftanb 
ift  oeränberlii^.  ^ätte  QefuS  fic^  mit  feinem  ®t)angelium  auf 
benfelben  feftgelegt,  er  märe  für  immer  auf  benfelben  feftgenagelt 
geroefen.  Späteren  Qtxkn  mit  anberem  Äulturjuftanb  ^ätte  fein 
©oangelium  nic^t  bienen  tonnen.  3^  melier  Saft  für  bie  SReli« 
gion  bie  Sßcrbinbung  mit  einer  beftimmten  Äulturepoc^e  merben 
tann,  fe^en  mir  jurjeit  an  ber  fatl)olifd)en  Äird^e:  fie  ift  rücfftän* 
big  gemorben  bur^  i^re  93erbinbung  mit  bem  mittelalterlichen 
Sulturjuftattb.  3)amit  tut  man  ^efu  unb  feinem  @oangclium 
roa^r^aftig  feinen  Sienft,  ba&  man  i^n  l^ineinjie^t  in  bie  tultu- 
reßen  93eroegungen,  für  bie  fultureüen  33emegungen  ber  Qtxi  oon 
i^m  bie  Sireftioc  o^ne  roeitcreS  t)olen  ju  fönnen  meint.  9lic^t 
ate  ob  feine  fittlic^e  Haltung  unS  nichts  me^r  ju  fagen  l^ätte. 
2)ie  ift  oielme^r  für  un§  oon  größtem  SBert  mit  i^rem  ©runbge* 

bauten:  ma§  ^ülfe  e§  bem  SWcnfc^en S)a§  ber  einjelne  ®ott 

finbet.  2)a|  ber  einjelne  reif  mirb  für  bie  (Smigteit.  Sa§  ber 
einjelne  fein  Seben  fü^rt  nic^t  beftimmt  burc^  ben  äußeren  Srfolg, 
nic^t   beftimmt  burc^  ba§  Urteil  ber  9Jlenfc^cn,   beftimmt  allein 


Söcftetmann:  9Ba8  ift  unS  3efu8?  529 

burc^  ba§  ©erou^tfcin  bcr  aScrantroortung  oor  bem  großen  (Sott. 
a)a§  bcr  einjclne  fic^  umfaßt  unb  umf^loffcn  roiffe  oon  ber  fiicbc 
®ottc§,  ber  fein  SSater  ift,  unb  fo  im  SBeltgetriebc  alg  ^erfön* 
lic^fcit  fic^  fül^Ie:  ic^  bin  mel^r  wert  ate  bie  ganje  SBelt.  ®ie 
@  e  [  i  n  n  u  n  g  roiH  Q^^n^  pjlanjen.  ®ine  ©efmnung,  für  bie  er 
gingerjeige  bei  einzelnen  ©elegen^eiten  gibt.  9Jur  afö  fotc^c  bie* 
nen  unb  foUcn  bie  einjelnen  9Wa^nungen  bei  3^fu  bienen.  2luf 
bie  ©eftnnung  fommt  i^m  alleS  an.  9iur  auf  bie  ©cftnnung. 
Unb  jroar  —  barouS  mac^t  er  fein  ^e^I  —  auf  eine  neue  @e* 
finnung.  2)ie  fte^t  ju  ber  beftel^enben  im  ©egenfa^.  (£r  miH  Io§* 
mad^en  oon  bem  alten  Sinn.  ®r  roiß  löfen.  Srlöfen  xoxU  er. 
Qene  anbere  2luffaffung  errei^t  nic^t  bie  ooDe  ^öl^e  Qefu,  ben 
ganjen  3^efu$  nid^t.  ^efuö  war  mel^r  al§  aSorbilb.  ^efuS  roar 
unb  roontc  ^eitanb  fein. 

216er  ift  unb  bleibt  er  ba§  für  un§  nod^?  2luf  bie  g^rage 
tonjentriert  fic^  alle§.  2öa§  bleibt  ^efu§?  n)a§  bleibt  QefuS,  wenn 
bie  alten  Segriffe  unb  2lnfcl)auungen ,  in  benen  roir  it)n  ju  be* 
trod)ten  gewohnt  fmb,  fallen?    5HJa§  ift  unö  3ßfu§? 

®^  ift  roo^l  ®ö^re  in  feinem  „3  SWonate  gabrifarbeiter 
unb  Äanbibat  ber  S^eologie",  ber  auf  eine  ©rfa^rung  aufmerf« 
fam  mac^t,  bie  nad)  i^m  jeber  an  ä^nlic^er  ©teile  bienfttuenbe 
®eiftlicl)e  gemalt  ^aben  mirö:  ber  2lrbeiter  ^at  feine  Sichtung 
me^r  oor  all  ben  2)ogmen  unb  Se^rfä^en  unb  S3egriffcn,  aber  in 
(ä^rfurc^t  ftel^en  bleibt  er  oor  ber  ^erfon  ^efu.  Unb  maS  ^ier 
Don  einer  beftimmten  klaffe  au^gefagt  mirb,  baö  gilt  allgemein. 
2)ie  ^erfon  ^efu  ^at  etmaö  jeben  SKenfc^en  unroillfürlid^,  aber 
unroiberfte^lic^  ®rgreifenbe§.  2öer  in  feinen  Sannfrei^  fommt, 
wirb  unb  fü^lt  fid)  feftge^alten.  SBoburd^?  aa3a§  ift  e^,  ba§  un§ 
an  biefer  ^^Jerf on  fo  fe^r  anjiel^t  ?  31id)t  baS  äußere  Seben  — 
ba§  liegt  für  un§  jum  größten  2:eil  im  2)unfeln  unb  fo  fcl)önc§ 
©eroebe  auc^  bie  ^^antafie  gefponnen  ^aben  mag,  SRcligion  ift 
mel^r  al§  ^^^antafie.  9ii^t  ba§  äußere  2tbzn  —  mir  überfe^en 
nur  einen  ganj  fleincn  9lu§fd^nitt,  bie  furje  3^it  '^^^  öffentlid^en 
aßirffamfeit  unb  biefe  auc^  fogar  noc^  nur  ju  einem  fleinen  Seil. 
3u  einem  Seben  ober,  mie  man  je^t  lieber  fagt,  ju  einer  ©efc^ic^te 
:3efu  reid^en  bie  Duellen  ni^t  au§.    5tid)t  ba§  äußere  ficben  — 


