This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project
to make the world's books discoverable online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that 's often difficult to discover.
Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use of the file s We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machine
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attribution The Google "watermark" you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can't off er guidance on whether any specific use of
any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner
any where in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.
About Google Book Search
Google's mission is to organize the world's Information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers
discover the world's books white helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll text of this book on the web
at|http : //books . google . com/
über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google -Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen.
3eiff($riff
für
in Scrbinbung mit
D. ^, i^atnad, ^tofeffor ber 2:i^eologie in ^Berlin, D. fß. i^tttmann, ^xo-
feffor ber 2:^eologie in TlaxhnxQ, D. 3. i^aftan, ^rofeffor ber Geologie
in ©erlin, D. 8R. «eiWIe, ^ofeffor ber a:i^eoIogie in ©atte o. ^., D. Ä. Seff,
^ofeffor ber ä^eologie in Sonn,
herausgegeben
oon
D. |. ©rttfrirtik,
^^rofeffor brr Zl^eologie in Tübingen.
^ ü t i n 8 e n
«erlag oon 3. a. 95. 3W ol^ r ($aul ©iebed)
1905.
STANFQRD UNlVEÄftlTV
LlBRAR»i*'9
STAO»
DEC 2 » Ibb^
5lIIc SHcrf)tc vorbehalten.
^. '' / -''
%tvA »on 4». aa«l»p ir in «übinflen.
III
©eite
2)er ©laubc an @ott unb bic ffiiffcnWaft unfcrcr 3dt. SBon ». $err»
«taitn. 3lad) einem S^ortrag in ^^icago am 21. Wlhxi 1904 . . 1
3eitöemö6 ober S^^^^ö^? S5on Dr. «. ^offmamir Pfarrer in @rni*
bin gen 27
2)ie ©eßenmart bc« @otteSrcid)8 in ben gjarabeln öom ©enffom nnb
Sauerteig, öon ber felbftttjat^fcnben Saat, bem Untraut unb bem
Sifd)ne^. $on gff. Xtauf^, @p^oruiS am eüang. t^eol. ©eminar
©diöntal 58
ßoifQ contra ^amacf (S)a8 SBefen be« ©^riftentum« in eoangeliWcr unb
fat^olifcöer 93elcu(^tung). SSon gJrofeffor Lic. Dr. flSobbemtin 76
3:ie ßage ber f^ftematifc^en ^^eologie in ber ©egentoart. SSortrag ge»
galten in ber füb^annoöeriWen ^aftoralfonfereng am 5. Oft. 1904.
S3on $rofeffor D. ^fb. S^attenbuf^ in @ ö 1 1 i n g e n . . . . 108
3ur 5eicr bcS 200iai^rigen 2:obe8tag8 bon ^^ilipp Sacob ©pener.
S3on ¥. Sobpeitt 147
fintier im puSlit^en ßeben. ©in ©eitrag gu ber neueften ßut^erfontro*
berfe, nacft einem Sßortrag in ©trafeburg. Son Statl 6cÄ ... 157
^ag SSerftänbuid ber S3ibel in ber @ntn)icf(ung ber SJlenfc^^eit. S3on
Dr. Sl^eobof ^ftring, ^rofeffor an ber Unioerrttät X ü b i n g e n . 176
^ie moberne $rebigt. $on Lic. ^« 9Hebef0alI, ^^rioatbojenten in
©eibelberg 203
S)ie Xaufle^re in ber mobernen pofttiöen, Iut^erif(^en 3)ogmatif. I. Söon
Lic. CHo ei^eel 273
^a» 2cbtn nad^ bem ©oangelium. äSon D. @berl^afb Sifi^er, $ro«
feffor ber X^eologie in 23 a f e I 377
S^Iaffifdie, moberne unb religiöfe fiebenöauffaffung. SBon Sßfarrer 91. ^lanif
(SBronnweiler bei a^eutlingen) 415
^ie 2:aufle^re in ber mobernen pofitiüen, lut^erift^en S)ogmatif. II.
SBon Lic. Otto Si^ecl 441
SBa^ ift um Sefud? ©in 9Bort ber SSerfö^nung unb aur 9$erf5^nung
in ben augenblicflic^en ^ömpfen. 23on ^aftor fßtfttxmann in
@ r i m e r f u m bei e m b e n 516
SnidTf e^Ier>93eri(l|tiguttg :
^ $rofe1Tor D. 0. Sifc^ert 9luffa| edte 410, Seile 7 unb 8 t). o. lie< SHltfai ftatt
SBflrmertt.
fer (^Umbt an <&(rii m^ iiu piffenftt^aft mftxtx ^txt.
99ß. ^errmanit.
S!flad) einem Vortrag in ^^icago am 21. im&ra 1904.
3)er ©egcnftanb, über ben id) fprcc^cn roitt, t)at un§ aDe
fc^on bcfd)äfti9t unb pielc pon un§ beunruhigt. 3)ie SDBiffenfc^aft
unfcrer ^^it if* fielen eine ©efa^t für i^ren ©lauben an @ott.
aSie überminben wir biefc ®efa^r? 3)cv 2Infang ber SBiffenf^aft
liegt in bev 2lrt, wie ha^ menf^Iic^e S3en)u^tfein fic^ ba§ 3Bir^
lic^e feftfteOt. 3)ie SBiffenf^aft ift alfo fo alt wie bie jum ^^-
lüufetfein ern)a^tc 3Wenfd)^eit. SEBenn wir aber ^ier üon ber
SBiffenfc^aft unferer Qi\i reben, fo meinen mir etroag, wa^ früher
niemalig ejiftierte. SBir benfen aber and) nicl)t an eine SBiffcn»
fd)aft, bic im SSerborgenen einige tief finnige ßöpfc befd)äftigt.
Unferc ©eforgniffc gelten einer geiftigen 9Kad)t, beren fic^ feiner
üon un§ erwehren !ann, beren Spuren mir alle in un§ felbft, in
ben JJunbamenten unferer ffieltauffaffung entbedfen. ^n ben legten
jmei Sfö^^^unberten t)at fid) bie n)iffenfc^aftlid)c Slrbeit grünblic^
oeränbert. ^n biefer neuen ©eftalt erft ift bic SBiffcnfc^aft ju
ber ÜWad)t gebief)en, bie ben religiöfen ©tauben ju erftirfen brof)t.
9EBa§ bie 9Biffenfd)aft unferer ßeit vor allen frül)eren au§-
jeic^net, ift nid)t bie güUc neuer ®ntbccfungcn, mit benen fxe un§
überrafc^t unb bie Gräfte ber Kultur er^ö^t. 3)ie SBiffenfc^aft
ift in fid) felbft, in ber Slrt il^rer Slrbeit, flarer unb fieserer gc==
3ettj(^rift für J^eoloßte «nb Äirc^e. 16. ^afjrg., i. ^eft. 1
2 $errmonn: ^er ®loube an &ott unb bie SBiffcnfdiaft unfcrcr 3^it.
roorbcn. S)a§ perfd)afft i\)x bie b\Sf)^x unerhörte ©croalt über
bie 9Jienfc^en. ®enu unfer Seben in biefer ffielt treibt in einer
Unfic^ert)eit , bie un§ bei einiger 93efinnung über unfere Sage
ba§ ^erj beflemmt. SQ3ir greifen ba^er unrointürlid^ ba^in, wo
n)ir ziwa^ fefte§ fet)en. äBir bürfen un§ aber nic^t barüber täu^
fc^en, ba^ gegenwärtig jafiHofe SWenfc^en biefen ®inbrudt be§
imponierenb feften unb boc^ in lebenbiger 93en)egung begriffenen
üielme^r pon ber 3G8iffenfd)aft empfangen al§ pon ber Äird)e.
SQ3ir werben pielleic^t fagen, ba^ e§ nic^t fo fein foUte, aber wir
muffen fe^en, ba^ e§ fo ift. ^n ben legten ;3a^rje^nten fommt
e§ ben 9Wenfd)en immer me^r jum 93en)ugtfein, ba§ bie einfad)en
©runbgebanfen ber äBiffenfd)aft einen fieberen Fortgang ber 6r^
tenntni^ perbürgen, burd) bie e§ un§ mögli^ wirb, unfere ^err*
fd^aft über bie 3)inge ju erweitern unb bie ©renjen unfere§ ^ön-
nen§ einjufe^en. 2llte auf bie ®r!enntni§ be§ 3Bir!lic^en ge^
richtete 2Irbeit beruht auf jmei ©runbfä^en, 3)er erfte lautet:
bie pon ber SEBiffenfc^aft erfannte SBirMi^teit ift eine gefe^mä^ige
Orbnung, ein gefe^mä|ige§ Oefc^el^en. ®er jmeite lautet: ba§
SBirflic^e, ba§ bie äBiffenfc^aft erfennt, ift nie PoHftänbig be-
ftimmt. 3)iefe ©runbfä^e ^aben unbewußt gemirtt, feitbem 9Wen^
fc^en fic^ bemüt)t l^aben, ba§ Söirflic^e ju cr!ennen unb baburc^
3)inge ju be]^errfd)en. 9lber folange fie unbewußt mirtten, fonnte
e§ leicht gefd^e^en, ba^ man fic^ baneben in Jräume perlor, in
benen Pon einer foldjeu Söirtung nic^t§ ju fpüren war. 2)ie
SQSiffenfc^aft bc§ SlriftoteteS l^atte fic^ noc^ nic^t barauf befonnen,
wie S^atfad^en erfannt werben. 3)e§^alb ^aben bie SRenfd^en bur^
jwei 3»a^ttaufenbe fic^ leicht einbilben fönnen, ba§ aSirtlid^e ju
erf äffen, wo fie in 9Ba^rf)eit i^ren SBünfd^en nachjagten ober
träumten, ^e^t i^at bie 3Biffenfd)aft bie 33ebingungen i^rer @r^
tenntni^ be§ nad)wei§bar aB3irflid)en l)erau§gearbeitet unb ^at ba*
burd) eine neue (Situation für ba§ geiftige Seben ber Kulturoölter
gefc^affen. 2)enn fo weit ber Sinflu^ ber wiffenfc^aftlic^en 2lr=
beit reicht, wirb e§ un§ je^t piel fc^werer gemad)t, ben ©c^eiu
mit bem 3B3ir!U(^en ju perwec^feln unb (Sinbilbung für Srtennt^
ni§ }u ^Iten. 3Bir fangen an, ju werten, wie wir an ber ^anb
ber met^obifc^en ©runbfä^e ber ^JBiffenfc^aft au§ ben unfi^eren
©crrmonn: '3)er ®Iaubc an (^ott unb bie 9Biffcnf c^aft unf erer 3«it. 3
SBorftettungen über ba§ SBirfli^c, ba§ un§ umgibt, uuS {)erau§=
finbcn. ®^ Tüäve fc^ümm, wenn bie ganjc ©l^riftcn^eit fid) biefe
gro|c 33cränberung fo üer^üUcn wollte, wie c§ bie römif^c ^ird)C
tun muß, Tüeil fie burd) bie ©efd^Iüffe be§ Sßatifanum gebunbeu
ift. SBir tun unfere ^flic^t, wenn wir un§ rut)ig flar mad^en,
n)a§ für ben ©lauben unb feine SJertünbigung barau§ folgt, ba§
bie SDBiffenfc^aft angefangen ^at, fic^ auf bie Sebingungen unb
bie ©renjen itirer Srfenntni^ ju befmnen. (S§ lä|t fic^ ni^t
leugnen, bafe ba§ eine ©efa^r für ben ©lauben üieler 9Wenfd)en
bebeutet. 3)ie c^riftlid)e ©emeinbe füt|lt fid) mit SRed)t fc^mer be-
bro^t, benn mele§, moran fie fic^ früher l)iett, fie^t fie je^t burc^
eine glut unabweisbarer ©eban!en ^inmeggeriff en , unb in ben
©runbfä^en ber n)iffenfd)aftlic^en ©rtenntniS finbet fie ba§ ©e==
genteil beffen, maS fie glaubt.
Sefonber§ fremb mu§ bem ©lauben ber juerft genannte
©runbfat^ erfc^cinen. Äann bie SBiffenfc^aft nur ba^ ©efet^^
mäßige aU roirttid) ermeifen, fo ift für fxe grabe ba§ nic^t üor-
^anben, roa^ für ben ©tauben ba§ allein 3Jläc^tige, alfo ba§
ma^r^aft SEBirflic^e ift, nämlic^ ein ©ott, ber bem SWenfc^en ^ilft.
2)er ©laube ge^t immer auf ©ott allein. Können mir aufri^tig
fagen, ba| mir an ©^riftuS glauben, fo meinen mir ©ott, menn
mir ®^riftu§ fagen. 2Ba§ aber ©ott fei, l^at ber ^rop^et ber
Seutfc^en, SKartin Sut^er, im großen Katechismus ^errlic^ g^f^gt.
©Ott ift baS SBefen, ju bem man fic^ oerfe^en tann aUeS ©uten
unb ^>iufluc^t fuc^en in allen 9löten. SBenn mir unS an biefeS
SQ3efen galten wollen, fo meinen wir bod^, ba§ bie ©reigniffe, bie
unfer ©c^idfal werben, beS^alb fo gefcl)e^en, weit unferer ©eele
in unfern gegenwärtigen Kämpfen eine §anb ooU unerfc^öpflid)er
^ilfe gereid^t werben folt. SBir f)aben babei ot|ne 3«>^if^f ^^^
^orfteüung, ba^ bie Urfac^e beS ©efc^e^enS in unferen Jlöten
liegt, weil fie ©ott bewegen. ®ie SBiffenfc^aft wei^ baoon nichts.
Sie fie^t in bemfelben @efd)e^en bie Söirfung oon Kräften, bie
bereits als ©temente ber 3Bir!tid)feit üor^anben waren, unb bereu
3ufammentreffen an biefem ^unft beS SRaumeS unb ber Qtxt ein
folc^eS ©rgebniS ^aben mu^te. Slber wenn wir el)rlic^ fein wollen,
werben wir unS eingeftel)en, ba^ nid)t blo^ eine unS frembe ober
1*
4 ©errmann: ^cr ® laubc an ®ott unb bic SBiff enf d)af t unf crer ^üt
läftigc 9Biffenfd)aft fo bcutt, fonbern ba^ lüir fclbft bicfe Sluffaffung
bcr 3)ingc befolgen, fobalb wir unS jufammenraffen, um in ber
SBett etipa§ au§juric^ten. 3Benu mx au§ bem, n)a§ gef^ie^t,
ctroag mad)en wollen, fo muffen mir un§ barüber flar ju werben
fuc^en, mie e§ gef^ie^t. Ferren über bie ®inge merben mir nur,
menn mir il)re Urfad)en un§ flar machen, ober ba§ @ef diesen in
feiner ©efe^mä^igteit üerfte^en. äBir alle ge^en uumillfürlic^
biefen SBeg, menn mir ni^t blo| träumen, fonbern arbeiten motten.
3)ie befonbere fieiftung bcr SBiffenfd^aft befte^t nur barin, ba^
fie ba§ al§ bic einjig mögliche SWet^obe ertennt, ba§ 2BirfIid)e
nadijumeifen, unb biefe 3Jletf)obe forgfältig au^bilbet. Slber inbem
bie 2Biffenf^aft unferer Qüt ba§ leiftet, erjeugt fie ©ebanfen, bie
unfern ©lauben bebrängen. 3)a mo ber ®influ§ ber SBiffenfc^aft
nod) nic^t oerfpürt mirb, mu§ man fic^ freiließ aud) für beftimmte
SWomente ber ®efet^mä§igfeit be§ ®efd^el)en§ anpaffen, ^n ©e--
fd)äften ftatuiert man feine SBöunber. 2)iefe§ ^arte SBort ^ant§
mirb feiner oon unS beftreiten. Slber ba§ fdjliefet tatfäd)li^
ni^t au§, ba^ mir in anbern SUlomenten, menn mir nid)t gerabe
babei fxnb, an ben fingen }u arbeiten, un§ bo^ mieber ber SBor»
fteDung überlaffen, ba| un§ eine SBelt üon äBunbern umgibt,
meil mir meinen, in unferer gegenmärtigen 9tot ben 93emeggrunb
eine§ allmäd)tigen SBirfen^ fe^en ju bürfen. ©te^en mir bagegen
unter bem Sinflu^ ber 2Biffenfd)aft, fo tritt eine mistige 2lenbc»
rung ein. Sann mirb ber ©ebanfe ber ©efe^mä|igfeit be§ ©e^
fct)e^en§ nid)t mel)r blo^ gclegcntlid) angemenbet. ®§ entfielet
üielme^r bann in un§ ein neue§ burc^ biefen ©ebanfen beftimm^
teg äBeltbilb, ba§ SSeltbilb ber SBiffenfdliaft. 9iae§, ma§ mir
un§ al§ eine bem miffenf^aftlic^en ©rfennen erreichbare SBirfli^*
feit üorftellen mögen, ift burd) feine Urfac^en beterminiert, b. ^.
burc^ bie unenbli^e Söiel^eit ber 3)inge unb ©reigniffe in SRaum
unb 3^i^- 3)i^ miffenfc^aftlicl)e 9lrbeit fann nic^t ermarten, ie=
mal^ einen anberen ©^arafter be§ 3Birf liefen anjutreffen; benn
ftc felbft unterfc^eibet ja oermittelft jene§ ©ebanfen§ ber ©efe^«
mä^igfeit ba§ SQßirflic^e oom (Sd)ein. ©injelnc 5orfd)er mögen
fid) immer noc^ einbilben, ba§ fic mit i^ren SJJitteln bie ©teilen
im SDBirftic^en jeigen fönnen, mo biefe ©efe^mä^igfeit, ba§ un*
©errmann: 3)er ©taube on ®ott unb bie Sßiffenf d&af t unfcrer 3«^^- ^
enbfic^c 93cbmgtfein bur^ bic nähere unb fernere Umgebung, auf^
^ört. 3)ie SBiffcnfc^aft im ®anjen bagegcn jcigt eine 9iu^e unb
©tetigtett be§ gortfd)reiten§, bie bo^ fd^lie^lic^ piel ftärter auf
bie 3Renfct)en mirft al§ bie 3lufgercgtl)eit ©injelner, bie, mie
®. ^ ä d e l ober 3f. 9* ^ i ti f e, c§ fertig bringen, eine au§ i^ren ®e^
mütSbebürfntffcn entfprungene SBeltauffaffung SDäiffenfd^aft ju
nennen. Ob fold^e ^riefter einer angebfic^ n)iffenf(^aftlid) be*
grünbeten SBeltanfc^auung bie in§ Unenbli^e fid^ erftrerfenben
^^araüelen be§ miffenfc^aftUc^en (Srfennenö jufammenbiegen, um
bie Sieligion umjubringen, mie ^ ä d e (, ober um i^r neue§ Seben
cinjuflö^en, mie Steinte, ift, miffenfd^aftli^ angefe^en, berfelbc
Jei^ler. 6§ liegt auc^ bei beiben genau berfelbe SWangel an
religiöfem 98er[tänbni§ oor, nämli^ bie 3Weinung, ba§ ber
aWenfc^ auf bie SReligion üerfalte, um feine ©emüt^bebürf^
niffe ju befriebigen. %üx bie ed)tcn $ropf)cten mar bie religiöfe
®rfenntni§ ein ^eilige^ aWu|, ba§ ein (Stäv!erer über fie braute,
eine ®rfenntni§ anberer Slrt aU bie miffenfc^aftli^e, aber boc^
Srtenntni^ in ernftem ftrengen ©inne. ®aburd), ba^ fie bafür
fein aSerftänbniS l^aben, werben fold^e 2:^eotogen ber 9laturforfc^ung
bem 2ibm ber 9teligion in gleicher 9Q3eife gefäf)rlic^. ®^ ift frei«
li^ anjnerfennen, ba^ beibe barin religiöfe§ 93ebürfni§ oerraten,
ba§ fie fid) fo ftart um eine abgefc^loffene SBeltanfc^auung be^
mü^en. SEBenn mir aber biefe 2lner!ennung 9t e i n ! e au§fpred)en,
fo bürfen mir fie feinem ©enoffen ^äciel nid)t oorent^alten.
2lber oiel mel)r aU ba§ oermorrene, menn aud| rüfirenbe Streben
fol^er SWänner bebrängt un§ bie 3Biffcnfc^aft, bie ftreng auf
i^rem SBege bleibt, burc^ it)re unabmei^baren ©ebanten.
3)ie 6rfenntni§, ba^ jebe§ nac^mci^bare @reigni§ tatfäd^lic^
oon un§ at^ ein gefe^mä^igeS angefel^en mirb, laftet auf un§
mit ungeheurer SBu(^t. 3)enn mer fo beuten mu§, fie^t bie 3Belt
in einer mid^tigen 93ejie^ung fo, roie fie oon iet)er ber ©otttofc
gefe^en l^at. S)cn ©reigniffcn fef)tt jebe ©pur üon 2lnteilna^me
an bem So§ be§ 9Jlenfc^cn. 3)a^ e§ fo mit ber SBelt fte^t, bie
mir mit ben 2lugen be$ ertennenben ®eifte§ auffaffen, ^at ber
SWenfd^ oon jelier tief empfunben. 3)a§ ©raufen oor bem un^
enblid)en ©cl)meigen lä^t fid) ni^t in SEBorte faffcn, aber jeber
6 ^errmann: ^cr ®(aubc an ®ott unb bie SBiff enfd^aft unf ercr 3cit.
ju potlcm 93ciüugtfein eriüac^tc 9Jtenfc^ fennt c§. gür un§ Äin^
ber bicfer 3^it if* ober bic fiaft üiel größer geworben, aU je
juoor. ®enn m§ jeigt bie SBiffenf^aft, ba§ bie SBaffe i^rer
©iege grabe ber ©ebanfc ift, ber un§ ängftigt, nämlid) ber (Sc^
banfe, ba^ ba§ in feiner Söirflic^teit gefi^ert ift, wa^ in feiner
©efe^mä^igfeit erfannt wirb. 3Ber bie SBirfüc^feit in bcm fii^t
ber roiffenfc^aftlid^en ®rfenntni§ fie^t, mu§ fic^ fc^lie^Iic^ in ber
Sffielt mie lebenbig begraben üor!ommen. SQ3enn er fie tief burd)«
forf^t, wirb er in ber leudjtenben unb tönenben 9Q3eIt oiel finben,
n)a§ fein Seben reic^ mad^t, fo reid), ba§ er mit ©efc^ämung
baran benfen mu§, wie pie( ber roiffenfi^aftlic^e 2lrbeiter vor
feinen 93rübern üorau§ \)at 9lber e§ gilt auc^ oon biefen ©c^ä^en :
ber SWenfc^ lebt nic^t baoon, ba§ er mele ®üter ^at. 3)enn bie
roiffenfc^aftlic^ erfannte SQ3ir!lid^feit oerfagt i^m ba§ Sine, roa§
er l^aben mag, wenn er ni^t innerlich erftarren foll, bic ©rfaf)*
rung, ba| au§ altem aB3ir!Iid)en ein SDäefen \px\6)t, mit bem er
fetbft in bem 53en)u§tfein eine§ eroigen Qkl^ unb in feiner ©el^n«
fuc^t nac^ SSoQenbung innertid) oerbunben ift. Sin foId^e§ SBefen
nic^t l^ören, f)ei§t gottlob fein. SBir ^ören e§ aber n\6)t, fonbern
fto^en an bie ftummen SBänbe unfere§ ®rabe§, menn mir un§
!Iar ma^en muffen, ba§ bie 3)inge fic^ nad| i^ren eigenen ©e-
fe^en ridjten, aber nic^t nad) unferm ^erjen. 3)ie Sßiffenfc^aft
mad|t un§ ba§ tlar. 3)a§ biefe ®rtenntni§ über bie Greife ber
gorfc^er meit hinaufbringt unb ba§ Sßolf überflutet, ift üielleic^t
bie gro^artigfte unb bie gefa^rlid)fte ©rfc^einung unferer 3^^*-
6§ ift ein Sieg ber SBa^r^eit, unb e§ mirb oon Unjäl^ligen mit
©c^merj ober mit ^o^n al§ Untergang be§ @laubcn§ cmpfunben.
SBir bürfen un§ bie 2Bat)r^eit nid)t oerf d)leiern , aber mir
fxnb baoon überjeugt, ba^ biefe @rfenntni§ ni^t ba§ le^te SEBort
über ba§ SBirtlidie ift. ^aben mir jemals an ®ott geglaubt, fo
l^aben mir aud) (Erfahrungen gemacht, bereu Erinnerung un§ nic^t
gänjtid) in ber Slnna^me oerfmten lä§t, ba§ ba§ aUeö ^Bufion
mar. 2lber e§ fragt fid), ob mir anbern ben SBeg jum ©lauben
meifen unb ob mir felbft bic 93e^auptung be§ ®lauben§ feft^alten
tonnen, ol^ne bie oon ber SBiffenfd)aft un§ erfc^loffenc SBa^r^eit
ju oerleugnen.
$errmann: ^cr ®Iaubc an ®ott unb bie SBiffenfd^oft unferct 3^it. 7
3n)ci aWittcI, um jum ©laubcn an ®ott ju gelangen, roer^
ben un§ am lauteften empfohlen. SBir foQen un§ fräftig ju bem
©tauben entfd|Iie|en , bcffen mir nun einmal bebürfen, unb mir
f oUen auf eine 2lrt von ^ö^erer SBiffenfd)aft ^ören, bie bie SBirf*
lic^feit ®otte§ bemeifcn tonne. 93eibe 3Witte( finb uralt; fie muffen
fid) alfo fc^on irgenbmie bemäl^rt ^aben. 2lu^ be^^alb tonnen
fie ntd)t ganj unprattif(^ fein, meil bie römifd^e Sir^e beibe em*
pfie^lt unb forbert. (Sie meint, ba§ ®ott fei, merbe un§ bt^
miefen; Ratten mir ba§ aber eingefe^en, fo müßten mir aud) be=
reit fein, ju gtouben, ma§ ®ott ju glauben befiel)lt. 9Q3ir motten
furj fagen, marum meber eine aßßiffenfdiaft, bie ®otte§ äBirtti^*
feit bemeift, noc^ ein @ntf^tu§ ober Söitte jum ®Iauben unS
unferer 31ot entreißen fann.
aSir moDen bie 3Biffenfd)aft, bie bie aOSirttictifeit ®otte£; be^
meifen mitl, gern ^ören. Qmax ba§ alte in ber römifd)en Äird^e
feftgel^attene UJerfa^ren, an bem in ber SBett aöirttid)en bie ©puren
©otteS nac^jumeifen, Ratten mir für abgetan. 3)ie ©yiftenj irgenb
eines üon unS üorgeftettten 3)inge§ ober ©reigniffeS mirb unS
nur baburd) gemiß, baß mir e§ mit feiner notieren unb ferneren
Umgebung, at§ ju if)r gehörig, oerfnüpft fe^en. SÖSaS alfo ein
fotc^eS 3)ing ober ®reigni§ ift, empfangt eS au§ ber unenbtidjen
Jiefe üon 5Raum unb 3^it- ®^ ^^t batier feinen (Sinn, irgenb
etma§ baran nac^meifen ju motten, bei bem man nic^t nad) ge*
fe^mäßigen 3uföntment)ängen forf^en bürfe, meil e§ ftd) at§
Schöpfung ®otte§ barftette. 3)ie gegenmärtig in 9lom befonberS
eifrig betriebenen SBerfudje, munberbare Leitungen al§ üon ®ott
bemirfte miffenfc^aftti^ ju ermeifen, merben üon gebitbeten Äa-
t^otiten mit 9le^t peintid) empfunben. 3)enn maS in biefer aOSett
als mirftid) nad)gemiefen mirb, enthüllt immer eine ®efe^mäßig»
feit be§ ®efc^e^en§, hinter ber jmar ®ott oerborgen fein fann,
in ber er aber ni^t offenbar ift. 3)ie oon ber SBiffenf^aft un*
ferer Qdt erreid)te Klarheit über i^r Sßerfatiren, ba§ SBirftic^e
feftiuftetten , ma^t bie 93erfuc^e, oermittetft fot^er Srfenntniffe
®ott JU erfaffen, ju einer 2lbfurbität. 2lnber§ ift e§ mit einer
©pefutation, bie bie 3^öge aufmirft, mie ba§ ma^r^aft ©eienbe
gebad)t merben fönne. ^f)x ift bamit nid)t ba§ SHed)t abgefprodjen.
8 §crrmann: 5)er staube an ®ott unb bic SBiffenfd^aft unfcrcr 3^tt.
Slber c§ ift jmat ruo^t möglich unb roirb immer roieber gefc^el^en,
bag bcr religiöfc ©taube mit feinen ©ebanten über @ott folc^e
ßrgebniffe bcr p^ilofop^ifd)en ©petulation in ©crbinbung bringt,
dagegen ift e§ nid^t mögli^, ba^ religiöfcr @(aube an @ott burc^
eine fotc^e ©ebantenarbeit begrünbet wirb. SDenn au^ menn mir
fic^er cr!annt ju l^aben meinen, baj5 ba§ allein mal)r^aft feienbe
SÖäefen bie geiftige 9)lac^t be^ Outen ober Siebe ift, fo Ijaben mir
bamit !eine§megsi religiöfen ©tauben. S)enn grabe bann mirb
bem ftttli(^ fämpfenben SKenf^en bie ^rage um fo peintidjer, ob
fein eigene^ Seben üon biefer Siebe getragen wirb, ob er nic^t
feine innerfte 2:enbenj al§ ein ^inberni§ i^re§ 3Birten§ erlebt,
ba§ burd) i^re 5Wa^t befämpft unb jum SJlittel für 3lnbere§ ^er*
abgefegt mirb, meil er fo, mie er ift, nic^t baju taugt, ©nbjmecf
ju fein ober eroig ju leben. 3)iefe ©yiftenjfrage be§ ©injelnen
löft feine ©pefulation. S)ie ^Religion bagcgen ^at e§ mit biefer
grage allein ju tun. 2lu§ bemfelben ©runbe tann un^ unfer
©ntf^lu^ allein nic^t jum religiöfen ©tauben an ©ott oer^elfen.
greili^ fonnen roir e§ o^ne grojse SKü^e fertig bringen, ba§ mir
un§ irgenb roeldie allgemeinen ©eban!en über ©ott unb fein
SBirten angeroöt)nen, inbem roir bie 3tt>^ifcl baran unterbrüdten.
Slber ber ©taube, nac^ bem roir un§ fernen, cntfte^t fo nid^t. @r
bebeutet, fic^ fürd|ten unb boc^ lieben unb oertrauen, atfo in tiefer
Demütigung ftd) befreit füllen, ©in fol^e§ ©efül^l tann ein
SRenfd^, ber, roenn er einmal ganj mit fic^ allein ift, fid^ ratlo§
unb unglürflic^ füt)lt, nid|t burc^ feinen ©ntfc^tug in ftc^ ent=
roirfeln. ®r tann ba§ ebenfo roenig, roie er e§ an^ ber ©rtennt*
ni§ be§ Sltlgemeingüttigen geroinnen tann. 3)enn e§ l^anbelt fic^
babei um ben ©e^alt feiner eigenen ©yiftenj, um fein 3Bot)l unb
3ße^e. 2)a§ lä^t ftc^ aber nid)t in eine allgemeine SBal^r^eit auf*
(Öfen, unb ebenfo roenig tonnen roir felbft e§ un§ fc^affen burd)
unfern ®ntfd)lu^. 9Bir tonnen un§ nic^t glürflic^ machen, roenn
roir§ nid^t ftnb. 3Bir finben einen fieberen SBeg in unferer grage
nur bann, roenn roir feft im Sluge ^aben, ba^ an ©ott glauben
fc^tiegti^ immer ^ei^t, mit bem ©efül^t reinen ©lüdfe§ in eine
unerfd^öpflid^e 3utunft blirfen. S)a§ tonnen roir un^ nid)t felbft
geben, aber roir tonnen ju ber grage aufroad[)en, ob bie 53e^
©crtmann: ^cr ©taube an ®ott unb bie SBiffenf c^aft unf crcr Qtxt 9
bingungen bafür un§ nic^t (ängft gegeben ftnb, unb nur perfd^üttet
ftnb unter einem SSielerlei oon Qntcreffen, bie uid|t wert fmb,
eine ©eele ju füllen.
S)ie SQSiffenfdjaft \)at e§ mit ben 2:at[ad^en ju tun, wie fte
unter einanber oerfnüpft fmb, nid^t aber mie fie auf unfer in=
bipibuelleg Seben mirten. ®§ fteüt fid^ affo ein äßirtlic^e^ ^er*
au§, ba§ für jebeu üon un§ in befonberer SBeife porl^anben ift,
für bie SBiffcnfc^aft aber überhaupt ni^t, nämlid) bie inbipibuede
Sebenbigteit be§ ©injelnen unb ba§, ma^ für il^n bie ©reigniffe
irerben, bie i^n berühren. ®ie SBirtlic^teit, auf bereu ooütom^
mene @rtenntni§ bie äßiffeufc^aft gerid^tet ift, nennen mir nacft^
mei^bar; bie SBirflidjteit, bie nur für ben ©injelnen oor^anben
ift, nennen mir erlebbar. ®iefe Unterfdieibung ^at für bie SSer«
tretung ber Sleligion in ber ©egenroart eine funbamentafe ©e«
beutung. ^n ber SBelt, oor bie bie 9)lenfd^en fo gefteüt merben
tonnen, ba^ fie fie fc^Iiefelic^ fe^en muffen, ift ba§ überhaupt nic^t
ju finben, roa§ fic^ bem SWenfc^en entt)üUt, wenn er e^ erlebt.
aJlan mu& nur, menn man fid) biefe einfache SBal^rl^eit fidiem
will, bie 5^age aufmerfen, mie e§ ertannt merben tann, ba^ be^
ftimmte ®reigniffe be§t)alb gefd^e^en, meil mir felbft in bie ^ö^e
tommen f ollen. 9lur eine fold^e 6rtenntni§, bie au^ bem, maS
gefd^iel)t, eine um un§ beforgte Siebe ^evau^^ört, ift religiöfe ©r^
femitni§. SBäer bie Sreigniffe fo jufammenorbnet, ba^ er fte al§
Offenbarungen oäterlid)en ®rnfte§ unb oaterlid)er Siebe lefcn tann,
üerfte^t fie religiös. Slber e§ gibt teine logifc^en 3Jlittel, burc^
bie mir felbft baju gebracht merben ober anbere baju bringen
tonnten. SQSeil ba§ ot)ue meitere§ einleuchtet, mirb e§ uielen
3Wcnf^en fo leid)t, bie religiöfe 9lnfc^auung für ^Uupon ju galten.
2)a& ba mirtlic^ etrna^ 9Jeale§ angefd^aut mirb, tonnen mir na*
türtid) nic^t faffen, menn mir überhaupt nic^t^ erleben. ®§ fef)lte
un§ bie gö^igf^it ^^^ religiöfen Slnfc^auung, menn mir alle§ @e^
fd)e^eu an un§ üorübergleiten liefen, o^ne e§ ju bem, ma§ mir
für ung felbft fein moDen, in ©ejie^ung ju fc^en. ®a§ tann
nun freiließ teiner ganj unterlaffen, benn ieber tut e§, inbem er
Sd^merj unb Suft fü^lt. 3lber in biefem Srleben, ba§ ftc^ bei
jebem SWenfc^en finbet, meil e§ fc^on ju ber tierifdien ©fiftenj
10 ^crrmann: %zx ®Iaube an ®ott unb bie SBiffcnfci6aft unfcrer ßeit.
gehört Hegt offenbar noc^ nichts, roa§ un§ für religiöfc Stnfc^ou^
ung empfänglich machen fönnte. @§ befähigt un§ baju erft bie
fpejififc^ menfd^Iid)c 2(rt be§ ®r(eben§, bie bei jebem ©injelnen fo
üerfümmern tann, ba§ in feiner ©eele nie ein nrfprünglidier 2:on
ber ^Religion erfUngt. ®ir erleben aber ba§, xoa^ nn§ loiber*
fä^rt, tt)ie 9Jlenfd)en, wenn bie eigentümli^ ntenfc^licfte 2lrt ber
@f iftena in nn§ entiüidelt ift. 3)a§ ift bann ber %aü, wenn roir
nic^t notwenbig üom 3lugenblid oergeroaltigt werben, fonbern nn§
it)m gegenüber behaupten fönnen. @ine fofd^e ®r]^ebung über bas;,
ma§ wir im Üffloment erleiben, ift nn§ aber f^lieglic^ nnr mög*
lid) in ber ®rtenntniö, ba| unfer äBollen eine nnoeränberli^e
9lic^tung ober ein emige§ ^kl i)at a3erjid)ten mir barauf, fo
fönnen mir freili^ immer noc^ nnfere Umgebnng meit^in be^err^
fd^en ober oiel in ber SQSelt auöri^ten. 2lber fc^liefelic^ geben
mir bann boc^ nn§ felbft anf . 5)enn menn mir nid^t felbft etma§
Unoergängltc^eg au§ nn§ mad^en moUen, fo i)at e§ !einen ©inn,
baranf ju rechnen, ba§ alle§, ma§ in ber Qnt gefc^ie^t, nn§
bienen merbe. S)er SBille aber, ber eigenen ®fiftenj einen ^n^
^alt in geben, ben mir felbft al§ emig ertennen, ift fittlid)e ®e=
finnnng. S^lgl^ if* fittlid^er ®rnft eine nnnmgängltc^e 33ebingnng
religiöfer ßi^^^'^fi^t. SGBenn SWenfd^en barüber Hagen, ba§ fte
nic^tg erfüt)ren, ma^ i^nen bie auf fie geri^tete Siebe (Sotte§ be*
miefe, fo muffen fie fx6) fragen, ob fte bie SBa^r^aftigfeit auf^
bringen, fic^ in bemjenigen jn fammeln, ma§ fie felbft a(§ ba§
3iel it)re§ SBoÜen^ erfennen, oon bem fie nic^t laffen bürfen. ®§
mirb immer fo fein, ba^ nur bie ®ottc§ ©timme pren, bie au§
ber SBal^r^eit finb.
S)amit ^aben mir ben ^untt erreicht, an bem fid) bie Slu^^^
einanberfe^ung be§ @lauben§ an @ott mit ber miffenfd[)aftlid)en
6rtenntni§ be§ nac^mei^bar SQgirfli^en noüjiet)en mufe. 2)er
©laube an @ott ift ber 3Biffenfd[)aft gegenüber oöüig ^altlo§, menn
er fi^ nic^t aufrid^tig fagen tann, baj5 er ebenfo, mie fie, rüdE»
l^altlofe 93eugung oor ber 3Q3a^r^eit ift. SEBenn er nic^t au§ ber
6rtenntni§ be§ SBirflid)en t)en)orgegangen ift, fonbern au§ einer
|>inmegfe^ung über ba§ S3äirtlid)e, trägt er ben Keim be§ 2:obe§
in fidf). 3)enn bann ift er in feinem Urfprung SBunfrf) unb 3&xlU
©crrmann: %tx ©laubc an ®ott unb btc 9Btffcnfrf)aft unfcrcr 3cit. U
für. Unb fobalb er fic^ bQ§ fclbft cingcftcl^cn muJ5, (oft er fici^
auf. S)e§f)alb fmb alte 9Serfud)e üergebli^, bie ÜRenfd^cn baburd^
}um@laubcn ju bringen, bag man i^nen nur ba§, n?a§ geglaubt
werben foD, al§ eine gorbcrung oor^ält. Sßol^l ift bie SBurjel
be§ @lauben§ @cl)orfam. 2lber ba§ ^eijjt natürlich nid)t, baJ5
man ftc^ bereit finben tä&t, ©ebanten für mal^r ju erflären, bie
man nid)t für ma^r t)ält. 3)er ®el)orfam be§ @lauben§ ift ge^^
nau berfelbe wie ber ©e^orfam ber roiffenfc^aftlid)en @rfenntni§.
3n beiben fallen ^aben mir ben elementaren ftttlid^en 9ltt ber
SBal^rl^aftigfeit oor un§. 3)enn ber roirKic^ fromme SWenfd^ miQ
auc^ nur ber SBal^r^eit ge^or^en, bie er fetbft ertennt.
3)e§t)alb ift bie ©ad^e be§ ®lauben§ üon 3lnfang an fdjmer
gefd^äbigt, menn man i^n ber SBiffenfd^aft fo gegenüber fteQt, al§
märe er eine Slrt ber @rtenntni§, bie jmar einen ^öt)eren ©egen^
ftanb \)ab^, aber al§ ®rfenntni§ einen geringeren ®rab ber Klar^
ijtit unb ©i^er^eit erreiche, ober im ®runbe gar nic^t @rtenntni§
in ftrengem ©inne fei. 3)enn bie Äraft be§ ®lauben§ ftrömt
allein au§ bem S3emu&tfein, baj5 er grabe mirflicfae 6rfenntni§,
alfo ein 2)urd^bre^en ber ^fHuftonen ift. ®§ ift freilid) oft eine
®lauben§forberung an bie 9Jlenfd|en gerid|tet, bie einfad^ Sin-
na^me oon ®ebanten unb ®ebräud)en »erlangte, von benen fie
nic^t^ miffen mollten. 3)ie ®lauben§botfc^aft bagegen, bie bie
©eifter überminbet, menbet fid^ an fie mit ber gorberung : änbert
euren ©inn. 3)aö bebeutet aber für ben aWenfc^en immer, ba§
er fic^ au§ bem ©etbftbetrug aufraffen unb ber SBal^r^eit ge^
t)orc^en foD. SBon ben Vertretern ber SBiffenfd^aft, bie mit i^rer
2lrbeit ben ®lauben einjuengen meinen, wollen mir nic^t etroa
erreichen, ba§ fie ben ®(auben al§ eine geringere 2trt ber 6r*
tenntni§ freunblic^ anertennen unb am Seben laffen. SBir oer^
langen oon i^nen, ma§ mir jebem jumuten, ben mir al§ 9Jlen«
fc^en ef)ren follen, bog fie fid) auf ft^ felbft befinnen. 5iad|«
mei^bare Satfac^en feftftellen, inbem man feine SBorurteile opfert
unb feine Söünfc^e jum ©dimeigen bringt, ift etma§ fe^r gro^e§.
3lber wichtiger ift boc^ mot)l, baJ5 ein ÜRenfd^ fid) aufrichtig tlar
mac^t, ma§ er felbft al§ ba§ 9iüdtgrat feiner geiftigen ®jiftenj
erfennt, nämlic^ eine 3lufgabe, bie bur^ il^r SRe^t feinen aBillen
12 ©errmann: ^cr (3iauhz an ®ott unb bic Sßiffenfd^aft unfercr 3eH.
in ctüigcr ©pannung l^ält. 3)icfc 6rfcnntni§, biird) bie jeber für
fid) felbft feine fittlic^c ©efmnung begrünbet, ift in bcmfelben
aJla^e roic^tigev atö alle anbern, wie ^erfonen n)irf)tiger fmb aU
Sa^en. ©ie l^at aber aud^ eine ganj anbete 2lrt at§ bie 6r*
!enntni§ ber äßiff enfd^af t ; benn jeber \)at fte in eigentümtid)cr
SBeife für fic^ felbft, unb nur ber tann fte l^aben, ber fic jld^
felbft erfdmpfen roill. ©eibe§, bie unuergleid^Udie SBid^tigteit biefer
6rtenntni§ unb if)re üon aller n)iffenf^aftli(^en ®r!enntni^ unter-
fd|iebene %xi, wirb in ber ©egenroort oon pielen üertannt. 9]ur
bei biefer geiftigen SBertrüppelung führen bie ©iege ber SBiffen^
fd)aft ju einer ©rmattung ber Steligion. SQBenn bie 9Wenfd)en fic^
nid)t me^r auf fid) felbft befmnen loollen, al§ ob ba§ nid^t ber
aWü^e wert roäre, oerf^lie^en fic fic^ für bie Offenbarungen
@otte§ unb bemerfen nid)t, wo and) für fie Duellen göttlid^er
Gräfte finb.
3)er religiöfe ©laube ift alfo nid)t eine au§ äBunfc^, SDBill*
für unb ©erool^n^eit erroad^fene ÜWeinung ober Slnna^me. @r l^at
bie ooüe SQäürbe ber ®rfenntni§. S)enn er ift ebenfalls ange«
ftrengte§ ©rfaffen be§ äBirtlic^en unb ein Ueberroinben be§ ©d^ein§.
@r ift ^flid^t, n)ie e§ überl^oupt unfere ^flic^t ift, un§ bie SBirf^
lic^feit, in ber wir fte^en, flar ju mad[)en. ©in ®laube, ber ba§
alle§ nic^t wäre, alfo nid^t ein 2lu§brudf ber 6t)rfurd^t oor bem
SBirMic^en, ^ätte geroi^ feine religiöfe 2lrt. ®enn er wäre offene
bar nic^t Unterwerfung unter ben allmäd)tigen (Sott, ber in bem
SBirtlic^en ift, fonbern Slufte^nung gegen il^n. 3)a| wir im re^
ligiöfen ©lauben un§ über bie oon un§ felbft erfannte 333a^r^eit
^inmegfe^en, ift bie SWeinung unferer geinbe, unfere gemi^ nic^t.
Unfer ©laube ift ©el^orfam gegen bie 3öa^rf)eit, ®^rfurc^t oor
bem äBirflic^en, alfo ernfte ®rfenntni§.
aSerfd^ieben ift ber ©laube freiließ üon aller anberen ©rfennt*
ni§. 3)ie alte ©ntgegenfe^ung oon ©lauben unb SBiffen ift nid|t
gänjlid^ falfd). 3lber ber Unterfd^ieb beruht allein barauf, ba&
e§ fid| beim ©lauben um eine aaBirflicl)feit ^anbelt, bie jeber ein*
jelne für fid^ erleben mu|. äBeil e§ fo ift, tonnen mir ba§, mas
mir glauben, niemanbem bemeifen. 2lu§ bemfelben ©runbe ift
bie ©rtenntni^ be§ ©lauben^ immer inbioibueH geartet, ©ie ift
$errmann: %tv Glaubt an ®ott unb bic SBiff cnf rf)af t unf erer 3eit. 13
eine Qu§ ben befonbcrcn Scbcn^fü^rungcn cripad^fenbe, an bic in^
bioibucDc Scbcnbigtcit be§ cinsclncn getnüpftc Slnfc^auung. ©ic
fann alfo enblic^ nur baburi^ gewonnen werben, ba| ber einjelne
eine foldie Sebenbigteit gewinnt unb fic^ bann auf ben ^nt)alt
feiner eigenen ©yiftenj befmnt. 3)ie religiöfe ®rfenntni§ erforbert
feine ^o^e Kraft be§ 3)enten§ wie bie Strbeit ber SBiff enfd^af t ;
aber fte ift boc^ fc^werer al§ biefe, benn fie ift nur mögli^, wenn
ber aWenfd^ fic^ Kar machen witt, xm§ er al§ ia^ ewige Qkl
feinet SD3oUcn§ beuten muj3. S)aju aber ift nötig, ba& wir ben
Äampf mit unferen Steigungen, alfo mit unf erer 2:räg]^eit auf*
nehmen, mit einer 2:rägt|eit, bie ausfielt, wie gleig. gür in ber
3eit erreid^bare QkU, wie ©elberwerb, ju arbeiten, ift teic^t, auc^
wenn wir barin unfere Kräfte aufreiben. 2)enn babei trägt un§
unfere 9leigung, ber ©elbfterl)altung^trieb be^ natürlichen Seben§.
aSer feine ©jiftenj in fold^er 9lrbeit aufgellen lägt, ift bei allem
leibenfc^aftlic^en S)rang jur 2:ätigfeit träge. 3)enn babei bleibt
er in bem, roa^ er oon 9Jatur ober bnx6) bie Umftänbe ift. 2)ie
wa^re Sebenbigteit be^ aWenfc^en beginnt erft, wenn er fid^ bie
Slötigung tlar mac^t, allein für ba§ Qki ju arbeiten, ba§ er felbft
als ewig unb unerfc^öpflic^ ertennt. ®enn bann fie^t er wenige
ften§, wie er allein ein wat)r^aftige§ eigene^ SBollen f)aben tann.
9BaS wir nur auf Qdt wollen, wollen wir übert)aupt nid^t wa^r-
^aft. ®rft ba§ 93ewu&tfein, fid^ oon feinem Qkl be§f)alb nic^t
löfen JU tonnen, weil er felbft eS at§ ewig unb bie bamit gc^
fteüte 9lufgabe al§ unerfc^öpflid) ertennt, begrünbet in bem aJlenfd^en
bie innere ©elbftänbigteit unb g^ftigteit, bie ben 9]amen be§
3Bollen§ oerbient. S)amit reben wir oon einem geiftigen aSorgang,
ben alle SJlenf^en tennen, in benen baS ©ewiffen nod) nidjt tot
ift. ®enn bie innere Sammlung in bem , xoa^ man felbft al§
ewiges Qkl unb als unerfc^öpflid)e Slufgabe erfajjt, biefe 3Ba^r=
f)aftigteit beS SOSotlenS ift nichts anbereS alS fittli^e Klarheit unb
fittlic^er Srnft. $Bir tonnen eS unS leidet oerbergen, aber wir
tonnen eS boc^ of)ne SJlü^e ertenneu, waS allein unferem SBollen
eine unoeränberlid)e JRic^tung geben unb unS baburc^ bie aWög^
lid)teit unDergänglid)en SebenS eröffnen tann. ®ie ©emeinfc^aft
felbftänbiger ©elfter ift baS ewige Qiä, bie 2(ufgabe ber Siebe
14 ^errmann: ^er ®Iaubc an ®ott unb bie 9Biffenfrf)aft unfercr 3«it.
ift bic uncrfc^öpfli^c 3luf9abe. 6in 9Wenfd), bcm ba§ tlax roirb,
fängt an, innevlid) (ebcnbig ju werben; benn er fielet rocnigften^
ein, mit er allein eroig leben tann.
S)e§^alb ift ot)ne fittlidjen ©rnft ber ®laube an @ott nid^t
möglic^. 9ticmanb tann bie 2Birtlid)feit be§ lebenbigen unb leben*
fc^affenben ®otte§ erfaffeu, ber nic^t oerfte^en fann, n)a§ e§ l^ci^t,
allem gegenüber, wa^ in ber Qtxt gcf^el)en mag, bie innere ©elb^
ftänbigtcit ju befi^en, in ber man n)at)rt)aftig lebt. 5Bir brauchen
nur baran ju beuten, n)a§ bie SBirtlid^teit ©ottes; für einen from=
men aWenfd^en bebeutet. Sinen ©Ott l^aben, bebeutet ein SQBefen
tcnnen, bei bem man 3wffwc^t finben tann in allen 91öten. 2)er
allmä^tige ©Ott unb bie @eele, bie er nic^t miU oerloren ge^en
laffen, in biefen beiben ©cbanten lebt bie SReligion. ^^eibe ©e*
bauten finb nic^t von einanber ju löfen, man bentt ©Ott über^
l^aupt nid^t, menn man nic^l ben SSater ber ©eifter meint. Slber
biefen ©ebanfen, ba§ bie get)cimni§oolle SJlac^t in allem SBirt^
lid^en perfönlic^e Siebe ift, bie mid) jur SßoUenbung bringen mill,
tann \d) nid)t in ben Gegriffen an^fü^ren, mit benen id^ ba§
nachweisbar SBirtlid^e erfaffe, alfo nic^t mit ben SWittcln ber
SEBiffcnf^aft. Qicner ©runbgebante ber lebenbigen 9teligion tann
in un§ nur entftet)en, wenn mir ba§ emige 3'^^ unfereS 3öollen§
al§ ma^r ergriffen l^abcn unb mit i^m unfere eigene ©fiftcnj ju*
fammenfaffen. SBBa^ unferem SÖBoüen bic unweränberlic^e JRic^tung
gibt unb ben ©nbjmcdt unferer eigenen ©fiftenj bilbet, beuten mir
notmenbig al§ ben ©nbäroedt alles SBirtli^en. 3)iefer ©ebante
eines ©nbjmedS aller 2)inge, in bcm unfere ©eelc baS fid[) jur
Slarl^eit bringt, maS fic croig ocrpflid)tet unb über alleS ©efc^cl^cn
in ber 3eit crl)ebt, mac^t bic religiöfe ©rtenntniS erft möglief).
Qd) tann ©otteS SBirflid)feit erft beuten, menn id) ben Subsmect
ertenne, bem tatfäc^lid^ alleS untermorfen ift. 3)iefe ©rfenntniS
aber tonnen mir nur ^aben in innerer Sammlung, in ber Sin-
ftrengung ftttli^en ©rnfteS. "^üx einen fd)laffen 3Wenfc^en, ber
ficf) baju ni^t aufraffen mill, bleibt ber ©nbjmerf, üon bem alleS
SBirflic^e abl)ängt unb in bem atleS Söirtli^e ju feinem 3*^^
tommt, ein leereS SBort. ^nx ben fittlic^ ermectten aWenf^en
allein l^at biefeS SBBort einen mächtigen ^n^alt, unb bie ©ebanten.
i^crrmann: %zx ®Iaube an ®ott unb bie SBiffenf c^aft unf erer 3cit- 15
in bcnen bicfcr Qn\)alt entfaltet mxb, machen eS un§ möglich, bie
9BirtUd|feit ®otte§ gu erfaffen.
2l(fo nic^t ein gortfd^ritt ber SBiffenfd^aft, fonbern bie innere
Sammlung be§ eingelnen in fittlic^em @rnft fü^rt ju ®ott. „©o
iemanb miß be§ SBißen tun" ^o\). 1, 17. Slber o^ne 3"^cifet
gibt e§ piele fittlic^ ernfte 9Jlenfc^en, bie oon @ott nichts roiffen
unb nichts miffen moÜen. ®§ ift fel)r ju bebauem, ba^ in ber
c^riftlid^en Äir^e ba§ oft beftritten wirb. S)enn für jeben from^
men SJlenfc^en foUtc e§ felbftüerftdnblid) fein, ba§ ba§ gefd^el^en
fann. ©§ ift erften§ möglid), ba^ ein 9Jlenfc^ bie SBirflid^teit
@otte§ leugnet, obgleich er tatfä^lic^ oon @ott ergriffen ift unb
bem unbefannten ®ott bient. ^xot\tzx[i tann ein ju fittlic^em
©ruft ermedtter SWenfc^ noc^ nic^t barüber flar geworben fein,
ba^ i^n bie fittlic^e ®rfenntni§ baju führen foll, fid| überhaupt
ben ©el^att feiner eigenen ©fiftenj jum 33en)u§tfein ju bringen.
Äommt er baju nid^t, fo tann er aud^ @ott nic^t oerne^men,
beffen 2ltem bie ba§ 3Q8irflic^e geftaltenben Kräfte, unb beffen
SDSorte bie ©reigniffe ftnb, bie unfer ©c^idtfal merben. ©ritten^
ift e§ aud| möglich, ba^ ju einem folc^en SWenfd^en nod^ nic^t
ein aSort @otte§ gefproi^en mürbe, ba§ grabe feinem O^r oer*
ne^mlic^ merben tonnte. 2Beun un^ in fittlic^em ®rnft bie Organe
mac^fen, burc^ bie mir allein ®ott ertcnnen tonnen, fo muffen
mir bo^ tatfä^lic^ ®otte§ SBort an un§ ocrne^men, menn mir
i^n ertennen foüen.
aBa§ ift nun biefe^ SBort ®ottc§, ba§ un§ oon ®otte§ SBirt^
lic^teit überjeugt ? S)em ^]3roteftanten liegt e§ na^e ju fagen „bie
^eilige ©d^rift", bem Äatl^oUten liegt e§ na^e ju fagen „ba^ SBort
be§ firdilic^en fie^ramt^". Qn SBa^r^eit tann e§ ba§ eine fo^
mo^l mie ba§ anbre fein — aber nur unter einer ©ebingung.
®§ mu& un§ ein ®rtebni§ gemorben fein, au§ bem mir tatfäc^^
lid) ben ju un§ rebenben ®ott oerne^men. 3Q3enn eDangelifd)e
unb tat^olifc^e ©Triften überl^aupt SReligion moUen, muffen fie
i^re tonfcffionellen ®runbfä^e in folc^cr 2Beife oertiefen. SWac^en
fte fic^ felbft baö tlar, ma§ il)nen mirtlic^ SBort ®otte^ mirb, fo
merben fie fic^ auc^ untcreinanber oerfte^en. ®e§^alb ift ei^ piel
rid)tiger, gunäc^ft ganj im allgemeinen ju fagen: Söort ®otte6
16 §crrmann: %zx (Glaube an ®ott unb bie ®iffenfrf)aft unfercr 3cit.
tann für einen fittlii^ emften 9Menfd^en, wenn er genau rebeii
will, nur ein 6rtebni§ fein, ba§ auf i^n al^ eine Offenbarung
®otte§ mxtt, Unb wenn man nun weiter fragt, mt ein SWenfc^
}u folcf)en ©rlebniffcn tomme, fo ift bie Slntroort: fie muffen i^m
gegeben merben, unb er mu^ fie beachten. 6in SWenfc^, ber nie
in feinem iJeben bie Slnfc^auung fitttid^er ®üte gewänne, bie ]xö)
erjie^enb, ftrafenb, tröftenb feiner annimmt, mürbe auc^ nie baju
tommen tonnen, bag er @ott oor 3lugen ^at. 6^ ift boc^ felbft-
üerftänbti^, ba§ einem SKenf^en, ber nic^t au§ eigener Srfa^rung
meig, roa§ ©^rfurc^t, roa§ SBertrauen ift, @ott oöltig fremb ift.
2)arau§ folgt, ma§ unfere fittlid^e Gattung für bie SKenfd^en be^
beutet, mit benen mir oerfe^ren. 2Bie mir unbewußt auf fie
mirfen unb ma^ mir bemüht für fie tun, ba§ alle^ foll ein fieuc^ten
ber ©onne fein, bie ©Ott aufgeben lägt über 93öfe unb @ute.
Saoon, bag i^nen ba§ ju j:eil mirb, ^ängt e§ ab, bag fie mit
©Ott oerbunben merben. @ott forgt bafür, baJ5 e§ feinem oon
un§ gänjlid) fel^lt, er gebraucht baju anbere 9Wenfdf)en al§ 9)littet,
aber un§ felbft mirb boc^ bann jugemutet, bag mir un§ fold)e
®rlebniffe ju ^erjen nel^men. 3m ©runbe muten mir un§ ba§
felbft }u, bie gorberung (Sottet ergebt fid) in unferm eigenen
^erjen. ®enn menn mir überhaupt im ftanbe fmb, ®^rfurd)t
unb aSertrauen ju ^erfonen ju erleben, fo miffen mir auc^, ba§
un§ nic^t§ 93effereö gegeben merben tann. 5)iefe ©rtenntni^ ift
mit bem ®rlebniS felbft oerbunben. g^lglic^ unterbrüdten mir
unfre eigene (Srtenntni^ ober mir finb unma^rl)aftig , menn mir
nid^t folc^e (Erinnerungen aU ben mertooUften geiftigen aSefi^ in
un§ fammeln unb babei mit greube unb 5)anf oermcilen.
5)amit ift un§ bie rid)tige 2lntmort auf bie 9lnflagc einer
glaubengfeinblic^en SBiffenfc^aft in bie |)aub gegeben. 2)ie 9ln«
flage lautet, ber aJlenfc^, ber an @ott glaubt, fe^e fic^ über bie
SBirtli^teit l^inmeg, bie er nicf)t leugnen tonne. 2Bir bürfen je^t
ermibern : im ©egenteil, bie ©laubensloftgteit ift begrüubet in ber
Unmal^r^aftigteit ber aWenfd^en. S)enn bie aJlad)t, bie fie erfal^ren,
menn fie oon fittlic^er ®üte ergriffen, gehoben unb gebemütigt
merben, ift eben ber fic^ i^nen offenbarenbe ®ott. Unb ba§ fie
ba§ nidjt merten, ift it)re ®cf)ulb. Sie merfen ei^ nic^t, meil fie
§ertmann: ^cr ®(aube an ®ott unb bie SGBiffcnfd^aft unfcrcr 3cit. 17
bicfc Erfahrungen be§ ftttlic^en SBerte^r^ nid^t al§ bcn unoer*
gleic^n^en ©c^a^, ben bie SWottcn unb ber 9ioft nidjt freffen,
bcl^anbeln, fonbern ftc über fi^ ^injie^en laffen, wie SDBolten, bie
fie nic^t§ angelten. 5Wenfc^cn, bie fo unn)a^rl)aftig fmb, ba§ fte
fic^ felbft um i^r 93efte§ bringen, tonnen ®ott nid^t erfennen.
^aben roir noc^ fo oiel ©ruft unb SBa^r^aftigfeit, ba^ wir un§
ba§ oor^aUen, xoa^ un§ aU 6rroei§ fittlii^er @üte an§ ^erj ge^^
brungen ift fo Köpfen loir an unb bann roirb un§ aufgetan.
SDBir tonnen eS freiließ nur behaupten, nid^t beroeifen, ba§
ber aWenf^ bann bcn }u i^m rebenben @ott oemimmt. @§ ift
ni^t anber^ möglid), benn e§ f)anbeU fid) um eine SBirtlic^teit,
bie nur erlebt werben tann. Slber un§ felbft tonnen mir menig*
ftenS llar machen, mie ein SWenfd) @otte§ 9lebe ju i^m l^ören
lernt, menn er fic^ bie (Erfahrungen ju ^erjen nimmt, in benen
er JU S^rfurc^t unb aSertrauen ermedft mürbe. ®g mirb i^m
bann junäc^ft beutlic^er, roa§ er burc^ biefe Erfahrungen empfängt.
Unter biefen ®inbrüdten fü^U er feine eigenen Gräfte mac^fen;
fo lange biefer ©influg bauert, fül^tt er fid) nic^t allein. 6ö
cntftel^t bal^er notmenbig in \\)m ba§ SSerlangen, biefe 3Jla^t, bie
i^n munberbar belebt unb beruhigt, möd^te immer in i^n ein*
ftrömen. SBenn er bann oon ©laubigen, an^ i^rem SBort unb
i^rem Seben ^ört, biefe aJlad)t, bereu SBirtung er felbft tennt,
fei ber @ott, ben fie anrufen, fo ift ba§ für x\)n überaus mid^tig
unb überaus gefäl)rli^. Er bebarf biefeS ^^i^S'^iff^^ ^^n 9)len*
fc^en, benn biefe Erfahrung brängt i^n baju, ftc^ felbft biefe S^age
oorjulegen, ob nid^t auc^ bei i^m baS, ma§ i^n als ernfte Siebe
berührte, jur Offenbarung ©otteS mirb. Slber bamit tommt auc^
bie ©efa^r über i^n, ba§ er oerleitet mirb, ftc^ 5Wenfd^en ju
untermerfen, mo er ®ott allein l^ören foll. 3)aS B^ufl"'^ frommer
3Wenfc^en barf un§ immer nur baju anregen, unS auf unS felbft
ju befmnen. 3)enn nur menn ®ott fic^ unS felbft offenbart, ift
uns gel^olfen. ®aS mirb unS ofcer gemife nid^t juteil, menn mir
uns oerleiten laffen, fo ju tun, als Ratten mir auc^ ben g^^ieben,
ber über bem Seben ber grommen liegt, ^m ©egenteil, menn
mir uns in ber Erinnerung an erfal)rene Siebe fummeln, fo lernen
mir baS Seben beS ©laubenS oerfte^en, aber mir füllen auc^ nun
3eitt<^rift für ZfftolOQlt unb Älrc^e. 15. ^afft^., i. $<ft. 2
18 ©crrmann: %zx ®(aube an ®ott unb bie SBiffenfd^aft unferer ßeit.
crft rcd|t, irie c§ uitS fc^lt. 3)a§ ift bic SOBol^r^eit bic mx faffen
fönnen, bcoor @ott ftd^ un§ offenbart. @§ wirb un§ flcroi^ nid^t
fc^aben, fonbcrn e§ wirb un§ l^clfen, mcnn n)ir bicfc SBa^r^eit
unüerfdf)Iciert auf un§ rolrfen laffcn. SD3ir muffen bafür bantbar
fein, ba§ bic SQSiffenfd^aft unferer S^xt, wenn fie nic^t burd^ 2:^eo^
logen unb ^^ifofop^en oerroäffert wirb, ba$u beiträgt, un§ bie
furchtbare ^ärte biefer ®a^r^eit füllen ju laffen. ®ie 9tot^
fc^reie unfere§ ^erjen^ oertlingen in einer unenbUc^en Seere, ba§
fagen n)ir un§ felbft, wenn wir in ftttlid^em ®rnft ben ©tauben
jroar oerftel^en, aber un§ nic^t geben fönnen, unb ba^felbe fagt
un§ bie SBäiffenfc^aft, bic if)rem äBcrte getreu bleibt unb fic^ elir*
li^ inncrl^alb ber ©reujcu be§ nachweisbar SBirtlicben l^ält. 2lber
in biefer grenjenlofen SScrlaffen^eit, wenn fie nur wirftic!) als eine
jwcifellofe 2:atfa^c oor unS fte^t, tann unS @ott oente^mlic!)
werben. SBenn @ott reben folt, muffen alle 3)inge fc^weigen.
®r rebct ju un§, wenn bie fittlid)e @üte, bie wir in einjelnen
SWomenten oerfpürt Ratten, anfängt, fxä) baoon abjulöfen unb un§
als eine fclbftänbige SWac^t gegcnüberjutreten, bie it)r ewiges JHec^t
behauptet, wenn ani) bie 5Wcnfc^en fc^wa^ unb untreu werben.
9Bie biefer innere Vorgang möglich ift, wiffen wir nic^t. SJBir
fönnen nur auSfprcc^en, ba§ wir fo bie Offenbarung ©otteS er^
leben, unb wir finb überjeugt, bag fc^liefelic^ alle, in benen ber
©laube an ©ott erwedtt wirb, unS barin juftimmen werben.
©Ott offenbart fiel) unS fo, ba^ wir unS genötigt feigen, bie
aWac^t ftttli^er ©üte, bie im ajertet)r mit SJJenfc^en auf unS
wirft, oon i^nen felbft unb il^rer ©cftwad^l)eit ju unterfc^eiben.
3)aS ift ber lebenbige ©ott, bcffen a3ilb unS auS bem erwä^ft,
was wir als fein SBirfen erleben. SBenn wir feiner inne wer*
ben, tonnen wir auS ber SBereinfamung ^erauSfommen, auS ber
uns !ein ©otteSgebante, beffen SBal^r^eit unS anbere beweifen
wollen, befreit. 3)cn ©ruft unb bie g^eube biefeS ©laubenS fin*
ben wir in ^crrlid^er Älarl^eit im alten Jeftament. Slber voo
and) immer eS wirflid)en ©lauben an ©ott gab unb gibt, überall
^at er biefelbe Slrt. 3)aS ©rlebniS, an bem er entjünbet wirb,
ift immer bie reine Eingabe an bie geiftige SJlac^t, bie man er-
fährt, wenn einen feine 9Kutter tröftet, wenn fic^ ein SSater über
^crrmann: 5)cr ®Iaubc an ®ott unb bic SBiffenfc^aft unferer 3eit 19
Ätnbcr erbarmt, wenn bcr ®ered|tc fi(^ bc8 S^lotlelbenbcn annimmt
ober uns freunblic^ [traft
S)ie SBiffenfc^aft foH eS roo^I bleiben laffen, bicfen ©lauben
an ®ott ju miberlegen. 3)a^ bie (Sefe^mä^igfeit be§ nad^roei^-
bar äBirtti^en oon bem freien Söirfen be§ lebenbigen @ottc§
nichts ertennen lä§t, raiffen wir fclbft. 6s^ braucht un§ aud| !ein
anberer ju fagen, mie gottoerlaffen mir in einer SBäcIt fein mür*
ben, in ber mir feinen anberen gü^rer Ratten aU bie SDSiffen^
f^oft. SÖäenn bal^er SWenfc^en im ®ienft ber SDBiffenfc^aft fo un-
frei merben, baj5 fie e§ nic^t mel^r fertig bringen, fid) auf ftc^
felbft SU befmnen unb gegenüber bem ©nblofen in 9iaum unb
3eit it)re 2Wenfc^enmürbe ju behaupten, fo motten mir unS nid^t
burc^ i^re ®r!Iärung beunruhigen laffen, einen ®ott, ber ben
SWenfc^en rette, tonne e§ nic^t geben. 3)enn eS ift felbftoerftänb*
lic^, baj5 fie fo reben muffen. 9Bir fdiaben il^nen fomo^l mie
uns, menn mir eS anber8 oerlangen unb oon ber miffenfc^aft^
liefen 5Ärbeit ba§ ermarten, maS freie ®ab^ ©otteS an fittlic^
tämpfenbe 9)lenfc^en ift. @o lange folc^e ©rmartungen bei ben
frommen gehegt merben, merben auc^ immer mieber eifrige unb
unftare 9laturforfd^er bar auf oerfaUen, fie feien baju berufen, bie
9Wenfd)^eit oon ber ©elbfttäufc^ung burc^ ben ©tauben an ©ott
SU befreien. Unter fotc^en Umftänben ^at ber 2Cuft(arung§brang
biefer 2lermften einen guten ©runb unb ein beflagenSmerteS
SRec^t.
-3n ber eoangelifc^en J^eotogie mirb aber nur nocft feiten
bie Hoffnung genährt, bafe bie SDBiffenfc^aft ben ©lauben an ©ott
begrünben tonne, populäre ©Triften biefer J^enbenj erfc^einen
noc^ in 9Menge, merben aud) getefen unb geben bann mieber be^
geifterten 9laturforfd)ern ben ©d^mung als 2lpoftel einer natura-
liftifc^en SBeltanfc^auung bagegen aufjutreten. Slber 93üc^er, bie
ben ©lauben an ©ott miffenfc^aftlic^ begrünben motten, muffen
mo^l aud) benen rec^t fdimer faDen, bie fie gern fc^reiben möchten,
©ie merben nur nod^ feiten gefc^rieben, unb menn fie erfc^einen,
merben fie menig gelefen. SBäer fic^ für ein fotd^eS Unternehmen
noc^ intereffiert, ^at jmar feine 2lnfüubigung gern, lä|t eS fic^
auc^ gefatten, menn eS in ber gorm oon Behauptungen auftritt,
20 §etrmann: 5)er ®ia\xbz an (3ott unb bie SBiffenfc^aft unfercr Seit.
aber bic 5Wü^c fdieint man ju fc^cuen, lange 93cn)cifc ju bicfcm
Qxo^d auSsufinncn, ober bcn 5fei§, ber i>o6) bisweilen baran ge^
lücnbet roirb, baburd) ju tDürbigen, ba& man feine ^robuttc lieft,
©rabe einer ber gebantenooDftcn unb eifrigften unter ben jüngeren
S^eologen, @. 2: r 5 1 1 f c^ , l^at fic^ ba§ 3iel geftedt, ben alten
a3unb ber äBiffenfc^aft mit bem ©lauben ju erneuem. @r ift
in biefer ©ejie^ung ber fonferoatiofte, ober, roenn man ba§ lieber
^ört, ber reattionärfte oon un§ alten. 9lber oon bem 93orfa§
l^aben roir fd)on lange gel)ört, ol)ne etma§ oon einer 2lu§fü^rung
JU bemerfen ^). SSielleic^t liegt e§ baran, ba§ auf ber einen ©eite
bie 2Biffenfd)aft i^re aJlet^obeu feiner au§gebilbet l^at, unb auf
ber anberen ©elte ber ©laube an @ott beutlic^er au§fpric^t, maS
er mirtlic^ meint.
aWan !ann je^t nic^t met)r fo lei^t oergeffen, baj5 an ®ott
glauben ^ei^t, fid) an eine geiftige 9Kad^t tlammern, bie ftc^ bem
aWenfc^en al§ mirtfam in ben oerborgenften Kämpfen feinet
^erjenö offenbart unb auf bie ©eifter mirft, inbem fie ba§ SÖäelt«
all unbegreiflich fc^offt unb mit i^rem Seben füllt. ®er biefe
religiöfe Slnfc^auung beutlic^ fafet, oerftel^t erft, ma^ ber ©ebante
bebeutet, bag ©ott bie äBelt fc^afft unb nic^t oerurfac^t. 2)iefer
biblifc^e ©ebante ift bie Slbfage be§ ©laubenö an bie fd^einbare
äBiffenfc^aft, bie ©Ott mit benfelben aWitteln, mie bie SBirtlic^-
feit ber SDSelt ergreifen roiü. 3)er ©laube freut fid^ ber magren
aOBiffenfc^aft, mie ber 5iatur, ju ber fte gehört. 2lber ber falfc^en
SBiffenfd^aft, bie i^n felbft begrünben will, bringt er ben Job,
fobalb er feine eigenen ©ebanteu beutlic^ au^fprid^t. 3)er erfte
Sa^ ber 33ibel ^at ber SQBiffenfc^aft \\)x ©rab gegraben, bie ben
©Ott be§ ©laubenS für beweisbar ^ält.
äBir moKen alfo nic^t barüber trauern, menn bie SDBiffen*
fd^aft unferer 3eit ertlärt, bog fte ba§ SBirfen ®otte§ nic^t ma^r^
nel)men fönne. 3)enn mal^rnel^mbar ift für fie immer nur eine
Äraft, bie anbere Kräfte einfc^ränft ober mit i^nen in ©treit
liegt. 2)arin erfd)eint un§ i^re SBirtung, mie fte fid) im Kampf
1) ^Inbcutungcn, bic unferc ©pannung erl)ö^cn, ftnbcn fic^ in feiner
mi^öejeic^netcn Stubic „t>a§ §iftorifc^c in ^ant^ SHeIi9ion§pf)tIofopl)ie.
g^crlin 1904", namentlich 8. 129-131.
^errmann: 5)cr ®(aubc an ®ott unb bie SBiffenfc^aft unferer 3cit. 21
mit anbeten Gräften burc^fe^t. ®er @ott unfereö ®Iauben§ aber
ift aHmöd^tig. SDSenn w\x überl^aupt feiner gen)i§ werben, fo
benten roir, ba§ feine ^fladjt ba§ für un§ Unenblid^e, bie in bem
aOSirflid^en roattenben Sräfte jufammenfajst unb au§ i^nen etn)a§
t^eroorge^en läfet, roaS fein 3Wenfd) berechnen fonnte. @r ^i(ft
feinen Rinbern burc^ neue Schöpfungen. @r ift ein ®ott, ber
©ebete erhört, alfo SÖäunber tut. ©ic^ barüber ©ebanfen ju
machen, wie ba§ möglid) fei, ift ganj üergebtic^. äBenn man jur
aSerteibigung be§ ®Iauben§ unternimmt, ein folc^e§ SQäirten ©otte^
a(§ möglid) ju bemeifen, fo beroeift man nur, ba§ man ben ®lau^
bzn unb feinen ®ebanten ber Slllmad^t nid|t oerftanben ^at.
SWand^e unter un§ meinen, eS fei boä) etma^ bamit gemonnen,
wenn menigftenS bie 9)lögnci^!eit eine§ göttlichen 2Birten§ in ber
äßett bemiefen mürbe. 2lber ba§ ift eine 2:äufd^ung. 3)ie ®IäU'
bigen werben ol)ne 3u>ciH g^fc^öbigt, menn in i^ren 2lugen ber
®laube etma§ oon feiner munberbaren 3lrt oerliert. S)aS gcfd^ie^t
aber, menn mir un§ einbilben, ha^ SÖäirfen ®otteS auf un§ be*
greifen ju tonnen. 3)er 9Wenfc^ aber, ber bie Äraft jum ®lau*
ben nod| nic^t finben tonnte, tommt bem ®lauben nid^t nä^cr,
menn er fic^ baoon überjeugen tä&t, e§ fei mögtid), ba§ ein ®ott
i^m ^etfe. @§ tann if)m babuvc^ leicht oerfc^teiert merben, ba§
er t)on ber ®emi6^eit, ba^ ®ott i^m mirtli(^ l^etfe, babei bod^
unenblic^ fern bleibt. Slber allein eine folct^e ®emipeit ift
®laube.
S)er ®laube mu§ ju ber SCÖiffenf^aft eine folc^e Stellung
geminnen, ba& fte i^n nid^t bebrüdt. 3" biefem Qxotd foll er
aber nic^t oerfucf)en, i^re SQSeltauffaffung ju beein^uffen. S)a§
ift immer fct)äblic^ gemefen unb ift I)cute überaus gefäl)rlic^. S)enn
ba§ aOBeltbilb ber SBiffenfc^aft ift fein ^robuft ber SBiUfür, fon^
bem ermäd^ft au§ ben ®ebanten in benen ficf) bie ®rtenntni§ bc^
nac^mei^bar SBirtlid^en noHjie^t. ©agegen ba§ gan je unoerle^te SDBelt*
bilb ber SBiffenfctiaft, ba§ 93ilb einer unenbtid^en, gefe^mä^igen
®irtlic^teit, bie fid^ al§ nad^meiSbar jcbem erfennenben 93emu|ts
fein barftellt, mirb t)on bem ®lauben beroältigt, inbem er e§ oon
fiel) au§ religiös oerfte^t. 833ir fönnen aber biefe§ ®eltbilb ber
9Biffenfcl)aft religiös üerfte^en, menn mir mirflid^ nict)t bloJ5 an
22 § c r r m a n n : ^er ®Iaubc an ®ott unb bic SBiff enf c^af t unf crer Seit.
einen ©ö^en glauben, ber felbft ^robutt ber 9latur ift fonbern
an ben (ebenbigen, allmächtigen @ott. 3lte ber ma^r^aft Sebenbige
ift er etwas ganj anbere§ at§ nachweisbare Söirflid^teit, alfo
flbcrn)cltlic^. 2ll§ ber SlUmäc^tige ift er ber äBiffenfc^aft in feinem
SBirfen oerborgen, aber er fa^t in biefcm SBirten bic für un§
enbtofe 9latur jufammen unb mad^t fte ju einem 9Wittel für bie
nur erlebbare SBirflic^!eit be§ @eifte§.
3Bie wirb un§ nun aber biefe§ ber SBiffenfd^aft Unfajsbare,
ba§ SBirten beS allmad)tigen @otte§, eine un§ parfenbe SDSirtlic^*
teit? @ine Slnfc^auung eine§ folc^en 3Bir!enS l^aben wir nid^t.
3tber mir fönnen etma§ erleben, morau§ ber ®ebante eine§ folclien
SQ3irten§ l^eroorge^en tann. ®iefe§ ®rlebni§ ift bie reine ^in«
gäbe an eine geiftige SWac^t in S^rfurd^t unb 93ertrauen. ©in
mutiges unb getrofteS ^erj fönnen mir nur in einem 9Woment
geminnen, ber unS juglcic^ ba§ beutUd^er mad^t, bem mir ge*
^ord^en muffen, meil mir fein emige§ Stecht einfe^en, baS fittlic^e
©ebot. ©eibeS erleben mir in ber a3erü^rung mit ^^erfonen, bic
uns burc^ i^re @üte mol^ltun unb jugleii^ burc^ ben ®rnft i^rer
Cpferbereitfc^aft unS bemütigen. Qu einem folc^en Vorgang ent^
ftc^t in uns baS Unoergteic^lic^e, bie reine Eingabe eineS 2)ien«
fc^en, ber fonft immer barauf auS ift, um baS, roaS er ju be*
bürfen meint, ju tämpfen unb fid^ ju meieren. SD3enn mir fo
innerlid^ gehoben unb im ®migen befeftigt merben, fmb mir beS
©ebantenS ber 2lllmadf)t fä^ig. ®r entftct)t in unS, menn mir
baS, xoa^ mir babei erleben, als a33a^rf)cit fefl^alten fönnen, fo
ba§ eS uns nic^t mieber als etmaS blo^ fubjeftiocS oerfliegt.
3)ie Slnerfcnnung, ba§ baS fein flüchtiger ©cl)ein fonbern SBa^r«
^eit ift, ift offenbar ein 3tft fittlid^en ©el^orfamS. 3w9^c'^ ^6er
üolljiet)t fie ftd^ in bem 93emu^tfein, ba§ bie 93erü^rung einer
aWac^t, bie unS gel^eimniSooU bleibt, unS über unfere natürlid)e
Slrt erl^oben ^at, inbem fie unS mit grenjentofer 3w<>^^ic^t ^^'
füllt. ®ann murjeft ber ©ebanfe ber perfönlic^cn SKac^t über
SlUeS in unferem eigenen SrlebniS unb mirb unS jur unabmeiS^
baren SOBal^r^eit. So offenbart fi^ unS @ott, 3)er Slnfang ift
nic^t ber ©ebanfe ber 3[llmad^t, fonbern baS SrlebniS, bag in
uns felbft aller SBiberftanb übermunben mirb.
©crrmann: ^cr ®loube on ®ott unb bie SBiffcnfc^aft unferer 3cit 23
SBcnn roiv nun um unö ^cr auf oiete 3Wenfc^en treffen, bie
oon einer folc^en ©rtenntniS ®otte§ nic^tö roiffen wollen, fo
fönneu roir ba^ roo^l oerfte^en. @ott wirb nic^t erfannt wie
ein totes ©ing. S)enu an i^m ift nic^t«, ma^ uic^t Seben wäre.
®r wirb alfo nur ertannt, wo er fein Seben offenbart, unb eS
ift feine @ad)e, wo unb wem er e§ offenbaren wiK. 2lber auc^
ber SWenfd) tann baran fc^ulb fein, ba| er ®ott nic^t ertannte.
9Bir wiffen ja oon un§ felbft, wie ba§ fommt. <3e me^r wir
felbft fittlid) fc^taff unb Ieb(o§ werben, befto unfähiger werben wir,
bie fttttic^e ®üte anberer ju bewerfen. 9tber auc^ wenn wir burc^
anbere ju SSertrauen unb S^rfurc^t erregt waren, tonnen wir fo
untreu werben, bag wir baS a(S wefen(o§ be^anbeln, obgleid)
wir erfuhren, wie e§ un§ innerlid) ^ob. 2Bir fönnen enblic^ bie
9Menfc^en unferer Umgebung fo in unfere Unreinheit unb Sieblofig«
feit ^ineinjieben , baj5 unS wenigftenS nichts reineS fefteS unb
fteg^afteS an i^nen offenbar wirb. ®ann ift ba§ oerflungen,
voa^ uniS jur 9{ebe @otteS ^ätte werben fönneu.
^n biefer «erlaffen^eit erfährt ber ÜWenfd), bag ®ott bie
©ünbe unerbittli^ ftraft. 3Bir wiffen eS wo^(, baj5 wir in fo(d)en
9löten feinem Reifen fönneu, wenn wir nic^t aufrichtig bereit finb,
e§ uns um feinetwitten fauer werben ju laffen, fo bag in unfere
33egegnung mit i^m immer ttxoa^ oon ber ©mpfinbung flie&t,
bag uns an i^m gelegen ift. 9lber unfer ganjeS ^emüi)en mu^
boc^ barauf gerid)tet fein, i^m ba}u }u Reifen, ba§ er gegen fid^
felbft unerbittlich wirb unb feine Sage fic^ nic^t oerfc^leiert. 2Ber
ftc^ felbft bie ÜWöglic^feit genommen ^at, an ®ott ju glauben,
muj5 ertennen, baj5 er fc^liej^lid^ gauj oereinfamt ift. 3)ie SDBiffen»
fcl)aft ftebt biefer ©rtenntniS nic^t im SBege. 3)ie Äunft freiließ
fann oon uieten SWenfc^en baju gemi^rauc^t werben, ba^ fte auS
if)rem Seben eine fc^öne Süge ma^en. darüber foUten wir flagen,
baj5 bei unS baS iBerftänbniS bafür fd^winbet, warum einem SJlanne
wie "»^laton bie Äunft oerbäc^tig war. 3lber bie 3Biffenfd)aft an*
auflagen, f)aben wir feinen ®runb. ©ic tut baS ^^re, bie aHen*
fcf)en jur Sefmnung ju bringen, benn fie oerfe^t fie in eine SEBirf»
lic^feit, bie für alle 3lnfprüc^e beö Sebeubigen uic^t^ weiter ^at,
als enblofeS ©Zweigen, darauf aber fönnen wir rennen, ba§
24 ©crrmann: ^er ©taube an ®ott unb bie SBiff enfc^af t unf ercr 3c^t.
ba§ ©ntfc^cn uor bicfer SBett bc§ 2:obc§ in einer tebenbigen ©eele
bie grage nac^ einem ®ott, ber fte ^ören möd^te, werft. ®benfo
wirb jebev ber jemals ernfte Siebe erfahren ijat, un§ oerfte^en,
tt)enn wir i^m bejeugen, baj5 roir unS felbft oon ber SBelt be§
fiebenS au^fd^tie^en, wenn wir fol^e ©rfal^rungeu oergeuben.
einem SJlenfc^en ift religiös nur ju Reifen, menn er felbft ertennt,
ba^ er burd^ fold)e Untreue fein Seben oerborben f)at. 3Sßenn er
(Sott foU Dernet)men tonnen, fo mu§ er oor allem einfe^en, ba§
er au§ biefem ©runbe @ott nid)t ^ört. 3)aju aber tonnen i^n
teine Ueberrebung§tünfte jmingen. Sr mu^ felbft ben SSßitten
faffen, fic^ auf feine eigenen ©rtebniffe ju befinnen. |)elfen tann
if)m nur bie rul^ige ^e^auptung oon 9)lenfc^en, ober ba§, n)a§
ber Unglaube al§ ®ogma ju freiten pflegt. Stber e§ muffen
ajlenfc^en fein, bie au§ eigener ©rfa^rung miffen, wie mir un§
ruinieren, menn mir ®rlebniffe, bie un§ ganj unb gar in Stnfpruc^
nahmen, al§ siebenfachen bel^anbeln, unb e§ muffen SWenfc^en
fein, bie ebenfo au§ eigener (Srfa^rung miffen, ba^ ein unoer*
gleid)lic^e§ ©rlebniö i^nen ben SDlut ber SBa^r^aftigteit mieber^
gegeben unb i^nen babur^ ®ott oerne^mlid) gemacht f)at, alfo
erlöfte 2Kenf^en.
®§ ift anber§ mit un§ geworben, nic^t meil mir uni^ ange«
ftrengt ^aben, irgenb etma§ allgemeines für ma^r ju galten, fon^
bern meil etmaS ganj befonbereS in unfer eigenes Seben getreten
ift. Uns ift in ^fefuS ©tiriftuS eine ^erfon begegnet, bie in alle
93ef^räntt^eit unfereS SebenS eiugefd^loffen unb oon allem menfc^*
lid)en Jammer bebrängt, boc^ bie ^raf t l^at, unenbli^eS SJcrtrauen
}u f orbern. @r ergebt ben übermenfc^lid^en 2lnfprud), ba§ ba,
mo er mirtfam mirb, @ott als ber ^err über aUeS erfahren mirb.
Unb biefcr SSertünbigung beS mit i^m fommenben 9teic^eS ©otteS
gibt er fogar bie Schärfe, ba^ er bet)auptet, mo feine g^^eunblid)«
feit einen SJlenfc^en ergreife, merbe SJergebung empfangen, bie
SJla^t ber ©üube gebrod^en. Unb baS alleS ift bei i^m gefaxt
in baS ftrat)lenbe 93ilb fittlic^er SSollenbung. SBaS gut ift, enthüllen
feine äBorte ber SWenfd^^eit fo, ba§ fid) barin immer neue liefen
ber ftttti^en ©rfenntniS auftun unb ba§ fie boc^ jeberjeit baS
^erj ber Einfältigen padten. ®r jeigt unS, roie unerf^öpflid) bie
^errmonn: S)er ®laube an ®ott unb bie SBiffenf^oft unferer 3^t 25
fittlid)c Stufgabc ift. SDBir Äinbcr bcS ©taubeS foUcn lieben wie
ber aümä^tige (Sott. @r felbft aber ftellt fi^ jroar barin un§
g(eid), baj3 auc^ er nid^t gut genannt n)erben n)iO, n)eil er an bie
Unenbüc^feit ber ftttlic^en gorberung bentt. 9tber juglei^ jeigt
uniS alle§, roa§ wxx üon i^m erfahren, ba| er allein immer über*
minbet unb ju bem emigen QitU üorbringt. 3)aj5 auf feinem
Seben fein ©chatten oon ©c^ulb liegen fanu, wirb jebem, ber i^n
fennen lernt, burc^ feine ruhige 3ut)erfic^t bemiefen, ba| ben
©ünbem bie Saft ber ©d^ulb abgenommen merbe, menn er fte
oon fetner Siebe überjeuge. ©c^lie|lic^ ift in feinem 2:obe§opfer
alle§ bie§, fein SBille ben ©ünbern ju Reifen unb feine QnvtV'
ftc^t, baj5 er e§ fönne, feine ftttli^e ©nergie unb feine reine Ein-
gabe an ©Ott fo empor- unb jufammengemadifen, baj5 feine SJer-
fö^nung^te^re feiner jünger ba§ ©e^eimnig ergrünben unb jum
oollen 2lu§brucf bringen fann. 9tur ba§ eine ift un§, bie mir
bie ^erf on ^efu in bicfer i^rer ^errlic^feit fe^en, oöllig f (ar : in
un§ felbft mirb eine allc§ überminbenbe 3wüerft(^t mächtig, wenn
er un§ gegenroärtig ift. ^n biefem SJertrauen, ba§ Qefu§ burc^
bie Äraft feiner ^erfon in un§ fcljafft, mirb unö ©ott offenbar.
2)ie grommcn be§ alten 33unbe§ ^aben ©ott gefunben, menn fie
ben fittlic^en SJläc^ten in i^rer eigenen ©eele unb in ber ©e^
fd^i^te i^re§ SJolfeg begegneten, menn fte oon ber SÄac^t be^
©Uten in bem Seben ber ©erec^ten ergriffen mürben. 3)e§ @otte§,
bem fte fo oertrauen lernten, ^aben fte ftd) gefreut auc^ an ben
SBunbermerfen feiner Schöpfung. ®a§ alle§ erleben mir aud).
3lber ebenfo bitter mie fte, muffen mir erfal^ren, ba& un§ ba§
alle§ jufammenjubred^en bro^t unter unbegreiflichem Seib unb unter
einer ©c^ulb, bie mir nic^t oergeffen fönnen. 2Bir miffen bann
nid)t, mie mir eine folc^e ^raft aufbringen follen, mie fte ft^ im
73. ^falm au§fprirf)t. 2lber biefe Kraft mirb un§ gegeben, menn
mir un§ ber ^erfon Qefu erinnern, mie fte au§ ber Ueberlieferung
be§ 9Jeuen SeftamentS f)erüorleuc^tet. ^efuS ©^riftu§ fc^afft in
benen, bie i^n roirflid) fennen lerneit, ein SSertrauen, in bem alle
if)re Stengfte ft^ auflöfen. 2)abur^ mirb er un§ ber 3Beg
jum aSater, benn barau§ ermärf)ft un§ ate eine oon un§ felbft er^
fa^te SBa^r^eit ber ©ebanfe einer geiftigcn 3Wac^t über alleiS, bie
26 ^errmann: ^cr ®Iaubc an ®ott unb bie SBiffcnf d^af t unfcrcr Qtit
un§ burc^ ernftc fiiebc übetroinbct unb un§ ju neuen SWenfd^en
niQc^t.
©uc^en roiv in ber l^eiligen ©d^rift ni(^t§ anbetet aU bie
fd)lie^lic^ in ber ^erfon ^^\vi überroättigenbe ^erüorbrec^enbe
Offenbarung ®otte§, fo brauchen wir aud) bie ^iftorifrf)e SBiffen*
fd^aft nic^t ju fürchten unb werben un§ oon bem fc^iüäc^üc^en
33ege^ren rein Italien, baj5 if)r irgenb roetc^e äußeren ©c^ranfen
gefegt werben motten. Q^re treue 2(rbeit an bem Sßergangenen
mag in un§ manche un§ lieb geworbene Stuffaffung erfc^üttern.
9(ber bie Ueberjeugung, ba^ bie ganje biblifd)e Ueberüeferung baS
93rob ber fiebenbigen bei it)rer SBanberung bur^ bie ©efc^id^te
ift, wirb fie un§ nic^t nehmen. 3)em (ebenbigen (Sott, ber ftc^
un§ offenbaren will, bient fc^Iie^tic^ alle SBiffenf ^af t , aud) bie
2Biffenfd)aft unferer S^xt
27
Dr. 9i. ^offmann,
Pfarrer in ©ruibinöen.
e§ ^attbett ftd^ um bie g^^agc: ob burc^ bie oft geforberte
„äeitgemä^e SBctfünbigung be§ eoangenumS" baö SBefcn bcS 6^ri^
ftentumö ate Sieligion unbeeinträchtigt bleibt; ober nod) genauer
gefaxt: ob nid)t bur^ 93etonung biefer ßcitgemäg^eit ber — un*
beabft^tigte — ©rfolg erreicht wirb, bie 3«itgenoffen me^r für
bie peripl^eren, al§ bie jentralen 2:enbenjen be§ 6^riftentum§ ju
erroämten. Snx prinjipiellen ®ntfc^eibung mögen afö SBorberei^
tung einige t^eoretifc^e ^^rämiffen bienen barüber, roie „ä^it^n"
übcrl^oupt ftd^ gu einanber oerl^alten.
I.
ffienn mir üon einem „^ai)x\)\xnhzxt" , einem „SJlenfc^enalter"
reben, fo beutet ber SBortlaut gunäd)ft auf ein S^xt q u a n t u m,
paffenb ein 3«it^<^uJ^ genannt, fofern fein Umfang anfc^aulic^
nur al§ juglei^ räumlid^e @rö^e, als Sßielfac^eS ober Seil ber
33a^n eine§ Paneten, eineö Sic^tftra^lS u. bgl. bargeftellt werben
tann. 9lun unterfd^eibct fic^ allerbing§ 3«it ^^^ SHaum, fofern
fie „oerläuft", mä^renb biefer „ruf)t" unb fofern fie i^re eigene,
mit beffen 3)imenftonen unoergleic^bare, unb ni^t umtel^rbare
„2)imenfton" ^at: nämli^ bie 9iid)tung oon ber SBergangen^eit
burc^ bie ©egenmart jur 3"funft. Slber fofern jener SSerlauf
„objettio", b. ^. feine ©efc^minbigfeit für aDe ©ubjefte gleich
gültig fein fotl, tann er mieberum nur al§ 33emegung, b. ^. ©e-
fdje^en im Siaume oorgefteßt werben. Unb fofern bie „®efc^ic^te"
in aSergangen^eit , ©egenmavt unb 3wfunft allgemeingültig fein
foU, mu^ i^r ,3n^alt ebenfalls in ben 9iaum oerfe^t werben.
28 $ 0 f f m o n n : Scitöemd^ ober 3eilIoä ?
muj5 anjugeben fein, wo cttt)a§ gefd^e^en ift, gcfc^ie^t ober gc^
fc^e^en wirb. SÄ. a. 338.: objeftioe Q^xt ober gemeinfame 3eit
ift immer quantitatioe Q^xt ober räumliche 3^'t.
9iun aber meinen mir mit „Qa^rl^unbevt" ober „3Wenf^en^
alter" gemö^nli^ einen ^n^ött, für ben feine quantitatioc Q^xU
grenje oer^ältni^mä^ig inabäquat ober jufäüig ift; ein me^r ober
minber abgefd)Ioffene§ ©anjeS oon ®efd)i(^te ber SWenfc^^eit ober
ber Äuttnr, eincö aSolfeS ober cineö ^nbioibuum§, ein ®anje§,
baS id) al§ eine gefd)i^ttic^e Qualität beaeic^nen mill,
mel^e burc^ it)ren 3"^^^ begrenjt mirb. ©ofern Dualitäten
freiließ in ber objettiüen Q^xt (im obigen Sinn gemeinfame ober
räumliche Qtxt) oorgeftellt werben, werben fte burd^ ba§ ganj
anberSartige SBerfa^ren ber 93egriff§bilbung oerglic^en unb abge^
grenjt („befiniert"). hingegen al§ gef ^id)tlic^e Dualitäten
tonnen fte oergli^cn unb abgegrenjt werben, nur fofern fie it)re
eigene Qtxt ^aben (ic^ oermeibe ben 9tu§bruc! „fubie!tii)e3^it",
weil ba§ ben 2lnftang an etwa§ „Qrreale^" f)ätte). Somit fmb:
gefc^i^tli(^e Dualität, ober einen 3n)erf ober eigene 3^^* ^aben,
SBec^f elbegriffe; unb e§ ^anbelt fid^ je^t noc^ barum: im einjelnen
ju oeranfrf)aulic^en, ba§ wir mit unfrer 2lbgrenjung gefc^i^tlid)er
^erioben wirflid^ eigene 3^1*^^^ ^^ angegebenen ©inne meinen;
unb oon ba au§ ben Uebergang ju unfrer Sitelfrage ju machen,
inbem wir biefe f o formulieren : ob bie 3"^^^^ woburd) gefc^i^t-
li^e Dualitäten in ein 95er^ältni§ ju einanber treten, in einer
objettiüen 3cit ^^^^ ^'"^^ gemeinfamen 3wfwnft, ober in einer
baoon ju unterfc^eibenben 2lnf^auung§form beieinanber fnib.