530  SBeftermattn:  ®a5  ift  uttS  3cfu8? 

ba§  !ommt  ]^öd^ften§  al§  ^intergrunb  in  ©ctrac^t,  auf  bctn  bie 
©eftalt  [lä)  ergebt,  qI§  ^intergrunb  für  ba§  innere  Seben,  ba§ 
fi^  erft  re^t  oon  biefcm  abgebt.  Sa§  ift  ba^  eigentlid^  2lnaie== 
l^enbe  bei  ;3efu.  ®a§  eigentlid^  2lnsiel^enbe  bei  3fcfu  ift  ber  S^a* 
rafter,  ber  nur  @in  ^rinjip  ^at  unb  nur  oon  biefcm  @inen  ^rin^^ 
jip  fid)  leiten  unb  beftimmen  lä^t:  (Sott.  Qn  teine§  SRenf^en 
Seben  ift  @ott  eine  fo  lebenbigc  SRealitdt  geroefen  wie  in  3>cfu 
Seben.  ©oroeit  wir  fein  Seben  fe^en  unb  fe^en  !önnen,  ift  aUe^ 
^Religion.  2Iuf  @ott  ift  feine  ©eete  in  allen  Sagen  gerichtet  unb 
bejogen.  ©eine  ©eete  befinbet  ftd)  ftet§  in  ber  ^öc^flen  Spannung, 
ol^ne  ba§  irgenbroo  unb  irgenbroenn  ein  5iac^Iaffen,  ein  ®r* 
fc^Iaffen  ju  bead^ten  wäre.  SSie  ein  elettrifd^cr  ©trom,  ber  nir* 
genb§  unterbrochen  ift,  burdjflutet  ,bie  g^ömmigfeit  fein  Seben. 
3)a§  ift  ba§  eigentli^  ainjie^enbe  bei  O^fw-  ®o^  2ln}ie^enbe  ift 
bie§  @anje,  Äonfequente,  biefer  ®rnft,  ber  ^t^u§  erfüllt:  ba  ift 
feine  ©ebroc^enl^eit,  roeber  fo,  ba^  ein  93ru^  fein  oergangeneS 
Seben  bur^jie^t  unb  biefe§  in  jroei  ^älften  teilt,  nod)  ba§  in 
ber  ©egenroart  jroei  ©eeten  in  feiner  ©ruft  wären,  bie  miteinan* 
ber  ringen.  üJlan  mag  il^n  nehmen  roo  man  roiH:  roeber  feine 
SEBorte  nod^  feine  laten  oerraten  eine  innere  Rrift§,  in  ber  er  ba§ 
oerbrennt,  xoa^  er  einft  angebetet,  unb  je^t  anbetet,  roa^  er  oer* 
brannt  \)at  6ine  „53ete^rung"  beutet  firf)  an  feiner  ©teile  an. 
2In  feiner  ©teile  auc^  etmaS  oon  bem  ©efü^l,  ba^  mir  alle  fen* 
nen  unb  ber  3)i^ter  in  bie  SBorte  f leibet:  „^z  mel^r  bie  Sieb' 
in  mir  entbrennt.  Um  fo  oiel  metir  mein  ^erj  erfennt,  SBie  e§ 
bic^  lieben  foHte."  -3e  meiter  mir  fommen,  um  fo  me^r  erfennen 
mir,  mie  meit  mir  ^intermßicl  jurüdblciben.  Sei  3>efu  anber§. 
®a  ift  fein  ^interm  ^kl  3wtücf bleiben,  fein  ©c^lec^terfein  al« 
bo§  ^rinjip,  fein  ^beal,  ba§  ^beal  bliebe:  ;3beal  unb  SBirflid^* 
feit  beden  fic^  in  jebem  2lugenblirf.  Unb  boc^  auc^  mieber  fein 
Uebermenfd^,  fein  ^errenmenfd),  fein  (Sott  in  menfd^lic^er  ^ülle. 
Qm  (Segenteil:  nil  humani  a  me  alienum.  yix6)t  ba^  i^m  alle§ 
fo  nur  in  ben  ©^o^  gemorfen  mürbe.  9lic^t  ba§  er  mül^eloS 
jum  Qkl  ^inonftiege.  (ä§  ift  ein  mirfli^er  Kampf,  ben  er  fämpft 
unb  fämpfen  mu|.  2ln  tiefen  öemegungen,  aSerfucl)ungen  unb 
3meifeln  fe^lt  e§  nic^t.    6in  Kampf  mit  fic^  felbft  —  er  ift  oer^ 


Seftetmann:Sa$  ift  utt^  3efu<S?  531 

fuc^t  glci^  loic  roxi,  bod^  o^ne  ©ünbe.  ©in  Stampf  mit  bcm  ®c» 
f^irf  unb  ©c^irffal  unb  bc§  ficbcn§  JRätfeln  —  ni^t  ba§  ftetö 
burc^fti^tig  tote  @ta§  für  i^n  ba§  fieben  tt)äre.  3lu(^  bei  i^m 
gibt'^  ©tüntte  unb  bie  SöeHen  feine§  inneren  Se6en§  gelten  ^oc^. 
©ejroeifeh  unb  gerungen  l^at  anä)  er.  Qa,  er  erft  red^t.  SRingen 
muffen  f)at  er  um  ®ott  um  bie  ©rtenntni«  fcineg  S5JiUen§  unb 
bie  (Ergebung  in  il^n.  2lber  er  ift  unb  bleibt  ftet§  grö&er  aU 
©efc^id  unb  ©c^lrffal.  ®r  ift  unb  bleibt  (S^arafter,  religiöfer 
©Baratt er:  bie  Sleligion  ba§  ©lement,  in  bem  unb  Don  bem  er 
lebt;  bie  Sieligion  ba§  Clement,  in  bem  er  ftd^  bewegt.  SSJir 
fe^en  ^ier  eine  religiöfc  Sraft,  toie  e§  eine  größere  nie  gegeben 
\)at  unb  —  a\x6)  nie  geben  mirb.  2)arin  rul^t  bie  2lbfolut^eit 
beS  S^riftentumg. 

2:un  mir  mal  alle  ^üUen  weg.  (Suiten  mir  bie§  Seben,  bieg 
innere  Seben  un§,  foroeit  möglid^,  ju  oeranfd^aulicl)en.  JßJir  feigen 
^ier  einen  2Wenfcl)en  —  bie  Suft,  in  ber  er  lebt,  ift  bie  Siebe 
@ottc§.  211^  bie  glaubt  unb  oerfünbigt  er  ®ott.  @ott  finbet  er 
fo.  Unb  jmar  allüberall.  9tid^t  nur  in  ber  ^eil§gefd^i(^te.  ^n 
ber  5Ratur,  ber  SBelt  md)t  minber.  2)a  ift  ni^tS  oon  ber  Ueber^ 
jeugung  ber  fi^le^teften  ber  SBäelten.  SBon  einem  trant^aften  ^effi« 
miSmuö  ift  bo  nid^ts.  SBeber  in  ber  bubbtjiftifc^en  gorm  eine§ 
SBogner,  nod^  in  ber  pietiftifcl)en  ^«^rm  mit  i^ren  unmännlichen 
Älogen  über  ba§  Jammertal  ber  @rbe.  ©emife,  für  ba§  @lenb 
ber  SBelt  unb  in  ber  SBclt  ^at  er  einen  93lid  mie  feiner.  @r  ift 
nid^t  fo  geiftig,  um  nic^t  ju  fagen  übergeiftig,  toie  i^n  feine  SBer* 
el^rer  oft  geftempelt  l^aben.  3Bie  feiner  f)at  er  einen  93lirf  für 
Seib  unb  Srübfal,  bie  bie  SBclt  erfüllen.  So  fet)r :  er  mirb  unb 
fann  innerli^  baoon  Eingenommen  werben,  gerül^rt  merben  fann 
er  barüber  unb  baburc^  ju  2:ränen  unb  Seufjem.  ©o  fe^r:  in 
erfter  Sinie  ju  bcncn,  bie  leiben,  roei§  unb  fü^lt  er  fid^  gefc^irft. 
yixi^t  mie  einen  Qol^anneg  treibt  e§  i^n  in  bie  SBüfte:  i^n  treibt 
e§  in  ein  Seben  ber  2lrbeit  unb  be§  ®ienen§  bi§  jum  2:ob.  6r 
fuc^t  bie  Verlorenen  auf.  ^Berufen  fül^lt  er  ftd^,  in  erfter  Sinie 
benen  (Srlöfuttg  unb  Befreiung  ju  bringen.  yi'\d)t  in  äu§erlicl)er 
aOSeife  —  \>a  liegt  ber  fd^arfe  Unterfd^ieb  jmifc^en  i^m  unb  ben 
jübifd^en  ®rängern.  Sa§  ift  e§,  waS  in  unferer  3^it  fo  oft  oer* 


582  SBcftermann:  3Bag  ift  ung  3efuS? 

geffen  wirb,  lüenn  man  i^n  jum  ©ojialtftcn,  ©ojiatreformcr  ma^t. 
®ic  ^i(fc,  bic  er  bringt,  ift  in  crftcr  Sinic  gciftig  unb  gciftlid^. 
^alt  roin  er  bieten  nic^t  unter  biefem  SIenb  ju  oerfmten,  ni^t 
unterzugehen  unb  ben  Äopf  tiängen  ju  laffen,  oietme^r  größer  ju 
fein  aU  bie  SBellen,  bie  un§  umgeben.  ®r  bietet  ben  ^alt  in 
bem  ©lauben  an  bie  Siebe  ®otteS.  Sie  ift  für  i^n  eine  SJBirf* 
lid^feit  unb  jroar  im  Unterfd^ieb  oon  ber  jeitgenöfftfcl)en  %xöm* 
migfeit,  bie  unter  bem  ©inbrud  ber  traurigen  ©egenroart 
i^ren  @lauben  beinahe  au^fc^lie^lid^  in  Hoffnung  manbelt,  eine 
gegenmärtige  Söirtlic^feit,  nic^t  nur  eine  Sac^e  ber  ß^f^nft  unb 
Hoffnung.  @ine  anwerft  lebenbige  SBirtli^feit  ift  fie  für  i^n. 
3n  beinahe  naioer  SBeife,  wenn  man  fo  fagen  barf,  rebet  er  oon 
ber.  ©eroife,  in  erfter  Sinie  ift  (Sott  für  il^n  ber  2lIImäd^tige,  ber 
aud^  bie  ^aare  auf  unferem  Raupte  aQe  geiö^tt  l^at  unb  ol^ne 
beffen  SBiQen  ni^t  einmal  ein  (Sperling  nom  S)ac^e  fäQt  unb 
faDen  tann.  2lber  biefe  SlHmad^t  ift  bod^  nur  ber  Untergrunb 
jeine§  ©ottoaterglaubenö.  ©o  ^od^  i^m  au^  ©Ott  fte^t,  nid^t 
meltabgeroanbt,  meltjugemanbt  glaubt  er  ben:  ber  leud^tenben 
©onne  gleid^  fte^t  am  girmament  feinet  ©laubenS  ber  ©ottoater» 
glaube.  3Wit  einer  ©ic^er^eit  mie  niemanb  oor  i^m  erfaßt  unb 
^ält  er  ben  feft.  @r  tann  e§  gar  md)t  oerftel^en,  mie  bie  3Wen« 
fc^en  nur  eine  anbere  SöorfteDung  oon  ©ott  l^aben  unb  ^aben 
tonnen.     @e^t    bo^   in   bie    Statur    hinein:    feilet    bie   Sßöget 