SDSenn man ben ^inj ober Äunj ein Snbioibuum nennt, fo
ftellt man fid) bie§ Qnbioibuum junä^ft bur^ feine ^aut begrenjt
oor; wenn man oom SJlittelalter rebet, fo bentt man ftc^ e§ ju-
näc^ft einerfeit§ etwa oon Äarl b. @r., anbrerfeit§ oon ber SRe-
formation begrenjt. 5rage ic^ aber, wo ift berjeit ^inj al§
„pf9c^ifd)e§ ^nbioibuum", fo ift bie 2lntwort: „in feiner ^aut"
burc^auS unjulänglid); benn fte belehrt mic^ ni(^t barüber, wo er
berjeit mit feinen SJor ftellun gen ift, welche i^n eben al^
^fnbioibuum tonftituiere. SBenn man oon ber „Unerforfd)lic^teit
© 0 f f m a n n : SeitgemäJ ober 3eitCog? 29
bc§ mcnfc^tic^cn ^f^^nctn" rebet, fo ^ei^t baS eben, ba§ jebeS
menfd)ricl^e ^fnbioibuum feine eigene 3«it ^öt, nnb barum ba§
3nfammenfein in ber objettiüen räumlid^en Q^xt nod^ nic^t ge«
nügt, e§ tennen ju lernen; wenn id^ anbrerfeitS bo^ üon biefem
„On«^"teben" au6) etroaö inerte, fo ift bie§ nnr baburd^ möglich,
bag ein foIc^e§ Q^nbiüibuum iebcrjeit burd^ einen S^^^ begrenjt
ift, ber mit meinem Qnbioibuatjroecf irgenbroie in§ SBer^ältniö
gefegt merben fann. Äurj gefa&t: ©igene Qzxttn treten in ein
35er^ältni§ burd) bie Qxütdt, rooburd) fte begrenjt werben. 3)ag
gilt aud) üon einem ä^itölter. SBo ift ba§ SD^iittelalter? ®a ^ilft
mic^ and) nic^t§: ,,in ber SSergangen^eit" ma^ ja genauer anc^
nur mieber burc^ bie 93cftimmung „jroifc^en Karl b. @r. unb
ber JRef ormation" auSgebrüdtt werben fann ; fonbcrn id) muj5 ju*
nfid)ft antmorten : in feiner eigenen ß^it n)eld)c burc^ einen eigen*
tümlic^en Qwtd gcgliebert unb begrenjt mirb, unb ic^ mei^ üom
SJlittelalter aud) nur baburc^ etmaö, ba§ ber 3"^^* meinet 3^it'
altera mit bem feinigen in ein aSerpltni§ treten tann. ^ierauS
ergibt ftd) einmal: ba§ ein <3fnbiuibuum unb ein 3^itölter bie
gleiche ©truttur al§ üon einem Qrotd au§ begrenjte @ef^id^t§«
qualität ^aben, baj5 ic^ ba§ ^f^bioibuum gerabe fo gut aU eine
gefd)id)tlic^e fieben§gemcinfd)aft, mic ba§ 3^italter al§ einRoDet«
tioinbiüibuum befinieren fann. Unb jroeiten§: ba^ ba§ Qnbiüi-
buum bejm. 3^itölter in feiner ©lieberung unb 33egrenjung pom
3n)ecf erft gefc^affen mirb, alfo mebcr baju beftimmt, noc^
fd^ig ift, biefen 3"^^^ ^^P feinerfeit^ ju „oermirf liefen".
3Ba§ trägt ftc^ aber eigentlich ju, menn mir oon ber ^SJcr*
mirflid)ung eine§ Qvo^d^ in ber 3wfw"ft"/ alfo in ber objeftioen
3eit, fpred)en? Offenbar t)anbelt e§ fic^ babei nic^t um bie S3er=
mirflid^ung eine§ fc^lei^t^in 9tid^tmirf liefen, fonbern barum, ba§
ein 3wfö"ftig''2Birflid)e§ ein ©egenmärtig^SBirflid^e^ merbe. So-
fort aber oermanbelt e^ fic^ bann auc^ in ein Sßergangen^aBirf*
lic^e^; e§ fei benn, ba§ fid) ein „le^ter S^^^" ober beffer, ein
le^ter 3wftönb aufjeigen lie^e, ber fic^ blog in ©egenmart oer-
manbelte, o^ne weiterhin aud) in SSergangen^cit überjuge^n. @r
märe bann ba§ fc^led^tf)inige futurum, ju bem \\(i) alle anbern
30 § 0 f f m a n n : 3eitöemci| ober 3ctt(o§ ?
gutura gtcid)fam al§ gutura cyacta oer^ielteu. 9lun ift bcr Un*
tcrf^icb oon Sßergangen^eit unb ©egcnroart bctanntlid^ pratttfd)
ein „ftie^enbcr", ober retatioer. ©egenroart im ftrcngen ©inn
wäre eine 3^it bic nur al§ 9te6encinanber, nid^t al§ ^tac^einan*
ber eine 2lu§be^nung ^ätte, b. 1^. ftreng genommen gar feine Qtxt
^ener relatioc Unterfc^teb aber fei junäc^ft ba^in beftimmt: fofern
®reigniff e, al§ U r f a ^ e n betrachtet relatio ung(eid)jeitig
ftnb, liegen fie miteinanber in ber Sß e r g a n g e n t|e i t, fofern
fte, a(§ Urfa^en betrachtet, relatio gleic^jeitig ftnb, liegen
fic miteinanber in ber @ e g e n m a r t, 9Wan tann pc^ jene re-
lative Unglei(^jeitigteit ber Urfac^en anfcfjaulict) mad^en bur(^
Sßorftellung ber Orte auf ben Sahnen eine§ 2Betttauf§, melct)e je*
meilig bie SSßettläufer einnel^men; bie öal^nen ftnb immer neben*
einanber, b. ^. im SRaume, unb auc^ bie Orte, fofern fte at§
fünfte biefer Sahnen betrachtet merben; fofern fte aber jugleic^
3Womente eine§ 2:empo ftnb, ftnb fte retatit) nac^einanber, ober
Dvte in einer 3^it. ®ie SRelatioität biefe§ Unterfc^ieb§ ermög*
lid)t e§ auct), bie einjelnen Urfac^en beliebig fo ju begrenzen, ba^
fie möglii^ft gleichseitig ober möglic^ft ungleichseitig erfc^etnen.
3)a§ unter bem ®eft(^t§punft eine§ legten 3wftanb§ aber bie erftere
S^enbenj bie Dber^anb behalten mu§, mirb fogteid^ erhellen.
@§ befielet nämlid^ jmifc^en ßutunft unb @egenmart eine
ä^nti^e SRelatioität be§ Unterfc^ieb§. Qii) befintere bie 3^'
!unf t al§ bic 3^i t/ i" welcher bie Urfac^en, gteid^jeitige
ober ungleid^ieitige, SBirtungen ftnb. @§ ift ja nun mieber
al§ 9tegutattT) ber ftrenge @ucceffion§c^ara!ter oon Urfac^e*9Bir*
tung unentbelirlic^; prattifc^ aber ift nur ein fold^e^ ®reigni§ al§
Urfad^e braud^bar, ba§ mir jugleict) al§ beginnenbe SBirtung, unb
fomit mit biefer in gemiffem ®rab gleichseitig, anfd^autid)
mirb, benn nur fo voith mir bie taufale Raffung ju einer „@r*
tlärung". 2luct) ^ier ermöglicht e§ mir biefe Slelatioität, bie Ur*
fachen fo abjugrenjen, ba^ bie Urfac^e mit i^rer SBirtung gleich*
jeitig erfc^eint. 9]un aber: in bem SWa^e, al§ bie§ gefc^iefjt, al§
fomit bie 3wtunft mit ber ©egenmart jufammenfäHt, werben auct)
bie Urfac^en unter ftc^ gleii^jeitig, fällt alfo bie SSergangen^eit in
bie ©egenmart l)inein, unb oice oerfa. Qxix 33egrünbung möge fjier
© 0 f f m a ti ti : Sttt^tmä^ ober 3ctUo§ ? 81
nur ongebcutct roerbcn: eben bie Ungleidjjeitigteit ber Urfa^en,
bie ftc^ nod) in bie ßufunft hinein fortfe^t, fo baj5 bie berjeitige
©egenroart biefer gegenüber ate UJergangen^eit erfd^eint, ift ber
©runb, ba^ mir bie 3wtunft „problematifd)" oortommt; unb
anbrerfeitS nur inbem bie SJergangen^eit al^ Urfa^e mit ber @e*
genmart al§ i^rer SBirtung unglcid^jeitig erf^eint, nimmt fie jenen
cigentümli^en @rab üon 9lic^t^9iealität an, ben mir mit „oer»
gangen" bejeic^nen. ^ene Slbgrenjung ber Urfadjen aber, mel^e
SJergangen^eit wie 3"fwnft in ©egenmart oermanbelt, gcfd^ie^t
unter bem ©efic^tSpuntt eineS legten 3"f*önb8, ben mir
befinieren f önnen al§ biefc^lec^t^inige®egenmart, in
metc^er a(leUrfad)enfomof)t unterein anb er al§
mit i^ren SBirtungen gtei^jeitig finb.
3)ie[er le^te äwft^nb l)at mit einem testen ober beffer „^öd^^
ften" Qxütd roeber formelle noc^ materieDe Ste^ntic^teit. ®enn
unter einem ju oermirfUcljenben Qwed fteüt man [\ä) bod) einen
ßuftanb oor, ber nur gerabe burc^ biefe auf i^n gerid)tete Sä-
tigteit oerurfac^t mirb, burc^ eine entgegengefe^t gerichtete aber
oielme^r oer^inbert mürbe, ^'«ner le^te 3wftani> ^^^^ oerroirt^
Iid)t ftc^ burc^ alle mie immer gerichtete 2:ätigteit, fobalb fie nur
eben als urfä^tid^ gefa&t merben tann, unb mirb burc^ folc^e
ebenf omenig geförbert als ge^inbert; fo menig al§ man bie Schmer-
traft überroinbet, menn man fic^ auf ben Äopf ftellt, ober fte rytt-^
ftarft, inbem man mit aller SWa^t auf ben 2:ifc^ f^lägt. Unb
ein Qxo^d mirtt immer auf baS burd^ i^n abgegrenjtc ©ubjeft
qualitätf^affenb, mä^renb bei ben unter bem ©cftc^tSpuntt be§
legten ß^ftöubS abgegrenzten Urfac^en gerabe oon aller Ouatität
abgefe^en merben foU.
Suchen mir nun nac^ einer anf^aulic^en S)arftetlung biefeS
„testen äwftanbeS", fo bietet ftc^ natürlicl) juerft baS S3ilb einer
folcf)en bar, mie e§ bie berjeitige 9laturmiffenf^aft al§ 3wftanb
enbgültigen @pannung§auSglei(^S aller (Energie im SBeltall ent-
mirft. 3n ber 2:at: biefer ßuftanb märe ein folct)er, in metc^em
äße Urfa^en unter fid) f^lect)t^in gleict)jeitig, unb ebenfo mit
i^rer — gegenfeitig aufgehobenen — SBirtung fct)lec^t^in gleic^^
32 © 0 f f m a n ti : StxtQzm&^ ober S^it^oS ?
jcitig iDären; n)cld)cr ferner burc^ jebe trgenbroie gerichtete Sätig^
feit, foroeit fie urfäd)li^ roirtt, alfo (Energie üerbrauc^t, gleicher«
maj5cn üeriDirtlic^t rofirbe, unb welcher enbli^ alle Duolität bep*
nitio au^fd^löge. @§ fragt ftc^ nur, ob für biefe Qbee ber 2lu§*
brurf „le^ter 3wftönb" eigentUd) paffenb ift. ®§ ift ja ein be*
tannter ©inroanb : wenn biefer ßuftanb überhaupt eintreten f önnte,
mü^te er fc^on eingetreten fein, fogar wenn er eine unenblic^e
3eit erforbett, benn eine unenblic^e 3^it liegt ja ouc^ fc^on hinter
nn^. 3lber baoon abgefetien: biefer le^te ß^fto^i^ ift jö immer
cigent(id) fc^on „ba", nämti^ al§ „ftrenge" ©egenmart, a(§ ftreng
geometrifc^e ®bene, meiere ben „©trom be§ @efd)e^en§" fc^neibet.
^n jebem fold^en ibeaten 2)urd)f(^nitt ftnb alle Urfad^cn unter ftd)
unb mit il^ren SBirtungen jugleic^, unb ift ber für biefen 3Woment
gültige @pannung§au§glei^ repräfentiert. g^^eilic^ ift ba§ bann
bto| ein 2Jioment unb ba§ ®efd)e^en ge^t üon ba au§ weiter,
mä^renb bei jenem ^ppot^etifdjen ä^f^^nb nic^tö mel^r gef^ie^t;
aber ba§ ®cf(^e^en, ober roarum in ber SBelt überhaupt etma§
gef^ie^t, unb nic^t lieber nic^t§ gefd^ie^t, mirb nic^t baburd^ er*
Hart, ba§ man ju fotc^em ©egenroartöburc^fc^nitt noc^ SBergangen^
fieit unb 3wfw"ft ^injunimmt, oielme^r ift, ba§ etmaS gef(^ief)t,
95orau§fe^ung bafür, ba§ übert)aupt oon SBergangen^eit, (Segen*
mart, 3wfw^ft gerebct werben tann. Ober: gcmi^ mac^t e§ für
mi^ etn)a§ qualitatio anbercä au§, ob ic^ mir ben morgigen S^ag
ober ben gcftrigen oorfteHe, aber etroa§ qualitatio anbere^;
b. l). ic^ erlebe nie ben morgigen Sag al§ folgen, al§ reine oon
it)rem Qn^alt abgelöfte ß^it bie nun ju anbern berartigen 3^iten
im a3er^ältni§ be^ Sßerlauf§ ftünbe; bie ©rlebniffe „oerlaufen",
nic^t bie Qzxt 3)a§ SRc^t oom „morgigen Sag", oon ber 3"*
tunft u. f. m. JU reben, ne^me ic^ freiließ auc^ nic^t auö ber
SBiHtür inbioibueller ©inbilbung, fonbern ba^er, mo^er id^ auc^
ba§ SRec^t netime, einen gcmiffen garbeneinbrudf „gelb" ju nennen,
nämli^ ni^t au§ einer SBelt ber „3)inge an ftc^", fonbern au§
meiner 3wgci)örigfeit ju einer gcmiffen ©prac^*, weiterhin Äultur*
unb enblic^ SebenSgemeinfd^aft. — @o bebeutet alfo jener angcb*
l\ä)t „le^te 3uftanb" faftif^ eine regulative <3bee für ein ge-
tt)iffe§ ©tabium innerhalb einer Seben^gcmeinf^aft, unb e§ gilt
© 0 f f m a n n : Scitgemä^ ober 3citro§ ? 33
nun, biefe Qbcc in Söejie^ung ju fe^cn ju bcm 95er]^ä(tni§ jroifc^cn
©ubjett unb ^lotd, wie wir e§ ju 2lnfang tonftatiert ^aben.
S)em ©ubjett unb feinem 3^^^ ift gemeinfam ein ©inn,
beffcn metap^gfifd^en Ort man eben nii^t anber§ au§brürfen tann,
aB er ift jroifc^en il)nen, b. t). roeber bem einen noc^ bem
anbern rein für fic^ juteilbar. ®iefer ©inn ift nun ba§ eigent*
tic^e Objeft; unb bie 9Belt ift infofern fdjtei^t^in „objettio", al§
roeber in ber „Slu^enroclt" noc^ in ber „Qnnenmelt" etroa§ üor*
tommt ober imaginierbar ift, mag nid^t irgenb einen ©inn ^ätte,
unb menn e§ ber „Unfmn", ober auc^ ba§ „9lic^t§" felber märe.
3)a§ ©ubjeft aber ift nur baburc^ oon feinem Qm^ä unterfc^eib*
bar, ba^ ber ©inbrucf, ber non bcm Qxütä ^erfommt, unterfc^eib^»
bar ift üon bem 2lu§brucl, ber fic^ auf i^n jurücfbejie^t; Qxo^d
ift alfo für ba§ ©ubjeft ber metapt)t)fifc^e Ort,
morauf c§ feine ®inbrücfe al§3lu§brücfc jurücf*
bejiel^t. S)aburc^ gliebert fid^ ber ©inn, übrigen^ immernoch
beiben gemeinfam, in einen ©inn beg ®inbrudfg unb ©inn beS
3lu§brudt§, ober mie xä) ber Äürje falber fagen motzte, in ^er*
finn unb ^infinn. 2)a§ ©ubjeft felbft märe bann ber
metap^gfif^e Ort, üon bem au§ ber ^erfinnjum
^ i n f i n n m i r b. aJlan tonnte e§ al§ foldjen etma „Ort ber
Umte^r" nennen, menn nic^t baburd) ber ©c^ein ermedft mürbe,
al§ fei biefer Ort aUcmat nad) 3lna(ogie be§ ^untte§ ju beuten.
3)a§ trifft ju aüerbingS bei bem freiließ nie für ftc^ ju tonfta*
tierenben elementarften ©ubjett^att, ber primitioen ©mpfinbung,
mobci fic^ ber ^infmn nur buri^ bie cntgegengefe^te 9iid^tung,
o^nc fonftige inl)altlic^e SWobifitation , oom ^erftnn uuterfc^iebe.
©onft aber ift biefer Ort ber Umte^r burc^au^ elaftif^, bai§ l^eigt,
e§ fann beliebige^ jmifc^en (Sinbrudt unb Slu^brucf fi(^ einfc^ieben,
wtnn nur „jule^t" biefer auf jenen jurücfbejogen unb fo ber
ganje 2ltt al§ ©ubjett^att botumentiert mirb. 3)a§ 3»a§ biefe§
„Qm^ä)en*' jmif^en ©inbrucf unb 2lu§brudt nenne ic^ bie ©pann^^
meite be§ ©ubjeftatt^; je größer biefe ©pannmcite, befto
mc^r nimmt ber ^erfinn ben ®f)arafter be§ Srtennen^, ber ^in^
fmn ben ©^aratter ber 2:at an. — 3)er ©ubjeft^att bebingt alfo
3e4tf<^rift für X^eoloflie unb Äirc^e. 16. ^a^rg., 1. $eft. 3
34 ^offmanti: Scitgemä^ ober 3eitIo§ ?
ein boppcIte§ ^^ntercffe: ba§ bcv Unterfc^eibbarteit be§ 2lu§brudf§
üom (äinbrud, be§ ^infmnS oom ^erfinn, ober ba§ ^f^tereffe an
ber ©pannroeitc; unb aber aud) ba§ ber ftetigen SRüdbejügU^feit
be§ ^infinn§ auf ben ^erftnu, ober ba§ 3>^tereffe an ber ;3bcn5
tität be§ 3w>^rf^- S^nc^ nenne id) Rul tu rinte reffe, im raei*
teften ©inn, unb baju gehört auc^ ba§ fittlid^e ^fntereffe; biefe§
Seben^intereffe, im meiteften ©inn, unb baju gehört aud) ba§
retigiöfe ^»"t^^^ff^-
9tun behaupte ic^: iene§ 3^if ^^"/ ^ö§ ©inbrucf unb
2lu§bru(f au^einanber^alt, batb punttuell, balb in beliebiger 2lu§-
be^nung ift eben bie „objettioe 3^'*"/ ^^^ ^^^ oben gleid)*
fam al§ eine elaftif^e ©egenmart fennen gelernt ^aben. 3)er
©ubjettöatt ift fo menig roie fein S^^^ i" ber objeftioen ^^xt;
hingegen ift biefe in ben ©ubjeft^ait eingefc^toffen, unb jmar ftet§
atiS @anje§. 9Kan erinnere fid) ^ieju nur an bie befannte 9Ba^r=
^eit, ba§ ju jebem 6rtebni§ bie ganje SBelt jufammenmirfen mu^,
eben meit aUe^ burc^ aüeS bebingt ift, unb fc^lie^e nur auc^ ben
^[n^att ber 3ufunft in biefe§ ®anje ein. ©ofern ber Qntjalt ber
objettioen Qtxt famt biefer felbft in ben ©ubjettSatt eingefd)loffen
ift, ^ei^t er 93en)U^tfein§in^alt, ober „ba§ mag mir gegen*
märtig ift". ^at bie ©egenmart eine geroiffe breite, fo fpric^t
fi^ bieg im 93erou^tfein§inl)alt barin aug, ba§ beffen (Stemente
ungleid)jeitig gegenmärtig, me^r ober minber „ba fmb" ; jie^t ftc^
bie ©egcnroart jufammen, fo fomprimiert fid) aud^ ber Seroufet*
fein§in^a(t; unb ber ftrengen ©egenmart, bem breitenlofen 3)urd)«
f^nitt be§ ®efd)ef)eng entfpric^t ,,ba§ ^c^" alg punftueller Ort
ber Umtel^r. Slnnä^ernb fann man fxd) bieg oorfteHen alg bag
@rtebni§, menn id) meinen ganjen 93emu§tfeingin]^a(t in einen
(gntfd^Iug, unb biefen in eine einjige 2:atbemegung jufammenfaffe;
rein für ftd) tritt freili^ bag Q6) fo menig ing 93en)u|tfein, alg
bie ©egenmart im ftrengen ©inn, ober alg bie primitioe 6m*
pfinbung. ®g folgt ^ieraug: einmal, ba§ bie ©renje jroifc^en bem
3[d) unb feinem 93emu^tfeinginl^att flie^enb ift, unb ferner, ba|
bag Q6) nic^t fomot)l ^erfinn unb ^inftnn auf einanber begießt
— bag ift bie gunttion beg Qxozd^ — fonbern oielme^r beibeg
augeinanber^ält.
$ 0 f f m a n n : Scitgemä^ ober 3^itIo8 ? 35
SBir ^aben junäd^ft oom ©ubjctt fc^Iec^t^in unb oom ßwcdt
fc^lc^t^in gerebct, it)ät|rcnb roir bod^ ausgegangen roaren oon einer
aWe^r^eit oon eigenjeitigen ©ubjeftcn, welche burc^ eine SWel^rl^eit
il^rer befonbern Qwedt in ein Sßer^ältniS untereinanber treten.
3m einf^lie^enben ©ubjett^aft, b. f). in ber ftrengen QnxMbt-^
jie^ung be§ ^infmnS auf ben ^erftnn, liegt nun f einerlei ^in*
beutung auf eine fold^e SJle^r^cit oon Sinjelfubjeften ; bei jebem
foId)en 3tft ift ba§ ©ubjeft wie ber Qxozd unb ber beiben ge*
meinfame ©inn einjig, unb jroar qualitatiü einjig^ unicum, ni^t
bIo§ unum; unb alle SWel^r^eit fällt, fofern fte felbft ©inn ift,
b. \). fxd) qualitatiü üon ber Sinjel^eit unterfc^eibet , in biefen
Unicum'©inn l^inein. ©benforoenig gibt eS in ber objettioen 3^it/
roenn man bicfe rein für ftd) nimmt, eine ÜWel^r^eit oon @ub*
jeften unb ßnjecfen ; benn in i^r gibt e§ überhaupt feine ©ubjette
unb S^^^^' SBo^l aber wenn wir fte als bie claftifc^e ®egen*
wart, als baS „Svo^\^^n" jn)ifd)en Sinbrud unb SluSbrudE, turj:
als „93en)u^tfein" faffen; in fotd)em gibt eS aüerbingS eine un*
beftimmte SMe^rtieit oon (Sinjelfubjetten, bie ftc^ aber gegenüber
bem ftrengen ©ubjeftSaft nic^t mie eine SWe^r^eit jur Sinl^eit,
fonbern wie ^rooiforien ju einem ®efinitioum oer^alten. S). 1^. :
@igen}eitige ©in jelf ubjette finb i m93en)u|tfein
gegeben als ©ubjeftaftSoerfuc^e, prooif orifd)e, ober
3n)if(^enafte, meiere nur burd), glei^fallS prooifo*
rif^e, 3"^^^^ unter fid^, unb mit biefen i^ren
3medten bur^ einen gemeinfamen, aber glei^*
falls pr ooif orif d)en, b. i). jurüdfnel^mbaren , ©inn ju*
fammen^ängen.
3ur aSeranfd^aulic^ung möge man fid) oergegenroärtigcn, mie
mir faftifc^ oerfa^ren, roenn mir jmifc^en jmeipfgc^ifc^enSttten einen
pfqd^ologifc^en 3ufow^w^«"f)fl"9 fonftatieren. ®erabe i^ren 3"*
fammen^ang als 2Itte treffen mir niemals an; mo^l aber fte^en
il^re Objette, ober baS, maS mir babei meinen, in 93ejie^ung,
meiere bie allermannigfaltigfte fein fann, aber {ebenfalls baburd^
bebingt ift, ba| biefe ^[n^alte in ©emegung ober Sßeränberung,
beffer noc^: in einer (Sin^eit oon 93emegung unb äJeränberung,
bie ic^ unter bem allgemeinen 9tamen „@efd)e^en" jufammenf äffen
36 $ 0 f f m a ti n : 3citöemä^ ober 3eitIo§ ?
mU, begriffen fmb. 2)a§ ift ba§ 33itb unfercg 33eipu|tfein§äu-
ftanb§ }tt)ifd)eu Sinbrudt unb 3lu§brudt, ©mpfinbung unb Xat,
ober be§ Spiels ber SJorfteltungen im roeiteften ©inn, beS
UebcrlegenS, SSßä^lenS, aBünfd)en§, QmaginicrenS u. f. f. 9ltter
@inn, ade Qualität ift I)iebci immer bem (prooiforifc^en) ©ubjett
unb feinem (proüiforifc^en) Qrozd ober Dbjeft gemeinfam, ift nie«
mal§ jmeimat (am Objett unb im ©ubie!t) ba; liegt roeber in
ber „Singen"^ noc^ in ber „-^nnenmett". Sßom Sinn beS eigent«
ticken ober befinitioen @ubjefta!t§ aber unterfd^eibet [x6) biefer
prooiforifc^e, inbem er al§ folc^er gurücfnel^mbar ift. ®iefe§ Qix^
rüdne^men ift nun ba§ neue unb d)aratteriftif^c, ma§ jmifc^en
^er* unb ^infmn liegt; c§ oer^ält ftd) jum befinitiuen 2lft einer^^
feitS negatio, inbem e§ it)n oerjogert, anbrerfeitS pofitio, inbem
e§ felbft ©inn ^at, unb fo ben einfc^lie&enben Sinn bereichert.
Äeine§n)eg§ aber oertiätt fid) nun irgenb ein 3"^U^^"oft ju bem
befinitiuen al§ beffen aSerroirllic^ung , fo ba§ etma bie befinitioe
%at al§ tc^ter, gelungener Sßerfud) ju betrachten märe; fonbem
ber „le^te" SBerfucf) mirb ebenfogut jurüctgenommen mie ber erfte,
unb fte^t JU biefem nic^t in einem objettio^jeitlic^en SBerl^ältniS,
fonbcrn aud^ nur in einem UJerl^ältnig it)rer beiberfeitigen ^wzde.
9lun aber gibt e§ atlerbingS für jeben Sßerfudi, mie für ben
Subjeft§att felbft ben metap^pfifi^en Ort ber 3urüdtbejie^ung be§
^infinnS auf ben ^erfmn, unb ben metapl)r)fifc^en Ort ber Um=
fe^r, fo auc^ einen Ort, bi§ ju melct)em ber Sßerfuc^ reicht,
unb oon mo au§ er mieber jurücfgenommen mirb (Ort be§ pro«
oiforifdjen Qm^d^) unb einen Ort, oon bem au§ ber Sßer^
fu^ immer oon neuem anfängt, unter 93orau§fet(ung
ber ^wvörfnö^me beS oorigen 95erfuc^§ (Ort be§ prooiforifc^en
Subje!t§). 93eibe Orte liegen nic^t in ber objettiuen Q^xt, fobalb
man ftc^ oergegenroärtigt, ba§ ber Sinn, alfo aüt Oualität, auc^
bem prooiforifc^en Subjeft mit feinem S^e^ gemeinfam ift, fo
ba§ man biefen Sinn meber fc^tec^tt)in an ben Ort be§ Qm^d^
(ba^er Unterfc^cibung be§ ,,2)ing§" oon feiner „Sigenfc^aft") noc^
fc^lecf)t^in an ben Ort be§ ©ubjeftS (ba^er Unterf^eibung ber
„Seele" oon il^ren „SebenMu^erungen") oerfe^en barf. Unb fo
ift jmar ber beiben gemeinfame Sinn in ber objettioen 3cit/ ober
© 0 f f m a n n : 3«^töem&6 ober 3citIo§ ? 37
beS^alb, roeil feine 2:rä9ev biefer nid)t angcl^ören, mit unbe*
ftimmtem SBo? uub finbet feinen fteftimmten Ort nic^t in einer
Orbnung ber objeftioen Stit, fonbern innerhalb ber logifc^en SJer*
nunftorbnung. — •hingegen l^at atlcrbing^ and) bie objeftiüe 3eit
i^re 93eftimmt^eit, unb jroar fofern bie 3n>ifc^^naftc innerhalb
be§ ©ubjettaftg eine gemeinfame Slic^tung üom ^erfinn
jum^infinn ^aben, mel^e nid^t umf ehrbar ift; ba^cr bie
ni^t umfe^rbare JRic^tung oon ber Vergangenheit jur 3wfw"ft/
üon ber Urfad)e jur 3Birtung, welche aud) bei ©(eid^jeitigteit von
Urfac^e unb SBirtung noc^ beftetit (Kant'fc^c§ 93eifpiel üon ber
Rugel, bie in ein Riffen ein ©rübd^en brüdt). SBom ©tanbpunft
be§ ©ubjettaft§ auS ^anbelt e^ fic^ bei biefer SRic^tung ber ob»
jeftiüen S^xt, ober bei ber Äaufa(ität§fategorie , um eine 93 e»
f^Ieunigung ber Qroi^äi^naUz burc^ 95ercinfad)ung
be§©innesf. 9Mit biefer S^enbenj oergüc^en fann bie Senbeuj,
ba§ prooiforif(^e Objeft al§ ®ing, ba§ prooiforifc^e ©ubjett al§
Seele ju fixieren, bejeic^net werben al§ eine SBerjögerung ber
3n>if(^enafte burc^ ©eteid)erung be§ ©innö. <^iebei
oerfte^t fi^ xvo\)l oon fclbft, ba| biefe 93efc^Ieunigung ober Sßer-
jögerung nic^t in einem 9Ka§ objeftiuer 3^^* auigebrücft werben
fann, fonbern ein „93ett)u^tfein§juftanb" ift, b. \). nur inforoeit
in bie übjeltioe 3^it fäCt al§ biefe i^rerfeit§ in^ SBerou^tfein,
innerl^alb be§ ©ubjeftattg fällt. 3Bie nun biefe beiben Senbenjen,
bie eine jur pfpc^op^gfifc^en, bie anbre jur c^ronologifd^en 93e*
trac^tungsiroeife füt)ren, unb buri^ i^re Kombination in ber 6nt*
roicflung^ibee auc^ in einanber übergetien tonnen: ba§ fü^rt un§
unferm ^auptt^ema mieber nä^er unb bebarf ba^er au§füt)rlic^erer
®arftellung.
95eibe Senbenjen gehören ber umfaffenben Rulturtenbenj im
obigen ©inn (©. 34) ju; für beibe liegt ber ©inn ober ber ©toff
innerhalb ber objettioen Qtit; beibe grenjen baijzx ni^t ©ubje!te
unb i^re Qro^dz ab, fonbern bie eine ©eele-Seben^äu^erung ober
®ing*®igenfd)aft, bie anbere Urfac^e==3Birtung, Urfac^en fönnen,
n)ie ermahnt, unter fi^ unb mit i^ren SBirtungen me^r ober
minber glei^jeitig fein, ^e ungteic^jeitiger nun Urfac^en finb, je
38 © 0 f f m a n n : 3eitöemä6 ober 3eitIo« ?
mcl^r fte ftd^ untcrcinonber ober gegenüber il^ren aBirtungen ber
®igenjeitigfcit nähern, je unbeftimmter in ber objeftioen Qtxt i^re
Slbgrenjung ober il^r SEBo? roirb, befto mel^r nel^men fte ben 6^a*
ra!ter öon leben§äu§ernben Seelen unter fid), unb im Sßerl^ältnig
ju i^ren SEBirtungen ben üon ®ing^6igenfc^aft an. Unb umge^
fe^rt: je me^r bie ©eelc mit i^ren 9leuj5crungen , bQ§ S)ing mit
feinen ©igenf^often ibentifijiert mirb, je mel^r olfo ©eele unb
®ing felbft in bie objeftiüc Qtit fallen, befto mel^r nehmen fte
anftatt be§ ®l^arafter§ ®\xb\dt''Qxv^d ben oon Urfad^e^aSirtung
an (befonber§ le^rrei^ ift für biefe SEBanbelbarfeit ber So^e'f(^e
ÜKonabi§mu§ unb Kaufalbegriff). S)ie erfte, fubftanjielle 2:enbeits
^at i^rc ©renje ba, mo bie Ungleii^jeitigfeit jur ©igenjeitigteit,
bie objettioe 3«it jum 93en)u|tfein mürbe ; bie jmeite ober faufale
ba, mo bie objeftioe 3^it ä^r fc^tei^t^inigen @leid)jeitigfeit ober
bloßen JRäumlid^feit mürbe, fo ba§ mieberum oon „3^it" f^i««
SHebe mel^r märe. 2tbgegrenjt aber merben biefe Uebergänge jmi-
f(^en ©ubftanj« unb Urfacftc^arafter hntä) 3uteilung be§ ^n^alt§
ober ©inn§ in ber objeftioen 3^^*/ "^^ju Sebingung ift, bag biefe
nic^t blo^ fontinuierli^, fonbern au^ auf teilbar ift, nid)t blo|
oerläuft, fonbern au^ SRei^en bilbet; räumli(^ au^gebrücft, nid^t
blo§ Sinien, fonbern auc^ Slbfc^nitte, seitlii^ au§gebrürft, nid)t
blo^ ®auer, fonbern aud) 2:empo julä^t. ®ie Kontinuität ber
objeftioen Qtit bebingt bie Sr^altung be§ ©inn§ bei beffen Sßer*
einfac^ung, i^re 2:eilbarfeit bie ®r^altung be§ @inn§ bei beffen
93ereic^erung, beibeS jufammen, ober, mie mir e§ oben genannt
^aben, bie ®laftijität ber objeltioen 3^it, bebingt bie ©r^altung
be§ ©inn§ überhaupt. 5Diefe ift bag oberfte „@efet^" für aDe§
®efd)e^en in ber obje!tioen 3^it; ®rl^altung ber „Snergie" ift
nur ein einfeitiger 9lu§brucJ baoon, nämlic^ (Srl^altung be§ ©inn§
bei beffen SBereinfac^ung ; Energie ift nic^t§ anbereS al§ SJerein»
fac^ung be§ (3inn§ auf il^rer äu^erftcn ©tufe.
®a§ Wec^t, biefe beiben gegenfä^lid^en, aber ineinanber über«
teitbaren 2:cnbenjen im @ntmicflung§gebanfen jufammem
jufaffen — mobei mir un§ ber Äürje falber nur auf beffen bio*
logifc^e, nic^t allgemein foSmifd^e ©eite eintaffen — mirb au8
folgeitben ®rmägungen erl^altcn. SWan ^ebt an biefem Oebanten
©offmann: 3^töcmd| ober 3«itIo8 ? 39
oielfai^ nur bic Kontinuität bcr ©ntroicJIung, ba§ ein ßwpönb,
ein Seben^fgftem ftctig in ba§ anbre übergebt, ^eroor; lüä^renb
e§ für i^n al§ ®rfenntni§prinjip ebenfo wichtig ift, ba§ folc^e
Seben^fqftcmc ober Organismen ftd) in Weisen orbnen, ftc^, wenn
auc^ nur oorübergel^enb , al§ 2lrten fixieren laffen. 33ioIogifc^e
2lrten fmb nun freiließ nic^t 3(rten im ©inn logifc^er Sltlgemein*
begriffe; benn e§ fommt bei i^rer Slbgrenjung eigentlid) nic^t auf
bic ®igenfc^aften an, bic fie felbft ^aben, fonbern meiere bic S)ingc
für fie ^abcn. Ober: p ber gleichen biologifd^en 2lrt gel^ören
bic Sebemefcn, für rocli^e nid^t ibentifd^e 2)inge gleiche ©igen*
fd^aften l^aben, mag id^ au§ i^rcn ßcbcn§äu|erungcn erf^lie|c;
ju perf(^icbcncn 2lrten foli^c, für welche ibcntifc^c S)ingc öcr*
fc^iebenc Sigcnfd^aftcn l^aben, cbenfatlö au^ i^ren organifc^en
gunttionen crf(^loffcn. 9tun aber bic anberc ©eite bcr ©ntmid-
lung§ibcc. S)amit organif^c§ gunhionieren bic 9lid)tung jmif^en
^er= unb ^infinn, bic Scnbenj auf ©innöcreinfa^ung annehme,
muffen 9lrtcn al§ ©encrationen betrachtet merbcn tonnen; unb ic^
betrachte eine 2lrt aU ©eneration, menn ic^ i^ren Organi§mu§
al§ i^re Sciftung, ober felbft a(g 2ebcn§äu§erung betrachte. 2)a§
eben ift bcr ©inn ber cntroirfeinbcn 2lbleitung biologifd^er 2lrtcn
au§ cinanber; ic^ betraute jucrft bic SSeränberung il^rer Organe
at§ fiebcn§äuj5crungcn , meldte auf eine gcroiffe ©igcnfc^aft i^re§
SWilicu l^inmcifcn ; bann biefe Seben§äuJ5crung felbft al§ Seiftung,
burc^ beren 3Bicbcrl^olung ba§ Organ ftd) bilbet; unb cnblid)
orbnc ic^ biefe Sciftungcn unter ficfi (^ronologifd) unbpfgc^o^
pl^qfifc^, ober unter bem ®cfi^töpun!t ber SBcrcrbung unb
2lrbcit§teilung. S)a§ erfte ift Sleu^erung ber 2:cnbcna, bic
Urfac^c mit i^rcr äBirtung gleid^jeitig ju ma^en ; Seben§äu§erung
al§ Seiftung ift eben Urfad^c unb SBirfung jugleic^, mag man ja
auc^ fo auöjubrüdfcn pflegt, ba| „Scben" ©elbftjmcdf fei; in d^ro^
nologifc^er Orbnung ift Seben fontinuierlic^c fiebcnScr^altung. S)a
aber im felben SJla^c, al§ bic Urfad^en mit ben SBirfungen, au^
bic Urfac^en unter ftc^ gleic^jcitig gebac^t werben muffen, ober
in bic Oegenmart l^ereinfallen, orbnc id^ fte unter bem ®efid)t§»
punft ber 9lrbcit§teilung ober be§ Jlcbcncinanber, unb jmar ben
biologifc^cn Organismus mit bem maS für it)n ba ift, ober als
40 © 0 f f m a n n : 3citöcmä^ ober 3eitIog ?
pfq^op^gftf^e ®iul^eit. — ®er ©ntwicflungSgcbonfe ift barum
für un§ fo unroibcrftel^lid^, roeil er einfach fonfcqucnte ©urd^fül^:*
rung unfercr ©^ronologic unb unferer Strbcit^tcilung , unfcrcr
l^iftorifd^cu unb tcd^nifc^cn Senbenj ift. tJ^cUid^ ftcl^eu
bicfe beiben 2:cubcn5en unter fid) im ©cgenfa^: n)a§ nac^ bcr
Kontinuität ber 3^^^^^ ^"^ ununterfd^eibbore ©efamtleiftung er»»
fd^eint, ift nod^ bem ®eftc^t§punft ber 3lrbeit§teilung oielme^r
©umme f^arf abgrenjbarer ©injelleiftungen. 2lber fie bebingen
ftd^ anä) gegenfeitig: nur burd^ ^ronologifc^e Orbnung Iä§t ft^
olleg biologifc^e ©efc^el^n al§ Seiftung faffen, unb baburc^ in bie
Slrbeit^teilung einbejie^n; unb nur burd^ pfgd^opl^pfif^c 2lbgren*
jung läfet ftd^ für eine biologif^e 9Irt ober ©eneration ein be*
ftimmter Ort in ber S^ronologie au^finbig mo^en^).
S)ie bereic^embe unb oereinfad^enbe, l^iftorif^e unb tec^nifd^e,
c^ronologifdfie unb pfqi^opl^gftfdie ©eite ber ®ntn)irf(ung ge^en bt--
liebig ineinonber über; aber bamit ift ni^t gefagt, bo^ bieöobne
©renje gefc^el^e. 2)ie ©reuje ift oielmel^r ouc^ in biefem gaU
bie ©egenroart im ftrengen ©inn, ba§ Korrelat be§ ^ä) ; unb fo^
mit ift bie ©egenmart in ber ©ntmirflung berjenige 2)ur^f^nitt
berfelben, auf beffen einer ©eite aUe^ ©innbereic^erung , auf ber
anbem aKe§ ©innoereinfacfiung ift. Q6) fann jeben 2Ibfd^nitt ber
©taat§=, Kultur^ 9laturgefd)i(^te jur ©egenmart ma^en, inbem
id^ feinen ©inninl^alt at§ Srabition unb Slufgabe, atfo in le^ter
Sinie al§ ^er^ unb ^infmn gliebere. S)ie§ gilt natürli(^ aud^
oom gegenroärtigen 3citalter, fofern idf) mic^ in biefe^ ,,Derfe^e",
aber bann ift Sßergangen^eit unb 3wfunft nic^t oergangene ober
1) 3c^ ocrrücifc ^icfür auf bie §cgcrfc!)e ®efd^id^tgp^t(ofop^te, wel^e
ben d^ronolog. Drt einer gef^icfitliclien ©rfc^cinung ^ugleic^ aB i^rcn
Drt in einem <5i)ftem ber ^IrbeitSteilung oerroertetc; foroic auc^ auf bie
^materialiftifd^e" ©efcftic^täbetraditunfl bcr Sojialiftcn, meiere eben an
bem ©cgenfatj laboriert, aUe fieiftung al§ ©efamtleiftung ju faffcn, unb
bo^ bem Snbioibuum bag ©ntgelt ftrcng nad^ ficiftung abgrenzen au
moUen. ^ud) ber pf^d^op^^fifd^e ©ftaraftcr biefcr ^Ibgrcnjung tritt ^ier
^croor, fofern fie bem Qnbioibuum nid)t blo^ bie pl^^fifdien, fonbern auc^
bie pf^c^ifc^en ficbenäbebürfniffe unter bem ©efid)t§puntt ber ^IrbeitStei»
lung juroeifen moUen.
© 0 f f m a n n : 3eitgcmä6 ober 3«itIog ? 41
jufünftigc ©cgenioart baneben, fonbcm bur^ bie ©egcnroart gc-
trenntet ^er* unb ^infinn. S)iefc Oegcnroart ift überaß unb
nirgenbg, unb fie ift einjig ba, roo^in id^ mic^ perfe^e.
@anj etwa« anbercö meinen roir aber, roenn roir oon „un=
fcrer" Oegenroart, bent ^a\)x 1905, bem „mobcmen 3^i*öWer"
reben. ®§ ift nad^ bem bisherigen flar, maö mir bamit meinen:
nic^t einen 3)urc^fc^nitt ober Slbfc^nitt ber objettioen Qnt, fonbem
ein ^oüeftioinbioibuum, eine 2Irt, bie, mic mir fc^on fallen, ni^t
burc^ ba§ d^aratteriftert ift, maS an i^r ba ift, fonbem ma§ für
fte ba ift, ober burc^ it)re Sw^dt. 2lrt ober Sßerfud^Sfubjtett, unb
i^r S^zd ober ba§ 93erfuc^§objeft liegen ja über^oupt nid^t in
ber objettioen 3^it, fonbern nur xijx ©inn ; unb fie felbft fmb nur
im 93emu&tfein „ba". SBolier nun aber ba§ 9Jlanco an ^Realität,
baS mir abgefel^en oon i^rem fonftigen 3nt)a(t, ben oergangenen
unb jufünftigen S^'t^lt^^w pcrglid^en mit bem gegenroärtigen ju»
fd^reiben? 9Bo^er baS „SRec^t be§ Sebenben"? 2)ie§ erflärt ftc^
au§ ber „6nge beiS 93emu^tfein§". ®iefc mieberum befte^t nic^t
in einer 53ef darauf ung ber objeftioen lieit, meiere oielmel^r unbc-
grenjt etaftif^ ift, fonbern ba§ e§ im 93emu^tfein immer nur
einen SBcrfui^, bcfinitio ju fein, geben fann. 3l(§ 93erfuc^
roirb biefer fi^ immer no^ baburd^ c^araf terifieren , al$ feine
3merfe ober Objette, oerglid^en mit benen anberer 93erfucfte, in«
ner^alb beS umfaffcnben ©ubjeftatts fid^ al§ eine 9Iu§mal^l prä*
fentieren; ate Sßerfu^, befinitio ju fein, baburd), ba§ biefe SluS«»
ma^l feftjulegen oerfu^t mirb, fo ba§ aud^ bie „3ufwnft" fie
nic^t me^r oeränbcrn, fonbern nur in ber gorm ber StrbeitStei-
lung, ju i^rer „93ermirf Hebung" beitragen fann. SQ5äl)renb für
bie Oegenmart im tranSfccnbentalen ©inn bie Sßergangenl^eit ein^^
fad^ ber Ort ber ©innbereid^erung, bie 3ufw^ft ber Ort ber ©inn*
pereinfad^ung bebeutet, ift biefe empirifc^e*) Oegenmart eine 3lrt,
1) iWatürlic^ foU ^cmpitifd^" nid^t eine ffitrfli^fett bebeuten, ber ge*
genüberbag „S^ranSfcenbentale" bann eine me^robcr minbcr erratene Ueber^
roirüic^feit mdre; fonbem ©irflid^tcit ober unmittelbare^ ©rlebniä ift
gegenüber bem a posteriori bc§ (^pirifc^cn unb bem a priori be§ 3:ran8-
fcenbentalen foaufagen baS a primo, ba§ erft burd^ bie tran§fcenbentalen
Äategorten jur „fünftUc^cn", ^iftorifd^cn ober tc^nifc^en ®mpirie mirb
42 § 0 f f m a n n : Scitgemä^ ober 3eitro§ ?
roct^c mit anbcrn 3lrten ober 3^itöltcrn einen „Rampf um§
2)0 fein" tämpft. SWon ^at ja biefen 9Iu§brudt bereits ange*
roenbet auf baS SSerl^ciltniS ber QtUtn eines Organismus, ober
ber aSorftellungen innerhalb eines ©injetberou^tfeinS ; eS gilt nun
umgefel^rt, ju in^tn, ba§ „Kampf umS S)afein", auc^ im ge^»
mö^nlid^en ©inn ber naturmiffenf^aftlic^en S^eorie, nur inner*
l^alb eines umfaffenben 93en)u§tfeinS ©inn ^at. 2)enn eigentlich
fämpfen nid)t bie 2lrten miteinanber biefen Kampf, fonbem i^re
3n)e(fe, beffer bie 3tt)^rföuSn)a^l, mel^e fte als 2lrten c^aralteri*
fiert, ober i^re „aßelten"; unb menn mir fie mit i^ren „Organen"
als aßaffen festen laffen, fo \)at baS eben ben ©inn, ba| unS
an i^ren Organen unb beren gunftionen erft anfc^aulic^ mirb,
mel^e ^wccfauSmal^l, ober mel^e SBelt für fte ba ift. 2öaS üon
einem ^^it^tter ober einer 2lrt, gilt au^ für ein ^nbioibuum,
fofern eS immer einerfcitS Kolle!tioinbioibuum, anbrerfeitS ein
ens sui generis ift. ©0 ift eigentli^ ber „Kampf umS S)afein"
ein Kampf um bie ©cltung oon SBelten, ein „Kampf um bie
aßeltanfd^auung", nic^t um „@j:iftenj" ober Söirflic^feiten, fonbern
um SBa^r^citen. S)enn eine 335 a ^ r ^ c i t nenne ic^ eben eine
fold^e Qweda\x§voaf)l, beren Korrelat eine 2lrt ober ein a3erfud)S^
fubjcft ift. 3Bir oerftet)en nun, roaS mit ber „aScrmirtli^ung
meines Qwtd^'* eigentlid) gemeint ift: ber 2lnfpruc^, ba§ meine
3roerfauSmal^l befinitio gelte; mir roiffen nun aber au^ um fo
tiarer, maS baoon ju galten ift: SOSa^rl^eit fann ebenf omenig je
äBirllid^teit fein, als ber prooiforifc^e ober 3"^if<^^^öft je mit
bem bcfinitioen jufammenfäHt.
3Bir tonnten all bieS an jebem 3^italter illuftrieren, mal^len
aber begreiflicfierroeife gerabc baS gegenroärtige ober ben oielbe-
fproc^enen „mobernen 50lenfc^en"; jumal ba beffen ©igentümli^-
leiten, mic id^ glaube, fid^ gerabe barauS ertlären laffen, ba§
er fxi) in fpejififc^em ®rabe als bie ©egenmart in ber @nt^
— (Sbenfo unterfd^eibe id) oben ^^gefd^id^tlid^'' unb ^l^iftorifd^"; ©ef^id^te
erlebt aud^ ein unl^iftorifdöcS 9öefen, roft^renb ©iftoric ein burd^ d^rono-
logifc^^pfgd^op^^fifd^c ^Ibgrenjung unb Suteirung gewonnenes Äulturpro^
buft ift
^offmann: 3«it9^"^ä& ober 3«itIoS ? 43
loidtlung, al§ ba§ gegenwärtige unter ben 3^itöttern fül)tt.
Ser moberne SWenfd^ betrachtet ba§ @efc^cf)en mit aSorliebc
als ®ntn)icflung, unb fein ,,^6)" at§ ©egenroart in biefer (5nt*
roirflung; fo roirb i^m bie eigentümli^e Kombination, ba§ 93er^
l^ältni^ bcr gegenfeitigen Spannung unb ber gegenfeitigen 93e*
bingt^eit jmifc^en ^i[torif(^er unb tei^nif^er 2:enben}, mclc^e^ im
Sntroicttungögebanten liegt, in befonberem 9JlaJ5c jum 53en)u|tfein
fommen. ®ie Spannung: benn einerfeitS fü^It ftd^ mo^l ber
moberne 2Wenf(^ in feiner „oorgefc^rittenen Sec^nif" jugleic^ ber
aSergangen^eit gegenüber an ©inn oerarmt, unb möd^tc fic^ gerne
an biefer auffrifi^en; aber menn er ftd^ einen fo(c^ oergangenen
©innrcic^tum, etma bie aßelt ®oet^e'§, mieber jugänglic^ ma^en
miU: fogleic^ ftelten fi^ il^m taufenb gebern oon ;, Stoffe unb
©inn^ubern" jur Verfügung, um ®oet^e ju rubrijicren, ju ejege*
fieren unb ju parap^rafteren, unb i^n baburd) nur immer f)iftO:=
rif^er ju machen. aW. a. 333.: fomie mir un§ bie Bereicherung
ber ©egenmart jur 21 u f g a b e mai^en , bereitem mir nur bie
JBergangen^eit unb oerf^ärfen unfrc S^e^nit. Umge!el^rt: man
mitl fid^ oon bem „l^iftorifd^en 93aHaft" befreien unb rü^mt bie
©egenmart al§ ba§ 3^itölter ber 2:ec^nit, ber 3trbeit, am ©nbe
gar ber Sat. 2lber man ift beim 5ortf^ritt§marf(^ fo an ben
l^iftorifd^en ober d^ronologif^en 2:aft gemö^nt, ba| man i^n in§
19., 20. ober jte Qa^r^unbcrt oerlegt, unb ba^ all fein ^n^alt,
als guturum eyactum betrachtet, auc^ roieber nid^tS fein mirb, aU
eine Screid^erung ber ^iftorie. — Betrauten mir hingegen bie
©egenmart als baS moberne 3«it<^'^tc^/ ö^^ meines fte )i6), mie
oben gejeigt, oon ber ©egenmart als 3)urci^fcl)nitt ber ©ntmictlung
unterf^eibet, mie baS qualitatio beflimmte ^c^ oon bem allent^al«
ben glcid^en formellen Qd) , fo ift eS i^r eigentümlich , mit ben
anbern ^^itöltem im Kampf umS S)afein, ober um bie ©eltung
i^rer SBelt, i^rer 3J^^rfow^">ol)l au ftel^n. ©ie mirb oerfu^en,
biefe anbern 3^italter fic^ unter* unb einjuorbnen, inbem fie bie
„oergangenen" im SSergleii^ mit bem gegenmärtigen als ju«
rüdtgenommene aScrfuc^e begreift , als ^rooiforien gegen-
über bem 3)efinitioum, bie jutünftigen aber in baS gegenmartige,
ebenfalls als Säerfuc^e, einfd^lie^t in bem ©inn, mie bie Sn^ifc^^n*
44 © 0 f f m a n n : ^citöemä^ ober 3ettlo8 ?
a!tc in bcn §auptatt cingcfd)Ioffen fmb.
^d) fel^c junäc^ft oon bcr ^J^age ab, ob übcrl^aupt eine fol(^e
SBcIt ober Qxo^da\x^rt)af)i inl^ottlic^ befiniert rocrbcn fann; genug,
ba§ bie „aWobcmc" il^ren Qxvtd gcroö^nti^ felbft rein formell
au^jubrürfen pflegt: neue ßuteilung ober auc^ Umwertung ber
aBerte, ober neueS JBcr^ältniS oon ^fnbioibuum unb ©emeinfc^aft,
ober an6) einfa^ bog ©i(^au§Ieben. SBie nun biefc ßroedfe aber
feine§n)eg§ in i^rer berartigen S^ffung harmonieren, fo ergebt ftc^
überl^aupt ber 3^^if^'/ ob oon einem ein^eit(id)en Q\md be^ Q^iU
altera gerebet merben fann; jumaf ber moberne 5Kenfc^ ja aud^
fo oiel oon feiner unb feinet 3^i*«tter§ „3^^riff^"^^it" äw reben
mei^. ®§ mag nun aflerbing^ noc^ beffer gelingen, bie Qmtä'^
au^roal^t al§ eine logifd^e ©gnt^efe ober ßmedein^eit au§aubrürfen;
eine 3)i§frepanj mirb fn^ immer notmenbig bann mieber cin^
ftellen, menn biefe SluSmal)! al§ ber Qvotd fc^lec^t^in, ober als
^inftnn ber Sat gelten foU; wenn eben baS ^rooiforium ben ^In*
fpruc^ aufs 2)efinitioum burc^fe^en mill. Unb baS ^fn^i^ibuum
mirb fi^ ftetS feiner „aBa^rl^eit" gegenüber fteptifd^ unb unbc*
friebigt unb mit feiner „2lufgabe" überlaftet fü()lcn, fobalb eS
unter bem (SeftditSpunft abgegrenjt mirb, ein ©efinitioum ju oer:*
mirfli^en. 2lber, mirb man fagen, gerabe bie ©egenmart fü^lt
ftc^ ja felbft als ^^Jrooiforium, als UebergangSjeit ; fie „fuc^t", fie
erwartet if)r $eil oon einer „beffern 3wfunft". Qa mo^I, fie
fuc^t, nämlid) bie SriHe, bie fte auf ber 9tafe l)at ; fie mill bur^
alle, bie i^rem (Suchen entgegen!ommen, nur beftärtt merben in
ber aSa^r^eit i^rer fpcjififd^en ßmerfauSma^l ; unb aud^ bie ßu»
fünft foll an folc^c gebunben fein, nur überlädt man im @efüt)l
ber eigenen Unjulängli^tcit gern i^r „bie SBermirHic^ung unferer
Obeale". 2Iber jeber mu§ fic^ feine 3ufunft felbft jeugen; fie
mü^te fojufagen fc^on in lumbis moderni Adami liegen, wenn fic
beffen 3wfunft fein follte; jufünftigc Äinber fmb ni^t not^
roenbig meine Äinber, unb 3wfunft als 3^italter ift ni^t ein^
fad) ^ovtfe^ung ber ©egcnmart. 2te^ntid) ift eS mit ber Stellung
jur Sßergangen^eit. Qi^mer mieber tä^t eS fid^ ber moberne 9Jlenf(^
einreben, ba& alle frül^eren 3^italter, au^ bie biSparateften einer*
feitS, bie ftaffif(^ftcn anbrerfeits, nur ©tufen jum 2:^rone feiner
©offmaitn: 3«^9«w^äS ober 3^it^o§ ? 45
eigenen ^errlic^teit feien; unb immer mieber bcfd)Ieid^t i^n ber
3njeifel, ob er nic^t boc^ oielleid^t auf bem abfteigenben 2lft reite,
in ber „2)e!abena" begriffen fei? Sag am ®nbe ba§ ©efc^eben
überhaupt nic^t notmenbig unter biefe Kategorien 2lnf=2lb fallen
muffe: ba§ einjufel^n, l^aben biefe „SRealiften" aQerbing§, mie e§
fc^eint nod^ ni^t SBirflic^feit genug erlebt. — SBir aber ^aben
nun genug SJcaterial beifammen, um jur ©ntfc^eibung ber Sllter^
natioe unfere§ Zif^ma^ fc^reiten unb baöfelbe nun ba^in präji^
fieren ju fönnen : foll bie d^riftU^e aSer!ünbigung oon ber SBor^
auSfe^ung au§ge^n unb biefe be!raftigen, ba§ bie SBelt ber ©egen^^
roart einen 2lnfpruc^ auf ©nbgültigteit l^at? Ober oon ber SSer*
QuSfe^ung, bag bie gunttion be§ „mobernen ÜJ?enfd)en" ein SBer-
fu(^ ift, beffen aSerfu(^§d^arafter bereite einleui^tet, ber aber
noc^ nic^t jurüdtgenommen ift?
n.
3m bleuen Jeftament eine ©ntfc^eibung jener 2llternatioe ju
fuc^en, ge^t be§^alb nii^t an, roeit bort ebenfalls beibc Senbcnjen,
um meldte e§ ft^ ^anbelt, balb jebe für fi^ oertreten, balb man-
nigfaltig fombiniert finb, eine flare Sltternatioe aber nirgenb§ ge^
fteüt mirb. ©o liegt ja au^ ber neuteftamentlid)en SEBelt« unb
@efcl)ic^t§betrad^tung mit il)rer „Srfüüung ber Qzxtm" natürlich
ba§ c^ronologifc^e ©(^ema ju ©runbe, unb e§ mirb fogar befon*
berer aBert auf ^a^reg« unb 2:age§}at)l gelegt; fo ba§ auc^ bie
„3wh*nft be§ ^erm" al§ ein jufünftig^c^ronologifc^eö ®reigni§
betrachtet mirb. Slnbrerfeit^ bilben jübif^c Slpotal^ptit mie d^rift^
lic^e Spetulation gar balb ben a^cbv jieXXwv unb feine ©üter in
eine ber 95ergangen^eit mic ber anfälligen ©egenmart gegenüber
präejiftente, emig^gegenmärtige „anbere" 3Belt au§ ; unb 3lu§brüde
roie „e§ foll ^infort feine <3^it meb^ f^i^" / w)^"" 0^ ^^^ "ic^t
in fpe!ulatioem ©inn ju premieren ftnb, beroeifen bo(^ ein Se«
rougtfein, bag bie 3^it ntit ber SEBelt ,,gcfc^affen", auc^ mit i^r
oerge^t; ba§, maS jmif^en ©ott unb bem rcligiöfen ©ubjett oor^
gebt, nic^t in ber ßeit gefc^ie^t, fonbern bag bie 3^it i^rerfeit§
innerhalb biefe§ SBorgang^ liegt. Unb gemig finben ft^ ©teQcn,
welche nic^t blog baS 3wfömmenn)irfen ber ©Triften untereinanber.
46 §offmann: 3«itöemä6 ober 3^1^^^^^
fonbern ou^ i^r ßufammeniüirten mit ®ott fclbft, lücnn a\i6)
mct)r gtci^niSrocif e , unter bem ©^ema ber Slrbeit^teilung bar«
fteQen; aud) beftimmt ber SJlcnfc^ felbft — abgefe^n oon bem
^räbeftinationggebanfen — fein jufänftige§ ©c^ictfal; unb fein
ajerl^alten fann ba§ Kommen be§ 9ieicl^e§ ®otte§ oerjögern ober
bef^Icunigcn. 3lber ba§ biefe§ Kommen felbft eine aSermirtU^ung
vermöge menfcf|lid^er 2lrbeit§teilung märe, ift ein ganj unbiblifi^er
®eban!e; oielme()r liegt biefe „SJerroirflid^ung" jcberjeit au§fci^Iie§*
lic^ in ®otte§ SWac^t unb 93clieben. ®nbli^: mol^I mirb im
yiX ben ßcitgenoffen ba§ 93en)u§tfein gefd^ärft: „©elig ftnb eure
2lugen, bo^ fie feigen, unb eure O^ren, ba^ fie ^ören" u. f. f.
{mi 13, 16; ügl. ani) 1. ^ctr. 1, 10 ff., 2, 9), infolge beffen
aßen @mfte§ Sßotüommenl^eit oon i^nen geforbert, aber anbrer«
feit§ auc^ roieber bie völlige Un}ulänglic^!eit be§ gegenmärtigen
3uftanb§ in ®rtenntni§ unb SRein^eit, auc^ ber gegenmärtigen
®l)riften^eit, betont mirb. S)iefer 3)oppelc^arafter be§ ®^riftentum§
bebingt e§ ja eben, ba§ e§ fid) balb al§ gewaltige Kulturmac^t
au§meiten, balb auf bie Unmittelbarfeit be§ religiöfen ajer!e^r§
mit ®ott jurücf jiel^n fann ; unb mir empfangen oon ^er au§ nur
bie S)ireftioc: feine biefer beiben 2:enbenien au§ bem gefc^ic^t*
liefen S^riftentum eliminieren ju rooHen; nic^t aber barüber:
meld)e oon beiben bem mobernen SJlenfc^en gegenüber befonberS
betont werben muffe.
S)iefe 93etonung ift nid^t gemeint im ©inn einer gorberung
ober 3w^wtwng; jugemutet mirb l^eutjutage ben mobernen ^re*
bigem mic ben mobernen 3u^ö^^^n gcrabe genug ; e§ ^anbelt f\6)
oielmel^r um eine bargebotenc ©ntlaftung für beibe 2:eile. 3)amit
ift ja gerni^ ni^t geholfen, menn ein ^^Jrebiger gefliff entließ nid^t
bie moberne, fonbern bie Sprache Kanaans ober ber 93lut' unb
SBunbentl^eologie rebet, unb ba§ gegenwärtige 3^itolter al§ fol^e§
an fein 3)afein burc^ fortn)äf)renbe§ o temporal o mores! immer
mieber erinnert. SSielme^r wie bei einem Kunftmerf gerabc ber
grelle aßiberfprud) gegen bie „SBirtli^feit" mid^ in biefe SQäirt^
lid^feit jurüdEmirft, anftatt ba§ ic^ fte barüber oergeffen follte, fo
auc^ ein folc^eS gefliffcntlic^eS 93efämpfen ber ®egenmart. Slber
^ 0 f f m a n n : ^citgemäft ober 3ettIog ? 47
bei bem attma^(id) alle lustra rocd^fclnbcn ä^i^Ö^f^^w^örf ntu§ c§
boc^ ani) bcm „jcitgemä^eftcn" ^rcbiger a[(niäl)Itd^ firmer roerben,
ftd) roieber anjupaffen; roenn cv alle „mobernen Seroegungen bc*
grü^t", fo ift er bod) balb in bcr Sage be§ 93ürgcrmeiftcr§ einer
@ro|ftabt, ber ba(b bie 2:agung eine§ SBcrein^ für geuerbcftat^
tung, balb eine folc^c be8 Äongreffe^ für innere SWiffton, balb
bie ®en)erffc^aften, batb ben 53auernbunb, balb ben Slntialfo^ol^
fongre|, balb ein ©ängerfeft „in feinen 3Wauern roillfommen
feigen" unb i^nen n)o^ln)ollenbe§ O^t^^^ff^ entgegenbringen mufe.
Unb baju tommt, ba^ alle fpejififc^ „mobernen Seroegungen",
fei'§ ©^ulreform, fei'S fojiale grage, fei'S ^errenmoral, fei'§ gc*
mini§mu§, fei'g 9tationali§mu§, teife au^erl^alb ber Äird^e, teils
au§brücftid) im ©egenfa^ ju ii)x entftanben finb, unb ba mac^t
e§ boc^ leicht ben ®inbru(f , al§ ob bie ftirc^e bann ^intennad)
aDe biefe SSewegungen einjufangen fuc^t mit ber Sleflame: „mir
^aben ba§ alles au^ öon SllterS ^er auf Sager, tonnen eS nad)
mobemem ©efc^madf peränbern, unb liefern foliber unb billiger
als jebe Ronturrenj." ÜWac^t bod^ auc^ bie Rirc^e regelmäßig bie
®rfa^rung, menn fte bei folc^en 93emegungen mittut, baß früher
ober fpäter ein ©^ritt tommt, ben fte nic^t me^r mitmad^en fann,
o^ne bie ganje Sirabition ju nerläugnen; baß man fi^ aber bar*
über gar nic^t fonberlic^ grämt, fonbern ru^ig in feinen „®jtre*
men" fortfährt ^ meil man fi^ bemußt ift, roa^ man o^ne bie
fiiri^e begonnen, auc^ o^ne biefe üollfüf)ren ju tonnen. Jlatür*
lic^ mill ic^ babci nic^t ben „jeitgemäßen" ^rebigern *bie ÜJlotioe,
meldte id^ gleid^niSmeife gebrauchte, imputieren; gemiß glauben fie,
bamit i^rer Äird)e, ober roenigftenS bem „9teid^ ®otte§" ju bienen;
gemiß ge^orc^en fie babei nii^t bloß ber 9iot, fonbern füllten fid^
nielme^r felbft in bem ©ebanten glüdtic^, auf biefe SBcife aud^
ein ©lieb ber mobernen ®ntmidlung ju fein. 9Iber eS ift nid^t
bloß JU befürd)ten, fonbern fc^on üielfac^ gattum, baß eben bie
„®ntfir^lic^ten", meldte fie auf biefem SBege geminnen moUen,
oielleic^t nic^t i^nen perfönlic^, aber ber Sirene, bereu Sßertretcr
fte ftnb, biefe 53emü]^ungen als pureS Ronturrenjmanöoer auS*
legen, baS man ftc^ gefallen läßt, fofern man baoon mitprofitiert,
baS man aber als fol^eS aufbedEt unb befämpft, fobalb eS um
48 ^ 0 f f m a n it : ßeitöcmaft ober 3ettlog ?
bequem werben roilt. @§ ttingt ja f^ön, wenn man auS ber
9lot eine 2:ugenb mac^enb, ertlärt: e$ tomme nad) berjeitigen
proteftautif^en ©runbfö^en ni^t§ auf bie firc^lid)e ^[nftitution,
alles auf bie ^erfönlid^feit beS fir^tid)en SBertreterS an; aber e§
ift fein ßuftanb, menn e§ näc^ften§ auf bie ben ß^itgenoffen me^r
ober minber fgmpatl)ifd)e ^ßerfon be§ ©eiftlic^en antommt, ob eine
©emeinbe noc^ an ben lieben @ott glauben mitl ober nic^t. Unb
wenn bet ©eiftli^e für feine ^erfon fi^ geroi§ barauf bef^ränten
tann unb f oÖ, S)iener ju fein : für feine ^ird^e barf er auf einen
^lat^ au^er^alb ber 2lrbcit§gemeinfci^aft nic^t oerjid^ten. ^errfc^en
fotl eine c^riftlic^e Kir^e gemi^ ni^tmoKen; aber imponieren,
als eine ©elbftgenugfam!eit, barf unb mu§ fie, ober fie oerbient
aud) als eoangelifc^e ben Flamen ^irc^e nic^t met)r.
@inc (Sntlaftung aber foQte bargeboten werben auc^ bem
mobernen $örer. 2)ie l^aben eine fold^e freiließ ni^t nötig, — unb
eS gibt bereu nid^t blo^ unter bem „organifterten Proletariat"
— meieren bie Klaffen^ unb ©tanbeSmoral i^r ©emiff en ift, unb
i^re SBeltanfd^auung bie aBiffenfd^aft in ber SQBeftentaf^e, bie fic
nur gelegentlich bur^ 3^itungSberic^te über bie neueften natura
miffenfc^aftlic^en unb mebijinifd)en gortfd)ritte bereid)em. SEBenn
fie je einer, aud) „jeitgemä^en" ^rebigt ju^ören, werben fte bar*
aus boc^ nur entnehmen baS „3)ogma oom 53eruf"; unb fie fmb
fid) o^ne^in mit SBonne bemüht, burd^ i^re (Stellung innerhalb
ber 2lrbcitSteilung ganj oon felbft bie „beffere 3ufwnft", ben
„gortfc^ritt" mitäuoermirflidien. ©ie finb Der^ältniSmä^ig gut
baran. 2lber wer ein „ganjer mobemer SKenfc^" fein will, wie
auc^ roieber Slnge^örige aller klaffen, befonberS aber im aJlittel-
ftanb, ber wirb ftc^ nic^t blog für bie SBermirflid^ung beS ^ort^
f^rittS au feiner eigenen SlrbeitSteilungSfteüe, fonbern auc^ für
bie ©i^ert)eit beSfelben im ©anjen intcreffieren. ®afür wirb er
bann aber freiließ auc^ für äße ßmeige beSfelben üerantmortlic^
gemacht; bei aßen Kongreß* unb SSereinSoorträgen , in allerlei
3eitungSartifeln unb Srof^üren fül^tt er fid) burc^bol^renb ange*
blidt: millft bu mitfc^ulbig fein, ba§ biefe ^immelfi^reienb rüdt»
ftänbigen Sßer^ältniffe no6) fortbauern? Unb tommt er bann in
eine Kir^e feiner Stiftung, fo ^ört er abermals, ba| er für all
©off mann: S^itgemäß ober S^itloS? 49
ba§ ücranttüortlid) fei, unb jioar baju noc^ im 9tamen ®otte§,
bcr ftc^ für bie SSerroirfti^ung be§ mobcrnen Kultur* unb ^uma«
nität§ibeal§ fpejiett intereffiere, biefe SBerroirtttc^ung freilid^ feiner*
fcit§ ber Slrbeit ^religiöö^fittlic^er ^erfönlic^teiten" überlaffen muffe.
5)a§ ift nun boc^ ein menig ju üiel für ben guten „9Jlobernen".
aWanc^em fommt e§ ba^cr anö) fc^on oor, aU fei eü ein f leiner
SBiberfpru^, bie ßafter ber 9lrmut, bie ^roftitution , ba§ JBer*
brechen rein auf ba§ 9WiUeu }u fd^iebcn, unb bann i^n, ber boc^
auc^ nur ^robuft feiner SSer^ättniffe ift, für all baS moralifd^
uerantroorttic^ ju machen. 2)e6l)afb ruft er oor allem nac^ Reform
ber ©efe^gebung, um auf biefe 3Bcife bie perfönlii^e 93erantmor*
tung lo§ JU werben. 2lnbere gefte^n offen i^re Ueberbürbung mit
folc^er SBerantmorttii^feit, !o!ettieren bann freiließ gerne mit i^rem
barau§ entfprungenen SBeltf c^merj , il)rer betabenten ^teroofität,
fei^ tvagifc^ ä la ^amlet:
„%it ffielt ift auä ben Sfugen; loc^c mir au benfen
2)a| ic^ geboren marb, fie cinjurenfen !"
fei§ l^eiter ä la Ooet^e:
„%k 9öelt ge^t au§einanbcr, rote ein fauler 3^ifc^;
Söir rooHen fie nid^t balf amier en."
®nblic^ gibt e§ auc^ folc^e, n)cld)e f\ä) au§ i^rer Äinb^eit
erinnern, ba| fte eine „©eele" ^aben, n)a§ fie ftc^ berjeit bann
freiließ, um bod^ „mobern" ju bleiben, lieber oon 93ubb^iftcn unb
2:^eofop^en, Ottultiften unb ©piritiften, al§ in einer d)riftlic^en
Rirc^c fageu laffen; unb ba§ fie eigentlid^ bo^ oor allem, roenn
nid)t augf^lie^lic^ , für biefe ©eele oerantmortlic^ feien. @c^t
mobem ift bann freilid), t)a^ mer fo feine ©eele entbedtt l^at, e§
feiten unterlaffen tann, fofort in irgenb einer gorm ber SBelt
jujurufen: freuet eud) mit mir, ic^ \)abt mein Qd), meine ^er*
fönlic^teit u. bgl. gefunben , baburc^ „®leid)gefinnte" anjulodten,
unb nun mit biefen, menn ni^t einen Sßerein, fo to6) eine lite-
rarifc^e ober gefetlfd^aftUd^e ßlique gu grünben; unb man tann
barauf rennen, ba§ fie bann ber „©egenmart" , meiere fie noc^
eben in allen S^onarten heruntermachten, üerfpre^en: roenn i^r
nur un§ gelten unb oben auffommcn laffet, fo garantieren mir ber
ganjen SBelt „bie Sßerroirtlid^ung einer ibealen 3utunft".
3eitf<^rift für S^coloßie unb Älrc^f. 16. ^ai)VQ., l. ^cft. 4
50 ©offmann: ^^ÜQtm&i ober 3^tIo§ ?
Um nun nid^t in bie g(cicf|c Kategorie gerechnet ju werben,
roill ic^ nur noc^ einmal bemerten, ba§ e§ fi^ bei ber ermähnten
©ntlaftung nic^t um eine gorberung, ein 95erfprec^en, eine @a^
rantie für bie 3wfunft ^anbclt, fonbem einfach um SÄufjeigung
einer aBirflid^feit, bie mit bem Unterfc^ieb 93ergangen]^eits®egen^
mart^ßufiiwft «i^t§ ju tun ^at; nic^t einmal um 53egrünbung
einer ©inftc^t, fonbern blo§ um bereu ©rme düng, um eine ®rin*
nerung an bie 3^itS^noffen, ba| fte i^nen fo gut mic anbern 3^it«
altem jugängli^ ift. S)ie ©rmerfung biefer ©inftc^t fann gu==
nä^ft auf bem SJÖege ber „©eelforge" (im roeiteften ©inn) ge=
fc^e^en, worein ftc^ eben auc^ bie 2^ätig!eit be§ c^riftlii^en ^rebi^
gcr§ einreiben tä§t. ®ann ift aber nod^ bie grage ber aßettan»
fc^auung unöermeiblid^: mie ftc^ bie fo aufgezeigte SEBirfUc^feit
jur SEBirflic^teit überhaupt, jumal ju bem, ma§ bem „mobernen
aWenfc^en" oorjug§roeife a{§ folc^e gilt, oer^ätt. "S^x beibe fragen
^aben mir im erften 2^eil bie SSntmort oorbereitet.
6§ ^anbelt fic^ bei ber „©eelforge" am mobernen 9Kenfc^en
oor aüem barum, i^n füllen ju laffen, ba§ aud^ er eine „©eele"
^at. 2)a§ gefc^ie^t nun nic^t, inbem man il^n immer bran erin*
nert, ba6 er eine ^flid^t ober 2lufgabe ^at. S)enn ^flic^ten ^abc
ic^, auc^ menn e§ ^flid^ten gegen mic^ felbft fmb, immer jufammen
mit anbern, ebenfogut wie fie unb umgete^rt ; hingegen eine ©eele
^abe i^ für mid^ aDein ober bcffer : jufammen mit meiner SGBelt.
3)iefe SBelt gilt e§ nun al§ meine Söelt ju ifolieren; alfo
barf man gerabe nid)t baran erinnert merben, ba^ man biefe
aßelt nur jufammen mit anbern „üermirfli^en" tann; fte beftc^t
ober gilt ja fc^on, i(^ lebe oon i^r, unb menn fie mir entfc^min^
ben milt, tann alle ©emeinfc^aft mit anbern fic mir nic^t erhalten
ober erfe^en. — ®iefe Qfolicrung, roeldje bie ©eelforge anju*
ftreben i)at, ift nun feine§meg§ eine erft ju erfinbcnbe Äunft; e^
l^aben fie alte mirtfamen ©eelforger, c^riftli^e unb au&cr^riftlic^e,
tird^lic^e unb augertirc^ti^e, oon jel^er geübt, ©ie l^at nur oer-
fc^iebene ©tufen, je banac^ man bie eigenjeitigteit be§ $örer§
erft ^erbeifül^ren miß, ober fc^on oorau^fe^en barf. ®a§ einfac^fte
unb braftifc^fte 3Jlittel, namentlich großen aWaffen gegenüber auf*
jujeigen, ba§ fie eigentlich nid^t in ber objettioen Qeit unb pon
© 0 f f m a n n : 3«itgemä^ ober 3citlo§ ? 51
beten <3n^Qlt leben, ift bie ©rinnerung an bcn 2^ob, fei'§ an ben
inbiöibueöen, fei'§ an ben aBeltuntergang. 2)er mobeme 9Kenfd^,
fofern er noc^ an ben 2)efinitiüc^aratter feine§ aSerfuc^g glanbt,
lel^nt aUerbing^ bicfe ÜJlet^obe ab: „homo liber de nuUa re mi-
nus cogitat quam de morte", möchte er gern ©pinoja na^fprec^en;
er fürchtet fid) jroar nor allerlei ©ajillen unb ^Vergiftungen",
aber por bem Sobe: läc^erlii^! Sebt er bod^ fort im gemeinfamen
3ufunft§jiele, an bem er aud^ mitgeroirft, unb an beffen einftiger
6rreid)ung nur blinber Slberglaube jmeifetn fann. S)er SBelttob
freilid) — bie SEBiffenfc^aft bel^auptet ja ba§ einfüge Sluf^ören
menfc^lic^en unb fd^liegli^ allen Seben§, alfo barf man nid^t mi-
bcrf preisen — aber e§ ift boc^ immerhin nod^ ein fd^öner ®e*
baute, ba§ einmal „in ©au§ unb 93rau§ noc^ ba§ ^(«fuforien-
geftnbel jubilieren mirb" ; unb menn einmal alle§ uorbei fein wirb,
fo ift§ boc^ einmal bei ber @rrei(^ung be§ 3"fwnft§ibeal§ fc^ön
geroefen. Unb ju n)a§ fid) überhaupt fold^c ®eban!en machen;
bie 3eit fd^rcitet ja fort, fo muffen mir aud) mit ber 3cit fort*
f^reiten: „2)a§ ift ja tiar, ba^ ift ja flar, ba§ ift ja logifc^, lo^
gifd^ flar!" — ®a ber mobeme SWenfc^ nun aber ftd) feiner be=
fonbem Qnbioibuatität mit 9la^brudt ju ril^men pflegt, fo ift er
oielleid)t empfänglicher für bie jmeite 9Wet^obe ber ^ffolierung,
welche fc^on innerhalb be§ Seben§ felbft, mitten in 2lu|enmelt
unb ©emeinfc^aft, feine Sigeujeitigteit bem ^fnbioibuum aufbedtt.
3n)ar bie fogenannten „einfamen SOTenf^en" ber SKoberne ftnb oft
nur oerjogene 3Kenfd^en, bie fi^ in ber ©efeüfd^aft nic^t bel^ag*
lic^ füllen, unb bod^ eine ©efetlfd^aft, ja eine Oro^ftabt braud)en,
um „[\6) au§juleben"; aber gerabe unoerbilbete aWenfc^en merten
bie Ofolierung il^rcr SEBelt, !eine§n)eg§ blo§ in StxUn be§ ©c^merje§
unb ber Se^nfud^t, fonbern grabe auc^ in ©tunben be§ ®lüd§
unb ber ruhigen 53etrad)tung ; namentlid) mirb i^nen bann !lar,
mie alle§ auc^ in SJergangen^eit unb 3wf""ft/ fofern fie fic^ ba*
für intereffteren unb baoon leben, in biefe 3Belt l^ineinfällt. @§
oerfte^t fid) na^ frül^erem, ba§ ein fo ifolierte§ Q6) burc^au§
nic^t ein ^»«^ioibuum im gemö^nlic^en Sinne ju fein braud)t,
fonbern auc^ eine beliebige fonftige SebenSgemeinfd^aft fein fann,
ift bo^ bie Seben^gemeinf^aft al§ @anje§ nichts anberc§ al§ ein
4*
62 goffmann: QtitQtmä^ ober 3citIo§ ?
fold)e§, fagen roir einmal: im 9ttc^t§ ifoIierte§ 3>^. SRcligiöS
beftimmt ift bie ganje mie bie einjelne SebenSgemeinfd^aft, fofern
fie ba§ Objch, bie ßroedfou^roal^l, pon roeld^er fie lebt, uub mit
ber fte i^ren ©inn gemeinfam t)at, il^ren ®ott im religiöfen ©inn
nennen !ann. 3)q§ ©emö^nlic^e ift nun, ba§ man feinen ©ott
mit ben übrigen Seben^gemeinfc^aftcn, rooju man gehört, gemein«
fam l^at, alfo mit gamitien^ SBolB-, ©ittengemeinfc^aft; ein fpe«
jifif^ religiöfeg ^fnbioibuum, ober meiterl^in eine „©emeinbe"
mirb ftd^ innerhalb ber ßeben^gemeinf^aft babur^ abgrenzen, ba§
biefe, immer mit einem gemiffen „®ntfe^en" mertt: biefe§ i^r
3Jlitglieb lebt baneben, ober ^auptfä^li^ Don einem anber§artigen
Dbjeft, unb ^at mit biefem einen fpejififc^en, ^mgfteriöfcn" ©inn
gemeinfam. 3)enn i>a^ eigenjeitige Qd) entbedt ft^ auf religiöfem
®ebiet immer nur jufammen mit feinem ®ott. 2)ie tiefftcn reli-
giöfen Äonflifte be§ fo abgegrenjten ©ubje!t§ rühren bann frei*
lic^ nid^t baoon ^er, ba§ e§ jugleid) ®tieb anberer SebenSgemcin*
f^aften, ober ani), bag e§ jugleid) ®lieb ber 2lrbeit§gemcinfd^aft
ift, fonbern ba^ e§ felbft nic^t ©ubjett be§ befinitioen, fonbem
eine§ prooiforif(^en ©ubjeftatt§, ba& bal^cr fein Dbjeft nod^ nid^t
ber Qtotd, fonbern eine 3w)cdau§n)al^l, ba^ feine SBal^r^eit nic^t
aßirflic^teit ift.
©oI(^e fpejifif^ religiöfen ©ubjette laffen ftd^ fetbftoerftSnb«
lic^ ni(^t na(^ 93ebürfni§ ^eranbilben; xd) fann e§ aber auc^
ni^t al§ ein ®Iauben§poftulat anerfennen, baj5 fte notroenbig
„fommen muffen", weil „unfere ßcit ein 53cbürfni§ bana^ ^at".
Sbenfomenig freiließ oermag e§ einen ®rfa^ für fie ju Iciften,
wenn man religiöfe ®enic§ ber „93ergangen^eit" ^iftorifc^^te^nifc^
fijiert unb i^nen i^ren 2eben§ge^alt (^ronologifd^ unb pfpc^ologifc^
juteilt. „3w^ü<* Pi" l^iftorifd^en ^efu§" fte^t auf einer Sinie mit:
„jurücJ JU Äant ober ju Sutl^er, ober ju S^omaS oon Slquino" ;
ift ni(^t religiöfe, fonbern t^eologifc^e gorberung, entfpringt me*
fentti(^ au§ bem ^fntcreffe einer 2lrbeit§^ nic^t einer Seben§ge*
meinfd^aft. ®l^riftu§ wirb burc^ ba§ „jurüdt ju il^m" nic^t me*
niger relatioiert al§ burd) ein „über it)n ^inau§"; ba§ fül)ltebte
©l^riften^eit fe^r balb unb be^iocgen bilbete fte ja jene „mpftifc^^
fpefulatioen" ^btzn über il)n au§, meiere i^n eben ber 53etra^tung§*
$ 0 f f m a n n : 3«itfl«nä^ ober 3citIo8 ? 53
locifc Sificfn)ärt§*aSortt)Srt§ cntjic^n fofltcn. ®§ gilt für un§ nur,
ben für baS eigentliche ^c^ immer, aber (eine^meg^ gleichermaßen
für bie jemeiligen empirifc^en ©lieber einer Äulturgemeinfc^aft
Dor^anbenen ®runb unb $oben aufjugeigen, auS meld^em ein re^
ligiöfeS ©enie entfpringen fann; e§ ift ba§ ^rimitioe im
obigen Sinn (©. 35) alfo gerabe nic^t im (Sinn eine§ jeitlii^cn
9iüdn)art§; ber 3^'* öt)er jujumuten, fie foHe ^rimitioeS erleben,
ift fooiel, al§ i^r prüfen: fei naio! 2Ba§ folc^e jugemutete, ma«
nierierte 9iaioetät für Unheil anrichtet, fann man ja in Äunft unb
'ißäbagogit fel^n. ®er (Seelforger muß bei feiner Sertünbigung
eben ba§ 6rlebni§ be§ ^rimitioen bei ben ß^itfl^^öffen oorauS«
fe^en, braucht aber über ba§ 3wt^^ff^" ^^^^f^^ SBorau^fe^ung fein
Vorurteil ju l^aben. ®rfolglofigfeit roirb i^n junäc^ft nic^t ah
f Freden; fie fann ja auc^ barin i^ren ®runb ^aben, baß er felbft
fic^ in ber Sec^nif ber Seelforge ©ergriffen ^at. ©ntfpringt fie
aber barau§, baß bie S^i^S^noff^n ^ben nur noc^ al§ folc^e, al§
©lieber einer ^iftorifc^4ec^nifci)en 2lrbeitsteilung empfinben unb
agieren, f o ift ba§ i^re ®acl)e ; ber SBertreter ber Sieligion braui^t
i^nen meber auf biefen ©tanbpunft ju folgen, noc^ fic^ für biefe
i^re (Stellung Derantmortlic^ ju füllen.
^rimitioeS @rlebni§ nenne ic^ nun ba§6rlebni§ be§ Unter*
fc^ieb§ oon befinitioem u nb 93 er fuc^^aft; bie Unterf (Reibung
ber ^'m-' unb Stüdbejie^ung auf ben Qwtd oon bem „S^^if^^""
biefer 93ejie^ung. 3)aneben ift ^oc^mic^tig, aber bo^ fefunbär
bie Unterfc^eibung innerl^alb biefe§ ^n^if^^^" f^^^f* ^^^ eigenjeit*
lieber unb gleic^jeitlic^er , lebenSgemeinfc^aftlic^er unb arbeit§ge«=
meinfc^aftlic^er Senbenj. — @§ fann ntd^t^ fc^aben, folc^en, bie
überhaupt noc!^ ju p^ilofopl^ifc^en Srroägungen geneigt unb fä^ig
fmb, einmal tlar ju machen, roie ungeheuer fünftlic^, nur für ein
geroiffe§ Stabium ber 2lrbeit§gemeinfc^aft paffenb, bie berjeit
jebem (Sc^ulfinb geläufige ®rfenntni§t^eorie ift: in ber ,,9lußen^
roelt" qualitätlofe Stealitäten, unb bann unter unferer ^irnfcl)ale
ein Äonglomerat t)on ,,^fr)c^if(^cm", mooon niemanb ju fagen
oermag, mie e§ an^ bem „^^pftfc^en" entfielen ober auf biefe§
mirf en fann. Ober baß ber ebenf all§ lanbläufige 5ß^dnomenali§mu§
64 ^offmann: Q^itQtmä^ ober 3citlo§ ?
unb SÄgnoftijigmu^, lucnn man bamit crnft mac^t, ja metmc^r in
fein ©egcnteil unif erlägt: eben be^l^alb, rocil bie 2Ba^r^eiten ober
SBeltbilbcr ber 3citcn unb ^nbioibucn ocrfci^icben unb boc^ irgenb^
n)ie ocrroanbt ftnb, bcS^olb ift alle^ aSa^r^eit, unb ber Sinn
überhaupt nic^t au^ ber SBelt ju fd)affen. 3)oc^ ba§ ift natür«
ti^ nic^t SSufgabc feelforgertic^er aSertünbigung. 2)iefe roirb oer*
fc^icbcn oerfa^rcn, je noc^bem fie auf bie Sinjelfeele, eine engere
ober weitere Seben^gcmeinfc^aft, einen ganjen ^utturtrei^ roirten
roiß; aber e§ wirb fic^ babci nur um Äonjentration ober 2lu§^
Weitung berfelben 3Jlctf)obe, unb um ein beftriptioe§, nic^t im^
peratioeg Serfa^ren l^anbeln; e§ mirb bem angerebeten Subjett
nic^t jugemutet, etroaS ju glauben ober ju tun unb bann etroa§
ju erleben; fonbern man befc^reibt i^m, unb „bringt i^m baburc^
jum 93emu§tfein", ma§ e§ fattifc^ erlebt, ^d) mu^ bie folgenbe
©fijjierung eine§ fold)en 93erfa^ren§ auc^ noc^ in ber ©prai^e pf)u
lofopl^ifc^er 2lbftrattion galten, f^on berÄürje l^alber, aber na^
mentlii^ auc^, ba§ ber 3i*fö"^J^^^^öng mit bem erften 2:eil flar
erhalten bleibe.
3)er 3roed fc^lei^t^in, al§ aSorau^fe^ung unb Qxd für ba§
Subjeft f(^le(^tf|in, ift @ott, burd^ ben unb um beffentroillen alle§
gefc^iel^t. @r ift unft^tbar unb ungreifbar, meil 2luge unb ^anb
nur Organe für eine :^xütda\x^todi)l fmb, roä^renb man @ott mit
allen Organen unb allen Organismen jufammen erlebt. Seine
SQBirflid^teit wirb nur in befinitioer SRüctbejiel^ung beS ^inftnnS
auf ben ^erftnn erlebt; ®ott „offenbart" fic^ bem Subjeft, unb
ba§ Subjeft „ergibt f\6) \\)m". 3)a§ empirifc^e Subjett, eben ba§
Objett ber Seelforge, ^at feine Seftimmt^eit in feiner 3n>crfauS*
ma^l, feiner SBelt, meldte i^m @ott immer in gemiffem ®rabe
erfe^t, aber auc^ immer in gemiffem ®rabe oer^üllt; ebenfo ift
fein „Suchen" einerfeitS ein ^alliatio für ba§ 9]o(^nic^tgefun«
ben l^aben, anbrerfeitS ein ÜWittel, i^m ben aSerfud)Sd)aratter aU
feiner Sittion um fo tiarer ju mai^en; niemals miß ber ^infinn
befinitio jum ^erfinn ftimmen. 3)a^er „Sünbc" unb „Uebcl";
jene, fofern ba§ Qi) über \\6) aU blo^eS aSerfuc^Sfubjett, biefeS,
fofern e§ über feine SBBelt als blo^eS aSerfui^Sobjett rePeftiert.
„Irrtum" l^ingegen, unb bamit Äampf um bie ©eltung ber Sigen«
©offmann: ScitgcmäJ ober 3citIo§? 55
lüclten, entfpringt au§ bem ßwfcimmcn oon KoKettioinbiDibuen mit
biffcrcntcr 3w)crfciu§n)a^I. 3)a§ SJerl^ältniS bc^ empirifc^cn ^c^
jum bcfinitiucn ober jum ©ubic!t fc^tcc^t^in tann mau roo^I am
bcftcn ocrgtei^cn mit bcm cinc§ ©a|^e§ inncrl^atb cine§ Sucres
ju bcm ©cfamtftnn bicfc§ 93uc^c§. 6in jolc^cr Sa^ l^ättc auc^
au^cr^alb be§ 93u^e§, loic ja anä) noc^ jcbc§ feiner SBSorte, ja
33u^ftaben für ftc^ aflein, noc^ einen geroiffen ©inn, aber innere*
j^atb be§ ©cfamtftnns; erhält er s^flleic^ eine Sinnmobififation
unb ©innfteigcrung. ®§ gibt im ^ui) aud^ Sä^e, bie fic^ jum
©cfamtftnn negatio ober tomparatio oer^alten, unb fo tonnte man
bie ^^araflele noc^ meiter fortfe^en; ic^ min aber nur noc^ barauf
l^inmeifen, ba^ bie „ß^riftotogie", meiere freilid) bann notroenbig
„fpetutatio", nic^t „^iftorifc^" auffällt, bie SÄufgabe l^at, ben 2:itet
für biefe§ 93uc^ ju formulieren.
®ie Unterf(^eibung oon Sebenögemeinfc^aft unb 9lrbeit§ge«
meinfd^aft foö nic^t etma baju fül^ren, nun in ber firc^Uc^en 93er=
fünbigung bie ©efn^t^punfte unb ^oftulate ber (enteren ju „be^^
tämpfcn" unb eine „9ieaftion", eine „SRüdfe^r ju patriarc^ali*
fc^en aSer^ältniffen" ju forbern. @rften§ märe ba§ im ©inne
ber übergeorbneten, befinitioen 33etrac^tungSroeife felbft nur roieber
eine ®infeitigteit, unb jroeiten^ nimmt jeber Kampf einer Seben^^
gemeinfi^aft mit einer 2lrbeit§gemeinfd)aft felbft ben ©Ijarafter
einer Slrbeit, einer S^e^nif an, tommt alfo nur ber le^tern ju gut.
9Wit UJerrounberung merfen \a berjeit fo manche SBertreter ber
^irc^c, mie leicht fic^ auf allgemein fittlic^en unb Rumänen ©e^
bieten mit religiös fp^jififcä^ Unempfangli(^en jufammenarbeiten
lä^t; fie fönnen nic^t oerl^inbern, i)a^ man barau§ ben ©c^lug
jie^t: für folc^e Slufgaben ift bie religiöfe ober fonft lebenSgemein-
fc^aftlic^e ©innfomplijierung notroenbig ju oereinfac^en, in blo^e
Äraft ju oerroanbcln. S)ie £eben§gemeinfc^aft tann noc^ lange
fortfahren, ba§ „linbernbe Oel" für ben tec^nifd)en 3J?ec^ani§mu§
JU liefern; fte mirb, mie biefe§, um fo überflüfftger, je eyafter
unb reibungSlofer bie 9Jlafcl)inenteile einanber angepaßt merben.
So mu^ ja mol^l bie SReligion^gemeinfc^aft bie tec^nifc^e neben
fic^ tolerieren; fte foll biefeS 9]ebeneinanber aber nic^t blo^ er^
tragen, fonbern anä) oertragen, o^ne babei an i^rem eigenen
56 § 0 f f m a n n : 3eit0cmd^ ober 3citlo§ ?
5öefcn unb Qrotd irre ju werben. Sliemanb, ber felbft im geift-
liefen 2lmt ftc^t, roirb unempfinblic^ fein gegen bie ©innocrarmung,
welche bie SBanbtung unfere§ SBolB unb unferer ©emeinben qu§
£eben§^ in bto^e 2lrbeit§gemetnfc^aften mit ftc^ bringt; aber man
mu§ tirc^li^erjeit§ ni(^t meinen, man fönne biefe Bewegung auf*
galten ober i^r eine anbere 9tic^tung geben, inbem man fte ein=
fac^ mitmai^t. Qi) fann jmar nic^t oerftel^n bie ©gmpatt)ie
mani^er mobemer ©l^riften mit ber mobernen Literatur unb Slunft:
benn ba^ e§ bei biefer „91euromantif" fi^ ^iebei, tro^ aüer
frampf^aften S3emü^ung um ©innbereic^erung, boc^ um eine fc^Iie§*
lid) um fo größere Sinnrebujierung, einen raubbauartigen ©toff-
oerbrau^ ^anbelt, bürfte boc^ aKmä^Ui^ flar fein. 3lber mcnn
mani^e „gro^e roeltgefc^ic^tlic^e ©reigniffe" ^erbeife^nen, ober ben
Äonflift mit bem „3^fuiti^w^u§" fc^üren, fo ift ba^ au§ bem
SBBunfc^, nur einmal auc^ roieber ba§ 93or^anbenfein einer beutfc^en
ober beutfi^^coangelifc^en „SSolföfeele" ju fpüren, rool^lbegreiflic^.