unter  bem  ^immel  an ;   fe^et  bie    Silien    auf   bem 

gelbe SBSie  tonnt  3»  ^^  ^ö  nur  forgen?    2luf  eud^  f eiber 

ad)Ui,  aä)M  auf  ben  3^9  i>^^  eigenen  ^erjen§ :  mo  ift  einer  un« 
ter  Sud),  ber,  fo  i^n  fein  ©o^n  bittet  um  einen  gifc^  . . .,  ber 
il|m  eine  ©erlange  gibt.  3Bie  tonnte  ein  SBater  feinem  Äinbe 
etn)a§  geben,  ba§  i^m  fd)abet.  Unb  ba§  nel^mt  i^r  oon  ©ott  an  ? 
D  it|r  kleingläubigen!  ®§  ift  fo  etma§  9tatürlic^eö,  ©infa^e^ 
bei  -Scfu,  biefer  ©laube  an  bie  Siebe  ©otte§.  211^  ob  e§  gar 
nid^t  anbcr^  fein  tonnte.  2ll§  ob  e§  ftd)  oon  felbft  oerftünbe. 
2)a§  ©cl)n)ere  unb  ©c^mierige  nic^t,  fie  ju  glauben.  ®a§  ©c^mere 
unb  ©c^mierige,  mie  bie  50lenfc^en  nur  auf  einen  anberen  ©e= 
bauten  tommen  tonnen,  ©ott  ift  Siebe,  Siebe  ftet§,  nur  Siebe, 
nxd)t^  anbere§  aU  Siebe.    2lu§  ber  Siebe  tommt  er  nie.    Unb 


SQeftexmann:  9Bai?  ift  utt§  Sefu§?  533 

l^icr  fommt  feine  ^rebigt  nun  auf  i^re  ganje  ^ö^c.  2K§  Siebe 
feiert  et  @ott  tro^  aller  ©ünbe  unb  bei  aller  ©ünbe  ber  üWen« 
fc^en.  @r  oerfünbet  ben  (Sott,  ber  ©ünbe  oergibt,  ben  @ott,  ber 
ben  oertorenen  ©o^n  gerabe  aufnimmt,  bem  ber  oerlorene  ©ol^n 
me^r  mert  ift  al§  bie  99  ©ere^ten,  bie  ber  SBujje  nicl)t  bebürfcn. 
aWit  ber  aSerloren^eit  ber  SWenf^en  fteigt  bie  Siebe  ©otteö.  ©o 
oerfünbet  er  eS  in  ben  fd)önften  ©leic^niffen,  bie  i^ren  ®inbrud 
nie  oerfc^len:  in  ben  ©leic^niffen  oom  oerlorenen  ©rofi^en  unb 
oerlorenen  ©d^af  unb  erft  rec^t  oom  oerlorenen  ©ol^n.  Unb  baS 
mieber  mit  einer  ©ic^erl^eit  unb  ©elbftoerftänblic^teit,  bie  nid)t 
iu  überbieten  ift:  fo  mac^t  il^r  üJlenfc^en  eig,  ba§  SBeib  fuc^t  ben 
©rofd^en,  ben  e§  oerloren,  ba§  ©d^af,  ba§  fxi)  oerirrt  l^at,  ber 
^irte  unb  ber  SJater  fpricl)t  nid^t  me^r  oon  ber  Vergangenheit, 
menn  ber  ©o^n  au§  ber  g^embe  ^eimfel^rt.  SBie  fönnt  i^r  nur 
einen  anberen  ©lauben  an  ®ott,  eine  anbere  SBorftellung  oon 
©Ott  ^aben!  Unb  barum  einen  frifc^en,  froren  3Wut  ju  ©ott 
gefaxt!  3)a§  ber  l^etle  ^intergrunb  aller  feiner  SBorte.  ®a§,  mag 
au§  allen  feinen  SBorten  l^erau^flingt. 

Unb  nid)t  minber  au§  feinen  2;aten,  feinem  Seben.  ^ä) 
benfe  babei  in  erfter  Sinie  nid^t  an  bie  Späten  ber  bireften  Siebe, 
oon  benen  un§  berichtet  wirb.  S)ie  anjujmeifeln  liegt  fein  ©runb 
oor.  O^ne  auf  bie  SEBunberfrage  im  einjelnen  einjugelien:  na^ 
allen  ^lad^ric^ten  ift  anjune^men,  bag  burd^  fein  SB8ort  bie  ©ee* 
len  fo  erfd^üttert  mürben,  ba§  bie  Seiber  baburc^  genafen.  3Bun= 
berbare  SGBirfungen  muffen  oorgefommen  fein.  —  3lu^  nid^t  in 
erfter  Sinie  benfe  id)  bobei  an  bie  2:at  ber  Siebe,  in  ber  er  fic^ 
ber  Verlorenen  xax'  ^^oxt^jv,  ber  ©ünber  unb  3öllner  annimmt. 
6§  mar  ba§  mirflid)  eine  a:at.  SBir  !^aben  baför  nur  aHju  fel^r 
ba§  ©efüljl  oerloren.  Verloren  ^aben  mir  nur  allju  fe^r  ba§ 
@efüf)l  für  ben  ©egenfa^,  ben  er  babei  ju  überminbcn  ^at.  3öll' 
ner  unb  ©ünber  —  ein  ©ammelname  für  bie  Vermorfenften  un* 
ter  ben  Vermorfenen.  3öllner  unb  ©ünber  —  mir  mürben  fagen: 
Sumpenpad.  Unb  mit  benen  oerfe^rt  9efu§.  Sticht  mie  bie  ^^a^ 
rifäer  unb  ©c^riftgele^rten,  bie  t^nen  ©trafreben  l^atten  über  it)re 
©^led)tigfeit  unb  Vermorfen^eit  unb  Vujsprebigten,  ba§  fic  in  ftd) 
gelten.    Vielmcl^r  ganj  freunbtic^  unb  lieben^mürbig.    ®r  ^ebt  fie 


534  ffieft ermann:  2Ba3  ift  un<8  3efug? 

inncriic^.  Qnncrli^  roanbclt  er  fie  um.  (£r  rcbet  i^ncn  Don  ber 
Siebe  ®otte§.  Unb  nid^t  nur  bajj  er  oon  ber  rebet.  3)ie  lebt  er 
felbft.  2lu§  feinen  eigenen  Bügen  lefen  fie  bie.  ©ie  füllen  fi^ 
gel^oben,  ba§  ber  3efu§  fic^  mit  i^nen  einlädt.  S)a  ift  leine 
^erabtaffung.  9Wan  ^at  bi§n)ci(en  ben  Sinbrud:  Q^fuS  felbft  ift 
l^ingeriffen  üon  ber  @üte  feinet  Sßatev^  im  ^immel.  ©ie  merben 
fic^  bemüht:  wie  werfen  wir  un§  boc^  weg,  wie  leben  mir  unter 
unferem  JßJert  —  ba  ma^t  ber  nerlorene  ©ol^n  fic^  auf  unb  ge^t 
ju  feinem  Sßater :  SSater,  i^  ^abe  gefünbigt ;  ba  oergie^t  ba§  fün* 
bige  3Beib  ^ei§e  2:ränen  ber  Sieue  unb  fcl)mcre  Späten  ber  93u§e 
tut  ein  Sa6)än§  unb  ein  fieoi  !e^rt  bem  3ott^aufe  ben  SRürfen, 
bem  nac^jufolgen,  ber  ba§  ^erj  if|m  abgerungen  ^at.  ©ie  erte« 
leben  bie  (ärlöfung.  308ie  ein  elettrifc^er  gunte  fpringt  Don  bie* 
fem  3>efu  auf  fie  ber  ©laube  an  bie  Siebe  @otte§,  an  bie  fünben» 
uergebenbe  Siebe  @otte§  über. 