3)er ©laube, ba§ unferem äJoIf eine, auc^ religiöfe „3wfw"ft"
befc^ieben fein merbe, ift ju a^ten unb ju e^ren; i^ teile i^n
fogar, fofem er nur einen SBunfc^, unb eine SBa^rfc^einlic^teit^»
berec^nung gefc^id^tlic^er SJlöglic^teiten bebeutet. 2lber bie ©eltung
be§ eigenjeitigen 3d) unb feiner religiöfen SBeft barf nic^t oon
ber ©eltung ober bem jufünftigen Eintreffen biefer ©rroartung
abhängig gemad)t merben.
$Wöd)te man aber nod^ einwerfen: „3^*tlöfigteit" ber ^rift=
(id)en SBerfilnbigung, ba§ leiftet ja eben bie 2:f|eologie, meiere ftc^
gegen aü^^ jeittic^ roec^felnbe, metap^9ftfd)e ©pintifteren, mie ba§
obige über Qzxt u. f. w,, oon melier ©eite es; auc^ fommen möge,
neutral oer^ält. ©el^r mo^t; roenn ic^ aber meinem 5Rac^bar
mein Serrain unb meine äBaff ertraft jur Sßerfügung ftelle, unb
e§ melbet fic^ bann ein anberer ^onturrent, oieüeii^t mit altern
ainfprüc^en, unb i^ oerme^rc il^m bie Senü^ung, fo oerle^e ic^
bie ^Neutralität. iSfl. a. 3QB.: 3)ie gemeinte 2:t)eologie fd)lie&t ein
93ünbni§ mit ber ^iftorifc^'-tec^nifc^en Setrac^tung^meife, unb ber
folc^en 33ebürfniffen angepaßten 6rtenntni§t^eorie ; me^rt fic^ aber
immer noc^ gegen alle ^^ilofop^ie, bie nic^t „fortfd)reitet", fon*
bem gern au(^ einmal roieber oon oorne anfangen möchte. SSor-
©offmann: S^itqemä^ obtv QzitloS'i 57
licgcnbc p^ilofop^ifc^c SBctvac^tung fc^Iic^t bic ^iftorifc^*ted)nifc^c
SSctroc^tungSiocifc ni^t au§, fonbcrn ein, aber aU eine nur ein==
feitige ^ilfötonftruftion. ®a^ bie objettiüe 3^it ^^^^ l^ „reiner"
fie ift, befto me^r mit bem 9iaum jufammenf äüt , unb bcöl^alb
auä) fo wenig „verläuft", wie biefcr; ba§, wenn man ba§ ®e*
fc^e^en aU Sntmirflung auffaßt, beffen SBefen ebenfowenig oer-
änbert mirb, afö wenn man Vs öt§ 0,3333 .... au^brüdt ; ba^
ba§ eigenjeitige ^d) n\6)t burc^ feine ^iftorifc^e unb pfgc^oplig*
ftfc^e 2lbgrenaung unb 3wtei(ung, fonbem burc^ fein S8er]^ä(tni§
jum befinitiüen ©ubjett rocfentlic^ beftimmt ift; ba§ mir mit bem
®el^im ebenforoenig empfinben unb beuten, al§ mie man früher
meinte, mit bem ^erjen ober ben Stieren: ba§ fmb Slnnal^men,
welche, nx6)t in biefer Formulierung, aber in i^rer etl^ifc^en Stim-
mung, roie ic^ meine, atte biejenigen S^itöft«^ ^"^ 3nl>iüii>uaH*
täten fonftituieren, meiere fic^ nii^t burc^ einen „Äampf um bie
9Q3eItanfc^auung", fonbem burd^ SRu^e ber SBeltanfi^auung au§*
jeic^nen. „9tu^e ber SBeltanfc^auung" — metd^ ein oeräd)t(i^er
3uftanb na^ mobernen ^Begriffen; aber oietteic^t gerabe ba§, roa§
fo mancher moberne SWenfc^ ,Ju^t".
58
in htn }ßütühtln nnm ^tnfkütn nnh ^üntvttii, nun htt
ftlh^mü^ftxtttn $aat, htm Slnhraitt ttnb htm ^J^ntif.
afr. %xani,
©p^oruä am coangcL tl^eol. Seminar ©c^öntal.
Ob bQ§ yitxi} @ottc§ in bcr SBertünbigung ^^fu aU eine
gegenroärtigc, in biefcr irbifc^en SBcU rolrtfamc, ftc^ cntroidctnbc
unb roai^fcnbc, ober q(§ eine rein jutünftige, tranfjenbentc ©röfee
ju bcnfcn fei, ober ob beibc Sluffoffungen in ben SQBortcn 3^efu
il^ren SÄn^ott ^aben unb roie fx6) bann beibc oer^alten, ift eine
noc^ immer offene 5^age neuteftamenttic^er götfc^ung. 3)ie nac^-
folgenben S^^^^^ »erfolgen nic^t bie 2lbfi(^t, ba§ ganje tomptiäiertc
Problem ju erörtern. 9iur ju ber oiel enger begrenjten ^rage,
ioa§ bie in ber Ueberfc^rift genannten ^^arabetn für ba§ Problem
ergeben, foQ ein 93eitrag oerfuc^t werben. ®iefe 5ßarabe(n fmb
e§ ja oor allem, in benen man oon je^er ben ©egenmart^c^arafter
be§ ®otte§reid)§ ju finben glaubte. „®ie ©egenroart be§ SReic^eS
im geiftigen Sefi§ unb in ber innerlichen ©ematt be§felben ift ba§
@el^eimni§, roelc^eS allein ben ^löngetn jugänglic^ ift." ®iefer
©a§ SB e i j f ä d e r ^ in ben „Unterfuc^ungen über bie eoangeli*
f^e ©efc^ic^te" üom Qat)x 1864 (©. 415) ^at mo^l bamate einen
roeitreic^enben Äonfenfu§ jum 2lu§brud gebracht. Qöi erinnere fo»
bann au§ fpäterer Qnt an bie 2)arftellungen be§ 2eben§ ;3efu oon
93er|f(^lag unb 93. SBet^. Segfd^lag fc^reibt über bie
2 r a u b : ^ie ©egenmart be^ ®otte$reic^iS 2C. 69
©aatparabcl be§ 9Jlarfu§ 4,26 ff.: „a)ic ganje äBcrbcnotur be§
SReid^c^ @ottc§ ift in il^r abflcbilbct, bcr ©runbri^ feiner gefc^id)!^
li^en ©ntroidlung prop^etifd) gejeic^net." (3. 2lup. n, 226) unb
über bie ^immelrei^§parabeln überhaupt: „3)a§ ^immctreic^ ift
jur reinen ®otte§fraft geworben, welche ^erj unb SBelt oon innen
l^erauS erfaßt unb oertlärt — feine (e^te ooKenbcnbe 3lu§geftaltung
roac^ft au§ ber gegenioärtigen Stiftung unb SBBirffamtcit oer*
nünftig, ftttli^ gefd^ic^ttic^ ^eroor." (S. 227.) SB.SBei^ Ic^nt
jroar ben ©cbanfen einer „immanenten" Sntmirflung ab, ba ba§
^eil^roerf in feiner ganjen Stusbe^nung f^lec^t^in üom 2Bir!en
@ottc§ abhängig fei (3. Slufl. II, (5. 279). Slber eine aUmäfi*
(id^e @ntn)id!Iung finbet aud^ er in ben Parabeln abgebilbet
(©. 22 f.). Unb auc^ ^eute noc^, nad) ber re(igion^gefc^i(^tlic^en
93en)egung, bie auc^ biefe S^agen in neue Salinen gelcntt l^at,
erf lärt ein f o berufener gorfc^er n)ie S c^ ü r e r o^ne oiel 33e^
grünbung, faft a(^ fage er (5eIbftoerftänb(i(^e§: „®a§ SReic^ ®otte§
tommt nic^t ptö^Iic^ unb finnenfällig, fonbem aflmä^lic^ unb un*
oermertt. 3)iefe^ allmähliche kommen mirb auc^ burc^ ©leic^niffe
anf^aulic^ gemad)t. 3Bie bie Saat aümä^Iic^ roä^ft unb bcr
Sauerteig allmä^lic^ alle§ burc^bringt, fo entmirf elt fid^ ba§ @ottei8:=
reic^ oon tleinen 2lnfängen an gu immer gewaltigerem Umfang
unb burc^bringt immer me^r alle SBeltoerl^ältniffe." ^a, er fügt
fogar t)inju : „2)iefe ©leic^niffe roenben fic^ bireft polemifc^ gegen
bie jübifc^e Sluffaffung unb moHen fte forrigieren. 3Ja(^ ber jübi*
fc^en Sluffaffung fmb bie gegenmärtige unb bie tünftige SÖSclt«
periobe burc^ einen fc^arfen @inf^nitt getrennt. 3)urci^ ein raun*
berbare§ eingreifen ©otte^ folgt plö^tic^ eine oiJllige Umgeftaltung.
gür ^i\\i^ ift ba§ mefentlic^e @ut ni^t biefe äußere UmgeftaU
tung, fonbem bie aSirtfamteit ber ®nabe @otte§ fc^on unter ben
gegenroärtigen ©jiftenjbebingungen. 2)arum ift mit ^efu SBirtcn
ba§ ©otteSreic^ in feinen 2lnf äugen f^on oorl^anben." (StxU
fc^rift für J^eologie unb Äirc^c 1903, S. 445.)
^Jtatürlic^ mirb auc^ oon ben früheren gorf^rn ni^t in
Slbrebe geftellt, ba^ neben biefem immanenten, gefd)ic^tlic^en, auc^
ein tranfjenbenter, c^c^atologifc^er ©otte^reic^^begriff in ber
^rebigt Qefu auftritt. ®ie 3lrt, roie beibe in aSejie^ung gefegt
60 2: r a u b : ^te ©egenmart beiS ©otteSreic^g sc
loerbcn, ift fc^r ücrfc^icben. ©ntiücber nimmt man an, ba§
für ba§ 33en)u^tfcin Qt^n fclbft bcibc SBorftcIlungen fic^ nur wie
jiüei Stufen üerijaltcn. Ober beibc fte^en im öemugtfein ^^fu
unocrmittclt ncbencinanbcr ober e§ luerben beibe auf üerf^iebene
^erioben feine§ SOBirfeng verteilt. 2)ie Satfadie felbft aber, bag
eine ftart eSc^atologifc^ gefärbte SBorfteKung in ber ^rebigt Qefu
Dorl^anben ift, (ie§ fic^ angefic^tg be§ ejregetifi^en 9JlateriaI§ taum
beftreiten. 9Iber biefe Satfa^e l^at ein ganj anbereS ©emic^t er-
halten, feitbem bie t^eologifc^e g^tfc^ung ber religiöfen Siteralur
be§ ©pätjubentumS ftc^ bemä^tigt unb oon ^ier au§ ba§ SBer»
ftänbni§ ber SReic^^prebigt ^efu ju geroinnen nerfuc^t ^at. 9tun
erfc^ien plö^lic^ ber e§^atoIogifc^e 33egriff aU ber be^errfd)enbe;
ber anbere trat entrocber fe^r jurüc!, ober rourbe ganj au^ge^
f^ieben. 2)er aSortfü^rer roar ^ier ^. 2Bei^ in feinem 33u^e:
„®ie ^rebigt ^efu oom Steic^e @otte§'', ba§ 1892 in erfter, 1900
in iroeiter Sluflage erfi^iencn ift. 2Bei§ beftreitet ni^t, ba§
Qefu^ gelegentlich auc^ oon einer @egenroart be§ ®otte§reic^§ ge^
fproc^en l^at. 3lber e§ roaren bieg ^ö^epuntte etftatif^er Segei*
fterung unb e^ ift immer etroag ganj 33eftimmte§, baS ^efu babei
oorfd)roebt: ber ©ieg über ben ©atan, ben er in ben 3)ämoncn5
au^treibungen erlebt; nic^t aber ^anbelt e§ fid) um eine burc^*
ge^enbe unb grunblegcnbe SÄnfc^auung unb am aUerroenigften l^at
äiefu§ irgenbroo ben ©ebanten einer aHmälilic^en, auf ®rben ftc^
oofljie^enben ©ntroidftung be§ @otte§reic^§ geäußert.
SJlußte aber nic^t biefe 3luffaffung notroenbig an ben Parabeln
f Reitern, bie nai^ ber bi^l^er faft allgemein geltenben Slnfc^auung
ben ©ebanfen einer irbifd^en ®ntroic!lung abbilben, jumal bie
^^arabeln oom Senftorn unb Sauerteig unb oon ber felbftroac^-
fenben Saat? SQBie finbet ftc^ ffieiß mit il^nen ab? ^n ber
erften 3luflage feiner Schrift roiU er fte überhaupt nic^t auf bag
@otte§reicf) bejie^en. 3)ie üblii^e @inleitung§f ormet : „3)a§ SReic^
®otte§ ift gleich u. f. ro." ftamme nic^t oon Qt\vi^, fonbern oon
ben Soangeliften. Sie Senfforn* unb Sauerteigparabel roürbe
oiel richtiger eingeleitet: „3)a§ Soangelium ober ba§ SBort ift
gleich . . . ." ftatt: „2)a§ Himmelreich ift gleich . . . ." Qu ber
jroeiten 3luflage bagegen räumt 9B e i ß gerabe l^inftc^tlic!^ ber eben
a:r au 6: ^ie ©cgcnroart bcS ®ottc8rcic^g 2c. 61
genannten smei @(eicf)niffe ein, bafe fie fe^r roa^rfc^eintic^ irgenb
etmaö über ba§ 9teic^ ®ottc§ teuren rootten. 2lber baJ5 oon einem
irbifc^en ©ntroicftung^proje^ be§ ®otte§reic^§ bie SRebe fei, ba§
bie tvanfjenbente Sluffaffung ^ier burc^ eine immanente, bie mun*
ber^afte burc^ eine et^if^e erfe^t fei, ba§ beftreitet er nod^ ebenfo
entfc^ieben roie früher. @r beruft fic^ je^t auf ^lüIic^erS aWe*
t^obe ber ^arabelauölegung unb finbet, ba§ bei tonfequenter Xnxä)^
fül^rung biefer 3Jletf|obe bie ^arabetn ba§ gerabe ©egenteil oon
bem beroeifen, rooju fte bi§^er benu^t morben feien, „nid)t eine
immanente ©ntmicftung beg SReic^e§, fonbern bie tranfjenbente
^erfteflung ber ^errfc^aft ®otte§ nac^ feinem SBiflen, ju feiner
3eit." ®. 85. ©0 roenigften^ bie ©aatparabel 3W. 4,26 ff. 3lber
au^ bie anberen lehren locnigftenS nic^t ba§, ma^ man l^aupt==
fäc^lic^ barin ju finben meinte, eine innere, allmähliche ©ntmid^
lung. 3)iefe SWeinung fei nur no^ eine 9lac^mirfung be§ alle«
gorifierenben ©c^lenbrianö. Qülic^erS SSerbienft fei e§, bamit
grünblic^ aufgeräumt ju l^aben; nur in ber2lu§legung Don3Mc.4,28ff.
^abe aud) er noc^ einen allegorifierenben SRüdfaU erlitten. ^6)
mö^te nun ju jeigen oerfui^en, ba& gerabe bei forgfältiger 2ln«
menbung ber 3iüli(^er'fc^en SJlet^obe ber ®ntmidflungs;gebanfe ganj
unumgängli^ ift. Ueber JRec^t ober Unrecht biefer oiclfac^ ange*
foc^tenen , erft jüngft oon SBelll^aufen beftrittenen SWet^obe
tann ^ier nic^t geurteilt werben; aber menn ftc^ jeigen lä§t, ba^
auc^ unter i^rer SSorau^fe^ung ber Sntmiälung^gebanfe nic^t ju
umgeben ift, fo ift bamit fein SRc^t überhaupt beroiefen, roeil ber^
felbe bei jeber anberen SÄuffaffung ber Parabeln um fo fieserer
fic^ einftellt. ©ooiel ic^ nun fel^e, ftnb e§ ^auptfäc^lic^ 3 3ftegeln,
in benen jene SUlet^obe f\i) aui^brücft: 1) ®ie ^arabel roiU oer«
anfc^aulic^en, überjeugen, bemeifen. 2) 2)iefen Stoeä erreicht [x^
nur, menn in ber 33ilb^älfte alle§ eigentlich genommen mirb, mä^*
renb in ber Megorie alle 93egriffe uneigentli(^ gemeint finb unb
bie Uebertragung auf ein anbere§ ©ebiet forbern. 3) ^n ber
Parabel ^anbelt e^ fi^ immer nur um einen ^auptgebanfen,
ber SBilb unb ©ac^e oerfnüpft. 3)ie Slufgabe ber 3tu§legung ift
e§, biefen einen ©ebanfen al§ ba§ tertium comparationis t)erau§=
anheben, mä^renb e§ ber ^efiler ber aUegorif^en 3J?et^obe ift, ba^
62 a:r au b : 5)tc ©cgcnroart bc8 ®ottc8rctc^g 2c
ftc aud) alle möglichen SIcbenjüflc „beutet" unb auf bie Sac^c
überträgt.
SDSag ergibt fic^ nun ^ierau§ junä^ft für bie ^arabel oom
©enfforn? SOBei^ urteilt: „33ei ber 2)eutung unfere§ ^aare^
— Senftorn unb Sauerteig werben üI§ gleic^bebeutenb jufammen*
genommen — wirb oon ben meiften ©yegeten ein ungebührliches
©emic^t auf ben Slebenjug gelegt, ba^ ein tangfamer, allmählicher
SntroidlungSproje^ oor fic^ gel^t, roä^renb bod) ber ^auptge*
fic^tSpunft beutlic^ ein anberer ift. 3)ie 2Birfung beruht auf
bem Äontraft smifc^en ben Meinen, unfc^einbaren Slnl^ängen unb
bem überrafc^enb großen gortgang. ^ene Serfc^iebung ber 9lüance
]^at, wie mir fpäter jeigen mcrben, oer^ängniSüofle folgen."
2. 2lufl. ®. 48 f. Später ^ei^t e§ bann: ^Sö ift ^ier befonberS
beutlid^, mie man ben ^auptgebanten ber ©leic^niffe oernad^lä^igt
ju ©unften gemiffcr ^lebenjüge. ®er ©runbgebante beiber ift auS
bem Äontraft jmifc^en ber Keinen Urfai^e unb ber großen SBirtung,
jmifc^en bem unfcf)einbaren Slnfang unb bem überroältigenb großen
©rfolge ju entnehmen. 9Bie gering unb unfc^einbar bie 2lnfänge
be§ 9ieicf)e§ ©otte§, bie ^efu§ tennt, aucf) fein mögen — eg !ommt
eine Qdt, wo ber oöHige ©ieg ba fein mirb. ©benfo mie in ber
9latur ba§ Kleine unb Unbebeutenbe bie allergrößten SBirtungen
^aben !ann, fo wirb ani) ber taum erft ftc^tbare ©rfolg 3^efu
bereinft aUe ©rmartungen übertreffen. 93ei biefer 2luffaffung, bie
ft^ an ben ©runbgebanten ^It, !ommt bie unbeirrte ©laubenS«
juoerfic^t <3fefu f^ön unb bejeic^nenb jum 3lu§brucf". 2)agegen
fei barüber nichts gcfagt, „ba§ ber ©^ritt oom tleinen 2lnfang
bis jum glänjenben ©nberfolg auf bem SQBege einer „©ntmirfelung"
Dor fic^ ge^e. 3)ie SßorfteHungen einer ©ntfaltung be§ KeimS jur
^flanje, einer ©ä^rung auS eigener Kraft, oon einer „3)urc^*
bringung" be§ Sßolfö mit ber ©otteS^errfc^aft, oon einem „5öac^S*
tum" unb einer „3lu§breitung" be§ JReic^eS ©otteS — ba§ alleS
ift nxijt^ als eine oerroirrenbe ^crüberna^me oon einjelnen ßöfl^w
ber ©leic^niffe, bie nun in ber Seutung als SWetap^ern mieber*
feieren. 3)iefe 9Wetap^ern ftnb ein 9teft ber allegorifc^en ©yegefc
unb als unmet^obif(^ ju oerbannen." ©. 83 f. ^nki^t beruft
ftd) SB e i ß noc^ auf 3 ü l i d) e r , ber erf reulidiermeife ebenfalls
a: r a u b : %iz ©cgcnroart bcS ®otte5reic^§ ic 63
bie übliche @nttDicf(ung§tt)eone abgelehnt f)dbt, unb jitiert beffen
©c^Iu^fa^: „3ßfu ^auptintercffc loar nic^t bie 9lotrocnbigteit unb
bic SBeig^cit einet längeren, attmä^Iic^ fortfc^reitenben ®ntn)icf*
lang, fonbern bie ©eroi^l^eit, ba^ beim ^immelreid) bie ^criobc
ber 93ottenbung auf bie ber SWongel^aftigfeit folge, forgenben
Jüngern flor §u mo^en; er ift eben fein ©efc^ic^tgp^ilofopl^,
fonbern ein ^rop^et."
Qc^ möd^te junac^ft bemerten, ba§ 3fülirf)^>'' in ber 5^'age
boc^ erl^ebli^ oorfi^tigev ift, al§ 3Bei§. 6r ^ot bie „Sntroid*
Iung§t^eorie" feine§roeg§, roie SOBei^ bel^ouptet, „abgelehnt",
fonbern nur nic^t a(§ ba§ ^ a u p t intereffe ^cfu anertannt. S)q^
fte n)enigften§ al§ 91 e b e n intereffe mitroirf t, wirb oon i^m nic^t
auSgefc^Ioffen. 93ielme^r ^ei^t e§ bei i^m unmittelbar oor bem
oben jitierten Sc^lu^fa^: „Ob 3^fu§ oielleic^t ben SQBeijcnfamen,
ba§ ©enftorn, ben Sauerteig ftc^ für bie ^immelrei^gparabcln
au^ be§megen erlefen l^at, meil fie alle bie Sorfteltung eine§ un^
unterbrochenen 5ortf(^ritt§ erjcugen, magc id) nid^t ju oer*
neinen, aber auc^ ni^t ju behaupten; ba§ mie anbere ®inge auc^
ba§ Himmelreich mit ber Qeit junimmt, an Umfang unb ®influ^
gewinnt, mar ja ein fe^r na^eliegenber ©ebanfe." (3)ie @lei(^=
niSreben ^efu n, ©. 580 f.). Qä) glaube aber, mir muffen ^ier
no^ einen Schritt meiterge^en unb jmar gerabe bann, roenn mir
nac^ 3^ ü l i c^ e r § Vorgang nur nad) bem ©inen ^auptgebanten
fuc^en, ber ben (Sinn ber Parabel beftimmt. 2)ie g^age ift nur,
wie meit biefer §auptgebante teilet? Sft berfclbe fc^on erfc^öpft
in bem Äontraft ber Keinen, unfc^einbaren 3lnfänge nnb be§ über-
rafci^enb großen 5ortgang§? ©emi^ gehört biefer Kontraft mit
baju. 3)a^ im 9tei(^ ®otte§ auf bie unfi^einbaren 2lnfänge eine
^errlid^e 93ollenbung folgen roerbe, ba§ moUte^efug folcl)en Qüngern,
meiere burc^ bie geringen 2)inge ber ©cgcnroart niebergebrücft
waren, ju ®emüte führen, inbem er i^nen ba§ 95eifpiel be§ Senf*
fom§ oor^ielt, an bem fte biefen 5ortfd)ritt oom Kleinen jum
®ro§en immer oon neuem beobachten tonnten. Stber tonnten bie
ftleinmütigen il^m nx6)t entgegenhalten, ba^ itinen mit biefem 93ei-
fpiel ni(^t§ gel^olfen fei? SBer bürgt un§ bafür, ba^ e$ im ^im^
melreic^ ebenfo jugel^t, mie beim Senf torn? @ibt e§ nic^t unenblid^
64 2: r a u b : ^ie (^egenmact be^ ©otteSceic^S ic.
oicl Ätcinc§ in bcr SDScIt, ba§ nie ju ©ro^em ftd^ au^mäc^ft, ba§
Kein ift unb bleibt? SBarum foütc ba§ SReic^ ®otte§ gcrabe bcn
©rfc^cinungcn gleichen, bei benen e§ einen ^Jortfd^ritt gibt oon
Kleinfieit jur ©rö^e? 3)ie ^arobet foH übctieugcn, bereifen.
Äonntc fic ba§, wenn fic nic^t§ anbetet enthielt al§ bcn Äontraft
oon Äleinl^eit unb ®rö&e? Ueberjeugenb wax fie offenbar erft bann,
wenn fie auger biefem Äontraft noc^ ein weitere^ enthielt, näm^
lic^ bieS, bag bie tünftige ©röge in ber gegenwärtigen ßlein^eit
fc^on angelegt ift. ®arum wirb an^ bem Keinen ©enfforn bie
groge ©enfftaube, weil biefe fc^on aU Äeim in jenem enthalten
ift. Unb barum bürfen bie tleinmütigen 3efu§jünger glauben,
bag e§ im |)imme(reic^ ebenfo ge^en mirb, roeil auc^ in ber un*
f^einbaren ©egenroart boc^ etmag fpürbar ift, baS ber Seimtraft
ber ^flanje oerglei^bar ift, eine innere ©ottei^traft, bie ^efuö
feinen Jüngern ju empfinben gab. 9Wit berfetben 9iotmenbigtett,
mit ber au§ bem ©amen bie ^flanje roirb, mug au§ ber geringen
©egenmart ba^ jufünftige ^errlic^teit^reic^ ^eroorge^en. 3)ie
^lotroenbigteit beruht auf bem allgemeinen ©efe§ be§ 9latur* unb
©eifte^leben§, bag jebe J^eimfraft unter ben entfprei^enben 33e*
bingungen jur ©ntfaltung bringt. Q]t bie$ richtig, fo lägt fic^
ber ©ntroidlungggebante mit feiner ©emalt au§ bem ©enftom-
gleic^niS hinaufbringen.
2luc^ no(^ Don einer anberen Seite ^er ergibt ftd^ ba^felbe
SRefultat. ®§ gibt ja auger ©enfforn unb Sauerteig noc^ oiele
S)inge in ber SBelt, meli^e ben Jortfc^ritt oon Steinzeit jur ©röge
erfennen laffen. ©in Baumert g. S., ba§ 9Wenfc^en aufführen,
ift auc^ erft Hein unb mirb immer gröger. Slber ber gortfd^ritt
ift l^ier ni(^t burd^ eine immanente ©ntmidlung bebingt, fonbern
burd^ ein ©ingreifen Don äugen. aBäre e§ ^cfu^ blog um ben
Äontraft anfänglicher Slein^eit unb fi^lieglic^er ©röge ju tun ge*
mefen, fo f|ätte an6) ein berartigeö Silb genügt. 2lber e§ mar
geroig ein fixerer ^fnftintt, ber i^n au§ ber güUe ber i^m ju
©ebot fte^enben 3lnfc^auungen gerabe folc^e Silber herausgreifen
lieg, roelc^e eine immanente ©ntroirflung aufroeifen. 3)er ©ruub
bürfte rool^l barin liegen, bog eben auc^ in ber Sac^e, bie er
barftellen roill, e§ fic^ nid)t blog um ben Äontraft oon Keinen
^raub: ^ie ©egenroart beS (S^otteiSteid^ zc 65
Slnfängcn unb großen ßidcn, fonberu barum ^anbelt, ba& ber
gortfc^ritt oon icnen ju bicfcn burc^ eine immanente ©ntroicflung
oermittelt ift. 5)a§ bie ©ntmirflung eine (angfame, 3ö^tf)unberte
unb 3!a^rtaufenbe (angc fein mcrbe, \>a^ allerbtng§ fann axi^ ber
SSergteic^ung ni^t gefolgert werben. Ueber bie längere ober fürjere
3)auer ift i^r überhaupt nic^t§ gu entnehmen. 3Iber bie ®utn)ic!*
lung felbft Iä§t ftc^ nic^t wegbringen. ®er apotalr)ptifc^e ®otte§*
reic^^begriff ift bamit nic^t oereinbar. ^n bem aWoment, in bem
;3efu§ bie ©enftomparabel gefproc^en ^at, fann er ba§ SReic^
@otteS ni^t guglei^ aB eine rein tran^fjenbente ®rö^e gebac^t
^aben, bie am ®nbe ber läge burd) ein SlQmac^tgmunber ©ottei^
in bie ®rfc^einung tritt. (Sin fot^e^ kommen reigt jeben gaben
einer @ntn)ic!(ung ab, tann alfo nic^t jufammengebac^t werben
mit einer 93orftettung, für meldje gerabe ber ®ntn)idlung§gebanfe
c^araJteriftifc^ ift.
®arau§ folgt aber fofort no^ ein SBeitere^. gragt man
nac^ bem -^n^alt beffen, maS ^efuS mit bem gegenwärtigen ©ot^
te§rei(^ gemeint ^at, fo tann berfelbe nii^t im ©ieg über bie
a^ämonen befielen, wie ajjt. 12,28. a)enn biefe SBorfteHung fte^t
in Korrelation jum e§d)atotogifc^en Segriff be§ ®otte§reic^§, ber
^ier eben oertaffen ift. 9lu^erbem ^ebt SB e i ^ felbft l^eroor, ba§
folc^e SBorte, wie 9Jlt. 12,28 ^ö^epunfte prop^etif^er Segei*
fierung barftelten, benen man nur gerecht werbe, wenn man fie a(§
Sleu^erungen pneumatif(^er ©tftafe ju begreifen fu(^t. ®a^ pa^t
aber auf bie Parabeln nic^t. SBo^l ift e§ ein gro§e§ unb fieg==
^afte§ 93ewu^tfein, ba§ au§ i^ncn fpric^t. Slber bie Stimmung
ift bie einer ruhigen ©ic^er^eit unb Klarheit, nic^t efftatifc^e ®r*
regt^eit. 5^agt man aber, wa^ benn bann pofttio ber ^n^alt
be^ ©otte^reic^^ fei, fo oermag id) ben oerpönten ©ebanten nid)t
ganj abguweifen, 3>cfu§ ^abe an bie 93erwirtlic^ung ber ©otteS^^
^errfc^aft in feinem <3üngerfrei§ gebac^t. 3)a§ ift wenigftenö eine
©rö^e, oon ber o^ne S^^ang behauptet werben fann, ba§ fie fid)
entwidelt, ba§ fte wäc^ft unb ba^ fie oon einem ^^^uftanb ber
3KangeI^aftigfeit ju einem ^wP^nb ber SBodenbung ^inangefüt)rt
wirb. 3)entt man an ba§ tran^fjenbente ©otte^reict), fo bebarf
e$ feines 93eweife§, ba^ oon einem 2Bad)^tum besfelben im ©ruft
Beitfc^rift \üt Z^eologie unb jttr(^ 15. ^a^rg., i. ^rft 5
66 2 r a u b : ^ic ©cgcniDart bc8 C^ottcSrcic^g JC
nic^t bic SWcbc fein tann. SRcbet man aber üon einem „Kompicf
von ©roigtcit^gütern, bie ja immer größerer 3Jläc^tigteit auf*
roai^fen" (^aupt, bie eS^atologif^en 2(u§fagen ^cfu, ©. 73),
fo oermag ic^ mir barunter nic^tö S)eutU^e§ oorjufteKcn. (S§ ift
boc^ roo^l nic^t o^ne ©runb, ba^ felbft ^ ü l i c!^ e r fic^ ben ©a§
ent[d)(üpfen lä^t: „mag xt)äi}% ift uic^t ba§ SQBort, fonbern fmb
gläubige üKenfc^en, unb bie bilben eben in i^rem 3wfömment)ang
mit bem üWeffia^ ba§ Himmelreich, ober oielmet)r fie fangen an,
e^ ju beoöltern ; i^rc 3una^me ift fein SDSac^fen." (II. ©. 577.)
aWan fann t)iegegen ni^t einmenben, mit ber ©egenmart be§
SRcic^eg @otte§ })abt ^efu§ jebenfaU^ irgenbmel^e verborgene, ge-
l^eimni^oolte SBorgänge anbeuten mollen. „@§ muffen 3)inge fein,
bie nid)t fo auf flacher ^anb liegen, ba§ fie jebem otine meitereö
ttar ftnb. ®§ fann alfo j. 33. nic^t bie Sammlung eineS SÄn*
l^ängertreife§ , e§ fann auc^ nic^t eine beutlid) erfennbare neue
©ittli^feit fein. ®§ mirb fic^ um SSorgänge l^anbeln, bie bem
blöben 9luge ber ©egner überhaupt »erborgen bleiben, mä^renb
fie bem Sluge be§ ®lauben§ beutlic^ ftc^tbar fein fönnen." SBci^
©. 88. ®emi§; nur brau(^t man be^^atb nic^t gleich an 3)ämonen ju
benfen. 3)ie Sammlung einer 3lnt)ängerfc^aft ift freiließ etroa§ fe^r
auf flacher ^anb liegenbeS ; aber ba§ biefe tleine ärmliche Sln^änger^
fd^aft al§ Slnbru^ be§ 9leid)e§ @otte§ gemertet mirb, ba§ ift eine
fo gemaltige "ißaraboyie, ba^ nur ber tü^nfte ©laube fie ju faffen
Dermag.
® ie ©auerteiggparabel nehmen 3B e i ^ unb Q ü-
lieber mit ber Senf fornparabel al§ oöHig gleic^bebeutenb ju--
fammen. 2luc^ bei i^r fei ba§ tertium comparationis lebiglic^
ber ©egenfa^ be§ fleinen 3tufang§ unb be§ großen ^kU. SDSenn
man noc^ irgenb eine anbere 9lüancierung be§ ®ebanfen§ au§
ber Parabel heranriefen moHe, fo fei bie§ lebiglic^ ein noc^ un*
übermunbener SReft ber atlegorifc^en 9Wet^obe. !^d) fann mic^
^ieoon n\6)t überseugen, l^abe vielmehr ben ®inbrudf, ba§ ^ier
aug 2lngft oor bem Slllegorifiereu ber einfa^e unb ri^tige Sinn
ber ^arabet oerfe^lt mirb. ®ie ÜWeinung freiließ, im ©enfforu^
gleid)ni§ foUe bie ejtenftoe, im Sauerteig^gleid^ni^ bie intenfioe
Ä'raft be§ Himmelreichs bargeftellt roerben, bürfte fid) fc^mertid)
3: r a u b : ^te ©egenroart be;^ ^otteSreic^S zc 67
galten laffcn. 3)iefcr ©c^cin cntftc^t boc^ nur baburd), ba^ beim
©oangcüftcn SWatt^äu^ bcibc ®(cic^ntffc unmittelbar nebencinan^
berfte^cn. Slber 3«fu§ f)at beibe fc^merti^ in einem SÄtemjug ge-
fproc^en. 2lud^ ^ot er, aliS er bie ©cnftomparabel üortrug, nidjt
blo^ bie quantitatioe SluSbreitung, fonbern and) bie qualitatiuen
SBirtungen be§ @otte§reid)§ im ©inne gefiabt. 2)amit ift jene
©egenüberftellung ber jmei Parabeln bereits a(§ irrig ermiefen.
3BaS bagegen bie ©auerteigSparabel für ftc^ betrifft, fo glaube
ic^ nic^t, ba§ e8 blofe irregeleitete^ 9tllegorifteren ift, wenn man
etmaS anbere§ als ben me^rfad) ermähnten Äontraft barin finbet.
33ielme^r fc^eint fi^ mir ein fotc^eS SRefultat gerabe bann ju er*
geben, wenn bie ^arabel lebiglid) al§ Parabel genommen roirb.
93ei jeber ^arabel ift bie erfte Slufgabe bie, f\6) flar ju machen,
roaS na^ populärem SSerftänbniS baS eigentlid) ©^aratteriftif^e
an bem im 93ilbe gefc^ilberten SBorgange ift. 3)aS ift aber im
oorliegenben gatle boc^ o^ne 3n)eifel bieS, ba^ ber Sauerteig bie
3We^lmaffe burc^bringt unb umfc^afft. Qm Sßergleid^ bamit ift
baS anbere, ba§ ber Sauerteig juerft ein tleineS ^lümpc^en ift
unb jule^t burc^ ben ganjen 2:eig ^inburd)ge^t, fetunbär. @nt*
nimmt man fomit ba§ tertium comparationis bem, roaS ba§ 6^a^
rafteriftifc^e beS SilbeS ift, fo ergibt fic^ bie alte populäre 2luS*
legung al§ bie rid)tige: 3B3ie ber Sauerteig baS 9Jle^l, fo burc^*
bringt baS SReid) OotteS ba§ 9Wenfd)enleben. 2Ba§ nä^er bamit
gemeint ift, ob ^t\xi^ an ba§ Seben beS ®injelnen gebai^t l^at
ober an bie 3uftänbe beS SBolfSlebenS, ba§ tonnten mir nur bann
fagen, menn mir ben 3lnla§ unb bie Situation müßten, in ber
3fefuS ba§ Oleic^niS gefprod^en ^at. ;3uroien)eit au^erbem no^
ber gortfc^ritt oon fteinen SJlnfängen ju großen ©rfotgen oon
OefuS auc^ in biefer ^arabel mitgebac^t ift, möi^te id) nic^t ent^
fc^eiben. ®ineS aber ift ^ier noc^ beutlic^er als in ber Scnfforn-
parabel, ba^ nämlic^ ein in ber irbifc^en ®efd)ic^te ft^ DoHjie^en-
ber, geiftiger ^roje§ gefc^ilbert mirb, alfo gerabe ba§, maS3Bei§
aus bem 9leid)SgotteSgebanfen 3^cfu entfernen mill. StidjtS ba»
gegen möchte ic^ mieberum barüber auSfagen, meiere tonfrete Sor*
ftetlung oom 9leid) ®otteS ^ier ma^gebenb ift. 3lm näc^ftliegen^
ben märe eS mol^l, mit §aupt an einen ^ompley oon ©ütern
68 3: r a u b : ^ie ^egenmart beS ©otteSreic^S sc
unb Äräften ju bcnfcn, bcr ba§ SQBettlebcn „burd^briugt". Slbcr
auSf^Hegcn möchte id| ani) ben Oebanfen nidit, ber fid) beim
©cnf!omg(ci^nt§ am näd^ftcn legt, ben ©ebanfen an ben 3ü"9^^=
fvet§. Ober tonnte Q^^M feine Slntiänger ni^t ebenfogut einem
Sauerteig Dergleichen, wie er ju i^nen fagte: i^r feib ba§ Satj
ber erbe unb ba§ Sid|t ber SBelt?
3)ic ©aatparabet be§ SWc. 4,26 ff. ^at man früher
Dielfa^ mit ber Untrautparabel be§ SJlt. fombiniert unb bie eine
au^ ber anberen abgeleitet, entmeber jene a(§ 33erfürjung au§
biefcr, ober biefe al§ ©rmeiterung au^ jener, steuere ^orf^er
fmb barin be^utfamer geworben unb ^aben bie ^o^c Originalität
jum minbeften ber 9Jlartu§parabe( anertannt. 3)ie Untrautparabel
be§ 9Äatt^äu§ bürfte aüerbing§ in i^rer gegenwärtigen ^^rm eine
ftarte Ueberarbeitung barfteÜen, aber nid)t etma ber 9}lar!u§pa«
rabel, fonbern eine§ felbftänbigen auf 3efu$ jurücfge^eubcn Sßaxa*
bettem§. äBoüte mau bie SJlattl^äu^parabel aU ©rmeiterung ber
9Warfu§parabel begreifen, fo mügte man annetimen, bag bei ber
(Srmeiterung gerabe bie ^ointe be§ 9Wartu§: ©elbftänbigteit be§
aSBac^^tum^ üerloren ging, bagcgeu bie ^ointe bc§9Wattt|äu§: ®egen-
fa^ pon Unhraut unb äöcijen ^injumud)§. 3)ie Originalität
ber 9Warfu§pavabel mirb aud) uon ^. SBei^ anertannt; boc^
glaubt er aud^ ^ier bie „@ntimrflung§tt)eorie" fernhalten ju muffen,
mä^renb auf biefem ^uutt 3 ü I i d| e r ben fd^on ermät)nten aÜe^
gorifterenben SRürffaü erleibet. 9]a^ i^m foß nämli^ bie 'ißarabel
„an ber 9lotmenbigteit, roie auf bem Jelbc bei ber ©aat e§ Pon
Stufe ju Stufe uorroärtS get|t, bie unerf^ütterli^e SRotmenbigteit
bemonftrieren , mit ber aud) basf ^immclreid^, gleic^uiel ob bie
SWenf^en i^m ben $Rüden teuren ober ftc^ ju it|m bräugen, ob
fie i^m Reifen ober e^ befe^ben, fi^ meiter entmicfelt unb immer
weiter, bi^ ba§ ßiel errcid^t ift." II. ©. 525. äöei§ meint
bagegen, bei biefer ©eutung werbe ba§ 3Bac^§tum ber 5rud)t afö
ba§ eigentlid^ aSBefentlidje fo ftarf betont, bag barüber bie mit
fooiel Siebe in ben Sßorbergrunb gefteßte ^erfon be§ 2anbmann§
§u wenig beachtet werbe. ©. 48. 3)aö logifc^e Subjett beS
ganjen ®organg§ fei überhaupt nid)t ba§ Samentorn, fonbern
ber 93auer unb ber Sinn berfelbeu fei bemgemä^ ber: „wie ber
^ r a u b : ^ie ©egenmart beiS ©otteiSreic^iS ic 69
Sanbmaim nad) üoüjogener ©aat nur warten fann unb bic ffint*
ipicKung be§ Äornö fic^ felbft übcrlaffen mu^, bi§ bie SReife ber
5rud)t ben Scrmin ber Srnte anjetgt, roic er ni^fö üon bem
^^c^s^tumigpro)eg uerfie^t unb in feiner SBeife i^n )u beeinfluffeu
imftaube ift, fo tanu niemanb, au^ ^t^n^ nid)t, baS Sommen
be^ 9leid)e^ @otte^ bur^ felbfttätige^ ÜWitanfaffen herbeiführen.
6«; tommt, luenn nac^ @otte$ ©ißen feine 3«it i>o ift. 35aS
@(eid)ni^ ma^nt }u gebutbigem äBarten unb n^arnt vov roidfür-
liebem @ingreifenipo0en , e$ antwortet nic^t auf bie t^eotogifc^e
grage: u)ie tommt ba§ SReic^ @otte§? fonbern auf bie brennenb
ungcbulbige: wann tommt e§? tann man nid)t etroaS tun, ba$
e^ fc^ncKer tomme? 93ieUeid)t menbet e§ fic^ gerabe roie 3Kt. 11,12
gegen bie ßtaarat, tt)eld)c bas^ ^imme(reid) f)erbcijroingen, oom
^immel ^erabrei^en möchten." ^ier ermedft junäd)ft ber ©a^
©ebenfen, bo§ ni^t ba§ ©amentom, fonbern ber 33auer ba§ burc^
ba§ ganje ®Ieic^ni§ l^inburc^ge^enbe logif^e ©ubjett fei. ®em
;,mit fooiel Siebe in ben äJorbergrunb gefteßten fianbmann" möchte
ic^ ba§ mit fo ftc^tüc^em 9lac^brurf in§ 3^"*^*"^" gerürfte aöTO|iocTTj
cntgcgenfteßen unb gerabe umgete^rt behaupten: 3)ie ©^ilberung
bc§ SBauern unb fcine§ 9tic^teingreifenfönnen^ ift nur SKittet um
jene§ aOxoiiaTT) umfo einbrürflic^er ju ma^en. @o oon innen
^erau^, fo <i\x^ eigener ^raft gel^t ba§ SBBac^ötum oor fic^, ba§
ber aWenfd) eben ni^tö tun tann, al§ warten. Sltlerbingg ift —
ba§ mu§ jugegeben werben — ber @^Iu^oer§ ber ^arabct o. 29
in feiner gegenwärtigen S^ffung ftörenb, aber boc^ nic^t unoer*
ftänblic^, wie ber 93er§ in ber Ucbertieferung ^injuwa^fen tonnte,
jumal bei einem @oangeliften, ber bie ganje ^arabel aU 9(Qegorie
na^m unb in biefer oermigtc, waö i^m am meiften am ^erjen
lag: ben ^inwei^ auf bie ^^Jarufie (ogl. 3 ü l i d) e r II. ©. 544 f.).
®ibt man alfo ju, ba^ nid|t ber 93auer, fonbern bie ©aat ber
eigentliche ©egenftaub ber ^arabet ift, fo ift bie Äonfequenj nid^t
JU umgeben, ba^ I)ier eine immanente (Sntwicftung be§ ©otte^^
reic^s^ behauptet wirb.
Stber au^ wenn 3B c i | mit feiner 33e^auptung, ber 3)auer
fei ba§ logifc^e ©ubjett, 9te^t t|ätte, ergäbe fic^ boc^ biefelbe
Äonfequenj. :3efu§ fofl bie Ungebulbigen gewarnt ^aben: la^t
70 2; r a u b : 3)te ^cgenroart bcä ®ottc§rci^§ :c.
euer ©türmen unb 3)rängcn, c§ I)ilft boc^ nid|t§; bentt an ben
Sanbmann, ber juerft fät, julct(t erntet im übrigen aber bie ©aat
ft^ felbft übertaffeu mu^. 2lber ein foldjer ffiergtei^ bürfte
ben (Stürmern fc^merli^ oiet ®inbrucf gemalt ^aben. ©ie tonnten
fagen, bajj natürli^ ein 93auer nic^tö tun tonne, aU roarten;
aber anber§ fei e§ bei i^nen, bie e§ mit bem SHeic^ ®otte§ ju tun
Ratten. Ober oielmeI)r, menn i^nen fol^e ©inmänbe nic^t tamen,
fo mirb bie§ baran gelegen ^aben, ba& ba§ öjaoiov ber ^arabel
eben no^ me^r in fic^ f^Iog, alö bie Unmöglic^teit be§ ^ingrei*
fen§, nämlic^ au^ bie Urfad^e biefer Unmögtt^teit, bie barin tag,
ba^ ba§ aöxo|AaT7) im SReic^ @otte§ ebenfo gilt, mie auf bem
©aatfelb. 3)ann unb nur bann ift ber SBergleic^ überjeugeub.
3)e§l^a(b ift ba§ ^tac^^elfenmollen gteic^ finnloö beim 9teic^ ®otte§,
mie bei ber ©aat, meil beibe i^r eigene^ aBad|§tum I)aben. Sa»
bei mag c§ ba^ingefteßt bleiben, ob bie SRebe it)re ©pi^e gegen
©türmer unb 3)ränger te^rt, bie jur ©ebulb ermahnt werben
fotten; fie tann fic^ ebenfogut an SSerjagte roenben, benen ^efu§
burd) fein ®lei^ni§ ben SKut ftärten moUte. 3)a§ SRefuItat, bag
üon einer immanenten ©ntmictlung bie Siebe ift, bleibt beibemal
ba^fetbe.
Slber gerabe biefer ©ebante einer „immanenten" ®ntmid(ung
wirb au^ nod) oon anberer ©eite in 3lnfprud) genommen. 33ei
@. ^aupt ©.81 lefen mir: „2lUerbing§ roirb ja in aÜen ®(ei^»
niffen, bie ben 93erg(eid) mit einem Samen enthalten, am meiften
bem t)om felbftma^fenben ©amen Wie. 4, 26, ferner in ben ®lci^^
niffen üom ©enftorn unb ©auerteig, oon einer ©ntmirftung ge*
rebet, aber ber 9tac^brud liegt nie barauf, ba^ oon fetbft,
bur^ einen 9t a t u r-^roje^, ba§ fd|lie^(i^c SRefultat ^erau^tommt."
Slber 9Wc. 4, 28 I)eij3t e§ bo^ mit aüer münf^en^merten 3)eut(ic^*
feit: aÖT0|iiT7) t^ yi] xapnocpopet unb auf biefem aÖTojiaTTj
liegt ba^ ^auptgemid^t ber ganjen ©djilberung. 3Bie man ange«
fid)tg beffen baö „oon felbft" beftreiten tann, t)erftef)e i^ nic^t.
93ei ^aupt bürfte fid^ bie 93eftreitung barauf ertlären, ba§ er
ba§ „oon felbft" fofort mit bem „5taturprojeJ3" ibentipjiert. 3tber
ba§ ift oorcitig. ®er „oon felbft" oor fid) ge^enbe ^roje^, ber
auf bem -Jtaturgebiet ein ^laturproje^ ift, ift natürli^ auf geiftigem
2:raub: Die Gegenwart ht& @otte§reic^g 2C. 71
©ebict ein geiftigcr ^rojc|. SBBcnn bann ^ a u p t bcn oben be*
gonnenen Sa^ fo fortfe^t: „fonbcrn teils, unb jmar gevabe in
bem ®(eic^ni§ ajlc. 4,26, barauf, ba^ bie göttlid^c Äaufali»
tat, bie ben Samen fäet, au^ geroi§ i^n jur 2lu§bilbnng gelangen
laffen tann, o^ne ba§ m e n f c^ l i ^ e e; 93emü^en baju nötig ift",
fo beruht bie§, roie mir fd^eint, auf einer unjulägigen ^fneinan*
bermeugung üon ©a^e unb 33ilb. aSon einer göttli^en Äaufa»
lität, bie ben Samen fät, fagt ber Seyt fein SBort; fonbern „ein
ÜWenfc^" ftreut ben ©amen au§ unb ber ©egenfat) beS 33i(be§
ift nic^t ber üon menfd)Iic^em 93emü^en unb gÖtt(id)er Äaufalität,
fonbern üon menfc^lid)em ©emü^en unb immanenter 9kturfraft;
biefem ©egenfa^ be§ 93i(be§ entfprid)t in ber ©ad|e ber ®egen*
fa^ üon menfd)lid|em ©emü^cn unb immanenter ©otte^fraft.
6§ roitt alfo auc^ ^ier nid)t angeben, ben ©ebanfen einer
©ntmirffung ju eSfamotieren. SBenn QefuS mirflic^ bie brei ^a^
rabeln oom ©enfforn, oom Sauerteig unb ber felbftn)ad)fenben
Saat gefproc^en ^at, fo ^at er babei ben ©ebanfen einer irbifd)cn
(Sntroicllung beS ®otte§reid|§ im Sinne gehabt, g^eilid) fte^t
baneben ber rein tranSfjenbente 33egriff, unb jmar nimmt er quan-
titotio ben breiteren 9laum ein. SIber mir l^aben fein 9te^t,
beS^alb bie anbcre SJorftedung auSjuf^eiben ; üielme^r ^aben mir
einfa^ bie 2:atfac^e anjuerfennen, ba& beibe 93orftelIungen in ber
•ißrebigt 3efu nebenanberfte^en unb ein einbeutig beftimmter 93e5
griff be§ ®otte§reic^§ bei i^m nic^t uor^anben ift.
®S ift aber nocb ein anbere§ $arabe(paar, ba§ fic^ ber e§*
d)atologifc^cn 3)eutung be§ ®otte§rei^§ nid)t fügen roid. 3)en
Sc^atj unb bie "ißerle möchte ic^ in biefem ^ufammen^ang
nic^t aufführen. |)ier ift fo beutlid) ber atte§ überragenbe SBert
beS ®otteSreid)S ber SSergleic^ungSpuntt, ba^ man nic^t ermarten
barf, noc^ irgeub einen anberen ätuff^tu^ aber baSfelbe ju er^
galten a(§ eben ben, ba| ein SWenf^ bereit fein mu^, aüe anberen
®üter um be§ ®otteSreic^§ mitten branjugeben. 3)iefc§ äBertur»
teil uer^ält ftc^ aber oottftänbig neutral ju ber t^rage, ob bai^
@otte$reid) eine gegenmärtige ober eine jutänftige ®rö^e ift. ^2(u^
im letzteren gatte befte^t e§ ju SRec^t. SBenn freiließ 333 e i g au§^
brürflic^ betont, ber SSorgang werbe in ben ®leic^niffen fo ge^
72 Zxanh: %iz (Gegenwart be^ ©ottegreic^ö k.
fc^ilbcvt, ba^ um ciue§ nod) fernen ®ut§ rotßen alle erbent*
(id)cn Opfer gebraut werben muffen, fo roitt mir faft fc^einen,
qI§ ob auc^ er ^ier einen oüegorif^cn SWüclfaH erlitte. Ob ba§
®ut ein na^e$ ober fernem ift, ba§ ift im Sßerglei^ mit bem SBert^
gebanten, ben bie ^arabetn auSfprec^en moUen, oöüig gleichgültig.
Qn beiben "^ali^n gilt e§ um feinetmiKen aüe§ anberc ju opfern.
9Iuc^ barouf möchte i^ fein ©emic^t legen, ba^ bo^ $imme(reid)
^ier aU ein ®ut erfc^eint, bQ§ ber ©injelne crmerben foK. Qx\§
tünftige®otte§reid), fönnte gefogt werben, fommt man l^inein ober
nimmt an i^m teil, aber man ermirbt ober beft^t e§ nic^t. @§
fd^eint alfo ber formale ©egriff be§ „3ieid)§" überhaupt oerlaffen
unb ber eine§ ®ut§ für bie einjelne Seele an feine Stelle ge«
treten ju fein. 2lber jene 2lu§brud§meife fann au^ nur populäre
^reoiloquenj fein. 3Kan fagt Himmelreich unb meint bie 2:eil^
na^me am ^immelreid^. ^f ö l i rf) e ^* "^i^b 5Hecf)t ^aben , menn
er fagt: „wie iebermann um eine^ großen ®lüc(^gut§ mitten (§. ^.
©d^a^, ^erle) bie Heineren alle jufammen gern unb freubig ba^
Eingibt, fo mu^ ber SWenf^ um be§ ^immelrei^ö miHen, b. ^.
um ba hinein ju gelangen, auf alle§ anbere oerjidjten."
IL @. 583. Slucf) ift ja allgemein jugegeben, ba^ au§ ber granu
matifalifct)en gorm ber @inleitung§formeln fein @d)lu| auf bie
logif^e Orbnung ber 93egriffe in ber "ißarabel gejogen merben
fann. SBenn e§ ^ei^t: „ba§ Himmelreich ift einem ©c^af^e äf)n=
lic^, ber im 3lrfer oerborgen mar", fo folgt barau§ nic^t, ba^
nun ba^ H'^^^^f^«*^ ^^^W wnter bie Kategorie eine§ Sc^atje^
ober eine§ ®ut§ geftetlt merben foU. 2)ie näd^fte ^arabel beginnt
ja: „SHJiebrum ift ba§ Hi"^"^^'^'^^) ä^nlid^ einem Kaufmann".
Hier märe eine analoge ©c^lu^folgerung a\\^ ber grammatifali^
fd)en 5otm abfurb. Sßielme^r fmb jene Sinleitung^formeln etma
JU umfc^reiben: im H"""^elreic^ ge^t e§ fo unb fo ju, mie in
ber ©efc^ic^te uom ©c^a§ unb oon ber ^erle.
dagegen finb e§ bie Unfraut^^ unb gif ct)ne t^parabel,
meldte ber e^^atologifc^en g^ffung be§ Hi"^"^^^^^^^^ entgegen*
fte^cn. ®ö ift auffallenb, ba^ SBeig fic^ nirgenb§ in feinem
93uc^e mit biefen ^ßarabeln auSeinanberfe^t. ®r rebet immer nur
oon ber fefunbären 9)latt^äu§rebaftion, in ber beibe überliefert
Staub: 5)ie ^egenmatt bcS ©otteörcic^S ic 73
fmb, roirft ober nie bie %xaqe auf, ob ni^t ber fetunbären ©e-
arbeitung ein originaler Äern ju ®runbe liegt. Unb bod) lä^t
ftc^ taum annehmen, ba^ bie Parabeln al^ ®an}e§, aud^ i^re
©ilb^älfte, oon @uangeliften erfunben roorben wären. 3)ie 3)eu*
tung ftammt mo^l oon i^m nnb mag oielfac^ auc^ bie (Raffung
be§ %i(be$ beeinflußt l^aben. 3Iber bog ^ilb fetbft i^m ju}u^
fc^reiben, ^aben n)ir fein SWedit. ^at aber 3f^fu§ roirttic^ einmal
ba$ ^immelreid) mit einem 2lc(er oergli^en, auf bem Un!raut
unb aOBeijen nmdift, unb mit einem ^ifd^ne^, in bem gute unb
faule Sif^ß Pnb, fo ift flar, ba| er bamit nur bai8 ^immelreid)
in feiner irbifc^en (Sntroidflungöftufe gemeint ^aben tann; benu
nur bei biefem trifft e§ ju, ba^ neben ben guten auc^ böfe ®te*
mente fmb. gerner ift flar, baß ba^ ^immelreid) in ber ©emein-
fc^aft ber 3Menfd)en fid) barfteHt, bie baju gehören; biefe fmb
normaler S33eife gute ÜWenf^en; aber bie Unoolltommen^eit alle§
5irbifc^en bringt e§ mit fic^, baß auc^ böfe baruntcr finb. So
ganj o^ne allen ejcegetifc^en @runb ift alfo bie ^Jleinung bod)
nic^t, baß Sefu§ ben Slnbrud) be§ @otte§reid^8 im Äreife ber
9Reffia§gläubigen ertannt i)abt, 3)aß er ba§ ®otte§rei^ immer
fo oerftanben \)ab^, bel^auptet niemanb. 3)aß er e§ auc^ fo ge-
bockt i)at, fd^eint mir burc^ bie Parabeln oom Senftom, oom
Unfraut unb oom 5ifd)ne^ bemiefen ju fein.
211« 31. JRitfc^l ben überaus frud)tbaren ©ebanten bes
@otte§reid)§ jum 2lufbau feine« t^eologifc^en Sgftem« oermcrtete,
machte i^m bie jeitgefc^i^tlic^e 93ebingt^eit biefe« ©ebanten« in
ber SBertünbigung Qefu menig Sorge. @r befinierte ba« 9leid)
©otte« al« bie ©in^eit be« ^öd)ften ®ut« unb be« fittlic^en -^beals
unb mar überjeugt, bamit aud) ben Sinn be« 9lu«brucf§ bei O^fu«
getroffen ju ^aben. Qa er glaubte fogar au« ben ®leic^niffcn
^erau«julefen, baß ba« JRei^ ®otte« burd) bie fittlid^e 2lrbeit ber
9ieic^«genoffen ju ftanbe fommt. „3)ie ®leid)ni«reben (üJic. 4),
meiere bie ®el)eimniffe be« 9leic^e« ®otte« barftetlen, inbem fie
in ben ©itbern oom aBac^«tum be« ©etreibe« u. bergl. fic^ be^
wegen, beuten unter ber 5rud)t immer ein ^robuft ber 9Wenfd)en
74 ^ r a u b : ^ie @e9enn)art beS Q^otte§reic^§ 2c.
an, roelc^c^ au§ beten Selbfttätigfeit I)eroorgc^t, bie bur^ bie
göttlid|c ©aat, b. \). ben eintrieb beS göttlid)en OffcnborunggroortS
t)erüor9erufen roivb." (Unterricht. 3. 2luf(. @. 3.) 3)q§ ift nun
freilid) fo jiemlid) ba§ ©egentcil von bem, n)Q§ fpejiell bie ©aat-
parabel be§ 9Wc. 4,26 fagcn mü. 3)enn i^rc aWeinung ift, lüic
wir gefc^cn ^aben, gerobe bie, bag bie 9Jlenfc^en nid)t§ boju tun
tonnen. Ob nid)t ber ©ebante SR i t f d| ( § in anberen 3leu§erungen
Qefu bod| feinen 3tn^Q(t ^at, tann l^ier ba^ingeftettt bleiben. Qt-
benfattg war fein ganje^ ^ntereffe üon ber bogmatifc^en SBerroert^
barfeit ber ®otte§rei^§ibec fo gefeffelt, ba| bie rein t)iftorif^e
?^rage, roaö ^t^n^ mit jener Qbee gemeint ^abe, i^m ni^t in i^rer
üotten 2:ragmeite jum 93emu^tfcin tom. ^eute fommen mir Ieid)t
in bie entgegengefe^te ®efa^r. ®erabe bie bogmatifd)e 93ermertung
mac^t gegen jebeö SWefultat ber ^iftorif^en Unterfu^ung, melc^e§
jene SBermertung begünftigt, mi^trauifc^. Um jeben ©d^ein bog«
matif^er SBoreingenommenl^eit ju oermeiben, ift man geneigt, einen
folgen ©inn ber 5Reic^§gotteöibee, mel^e fie ber mobernen 2)eu5
tung annähert, oon t)ornt)erein abjute^nen. 5)aju tommt ber
ftarfe Sinbrucf ber reIigion§gefd^ic^tIi^en S^rfc^ung, meiere ben
35Iic( für bie roeitreic^enbe Uebereinftimmung be§ eDongetifc^en unb
be§ apofalgptifc^en 93egriffe§ in überrafd)enber äBeife gefc^ärft ^at.
3tber meber biefe^ ^iftorif^e noc^ jeneS bogmatifd)e btiw. antu
bogmatifc^e üJiotiu barf un§ ben 33lid für bie Satfa^e trüben,
ha^ nac^ eyegetif^em 93efunb bei Qefu§ beibe aSorfteÜungeu üor*
Rauben fmb, bie apofalriptif^e unb bie geiftige. 33eibe tf)eoretifc^
gegeneinanber au§jug(ei(^en, (ag nid^t in feinem 93eruf. ©eine
ganje ©eele ^ing an ber praftif^en Stufgabe, 3Kenf(^enfeelen für
@otte§ Sleid) ju geminnen. ®ar nichts (ag i^m an ber 3luf*
fteUung eineö t^eoretif^ unanfechtbaren 33egriff§.
©in bogmatifcl)e§ :3ntereffe, biefe§ 9lefultat feftjufteUen, liegt
meinet ®rac^ten§ nic^t oor; jebenfallö glaube ic^ e§ auf rein eye*
getifcl)em 3Beg gemonnen ju l)aben. 3)a§ innere Seben ^efu fönute
auc^ bann gunbament unfere^ @lauben§ fein, menn feine 2lnf^au^
ung oom SHeic^e ®otte§ au^fc^lie^lic^ e§cf)atologifcl| beftimmt märe.
3)ie fgftematifc^e 2:^eologie mü§te bann entmeber auf ben 93egriff
oerji^ten, ober oor feiner Sßerroenbung au^brücflic^ feftftellen, i>a^
2: raub: ^tc ©cgcnioort be8 ®ottcäretc^g :c. 75
ftc i^n in einem burc^au^ neuen ©inne gebraucht. 93eibe§ wäre
mögli^, o^ne bie fiö§barfeit ber fgftematif^en Slufgabe in Jragc
ju fteßen. ^ft obev ba§ gewonnene SHefuttat ri^tig, fo folgt,
ba^ aud) bie moberne 93ern)enbung in ber ^rebigt Q[efu einen
3ln^a(t ]^Qt. 2lu^ 91 i t f c^ l l^at bann nic^t fo ganj fel)lgegriffen,
roenn er aud) über ba§ 3Wa§ ber Uebereinftimmung jroifd^en
bem urfprünglic^en ©inn unb ber mobernen ffierroenbung be^ 93e*
grip fxd) getaufc^t f)at.
76
95on
^rofcffor Lic. Dr. SBoiietmtii.
Sie ©cfc^i^te ber proteftantifc^en 2:^eolo9ic ber (ct(tcn 100
Oa^ve (ä^t fic^ um jroei ^auptioerfe gruppieren, roetc^c bie roid)-
tieften ÜWorfftcinc it)rer ©ntroirfelung repräfentieren : ©^Icier:=
mac^erg @(aubcn§(el)re au§ bem Slnfong be§ abgelaufenen 3a^r*
]^unbert§ unb ^arnacl§ ©ogmengef^i^te au§ ber ©nbjcit be^-
felben. ^n ber c^arafteriftifc^en ®igentflmli^feit biefer beiben
standard-works tritt jugleid) bie 9}erf(i^iebenartigteit ber entfpre-
c^enbeu ©pochen t^eologif^er 2lrbeit beutlic^ ju Jage. S)enn
roä^renb in ©c^Ieierma^er^ ®lauben$let|re baö fgftematif^^P^f"'
latipe 3>wtc^cffß ^ö^ bur^au^ t)ort|errfd)enbe ift, be^errfc^t ebenfo
auöf^laggebenb in ^amacl^ 3)ogmengefc^i^te ba§ ^iftorifc^e Qn-
tereffe bie t^eologifc^e ©efamtauffaffung unb ©efamtbeurteilung,
\\\6)t etwa nur bie 93eurtei(ung ber gefd)id)tli^en ©injeltatfac^eu
unb ber gef^i^tli^en ©injeteutroirflungen. ^nhtm wir ba^er biei^
ißer^ältnig ber beiben epoc^emac^euben SBerfe su einanber l^erau^-
[teilen, ertennen roir bamit jugleic^ bie 3lufgabe ber J^eologie
für bie ©egenwart unb für bie näc^fte ßufwnft: bie Stufgabe
nämlic^, auf ber ©runblage einer befferen t)iftorif^en (Sinfic^t in
bie Slnfänge unb bie gefc^ic^tlic^e Sntroicflung ber c^riftlic^en SRe-
ligion, al§ fie bie 3^it @d)leicrmac^er§ befa^, wieber eine um=
faffenbe c^riftlic^^religiöfe ©efamt-SBeltanfc^auung }u erarbeiten,
um bie fic^ unfere 3^i^ i^ur in fe^r geringem 9Jla&e bemüht ^at.
3Bieberum aber ift e§ au^erorbentlic^ c^aratteriftifd), ba^
ffiobbermin: äoifp contra |)antacf . 77
gerabe ber gro^c SWeiftcr ber Äirc^cngefc^ic^tc — beraubt ober
unben>uJ5t — mit baju beigetragen ^at, weiteren t^eoIogifd)en
Ärcifen bic 9totn)enbigteit unb ^ebeutung einer fi)ftematif^=p^i*
lofopl^ifc^en 93earbeitung ber ^riftli^en Sieligion auf§ 9teue jum
'öeroultfein ju bringen, inbem er felbft bic ©runbjügc einer fotc^en
entworfen ^at. S)cnn ba& feine unter bem 2:ite(: „3)a§ SHJefen
be^ ®^riftentum§" herausgegebenen 93orIefungen eine folc^e äBir-
fung ausgeübt l^aben unb fortbauernb ausüben^ bürfte ni^t me^r
bejroeifelt werben tonnen, n)ennfd)on bie in biefer SRic^tung tie*
genbcn SSerbienfte be§ oiel befproc^enen 93uc^c§ bi§t|er taum, je*
benfaU§ nic^t l^inreic^cnb ^eroorge^oben unb geroürbigt roorben
fmb. 3lber mie unfrud^tbar ermeift fi^ überhaupt ber roeitauö
größte 2^eil ber faft in§ Unüberfe^bare angeroac^fenen ®egenlite=
ratur gegen biefe ^arnacffc^en 93oriefungen ! 3)a fic^ bie 9Wet)r^
ja^( ber Ärititer nic^t bie ajlü^e gegeben ^at, ober aber nic^t im
ftanbe gemefen ift, bie treibenben äWotioc unb bie legten Senbenjen
ber 9lu§fül)rungen |)arnac(S ju erfaffen unb i^nen ben SWa^ftab
jur Beurteilung be§ 93uc^e§ ju entnehmen ober menigftenS anju*
paffen, fo berühren aud) bie meiften biefer Äritifer ben Sern ber
Sac^e entroeber überhaupt nid)t ober bod) nur in fc^iefer unb
entfteüenber SDßeife »).
53ei biefem Stanb ber 3)inge ift e§ um fo auffaüenber unb
erfreulicher, ba& ju ben mcnigeu rü^mtic^en Slu^na^men bie
©egenf^rift eineS f a t ^ o I i f c^ c n J^eologen gehört, nämlid) be§
franjöfifc^en Slbbe 2llfreb Soifq ,,@t)angeHum unb Rir^e". 2)iefe
Schrift barf — roie immer man im übrigen über i^re eignen
Sluffteflungen urteilen möge — jebenfaUS ben 9lnfpru^ ert)eben,
in einer Steige uon fünften bie burd) ^arnacf angeregten *ißrobleme
nod) fd)ärfer ^erauSgeftcllt unb fie burd) i^re "^^olemif
g e f ö r b e r t ju ^aben.
Bei ber erften Seftüre be§ Buc^eS ift ber ©inbrudE fogar ein
gerabeju frappierenber. ©§ übertommt einen bie Stimmung be§
betannteu ©tubentenliebe^ : „SJec^ter §anb, linfer ^anb, altesi
1) ©ine gut orienticrcnbe UebcrRc^t über bie roic^tigften ©egenfc^riften
fiiibet man bei @. $Rolff§, §arnacf§ ©efen be§ ©f)riftentum§ unb bic
relifliöfcn Strömungen ber ©egenroart, Seip^ig, §inrirf)§, 1903.
78 Sßobbermin: ßoifp contra ^amoc!.
üevtQufc^t". 3)cnn c§ fd^cint einen Stugenblirf, aU fei ber tatI)o^
lifc^e 2lbbe bem proteftantifc^en S^rfc^er an SHJeite be§ 93Iicte§
unb Unbefangenheit be§ Urteilet überlegen, al§ rourjele er tiefer
unb fefter benn ber le^tere in ben @runbanfd)auungen ber mo^
bernen SEBiffenfc^aft. Qk\)t fic^ bo^ lüie ein roter gaben burd)
alle feine Erörterungen bie 93erufung auf bie gefe^mä^ige @nt*
roicllung roie aUe^ ©ein§ unb ®ef^e^en§, fo aüe§ gefd^i^t(id)en
3Berben§ l^inburc^.
„SDBenn man ba§ ^rinjip auffteÜt, ba& alie^ nur in feinem
urfprüngtic^en 3wftanb ®jiftenjberec^tigung ^at, fo gibt e§ feine
Einrichtung auf ber ®rbe unb in ber menfc^tid^en ®efd)id)te,
beren Segitimität unb SEBert nic^t beftritten werben tonnte. ®in
fold)e§ ^rinjip läuft bem ©efefe beö ßeben§ jumiber, roetc^eS eine
93emegung unb ein beftänbige§ Streben nad) 2lnpaffung an eroig
roec^felnbe unb neue 33ebingungen ift. ®a§ ©^riftentum ^at fic^
biefem ®efe^ nic^t entjogen unb e§ barf nid)t getabett werben,
meit e§ fid) it)m gefügt ^at. ®§ fonnte nic^t anber§ ^anbeln."
(@. 118.)
2:rägt nid)t eine Äritif, bie uon fo uerftänbigen SBorauö^
fe^ungen au§ge^t, oon Pornt)erein bie ©arantie ber Sti^tigteit in
fi^? @§ fc^eint fo. Unb boc^ ift e§ nur ©d^ein. 5)er aufgeftellte
©runbfa^ ift freiließ unanfechtbar: er be]^errfd)t aber aud^ ^arnarf§
®arftellung minbeften§ in bemfelben SJiage roie biejenige fioifg§,
menn fct)on i^n ber (entere mit größerer 2lbfic^tlic^teit immer unb
immer mieber betont, mä^renb i^n ^arnad gemö^nti^ einfa^ al§
pöUig felbftoerftänbli^ porauöfefet. ®§ tommt aber atte§ auf bie
airt unb Söeife an, biefen ©runbfa^ nu^bar ju machen. Unb ba
gilt nun jundd)ft pon ben beiben oerfc^iebenen 2luffaffung§meifen,
JU benen ^arnact unb Soif^ oon it)m au§ gelangen, in weitem
Umfange ba§ ©ic^termort:
9luf ber SBibaffoabrücfe
Spielt ein rounberfam ®efic^t,
3Ö0 ber eine Schatten fiel^et,
(3ief)t ber anbere lauter fiic^t!
@5 tann, wie mir fc^eint, im ©ruft boc^ fein äw^^U^l i>ör*
über fein, ba^ ^arnarf!» 33enu^ung unb 2lu§legung jene§ ©runb*
äBobbermin: Soifp contra ©aritacf. 79
fa^eS bie ungleich fa^Kc^ete, bem roirtli^en Sotbeftanb oUein
gerecht rocrbenbc unb alfo and) btc aßcin roirflic^ tptffenfc^aftlic^c
ift. 2Biv muffen aber, um ba§ ju ermcifcn, ctroa§ weiter aus-
holen. ®Qbei mirb fid) jugleic^ jeigen, iniüieferu Soifgg 33uc^
tmmcrl^m ba§ SBerbienft ^ot, oon bem id) fc^on fprac^, bie Probleme
mel^rfad^ ipirfUd) geförbert ju f)aben.
2111 „ba§ SBefen be§ S^riftentumS" beaeid)net ftc^ |)amarfS
befannteJ, non fioifg befämpfteS Sud^. S)iefer 2:itel ift au§ ber
SCufünbigung ber öffentlichen 93or(efung mit ^erübergenommen,
beren getreue SBiebergobe ba§ 33 uc^ barfteüt. „3)a§ tü^ne Un=
terne^men in wenigen ©tunben ba§ ^oangelium unb feinen @aug
bur^ bie ©efc^i^te ju be^anbeln, tonnte id^ mie oor mir felbft
fo oor meinen Sefern nur rechtfertigen, menn ber ®arfteHung ber
S^arafter afabemifcl)er SSorlefungen gematirt blieb" ^). ©c^on
barau§ ergibt fic^, ba& ber 93egriff „SBefen be§ ©tiriftentums"
mit Sßörbe^alt ju oerfteI)cn ift. ^arnocf felbft lä^t gar feinen
3n)eifel barüber, ba^ e§ i^m in biefcr 93orlefung überall einjig
barum ju tun ift, ju ermitteln, melc^eS bie ma^re c^riftlid)e
9t e 1 1 g i 0 f i t ä t ift, ba& alle feine ©rörterungeu bireft ober in-
birett biefem Sroed bienen. Qn biefem ©inne „3)a§ SBBefen ber
c^rifllic^en Sleligiofität" ift alfo ber Jitel „®a§ ffiefen be§ &\)v'u
ftentum§" ju oerftelien. Unb ber 2:itel ^at au^ feine gute 33e-
rec^tigung, bo bie SJeligiofität — bie grömmigteit ate fold)e —
burc^auö bie ^auptfa^e in unb au jebcr 6rfcl|einung§form
ber c^riftlic^en äleligion ift, jebenfattS immer bie ^auptfac^e fein
foKte. 2lber man tonnte allerbingS ben 93egriff „SBefen be§
®^riflentum§" auct) meiter faffen, nämlic^ fo, bog er bie gefamte
Äulturcntmictlung mit in fic^ f^lie^t, ju ber ba§ S^riftentum
gefü^tt, bie e§ fojufagen au§ fid^ ^erauS gefegt ^at. ®eun burc^
bie ®ott-'2Beltanfc^auung, bie baS ©^riftentum als 9teligion in
fic^ f^liegt, tritt e§ jeweilig ju ber gefamten ©eifteSbilbung unb
Äulturentmictlung in 93ejief)ung. 2luS biefer Sejie^ung ergibt fid)
bann eine mec^felfeitige Seeinfluffung herüber unb tjinüber, fo
ba| ba§ 9Jla| oon ©inmirfung unb iRüctmirtung erforfct)t unb
1) $arnacf im Vorwort feinet Söuc^esi.
80 3Bobbermin: 8oif 9 contra ©amarf.
mit ciuanbcr üergti^cn werben mu^, wenn ba§ juftanbc gefommenc
'ißrobuft auf feine mc^r ober weniger gro&e „S^riftli^feit" beur-
teilt werben foll. 3)a§ aSermittlung^glieb für biefen ^roje^ ber
SBe^fetwirfung mit ber jeweiligen ®efamt=®eifte§bi(bung liefert,
wie gefogt, bie ©ott^aBettanfäiauung , we(d)c bie c^riftüd^e SReli-
gion in fic^ fc^Ue^t. 3)enn wenn and) bie d)riftli^e JReligion ju*
näc^ft unb bireft etwa§ anbere§ ift, al§ eine ©ott-SBeltanfc^auung
(fie ift eben }unäd)ft religiöfe§ Seben, religiöfeö ®rlebni§), fo
fd)Iie^t fie bod^ gewiffe Äeime unb Stnfo^unhe für eine beftimmte
@ott*9Bc(tanfd)auung in fid). 5)a§ religiflfe ®r(ebni§ in feiner
fpejifif^ c^rift(id)en gorm unb Färbung i)at nämlic^ eine beftimmte
®ott^9Beltanf^auung jur a3orau§fe|^ung unb jwar jur unbebingten
35orau§fe^ung : alfo in ber ffieife jur SBorau^fe^ung, ba^ e§ felbft
mit i^r fte^t unb fällt. 3)q§ gilt natürlich nid|t oon einer be*
ftimmten ®in}el«2lu§prägung biefer ®ott=aBeltanfct)auung , wo^l
aber gilt e§ oon i^r felbft al§ gaujer, oon i^rer prinjipieüen
®runb^93etrac^tung ober ®runb=3^bee. ©0 fü^rt alfo bie c^rift*
lic^e 9leligion — notwenbig unb unabweiölid^ — in erfter Sinie
auf bem ®ebiete ber ®rtenntni§ unb ber aBeltanfd)auung ju einer
2lu§einanberfe^ung mit ber übrigen ®eifte§bilbung, weiterhin er^
ftrccft firf) biefe 2lu§einanberfe^ung unb wec^felfeitigc Seeinfluffung
bann auf bie ganje 33reite unb Jiefe ber ®eifte§bilbung überhaupt.
3)a biefer ganje ^rojeg i m i n n e r ft e n Ä e r n ber ^riftlid)en
SReligion angelegt ift, fo fann man ben 93egriff „ffiefen be§ ®^ri*
ftentum§" auc^ entfprec^enb weit faffen, unb bann gel^ört jur (&nU
faltung be§ aSBefen^ be§ ®^riftentum§ allerbingg auc^ ein ©in«
geben auf bie gefamte, irgenb wie unter c^riftlic^em ®influ|
ftetienbe Äulturentwictelung, überhaupt auf ba§ ganje — fei eS
pofitioe, fei eS negatioe — ^ejiet|ungsiüert)ältni§ ber c^riftlic^en
Sieligion jur fonftigcn Kultur. ®ag ^arnarf fi^ bie Slufgabe
fo nid^t gefteüt i)at, wav, wie oben gejeigt, fein gute§ SRe^t.
Senn Soifq ba§ oerfennt unb beftreitet, fo ift ba§ barin be*
grünbet, ba| er felbft feine flare ®infic^t in bie eben ftijsierte
2lrt unb aSBeife ijat, wie fid) ba^ 33e}ie^ung§oer^ältni§ }wifd)en
ber c^riftlic^en 9teligiofität unb ber allgemeinen ®eiftegbilbung
gcftaltet unb bag er ba^er fein fieberen aSerftänbni^ für bas; eigent*
aßobbermin: Soifg contra ©amacf. 81
Hc^fte unb innerftc SBcfcn ber ^riftltc^en Sieligiofität al§ foId)cr,
b. f). eben aU SRcfigiofttät ölS retigiöfcn @Iaubcn§ ober ate rcU*
giöfcn 93cn)u^tfctn§ \)at 9lur fo tann er ^ornarf beu Sßortüurf
ma^cn, er rcbujicre falf^er unb unberechtigter äBeife ba§ ©^riften^
tum auf einen „ein jigcn® cban!en", eine „cinjige Qbee",
ein „einjigeg ©lernen t" ober gar ein „einjige§ ©efü^I".
®erabe in ber jule^t genannten gorm fe^rt ber SBorrourf
befonberS f)aufig roieber. „®ag äBefen beS ®^riftentum§ ^at
^arnarf in einem ®efü^( feftgelegt: 2)em Ünblic^en SBertrauen auf
®ott, ben barm^erjigen SJater. ®arin würbe bie ganje 9leligion
unb baS ganje ®f)ri[tentum befte^en."
„Slber ift biefe§ äBefen", roenbet fioifg bann ein, „fo bürftig
e^ auc^ fei, n)irt(id) unoeränberlid) unb roarum mü^te e§fo fein?"
3)ie ^oftel l)ätten oon ®ott unb oon ber SBelt eine fe^r anberö-
artige aSorfteüung gel^abt, als ber 93erfaffer beig aOBefenS be§ S^ri'
fientumS unb bod) fei ba§ „@efü^l" nie unabhängig oon ber Qbee.
„©oroie fic^ bie -Qbee änbert, roirb fid) au^ bie g^^rm beS ©e-
\üi)U änbern." (©. 11.)
Slber biefem ganjen SRäfonnement gegenüber ift junäc^ft ju
fagen, ba§ e§ ^amarf gar ni^t eingefallen ift, ba« äBefen ber
c^rift(irf)cn SHeligiofität auf ein „@cfü^I" in bem oon Soifq nä^er
bejeid)neten ©inne, atfo auf ein„@efü^(" im ©inne
einer bl o^en @ ef ü^lSerregung ober einer bloßen
©timmung ju rebujieren. SBo^I bel^auptct ^arnarf, in
ber c^rifttic^en SWetigiou fei ha^ ©ntfc^eibenbe „ba§ ^emu^tfein
in ©Ott geborgen ju fein" ober „bie bemütige unb bo^ ftolje
3uoerfi^t, für 3^'* wnb ©migteit unter bem oäterlid)en ©c^u^e
@otte§ JU fielen". 3Iber ba§ ift bo^ feine Siebuttion auf ein
^b(oge§ ®efü^(". Unb ^arnacf fügt auSbrürflidi ^inju, bieSKirf--
lid)teit be§ religiöfen ®rlebniffe§ fei nic^t an ber Ucberfd)n)eng«=
(ic^feit beS ®efü^tS ju meffen, foubern an ber g^eube unb an
bem ^rieben, bie über bie ©ee(e auSgegoffen finb, mel^e ju
fprec^en oermag: „mein SBoter" (3Q8efeu beS ©^riftent., ©.42 f.).
©ofern man alfo im ©inne §arnacl§ bie ^riftüc^e SReligiofität
aU ©efü^I bejeid)nen roifl, ift ber begriff ©efü^I babei fo um*
faffenb }u oerfte^en, ba& er ®rtenntni§ unbSOBillen mit eim
Seitfd^rift für X^eologte unb Äirc^e. 15. ^a^rg., i. $€ft. 6
82 äBobberniin: Öoifi) contra ^arnac!.
fc^Iie^t unb jioQr eine ganj beftimmte @rtenntni§ unb eine ebenfo
beftimmte aBilIen§rirf)tung; ja jener 93e9riff erhält bann feinen
tonfreten <3n^aU überhaupt erft an ber @rtenntni§ @otte§ aU
be^ aSater^ unb an ber 3QBiUen§bereitf^aft, biefem 93ater=®ott fi^
oöüig l^injugeben unb f^on ba§ bie§fcitige ßeben foroeit al§ mög^
lid) nac^ ben ©efe^en feinet ^immlifd^en 5Reic^e§ ju orbnen. 2luf
ba§ lefetgenannte biefer beiben SWomente norf) nä^er einjuge^en,
erübrigt ft^ bei bem 91a^brucf, ben ^arnarf überaß barauf (egt,
i)on felbft. ®a§ erftere anlangenb, mag au&er auf bie ja^treic^en
©teilen üon ber Slrt ber oben jitierten auf ^arnarf^ 9lu§fü^rungeu
über ^efu 93eipuj5tfein feiner ©ottes^iliubfci^aft oerroiefen fein.
„2)ie @otte^erfenntni§ ift bie Sphäre ber ®otte§fof)nfd)aft. ®ben
in biefer ©otte^ertenntni^ l^at er baö l^eilige Sffiefen, n)eld)e§
^immet unb @rbe regiert, alö SBater, aU feinen SSater fennen
gelernt, ©ein ©erougtfein, ber ©o^n ®otte§ ju fein, ift barum
nid^tg anbere§, al§ bie praftifd)e golge ber ®rtenntni§ ®otte§ alö
be§ a3ater§ unb feinet 93ater§. iRec^t ocrftanben ift bie ®otte§'
ertenntni^ ber ganje <3nl)alt be§ ©o^neönamen^. 2lber ein bop--
pelteö ift ^iujujufügen. 3efu§ ift überjeugt, ®ott fo ju fennen,
u)ie feiner por i^m unb er n)ei^, ba^ er ben 93eruf ^at, allen
anbern biefe ®otte§erfenntnis; — unb bamit bie ®otte§finbfc^aft
— burc^ aOBort unb Sat mitjuteilen (2Befen be§ Stiriftent., ©.81.).
3)emnad) ift alfo fioifq'^ SJe^auptung aud) in i^rer milben
gorm nic^t o^ne weitere^ ri^tig, ^arnacf rebujiere ba§ ©Triften-
tum auf ein einjige§ „Slement" ober eine einjige ^Qbee". 3Bo^l
aber ift richtig, bajj ^arnacf ba§ äBefen ber d^riftlic^en
9teligiofität auf eiue beftimmte cin^eitlid^e
unb einbeutige ®runbftellung be§ religiöfen
93emu§tfeius;jurücffü^rt unb bamit gegen bie
]^ergebract)te unb auc^ oon ßoifq mieber befür^
mortete 9luffaffung ©infpruc^ ergebt, meld)e für bie
diriftlic^e SReligiofität eine 9We^rja^l oöllig oerfc^ie«
benartiger Sor ftellungSmomente aU gleichwertig in
3lnfpruc^ nimmt.
3)a§ ift jebenfall§ ganj offenfunbig bie eigentlid^e Jenbenj
ber betreffenben Stu^fü^rungen ^arnacfs; unb mit biefer Jenbenj
äBobbermin: läotf^ contra ^arnacf. 83
tft er unbcbingt im Siecht.
aBiß mau jene ein^eittid^e ©runbftimmung beö d^riftUc^^reli^
giöfen 93en)u&tfetn§ auf einen präjifen StuSbrurf bringen, fo fd^eint
mir, entfpric^t biefem ^votd am beften bie fc^on fonft von mir ge^
brandete Formulierung: e§ i[t ber oertrauen^ooHe ®tau^
ben an ben einen geiftig^perföulid^cn ®ott unb
an bie Seftimmung ber SWenfc^en jur Seben^ge--
meinfd^aft mit i^m.
3)a§ ift ba§ SBefen ber c^riftlic^en Steligiofität, b. i). bie ®igeu^
art berjcuigen religiöfen Sen)u§tfein§ftel(ung, bie jum Unterfc^ieb
Don fonftigen anberig gearteten religiöfen ©emütSoerfaffungen rec^t*
mäßig a(§ c^riftlic^e ju bejeic^nen ift, meil fie fid^ nämlid^ erft*
matig unter bem ®inftu^ ber ^erfon ^t^n S^rifti über jene i^re
©igenart t(ar gemorben ift. ^n ben ©d)riften beS 2(poftet§ ^au*
Iu§, fomie in ben fogenannten Q^^cinneifc^en Schriften ift biefe^
Sic^'©elbft^®rf äffen be§ d)riftUd^en Semu^tfein^ mit befonberer
Sic^er^eit erfolgt; aber aud^ in ben fogenannten fqnoptifc^en
eoangelien ift baSfclbe Slefultat mit t)inreic^enber 2)eutlic^feit er*
fennbar. 3)iefe ©d^riftengruppen bilben nun ben ®runb*
ftorf unb bie ^auptmaffe be§ bleuen 2:eftament§, alfo berjenigeu
litterarifc^en Urfunbe, in ber fic^ ba§ urfprünglic^e c^riftlid^-reli*
giöfe 93emu§tfein fixiert ^at. ®btn bc^^alb ift ber oben nä^er
beftimmtc ®lau6e ate SBefen ber c^riftlic^en Sfleligiofität ju be*
jeic^nen. Unb eben bicfer ®laube ftctlt alfo aud) ba« SBefen be^
®^riftentum§ bar, menn id) bei biefem le^teren 93egriff junäc^ft
gerabe an bie innerfte treibenbe religiöfe Ueber}eugung ber großen
unb fomplijierten gefc^id^tlic^en ®rfd^einung beute, bie ben 9lamen
S^riftentum trögt.
Soifg'i^ Klage aber, ba& ^aruacf fid) in feinen SBortefungen
auf bie ß^aratteriftit jener c^rifttic^:»retigiöfen ®runb'Ueberjeugung
befd)räntt ^abe, ift um fo unberechtigter, al§ fid^ ^arnadf in fci^
nem breibänbigen £e^rbud^ ber 3)ogmengefc^ic^te auc^ um bie
©rforfd^ung mciter ®ebiete ber in grage fte^enben fomplijierten ge^«
fc^ic^ttic^cn ®cfamterfd)einung au^erorbcntlid) oerbient gemacht t|at.
3[nbe§ Soift) felbft bcjie^t fic^ auf biefe 3)ogmengefc^ic^te
^aruarf^ unb beruft ftd) auc^ auf fie für bie 9lid)tigteit feines
84 äBobbermin: i*oif 9 contra ^arnacl.
Urteile. „3)ie in ben Sßortcfungcn über ba§ SBefen be§ ß^riftcn^
tumS nuöeinanbcrgefe^te 2:^eoric ift bicfetbc, bic and) bic geteerte
3)09mcn9efc^ic^tc bc8 nämlichen Sßcrfaffcr^ bc^crrfc^t" (©. 3).
3Bic oert)aIt c§ fid) bamit? ®ic ;^auptei9cntämlic^tcit an
^arnadt'^ Bearbeitung unb Beurteilung be§ bogmenbitbenbcn ^^Jro==
jeffe^ ift bie, bafe er ftc^ angelegen fein lä^t, nadijuroeifen, einen
roie gen)id|tigen Slnteil an bemfelben bie griec^ifc^e ®eifte§bilbung
unb bie griec^ifc^e ^^^ilofop^ie gehabt f|aben. Um biefe Betrat^*
tung^roeife in eine turje Jövmet guf ammenjufaff en , ^at |)arnadt
bie Zi)t\t aufgeftellt, ba§ 3)ogma fei eine ^onjeption
beS griec^ifc^en @eifte§ auf bem ©oben be^ (Soam
g e I i u m §.
gär ba§ rid)tige 93erftänbni§ biefer 2:^efe ift junädjft ju 6e*
achten, ba^ fte al^ 3)ogma fpejieü ba§ trinitarifc^e unb c^rifto^
Iogifd)e ®ogma im Singe t|at. 2)a§ beruht auf einem eigentüm«
liefen ©prad^gebraud) ^arnacf^, ber ^ier nid)t nä^er erörtert roer«
ben tann, ber aber jebenfadg infofern fein gute§ SRec^t ^at, a(§
in ber Sat ba§ trinitarifc^e unb ba§ c^riftofogifc^e 3)ogma —
beibe auf's engfte jufammenge^örig — bie grunblegenbe unb weit^
au§ mic^tigfte Sluffteüung innerhalb ber gefamten tirc^lic^en Se^r*
bilbung repräfentieren.
SBenn nun in Bejug auf bie§ 2)ogma befiauptet roirb, e§
fei eine Äoujeption be« griec^ifc^en ©eifteS auf bem Boben be§
©oangetiumS, fo tonnte ber Söortlaut biefer 2;^efe allerbingS ba«
^in oerftanben werben, al^ rooDe fie in bem gried)ifd)en ©eifte bie
lefete unb riditunggebenbeSriebtraft furbie6nt^
ftel)ung ber SErinitätSle^re unb ber 6t)riftologie
f e^en. 2lber ba§ ift boc^ ganj unb gar nic^t ^arnadS SWeinung.
6§ entfpräc^e ba§ auc^ bem roirflic^en ©ac^üer^alt nic^t. S)aS
treibenbe SWotio für bie 3lu§bilbung ber 2:rinitätSle^re unb ber
®l)riftoIogie ift unoerfennbar ein ec^t d)riftlid)e§, b. ^. alfo e§ ift
in ber ©igenart beö c^riftlic^-^religiöfen Bewußt*
fein§ felbft angelegt, e§ mäc^ft unmittelbar anS
biefem felbft t)eraü§,
®er ©laube an bie gel^eime Bejie^ung be§ ^}Henfc^en ju ir^
genb einer anbcrSartigen — jenfeitigen — SBett, biefer ©laube.
SBobbermin: Seift) contra ^arnad . 85
ber aller unb jcber iRcItfliou ju ©runbc liegt, erhält im ©Triften*
tum ben (Sonberc^arafter al^ @laube an einen geiftig perföntic^en
©Ott, ber al§ folc^er boc^ ber §err be§ Uniüerfum^ ift unb ber
bic üWenfcften jur SebenSgemeinf^aft mit fic^ beftimmt ^at. 3)iefe§
©taubcnS maren unb ftnb ftd^ bie ©Triften gemi§ auf ©runb
ber gefd^ic^ttic^en ®rfc^einung Q[efu S^rifti. Sie fmb überjeugt,
ba^ bie jenfeitige SBelt für ben ©f)riften feine unbefannte ©rö^e,
fein X ift, ba^ öielmet)r biefe jenfeitige SBelt bie Sebeuöfp^äre
be§ einen geiftig^'perfönlic^en ©otte§ ift, unb ba§ ber 6l)rift biefen
geiftig^perfönlid^en ©ott teunt unb ba^er ju i^m in perföntic^e
93ejiel^ung ju treten oermag; unb ba§ aüe§, roeit er al§ S^rift
weife, bafe ©ott feinem SBefen na^ fo ift, mie ^t^ixS S^riftuö
auf ©rben manbelte. 2:^eoIogifc^ auSgebrüdtt: eiS ift bie ©elbft-
Offenbarung ©otte§ in S^fw^ 6t)riftu§, burc^ bie er fic^ aU ben
einen geiftig^perfönlic^en ©ott, ben Sßater ber ÜWenfc^en, ju er-
tennen gegeben unb fie jur SebenSgemeinfc^aft mit ftc^ berufen
^at ; biefe ©elbftoffenbarung ©otteS in 3efu§ ©^riftuö ift e§, auf
roel^er ber ©onberc^arafter ber c^riftlic^en ^Religion unb alfo auc^
berjenige ber c^rifttic^en Steligiofttät beruht.
2lber mie tann ©ott fic^ — fein göttliches SBefen in einem üWen*
fc^n offenbaren? ®iefe 5^'age mufe ftc^ offenbar jebem 93etenner besi
S^riflentumS faft mit Stotmenbigteit aufbrängen. 2)ennnurmenn
ba§ irgenbmie mögtid^ift unb nur menn bie feüWög*
lic^feit in QefuS 6^riftu§ irgenbmie jur SBirt*
lic^feit geworben ift, ^at bie c^rifttid^e Weli^^
gion eine©emä^r für bieSBa^r^eit i^re§©lau=^
faen§. ^mt 5^age jerlegt ftc^ aber fofort in jmei %z\U ober
Unter^gragen : SBie oer^ält fiel) bie Selbftoffenbarung ©otteS in
Oef uS S^riftuS ju ©ott fclbft ? — unb anbererf eitS : mie oerl^ält
fie ftc^ jum SBefen unb jur Statur beig 9Wenfc^en ? 3)iefe beiben
fragen fmb e§, meiere bie alte Sirene in it)rem trinitarifc^en unb
i^rem c^riftologifc^en 3)ogma ju beantworten fuct)te. Unb jmar
gab fie auf bie erfte 5^age bie Slntmort, eS fei ber feit ©migfeit
^er eyiftierenbe unb feiner Staturqualität nac^ mit ©ott mefenS^
eine') SogoS ©otteS, ber in ^t\xx^ S^riftuS auf ©rben erfc^ienen
1) %a9 ift bie iBebeutung be^ beruf)mten ^erminuS öjiooüoto;.
86 SBobbcrmin: fioift) contra ^arnac!.
fei. Unb auf bie anbete 5^age antwortete fie, biefer Sogoö @ot^
te§ ^abc fic^ mit ber menfd)lid)en 91atur in ber SBeife jufammen*
gefdiloffen , ba§ er biefclbe iu bie ©in^eit feinet 8Befen§ aufge^
nommen \iCi\)t. 5)ie S3eantn)ortung ber erften 5^'age gab bann
au|erbem 9lnlafe, ebenfo wie über beu göttlid)en Sogo§ aud| über
ben „l^eiligen ©eift" ju urteilen unb alfo aud) öon i^m, genauer
Don feiner 9iaturqua(ität bie ^omoufie, b. ^. eben bie SBefen^^
ein^eit ober 3B3efen§fcIbigteit mit @ott au^jufagen. ©o erhielt
bie Äirc^e im vierten Qf^^t^unbert i^r trinitarif^e^ 5)ogma, —
ba| nämlic^ in ber ®ottt)eit brei gegen einanber felbftänbige unb
boc^ i^rer 9taturqualität nac^ ibentifc^e SBefcn^eiten : ©ott-Sßater,
®ott«Sogo§, ©ott'^eiliger ©eift ju unterfd)eiben feien; unb fie
erhielt entfprec^enb im fünften ^^a^rl^unbert it)r c^riftologifc^eS
3)ogma, ba^ nämlic^ ber göttliche Sogoö bie menf^lic^e 9iatur
in bie ®in^eit mit ftd) aufgenommen ^abc unb ba^ fo ber jum
©rlöfer ber SWenfd^^eit befähigte ©ottmenfc^ juftanbe getont-
men fei.
33eibe3)ogmen recl)nen alfo iu gleic^eraBcife
mit jmei im Dorau§ fcftftef)enben58orau§fe^un*
gen. Sie fe^en oorauS , ba§ e§ einen göttlichen Sogo§ gibt,
ber üotte felbftänbige ©oubereyiftenj befi^t; unb fie fe^en weiter
üorauS, ba^ ba§ 3Befen biefe§ göttlichen Sogo§ — unb alfo aud)
ba§jenigc @otte§ felbft — in einer beftimmten 9taturqualität be«
fte^t, bereu SBcr^ältnig ju berjenigen @otte§ einerfeit§, berjenigen
ber 3Wenfc^en anbererfcit§ feftjufteKeu fei. ®iefe beibeu
95orau§fe^ungenl)at bie alte ^irc^e bem anti =
ten Senfe n, fpejiell ber gried)ifc^en^t)ilofo»
pt)ic entnommen. S93ir werben ^eute biefe 93orau§fe^ungen
ablehnen. 3)cuu fie ftnb erften§ wiffenfc^aftlic^'P^ilofop^ifc^ un*
berechtigt unb unhaltbar. Sie beeinträchtigen aber au^erbcm aud^
gerabeju ba§ Qntcreffe be§ c^riftlic^en ©lauben§ ; ^eute wenigftenö
— für uufer 3)enten — tun fte ba§ ; für bie früheren Seiten ift
nid|t o^nc weitere^ ebenfo ju urteilen. @o ergibt fid) alfo, ba^
bie alttirc^lic^c Formulierung be§ trinitarif^en unb Ariftologi*
fc^en ®ogma$ mit l)eute überliolten 93orftellungen ber antiteu
^^J^ilofop^ie operiert. 2lber bieg gilt eben auc^ nur Don ber alt«^
S 0 b b e r m i n : Soifi) contra ©arnacl. 87
tircf)lic^cn JörmuUcrung jener Dogmen, n i c^ t d o n b i e==
f c n f e l b ft , b. \). alfo nic^t oon ben 3Wotiöen uub Senbcnjen,
bie fic jum 2lu§brucf bringen, nic^t von ben gragefteUungen, bie
i^nen ju ©runbe liegen. 3)iefe ^Jragefteüungen fmb üielme^r qu§
ber c^ r i ft l i (^ e n 91 e li g i o n erroac^fen, fte fmb n i d) t Dom
gried)ifc^en 3)enfen bem d^riftlic^en ©tauben aufgejroungen roor^
ben. 2)a& e^ ftc^ fo öertiält, barüber fann nic^t§ beffer belel^ren,
al§ ba§ ©tubium beö jroeiten öanbe§ ber ^amadt'f^cii ®ogmen==
gefc^ic^te. Unb in jenem ©inne atfo ift ^arnad'^ S^efe ju Der^
fielen, ba^ 3)ogma fei eine Konjeption be§ gried)ifc^en ©eifteS
auf bem Soben be§ ©oangeliumS. Qc^ mürbe lieber fagen:
ba§ 3)ogma ift eine Ronjeption be§ cf)riftlic^en @ei*
fte§ auf bem ©oben, mit ben 2)enfmitteln unb Sßor^
ftellunggf ormen ber griec^ifd^en 9lntife. a33a§ $ar^
nadt meint, ift — nac^ 3Iu§mei§ feiner S)ogmengefc^ic^te — nic^t^
anbere§ al§ eben bie§; e§ mu^te i^m jebo^ na^e liegen, jene an^
bere Formulierung ju mäl^len, um erftmalig bie 3lnertennung be§
im 3)ogma mitent^altenen 9}orfteüung§materialö ber Slntife burc^*
iufe^en.
Unberechtigt ift a(fo jebenfaüö bie Slrt, mie fic^ Soifij für feine
^^Jolemit gegen ^arnac! auf biefe 2;^efe unb auf bie Dermeintlidie
©runbbetrac^tung ber S)ogmengefc^i^te beruft. —
&i)t i6) mid) je^t ju Soifg'ö 33ud) jurüdmenbe, glaube id)
e§ bem Sefer fd)ulbig ju fein, meine ©rörterung über ba§ trini-
tarifi^e unb d)riftologifc^e S)ogma mit wenigen SBorten ju @nbe
JU führen. SBenn unbebingt baran feftjul^alten ift, ba§ S^nge^^
fteüung, SWotioc unb 2:enbenjen biefer 3)ogmen au§ ber ^rift*
liefen SReligion felbft erroac^fen finb, fo muffen bie le^teren boc^
auc^ einen roertoollen unb bleibenben aGBa^rl)eit§*
fern enthalten. Unb einen folc^en enthalten fie benn auc^ roirt*
lic^. Unb jmar ni^t etroa nur für bie t^eologifd)e Steflejion,
fonbern auc^ für bie prattifc^e c^riftlic^e grömmigfeit. 2luf bie§
le^tere menigftenS mid ic^ furj ^inmeifen. 9ie^men mir ba§ trini*
tarifd)c 3)ogma etroa in ber S^rm, bie e§ im fogenannten attiana«
ftanifd)en ©^mbolum, alfo im britten ber brei ötumenifc^en ©gm*
bole, roeld)e ja auc^ in ba§ ^onforbien=33ud) aufgenommen roor*
86 SBobbermin: öoifp contra ^arnac!.
fei. Unb auf bie anbete ^xüqz antwortete fte, biefer Sogo^ @ot*
te§ l^abc ftc^ mit ber menfc^lid^en Statur in ber SBeife jufammen^
gefdjloffen , ba^ er biefefbe iu bie @inf)eit feinet SBefcnS aufge«
nommen \)abe. 5)ie SSeantiDortung ber erften 5^'age gab bann
au|erbem 2lnla^, ebenfo roie über beu göttlid)en Sogo§ aud) über
ben „l^eiligen ©eift" ju urteilen unb alfo aud) pon i^m, genauer
Don feiner 9iaturqua(ität bie ^omoufie, b. f), eben bie SDSefen^"
einl^eit ober 9Befen§feIbigteit mit @ott augjufagen. ©o erhielt
bie Äirc^e im vierten ^f^^t^unbert i^r trinitarifd^e§ S)ogma, —
ba^ nämlid^ in ber ©ott^eit brei gegen einanber felbftänbige unb
boc^ i^rer 9laturqualität nad) ibentifc^e SBefenl^eiten: ©ott^Sßater,
®ott^Sogo§, ©ott-^eiliger ©eift §u unterfc^eiben feien; unb fie
erhielt entfprec^enb im fünften :3ci^t^unbert i^r c^riftologif^eS
3)ogma, ba^ nämlic^ ber göttlidie Sogoö bie menf(^lid)e 9Jatur
in bie ©in^eit mit fid) aufgenommen \)abz unb ba^ fo ber jum
©rlöfer ber 3Wenfci^f)eit befähigte ©ottmenfd) juftanbe getom^
men fei.
93eibe3)ogmen rechnen alfo iu gteif^erSBeife
mit jroei im oorau§ feftftef)enben93orau§fe^un*
gen. ©ie fe^en oorau§, ba§ e§ einen göttlichen Sogo§ gibt,
ber üoüe felbftänbige ©oubereyifteuj befi^t; unb fie fe^en weiter
oorau§, ba^ ba§ 3Befen biefe§ göttlichen Sogoi^ — unb alfo aud)
ba§jenige ©otte§ felbft — in einer beftimmten 9iaturqualität be*
fte^t, bereu 93er^ältni§ ju berjenigen ©otte§ einerfeit§, berjenigen
ber 3Wenfc^en anbererfeit§ feftjufteKen fei. 3)iefe beiben
95orau§fe^ungen^at bie alte ^irc^e bem anti =
ten3)enfeu, fpejiell ber gri edjif c^eu $^ i l of o»
pt)ie entnommen. Slöir raerben ^eute biefe 93orau§fe^ungen
ablelinen. 3)eun fie fmb erften§ roiffenfc^aftlic^'P^ilofopl)ifc^ un-
bere^tigt unb unhaltbar, ©ie beeinträchtigen aber au^erbem auc^
gerabeju ba§ ^ntereffe be§ d^riftlic^en ©(anbeut ; ^eute menigftenö
— für unfer 2)enteu — tun fte ba§ ; für bie früheren 3citen ift
nicf|t o^ne meitereö ebenfo ju urteilen, ©o ergibt f\i) alfo, ba^
bie altfirc^lic^e ^Formulierung be§ trinitarifc^en unb Ariftologi*
fd^en ®ogma§ mit l)eute überliolten SSorfteDungen ber antifen
'^^^ilofop^ie operiert. 2lber bie§ gilt eben aud^ nur oon ber alt*
3ö 0 b b e r m i n : Soifi) contra §amac(. 87
f ircf)lic^cn Formulierung jener Dogmen, n i c^ t von b i e^
f e n f e I b ft , b. ^. alfo nic^t oon ben 9Kotiöen uub Senbenjen,
bie fie jum 2lu§brucf bringen, nic^t oon ben gragefteüungen, bie
i^nen ju ©runbc liegen. 3)iefe gvageftellungen ftnb oielme^r au§
ber d) r i ft n ^ e u 9i e I i g i o n erroadjfen, fte fmb n i d) t Dom
grie^ifc^en Renten bem d^riftlic^en ©tauben aufgejroungen roor*
ben. 3)a$ e^ ftc^ fo Dertiält, barübcr fann nic^t§ beffer beleliren,
al§ ba§ ©tubium be§ jroeiten S3anbe§ ber ^arnadt'fc^en 3)ogmen=^
gefd)ic^te. Unb in jenem ©inne alfo ift ^arnad's S^efe ju »er-
ftetien, ba^ 3)ogma fei eine Äonjeption bc§ griedjifc^en ®eifte8
auf bem Soben bc§ SoangeHum^. ^6) lüürbe lieber fagen:
ba§ 2)ogma ift eine Ronjeption be§ c^riftlid^en ©ei^
fte§ auf bem Soben, mit ben 3)cnfmitteln unb Sßor-
ftellung§f ormen ber griec^ifd^en 9lntite. 2öa§ ^ar-
nadt meint, ift — nac^ 2luön)ei§ feiner 3)ogmengefc^ic^te — nic^t§
anbere§ al§ eben bie§; e§ mu|te i^m jeboc^ nal)e liegen, jene an--
bere ^Formulierung ju mdl^len, um erftmalig bie 3lnertennung be§
im 3)ogma mitent^altenen Sorftellung^material^ ber Slntife burc^*
saferen.
Unberechtigt ift alfo jebenfatlö bie Slrt, mie fic^ Soifij für feine
^^Jolemit gegen ;^arnac! auf biefe J^efe unb auf bie oermeintlic^c
©runbbetrac^tung ber 3)ogmengefc^ic^te beruft. —
®l)e ic^ mid) je^t ju Soif^'^ 33uc^ jurüdtmenbe, glaube ic^
e^ bem fiefer fc^ulbig ju fein, meine ©rörterung über ba§ trini-
tarifc^e unb d)riftologifc^e 3)ogma mit menigen SBorten ju ©nbe
JU führen. SBenn unbebingt baran feftju^alten ift, ba§ Srnge^
ftellung, 5!JJotiDe unb 2:enbeujen biefer ®ogmen au§ ber d)x\\U
liefen SReligion felbft ermac^fen finb, fo muffen bie te^teren boc^
auc^ einen roertoollen unb bleibenben SEBa^r^eitg*
fern enthalten. Unb einen folc^en enthalten fie benn auc^ mirt*
lic^. Unb jtoar nic^t etma nur für bie t^eologifc^e Siefle^ion,
fonbern au^ für bie prattifc^e ^riftli^e grömmigteit. 2luf bie§
le^tere roenigftenö roitl ic^ furj ^inmeifen. 9ie^men mir ba§ trini*
tarifd)e 3)ogma etwa in ber Jorm, bie e$ im fogenannten atfiana^
fianifd^en ©pmbotum, alfo im britten ber brei ötumenif^en ©gm«
bole, meldie ja auc^ in ba§ Äonforbien^Suc^ aufgenommen mor^
88 SGBobbcrmin: Soif 9 contra §arnac(.
bcu fmb, erhalten l^at. 2)a ^ci^t c§ befanutlic^*): „Slber bct
aSotcr unb bcr ©o^n unb bev ^eilige ®cift fmb ein einiger ®ott
(patris et filii et Spiritus sancti una est divinitas) gleic^ in ber
^errlic^feit, gleid) in eroiger 9Jlajcftät. SBcIc^er 2lrt bcr UJater ift,
folc^er 2trt ift and) ber ©o^n, folc^cr Slrt ift a\x6) ber f)eilige ©cift.
3)er aSater ift nic^t gefc^affen, bcr ©o^n ift nic^t gcfc^affen, ber ^eilige
Oeift ift ni^t gefc^affen. 3)er Sßater ift unermeßlich, bcr ©o^n ift
unermeßlich, bcr ^eilige ®eift ift unermeßlich. 3)cr Sßater ift emig,
bcr ©ol^n ift emig, bcr ^eilige ©eift ift eroig. Unb boc^ ftnb nic^t
brei croigc, fonbern ift ein eroiger. ®leicl)roie auc^ nic^t brei ungc=^
fd)Qffene, noc^ brei unermeßliche, fonbern e§ ift ein ungef^affener
unb ein unermeßlicher .... 3llfo ber SBatcr ift @ott, bcr ©o^n
ift ®ott unb ber l^cilige ©eift ift ®ott. Unb fmb boc^ nic^t brei
©Otter fonbern c§ ift ein ®ott .... Unb in biefer 2:rinität gibt
e§ alfo feinerlei Unterfc^iebe, fein früher ober fpäter, fein größer
ober Keiner, fonbern alle brei ^erfonen finb mit cinanber f^lcd^t^^
^in gleich eroig unb gleich bcfd)affen."
aBa§ bebeuten biefe paraboyen ©ä^e ? 9Jun roir roiffen fc^on,
baß roir jroifc^en ber 2lu§brucf§form, bie ^iftorifc^ ju crtlären ift,
unb ber eigentlichen ®runbtcnbena ju unterfc^eiben ^aben. 2)ie
le^terc aber ge^t offenbar ba^in, ju betonen, baß ber eine
©Ott, ber |)err $immel§ unb ber ©rben, ben ber ct)riftlid)e
©laube befennt, boc^ nic^t etroa ein cinjelne§ Slöefen nac^
aWenfd^enart, ein nur in§ Uncnblic^e potenjicrter unb ibeali*
ficrtcr @injetmenfci^ ift. 3)iefcr ©ott, ber aflmä^tige ©c^öpfer*
©Ott unb ©ott^aSater, ift oielme^r nac^ einer anberen ©cite fei^
ne§ 3Befcn§ ber croig bie 3Q3elt burc^roaltenbc 2ogo§'©o^n, ber
Inbegriff aller Seben roedtcnben unb fieben förbernben Sräfte;
unb er ift ebcnfo jugleic^ »^eiliger ©eift", bie innerfte ^irieb^
fraft atle§ roa^ren, ju ©ott fü^renben ^^Jerfonlebenö. 3) er
1) ©^ mag baran erinnert fein, ba^ bicä Symbol hen ^^iamen bc3
^t^anaftuä mit Unrecht trdgt. ®g ftammt nic^t oon bcm großen gricc^i-
fd&en ^itd^cnoatcr, fonbern c§ ftammt au§ bcm 3lbenblant). ^ie ^rini-
tätSIcI^re trägt bcnn auc^ l^icr fpc^iftfc^-abcnblanbifc^eS (burc^ ^uguftin
beeinflußtes) ©cpräge. Xod^ bleibt ha^ 9^cfuUat ber oben angcftcüten
SRcflc^on and) für bie morgcnlänbifc^e ^Hiansierung bcg trinitarifc^en
^ogma§ beftc^en.
^obbermin: Soif^ contra ^arnac!. 89
(eine) ®ott, ber unumfc^iänfte ^err ber gefamten SBirtlic^teit,
ift bemnac^ gteic^erroeife ein abfolut geiftig^perf önlic^er
unbeinbieSBett infonber^eitbieajJenfc^engefc^ic^te
oon innen l^er lebenbig burc^njaltenber @ott unb biefe
feine aBefenSbefc^affen^cit ift burc^ unb in -S^fuS ©^riftusi
bem ©lauben erfennbar: ba§ ift bic Ueberjeugung, bie ba§ 2;rini=
tätg*3)ognia begriffli^ ju f äff en unb fpefulatio ju begrünben oerfudjt.
3)a§ c^riftotogifc^e S)ogma ift in ungleich ^ö^erem SWa^e
fpejififc^ t^eologif^, al§ ba§ trinitarifd^e; immerhin fommen auc^
in il^m 3i"tereffen ber prattifc^en c^riftüc^en grömmigfeit junt
Slusbrudt. Um fie ^eute ju ertennen, mu|5 man junäc^ft bebenfcn, ba^
bie§ 3)ogma ©^rifto in feiner 6igenfd)aft al§ ®rlöfer ber
9K e n f c^ ^ e i t gilt, ba§ ba§ 3)ogma alfo im biretten ^inblicf
auf bie ^eilebebürftigfeit unb ^eilSfä^igfeit ber ÜWenfc^en auf^
gefteüt ift. 2lu^erbem mu^ man fic^ gegenwärtig galten, ba^ bie
alte Äird^e bie ^Bereinigung ber beiben Staturen nä^er bal^in be*
ftimmt ^at, ba^ bie göttlid^e 9}atur bie menfc^lic^e in bie Sinl^eit
mit fid) felbft aufgenommen, gleic^fam ^ineingejogen l^at; unb
jroar nidjt etwa eine beftimmte einjclne menfd^lic^e 9iatur, fon-
bem bie menfc^lic^e 9iatur al§ f old^e , al§ ganje. 3) a r n a c^
oerfc^afftfidjin biefem3)ogma bieUeberjeu^
gung 3lu§brudt, ba§ Oottl^eit unb 9Jlenf d^l^ ei t
auf einanber angelegt f eien, ba§® ottbieSRenfc^*
^eit in bie 2eben§gemeinfc^aft mit fic^ aufneh-
men wolle, unb ba^ alfo biefe — bie ganje SWenfc^^eit, je*
ber einjelne 3Wenfdö — ju ber £cben§gemeinfc^aft mit @ott be^
ftimmt fei, bie bem ©lauben in Qcfu^ ®^riftu§ anfc^aulid) ift.
aber nun jurüdt ju Soift). SBenn er ^arnadt oorroirft, ba§
SDBefen be§ 6^riftentum§ fälfdilid^erroeife auf ein einjigc§ ^rinjip
(ober gar auf ein einjigeö ®ef ü^l) rebujiert ju ^aben, f o ftnb e§ oor
aDem s ^ e i SW o m c n t e , bie er oermijst ba$ 9teic^@otte§
unb bie ©l^riftologie. gür Soifq felbft merben nämlic^
biefe beiben SWomente — ba§ mag jur Orientierung im oorau^
bemertt werben — bie ©tü^puntte für bie SBerteibigung be§ ta-
t^olifc^en Äird^enbegrip unb be§ ganjen Qt^n^- , SJlorien* unb
^eiligen-Siultuö.
90 SBobbcrmin: Soif^ contra ^arnad.
®a!§ au^fc^loggcbcnbe @eroid)t legt Soift) babci — ^ödift
c^arattcriftifc^ — auf ba§ crftgenauntc bcr beibcn SWomentc:
„2)ic 3[bcc bc§ fjimmlifc^en 9teic^c§ ift alfo nid^tö anbetet al§
eine grofec Hoffnung, unb ba feine anbete 3i>^c fo met SRaum
unb einen fo fouüeränen 9iaum in ber Se^re <3efu einnimmt, fo
ift e§ eben biefe Hoffnung, in bie ber ^iftoriter ha^ SBefen be§
®t)riftentum§ legen mu§, roenn er e§ überhaupt irgenbmo feftftellen
miß" (S. 41).
9lber aud) ^arnad bejeic^net ja ba§ „SReic^ ©otteö unb fein
Jtommen" gerabeju al§ einen ber brei 3}orfteUung§ =
f reife, bie aui^ ber ^rebigt ^efu in ber SBeife geftaltet wer-
ben tonnen , ba^ jeber bie ganje Sßertünbigung enthält"
(SBefen be§ 6^riftentum§ ©. 33).
©anj rec^t, roenbet Soifp ein, nur gebe ^arnad eine ^iftorifc^
üöüig unrichtige 9lu§legung ber neuteftamentlic^en 9ieic^§gotte§*
oorfteKung. Soif^ nimmt ^ier eine in ber neueren Qext ani) in*
ner^alb ber proteftantifc^en J^eologie üieluertianbelte Streitfrage
auf unb fteHt pc^ in biefem fünfte — wie aud) fonft noc^ me^r*
fad) — auf ben (Stanbpunft ber rabitaMritifc^''l|iftorifd)en SRic^*
tung,
©eitbem mir nämlic^ über bie religiöfen 3wftänbe be§ fpä-
teren Qfubentum^ genauer unterrichtet fmb, l^at man auf bie r)tx*
manbtfc^afttic^en ©ejiet)ungen achten gelernt, meld)e jroif^en biefem
unb bem in feinem Sc^o^e ermad)fenen S^riftentum befte^en. ©o
^at man öor aüem auf bie e § c^ a t o l o g i f cl) e Stimmung
unb auf bie e^c^atologif^e 95orfteUung§me(t ®e^
mic^t gelegt, meiere bie religiöfen Greife biefe§ fpätereu Quben*
tum§ oötlig be^errfc^ten. 3)ie (Srmartung be§ na^e beuorfte^en^
ben „S n b e §" ber gegenmärtigen politifc^en , fojialen unb reli*
giö^^ittlic^en ß^^Pönbe unb bie bamit oerbunbene Hoffnung auf
ba§ meffianifc^e 9lei^ bilbeten ^ier ba§ A unb ba§ O be§ reli»
giöfen Seben§. 2)ie apotal^ptifc^e Siteratur ber 3^it ift un§ be§
3euge^). 2lu§ biefer ganjen Stimmung^- unb 3Sorftellung§roett
l)erau§ ift nun bie gefc^idjtlic^e ©ntfte^ung ber c^riftlic^en 9leligion
1) Sine trcff(id)c Orientierung über biefe e§cf)atoro0ifd)=apofal9ptifc^c
$Hicf)tung gibt |). ®unfel in feiner Schrift: ber ^:propl)et ©§ra, 1899.
9Bobbermin: Soifi) contro ©arnacf. 91
ju Derftcl^cn, bcnu bie ältcftc 6^riftcnt)eit fjot eben — i)iftorifc^
betrachtet — an jenc§ fpätere Q^ubentum mit feinen e^c^atologi^
fd^en |)offnun9cn unb feinen apotalgptifcften Stimmungen ange^
fnüpft.
aSon ^ier au§ meint man nun auc^ ben urc^riftli^en ©egriff
Dom Sieic^ ®otte§ auffegen ju muffen. 3)iefe$ „5Reid) ®ottc§"
fei alfo nic^t ein fold)e^, t>a^ fic^ inmenbig in ben ^erjen ber
SÄenf^en entfalten unb entmidteln foüte, fonbern c§ fei barunter
ber alferbingg noc^ jufünftige, aber boc^ für bic näd^fte Qu--
fünft JU ermartenbe neue 3wftonb aüer 2)inge ju üerfte^en. Qn
biefer SEBeifc fei bie c^^atotogifc^e Raffung be§ S3egriff§ bie allein
richtige, ber 93orftellung§mclt bc§ SReuen SeftamentS allein gerecht
merbenbe. O^^mer liege ber 9tac^brudt auf bem c^c^atologifc^en
üWoment ber SSorfteUung unb ber ganjen in it|r $um 2lu§brudt
fommcnben 93etrac^tung§n)eife.
3)iefer Beurteilung ber Streitfrage fd)lie§t fid^ nun auc^ Soifp
an ; er vertritt fie fogar in red^t ej tremer SBeife. 3)emnac^ finbet
er, ba§ ^arnacf ben SSegriff be§ 9leic^e§ @otte§ mobernifiert
l)abc ; ber ^iftorifer foüe aber ber UJerfuc^ung miberfte^en ju mo*
bemifieren (©. 50).
^ier ift nun im worauf ju fagen, ba| ^arnarf e§ in biefem
'^8unft allerbingg feinem ©egner leicht gemacht ^at, fic^ unb feiner
^]Jolcmif einen ©d^ein be§ 5Rec^t§ ju magren, ^arnad fagt näm*
lic^ im aSorroort, er ^be ftd) feine 3lufgabe al§ „rein ^iftorifc^e"
geftcHt unb fie nur unter biefem ©efic^t^puntt be^anbelt ; unb auc^
im aSerlauf ber aSorlefungen felbft betont er me^rfac^ biefen i^ren
„rein t)iftorifc^en ©^arafter". Slber bamit urteilt er jroeifelloS
oiel ju bef^eiben über ba$, ma§ er un§ in ben SSorlefungen ge^
boten i)at 9iic^t eine „rein" ober „blo^" ^iftorifc^e SJlrbeit ^at
er un§ in i^nen gefdienf t, fonbern fie bebeuten eine g e f ^ i c^ t §*
pt)ilofop^ifcl)e Seiftung unb jmar eine folc^e im größten Stil,
jugleic^ freilid^ eine folc^e, bie überalt auf bie eyafte l^iftorifd)e
^orfd^ung jurüdtgc^t. Slber fic bieten bod) eben melir — vitl
me^r — al§ blo§ fotdie ejatte ^iftorifd)e g^tfc^ung. Sagt bod)
au^ ^arnarf felbft, e§ tommc i^m gerabe barauf an, „©leiben*
be§ unb a3ergänglic^e§, ^rinjipieHc^ unb blo§ ^iftorifc^e§" ju
92 Söobbcrmin: Öoif 9 contra ©arnacl.
untcrfc^eibcn (933cfcu bc§ ©firiftent. @. 9), folfcn roir un§ boc^, lülc
er au§brücffi^ cinfdjärft berou^t fein, ba^ un§ bie ^rebigt -3efu
fofort auf eine ^ö^e fü^rt, auf welcher „i^r 3wfammen^ang mit
bem Qubentum nur nocl^ aU ein loderer erfc^eint unb auf ber
überhaupt bie meiften gäben, bie in bie Beitgefc^id^te jurudtfü^ren,
unbebeutenb werben" (©. 10).
3)iefe Sä^e, jumat ber (entere, liefern un§ aud) ben ©c^lüffet
jur richtigen Beurteilung ber ffijjierten Streitfrage.
3)a§ „^iftorifc^e" aSerftänbni§ be« SReic^^gotteSbegriffg ^at
unbebingt bei ben e^^atologifc^en (Stimmungen unb SBorfteüungen
ber bamaligen grömmigfeit einjufc^en ; aber oon ba au§ geminnen
lüir eben nur ein ^iftorifc^eö SBerftänbniS be$ ©egrip unb b. ^.
alfo nic^t eigentlich ein SBerftänbniS be$ Begriffe fetbft, feiner
9Wotiüe unb J:enbenjen, fonbern }unäd)ft nur ein 95erftänbni§
feiner äußeren SßorfteHungSformen.
^•m übrigen ^at roirflid) bie blo^ ^iftorifc^e Betrachtung bie
3utunft§l^offnungal§ 3»"^ölt 1^"^^ neuteftamentlic^en Begriffs
anjufe^en. ©omeit ift bie genannte @cf)ule ber eoangelifcfien S^^eo-
togie im 9iec^t, foroeit fmb auc^ Soif^S SluSfül^rungen rict)tig unb
beac^tenSroert. 3lber bie eigentlich t^eologifc^e 3lufgabe ift nun
gerabe erft l)erau§geftellt unb teine§.meg§ abfcfelie^enb gelöft.
Unter m e t et) e m ® e f i cl) t S p u n 1 1 — baS ift bie mei^
tere unb mid^tigere 3=rage — betont bie alte S^riftcn^eit ben Qw-^
funft§c^arafter be§ SReic^g^SotteS?
©oll bie§ SRei^^OotteS bamit in ben gewohnten 2lblauf beg
jeitlid^en @efc^e^en§ eingegtiebert unb foK nur eben ber betreffenbc
3eitpuntt nä^er fixiert merben ? ©o ift e§ — menigftenS teitmeiS
— in ber apofal^ptifc^en Siteratur be§ fpäteren ^ubentumS; im*
mer^in ift ba§ fc^on in i^r nict)t ber le^te ©inn ber ganjen 95or*
ftellung. 95ollenb§ aber mürbe eine foldje SluStegung bc§ neu-
teftamentlid)en SHeic^§gotte§bcgriff§ ben innerften Äern be§felbeu
unoerftanbcn laffen. ®a§ 5Reic^ ®otte§ gehört nac^ ber Betrac^*
tung be§ bleuen 2:eftament§ atlerbing§ ber 3^fw"ft ^"J ^^^^ ^^
gel^ört beS^alb ber 3wfw^ft 0"/ njeil e§ ^inau§liegt über
bie ganjeunS gegenwärtige 933ett, meiteS^in*
aufliegt über ben Bereich alle§ natürlichen
Sßobbermin: Soif9 contra §amacl. 93
@ein§ unb ®efc^c^en§. ®a§ SRcid^ @ottc§ gcprt bcr
3ufunft an, lucil c8 einer anberen, üon ber un§ gegenroärtigen oer^
fd)tebencn Söelt, fagen roir furj, meit eS einer jenfeitigen 3BeIt
angehört. 3)ie 3ufw«ft^öörfteüung über baö SReic^ \)at alfo il^re
eigentliche 93ebeutung barin, bie Jranfjenbcnj biefe§ SReid^eö
jum 95en)u§tfein ju bringen. — @o l^ci^t e§ benn im merten
(Soangelium ganj birett: „9Wein SReid^ ift nic^t üon biefer SBelt" unb
glei^ barauf: „e^ ift nic^t oon bie^feit^ ^er", b. i). eö ift fein
bieSfeitigeö ^), alfo fein biefer raum=jeitlid}en SBeltorbnung an^
ge^örenbe§. 3)e§^alb ift aber auc^ bie§ 9ieid) im legten ©runbe
notroenbigerroeife ganj unabhängig oon aller jeitlic^en ©ef^ränft^
^eit unb überhaupt Don jeber jeittic^en S3eftimmt^eit. 3)af|er fic^
benn auc^ fc^on in ben f^noptifc^en @oangelicn fol^e ©teilen
finben, roo nun bod) ba§ SReic^ al§ bereite gegenwärtig erfc^eint,
wie aWatt^. 12,28: „SBenn i^ aber mit ®otte§ Oeift bie 3)ä^
monen auftreibe, fo ift ja ba^ SReid^ @otte§ fc^on über eud) ge*
fommen", ober Suf. 17, 21: „3)a§ 9leic^ ®otte§ fommt nic^t mit
äußerem ^omp, man mirb auc^ nid)t fagen, e§ ift ^ier ober ba ;
benn ba§ Sleic^ ©otte^ ift in eud^"; —mag le^tcre^ ^) bebeutcn:
e§ ift inroeubig in euren ^erjen, ober aber: eS ift bereite mitten
unter euc^. 3)a§ SReic^ @otte§ im ©inne beS bleuen Jeftament^
ift eben te^tlic^ bie 9Sermirtlic^ung ber Seben§gemeinftf)aft ber
einzelnen mit @ott, bie fc^on ^ienieben beginnen tann unb bc^
ginnen foö, jur SSollenbung aber aUerbing§ erft im 3enfeit§ ge«
langen tann, ba erft in biefem für bie 3nenfdt)en bie @d)ranten
i^re§ raum^jeitlic^en 3)afein§ ooUftänbig aufgehoben fmb. „@ott
unb bie ©eele, bie Seele unb it)r @ott" — wie ^arnatf im 2ln«
f(^lu|5 an Sluguftin fo oft unb mit fo großem 9lac^bru(f mieber*
^olt: ba§ ift alfo in ber 2;at ber ©runbgebante ber 9leic{)§gotte§'-
SBorftellung unb 9leic^§gotte§^§offnung.
2lber ift be§^alb ba§ ©oangelium ^inbioibualiftifd^" —
unb jmar nä^er inbioibualiftifc^ im ©inne eine^ a b f o l u t e n
^Inbioibuali^muö? Soifij nämlic^ behauptet, jene 3lu§tegung
1) (So. So^. 18, 36 : ^ ßaotXeia -^ fejiyj oOx ioxtv Ix loö xöojioü touiou . . . ,
vjv Zk 7} ßaaiXeta i^ Sjitj oöx ioxtv Svxsö9-ev.
2) 9im gried)ifcl^en ^ejt: Ävids öjaöv.
94 9Bobbcrmtn: Soifp contra ©ontad.
bc§ 3fieici^§gottc§^©cgrtff§ fü^rc jum unbcgrenjtcn unb abfolutcn
OnbiDibuali^muS, unb fo fei bcr ^auptuntcrf^icb jroif^cn feiner
Beurteilung ber c^riftlic^en 9icUgion unb ber jenigen ^arnarf§ gerabe
ber, ba§ er bas; SBcfen berfelben für tolle ftiüiftifd^, |)Qr*
md bagegen für inbioibualiftifc^ l^alte. Unb bie§ fei bann
jugleic^ ba§ eigentli^e Streitobjeft jroifi^en ben fat^olifdjen J^eo^
logen einerfeitS unb bcnen ber reformierten Äirc^engemeinfc^aften
anbererfeit^; e§ laffe fic^ auf bie einfa^e grage jurüdfü^ren:
„3^ft ba§ (Soangelium ^^fu im ^rinjip inbioibualiftifc^ ober fol^
leftiüiftifc^" ? „©egenüber bem ^roteftanti^mu«^, ber bie c^riftlicf)e
JReligion tonfequent jum abfoluten ^^nbioibuali^mu^, b. f). jur
unbegrenjten ß^^^^ödtelung fü^rt, ^at ba§ fatt)olifc^e ©^riftcntum
ein flarere§ 93emu§tfein Don fic^ felbft betommen unb fic^ aU eine
göttliche 3"f^i^wtiou erflärt, infofern e§ eine äugerlic^e unb fi^t=
bare ©efellfc^aft mit einem einjigen Oberhaupt ift, melc^e§ bie
^üDe ber 2et)r^ 3»uri^biftion§^ unb ^eil§gemalt befi^t, b. f), alte
in ber Äirc^e oor^anbenen 9lec^te, bie oon ben früheren 3>o^r«
l^unberten bem altgemeinen Spiftopat unter Ober^errfc^aft be^
^^}apfte§ jugefd^rieben loaren o^ne nähere ©eftimmung, ob ber
^apft fte atte in fid) felbft befa^" (@. 141).
2lber n)a§ ift ba§ für ein ungelieuerlic^e^ quid pro quo?
SBSer ba§ (Soangelium ^t\n im ^rinjip für toDettiDiftifc^ l^ält,
ber mu§ bie ganje ^apft-Äirc^e mit aßen i^ren ^nftitutionen unb
Set)rbeftimmungen bi§ biu jum Unfef|lbarfeit§*3)ogma be§ oatifa*
nifc^en Äonjil§ mit in Kauf nehmen — unb mer ha^ nic^t tun
roitl, ber ertlärt bamit ba§ ©oangelium ^efu im ^rinjip für cy«
tlufiU'inbioibualiftifc^ ? ®§ lä^t fi^ ja taum ein gröberer unb
l)anebäc^nerer Srugfc^lu^ beuten alö biefcr. ©c^on ba§ jugrunbe
gelegte 3)ilemma ift mitlfürlic^ tonftruiert; in SBirtlic^teit befte^t
c§ gar nic^t. Ob bai^ (Soangelium Qefu — ober fagen mir lieber,
roeil richtiger unb unmi^oerftänblic^er: ob bie d)riftli^e 9ieligion
inbiuibualiftifd) ober tollettioiftif^, alfo ob fie ba§ eine mit
2lu§fc^lufe be§ anbereu fei, biefe J^ageftelluug ergibt fic^ jeben-
fatl^ au§ bem Soangelium felbft nic^t. SBirb bie S^age aber
einmal fo gefleltt, bann fann bie Stntmort felbftuerftänblic^ nur
lauten : bie c^rifttic^e SHeligion ift toUettioiftifd). Sie ift toltettioiftifd).
SBobbcrmin: Soif^ contra ^arnacf. 95
bcnn ftc lüitt bic SReligion bcr ganjen üWcnfc^l^cit fein, e§ jcbcnfaüö
immer me^r merben ; fie ift folfettiöiftifc^, benn ba§ 9teJc^@otte§, auf
ba§ fie abamedt, ift bie SebenSgemeinfc^aft ber ©efamt^eit freier
©elfter mit @ott. 2lber biefer Äotfcf tim§mu§ ber d^riftli^en SHe^
ligion fte^t mit einem rec^t ücrftanbenen <3nbioibuati§mu§ eben
nic^t im SBiberftreit ; er fe^t it|n melme^r aU Sebingung üorau§.
3)enn ba^ SReic^ ©otteö aU bie Seben§gemeinfc^aft freier ©eifter
mit ©Ott unb aU ber grofee 53ruberbunb ber Äinber ©otte§ ge^
iDinnt feine ®rfüUung nur fo, ba^ immer mieber beftimmte ein^
seine SWenfc^enfeelen bem SRuf be§ SBaterg im $imme( gotge leiften.
9]ici^t ^nbioibuali^mu^ ober Äoüeftiüi§mu§ tann für bie
c^riftUc^e ^Religion in S^agc fommen ; fonbern nur ÄoUeftioi§mu§
auf inbioibualiftifc^er ©runbtage mirb i^r gerecht. SEBo bie ^^age
in jener anbern 5orm gefteUt mirb, bleibt man hinter ber
$öt)e ber c^riftlic^en 9ieligion§ftufe jurüd. ©s; gehört gerabe
mit jum aßefen ber c^riftU^en SReligion, ba§ fie ba§ 3)itemma:
inbioibualiftifc^ ober folleftioiftifc^ übermunben ^at. 3)er blo^e
religiöfe ^nbioibualisimug unb ber bto§e religiöfe ÄoUettioi^mu^
fmb formen ber oor- unb unterc^riftlic^en SReligiofität. 3)er c^rift=
(i^e ©(aube a(§ ber ©laube an ben einen geiftig^perfönlid)en ©ott
unb an bie 93eftimmung ber ÜWenfc^en jur Sebenögemeinfc^aft
mit i^m ift inbioibualiftifc^ unb toüeftioiftifc^ jugleic^ : er ift in^^
bioibualiftifd) mit foüettioiftifc^er 2:enbenj, er ift toUeftioiftifd)
auf inbiüibuaHftif^er ©runblage. ©in großer Sruberbunb ber
in bie £eben§gemeinfc^aft mit ©ott 2lufgenommenen, aber nur fo,
ba^ and) mirtlic^ jeber ©injelne für feine ^erfon in biefe Seben§*
gemeinfc^aft eintritt.
3ur ooUen 93ermirflic^ung fann biefer 53ruberbunb erft im
3enfeit§ gelangen; aber er foU ^ienieben vorbereitet unb ange*
ba^nt merben. 3)iefem Qvoed unb nur i^m bienen bie äußeren
Äirc^engemeinfc^aften ber d)riftlic^en 9ieligion. Sie finb
ba^er für fic^ unb in ifirem 93er^ältni§ ju einanber barnad) ju
beurteilen, in melc^em 9Jla§e fie ba§ tun unb in welchem ©rabe
fie fic^ baju fa^ig erroeifen. Unb alle ©inric^tungen ber Äirc^en
fmb unter biefem ©efic^t^punft a(§ ben le^tlic^ entfc^eibenben ju
fteöen unb oon i^m au§ im ^inblirf auf bie jeroeilige gefc^ic^t*
96 Sßobbermin: Sotfg contra ^amac!.
(ic^e ©efamtfituation immer micber ju repibieren.
S)iefcn oberften ©runbfa^ für bic 93eurtci(ung ber äußeren
Äirc^engcmeinfc^aften beftreitct aber bie römifc^e Äirc^e pxiuiu
pieQ. 9(uc^ bie eoangelifc^en ^irc^en ^aben biefen ©runbfa^
teine^megg immer ^inreic^enb befolgt unb machen auc^ ^eute \)kU
fac^ nod) nic^t genügenb @rnft mit i^m; aber fie ertennen i^n
jebenfaüiS im ^rinjip an. 3)ie römifc^e Äird^e bagegen beftreitet
i^n prinjipieH. ©ie betrad)tet i^re beftimmt organifierte äußere
Jlirc^engemeinfcl)aft a(§ bie alteiu bered)tigte unb per^inbert bamit
ober erfc^mert roenigftenS an i^rem Seil bie SWealifteruug jeneiS
oben genannten Snbjroerf^ ber c^riftüc^en Äirc^en, inbem fie für
weite Äreife i^rer 33etenner ba§ 33en)u&tfein ber 3wfönimenge*
^örigfeit ber gefamten ©^riften^eit erflirft.
3)ieS ift rec^t eigentlich ba§ npöTov tJ^eoSo?, bie ®runblüge
(Süge im objettioen, nic^t im fubjeftioen ©inne) be§ römifd)en
Äat^olijiSmuö. Unb mie fe^r fie i^m in Jl^U^ unb 93lut über^
gegangen ift, beroeift ni(^t§ beffer al§ ber Umftanb, ba§ fetbft ein
aWann mie Soift) fic^ oon i^r nic^t ^at frei machen tonnen,
©c^on ber Sitel feinet 93uc^e§ jeigt ba§. ^^Suangelium unb
Äirc^e" überfc^reibt er e§. 3)ie „Äirc^e" aber, oon ber bann bie
iHebe ift, ift mie felbftoerflänblic^ immer bie römifc^e. SBeber
bie Äiri^engemeinfc^aften ber morgenlänbifc^^ort^oboyen, noc^ bie
ber eoangelifc^en S^riften^eit fommen prinjipieü mit inöetrac^t.
Unb ber römifc^cn Äird^e gegenüber oerfagt fein fonft fo fd^arfeS
l)iftorifc^^tritifd^e§ Urteil ooUftänbig.
3)ie römifc^e ^ird)e ift ]^ierard)ifd) georbnet unb ru^t ganj
unb gar auf i^rer ^ierarc^ie. 3llfo mu^ biefe ^ierard^ifc^e Orb-
nung bi§ in bie ©ntfte^ung^jeit ber c^riftlic^en Sieligion jurücf^
oertegt werben. 3)a fc^eint nun jmar guter 9iat teuer ju fein.
91 ber o nein ! ©c^on ber erfte QüngerfreiS liefert ja ben ©eroeiS.
3)enn biefer Qüngertrei^ jeigt nic^t nur eine fd)arf umgrenjte,
ooUtommeu fenntlictie, auc^ gut jentralifierte, fonbern au^ eine
„bei ootlfommenfter 33 r überlief feit f ogar l)ierarc^if c^
geglieberte ®ruppe" (©. 99). Difficile est,* satiram non
scribere. greilic^ ift Soifg el^rlic^ genug, eine ©eite fpäter in
93ejug auf jenen ^ü^a^rf^^i^ ^injuguf ügen : „3)a§ a38ort beö ©r--
SB 0 b b c t m i n ; Soif^ contra ©amac!. 97
(öfcr§, Toer unter cud) bcr Srftc fein mü, bcr foü bcr Äne^t
alter fein" roirb roörtlic^ angeroanbt. S)ie ®emeinfc^aft tennt nur
einen einjigen 3Weifter, einen einjigen ^errn, nämlid^ S^ri*
ftu§ unb fonft teine moggebenbe Slutorität; bie einjigc ^ie»
rarc^ie, bie e§ gibt, befte^t in ber Eingabe." ©o fc^eint alfo
bie ainroenbung be§ a3egriff§ ber ^ierarc^ic auf ben erften jünger«
trei§ boc^ nur ein SBJortfpiel fein ju foüen? ©ie ift nur ein
aßortfpiet unb ift für ben 93erfaffer bod) jugleic^ me^r al8 ein
SBortfpiel. (5§ ift gerabe ba§ ©^arafteriftifc^e feinet 93eroei§oer*
fa^ren§ in bem ganjen 2lbfc^nitt über bie Äirc^e, ba§ er ^ier
burd)n)eg mit me^rbeutigen ^Begriffen arbeitet, bie baju be^*
nutjt werben, Folgerungen ju sieben, bie burd) ben 2lnfa^ in feiner
SBeife geberft finb.
3)a^er oerfte^t Soifg auc^ nic^t, ba§ proteftantifc^e ^iftoriter
unb J^eotogen unb fo gerabe and) ^arnarf oon geroiffen Sin*
ri^tungen unb 9Ser^aItung§n)eifen ber römifc^en Sirene urteilen,
fie feien jroar für beftimmte 3^itoerl^ä(tniffe, etroa für bas SWittel=
alter, burc^auS nü^lid^ unb berechtigt geroefen, ^eute aber fei
i^nen unter ben gang ueränberten 93er^ältniffen bie Sjiftenjbe^
re^tigung abjufpre^en. Sbenforoenig oerfte^t fioifg aber anbrer*
feit§ ba§ Urteil ber proteftantifc^en Jl^eologie über bie 2lrt unb
SEßeife, in ber immerhin auc^ bie römifc^e Sirene ein gen)iffe§
3Wa§ üon 3lnpaffung§fäl)igfeit an bie realen Sßertiältniffe be*
roiefen ^at. ®r meint l)ier fogar einen befonberen Strumpf gegen
^arnacf au§fpieten ju fönnen. „§. legt !ein ©emic^t auf biefe
SBiegfamteit ber römif^en ^irc^e; er fd)eint in il^r me^r einen
aWanget aU ein SSerbienft ju fe^en. 3iCi>^nfölI§ ifte§rec^t
pitant, einem liberalen ^roteftanten unb ©elel^rten
JU begegnen, ber jur 2lnfic^t neigt, bie fat^olifc^c
Äird)e änbere fid) ju fe^r, ober ber barüber fi^ mun*
bert, ba§ fie fo fe^r unb fo leid)t fic^ änbcrt. SBie
©iete anbere machen i^r im (Gegenteil SWanget an genügenber Sßer*
änberung jum SBorrourf!" (©. 98).
9lber ber SSormurf ^arnacfS richtet fic^ gegen bie innere
Unma^r^aftigfeit, bie barin liegt, ba^ bie römifc^e Sirene
fclbft an ben fünften, mo fie in if)rer SBeife ben ueränberten
3e4tf<^rift für X^eoloßU unb Stivdff. 16. Qa^rg., 1. ^<;ft. 7
98 SBobbcrmin: ßoif^ contra ©arnac!.
aSer^ältniffen 9lec^nung getragen unb neue aOäege eingefc^lagen
l^at, bie ein roirtlic^e^ abbiegen pon ben früheren bebeuten, bieS
bod) im ^rinjip in Slbrebe fteüt unb behauptet, e§ ^anbele fid^
nur um bie organifc^e Entfaltung pon Seimen, bie von Dorn^er*
ein in ber Sird^e — nämtic^ in ber römifc^en Sirene — oor*
Rauben gemefen feien. S)urc^ biefen ©vunbfa^ roirb ein fH&ilU
türperfa^ren fanftioniert, ba§ aöe objettioen aKa^ftabe furjer
^anb beifeite fd)iebt unb eine unparteiifc^e 93eurteilung be§ ©nt-
n)icHung§gange§ anberer Sirc^engemeinfc^aften pon porn^ercin un»*
möglich mac^t. Soif9§ SSerfud^ fc^lie^Ii^, ^iftorifc^ ju jeigen, ba§
bie ©ntmidflung notmenbig ben SBeg einfd)lagen mu&te, ben fic
in ber römifc^en Äirc^e roirflic^ eingefc^Iagen ^at ba§ biefer SBeg
ber allein normale unb in jeber 93e}ie^ung gefunbe joar, — biefer
Sßerfuc^ bleibt ben 93en)ei§ burc^roeg fc^ulbig ; felbft in ber äußeren
5orm tritt bei biefer ©elegen^eit bie SBoreingenommenbeit feiner
^ier nur noc^ fdjeinbar „^iftorifd)en" 93etrac^tui!g .^erpor. „®§
mu^te fo tommen, benn — e§ ift fo gefommen": ba§ ift ganj
unper^üUt bie Slrgumentation, beren fid) Soifg ^ier jebe^mal be»
bient. 3Wittelft biefe§ SBerfal^renS tann man aber befanntlic^ alleS
rechtfertigen. S)enn auc^ ba§ ©c^le^te, Ungefunbe, Qvotd'- unb
aSernunftmibrige in ber menfc^lic^en ©efc^ic^te ift gefc^id^tlid) ge*
morben.
®e^en mir alfo ju bem legten ^un!t über, ber pon un§ noc^
ermäl^nt merben follte, unb an bem bie Äritit SoifgS aud) roieber
glücflid^ere ÜJlomente l)at.
„3)er ^iftoriter wirb nic^t leugnen moUen, ta^ bie ©^riftuS^'
3bee für ba§ (J^riftentum mefentlid) fei" (©. 36). ©§ ift in ber
Xat ^eute nid)t überflüffig unb nid)t ol)ne aSerbienft, ba^ ein ^i*
ftorifer biefe 3Bal)r^eit feinen gai^genoffen gegenüber betont. 2lber
^at ^arnadf fie beftritten? ^d) mü&te nic^t ipo. SBo^l aber
mü^te ic^ uiele (Stellen in feinen 2lrbeiten ju nennen, bie jeigen,
ba^ er jene 2^^efe ui^t nur gleichfalls bebingung§lo§ pertritt, fon«
bern ba| er auc^ ba§ größte ©eipi^t auf fte legt. „3;a§ ©Triften«
tum" — befiniert er j. 93. in ber 3)ogmengefc^id)te — „ift bie
SReligion, in roelcl)er bie Äraft ju einem feiigen unb ^eiligen Seben
gebunben ift an ben ©lauben an ®ott als ben SSater :3e(u S^rifti."
^obbctmin: Soifi) contra ©arnacf . 99
3)amit ift bic S^riftuS^^bce al§ für btc c^riftti^e SReligion fon«
pitutip erffärt.
3nbe§ ^arnarf fagt bod) in ben SBorlefungen über ta^ SBefcn
bc§ ®^riftcntum§, nic^t ber ©o^n, fonbern aüciu.bcr SBater gc*
^örc in ba§ Soangelium ^incin. S3Sa§ roilt bicfc 2:f)efe unb loic
ftimmt fie mit jener 33etonung ber 6;^riftu§«<3^ee unb i^rer 93e*
beutung jufommen? ®§ ift allein über biefe 2:^efe fc^on fo oiel
gefc^ricbcn unb geftritten roorbcn, ba^ man mit fiei^tigteit eine
Heine ©ibliot^ef barüber jufammenftcBen fönnte. 3)od) ift, fomcit
id) ju fc^en oermag, ber fpringenbe ^un!t bi§l^cr nic^t tlar l^er*
auSgeftellt roorben.
S)ie 2ln^dnger ^arnacf§ oermeifen barauf, ba| er jene 2:i^efe
gar nic^t fo allgemein ^ingeftetlt, ba§ er fie uielmelir nur mit ber
92ä^erbeftimmung au^gefproc^en ^abe: in ha^ ©oangelium, mie
e§ QcfuS perfünbigt ^at, gehört ber ©o^n nic^t l^inein
(9Befen be§ S^riftent. @. 91). ®a§ ift riditig unb biefe ©in-
fc^ränfung mu§ natürlid) beachtet werben, — aurf) Soifg über^^
fie^t biefelbe; — aber erlebigt ift bie ©ac^e bamit bo^ nid)t.
2)enn ba§ ©uangelium, roie e§ -3efu§ oertünbigt ^at, b. \). alfo
bie ^rebigt Qf^fu ift ja nid)t ol)ne meitere^ ibentifd) mit ber
c^riftlid^cn Sieligion. Unb ^arnadf mill bod^ offenbar mit
jener 2:^efe eine 93eftimmung über bie c^riftlid^e Steligion felbft
treffen. 3)ie ^^rebigt 3>^fu aber ift nur einer ber gaftoren, bic
}ur Sntfte^ung ber d)riftlic^en SWeligion gefütirt ^aben. Jteben
ber ^rebigt Qefu ift in ber gleichen 9lid)tung unb für benfelben @r*
folg jmeifello§ ber Sinbrud feinet ganjen perfönlic^en Seben§ mirt*
fem gemefeu. ®§ ift fd)lie^lic^ bie ®efamterfc^einung unb @e*
famtroirffamfeit ^efu, meiere bie Sntftel^ung ber c^riftlic^en SRe^
ligion ]^erbeigefüt)rt ^at. ^n biefer feiner ®efamterfc^einung unb
©efamtroirtfamfeit ^aben bie jünger bie ©elbftoffenbarung @otte§
gefe^en, bie Sßcrförperung be§ göttlichen Sogo§, mie ba§ uierte
©oangelium fagt, b. 1^, bie 93erförperung ber emigen bie SBelt
burc^maltenben ßw'^cfgebanfcn unb Seben^träfte ©otteg. Unb fo
ift erftmalig in biefem ^ünger^Jlrei^ bie gottbilbung be§ religiöfen
Seben§ ju berjenigen g^rm unb Stufen^ö^e erfolgt, bie feitbem
unb ebenbegl^alb al§ d)riftlic^e bcseid^net mirb.
100 ffiobbctmin: Coifg contra §arnac!.
3)a& aber für bicfc c^riftlic^c Slcligion bic ®^riftu§*^erfon unb
bie (J^riftu^-^bcc üon grunblegcnber unb bleibcnbcr 33cbeutung fein
muffen, ergibt fic^ au§ ber eben angefteüten SReffeyion no6)nxaU
mit sroingenber 9iotn)enbig!eit. Sntfte^ung unb 93eftanb ber d^rift*
liefen SReligion ru^en auf biefem gunbament. ^arnacf brürft ba§
in einer offenbar abfic^tlic^ jebe Erinnerung an t^eologifc^e unb
firc^lic^e 2:erminologieen oermeibenben Formulierung fo au§: ^t--
fu§ ®^riftu§ fei bie perfönlic^e SBerroirflic^ung unb bie Äraft beS
®oangelium§ gemefen unb merbe no^ immer al§ folc^e empfun*
ben (SÖäefen be§ (J^riftent. ©. 91). 2lber bann ergebt fi^ nun
nur um fo nac^brürflic^er bie S^age: ma§ bebeutet bann bie
2:i^efc, nic^t ber ©o^n, fonbern nur ber Sßater gehöre in ba^
®oange(ium, mie e§ Qt^n^ oer!ünbigt ^at, hinein?
Um ®inn unb Slbjmedfung biefer S^efe ju üerftelien, muffen
mir un§ mieber erinnern, ba§ e§ ^arnact in ben SBorlefungen
ganj in erfter Sinie barauf antommt, bie d) r i ft li ^ e SR e ( i-
giofität, alfo bie c^riftUc^e 9te(igion nac^ il^rer fubjettipen
Seite JU c^arafterifieren. gür bie c^riftlic^e 3letigiojität aber
gilt bie Sofung 2luguftin§: ®ott unb bie ©eelc, bie ©eete unb
i^r ®ott. 2)ie c^riftlic^e SReligiofität barf fid) alfo nic^t teil§ auf
©Ott, teils auf QefuS (J^riftuS bejiel)en, fie barf nicftt ben ©ol)n
in ber SÖäeife jum ©ejie^ungS^Objett be§ religiöfen @laubcn§ unb
religiöfen SBerlialtenS machen, ba% fie il^n felbftänbig b. f). mie
eine befonbere ®rö|e neben @ott ftellt.
aOBo^l tann fid) bie ^riftlic^e SReligiofität auf ben „©o^n",
auf Qefu§ S^riftuS bejie^en, aber normaler SBJeife nur fo, ba§
bann ^z^n^ ®^riftu§ al§ ber SBermittler ber ©elbftoffenbarung
®otte§ ®ott felbft repräfentiert. 9iur mit biefer Siä^erbeftim^
mung ift bie gorberung eine§ perf6nlid)en religiöfen SBer^ältniffeS
}um ^erm ^z^nS ®^riftu§ in ber diriftlic^en Sieligion bered^tigt.
©0 bur^gefü^rt bejeic^net baSfelbe bann gerabe ba§
öbeal d^riftlid)er9teligiofität,b.^.alfo c^riftlic^er grömmig^
feit. 2lber mie fo oft im menfc^lidien Seben liegen aurf) l^ier SGBal^r^eit
unb -Qfrrtum unmittelbar neben einanber. 3)enn fobalb jene Släl^erbe^
ftimmung pergeffen ober aud^ nur in ben ^intergrunb gerürft mirb,
fü^rt bie gorberung eine§ perfönlic^en religiöfen Sßer^ältniffeS jum
SBobbcrmin: ßoif 9 contra ^ornad 101
^crm 3efu§ 6^riflu§ auf bie Sinie bc§ ^oIqt^ci§mu§, alfo auf
bie Sinie untcrc^riftlic^cr SWcligiofität. Unb biefc ®efa^r ift ^cute
— au^ in ben eoangelifdien ^irc^cn — um fo größer, atö ein
t)oüe§ 9Serftänbni§ für jene genuin * c^riftlic^e ©d)a^ung (J^rifti
offenbar nur wenigen jugänglic^ ift. SBorbebingung bafür ift ent*
weber ein gen)iffe§ aKa§ ^iftorifc^^t^eologifc^er 93ilbung, ba§ für
fiaien nur in SluSna^me^^äü^^ erreid^bar ift, ober eine ^ntenfität
beg religiöfen Seben§, mie fie erfa^rungSmä^ig nur in Keinen
Greifen ^eimifd^ ift. SBeiteren Greifen barf bie 9lotn)enbigtcit
cine§ perfönli(^en religiöfen 93er^ältniffe§ ju ©l^riftuS jebenfaU§
nic^t um ben ^rei§ ber ©efä^rbung be§ monot^eiftifc^en ©otte^-
glaubend geprebigt werben. 3)er S8eg, ber bamit eingefd)lagen
würbe, mürbe birett in ben Kat^oliji§mu§ hinein« unb jurüct*
führen. SBieber bemeift fioifq'S 93u(^ bie Siic^tigfeit biefeg Ur^
teil§ unb bamit jugleid) bie 93ebeutung ber rid^tig gebeuteten
^arnadffd^en 2i^efe. ©obalb nämlic^ jene befproc^ene ^lä^er-
beftimmung be^ perfönlic^en religiöfen SBer^ältniffeg ju ß^riftuS
au^er Slc^t gelaffen wirb, ftel|t prinäipieU nichts mel^r ber herein ^
jie^ung weiterer ^ultsObjefte in bie d^riftli^e SReligiofität im SBege.
S)ann ift wirMid), wie Soifq behauptet, „ber ^eiligentult bie
natürliche ergänjung be§ Äultu§ 3efu" (©. 173).
(S§ ift au^erorbentlid) intereffant unb religion^pf^c^ologifc^
^öct)ft lelirreic^, biefe 2lrgumentation einc§ fd)arffinnigen unb auf-
geflarten fatt)olifc^en 2:^eologen ju ©unften be§ ^eiligen^ unb
aWarientultu^ genau in§ Sluge ju faffen. 3)enn bem ^eiligen:=
fultuS fc^lie^t fic^ natürlich ber SWarientuUu^ fofort an. „©ie^t
man oon ber befonberen 93ebeutung feiner ©ntwirflung ab, fo
fteüt fid^ ber 9Warienfult unter ben gleichen 93ebingungen bar, wie
ber Äult ber ^eiligen", b. \). alfo aud) er ift „bie natürliche ®r^
gänjung be§ Sultu§ Qefu". Unb in 93ejug auf biefen ganjen
3[«fu§=9Warien^ unb $eitigenfultu§ wirb nun behauptet, ba^erft
er ben religiöfen ®et)alt unb biereligiöfe33c=
beutungbe§®^riftentum§fic^erftelle. „O^ne biefen
ftult ift ba§ e^riftentum nur eine ^l)ilofop^ie , eine mqftif^e
^l)ilofop^ie, wenn man will, bie ben Flamen 9teligion wo^l an*
nehmen möchte, aber fein Siecht baju ^at, ba fie feine beftimmte
102 SBobbcrmin: ßoifg contra §ornac!.
religiöfe gorm behält."
3ft tatfädilic^ burc^ bic polgt^eiftifc^c ^rayi§ bc^ Äat^oli^
ji§mu§ ba§ Urteil felbft eine§ 5OTanne§ wie Soifq fo getrübt, ba§
er in ©efal^r gerät, ©inn unb SBefen innerüc^fter JWcUgiofität voll--
ftänbig ju oerfennen? ^\t wixtli^ bie Slbgrenjung ber 9leligion
gegen bie ^t)Uofop^ie nur baburc^ möglich, ba§ man mgt^ologi*
fierenbe aSorftetlung^formen jumaBefen ber SReligion mac^t? SßicU
me^r: ^Religion ift Seben in unb mit @ott; unb ber ©onberc^a^
rafter ber ^riplic^en Steligion berulit bemgemäg auf ber @igen^
art i^re§ @ütte§g(auben§. 3)iefe fpejififc^^c^riftlic^e ®eftaltung
be§ ®otte§glauben§ ift burd^ ^^fw^ ®^riftu§, burc^ feine @efamt'=
erfc^einung unb ©efamtroirffamfeit, ber 9Wenfc^l^eit befc^afft roor*
ben. S)ie objeftiüeöebeutung 3«fu ©^tifti (ber 6^riftu§*
^^Jerfon unb ber S^riftuö-^bee : beibe^ get)6rt jufammen unb be=:
bingt fic^ gegenfeitig) für bie c^rifllic^e SReligion ift ba^er ganj
unbejroeifelbar. ätber bamit ift noc^ feine§meg§ bie Stotroenbig«
feit einer SSejie^ung ber fubjeftipen Steligiofitätauf
3^efu§ (J^riftu§ für jeben ©injetnen unb in jebem einjelnen gaö
gegeben; ja mo e§ ju einer folc^en tommt, ba foü unb barf fie
felbft nur SDiittel fein für bie ©eminnung ber oöüigen SebenSge«
meinfd)aft mit bem ma^r^aft geiftig-perfönlic^en ®ott be§ c^rift*
li^en @(auben§ : ©ott unb bie ©ee(e, bie ©eele unb i^r @ott ^).
1) ^ie ©itate au§ ber fioifpfc^en ©c^rift „©oangelium unb ^irc^e"
finb ber autorifierten Ueberfctjung nac^ ber jroeiten oerme^rten, big^er
unveröffentlichten ^luflage bc§ Originals entnommen, bie SWünc^en 1904
bei Äiri^^cim erfc^ienen ift.
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) in Tübingen.
Lehrbuch der Geschichte der Philosophie.
Von Dr. W. Windelband,
ProfeBfior an der Universität Heidelberg.
Dritte, durchgesehene Auflage.
Lex. 8, 1903. M. 12.50. Gebunden M. 15.—.
Windelbands grosszügige philosophische Würdigung der Reformations-
epoche, die natürlich bei der Renaissance angesetzt wird, verdient besondere
Heraushebung. In klarer, knapper Darstellung wird gezeigt, wie die lapi-
dare Einheit des m. a. Lebens gespren$;t wird, das Individuum das Zunftge-
mässe ersetzt und die «Wiedergeburt des rein theoret. Geistes* unmittelbar
die Kongenialität mit dem griechischen Denken erzeugt und dadurch wieder
zur Naturwissenschaft geführt wird
Theologischer Jahresbericht 1904. 23. Band.
Modernes Christentum.
Von Jean Röville,
Professor der Theologie «u Paris.
Autorisierte U^bersetzung von H. Buck.
8. 1904. Gartoniert M. 2.50.
»Was ist das Wesen des modernen Christentums?** Auf diese Frage
gibt ein geistvoller französischer Professor der Religionswissenschaft mit
ffrösstem Freimut und bewundernswerter Unerschrockenheit in dem vorliegen-
den Buche eine Antwort, die klar genug ist und von theologischen und kirch-
lichen Streitfragen nur soviel bringt, dass sie auch für solche Leser, die weder
zünftige Theotogen noch mit protestantischen Kontroversen versehen sind,
wirklich verständlich und aufklärend ist Möchte die Hoffnung des
Verfassers auf eine Zukunft, wo die durch und durch sittlich aufgefasste Re-
ligion das segensreiche Einheitsband bilden wird, das alle gutgewillten Men-
schen stark umschlingt, in Erfüllung gehen. Das ist der lebhafte Wunsch
eines aufmerksamen und dankbaren Lesers, der das vorliegende Buch allen
denen, die sich nach Aufklärung über religiöse Fragen sehnen, zu freier und
selbständiger Prüfung angelegentlich empfiehlt.
Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung. 1905. Ar. 3.
Religion und Kirche in England
im fünfzehiiteii Jalirlixindert.
Von Dr. Eduard Fuetar,
Privatdozent an der Universität Zürich.
Gross 8. 1904. M. 2.—.
Mit der von Finke gewünschten Ausdehnung der reformationsgeschicht-
lichen Forschungen auf ausserdentsche Gebiete hat Fueter einen glänzenden
Anfang gemacht. Er genügt den beiden Anforderungen, die man in erster
Linie an einen Geschichtsschreiber stellen muss: er versteht es, die Quellen
recht zu benützen, sie alles, aber auch nicht mehr, sagen zu lassen, was sie
enthalten — ganz zutreffend werden ja wohl die Verallgemeinerungen nicht
alle sein, aber darüber kommen wir eben nicht hinaus — und zum andern
hat F. die Gabe klarer gefälliger Darstellung. Das kleine Schriftchen ist
äusserst gehaltreich . . . Theologischer Jahresbericht. 1904. 23. Band.
J. C. B. M o u R (Paul Sibbkck) in Tübingen.
£cbcn$ftciocn gete&ü^^^^^ &«;
-^%.v%.i»^|v%>»^%.i» p^-of effor öer Ideologie in 3cna.
Der 6ei{t, in 6em 6te tebensfragen gefc^rteben loerben, \\t 6er 6ei{t
DoIIer iDiJ{en{(^aftIi(^er IDa^r^aftigltett un6 S^^i^^it.
Keine Dartei mrc^Iic^er ober politifc^er llatur engt bie lUitarbeiter ein ; Itetne
Hüdtfi^tna^e lotrb uns sunt Derfc^ioeigen ober Der{d)Ieiem ber datfad^en
3Q)ingen. XDxx {uc^en unfere Cefer in allen Konfefjionen unb fe^en jie als lUün*
bige an, btntn aud^ bas Ce^te gefagt loerben kann, bte jic^ jebes liebe Dorur*
teil unb jebe be^aglic^e Selbftberu^igung neunten lajfen, um ein gutes 6eiDi|jen
gegen bxt IDa^r^eit 3U gewinnen. <aud ^ SBeineU iprogromm.)
Erschienen sind:
Die Heligion unferer Klaffifeer, g'"s?rÄn;
8. 1904. m. 2.80. ©ebunben m* 3.80.
tlaturalt(ti(^e unb religtöje tPeltanji^t,
Don Drioatbosent £ic. R. ©tto, ©öttingen. 8. 1904. HT. 3.-.
6eb. ilT. 4.-.
DdlllllS ^^^ Hlenjc^ unb fein IDerft: Die Anfänge bes (E^riften-
|>/uuiu^» ^m^^ ^^^ Kirche unb bes Dogmas. Don Prof. £ic. Dr.
tj. IDeinel, 3ena. 8. 1904. ITL 3.-. ®eb. HI. 4.-.
Die Heform bes Strafre^ts unb 6te (Et!)tli
bes (E^riftentums. Don profefjor D. p. D r e u) s , ©iefeen. 8. 1905.
50 Pf.
3t)te Utitioirltung ^aben sugefagt:
Profe||or D. p. DretDs, biegen, profe|{or D. B. Du^m, Bafel, (bt% Qofrat Pro«
fejjor D. Dr. R. €u(ften, 3ena, Repetent Lic. €. Sw<^s, ließen, Profejjor D.
(E. 6rafe, Bonn, profejfor D. R. ^arnack, Berlin, profejjor D. TD. ijerr«
mann, ITTarburg, profejjor D. ij. 3. QoHmann, Strasburg, profejjor D.
flb. 3üli(^er, ITTarburg, pajtor D. Katser, £öbau, profejjor D. Krüger,
©ießcn, Srou (Elsbet^ Krukenberg-donse, KreusnaA, Oberle^rerin UTarie
ITt a r t i n, Berlin, profejjor D. UT e i n ^ o l b , Bonn, profejjor D. Arnolb ITT e ij e r,
3üridj, prioatbosent Lic. R. Otto, 6öttingen, profejjor D. ITT. Rabe, ITTarburg,
Kreisjdjulinjpektor S <^ e r e r, Bübingen (frül|. IDorms), profejjor Dr. S <^ u m a dj e r,
KölmBonn, profejjor D. K. Seil, Bonn, Pfarrer Lic. (traub, Dortmunb, Pfar-
rer % TD eg euer, ITToers, Profejjor l). Jo^. IDeiß, ITTarburg, Drofejjor D.
p. IDernle, Bajel, Pfarrer Lic. Otto 3 urteilen unb Srau (tlje Pflei-
berer), Seeljd^eib.
108
SSortrag gehalten in bcr füb^annoücrifc^cn ^aftoralfonfcrenj
am 5. Oftober 1904
pon
^:ptof. D. gferb. ftattenbttfdi
in ©öttingcn*).
®ie iJaffung bc§ 2:^cma§ ergibt ja rool^l fofort, ba§ e§ nic^t
meine Slbfi^t ift, eine Ueberftc^t über bie ©ruppierung ber ein^
jelncn t^eologifd)en Schulen ber ©egenroart unb über bie neueflen
loiffenfc^aftlic^en ©penialleiftungen anf bem ©ebiete ber fqftema*
tijc^en 2:^eoIog!e ju gewähren. 3Bäre ba§ meine 2lbfi^t, fo
mürbe id) ftatt von ber fiage^ pon bem ©tanbe ber fgftematifc^cn
J^eotogie in ber ©egenroart reben. Ueber ein berartige§ S^ema
f^be i^ oor einer Steige oon ^a^ren einmal in ©ie§en in einer
^^Jfarrertonferenj gefproc^en unb ben Vortrag unter bem Site!
„S3on ©c^leiermad)er ju 9litfd)t" im 5)rurfe l)erau§gegeben. 2ll§
ic^ biefen Sßortrag im norigen Qa^re (1903) in britter Slu^age
erfc^einen lie|, f)abt id) in einem 9tac^trage bie ©ntmirftung feit
9litf^Ig Slbleben turj c^aratterifiert. Qd) burfte ober mu^te mit
1) 3^ gebe ben SBortrag jum größten %e\i roörtUc^, roie er gehalten
mürbe, jebenfaUg ift nirgenb^ ^ier fac^lic^ anbetet geboten, aU münblic^
gefc^a^. ^ie %tbatU, bie fi^ an ben ^ßortrag !nüpftc, legte e§ mir na^e,
nic^t oicl f)tnäU5ufügen. gd^ oeqid^tc burd)wcg auf 3itate, ba ic^ gar
ni(^t mit einzelnen 3:f)eologen ftreite, fonbem jufammenaufaffen fuc^e, mag
für bie ^egenroart bie mefentUc^ften S^ontrooerfen beseid)ncn bürfte.
^ettfd^rift für ^^eologie unb Äirt^e. 16. 3a^rg., 2. ^i\t. 8
104 Ä 0 1 1 c n b u f d^ : ^ie Sage bcr fgftemat. 3;f)co(o0ic.
93cjug auf bicfc Ic^tc ^l^afc mic^ mit roenigcn Seiten begnügen.
2)cnn wenn aud) in ben nun balb fünfje^n ^ofiren, bie feit 9iitfd)l§
%o^ üerfloffen fmb, fic^ üiele§ roieber in bem Setriebe ber J^eo^
(ogie geroanbelt \)at, fo i)at boc^ bie fqftematifc^e J^eologie baran
nur roenig Jeil gehabt, ©oroeit auf bem ©ebiete ber fqftemati^
fc^en 2:^eoIogie l i t e r a r i f c^ e ^robuttion ju Sage getreten ift,
^ält fie fic^ noc^ immer mefentli^ auf bem ©oben ber älteren
©Ovulen, bereu jüngfte bie 9titfd)lfd)e mar. 3)ie feit^cr aufgetrc^
tene neue ©c^ule, bie ftd) felbft aU bie religiün^gefd)id)tlicl^e be*
jeic^net^ ift noc^ nic^t baju gelangt, in einer jufammenfaffenben
S)arftellung il|r Sßerftänbni^ be§ St)riftentum^ ober beffen, ma§
it)r in ©ac^en ber ^Religion unb ber Sittlic^teit al^ 2Bat)r^eit er*
fc^eint, barjulegen. ©ie t)at oorerft für bie prinjipiellen gragen
me^r nur eine anbere ©timmung unb ©runbintuition unter ben
2:^eologen begrünbet, al§ roie fie auc^ in ber 9titfc^lfc^eu Schule
]^errfd)te. 9Wan erfennt gemiffe Siic^tlinien ber Söege, in meiere
fie glaubt bie fqftematifdje S^eologie ber 3ufunft ^ineinmeifen ju
füllen, aber fie ^at bie SBege norf) nic^t ausgebaut. 2)a§ foll
nic^t im ©inne eines 9Sorrourf§ tonftatiert merben. 2)enn menn
ber Slnfto^ ju einer neuen ©eftaltung ber Probleme nic^t oon ber
fqftematifc^en S^eologie felbft auSge^t, mie e§ bie§mal ber 5^11
ift, fo liegt e§ in ber Statur ber ©ac^e, ba^ erft allmä^lic^ jum
33emu^tfein fommt, miefern bie ©efamtbetrac^tung ber religiöfen
2)inge fic^ erneuern muffe, falls man jenem 2lnfto|e ernftlid) 5olge
gebe. ®S ift für bieSmal befonberS ber mannigfaltige tfortfc^ritt,
jumal eine neue Orientierung ber gefc^ic^tlic^en 3orfd)ung, mo^
burc^ uiele baju gebrängt werben, ehemals juuerfic^tlic^ begangene
SBege ber fpftematifc^en 3:l)eologie als Qrrmege ju beargwöhnen,
unb mit me^r ober weniger entfc^iebenem ©ntfc^luffe }u oerlaffen.
-3ft eS bis jur roirflic^en 2)urc^fü^rung neuer SBege noc^ ni^t
ge!ommen, fo ift eS gleic^moljl möglich, bereits bie ^^unfte ju er*
fennen, mo alte unb neue 2Bege fic^ fc^eiben moüen. Qa eS ift
fc^on jc^t beutli^, um roeld)e fragen fiel) ber ©treit ber älteren
©d)ulen unb ber neuen ^auptfäc^lic^ unb prinjipictl bewegen wirb,
^c^ bin für meine ^erfon weit baoon entfernt, ber neuen
©c^ule ot)ne weiteres 2)li^trauen ober gar 2lntipatl)ie entgegen*
Ä a 1 1 e n b u f c^ : 2)ic Sage ber f^ftemot. 2;^coroöie. 105
jubringcn. ^^rc SSertrcter finb Scanner pon fo cmftcm unb
treuem SBoUen, wie nur bie ber älteren ©c^ulen e§ geroefen finb
ober ju fein glauben mögen. SBer mitbetroffen gemefen ift oon
ber ^ämifd^en, oerbäd^tigenben SBeife, roie feiner 3^^* t)ic oon
SHitfc^t ausgegangene Stiftung oielfac^ aufgenommen mürbe, ^at
au^ geroi^ mit mir feine Steigung, mit ben je^igen jüngeren
J^eologen anber§ atig in ®^ren bie SBaffen ju freujen. S)a§
lebhafte ©elbftgefil^l, baö bie neue Slic^tung wie jebe, bie fic^ oon
älteren ablöft, oorerft nod^ oielfac^ ftär!er c^arafterifiert, al§ im
miffenf^aftlic^en ©treit angenehm empfunben mirb, bie Steigung
cinjelner, fid) bie ©ebanfen ber „älteren" möglic^ft ju oergröbern,
ma§ bann eine „SBiberlegung" jum ©piel ju mad^en f(^eint, barf
man überfe^en. ^e emftlic^er bie neue ©d)ule herantritt an bie
Slrbeiten, bie i^rer märten, um fo fieserer mirb fie bemerfen, ba|
auc^ für fie nic^t alle 93lütenträume eine 5^uc^toer^ei|ung ein*
fc^Iiefeen unb ha% fie nur ju i^rem eigenen inneren ©c^aben bie
©inmürfe, bie i^r oon anberen ©eiten ^er gemad)t merben, über*
^ören mürbe.
3)ie neue ©d)ule ift fo menig mie eine ber früheren oon un=
gefä^r aufgetommen. ©ie ^at i^re jeitgefc^ic^tlic^e 93erec^tigung,
in gemiffem ©inne i^re Stotmenbigfeit an ber gegenmärtigen all=
gemeinen Sage be§ miffenfc^aftlic^en 3)en!en§ unb gü^lenS. ^n
i^r tonjentriert fic^ für bie J^eologie eine ©umme oon äuge-
meinen Steigungen unb 93ebürfniffen be§ mobernen ©emu|tfein§.
@S fragt fi^ nur, ob fie biefem nic^t ju meit entgegenfomme, ob
€§ i^r ganj flar fei, ma§ ba§ bebeutet, xoa^ fie aufgegeben ):)abt
ober aufjugeben im 93cgriffe ftelje, ob H)x genügenb gegenmärtig
fei, xoa^ bie ©ac^e, ber auc^ fie bienen miU, eri^eifc^e. Sllig bie
„Sac^e" tommt bod) mo^t le^tlid^ baS S^riftentum in 33etrac^t.
2)ie S^eologie mag Umf^au galten auf allen geiftigen ©ebicten,
fie mag gü^lung fuc^en mit allen miffenfc^afttic^en ©trömungen,
i^r 3^"^nim mu§ bod) bleiben ba§ ^ntereffe am S^riftentum als
folc^em. ©0 mirb fie fic^ and) immer auf bie 5^'agen fpejieü
einlaffen muffen, bie auS bem ©tiriftentum als befonberer ^Religion
ermad^fen. 2)ie fqftemati|d)e Slieologie t)at oor ben anberen, \)u
ftorifc^en ^'^^ifi^^^ ^^^ Jf)eologie unjmeifel^aft bie 2lufgabe, fic^
106 Ä a 1 1 e n b u f <i^ : ^ic Sage ber f^ftcmot 3:^cotoöic.
jule^t cytlufio mit bem Sl^riftcntum ju befaffcn, ju fragen, wa§
c^ für eine i8en)anbtni§ mit feiner ©igenart l^abe, n)eld)e @otte§*
unb SBeltonf c^auung e^ notroenbigermeife ^ege , morin
man mit SRed^t feinen ©lauben unb feine fittlic^en gorberungen
ertenne. ©ic ^at auc^ bie eigentliche SBa^r^eit^frage mit 83ejug
auf ba§ ®t)riftentum auf jumerfen unb barf fid) geroife nic^t baoon
bifpenfieren, bie ©emi&^eit^grünbe, auf bie e§ fic^ in feiner @e*
fd)ic^te bi^^er geftü^t ^at, ju ^ören unb in i^rer üielberoä^rten
Kraft auf fic^ roirfen ju laffen. 3» tecbnifc^er ^^rm mirb fic
üblic^ermeife al§ 2)ogmatit, @t^if unb Sttpologetif au^gefü^rt. ®§
fann nic^t meine 3lbfi^t fein, in meinem Vortrage auf bie %üüe
ber 3)etailfragen ber einjelnen 2)i§äiplinen einjuge^en. SBielme^r
mu& e§ mir genügen, einige ® r u n b fragen in§ 9luge ju faffen,
@§ ift nic^t aHein bie religion§gefd)id)tIid)e ©d)u(e, bie ber fi^fte^»
matifd)en S^eotogie eine eigentümliche Sage in ber ©egenroart
bereitet, oielme^r tommen babei ol)ne ^loeifcl nod) man^e anbere
gattoren in 53etrac^t. ®ie ft)ftematif^e 2;^eologie foll bermalen
in einer allgemeinen miffenfct)afttic^cn 9ltmofpl)äre folc^er 2lrt i^r
SBerf tun, ba^ fie jebenfall^ mieber tiefer graben mu§.
®§ finb nic^t fc^lec^tmeg neue 'tßrobteme, oor bie fie fic^ geftellt
fie^t, ältere Probleme fmb nur bringlict)er unb baju fomplijierter
gemorben, al§ fie fc^ienen ober maren. SWüffen mir jum Seit
neue gurc^cn jie^en, fo ift e§ eine @efa()r, ba& ni(^t nur Unfraut
unb bärre§ ^oljroerf uon bem fc^ärfer einfe^enbcn ^^Jfluge umge«
riffen unb untergegraben merbe, fonbern auc^ gefunbe unb jur
rectjten 5^uc^t gehörige SBurjeln. 2öa§ jur 3^it o" ölten Ueber*
jeugungen befonber^ bebro^t erfct)eint, möchte ic^ in ber gorm
uergegenroärtigen, ba& icf) eine 2lnjat)l uon fragen formuliere, bei
bereu ©eantmortung bie uort)anbeneu ober fid) oorbercitenben
©egenfä^e ber J^eologic ju erfennen fmb. ®§ fmb nidjt bie ein«
jigen fold)er 2lrt, bie fic^ formulieren tiefen, aber e§ fmb bie
einfact)ften. 3^c^ felbft antworte auf bie erften fünf, tro§ aller
@infpract)e be§ fog. mobcrnen ^5emu^tfein§ unb tro^ ber angeb«
lict)en „ejorberungen" ber 'allgemeinen miffenfct)aftlict)en @ntn)icf=
lung, mit einem beftimmten ^a, auf bie le^te, bie fec^fte, ba»
gegen mit einem 9iein. 2)ie Saugen lauten:
Ä 0 1 1 c n b u f cft : ^ie Sage bcr f^ftcmot a^colpöic. 107
1. ^at bic fqftematifc^e 2:{)cologic überhaupt nod) 95erec^*
tigung?
2. ^abcn n)ir al§ ©Triften üon einem ©lauben an ^efu$
®t)riftu§ 5u reben?
3. Stimmt ba§ ©^riftentum eine prinjipieUe ©onberfteUung
in ber JReligionögef^ic^te ein?
4. ^ann ber ©upranaturali§mu§ im ©lauben aufrecht er*
galten werben?
5. 2)arf fid^ ba§ K^riftentum atö abfolute 9ieligion be^
trachten?
6. 2)ürfen unb muffen mir auf neue ^rop^eten hoffen?
S)ie einjelnen 5^ögen berühren fid) untereinanber unb finb ni(t)t
ftritt ju fonbern. 2lber ic^ merbe oerfuc^en, fie fo untereinanber
objugrenjen, ba| xdj mic^ in ber (Erörterung nid)t mieber^ole.
1.
©0 oft ic^ in ben legten ^a^ren mid) mieber anfc^irfte,
meinen 6ijf(u§ ftiftematifc^er SBorlefungen ju beginnen, mürbe ic^
oon bem brüdfenben ©efü^le befc^tic^en, ba^ ic^ an eine Slrbeit
l)cranträte, bie faum jemanbem noc^, menigften^ in ben weiteren
Greifen, ju 35ant unternommen merbe. 93ei ben ©tubenten mar
c§ noc^ ant e^eften anber§ beftellt, aber aud) ba nic^t überall.
Od) benfe an bie geiftig regfamen, miffenf^aftUc^ intereffierten
©tubenten. SBenn ber ©qftematifer fie in feine Sßortefungcn be^
fommt, finb fie ja nic^t me^r fo „unfd)ulbig" , mie ber ©jeget
unb fiirc^en^iftoriter fie in feinen |)örfaal eintreten fie^t. SJieU
me^r ^aben fie bie SJlet^obe unb bie grüc^te moberner ^iftorifd)er
gorf^ung befonber§ über bie S3ibel tennen gelernt unb, menn fie
Se^rer gehabt, wie fie fein foüen, mie bie Unioerfität fie fic^
münfc^t, lebenbig oon il^rer ©ac^e erfüUte, ni^t blo§ geleierte,
fonbern ani) barfteüung^fä^ige, bibaftifcl) trefffic^ere, fo ^at bie
mobeme g^rfc^ung Mftigen ©inbrud auf fie gemalt, Äopf unb
^erj i^ncn warm gemai^t. 3)a§ aße§ ift nid^t etma§, ma§ id)
beflage, xoa^ id) anbersi münfc^te, fonbern ba§ ift gcgenmärtig
einfad^ baig 9iormaIe, nic^t bIo| etma§ Unoermeiblid)e^, fonbern
etma§ ®ute§. 2)enn ma§ aüe^ man an ben Stefultaten, bie bie
108 ^attcnbufc^r^ic i^agc bcr fgftcmat. 3:^co(o0ic.
mobcme ^iftorifc^c gorfc^ung, im cinjclncn ja uncin^citUd) genug,
gejeitigt \)ai, unjulängli^, fac^lic^ ni^t jutreffenb, ja felbfl üer^
lüirrcnb finbcn mag, — biefe JJorf^ung fclbft ift bered)tigt, unb
i^rc 5cl)ler wirb fic fetbft cvfcnncn unb auc^ überminbcn. SEBaS
aber bie Stubenten betrifft, fo muffen fic eben ^inburd) burd^ bic
Jäl^rniffc be§ mobernen geiftigen Seben§, auc^ ber mobernen 93i«
btb, Äirc^en^ unb 3)ogmengefc^ic^t§n)iffenfc^aft. S)ie Unioerfität
ift feine Äinberftubc unb bie eoangelifc^e Äirc^e fann feine ^^Jfarrer
brauchen, bie in ber S?inberftube feftgel^alten morben. fjür bie
fat^olif(^e Sirene mag e§ ba§ richtige fein, ba& fie i^re S^eologie
unb if|re auf ba§ geiftlic^e 2lmt fi^ uorbereitenben Jünglinge ab-
fperrt gegen bie moberne gorfd^ung, für unfere Sirene taugt e§
nid)t.
2lber nun fomme ic^ auf biejenige Sßirfung infonbert)eit ber
heutigen ©cfc^ic^t^miffenfc^aft auf bic jugcnblic^en ©emüter nic^t
nur, nein bie meiteften Greife, bie mir eine ??rage aufgibt, ic^
meine ben eigentümlich fc^avfen, eigenwilligen ©ubjeftiui^mu^ ber
religiöfen (Stimmung, ber au§ jener SBiffenfc^aft refultiert. 3)ie
fqftematifc^e 2:^eologie flögt allenthalben barauf, unb e^ fragt
fic^, ob fie i^n ju bejahen ^at, roa^ bann le^tlic^ jur golge ^aben
mügte, ba^ fie ^öc^ften§ in fe^r eingefc^ränfter gorm fid^ be-
haupten fönnte. SJiele meinen ja fd)ün, ba| fie fic^ im roefent»
lict)en in Sieligion^p^ilofop^ie ummanbeln muffe, mit einem 9ln'=
bange Don fet)r unbeftimmter , möglic^ft piel freitaffenber befon»
berer c^riftlic^er @lauben§= unb Sittenlehre. 93iele beuten, ba%
bie ftiftematifcfte S^eologie am beften überhaupt abgetan mürbe,
jumal bie S)ogmatif. -3^ bie ^^arole „feine 3)ogmen mel^r" ift
uielleic^t bie allerpopulärfte in ber ©egenmart, bei Saien nic^t
nur, fonbern and) bei ber ÜWe^rja^l junger 2:l)eologen.
SBie ift biefer Subjettioi^mu^ bebingt? (S^ mirfen ba eine
Steige oon 5<^ftoren jufammen, bie burd) bie moberne ^iftorifc^e
Jl^eologie nur noc^ uerftärtt morben finb. @anj im allgemeinen
^errfc^t ein burd)au§ anerfennen^merte^ 33erlangen nad) Selbftän*
bigfeit in 35ingen ber religiöfen Ueberjeugung. Unter bem 3)ogma
[teilt man fid) eine au§ alter 93ergangent|eit l)erüberragenbe un=
oerftänbli^e, unüernünftig gcroorbene Summe oon gormein oor.
Äattenbufc^: ^ic fiagc bct f^ftemat. Si^cologie. 109
bic !cin 2)cntenbcr frciiüiüig übcrncl^men roürbc, bic bie ^irdjc
mit i^rcr 3lutoritat unb befonbcri§ über bic ^rcbiger in 2Infprud)
genommenen ßmangögeroatt ftü^e, bie Kirche, bic boc^ im ©innc
ber ^Reformation eine foldje Slutoritot unb 3w>ongSgen)aIt gar
md)t bcfi^e, bie fid^ in i^ren ©gmbolen jum eigenen ©droben
geffetn gefc^affen l^abe, oon benen fie fid) unter ber ®inn)irfung
einer juriftifdjen, ni^t religiöfen Sluffaffung ber 93ebeutung biefer
gormetn nur nid)t frei ju ma^en roiffe. ®ie jungen Jtieologen
^aben oielfoc^ ben ©inbrudt, aU ob fie, um für ba§ 3)ogma ju=
gänglic^ ^u werben, einfach oergeffen müßten, xoa^ fie juoor ge»
lernt, unb fträuben fic^ bamiber al§ gegen ein unftttlic^eS sacri-
ficium intellectus. 2lber ba§ a\i^§ ift ba§ menigfte, benn e§ ift
nic^t fd^roer, flar ju machen, ba& man fi^ ba unter bem 3)ogma
meiir einen ^^opanj jurec^tmac^c, a(S ba^ man e§ richtig auffaßte.
@cn)i§, e§ gibt eine 3(uffaffung be§ 3)ogma§ au^ in ber eoan*
gelifc^en Kirche, bic tnec^tenb minbeften§ auf ba§ n)iffenfc^aftlid)e,
wenn nic^t bas religiöfe ©emiffen mirft, eine fat^olifd^c 2luffaf»
fung, bie jeboc^ nic^t bie ^errfc^aft unter un§ ^at, aud^ bei ben
meiften Äirdjenregimenten nid|t. 5)ie ©ebunben^eit, bie bic 3)og»
matif tatfäc^lic^ ^at, ift feine anbere als bic jeber SBiffenfc^aft,
nämlic^ burc^ if)re ©adje, ^ier baS religiöfe Objeft bes; ©Triften«
tumS, ba§ Soangelium. 93erftet|en mir bic 93efenntniffe al§ mirf-
lic^e „SSetenntniffe", lebenbige ©laubenSbejeugungen, fo merben
fie unö Reifen, ben SBeg jum ©oangclium ju finben. ^reilic^,
mem baS (Soangelium ni^t§ gilt, fann nic^t mo^l 2)ogmati{er
fein, aber ungcfdl)r fo mie ber jenige, ber ba§ ©onnenlidjt nic^t
beoba^ten roill, ni^t mot)l Optifer fein fann. 3)ie 3)ogmatif ift
bie äBiffenf^aft beS fic^ am ©oangelium entjünbenben @lauben§
unter un§.
Slber nun fommt weiter eine 3luffaffung be§ ©oangeliumS in
Setrac^t, bie ba meint, e§ fönne eben in feinem guten Sinne ein
2)ogma, eine ben ©Triften innerlich leitenbe unb beftimmenbe Se^rc
geben. 3)er ©laube im ©inne be§ Soangeliumg tiabe überhaupt
nic^t ©ebanfen ju feinem Elemente, fonbern ©efü^le, Srlebniffe,
©rfal^rungen, unb biefe fpotteten, al§ religiöfe, jeber begrifflichen
Ausbeutung, Ratten it)re oerborgenen, unmittelbaren Cuellen in
110 ^attenbufc^: ^ie l^age ber f^ftemat. 3:^eoIogie.
©Ott unb ocriörcn i^re 5rifd)c, i^rc 9Bud)t, rocnn man ftc ju
©cbanten ocrarbcitc, gar f^ftematiftcrc. 3)aS ift eine Sluffaffung,
bic te^tlid^ jufammenl^ängt mit ber burc^ ©d^Icicrmac^er angc*
bahnten ^Regeneration be§ 9lctigion§oerftänbniffe§. ©ie in i^rc
einjelnen ©eftattungen ju ©erfolgen, ge^t ^ier nic^t an. ©ie tritt
auf at§ Steigung jur SWr)ftit unb al§ fräftige 93etonung be§ S^a*
ra!tcr§ be§ S^riftentum^ aU perfönlic^e§ Seben, at§ eine ©rfüt^
lung be§ ©emütS unb 2Bitten§, roorauiS ein neuer SWenfc^ cnt*
fte^e. Q\)x fc^Ied^t^in ju roiberfpredien, ge^t natürlid^ nid^t an.
©Ott fei ^ant, ba| bie 2:f)eo(ogie }u ber @rCenntni^ oorgebrungen
ift, ba§ t>a9 2)ogma, bie Seigre, nic^t ein unb aUe^ für ben
©Triften ift. 3lber jroif^en biefem ©ytrem, meld)e§ boc^ eigent»
lic^ felbft ber garten, fpröben Ort^obojie be§ 17. ^oW^^^^^^t^
ju Unred^t fcbutbgegeben mirb, unb bem umgefe^rten, ba§ Seigre
gar nid)t§ bebeutc, ben ©Triften bto§ ^inbere unb f^äbige, liegt
noc^ eine 9Witte, bie aud^ ©c^Ieiermac^er nic^t ^at in§ Unrecht
fe^cn moüen. 3^ beute bei biefcn eftremen ©egnern aller 3)of«
trin, biefen i^ möchte faft fagen Jönatifem ber ^arole „(o§ oon
ber SRefleyion, oon ben Qbeen, oon ben gormein" 3. 93. an 3 o*
^anne§ SWütler unb feine „93Iätter jur Pflege be§ perfön«
liefen £eben§". ©0 fe^r ic^ biefen SWann in feinem ©rnfte ju
fc^a^en roei^, fo ift mir bod) ftar, ba§ er über bie n)irtlid)e Slrt,
roie im ©inne be§ ®]^riftentum§ fieben entfte^t unb K^araftere
ober „^erföntic^teiten" geboren werben, fet)r unjulänglic^e aSor»
fteßungen l^egt. 9tirgenb§ gebiert fi^ mirtlic^e^, ec^te§ ©eiftmefen,
eine tebenbige 93cjie^ung jroifdien ©eiftern, auc^ jmifc^en bem
SWenfc^engeift unb bem ©otteögeift, jmif^en ber ©injelfeele unb
®]^riftu§, anber^ at§ burc^ JBermittlung oon faßbaren ©rtennt-
niffen. Ol)ne folc^e fommt e§ nur ju ftumpfen, unfruchtbaren
©inbrürfen, oagen, l^altlofen ©timmungen, ]^öd^ften§ ju fräftig
au^gebitbeten 3>i>iofi)ntraficn. ^erfonleben entfte^t nic^t mie bie
SJegetation, ob man aud) ba§ Srbreic^, in n)eld)e§ ber ©eift ein=
gepflanjt werben foQ, ®f)riftu§ ober ©Ott nennt. 2)a§ raei§ bie
aWe^rijaf)! ber ^iftoriter unter un§ auc^ fc^r mo^l.
9lber bie ^iftorifc^e Kunft ber ©egenroart t)at nun mieber
oon einer neuen ©eite eine Slbneigung gegen bie fpftematifc^e
Ä a 1 1 c tt b u f ^ : ^ie Sage ber Mtemat. a^cologie. 111
^^^cologic erjeugt. ©ic operiert ]^eutige§ Xa^^ mit fo oielen unb
feinen SWitteln, fie \)at fo mannigfaltige ©ebantenformen bereit*
geftettt, um ba^ Seben ber 33ergangent|eit ju fc^ilbem unb t>a^
ber Oegenmart ju oerfte^en, ba^ e§ i^r wie eine 3lrt oon @rau=
famteit, oon 93arbarei, erfc^eint, bie feften Sinien eine§ eintieit*
lid^en ©ebanfengefügeS in ben geiftigen ^orijont ber 3Wenfc^f)eit
^ineingujeic^nen. SBenn etroaS, meint fie, au§ ber ®efc^id|te ju
lernen fei, fo fei e§ bie^, ba§ aßeS ^erfonleben ben S^rafter
beö (äinjelfattS ifabt, baJ5 fein <3nbiuibuum bem anbern gleich fei,
ba§ au^ ber reic^fte, ftärffte SKenfc^ ooCer aSiberfprüc^e fei, ja
ba§ bie aSerbinbung oon SBiberfprüc^en ba§ eigentliche ®e^eimni§
ber ©rö^e fei, bajs mer bem ,,au§getlügelten 93uc^e" gleite, taum
me^r at§ eine ^uppe bebeute, baj5 ba^er gerabe bie 2:]^eoIogie,
bie fie^re oon ber SR e I i g i o n , bem ^^Jerföntic^ften, feine ©c^a^
blone f^affen bürfe, na^ ber fi^ bie ^erfönlid^feitcn rieten foHten.