2lm  meiften  aber  Hingt  fein  ©laube  ^erau§  auS  ber  Sat 
feinet  eigenen  Seben§.  ®r  glaubt  an  eine  üWiffion.  3ln  eine 
aWiffton  oon  ®ott.  ®a§  93emu§tfein  ift  nid)t  au§  feiner  93ruft 
JU  nehmen.  SEBir  moüen  barüber  nid^t  ref[e!tiercn,  mann  e§  in 
i^m  aufgemacht:  ob  frü^  ober  erft  bei  ber  Jtaufe  —  e§  ift  ba. 
SBir  f e^en  i^n  nur,  ba  erft,  mo  e§  i^n  befeelt.  (5r  mei^  fic^  oon  ®ott 
gefanbt.  ©efanbt  mei§  er  ftd)  ben  3Wenfc^en  ®ott  ju  bringen  unb 
jmar  ®ott  al§  Siebe.  Unb  baran  ^ält  er  feft.  geft  ^ält  er  baran, 
mag  er  nun  ®ott  erleben  ober  nid^t.  ®r  erlebt  ®ott  nid^t.  @r 
arbeitet  umfonft.  gruc^t  feinet  SBerfe^  bleibt  au§.  SWit  Unoer- 
ftanb  unb  Unglauben  l|at  er  ju  fämpfen.  5)bd}  ^offnung§oollem 
atnfang  feiner  2öir!famfeit,  mä^renb  beffen  i^m  bie  üJlenge  in 
unerhörter  ißegeifterung  jugejubclt,  !ommt'§  jum  ©tillftanb,  ber 
jum  rapiben  SRüdgang  mirb.  Qn  bem  ^o^n  unb  ©pott  ber  Sluto- 
ritäten  gefeilt  fid)  bie  Sreuloftgfeit  berüJlaffe  unb  bie  ®t)arafters 
loftgteit  ber  jünger  unb  ber  93errat  au§  bereu  SWitte.  Unenbtid^e 
©infamfeit  unb  äSerlaffenl^eit  ift  fein  So§:  ber  mein  53rot  iffet, 
tritt  mic^  mit  gü^en.  SBenn  irgenb  einer  umfonft  gearbeitet,  fo 
ift  e§  3cfu§.  9li^t§  bleibt  i^m  erfpart.  aim  @nbe  feinet  SBir* 
tcn§,  feinet  2Berben§  um  bie  ©eele  feinet  95olf§,  in  bem  er  fic^ 
burc^  feine  ®nttäufcl)ung  ^at  irre  mad^en  laffen,  fte^t  bie  größte 


SQeftexmantt:  SaS  ift  un§  defuiS?  635 

©nttäufc^ung:  Qerufalcm,  Qcrufalem,  roic  oft @ro|jügiger 

^at  feinet  gebadet  geftrcbt,  feiner  je  me^r  ba§  33efte  ber  9Wenfcl)en 
gerooDt  —  ber  je  me^r  atö  Qt^n^  erlebt,  ba^  bie  3BeIt  mit  Un« 
banf  oergilt,  au^  feiner.  Unb  nid^t  nur  bie  SBebeutung  einer 
entmutigenben  (grfa^rung  \)at  bag  für  i^n.  gür  i^n  liegt  barin 
jugleic^  eine  f^roere  a3erfud)ung.  S)ie  fc^roere  SBerfu^ung,  ob 
fein  308eg  ber  recl)te  ift.  ®ie  SSerfuc^ung  tritt  an  i^n  ^eran  wie 
in  bem  ®egenfa§  ber  geinbe,  fo  auc^  in  bem  paffioen  Söiber* 
ftanb  ber  aWenge.  3!"*"^^^  unb  immer  mieber  ^at  er  ftd^  gegen 
bie  aSerfucl)ung  ju  meieren.  ®rft  unter  biefem  ®eftd)t§punft,  erft 
unter  bem  ©efi^töpunft,  ba§  er  fic^  felbft  au§  ber  ©eele  fpri^t, 
werben  mand^e  feiner  SBorte  unb  ©leic^niffe  oerftänblic^.  ©o 
j.  93.  ba§  @leid)ni§  oom  ©äemann:  baS,  mag  bort  auf  bem  gelbe  ge« 
fi^iel^t,  ber  teilmeife  3Wi§erfoIg,  neben  bem  aber  auc^  ©rfolg  fte^t, 
tröftet  i^n  in  feiner  2lrbeit.  ®r  oerteibigt  bamit  feinen  ©tauben 
gegen  bie  a3erfucl)ung,  bie  fid^  an  il^n  ^eranfc^Ieid^t.  —  ©cl)lie§* 
H^  fommt  e§  jur  Äataftrop^e,  in  ber  fein  ©laube  bie  Feuerprobe 
JU  befielen  l^at  unb  a\x6)  befielet,  ©emig,  ni^t  al§  Uebermcnfd) 
ge^t  er  in  fie  l^inein.  Sluc^  nid)t  alö  ©ott.  ®a§  ift  nicl)t  nur 
©^ein,  mag  un§  oon  feinen  inneren  Kämpfen  berid)tet  wirb.  @r 
^at  ju  ringen,  roirflic^  ju  ringen,  ©r  ift  ganj  SWenfd^.  2lber 
aud^  ba  oerfinft  er  nii^t.  Unb  ob  er  meber  3Beg  nod^  ©teg  fte^t, 
ob  afle§  anberg  fommt,  aU  e§  feinen  ©rmartungen  entfprid^t,  ja 
auc^  nur  ber  Statur  entfpric^t,  alle§  anberg  fommt,  al§  eg  bem  Qn« 
tereffe  ©otteg  f eiber  bient  unb  ju  bienen  fc^eint,  er  ^ält  feft  an 
bem  ©laubcn  an  bie  Siebe  ©otte§:  Siebe  ift  ©ott,  ©ott  bleibt 
Siebe,  mag  id^  aud^  untergeben,  mag  er  mid^  auc^  untergel^en 
(äffen,  mic^  jerfd^mcttern  unb  fc^eitern  laffen.  @r  ift  größer  atö 
fein  ©efd^irf  unb  ©c^idfal.  SBal^r^aftig ,  fo  \)at  noc^  nie  ein 
aWenfc^  gerebet.  Unb  mag  noc^  mel^r  ift:  fo  ^at  nod)  nie  ein 
3Wenfc^  gelebt,  geglaubt  ^at  fo  nod^  nie  ein  9Wenfd).  ©olc^  ein 
©laube  ift  nod^  nie  geroefcn.  ©eglaubt  nie  noc^  folcf)  ein  ©laube. 
gürma^r,  eine  2:at,  eine  unenblic^  fül^nc  Jat,  aller  ©elbftocr* 
ftänblic^feit  roiberfpre^enb  unb  ju  allem  2lugenf^ein  in  fcl)roff= 
ftem  ©egenfa^e  fte^enb:  ber  ©ott,  ber  feinen  3Beg  im  ©unfein 
gelten  unb  fd^lie^lic^  im  ginftem  enben  lä|t,  ben  ©ott  glaubt  er 


536  SB  c ft  c r  m  a  n n :  SBag  ift  un8  3cfug? 

in  jcbcm  Slugenblid  fcinc§  ScbcnS  ate  SSatcr. 