SBie unerfd^öpflic^ mannigfaltig erfc^eint ^eute bem Äirc^en^ifto^
rifer bie SReil^e ber c^riftlic^en ^«Wotbualitäten ! Qn ber güUe
ber ©efic^te, bie i^n umringt, erfc^eint ber ©gftematifer, ber oer=
gleichen unb abwägen unb gar jenfurieren miH, mie ber trodtene
©^teic^er, ber nur ju ftören unb ju ärgern oermag. 9Kit ^od)^
gefteigerter geinfü^ligfeit fu^t bie Ijeutige gorf^ung aud^ ben
aWännern ber ^eiligen ©ef^ic^te burc^ 93efeitigung atte§ ©c^ema*
tifc^en, aÜeS Sonoentioneüen, mie e$ feiner 9tatur nad) baö 3)ogma,
bie le^r^afte gormel, in fic^ berge, erft i^re SBirtlic^feit im SSilbe
mieber ju oerfc^affen. aSor allem gilt biefe§ 93emüt)en für Qt]\x^.
3mmer ^abe bie J^eorie i^n nur gemeiftert, alle S^eologie, alle§
3)ogma, alle gormel muffe Don i^m meieren, menn er in feiner
rounberfamen erhabenen @rö§e foHe erfajjt werben. Qn ber 2:at, lüie
bie l^eutige ^iftorie 3^efu§ barfteHt, mirb er ju einer ©eftalt, bie
fid^ jeber gormel ju entjie^en f^eint. 3)a§ Seibige ift nur, ba§
jeber ^iftorifer it)n anber§ fd^ilbert. SBieoiele „Stuffaffungen"
treten un§ nic^t ^eute uon it)m entgegen, oon bem meid)en, jartcn
SRabbi an, ben Slenan f^itbcrte, ju bem t)ellenifd) abgeflärten,
innerlich gleichmütigen, uergeiftigten üJlanne, ben 3). gr. ©traufe
in xi)m ertannte, ju bem f^merflüffigen, unburc^bringlidbcn ®f^
ftatifer unb Gnt^ufiaften be§ naiven @ottc§reic^§, bem tapferen.
112 ^attenbufc^: ^ie Sage bcr f^ftcmat 3:^eoIoöic.
fo gütigen wie f)crben ^rolctaricrf önig , bcm bloßen, fd^Ii^tcn,
freien ®otte§tinbe, wie bic einen me^r fo, bic anbercn me^r fo
if)n ncuerbing^ fc^ilbem! 3Ba§ foü unb tann ba bie 2)ogmatif
nocft au§ feinem Soangetium machen? ^n ber %at meint j. ö.
SBernIc, bie 2:^eologie ^abe eigentlich feine ^ö^ere 2lufgabe
bermolen, al§ bie ®f)riften^cit unb bie SWenfdj^eit enbtid^ Don fic^
felber ju befreien. ajJit SBorliebe roirb ^efu^ fetbft aU „Saie"
d)arattcrifiert. SBie er nic^t§ non ber 2:^eotogie feiner 3^'* ge*
t)alten tiabe, fo loffe er aucft un§, menn mir erft an i^n ^eran*
fämen, ganj gleichgültig werben gegen jebc§ 3)ogma.
Qd) meine, baß mir ba§ aüt^ ru{)ig auf un§ mirfen laffen
fönnen unb boc^ ni^t ben (Schluß ju jie^en brauchen, baß bie
fijftematifc^e S^eologie nic^t§ ^eilfame§ ju bieten oermöge! Qa,
menn mir un§ bamit begnügen moüen, bie ©efc^ic^te mie eine
2lrt oon bloßer religiöfer ©emälbegalerie ju betrachten, mit äft^e^
tifc^er greube aüe^ Originelle genießenb, au^ ba§ Kleine neben
bem ®ro§en in feiner Sigenart mürbigenb, fo mag e§ f^on red|t
fein, baß ber ©^ftematifer nur ftören fann. 3lllein menn noc^
etma§ baran ift, baß mir au§ ber ©efd^ic^te, ic^ rebe gleich oon
^ e f u § , felbft etma§ über ®ott unb unfer Seben lernen tonnen,
f 0 jmar baß immer noc^ eine @ e m e i n b e oon ^efu^iüngern
beftet)en tann, eine ©emeinbe folctier, bie bur^ Qefu^ ju einem
unb bemfelben ©otte geführt fmb, bie fic^ traft i^rer öe«
jiet)ung auf Sefu§ in i^rem ©lauben begegnen, fo muß fic^
boc^ mol)l au^mitteln laffen, ma§ bie ®t)riften benn aU \ol6)t
im ©lauben einigt.
Ober foÜte ba^, menn man benn überhaupt einer f^ftema^
tifc^en Se^re oon ©Ott, ber ©eftaltung einer cl)riftli^en ©ottcö^
unb aQBeltanfd)auung, irgenbmie ein Siecht unb einen SBert jugc»
ftel^en roill, ba§ ^inberniö einer SSerftänbigung jmifc^en ^iftoritern
unb Sijftematitern fein, baß le^tere noc^ meift nic^t bloß oon einer
2: l) e 0 l 0 g i e , f onbem auc^ oon einer ®t)riftologie unb
©oteriologie fprec^en, oon einem ©lauben nid)t nur an ©ott,
fonbem auc^ an ^efu^ ©^riftu^, baß fie gar einen folgen
©lauben jum Slu^gang^puntt ber ,,®ogmatit" net)men, mä^renb
bic ^iftoriter urteilen, baß ba^ teinesifaU^ möglich fei?
^attenbuf^: ^ie Sage ber fpftetnat. ^^eologie. 113
2.
^c^ fommc bamit ju ber jioeiten ber fragen, bic i^ auf*
loarf, einer ^rage, an ber fx6) bte ©eifter roo\)l praftifc^ ju [treiben
beginnen. Saffen ©ic mic^ antnüpfen bei bcn 3lu§fü^rungen oon
3EBern(e, ber mit befonberer Seb^aftigfeit feine Smpfinbungen
äußert unb in bem xd) eine fet)r ebete Äraft ber mobemen S^eo«
logie erfenne. ®r gehört ju benjenigen, bie bei f^ärffter Sriti!
ber Ouetten boc^ teineSioeg§ ffeptifd^ geworben finb gegen bie
^dgüc^feit^ au§ unferen Smngelien no^ eine beutüc^e 93orfteI*
lung Don bem roirtUc^en ^iftorifc^en Q^fu^ JU gewinnen. ®r ift
auc^ feiner oon benen, bie eö im ©runbe unmürbig finben, ba&
mir Seute be§ jroanjigfteu 3[a^rl)unbert§ un§ noc^ burc^ einen
^ alten SBanberprebiger in ©aliläa" fottten beeinfluffen ober gar
beftimmen laffen. ®r l^ätt perfönlid^ mit marmer ^erjtic^er öe-
geifterung ju ^efu. 3llfo ba mögen mir ganj sine ira et studio
bie S^age aufmerfen, xoa^ un§ 3efu§ bcrmalen noc^ bebeuten
fdnne.
Qn feiner neueften ©d^rift „3)ie Oueßcn be§ Sebenö -S^fu",
mit ber bie neuen „9ieligion§gefc^ic^tIic^en 95olt§bü^cr" eingeleitet
ftnb, meint a33ernle jum ©c^Iuffe, o^ne ba§ ic^ babei foglei^
roiberfprec^en mö^te: „SBenn mir mit ber 5^age, mer mar <3efu§?
an bie ©efc^ic^te tierantreten, motten mir ju attererft miffen, roa^
i)at biefer ÜJJann gef)offt, geglaubt, geliebt? maö ^at i^m ber
3lame @ott bebeutet ? mie fa^ er ben SWenfc^en unb feine Gräfte
an? mit melc^er Stimmung flaute er bem SBeltgetriebc ju, mel-
d)ciS 9Jlenfc^t)eit§ibeaI erfüllte feine ©eele, monac^ tayiert er ben
Söert be§ aJlenfdien, gut unb böfc, ©ünbe unb ^flic^t?'' S)a
fagt er bann: „6^ ift munberoott, mie in atten biefen *tßunften
bie großen Sieben ber ©pruc^fammlung un§ biefelbe Slntmort
geben, mie bie ©efprä^Smortc bei 9Warfu§ unb bie ©leic^niffe,
bie nur Suta§ ober nur 9Wattt)äu§ ^at. Unb immer finb c^
flare, beftimmte 2lntmorten, einfach, ungefuc^t, au§ ber Siefc be§
@emüt§, nic^t ber SSerftanbe^logif gefd)öpft. Unb an bem ^aupt-
punft: morauf tommt e§ an oor @ott? ma§ entfd)eibet über
^immel unb ^ötte ? tonnen mir bie ^robe machen, ba| eine tief*
greifenbe SJeränberung ber Qüngergebanten bie gefc^ic^tlid^c Jveue
114 ^Qttenbufd^r^ie Sage ber fpftemat 2:^eolo0ie.
nic^t ju ftörcn ocrmo^tc. gür alle SBerfaffcr unb ©ammtcr oon
(äoangclienfdjriftcn feit ber ältcften Qtxt ift ber ©laube an ^[efus
bcn SWcffiaö ba§ erfte, loaS ©Triften unb 9lic^t^riften trennt, bie
©runboorauSfe^ung für attc fotgenben Jorberungen. 3lber fic
^aben ba§ erft in bie SBäorte Q^^n jurüdtgetragen. ^n biefen
tommt e§ anf ba§ ©ottocrtranen, bie ^erjenSreinl^eit, bie 93arm^
l^erjigfeit, bie 3)emut, bie SBerfö^nlic^feit, bie ©e^nfuc^t, barauf
unb nic^t§ anbere§ an. S)aS ift @otte§ SaSiüe, wie i^n bie öerg*
prebigt jufammenfa§t ; wer i^n tut, ift ^z\n SWutter unb ©c^roefter
unb ©ruber. Unb roenn bie ©l^riften^eit jal^rtaufenbelang t>a^
pergeffen l^at, roaö i^r aWeifter juerft unb uor allem wollte, ^eute
leudjtet e§ un§ au§ ben ©oangelien roieber fo flar unb rounber«
bar entgegen, als wäre bie ©onne eben erft aufgegangen unb
vertriebe burc^ i^re fiegreid)en Strahlen alle ©cfpenfter unb
©chatten ber 9lac^t. SBenn unö bann baneben an biefcm SWanne
man^eS rätfeltiaft ift unb bleibt, fo fdjredft un§ ba§ nic^t ab,
voix tonnen e§ oerftel^en, ba§ eS fo fein mu|. SBir a^nen e§,
bafe bie ©eele, oon ber bie§ gro^e, rounberbare 5teue jum erften*
mal 93efi^ ergriff, bamit e§ burd^ fie eine bie aWenfc^^eit erlöfenbe
üJla^t merbe, uon ganj anberen ©timmungen unb Erregungen
erfaJBt fein mu^te, al§ ber 2)urd)fc^nitt oon un§ anberen Keinen
SWenfc^en, ba^ ^ier, auf bem ^ö^epuntt ber ©efc^ic^te, auS ber
93erü^rung @otte§ mit ber 3)?enfd^^eit, be§ ©migen mit ber SBer^:
gängtic^!eit ©e^eimniffe, 333unber, übermenfc^lic^e öerufSgebanfen
aufleuchten mußten, bie, in ba§ oorübergel^enbe ©emanb jcitlic^er
jübif^er SBorftellungen unb SBorte gef leibet, un§ Dielfad^ bijarr
unb fremb anmuten, ©elbft ba§ fönnen mir Derfte^en, ba§ ge«
rabe biefeS ©e^eimniS einer fc^öpferifc^en OffenbarungSperfon jur
größten ©emeinfc^aft ftiftenben Kraft gemorben ift, ba& ber ©laube
an 3fcfui§ bie Äir^e grünbete. 2lber für un§ l^eute tommt bae
aUe§ erft in jroeitcr Sinie, erft jule^t in 93etrac^t; bie mir, ber
(S^riftologie fatt bi§ jum Ueberbrujs, nac^ ©ott Verlangen tragen,
^e met)r mir in ber Ueberliefcrung un§ QefuS felber nähern,
befto me^r tritt aUe§ 2)ogmatifc^e unb J^eologifc^e jucürf; mir
fc^auen einen aWenfc^en, ber bur^ fein tlareS 9Bort un§ felber,
bie SEBelt, ©ott, oor allem red^t oerftel^en t)ilft, unb ber in ben
ßattenbufcf): ^ie Soge ber fQ^emat. ^^eologie. 115
^JWtcn unb Äampfcn ber ©cgenioart afö bcr trcucftc greunb unb
^ü^rer mit unS ge^t, auf bcn roix un§ getroft ocrlaffen bürfcn".
®cnn ber mobcrne ^iftorüer unS fo Dictc§ oon 3>^fuiS laffen
n)iü, rei^t ba^ nit^t DOÜtommen ? ^^t e§ nid)t lüirfUd^ bie
©Quptfac^c, ba& wir burc^ 3efu§ ju ®ott !ommen, ift cS ni^t
ipirflid^ jute^t gleichgültig, roie wir etioa feine ^^erfon fclbft an^
fe^en? QP «^ "i^* roo^r, ba§ wir eigentlid) nur noc^ ®ott
oerlangen? Unb SBernle tonjebiert ja bod) roißig einen ^inter«
grunb ber ^erfon S^rifti, ben mir nid)t bur^bringen tonnten.
Sr rebet auSbrürflid) oon einer „©erü^rung ®otte§ mit ber
3Wcnfc^]^eit" in i^m, nennt xijti eine „fc^öpferif^e Offenbarung^*
perfon". 3lIfo fd)cint e§ roirflid) nur ein ganj fpejififc^e§ ®ogma
}u fein, ba§ er pert)orre§jiert, bie fotenne tir^lic^e ®{)riftologie
unb ©oteriologie. 2luö bem größeren SBertc „S)ie 3lnfänge un*
fercr 9leIigion" tonnen wir entnehmen, ba& er in ber 2:at befonberS
an ba§ reformatorifcft proteftantifc^e 3)ogma benft. SQBenn man
aber frül^er ba, roo man biefe§ 2)ogma oon ®l^riftu§ ablehnte,
glaubte genügenb geberft ju fein, inbem man ftc^ auf ba§ 9leue
2^eftament berief, fo \)at gerabc er mit baju beigetragen, ju er«
fennen, bag man fo leid)terl)anb oom ürc^tid^en ^ogma nidjt loö»
fomme. 3n gemiffer 3Beife ift burc^ bie moberne ©ibctforf^ung
bie alte ort^oboje If)eotogie mit i^rer ßuoerfid^t, gerabe mit it)rem
2)ogma in ber 93ibel ju fielen, miebcr ju ®^ren gebraut roorben.
SD5ä^renb bie fog. roiffenfd^aftlic^e 2:^eoIogie lange 3^it einfach
unterfd^ieb jmif^cn Äird)cnlet)re unb biblifc^er Se^re, fo gilt je^t
für jiemtid^ au§gemad)t, ba§ bie firc^li^e Set)re fic^ mit gutem
Siechte auf bie 33ibel ftü^cn tonne, natürlich ni^t in jebem 3)c«
tail, in i^ren fpejififdjcn ©egriff^formen, aber in allem SEBcfent==
lid^en, in bem fa^lic^ für fie ©l^arafteriftifc^en, baJ5 ^efu§ ein
oom ^immel getommene^, präcfiftierenbe^ SBefen mar, ba§ al§
SWenf^ in einer i^m fremben Jyorm lebte, einer ^orm, bie e§ nur
annahm, um anftatt ber ÜWenfc^en ba§ fü^nenbe Opfer an ©ott
JU erbringen, ot)ne roeld)c§ für bie SUlenf^en fein $eil ju ge*
minnen mar unb märe. iSlan fpric^t je^t — gerabe SBernle tut
e§ mit befonberem 9tac^brudf — oon all biefen ©cbanfen nid)t
me^r nur al§ tirc^lic^em 3)ogma, fonbern alö paulinifc^^jotian^
116 ^attenbuf^: %it Sage ber fpftemat a;f)eolo0ie.
neifc^cm unb glaubt bamit bcn legten ©^abcn, an bem ber ©taube
oielcr K^riften no^ frante unb non bem unS bie moberne SBibel*
forfc^ung frei mad^en fönne, aufgeberft ju ^aben. 3)a§ SKcffta^^
tum ^efu unb jumat, maS $au(u§ unb ;3o^anne§ barauS aQeS
gemacht, baran atte§ an ©peiutation ge!nüpft, fei etmaS ©efun^^
bäre§, DieHeid^t nid|t in jebem ©inne oon Q^fu f^'bft ^iftorifc^
9lbjutöfenbe§, bann aber bei i^m te^tli^ nur ba§ SJBiberfpruc^S*
DoÜe, bIo§ Qnbioibuette, für un§ jebenfaߧ ©leic^gültige, ^6)
tann ba§, n)a§ aSäemle in feiner SOBeifc jum 2lu§brudE bringt
— anbere moberne 93ibeIforfd^er ma^en eS ja einigermaßen an^
beriS, bie garbenmifd^ung in bcn cinjelnen mobernen ®^riftu§-
bilbern barf ic^ t)ier auf fi^ berul^en laffen — id^ fann 333crnle§
unb überhaupt bie moberne SBertung ber ^erfon ®t)rifti ctma in
jroei 3;^efen jufammenfaffen. 2)ic eine lautet: man muß, menn
man oon bem aWanne be§ 5teuen J^cftamentö ztroa^ für bie ©e*
genmart nod) t)abcn foK, unterfc^eiben jmifc^en bem tiiftorifc^en
^ e f u § oon 9lajaret unb bem bereite bogmatifierten
3^efu§ K^riftu^ ber Slpoftel unb überhaupt ber eigent^
li^en urc^riftlid^en SWiffion^prebigt. gern er: 3)er roirflidie
^iftorifc^c 3efu§ mar ein religi6fe§ ©enie, bie§ burc^ unb
burc^, aber auc^ nic^t me^r. diejenigen, benen er eS antut, bie
er für fid) gcminnt, bie burd^ i^n an feinen ©Ott ate tebenbigen
emigen ©ott glauben lernen, urteilen nachträglich, er fei eine
@abt eben biefe§ ©otteS an un^ gemcfen unb in b i e f e m
©inne au^ eine „Offcnbarung^perfon". 2lber bamit mirb er boc^
nic^t fetbft jum Dbjett unfere§ ©Iauben§, fonbern bleibt ba§ ge*
niale e r ft c unb mä(^tigfte © u b j e 1 1 be§felben. ®r ift ein
'jß r 0 p t) e t. 3)cr 2Weffia§gebante, ber fic^, ftrittig unter mctd)en
näc^ften Umftänben, mit feiner ^erfon oertnüpft ^at, ift ein ÜWij*
t^ologem, melc^e§ einmal ben ajJenfc^en Sienfte getan ^at, aber
je^t nic^t mef)r tut. ©oD unb muß man für ben mirfUd^cn 3efu§
eine ©teDe in ber Sogmatif au§ma^en, fo ^at man nur etroa
noc^ ein SRec^t, altbogmatif(^ gercbet, i^n ober bie Sßertünbigung,
bie ©rjäf)lung üon i^m at§ ein „©nabenmittel" ju rubrijicren,
nid)t fo, rote Sut^er it)n al§ ba§ perfonifijiertc „SBort ©otte§"
an un§ backte unb bie 'ißrebigt oon i^m fc^Ie^t^in at§ „ba§ ©na*
Äattcnbufc^: ^ie fiage bcr f^ftemat. a:^cotogic. 117
benmittcl", ba§ 3ÄittcI um ©laubcn ju rocrfcn, aber immerhin at§
cinc§ neben anbeten unb oietteic^t aU baiS noc^ immer mirtung^*
ooKfte. 3»n geroiffem 3Wa§e möge man bauernb fagen, ba§ @ott
„in" ^z^n gefunben merbe, ber ©ebante, ba§ er „burc^ 3>cfu§",
gar „um ^efu miüen" un§ bcr SBater im ^immel fei, l^abe feinen
©inn me^r.
^6) tann in einem 95ortrage ni^t uoKftänbig barlegen, warum
id) burc^au§ 3tt)eifel ^cge, ba^ man bur^ ben bloßen gläubigen
3efu§ JU feftem, innerlich gemiffem, ftanb^altenbem ©lauben an
ben ©Ott, oon bem er rebet, gelange. SBar 3^efu§ nur ein Sudler
mie mir, nur eben ber ®eniu§, ber mit fü^nem SBagen einen
^fab befd^ritten, ben niemanb dox x\)m bemertt, ben unf^einbar^
ften, fo meint man ba§ ja mobl, unb bod^ einen, ber, einmal auf-
gejeigt, un§ unmillfürlic^ locft unb labet, einen fo turjen, mo^l
junäc^ft als fteil erfc^einenben, bann boc^ fo „leichten", fo gang*
baren, ben be§ einfachen SßertrauenS, ber f i n b l i c^ e u Ein-
gabe an ben „aSater" , f o muffen mir oorau^fe^en , t>a^ fein
©üangelium aU Se^re un§ unmittelbar burc^ fic^ felbft
überjeugt unb g e m i n n t , b. 1^. un§ in bie Situation bringt,
glauben ju „muffen", auc^ in ooUer Sclbftbefmnung glauben ju
tonnen. Q\t ^efu „fie^re" nid)t oon biefer 2lrt — unb fie
mirb uns in ber 2:at nic^t ctma, einmal „oerftanben" , ju einer
„Selbftoerftänblic^feit", ju einer „SJernunftma^r^eit" (fiantifc^
gerebet) — , fo fönnte eS nur eine 3lrt Suggeftion fein, bie er
burc^ fein mächtiges 333efen auf un§ ausübte, geroiffermaJBen eine
Ueberrumpelung unfereS ©emütS, bem nic^t 3^Jt gelaffen mürbe,
feine 3w>cifcl geltenb ju machen, ba§ in feiigem SBergeffen feiner
9töte fic^ i^m erfc^löffe unb üon feiner 3uoerfid^t, ob fie guten
®runb ^abe ober nic^t, fid) erfüllen lie^e. 3lber mer möchte fic^
ben ©lauben an ©otteS Siebe im Srnfte oorftellen alS oerbunben
mit ber 2lufforberung , bie äBirüid^teiten feineS ^crjenS nur ju
oergeffcn?
Sluc^ id) fet)e — mer fät)e cS nid)t? — ba^ bie '^Srebigt oon
bem, ben bie ®t)riften^eit i^ren „^errn" nennt, lauge QQXt ein=
feitige, blo^ fpefulatioe Sat)nen eingefc^lagen ^at. Qd) tann mic^
fo auSbrüdfen, baJ5 ic^ fage, ber mirtüc^e menfc^lic^e QefuS fei
118 ^attenbufc^t^ie iSage ber f^ftemat. 3:^eoIogie.
bi§ auf Sut^er, unb bann auc^ roicber für lange 3^'* in bct
eoangelifc^en ^irc^e, hinter bem göttli^en @)t|riftu§ ganj Der«
fd^rounben gcroefen. 9Äan rebete in ber S)ogmatit ja nic^t nur
Don ber ©ott^eit, fonbcrn auc^ pon ber SÄenfc^^eit ^efu S^rifti,
aber in abftrattcn, allgemeinen, unperfönli(^en aWerfmalen. ®§
ift ber ©egen ber mobemen Sibelf orfc^ung , t>a^ bie SWenfc^^eit
3efu ®^rifti lieber jur fontreten Slnfd^auung geworben ift, baj5
ber SWenfc^ 3»efu§ oon ^lajaret lieber gu feinem 9iec^te gebrad^t
ift. 2Bir motten e§ al§ unoermeibli^ o^ne SWurren mit in ben
Äauf nel^men, ba§ bei ben Sßerfuc^en ber ©c^ilberung biefe§ Qt\n^
fooiet ©ubjettioe§ fid) überall mit einmifc^t. ®er ^err märe fein
lüirtlidier SWenfc^ gemefen, menn er nic^t al§ fol^er ^iftorifc^*
inbioibueHeS ©epräge gehabt, unb er märe nic^t einmal ein grojser,
gefc^meige ein munberbarer, ein „befonberer" 3Wenfc^ gemefen,
mie bie moberne ^iftorie if)n ernftlic^ ju erfaffen fic^ bemüht,
menn er fic^ nid^t in jebem 2luge irgenbmie anber§ fpiegelte, wenn
nid)t über gar üiele§ im S)etail in ber Ueberlieferung ^in unb ^er
f^n ftreiten märe, ob unb mie e§ fid) füge ju einem lebenbigen
33ilbe üon i^m. Slber mir ^aben e§ bermalen nur mit bem Sßi*
berfpiel ber alten ®f)rtftologie ju tun. Qu, mirtlid)er 3Wa^t über
bie ©efd^i^te ift 3»cfu§ nur al§ ber ®^riftu§ gelangt. Sollte ba§
ein Quidproquo ber ®efd)ic^te fein, eine 2lrt oon 9lf -
!ommobation @otte§ an bie 3Wenfd^en ber erften ^eriobe, in ber
er für ba§ Soangelium ©laubige marb? Sollten mir je^t in ber
^meiten, ber mobemen ^eriobe, fooiel ftärter im Innern, fooiel
beffer jum ©lauben vorbereitet fein, ba§ mir ol)ne tiefere ©efc^mer
;3efu nur banfbar unb einfad^ „nac^glauben" tonnten? ^6^ meine
üielmet)r, e§ ^ei§e beutlic^ einen "^^Ijkx machen, menn man je^t
bei ber ?5^age nad) ber 93ebeutung beg ajlanne^ be§ bleuen 2:e*
ftamentg ben 6^riftu§ einfach ftrcic^e. 2Wir fc^eint, ba^ bie ©lei«
c^ung, bie fic^ in ber 33e}eic^nung biefe§ 3Wanne§ al§ „3>cfu§
S^riftu§" barbietet, aufrecht crf)alten bleiben mu|, aber fo, t>a%
man nid)t me^r blo§ fagt: Qefu^ oon Slajaret mar ber ®^ri*
ft u ^ , fonbern ganj ebenfo umge!e^rt : ber ß^riftu^ ift niemanb
unb nicf)t^ al§ 3 ^ f w 2; ü 0 n ^Jt a j a r e t. 3)ie Dogmatil barf
t>a^ alte d)riftologifc^e "ißroblem nic^t einfach fallen laffen, ^at e§
Äattenbuf^: ^ic ßaqe bcr f^ftemat Xt^cologie. 119
aber mit neuen 3Wittetn ju bearbeiten. SBenn SBernle bezeugt,
ba§ „mx", b. 1^. er unb ein geroife nic^t ju unterfc^ä^enber örudE)*
teil treugefinnter ©Triften unter un^, „aller" ß^riftologie „fatt
biö jum UeberbruJB" feien, fo föntite ic^, wenn ic^ eiS liebte, ebenfo
impulfio meine ©effi^le ju äußern, ma^rfc^einlic^ mit ganj ber
gleichen ©ered^tigung im 5tamen oieler bejeugen, ba§ „mir" ben
oiefen „2luffaffungen" Qe^u a\x6) nic^t gerabe mit lauter SSeroun*
berung unb befonberem Verlangen nac^ „mel^r" gegenüberftünben
unb uns mo^l fragten, ob e§ nic^t fio^nenberes; für un§ gebe, ate
oft red^t flüd^tige ^^antafien über ben 3>^fu^ ber „@efc^id)te" jur
Kenntnis ju nehmen. SSSir mürben un§ unb ber ©ac^e be§ ©lau«
ben§ boc^ fc^aben, menn mir biefer ablcl^nenben Stimmung emft«
lid) ©influfe auf un§ gcftatten moUten. Sffiir muffen, um bem
©^riftuS ju feinem Siebte unter unS ju oer^elfen, aud) ben 3^efu§
mieber in§ Stuge f äffen, ja uns; barauf befmnen, t>a^ bie Z\)to»
logie, bie 3)ogmatif, i^m nod^ üiel fc^ulbig ift unb eS no^ erft
lernen mug, i^n auc^ „t)iftorifd)" ju roürbigen. 0^ tialte an
ber 3uo«^pc^t fcft, ba| unfere ^iftoriter auc^ mieber lernen mer-
ben, ben (J^riftu^gebanfen anbev§ al§ nur eine SBerlegen^eit mit
53ejug auf Q[cfw^ jw Derfte^en.
©d^on feit Sut^er fönnte bie Dogmatil barauf aufmerffam
fein, ba§ eS nic^t nur gelte, ^efu§ burd) ben ®f)riftu§gebanfen
}u beleuchten, fonbern auc^ biefen Ic^teren baburd) in feiner ei*
gentlic^en 3Bat)r^eit ju erfaffen, baJ5 it)m fein !ontreter Qn^
^alt burc^ bie ^iftorifd)e '^^Jerfon 3efu gefid^ert mirb. SBer unb
ma§ ber „Sl^riftu^" fei, ba§ ^aben mir, feit 3cfu§ al§ ber S^ri«'
ftu§ unter un§ c r f d) i e n e n ift, e§ in Slnfpruc^ genommen \)at,
ber mirflic^e unb red)te ®t)riftu§ ju fein, an i^m unb feiner gei^
ftig ocrftänbli^en 2lrt ju erfennen. 2lber mir ^aben auc^ umge^
fe^rt un§ oorjul^alten, ba^ Qefu „2trt" burc^ ben ®t)riftu§gebanfen
über bie b(o6 menfd^Iic^e ©p^äre ^inauSgerüdtt roerbe, mit @otte§
Slrt unb SEBefen in ©leic^ung unb ^ufönimenl^ang gebrad)t merbe.
Sut^er rebet einmal baoon, unter ber bloßen ^bee ber „©ottt)eit"
merbe ber ^err un§ jum „©efpenft", ju einem bloßen ©^ein=
mefen. Unter ber bloßen -Sbee ber „9Wenfd)t)eit" merbe er aber
nid)t roeniger jum „©efpenft", mit i^r allein erreiche man auc^
3eitf(^ft für Xiftolo^xe unb ilir<^e 16. ^afftq., 2. $<ft. 9
120 ^attenbufci^:^ie Sage ber f^ftemat ^^eologie.
nid^t bie in i^m un§ cntgcgcntrctcnbe Sicalitot. 6rft al§ „©Ott*
mcnfc^" fei er in feiner 2B i v t ( i c^ f e i t erfaßt. Sutl^er tiat e§
fe^r oft perfuc^t, oerftänblic^ ju machen, ba§ man @ottt)eit unb
SWenfdi^eit in bem SWanne be§ bleuen Seftamente^ nic^t einfach
JU abbieren Ifabt, fonbern ba§ w\x bei it)m ©ott^eit unb SWenfc^^^
^cit in einem unb bemfelben ®inbrucfe crfaffen fönnten. ®en)i§
\)ai er mit feinem ttieologifc^en 3)enfen biefe 2Iuf9abe nic^t einfad^
unb reftlo§ gelöft. 3lber ic^ fe^e (ein $eil barin, ba§ man je^t
im 5tamen ber ^iftorie bie 2lufgabe überhaupt negiert unb gar
belächelt. 6§ ift eine Slufgabe, bie ber ^iftorifd)e Sefu§ felbft
uns ^interlaffen ^at. ®r tiat z§, inbem er fic^ al§ ben ®t|riftu§,
fei e§ auc^ nur jurüdE^altenb unb fc^eu, ergriff ober melme^r be^
griff, in feinem perfönlic^en ©elbftempfinben oermoc^t, irbif^e
unb überirbifc^e, menfc^li^e unb gott^eitlidje SWomcnte ju leben*
biger, natur^after unb fittlic^er 333a^r^eit ju oereinen unb in fic^
auSjuglei^en.
®g ift boc^ nic^t nur ein langer munberfamer Sraum unb
SEBa^n ber ®^riften^eit gemefen, roenn fie gemeint ^at ju erfennen,
ba& in ber ^erfon Qefu i^r ber ©ott, oon bem er rebe, f e t b ft
begegnet fei, ©lauben ermedfenb in einem 2( b b i I b e feinet S3B z-
fenS fic^ jeige. 3)aS tann nic^t umgefe^t werben, mie SBernle
e§ anbeutet, in ben ©ebanfen, bag 3^fu§ eine „fd)öpferif^e Of*
fenbarung§perfon" gemefen. ©erabe bem blo^ „ Schöpf erifc^en"
an il^m märe ju mißtrauen. ®§ ftel^t auc^ nidjt fo, ba& mir a
parte post urteilen lernten, 0^fu§ fei oon ©ott „gefc^enft", fei
oou i^m unter ben SWenf^en ermerft, t)abe alfo „SßoUmac^t" ge*
^abt, oon ©ott ju reben mie er rebe. 3)aj5 baS ein nachträgliches
Urteil fei, ein Urteil, baS im ©tauben erreicht mcrbe, nid)t i^n
bebinge, ^ie§e nac^ ber bejeugten ©mpfinbung aUer bercr, bie mir
als ;,ftarfe gelben" im ©^riftengtauben tennen unb auf bie mit
JU achten boc^ gerabe auc^ bem ^iftorifer na^e liegen mu§, bie
©ac^e auf ben Kopf ftetlen. Unb mir fönnen eS nur ju fe^t
empfinben, baJ5 eS nic^t mögli^ ift, auf bie bloge eigene „Sluto*
rität" Qcfu ^in, auc^ nic^t auf bie ma^rlic^ ergreif enbc unb er*
märmenbe 9Jlac^t feineS „3?orbilbcS" ^in o^ne meitereS mit an
feinen ©ott ju glauben, unS mit i^m ju feinem ©otte ju ftellen.
Ä a 1 1 c n b u f ^ : S)ic Sage ber fgftcmat. a:^eoli)gic. 121
333tr lernen e§ frcili^ burc^ ii)n, unb niemals anber§ ate bnrc^
xf)n, an einen tebenbigen @ott unfere§ $eile§ ju glauben, aber
nur Dermöge beffen, ba^ er ba^jenige in utt§ in einer SEBeife, bie
roir für SBa^r^eit erflären muffen, überroinbet, xüa^ un§
tatfäc^lic^ gerabe oon feinem @ott fc^eibet unb meil e§
un§ oon i^m trennt, au^ immer mieber in3w>«ifßl ftürjt:
Sobe^gefütil unb ©djulbbemu^tfein. Äann ber i)u
ftorifc^e 3»^fu§ ba§ — er fann e§ nur, wenn er ber ®briftu§
mar, unb beS^alb ber Job nid^t ba§ le^te, roaS i^m in feiner
„^iftoric" miberfu^r — , perfekt er un§ nid^t blo^ in einen gei*
ftigen SRaufc^, fonbcm lä^t er un§ ganj nüchtern unb ermecft un§
boc^ in pcrfönlic^er öürgfc^aft ben ©lauben, ba§ er
un§ ©Ott in lebenbiger SBirtlic^feit offenbare al§ ben, ber ber
©ünben ni^t gebenfe unb bem Sobe me^re, ba§ er un§ behalte,
fo mirb man au^ al§ einer, ber ^iftorifc^e 93ibelforfc^ung al§
eine unbebingtc 3lufgabe anertennt, babei bleiben, ba§ e§ im
S^riftentum gelte unb rec^t fei, „a n 3>cfu§ 6^riftu§" ju glauben.
3.
S)ie britte ^rage, bie un§ befc^äftigen foll, ^ängt mit ber
jmeiten enge gufammen, aber fie ffi^rt un§ fd^on au§ bem 9lal)men
ber bloßen J^eologie ^inau§ in ben größeren ®efid^t§frei§ ber
allgemeinen SReligionSmiffenfc^aft, fpejieü ber faft über 3lac^t unter
un^ aufgeblühten unb ju einem mic^tigen ^attor au^ be^ t^eo«
logifc^en 3)enfen§ geworbenen oergleid)enben SReligion^gef^ic^te.
SBirb ber ©ebante, ba§ mir an <3cfu§ met)r Ratten at§ gemeinhin
an einem „9leligion§ftifter", ba§ er nic^t auSreic^enb gemürbigt
merbe, menn er al§ @ e n i e , fei e§ auc^ ba§ ^öc^fte, in ber ®e*
fd^ic^te ber Sieligion ocrgegenmärtigt merbe, fic^ noc^ behaupten
laffen, roenn mir ber anbercn fül^renben ©eifter auf biefcm ©cbiete
gebenfen? ©e^t e§ an, i^m uub mit i^m bem ®^riftentume eine
prinjipieHe ©onberftellung in ber 9ieligion§gefc^ic^te gu oinbiaieren,
ober empfinben mir nic^t balb, ba§ eS unmürbig gerabe oon fei*
nem ©otte benfen t)ei&e, roenn mir uniS porftellen, er t)abe fic^ in
bem ©efc^i^t§jufammen^ange beS 3llten unb bleuen Jeftamentg
in ganj einjigartiger äöeife, ja ^ier in bem 3Weffia§ ;3efu§ noc^
9*
122 ^ a 1 1 c n b u f c^ : S)ic Sage bcr f^flemat. Geologie.
einmal in gcroiffcr SEBeifc efflufto offenbart unb bcv SWenfc^en ju
intern ^eite fi^ angenommen?
<3f^ tann l^ier bei einem anbern mobernen 2:^eoIo9en an*
fnüpfen. 3)er ^arifer ^rofeff ov ^f ^ ö n 9i e o i 1 1 e l)at ein öuc^
erf (feinen laffen, baS in ber beutf(^en Ueberfe^ung ben Sitet fül^rt:
„aWoberne^ S^riftentum". ®r fd)ilbert biejeS ®t)riftentum ate
eine roeitoerbreitete, i^re§ guten 9lec^t§ längft bemußt geworbene
Umprägung be§ alten, fpejieü be§ eoangetif(^en ®^riftentum§. ®r
fie^t in itim eine burd^ bie (ärroeiterung ber fittlic^en, befonberi^
ber fojialen ©rfal^rung mit 9lotmenbigfeit probujierte Srmeic^ung
unb 93efreiung be§ ^iftorifd)en @DangeIium§, jumal auc^ nac^ ber
Slic^tung, ba§ man je^t ni^t mel^r ben ^iftorifc^en 93 ring er
be§ ®oangeIium§, fonbern nur noc^ bie ^ r i n j i p i e n , bie er
pertreten, al§ ^eil§mittterifc^ anfetie. ®r f^reibt (©. 84 f.):
„3)arin ftimmen fie (bie mobernen K^riften) aüe überein, baß ber
^eilSmert be§ ®oangeIium§ . . . oon ben SJorftettungen, bie man
fic^ über ba§ SBefen ber ^^Jerfönliditeit :3efu mac^t, unberührt
bleibt. Unfere innere 3uftimmung ju ber religiöfen unb ftttlid)en
fie^re 3^efu ift ja nic^t ba§ JRefuItat be§ 93ilbe§, ba§ mir unS
oon 3>^fu^ machen .... 9li^t weit 9efu§ ber aWeffta§ geroefen
märe ober ein mit aßerl^anb munberbaren Äräften begabte^ über^
irbifc^e§ SEBefen ... ift fein ©oangelium in unferen 3lugen bie
befte SBaffe im Kampfe gegen bie ©ünbe, fonbern meil bie Sr*
f a^rung .... unS le^rt , baß mir in biefem (Soangelium einen
immer fprubeinben Duell be§ 2eben§ befi^en . . . Unb biefe un*
fere SBertf^ä^ung ber ^eilfamcn ^raft ber religiöfen unb fittlic^en
^rinjipien be§ ®Dangelium§ ift . . . bi§ ju bem ©rabe (unabhängig
oon jeber SBorftetlung über ^efu§), baß mir gern bereit ftnb, i^r
aSor^anbenfein unb i^re SBirtung atlentf)alben mit J^euben anju^«
erfennen, mo mir fie roirflid^ finben, auc^ in Säubern unb bei
9Söttern, bie niemals oon ^efu ^aben reben l^ören, ober bie fic^
menigftcng nid^t nac^ i^m nennen, fonbern bie burc^ UJermittlung
anberer SBeifen, anberer 9leligion§ftifter, anberer ftttlidier ^eroen
eine me^r ober meniger große Kenntnis berfelben ©runbfä^e er*
galten ^aben 2C." 3llfo ba mirb ba§ at§ uöHig au^gema^t ^in*
gefteHt, baß ba§ ©oangetium fo menig eine ©onberfteüung in ber
Äattcitbufc^:5)ie Sage ber f^ftemot. a:^eoli)gic 128
©cfc^id^tc cinncl^me, ba& e§ in^altlic^ and) onbcrroärt^ cnt*
bccft ober „cr!annt" fei, ni^t fo DoUftänbig meüei^t, roie Don
3efui8, aber boc^ dS roirfungSfräftigcS rettgiöfe§ unb
fittlidjc^ ^beat.
2)ie 2lrt, wie SRcoiUe bic ©ebanten ber „mobemen ©Triften"
fc^ilbert, loirb Don ben beutf^en S^eologen, bie er unter feine
„wir" ntitbefaffen fann, gcn)i§ nic^t o^nc manche SBorbel^alte ge=»
billigt werben. 3)enn fte erinnert in i^rer (roa^rfc^eintic^ burc^
bie 2lbfi^t möglic^ft weiten, aud^ t^eotogif^ nic^t gefd^utten Greifen
ncrftänblic^ ju werben, bebingten) flauen gormutierung ber ®e«
genfä^e mel^r an bie SOSeife, roie bie „mobemen K^riften" Dor
^unbert ^ß^^^n fid) auSjubrücfen pflegten, aU an bie, welche wir
je^t gerootint fmb. Unfere beutf(^en „mobcrnen" ©Triften ober
roenigftenö S^tieologen befi^en jroeifelloS ein ^iftorif^ oiel
fenfiblercS 33erftanbni§ für bic 93ebeutung ^efu unb bic an feine
^ c r f 0 n gcbunbene Äraft feiner Seigre, bie allein ja ate „®oan*
getium" bejeic^nct ift. 3»nbc§ bai^ ^ebt freiließ nic^t auf, ba^ fic
im Äcm ber ©cbanfen mit SReoiÜc jufammentreffen. Unb ift
bicfer Äern nid)t au^ mirtlic^ ber ®efc^i^tc gcmä§? Qft c§
nic^t ganj richtig, ba§ ba§ „Soangelium" tcine§n)eg§ etn)a§ fd)le^t«
^in (Eigenartiges ift, ba§ e§ nur in rclatioem ©inn eine
©onbcrftellung bcanfpruc^en fann? iilod) jcber ift erftaunt
geroefen, menn er junäc^ft bloß oon ^efu§ gemußt ^at, bei einem
© c n c f a unb S p i 1 1 e t ganje ©ebanf enrei^cn ju finben , bic
an bic mäc^tigften SaSorte 3>«fu erinnern, ©ic crflärcn fic^ un»
gcjmungcn au§ bem ©Aftern ber ©toa. Unb mie oielcS an
^lato, ober um in einen anberen ^^fömmcnl^ang ^inüberju=
greifen, bei bem 53 u b b 1^ a , gemal^nt unS an d)riftlid)c ©cbanfen,
3)inge, oon bcncn mir gemannt, fte unb il^reSglcidjcn fämcn nur
in ber SBibel, fpejicH bei ®^riftu§ oor! aWan fann au^ nic^t
immer fagen, baj5 e§ fic^ ba blo§ um fittlid^e ^been tianbele, auc^
fpcjififc^ religiöfe QUen tommen in öetrac^t. ^n ber %ai, e§
fc^eint Kar, ha^ eine oorurteilSlofe 93etrac^tung ber SReligionS^
gefc^ic^te ergibt, e§ l^anbelc fic^ barin um einen großen inneren
3ufammcn^ang, piclleid)t großenteils garniert um birette öerü^«
rungen, 3luStauf^ungen, 2lb^ängigfciten, um fo gemiffer aber für
124 ^attcnbuf^:®ic fiagc bcr f#emat. 3:^eolo0ie.
ein rcügiöfe§ Slugc um bic aßirfungcn, bic Offenbarungen be§*
f e t b e n ®otte§. 5ReüiKe i)at bei bcm populären ©liaratter feines
93ud^§, unb ha er bIo§ einfad^ bie Slbftc^t i)at, ba§ „moberne
©^riftentum" ju fc^ilbern, feinen Slntag gehabt, anbere 9te«
ligionen in il^rer tonfreten ©efamtart üorjufüliren unb mit bem
©^riftentum ju üergleid^en. Qn ben Suchern, mo ba§ gefd^iel^t
t)erf ennen umfid)tige unb ^iftorif^ fadjfunbige Sl^eotogen (ic^ nenne
^ier fel^r gern 93 o u f f e t) nii^t, bag bie ©injelparaDelen jmifd^en
d^riftlid^en unb öugerc^riftlid^en fittlic^en unb retigtöfen Qbeen,
meiere, im erften 2(ugenblidfe jumat, bie Saien am meiften frap*
pieren, ft^ oft nur al§ äugerlid^e barftellen, bag gleidje 3[u§brüdfe,
Formeln, ©itten bod^ le^tlic^ felir oerfc^iebenen ©inn liaben. Qm
Sibet* unb 93abelftreit ift oon ©eiten ber 2:^eoIogen mefentlid^
unter biefem ®eftc^t§punft argumentiert morben. Q\t ba§ o^ne
3n)eifet ganj bered^tigt unb bem ©eifte roalirer SBiffenfc^aft burc^»
au§ entfprec^enb, fo fe^t e§ boc^ bie 93etra(^tung, bie SReoiDe als
bie „moberne" anbeutet, nid)t in§ Unred^t, fonbem gibt i^r nur
eine etmaS anbere gärbung. SÄan fann nämlic^ bie ^Religionen
als gro^e Ä o m p t e j e au^ f o miteinanber ju einer l| ö l| e r e n
® t n ^ e i t oerbinben, ba§ man fie als @ t u f e n in einem roei«
ten, roeltumfpannenben ©efd^tc^tSprojeffe beutet unb in
biefem ben HBerbegang ber maliren SReligion fielet. 2luc^ bann
fallen bie inneren ©d^ranten jroifc^en ben SRetigionen, aud^
bann bleibt ber ©ebante, ba§ man oon einer Offenbarung
©otteS, beS maleren, eigentli^ mirflic^en ®otteS, beS ©otteS Qefu,
in ber ganjen SReligionSgefd^id^te reben muffe unb bem 6f)riften-
tume leinen qualitatio eigenartigen, fpejififc^en OffenbarungS^a*
ratter jufc^reiben fönne. SÄan fteüt bann etroa bie JReligionS*
gef^id^te, mie eS fc^on Seffing getan, unter bie 3»i>ee einer „©r*
jief)ung beS SRenfc^engefc^lec^tS". 2Ran brauet babei gar ni^t
JU Äonftruttionen ju greifen, bie in ben betannten ®efc^icI)tSreti*
gionen einen ftetigen unb lüdtentofen, beutlid^ überall baSfetbe 3ict
oerratenben ^ortfd^ritt fonftatieren. ®S ge^t ganj mo^l an, ba*
bei im einjelnen oft rüdfläufige 93eroegungen, ba§ ic^ fo fage un*
nötige aSerboppelungen, blinbe SluSgängc u. brgl. jujugeben unb
bo^ ben ©ebanfen feftju^atten, ba& ®ott überall feine |)anb im
Äattcnbufc^; ^ic fiagc bcr f^ftemat ^^eologic 125
©picic \)aU, überaD in bcn SRetigioncn (wie 93 o u f f c t fid^ au§*
brürft) bic ajJcufc^cn „emporlodfc". ®ibt man bann ju, ba§ feit
ba^ ß^riftcntum crfc^icnen ift, DOÜcnb§ feit c§ ftc^ fclbft ri^tig
ocrftanbcn \)at, bic anbeten SHeligionen, foroeit fie ftd^ no^ er^
galten Ifob^n, im liö^eren ©inn au^gebient f)aben, mit ber 3^^*
gemife auc^ üevfc^minben, üor bem ©^riftentume meieren werben,
fo fann man benfcn, aDen berechtigten 2lnfprüc^en be§ ©Triften«
tum§ auf einen „SJorjug" genug getan gu ^aben. S)ürfe e§ fic^
freili^ nic^t melir al§ bie allein malere, al§ bie ganj einjigartig
bebingte SReltgion anfeilen, fo bod^ al§ bie ma^rfte unb au^
al§ bie am t i e f ft e n in ®ott gegrünbete, immer nod) bie Offen*
barung^religion xax' i^oxV, ^^ ^ö6)^tzn 3Ra§e.
6ine fol^e ^Betrachtung gänjlic^ abjulet)nen, fann id) fein
^[ntereffe beim S^riftentume, n)enigften§ nic^t beim eoangelifc^en,
entbeden. ©ie barf ftd^ ru^ig barauf berufen, ba§ aud^ ein 'ißau*
lu§ nid^t geglaubt \)abt, bag (Sott fici^ ben |)eiben überliaupt un«
bezeugt getaffen ^abe. 938irb ba§, n)a§ ^aulu§ mit turpem 93lidt
auf ba§ ® e n) i f f e n unb bie 9t a t u r in biefer 93ejiet)ung in
feiner 93etra^tung be§ ®oangetium§ mit in Stec^nung ftellte, oon
ber mobernen JReligionSgefd^ic^te in tomplijierterer SBeife jur 2lm
fc^auung gebracht, fo feigen mir ^ier bod^, mie neuefte unb
d 1 1 e ft e c^riftlic^e 2)entn)eife ft^ auc^ nod) begegnen f önnen,
nic^t bto§ fic^ roiberfprec^en.
3nbe§ ic^ meine, ba§ noc^ ein weitere^ SlBort nötig ift, wenn
bie 93etrad)tung nid^t oberflächlich bleiben foU. 2)ie ©ac^e fte^t
fo, ba§ mir burc^ ba§ ®t)riftentum in ber Zat an fid^ feinen
3lnla& befommen, ben ©ebanfen abjule^nen, ba§ ®ott fiel) allen t*
l^alben in ber ©efc^ic^te bejeugt ^abe, oielerort^ ftc^ Or*
gane bereitet f)abe, um ben SRenfd^en na^ejufommen unb fie ju
geroinnen, ©o mögen mir biefen ©ebanfen aud^, roie ^aului^,
prattifd) baju benu^en, umSlnfnüpfungSpunftebei yixAjU
^ r i ft e n ju finben. 2l6er ba§ S^riftentum oerlangt bann boc^,
ftritt feftgu^alten, ba§ e§ prinzipiell jebenfaQS nur ein Ski gebe,
ju bem ©Ott bie SWenfc^en ^injufül^ren fuc^e, Saueren in oielen
SReligtonen bie ©ebanfen oon einer ® r l ö f u n g auf, f o roerben
roir a\3 ©Triften gern jugeben, ba§ allenthalben e§ le^tlic^ unfer
126 ^ a 1 1 c n b u f c^ ; ^ic Sage bcr Mtcmat. 2:^eo(oflie.
©Ott x]i, ber bie ^erjen f c ^ u f ü c^ t i g mai)t, ber i^ncn uid^t
geftattct, fic^ in ben ©ütcrn ber äBclt ju b c f r i c b i g c n , bcr
i^nen bcn ®inbrudf einer ©ebunben^eit, einer SSerloren^eit in ber
grembe, einer Sßerfunten^eit in unrofirbigcm, jämmerlichem SQSefen
entftel^en tagt. 2(bcr mag mir bann weiter feigen, ift bod), ba§
bem ^eil§Dertangen nod) nirgenb§ b i e ©rfüDung ju Seil mirb,
bie mir in ®^riftu§ ^abcn, unb ba§ be^roegen, roeit bie 3loU
empfinbung noc^ teine§roeg§ b i e 2:iefen ber © ü n b e erreicht, in
melden md) d^riftli^em aSerftänbni^ ba§ eigentliche ®tenb
bef^loffen ift. 3)ic ©rlöfung, bie SRettung, bie ^inauSfü^rung
au§ ber äBclt unb bie ^inanfül^rung ju ®ott, tritt in ben an«
beren Sieligionen nocl) in formen auf, bie unö mefentlicl) at§
3 1 1 u f i 0 n c n erf^eincn. ©emig, mir fe^en and), roie bie an^
beren ^Religionen üielen ^rieben gcmä^ren, mir brauchen aud^ nic^t
ü b e r a 1 1 ju urteilen, bag ba§ ein 2: r a u m f riebe fei. Slber
mir muffen bo^ urteilen, ba§ in ben anbern Sieligionen menig
oon bem magren grieben ©otte§ über bie ^erjen tomme.
^ier berühre ic^ einen ^unft, über ben bei ben 9teligion§*
^iftorifcrn, auc^ ben t^cologifd^en, nod^ Unflar^ett befte^t.
^6) la§ einmal in ber „©^riftlic^en Sffielt" (gleichgültig mann)
einen 2luffa^ (gleichgültig üon mem — id^ betrachte, ma§ ic^ ^ier
^eranjie^e, als eine ©ntgleifung be§ SSerfafferS, auf ben i^ fonft
gern ^öre), ber über baS a3er^ältni§ beS (£l)riftentum§ unb ber
3Rit^rareligion ^anbelte unb befonberS bie 2:atfac^e, \>a^ beibe
eine geiftige, ja ftttli^e ©rlöfung burd) eine SBiebergeburt
»erzeigen, in 93etrad^t jog. ®a lief bie 93etra^tung barauf ^in^
au§, ba§ bie SRit^rareligion auc^ fo, roie fie fic^ üom ©Triften*
tum unterfc^eibe, SBa^r^eit l^abe, ba| fie minbeften^ für bie
3Wenf^en, bie für fie bi^poniert roaren, fogut SBal^r^eit geroefen,
als für uns bie S^riftuSreligion. „@S gibt oi^ne ßroeifel Seute,
meinte ber Sßerfaffer, bie eS lieber fe^en, ba§ in anberen Sleli*
gionen gar feine, als ba& in i^nen roenig ober uiel ©rlöfung ge*
boten roirb, roeil i^nen roeniger an ber ®r(öfung als an i^ren
©ebanfen über bie ©rlöfung liegt. 2)enn eS barf nur eine Slrt
ber ©rlöfung geben, roeil fonft bie ©injigartigfeit unb ,g)crrlid)feit
il^rer eigenen Stellung beeinträ^tigt erfc^eint". Qd) roei§ micti
^att^nhn^d): %it Sage ber f^ftemat. ^^eologte. 127
für meine ^erfon grünblic^ frei oon ber 3Jeigung, me^r üon
meinen ©ebanfen über bie ®rlöfung ju galten, al§ oon ber ®r*
löfung felbft. 3(ber id) meine, e§ tonne boc^ le^tlic^, menn eS
nur einen (Sott gibt unb te^tlid) einerlei 3Renfc^enl^erj, a\x6)
nur eine roirttic^e, roa^re ©rlöfung geben, nur e i n m i r f l i c^ e 5
^eit für un§ aKe. SBenn ber ©ebanfe ber Sntmicflung in ber
©efc^ic^te baliin gemenbet werben foD, ba§ bie jeroeiligen SÄen^
fd)en unb i^re ber maligen 93ebürfniffe, Sinfic^ten, i^re ber*
maligen religiöfen „hülfen", a\\6) ba§ 3Wa^ ber SB a f) r ^ e i t fein
foCen, menn ber ©ebante gelten foÜ, ta^ ®ott je jur Qät ber
mirftt^ „ift", mofür bie 3Kenfd)en i^n nel^men, fo ^alte ic^ ba§
allerbingö für unoerträgli^ mit bem K^riftentum. Qd) brause
md)t alle SÄenfi^en, bie nic^t perfönli^ unb berougterma^en ba§
^eil ö^fu ®f)rifti ergreifen, für oerloren ju erachten unb tann
bod) babei bleiben, ba§ in SBa^r^eit „fein 9Jame ben SÄenfc^en
gegeben", barinnen fte foDen feiig werben, al§ allein ber 9t am e
5 e f u ® 1^ r i ft i. Unb fo f^lie^t ber ©ebante baoon, bag (Sott
überall bie 9Kenfc^en fu^e unb üielerort^ aud) oon t^nen in
Stauung ober aud^ Icbenbiger @injetertenntni§ mirtlic^ gefunben
werbe, auc^ ben anbem nic^t au§, ba& er — ni^t na^ blinbem
belieben, fonbern geioi^ unter Stotroenbigfeiten, bie mir nur nic^t
JU ergrünben vermögen — allerbing§ in einem b e ft i m m t e n
@ef(^i^t§jufammen^ang eine f p e j i f i f ^ e SBirIfamfeit, oieHei^t
eine befonbere <3ntenfität betätigt \)abe, auc^ jule^t ein
Organ fic^ bereitet ^abe, ha^ freiließ ein anbere^ mar, al§ bie
Organe, bie er fonft in 93eroegung gefegt. @§ ift ein mertroürbig
unlebenbiger, jebenfallg wenig perfönlic^er (Sotte^gebanfe, ber e§
ni^t oerträgt, fid) @ott in ber ©ef^ic^te au^ ju beuten at§ fic^
tonjentrierenb, al§ liier fic^ jurüdf^altenb unb bort brän-
genb, al§ ^ier juwartenb unb bort wirftic^ fc^affenb. 3)er ®e»
baute oon @ott aB bem in fi^ ftetigen, immer gleichen, al§ bem
aSater im ^immel über alle 9)lenfc^en unb ju allen Q^xkn,
fd)tie§t nur jebe SB i 1 1 1 ü r in feinem Ser^alten gu ben einjetneu
ausi, nic^t aber bie aSerfdjiebenl^eit. können wir bie gange
gieltgion§gef^id)te irgenbwie al^ ein „®mporloden" ®otte§ Der-
ftel)en, fo foDen wir biefcn ©ebanten nic^t mißbrauchen ju ^on»
128 ^ a 1 1 e n b u f rf) : ^ic Öage bcr f^ftemat ^^cologie.
fhuttioncn üon mancherlei „SBa^r^eiten" unb „©rtöfungen". ®g
tüirb für ba§ c^riftlic^e S)enten babei bleiben, ba§ e§ freiließ einen
befonberen (Sefc^ic^t^jufammenl^ang gibt, in bcm wir erft eigent*
tid) ®otte§ |)erj fc^Iagen l^ören unb @otte§ Äraft fid^ roal^r^aft
betätigen fcf)en. Unb e§ wirb unter ©Triften eine @en)i^l^cit
bleiben, ba§ Sefu§ S^riftu^ allerbingg eine e i n f a m e , eine un*
T)ergteid)lic^e Stellung in ber ©efc^id^te ^at unb al§ ^erfon an*
ber§ in ®ott bie SB u r 3 c l n feinet 9B e f e n § , aU bie fonfttgen
9ieligion§ftifter. S)ic ®efd)ic^te ber Sieligionen braucht un§ in
biefer 3"^^^^^^ roai^rlid) nic^t irre ju machen.
3)oc^ ic^ bin freilid) no^ nid^t ju ®nbe mit bcn S^agen, bie
bei bem tjeutigen ©tanbe ber äBiffenfc^aften fi^ ergeben. 3)ie
oierte ^rage, bie mir einen 3iö^if«t bejeid^net, ben mir f^ftema*
tifc^cn 2:t)eologen in§ 3lugc faffen muffen, lautet: „Äann ber
©upranaturali^mu^ im ®lauben aufrerf)t erhalten werben?"
aBa§ ic^ bi§l^er über ©^riftu^ roibcr bie ®ebanten be§ fog.
mobernen (S^riftentum^ behaupten §u muffen meinte, inüobiert
fc^licglic^ eine fupranaturale ®otte§ibee, unb gerabe
ba§ ift fic^er geeignet, üiele „2Woberne" abjufc^redfen üon ben
®ebanfen, bie i^ »erfocht. SÖBir tommcn ^ier abermals in einen
weiteren ^wf^mmcn^ang, nunmehr ben überhaupt ber allgemeinen
3öeltanfd)auung unb i^rer weitläufigen ®efc^ic^te.
Qä) tann mir beuten, ba& ein ^ ^ i 1 0 f 0 p ^ , aud) ein f ol*
^er, bem bie SRetigion ein perfönlic^eS Slnliegen ift unb ber bar«
auf bebac^t ift, bem ©^riftentume infonber^eit geregt ju werben,
f agen wir alfo ein 3Wann wie ® u df c n , wenn er eine S)ogmatit
auc^ ber legten ßeit, nur eben nic^t „religion§gefc^id)tlic^en" ®e»
präget (wie e§ ja auc^ nod) feine gibt), fagen wir etwa biejenige
Ä a f t a n § jur ^anb nimmt, fic^ auf§ äu^erfte bef rembet f ü^lt
üon bem ® a n g e ber Erörterungen, ba§ c§ i^n anmutet, al§ fei
alle§ in einen tünftlic^en Stammen geftellt, einen Stammen, in bem
alle Probleme fid^ oerbögen. S)a§ ®runbfc^ema ift aud^ bei einem
„SRitfc^lianer" noc^ ba§ alte, einem „mobernen" 9Wenfd)en oon
üorne^erein obfolet fc^einenbe, ba§ — um mid^ ber grantfd^en
^attcnbufc^; ^ic 8agc bcr f#emat Zf)^oloQk. 129
Terminologie ju bebiencn — ber „®encvation, Degeneration, SRe«
gencration". S)abei werben biefe ^Begriffe fe^r oerfc^ieben gegen
einanber abgeftuft, aber e§ bleibt ber @inbruct, aU fonftruiere ber
S)ogmati!er ftd^ eine ganj befonbere „938e(t", jroeierlei Steigen oon
©efc^e^en, eine „d^riftli^e" unb eine „nic^t djriftli^e", „bIo§
natürlid^e". SBir S)ogmatiter fc^einen roirtlic^ eine Slrt oon ^af^
fton für ba§ 2lItmobif^e ju l^aben! SSir ^aben in ber Sat im
©runbe nod^ einen SBurf ber Probleme in ber ^anb, ber erft»
mal§ in einer Qtxt gemalt ift, bie fonft für oerfunfen unb oer«
fc^oDen gilt 9lod) immer finb für un§ übermiegenb 5^'agen oon
93ebeutung, bie fd)on jene erfte ^eriobe ber eoangelifc^en S^l^eo*
logie, bie fid) an 3Jlelanc^tl^on unb ©alpin anfc^lo^, erörterte,
©efpenftem glei^ teuren immer roieber in ben „Sogmatifen"
längft tot erflärte „Probleme" jurücf. Swfti"^^^^^ ^^^^ tritifie*
renb fe^en fi^ bie ©gftematifer nod^ größtenteils mit gormein
au§einanber, bie Don ber alten t^eologifd^cn S^n\t be§ 17. ^a\)X'
^unbertg aufgebracht mürben, oon ben „©^olaftitem", ben „Or*
t^oboyen", an bie, mer auf 93ilbung l^ält, bod^ nur mit ©Räubern
beuten tann. Unb ba§ foD fo meitergelien ? SBo^l gar in infi-
nitum?! ^ann jemanb fi^ rounbern, bag „Siatente", bie fi^
no^ ber S^eologie jumenben, ^ier enblic^ auf eine SBenbung [in*
nen? Oft ߧ nid^t beutli^, ba§ bie übliche 2lrt non fgftematifc^er
a^eologie, unangenehmere unb erträgli^ere 3lüancen oorbel^alten,
im ganjen nur noc^ eine ^feubomiffcnfc^aft ift?
^c^ \)abt biefe g^agen gar nid^t blo§ etpwvtxö); geftellt. 6S
ift mir teineSroegg barum ju tun, folc^en jüngeren 2:^eologen, bie
befonber§ auc^ bie ©efc^ic^te ber ^^ilofop^ie ber Jleujeit tennen,
ben ®inbrucf ju erroeden, al§ ob fte bei un§ älteren auf gar fein
S8erftänbni§ redjnen fönnten. 3)ie ©efc^ic^te ber ^t)ilofop^ie ift
un§ roeber fo unbetannt, nod^ fo gleid^güttig, ba§ wir eS nic^t
empfänben, mie fel^r ba§ tf)eologifd^e 3)enten ®efa^r läuft fic^ ju
ifolieren, fic^ auf fragen ju oerfteifen, bie feine ernft^aften gragen
mel^r fmb. Slber e§ ^anbelt fid) um eine ® r u n b frage unb i^
menigftenS tann ben ©inbrudf nic^t überroinben, ba§ bie ,,mobern"
benfenben 2:^eologen im begriffe fte^en, eine g^ftung leichten ^er^^
jen§ au^juliefern, bie in SQäirflic^fcit nid^t ausgehungert ift, and)
130 Ä a 1 1 e n b u f 4 : 3)ic Öagc bcr f^ftcmat. 2:^colo0ic.
nid)t für ben Äricg im großen (rocnu benn oon Krieg jroifc^en
bcn aCBiffenfc^aftcn bic SRebe fein foü) roertloS geiüorben, fonbem
bie rc^t eigentlich unfer fianb bebeutet, ^ä) meine ben ©upra*
naturali§mug.
Könnten mir J^eologen un§ nid^t junäd)ft einmal unter unS
felbft barüber üerftänbigen, maö e§ mit bem ©upranaturali^muä
im ß^riftentum für eine 93emanbtni§ ^at? SSBa^ id^ bei ben je»
nigen, bie it)n entfd^loffen ablehnen, bur^roeg oermiffe, ift ber
aSerfud) einer SBürbigung beffen, ma§ er an6) foldjen 2:^eoIogen
ber ©egenmart bebeutet, bie fic^ meber gegen eine met^obifd^e
®efc^id^t§forfc^ung, no(^ gegen bie Slnregungen be§ allgemeinen
roiffenfd^aftli^en 3)enten§ Derfperren. 9latürlid) ^at bie neue
SHid^tung auc^ i^re mittaufenben ©d^mä^er, auf bie ni^t§ antommt.
2lber i^ fe^e auc^ bei einem fo gebiegenen SWannc mie Sröltfc^,
ben feine au§ge§eic^nete Kenntnis befonberS ber großen ^iftorif^en
93ebingungen unb be§ fomplijierten aßerbegangS ber fog. mobemen
SBeltanfd^auung fpejiell baju befähigt unb beruft, bie 2lrbeiten
ber ©9ftematifer ju roürbigen, nic^t bie Steigung, ftc^ auc^ nur
l^ripot^etifd^ ernft^aft unb mit ©pmpat^ie ^ineinjubenten unb ^in»
einjufül^len in bie Qfntereffen be§ SupranaturaliSmuS. ®r lä|t
am ©upranaturali§mu§ bie SWet^oben ber f^ftematifc^en S^eo*
logie, bie er al§ bie „bogmatif^e" unb bie „gefc^ic^tli^e" bejeic^--
net, fid^ fc^eiben. Q6) mürbe feine 2lrgumentation jugunften ber
„gefd^id)tlic^en" üieüeid^t überjeugenber finben, al§ i^ bisher Der*
mag, menn fie mit einer grttnblic^eren, o^ne Sßergröberungen ar*
beitenben aOSibertegung ober Slble^nung ber „bogmatif^en" b. f).
„fupranaturaliftifc^en" arbeitete. S^röltfd) ift gerecht unb Derftänb*
ni^DoH gegenüber bem „alten" ©upranaturaliSmuS, bem ber S^^eo»
logie be§ 17. Qa^r^unbertS. Slber er fann fic^ im ©runbe nic^t
benfen, ba§ e§ einen anbern @upranaturali§mu§ al§ jenen gebe.
©0 fielet er in ber 9ieujeit, mo er i^m begegnet, nur nod^ l^att*
lofe Äompromiffe ober fc^roä^lic^e ^iWonen, bie er einfach bei
©eite JU fc^ieben fu^t. Wt me^r |)cftigteit al§ Kraft protla«
miert er ein aut — aut : entmeber ©upranaturali§mu§
im ©inne ber mirflid)en, eckten Drtl^oboyie, ber beS 17.
:3a^r^unbert§, ober 9lntifupranaturaliSmu§ b. ^. „3 m m a n e n-
Rattenbufd^: ^ie iSage bet f^ftetnat ^^eologie. 181
jierung" (ic^ glaube, er \)at biefen nidit gcrabe frönen 2:er*
minu§ gebilbet; er \)at aud) ein SÖSortunfle^euer tüie „SRetap^gft^^
jierung" ber neuen S^eologenfpra^e gef^entt). @§ ift nid)t rid^*
tig, ba§ biefe§ aut — aut gölte.
3)er ©upranaturaU§mu§, ber in ber altproteftantifd)en Zi)tO''
logie ben ^intergrunb ju ollem bilbet, ift junädjft eine räumliche
2lnf^auung. 9iatürlid) ift er mit qualitatiüen 9Womenten ber
©otte^ibee üerfnüpft, aber an unb für ftd^ ift er mel^r naturmif*
fenf^aftlic^er al§ religiöfer 2trt. ®r entfpra^ bem alten ptole=f
m a i f (^ e n SBeltfgfteme, roelc^eS bie ^riftlic^e S^^eologie mie baS
felbftt)erftänblid)e mit überfommen ^atte unb n)eld)e§ bie 33ibel
überall üorau§fe^t, barum au^ bei etwaigem ^orfc^en immer „be^
fWtigt". 9Melan^tl|on f)atte e§ mit üollem 93en)u&tfein miber ba§
lopernitanifd^e al^ jum 53eftanbe ber eoangelifc^ d)riftlid)en
Srtenntniö ge^rig ^ingefteDt. 3)ie SWertmale be§ ptotemäif^en
©gftem§ fmb bei ben 2:^eotogen ba§ ber ®nblid^teit ber
9B e 1 1 , bejm. ber gefcliaffenen ©paaren, b. \), alfo be§ ^immelS
fo gut, mie ber Stegion, ju ber bie ®rbe unb bie ©terne ge»
^ören, f obann ba§ ber 3 ^ " * ^ 0 1 i t ä t ber @ r b e. S)ie le^^^
tere fd)n)ebt rul^enb im SRittelpunft ber 938elt, bie ©onnc unb bie
©terne bewegen ftc^ um fie ^erum. Unenbli(^ ift nur @ott unb
üon i^m gilt bie Unenblic^teit al§ ©ebanfe ber Unfa^lid^teit burc^
ben SRaum, ber „erfc^affen" ift: ber |)immel unb aller ^immet
^immel faffen \\)n nid)t. 3)o^ rool)nt er im relatioen ©inne im
^immel, nämlic^ bi§ jum 2BeltgericI)te, mo mit einer neuen ®rbe
oud^ ein neuer ^immel fommen mirb, Don bem mir bermalen
no^ nic^t§ roiffen unb beffen 2lrt mir taum alinen tonnen. Sßon
bem je^igen ^immel au§, mo er unter ben Sngeln tl^ront, regiert
er bie ®rbe al§ bie befonbere ©p^äre feinet Siebe^intereffe^. ©ie
fteltt mit i^rem fieben baS bar, mag eigentlid^ al§ „9latur" gilt.
2nit biefer ^at (Sott an ftc^ felbft nic^t§ gemein, fie ift fein fficrt,
mie ber |)immel, aber fie ift fein SBo^nfttj für i^n, fie ift nur
wie ein ©c^emel feiner 5ü§e. ®r ift in (S^rifto ju i^r „Ijinab^
geftiegen'/, um „9Wenf^ ju merben" unb baburc^ bie 9Wenfc^en
ju erlöfen. 3Welan^t^on betont, ba& fc^on biefe§ gaftum allein
bemeife, menn e§ ber ©eroeife roiber Äopernitu§ bebürfe, ba^ bie
132 ^ a 1 1 e n b u f c^ : Xie Sage ber f^ftemat. ^^eologie.
®rbe ba§ „3^"^^^"^" ^^^ gcfc^affenen 21D§ fei. 3)cnn feine an^
bete Sphäre bürfe fic^ ä^nlic^en SorjugS rühmen, unb ma^
®^riftu§ auf ®rben üoUbrac^t, fc^affe ba§ ^eit ber ganjen SBelt.
2)iefe§ ptolemäifc^e SBettbilb unb bic mit i^m fpcjififd) üer^
fnüpften ti)eologifcf)€n J^corien ftnb für ben mobcrnen SWenfc^en
unmögli^ geworben. 2)ie topernitanifd)e 3(uffaffung be§ Sonnen^
friftem§ ift \a freilid^ eine ^ppotl^efe unb fann an ftd^ voo\)l nie
etroaS anbere§ für un§ werben, aber fie ift eine ^gpot^efc, ju
ber jebe neue tunbbar roerbenbe Satfac^e ftimmt. @o tonnen wir
nid^t um^in fie al§ eine ©eroig^cit ju be^anbeln unb muffen fo^
mit freiließ ben Supranaturali^mu§, ba& ic^ mi^ fo au^brücte,
transponieren. ®r roirb un§ au§ einer „Slnfd^auung" ju einer
„^bee" werben muffen. ®r roirb ber 3Biberpart ber ^mmanenj*
ibee bleiben, fomeit biefe ju einer 2lnfd)auung inf liniert. SlBai^
mir feit Äopcrnifu§ in 93ejug auf bie SBelt anfc^auung mei*
tercS unb größeres noc^ burc^ Slftronomie unb S^eorie oom SHaume
überliaupt gelernt l^aben, ift meit me^r no(^ al§ bto§ bie§, ba§
bie erbe nic^t ber feftc ^untt ber „9Belt" ift. SBir ^aben ge*
lernt, in ben Slet^er ^ineinjufd)auen roie eine ^erne unb %üU^,
bie feine ^^antafie ermeffe, feine Sßorftellung begrenje. SBeld^e
fd^minbelerregenbeu liefen, meld^ unerhörtes ©etriebe oon ©tcrnen,
©ternfriftemen, „9Kilc^ftra^en" fennen unb a^nen mir f^on allein
auf ©runb ber Seoba^tungen, bie bisher gemad^t finb. (ä§ ift
üor einigen 3^^>^€« gelungen, einen „9lebelfledE", ber auf ber füb^
liefen ^emifp^äre fid)tbar ift, auf lange eyponierten unb reijbaren
^^3latten p^otograp^ifd) auf}unef)men, unb ba l^at man runb 400 000
©terne gejault. 3)iefer Stebelflecf ift nur ein 3^^i^töufenbftel ber
jur 3^it ^l^ crforfd)bar geltenben |)immelSfp^cire. SSBaS mögen
fpätere, meitertiin nerfeincrte tedjnifc^e Hilfsmittel noc^ erft für
©ummeu ber ^ier üorf)anbenen ©terne unb ooüenbS berjenigen
beS Himmels überliaupt ergeben! Unb men erbrüdEte eS nid^t
fd)ier, menn er ber ©ntfernungen jmifc^en ben H^^w^^'^^örpern
gebadete ! Sßiele ^f^^^taufenbe bebarf ber ßic^tftra^l, ber oon be»
re^enbar entfeniten ©terngruppen ausgebt, um bie ®rbe ju er»
reichen unb bod^ burc^mi^t er 40 000 3Äeilen in ber ©efunbe.
2lHein baS aUeS ergibt ja noc^ feiueSmegS ben ©ebanfen ber roirf^
^ a 1 1 c n b u f ^ : ^ie Sage bcr f^ftcmat a:^eologie. 133
liefen „SBelt". ®§ beutet un§ nur an, ba& anä) unfere ^^an^
tafie erlahme angeftc^t§ bev „SBäirtli^feit". Unb anbrerfeit^ jroingt
un§ bie SRat^ematif, unfcr SBeltbitb ju erbauen noc^ unter oiet
weiterem ©ebanten al^ bem ber empirifd^en Unerme§tid)teit, näm^
lic^ unter bem ber eigentlichen „UnenbUd^feit" , be§ unenblic^
„@ro§en" in ber einen SRid^tung unb be^ unenbli^ „kleinen" in
ber anberen SRic^tung. ^laö) oben unb na^ unten bc^nt ftd) für
unö eine ufertofe SBeite be§ 9taum§ unb eine unerfc^öpfbare güüe
ber fieben§mögtic^feiten.
6§ ift wie ein ^elfenbei^ SBort, um überhaupt ben ®otte§^
glauben, ja gerabe ben c^riftlic^en ju retten, erfc^ienen, afö man
eS magte mit bem ©ebanfen einer „JranSfjenbenj" @otte§ ju
brechen unb bafür ben ber „:3mmanenj" einjufe^en. 211^ bie
3Iuftlärung in ©efal^r geriet, im Sßerfotg ber mec^aniftifc^en 3)eu^
tung be§ „3Beltall§", bie ^Religion einem 3)ei§mu§ glei^jufe^en,
ber ©Ott aller unmittelbaren Seben§mirtlic^teit ber „@läu^
bigen" entrüdfte, i^n aU ben SBeltbaumeifter jroar gelten lie^,
aber oon aller biretten ^Betätigung in ber 9tatur unb
®efd)i^te au§f^lo§, mar e§ eine gro^e 93ereic^erung be$J religiöfen
©emüt^Iebenö unb mie eine 5Reuentbedfung ber magren ^orm ber
SHeligion, ba§ ®ott al§ fpürbar unb erlebbar im Sein, al§
geftaltenber ^ö'^or gerabe au^ ber -3 n b i o i b u e n im 3"fö"^'
menl^ange mit bem Hltfein ^ingeftellt mürbe. äBar ber alte ©e^*
baute, ba§ ©ott burd^ lauter Sonberbehete regiere, ba^ingefunten
Dor ber neuen mat^ematifd^-p^gfifalifc^en, unbebingt naturgefe^*»
li^en 3Beltbeutung, fo mar bie SBelt fc^ier „gottlob" geworben.
®a mar e§ mie ba§ 3lufteuc^ten eine§ neuen ©lanje^ über ber
äBelt empfunben, bag bie Qn^nwnenjibee oon religiöfen ©eiftern
gemagt mürbe. 9iirf)t über, aber in ben „©efe^en" tonnte man
je^t glauben ©ott ju „^aben", ju f puren. 9öir brauchen un§
nur beffen ju erinnern, roie©d)leiermad^er burc^ bie 9teben
mirtte, mie er, ber bem ^ant]^ei§mu§ ganj offenbare ©^m^
pat^ien entgegenbrad^te, al^ SBieberbegrünber mal)rer unb e^tcr
c^riftlic^er ^^ömmigteit gefeiert morben. Unb mir bürfen bem
auc^ ^eute ni^t oerftänbni^lo^ gegenüberfte^en ! ©§ ift boc^ ein
©ibelmort, bem mir bie aBa^rf)eit nic^t abfpred^en merben, ba|
184 ^attenbufc^: ^ie Sage ber f Qftemat ^^^eologie.
©Ott nid^t fern fei oon einem jeglichen unter unS, „benn in i^m
leben unb roeben unb fmb mx'\ ^ier tft in ber %at für immer
einer religiöfen Stimmung i^r SRec^t gefiebert, bie fi^ gern in bie
^mmanenjDorftellung flüchtet unb i^r ©gmpat^ien fiebern wirb,
folange man nirf)t ücrgi^t, ba§ baö ©^riftentum mit ber 9Sorau§*
fe^ung eine^ bireften Seben§per^ättniffe§ jroif^en ©Ott unb ber
aJlenf^^eit fte^t unb fällt. Slber \)abm mir ein Siecht, biefe§
£eben6üerl|ältni§ auc^ auf ba§ 9111 auSjubel^nen unb bürfen mir
bel^aupten, ba§ bie „938irfli(^feiten", in benen mir ba§ Sein le^
benb tennen lernen, unö jmingen ober befonberS bringlic^ neran«
taffen, bie ^mmanenjibee abfolut ju faffcn unb ftatt jeber 3lrt
oon 2^ran§f}enben}ibec ju bogmatifieren? Um ein runbe^ ^^ntma^
ncnjbogma l)anbelt e§ ftc^ gegenmärtig bei ben Si^eologen, bie
barauf ®emic^t legen, ba§ redete g^jit ber bisherigen allgemeinen
®ntmidflung be§ SBeltoerftänbniffeg ju jie^en.
aWännermie Sröltfc^, «ouffet, ©ernte, SBeinel
moDen fämtlic^, menn ic^ fte rec^t oerfte^e, nic^t „^ant^eiften"
fein, fonbern Sßertreter ber 2lnfc^auung, bie man mo^l „^an*
e n t ^ e i § m u §" genannt l)at Sie motten @ott unb SBelt „un<
terfc^eiben", meinen aber beuten ju muffen, ba§ feine ©p^äre unb
bie ber SBelt nur abftrafter^ nicf)t tontretermeife, oiellci^t mie
^^nnereS unb 2leu§ere§, mie SBille unb Jat auSeinanberju^alten
feien. ®in menig fpielt für fie, mie mir fc^eint, ba§ ©traugfdje
aOSort oon ber „aQ3o^nung§not", bie bie SEBiffenfd^aft, ba§ neue
^ilb ber „unenblic^en" SBelt, „brausen" für ®ott erjeugt ^abe,
eine SHoHe. daneben ift e§ me^r noc^ ber ©inbrudf, ba§ bie
„SBirtlid^teit" fo gro§ unb ergaben fei, in i^ren ge^eimni§üollen,
unburc^bringli^en Siefen fic^ aber anbeutungSmeife fo ibeen^aft,
fo geifteSmä^tig jeige, ba§ e§ oermeffen fei, @ott anberSmo ju
fucl)en als eben „überall" unb nur in bem Satenfturm emiger,
fc^affenber ©elbftauSroirtung. Q\)mx\ fc^mebt oor, roaS ®oet^e
ben ©rbgeift fpre^en lägt, bag er in feinem 3Bogen „ber ©Ott*
^eit lebenbigeS Äleib mebe". ©ie f ebenen nid^t jurüdf oor bem
©ebanfen, ba§ ®ott „^erfon" fei. Sie ftufen auc^ ab jroifc^en
„9tatur" unb „©efc^ic^te" unb finben in le^terer infonber^eit,
ober mit überragenber Äraft unb 3)eutlid)feit, „Offenbarungen"
^ a 1 1 e n b u f d^ : ^ie i^age ber ft)ftemat. S^eologie. 186
@ottc§. S)a§ aDc§ ift oon ber Sttrt, ba^ e8 mir ni^t geftattcn
iDflrbc, nac^ biefen Jl^cotogcn Steine ju roerfcn. Slber anfd^tie^en
fann ic^ mic^ i^rcn Slnfc^auungen a\i6) ntd^t.
9Ba§ i^ bei i^nen üermiffe, ip bie 2ld^tfam!eit barauf, ba§
wir im ©l^riftcntum gelernt ^aben, (Sott al§ in feiner SBeife roer*
benb, fomit aU frei oon ber SBelt ju benten. (5§ ift bo^ etmaS
anbere§, ob mir un§ 3^efu§ nur aU einen unter oielen ,,^rop^e*
ten" unb „Sehern" benten, ober al§ bie eJxtbv xoö *eoO unb ben
Xapaxx^ip Tfjs ÖTCooTaaew; aöxoO. ^m te^teren ^aU^ tritt un§
üor 2lugen, ba§ mir nic^t berechtigt finb, ®ott „überall" ju
fuc^en unb ba§ eS ein 5«^lmeg ber ©pefutation fei, au§ ber Sßer«
gleidjung ber üielerlei ©emegungen unb ©trebungen im 2111 bie
le^te Dominante unfere^ @ein^ ju bioinieren. SBir lernen bann
nic^t me^r blo| abftrafter^ fonbem gerabe tontreterroeife „unter«
fc^eiben" jmifd^en ®ott unb 9Belt unb le^tere aUerbingS auc^
anfet)en mie etroaS, ma§ @ott „fremb" fei, mag jmar überall
für feinen SBillen erreid^bar, ni^t aber überall ein 3lu§brud ba«
für fei. 3Wan mirb bann glauben, bag ®ott freiließ inmitten
alles ©efc^e^en^ ftel^e, jugleid^ aber al§ ^erfon barüber. 2)ieg
le^tere roieber ni^t nur fo, ba§ er mie ber fic^ innerlid^ in feiner
2lrt bel^auptenbe, le^tlid^ »ftetige" erfaßt merbe — ic^ jmeifle
ni^t, ba§ Jröttfc^ jc. i^n fo oerfteben — , fonbem fo, ba& er
ni^t gebannt erfd)eine in biejenigen Drbnungen unb ®efe^e,
in benen er ber Söelt ein ® i g e n leben oerftatte. ®er ^anen«
t^ei§mu§ tann ni^t umbin, @ott felbft al§ „oerantmortlicb" gu
beuten für aQe§ unb bamit bieSc^ulbempfinbung in unS
ju läbmen. ^n 93eträftigung ber festeren meint ba§ ©briftcntum
umgetebrt ftcber ju fein, ba§ e§ jmeiertei 2lrten be§ ®efdbebenS
in ber „SQSelt" gebe, fol^eS, ba§ ®ott mirfe unb fol^e§, ba§ er
n i d^ t mirte. Kann man biefen ®ebanten überhaupt erft einmal
üolljie^en, fo tommt auc^, unter qnberem ©efic^t^puntt, ber ®e«
baute oon glaubbaren SBunbern roieber in ©ic^t. 2lber barüber
barf man Dor mobernen O^ren ja mobt nic^t reben, benn ^ba§
ift eine ^arte SRebe; mer tann fie böten?"
5.
®anj in ber 9läbe ber ^^been, bie bie 3fiw»^onenjDorfiellung
3eitf<^rift für X^eolofli« unb «irc^r 16. ^af)XQ., a. ^eft. 10
136 ^ a 1 1 e n b u f d^ : ^ie Sage ber f^ftetnat ^^eologte.
für ba§ 93cr^ältni§ jioifd^cn ®ott unb bcr SBcIt empfehlen, liegen
biejenigen, roelc^c ba^in brängen, ba§ ©l^riftentum für eine mög»
lid^errocife überbietbare @rfd^einung auf bem ©ebiete ber
9teligion anjufel^cn unb un§ baran genügen ju laffcn, e§ al§ bie
bislang ^öc^fte, noc^ nid^t wirf tic^ fiberbotcne SSBa^r^eit auf
biefem ©cbiete ju bejeic^ncn. Qn biefem Sinne ^abe i^ bie raei»
tere ?5^age aufgeworfen, ob fic^ ba§ ®t)riftentum als „abfolute
SReligion" betrachten bürfe. %üiixt unS bie 5^age nac^ bem Steckte
beS „©upranaturaliSmuS" mel^r in ben 3wfammen^ang ber mo*
bemen SRaumempfinbung, ber Erweiterung beS SBcltbilbS in feinen
äußeren 3)imenfionen, ber 9tatur im engeren ©inne, fo bie nac^
ber 2lbfolut]^cit beS S^riftentumS me^r in ben ßiifömmcn^ang ber
mobernen 3^i^«w^Pp^^^u"9 ^ ^^^ bereicherten 2lnfdjauung pon ben
ßcitgebilben, b. l), ber ©efc^ic^te, ber „5Raturgefd^id^te" unb
jumal ber „Äulturgefd^i^tc". 938ie im Siaume bie ©rfd^einungen
ft^ brängen unb unterbrücfen , mie cS ^icr im einjctnen nichts
2lbfolute§, fonbem nur SRelatioeS, 93cgrenjteS gibt, fo jeigt unS
bie 3^it nicl)t minber einen emigen SBec^fcl, niemals ein ^Uu
benbeS, überall ftcl) SlenbernbeS, (Sntfte^enbeS unb SBcrgel^eubeS,
überall Slufblül^en unb 2lbblü^en. @S ift baS gro^e unb eigent-
üd) flaffif^c 3Weifterftüct ber beutfd^en ^mmanenjp^ilofop^ie,
ba§ fie in bie 2lnfc^auung biefcS emigen 2Bc^fetS in SRaum unb
3eit ben ©ebanf en ber @ n t m i cf l u n g eingefügt l^at. 3)ie
<3mmanenj 1 1| c o l o g i e l^at aud^ biefen ©ebanfen ergriffen unb
i^n fc^liefelid^, ni^t gerabe überrafc^enber Söcife, in ber 2lrt auf
baS S^riftcntum angeroenbet, ba& beffen 53eurteilung als abfolute
SReligion in ^J^age gcftellt mirb. SSBer gerecht fein mill, mu& ^er^^
Dorlicben, ba§ 2^röltf^, ber cS juerft als baS im ©ruube
felbftoerftänblic^e Stefultat ber „gefc^i^tlid^en 9Jlet^obe" in Der
S^^eologie protlamiert ^at, ba§ eS au^ auf bem ©ebiete bcr SHe«
ligion nur SRelatioeS, ni^tS 2lbfoluteS gebe, immer auSbrücflic^
^injugefügt ^at, ba§ er fetbft nic^t miffe, mo unb wie baS &\)xu
tentum moi^l überboten werben foüe. ®r ^at ftc^ oft unb roarm
barüber auSgefpro^en, ba§ i^m p c r f ö n l i c^ QcfuS ber @rö§te
fei, ben ®ott unS SRenfc^en je gefd^entt l^abe, unb ba§ er i^n
mit 3)anf unb ®emut als ^errn anerfenne. fiaffe man Q^fwS
^attcnbuf^: 5)ie ßagc bcr f^ftcmat. a:^eolo0ic. 187
feine „yiamtät", ma^c man il^n nid^t jum 2Bettn)eifen, neunte
man t^n^ wie er f\6) gebe, alg ba§ unbeirrbare, freie, reine @oU
teStinb, fo fte^e feine ©eftatt aufrecht unb feft, bem mobernen
S)enter nid^t minber eine Seuc^te auf bem SQSege, al§ bem fird^»
liefen ©Triften. SBenn %xöl^6), 93ouffet 2C. barauf aufmertfam
ma^en, ba% ba§ Soangetium in feiner urfprüngtid^en @e*
ftalt gemifferma^en nur einem du e Horte gleiche, ba§ ber ©trom
be§ fieben^, ber oon i^m ausgegangen, b\xx6) oielerlei ®oolutionen,
burc^ aWengen oon ®inf[üffen im Saufe ber ©efdjid^te ftd^ erft fo
geftaltet ^abe, roie er unter unS ba§ Sanb befrud^te, unb ba§ mir
nic^t me^r bIo§ au§ ber Cuetle f köpfen tonnten, fo werben
mir biefe 93etrac^tung nic^t einfach ablel^nen bürfen. 9Bir werben
babei baran beuten, ba& ber ^err felbft bem ©eifte ber SBa^rl^eit
fibertaffen ^abe, un§ noc^ oieteS ju leieren, unb werben nur f^ärfer
betonen muffen, ba§ 3>o^annei^ ben §erm babei bod^ aud^ ^er-
oor^eben laff e , ber ©eift n e ^ m c oon bem ©einigen unb
tue nid|tS anbere§, ate ba^ er i^n „oertfäre". S)od^ ba§ beutet
auf fpejieDe t^eologif^e 2lufgaben, an bie ic^ ^ier nic^t ^eran=
treten fann.
Raffen mir oielme^r je^t ben ®n t micf tungSgebanten
felbft noc^ nä^er in§ 2luge, um un§ begreiftid) ju mad^en, roie er
aQerbingS baju brängen tann, baS S^riftentum eigentlich auc^ als
eine © p i f o b e ju betrad^ten. Slnbere al§ Sröltfd^ unb feine
naiveren g^eunbe, au^ S^eotogen — ic^ htnU j. SB. an
93onuS — ge^en f^on juoerftd^tli(^ unter bie ^ropl^eten einer
gang neuen Slera. ©S ift oor allem ber Ütie^f c^cfd^e ©ebante
be§ „U e b e r m e n f d^ e n" ber ßw^u^ft ber fold^en ©eiftern oor*
f^roebt unb ber fte fo beraufc^t, ba§ fie in einer 2lrt oon neuer
eS^atologifc^er ©timmung leben. Qö) tann bie Steigung nic^t
unterbtürfen, biefen fieuten nod^ bur^ eine intereffante SRed^nung,
bie ein ©eologe oor ni^t langer 3^it aufgeteilt ^at, ju ^ülfe ju
tommen. ©§ roirb nichts fd^aben, wenn mir au^ unS felbft einmal
üergegenroärtigen, roaS bie feitl^erige 3Wenfc^engefd^ic^te cigentli^,
in 3ö^lenroerten oerbeutlidtit, für eine Slnf^auung gerodl^rt. ®ie
3eit ber ©rbe roirb oon jenem SÄanne auf 100 9Willionen ^ö^re
angenommen unb biefe einem Sage oerglid^en. Qm ganjen roerben
10*
188 Ä a 1 1 c n b u f c^ : 3)ic fiagc bcr fgftcmat 3:^coIogic.
bann fc^§ ^erioben untcrf trieben, nämltc^ 1. eine fog. Urjeit,
2. ein 2lltertum, 3. ein 9MitteIaItcr, 4. eine 9teujeit ber ®rbe,
ade biefe oier ^crioben nod^ vor bcr erften ©pur eineö SBor^an:'
benfein^ ber 9Kcnf^en. ®iefe ^erioben müßten, wie folgt bc*
rechnet unb mit Siagegftunbcn ücrgtic^cn rocrbcn: Srfte ^eriobe:
52 3Hiaionen ^a\)xt = 12 ©tunben 28 aWinuten 48 ©efunben,
S n) e i t e ^eriobc: 34 aRiüioncn Qa^re = 8 ©t. 9 aRin. 36 ©et.,
britte ^eriobe: 11 aRiQionen :3a^re = 2 ©t. 38 3)lin. 24
©ef., üierte ^eriobe: 3 aJliöionen ^a^re = 43 aWin. 12 ©ef.
S)iefe oier ^erioben bilbcn ben erften 3BeItentag unferc^ Planeten;
bic angegebenen ©tunben 2C. ergeben jufammen gerabe 24 ©tunben.
9tun folgt al§ fünfte 'ißeriobe bie fog. prä^iftorifc^e Qüt beS
SBlenfd^engefc^tec^tS, bie auf 100—200 2:aufenb Qa\)xt angefe^t
tt)trb = 2—3 aWinuten im Sßerglei^ mit bem erften ,,2:ag", bann
aU fec^fte ^criobe bie ber menfd^ti^en SEBeltgefd^i^te,
runb 6000 Qa\)xt = 5 ©efunben. äBenn l^ierbei ber erfte 2BcU
tentag auf 100 3WiQionen Qa^re angefe^t ift, fo mirb bemertt,
ba§ ba§ in SBirtUc^teit ganj ungenügenb fei, ma^rfc^einlic^ l^an^
bete e§ fic^ um 1400 SRillionen Qdf)xz, 3)ann märe bie „aEBett*
gefd^ic^te" ber SJlenfc^en atfo anjufe^en mie eine ©panne oon 5
©etunben im 93er^ättni§ ju ooHen 14 Sagen. 3Wan braucht fold^e
3al^ten nid)t aKju ernft ju nehmen unb roirb fid^ bod^ übergeugt
Ratten muffen, ba§ ma§ mir @ e f c^ i c^ t e nennen, mie ein 3}lo^
ment ift im ganjen ber oon 3Wenfd^en überhaupt in SBorfteßungen
erfaparen ©ntmidflung gar nic^t einmal ber ©onnenfgfteme, be§
fog. aOSeltaD^, nein b(o§ bcr ®rbe feit \f)xtx 2lu§Iöfung au§ ber
©onne. SBoHen mir ba§ auf unferc ^^antafie mirfen taffcn unb
bana^ bie SluSfi^tcn auf jutünftige Soolutioncn be§ SRcnf^cn-
tum§ bemeffen, f o ntögen mir roirf Uc^ beuten, e§ fei t i n b t i ^ e
2^or^eit un§ oorjuftcUcn, ba§ S^riftentum fei ba§
®nbe aller 8Bege@ottc§ mit un§. 6§ entfte^en bann
Dor unferem Sluge 'ip^antagmagorien eine§ nod^ möglichen, eine§
tommenben „Ucbcrmcnfc^entumö", ba§ fid) in ®eftalten ocrmirt«
lid)e, bie mir fo menig jc^t ju fc^ilbern ocrmö^tcn al§ ber Qc^«
t^9ofauru§ feiner Qzxt geaf)nt ^abe, roa§ mal „ÜJlcnf^cn'' fein
mürben. Q6) ^abc auSbrücflic^ bicfcn aScrgleic^ bei einem neueren
^attenbufd^: ^ie Sage ber f^ftemat. ^^eologie. 189
©^riftfteöer gefunbcn. 33 o n u 8 f^cint oon folgen ^l^antaSma*
goricn wirf li^ inflammicrt ju fein ; er meint f ogar, ba| juft uu*
fcrc ©cgenioart {voo\)l bic 3^'* f^ «tn^ö f^it 1890?) al§ eine
;,aBcnbc in ben S^^i^ntiDioncn" ju tayieren fei, roo roa^ bi^^er
SWenfc^entum geroefen, roieber beginne jurüdbleibenbe§ Slffentum
JU werben, ^ö) ^offe beftimmt, bag ber crfte 33anb be§ t)on einer
Sleil^e moberner 23^eologen l)erau§gegebenen SDBerfS ,,2)ag ©uc^en
ber 3ßit"/ 8" ^^^ 93onu§ mit einem apofalgptif^en glugblatle
folgen 3tn^Qlt§ bie Ouoertüre gef^rieben \)at, bur^ ben „SReft",
ber ft^ au§ ber „SWenfdjenjeit" in ben neuen 3leon hinüber juent»
mirfeln 2luiSfi^t l)at, auf einige „Oö^tniitlionen" gerettet werben
mirb. Qm übrigen aber muffen mir un§ hoi) mo^l fragen : ma§
fe^t benn ber ^riftli^e ©laube folgen prop^etifd^en 9ta*
fereien entgegen?
3^ meine junä^ft einmal bie§, ba§ il^m ber ©ebanfe einer
munberbaren 3iifu"ft ^^^ JWenf^en nic^t fremb fei. 2)a§ &\)xu
ftentum fennt eine emige unb unoergängli^e Hoffnung unb ^at
un§ längft gemßl^nt ju glauben, ba§ „no^ nid^t erfd^ienen fei,
ma§ mir fein werben", eS lägt un§ auf einen gortf^ritt hoffen
„üon Ätar^eit ju Starl^eit". 3)abei l)at e§ freiließ feine imma*
nente ©ntmidOung be§ aWenfci^entum§ auf biefem Planeten im
©inn, fonbem benft an ein „3> ^ " f ^ i t ^"- 2lber ba§ ift nun
eben bie grage, ob e§ ni^t auf einer @rfenntni§ fugt, bie t)iel
tiefer unb größer ifl al8 bie moberne (5rfenntni§ ber S i e f e
unb @röge ber SRäume unb 3^^*^^, in benen ftc^ bie SBelt«
entmidlung, aud^ bie t)on un§ ÜWenfc^en, üoUjogen l^at. Qö) ge^*
fte^e ol^ne weitere^ ju, bajj ba§ (£ ^ r i ft e n t u m un§, wenn mir
nid^t bie antife SorfteOung t)om SBeltbau au§ ber 53ibel mit über»
net)men moflen unb bürfen, n i d) t fagt, ma§ baio @nbe unfereS
^Planeten at§ foldien unb ber 9Jlenfci^en auf il)m al^ bem erften
©c^aupla^ i^re§ SBerben^ unb Seben^ fein werbe. SBir ge^en
ba einer unbcfannten gerne entgegen unb muffen un§ befd^eiben,
gug für 5"6 äw f^^cn, jU arbeiten unb ju fc^affen an bem, wa8
ber Sag, an bem wir gerabe leben, forbert unb möglich mac^t.
2lber ha^ S^riftentum geftattet un§ ba§ ^aupt ju ergeben unb
l)inüberjuf Chanen über aßen 9taum unb alle 3^^*/ ^^^ ^od^ ""^
140 ^attenbuf(^:^ie Sage ber f^ftemot. 2:^eolo0ie.
2lnfc^auung§formcn unfcrcr bcrmaligcn @eifie§organifation ftnb,
unb un§ ju freuen, ba| loir bic 9Worgcnröte nod^ eine§ ganj an^
bereit 2^Qge§, aU unfere§ SDBeltentagS, mit bem innem ©inn er»
fennen. 3)iefe ^od^gcmut^eit, bie e^ un§ eingeflößt ^at, ift be^
g r ü n b e t in ber ®rtenntni§ von bem unenblid^en SEBerte be§
f i 1 1 1 i d^ e n ©eifteS unb jeber einjelnen ÜWenfc^enfeele,
bie fi^ oon i^m erfüflen unb über il)re bloße „Statur" ergeben
laßt. Sie meiß ftc^ b e [t ä t i g t , feit bie Äunbe burc^ bie Sanbe
gel^t, baß 3t«fu§ K^riftuö nid^t im SCobe geblieben ift, fonbem ben
©einigen fx6) bejeugen burfte al§ ber, ber ba lebt unb i^nen
„oorangegangen" fei. 3)er mobernc ©ebanfe beS ^Uebermenfc^cn-
tumö" lebt in bem Sraume aud^ ber „Ueberf i ttlic^teit",
unb übrigen^ in l^arter ©leic^gültigfcit gegen ben ein«
jelnen 9Wenfc^cn al§ fold^en. 9tun ift ja !ein t^eoretifd^er SemeiS
möglid^, baß ba§ ©ittengefe^, im ©eiftc S^rifti aufgefaßt, rei^
c^ere unb poliere SBerte für ben 9Jlenfc^en in fi^ befc^ließe
al§ bie Ueberftttlic^feit irgenbmeld^er gorm. 8B3a§ un§ aber t)on
9tie^fd^e unb anberen gejeigt mirb al§ etmaS, maS mel)r fei
aU „gut", was jcnfeitö non gut unb böfe ftel)e unb beibc§ gleich
fe^r 0 e r g l e i d^ g ü 1 1 i g e , ba§ ift nic^t^ anbere§ ate ein b r u*
tale§ Äraftgefü^l unb ein äftl) ctif d|e§ |>oc^gefü^l,
n)el(^eS mir ©l^riften beibe§ einfach nic^t al§ einen gortfd)ritt,
fonbern al§ einen JRüdfc^ritt für ben aJlenfc^en empfinben.
®in aWann mic 93 o n u § l^at gemiß anbere^ oor Slugcn , nur
freiere, gemaltigere, gottinnigere gormen gerabe be§ f i 1 1 1 i d) e n
3Wenfc^entum§. SEBcnn er bann bod^ nur bem 2:eufcl ber ®eift*
reic^igtcit nic^t oerftatten wollte, i^n immer micbcr ju plagen —
i^ glaube, er f ö n n t e i^n bannen, benn er ift für einen aJlann,
ber mirflic^en ®eift ^at, roie 93onu§, nic^t fc^mer ju bannen!
9iun ift e§ für un§ ©Triften nur bie S^age, ob mir eS
roagen, ba§j|enige Äraft^ unb ^od^gefül^l, melc^c§ un§ cinge*
pflanjt mirb mit bem Slugenblidf, mo ber @ e i ft ® ^ r i ft i , ber
®eift be§ ®uten, ber ®eift ber Siebe, ©ernalt über un§ gewinnt
unb un§ etma^ afjxim läßt oon einer 908 i e b e r g e b u r t , in ber
mir fte^en, ob mir bicfe§, ma§ unfer ^erj ooll mac^t oon
munberbarem Sinnen unb ^offen, magen einjufe^cn unb ju bc*
^attenbuf^: ^ie 2aqt ber f^ftemat. ^l^eologie. 141
Raupten lüibcr jenc^ S^id^tigteitögcffi^l bcr JWenfc^l^cit unb be§
eingeincn 9Jlenfc^cn, n)clc^e§ un§ befdjlcici^cn mag, ja im ©runbc
muß angcfid)tg ber mobcrncn ©rtenntniö über unferc arme Keine
(5rbe unb bic (Snblofigteiten, bie bod^ felbft fte burc^bauert l)at
unb noc^ bauern 5U f oüen f^eint. 2)em e i n § e l n e n JWenfc^en
ift je^t, unb be§ bürfen mir gemt§ fein, immerbar auf @rben
gefegt, einmal ju ft e r b e n. 5Wüffen unb foDen mir un§ bal^er,
fomeit mir bod^ oorläufig nod) imSRenfc^entumc ftecfen unb
ein Uebermenfc^entum nur erft mie im Sraume ung um*
fc^meben feigen, nur I)inabftürjen , ober meinetmegen l^inauf-
f^mingen in ein abftrafte§ Unenblid)!eit§bemu|tfein unb jum 93or«
au^ barauf anä) ben „Uebermenf^en" ber 3wf""ft/ ^^^ mat)ren
Rraftmenfd^en nermeifen, menn benn ju feiner 3^it öu^ er
immer mieber fpüren mirb, ba§ feine Äraft fic^ oerbrau(^t? Ober
glauben mir e§ magen jU bürfen, feftju^alten an bem ®t-
bauten eine§ perfönlid^en, emigen ®otte§, einc^ 93ater8 im ^im*
mtl, ber biejenigen, bie feinem @ot)nc Qe\n ©l^rtfto glei^geftattet
merben, al§ ©injelne bemal^rt gerabe auc^ über ba§ Srben*
leben ^inau§?
^ä) fann ntc^t finben, ba| mir bei unferem SBeltbilbe ba§
mirflid^ fernerer ^aben al§ bie alten Ort^obojen, aU bie alten
©Triften, al§ Qt\n^ felbft auf ®rben. %üx fte alle bebeutete il^r
Söeltbilb auc^ ein buntele§ 9tätfel, unb aud^ fte fc^auten in i^rem
SWa^e in unburd^bringlid^e liefen bc§ Slaumeg unb ber 3^it. ^n
biefer 33ejie]^ung fommt praftif^ alle§ nur auf bie ©mpfin*
bung an. Unb ba§ bcr 2Jlenfd), menn er nur fid^ anfielet, emp*
finbet, ba^ er ein 3lx6)t^ fei, mie ba§ ®ra§, ba§ ba frül^e
blüi^et unb am 2lbenb abgel^auen mirb unb nerborret, ba§ ift
ma^rlic^ ni^t§ SWoberneS erft. ®a fragt e§ ft^ immer jule^t,
ob mir eine lebenbige ^ r o b c baoon l^abcn, bajj e§ einen retten*
ben unb bematirenben ®ott gebe, einen @ott, bem ber einjelne
nid)t ju gering ift, um i^n ju fuc^en unb l^inaufjujie^en ju ftc^,
bcr über bem Söeltojean ttiront unb immer mieber i^m ju ge*
bieten mei|.
a)a§ ift bcr ©inn ber 21 b f o l u 1 1) e i t bc§ S^riftentumö,
ba§ mir meinen, in^f^fu ©^rifto mirtli^ bie ^ r o b e ju
142 Ä a 1 1 c n b u f d6 : ®ic Sage bcr f^ftemat. 2;^cologie.
^abcn, ba& ein folget ®ott eyifticrc, ba| roir nic^t ju fürditen
braud^cn, unfcrcn Olauben an einen SSater im ^immel einmal at§
^ßufion ju burd)fd)auen. Db unfere ®rbc ba§ räumli^e Neutrum
ber aßclt ift — fte ift e§ ja gcmig nid^t — , ift babei ganj gleich*
gültig. 2)a^ ®otte§ Siebe^miüe um un§ 3)lenfd^cn freife qI§ bie
ein ji gen SBefcn, bie er fic^ gleich geftalten tonne, bie e§ in
biefem ©tnne für i^n mert feien, ba| er ftc^ in unenblid^em ®r^
barmen um fte bemühe unb fie, menn fte „motten", in fein emigeS
Seben emporhebe, mer miß barüber überhaupt etmaö fagen? 3)ie
Slbfolut^eit be§ ®^riftentum§ bebeutet un§, bajj mir in ®ott burd^
:3efu§ ben ®^riftu§ ben ^untt gefunben ^aben, mo fein eigene^
Seben quittt. ^[ft biefer ^unft fein „^txi" unb ift eS fittlic^e
Siebe, bie biefe§ ^erj erfüllt unb treibt, fo meinen mir auc^
glauben ju bürfen,.ba&, ob mir 50lenfd^en e§ allein finb, bie i^n
„oerfte^en" lernen ober nic^t, e§ an ftc^ ba§ Se^te, ba§ 3^^^ f^t
ba§ er al§ Siebe oerftanben unb erlebt merbe. aDBa§ Siebe
fei unb voa^ aüt^ fte fönne, ba§ merben mir gemijj noc^ fooiel
anber§ erfahren lernen, menn mir in bie Klarheit eingeben, al§
un§ bermalen befd^ieben ift, ba§ mir ru^ig benfen mögen, ei§ fei
nur ein fernem 2l^nen, in bem mir flehen, unb e§ fei nur ein
leife§ SBittern beg ®otte§leben§, ba§ un§ auf @rben umfpielt.
6.
Q6) l^abe nod^ eine S^age bejeic^net ate burc^ bie moberne
J^eologie ober bie moberne ©ntmidtlung in Slnregung gebracht.
(Sie lautet: „3)ürfen unb muffen mir auf neue $ropt)eten ^offen?"
2luc^ menn man bie 2lbfolut^eit be§ ®^riftentum§ anerfennt
unb ^t\n§ ®t)riftu§ ate perfön lic^e, lebenbige efxwv xoö S-eoö an*
fte^t, ift biefe gragc ni^t ftnnlo§. (£§ mürbe ftc^ bann barum
l^anbeln, ob man nid^t jemanb mie Sutl^er al§ einen „^rop^eten"
bejei(^nen bürfe unb ob man nic^t einen ä^n liefen üJlann er*
l^offen unb oon ®ott erbitten bürfe. 93ollenb§ merben natür»
lic^ biejenigcn, bie baran benfen, ba§ ba^ ©l^riftentum überboten
merben tonne, gcrabesu barauf red^ncn, ba§ ju gegebener 3^'^ ein«
neue ®eifte§au§gie^ung ftattfinben merbe.
^6) mei& nid^t, mer juerft bie ©e^nfud^t nac^ einem neuen
Äattcnbufd^: ^ic Sage ber f^ftemot. ^^cologic. 143
^Ißtop^ctcn auScjefpro^cn ^at. 9Jlir fclbft trat fic crftmal§ ent^
gegen in bem SBorroort, mit bem ^o^anneS SQSeijj 1894 feine
©c^rift über bie „9tQd)folge S^rifti unb bie ^ßrebigt ber ®egen*
wart" hinausgehen lic^. 9tad^bem er ben ju erroartenben SRejen*
fenten feinet 33uci^§ begeugt ba§ er oon ii^nen 3lner!ennung nic^t
erwarte, baburc^ aber noc^ nic^t beirrt werben werbe in ber ^off»»
nung, ba| feine ©ebanfen „SBal^r^eit unb Kraft" l^ätten, fä^rt
er fort: „$^d) füge nod^ ^inju, ba§ meine SBorfd^Iäge berechnet
finb auf unfere prop^etenlofe, geiftcSarme ®egenmart. ©oüten
mir in S3älbe eine neue @eifte§au§gie§ung erleben ober foDte un§
ber ^rop^et gef(^enft werben, ben wir erfetinen, fo wäre aUe§,
wa§ i^ gef^rieben ^abe, übcrflüfftg unb oerte^rt. 2)enn bann
würben ganj anbere 3Q8ege gangbar fein, an bie wir je^t ni^t
benfen. 33i§ ba^in werben oiefleid^t gebulbige unb nac^fic^tige
Sefer einiget oon bem, xoa^ auf ben folgenben 93Iättern ftel)t, ge*
brauchen fönnen". — ^emac^ ^at SB. SBeit einmal in einer be*
fonberen 93rof^üre, ru^ig unb in gefc^i^tlic^er 3)arftcllung ber
oerfc^iebenen Offenbarungen, bie ba§ ßl^riftentum oorbereitet, i^m
jum Seben oer^olfen, in ber Äir^e je unb bann fid^ ^eroorgewagt
liabcn, bie 5rage erörtert: „93raud^en wir neue Offenbarungen?"
6r ^at fie bejaht, aber gemeint, ba& e§ gelte, i^nen oorjuarbeiten
burc^ Bereitung beS ©oben§ für fie, jumal baburd), ba§ wir un§
unfere ©c^wäc^e, unfere Unfä^igfeit mit ben oor^anbenen religiöfen
unb fittlid^en ®rfenntniffen weiterjufommen, jum 93ewu&tfein
bringen. @r fc^to§ mit ben SJBorten : „fia|t un§ ba§ Unfrige tun,
bamit ©Ott ba§ ©einige tun fann".
:3njwifd^en ift man jum 2;eil ju ber Ueberjeugung gelangt,
ba§ wir feineSwegS me^r auf ^rop^eten blo§ ju ^offen unb ju
warten braud)ten, ba| un§ folc^c fc^on befd)ert feien. aJlit oieler
@mp^afe oerfi^crtc mir ein J^eolog, ben id) mit 91amen ju nen-
nen natürlid) fein 9lecf)t ^abe, ba§ er e§ ftc^ nic^t nehmen laffe,
griebric^ 9^aumann aU einen ^^ropt)eten anjufe^en. 2luc^
anbere Seute — e§ mag i^nen jum 3:eil ein bi§c^en fd^redttjaft
babei ju 9Jlute geworben fein — finb fi^on ^in unb ^er al§
^rop^eten begrübt unb gepriefen worben. 9Jlan ift offenbar ba*
bei, bie 2lnfprüd)e ju ermäßigen. SBer mit Sinfeitigf eit , aber
144 ^ a 1 1 c n b u f d^ : ^ie ßage ber fpftcmat. 2;^colo0ic.
Äraft be§ ®cmüt§ unb ber SRcbc, ctroaö „SRcueö" für bic „©u^cm
bcn" ju bringen roei^, tommt lei^t baju, al§ ein „^rop^et" er»
fannt ju werben. 3)a§ ift !cin 3^^^^« »on oiet Srnft ber „©u»
c^enben", n)äl)renb bie 3cit wirMid^ nai) bitterem ®m[te oerlangt.
2)er SBoben, auf bem ba§ Verlangen nad^, ^offen auf, ®Iau:=
ben an „^rop^eten", neue ©e^er, am leb^afteften geworben,
ift bie unoerfennbar über t)iele gefommene SHatlofigteit unb ^ülf«
lofigfeit in ben mobemen großen f i 1 1 1 i d^ e n S^agen, befonberö
benen, bic bic neuen, immer tomplijierter merbenben fojtalen
93er^ältniffe in 93emegung gebraut ^aben. 9]od^ feine 3^^ ^^t
bie ?Jragen be§ metttit^en ®emeinlebcn§, ber 21 r b e i t , ber Sc»
bürfniffe ber Stationen fo beutlic^ unb fo tief al§ fittlid^e,
ja auc^ in gemiffer 9Qßeife r e l i g i ß f e empfunben al§ bie unfere,
al§ bk ®eneration, bie feit etma einem falben üJlenfd^enalter be»
gönnen ^at ftc^ politifc^ ju intereffieren unb ju betätigen. ®8
ift t)iel reiner unb ^o^er Qbeati§mu§ babei in Slftion getreten, auc^
ocrbraud^t morben. JWit 93egeifterung ^at man geglaubt,
bem S^riftentume, bem 9leuen Seftamente, :3efu felbft bie gül^»
rung ber ®ciftcr überroeifen ju fönnen. 93ei ben tl)eologifd^en
aJlitteln, über bie man oerfügte, ift man ba balb in 93erlegen^eit
gefommen. ^t mef)r man bem „mirfli^en" :3efu§ na^e trat, um
fo fc^ärfer meinte man feine „©c^ranfen" ju fel)en. ®in „^iftori»
fcr" erf^ridtt nic^t, er finbet e§ üietme^r balb felbftoerftänblid), ba§
mir oon ;3efu§ in ben eigentlidjen Problemen ber ®egenn)art feine
geiftige, mirflid^e ^ülfe me^r ju ermarten l^aben. %üx bie bto^e
„^^römmigfeit" meinen jur Qext oiele, fönne man mo^l noc^ im»
mcr mit i^m au§f ommen, merbe t) i e 11 e i c^ t fogar für aüe 3"*
fünft ba fic^ an i^n anlehnen fönnen, aber für bie ©ittlic^feit
Dcrfage er al§ gü^rer. 3^ gto§ fei bie Stuft jmifc^en feinen
aScr^ättniffen unb unferen 93cr^ättniffen, feinen auf ben ®Iaubcn
an eine balbige Söeltfataftrop^e geftü^ten fittlid^en Qbealen unb
unferen Problemen, mie fic burd^ einen mit meiten ^crnfid^ten
auf ba§ ®rbenleben red^nenben Söißen bebingt fmb. 3)a§ „^rift»
lic^e" ©ittengefe^ fei nur noc^ in begrenjtcm ÜWa^e brauchbar.
®er ®ebanfe ber „Siebe" tue e^ eben nic^t aDein. üJlit i^m
fa^re man in allen SSer^ältniff en , bie nic^t prioater Siatur
^attenbufd^: ^ie Sage ber f^ftemat. ^^eologie. 145
feien, gegenroärtig feft. 2Jlinbeften§ fcl)e man nid^t, wie man mit
i^m buti^fomme, roic man ^anbel unb SBanbel in feinen neu-
jcitlic^en gormcn unb ®imenfionen, mic man eine notmenbige
@ro§mac^t§poHtif burc^ il)n regulieren fönne. Sßiele jmeifelloS
fel^r emfte Seute meinen überl^aupt, ba^ e§ unmöglich fei, eine
„ftttli^e" ^oUttf 8u treiben, „SWac^t" fei ba atteS unb muffe eS
fein. Slnbere hoffen eben, bajj @ott no6) einmal SWänner fenben
merbe, benen er munbcrbar einraunc, ma§ fein SDBiOe fei, bie
„ftttlic^e" SWöglid^teiten jeigen mürben, auf bie unfer blöber ©inn
nic^t tomme, mit bem ©uangelium allein ni^t tommen „tonne".
3^ meine — unb ic^ ja nic^t allein — ba§ ba ba§ ®oan*
gelium nic^t rid^tig norgeftettt merbe. Unfere „|)iftorifer"
^aben ja gemi§ einen ®otte§bienft an ben „3)ogmatitcrn" getan,
at§ fte beren ©l^riftugf d^abtonc jerbrad^en. Slber mir 2)og=»
matiter f Bulben e§ je^t il)nen, ba§ mir fte barauf aufmerffam
machen, mie fd^on ^aulu§ gemußt, ba§ ©l^riften mit bem XP^^*^^?
xaxa oapxa ni^t auStämcn, ba§ e§ ber XP^^'^^S ^^cTa 7cveö|jta fei,
an ben bie ©einigen fid) ju l^alten Ratten. SBer SDB. |)crrmann§
Sßortrag über „2)ie fittticben Söeifungen ^t^fu, i^ren SWi^brau^
unb il^ren rid^tigen ©ebrauc^" gelefen \)at, mirb, beute i^, etma§
baoon gefpürt^aben, ha^ bie „blo^e ^iftorie" gar nic^t bie
ganje |)iftorie <3efu ift. 3luci^ roa§ Sröttfc^ über „^olitifc^e
et^it" au§einanbergefe^t l)at, bietet SBeifungen, an bie id^ gern
erinnere, miemol)t mir feine Slrt ju beuten im ganjen fremb ift.
3^ felbft meine, ba§ bie Siebe im ©inne be§ ©oangeliumS etma§
unenbtic^ oiel Qn\)altvoUtx^^, unenblid^ oiel aßeiterblidtenbeS fei,
al§ ba§ mir als (St^iter ba§ Stecht t)atten, algbalb ba§ ©oange^
tium für antiquiert unb prattifd^ nic^t mel^r uermenbbar ju ertlä=
ren, menn mir nic^t im erftcn Slnlauf über neue etl^ifc^e Probleme
t)on i^m au§ uöllig in formulierten ©ebanten ^err werben.
®§ gilt aud^ ba bie ®eoife „Slrbciten, nid^t uerjmeifeln!"
@8 tommt ja f^lieglid^ bei ber g^age, ob mir auf „neue
^rop^eten" reflettieren bürften, barauf an, ma§ man unter einem
„^ropl^eten" ftd^ bentt. Qd) l^alte e§ für eine 3)egrabation beS
Begriffs, menn man a\x6) nur einen Sut^er sans phrase fo
nennen mill. 2)er alte, gefcftete Segriff be§ „^Reformators" ift
146 ^ a 1 1 c n 6 u f d& : 55ic Sage bcr f^ftcmat. S^eologic.
bcr rid^tigcrc. 2lbcr um Söortc rooUcn loir nid^t ftrcitcn. ÜWir
loifl nur f^eincn, ba| man ttbcrfc^e, bcr ®ott bc§ ©oangcIiumS
fei atö ein ftttlic^^iebcooUcr, crjic^cnbcr @ott au^ ein fpar*
famer @ott ber nic^t fo oerfd^menberifc^ im Sc^enfen t)on „^ro*
Poeten" ober auc^ nur ^Reformatoren großen ©tite ift, ba§ er
un§ nid^t jmänge l^au§ju^alten mit bem Kapital, baS er un§ ge*
ftiftet ^at. 9ioc^ ftnb mir nic^t fertig mit ber Sieformation, unb
folange mir nic^t al§ 2:^eologen alleS oerfu^t ^aben pffig ju
machen unb auSjuf köpfen, ma§ un§ burc^ £ut^er$ SBeifungen
be}üglic^ be§ @oangeIium§ oerftänblic^ merben fann, l^aben mir
fd)merlic^ SluSftc^t, ba§ ®ott un§ mieber einen STOann oon feiner
ärt ermerfen mirb.
147
% Soüfletit').
^od^anfc^nli^e ^^ftocrfammlung !
3lte lieute oor aioei 3>ö^tl^unbertcn ^l^ilipp Qacob ©pener,
wenige 2;a9e nad) Sßonenbung feinet fiebjigften Seben§ja^re§, non
langem ©ied^tum burc^ ein fanfteö (Snbe erlöft rourbe, roogte be*
reite um feinen 9tamen unb fein SebenSroerf ber erbitterte Kampf,
ber noc^ lange ni^t ru^en foüte unb bem gegenüber felbft
ber Sob feine nerföl^nenbe SEBirtung ni^t bewährte. SBä^renb
ber mit ber „2lbbantung" im ©terbe^au^ beauftragte ©eiftlic^e
in überfc^mängli^er 5Rebe ©pener mit 5fflofe§, bem Anette ®otte§,
1) IRcbe, gehalten in ber 3lula ber ^aifcr^SBU^cImS-Unioerfltclt p
Strasburg am Sonntag bcn 5. gcbruar 1906. — %a^ jebe SBeurtcilung
Cpeneri^ in ber ba§ gcfd^ic^tlicfec SWaterial §ufammenfaffenben unb glücf^
lid^ oerroenbenben S^tonogrop^ie ©rfinbergiS (I 1893. II. 1. 1906) eine
fefte unb breite ©ruttblage finbet, oerfte^t ft^ oon felbft. $gl. noc^
jur t^eologifd^cn unb fird&lic^en Söürbigung Spencrg 31. 91 i t f d^ l , ® e-
f^id^te beä ^ietigmug, öanb II (1884), ©. 97 f., ^ur pf^c^o*
logifrfien unb fultur^iftorif d^en ®^ara!terifti! Äa^niS, ^er innere
®an0be8beutfrf)en^roteftanti8mu§, »anb I (1874), 211f.;
Sß. ©d^erer, ©efd^i^te ber beutfd)en Sitcratur, 1883, 342f.
— @ine mUfornmene ^eftdtigung ber im ^olgenben gegebenen ^ürbigung
©penerg liefert o. © rf) u b e r t , 6;^riftH^e 3öelt 1906,9lum.6. ©enn
@^. ©pener ben „©tifter bc§ ^ieti§mu§" nennt, er^eUt au^ bcn rocitercn
@rfldrungen beS SBerfofferS, ba& er biefer SBcjetd^nung bo^ nur ein? fe^r
bebingte ^ebeutung beilegt
148 2 0 b ft c i n : 3ur g^icr bcg 200ia^r. 2:obc§tag8 oon $^. 3- ©pencr.
ocrglid^, crtlärtc ber SHoftoder ^rofcffor bcr J^^eologie, gc(^t
ba^ bcr SScrftorbene, „rocgcn feiner unmäßigen unb unerfätttic^en
9tcucrung§Iuft", ni^t ju ben „©cligen" gejault werben bürfc.
^eute fxnb foroo^t bie burd^ blinben ganati§mu§ eingegc*
benen 2Ingriffe al§ and) bie au§ fritiflofer 93cgeifterung fliejjenben
Sobe^erl^cbungen oerflummt. ®cm ^abcr ber Parteien ift ber
in fo mand^e ©treitigteiten ocrroidtelte, fclbft fo ^eftig umftrittene
®otte§gele^rte entnommen. O^ne Unterfd^ieb ber ^Meinungen
feiert bie ganje eoangelifc^e Rir^e 2)eutf^Ianb§ ba§ ®ebä^lm§
if)re§ treuen ®iener§, ber turj oor feinem 2:obe oerorbnet i)atU,
er moüe nic^t im fc^marjen 2lmt§tQlar, fonbern im meinen ©terbe^^
fleib beerbigt merben, „jum 3^ic^^"' ^^^ er fterbe in ber ^off^^
nung einer 33efferung ber ftir^e auf ©rben". 2Bie bie ©tätten
feiner aOBirtfamfeit im beutfdjen SBaterlanbe, g^anffurt a. SWain,
3)reSben, 93erlin, ba§ @rab ©pener§ am f)eutigen 2^age mit bem
Äranje banfbarer aSere^rung unb Siebe fd^müdten, fo ift e§ un§,
in unferer engeren ^eimat, ©ebürfni§ unb ^fli^t, unfereö elfäf*
fifc^en fianb^mannS in pietätooDer Slnl^änglic^teit ju gebenten.
Äann e§ bod^ unfere eoangetifc^-t^eologifc^e ^öfwltöt nid^t oer*
geffen, ba^ ber ^eroorragenbfte aOBortfü^rer be§ beutfc^en ^ieti§«
mu§ burc^ feine fir^U^en SReformbeftrebungen belebenb, befruc^*
tenb, befreienb auf ba^ t^eotogifd^e ©tubium eingeroirft unb eine
Erneuerung be^fclben in ber Stic^tung angebal^nt ^at, bie in ibealer
©rmeiterung, tritifc^ gefid^tet unb p^ilofop^ifd) oertieft, i^ren
größten SSertreter in ©c^Ieiermac^er finben foHte.
®ie ©ebeutung ©pener§ lä^t fic^ nur im 3ufammen^ang
mit ber firc^Iid^en 3citlc»gc 3)eutfc^Ianb§ im fiebjel)nten Qa\)X''
^unbert rid)tig beurteilen unb gebüt)renb mürbigen. 3n>ör ift
fein fiebenggang mit ben n)eltgefd)ic^ttid^en ©^idtfaten feine§
aSoIteö nid^t enger oerfloc^ten. S)ie 93ebrängniffe be§ brei^igjä)^*
rigen Kriegen ^aben feine ^inb^eit unb ;3ugenb nid)t unmittelbar
betroffen. Oberelfäffer, 1635 in JRappoIt^meiter geboren, ftu»
biert er Jl^eologie in ©tra^urg, fommt auf feinen afabemifd^en
SBanberungen nac^ 93afel unb ®enf, nac^ Tübingen unb ©tutt*
gart, erhält eine greiprebigerfteße in ©tra^urg, mo er fic^ auf
bie afabemifc^e fiaufba^n oorbereitet, mirb aber, ein einunbbrei^ig«
fi 0 6 ft c i n: 3ur &eier beä 200j[ä^r. Zobt^ta^ von $^. 3. ©pcncr. 149
jäl^rigcr aJlann, jum Oberpfarrcr („©cnior") nac^ granffurt a. S0l.
berufen; bort gibt er feinen tird^Iic^en SRcformgebanfen eine be*
ftimmterc SWic^tung; bort ocröffentlid^t er ba§ ©üc^tein, roetdieS
ba§ Programm feiner nunmehr folgcnben SDBirffamfeit entwirft.
®ann füf)rt i^n fein Seben^roeg nad) 3)re§ben, roo er al§ Ober*
^ofprebiger be^ Kurfürften oon ©ac^fen bie bamal§ Pc^fte ©tel*
lung in ber lut^erif^en Äirc^e 2)eutfd^Ianb§ einnimmt. Seine
©ittenftrenge mad^t i^n balb am ^ofe unmögli(^ ; fc^liefelic^ mujj
er and), oon ber @eifttid)teit unb ben Unioerfttäten fieipjig unb
SBittenberg l^art angegriffen, ber lut^erifc^en SWec^tgläubigfeit
meieren, ©eit 1691 mirtt er al§ Äonftftorialrat unb ^ropft an
ber 9]ifolaitirc^e in ©erlin; er unb feine 9ln^änger tommen in
^^reu^en jur ^a6)t; er gewinnt ben entfc^eibenben Sinflu^ auf
bie meiften firc^U^en SlnfteKungen ; feine 3ȟnger erhalten in ber
neuen Unioerfität ^alle eine geflutete ©tätte i^rer äöirffamfeit.
S)ie 33en)egung ergreift ba§ ganje lutl^erif^e 35eutf^lanb, unb
bie 2Jlänner, bie vor wenigen ^ß^^c" i« granffurt oon i^ren
©egnem ate „grömmler", „^ietiften", oerfd^rieen morben waren,
ftnb längft ni^t mel^r bie ©tiHen im fianbe. ©pener felbft jie^t
fxä) am 9lbenb feinel; Seben§ me^r unb me^r in bie Verborgen»
^eit feine§ 93ettämmerteinS unb feiner ©tubierftube jurüdt. 6r
tritt au§ ben Steigen ber ftrcitenben Kird)e, o^ne ba^ fein äJer^^
fd)winbcn eine entfc^eibenbe Slenberung in ber firc^Iic^en Sage i^er*
oorrufe. ©rieben wir alfo bie gorberung, ©pener§ 93ilb im SWal^men
feiner 3^^* 8" betrachten, fo I)ei§t ba§ nic^t, ba| er in ben ®ang
ber ©reigniffe beftimmenb eingegriffen unb, wie einige unferer
Steformatoren, felbft ®efci^icl)te gemacht ^at. 5ii^t ba^in jogen
i^n Slnlagen unb 53egabung, nic^t barin erblidtte er feinen 93eruf.
®benfowenig ^atte e§ ©pener auf eine Umgeftaltung ber
Ideologie feiner ß^it abgefe^en. ^n ber begriffli^en 5<Jffung
unb 2lu§prägung be§ eoangelifc^en @lauben§ bewegte er fid^ auf
üorgefc^riebenen unb breit getretenen 93a^nen. ©eine ©trafeburger
Seigrer, ber ^rofeffor unb 9Jlünfterprebiger 3)ann^auer, unb ber
um bie ©rtlärung ber l^eiligen ©(^rift nerbiente ©ebaftian ©c^mibt
waren bem tirc^lid^en 93etenntni§ oon ^erjen jugetan. 3" biefem
©etenntni^ ftanb auc^ ©pener mit ootler 9lufri^tigfeit. ©ein
160 2 0 6 ft c i n: 3ur S^cicr bc8 200iäf)r. ^lobegtagS von ^f). 3- ©peitcr.
Slufcnt^alt in Safcl, roo er unter bem jüngeren Sujrtorf eifrig
l^ebräifc^e ©tubien trieb, unb in ®enf, roo er au§ feinem SBer^
fe^r mit Äaloiniften manrfierlei 2lnregungen erhielt, erweiterte
ixoax feinen tirc^Ud^en unb t^eotogifc^en ®eftc^t§trei§, ma^te i^n
aber an ber JRi^tigfeit ber überlieferten Se^re nic^t irre. 2lte
i^m 1695 feine SBSittenberger ©egner in i^rer „©^riftlut^erif^en
SBorfteHung" 284 Stbroeic^ungen oon ber 2lug§burgifc^en Äonfef^
fton oorroarfen, flößte i^m biefe 2lntlage weniger ©ntrüftung ate
93efremben ein. SBar er auc^ ber Ueberjeugung, ba^ mit ber
^Reformation „noc^ bei weitem ni^t atleö gef^e^en fei, maS ^ätte
gefcl)e^en foHen", fo galt biefe§ Urteil ni^t ber ^irc^e al§ 9Ser*
tünbigerin ber eoangelifc^en ^eil^le^re. @r lebte be§ ®lauben§,
baj3 bie jur ©rneuerung be§ religiöfen unb fittli^en ficbeng er»
forberlic^en Gräfte im Sc^oge ber lut^erifd^en Äirc^e felbft ent*
galten feien, man muffe biefe Kräfte nur ju ungehemmter SBirt«
famteit entbinben. 2lu^ ftammten feine aU fetjerifc^ beurteilten
(äigcntümli^feiten niemals au§ t^eoretifdjen (Srmägungen, au§
prinzipiellen 2lu§einanberfe^ungen mit bem tir^li^en Se^rbegriff :
feine lebenbigere SBertfd^ä^ung ber 93ibel, feine größere Unab«
l^ängigfeit oon ben tird^lidjen 93efenntni§fc^riften, feine milberc
^Beurteilung ber ^Reformierten, feine Sluffaffung oon bem erbau*
li^en Qrozd be§ ttieologifc^en ©tubium§, feine Hoffnung auf
beffere 3^itc« i" ^^^ Kirche berufen ni^t auf einer fritif^en
JReoifion ber bogmatifc^en Ueberlieferung unb ftellen nic^t bai^
®rgebni§ roiffenfc^aftli^er 2lrbeit bar; fte fmb burc^au^ praftifd)
bebingt, al§ ^tuijt einer grömmigteit, bie fid^ in einem oft an*
geführten SBorte einen treul^erjigen 2lu§brudE gegeben ^at. SBenigc
aWonatc oor feinem Sobe, am 12. Quni 1704, befannte ftd^
©pener oor feinen 3)iafonen al§ einen ge^orfamen ©o^n ber lu*
t^erifc^en Äirc^e: allerbing^ »glaube er, ba§ auc^ au§er biefer
Äirc^e ®ott bie ©einigen i)abt ; benn ber ^err 3>ef u§ märe ein armer
^eilanb, wenn er nic^t me^r Seelen ^ätte, bie i^m angehören."
2)er 2Rann, ber fo fprac^, mochte noc^ fo feft überjeugt fein,
auf bem 93oben ber reinen Sc^re ju fielen, — biefe Se^re mar
oon i^m anber§ empfunben unb gemertet al§ oon ben Häuptern
ber ©c^ult^eologie. 3lxä)t in ba§ SBiffen, fonbern in ba§ Zun
2 0 b fi c i n: 3"^ S^eif ^«^ 200id^r. ZoheSta^^ oon ^f), 3- ©pencr. 151
bcr SBa^rl^cit oericgtc er bcn Sc^iüerpunft be§ ß^riftcntum§, —
junäc^ft fcineö pcrfönlid^cn ®^riftentum§. ©eine Sln^ängcr rooD»
tcn ipiffcn, ba§ er niemals au§ ber Jaufgnabc gefallen fei.
©anftein, ber i^n genau fannte, äußerte xi)m gegenüber, er traue
©pener nic^t ju, bag er jemals böfe geroefen fei. 3iint 93en)eife
be^ ®cgenteile§ führte ©pener an, ba^ er in feinem jwötften
Qa^re einmal getanjt \)abt. 93on ber SDla^t ber fieibenfdjaft,
t)on fc^meren 93erfud^ungen jur ©ünbe f)at er faum etmaS ge*
mugt. ®S ge^t fein SWig burc^ bic ftetige ©ntmidtlung feinet
6^arafter§, heftige ©rfc^ütterungen ftnb i^m fremb geblieben, ben
x)on ben fpälern ^^ietiften geforberten SBu^tampf f)at er niemals
erlebt : er ift nid^t mie ein ^cuerbranb oon bem 93erberben gerettet
morben. äud^ oon geiftigen Slnfed^tungen roarb er oerf^ont
SEBenn er getegentli^ in feetforgerli^en ©(^reiben oerftc^ert, er
fei oon 3nJ^ifcl" ^lic^t unberührt gemcfen, fo oernel^men mir au§
bicfer füllen Srtlärung nic^t§ oon bem inneren 33eben, ba§ un§
bei einem ^aöcal fo tief ergreift. ®r ^at oiel ©treitfd^riften oer^
faßt, aber fie oermoc^ten i^m nic^t einmal ben ©c^laf ju ftören :
befennt er bod^, ba| mä^renb feinet ganjen fieben§ er nur jmei
ober breimal einen Seil ber Stacht nic^t ^abc fc^lafen fönnen.
3[n biefer ©eelenru^e ^aben feine ©d^üler bie ©ignatur be§
@otte^finbe§ erblicft; er felbft urteilte, fie fei in feinem 2:empe^
rament mit begrünbet. „^d) ac^te mir folc^e SWägigung nic^t
für eine eigentliche 2:ugenb, fonbern teilö natürliche ß^neigung,
teils oon ^ugenb auf angenommene ©emo^n^eit, au§ bcr e§ mir
faft fc^mer mürbe, mo ic^ auc^ bei wichtigen Urfac^en t)arte aCBorte
gebrauchen foHte". aSießeii^t lie^e ficf) ein ä^nlic^eS oon ben
meiften ®aben unb Gräften bemer!en, meieren felbft feine ©egner
i^re ainerfennung nic^t oerfagen fonnten. 91üci^teme g^ömmig»
feit, unge^euc^elte 3)emut, eifrige 9läc^ftenliebe, 93efonnen^eit unb
3Witbe, ^eiligung§ernft, ©ebetSgcift, nehmen ftc^ bei i^m auS, mie
bie Sleußerungen einer gefunben ^nbioibualität, meiere bie c^rift*
liefen Sugenben nid^t im Kampfe gegen bic roiberftrebenbe 9tatur
ju erobern unb ju behaupten ^at. ©oUten nic^t au^ bie ©igen*
tümlid^feiten, bie mir al§ ©c^ranfen unb 3Wängel cmpfinben, au§
jenem oon i^m felbft eingeftanbenen 'ip^legma abjulciten fein?
3eitfc^rift für Ideologie unb Rix^e. 16. Sa^rg., 2. §eft. 11
152 8 0 b ft c i n: 3ur 3rcicr bcg 200iä^r. Zobz^taq^ oon ^^. 3. ©pcncr.
2)a§ tlcinlid^c, bic Slengftlic^feit bie nid)t feiten feine J^atfraft
(äl^mt, bie ©frupulofität, mit welcher er ilunft unb 9latur, ®r^
^olung unb ©efeüigfeit, g'^eunbf^aft unb Siebe beurteilt, finbct
ixoax i^re retatioe ®rttärung in ber äu^tlofigteit ber 3^it9^noffen,
fte ift aber nid^t minber natürli^ bebingt aU religiös unb fitt*
lid^ normiert. 2ll§ feine 93ermanbten bie 2lngelegen^eit feiner
aSermä^Iung in bie ^anb nat)men, meinte ber Sleununbjmanjig'
jährige, er roäre roo^l ju emft um einem jungen 2Jläb^en gu ge*
fallen: ba§ befte bürfte fein, er heirate eine junge SBitme, bie
einen red)t böfen 3Waun gehabt, eine folc^e mürbe fi^ ei^er an
i^n gewönnen. ®r Iie§ fid^ inbeffen aud^ eine jmanjigjä^rige
*ißatrijiertod)ter au§ ©tra^urg aufreben. S)iefer unb einigen
Äanbibaten überlief er bie ©rjie^ung unb ben Unterrid^t feiner
jal^Ireic^en Äinber, ma§ leiber nic^t bei allen gtüdtte. — @in
©tubenmenfd^, ein 33fi^ermenfc^, ^atte er !ein 93erftänbnig für
bie 9latur. ©^on aU ©tubent fc^log er ftd^ einmal SEBoc^en lang
mit feinen 93üd)ern ein. ^n S)re§ben ift er ein ganjeö ^a^r
n\ä)t jum ©tabttor ^inau§getommen, unb in 93erlin ^at er rüä\)^
renb neun Q^^re nur jmeimal feinen l)inter ber ^ropftei gelegenen
©arten betreten. 3)a§ bei folc^en Einlagen ©pener fein beben«
tenber ©dljriftfteDer mar, tann ni^t SBunber nehmen, ©eine
^rebigten mie feine t^eologifd^e ©ebenten leiben an ungemeiner
©d^merfätligteit unb SBreite, ben trodtenen ®rnft feiner ja^Uofen
Sriefe erhellt fein ©trat)I l^eitern ^umor§, feine geiftlic^en fiieber
finb gereimte ^Betrachtungen. ©0 treten bereite bie ^auptjüge
be§ pietiftifd^en 2eben§ibeal§ bei bem aJlanne ^eroor, ber an
echter Sleligiofttät, ftttlic^em (Srnft unb grünbtid^er ©ele^rfamfeit
hinter feinem feiner @efinnung§genoffen jurüdtftel^t , bagegen
mand^e ber ©igenf^aften nermiffen lä|t, bie mir bei biefen be-
munbern. ©r befi^t nid^t ben mutigen Satenbrang 5randte§, bie
einfc^meid)elnbe Sieben^mürbigteit 3i"JC"borf§, bie jarte unb tiefe
©mpfinbung 2:erfteegen§. 3Jlan finbet bei i^m meber ben be*
ftridenben 3ouber ber SDlgftif, noc^ ben fü^nen ^Inc^ fpefulatioer
^^^antafie. @§ fel^lt i^m oor allem bie feurige, t)immelftürmenbe
©lauben^begeifterung, burc^ meldte e§ Sut^er ber Seele unfreS
aSolte§ angetan i^at ©r mar ni^t ber ^elb, ber burc^ feine
8 0 b ft e i n: 3ur JJeier beg 200iä^r. a:obegtaög oon ?^. 3. ©pcncr. 153
Srf^cinung bie ^crjen im Sturme erobert ober burd^ fein jün*
benbeg SBort bie ©eifter entfeffelt unb bejioingt. 2)effen loar er
ftc^ Too^l bemüht, ate er bem @ifer feiner S^cunbe wehrte, „gür
einen ^Reformator mi^ ju galten, taffe ic^ mir bie Jorl^eit ni^t
aufftogen. 3)aju braucht ®ott anbere aWänner" !
Unb boc^ eine ©penerfeier?! ^a mo^t, ^oc^oere^rte Sln^
mefenbe, unb jmar mit ooßem Stecht unb au§ tieffter Uebergeu-
gung ! SBir bürf en un§ ni^t f ebenen, ba§ Problem, ba§
un§ bie ©efc^i^te aufgibt, in ungefd^mäci^ter SBuc^t auf unS mir*
fen JU laffen: SBie tonnte ©pener, ber feine gemaltige ^^erfönlic^»
feit, fein tiefer 3)enfer, fein SHebner ober ©id^ter non @otte§
®naben gemefen, einen fo unerme^tidjen @influ§ ausüben, eine bi§
in bie ©egenmart hinein, bis in bie 3wfw"ft ]^inau§reid)enbe
SBirfung l^eroorbringen?
®ie Söfung be§ SRätfelS liegt in ber S^atfac^e, ba§ ©pener
ben tiefften 53ebürfniffen feiner 3^it entgegen fam unb ba§ er
ber 9Wann mar, ni^t nur i^nen ©eftalt ju geben, fonbern fie au^
JU befriebigen. ®§ ift längft bie ©age jerftört, nad) melc^er ber
?pietigmu§ al§*9leaftion gegen bie SSeräu^erlid^ung ber Stcligion
üon ©pener allein ausgegangen märe. 3Wan ^at bie Slnlei^en
feftgeftetlt, meldte biefe ^emegung bei ben 9tieberlanben , ber
©c^meij, Snglanb gemacht. 2luS ben ©chatten ber a3ergangenf)eit
ift burd^ bie neuere ^orfc^ung eine SBolfe oon 3^W9^" ^eraufbe«
f^moren morben, bie fic^ unS als SBorläufer ober 3Jiitarbeiter
©penerS ju erfennen gaben, ^atte man i^n früher als ben Sß a«
ter beS ^ietiSmuS gepriefen, fo möchten mir i^n e^er ben ^a*
ten beSfelben nennen, — freiließ einen ^aten f)ö^erer Orb«
nung, ber fic^ an ber retigiöfen ©rjie^ung feines ^atenfinbeS mit
aufopfernber Eingabe beteiligt ^at.
Unb mie bringenb mar überhaupt eine folc^e geiftlic^e ^a^
bagogie im ßcitcilter beS großen t)erf)ängniSootlen Krieges oon
nöten! SEBar auc^ bie ^^nnigfeit frommen SebenS nic^t ganj er»
lof^en, fanb fte au^ in unfterblic^en Äird^enliebern unb ^errlid^en
©rbauungSbüd^em einen oft ergreifenben SluSbrudC, meld^ troft»
lofeS 93ilb gemährte bamals ber beutfd^e ^roteftantiSmuS ! ®ine
fiarre Äirc^lidjfeit, bie ben ©lauben ju bloßem ©ebäc^tniSmerf
11*
154 S 0 b ft e i n : 3ur ^er ht^ 200j&^r. 2:obegta0iS t)on $^ $. @pener.
ocräufecrlic^t t>ic 93uge ju gcbanfenlofer Seichte oerbilbct ^attc,
mit abergläubigem 93erlag auf bie ßraft ber Slbfolution unb ben
mgfteriöfen ©cgen be§ 2lbenbma^lögenuffc§; auf ben Unioerfttä*
ten eine neue ©c^otaftif o^ne ben pbitofop^ifc^en ©c^arffmn ber
alten, eine mec^anifc^e ^at^ebergelel^rfamleit, bie ^anb in ^anb
ging mit fittli^er SSerrol^ung; auf ber Äanjel bogmatifc^e ©pi^«
finbigteiten unb fanatifc^e ^olemif gegen ^apiften, ^Reformierte,
©c^roarmgeifter ; bei gü^rern unb ©liebem ber ©emeinben ber
SBa^n, bag bie SRein^eit ber Se^re für ben aWatel be§ Seben§
f^ablo§ galten lönne, — aße biefe 95erirrungen ^at nic^t erft
©pener empfunben unb aufgebecft; aber er l^at ni^t nur getlagt
unb gerügt, er ^at ge^anbelt unb geholfen, ©eine Pia desideria,
]^erjlic^e§ SSerlangen na^ gottgefälliger 33efferung ber ma^*
ren eoangelif^en Sirene, „tonnten fämtlic^ an bie urfprüngli^ften
atuSgangSpunlte ber SReformation anfnüpfen unb fanben felbft bei
ben aSertretem ber ftrengften SRec^tgläubigteit ooHe 3wft™w^"^9-
2)en fec^§ „einfältigen SSorfc^lägen", bie er in biefer ©c^rift jur
33efeitigung ber f^reienben ÜRifeftänbe empfiehlt, fügte ©pener im
Saufe feiner weiteren äiätigfeit unb auf ®runb feiner fpäteren
(Erfahrungen no^ anbere ^inju, bie fic^ aber aße um benfelben
SWittetpunft bemegen: nid)t äußerer ®laube, nic^t äußere SBerfe,
nic^t äugerlic^e ©ebete mad)en ben ©Triften; ba§ S^riftentum ift
nic^t aCBiffen, ni^t gürroa^r^alten, nic^t ©ebäc^tni^merf ober te^»
nifc^er ®otte§bienft ; e§ ift ©ac^e be§ inneren 9Renfc^en, @efm*
nung, (Erfahrung, ^Betätigung; ber einjetne mu§ babei fein, ©ott
fie^t ba§ ^erj an, bie ße^re mug in Sat unb Seben umgefe^t
werben. SBe^e benen, bie ba§ Äleinob unferer Äirc^e, baS @oan^
gelium oon ber ®nabe ®otte§, jur ©ic^er^cit, jur Sräg^eit, jum
fittüc^en fieic^tpnn mi^rauc^en! äBel^e benen, bie oon einer JRec^t^
fertigung träumen, bie ftc^ ni^t in Heiligung au^mirtt! 3)iefe
aSerinnerlic^ung unb SSertiefung be§ ®lauben§ jum Seben bilbet
bie ©eete aller 5Ratfc^täge unb 9Ragregeln, bie ©pener feinen QixU
genoffen einf^ärft. ®r oertangt, ba^ mit bem allgemeinen ^rie*
ftertum ®mft gemad)t unb bie a3ibeltenntni§ energifc^ au§gebrei»
tet merbe : jene§ f oll bur^ 3Ritn)irfung ber Saien mit ben ^far*
rem, biefe^ bur^ ^rioatoerfammlung, ^auöanba^t, 9Ritfprec^en
8 0 b ft e i n : 3ur Sfeicr beg 200jä^r. %obt»taq^ Don $^. 3. ©pener. 166
im ®ebet erreicht loerben. ®r loedt in ben S^rägern be§ göttlichen
9lmte§ baS ©effi^I i^rer aScrantroortli^teit unb fragt nic^t weni*
ger nac^ il^rem SBanbel atö na6) \f)xtx Se^rc. ®r forbert SReform
ber ^ßrebigt, au§ toel^er er bie ©(^ulgele^rfamteit, bic t^cologi*
fc^en 35^1^1^««^"/ ober au^ bie funftrei^e Si^etorif oerbannt
wiffen roiB. (&x nimmt fic^ ber Rinber unb ber 3w9«^ii> ön, be»
lebt ben Äatec^i§mu§unterric^t, rietet bie Konfirmation ein. ®r
miH, ba§ ber geiftli^e ©tanb ni^t bur^ trodene ©ete^rfamleit
jum SBiffen gcfc^ult, fonbem burc^ bie ^eilige (S^rift jur ®ott»
feligfeit erjogen merbe. ®r tritt ein für eoangelif^e (Sinri^tung
be§ 33eic^tmefen§, für Organifation überfi^tlid)er ©eclforgerge*
meinben, für ftrenge ©onntag^^eiligung, für gemiffenl^afte Sinber«
juc^t. @r gibt ber ©emeinbepflege neue 3>"^pwlfe unb roeift i^r
neue 93a^nen: ba§ l^errlj^e 2)entmal bemütigen ©ottoertrauenä
unb tatträftiger 9läc^ftenliebe, ba§ 333aifen^au§ ju ^atte ift auS
feinem ®eifte geboren. ®r oerurteilt bie ^ä^lic^c ^olemit unter
ben lut^erifc^en unb reformierten ^roteftanten unb mitt bie ge«
meinfamen ^^tereffen aller auf bem 93oben ber Deformation
fte^enben Sird^engemeinfc^aften jur ®eltung bringen. @r bringt
bie bi§ ba^in !aum geahnte ^flid)t ber ^eibenmiffion ber prote»
ftantif^en (J^riftenl^eit jum ©emu^tfein: au§ bem grancfefc^en
SBaifenl^aufe fmb bie erften lutl^erifdjen ©enbboten in bie Reiben*
melt ausgegangen. SBcm beim 3lnbli(f cine§ folgen fiebcnSmerfeS
baS ^erj ni^t aufget)t unb marm mirb in aufrichtiger Siebe unb
aScre^rung, ber ^at feinen ©inn für bie ftitte ©röfee unb bie innere
Äraft eoangelifd^er grömmigfeit.
S)arum feiern mir unfern ©pener! SGBir preifen i^n ni^t
als einen König im SReic^e be§ @eifte§, mir ^utbigen i^m nic^t
al§ einem ^eiligen, aber mir bauten ®ott, ba§ er un§ einen
ajiann gefc^entt l^at, ber in jener oerroa^rloften, nad) religiöfer
unb fittlidier ®rneuerung fic^ fe^nenben 3^it "^^ ^^^^ gcmefen
ifi als ein ^elb unb mc^r als ein ®enie: baS ®emiffcn
beS beutfd)en ^roteftantiSmuS.
^oc^anfe^nli^e geftocrf ammlung ! ®S berietet ein 2lugen^
jeuge, bafe ©pener jmei 2^age oor feinem Sobe bie ©einigen in
fein 3'"^"^^^ tommen lie§. „3)ann ma^te er ft^ ftart roie ber
156 8 0 b ft e i n : 3ur g^ier be§ 200jäf)r. Zoht^taqS Don ?^. 3- ©pencr.
alte Qatob auf feinem Sterbebette unb betete lang unb beroeglic^
für ba§ |)eil ber c^riftli^en Äirc^e." Unter ben ©egenftänben
biefer gürbitte nannte ber 33eric^terftatter auc^ bie ©tabt ©tra§«
bürg, „n)elc^e @ott bei feinem reinen äBort unb @oangelium bis
an§ @nbe ber aCBelt erl^alten moBc!" SDiit biefer Sitte im ^erjen
unb auf ben Sippen legte fic^ ber mübe Äämpfer jur ewigen SRu^e
nieber, fi^ bi§ in ben %oh ju bem ©tauben belennenb, ben er in
einem Ofterlieb einen fc^Iic^ten 2lu§bru(f oerlie^en, bem fein gan*
}e§ Seben unb aCBirten aber ein unenbli^ ^errli^ere§, ein unoer*
gänglic^eS ®en!mal geftiftet l^at^).
1) 5)er afabemifc^e ^tc^enc^or, ber bie fjeier burc^ ®efang beg bop*
pelc^örigen ^falmeS 147 von SKbcrt 93crfcr eröffnet ^attc, trug nac^ SBoH*
enbung ber fjeftrebe 33er§ 7 unb 8 beS ©penctfc^cn DftcrIicbeS nac^ ber
SWelobie »Sefu, meine Srreube" im oierftimmigen (S^orfaft oon 3- @. SBac^
Dor.
157
luttrer int tr^$lt(^en itbtn.
&\n 93citrag ju ber ncucftcn fiut^erfontrooerfc, na6) einem
SJortrag in ©tra^burg.
Staxl 8ea.
„Suttier im ^äu§Iic^en Scben" ift abgefel^en Don ben betreff
fenbcn Sapiteln in jcber fiutl)crbiograp]^ie, bie baoon ^anbeln,
me^rfa^ Oegenftanb populärer ©d)ilberung gemefen, am f^önften
roo^t in ber lieben^roürbigen ©c^rift oon ©eorg SRietfd^el 0.
®iefe ©d)ilberun9en empfangen i^re Segrenjung oon ber meift
gemütlich erbaulid)en 3lbätt)ecfung fol^er auf bie gro^e ©emeinbe
beregneten ajlitteilungen. ^ier ift bie Slbfid)!, ju jeigen, ba§ £ut^er§
(ä^eleben unb Familienleben nid^t etroa ber ibpUifc^e 3lbfc^lu§ feiner
Kämpfe, fonbern ein 2:eil berfelben gemefen ift, ba^ ber SJlann
im ^au^rorf tein anberer ift al^ ber eifernoüe ®otte§ftreiter in
ber t^eologifd)en Slrena, ber in lobernbem 3öni, mit grimmigem
|)umor unb mit einer in ben 3lu§brürfen niemals mäl)lerif^en
^olemif feine 93ranbfd)riften fc^reibt. fintier ift in jebem fiebeng^
oerl^ältni^ er felbft, nämlid) im 33ertel)r ber aHjeit frotimutige,
meift gut gelaunte, fc^lagfertige ^lauberer, im ©eben unb ©orgen
für anbere oon abfoluter Uneigennü^igteit, in jebem ©treit t|i^ig,
fd)arf unb unerbittlid), allen ©c^ma^en unb deinen gegenüber
gütig unb milb, fd)onfam gegen greunbe, oerjeil)enb gegen geinbe.
1) fiut^cr unb fein §au§. ©cf)nftcn für ba§ bcutfdftc ^olf ^crouSgc*
geben oom SBcrcin für iHeformationägefc^ic^te ^aUe a. @. 1888.
158 @ e 1 1 : Sut^er im ^duglic^en :8eben.
gegenüber ®ott ein bemütiger ©ünber unb ein f)axmloä oertrauen»
be§ Äinb. ©r ^at fi^ au^ in ber ®f)z ni^t in einen friebli^en
^^ilifter oerroanbelt, unb ein „^au^l^ammel" ift er nie geworben.
3)arum aber mu§ l^eute oon feinem ^aufe unb oon feiner @^e
bie 9tebe fein, weil bie neueften 9lngriffe auf fintier, bie beS
®ominifanermön^§ ^einrid) 2)enifle auf biefen $untt feinet fie*
ben8 ftc^ richten. 3)ie Sartegung ber gefc^ic^tli^en SGBal^rl^eit
barüber, roie Sut^er jur @^e tarn unb roa§ er barin geworben
ift, f)at ben 33cn)ei§ ju erbringen, ba§ fein ^au§lic^e§ fiebcn re^t
eigentli^ bie gru^t, bie Seroä^rung unb bie Krönung feiner
|)elbenlaufba^n roar.
SJlac^bem Sutl^er ba§ alte ©oangelium neu entbedtt l^atte mit
bcm ®riff feiner ftarfen ®Iauben§]^anb in bie unfi^tbare ®otte§*
melt hinein, nac^bem er bie gtut ber SReooIution 1522 jum ©te^en
gebrad^t, na^bem er eine neue gotte^bienftlic^e ©emeinbe unb eine
eoangelifc^e ©c^ule gef^affen, un§ bie beutfc^e 93ibel unb ha^
beutfc^e Äirc^enlieb gegeben, roa§ fehlte nod^? SBer ^eute bie
Äultur^öl^e ber tat^oUf^en unb proteftantifd)en SSöIter ber ®rbe
mit einanber oergteid^t, bie fic^ einigermaßen al§ JRomanen unb
©ermanen oon einanber trennen, ber SBölter, oon benen gmeifetlo^
bie JRomanen bie reid)ere natürli^e Begabung, bie frütiere Steife
in ßunft unb SBiffenfc^aft unb bie glürflid)ere gorm ber perfön^
lid^en ©etbftbarfteHung befi^en, unb mer bann fie^t, ba§ unleug»
bar ©nergie, (Srfolg unb 2lu§be^nung§fä^igteit ber jioilifatorif(^en
lätigteit größer ift bei ben Oermanen, ber fragt: maö ^aben
biefe in i^ren mcift raupen norbifd^en fiänbern befonbere^ oorauS
oor ben SRomanen, unb waS ift eine oorjüglid)e Duelle itirer [x6)
ftet§ erneuernben Kraft?
3)arauf ift eine ber möglid^en 2lntn)orten bie: fte ^aben oor^
au§ ba§ eoangelifdtie ^farr^au§, unb in if)m jmifc^en bem
mo^l^abenben ftäbtifdf)en 93ürgcr^au^ unb ber 33auernbiele einen
nod) ni^t oerfiegenben geiftigen unb förperlic^cn Jungbrunnen, auö
bem ber ajJittelftanb feine beften Kräfte fc^öpft. SWan fel)e fic^
boc^ nur um im Kreife ber fül)renben ©eifter ber germanifd)cn
SSötter: roie oiele i^rer Siebter, 3)entcr, ©elel^rten, Künftler,
©^riftfteller, gelb^errn unb Staatsmänner ftammen irgenbmie
<S c n : 2ntf)tt im f)äu§ac^cn Scben. 159
au§ einem ^^farr^au§ l^er! gür biefe§ ^farr^au§ ]^at Sut^er im
Söittenbetfter Sluguftinerftofter ba§ SSorbilb gefc^affen, oon beffen
2lrt unb Sü^tigteit bei ben ftet§ offenen genftern unb %\xxtn
fxä) feine 9Witbürger tägtic^ überjeugen tonnten unb überjeugt
^aben. 3)er Slnfang beS eoangelifc^en 'ißf arr^auf e§ , in bem ein
el^emaliger ^^riefter unb SWönc^ fic^ mit einer bem Älofter ent*
flo^enen Stonne oereinigte, ift aber baS tatfäc^lic^e ®nbe
ber 3Könd)§fuItur.
2Bir werben im ©üben unb 9brben be§ SöaterlanbeS, am
Oberr^ein unb am 9tieberr^ein geroi^ nic^t geringfc^ä^ig reben
oon biefer 9Wönc^§fultur, ber mir oerban!en: einen großen Steil
unferer Slrferflur unb unferer aCBeinberge, bie prac^tooHen roma*
nifc^en Klofter* unb 9Jlünftertirc^en, mir merben nie oergeffen,
ba§ fie ^ier in Strasburg unb brunten in Äöln ben 3öubergarten
ber gottinnigen SJlgftit angebaut ^at unb bie fügeften 2^öne ber
(J^riftuSminne mie ben mä^tigen polgp^onen ©^orgefang an*
geftimmt ^at unb merben ftet§ ben Älofter^of mit ber gleichen
©l^rfur^t betreten mie bie SRefte ber SRitterburg, meil e§ eine 3^it
gab, ba oon ^ier au§ in baS Seben unferer 2lltoorbern Sic^t,
greube unb "^^mhz au§ftra^Ite.
2lber möchte barum irgenb jemanb jene Qt'xt jurürfmünf^en,
ba bie Duette ber ©ilbung unb SBiffenfc^aft bie Älofterf^ulen
maren unb bie göben ber SGBeltgefc^ic^te in ben Rauben eine§
2lbte§ jufammenliefen mie in benen be§ aud) oon ßut^er fo ^od^
oere^rten ^eiligen 33ern^arb? Qeber aber, ber ba§ nid)t
me^r mö^te, ber nimmt, menn au^ unbemu^t, Partei für ßut^erS
legten unb an Kraftoerbraud) oietteic^t gemaltigften SRefor*
ma tion^lampf , ben für bie ^riefterel^e unbgegen
baS J!loftermefen.
®§ mar ber gemattigfte Jtampf, meil l^ier ber Seufel, an ben
Sut^er glaubte, i|m bie fd^merfte 9bt machte. 3)er 2:eufel rief
i^m gu: „atfo barum ^aft bu bie ^atbe SGBelt in Slufru^r oerfe^t,
barum ben g^uerbranb in bie Sparren ber alten Sir^e gefc^leu*
bert, um bir ein SB e i b nct)men ju bürfen? SöerfleHe bic^ nic^t:
ba§ ift ber eigentlid)e tieffte Orunb beiner ganjcn berühmten 9le*
formation!" — 2Benn irgenb etma§ gefd^ic^tlic^ fcftftel^t, fo ift e§
160 @ c 1 1 : Sut^cr im ^äuSlic^cn Seben.
bic§, bag Sut^cr roebcr am Slnfang be§ SRcfomtation^tampfÖ,
no(^ auf feinem ^ö^epunft irgenb ein perfönIid)eS Qntereffc oer*
folgt \)at ®§ mar hai^ ©oangelium, mofür er ftritt unb lebte,
nod^bem er e§ einmal gef unben : ein ]^eilige§ ®otte§mort, ein i)tu
liger ®otte§miBen unb eine in göttlichem reinem Sichte ftrablenbe
^eilanbSgeftalt, bie er feinem SBolt unb feiner 3^it roiebcrbrac^te.
3)a§ mar bie „grei^eit eine§ ®t|riftenmenfd)en", für bie er fc^rieb,
rebete unb fang. Unb menn man i^m fagte : ,,nic^t ®^riftu§ ift'§,
mona^ bid) oerlangt, fonbern \>a§ 9Bcib" — fo traf i^n biefe§
SBort, menn er ftc^ nic^t gänjlic^ oon biefem SSormurf frei mu^te,
mie ein germalmenber ®d)tag. — Unb fie^e ba: mie er jebem
aSormurf ber Söerroirrung ber ©emüter, be§ greoelS an ber üJlut»
tertir^e, be§ Staubet am ®ute ber ^eiligen Sro^ bot, fo ^at er,
al§ bie S^xt gefommen mar, auc^ biefem 9Sorrourf ftc^ gefteüt:
9Äod)ten fie i^n l^erab in ben ©taub jie^cn bie ®egner: er na^m
boc^ ein SBeib ! „2llle (Snget merben lachen unb bie Seufel mei*
neu bei biefer Äunbe", fo fc^rieb er am 16. ^uni 1525.
©e^en mir, mie e§ baju tam — unb fragen mir ma§ barauS
roarb? ©cI)on in ben großen SReformation^fc^riften oon 1520
l^atte Suttier bie erjmungene ©l^elofigfeit ber ®eiftlic^en betämpft
unb bie aSermanbtung ber Klöfter in ©d)ulen geforbert. 2lber er
felbft mar im 2luguftinerorben geblieben unb ^at auc^ bann bie
Sutte nid)t abgelegt, al§ oiele 2)lönd)e ba§ Älofterleben aufgaben
unb ja^lrei^e Pfarrer, barunter feine nä(^ften J^^eunbe ^Sugen^
l^agen, Sinf, SRei^enbufd^ u. a. fic^ oer^eirateten. 3^n trieb feine
Steigung in biefer^ Slic^tung, au^ nac^bem il^n nic^t mel^r ba§ ein
für allemal geleiftete SWön^ggelübbc abhielt. — 2)a§ aber ^at
lange gebauert. ®§ beburfte, obmo^l i^m eine innere ©timme
fagte, bag biefe jufammen mit bem ^rieftertum mä^tigftc unb
mic^tigfte ©inric^tung ber alten Äirc^e ein §aupt^inbemi§ be§
®oangelium§ oon ber freien, an fein menfd)li^e§ aSerbienft ge«
bunbenen ®nabe ®otte§ fei, boc^ oieler Ueberlegungen unb ber
Beratung mit feinen greunben, bi§ er fic^ ju ber ©emiffenöüber-
geugung l^inburc^gerungen ^atte, bag jebc§ ®elübbe an @ott nur
bebingte ®eltung ^aben fönne, unb ba§ ®ott felbft unbebingt
oerbinblid)e ©elübbe für ni^tig erftärt Ifab^ hnxi) bie eoangelifc^e
® e U : Sut^er im ^äuglic^en Seben. 161
grei^eit. @§ gef^at) loä^rcnb bc§ 3lufcnt^altcS auf bcr SGBartburg.
®ie Slrt, Toic Sut^er biefe feine Slnf^auung mit allen ®rünbcn
fc^otaftifc^er ®ialefti! unb einc§ ni^t nad^ ben ©runbfä^en ^eu*
tiger ^iftorif^er Äriti! geftatteten ©^riftbemeifeS in einer feiner
tongften, f^ärfften unb gebanfenrei^ften Schriften über bie 9Wönc^§*
gelübbe oerfi^t '), über beren ©ntftel^ung er juerft einem ©tra^*
burger Qtwripcn $Ricolau§ ®erbel oon ber SGBartburg berichtet, tft
oon ®enifle^) gum ©egenftanb einer über 300 Seiten umfaffenben
polemifc^en 2lu§einanberfe^ung gemalt morben. — ©ie berührt
un§ gar nic^t mel^r, bie roir eben burc^ fintier längft ^inau§ ftnb
über jene ©emiffen^ffrupel. 3)er ®laube, auf bem j|ebe§ @ott geleiftete
©elübbe ru^t, al§ ob e§ mögli^ unb erlaubt fei, ba§ ein SWenfc^
mit bem eroigen (Sott in ein a3ertrag§oer^ältni§ gegen*
feitiger Seiftungen trete, a\x^ beffen pünttlic^er ©rfüQung gemiffe
SBorteile fi^ ergeben, ift non un§ längft mit bem befferen eoange*
Iifd)en ©lauben oertaufc^t roorben, ba^ e§ nur einen einjigen roirt*
lidöen unb ma^r^aften @otte§bienft gibt, bie SBei^e be§ ^erjenS unb
®en)iffen§ an ®ott, unb ba§ alle§ anbre nur bie Sebeutung ber
Stteu^erung biefe^ ^innerlichen l^at. SBir tonnen un§ barum nur no^
fc^mer in jene feltfamen tat^olif^en ®eban!engänge ^ineinfinben,
mit benen ßut^er ringt in benen ©Ott al§ ber unerbittliche ®eri^t§*
oolljie^er einmal eingegangener Verpflichtungen, ber 93flenfc^ aber
al§ ber jur 3ö^Iung bi§ auf ben legten geller gel^altene ©c^ulb*
!nec^t erfc^eint, unb munbem un§ barum aud^ nic^t, menn er nic^t
immer fiegreic^ ift. ^n unfrer SBeltanfd^auung ift fc^on für bie
fat^olifc^en SSorau^fe^ungen, auf benen bie SJlönc^erei unb alle
Älcrifei beruht, fein ^la^ me^r. ®arum fragen mir auc^ gar
nic^t me^r nac^ ben ®rünben, me§^alb fte nt^t me^r gelten foHen,
unb nac^ ben teitmeife für unreife Seute nid^t beftimmten, unb
für ben, ber bie 3)erb]^eit jener 3^it ^i^^ tennt, oft peinlichen
Slufiieinanberfe^ungen, fonbem nur: feit mann biefeS 9Könd^tum
fic^ in eoangetifc^en ßanben gum gaU für immer neigte? 2)a§
gefc^a^ feit jener ©c^rift Sutt)er§ oom ^ai)x 1521, bie erft 1522
1) de votis monasticis W. A. VIII.
2) 8utl)er unb Sutl^ertum in bcr crftcn ©ntmicfclung '. I, 1. 3Jlainj
1904.
162 6 e 1 1 : 2ntf)tx im ^auSlic^en geben.
befannt rourbc unb mit bcn ©runbfä^en, bie greunb SWelan^tl^on
glei^jeitig in feinen loci communes au^fprac^, übereinftimmte.
93cibe l^aben bie ©eroiffcn frei gemacht oon bem SBa^ne, als ob ®ott
forbere, ba§ ein in feiner 9H^tigteit, feinem Unroert, feiner SScrberb»
lic^feit ertannteS SSerfprec^en bennoc^ gehalten merbe, nur weil ei8
einmal gegeben mar. 3lber mä^renb infolgebeffen bie aWönc^e allere»
orten bie ^löfter oerliefeen, bie 9tonnen flogen ober oon SSermanbten
^erauSgel^olt mürben, bie gemefenen ^iefter heirateten, blieb
Satter in feinem Älofter, fc^lie^lic^ nur noc^ mit einem 93ruber,
flicfte fic^ feine Äutte felbft unb entbel^rte jeber anmutenben ^äu8*
lic^teit, bie er bei anbern greunben lobt. 2)a tarn bie beutf^e
SReoolution, ber SBauerntrieg 1525. Sut^er bü^te feine ^opula«
ritot bei bem beutfc^en Sanboolt ein, ja er marb ein ©egenftanb
il^reS grimmigen ^affe§! @r mar feinet fiebenS ni^t me^r ftc^er,
erl^ielt Srol^briefe unb machte fic^ auf ein iä^e§ @nbe gefaxt!
9lun f^ritt er ganj plö^lid) jur SBer^eiratung. ^m SDioi 1525,
mä^renb ber Slufru^r i^m in bie Ställe rürfte, fpric^t er jum
erftenmal oon Katharina oon 33ora alsJ „feiner Äät^e". 3"
^fingften röt er feinem alten ®egner, bem Karbina^®rjbif^of
oon SWainj, mit bem er boc^ ju 3^'^^ freimütige 93riefe roe^*
feite, fein ©tift ju fäfularifieren unb ju l^eiraten, roorin er i^m
oorangel^en rooUe, unb am 13. Qw^^i f^nb in ber übli^en rein
bürgerlichen gorm bie S^ef^lie^ung in feiner SBBo^nung im 2lu«
guftinerflofter ftatt, im 33eifein einiger meniger greunbe, barunter
ba§ S^epaar Suca§ ©ranadö, ber ©tabtpfarrer 93ugen^agen, ber
^ropft 3ona§. ®ie (Srroä^lte gehörte ju ben abiigen 9lonnen,
bie oor jmei 3>ö^^en oon brei 2^orgauer bürgern gemaltfam au8
bem Slofter ju 9limp^fc^ bei ©rimma entführt roorben maren,
unb bie großenteils mittlenoeile geheiratet Ratten. ®er 9lürn*
berger 'ißatrijier Saumgärtner ^atte bem aufgemerften refoluten
^räulein oon 93ora ben ^of gemacht, bann aber eine reichere
^^Jartie oorgejogen. 3ll§ fintier fic^ barum bemül^tc, \\)x einen
braoen 9Wann ju oerfchaffen, ließ fte i^n miffen, nur i^n ober
ben 3lm§borf loerbe fie nehmen. 93iS ba^in fd^ien Sut^er fic^,
menn überhaupt, me^r für ein gräulein oon Sc^önfelb }u inter*
effteren. ©innen meniger SBo^en muß er fic^ entf^loffen ^aben.
(Seil: 2ut^er im ^äudlic^en 8eben. 163
®er ®runb, loarum er in bic @^e trat, war einfa^ ber:
ba§ er fxi), roenn er benn fterben foHte, in bem ©tanb unb Or*
ben lootlte finben laffen, ben er neben ber Obrigleit al§ ben ein«
gigen oon ®ott felbft eingeteilten ©tanb nerfünbigt l^atte: im
ß^eftanb. ©einen eoangelifc^cn ®lauben§genoffen roax er noc^
biefen 93en)ei§ feiner Ueberjcugung^treue fc^ulbig. 3)a§ er aber
nic^t, xoxt roo^t man^er feiner greunbe e§ roünf^te, ein e^rfame§
Sfirgermäbc^en heiratete, fonbern eine bem Älofter entflogene
5lonne, g^fc^ö^ au§ bemfetben ®runb: er rootlte oor ®ott unb
aller aCBelt fic^ baju betennen, bafe bie ftloftergelübbe
nichtig unb bie angeblich geiftlic^en ^erfonen
frei feien jur ®^e. ©eine 93er^eiratung roax alfo in erfter
Sinie eine bemonftratioe ^eroif^e ^anblung. ©ic roar eine
®lauben§tat!
©0 n)ie er ben ®^eentfc^lu§ in ben 3)ienft feine§ ^ö^ern Sc^
ruf§, be§ 93erufe§ fteHte, „ber SDeutf^en ^rop^et" ju fein, fo l^at
er au^ fein ©beleben geführt. 14 2^age nac^ ber ®ioile^e ^at
er ein feftlic^e§ ^oc^jeit^ma^l gehalten, rooju i^m ber Sftat ben
3EBein, ber Äurfürft ben traten, bie Unioerfttät einen ftlbernen
©ec^er nere^rt ^atte. S)er Äarbinalerjbifc^of fc^idtc ein reidjeig
|)oc^jeit§gef^ent, ba§ grau Äät^e, roiberroillig, jurürfgeben mu^te!
3)abei mag auc^ ber übliche feierliche Äir^gang ftattgefunben
^aben.
aSerleumbungen fc^limmfter 2lrt regnete e§.
®§ foc^t Sut^er nic^t an, unb fie nerftummten auc^ balb,
ate man il^re ®runblofigteit anfa^. Slber auc^ 9Jlelanc^t^on mar
nic^t einoerftanben mit biefem ©c^ritt, burc^ ben feiner 5Wcinung
nac^ ber gro^e ÜWann oon feiner ^ö^e ^erabgeftiegen mar, unb
lie§ feinem ®roll in einem re^t ge^äffigen ocrtrauten öriefe
freien Sauf, beffen aut^entif^en 2:eft mir erft feit 30 ^a^ren
tennen^). ®r ^at fic^ balb gefunben, ift bann Sut^crö treuer
^auSfreunb gemorben unb ^at fpäter auc^ aufopfemb für Sut^ers;
SBitme geforgt.
3Man tann ßut^cr^ ®^e oergleic^cn mit fürftlii^en ©tanbe^«
1) 93gl. 6eö, ^^ilipp 3JleIan(^t^on unb bie bcutfi^c ülcformation bis
1531. (Sc^r. bcg 93crcin§ für <Heform.*®efc^. 9fh:. 56 @. 121.
164 Seil: Sut^er im f)&u§ltc^en 2thtn,
c^cn, bic jum größten 2:eil au§ ^flic^t gcfc^Ioffcn loerben. 2lbcr
bic Siebe, ^erjlic^e Siebe tarn nai) ! 3ll§ 93erüei§ bafür l^aben
loir Sutl^erg 93ricfe an SBcib unb Äinber neben einer güBe oon
3eugniffen feiner ja^lreic^en ^au§* unb 2:iic^9enoffen. Sxüti
^arte ^öpfe waren jufammengelommen, bie jtd) ineinanber fc^iden
lernen mußten. @o fagt Sut^er au§ eigner ©rfa^rung non ben
SBeibem : „Ob fie gleich juroeilen fc^nurren unb murren,
ba§ mu§ nic^t fc^aben; e§ ge^et in ber @^e nic^t aHjeit f^nur^^
gleich iVL, ift ein jufällig 2)ing, be§ mu§ man fi^ ergeben. 2lbam
unb @oa werben fid) gar roeiblic^ bie neunl^unbert ^ai)x jer=
fc^olten böben unb @oa jum Slbam gefagt ^aben : „®u ^aft ben
3lpfel gefreffen". ^inmieberum roirb aibam geantmortet ^aben:
„aSarum ^aft bu mir i^n gegeben" ! Unb er fanb au^ „ba|
bie aCBeibfen gemeiniglich alle bie Kunft tonnen, ba§ fie mit
SBeinen, Sügen, ©inreben einen SJlann gefangen nehmen". ®em
42jä^rigen Öw«99cfcllen mußten loo^l nid^t blofe Sloftergemo^n*
l^eiten abgewöhnt werben, unb ber mirtfc^aftli^en, jufammen^aU
tenben 5^au ^at e§ oft äiränen gefoftet, wenn ber forglofe ®otte
bi§ auf bie ^atengcf^ente ber Rinber unb bie wenigen Äleino^
bien alle§ wertooUe, wa^ er Ijatte, oerfc^entte ! 3)enn Sutl^cr l^atte
au^er freier SBo^nung unb feinem ?ßrofefforenge^alt oon 200
©ulben nur 100 ©ulben ©Bulben unb auger fürftli^en ®e«
f^enlen nur wenige fonftige ®inna^men, benn Honorar für SJor«
lefungen unb 93ä^er nat|m er grunbfä^lic^ nic^t. Sro^bem
brachte bie Jrau e§ fertig, burd) raftlofe Sätigfeit, burc^ boS
|)alten oon ^enftonären unb Roftgängern in teilweifc fe^r bunter
Steige, ein Sanbgütd)en ^erau^jufparen, ba§ §au§ woljntic^ um*
jugeftalten, ©arten ju erwerben unb ben großen Slnfprüc^en beö
9Kanne§ an i^re ®aftfreunbfd)aft ju genügen. 2ln gamilienfeften
unb fonftigen ©ebenttagen wollte er au^ etwa§ braufge^en fe^en.
„3)arf unfer $err @ott gute groge ^ec^te, auc^ guten Si^einwein
fc^affen, fo barf ic^ fie wol)l au^ effen unb trinfen". 2ll§ ouc^
bie Sinber tarnen, ba war fein gutc§ ©ewiffen im ©^eftanb ool*
lenb§ beftärtt: „3Benn biefe brei ©tüd im @^eftanb bleiben, nanu
Sreue unb ©lauben, Sinber unb Seibeöfrü^te unb ©atramcnt,
bafe man^ für ein heilig 2)ing unb göttlidjen ©tanb ^atte, fo ifti^
@ c n : 2utf)tx im ^äuSIic^cn 2^btn. 165
gar ein feligcr ©tanb". ©c^§ Äinber ^at feine grau Sut^cr
geboren, brei $aare, oon benen ein üJläbc^en frü^. Senden, ein
ganj befonberer Siebling be§ 9Sater§, fo genannt na^ 9Jlu^me
Sene, aud^ einer entflogenen 9lonne, im breije^nten Qa^x gar
gottfelig geftorben ift. Qn unb mit feinen Sinbern ift Sut^er
roieber jung geworben. @r liebte fie auf§ järtli^fte. 3luf allen
SReifen benft er i^rer, forgt barum, i^nen etmag mitjubringen.
3n allen unfern ©c^ulbüd^ern pnbet fic^ ber ©rief ßut^er§ an
fein ©öt)n(^en ^an^, ben er oon ber ?5^fte Coburg au§ im ^al^r
1530 f^rieb, roie er i^m unb feinen fleinen g^eunben Sip§ unb
Qo% ben ©ö^ncn non aWelanc^t^on unb 3»ona§, unterm Silbe
be§ aUerfc^önften ®arten§ baS ^ßarabie§ oerf priest. 9ludö au§
ben ja^treid^en 93riefen an feinen lieben „^errn ÄctV an feinen
„dominus Ketha", bie „aUer^eiligfle grau 3)o!torin" ^ebe id)
nur bie legten üor feinem ®nbe gefc^riebenen ^erau§, meil fte
jeigen, in welchem Jon ber alte 2)oftor mit feiner grau nerfe^rte,
wie er fprubelt oon grömmigfeit, tiefftem ©ruft, .^umor, ©elbft«
ironie unb gemeinnü^igem 3)enfen. 9tebenbei lernt man ba
and) i^ren beiberfeitigen 2lntifemiti§mu§ tennen.
9Son ©iSleben auf feiner legten Steife fc^reibt Sutl^er am
1. gebruar 1546 feiner „^erjli^en $au§frauen, Äat^arin ßu«
t^erin, ®oftorin, 3ul§borferin, ©äumärtterin unb n)a§ fie fein
tann ').
®nabe unb griebe in S^rifto, unb meine alte arme ßiebe
unb mie ic^ meife, unträftige juoorn. Siebe Äät^e! Q6) bin ja
fd^ma^ (b. i. franf) gemeft auf bem Söege ^art oor ©i^leben, ba§
mar meine ©c^ulb. 3lber menn bu märeft ba geroefen, f o ^ätteft bu
gefagt, e§ märe ber ;3uben ober i^re§ ©otte^ S^ulb gemeft. 3)enn
n)ir mußten burd^ ein 3)orf ^art üor ®i§leben, ba oiel ^uben
inne mo^nten; oielleic^t l^aben fie mic^ fo tiart angeblafen. ©o
ftnb ^ie in ber ©tabt ®i§teben itjt biefe ©tunbe über 50 Quben
mo^n^aftig. Unb roa^r ift§, ba idö bei bem ®orf mar, ging mir
ein fol^ tatter SBinb hinten im äBagen auf meinen Ropf burd}§
93aret, al§ mollt mir§ ba^ §irn ju ®i§ mad)en. ©olc^g mag
1) 5)ic SBorte in ber gcöenroärtigen Sautgcftalt roicbergegcbcn.
166 (Seil: Cutter im ^duSlic^en Seben.
nun }um ©c^roinbct etmag l^abcn geholfen; aber i^t bin ic^
©Ott Sob woijl gefc^ictt, aufgenommen, ba§ bie fc^önen grauen
mic^ fo ^art anfechten, ba& ic^ roeber ©orge noc^ 5"^c^t ^^be
oor aller Unteuf^^eit *). Söenn bie ^auptfac^en gefc^lic^tet mären,
fo muß id^ mi^ bran legen, bie Quben ju vertreiben. ®raf
2llbrec^t ift ibnen feinb unb ^at fte f(^on ?ßrei§ gegeben, aber
Stiemanb t^ut i^nen noc^ nic^t§. SBiUS ©ott, ic^ mitl auf ber
Sanjel ®raf Sltbredjt Reifen unb fie au^ ?ßreiS geben" u. f. m.
2lm 6. gßbruax fc^reibt er „ber tiefgete^rten grau Äatl^erin
fiut^erin, meiner gnäbigen §au§frauen.
®nab unb grieb. Siebe Kät^e! SGBir ft^en l^ie unb laffen
un§ martern unb märe mo^I gern baoon; aber e§ tann noc^
nic^t fein al§ mid) büntt, in a^t 2:agen. üJlagifter ^^ilipps^^)
magft bu fagen, baß er feine ^oftilla corrigire; benn er ^at nic^t
oerftanben marum ber ^err im ®oangetio bie SWeic^tümer ®ornen
nennt, •^ie ift bie ©^ule, ba man folc^§ oerftel^en lernet. 2lber
mir grauet, baß aUemege in ber ^eil. ©c^rift ben 2)ornen baS
geuer gebräuet mirb, barum i^ befto größer ®ebulb l^abe, ob
i^ mit ®otte§ ^ülfe möchte etmaS @ut§ ausrichten. 3)eine
©ö^nd^en fmb nod^ ju üJlanSfelb. ©onft l^aben ju freffen unb
faufen genügt) unb l^ätten gute Sage, menn§ ber oerbrießtic^e
^anbel t^ät (litte?). Wo) büntt, ber Teufel fpotte unfer, ®ott
foH i^n mieber fpotten, 2lmen. 33ittet für un§".
2ag§ barauf ^eißt e§, in 2lntmort auf einen forglic^en 93rief
„meiner lieben ^auSfrauen Äatl^erin Sut^erin, 3)ottorin, ©elbft*
martgrin ju SBittenberg, meiner gnäbigen grauen ju |)anben
unb güßen.
®nab unb grieb im Ferren. Sie§ bu liebe Äät^e ben ^o^
^annem unb ben fleinen Sated^iSmum baoon bu ju bem 9Wat
fageteft: ®S ift boc^ alte§ in bem 53ud) oon mir gefagt. 3)enn
bu miUft forgen für beinen ®ott, grab al§ märe er nic^t all»
mächtig, ber ba fönnte je^n 2)octor 3Martinu§ fc^affen, fo ber
1) ^ic ^amcn waren alfo nic^t l^übfc^.
2) a;icland)t]^on.
3) Offenbare ^Infpielung auf 2uc. 21, 34, um bag 33erfuc^crtfc^e ber
Situation an^ubeuten.
@ e ( ( : Sut^et im ^äuSU^en Seben. 167
einige alte erföffe in ber ^aak ober im Dfentoi^ ober auf SBolfS
aSogel^eerb ^). Sa§ mic^ im JJrieben mit beiner ©orge, ic^ l^ab
einen befferen ©orger, benn bu unb alle Sngel finb. 3)er liegt
in ber Ärippen unb Ränget an einer ^^ungfrauen S^^^^ ; ober
jit^et glei^mo^l jur regten ^anb ®otte§, be§ allmächtigen SßaterS.
9)arum fei in ^rieben. 3lmen.
^ä) benfe, ba§ bie ^ölle unb gange SBett muffe i^t tebig
fein oon aOen Teufeln, bie oieQei^t alle um meinetmillen ^ie ju
(Si^leben jufammen lommcn finb, fo feft unb ^art ftel^et bie
iSac^e*). ©0 ftnb au^ l^ie ^uben bei funffjig in einem ^aufe,
mie ic^ bir juoor gefc^rieben . . . S3etet , betet , betet unb ^elft
un§, ba§ roir§ gut ma^en. 2)enn ic^ ^eute im SBitlen ^atte ben
SBagen gu formieren in ira mea: aber ber Jammer fo mir oor
fiel meine§ 58aterlanb§ ^at mic^ gehalten, ^i) bin nu au^ ein
^[urift morben. 3lber e§ mirb i^ncn ni^t gebei^cn. @§ märe
beffer, fie liegen mi^ einen ä^^eologcu bleiben, ^omme ic^ unter
fie, fo i^ leben foU, id) möchte ein ?ßoltergeift werben, ber i^ren
©tolj burc^ @otte§ ®nabe ^emmen möchte, ©ie ftellen ftc^, al§
mären fie ®ott, baoon möchten fie roo^l unb billig bei 3^^^ öb^
treten, el^e benn i^r ©ott^eit jur 2^eufel^eit mürbe, mie Sucifer
gefc^a^, ber auc^ im ^immel oor ^offart nid^t bleiben tonnte.
SBo^lan ®otte§ SBiUe gefc^e^e . . . SBir leben l^ie mo^l unb ber
SHat fc^entt mir ju jcgli^er üJla^ljeit ein ^alb ©tübigen SR^einfall^),
ber ift fcl^r gut. 3wmeilcn trint i^§ mit meinen ©efeöen. ©o ift
ber Sanbmein l^ie gut unb naumburgifc^ ©ier fe^r gut, ol^ne bag
mi^ bünft, e§ machet mir bie 33ruft ooll phlegmate mit feinem
^ec^. 3)er äieufel t|at un§ baö ©ier in aller SBelt mit $c^ oer*
berbet, unb bei euc^ ben SBein mit ©c^mefel. 3lber ^ie ift ber
SDSein rein, o^ne ma§ be§ Sanbeg 2lrt gibt".
®cr jmeitle^te feiner Briefe an bie 5^au oom 10. gebruar
1546 lautet: „®nab unb g^ieb in ®^rifto. SlHerl^eiligfte grau
®oltorin ! SGBir bauten eu^ gar freunblic^ für eure groge ©orge,
1} Söolf ©icbcr^cr, fiut^erg g-attotum, l^iclt fic^ fel^r au 8utl)erg Um
Sufricbcn^cit einen ^ogcll^erb.
2) %xt Söcrgteic^goer^anblungcn 3n)ifcf)en ben trafen oon 2Wan§feIb.
3) ©troa ein Öiter eincä ©c^aff^aufener 3Bcinc8.
Seitf(^ft für Ideologie unb Kirche. 16. Sa^rg., a. ^eft. 12
168 «Seil: Sut^cr im ^äuSli^cn ßcben.
bafür i^r nic^t fc^Iafcn fonnt; benn fmt bcr 3^'* i^^ oor unS
gcforgct l^abt, roottt un§ ba§ geuer ocrjc^rt f)ahtn in unfercr
SBo^nuug ^art cor meiner ©tubentür; unb gcftern o^n 3«>^'M
au§ Kraft eurer ©orge, ^at un§ f^ier ein ©tein auf ben Äopf
gefaßen unb jerquetfc^t, n)ie ein 9Wäu§faIlen. 3)ann e§ in un^
ferem ^eimlic^en ®ema^ xDoi)l jroeen Slagen über unferem Kopf
riefelt Kalf unb Seimen, bi§ mir Seute baju nahmen, bie ben
Stein anrül^rten mit jmei gingern, ba fiel er ^erab fo gro§ al§
ein lang Riffen unb jmeier großen ^anb breit, ber l^atte im ©inn
eurer ^eiligen ©orge ju bauten, roo bie lieben ^eiligen ©nget
ni^t gehütet Ratten. Qä) forge, fo bu nid^t auf^öreft ju forgen,
e§ möchte un§ jule^t bie ©rben oerfd)lingen, unb alle ©lement
oerf olgen. Sernteft bu atf o ben Äatec^i§mum unb ben Olauben ?
93etc bu unb la§ Oott forgen, e§ ^ci^t : äBirf bein 9lnliegen auf
ben ^erm, ber forget für bi^ ^falm 55 unb oiel mel^r Orten.
SBir fmb gotttob frifc^ unb gefunb o^ne ba^ un§ bie ©ac^en
Unluft ma^en unb 2). 3»ona§ mollt gern ein böfen ©c^enfel
l^aben, bo§ er fid^ an einem Saben o^ngefä^r geflogen : fo grog
ift ber 9leib in Seuten, ba§ er mir ni^t moOit gönnen allein
einen böfen ©d^enfel ju ^abeu. ^iemit ®ott befohlen. SBir
rooUten nu faft gerne lo§ fein unb ^eimfa^ren menn§ ®ott mollt
2lmen, 3lmen, Slmen. @uer ^eiligen roiUiger 2)iener 3M. 2."
n.
fragen mir nun nac^ ber ©efamtmirfung, bie ber ß^eftanb
unb ba§ ^äu^li^e Seben auf Sut^er ausgeübt l^aben, fo pnbet
fi^ junäc^ft, ba§ fie i^n um nic^t§ meriiger ftreitbar unb lampf^
bereit, um ni^t§ weniger ungeneigt gu Kompromiffen unb 9iac^^
giebigteiten in politifc^en unb tirc^enpolitifc^en Singen gemacht
^aben. 3«^^^ 1*^9* ^^^ ©treit mit ^apft unb Klerifei nun im
roefentlic^en hinter il^m, ober im Slbenbma^tsftreit, ber nun be*
ginnt, in ben Kämpfen mit man^ertei „©c^marmgeiftern", mie
er fie nannte, unb mit t^eologifd^en ©egnern, fütirt er biefelbe
fd)arfe Klinge, abmec^felnb mit einem berben Knüttel ober fogar
ber 9iarrenpritfcl)e, in ber politifc^en Seben^frage be§ beutfc^en
^roteftanti§mu§ feit 1529 : Ob e§ ben 3ln^ängern beö ©oonge-
©eil: Sut^er im ^duglic^en 2thtn. 169
Iium§ erlaubt fei, bafür ju ben SDBaffen ju g^^if^^/ ^^t ^^ "^*>
gerabe in ber angftooßfteu gefa^rtid^ften Qtit fteif unb feft auf
ben Sa§ gehalten, ba| man fi^ ni^t wehren bilrf e, f onbem
aQeg über ftd^ ergeben laffen muffe, ba ba^ @oangeIium nur
burd^ bai^ 9Bort verbreitet merben foQe, ni^t burd^ ®emalt unb
ba| e§ bemä^rt werben muffe in Äreuj unb Seiben. SJiid^t ber
äußere (grfolg ift ber 83en)ei^ bafür, ba§ @ott mit un§ ift, fon»
bem oielmel^r bie Sle^nlic^feit be^ @]^riften(eben$ mit bem ^reuj
unb ben SBerfotgungen be§ ^errn unb feiner Slpoftel. Unb menn
bie bunfetn ©tunben ber 2lnfed^tung über ben ftarten SKann fa*
men : mir roiffen nic^t, mie meit fxe bcbingt waren burc^ törper^^
tid^e fieiben, bie ©tunben ber ©c^mermut unb ber 9Serjroeiflung
bi^ jur 33erou|tIofigfcit, ba ^at er bei treuen 5^^^^^^^^ 2:roft
unb 9{at gefuc^t unb gefunben. ^reilid^ gerabe ba ^at ftc^ $rau
Äätt)e — einmal mar fie i^rer (gntbinbung na^e — ^errlic^ ge*
galten unb i^n aufgerichtet, ba er um ftc unb bie Äinber forgte :
„ÜKein Hebfter ^err 2)ottor, ift§ ©otteS SBiße, fo miß ic^ euc^
lieber bei unferm ^errgott miffen, bcnn bei mir. @§ ift nic^t
allein um mic^ unb mein Äinb, fonbem um oict S^riftcnleute
JU tun, bie eurer no^ bebürfen, moltet euc^ meiner^alben nic^t
befümmem. Qc^ befehle eu^ feinem göttli^en SBilten. @§ mirb
©Ott ermatten".