SWan  f ann  nur  fragen,  roa^  größer  ift :  fein  ©taube  ober  feine 
Siebe.  Sie  l^angcn  auf§  engfte  miteinanber  jufammen,  auf§  engfte 
miteinanber  jufammen  ba§  SReligiöfe  unb  Sittliche,  ©eine  „Sog« 
matif"  fü^rt  oon  felbft  jur  „®t^if".  ©ein  ©laube  fommt  erft 
in  feiner  fittlidien  2lrt  jur  (JrfüDung  unb  feine  fittlic^e  2lrt  ift 
roieber  o^ne  feinen  ©lauben  unben!bar.  ©infam  fte^t  er  unter 
ben  üJlenfc^en.  Unoerftanben  unb  unbegriffen,  gür  fein  3irf  f^i« 
93erftänbni§.  3Bo^I  füllen  fie  fic^  oon  feinen  SBorten  begeiftert, 
aber  nur  begeiftert.  S)a§  ift  ein  SBerf  be^  Slugenblidg.  3Wit  bem 
SlugenblidE  oerfliegt  e§  roieber.  @r  greift  ju  anberen  SJiitteln. 
3u  ben  SKitteln  ber  2:at.  Qu  praftifc^er  Siebeötat.  Slber  auc^ 
fo  feine  bauernbe  93eeinfluffung.  9Benigften§  nic^t  für  ba§,  roaS 
3[efu§  eigentli^  roitt.  ^a,  e§  fpi^t  immer  me^r  ber  Sonflift  fic^ 
ju.  ®§  tommt  jum  ©ruc^.  Qux  Äataftrop^e  tommt  e§  fc^Iieg* 
lic^.  Sie  einjelnen  gäben  finb  un§  ni^t  immer  beutlic^.  3Wand^c^ 
liegt  t>a  für  un§  im  Sunteln.  Sie  Skitfa^e  aber  liegt  oor:  ^e« 
fu§  gefreujigt.  3^bo^  nun  QefuS  felbft!  5Uid|t  nur  nid|t  bitter 
unb  oerbittert.  9lic^t  ber  SBelt  flu^enb  ftirbt  er.  ®r  oerliert 
nic^t  ben  SJhit.  2ln  ber  aJienfc^^eit  oerjmeifelt  er  ni^t.  Sen 
©tauben  an  bie  2Jienfc^^eit  gibt  er  ni^t  auf.  Sen  ©tauben  bc« 
^ält  er.  Qa,  and)  biefen  feinen  2:ob  mei^  er  noc^  bem  ©tauben 
bienftbar  ju  madien:  „©o  roa^r  mic^  ©ott  für  eu^  jum  Opfer 
gibt,  fo  fefte  ftel^t'g,  ba&  er  eu^  emig  tiebt"  —  !ein  SBort,  ba§ 
un§  me^r  ba§  @e^eimni§  feine§  SobeS  al^nen  tä^t.  gür  euc^! 
eJür  euc^!  Samit  überroinbet  er  in  ber  ©tunbe  be§  2lbenbma^t§ 
ba§  furd^tbare  Sunfet  feineig  ©terbenS.  9lic^t  eine  Ji^eorie,  feine 
Sogmatif,  bie  er  ba  gibt,  ©r  ftirbt  in  ber  ©croipeit,  ba§  fein 
©terben  oieten  jugut  fein  merbe.  ©i§  jum  testen  ift  er  treu. 
Jeft  ptt  er  bi§  jum  testen.  ®r  tagt  fi^  nic^t  abbringen  oon 
feinem  ©tauben.  S3on  ber  Siebe  abbringen  tä^t  er  fiij  nid^t.  ®r 
ift  unb  bteibt  S^arafter,  ©^arafter  in  bem  ©tauben:  ©ott  ift 
Siebe  unb  i^r  bie  Äinbev  ©otte§.  Stetigiöfer  S^arafter  —  bie 
gröjste  retigiöfe  Straft,  bie  e§  je  gegeben  ^at  unb  geben  mirb  .  .  . 

©0  fc^auen  mir  ^fcfum  an.  Sa§  ber  ©eminn,  ben  bie  neuere 
S^eotogie  un§  bringt  unb  gebrad)t  ^at,    SUlag  fie  im  übrigen  fein 


SBeftcrmann:  SBaiJ  ift  un8  3efug?  537 

loic  unb  roag  fic  xoxU,  fic  mag  untergel^en,  bic§,  bic§  aHein  fc^on 
fiebert  i^r  eroige  93ebeutung.  Sic  lä^t  un§  3efu§  feigen,  ©c^en 
Id^t  fic  un§  3«fw  inneres  Sebcn.  ©ie  le^rt  unS  ni^t  oon  Qefu 
unb  über  ^fcfum  ju  ben!en  unb  ju  rcben.  Qefum  felber  nac^ju:' 
benfen  le^rt  fte  un§,  Ic^rt  fic  un§  immer  me^r.  ^»tttmer  me^r 
le^rt  fie  un§  Qefum  in  feiner  ganjen  ®rö§e  unb  ^öl^c  ju  er* 
greifen  unb  ju  begreifen  unb  ju  oerfte^en.  ®a  mögen  alte  ®e* 
ban!enrei^en,  oieDeic^t  (ieb  geworbene  ©ebanfenrei^en,  ©ebanten» 
reil^en,  bie  mir  oon  ben  SBätern  ererbt,  ju  ®rabe  ge^en  —  ge« 
VD\%  in  ber  erften  3«it  fäDt  e§  einem  fc^mer,  fi^  barein  ju  fin* 
ben;  al§  ein  SJerluft,  aU  ein  unerfe^lic^er  SJerluft  erfc^eint  eS 
einem  juerft,  bann  aber  mirb  eS  ju  einem  Serluft,  ber  weit,  meit 
überboten  mirb  burc^  ben  ©eminn,  ben  man  empfängt,  Qe\\x§ 
felbft  mirb  fo  größer,  .^ö^er  empor  fteigt  für  un§  fo  Q-^fuS. 
9Bir  fe^en  Q^\\x  inneres  Seben.  35ie  innere  Äraft,  bie  religiöfe 
Äraft,  bie  i^n  befeelt,  mirtt  mit  i^rer  ganjen  löfenben  unb  ertö« 
fenben  SBirfung  auf  unS  ein. 

Qa,  bie  löft  unb  erlöft  unS.  2)ie§  Slnf^auen  ber  größten 
religiöfen  Äraft,  bie  je  einen  9Wenfd)en  befeelt  ^at,  l^ilft  unS  fromm 
ju  leben  unb  ju  bleiben  inmitten  unferer  3«it  unb  SBelt,  inmitten 
unferer  fiage  unb  Ser^ältniffe.  Sa§  ift  mel^r  als  aJiorat.  SWe^r 
als  aSorbilb  ift  unS  :3[efuS  ba.  QefuS  ift  unb  mirb  unS  ba  mirif* 
li^  jum  @rI6fer  unb  Stetter  unb  ^eitanb.  Ql)m  gegenüber  fmb 
mir  nid)t  mie  bie  SEinber,  bagegen  er  ber  ausgereifte  S0iann.  SBir 
nic^t  bie  Unentroidtelten,  er  bagegen  ber  ausgereifte  ©^arafter. 
3i^m  gegenüber  fmb  mir  bie  Äranten,  bagegen  er  ber  einjig  ®e* 
funbe.  3Bir  bie  SSerlorenen,  bagegen  er  ber,  ber  allein  ben  rec^* 
ten  SBeg  mei§.  SBir  bie  93erirrten,  bagegen  er  ber  gül^rer.  SBir 
füllten  ben  2lbftanb,  ber  oon  i^m  unS  trennt.  2ln  unfere  93ruft 
f (plagen  mir:  ®ott,  fei  mir  ©ünber  gnabig! 

SBie  Kein,  furchtbar  flein  fommen  mir  unter  bem  ®inbrudE  biefer 
^erfönlic^feit  unS  oor.  9Bie  Keinen  unb  tteinlic^en  3)ingen  fangen 
mir  bo^  im  ©egenfa^  ju  i^m  an.  9Bie  leben  mir  bo^  unter 
unferem  SBerte.  ^^v  feib  ®otteS  Kinber,  eure  ©eele  me^r  mert 
als  bie  ganje  9Belt;  ber  9Bert  ber  ganjen  SBelt  reicht  nic^t  an 
ben  SBert,  ben  a\xi)  nur  Sine  ©eele  ^at,   ^at   felbfl  bie  ©eele 

8fitf(^r4ft  fflr  Xl^eoloßte  unb  «trc^e.    16.  ga^rg.,  6.  $eft.  37 


688  9Beftermatitt:  SBa»  ifl  un§  3efu§? 

eines  ÄinbeS!  ©o  fagt  Qt\n§.  Unb  mir  tonnen  unS  roegmerfen 
an  bie  Singe  bcr  SBelt,  tonnen  oieüeid^t  gar  buntlen  Singen 
bienen.  SBir  fc^ämen  unS  oor  Qt\\x,  muffen  un§  an  i^m  fc^ämen. 
QefuS  beugt  unS,  ba§  mix  bie  ^anbe  falten:  i^  l^abe  gefünbigt, 
fünbige  tagli^  no^.  SBir  finb  fo  wenig  ®^arattere.  SQ3ie  eS  3«^ 
fu§  war:  fo  ungebunben,  fo  frei,  fo  nur  ®inem  ^\dt  lebenb.  S)a« 
gegen  mir  fo  jerfplittert,  fo  geteilt:  mit  jmei  ©eelen  in  ber  93ruft 
. . .  .  @o  gegenüber  unS  felbft. 