3)ie 6^e ^at Sut^er nid|t ja^m unb nic^t träge gemalt. SBiel^
leidet aber genu|füc^tiger? ®§ ift au^ in weitere Äreife gebrungen
bie Öe^auptung ®enifle§, fintier ^abe ftd) gern im ^äuSlic^en Äreife
betrunfen. 3)afür l^at S)cniflc al^ fc^lagenbcn 93eroei§ einen 83rief
2ut^cr§ oom ^ai)xt 1535 an ben aWanSfelbifc^en Äanjler SKülter
(alfo au§ feinem 52. Qa\)x) angeführt, ben er offenbar in 3cd^c^*
laune gefc^rieben ^aben foK, worauf bie ©rwä^nung beg guten
93iere§ ^inbeutcn foH, unb ber breifac^ unterjei^net ift: 3)oftor
aWartinu^, 2)r. fintier, a)r. ptcnu§, „ber oolle 3)oItor". 9tun,
man ^at baS in Sftom bcfinblid^c Original be§ 93riefeö neuerbing^
unterfud^t unb p^otograp^iert. @§ ift fet)r flüd^tig gefc^rieben.
®a§ „gute 83ier" gehört ju einer ©tubentcnreben§art — benn oon
ber Unterftü^ung jweier ÜKan§felbifc^en ©tubenten in SBittenberg
l^anbelt er, unb bie breifac^e Untcrfd^rift ßut^er§ erftärt ft^ au§
12*
170 @ c H : Sutl^cr hn ^duSIic^cn Scbcn.
ber SRanbfc^rift Sut^crg, ba§ Sut^erS grau „^crr Sät^e" unb
^an§ Sut^er, ba§ ^atcnfinb bc3 ^Briefempfängers, il^n grüben
taffen. Sie lautet nämlic^ roic ba§ Original jeigt „®r. 9Kartinu§"
— ba§ ift er, ^S)r. Sut^cr" — bamit ift „^crr Kät^e" gemeint,
unb ,,®r. ^ang", baS bamal§ neunjährige ^änSc^en Sut^er.
3[n ben 83riefen an bie grau ift öftere oon @ffen unb Xrinlen
bie SRebe — nun roer fc^riebe berortigeS nid^t nad) ^oufe ? Unb
Sut^er ^at olö alter ÜWann jungen ©efetten bie SWoligfeit em*
pfo^Ien, oon ftd^ fetber aber in goDen ber ©^(afloftgfcit befannt
„mir alten Seute muffen unfere ^olfter unb Riffen im Äännlein
fu^en". 2lber roer alle ä^ws^iff^ überf d^aut , mu| urteilen, ba|
e§ mit Sut^cr aud^ im ®ffen unb Xrinfen ni^t anber§ ift, mie
mit ^iSmardf. Unb biefe ftarfen SWenf^en, biefe Oeroaltmcnfc^en,
ftnb jur potlen Entfaltung aller i^rer ©eifteS« unb OemütSgaben,
au^er in ben 2lugenblidten meltgefc^ic^tli^er ©ntfd^eibung, am
öfteften gefommen im gefeHigen Greife, in 2:ifd^gefprä^en unb in
ben ©tunben fc^einbar ^armlofen Umgang^ mit ber 9latur. Unb
biefe Entfaltung oerbantcn fie i^rer ^äuölic^Ieit. 2llle bie intimften
Slufjeic^nungen über Sutl^erS SDBefen unb ^äu§lic^e§ Scben mir
fd^ulben feinen 3;if^gäften. greilic^ ^at jum minbeften Einer
bicfcr Ontcroiemer Sut^erö aBortc oielfac^ inS üiol^c vergröbert.
Unb fte am beften }eigen unS mit ber güQe pon 3lu§fprüd^en über
®rö§te§ unb ÄleinfteS, ein wie reid^e§ tinblic^cS ®emüt, meld^
tiefen QueD oon ^umor unb ^oefte fintier in ber ©eele trug.
SDBag er ba über ^äume unb Sßögel unb ^ünblein, über Sinber
unb Äinberjud^t, ebcnfo mie über ber SEBelt Sauf, über ^olitif unb
S^eologie geplaubert ^at — ba§ fte^t ebenbürtig neben bem, maS
un§ oon ®oct^e unb oon 93i§mardt aui^ d^nli^em 2lnla§ mitge*
teilt mirb, unb e§ ru^t in feinem legten ©runbe auf ber gleid^en
aSorauSfetiung.
^n Einem ift fiut^er ben bciben anbern überlegen, afe au§«
übenber ajlufiter. SBaren genug gute ©efeHen oor^anben unb mar
er um baS Evangelium in ©orge, ba mu^te mel^rftimmig gefungen
merben, oft uiele ©tunben lang. S)ie brei großen SWänner waren
am allergrößten ba, mo fte jebe§ äußeren @lanje§ entfleibet, fic^
am fc^li^teften unb natürli^ften geben tonnten, im Slaume ber
©eil: Qut^er im ^ftuiSUc^en Seben. 171
allc§ Uneblc unb @cmcinirbif^e auöfc^Iic^enbcn unb ba§ 9iatfir«
li^e burc^ ben älbel be^ ©emütö unb be§ ©eifteS oertlärenben
^äu^Uc^fcit. 3)a§ eigene ^au§, bcr eigene $erb waren t^nen bcr
ftc^erc Stanbort, roo il^re @eete im ©teid^geroid^t aü^x SeibeS* unb
©cifte^fräfte ftc^ Knigtid^ ber ganjen SQSelt gegenüber ju behaupten
n)u|te, nid^t um über fie ju ]^errfd)en, fonbern um i^r ju bienen.
®§ tft nur oon einer befriebetcn unb beglttdften ^äu§lic^fcit
au§ möglich geroefcn, mit einer fo tiefen f^roärmerifd^en ©e^n*
fu^t ^ineinjuroanbern in ben tiefen ©a^fenroatb, roo man nur
ben ©ped^t jammern ^ört, mie 93i§mard! tat, in ben 93lumen* unb
aSogelgarten , mie Sut^er, ber ba auf bem Bw^^igc fM^ ^erren
®octore§" beobachtet, bie juf rieben auf i^rem ß^^^ifll^i" Pö^"/
®ott für fic^ forgen taffen, mit gellen 9Iugen roie Heine ©tcme
in bie f^erne btidfen, unb burd^ eine ganje ©tunbenlänge ^inbur^
eine fliege erfpä^en — ober roie ®oct^e, ber glüdffeüg an feinem
©artenfenfter ftel^t unb bei untergel^enber ©onne bie görbenp^äno*
mene betrautet.
@§ tft nic^t eine oergrö&erte (Sinjelleiftung, noc^ eine neue
©eifte^* unb ©emüt§entroi(flung, bie ber längft fertige Sutl^er feiner
^äuSlic^feit oerbantte, fonbern bie 2lu§runbung unb 2lu§reife feinet
ganjen feurigen 3Befen§ gur ooUen, fixeren, geiftbe^errfc^ten,
männlichen SJiatürli^Ieit. 3)icfe ÜKänntic^feit befte^t aud^ barin,
ba^ nun ber un§ oon ©ott anerfd^affenen ftnnli^cn SJiatur i^r
Siecht rourbe. fintier ^atte offenbar unter ben Slnfed^tungen, bie
eine roibernatürlic^e 2l^Icfe mit ftc^ bringt, weniger ju leiben ge*
^abt, aU oiele Orben§^ unb ©tanbe^genojfen, um fo inniger fonnte
er bie fpäte 33efreiung oon jebem 3^ö"9 l>cifört mit ben ©aben
ber ©atteu'' unb Äinbe^Uebe, bie fte i^m brachte, aU ein gött=
lic^e^ ©nabcngefc^enl anertenncn, unb ben S^eftanb at§ „einen
^eiligen Orben" feiern, b. ^. aU ben ©tanb, ben ©ott felbft an
bie ©tcfle bc§ ^Iofterteben§ treten laffen roiH.
3in bem, roa§ er erlebte unb nad^ i^m 2;aufenbe unb SJliCionen,
ba fptegeft fic^ aber, unb ba§ roäre ba§ le^te, roa§ ^ier au^ju«
fütiren ift, ber ©ang roieber, ben bie ©ef^ic^te unfrer üieligion
überhaupt genommen ^at.
Q[n 3icfw§ ift ba§ ©oangelium SWenfc^ geworben, bie gna=
172 @ c H : fiut^cr im ^äuSIic^en Scbcn.
bcnrcic^c ®ottc§botfd^aft, über bcr in ben fiüftcn ba§ prop^ctifc^c
©ort oom „SRcic^e ®ottc§'V oom „^immclrcid^c" f^roebt. 3tpoftet
trugen e$ in bie Sanbe, unb al^ ®ott ba^ kommen be§ Sieid^eS
@ottc§ in bie SBoIten ber SBeltgefc^i^tc füllte, ba ^at bie S^riftcn»
^cit auf Srben mit mächtigem Qbealismuö ftd^ ba§ aflcrumfaffenb*
ftc Qkl geftedft, maS gebac^t werben fonnte, ba§ Qitl, biefe^
@otte§reid^ fetber p oerroirflid^en in einer internationalen SflSett^
fird^e, in einem Äirc^enrei^. 3)a§ begann mit ben römifc^en
Saifem, bie bag ®^riftentum jur SRei^§reIigion machten, e§ gip*
feite in ber fird^lic^«poIitifd|cn Ober^errfc^aft bc§ ?ßapfte§ über
bie Söller be§ 9Ibenblanbe§. Sin SRei^ mar bie Stiftung ©^rifti
geworben mit einer SReid^gfprac^e, einem SRei^Sred^t, mit 9ieid^§^
fteuern, mit ber umfaffenbften ©traf^ unb 3">o"9^9cn>ölt, benn
fte öffnete unb fc^Io| fogar ^immel unb ^öUe — ein 91 e i ^
biefer SBelt. — ®agcgen (e^nte ftc^ in bicfer Äir^e felber ber
nie erlofc^ene Oeift be§ erften ®t)riftentum§ auf unb oerfud^te roe*
nigftenS in engerem Rreife ba§ Soangelium jur mirtlid^en Seben§*
reget ju machen unb ein d^riftli^e§ SJlufterleben ju führen unter
a3er§id|t auf aQe anbern irbifc^en 55anbe, al§ bie be§ freimiüigen
®e^orfam§ unter ein felbft gemä^lte§ Oberhaupt an ®ottc§ ©tatt.
3)a§ fxnb bie SJlönc^^orben^ unb mag fie, jjeber in feiner
SBeife barfteüen rooHen, ba§ ift ein 5Kufterbilb c^riftlic^er ©cfeC»
fc^aft! Qcber Orben bilbet eine geifttic^e „g^milie", in ber roenig«
ften§ fd^einbar ein oöHiger Kommunismus ^errfc^t, mo aßer 9ieib
unb ©treit geftitlt fc^eint unb bie ©eele in felbft gemä^lter Sin»
famfeit oon allem ^Irbif^en ber ^immtifdien 2l^nungen unb ©c^au-
ungen um fo froher roirb. lieber alle Stationen breiten fte ftc^
au§, leine ©tröme, 5Keerc unb ©ebirge ^inbern fie. a)aS SWönd^«
tum be§ 9WitteIaIter§ ift bie gro^artigfte ®rfd^einung eine^ int er«
nationalen c^riftlic^en ©ojiati§mu§! 2)arum finb
feine großen gü^rer fämtlic^ mächtige ^olititer, gemaltige 2lgita==
toren, gro|e ^^ilant^ropen unb nod^ größere giwönjgenie^ ! SDBeil
fie nic^t§ begel)rcn oon ber SEBelt, l^errf^en fte über bie SBelt. —
3tlf 0 auc^ fie motten ^errfd^en ! SflSicberum ift ba§ SReid^ ber Siebe
eine SWac^t, menn ani) nur eine fojiate 5Kad^t geroorben.
5)a bri^t mit fintier bie neue 3 ^ i * « " für ba§ ©l^riften*
@ c U : fiut^cr im ^äuSIid^cn Sebcn. 173
tum. ©ic beginnt mit einem furchtbaren S^f^mmenbrud^. ®a§
Sirc^enreic^ unb bie fojialen SWönc^grepubliten jeigcn beim fiid^tc
be§ neuteftamcntUc^en @pangclium§, ba§ Sutl^cr ^o^ l^ält, ber üon
©c^red crftarrten Saienc^rifien^eit i^r mirftic^c^ Slngeftc^t: man
fanb nic^t§ barin aU meltlic^c ^errfc^begier, SKac^tmiJBbrauc^,
©eetenoergeroaltigung, 2lu§bcutung unb 93etrug. S)ie |)crrfci^aft§:^
gcftalt ber Äird^e in jcber 3lrt roirb al§ ba§ aEBiberfpicI aüe§ mirt*
liefen S^riftentumS erfannt. Unb Sut^er vermutete, ba| bie SBclt,
bie fo lang biefe§ 3^^^^^^^ ^'"^^ ©otte^reic^^ getragen ^atte, bem*
näc^ft in il^rer oorroiegenben aJlaffc jum Seufel fahren werbe.
3lber Dörfer foOte @ott auf @rben bod^ t>a§ noc^ erleben, bag
ba§ ©nangelium oon ber gnabenrci^cn Siebe roenigften^ in einem
fleincn Häuflein jur Sat mürbe. 2)er Krei§, in bem ftc^ mirfli^
ein üiei^ ber Siebe aufri^tcn lä^t, roo @otte§ 93aterliebc unb
5Kuttertreue unb ber tinblici^e 3)ant froher ©efc^öpfe i^r irbifc^cS
©egenbilb finben, ba§ ift ba§ §au§. ^icr lernt man täglich bie
©ebote ber 93ergprcbigt evfüüen : ni^t auf fein Siecht po^en, aQe§
mit einanber teilen, immer neu oergebcn, nic^t rieten, nid^t ücr-
bammen, 5^icbe ftiften. ^ier aöein tann man auc^ lernen, mie
e§ etma bem l^immlifc^en 93ater ju 9Jlut ift, wenn er auf feine
SWenf^enfinber ^erunterfd^aut. 9lirgenb§ fonft, al§ im ^a\i^ unb
im S^eftanb tonnte an eine aScrroirflic^ung bc§ 9ieic^e§ ®otte§
gebac^t werben ! Unb barum mit alt feinem Ärcuj unb Seiben, mit
allem SJiatürlic^en, ma§ i^m ani^aftet, mar er bie rechte unb einjige
Sorf^ute bc§ ^immlifc^cn @nabenleben§, mar er ber einjige „^ei=
lige @tanb" für bie ©Triften.
SBclc^ tatfäd^li^e ®r^öl)ung be§ meiblic^en ®ef^lec^t§ l^icrin
lag — ganj im ©egenfa^ ju ber mittelaltcrli^cn aSere^rung ber
rounberbaren @otte§muttcr, benn bicfc SJerel^rung galt boc^ nid^t
ber aWutter, fonbcrn ber «Jungfrau, fie galt nic^t bem SBeibe, \>a^
be§ aJlanneS ©c^ilfin ift, fonbern bem Sffieib, ba§ be§ 9Jlanne5
emige§ nie c r r c i c^ t e § ^ b e a l ift, fte galt einem 2^raum üon
„SDBciblic^teit", ni^t benen, bie unfcre SWütter, ©attinnen unb
©c^roeftern fmb — ba§ nac^jumcifen mürbe ju meit führen. 9tod^
oiel meiter aber mürbe bie bamit jufammenl)ängenbe 5^'age führen :
mot)in bie fo üerfc^iebene S33ürbigung beS Familienleben^ unb ba*
172 @ c U : fiutl^cr im ^öuSIic^en Scbcn.
benreic^c ®ottc§botfd^aft, über ber in bcn Süften ba§ prop^ctifc^c
©ort oom „SReic^c ®ottc§", oom „^immctrcic^c" f^rocbt. 2lpofteI
trugen e§ in bie SJanbe, unb at§ (Sott ba§ Sommen beS SReid^eg
@ottc§ in bie äBotfen ber SBeltgefc^i^te ^ütttc, ba ^at bie S^riften*
l^eit auf Srbcn mit mächtigem j^bealismuS fi^ ba§ aflerumfaffenb^
fte Qitl geftedft, roaS gebac^t mcrben fonntc, ba§ Sxtl, biefe^
®ottc§rci^ fctber p ocrmirfUc^en in einer internationalen JEBcIts
firc^e, in einem Äird^enrci^. 3)a§ begann mit ben römifc^en
Saifem, bie ba§ ®]^riftentum jur Sleic^^retigion mad^ten, e§ gip*
feite in ber Kr^Iid^^politifc^en Ober^errfc^aft be§ ?ßapfteS über
bie ajöKer be§ 2lbenblanbe§. @in 9ieic^ mar bie Stiftung ®^rifti
geworben mit einer 9iei^§fprac^e, einem SRei^Sre^t, mit 9iei(^§=
ftcuern, mit ber umfaffenbften ©traf- unb 3n>ong§gen)alt, benn
fte öffnete unb fci^to| fogar ^immet unb ^öDe — ein 91 e i ^
biefer SBcIt. — 2)agegen lel^nte fid^ in biefer Äird^e felber ber
nie ertofc^cne ©eift bc§ erften 6^riftcntum§ auf unb oerfuc^te me«
nigftcn§ in engerem Greife ba§ ©oangclium §ur mirflici^cn Seben§*
reget ju machen unb ein d^riftlid|e§ SRufterleben ju führen unter
93er§i^t auf aQe anbern irbifc^en 55anbe, at§ bie be§ freiroißigen
®e]^orfam§ unter ein felbft gemä^lteS Oberhaupt an ®otte§ (Statt.
® a§ ftnb bie 5Könc^§orben, unb ma^ fte, jeber in feiner
S33eifc barfteßen motten, ba§ ift ein aWufterbilb c^riftlic^cr ®cfeC*
fc^aft! ^eber Orben bilbet eine geiftlic^e „g^ntitie", in ber roenig*
ften§ fc^cinbar ein tjötliger Kommunismus ^errfc^t, roo aller 9leib
unb ©treit geftitlt fc^eint unb bie Seele in felbft geroä^lter ®in»
famfeit oon aßem ^Irbifc^en ber ^immlifc^en 2l^nungen unb ©c^au*
ungen um fo frol^er mirb. lieber aße Stationen breiten fte ftc^
aus, leine ©tröme, SWeere unb ®ebirge ^inbcrn fte. S)aS ÜKönd^*
tum bcS SRittclalterS ift bie gro^artigftc ©rfc^einung eineS inter«
nationalen c^riftlic^en ©ojialiSmuS! 2)arum finb
feine groJBen ^ü^rcr fämtlid^ mächtige ^olitifcr, gewaltige 2lgita==
toren, gro^e ^^ilant^ropen unb noc^ größere ginanjgenieS ! SBcil
fte ni^tS begehren oon ber SEBelt, l^errfc^en fte über bie SBelt. —
2llf 0 auc^ fie rooßen ^errfc^en ! ©ieberum ift baS Sleic^ ber Siebe
eine 9Wac^t, menn auc^ nur eine fojiate SWac^t geworben.
5)a bri^t mit Sut^er bie neue 3 ^ i * an für baS ©l^riftcn:'
Seil: Sut^er im ^äu^lid^tn Seben. 173
tum. ©ic beginnt mit einem furd^tbaren S^fammenbruc^. ®a§
^ir^enrei^ unb bie fojialen SJlönd^^repubUfen jeigen beim fiic^te
bc§ neutepamentUc^cn @pangelium§, ba§ Sutl^er ^o^ ^ält, ber üon
©c^rcd erftarrten fiaienc^riften^eit i^r roirtli^ei^ Slngefic^t: man
fanb nid^tg barin aU meltli^e ^^errf^bcgier, SWac^tmiJBbraud),
©eelenoergeroaltigung, SluSbeutung unb 93etrug. ®ie |)crrf^aft§5
geftalt ber Äird^e in jeber 9Irt mirb al§ ba§ SBiberfpiet atle^ roirt*
liefen S^riftentumö ertannt. Unb Sut^er vermutete, ia^ bie S33elt,
bie fo lang biefe§ 3^^^^'!^ ^'"^^ ®otte§rcic^$ getragen ^attc, bem*
näd^ft in il^rer üormiegenben SWaffe jum Seufel fahren werbe.
2lber üor^er foHte @ott auf Srben bod^ ta^ nod^ erleben, ba§
ba§ ©nangelium oon ber gnabenreic^en Siebe menigften§ in einem
fleinen Häuflein jur Sat murbc. 2)er Srei§, in bem ftd^ mirtlid)
ein 9iei^ ber Siebe aufrichten lälst, mo ®otte§ 93aterliebe unb
SMuttertreue unb ber tinblici^e ®anf froher ©efc^öpfe i^r irbifc^c§
©egenbilb finben, ba§ ift ba^ §au§. ^ier lernt man täglich bie
®ebote ber 93ergprebigt erfüllen : ni^t auf fein Stecht pochen, alle§
mit einanber teilen, immer neu üergebcn, nic^t rieten, nic^t per*
bammen, 5^iebe ftiften. ^ier allein tann man auc^ lernen, mie
e5 etma bem l^immlifc^cn SSatcr ju 9Jlut ift, wenn er auf feine
SWenf^enfinber l^erunterfd^aut. 9iirgenb§ fonft, al§ im $au§ unb
im S^eftanb fonnte an eine aSermirtlic^ung be§ 9ieic^e§ ®otte§
gebadet werben ! Unb barum mit aü feinem Äreuj unb Seiben, mit
allem 9tatürlic^en, roa^ i^m anhaftet, mar er bie rechte unb einjige
SBorf^ule be§ ^immlifd^en ®nabenlcben§, mar er ber einjige „^ei=
lige ©tanb" für bie S^riften.
SDBelc^ tatfäc^lic^e ®r^öl)ung be§ meibli^en ®efc^le^tg l^ierin
lög — ganj im ®egenfa^ ju ber mittelalterli^en 93ere^rung ber
munberbarcn ®otte§mutter, benn biefe SJerel^rung galt boc^ ni^t
ber SWutter, fonbern ber -Jungfrau, fte galt nid^t bem SlBeibe, ba§
be§ SWanneS ®c^ilfin ift, fonbern bem SBeib, ba§ be§ 9Wanne§
emigeg nie e r r e i c^ t e § 3 b e a l ift, fte galt einem 2:raum oon
„933ciblid|feit", ni^t benen, bie unfere SKütter, ®attinnen unb
©c^meftcm finb — ba§ na^jumeifen mürbe ju meit führen. 9toc^
üicl meiter aber mürbe bie bamit jufammen^ngcnbe ^rage führen :
mo^in bie fo oerfc^iebene S33ürbigung be§ Familienleben^ unb ba*
174 8 e H : Sutl^er im f^&udlid^tn Seben.
mit ber ©l^e unb bc§ SBctbeS bic oonoiegenb tat^olif^cn Stationen
im Unterfc^icb oon ben proteftantifci^en fü^rt.
2)enn nod^ eins; ift ju fagcn: inbem Sut^cr afö bie einjige
©tätte, in ber ein roirflici^cg unb ma^r^aftigcS S^riftcntum mög»
lid^ ift, ba§ ^au§ mit Sltcrn, Sinbcrn unb ©efinbc, mit guten
Jreunben unb getreuen 9tac^barn ^infteCte, ^at er ben Stationen,
bie fein ©oangelium annahmen, ben Jungbrunnen gejeigt, aui^
bem fi^ i^re Slationalität oeriüngen fonnte. Unb ba§ ift ge*
fc^e^en! S)ie neue Äunft be§ ^roteftanti§mu§, bie Äunft einc§
SRembranbt unb eine^ ©^atefpearc, eine§ 93ac^ unb eineö ^änbel,
fie ift au§ bem Ältma be§ ^aufeg l^eroorgegangen, au§ einem
Älima, in bem Slatürlic^ci^ unb ®ciftigc§, ©innlic^e§ unb ©itt*
lid^eä, aWann unb SBeib feine ©egenfätie fmb, bie ftd^ fliegen,
fonbern beftimmt, in i^rer Bereinigung ein gro|e§ tü^ttge§, erben*
frohes unb ^immetöfe^nfüc^tigeS 9Wenf(^entum ju begrünben. 3Benn
oielerortcn e§ ^eute fo fc^eint, ate ob ber le^te 3wf(uci^t§ort be§
®^riftentum5 bie Äinberftube geworben fei, mit i^ren Sinber*
gebetd^en, mit i^ren Äinberliebem unb i^rem SRärc^en oom geflü«
gelten S^riftfinbcl^en; nun, wenn e§ fo ift, ift baS nic^t bod^ beffer,
al§ menn anberroärt§ ber le^te 3uPu^t§ort bc§ ®^riftentum§ eine
internationale ©efetlfci^aft oon ^ageftoljen ift, für bie noc^ immer
ber ©taube an ein 3BeItrei^ ber Jtir^c, ba§ nie me^r möglich
ift, roenigften^ eine einträgliche politifd^e ©petulation bebeutet?
®§ mar Sut^erg aufri^tigcr ©taube, ba§ e§ ein fid^tbarei^
„SRei^ ©otte§" auf ©rben nie geben werbe. ®afflr fei bie ©ünbe
be^ SWenfc^en ju gro|. Slber „^eilig" mar it)m jebe ©tätte, roo
ber ©taube an biefe^ SJeid^ erblühte, Zeitig barum ba§ §au8 unb
bie ®t)e. aOBir ^eute urteilen oießei^t nic^t me^r fo pefftmiftifc^.
S33ir glauben unb ^offen, ba§ ber ©eift be§ ®^riftentum§ nod^
ganj anbcre unb neue ©eftalten in ber SSölfermett annehmen
merbe. SÄber mir miffen e§ nid|t anberS, at§ ba| bie ©tappen
auf biefem S33egc nic^t bie politifc^c Slgentur für fird^lic^e 3)reffur
ber SBBelt in 9lom, nid|t ber internationale ©ojiali^mu^ ber 3Wönc^§»
orben ift ; fonbern allein ein oom ©eifte ß^rifti burd^roe^te^ ^a^
milienleben — ic^ fage ni^t „nac^ Sut^er§ 93orbilb". — SBer mit
ben 2lugen unb O^ren einc§ mobernen 9)ienf^en ft^ in jene
@ e U : Sut^er im ^öu^Hc^ett 2thzn. 175
redcn^afte Qtxt ocrtieft mit i^rcu Sanb§tnc^t§manicren, mit it)rer
grcnjcnlofcn Ungeniert^cit unb ma|Iofcn ®erbt)cit auf allen Seiten,
ber roirb ftd^ freuen, irgcnb etit)a§ bort at§ no^ l^eutc muftcr*
giltig l^injufteflen, fofem eS ni^t gerabe ber e^te Sta^flang be§
roieberentbedtten SpangeliumS ift. Slber Ratten wir bcnn unfcre
oerebeltc ^äuSlic^teit, Ratten mir ben 2:raum oon einer jungen
Siebe, ben unfre ®id^tcr träumten oon S^f^^^^ ^^^ SRüdert unb
®eibel, l^ätten mir benn ®oet^e§ ^ermann unb ®orot^ea unb
©c^iUerS ©lode, l^ätten mir bie ^auSmuftf oon Sod^ bi§ auf
©d^umann unb 93ro^m§ unb ^erjogenberg ot)ne ßutl^er? 3"9^'
geben: ba| mir für unferc heutige Äultur ben Sut^er oielleid^t
nid^t mel^r brouc^en. Slber o^ne i^n märe boc^ biefe ganje Kultur
ntc^t ! %üx eineö aber merben mir i^n immer brausen, ma§ me^r
ift ate aße Kultur: für unfern ©lauben. ®arin ^at er fi^ alg
ben [Reformator ber SRcligion bemicfen, ba| i^m, mcnn e^ ft^ um
ba§ ^öd^fte ^anbclt, um ben lebenbigen ®ott, alle§, aber auc^ alle§
ba^in fant. 2)a marb in i^m ba§ ^falmmort lebenbig, ba§ er fo
rounberbar oerbeutfdjt ^at: „menn id^ nur bic^ ^abe, fo frage ic^
nichts na^ ^immel unb ®rbe".
®5 mar im jmeiten Qa^re feinet ®^eteben§, in ber 3^it/ ba
bie ©c^eitcr^aufcn für bie Sut^eraner in SSa^em unb Oefterrcic^
ju raud^en begannen, ba bie ®efat)r faifcrlid^er 9Serni^tung ber
eoangelifc^en aWädjte ^eranrüdfte, ba in SBittenberg bie ^eft um*
ging, ba er oon tiefer ©c^mcrmut befallen mar, unb er feine aller*
ticbfte Äätl^e unb fein allerliebftc§ ^änölein fc^luc^jenb ®ott befaßt
„3i^r l^abet nidbt§, ®ott aber qui est pater pupillorum et judex
viduarum mirb euc^ mo^l bemal^ren unb ernähren" — ba ^at er
aug ber tiefften 9tot ^crau§ ba§ Sieb angefiimmt, baS fc^lie^t:
„fWcl^mcn fic ben 8cib
®ut @^r, ^inb unb Söcib —
2a^ fal)ren ba^in
Sit f)abzn'^ fein ©eroinn
%ad dizid^ mu^ un§ boc^ bleiben."
176
§üB ^n^v^mB htt §\btl in itt (Bnimx^lms itt
5ßon
Dr. S^eobor ^ärittg,
^rofeffor an bev Unioerfität SlObingen.
2lu§ großer Qtit roürttcmbcrgifc^cr ©cf^ic^tc ftammt bcr
feitbem mand^mal roicbcr^oltc SflSa^lfpru^ : „verbum domini ma-
net in aeternum", be§ ^^crrn ©ort bleibet in ©roigfcit ^). Unb
unter bcn ©cbenttagen be§ Ictitcn ^a^reS galt einer bem größten
aSerein, bcr bicfem 2Borte bicnt, ber Srttif^en unb au^länbifc^en
SibelgefeQfc^aft; ^unbert Qa\)xt juoor ivax in Sonbon bei ®r*
roägung bcr 5^öge, ob eine fold^e ©efeQfc^aft für SBBalcg gegrünbet
werben foüc, ber bentroürbigc SRuf laut geworben: wenn für
2Bate§, warum nic^t für bie SBBelt? ^n faft oierl^unbcrt ©pra*
^en ift jet^t, meift burc^ ben 2)ienft bicfer (Sefetlf^aft, bie 93ibel
überfe^t ; über bie ^älfte biefer SSölfer l^at erft burc^ bie Sibet^
überfe^ung eine ©djriftfpra^e betommen. Äein anbereS 93u(^ l^at
aud) nur annä^ernb eine ä^nli^e aSerbreitung gcfunbcn, e§ fann
ber 93ibet jebenfatl^ um biefer SSerbreitung miHen ber Sitel ®a§
a3u^ nic^t oorent^alten werben^). 9ioc^ weniger freili^, weil
1) grejtrebc.
2) ©crjog Ulric^ ftatt fcinc§ frül^crcn 2öa^Ifpru(^§ »stat animo".
© e 9 b , öcrjog Ulric^ III, 607. @ a 1 1 1 c r , SBürttcmbcrg unter ben ^cr-
jogcn III, 89.
3) SBgl. 8. ®. bcn Ulrtücl »r. unb 9Iu§r. »ibclgcf. in $aucf8 ^rot.
SRcalcnc» II, 691 ff.
$ ö r i n 0 : 3)a§ SBerftänbni§ bcr SBibcI. 177
e§ ba§ in 3«Pi>"*"un9 unb aOSiberfpru^, in §a| unb fiiebc um*
ftrittenfte Sud^ ift. Schrieb boc^ im S-ubcIja^r bcr britifc^en 93ibel*
gcfcOfd^aft ein englifc^cr 55ifc^of : ein 93uc^, für bic einen ju Zeitig,
al§ ha^ man barüber ftrciten bürfte; für bie anbern ein ^ad
fiügen, }u bcrb, ate bag man fic ertragen fönntc. UnS in ®eutfc^«
tanb mag biefe§ Sntroeber — Ober frember fein, fo geroi^ e§
auc^ bei un§ nic^t an blinber 93ere^rung unb blinber Serroerfung
fe^lt mobei (entere balb jur ganatifierung ber SDlaffen bient*),
balb al§ miffenfc^aftlic^e @ntgleifung ftc^ barfteHt, j. 93. menn
unter bem Xitel „SBelträtfel" alberne fiegenben ate 9Jleinung ber
^riftlic^en Kirche tro^ aller 83cle^rung auc^ in ber neueften 9Iuf»
läge micber vorgetragen werben *). 2lber im großen unb ganjen
ift jene§ Dilemma „^eitige§ 83u^ ober Sügenpad" bei un§ nic^t
^eimifd), icbenfall§ ni^t in atabemifc^er Suft. gür un^ ift meit
bejeic^nenber ber Srfolg be§ 93ibet93abelftreite§ in meiten Greifen
beutfci^er 93itbung. ®r beftanb boc^ mol^l weniger in ber reinen
greube an jeber mirtlid^en ®rtenntni§ gefc^ic^tlic^cr S^fammen»
^änge, al§ in ber ©tärhing be§ oor^er oerbreiteten unbeftimmten
©efül^tg, ba^ bic 93ibel be§ (Eigenartigen unb ©injigartigen roe»^
niger enthalte, al§ frühere ©efc^lcc^ter angenommen, unb über»
^aupt bag fte eine im ®ang ber retigiöfcn @ntmid(lung mol^I
roi^tige, aber bod^ für un§ heutige in ber ^auptfac^e ücrgangenc
@rö|e fei. 2:reffenb gibt biefer Stimmung ba§ ©ort be§ 3)i(^=
ter§ 3lu§brudt, ber feinen gelben in fc^merer innerer 9tot fagen
la^t: „menn id^ nur mü^te, ob e§ eine 55ibel gibt" ^). Unb baran
änbert bie au§ anberen ©rünben ^öc^ft erfrculid^e Satfa^c nid^t^,
ba| „bie Sü^er ber 2Bei§^eit unb ©c^ön^eit" au^ einen treff*
liefen 9Iu§jug au§ ber 93ibel barbieten*), fonbern fte bejeugt in
xi)xtx 9lrt gerabe bie SWad^t jener Stimmung, eben inbem fie bie
93ibel unter bie übrigen Sucher einorbnet, entgegen ber frül^ercn
2lnfd|auung, bie in SBalter ©cott§ SBort ftc^ fc^lic^t au§brürft,
bcr in feiner legten Äranl^eit ben SBunfc^ äußerte: gib mir ba§
1) „SBtbel in bcr SBcftentaf^c".
2) ©ädcl, aöeürdtfcl, SSolfgau§gabc @. 125.
3) fjr. SBifti^cr, 2lu^ ©incr. $BoIfgauggabc @. 335.
4) Stuttgart, ©reiner unb Pfeiffer 1903.
178 ©äring: %aS SBcrp&nbniS bcr »ibel.
93uc^! unb auf bic grage: n)a§ für ein 93uc^? antroortcte: c§ gibt
nur ®in 93u^.
9lur @in 9BBcg fü^rt ju richtiger S33ttrbigung ber
83ibcl. @8 ift bcrfclbc, bcr ttberl^aupt allein ju bem 3*^1 fö^^,
irgenb eine @rö§e bc5 geiftigcn 2eben§ roa^r^aft ju roürbigen.
9lämlic^ bie@rtcnntni§ t^rcrSOSirfungen. 2lUe§ ift
für un§ nur in bem 3Wa| roirttid^, al§ e§ ftd^ wirf f am ermeift,
unb nur fo roirtlic^, roie e§ ftc^ mirffam erroeift. S)ie SBergötte*
rung ber 93ibet mie ben ^a^ gegen bie 93ibel mußten mir au§
eben biefem ©runb blinb nennen, betbe entfprec^en ni^t ber
933irllid)feit ber 93ibet. Slüjulange ^atte man ®xo^^^, VLnr>tt^
gteic^li^eö über fie behauptet, über i^ren Urfprung wie i^re Slrt.
3uerft o^ne S^^^^^U n>^W "^^n befonbere ©irlungen biefer ©c^rif*
ten erfal^ren ^attc. 2lber bie 3Iu§fagen becften ft^ nic^t mit ber
erfahrenen SflSirfung; unb, noie e§ bann ju ge^en pflegt, bie
®t)rennamen mürben überliefert, au^ o^ne ha^ man bie ju ®runb
liegenben ©rfal^rungen ftet§ oon neuem machte. Qn manchem
aSBappen werben 2:itel na^gefü^rt t)on ^errfc^aften, in benen man
nic^t§ me^r ju befehlen ^at. S)erfelbe 93erba(^t er^ob fic^ not»
roenbig gegen bie 93ibel, je me^r man e§ mie ein 5Kaieftät8i)er»
bred^en anfa^, an ber ^ergebrad^ten Se^re über bie 93ibet ju
jmeifeln. ^rrtum^loftgfeit in SSejug auf ben ^fn^^lt, unmittelbar
göttliche Eingebung in ^ejug auf ben Urfprung, ba$ mar bie
2)oppelf rone , mit ber man biefeS 33uci^ gefc^müdtt ^atte. ©ie
mu|te fallen bur^ bie ftiHe SWac^t be§ mac^fenben 933irflici^feit§*
finne§. 2ll§ f^tec^t^in unfel^lbareö 93uc^ ermie§ ftc^ biefem bic
93ibel nici^t, bann aber ^atte e§ feinen ©inn mc^r, i^ren Urfprung
in einem göttlichen ®ittat §u fu^en. ®aran fann fein 3^^ifcl
fein. Umgefel^rt baran nic^t, ba^ bie haßerfüllte 9Serroerfung ber
83ibel nic^t mit i^rer SEBirtlic^feit ftimmt. 2lber au^ jene nor*
ne^me ©teöung jur 93ibet als; bem 2)enfmal einer midjtigen ©tufe
in ber religiöfen ©ntmidflung, aber einer vergangenen, mie weit
nerbreitet fte fein mag, lann feinen anbcm 93eroei§ für il^re yHi)-
tigfeit führen al§ ben au§ ber mirf liefen Sef^affenl^eit ber 33ibel;
o^nc bicfen 83en)ei§ ift unb bleibt fie gleichfalls nur ein SSorur*
teil. Unb ganj ebenfo muffen fid^ nun au^ bie g^eunbe ber
^drinß: %aS «erftanbniS bcr »ibcl. 179
93ibet, bie mcl^r in i^r [c^cn, bie i^r für immer einen befonberen
SBert beimeffen, mit öemu^tfcin auf bicfe einjig fac^gcmSle 93e*
grünbung bef^ranfen. SBielme^r fte rooHen ba§ tun, motten ben
SDBirfüc^feit§finn, ber fo oft gegen bie fetbft erbad^te Se^re oon
ber Sibel ftd^ feierte, für bie mirtli^e 93ibel nü^en. Stufen nic^t
roie ein fje^terlunftftürf, fonbem au§ e^rlic^er Ueberjeugung in
offenem Kampf, ©ie fteßen nic^t eine Se^re oon ber Sibel auf,
bie man annehmen mü^tc, um bann i^re SSäirtung §u erfal^ren;
fonbem au§ i^ren erfa^rbaren aSBirtungen moDen fte i^r SBefen
erfennen unb in einfa^en SBorten auSfprcd^en. Ober, um an ein
berül^mte^ 83ilb anjufnüpfcn*): bie a(te Set)re oon ber ©d^rift
glic^ einer ftoljcn @d|lo&fefte mit SWaucm unb 3iw"^nj ^^^ ^m
flei^igften waren unfre J^übinger J^^eologen be§ fiebje^nten ^a^r»
l^unbertS bei i^rem Slufbau tätig. 93om ^einbe bebrängt gab
man einen gtügel um ben anbern prei§ unb baute auf ben Srüm*
mern unb au§ ben 2^rümmem be§ alten ©c^loffe§ einen neuen
luftigen ^aoiBon, in bem ft^ l)eiter roo^nen lie§: bie äugerli^
mobemifierte alte Seigre. Xoi) nur für einen fur§en ©ommer
ber ©elbfttäufd^ung ; burc^ bie bünnen SBBänbe mu^te ber ©türm
oerl^eerenb einbrechen, unb fe^nfüc^tig fa^en bann oiele nac^
ber alten mächtigen 93urg jurüd . Slber in beiben gößcn mar ber
93au nic^t fac^gemä^, entfprad^ nid^t bcr 33ibel, mie fte mirflid^
ift, roie fie in it)ren SBirfungen [x6) fetbft geltenb mac^t: unfern
l^eutigen 5^ftung§bauten mu§ er gleichen, bie, unfd^einbar, faft
unfi^tbar, in ber 2:iefe liegen, felbft ein ©tüdt be§ ju oerteibi^
genben $eimatboben§, J^l^geftein unb ©rbfc^ic^ten, unjugänglici^,
uneinnehmbar.
Unb jroar f oKte ba$ 2:^ema f olc^er Untemel^mungen lauten :
93ibel unb ©ntroidlung ber 3Kenf^]^eit. 9lic^t
auf ©injelroirlungen, fo mistig fie ftnb, barf ft^ befc^ränten,
roer t)erfte]^en miß, roaö bie 33ibel roirtlic^ ift; i^re SEBirlfamteit
auf bie 5Kenfc^^eit unb jroar bie SWenfc^^eit in i^rer Sntroidflung
mu§ aufgejeigt roerben: ift boc^ ba§ gerabe, roie roir un§ oer«
gegenroärtigten, ba§ f^roerfte Sebenfen gegen bie 33ibel, ba^ fte.
1) 5). 3^. @ t r a u ^ , 5)te ^r. ®lauben§lcl)rc II, «S. 180 f.
180 ©äring: 5)a8 SJcrftänbmS bcr fßibzl
freiließ eine bcbcutfame Kraft nun aufgegangen fei ate ©eße in
bem ©trom ber unenbtic^cn Sntroidtlung.
SlUein bicfe§ Sl^ema „^ibel unb SWenf^^eitSentroidflung"
f ann b o p p e It ^ oon bciben ©eiten au3 ocrftanbcn werben. ®§
fann ^ei^en: roel^e SBäirfungen fmb oon ber 93ibel auf bie ®nt*
roidlung bcr SWenfc^^cit ausgegangen? ^n biefem ©inn \)at eS
fc^on mannigfaltige ©arfteHung gcfunben. Oft roirb babei baS
SBort angeführt: „je ^ö^er bie ^a^r^unbcrte an 33i(bung fteigen,
bcfto me^r wirb bie 93ibet jum Seil al§ fjunbament, §um 2^eil
al§ aEBertjeug ber Srjie^ung, freiließ ni^t oon naferoeifen, fonbem
noa^rl^aft roeifen SWenfd^en genügt werben"^). ®S ift eine ^o^e
2lufgabe, bie Oefc^id^te im ganjen mie bie ©efc^i^te ber 2^t)eos
logie im befonberen unter bem genannten @efi^tSpun!t burc^ju^^
ge^en. ^n 83e}ug auf le^tere ^aben bie Äird^en^iftorifer oft be*
jeugt, ba§ jeber g^ttf^ritt oon einem neuen 9Serftänbni8 ber ^.
©d^r ift ausgebe"). Unb auf ber ^oc^fc^ule, bie mit ber unfrigen
baS Sibelftubium al§ befonbere§ ®rbe überfommen ^at, ift jüngft
in umfaffenbem Ueberblict baoon ge^anbelt morben : bie ^ibel baS
83uc^ ber 3Wenfd^^eit; fte wirb e§, roeil fie eS ift^). 3)er ^SeroeiS
biefeS ©a|^e§ ift oon einer güBe forgfam beamteter 2:atfac^en gc*
tragen; unb augenblidli^ gerabe un§ Seutfc^en im ^M auf
©rfal^rungen ber Äolonialpolitif na^e liegenbe ©inroänbc merben
oon bem ©efamtgang ber bisherigen $0liffionSgefc^ic^te roibcr*
legt*). Sbenfo le^rreic^ ift bie Betrachtung ber aSirtungen, meiere
bie 33ibel auf bie ©ntmidlung ber fc^on längft c^riftti^en 9Söl!er
ausgeübt ^at.
9tun tann man aber in bem 23^ema „83ibel unb SWcnfc^*
^eitSentmidflung" auc^ umgefe^rt ben 2:on auf baS anbere ©lieb
legen^ ni^t fomo^l naci^ ben aSSirtungen ber 83ibel
1) 9Sg(. aujerbem 5. 93. bie bei ff iltf c^, ®oct^c§ relig. ©ntroicflung,
&otf)a 1894 ^ufammengefteQten ^uSfagen mit ben QueUenbelegen.
2) S^gL u. a. bie 5)ogmcnöcfc^ic^te oon § a r n a cf bei ^uguftin, ßu*
t^cr u. f. to.
3) ^äl)Icr, 5)ic »ibcl t>a^ fSud) ber 9Jlcnfc^l)eit, «erlin 1904.
4) <5. Ic^rrei^c ®of umentc in SBarnedS SlUgemeiner SDWffionSjeits
fc^rift 1904 unb früher in ben ©l)inan)irrcn 1900 f.
©äring: 3)a3 SBcrftönbnig bcr »ibel. 181
auf bic aWenfd^l^cit, at§ üielmcl^r nai) bencn bcr
aWcnfc^^citgcntiDtcflung auf ba§ JBerftänbni§
bcr 93ibcl fragen. 3)cnn baä aUgcmcinc ®efc|^ bcr SBBcc^fel*
roirfung gilt auc^ ^icr. Unb gcrabe auf bicfc Ic^tgcnannte 2lrt
bcr ^Betrachtung möchte ic^ weiterhin i^rc Slufmerffamteit lenfcn.
©ic bietet ft^ ni^t fo unmittelbar bar, aber fic ift nid^t roeniger
frud^tbar, unb üon i^rcr Sebcutung foH nac^t)cr au§brüdf*
lic^ bic SRebc fein. Q\xn&i)^t ^anbclt c§ fic^ aber rein um bic
geftfteHung einer 2:atfac^c, bcjie^ungSrocifc barum,
ob mir ein üic^t ^aben ftc feftjuftetten: ncmlic^ eben bic 2:at=
fad|c, ha^ in bcr ©ntmidftung bcr 5Kenfc^^eit bic 93ibet fort^
fc^reitenb tiefer nerftanben mirb. SBa§ mit biefem tieferen JBcr*
ftänbni§ gemeint ift, ergibt ftc^ au§ bem bi§t)crigen. TO^t
t>a^ mir auf ©runb bcr p^ilologif^^tiiftorifd^en SKet^obe aud^
ba§ 3)cnfmal bcr Vergangenheit, ba§ mir 93ibel nennen, beffer
in feinem urfprünglic^en ©inne oerftcl^en. ®eroi^ ift ba^ mis-
tig, unb jmcifelloiS „wirb bic 33ibcl immer f^öncr, je met)r man
einfielet unb aufbaut, ba^ jebc§ SDBort, ba§ mir allgemein ouf^^
f äffen unb im befonberen auf un§ anmenben, na^ gemiffen
Umftänben, nad^ 3^^^* wnb OrtiSoer^ältniffcn einen eigenen
befonbcrn 83ejug gehabt l^at"^). ®ieg mirb ^ier oorau§*
gefegt; aber oietme^r baoon reben mir, ob bie 83t bei, inbem
fo im S33c^fel ber 3^^^«" i^^ urfprfingtic^er ©inn immer reiner
crtannt mirb, fid^ in bicfcm i^rem urfprttngli^cn
©inn für bic rocc^fetnben 3^itcn ftetg beben«'
tungöooller erroeifc. 3ebe§ anbere gro^c ©ciftc^jcugniS
ber 93ergangcn^cit fann beutlic^ ma^cn, um ma§ c§ ftd^ ^anbelt.
®ic ©onne ^omer§ leuchtet 3)ant ben Semü^ungen unfrer ^;p^i^
lologie un§ jmcifclloS t)eller al§ oorangegangenen @cfc^lec^tern,
roenn mir unter bem gelleren Seuc^ten ba§ bcffere 95crftänbni§
beS urfprünglic^en ©inne§ oerftc^cn. 9to^ ni(^t ift aber bamit
cntf^ieben, ob bic alfo beffer oerftanbenc 2)ic^tung eine immer
intenfiücrc unb intimere SDBirfung auf ba§ ©eifte^lebcn ber fic^
entmidtclnbcn SWcnfc^l^cit ausübte. aWeinen bo^ oiele, ba| jene
1) Ooct^c, f. 1) @. 180.
182 $ ft r i n g : %a^ Sßcrftänbmg bcr 95tbcl.
©onne unferem ©efc^lec^t nic^t mel^r lächle tüte am @nbe bc§
fünfjel^ntcn ober ad^tjel^ntcn Qfo^^^^unbcrtS. 3)cnn nic^t notroenbig
tft lieferet, ^iftorifc^cg aScrftänbniö tiefere Srfenntni§ ber Uner*
fc^öpflic^feit cine§ 3^uß^n ber aSergangen^eit für eine anber§ ge»
loorbene ©egeniüart. Äann bod) auc^ umgetel^rt biefe jenem
oorau^eilen.
@§ foD nun an einigen 53eifpielen beleuchtet merben, roiefem
bie ©efc^id^te ber 93ibel un^ ben Sinbrucf mac^t, ba§ in
biefem ©inn i^r 33erftänbni§ mit ber Sntmicftung ber SWenfc^«
^eit geroad^fen ift, unb biefe 93eifpiete ber 2lnfc^auung foHen auf
einen mögtic^ft einfad^en 93egriff gebracht merben; bann aber
ift turj }u jeigen, ba§ bicfer ®inbrudf eine§ mit ber Snt^
midtung ber SHenfc^^eit roac^fenben 53tbetoerflänbniffe§ roirtüc^
begrünbet ift.
2Ufo junäc^ft :bie®efc^ic^te mac^t un§ jenen ®in*
brudf. 9lur wenige auS ber SBolfe fic^ brängenber Oeftalten
barf ic^ feftl^alten, auc^ fte nur mit flüchtigen ©trieben anbeuten.
©Über oon einjelnen SWännem unb grauen, 93ilber oon oer*
fd^iebenen Greifen be§ geiftigen Seben§, Don mannigfaltigen 93il*
bungöfc^ic^ten, Don 3^itolt^'^/ ^^n 93öltem. 3)a§ $autu§ in 2lu«
guftin unb in Sut^cr tebenbig mürbe, miffen mir äße, unb ba§
biefe§ SBieberaufleben ein neue§ fieben mar, bei beiben SBirfung
be§ alten 9Borte§ oon ber ©erec^tigteit oor ®ott au§ bem ©lau*
ben, aber eine SBirf ung, in ber ba§ alte SBort in neuer 3cit ein neue§
marb. ^lel^men mir ctma ^inju, meiere 93ermunberung burc^ bie
beutfc^en Sanbe jog, aU Slein^arb, ber gefeierte SBortfü^rer eine^
nüchterner gemorbenen ©^riftentumg, am Sleujal^r^tag 1800 über
biefen alten 2)ejt^) prebigte, gemi§ nic^t mit 2luguftin§ ober
fiut^er§ Ocift aber nac^ allem, ma§ bajmifc^en lag, boc^ auc^
mit neuen 3w"9^"- ®i« anbereg Silb. B^ötf Qal^r^unberte
maren vergangen, feit Qefuö gu bem reichen Jüngling gef agt : oer*
taufe mag bu l^aft % Qn einer c^riftlic^en SQBelt immer mieber»
l^olt, mar ber 9^uf boc^ mie ocrftungen. 2)a trifft er be§ gran«
1) aiömerbrief S, 28.
2) @o. matt^. 19, 21.
^ ä r i n 0 : %a^ ^erftdnbnüS ber W)tl 188
ji§fu§ £)f)x, fein ^crj, unb roirb neu, ober, mt immer mir e§
ausbrüden mögen, eine ©eite feine« ©inne§ mirb neu mit bii^l^er
unerl^örter ©eroatt, in einer bi§f)er nic^t erfd)auten gorm. ®abet
flingt noc^ ein anberer oertlungener 2ion neu in be§felben Span-
nes ^evj : menn er bie 93lumen unb bie Sc^roalben, feine ©c^roe*
ftem, menn er SJlonb unb SQBolten, SBaffer unb 5«uer jum iJobc
®otte§ aufruft unb felbft ben Stob al§ 93ruber begrübt, fo ift
\>a^ naä) fo oiel Sonnenarmut unb fiebenSbüfter ein neue§, in
urfprünglic^er ^errlic^feit neu oerftanbene§, nic^t nur ein mieber^
entbedCte§ alteg Sieb*). Unb nun reiben Sie an fein 53itb bie
anbern ungejä^Iten gelben ber aufopfernben Siebe; anber§ nid)t
nur nac^ Qdt unb ^axbz, fonbern auc^ in ber innem ©eftaltung,
aber boc^ alljumal perfönlic^er SQäiber^aH be§ 3Borte§: baran
mirb jebermann ertennen, ba| i^r meine jünger feib, menn i^r
Siebe untereinanber ^abt^) — grande unb ^eftalojji unb SBi^
c^em unb bie greunbin ber ©efangenen, bie SBorfämpfer ber
©ttaoenfrei^eit. Ober beuten ©ie an 3)ante, bie „©eele ooD
großen ^eimme^§", unb reiben ©ie an il^n bie oielgeftattige ©c^ar
aller, bie irgenbroie „baö ©elig fmb, bie ^eimme^ ^aben" jum
SlBa^lfpruc^ machen, bi§ auf ben oon moberuem (Smpfinben neu
gemürbigten 2lmoö Komeniu^, ber am 2lbenb feinet bemegten Se^
ben§ ©Ott banft, ba& er il^n attejeit einen 9Jiann ber ©e^nfuc^t
f)abt fein laffen ^), unb bi§ auf Qfung*©tiHing. SBelc^ ein SOSec^fel
ber S^ittn, aber eben barin auc^ meld^er SRei^tum im 3)ur(^foften
unb 3)urc^leben ber ©e^nfuc^t, beren unerfc^öpflic^e Queue baS
Söort ber 93ergprebigt *) ift. '3lo6) f ürjer als bie ©rinnerung an
e i n j e l n e , beren Seben ein SJieuerleben unb eben barin ein tie*
fere§ @rf äffen ber 93ibel mar, mu^ bie ©rinnerung baran fein,
mie ft^ biefelbe 93eobac^tung im 93licf auf bie mic^tigften Ä reife
be§ geiftigen Seben§ aufbrängt. 93on ber 9]aturroiffen=
1) Ueber ba§ gefc^ic^tlic^ genauere ^er^dltnii^ t?on ^attf^. 19, 21 ^
SWatt^. 10, 7—14 tjgl. Regler, grranaiäfufii oon Slfrift in 3eitf(^nft für
a:^coIogic unb Slirc^e 1896, S. 395 ff.
2) @o. So^. 13, 35.
3) %cS cinaig Slotmenbige, übetf. o. 3o^. 6 e e g c r 1904.
4) @o. SWatt^. 6, 3. 6. §cbr. 11, 8 ff. 13, 14.
3eUf(^ft füx Z^eologie unb jtirt^e. 16. ^a^rg., 8. ^eft. 13
184 Döring: %c^ ^erftänbniS ber ^ibel.
fc^aft \)at Slante tief finnig gcfagt, ba§ fic ol^nc eine reine, bem
®eift entfprec^enbe ^Religion, bic man roirtlic^ glaubte, überl^aupt
nic^t möglich geworben wäre, unb oon ber ®efc^ic^t§n)iffenf^aft,
ba^ erft ber 3Ronot^ei§mu§, ber fic^ oom 9laturbienft (o§rei§t,
@runb unb 53oben für fie fei ^). 3)a§ gleiche fann in 93ejug auf
bie 9latur aud) ber Saie au§ ben SSorreben unb Slad^roorten eine§
Kepler unb 9len)ton fic^ anfc^auU^ oergegenroärtigcn *) : ba§ Söett»
bilb be^nt fic^ in§ Unenblid^e, bie tieffte Äraft ju fold)em Söage*
mut be§ menfc^lic^en ®ebanfcn§ ift ber fc^tic^te @otte§glaube ber
93ibel. Ober ber preu^ifc^e Staat, erteud)tet Don bem ©onnen*
äuge griebric^ö be§ ©ro^en, be^errf^t oon feinem 3CBiÜen, beffen
©el^eimniö ba§ 93en)u§tfein ift, ba§ ber gürft ber erfte 3)iener
feines ©taat§ — ift ba§ nid)t neueS mett^iftorifc^eS, auf bem
®ebiet be§ öffentlichen SebenS fic^ burc^fe^enbeS 93erftänbni§ be§
8Borte§ oom 2)ienen, in bem bie ^errfc^aft liegt, unb oom fiebeu:»
gewinnen im Sebenoerlieren be§ ®ienftc§^), ein 95erftänbni§, wie
eS nur auf bem 93oben proteftantifc^er 93ibeltenntni§ in @c^to§
unb ^ütte erblühen fonnte, in bem auc^ be§ König§berger SBeifen
„^fli(^t, bu erhabener großer 9lame" murjelt. Unb wenn in ben
fojialen flöten unfrer Qdt ba§ 93ilb ber erften ®emeinbc in Qt--
rufalem al§ realifiertc§ ^t^^öl ber ®ätergemeinfc^aft gepriefen
mürbe, fo mar ba§ freiließ unrichtige unb unpraftifdje ©yegefe;
aber e§ mar nic^t eine politifi^e 9ieben§art, fonbem feinfül^ligei^
SSerftänbniig für bie treibenben firäfte ber ®ef^id^te, wenn unfer
(Staatsmann feinen entf^eibenben Stritt auf biefem unbetretenen
9leulanb als pra!tifd^e§ S^riftentum bejeid^nete. Sie le^tgenannte
5tage mag uns menigftenS im Vorbeigehen erinnern, roie bie
^ibel in ben mec^felnben ®enerationen ber d^riftlic^en
SBelt roec^felnb, aber immer eigenartig neu oerftanben mürbe.
3. ©. als bie aintüe i^re le^te 93lüte l^eHenifc^er ©c^ön^eit,
il^ren 9ieft an römifc^er Kraft fterbenb mit bem ©oangelium ocr-
mahlte; als ber ^elianb baoon 3^^9"i^ fl^b, wie bie gemaltfam
bete^rten Sai^fen getreue Se^enSmannen beS großen ^erjogS
1) 3BeIt0cfc^i4te I @. 30. 38.
2) 5. 93. Kepler, opera omnia ed. grifc^ I, @. 96 ff.
3) ®ü. anatt^. 20, 28.
0 ä r i n g : %cS ^erftanbnid bet $ibel. 185
iDurben *) ; al§ in beutfc^cn ©täbtcn 5lci§ unb Äunft mit ber
Sieformation fic^ ncrbanb; aU ber ©türm ber ^efreiungSfriege
bic bcutfc^e Sugenb ergriff. Unb in jeber biefer ©pochen müßten
mir, um anfc^auUc^ gu fein, auf bie oerfc^iebenen ©c^icftten
ber 93ilbung achten. 2luf ba§ 93ibeUefen oornel^mer Greife
in ©t. ^eter§burg unb bie ©tunbiften an ber SBolga, mie auf
bie 3lrt gläubiger Söoü^frömmigteit, ber Jolftoi in ben „beiben
©reifen" ein ergreifenbeö 3)enfmal gefegt. 2luf bie ©d^riflfor*
fc^ung unfrer „©tillen im fianbe", aWutterfc^o^ für bie geteerte
2lrbeit eine§ Q, 21. 93engel unb mieberum befrud^tet oon it)r. Sluf
oome^me unb oott^tümttc^e franjöfifd)e üKgftiter fo gut al§ auf
bie buntgufammengefe^te öglise du d^sert unb bie ©yegefe ber
engUfd)en ^itgeroäter, ber ©rünber einer neuen SBelt. 2luf bie
geiftreic^en QixUl 93erUn§, unter beren ©ternen ©c^leiermac^er,
felbft einer erfter ®rö§e, im ®^riftu§ be§ ^föl^^nne^eoangeliumS
ben 3Wittelpuntt feine§ unoergteic^lic^ bemegten @eifte§leben§ ge«
minnt, Greife, au§ benen aSaterlanb^tämpfer ^eroorge^en, mie jener
greifen: oon J^abben*), in beffen Jornifter beim ©efec^t am
aWontmartre 9leue§ 2:eftament, Ooet^eö Sauft, ©c^iHerS aBallen«
ftein Don bemfelben feinbtic^en ^ieb getroffen werben. 9lur noc^
einen ©lief l^inauö über bie europäifc^e ©^riftenl^eit!
53ei bem ermähnten ^fubiläum ber 93ibelgefellfc^aft fam ein 3)ant*
f^reiben für bie 33ibelüberfe^ung in ber burc^ fie gefc^affenen
©c^riftfprac^e au§ Joro meftlic^ oon Uganba ebenfo mie au§
Äleintibet'), unb ba§ bemeift nic^t nur 3)an! für bie 93tbel, bie
mir l^aben, fonbem für eine eigenartig oerftanbene, fo gemi§ bie
3lrt biefer SBölfer eine anbere ift al§ bie unfrige.
SBeit überjeugenber märe biefe ganje 93ilberrei^e , menn fte
ftatt btaffer 2lnbeutungen aufgeführte ©eftalten bieten bürfte.
3)efto mel^r mürbe ber ©d)ein fc^minben, aU ob nun eben einmal
einem oorgefa^ten ©ebanten jutieb atle§ mögliche aU fortfc^rei^»
tenbe§ 93erftänbni§ ber 93ibel behauptet, alle glänjenben gebem
ber SBelt jufammengeraubt mürben, um biefen einen ^arabieSoogel
1) a3gl. Hilmar, ^eutfc^e «Uationalliteratur, 24. Slufl., @. 26 f.
2) 3lboIf oon a:^abben^2:neglaff, «erlin 1890. @. 10.
3) f. 0. ©. 180, 5lnm. 2.
13»
186 Döring: %aS ^erftänbni^ ber SBibeL
ju fc^müdfcn^). ®cnn bic einge^cnbere Betrachtung würbe oiel
beutlic^er ertennen laffen, ba§ in ber gciftigen aSed^felroirfung
groifc^en 93ibe( unb ft(^ entioicfetnber SHenfd^^eit nic^t nur ungc*
i^eurc SBirtungen oon ber 53i6el auf bie SHenf^^eit ausgingen,
ba§ leugnet im Orunbe tein Sinftc^tiger, fonbem ba§ in ber Snt*
roicflung ber üKenfc^^eit, beftimmt burc^ bie eigentümliche 53ega*
bung unb gü^rung ber Söölter unb einjelnen, mie burc^ il^re
eigene Jat, ein 6effere§ SBerftänbniS ber 93ibet ^eroorgerufen
mürbe, unenblic^ mannigfaltig unb boc^ mirtlic^ Sßerftänbni^ ber
«ibel.
2lber loie foHen mir ben Sinbrud biefer 2lnfc^auung§beifpiele
in einem 93egriff auSfpre^en? ®tma fo: baS fortfc^reitenbe
aSerftänbni§ ber 93ibel in ber ©ef^ic^te ber SWenfc^^eit ift 93 e r*
einfac^ung unb jugleic^ aSertiefung, quantitativ
Stebuftion be§ @toffe§, qualitatio Vertiefung in ben Qfn'^olt. (Se^
mi§ ift bamit nic^t au§gefc^loffen, bag manchmal au(^ ein lange
tot liegenbeS ©eftein uon ben 93ebürfniffen einer neuen 3^it ^^^
roegt unb belebt mirb, mie j. 93. bie 93efc^äftigung mit ber ^ro*
p^etie ber 93ibel, ba§ SBort im engeren ©inn oerftanben, nic^t
o^ne Srtrag für bie ©efamterfenntniö gemefen ift. 2lber im ganjen
^aben folc^e roieber beachteten ©tücfe nur in bem 2Hag ftc^ bauemb
roirifam ermiefen, ate fte pc^ felbft jener oertiefcnben SSereinfa*
c^ung bienftbar machten, mäl^renb fie fonft, auc^ roenn eine S^iU
lang mit SSorliebe be^anbelt, jum ^emmni§ be§ maleren Sort*
fc^ritt^ mürben, man beute an bie apofalpptifc^en SRec^nereien.
3)ie gemeinte aSereinfac^ung ift Don boppelter 2lrt. 3)a§ nic^t
bireft SReligiöfe tritt jurüd ober mirb ganj abgefto^en, unb ba§
SReligiöfe felbft mirb burc^ SJereinfac^ung oertieft. ®a§ erfte ift
am anfc^aulic^ften an ber öefeitigung be§ alten 3Beltbilbe§: bie
@rbe ru^enber 9Jlittelpunft ber Söelt, bie ©onne um fte ftc^ be^»
roegenb. SBir fennen bie Kämpfe, bie feine 93efeitigung getoftet,
für un§ ift fie felbftoerftänblic^ gemorben. 9Bie felbftoerftänblic^,
mögen mir baran ermeffen, ha^ un§ auc^ Ätopftodf§ Umbic^tung
be§ aSaterunferg fremb geworben ift. SSon bem „aller ©onnen
1) f. 0. @. 179, 5lnm.
§ ä r i n 0 : %aS «crpänbniS ber ©ibcT. 187
©onnc ajater ^crr bift bu" fmb ipir ju bem fc^Iic^tcn „SJater*
unfcr in bcn ^immcln" jurüdfgefc^rt, rocit roir bic 2:icfe feincS
@inne§ in ben einfachen SBortcn lebcnbigcr empfinbcn al§ in ben
fc^cinbar großartigeren, bie mit bem ermeitertcn SBeltbilb äußer»
lic^ Schritt l^atten motttcn. 2Iber bic 9iennung be§ aSaterunfer§
fü^rt un§ oon felbft ju jener anbem Slebultion, bie in SSal^r^cit
Ocminn ift; ja e§ lann un^ gerabeju al§ ba§ große 93eifpiel für
biefc SBereinfac^ung bienen, bie fic^ an bem unmittelbar retigiöfen
^[nl^alt ber 93ibel ooöjie^t, nic^t nur auf bie bamit fic^ oerbin«
benben Siebenoorfteöungen ge^t, bie notmenbig in bie Sprache
einer beftimmten 3«it f^ Ö^nj fic^ f leiben, baß fie mit i^r oer^*
ge^en muffen. Jreffcnb \)at man gefagt, ba§ SSatcrunfer fei, rec^t
oerftanben, ba§ @lauben§befenntni§ ber S^riften^eit, ba§ gemein*
fame mi)t nur, fonbern ba§ einjig auöreii^cnbe; unb gemiß ift
in ber Sieligion, bie im tiefften ©runbc nid)t§ ift al§ perfönlic^e^
SBertrauen auf ben ftc^ offenbarcnben perf anliefen ®ott, bie un»
mittelbarfte £eben§äußerung biefe§ SScrtrauen^, b. 1^. aber bog
®ebet, ba§ eigenttii^e 93e!enntni§, ba§ befte ®ebct alfo ba^ befte
93etenntni§. Qn unferem 3^fömmen^ang aber bürfen mir biefe
SBa^r^eit fo roenbcn: inbem jebe neue Qtxt unb jeber einjclne in
il^r ba§ neu gemonnene 9}erftänbni§ beö (SoangeliumS im neuen
aSerftänbni^ biefe§ ®ebet§ am unmittelbarften, im innerftcn reli*
giöfen Seben felbft oerrocrtet, fo ift baran ganj befonbcr§ beutlic^,
n)a§ mir mit ber Vereinfachung, bie Vertiefung ift, meinen. 6§
ift gerabc auc^ roieber für un§ heutige baö fc^lic^tefle unb in
biefer ©infac^^eit geroaltigftc 3^"9"i^ fö^ ^i« pcrfönlic^c SBcrbin»
bung ®otte§ unb ber ©ecle, in welcher alten gormel unfre ®e*
genmart gerne au^brürft, xoa§ xf)x bie SReligion bebeutet ; aber e§
ift ni^t roeniger ba§ fd)lic^tefte unb geroaltigfte 3«u9niö ber bcnf ^
bar umfaffenbften ®emcinfc^aft, ber ^crrfc^aft ®otte§ über alle
unb allc§: auc^ uufrc mobernften ©orgen finb oon bem Flamen
unb bem SGBillen biefe§ ®otte§ umfc^loffen, ber l^ier unfer Vater
^eißt, unb ben mir um ba§ tägli^e 93rot l^eute bitten bürfen,
l^eute, ba§ gcfiern nod^ nic^t ebenfo mar unb morgen nic^t me^r
ebenfo fein mirb. Ober ba^fclbe, na^ einer befonbercn ©eite unb
in einer beftimmten Veleui^tung auSgebrürft: mie ift in unfrem
188 Pacing: %a2 ^erftänbntd ber 93ibel.
ajerftänbnig be§ SBaterunferö bcr ©rtrag jal^rl^unbcrtelangcn SRin*
gcn§, bic ©in^cit bc§ SRetigiöfcn unb ©tttHd)cn tiefer ju erfaffen,
bcfd)toffen unb für jeben jum ©ebrauc^ bereit! 2lIfo um ipieber
ein ttaffifcfte^ 53eifpiel ju nennen, bic tid^erc ®int|eit be§ betannten
abfi^ä^igcn Urteite über ben 3iötobu§brief bei unfrem SRcfomtator,
be§ ^od)fc^ä^enben bei 93i§marcf; ift boc^ bort ba§ Vertrauen,
für beffen Steinzeit getämpft wirb, Äraft roeltumgeftaltenber fiiebe,
unb ^ier ber treue unb erfc^öpfenbe ®ienft feinet angeftammten
Äönig§ ba§ gelb, auf bem ba§ Vertrauen gu ®otte§ @nabe fi^
beroäl^rt ^). 2lber mit biefem roac^fenben aSerftänbniS be§ SBater*
unferö im ©emufetfein neuer 3^iten unb SWenf^en, menn mir auf
feinen ^n^alt fe^en, ift unzertrennlich oerbunbcn baö mac^fenbe
SBerftänbni^ beffen, bem mir eö ocrbanfen, bc§ ^errn, beffen @c«
btt mir e§ nennen. ®§ mar pon ^aufe au§ nid^t eine fic^ felbft
tragenbe, frei fc^mebenbe ®rö§e, ein Inbegriff oon burc^ fic^
felbft überjeugenben ©ebet^gebantcn. 3)a§ 3wtrauen, fo beten ju
bürfen, mar oon i^m gemirft, ber e§ feinen ^»öngern gab, al§ fie
il^n baten, ba§ er fic beten le^re, unb meli^e 3^wgen feinet eigc*
nen 93eten§ maren. 3)a§ Vertrauen ju Oott al§ biefem SSater
rul^tc für fte barauf, ba§ er i^nen Vertrauen abgemonnen für ba§
3CBort, ba§ nid^t blo§ äöort, fonbcrn %at feinet Sebenö unb ©ter^
ben§ mar: „niemanb !ennt ben 33ater, benn ber ®o^n, unb ben
©o^n, benn ber 33ater" % ©ine unerfc^öpfli^e (Sefc^ic^te ^at
biefem SEBort fc^on l^inter fic^. Oebanfen be§ grie(^ifd)en ®enfen^
oerbanben fxä) mit i^m; al§ ba§ ®ogma, bem man fic^ unter*
merfen muffe, übte e§ ^fo^^^u^berte lang ^errfc^aft. ®tefe ^err*
fc^aft al§ äugere mu§te um be§ ®lauben§ felbft roiHen gebrochen
merben, eine§ um ba§ anbere ber oon 3Kenfc^en Q^m umgelegten
l^eiligen ©emfinber mu^te fallen. 3ene§ 3Bort ftarb nic^t; in ber
Slürffe^r JU feiner urfprünglid^en Sinfac^^eit oertiefte fid) fein
aSerftänbniS, unb feine Unerfc^öpfli^feit fann für un§ übcrgeugenber
fein al§ für bie oor un§. 3)enn mit tlarerem 93erou§tfein fönnen mir
oerftel^en, ba§ unb marum „er felbft bie Sraft feinet @oangelium§" ^)
1) «gl. 8- «. «rief an oon ©cnfft^^ilfac^ 20. Wl&xi 1873.
2) @o. matii). 11, 27 ff.
3) 6 a r n a cf , %a^ Sßef en ber c^r. Üteligion.
$ ä r i n ö : %cS S5erft&nbni§ bct SSibcI. 189
bleibt, bQ| unb roarum nic^t @cban!en, fonbem nur eine ^crfon
„$crf6nlic^e§ feilen" fonn^). grcitic^ roic wir ba§ bann nä^er
oerfte^en, ift ftetö auf§ neue Oegenftanb be§ %ox\6)tn^ unb barum
auc^ bc§ ©treite§. Slbcr ba§ er unb fein ©oangelium für immer
jufammenge^ören, mirb bem ©laubcn, bem e§ aUejeit geroi^ mar,
nur befto beutlii^er; ba§ e§ feine Jäufc^ung geroefen, fonbem
2Intn)ort auf fein 3QBort menn i^n bie erfte ©emeinbe ben ^errn
genannt l^at, mie mannigfaltig axiä) biefe§ 2öorte§ (Sinjelbeutung
mar, ift unb fein roirb. ©etbft bie ®rmeiterung biefer feiner
^errfc^aft über bie irbifc^e SSelt ^inau§ ift längft oon ben 3^wfl*
niffen ber 93ibel oorau^genommen, menn fie fagt, ba| il^m „baS
Sichtbare unb Unftc^tbarc" *) bulbigt, geroi§ ganj in ber ©pra^e
jener Qdt, aber bem tiefften ©inne na^ boc^ eben ba§ alle§ um--
faffenb, roa§ mir je^t bie SEBelt nennen. Unb bie einbringenbften
Unterfuc^ungen ^aben biefe Ueberjeugung nic^t mibertegt, fonbem
gefeftigt: benn feine ^erfon, in i^rer Urfprünglic^feit erfannt,
roiberfte^t ber Sluflöfung in Tlx)ti)\i^ ober ©age; menn auc^ meit-
verbreitet, ift e§ boc^ ein Söorurteit, ba§ bie ©trau^fd)e SWet^obe
ober irgenb eine neue 2lbroanblung berfelben bieö leiften fönne,
e§ märe benn, inbem man bie fonft gültigen SWa^ftäbe gefc^ic^t^
lieber Unterfu^ung ^ier au§cr ©eltung fe^te^).
2lDein tro§ aöebem fönnte un§ ber Oebanfe ju fc^affen machen,
biefeS in ber ©ntmictlung ber 3Jlenf^]^eit fortfc^reitenbc 9Serftänbni§
ber 3Jibel fei, ftrenggcnommcn, nic^t eigentlid) roac^fenbe§ 95er^
ftänbni§ ber 33 i b e l. 33ie(me^r l)ab^ bie 93ibel in ber unermej^s
liefen 9Bed)fetmirfung geiftiger Gräfte bie gefc^ilberten SQBirtungen
allerbingg mit ^eroorgerufen, o^ne ba§ man im einzelnen au§*
machen tonnte, roa§ barin auf i^re SRec^nung ju fe^en fei ; gerabe
barüber aber bürfe tein 3"^«^^ f^i^/ ba§ bie 93ibel nic^t al§ eine
fo eigenartig in fic^ beftimmte Sraft ftc^ au^geroiefen \)abt, um
1) <S4cIIinö.
2) 5. «. ^ol. 1, 16 ff.
3) S3gl. bie ncucrbinö§ roicbcr bcfonberS lefcnöroertcn Urteile ^. SEBeij*
fäcferg in ben ^a^rbb. f. beutfc^e 2:^cologie über ba§ Problem beg ,,8C'
bcng Sefu" unb feine (^tmidlung.
190 Rating: %aS ^erflftnbniS ber S^et
jene SBirfungcn emft^aft al§ aSevftänbniS bcr 93ibcl
felbft in biefer i^rcr urfprünglic^cn (Sigcnort ju bejei^ticn.
S)iefeg 93ebenten Hegt um fo nä^er, aU mx fc^on ju Slnfang ben
©^aratter bcr aSec^fetroirfung aöc^ ©cfc^cl^cng and) auf unfrem
®cbict ftärter betont ^aben, al§ oft gefc^ic^t. 3^^i 53eobac^tungcn,
im biSl^erigen mit enthalten, aber nun auSbrücflic^ ju betonen,
jerftreuen jene§ 53ebenfen. @ in mal, ba| in allen jenen ffiec^feN
roirtungen bie 93ibet fic^ at§ eigentümlich beftimmte unb beftim*
menbe Kraft ertennen lä^t, o^ne t>a^ irgenb bie ®rö§c ber anbcrn
Äräfte nertleinert mirb. 9li(^t fo nämli^ erfolgte jener gortfc^ritt,
ben mir ate gortfc^ritt be§ 93ibeloerftänbniffe§ bejeic^ncten, ba^
eine jebe Stxt gerabtinig an ba§ in ber Dorange^enben erreichte
9Serftänbni§ antnüpfte, fonbern ber gortf^ritt mar jemeilen 3tü(t=
griff auf ben 2lnfang, 3Iufteud^ten be§ alten Si^teS in neuer
©tral^lenbred^ung, barum auc^ nie o^ne Kampf burc^gefe^t. 2)a§
gilt j. 93. Don jener ^eraui^arbeitung be§ mirtlic^en 93ilbe§ 3i^fu,
aber auc^ Don ber ®rfenntni§ ber fojialen 3Iufgabe al§ einer ^flic^t
c^riftlic^er Sölter ober oon ber g^auenfrage. 3)er le^tgenannte
Sali jeigt befonbcr^ Rar, roie fettfam e§ märe, mobeme 53eroe«
gungen birett in eintrieben be§ Soangelium^ begrünbet ju beuten.
3lm ©egcnteit tritt ^iebei mit Siecht uor allem ber ungeheure Um«
fc^mung bcr Kulturoer^ältniffe in§ ^emu^tfein, ber jene 93erein«
fac^ung ber d)riftlic^en Ueberjeugung, bie Vertiefung ift, mac^ ge*
rufen \)at 2lber je rücf^alttofer bie§ betont mirb, befto me^r brängt
fic^ auc^ bie ©inft^t auf, mie bie ®rtenntnt§ unb Söfung biefer
2Iufgabe, fomeit fie übert)aupt in d^riftlic^em @eift gefc^ie^t, in
ber Sat eine 2luferftet|ung ber oft totgefagten unb al^ unprattifc^,
unmobem ©erachteten Söorte be§ 2lnfang§ ift. <3e bemühter j. 93.
bie birette Uebertragung bcr paulinifc^en 2Seifungen über c^rift*
lic^e§ grauenleben abgelehnt mirb, befto lebenbiger mirb bie feinen
SBeifungen ju Orunb liegenbe ©efmnung fi(^ at§ unerfe^lic^e
9torm unb al§ unüberbietbare^ 9Jlotio für bie attuetlften SageiS*
beftrebungen ermcifen. Ober, um jene anbere 3citfrage mieber ju
ermäl^nen: ift 2ut^er§ Semerfung ju ber (Sütergemeinfc^aft in
^erufalem „©^riften fagen nidjt: ma§ bein ift, ba§ ift auc^ mein,
fonbern ma^ mein ift, ba§ ift bein" nic^t mirflid^e§ 3Jerftänbni§
$ a r i n 0 : ^a§ ^erftanbtiii^ ber SBibel. 191
bc§ UrfmnS unb boc^ erft einer neuen Qtxt ganj oerftänblid^, and)
un^ roieber neu?
2)aju tommt nod^ eine anbete ^Seobac^tung. 3)ie 53ibet
fetbft roiH für atte 3^'*^" f^i". ®enauer: bie SWenfc^en, bie i^re
einjelnen ©c^riften oerfafeten, ungel^euer oerfd^ieben nac^ Qtxt,
©Übung, inbioibueHem S^arafter, fmb barin ein§, ba§ i^nen bie
9leligion aüt^ x]t, unb jroar nic^t irgenb eine Sieligion, fonbem
bie, welche fie auf ®runb ber Offenbarung beö lebenbigen ®otte§
SU erleben glauben. ®en)i^, o^ne biefen ®(au6en gibt e§ über«
^aupt teine n)irtung§traftige 9ieIigion. 2lber ba§ 53efonbere biefer
^Religion ift ba§ öeroufetfein, für alle unb für immer ju fein, in
einer fonft unerhörten <3ntenfität. 5)iefe§ ©emu^tfein ift auc^
folgen aufgefallen, bie bamit nic^t eine perföntic^e Stellung ju
biefen Schriften bejeic^nen moHten: feine anbere Sieligion ift in
i^ren ®enfmälern fo abfic^tlic^ ber S^tunf* gugemanbt al§ il^r
gehöriger 3^fw"ft^)- Unb ber ®runb biefer mertmürbigen Sr^»
f^einung fann auc^ nic^t jmeifel^aft fein: eg ift bie ©igenart
be§ ®tauben§, be§ ©laubens an ben lebenbigen ®ott ^eiliger fiiebe,
ber eine ®efc^ic^te ber SWenfc^l^eit roill, meiere ®efc^id)te feinet
SReid^eg, feiner geiftigen ^errfd^aft ift. 93efonber§ c^arafteriftifc^
brürft ft^ jene ßu^^^P^t fc^on im ©emufetfein ber großen ^ro*
Poeten au§: „©iel^eic^ fc^öffe 9teue§", fo aber, ba§ e§ SBoHenbung
be§ fcfton 93egonnenen ift; bie ©in^eit liegt in bem ®ott felbft,
ber biefen ©lauben mirtt^). Unb al§ ba§, n)a§ für fie 2öei§fa-
gung mar, ©rfüHung, mag fic oon ber ß^fi^^ft erwarteten, ®egen'
mart gemorben, ba fteden bie ^erolbe ber ®rfüllung§jeit nic^t
tleinlic^ eine ®renje feft, fonbem ber Jriump^ il^reö ©lauben^
ift, ba§ e§ abermals in unerhörter SBeife ma^r merben roirb:
fte^e ic^ ma^e alle§ neu^). Qa, pe forbem beibemale, auf ber
Stufe ber SBorbereitung unb ber ©rfüHung, ba§ fommenbe SIeue
oorauSne^mcnb, auf ju einem neuen fiieb be§ SobpreifeS auf ben
eroigen ©ott*). Unb nur um fo tiefer ift auc^ hierin bie 93ibel
1) S5gl. So^e, 9mfro!o§mu§» III, 345 ff. 360 ff.
2) «gl. Sefaja ^op. 40 ff.
3) Dffenb. 3o^. 21, 5.
4) ^f. 96. Dffenb. So^. 5, 9. 14, 3. 15, 3.
192 ^ d r i n g : ^a3 55crpänbni8 bcr SMbcI.
oerftanben iporbcn, al§ in ben c^riftli^en ^»ö^r^unbcrtcn bcr ^o^
rijont fiä) immer mc^r crmeitertc, bi§ lüir nun fc^on angefangen
l^aben, bie Sia^ermeiterung be§ @nbe§ in bcr crftcn S^riften^cit
nic^t me^r al§ 2Infed)tung, fonbem al§ ©porn unfrc§ ©laubeng
ju empfinben^).
aSon einer 2:atfac^e, einer nid)t immer beachteten, aber fic^
aufbrängenben 2:atfac^e ift bi§^cr bie Siebe gcmefen : oon bem in
ber SntroidCIung ber SWenf^l^cit ficft oertiefenben aSerftänbni^ bcr
93ibcl. 9lun aber möchte ic^ bie Scbeutung bicfcr XaU
fac^e in ber Äürjc ju oergegcnroärtigen fuc^en, i^re Sebeutung
für bie d)riftlid)e 9teligion felbft unb i^re Sebeutung für unfer
nom ®ntmictlung§gebanfen be^errf^tc^ 3^italter.
gür ba§ S^riftentum. Unb smar meine ic^ ie^t nic^t
bie gcroaltige 3Iufgabe, bie jene Jatfa^e an bie ^riftlic^c ©emeinbc
[teilt nämlic^ ben i^r anoertrauten ©c^a^ noc^ oiel geroiffenl^after
ju erfennen unb auf aßen ©ebicten i^rer Sätigfeit au§jumänjen.
2luc^ nic^t bei ber im beften ©inn einigenben Äraft folc^cr 2Irbeit
möchte x6) ocrmeilen, fo roid)tig fie mir fc^cint: bcnn roic wenig
au§fic^t§DoII alle äußern Union^beftrebungen jmifc^cn ben ^onfef«
fionen auf abfe^bare 3^^^ ^inau§ fmb, fo fic^er fönnte bie ftillc
aSerfenfung in bie ©c^rift einen ©oben innerer Sufammengel^örig«
feit bereiten, aug bem ec^te, ni^t im Sreib^auS gejogene ^rüc^te
gegenfeitigen 9Serftänbniffe§ erma^fen. SBielme^r auf bie 93ebeu*
tung jener 2:atfad)e für ben innerften unb fc^roerften Äampf be§
c^riftlid)en @lauben§ möd^te ic^ ^inmeifen, für ben Sampf um
feine Söa^r^eit, bei bem e§ mirfli^ um ©ein unb Stic^tfein fic^
^anbelt. e§ ift boc^ fo, gegenüber ber grage nac^ ber SBa^r^eit
bcr SReligion übcrl^aupt unb ber Unüberbietbarfeit unferer SReli*
gion in^befonbere erfc^einen alle anberen im einjelnen noc^ fo mic^^
1) %xz an ftc^ wichtige 3^rage, baS S3cr^dltni§ ber Offenbarung unb
i^rcr Urfunbc genauer ju befttmmcn, namentlich ber S'^ac^rociä, warum
bie il)rem 3(nfprurf| nad^ oollenbetc gef^icfttlicftc SReligion gciftiger unb
flttlic^er 3lrt ntrf|t o^ne bcr Offenbarung entfprec^cnbc§ 3«ugni§ fein fann,
barf bei Erörterung beä a:^cma§ in ben ^ier gefterften ©rcnjcn unter«
bleiben.
Rating: ^ad ^erftönbitiS ber ^ibel. 193
tigen fragen loic nic^t§. 9lun ift c^rlic^er Kampf immer Scben
gcmefen; aber e^rlic^ tann man für eine ©ac^e nur Mmpfen, an
beren ©ieg man glaubt. 3)iefe 3uoerfi(^t mirb in manchem fonft
mutigen Kämpfer getat)mt burc^ bie ©orge, bie ©egner fönnten rec^t
l^aben, jmar nic^t mit i^rem oberflächlichen ©pott über ba§ i^nen
oft faft unbefannte G^riftentum, aber mit bem ©ebanfen, ba§ e§,
mie ^errlic^ immer, ja mie fet)r eine l^öc^fte Kraftquelle oergange*
ner 3^iten, fic^ mit ber ßeit erfc^öpft ifabt unb mo^t noc^ einer
überfe^baren 3"^"^!^ 3)ienfte leiften tonne, aber nid^t immer bie
Sßa^rl^eit oon (Sott fei. 3)iefer S^^eifel oeträt ftc^ auc^ bei man*
c^en fonft lauten ^Berteibigem be§ @lauben§ in bem fc^redClic^en
„3^oc^", t>a^ fxd) in il^re Slpotogien oerirrt: noc^ finbe baS SBort
®otte§ ^örer, noc^ übe e§ feine SEBirfung auf baö öffentliche Seben.
©tatt ba§ fie roiffen follten: ber mirtUc^e ©taube ^a^t biefe§
„9loc^'' unb lebt oon bem „3)ennoc^", oon ber ©emi^l^eit feinet
fieben^ tro^ allen entgegenftet)enben SWa^ten, bie i^n tot fagen.
SJiun ift e§ für uns nicl)t me^r möglich, nac^bem mir ba§ ffiefen
ber Sieligion ju r)erftel)en begonnen, in tü^nem glug, etroa mie
einft mit bem 3<^uberftab ^egelfd^er 3)ialeftif, ba§ eroige SWec^t
ber 9leligion unb bie 3lbfolut^eit unferer Sietigion ju erroeifen:
rocber glauben roir noc^ an bie Kraft biefer SWet^obe, noc^ ift,
roas baburc^ erroiefen rourbe, bie ®rö|e, um bie e§ bem c^rift*
liefen ©lauben ju tun ift. Slber gerabe für unfere l^eutigen 3n>cifcf
unb i^re ^eute nötige unb mögliche Ueberroinbung geroä^rt jene
2:atfad^e, bie roir betrachtet, eine wichtige ^ilfe. Unferem junger
nad^ 3Birtli(^teit bietet fic^ in i^r eine SBirfli^teit ber SSergangen^»
^eit, bie boc^ nic^t oergangen ift, bie bi^^er in jeber neuen 3Bir!^
lid^feit fi^ beroä^rt, oielme^r oertieft l^at; unb jroar ein 3CBirt^
lic^e§, ba§ nic^t§ anbere^ fein roiH al§ 3^^9"i^ ber Offenbarung,
b. 1^. aber eben be§ ©ic^roirtfamerrocifen§ ®otte§ in ber roirflic^en
©efc^ic^te, be§ ®otte§, ber feinen innerften Seben^ge^alt in biefer
roirflic^en ®efc^ic^te roirtfam mad^t, eben barum aber aud) immer
neue ©ntroidtlungen l^eroorruft, bamit jene§ ^^nerfte unb Sieffte
immer inniger unb tiefer angeeignet roerbe. Qm ©rieben nun
biefer in i^r gegenroärtig roirffamen ®efc^id)te fc^aut bie d^rift»
lic^e ®emeinbe in bie ä^fwnft mit bem 93ertrauen auf Unüber*
194 ^ dring: ^ai^ ^erfianbniiS ber f&ibtl
roinblic^tcit, ba§ il^r oon SSnfang cingepflanjt ift. ©ie fagt ni^t:
c§ fmb fc^on a^tjc^n Qa^rl^unbcrtc, bic Dom Soangclium leben^
unb noc^ manche rocrben baoon leben; Diclmel^r: e§ fmb erft fec^jig
©enerationen, bie anfangen fonnten, baS ©oangetium auSjuroirten^
biefe aSirtung ^at faum erft begonnen, in 93ejug auf alle§ oben
Oenannte, auf ben innerften SWittelpunft i^re§ ©tauben« wie feinen
@influ§ auf alle ©ebiete be§ Seben§. 2)arum arbeitet fie, wenn
unb foroeit fte biefe§ SSertrauen l^at, fte tlagt unb jammert nic^t,
baju fel^lt i^r bie Qtit; treu in ber ©egenmart ge^t fie getroft
ber 3ufuttft entgegen, roeil fte ber ©migfeit fieser ift.
2Bie bieg gemeint fei, beleuchten fd^on einige ber oben ge*
nannten SBeifpiete (@. 182 ff.), ©ie fmb leicht ju oermel^ren, unb
jmar gerabe in 53ejug auf folc^e fünfte (^riftlid)en ©lauben§,
bie befonber§ oft oon feinen ©egnern al§ Slngriff^punfte ocrmenbet
morben finb. 3- 33. ber ©laube an ©ott, fo wie er in fort«
fc^reitenber SJertiefung in bie 3euguiffe feiner Offenbarung oon
un§ heutigen erlebt werben fann, fü^lt fic^ feine^roegS getroffen
oon ben ©inmänben, bie gegen ©ebilbe einer ©ergangenen S^eo«
logie fid^ erl^eben laffen, etroa oon ben üblichen ©c^ilberungen
be§ 2:^ei§muS ober ®ei§mu§, einer äu^erli^en 2:ran§cenbena
©otte§, über meiere bie übliche ©c^ilberung pant^eiftifc^er Qm*
manenj leicht ben ©ieg geminnt ; jener ©laube roeig fi^ im 53e«
ft^ alles beffen, maS an biefer ^»n^manenj SBal^rl^eit ift, aber
o^ne ben a3erjid)t, ber i^m aU ein angeblich notroenbiger juge*
mutet mirb, mie ber 33erjic^t auf roirtlid)c§ ®tbü unb auf mirf-
lic^e SJerantmortlic^feit. ^n biefer feiner Stellung fielet er fi^
aud^ hinausgeführt ebenfomol^l über ben ganatiSmuS, ber anbem
bie eigene Ueberjeugung aufnötigen miH, roie über bie mirfungS*
arme Joleranj, bie jebem feine Ueberjeugung lä^t, meil im ©runbe
alle Ueberjeugungen gleich berechtigt fmb: bie bantbare greube
über ©otteS fiiebe entjünbct bie Siebe, bie um alle mirbt, aber
niemanb jmingt, roeil jene ©abe reic^ genug für alle, aber mirt*
lic^ Siebe ift.
SReben mir fo oon ber 93ebeutung be§ mit ber ©ntmidtlung
ber aWenfc^tieit road^fenben ©c^riftoerftänbniffeS für bie c^riftlic^e
Rating: 3)a8 SJcrftänbniS bcr SBibcI. 195
©emcinbe, fo boc^ jugtci^ uniüiüfürlic^, roeil mit innerer 9tot*
roenbigleit, oon ber SBebcutung biefer Satfa^e für
bie SWenfc^^eit überl^aupt unb jumal für bie SJlenfc^^
l^eit unfrer 3^**- 9iäntHd) weit wir i^re ©ebeutung in ©ejug
auf ben ©ntroicflungSgebanfen cnoägen ; biefe ^bee aber ift bie
eigentliche 3^tth:ötibee be§ mobernen ®eifte§. SBon biefem König
ber ©ebanten in ber heutigen SEBelt lä^t fi^ freiließ im SBorbei^
flehen nic^t roürbig unb erfolgreich reben. 2lber einem ®efamt*
einbrucf barf ic^ mol^l im ©inoerftanbnig mit aßen gafuttäten
SlBorte leiten. 91a^bem ber ©ntmirflung^gebante, urfprünglic^
auf bem ©ebiet be§ perfönlic^en £eben§ unb ber ©efc^ic^te ^ei*
mifc^, auf ba§ ber 9laturforfci^ung übertragen, ^ier ungel^eure ®r»
folge errungen, fo leuchtet fein (Stern, befonberi^ feit er nun roieber
auf ha^ ber ©efc^i^te jurüctoerpflanjt mürbe, nic^t mel^r in bem*
felben ®lanje, mie noc^ oor turjem. ©egen feine SSermenbung
alg Sc^lüffel für aße Siätfel unb ba§ SSelträtfel felbft ergeben
fic^ immer ftärtere 93ebenfen. ®er Unterfc^ieb ber naturmiffcn^
fc^afttic^en unb tjiftorifc^en 9Jletl^obe mirb bur^ tief einbringenbe
Unterfuc^ungen immer bringlic^er. 2lber auc^ auf bem Siaturgebiet
felbft erfd^eint jener ©ebanfe je länger je me^r jmar at§ fruchtbarem
]^euriftif^e§ ^rinjip, um bie gormen be§ @ef(^e^en§ ju orbnen,
aber ni^t aU le^tcr rettenber ©ebante, um ba§ ffiefen be§ SSirf»
liefen }u erfaffen. Unb §mar nic^t nur, mie man ja immer ju*
geben mugte, am Slnfang unfereö 6rfennen§ fte^t ba§ gro|e ®e*
^eimm§, fonbem überall tritt e§ un^ entgegen; bie Jiefe ber
Singe ift nid^t ergrünbet, roenn mir il^re Sänge unb SBreite er*
meffen l^aben. 9Jlit ber miffenfi^aftlic^en 9iic^tbefriebigung aber
oerbinben fid^ immer unabmei^barer praltifcl)e ^»ntereffen. 3)ie
Verarmung unfereg ^öl^eren Seben§, bie Sßerflac^ung beg ®emüt§
burc^ bloße ©c^einlöfungen ber legten fragen ober burc^ ftep==
tifc^e 93erjmeiflung an i^rer Sd^barteit mirb mieber in weiteren
Äreifen empfunben. 9Wan beginnt ju bangen oor ber 3»"t)alt§lO'
figteit eine§ 3)afein§, in bem nic^tö @anje», nic^t§ Unbebingte^
fein foH, einer ©ef^ic^te, bie leine ©efc^ic^te me^r ift, roeil aud)
bie großen ^erfönli^feiten au§ il^rer Umroelt reftloö begriffen
roerben foUen. ÜÄan geroa^rt mit Srftaunen, ha^ bie ©ilbung
196 © a r i n ö : %a^ S3crftänbni§ ber S3ibcl.
bc§ S8cr[tanbc§ roäc^ft unb bic bc§ ®^aratter§ oertümmert. 2lu§
aßen biefen ©vüubeu beginnt ba§ SEBort „unenbtic^c Sntroictiung"
feinen btenbenben Qanb^x ju oerlieren, benn wir fangen an }u
betonen, ba§ enbloö boppelfmnig ift: o^ne ®nbe nic^t nur, ba§
befeuert, fonbem au^ ot)ne ^id, ha^ läbmt. 3)aju tommt, ba§
bie ©rroeitcrung unfrei 2öiffen§ aud^ bic Sinfic^t in bic ©renjen
be§ jroingenben SBiffcnS ücrtieft l^at, ba§ nur nod) ^armtofe
9la^aügler fic^ einbilben, aSBcttanfc^auung entfiele überhaupt auf
bem SBeg allgemein gültigen SBiffen^, o^nc Sntf^eibungcn bcS
rooHenben unb fü^lcnbcn ®eiftc§. @in bcrebte§ Qt\6)zn biefer
fic^ roanbelnbcn ©cfamtftimmung ift bic roac^fenbe ^oc^fc^ä^ung
ber Äunft, ftc foH ba§ fonft oerarmenbc Seben oertlären. 3Iber
roir erfahren e§ au^, ba| biefe ^oc^erfreulid)e greube am ©c^önen
bie größte ©cfa^r nic^t bannt, bcn SWanget an ffiiHen, ber um
bic ^öc^ften 3^^^^ !ämpft, unb mir laufc^en mieber auf bic ^ro*
Poeten, bie jur %at aufrufen ; bie SQBicberte^r oon ©c^iller§ Jobc^'*
tag unb ba§ ®cbäc^tni§ ber Sieben gic^te^ an bie beutfc^c Sla^
tion finbet ein empfängti^erc§ ®e^ör, aU noc^ oor einem ^a\)x^
je^nt JU erroartcn ftanb^).