9ti^t  minber  ®ott  gegenüber.  3fefu§  fü^rt  in  aßen  Sagen 
bur^ :  i^  ftel^'  in  ©otteS  ^anb ;  eS  tann  mir  nichts  gef(^e^en  .... 
Sarin  lä^t  er  bur^  nichts  fi^  irre  machen.  Unb  nun  mir !  SBir 
bei  bem  leifeften  SBinb^au^  jufammenbrec^enb,  oei^meifelnb  unter 
ben  tieinften  Snttäuf jungen.  9Bir  fo  gebunben  an  bie  2lu§en* 
melt  unb  in  unferem  ©lauben  fo  beftimmt  burc^  ©rfa^rungen. 
SQSir  fo  menig  l^abenb  oon  bem  magren  „bennoc^"  be§  ®lauben§ : 
bennoc^  bleibe  ic^  ftetS  an  bir  —  erft  rec^t  fo  menig  oon  bem 
„tro^bem" :  „menn  ic^  auc^  gleid)  nichts  fü^Ie  SJon  beiner  9Wa^t, 
Su  fü^rft  mi^  bodi  jum  QxtU  2luc^  bur^  bie  9lac^t."  SEBie 
flein,  minjig  ilein  pnb  mir  biefem  Qt\\x  gegenüber.  Unb  nic^t 
nur  ba§.  SBir  fügten  unfern  Äleinglauben ,  unfern  Unglau^ 
ben  als  etmaS,  maS  nic^t  fein  follte  unb  fein  bürfte.  ailS  ©ünbe 
füllen  mir  unfern  Klein*  unb  Unglauben.  SBir  füllen  eS  als 
©ünbe,  menn  mir  ben  Äopf  fo  leicht  l^ängen  taffen,  fo  menig 
^erauSmac^fen  unb  ^erauSragen  über  ®efd)id  unb  ©^idEfal.  2llS 
©ünbe  füllen  mir  eS,  menn  mir  fo  menig  unfern  ^la^  in  ber 
SBett  behaupten:  balb  ^immel^od)  jaudijenb,  balb  jum  2:obe  be* 
trübt  finb  mir.  Siefe  S^aratterlofigtcit  füllen  mir  als  ©ünbe, 
als  ©ünbe,  ba§  mir  fo  menig  @rnft  mad)en  mit  bem  ©lauben 
an  bie  Siebe  ®otteS. 

2lu^  fo  menig  ©ruft  ma^en  mir  mit  ber  Siebe  bem  9lä^ften 
gegenüber.  Sa  tut  fic^  ber  ganje  aibftanb  jmif^en  unS  unb  Qz\\x 
nic^t  meniger  auf.  SBie  menig  ^aben  mir  <3^fu  ©inn,  ber  fid^ 
nid^t  oom  ©Öfen  überminben  lä§t,  oietmel^r  baS  35öfe  überminbet 
mit  ®utem.  SBie  menig  oon  ber  ®efinnung  3efu.  ®emi§,  nid^t 
nur  leibet  unb  bulbet  bie.  ®S  ift  baS  ein  ganj  fatfc^eS  93ilb,  in 
bem  uns  ^t^u^  fo  l^äufig  bargeftetlt  mirb.    Qu  bem  maleren  3e* 


SBeftermattn:  SBai^  ift  uttS  SefuiS?  539 

fuSbilbe  gel^ört  and)  ber  ^t\nS,  ber  bic  ®ei§el  fc^roingt.  3>^fw8 
tämpft.  Qx  bcfämpft  bic  ©ünbc.  2lber  bcn  ©ttnber  liebt  er. 
3om  unb  Siebe  roei^  er  ju  ocreinen.  3)a§  ^öd^fte  für  il^n :  oer« 
geben,  nic^t  rächen;  md)t  richten,  fonbern  oerjei^en;  g^ieben  ftiften, 
ni^t  oergclten;   unb  ba§  nid^t  ftebenmd,   fonbern  fiebenjigmal 

fiebenmal 9Bir  mad^en'^  gerabe  umgefe^rt.    Sen  ©finber 

betämpfen  wir,  aber  rouc^em  laffen  mir  bie  ©ünbe.  SBon  ber 
©ünbe  laffen  roir  unS  überroinben,  erroibem  mit  ©ünbe  auf 
©ünbe.  .^err  ^t\n,  wie  Kein,  roie  flein  fmb  mir.  SBor  bir 
finfen  mir,  bu  ©roger  unb  ^ol^er  unb  ©uter! 

2lber  wir  oerfinten  nic^t.  SBir  oergel^en  ni^t  roie  oor  ber 
©onne  ber  ©c^nee.  9lid|t  wie  ber  ©c^metterling,  ber  am  Sid^t 
fic^  bie  %lüQd  jerflattert.  ©o  voxx  nic^t  an  ^^fw-  »®^  beugt 
ben  ©tola  unb  ba§  SSerbienft  bamiebcr,  er  beugt  mic^  tief  unb 
er  ergebt  mi^  roieber."    ^e\\x8  l^ebt  unb  erl^ebt  un§  unmiüfürlid^. 

3Bir  fe^en  i^n,  oorübergel^en  fe^en  mir  il^n Siefe  ^crfön» 

li^teit,  biefe  am  rcinften  unb  tiarften  unb  fc^önften  l^erauSgear» 
beitete  ^erfönlic^feit  ber  9Wenf^engefd^ic^te.  9Bir  fe^en  i^n  nic^t 
an  ber  aWenf^l^eit  oerjroeifetn,  ben  ©tauben  an  bie  üJlenfc^l^eit 
nid^t  oerlieren,  i^n  oielme^r  feft^alten  unter  allen  ®nttäufd^ungen 
unb  aWigerfolgen.  9Bir  fe^cn  i^n  bie  einjelne  ©eele  werten  mit 
bem  l^ö^ften,  größten  SEBert  —  mir  rid^ten  un§  an  i^m  auf,  ge- 
l^oben  unb  erl^oben  füllen  mir  un§  unmiQtürli^.  ©ein  innerei» 
fieben  fe^en  mir  —  ni^t  nur,  ba^  e§  unS  treibt  il^m  na^juleben, 
t»  gel^t  eine  ^raft  pon  i^m  au§,  bie  unS  l^ält  unb  ^ebt  unb 
trdgt  unb  ftü^t.  SQBir  lernen  nidjt  oerjroeifeln,  menn  auc^  unfer 
9S3eg  ftc^  in  2)unfel  oerliert,  pielme^r  aud^  bann  bafte^en  mie  ein 
eherner  gelfen   im  branbenben  SWcer:    „®8  fann  mir  nid^t§  ge» 

fd^el^en 3Hle§  S)ing  mä^rt  feine  3^** "   ®i^  lernen 

ni^t  oerjmeifeln  an  un§  felbft,  mögen  mir  auc^  meit  jurüdEbleiben 

l^interm  3'^-  «®^^  ©runb,  brauf  id^  mic^  grünbe "   Unb 

fo  fe^t  man  ben  ©paten  an  ju  neuer  Slrbeit,  ju  neuer  arbeit  an 
fic^  felbft.  2lu^  ju  neuer  2lrbeit  an  anbren.  SQSir  lernen  arbei* 
ten,  o^ne  5^d^t  ju  fc^auen,  in  oergeblid^er  SÄrbeit  unS  aufreiben, 
ba§  „inserviendo  consumor**  lernen  mir.  SQ3ir  lernen  in  ber 
3Belt  über  ber  SBelt  fielen:  „Saffet  un^  mit  Q^efu  jie^en 

87* 


640  SBeftcrmann:  3öag  ift  un8  SefuS? 

9Bir  lernen  —  um  bie  alten  9lu§brttdEe  ju  gebrauchen  ~  93u^e 
unb  ©tauben,  ^f^fw^  bemütigt  unb  werft  un§  jugleic^.  3efu§ 
mad^t  unö  frei  oon  un§  felbft  unb  oon  ber  SQSelt,  le^rt  un§: 
größer  fein  al§  ba§  ©efd^idf  ift  be§  üJlenfc^en  Siecht  unb  ^flic^t. 
Qefug  ift  unb  bleibt  un§  ber  (grlöfer.  ®a§  ift  3fefu§  un§. 
2luc^  uns. 

®enn  er  fü^rt  un§  ju  ®ott.  ®ott  finben  roir  in  il^m.  ®r 
roirb  un§  jum  ©o^ne  ®otte§.  @en)i^,  nid^t  in  ber  alten  bogma* 
tifd^en  SBeife.  ®a§  ift  fein  83efcnntni§^  ba§  wir  nac^fprec^en^ 
gef^roeige  a  priori  an  Q^fum  l^erantragen.  ®8  ift  für  un§  eine 
Srfal^rung,  bie  xoxx  ma^en.  Unb  barum  ol^ne  allen  metap^^ft* 
f^en  93eigefd|marf.  ©o:  mit  fic^  jiel^t  un§  3efu§.  3efu§  jie^t 
uns  an  unb  mit,  i^m  nac^juleben.  @r  tut  eS  unS  an,  lä§t  unS 
nic^t  mieber  loS.  SEBir  ftcl^en  in  feinem  93annfreiS.  Unb  nun  mirb 
er  uns  erft  gro§.  ®rft  rec^t  gro§  mirb  er  unS,  mo  mir  unS  i^n 
als  aJia^ftab,  Qhzal  nel^men.  9lun  füllen  mir  erft  red^t  ben  2lb* 
ftanb,  ber  unS  oon  il^m  trennt.  SBie  fc^mer  fällt  unS  ba  jeber 
Schritt.  O  maS  ift  ber  QefuS  bod^  für  ein  9Wann.  ©o  ^at  nod^ 
feiner  gelebt,  ©eliebt  ^at  fo  nod)  feiner.  Keiner  ^at  no^  fo  ge- 
glaubt. SBetc^  eine  ^ö^e,  auf  ber  er  ftel^t.  SQ3ir  bleiben  meit 
jurüdE.  Unb  je  nä^er  mir  if|m  fommen  unb  ju  fommen  fuc^en, 
befto  l^ö^er  fteigt  er.  S)er  SWann  fte^t  auf  ber  ©eite  ®otteS. 
®anj  auf  ber  ©eite  ®otteS  ftel^t  ber  SWann.  Ser  üJlann  lebt 
ein  ©otteSleben.  ^n  bem  2Rann  ift  ®ott.  ®ott  fte^t  in  bemfel* 
ben  oor  unS  —  eS  überfommt  unS  unmillfürlic^ :  ®ott  ift  gegen* 

roärtig Qu  i^m   finben  mir  ®ott.    ®ott  in   i^m  ju  unS 

rebet.  @xo%  größer,  immer  größer  mirb  unS  ^efuS.  ©o  gro§ 
fc^lie^tic^  —  mir  beugen  unfere  5lniee  unb  falten  unfere  ^änbe: 
mein  ^err  unb  mein  ®ott.  ^err  ^efu,  bir  leb'  id| ;  ^err  :3efu, 
bir  flerb'  id^;  ^err  ^t^n,  bein  bin  ic^,  tot  unb  lebenbig.  9Bir 
erleben,  maS  ber  |)eilanb  einft  in  3luSfic^t  ftetlte :  f o  jemanb  miH 
®otteS  SBitten  tun,  ber  mirb  erfennen,  ob  biefe  meine  fie^re  oon 
®ott  ift  ober  ob  ic^  oon  mir  felber  rcbe.  3Q3ir  erleben  an  unb 
in  i^m  bie  ®rlöfung.  @ott  erleben  mir  an  i^m  unb  in  itim. 
9lid)t  ein  SetenntniS,  baS  mir  unS  felbft  abjmängen.  2lud^  nid^t 
eins,  baS  mir  nur  nad^fprä^en,  unter  bem  mir  aber  ni^tS  oer* 


SBeftcrmann:  SBa§  ift  unS  SefuS?  541 

ftünbcn  ober  bei  bem  xoxx  gar  ein  sacrificium  intellectus  brächten. 
SEBir  glauben  nic^t  um  anberer  5Rebe  roitten.  SQBir  l^aben  fefbft  ge* 
l^ört  unb  erfannt,  ba§  biefer  ift  roal^rlid^  e^riftu§,  ber  SQSelt 
^eilanb.    <3efu§  ift  unb  bleibt  un§,  auc^  un§  ber  ®rlöfer. 

2)ie  gorm  l^at  fic^  geänbert.  ©eänbert  ^at  fid^  ber  SBeg. 
Slber  aud^  nur  ber  9Beg.  Unb  ba  fagen  wir  mit  bem  Siebter 
be§  alten  Sieben,  menn  au^  in  anberem  ©inn:  e§  ift  bod)  nur 
ein  SBeg.  2)a§  3iel  ift  baöfelbe.  SQBir  finben  auc^  in  ^[efu  ©ott. 
Unb  barauf  fommt  bo^  aQe§  an.  ®§  tommt  atteS  barauf  an^ 
mie  id|  einen  gnäbigen  ®ott  finbe  unb  erhalte.  Sarauf  fommt 
atleö  an,  mie  i^  bal^in  gelange,  ein  ®otte§Ieben  ju  leben.  S)icfc 
fiebenSoerfaffung  ift  baö  E^riftentum.  2ine§  anbere  fmb  bo^ 
nur  SQ3ege  ju  bem  Qkl  Ueber  biefe  SBege  fann  man  fe^r  oer* 
fd^ieben  beuten.  üJlan  fann  fie  für  unrichtig  l^alten  unb  barum 
in  aller  @^r(ic^teit  unb  Slufrid^tigfeit  unb  ©ntfc^iebenl^eit  be* 
tämpfen.  21ber  man  fott  unb  barf  boc^  nic^t  bie  perfönlid^e  fiebeng* 
oerfaffung,  ba§  perfönlid^e  ©^riftentum  in  grage  ftellen.  S)aS 
l^ängt  nur  oon  ber  (Stellung  ju  Qefu  ab,  baoon  ab,  ob  Qt\n^ 
SWittelpuntt  ift  unb  bleibt,  gür  men  er  bai§  ift  unb  bleibt  — 
mir  motten  ni^t  über  ben  SEßeg  ftreiten,  auf  bem  er  ju  Qt\n  ge-- 
tommen  ift,  ober  oielme^r  mit  bem  9Beg  ba§  3i«I  in  §t*age  ftetten 
motten  mir  ni^t.  9Bir  motten  bem  al§  einem  53rubcr  bie  $anb 
reichen,  ber  mit  un§  feine  Sniee  beugt  oor  bem  Slajarener.  ®rft  fo 
merben  mir  SJlut  unb  greubigteit  unb  Äraft  unb  J^^i^^it  geminnen  ju 
einem  mirflid^  mal^r^aftigen  3ufammenarbciten  unb  3wfammcnmir5 
fen.  9Benn  irgenbmann,  fo  tut  ba§  in  unferer  ßeit  not.  Qd)  mei| 
nid^t,  ob  e§  f^on  fo  meit  ift,  mie|)arnac!  meint.  ^amadE  fd^reibt: 
6§  mirb  auc^  bie  Qtit  fommen  unb  ift  fc^on  im  ^Injuge,  in  ber 
fic^  bie  eoangelifc^en  ©Triften  auf  bem  53etenntniffe  }u  3!cfu§ 
®^riftu§  al§  bem  ^errn  unb  in  bem  ©ntfc^luffe,  feinem  SBorte 
}U  folgen,  aufrichtig  bie  ^anh  reichen  merben,  unb  unfere  tatl)o* 
lif^en  ©rüber  merben  bann  folgen  muffen.  2)ie  Saft  einer  langen 
©ef^i^te  oott  oon  SJJijsoerftänbniffen ,  oon  gormein,  bie  mie 
©c^roerter  ftarrcn,  Stränen  unb  93lut  laftet  auf  un§,  aber  auc^  ein 
l^eiligeg  @rbe  ift  un§  in  it)r  gegeben.  Unentmirrbar  fc^einen  beibe 
miteinanber  oerbunben  ju  fein,   aber  attmö^lic^  fc^eiben  fie  ft^ 


542  SBeftermann:  9Ba$  iß  unS  Sefu§? 

boc^,  roenn  au6)  ba§  le^te  „ffierbe"  über  biefcm  ®^ao^  no^  nic^t 
gefprod^en  ift.  ©rabfmn  unb  9Jlut  SCufrid^tigfeit  gegen  fid^  felbft, 
greil^eit  unb  ßiebe  —  ba§  fmb  bie  ^ebel,  roel^e  bie  Saft  ^eben 
werben."  ^6)  roei^  ni^t,  ob  e§  fc^on  fo  roeit  ift.  ®a§  cS  aber 
fo  weit  tomme,  baran  mitjuarbeiten  ift  ber  aWü^e  wert.  Unb 
nötig.  aSenn  bie  formen,  bie  alten  gormen  fallen,  roenn  unfere 
3eit  oerlangt,  ba§  ber  alte  3Bein  in  neue  ©d^läuc^e  gefaxt  wirb 
—  gut,  ba§  ift  auc^  oon  ®ott.  2Bir  rooHen  bem  ^crrgott  nic^t 
in5  ^anbroerf  pfufc^en.  3Bir  rooBen  nic^t  an  bcn  formen  fleben, 
bie  bo^  oergänglic^  fmb.  SDBenn  un§  ha^  ®n)ige  nur  bleibt. 
Unb  baS  bleibt  un§.  Un§  auc^.  3Ba§  anberen  ^^iten  i^re  ©lau« 
ben^gebanten  gemefen  finb,  un§  ftnb  fte  e^  auc^.  SSieQeic^t  ftnb 
fie  e§  un§  noc^  me^r.  Unb  wenn  unter  ben  neuen  formen  gar 
man^e  ber  SSergängli^teit  angel^ören,  wenn  fpäteren  3^'*^^  t>i^t* 
leicht  unfer  ®laube  nur  aU  ein  ^ilf^glaube  porfommen  mag  — 
njir  fe^en  nid^t  auf  ba§  SSerganglic^e;  auf  baS,  n)a§  eroig  ift, 
fe^en  wir.  SQSir  fönnen  nic^t  anberS.  8Q8ir  füllen  un§  gebunben. 
@§  ift  uns  ernft,  ^eilig  ernft.  SQ3ir  glauben,  barum  reben  roir. 
„Unb  ^ab*  ic^  geirrt  unb  fanb  mi^  nid^t  auS,  bei  bir,  ^err,  ift 
Klarheit  unb  Sic^t  ift  bein  ^au§." 


Berlag  oon  :5.  (E.  B.  M  o  Fr  r  (Paul  ^ishttk)  in  ۟btn0Bn. 


KÜRZER  HAND-COMMENTAR 

ZUM 

ALTEN  TESTAMENT 

in  Verbindung  mit 

I.  Benzinger,  A.  Bertholet,  E.  Bndde,  B.  Dahm,  H.  Holzinger 
und  6.  Wildeboer 

herausgegeben  von 

D.  Karl  Marti, 

ord.  Professor  der  Theologie  an  der  Universität  Bern. 

Lex.  8. 

Preis  des  ganzen  Commenlars  in  5  gehefteten  Bänden  oder  20  Abteilungen, 

wenn  auf  einmal  bezogen  M,  76.—, 

in  5  Halbfranzbänden  M.  90.-,  in  20  Leinwandbänden  M.  96.—. 

Jede  Abteilung  igt  einzeln  kioflich. 

Die  Bände  werden  anch  einxeln  abgfe^eben. 

—    Auafährlichen  Prospekt  bitte  zu  verlangen.    -^— ^^ 

Unter  der  Presset 

Die  Religion  des  Alten  Testaments  unter  den  Religionen  des  vor- 
deren Orients.  Von  D.  Karl  Marti,  o.  Professor  der  Theologie  an  der 
Universität  Bern.    Lex.  8.     ca.  M.  2.50.     Gebunden  ca.  M.  3.50. 


J.REVILLE 
MODERNES  CHRISTENTUM 


Huforisierte  Uebersetzung  aus  dem  Französisdien  von  B.  B  u  d{. 
8.    1.  und  2.  üausend.    190^.    elegant  kartoniert  m.  2.50. 

<Ptto  ggutttgarten: 

Predigt-Probleme.  IJauptfragcn  öcr  l|cuttgcn  (Eoan. 
geliumsoerbünbigung.  3.  (Eaufenb.  8.  1905.  Itl.  1.80.  (Bebun- 
bcn  m.  2.50. 

neue  Bahnen.  Der  Unterricht  in  ber  c^riftlic^en  Reli- 
gion im  (Beift  ber  mobernen  Ideologie.  6.11.  (Eaufenb.  8. 
1903.    m.  1.20.    «ebunben  Itl.  1.80. 

lieber  Rindererziehung.    (Erlebtes  unb  «ebac^tes.  8. 

1905.    m.  -.80.    (Bebunben  Hl.  1.50. 

fierders  Gebenswerk  und  die  religiöse  Frage  der  Ge- 
genwart.   8.    1905.    m.  1.80.    «ebunben  Itl.  2.50. 


B^rlaö  onn  J,  (fL.  3.  Molfx  (Paul  ^vthttk)  in  dübmgtn. 

Fuchs,  Lic.  E.,  Repetent  in  Giessen,  Vom  Werden  dreier  Denker. 

Was  wollten  Fichte,  Schelling  und  Schleiermacher 
in  der  ersten  Periode  ihrer  Entwicklung? 

Gross  8.    1904.   M.  5.—.    Geb.  M.  6.50. 

,Es  ist  ein  ebenso  eigenartiges  wie  anziehendes  unternehmen»  drei 
Philosophen,  die  in  ihren  Anfängen  viele  Berührungspunkte  besitzen,  später 
weit  auseinandergehen,  nach  ihrem  inneren  Werden  und  ihren  gegenseitigen 
Beziehungen,  anziehender  und  abstossender  Art,  zu  schilderü.  Mit  meister- 
hafter Geschicklichkeit,  die  den  StoiF  durchaus  beherrscht  und  den  Personen 
kongenial  ist,  IGst  Fuchs  diese  Aufgabe,  in  manchem  an  Eucken,  seinen 
grossen  Lehrer,  erinnernd  .  .  .  ." 

Kartell-Zeitung  akademisch-theologischer  Vereine.     Sept.  1904. 

Steift,  D.  €nbt0i^ß  o.  ö.  ^rofeffor  bcr  ^^ilofop^ic  an  bcr 
Uniocrfitat  93crn,  Der  Sinn  fte«  Dafeiits.  ©trcifjüge 
eine§  Optimiften  burd^  bie  jß^ilofof^^ic  bct  ^c^cnmati. 

&xoi  8.    1903.    m.  8.-.    ®cb.  m.  9.60. 

„.  .  .  ffia§  er  gibt,  atmet  eine  fo  frifdje,  frö^Ii^e  ^ampfmutftimmung^ 
ba&  man  fxd^  gern  feiner  Sluffaffung  Eingibt,  ber  roenig  ober  gar  nichts  am 
®nbjiel  unb  alleg  an  ber  SBeroegung  gelegen  ift.  ...  5)ie  ©treifjüge  eineS 
Dptimiften  gel)en  burd^  bie  SWetap^^fif  (ber  @inn  ber  Söelt),  bie  ©rfenntnig» 
t^eorie  (ber  ©inn  beg  ®r!enneng),  burd)  bie  ©t^if  (ber  ©inn  beS  perfönlici^en 
fiebeng)  unb  burd)  bie  ©oaialp^itofop^ie  (ber  ©inn  beg  fo^ialen  ßebenS).  @3 
fmb  20  fd)ctnbar  nur  lof e  aneinanbergerei^te  ^luffä^e,  jeber  in  fid^  zin  ©an^eS, 
unb  bod)  flnb  fie  burd)  ein  ge^eimeg  SBanb  oerfniipft,  burd)  bie  mutige,  freu* 
bige  SBeltauffaffung  if)re§  WutorS.  ©3  wirb  wenige  Öefer  geben,  bie  nid)t  ^ter 
unb  ba,  namentlid)  in  ben  flott  polemifdjen  Kapiteln,  ju  heftigem  Söibcrfpruc^ 
erregt  würben,  aber  !aum  einen,  ber  nid^t  mit  reifem  ©eminn  an  wiffen« 
fd^aftlid^er  ©rfenntniö  unb  nor  attem  mit  neuem  frifdjen  SWut  an  feine  Arbeit 
jurucRe^rte." 

3)er  a;ag.    1904.    Sfhc.  201. 

dit  frer  lOeitfre  fres  ^^affvffunbcvt»^ 

93erfu(^  einer  ßuItur))^tIofo))^te« 

®ro&  8.    1899.    Tl.  7.50.    ®eb.  3^.  9.—. 

„.  .  .  3)aä  SBud)  sic^t  eine  JBilanj  an  ber  S^^^^unbertroenbe  unb  fül^rt 
in  fe^r  gemanbter  unb  anfpred^enber  §orm  ben  ®ang  ber  Kultur,  i^rer  ^o* 
bicme  unb  3lufgaben  im  ßaufe  ber  gerieben  hi^  auf  bie  jetzige  Qtxt  nor  unb 
fteat  ba§  §oro8fop  für  bie  3u!unft  .  ." 

$iftorifd)^poIitifd)e  «lätter.    aMndjen.    1904. 


Stanford  UniverBity  Libraries 
Stanford,  California 


Bittm  thii  book  on  w  b«tor«  dat«  diu. 


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