Qn biefe Stimmung muffen mir un§ oerfe^en, menn mir
bie Sebeutuug ber Jatfad^e, bic un§ ^eute bef^äftigt l^at, für
unfre ©cgenmart roürbigcn moöen. SBieber einmal gc^t eine
3cit jur Steige, in ber e§ für aufgeflärt galt, ba0 Unertlärlic^e
JU leugnen. SBieber einmal erlebt bie SHenfc^^eit, mag fo oft ber
einjelne erlebt : in ber meiten, großen SBctt »ergibt fic^ mo^l eine
2ßcilc ba§ a3atert)au§, aber mit ftar!er ©e^nfud^t jic^t e§ au§
ber gerne bcn grembgeroorbenen ^eim. Unb bie ^eimat ftel^t
offen. Stielet um bcn ^rei§, ba§ man bie Sc^ä^c, auf ber
SEBanbcrung gefammclt, brangäbe. 9tid^t ju bcn ©öttcrn einc§
au^geftorbenen ^ant^eon merben mir gerufen, fonbem ju ®ott,
ber in feiner Icbenbigen aBirffam!eit 9lntcil an feinem cmigen
Seben gibt, beffen ®cmcinf(^aft bie fü^nften glügc jebe§ ©ntmicf*
lung§träumer§ überbietet, aber bic ®croät)r ber 3Birflic^fcit in
1) S8gl. 91 e i f c^ I c , (S^rtftcntum unb (£ntmicflunö§öcban!c 1898.
aröltfrf), 5)ie 3lbfoIut^eit bc8 O^^riftcntumg 1901. Üieifc^Ie, X^eol.
u. SReliflionägefc^ic^tc 1904 unb bie in bicfcn Schriften ocrrocrtctc fiiteratur.
§ a r i n g : %ad SBerft&nbnig bcr fSibtl 197
fic^ trägt, ffienn fo, fanben lüir, roirft bie 93ibcl unter uniS, bic
fclbft nichtig fein wxü al§ roirffameS 3^"9"i^ ber Offenbarung
be§ lebenbigen ®otte§ in ber ©efc^ic^te: nid)t ate S^ffcI ber
©elbftgeroißj^eit be§ menfcfalic^en @eifte§ ober ber 8Beltbe^errfd)ung,
fonbern innerlich binbenb, nämlic^ SJertrauen roedtenb, binbenb an
bie roertoottfte aSirflic^feit, eben barin befreienb, wie nid)t§ be^
freien fann, ba§ weniger ift aU ©ott felbft. aWerfroürbig, baj5
brüben über bem Ojean, roo bie Sntroicflungen rafd)er, rüd^alt»
lofer unb rücffic^tölofer üerlaufen al§ in ber ölten SEBelt, mitten
im Strom bemegteften fieben§ folc^e Stimmen fic^ mehren, meiere
jurüdt jur 53ibel rufen, jurüdt nic^t im Sinne be§ 9iüctfc^ritt§,
fonbern fo, boJ5 ba§ 3"^^^/ w)^*' ^i" hinein in bie Offenbarung
bc§ ©roigen in ber Qni, ber ftärffte SRuf nac^ oorroärt^ ift. 3)a§
SBiffen, fagt j. 93. ein angefet)ener ameritanifc^er Se^rer, mu|
jum 3)ienfte roerben. 3)a§ SBiffen ibealifiert ben ®ienft, ba§
ffiienen bemohatifiert bie 3Biffenfd)oft. 6in ©entlcman fagt nic^t :
ic^ bin fo gut wie bu, fonbern, bu bift fo gut roie ic^. Unb
al§ Äraft, eine fo ^o^e Slufgabc ju löfen, nennt er bie SReligion,
nic^t irgenb eine üerfc^mommene, fonbern bie ererbte, aber fo, ba&
mir fte, in jenen Sc^ac^t ber 53ibel ^inabfteigenb, neu ermerben,
um fie ju befi^en '). SEBir ^aben fc^on oben un§ erinnert, pon
roem bie§ 3)ienen ftammt, ba^ bie SBclt überminbet.
2)ag aQe^ ift ^ier nic^t au^jufü^ren. ^inroeifen möchte ic^
nur noc^ auSbrüdUc^ auf bie S^rm, auf ba§ ©emanb, in bem
ber Sc^a^ un§ gegeben ift, auf bie Sprache ber 53 i bei.
SJlac^bem nod) unfre Älaffiter einig maren im SRu^me ber 53ibel'
fprac^c a(§ ber auc^ fte felbft jur Älafftjität erjie^enben, mirb
je^t pielfac^ barüber geflagt, ba| fie un§ weithin fremb geworben.
®ie ^atina, bie man an alten Äunftmertcn fc^ä^t, mirb ^ier ge«
ring geachtet, ^n bem SWa^, at§ un§ ber ^n^alt mieber me^r
fein wirb, bürftc auc^ biefc gorm al§ bie ju i^m paffenbc im
SDSertc fteigen. Sollte nic^t unfer „rciafame§" ©efc^lec^t ben 5Rei}
biefer Sprache, fo fern unb fo nal^, fo grojj unb fo oertraut,
neu empfinben? 2lu§ Sel^nfuc^t namentli^ nad) einem für alle
1) Sögt, ^cabob^, %it Sfleligion cine^ ®ebilbeten unb: ber dl^axah
ter 3efu (S^rifti, ©ic^en 1904.
198 ^ a r i n g : %a^ ^erftänbniiS ber ^ibel.
perftänblid)en 2lu§brudt bcr ^ödjftcn SßJcrte, nad^ beni ®nbe ber
jc^igen bab^Ionifdien ©pra^pcriüirrung in SGBcUanfc^auung^f ragen?
Unb unpcrgc^Iic^ foUten fc^on jc^t attcn, bic ©octl^c immer im
SWunbc führen, bie ©rünbe fein, bie er in „Sichtung unb SBa^r^
^cit" für feinen Sßortrag ber ^atriarc^engefc^ic^te angibt: „roeil
ic^ auf feine onbere äBeife barjufteQen raupte, mie ic^ bei meinem
jerftreuten fieben, bei meinem jerftüdelten Sernen bennoc^ meinen
©eift, meine ©efü^le auf Sinen ^untt ju einer ftitten SBirtung
üerfammelte ; meil id^ auf feine anbere SEBeife ben ^rieben ju
fc^ilbern oermö^te, ber mic^ umgab, menn e§ and) braujsen nod)
fo mitb unb munberlic^ ^erging. Qd) oerfentte mic^ in bie erften
83üc^er SWofi§, unb fanb mid^ bort unter ben ausgebreiteten
^irtenftämmen jugleic^ in ber größten Sinfamfeit unb in ber
größten ©efetlfc^aft" ^). SKanc^er SBiberfpruc^ gegen ba§ frü^*
ieitige ^eimifc^merben in bem ^ain ber biblifc^en ©efc^ic^te
unb bie Sinprägung unpergänglic^er SBorte auS i^r mü^te
perftummen. ©erabe bann mürben mir gefc^idtter werben, au8
unfern heutigen Sßer^ältniffen l^erauS, au§ ber Q^xt ber 9)la*
fc^ine unb be§ ®ntmidt(uug<öbegriffS neue SGBorte unb Silber
jum 2lu§brudt ber ^öd)ften SBa^r^eit ju prägen. 2lud^ in i^rer
gorm märe bie 93ibe( nic^t ^emmni§, fonbem Äraft be§ 5ort=
fd)ritt§ für bie religiöfe Sprache.
„aJlan mag bie§ ©nbe f^märmerifc^ finben". Qd) braud^e
abftc^ttidö bie 9Borte in ©rinnerung an ben ^l^ilofop^en ^), ber
bann fortfährt : „ber 2lnb(i(f be§ SQSeltganjen ift überaÜ SBunber
unb-^oefie, ^rofa finb nur bie bef^ränften unb einfeitigen Sluf^
faffungen fleiner ©ebiete be§ ©nbUd^en. 3lber e§ ift nic^t bie
2lufgabe be§ 3)lenfd)en, ben Flamen biefe§ SGBunberä unnü^lic^ ju
führen unb in feiner beftänbigen Slnfc^auung ju fc^melgen".
©oute ba§ nic^t gelten, wenn oom ©rö^eften, oon ©ott unb bem
3)entmal [einer Offenbarung bie Siebe ift? 2lber nur um fo
wichtiger ift e§, auc^ für un§, ba§ 9iäc^ft(iegenbe ju tun unb
jum ©c^lu| bie 53ebingungen ^eroorju^eben, unter meieren
1) ©oet^e, 3lug meinem fiebcn 1. fdu^, 4. ^op.
2) Soöe, 3«ifrofogmug* III, 616. II, 58 f.
Rating: %ad iBerftänbniiS ber f&xhzl. 199
bicfc§ Q\d eineig neuen SBerftänbniffeS ber öibel au^ in ber
(Sntoidtlung unfrei ®efd)Ie^t8 erreichbar ift. 2)ie eine 93e»
bingung ift unbebingte äBa^rl^aftigfeit, unbebingte Slnerfennung
beS äBirfUc^en. @ine$ ertragen mix überhaupt ni^t me^r in
emfter SBiffenfc^aft, SBerfdileierung eine« Satbeftanbeä, am wenig«
ften auf einem ®ebiet, ba§ ein l^eiligeä fein mitt. 2)a8 Siegel
be8 ©ötttic^en ift fieg^afte SBirfUc^feit beg SBertPonften. Sluc^
ber le^te @^ein mu§ perfd^roinben, atö ob e§ in 83ejug auf bie
Sibel etma^ gu per^eimli^en gälte im 9}amen beiS @lauben§.
3)er ©laube, ber feinen SJlamen perbient, ^at nie etmaS ju per*
^eimli^en, er lebt pon ber SBal^rl^eit. SlUe^ au^ in ber 83ibet,
ja in i^r befonberi^ mu^ fo aufgefaßt werben, mie e§ ift. 2lud^
menn eine fromme ©emo^n^eit miberfprid^t ; fte mu^ f^onenb
befcitigt, aber fie barf nid^t feftgel^alten werben. 2llljutange ^a»»
ben piele 3)tenfc^en baS Sud^ ber f^rei^eit als ^nec^tung emp«
funben, roie einen ®ö^en, bem man aberglaubifd^e SJerel^rung
joHen mu^: ni^t nac^ bem ©inne biefeS öuc^S, baoon mar bie
Siebe, fonbem auS frommem unb unfrommem 3Mi§perftanb. ®ie
93equemlid^feit ^at nie bie 3wf"nft für fic^ gel^abt, unb ®r, melier
ber perfönli^e SWittelpuntt biefeS 93u(^eS ift, l^at nid^t gefagt:
„^ä) bin bie ©emol^n^eit", fonbern „bie SBal^r^eit". ^ür bie Untere
fu^ung ber Sibel gibt eiS feine anbem SKa^ftäbe als für irgenb
eine anbere ©djrift. Q^r ^n^alt mu§ fie auSmeifen, wenn fie
etmaS 93efonbere8 ift, baoon gingen mir auS. ®iefen 3i«^ölt
gilt eS immer PoQer unb reiner Pon allem 3ufälligen, SSergöng»
ti^en JU erforfc^en. 3fm fortfc^reitenben SBerftänbniS ber 83ibcl
im @an}en gewinnt bie c^riftli^e ©emeinbe ben ^Ha^ftab ffir
baS einjelne in i^r. S)a§ ift nic^t eine 2lrbeit, l^eute ober morgen
JU PoHenben, fonbem nac^ i^rer eigenen Ueberjeugung erft am Qid
ber @efc^id)te, wenn bie 93ibel il^ren göttlid^en ®ienft an ber
werbenben SWenf^^eit pollbra^t l^at. 2lud) finb Umwege, SRüdf»
fd)rittc eingefc^loffen, ba§ oerftel^t fi^ bei einer wirtlic^ gefc^id)t*
liefen ®rö^e ganj pon felbft. ^n biefem ä^f^nimcnl^ang wirb
aud) o^ne 53ewei§ Aar fein, wa§ je^t nic^t untcrfu^t werben
fann, baj5, wenn bisher immer unbefangen pon ber 93ibel bie
9tebe war, bamit ni^tS über ben Umfang biefer (Schriften
3ettf<^rift für Xfftolo^xt unb Ritdft. 16. 3a^rfl., a. ^eft. 14
200 $ a r i n g : 2)a5 SBerftänbniS ber SBibel.
im cinjclncn ausgemalt rocrbcn foUtc. ^mz^ n)ad)fcnbe ©efamt^
oerftänbniS, pon bcm gefagt rourbc, ba§ eS jum aWa^ftab be§ ein*
jclnen werbe, urteilt, auc^ roieber natürlich ni^t in grablinigem
gortfc^ritt, über bie ©renjen be§ fogenannten Äanon, ber Pon
ber Jtir^e in langer ©ntroirflung anerfannten Sammlung i).
©Triften. Qm @ro^en unb ©anjen l^at fid) il^r Urteil bewährt,
aber ebenfo jnjeifellog ift e§ ftiUfc^roeigenb berichtigt aud) im 93e*
roujjtfein ober boc^ in ber prattifc^en Haltung berer, bie oft nod)
ongftlic^ fmb, biefe 2;atfad)e offen anjuerfennen. ©ie perroerten
nic^t nur im Sllten 2;eftament bie perfd)iebenen Seftanbteile oer^
f^jeben; maS fie nic^t permerten, ift nic^t roirffam, alfo au^
für fte nic^t ein roirtlic^er Seftanbteil be§ Äanon^). ®ilt in
ben genannten öejie^ungen bie gorberung, ni^tS S33irtlid)c§ an
ber 53ibel ju oerfc^leiern, junäc^ft i^ren ^^eunben unb Sßere^rern,
fo bod) überhaupt ebenfo i^ren SJeräc^tern, bie nur ein 2luge für
baS aSergänglic^e in i^r ^aben; por bem aSirtlic^en follen auc^
fie ftiHe fte^en, felbft wenn t§ über i^re mitgebrad)ten ^Begriffe
l^inau§ge^t unb i^nen eine neue SEBelt erfd^lie^t.
3)a§ fü^rt JU bem tiefften ®runb aller SBal^rl^aftigfeit auf
beiben ©eiten unb bamit ju ber a n b e r n Sebingung f ortfc^rei«
tenben 93erftänbniffe§ ber Sibel, bie im ©runb jeber perfönlic^
erfüllen mu§, nämlic^ ba§ perfönlidie 9ld)t^aben auf i^ren ;3n*
^alt. Unb biefe§ mirtt bann ma^rl^aft perfonbilbenb, moburc^
fonft größte Unterfdjiebe ausgeglichen roerbcn. ©c^on oft ift e§
bem tieferen 93eobac^ter unferer fc^roäbifc^en Sanbbeoölferung auf»
gefallen, wie piel malire SBilbung andj über baS religiöfe ®ebiet
l^inaug fie il^rem innigen SBerte^r mit ber SBibel perbantt. 9lber
ebenfo merben ^ödfjftgebilbete burc^ ba§ fieben in i^r ju ß^arat*
teren, bie anbern ©inbrudf machen, oft ol^nc ba^ fie bie SBurjeln
biefer Äraft fennen. @o meinte e§ n)of)l 9tobert 3Jlaijer, wenn
er einem bamalS berüfimtcn 2;f)eologen, bem bie SBibel ein per*
gangeneä 93uc^ mar, fagen lie§: man mirb fte Icfen, wenn Q\)xe
^43üc^er nid^t mel^r gelefen werben. Sticht jum 93emei§ fei baS
1) ^gl. bag im ^auptpunft, Pon ben aa^Uofcu ©injclftrcttigfeitcn ab=
gcfc^en, rocit^in ^ufammenftimmenbe Urteil öon 9(. § a r n a cf unb 2 f).
3af)n.
© ä r i n 9 : 5)ag SBcrftanbnig bcr S3ibcf. 201
gefagt nur jur Qttwft^^tion. @r, ber auf wenig ©citcn feine
roeltumroäljcnben ©ebanfen üon ber ©r^altung ber Äraft bärge*'
boten, raupte oud) in ber SBelt be§ innem unb eroigen Bebend
bie J?raft ju fc^ä^en, bie fällig ift, roe^felnben formen fid) roirf«
fam JU erroeifen, unb alg 3^wgni§ biefeiS ^öd^ften fieben§ fc^a^te
er ba§ ©uc^, mit bem ju üerfel^ren nid)t SBerte^r mit einem 93uc^,
fonbern mit bem @ott ift, t)on bem e§ jeugt.
^oc^anfe^nlic^e SBerfammlung ! Sffiir feieren jum 2lnfang ju*
xM, ju bem SBa^lfpruc^ bei^ ^aufe^ 9Bürttemberg in großer Qzit:
Verbum Dei manet in aetemum. 3BeI^ ein ®egenfa^ jroifdjen
bamalig unb ^eute: bamal^ ber beginnenbe Serritorialftaat im
ftc^ auftöfenben JBaterlanb, l^eute ba§ roürbige ©lieb unfrei neuen
ffieutfc^cn 9Jei^§: einft eng begrenzte Äultur, je^t ba§ ß^it^^er
ber eiettriaität unb ber ®ef^ic^t§roiffenfc^aft. 2lte gürft be§
mobemen (Staate \)at unfer fiönig fic^ offen betunbet, ebenfo mit
aOSort unb %at fc^on oft fic^ ju jenem alten aOBal^lfpruc^ betannt.
@r fielet barin bie Kraft für bie Erfüllung feiner l^ol^en 2lufgabe
unb ben @runb für ba§ SBo^l feinet Sßotfe^ unter ben ungel^euren
Slnforberungen ber ©egenroart. 9li^t im ©inn ber oielmi^^
brauchten SRebe oon ber ©olibarität jroifc^en 2:^ron unb 2lltar,
fonbern im ©inne ber grei^eit, bie au§ ber ©ebunben^eit an ba§
®roige fliegt, in ber Slutorität unb ^ietät einö geroorben ift,
Unb fo rufen mir ^eute roie immer an biefem feftli^en S^age,
bem ®eburt§tag be§ erliabenen ©djirm^erm au^ unferer Unioerfi*
tat: ©Ott erhalte, ©ott f^ütje, ©ott fegne ben König!
206
aSon
Lic. Sr, mthttiaU,
^n»atbO|enten in ^eibelberg-
Einleitung.
3)ie 93orau§fe^ung für bic folgenbcn ©aricgungen bitbct bcr
nic^t fcltenc ©inbrudf, ba§ man^c ^cutc gehaltene ^rcbigt gerabe
fo anmutet, ate roäre fie üor brei^ig Satiren gel)alten roorben
ober al§ ^ätte fie bamal§ gehalten werben fönnen. Q^ren tiefflen
53en)cggrunb bitbet ber ffiunfc^, einen 53eitrag jur Seantroortung
ber grage ju geben, bie je^t aQe rül)rigen ^^Jfarrer befc^äftigt:
3Bie follen wir p rebigen, um unfrer3^it gerecht
ju werben? 3^ene fo altmobif^ anmutenben ^^rebigten fto^en
aufmerffame ^örer unb Ärititer burc^ jroei fid) oft fe^r bemert-
bar mac^enbe ©igenfc^aften: einmal entfpringen fie einer 2luffaffung
Dom ©oangelium, bem ^n^alt ber ^rebigt, bie burd) bie
2lrbeit ber 2:^eoIogie ber legten Qa^rjel)nte ^ier ganj übermunben,
bort f et|r gefc^mäc^t roorben ift ; unb bann reben i^äufig finge unb
treue aWenf^en auf ^ird^ enbef u^er ein, bie in 3Bat)r^eit
einmal in ber Sßergangen^eit ju finben maren, gegenmärtig aber nur
in ber fonftruierenben ^^antafie ber ^erm ^^farrer oorf)anben finb.
Sie antworten auf fragen, bie niemanb fteüt, unb auf bie 3^agen,
bie jleber ftellt, antworten fie nid^t. S)e§ 3lmte§ be^aglic^e§ gö^'
ren ober bie jjeber (Sammlung feinblic^e ^e^e eine§ ftäbtif^en
1) 33ortra0 im babifc^en njiffcnfc^aftlirf)cn ^rcbigcrocrein ju ^ar(g=
ru^e im 3>uni 1^^ (erweitert).
3cltf(^nft für ai)eolO0ic unb Äirc^e. 16, ^a^rg., 8. i^eft. 15
204 91 i c b e r 9 a 1 1 : ®ic mobcme ^rebigt.
^farramtc§ bcförbcrt in manchem, o^ne ba^ er es: mtxtt, bic in
bcn I)öt)cr fteigenben Seben^jal^ren fc^icr unpermeiblic^e SScrfcfti^
gung ber ganjcn 3luffaffung§^ unb ©cnfrocifc, bic er bei anbern
mit leifem SBebauern ober Säd)eln ju geroal^ren pflegt, ffiiefe
äJerfeftigung unb SWec^anifierung ju ^inbern, bie 2lnpaffung an
bte fid) immer neu geftaltenbcn roirtlic^en fiebenSoer^ältniffe glatt
unb miüig üoüjie^en ju l)elfen, baju foü auf unferm ©ebiet bie
SBefc^äftigung mit ber 5^age nac^ ber 2lufgabe ber mobernen
^rebigt beitragen.
3uerft ein SDSort über ba§ SiBort „m o b e r n", über ben ©inn,
in bem e§ oorliegenbe Slrbeit permenbet. @§ mirb in einer bop*
pelten 2Beife gebraucht, ©inmal rein aU 3^itbegriff im ©inn
üon ^au§ ben legten :3al^ren unb au§ unfrer ©egenmart ftam*
menb". 3)iefer objeftioen 53ebeutung fte^t nun eine anbere^ rein
fubjeftioe gegenüber: mobern — bem mirflid^en ©inne unb ^Se^
bürfen unfrer 3^it entfprec^enb. könnte man für bie erfte 93e*
beutung auc^ einfe^en „gegenwärtig", fo trifft ba§ SBort mobern
ben jmeiten ©inn am beften; nod) niel beffer al§ ba§ non ^a*
ring gebrauchte SBort ^jeitgemä^", weil mit i^m ber 2lnfc^Iu§
an bie großen geiftigen fragen unfrer 3^it überf)aupt am beften
angebeutet ift. 3)a^ fic^ ber ©toi} ber einen unb ber ^a§ ber
onbern in biefem SBorte jufammenfinbet, tann fein ©runb gegen
feine SSermenbung fein, wenn e§ barauf antommt, auf menigen
©eiten möglic^ft War bie ©egenfä^e ber 2:l)eorie unb ber ^ayi§
l^erau§jufteüen, mä^renb ba§ Seben ber ©c^attierungcn unb Ueber*
gänge genug bietet.
3)er jmeite ©inn be§ 2Borte§, a(fo ber fubjeftioe SBertbegriff,
l)errfc^t im erften unb im brittcn 2:eit unfrer 2lrbeit oor, mo eiS
barauf an!ommt, ba§ biefer Stuffaffung ber mobernen Sigenart
entfprec^enbe Obeal ber mobernen ^^rebigt auf}ufud)en unb in
Umriffen ju jeic^nen ; ber erfte ©inn, alf o ber rein objeftioe QzxU
begriff, beftimmt bie (Sntmidtlung im jmeiten Jeil, roo eine
Steige oon ^rebigern ber legten ^ö^re in i^ren ^ntereffen unb
33eftrebungen bargefteüt werben foU. 3)iefe 2)arfteUung foU ba*
jn bienen, bie im erften Jeil gegebenen wefentlic^ bebuftio ge«
tüonnenen Umriffe be§ mobernen ^rebigtibeat^ mit einseinen fon^
5R i e b e r g a 1 1 : %k ntoberne ^rebigt. 206
treten QixQzn au§jufütten. 3"9l^^ f^tt in biefem 2:ei(e nic^t nur
bie ^enntni§ gegentüdrtigcr ^^rebiger oietleid^t ^ier unb ba be-
reichert fonbern fie fotten fctbft an bem oor^er oufgefteHten 3Ka§*
ftab gemcffen werben. 9Ber fic^ oicl mit ^eroorragenbcren ?ßre*
bigten unb ^rebigern ju befc^äftigen pflegt, bem brauet nic^t
gefagt ju werben, mie ein folc^er SSergleid^ ba§ Urteil fd)arft unb
ben ©efc^madf verfeinert, wie fid) unter ber 2lrbeit be§ aWeffenS
unb 3Bägen§ unberou^t in einigermaßen nac^ ©elbftänbigfeit
ringenben ©eiftern nermögc ber geheimen SWäc^tc ber 2lnjie^ung
bur^ ba§ SBa^loermanbte unb ber 2lbftoßung burc^ ba§ S33efen§=^
frembe ba§ eigene l)omiletif^e -^beal unb bie ^omiletif^e ^erfön*
lic^teit immer fc^ärfer ^erauöbitbet.
I. Sie äJorauSfe^ungen ber ntobernen $rebigt.
2)a§ 3»i>cal ber mobernen ^rebigt.
SBie foll ba§ 3» b e a t ber mobernen ^^rebigt geroonnen roer^
ben? 2Ba§ ift beun überhaupt ^rebigen? ^rebigen ift bie in be^
ftimmten formen üor fic^ ge^enbe 2:ätigteit einer baju berufenen
religiöfen ^erfönlic^feit, bie au§ i^rem 93erftänbni§ be§ @oange=
lium^ ^erau§ einer gotte^bienftlic^ nerfammelten ©emeinbe baju
oer^itft, auf i^re fragen unb 9tötc Slntmort unb ^ilfe ju finben.
D^ne baß bamit eine ^ier gar nic^t erforberte genaue Umfc^rei^
bung be§ 53egriff§ ^rebigt geboten merben fotl, tann man boc^
auf allgemeine 3i^Piw^"^iii^9 red)nen, wenn man fagt: neben ber
^^erföntic^teit tommen jmei gaftoren in 93etrac^t, bie für bie ^^re=
bigt oon begrünbenber 53ebeutung fmb: um e§ fo au^jubrüdfen,
neben bem 9t o m i n a t i o , bem ^rebiger, muß berücf [id^tigt mer*
ben ber 31 f t u f a t i o , nämtid) ba§ ©oangelium, ba§ er ju oer=
tünbigen ^at, unb ber ® a t i o , bie ©emeinbe in i^rer örtlichen
unb i^eitlid^en 93eftimmtt)eit, ber er e§ oerfüubigen foü.
S)ie moberne ^rebigt müßte fic^ bemnad^ au§ jmei g^ftoren
ergeben : au§ unf erm 9Serftänbni§ be§ @ o a n g e l i u m § unb au§
unferm SBerftänbni^ u n f r c r Stil 5)ag fotten bie jmei Pfeiler
fein, auf benen unfre ganje Unterfuc^ung ru^t. 2öir fagen: Söer
15*
206 ^^iebergall: ^ie moberne ^rebigt.
bcr moberncn 3^it öu§ bcm mobcm ücrftanbeneu ®DangcIium
3icl unb Umblirf, 2:roft unb Äraft bietet, ber prebigt mobern.
SBir muffen alfo juerft fragen: SBie fie^t ba§ moberne
©oangelium unb roie fie^t ber moberne SWenfd) au§?
Onbem id) oorl^er bemerfe, ba§ ic^ in bcn folgenben 2lu§fü^rungen
mir bemüht bin, gan§ perfönlid)s,einfeitige" Ueberjeugungen unb
SSeobac^tungen ju geben, ge^en mir jum Sßerfuc^e einer @rtennt=
ni§ beibcr ®röj5cn mit fotgenber allgemeinen SBorauSfc^ung über:
6§ gab feine >izxt, roo beibe ®rö^en nic^t in innerlicher 53e}ief)ung
ju einanber geftanben f)ättzn, nömli^ in älb^ängigCeit oon einer
britten ®rö§e, bem ®eift ber 3^it- ®^^ ®ciP ^^^ 3^it ift immer
mobern, e§ gab immer moberne 3Jlenfd)en, e§ gab immer mober*
ne§ ®oangelium§Derftänbni§. SBir fuc^en au§ bem ®eift ber 3^it
abjuteiten, n)a§ mir ^eute in beiben Sejie^ungen al§ mobern er*
fennen unb be^upten fönnen.
®er ©eift ber ßeit.
®§ fann ni^t unfre Slufgabe fein, meit eS ju meit fü^rt
unb unfre Gräfte überfteigt, bie neue 3^it i" ben größten ge*
fc^ic^tgp^ilofop^ifd)en Slal^men ju fteUen. ©onft mürbe man etma
biefeS ausführen : fte ift eine weitere ^^afe in bem großen ^^}ro*
je§ ber allgemeinen ©ätutarifation, wie er feit ber 9ieformation
unb SRenaiffance im ®ange ift. ®§ fc^eint, ba^ fie mieber einen
ftar!en SRud in ber 53emegung bebeutet, bie barauf au^ge^t, ba§
3Wittelalter abjuftreif en , beffen c^aratteriftifc^eS Ä'ennjeic^en bie
Unterorbnung aller fieben^gebiete unter bie fird)lic^e SBormunb«
fc^aft mar. S)a^ fie mieber einen ft arten JRudf bebeutet, ergibt
ftd) au§ einer meitoerbreitetcn, allgemein fpürbaren inneren Unruhe,
mie fte immer ftarf ausgeprägten Übergang^jeiten einjumol^nen
pflegt. 3)iefen S^aratter ber ÜbergangS/^eit finben mir in einem
gemiffen imiefpältigen ©runbjug beftätigt, ber fic^ burc^ ba§ ganje
moberne ©eifteSmefen ^inburc^jie^t unb auc^ auf unfern beiben
Unterfuc^ung^gebieten mieberfinbet.
®^ ift, mit einem SBorte gefagt, ber ©runbjug einer b o p*
pelten SReaftion, ber unfrer 3^it '^(i^ ©epräge, il^re Unrul^e
unb 3lot, aber auc^ i^r 93ormärt§ftürmen unb i^re SSebeutung
Sf^tebergall: ^te mobeme ^rebigt. 207
gibt. 9li^t nur bie ©coba^tunci unb Prüfung bcr ffiingc fclbft,
fonbem auc^ eine allgemeine SBa^me^mung füf)rt ju bem aSer=
fuc^, in biefer SBcife ba$ 9Befen unfrer 3^it auöjubrüdten. 6§
fc^eint nämlid) fein unbrau^barer ©^(fiffel jum 3Jerftänbni§ einer
^eriobe ju fein, wenn man fragt: wogegen reagiert fie? unb
roctd^e ©infeitigfeit erl^ebt fi^ in ifjr, bie mieber bie SReaftion ber
nä^ften ^eriobe l^erüorruft? ©o fommt e§, ba^ immer ber ©ol^n
am fc^ärfften roiber ben 93ater fte^t, aber ber Snfel über ben
93ater fiinmeg bem ©ro^oater bie ^anb reid^t. 3)iefer Sidiad^
perlauf gibt ber ganjen ©ntmicflung nid)t nur i^ren äfttietifc^en
SReij, fonbem aud^ ben S)rang, i^r 53efteg auö i^rem ©c^ojje ^er»
au^ju^olen, mie immer ber SEBiberftanb ba§ Se^te an Äraft ^erauS*
^olt unb bie ©infeitigfeit roiber eine ©infeitigteit ©tärfe unb Ori^
ginalität unb in ber ^anb eine§ orbnenben Überlegenben aEBeltroil*
len§ bie größte görberung großer geiftiger ©efamtaufgaben bebeutet.
Raffen mir fo unfre 3^it/ ^^^^ bietet fie reijuolle Rontrafte
unb ftarte ©pannungen genug : einmal jeigt fte noc^ ftarte ©puren
einer 9teaftion gegen bie oerfloffene ^^eriobe einer romantifc^*
fpetutatioen ©eifteiSric^tung, in bem ^iftoriji§mu§ unb 9iaturalii^«
mu§, bem 9telatit)i§mu§ unb 2Wateriali§mu§ ; unb biefe ganje
@eifte§ric^tung ^errfc^t noc^ weithin in gebilbeten unb ^albgebiU
beten ©d^ic^ten. daneben aber ^aben mir bereits eine ftarte
iReaftion ber feelifc^en Jicfe gegen bie Dberfläd)entuttur, ein 93er*
langen nad) bem 5Rei(^ be§ @emüte§ unb ber ^^antafie. ©o ift
ba§ ^räfen§ jum 2:eil eine 9tac^n)irfung be§ ^erfeftumS unb
3[mperfettum§, hinter benen ba§ Pu§quamperfeftum liegt, aber
fc^on ragt fe^r ftarf in ba§ ^röfen§ ba§ futurum l)erein, ba§
fi^ in mancher feiner Jenbenjen mieber mit bem ^lu§quamper»
feftum berührt.
3)iefe ßmiefpältigfeit wollen mir nun auf jujeigen
oerfud^en juerft im mobernen 93erftänbni§ be§ ©pangeliumS unb
bann im fogenannten mobernen 2)tenf(^en. Qm le^teren
ift fie ol^ne ßn^^if^l ^i^l ftärf er ausgeprägt ; aber fie fc^immert auc^
burc^ bie 9JJannigfaltigfeit unb ben ©egenfa^ in unfrer t)eutigen
t^eologifc^en 2trbeit an bem 93erftänbniS beS ©DangeliumS ^inburc^.
208 91 i e b e r 9 a U : ®ic ntobernc ^rebigt
A. ^üd mobente dbangeHitiitdberftfttibnid.
S)cr jroiefpältigc ß^araftcr bc§ 3^it9^iP^^ fpi^fl^H fid^ wicbcr
in bcr mobcrnen J^cologie , infofern fie einmal f r i t i f c^ unb
bann p o f i t i p ift.
1. Qn erfter Sinie gibt il^r bie fritifc^e Slrbeit be§
vergangenen 3ö^rl)unbert§ i^r ©epräge. S)ie ganje überlieferte
Se^re, faft bie ganje biblif^e Söelt, piel alter 93rauc^, ift il^r
jum Opfer gefallen. 9tid)t§ roar fo l^eitig, ba^ bie ^änbe ber
JEritit jum ©ntfe^en ber ^ietät unb ber 2lutoritat nic^t ge*
roagt l)ätten, bie ©runblage unb ben SKufbau tüijl ju betaften unb
jum großen Seil ju üerroerfen. Sbenfo n)ie in bem großen ^roje^
ber ©ätularifation bie anbern fieben^gebiete, ba§ redjtlic^e, ba§
politifc^'^bürgerlidie, ba§ fünftlerifd^e unb roiffenfc^aftlic^e auä ber
religiö§4irc^lic^en 3Jormunbfc^aft entlaffen würben, fo greift je^t
biefe @d)eibung auc^ ba§ mit bem religiöfen Seben pon ber ©c^rift
unb 2:rabition ^er oerbunbene 3)enfen an. ®iefe 2luflöfung aller
aSerbinbung, bie ba§ religiöfe Seben mit ben pcrfc^iebenen Seiten
be^ menfc^lic^en @eifteöleben§ in Qtxtm gefc^loffen ^atte, mo beibe
Steile einanber ju i^rer Kräftigung beburften, l^at eine immer
größere Einengung bes; religiöfen Seben§ jur golge; aber nur
fc^einbar, benn in SBirflic^teit wirb an Siefe unb Kraft gemonnen,
ma^ an Umfang eingebüßt loirb. Unter biefem ©efic^tspuntt
muffen mir auc^ bie Trennung beurteilen, bie gegenwärtig bie
meiften ©^merjen ju machen fc^eint, nämlid) bie 2:rennung ber
Sieligion üon ber alten J^eologie unb i^re Unterfc^eibung oon
jeber 2:^eologie. üJlan fann e§ gut nac^füt)len, wie biefe 2lrbeit
ber Kritif manche in 3orn ober in äJerjmeiflung bringt, meil fie
i^nen entmeber i^ren ©lauben felbft antaftet ober bie 3?eligion im
(Stauben nadEt mie ein ^ilflofe§ Kinb in ben rauben SBinb ber
Strafe fe^t. 2luc^ bie 9tefignation unb bie ©ntrüftung berer ift
JU perfte^en, benen e§ fo porfommen will, al§ ob bie unermüb*
lic^e, rüdfic^t^lofe 2luf^ellung ber ge^eimni^potlen Offenbarung^*
jeiten burc^ bie eoolutioniftifc^e aWetbobe @otte§ Offenbarung unb
3Balten bebro^te unb burc^ genauer erfannte, feinere Kaufalju*
fammen^änge erfe^en wollte. 9tac^bem bie neuere 3iaturwiffen=
fcl)aft ©Ott in SBo^nungsnot gebract)t ^at, läfet it)m bie t)iftorifc^*
91 i c b e r g a U : 5)ic mobemc ^rcbigt. 209
fritifd)c, im ©inn bc§ ©ntiüidEIungSgcbanfenS betriebene ®efc^id)t§*
roiffenfc^aft gar feinen 9taum mti)v, um in feiner nad) ^riftlid^cr
Sluffaffung eigentUc^ftcn 3)omäne, ber 9Jlenfc^engefd)ic^te, ju roirfen.
Sie bem mec^anifc^^materlaliftifc^en ©cifte ber 3cit entftammenbe
?5orf^ung^metl)obe fc^lingt bic SWafc^en ani) jmifc^en ben großen
Offenbarung^trägern unb i^rer Ummelt immer enger, fo ba| fic^
bie aWaffe i^rer ©ebanfen unb 93cftrebungen o^ne gro^c SWü^e
QU§ immer Harer merbcnben Quellen ableiten lä^t.
2. 3)iefe 9töte I)aben immer mel)r oon ber Oberfläche ber
©ebanten unb aSorftellungen in bie 2:iefe gebrängt unb bie ®'u
genart be§ religiöfen Seben§ fomie bie Offenbarunggftätte ber
©ott^eit bort fu^en laffen, mo bie gar nic^t ableitbare Origina*
lität ber ^erfönlid)feit be§ Äaufaljufammenl^angg fpottet unb ju*
gtei^ auf ben Krümmern alter ^errlic^!eit ganj neueö unb oiel
größeres Seben ^erüorf priesen lä§t. ®§ ift nic^t fo, ba^ mir au§
ber yiot eine 2:ugcnb gemad^t Ratten, fonbern bie ganje gü^tung
unb Seitung be§ geiftigen SebenS burc^ @ott i)at burc^ bie SSer*
nic^tung be§ geringeren Sllten beffereö 9]eue§ an ben 2:ag gebrad^t.
aSBir feigen e§ al§ eine gro^e Sereid^erung an, wenn un§ bie SReattion
gegen bie ©infeitigfeit ber ^ritif unb ba§ 93ebürfni§ nac^ SGBa^r»
l)eit unb 2:iefe bie diriftlic^e SReligion mieber entberfen l^alf.
®iefe SGBelt ber religiöfen ^erfönlic^!eit ^at unfre ganje
Stellung unb 2luffaffung umgeftaltet; fic i^at un§ frei gemacht
üon ber balb fned^tifd) balb jornig getragenen |)errfc^aft ber alten
©ebanfen unb Sßorftellungen. SQBir ereifern un§ nic^t me^r fo
mie früher für ober gegen bie „3) o g m e n", fonbern mir per«
ftel^en fie oon innen, faft möchte man fagen oon unten l^erauö,
al§ jeitlid) notroenbige fieben^äu^erungen eben ber c^riftlid)en
^römmigfeit. ©ntfpred^enb bem ©d}lagroort „bie Äunft al§ 2lu§^
brudf" tonnte man fagen bie „S^eologie al§ 2lu§brudf". ©o tommen
bie 3)ogmen ju fte^en al§ SRefleje ber 3lrt, mie man @ott erlebte,
ober al§ fold)e intetlettuelle Slefleje fmb fie bann allerlei irreli*
giöfen 3Käd)ten preisgegeben. 3)iefe ^etrac^tungSmeife greift auc^
auf bie © (^ r i f t über unb mac^t fie ju einer ©ammlung oon
ßeugniffen einer ftetig auffteigenben SReligiofität. SBaS oorbem
Objett beS ®lauben§ mar at§ bie gefe^lic^ aufgefaßte 2leu§erung
210 5R i c b e r 0 a n : 3)ie mobemc ^rcbigt.
cinc§ flafftfc^cn @Iauben§, baS wirb nun jurüdübcrfe^t in bic
uvfprünglic^e Sprache unb aU SluiSbrucf ocrftanben, bcr baju ein*
labt benfclbcn äöeg oon bcr 2leu^crung in ba§ 3fnnenlebcn ju^
rüdfjugcl^cn, ben ba8 93ebärfni§ bc§ rcligiöfen ficben§ nad^ Älar=
l|cit unb SWitteitung oon unten nac^ oben gefül^rt l)atte. SBir
füllen un§ immer me^r in biefe Qnnenmelt be§ religiöfen fieben§
ein, lernen bie ®efü^le unb ©trebungen nid)t nur erfennen unb
tjerfte^en, fonbem ani) vergleichen unb abfc^a^en, fo bo^ mir i^re
^ortfc^ritte unb SBerberbniffe feftftelten unb bie gäl^lgfeit einer
SJorfteßung, ju it)rer unb ju unfrer 3^it au^jubrürfen, xoa^ fie
}um 2tu§brurf bringen follte, abfc^ä^en tonnen.
©0 fmb mir burc^au§ p o f i t i o gemorben^ in unfern tiefften
^ntereffen bur^ unb burc^ pofitip. aWögen mir and) bie J^ertömm*
liefen gormen ablei^nen, an ben großen emigen ®ütem unb Äräf^
ten l^ängen mir mit ganjer ©eele. S)ie I)errfc^enbe t^eologifc^-
f irc^lic^e Slnfc^auungämeife mirb fic^ baran gemö^nen muffen, ba§
mir biefelbe ©ac^e mit unfern oon ®ott gegebenen 2lugen feigen
unb mit unfern ^änben anfaffen. 2lber ei^ gel)ört eine gro|e,
bur^ grünbli^e§ ©tubium ber gefc^ic^tlic^en ©ntmidlungen ge-
bilbete aSeit^erjigfeit baju, menn man feine 2luffaffung ber ©ac^e
nic^t mit ber ©ac^e felbft oereinerleien unb auc^ anbern 2luf«
faffungen rechten ©pielraum geben foU, bie boc^ nur ©piegelungen
berfelben ®rö|e in einem anber§ gefc^affenen unb geffil^rten ®eifte
ftnb. 3^ebenfall§ I)aben mir feinen ®runb mc^r, länger ju er*
tragen, i>a^ ftc^ unfre ®egner, mit einem bebauernben ober oer*
merfenben ©tid auf un§, pofitio nennen.
3. SWit biefer SBeac^tung ber Sieligion im ©^riftentum l^ängt
ba§ Sntereffe unb 93erftänbni§ für bie anbern SÄeligionen auf
ba§ engfte jufammen. 3)a§ gilt für alle 3«^^i9^ ^^^ t^coretifc^en
J^eologie. Qzig^t bie eyegetifc^e bie Sinflüffe frember SWeligion^^
fgfteme unb reid^e 2lnalogieen ju ®rfd)einungen auf bem au^er*
biblifc^en ®ebiet, jeigt bie I)iftorifct)e ba§ üJBerben ber tird)lic^en
SI)eologie unb bie SSeränberungen religiöfer ©timmung unter bem
©influ^ großer religiöfer Silbungen, fo bilbet bie ft)ftematifd)e
S^eologie, befonber§ bie 2)ogmatit bag gelb, mo bie 2lu§einanber^
fe^ung mit ben anbern ^Religionen bie mi^tigften Slufgaben ftellt.
91 i e b c r 9 a 1 1 : 3)ic mobcrnc ^rebigt 211
©ie^t man genauer ju, mag hinter ben erbitterten kämpfen in
ber gegenwärtigen Il^eologie ftel^t, fo fönnte man bie beiben @eg*
ner etroa mit bief en ©c^tagroörtern bejeic^nen : ^ier S^riftentum,
bort JReligion; ^ier gläubig, bort fromm unb religiöiS. 3)amit
fod gefagt fein, ba§ e§ auf ber einen ©eite mel^r auf ben mög*
lic^ft genauen 3lnfd)Iu§ an ben geiftig^gcfc^ic^tlidien Äompicj an^
tommt, ben man ®l)riftentum nennt, bie anbre Seite aber me^r SGBert
barauf legt, bie ^Religionen ber SDäelt a(§ eine ©efamtcrfc^einung
ju faffen unb ju mürbigen. ©etonen bie einen bie Muft jroifc^en
bem ©^riftentum unb ben anbem Sietigionen, fo legen bie anbem
ben ^auptnad)bruct auf bie in ber großen religiöfen ©efamtbe^
roegung gegebene geiftige 3Mac^t unb Offenbarung ®otte§. @ine
genaue Sefmnung jeigt freiließ, ba^ beibe ein ^robutt ber ge^
fc^ic^tlic^en ©eifteSentmirftung üor Sttugen l^aben, in bem fid^ ber
oon 3efu§ ^errü^renbe gaben mit oielen fonftmofier ftammenben
ju einem ©eroebe oerbinbet. Q^m begeic^nen biefe§ ©emebe mit
bem Flamen S^riftentum, weil i^nen ber oon 3?efu§ ftammenbe
21nteil am roic^tigften unb ber 2lnfc^lu^ an bie gro^e ©ntmidlung
be§ K^riftentumS unb ber Äirc^e unentbe^rlid) fc^eint, biefe legen
ben 9lac^brudt auf bie bem 3Wenfc^en oon ^au§ au§ mitgegebenen
3Womente unb roollen üielen ben 2lnfc^lu§ an bie ^Religion er*
möglichen, benen ber 9lame S^riftcntum unfgmpat^ifc^ ift. 3^ene
fagen „gläubig", meit fie SEBert legen auf bie SBerbinbung mit flaf*
ftfc^en gefc^ic^tlic^en ^erfonen unb 3citc«/ Wefe fagen „fromm",
roeil fie ©ott überall, im Unioerfum, befonberö auc^ in ber 9latur
unb ber ^unft ju finbcn glauben. ®iefe nennen jene eng, jene
^ei^en biefe bafür jerflie^enb, jene betonen ben SBäillen al§ ba§
DorneI)mfte ©tüdf in ber ^Religion, biefe ba§ ©efü^L ^ene for^
bem perfönlid)eg Seben in ber ©emeinfc^aft mit bem perfönlii^en
©Ott, biefe fte^en oft pant^eiftifd)»mijftifd)en Stimmungen nic^t
alljufem. 2lber mit biefer Sc^ilberung foll nic^t fortgefafiren
werben; jum 2tbfc^lu^ nur bie 33emerfung, ba§ c§ nur auf eine
fe^r allgemeine ©^arafterifierung unb eine ganj ftijjen^afte S^iä)>
nung antam, bie im großen unb ganjen bie gegenfä^lidie Stellung
in ber mobernen 2:^eologie gegenüber bem Problem „©^riftentum
unb ^Religion" erfcnnen laffen foll. So fe^r bev Sßerfaffer auf
212 9^ i c b c r ö a n : S)ie mobcmc ^rebigt
bcr mit bcm 3Bortc „S^riftcntum" bcjeid^neten ©citc ftclit, fo
rocnig ocrfcnnt er, ba§ bic anbrc 2luffaffung fojufagen üicl „mo*
bemcr" ift. ©ic entfpri^t olinc ^n^^ifcl oi^I w^^^ir bcr romantifc^*
äftt)etificrcnben S)entroeifc bcr ncueftcn ©egenroart unb mag barum
bcn 3lnfc^cin crroecfen, a(§ ob e§ il|r gegeben fein fönnte, „bie"
SReligion „be§" mobernen SUlenfc^en ju werben. ®oc^ barüber
foK fpäter genauer ge^anbelt werben, wenn mir un§ au§fül|rlic^er
mit bem mobernen ^enfc^en unb ber 2lufgabe ber ®oangelium§*
ücrtünbigung befd^äftigt Iiaben.
B. ^er mobertte ^ettfc^.
Qm folgenben foK ber SSerfu^ gemad^t roerben, neben bie
oielen oorl^anbenen @d)ilberungen be§ mobernen SWenfc^en noc^ eine
anbre SDarfteKung ju fe^en, bie manc^e§ oon bem in biefen 93efc^rci^
bungen ©efagten aufnimmt, anbere§ ^injugefügt. ®anj auSbrücf *
lic^ fei bemerft, ba§ e^ gana uni) gar unmobern märe, ju glauben,
^ber" mobeme SWenfd^ fäl^e fo unb fo aug, alfo jeber, ber mit
33ett)u§tfein in ber ©egenroart lebt. @§ ^anbelt fi^ bIo§ um
bie ^Bereinigung oon @inje(jügen, nic^t um bie Sefc^reibung oon
©injelmenf^en, e§ ^anbelt fic^ um einige Qüc^t, bie im Unterfc^ieb
oon früher bie geiftige ^^gfiognomie ber Qtit be^errfc^en, foroeit
e§ fid) um ba§ religiöfe, d)riftlic^e unb fird^Iic^e fieben I|anbe(t.
^6) oerjic^te foroo^l auf eine Slbleitung aU aud^ auf eine
friftematif^e Slbrunbung. SQäir motten bie Stufgabe fo ju löfen
fud)en, ba§ mir oon äußerlichen Äennjeid)en ju innern Sigen*
fc^aften fortfc^reiten unb foroeit e§ möglid^ ift, ben betreff enben
3ug an einen bctannten mobernen 9iamen ober an ein folc^eS
Sc^tagroort anheften.
1. 2)a§ erfte, ma§ auffatten muß, ift bie Unraft be§ fiebenS.
3eit ift @elb, @e(b ift Sßergnügen. 2tber 3eit ift auc^ ^orfd^en
unb Semen, 3^it ift aud^ Slufna^me ber unglaublid) oielen 6in*
brücfe, bie auf einen auf merff amen unb intereffierten ®eift lo§=
ftürjen. SÖelt unb Seben merben immer intcreffanter, unb in bem*
felben SJlaffe nehmen bie fieute ju, bie fic^ für att bicfe S)inge
intereffieren unb bie bie Seute mit ben SDingen betannt machen
motten. 2Bie oiel Qntereffante^ muß man an fic^ oorübcrfluten
3(1 i e b e r ö a 11 : ^ie mobeme ^rcbigt. 213
laffcn, TDcit man ftd^ bcr gcroö^nlic^cn güHc ber auf einen ein*
ftümienben ©inbrüdte nid)t erwehren !ann! Xxoi^ einer immer Der«
ftänbiger merbenben Körperpflege unb aller S)iätetit beS ©eifteS
ftumpft bie Ueberfülle ber in ber Äon!urrenj immer fc^ärfer mer*
benben SReije ben 3Wenfd)en ab unb jerreibt Sleroen, ®eift unb ©eete.
SJlanc^e tonnen o^ne biefe 2lufregung nid^t me^r leben, anbre
tlagen o^ne bie Kraft, bem SBirbel ju entfagen. 3)a^er tommt
bie ftarfe SRerpenfc^roäd)e, bie fic^ in ber ©e^nfurf)t nad) i^rer
eigenen SHutter, ber 2lufregung, äußert; aber ba§ @nbe ift bie
Unfä^igteit, ftc^ Ju f onjentrieren unb bie bebenflic^e SB i 1 1 e n §*
f^roäc^e ber ©egenroart, bie fic^ in einem SBiberroiHen gegen
jebeg ,,®u foUft" unb in ber ©e^nfuc^t nac^ immer betäubenberen
©enüffen unb feineren Qmpreffionen äußert. ®a§ ift ber meit
verbreitete 3^mmorali§mu§ ber ©c^roäc^e ober ber blafierten ©fepfi^,
ba§ ift bie moberne 9]en)enfud^t, bie alleS füllen, ried)en unb be*
taften mu^, meil man in ba§ 9lei^ ber ©inne t)inuntergefunten
ift. aWan ift fe^r „reijfam" (§äring), b. f). man ift empfinblic^
unb empfänglich für fleinfte 9leijbifferenjen, bie man früher nic^t
cmpfunben. @5 mirb ftc^ aber erft fpäter einmal ^erau^ftellen,
ob man biefe SSerfeinerung ber 9BaI|rne^mung§fät)igfeit mit ber
oerjelirenben ©ud)t nad) immer neuen feineren Steijen ober auc^
nac^ ftärteren ©inbrücfen nic^t ju ^oc^ beja^lt l^at. 3lber oiel*
leicht ift bie moberne Sleroofität teleologifc^ ein SUlittel ju neuer
SSertiefung ber ®rfenntni§ unb be§ Seben^genuffe^. 2)amit ^ängt
ber 3 »n P 1^ ^ f f i ö " i ^ ^n u ^ jufammen. 3Jlan ift eilig unb man
ift ftumpf; barum nur fd)arf umriffene ©eftalten, wenige grelle
JJarben, fd^nell ein paar ftarfe ©inbrücfe, ein paar Siebter auf bie
2)ingc gefegt, nur nic^t fc^ilbern unb langweilig befc^reiben ; benn
man ^at fo oiel auf junef)men unb \)at ju ruf)iger SRejeption !eine 3cit.
3)er moberne 9t e a l i § m u ^ bebeutet ben alleinigen SRefpeft
oor ben J^atfad^en, aber auc^ ben junger nac^ roirflic^er SBirf*
lid)feit um jeben $rei§. SJJan hungert nad^ ber äBirflic^feit ber
©efc^ic^te, be§ ©eelenleben^, nac^ ber SBirtlid^teit auf bem empi»
rifd)en, befonber^ auf bem fojialen ©ebiet. ©ie mag fein luie
fie mill, aber fie mu^ nur ma^r unb ftar fein. Qft fie fc^limm,
um fo beffer; bo^ gibt i^r für ben oerbreiteten ^effimi^mu^ unb
214 Sfliebcrgall: %xz mobeme ^rcbigt
für bic greube an bcv bci^cnbcn Äritif noc^ einen ganj aparten
©efc^marf. SRebenSarten, QUuftonen, @efüf)(§fd)rocl9ereten, ©cban*
!enfgftemc ftelin tief im Äur§. 9Han mü bie ©inge fennen lernen,
nid^t, xüd^ anbre barüber gefagt ober babei gefüllt Iiaben. 93e»
fonberö wirb eine jebe beraubte 93eeinflnffung in innertii^en S)ingen,
jebe ^eud^elei unb Sßerfü^rung jur |)eud)e(ei abgelehnt, ^z eigen-
artiger unb tiefer fi^ bie ^erfönlic^feit jur ©elbftänbigfeit ent*
roictelt, befto weniger ift anf bem SSSege ber Ueberrebung ober gar
be§ 3win9ß"wotten§ ju erreichen. 93ei bem einen oerfd^Iie^t ber
2:ro^, bei bem anbem bie Heufd)t)eit be§ ®mpfinben§ D\)x unb
9Kunb einem jeben SSerfuc^ gegenüber, eine ©emeinfd^aft im 2tu§'
taufc^ über innerliche ®inge l^eraufteKen. .^öc^ftenS Siatfa^en
ma^en (Jinbrucf unb geben 2tnla^ jum weiteren 9lac^benfen, menn
i^re ooHftänbig eigenartige unb freie 2luffaffung unb SSerroertung
geftattet ift. SWan !ann unfrer 3^it ^i^l 93öfe§ nac^fagen; aber
man mu§ i^r ben SRu^m laffen, ba§ fte m a ^ r I| a f t i g ift unb
einen ©inn für ba§ SBa^re ^at. 3)iefer ©inn für ba§ SDBa^re
ftö^t aber oft genug mit ber !ird)(id)en ^rayiS fc^arf jufammen,
bie au§ @eroo^nf)eit ober au§ SRücffic^t auf bie ©c^road^en fic^
mit überlieferten 2tnfd^auungen unb 93räudöen oft leid)ter unb länger
befreunbet, al§ eS bem nüchternen ©inn für bie SBa^rl^eit rec^t
JU fein fd)eint. S)a§ ganje ©c^einmefen unb ©el^aben, ba§ ^at^o^
unb ba§ breite ©efc^roä^, ba§ in unfrer Äird)e ^errfcl)t, mac^t fte
biefen Seuten einfach roiberlict). Unb ber ®eift ©^rifti ift ni^t
roiber fie.
2. ®§ ift nict)t leicht, ben 0 " ^ <^ 1 1 be§ mobernen @eifte§*
unb ©eelenleben§ ju fc^ilbern, ba fic^ fcf)on eine l^od^moberne
©c^ic^t über eine anbere gefc^oben ^at, bie auc^ noc^ ben 9tamen
mobern in 2tnfpruc^ nimmt. 2luc^ ba§ nic^t fpejififc^, nic^t in*
Iiattlic^ aWoberne, alfo bie alten geiftigen unb feelifd)en Qn^alte,
fmb oon bem ganjen 3ug ber 3^it berührt unb oeränbert morben,
fo ba^ nur menige mel|r mit einem geroiffen ftoljen Xxoi^ fx6)
unmobern nennen. 3)iefe brei ©ruppen, bie mobern beeinflußte
alte, bie mobeme im geroö^nlid)en ©inn unb bie I|oc^moberne,
laffen fidj root)l abftratt i^ren aJlertmaten nad) aufftetten unb au§'
einanber galten, aber in SBirflic^feit mögen bie oerfc^iebcnen
9^ i e b c r fl o n : ^ie mobcmc ^rebigt. 215
©timmungcn unb 2:enbenjen burc^ bic 3Wcnfc^cn oon ^cute ^in
unb ^er.
2Bir rooUen un§ miebcr pon unfcrm @efc^ bcr pfpd^ifc^en
Slealtion leiten laffen. 9Bir fe^en ba ein mit bcm SSeginn
be§ fpejififc^ mobernen 3)enfen§, mo ftc^ gegen bie SBor^errfd^aft
ber ©pefulation unb SRomanti! um bie SWitte be§ vorigen Qa\)X'
^unbert§ bie SReaftion ber öefinnung auf bie 9latur ergebt. 9la^
turcrfenntnig unb 9taturbel|errfc^ung geben bem mobernen ®eifteS*
leben fein ©epräge, wie bem mobernen ©emüt feinen ©tolj. Um
2Iu§fü^rungen, bie man fd^on ®u^enbe oon 3Walen gclefen l^at, ju
erfparen, rooDen mir nur an ben großen Äompley oon Ueberjeu*
gungen, Erfolgen, Stimmungen, Hoffnungen unb 93eftrcbungen
erinnern, bie il^ren unübertrefflichen 2lu§bruct immer noc^ in bem
SBorte finben „mie Iierrlid^ meit mir e§ gebracht ^aben". 2luc^
über bie pliitofop^ifc^e ^onfequenj biefer Sntroicflung, ben SWa*
teria(i§mu§, !5nnen mir ^inroegge^n, um ju i^rem un§ intereffie^
renben Ergebnis, bem 33ilbung§pf)iUfter, ju fommen, ben mir oI§
Zpp biefer ganjen ^^itric^tung anjufe^en ^aben unb \a md)t über ben
^oc^mobernen überfeinen bürfen. 2)iefer SSilbung^p^ilifter ift na«
türlic^ über Pfaffen, SHeligion unb Äird^e meit ergaben, ©trau^*
fc^e, SBogtf^e unb 3)arminfc^e 2ßei§^eit laffen i^n am ©tammtif^
mit !ecfer ©timme aüe 9tätfel löfen. 2lüe§ ift retatio, bie alten
SSerte be§ Seben§ oerblaffen oor bem blinjelnben Sluge ber 3Bci§^
tjeit, bie ba roeig, roie e§ bei i^rem Urfprung jugcgangen ift. 9Bie
mit ben ©renjen ber @rfenntni§ bie ©d^ranfen bc§ SebenS fallen,
mie ber t^eoretifc^e in bem praftifc^cn 3Jiateriali§mu§ feinen ge^
treuen 93ruber finbet, ^at man fo oft gelefen, ba§ c§ t)ier nur
angebeutet ju merben braucht. Un§ intereffiert I|ier oor allem
ein§. 2)iefe im ganjen oerfloffene ^eriobe Iierrfd^t nod^ immer
in einer breiten SUlaffe oon foldjen Seuten, mit benen mir al§
Pfarrer jU tun ^aben. 2)er 93ilbung§p^ilifter ift jum materiali*
ftifc^en ^Proletarier unb jum aufgeflärten Sauern geroorben. ®a^
neben l)aben mir in ben fireifen bcr fleinen 83eamten, ber Sauf-
leute, ber ^anbroerfer atigemein biefe Uebcrjeugung al§ Iierrfc^cnb
anjuerteunen. SBir bürfen un^ burc^au^ feiner 2:äuf^ung Ein-
geben: biefe 2lrt über bic ®ingc bcr 9latur unb be^ Seben§ ju
216 9^1 i e b e r ö o n : ^ic mobcmc ^ebtgt
benfcn, bie gefe^Udi^^mec^aniftifc^c Sluffaffung bcr SÖBclt, fei e§ im
materialiftifd)en, fei e§ im ibcaüftifc^cn Sinn, ift unbemugt ober
bemüht über a((e SJoIf^fc^ic^ten oerbreitet, überaß ^at man 3lot,
fi^ bie Sßirflic^teit beffen jum öerou^tfein ju bringen, ma^ nid)t
mit finnlid)er 6rfal|rung nad)gen)iefen werben fann. 9Wag fic^
^ier bie ^ietät unb ba§ |)erienSbebürfni§ bagegen mehren, mag
bort biefe ©eifteöric^tung fc^on ben grinfenben Q\x% be§ ©reifen*
alter§ im ©efic^t tragen, ba§ an allen befferen unb ^ö^eren 2Ber*
ten oerjroeifelt unb ooD ®fet an bem ganjen (angroeiligen ©etriebe
I|offnung§(o§ bem 9lid)t§ entgegenfteuert, alle§ ift bod) oon biefer
2luffaffung§roeife burc^fe^t unb fommt nid^t baoon Io§. S)ie ^o*
lemif be§ alten @(auben§ bagegen ift cbenfo überflüfftg mie bie
fd)onenbe 93eforgni§ ber Oleic^gefinnten. SBir werben unbebingt
nic^t anber§ fönnen, al§ ba§, mag mir ju bringen ^aben, cinju*
jeid^nen in bie Umriffe biefer ©efamtanf^auung. SBir muffen
bem 9leIatioigmu§, mir muffen ber ©efe^lic^teit, mir muffen bem
®mpirigmu§ biefe Einräumung machen, ba§ mir unfer ©tauben,
Streben unb ^offen in bicfen SRa^men ^ineinftellen ober ba§ mir
jene Sluffaffungen unferm ©tauben unb hoffen einfügen; fonft
lönnen mir nimmer auf ba^ 9Serftänbni§ unb ba§ ©e^ör berer
red)nen, benen jene ©efamtauffaffung jum ftarren, alle^ geiftige
Seben mit feinen abfoluten SGBerten ertötenben üJie^ani§mu§ ge*
morben ift. 93rauc^en mir un§ bod) alle mit einanber nic^t grope
©emalt anjutun, menn mir jur 9lnbal)nung eine^ aSerftänbniffe§
mit biefen unfern ©eifte^genoffcn jene Stuffaffung annef)men moU*
ten ; fie ftecft uni^ ja im 93(ut mie i^nen, mögen mir aurf) natür«
lic^ beffer at^ fie in bcr Sage fein, jmifd}en 9tegelmä§igfeit unb
3mang 5u unterfd)eiben unb ben Folgerungen ber Oberfläc^lic^feit
unb ber ©fepfi^ ju entgegen.
Slber noc^ moberner, ^ o c^ m o b e r n ift bie 9teaftion gegen
jene glac^l)cit im Sinn einer tieferen Seben^auffaffung. SBir fmb
einmal mieber fe^r innerlich unb fubjeftio gemorben. 3lur einige
Flamen : Sc^openl)auer ift immer noc^ fel^r mobern at§
^^3^ilofop^ be§ Kulturefel^, it)m jur Seite bie bubb^iftifc^e ^:ßro''
pagauba. ?H e ^ f c^ e tnüpft an Hjxi an, menbet aber pofitio unb
optimiftifc^, ma§ fein griesgrämiger 3Jleifter nur gallig unb negatio
SltcbergaH: ^ie mobernc ^ebigt. 217
gejagt l^atte. @r, bcr gro^c 9tetnfagcr ju aßen SBcrtcn bcr ©c-
gcnroart, bcr 2:obfcinb bc§ ^erbcnd^riftcntum§ mit feiner ©MaDen*
moral, ift boc^ an6) juglcic^ ber fd)(immfte ®egner atter SWaffe
unb Patt^cit überhaupt, ein SRufer jur Steoifton unfrer Sßerte,
}ur ©tär!ung unfrer Qnbioibualität , jur Sßertiefung be§ perfön==
liefen Seben§, unb fo mag er in @otte§ 9tamen fegnen, mo er
fluten miß. SBir ^aben in ben Steigen ber mobernen J^eologen
einige, bie ben !ü^nen Sßerfuc^ gemad)t ^aben, ba§ ©eignen 9t ie^*
fd^e§ nac^ ftarfer ^erfönlic^feit jum Seitgebanfen il^rer S)arfteIIung
oom ®^riftentum ju machen. aWan tann gegenwärtig noc^ ni^t
überfe^en, wie meit ba§ bur^ 5tie^fc^e ermecfte 93ebärfni§ ftc^
nac^ einem folc^en ß^riftentum be§ perfönlic^en Seben§ unb ber
aWänn(ic^!eit umfc^aut. SBie 9iie^fc^e ruft auc^ 2: o 1 ft o i au§
ber Kultur ^craui8, aber in religiös d^riftUc^e 2:iefen doU ©taube
unb fiiebe hinein. S)ie allgemein oerbreitete äft^etifd)e Äultur
ober 3Wobc ift ein beutlic^eö Kennjeid^en ber liier gefd^ilberten
S3eroegung. ^m Flamen ber Kunft erfe^nt ^enrg S^obe
einen neuen ©lauben noD Kraft ber ©rlöfung. @o ftrebt oie*
Ie§ im geiftigen fieben traft jener SReaftion in bie 2:iefe. ^a
manchmal roiH un§ biefe§ Seinen unb ©treben fd)on bebenflic^
unb ungefunb erfc^einen. SWan liebt e§, in Stimmungen ju
fc^melgen, ft^ mit fic^ felbft ju bef^äftigen, fic^ ju beobad^ten
unb JU jergliebern. 9Wan fc^märmt für ba§ Jiefe, ©e^eimni^Dotle,
ÜJlgftifc^c. 9Uben bem uielen anbem, roa^ man geniest, geniest
man auc^ Sieligion. 3lber biefe SReligion ift ein 5^lb, auf bem
fic^ bie ©e^nfuc^t unb ber fublime 9iaturgenu§ famt bem tiefen
©efül^l für bie ©rö^e be§ Unioerfumg äufammenfinben. Qnm
©eroiffen ^at fie nic^t bie enge öejie^ung, bie unfrer c^riftlid)en
^Religion entfpric^t. SJor allem ift biefe moberne 9teligiofität ganj
inbioibualiftifc^, weil fie im ©runbe feinerer @goi§mu§ ift. SJlag
e§ auc^ eine gemiffe feufc^e ©c^eu fein, bie i^nen baoon ju fpred)en
oerbietet, fo fe^lt bod) biefcn SWobernreligiöfen auc^ ber 2:rieb,
fic^ im 2lu§taufc^ ju ftären unb ju bereid^ern, fomie anbere mit
bem, ma§ i^nen aufgegangen ift, ju beglücfen.
3. @§ märe oerfet)rt, menn mir blo^ bei ben rein geiftigen
©emegungen ftel^en blieben, bie fic^ bod^ nur in einer oer^ältni^-
218 91 i c b e r ö a n : ^ie moberne ^cbigt
mä^ig formalen ©d^ic^t unferer 3cttflC"offcn abfpicien; mcl roeiter
reid^t ber 6influ§ bcr fojialcn gragc auf ba§ 2)cnfcn unb
©ebürfcn bcr ©egenroart. 2lltc 3wf*äni>ß ^^^ ^ufammenl^ängc,
bie einft burd^ bic Slutorität ber Äird^e i^re Segitimation erhielten,
fmb neuen SSer^ältniffen gcmid^cn. 3)iefc Iiaben au§ bem ©Dan*
gcUum ganj anbre SBBeifungen unb Äräfte entbunben unb ju einer
oöDigen Umben!ung oielcr c^riftlic^en ©ebanfen unb fird^lic^en
atnfc^auungen geführt; benn roä^renb bie großen göttli^en 9tamen
früher ba§ 2llte rechtfertigten unb feine ©c^attenfeiten teil§ afö
unoermeiblid^e ®rbcnfd^n)ä^c, teil§ a(^ geringe üWängel im SBer»
g(eid) jur I|immlifc^en ^errlic^feit erfc^cinen liefen, ftimmt nun
bie aSerfünbigung be§ ®DangeIiumi8 weithin ein in ben 9luf be§
@(enb§ naä) ®ered^tig!eit unb überbietet il|n burc^ bie gorberung
ber 9lad^ftenliebe, bie ni^t nur 3lImofen, fonbern SRec^t gibt, unb
um ber ©eele roiHen auc^ bie leiblichen SSerliältniffe ber 33rüber
in ®^riftu§ unb ber ©enoffcn ber SSoltögemeinfd^aft beffem roill. —
gaffen mir jufammen, n)a§ ftc^ an SBünf^en in ben un§
jugängli^en Greifen regt, bie ein 9lect)t l^aben, t)on unfrer ^ebigt
berüdtfic^tigt ju werben:
1. S)ie aSaffer be§ SRelatioigmuö fteigen oielen bi§ an ben
^at§. 9Ber ftcf) noc^ feine alte 9teligion bemaliren möct)te, ^at
e§ unenblicl) fc^mer, ba§ feftftet)enbe 9lbfolute ju galten, roo alle§
im 5Ii^&^"* fd)cint, mo ftc^ ba§ 2:ran§jenbente unb (Smige at§
fubjeftioe ^rojeftion beS 93ebürfniffe§ in bie 2tu§en- unb in eine
Uebermelt erroeift. 2)ie moberne S^eologie in i^rer fritifc^en 3lr«
beit I|at auc^ ha§ Q\)xe baju getan, bie 9Kenge unfrer 3tnl|änger
unfic^er unb nerjroeifett ju machen. 2)arum muffen mir mit einem
großen 53ebürfni§ nac^ ® e m i § ^ e i t rechnen, baS auf ber einen
©eite burc^ bie SBenbung nad^ ber 3^nnerlicl)teit ^erüorgerufen
ober oerftärft mirb, aber auf ber anbern nic^t auf Soften beS
SBaI|r^eit§fmne§ ftc^ befriebigen lä^t.
2. 2)cr @fel an ber oerbreiteten materiatiftifd^en fieben^auf^
faffung will Siefe, mill Seben^merte, mill p e r f ö n l i c^ e § S e^
ben, unb lebt in oielen Greifen, bie fic^ ju gut bünfen, um ft^
an bie falte ©emalt ber 9iatur unb ber ©efefee ju oerfaufen.
3)iefem SSerlangen entfpric^t ba§ in ber gegenmärtigen ^^^ilofop^ie
91 i e b e r g a 1 1 : 5)ie mobente ^rebigt 219
l^crrfd^cnbc 33eftrebcn, bic Sßertc, an bencn ba§ ®cmüt ^ängt, bem
SWc^aniSmu^ unb ber ©ntroicflung abjugcminnen, üon bcrcn @cl*
tung unb SBaI|rI|eit fid^ im übrigen ber Sßerftanb nad^ wie oor
überjcugt \)ält
3. 6§ ^errfd^t ba§ Seinen nad) einer neuen Siebe in weiten
Greifen, benen e§ in ber bi^^erigen Seben^fül^rung ju falt geroor^»
ben roar; befonberö bie fojiale 5^age verlangt nad) einer Siegelung
au§ bem ®eift ber Siebe l)erau§, rooju bie ©ebote unb Kräfte
be§ ®üangelium§ i^ren unerfc^Iid)en 93eitrag ju fpenben ^aben.
©0 miU man Seben, Kraft, ^ilfe unb ©lücf für @emüt,
©eroiffen unb SBiUen; aber nur nid^t um ben ^rei§ ber SBa^r-
^aftigfeit unb ©etbftänbigfeit be§ 2)enfen§, nic^t um ben ^rei§
ber SlüdEfe^r jU alten aSorfteKungen unb 2)enfmet^oben. ®ic
atufgabe unfrei ^rebigen§ bürfte fic^ alfo oorläufig bal|in be=
ftimmen loffien: innerhalb ber mobernen 3)entn)eife unb Sßeltan«
fc^auung mit Kraft unb greubigfeit bie Sotfd)aft üon bem ®ott
ber Kraft, be§ Seben§ unb be^ @lüdEe§ ju oerfünbigen.
Qm ganjen fann man fagen, ba§ noc^ feiten eine günftigere
3eit im Slnjug mar für eine neugeftimmte Darbietung eine§ fraft*
ooUen unb erliebenben @pangelium§, al§ je^t. S)ie antimateria^»
liftifd^e SReaftion ge^t tief unb meit, bie antiultramontane t)erl|in*
bert, ba^ bie Siomantif nad) 9tom gel|t unb fc^ärft ben ©inn unb
93Iidf für flare geiftige Kraft. ®g ift bie roid|tigfte Slufgabe, bie
un§ in unferm ganjen Seben roerben tann, bafür }u forgen, bafe
biefer gro^e ©trom nid)t an ben gefd)Ioffenen Kird^türcn oor*
überraufc^t. 2Bir muffen bic antimaterialiftifd)e 5Reaftion üor bem
aSerfanben in ben ©efilben ber 3left^etif unb be§ SW^ftiji^muS
bema^ren. Unb menn e§ un§ au^ nid)t gelingt, biefe Kreife
mieber ju unfrer Kirche jurüdCjubringen, tro^bem fie i^re geinb^
fd)aft gegen ben U(tramontani§mu§ bajit bringen foDte, unb roenn
mir fte auc^ nic^t an unfer ©^riftentum ^eranjie^en fönnen, bann
moDen mir boc^ auc^ an fie benfen in unfrer ganjen Slrbeit, mir
rooUen un§ auf ein ®t)riftentum bcfmnen, mie e^ unfrer 3^it ^n*
fte^t, gteic^mie alle frül^eren 3^^*^^ i^r S^riftentum gefud)t unb
gefunben ^aben, ein ©^riftentum, ba^ bem rid^tigen 3)enfen feinen
2lnfto§, aber bem ^erjen ^alt unb g^ieben unb ber SBißen^^
3rttf(^rift für 2(jcologie unb Äivc^e. 15. ?[a^rfl., 3. ^cft. 16
220 Silicbergall: ^ic mobcme ^tebigt
fd^roäc^e gt^eubigfcit unb ©tdrfung bietet. S)a§ ift ber größte
3ufammcn^ang, in bem unfre 2lufgabe, bie mobernc ^rebigt ju
fuc^en, fte^cn fann.
II. 9Roberne ^rebiger.
SBit rooKen nun eine Stellte oon ^rebigern ber legten ^ai)xt
unb ber ©egenroart an un§ porüberjiclien laffen, um fte einmal
}u prüfen, inroieroeit fie ben eben an bie moberne ^rebigt ge*
fteUten 3lnforberungen gered)t werben unb um bann für unfere
abfd^Iie^enben (Erörterungen Slnfc^auungen unb Qfßuftrationen ju
geroinnen. 3)ie einge^enbe ©efc^äftigung mit oielen ganj t)er*
f^iebenen ^rebigern befreit üon ber ®efa^r, bie ftd) leidet bei
bem ©tubium nur eines einjigen ober einer ©ruppe einftellt. &§
ift ni^t unmöglich, ba^ fic^ für einen Pfarrer bei bem SSerfud^,
pon i^rer 3leu§erung au§ in bie 2:iefe ber religiöfen unb t^eolo*
gifc^en ^erfönlii^teit einjubringen , bie eigene Seic^tigteit er^ö^t,
feinen ©eelenin^alt jum SluSbrucf ju bringen. 3)urd) bie oer*
gleic^enbe Sefc^äftigung mit ganj entgegengefe^ten J^pen fc^ärft
ftc^ nid)t nur ba§ tritifc^e Sßermögen, inbem ftd) ein bemühter
ober unbewußter SWa^ftab herausarbeitet, fonbern burc^ Slnjiel^ung
unb Slbftoßung bilbet ftc^ au^ baS eigene Qhtal ^erauS. hieben
biefcr allgemeinen S3ebeutung foD bie oon unS oorjufülirenbe ®a*
lerie oon ^rebigcrn no^ ben Svotd Iiaben, unS barüber ju unter*
rieten, roa§ in ben oerfc^iebenen Sägern geprebigt roirb, roelc^e
$rajiS JU ben oerfc^iebenen tl^eoretifc^en ©runbanfc^auungen ge-
l^ört, roelc^e Sluffaffung oon ber ©egenroart unb roe(d)e Heilmittel
ftc^ in unferm ganjen eoangetifd)en Kirc^enroefen finben. SBir
ad)teu unfrer 2lufgabc entfpred^enb einmal auf bie Slrt, roie ber
einjelne ^rebiger feine 3 ^ i * beurteilt unb in welchem SSer«
l^ältniS feine Serfünbigung ju ber in unferm ©inn mobernen
Sluffaffung oom ©oangelium fte^t.
SBir get)en oon „red)tS" nad) ,,linfS", inbem mir oon jeber
©ruppe einen ober jroei 35ertreter bel)anbeln. 2)ic SluSroa^l ift
ganj fubjettio unb oft bur^ bie jufällige ^erü^rung mit bem
betreffenben 33anbe ^rebigten bcbingt, ©oroeit eS mögli^ mar.
SüebcrgaH: 5)ic mobeme ^rebigt. 221
ift auf bic oerfc^icbeuftcn 2:gpcn SRücffic^t genommen morben,
j. 33. @ro§ftabt% 3)orf= unb 3fni>wPncflabtprebigten fmb in me^re*
ren SSertretem oorl^anben, um bur^ ben SSergleid^ mit ben oer^»
manbten unb burc^ bie fd)ärfere 9lb^ebung üon ben anberSartigen
2lufgaben unb Söfungen jebem Pfarrer ju Reifen, bag er fid^ felbft
unb feine eigene ®abt unb Slufgabc finbet ; benn e§ gibt fein Qbeal
„ber" ^^Jrebigt, e§ gibt feine allgemeine 9iorm, fonbern jeber ^at
an feinem Orte unb narf) feiner Slnlage jur gegebenen ©tunbe
ba§ ju finben, roaö Qbeal unb 9iorm bebeutet.
Slbotf Stöcfer^) beurteilt unfre Szxt aU f r a n f. ®a§
gilt üon i^rem ®enfen. 6§ ift ein jroeifelnbe§ ©efc^le^t, ein
beftänbiger 3lufrut)r in ben ©eiftern. 3)a§ ^^rlic^t ber SlufHä^
rung uerffl^rt oiele, ba^ fte bem ©lauben untreu iDcrben unb bem
Unglauben verfallen. D^ne 9lut)e fpetutieren fie, fic motlen Don
feiner Offenbarung etroa^ roiffen, ba§ 21. J. mirb in ©egenroart
be^ ÄaiferS für ein aWärd)enbud) erflärt. 9]ur einige SSemunft^
roa^rlieiten tä^t man fte^eu. 2)er Unglaube rüttelt an ben gun*
bamenten ber ^irc^e, bie Seinbc be§ 9leid)e§ ©otte§ fmb eifrig
an ber 2lrbeit, ber ©laube ift bebrol)t. 3)ie 3^it ift frant, ba§
gilt aud) von i^rem fieben. 3)ie Sffielt fd)reit nac^ irbifc^en ©ü=
tcm, SBilltür bel)crrfc^t befonber§ bie ^^ugenb ; ot)ne 3l^nung oon
i^ren ©ünben fmb fte eingenommen oon fid) felbft, biefe gebilbeten
Ungläubigen, unb fterben in il)rem Unglauben ba^in. @in großer
fojialer ^ampfpla^ ift bie ©egenmart. Seiber fte^t bem SBBiber-
c^riftentum fein ftarfer ©laube entgegen, fonbern fo oft nur eine
tote 9ied)tgläubigfeit unb eine fc^laffüc^tige Äirc^e.
2)er f raufen Qdt mirb immer roieber „Zui 33u§e" jugerufen.
3)er einjclne foU aufmachen, ba§ 93olf foll umfef)ren. 3)ie ©nabe
@otte§ fte^t bereit, Kräfte ber SBiebcrgcburt, bie ©eligfeit ©otteö
finb in ^^\\x^, bem ©efreujigteu unb 2luferftanbenen, ju fiaben.
3)amit fommen oiel 2:roflfräfte über ben ©rbenpilger, bamit roirb
Diel 3i«mmer befeitigt. S)ann mirb man feinet ^eil§ geroi^ unb
arbeitet felbft mit am Kampf gegen bie SBelt unb bem 2lufbau
bc§ 9{eic^e§ ©otteS. 3)iefe ©rma^nungen fte^en in engfter 9Ser^
1) 3u ©runbe liegt: ^ie fonntägtic^e ^:prebigt 1902-03. «crltn, 33q^
tcri. ^erlag^anftatt.
16*
222 3'lteber8an:5)ie mobeme ^rcbigt.
binbung mit bcr alten J^cologic. „3Ba§ ^oft bu 3roeiflcr von
beinern Unglauben?" ®^riftu§, au§ ber ^fungftau geboren, roa^t*
Saftiger @ott unb roa^rliaftiger SWcnfd^, ift roa^r^aftig auferftan*
ben, nac^bem er un§ burd) fein 3}(ut erlöft f)at. @§ gibt eine
©inroirfung auf ®ott mittele be§ ®ebete§, eö gibt eine Saufgnabe,
e$ gibt SBunbet. SBcnn boc^ uufre 3^** roieber ben ©tauben
annähme !
©ine fel^r gef^loffene unb ftarfe ^omiletifc^e ^JJerfönlic^teit
tritt un§ entgegen. Q^re Kraft liegt, abgefe^en oon ben immer
roirfung^Dollen, Maren, furjen Sä^en unb ben eingeftreuten ®e*
fd^ic^tc^en, in ber unbeirrten 2lnroenbung bcr großen (Sd)emata:
®Iaube — Unglaube, Kirche — SBelt. ®ie mobeme ^eit mirb im
ganjen al§ ein 9lbfaU gemertet, i^r ß^^^if^I if* ©ünbe unb bur^
53ete^rung ju befeitigen. ^ier fprid)t nic^t ein 9Mann, bem bic
innere 9lot ber Q^it an bie (Seele gegangen unb bem il)r neue^
fi^ aufringenbeg Seben flar gemorben ift. Svoax l^at er rci^eS
3}erftänbni§ unb ^^ntereffe für bie fojialen Slufgaben ber ®egen»
mart, aber bem Sud^en unb SRingen ber mobernen ®eifter, ebenfo
mie allen ©d)attierungeu unb Uebergängen fte^t er bIo§ mit fteifen
®egenfa^paaren gegenüber. 9lirgenbS tandjt ber ®ebanfe auf,
ba§ au^er ber ort^obof^pietiftif^en S^eologie noc^ eine anbre
Sluffaffung möglich unb berechtigt ift. gür bic SBirfung auf bie
SWaffen ift biefe ®infeitigfeit oorjüglid^. 9Bir ^aben loo^l in
©töcter ben Zr)p ber lanbläufigcn, „red^tgläubigen" ober „pofitioen"
^JJrebigtmeife ju erblicfen.
®a§ Sänbd)en Ä e 1 1 er fc^er 'ißrebigten*) mad)t beim ©ur^*
blättern einen fet)r mobernen ©inbrucf. ®^ mimmelt oon fingen,
bie ben S^aratter unfrer 3^it be^eic^nen: ©c^nelljügc, |)oteI§,
9lrbeit§Iofigfeit, ®a§, (Sleftrijität, 3tiefenfapitalien, 3«afd)inenbe^
trieb, fogar ber jur 2)entmal^entf)üüung eiujie^enbe beutfd^e Raifer;
baju fommt eine %ü\lt oon d)arafteriftifc^cn Sdjlagroörtern: jiel^
ftrebig, ©tlaoenaufftanb unb anbere. 3Jlan befommt ben ®inbrud
einer au^erorbentlic^ flotten, realiftifc^en , ja impreffioniftifc^en
Scf)itberunfl§n)eife ; feine **^J^rafen, feine 3)ebuftionen, oft brama*
l) ©amuel Heller, 3tu§0eroäbltc ^rebigten. Bresben, 2eipat9/
3r. SHic^ter.
9{ i e b e r 9 a 11 : ^te ntobeme $rebigt. 223
tifct)c Sjcnen u. f. id. 216er roenn man genauer jufte^t, bann ift
ber ^n\)alt fein anberer al§ ber neupietiftifc^e , b. i), ber burd^
einen ftarfen ®infd)(a9 angelfäc^fxfc^en aWet^obi^muS' befeuerte
^ieti^muS mit ort^oboyer ©runbfarbe. ^t^n^ ber Reifer, 3efu§
ber SJurc^bred^er, ber ©penber neuen Seben§, bie 93efel|rung unb
ber S)urc^brud^ jum Sichte, ba§ neube!e^rte ©otte^finb, bie neu*
gemorbene aßelt, ber re^tgläubige ^aftor, ber Su^c tat unb grie*
ben fanb im 33Iutc be§ Samme§ — ba§ ftnb einige bejei^nenbc
groben. ÄeKer miD roecfen, geminnen, umroanbetn. 9Jlan foH
fic^ in feiner O^nmac^t erfennen, um ftc^ bann uon 3>cfu§ t)etfcu
gu laffen, bann bie SBelt Eingeben unb bem ^errn an feinen oer-
lorenen ^inbern bienen. — 3)a§ möge genügen, um feine ©teUung
ju jeid^nen. ®r ift ein aSertreter bc§ mobernen ^ieti§mu§, ber
fi^ mit SWac^t auf bie 9Wenfc^en ftürjt, um fte ju geminnen, @§
roel^t ^ier eine un§ fet)r fgmpat^if^e Suft, infofern al§ biefe Seutc
mit beiben %\x^tn in ber ©egenmart fte^en unb anftatt bie „®e^
bantenarbeit" be§ ©laubcnö an bcn Opfertob ^lefu ober ein an*
bere§ 3)ogma ju fe^en, ncue§ Seben bringen unb forbern moüen.
3)ie ®(ei^gültigteit gegen bie J^eologie "ber alten ©c^ule mac^t
fotc^e Scutc un^ f^mpat^if^er al§ ctroa einen ©töder. Qebo^
mir motten un§ ni^t täufc^en laffen burd^ ben ©c^ein ; loenn man
mit aOSorten mie 2lrbeit§(ofigfeit, automobil, (Jlcftrijität um ftd^
roirft, ift man noc^ lange nid^t gefc^idEt, bem mobernen SWenfc^en
JU prebigen. @enau betrachtet benu^t fetter biefe ©ac^en faft
nur jur Slnfnüpfung unb ^Uuftration, alfo alö rebnerifd^e SReij^*
mittel. SWan ac^tc j. 33. auf bie äJermenbung be§ aöorteS „jiel*
ftrebig". (£§ ^anbelt ftd) xijxn, ebenfo mie in feinen burc^ gro^e
^(afate mit flingenben mobernen 2^^emen angefünbigten 5ßorträgen
um 3lnIocfung, aber roenn man eine 93el)anb(ung ber burd) ba§
mobeme @eiftc§Ieben angeregten ^Jragen unb 9iöte erwartet, roirb
man mit met^obiftifd)em ^^ieti§mu§ abgefpeift. 2)a§ ift nic^t red)t.
:3mmer^in fc^abet c§ niemanb, menn er fid) oon iljm jur genauen
93eoba(^tung be§ Sebenö unb ju einer intcreffanteren ©prac^e an*
leiten la%t 3»ft bie efflufioe unb abfolute Setrac^tung^meife biefe§
^ieti^mu^ auc^ bem mobernen @eift fremb, fo fpric^t un§ boc^
bie Betonung ber erneuernben Äraft unb bie lebenbige 2lu5brucf§*
224 92ieberga(l: ^ie mobeme ^tebigt.
loeifc an.
auf eine anbete ^örerfc^aft al8 ©töcfcr unb ^eDer red^net
ber ©reiföioalber Uniüerfität^profeffor O e 1 1 1 i ^). 3)a roe^t gleich
ein anbetet, ootne^metet ©eift. SJBeld^ eine otiginalc Ätaft vtx»
binbet fid^ mit einet oft fel|t feinen pfgc^oIo9ifd)en ©atfteHung
bet ©t)tiftenfeele! gteilid^ roiU un§ ba§ Utteil nb^x ben 2lt^ei§mu§
al§ einen petfönlid^ octf^utbeten ®eifte§juftanb ju Iiatt oottom«
inen, peinlich betül|tt auc^ bie ^otemi! gegen bie ttitifc^e 93e^anb*
lung bet 93ibel; abtx baneben, wie oiel gefunbeö c^tiftli(^e§ Utteil
in offenet 2tu§fptac^e ! S)ie ©c^tif t ift nut ein SBeg bi§ jnt Zixx
®otte§, fie ift in götmen unb Sextanten i^ter 3cit S^föfet; roit
btaui^en @ott, roie et ju un§ tebet, ni^t wie et ju 9Wofe, ^e«
faia§ unb ^aulu§ getebet ^at. ®ie äuSbilbung einet feinen
S^tiftotogie fül|tt ni^t jut Uebetjeugung t)on bet SSJal^t^eit beS
2lnfptuc^§ 3[efu, bet 3Weffta§ ju fein. SDBet @otte§ inne unb ge*
n)i§ roetben m\\i, foU fic^ mit ^efu^ einlaffen, in bem un§ ®ott
gtü^t, umfängt unb an fein ^etj jie^t — in biefem ßufammen^ang
fommt fogat bet befannte ©c^ulau^btucf „Uebetmältigt roet-
ben üon ^efu^" DOt. S)ct ^fattet in SSjörnfonS „SStanb" mirb
getabelt, meil et gtofee Sc^aumunbet oetlangt; benn ein ß^tift
foQ ®otte§ Ratten unb i^n übetall fe^en. 3)a§ geiftlic^ unteufc^e
SBefen htx gciftlic^en J^cibeutet mitb ftäftig jutücfgemiefen. OettliS
^[nteteffen liegen in ben gto^en |)auptftagen be§ tetigiöfen SebeniS,
mic eS feinet tf)eotogifc^en ®tuppe entfptic^t : <3efu§, bet ben 93ann
bet böfen fiuft butc^btidjt, bie gto^e aOSenbnng oon ©ünbe ju
®nabe, bet Kampf jmifc^en ®eift unb gleifc^, in bem nic^t äße
©tfal^tungen et^ebenb fmb, bie Söfung bet bun!eln £eben§tätfel
im ©tauben an ben SSatet, bie ^eilSgeroi^^eit, bie SeibenSfd)ule
unb ä^nli^e 2)inge. g^e^tt e§ au^ in unfetn 3lugen an bem
butd^ Siebe gef^ätften JBctftänbuig füt bie 9löte be§ @egenroattS=
menfd^en im befonbeten, fe^tt e§ aud^ an bet ®ttenntni§ be^ fpe*
gießen unb fonttet*ptattifd)en ®inroitfung§jiele§ , fo rooßen mit
Oettli boc^ bie nüc^tetne pfgd^ologifc^e 93eutteilung be$ menfd^*
liefen ®utci^f^nitt§juftanbe§, feine eigene 3ltt, bie S)inge ju fe^en
1) Sßir f)abzn geglaubt unb erfannt. 3"^ölf ^rebtgtcn oon D. ©.
Cetta. ©üterSIol) 1902.
9lieber9a((: ^ie mobeme ^rebtgt. 225
unb ju faflcn, oor allem aber feine mutige Stuffaffung ber tl^co*
logifd^en ©egenfä^e ^od^ anrennen, bie fid^ einen fc^önen, nid^t
immer oon feinen @eftnnung§genoffcn bc^erjigten SluSbrud oer*
fc^afft f)at in bem SBorte, „ba% mir ni^t oon ^efuS au^fd^Iic^en
foUen, roQ§ nic^t ju un§ gehört".
2)ie Sammlung 3[ u l i u 18 Ä a f t a n § ^ ift mit bem a:itel
„Suchet ma§ broben ift" fe^r treffenb bejeic^net. 6§ jie^en fi^
bur^ bie ^rebigten ganj befonber§ tiefe Klänge ^inburc^, in bcncn
bem Jtunbigen bie innerftc Ueberjeugung be§ ®ogmatifer§, gut
öom Äat^eber auf bie Äanjel übertragen, laut unb ftar entgegen*
tönt, ©e^r einbrud^PoH ift bie ^rebigt pom ^öc^ften @ut bem
SReic^ ©otteS, nac^ ber bie ©Triften gremblinge finb, bie i^re
^eimat bei ®ott Iiaben, aber an bie Orbnungen ber SBBelt burc^
bie Siebe gebunben finb, meldte jugleid^ immer tiefer in fein SBefen
^ineinfül^rt. ®a§ mir ®^riften innerlid) mit ber SDBelt abgerechnet
^aben, mad^t un§ oon i^rem ©ö^enbienft, mie j. 93. oon bem ber
öffentli^en ÜJleinung frei. Kaftan fpri^t aud^ einmal über bie
^eil§geroi^^eit, bie @rfenntni§ ©otte§ in 6^riftu§, bie ©rroä^lung
— aÜt^ in ebclpopulärer, jum 2:eil plaftifc^er Sprache mit meni*'
gen Kat^eberftäubc^cn. ®aS mobeme SBerftänbniö be§ ©oange*
liumS mac^t fid^ nur leife, nur inbirett bemerfbar. 53efonbere
©erüdtftd^tigung moberner 93cbürfniffe finbe id^ nic^t. 2lud) iikx
übcrroiegt ba§ 93eftreben, bie großen religiöfen Seben§intereffen
einjuprägen unb ju pflegen, oiel e^er in einer ben ©egenfa^ gegen
bie moberne 93ilbung I|erau8fe^renben at§ ben 2lnfc^lu§ an fie
fu^enben 2trt; benn bie ^rop^eten, f)ei§t e^ in einer Steforma*
tion§prebigt, ftnb nie jeitgemä^e Seute.
2lud^ ^ermann Sd^ul^*) überfe^t feine bogmatifc^e
SReberoeife in bie l^omiletifc^e gorm. ©r bonbelt oon be§ a5ater§
^erj in be§ |)eilanbcig fuc^enber ©ünberliebe, 00m SReic^e ®otte§
al§ bem Sauerteig für ba§ melttic^e Seben, oon ber Siebe ju
^efu at§ ber redeten "ißrobe ber Sünbenoergebung , 00m red)ten
1) „S\xd)ü n)a§ broben ift". ^rebigten oon D. 3. ^aftan. JJreiburg
1893.
2) 3lu8 bem UnioerfttÄtSgotteSbienft. ^rebigten oon D. ^ermann
Sc^ultj. ©öttingen 1902.
226 Sl i c b e r g a n : 5)ie mobemc ^tebigt.
©eiüinn be§ Scben§, üom ^immlifd^cn im irbifc^cn Seruf, rooju
un§ Qefuä neuen ©inn geben will unb worin voix aüt 3Wenf^en
für ba§ SRcic^ ®otte§ fa^en fönnen. ^ütcn foKen roir ung üor
bem S^riftentum ber richtigen 2lnfic^ten unb uor bem SBBeltfinn,
ber un§ unb unfre gamilien anftedten roiß. — 2)iefe ^rebigten mag
man einem ju lefcn geben, ber bejmeifelt, it>ie fo ein SRitf^Iianer
®DangeIium prebigen fann. @r mirb ftc^ balb baoon überjeugen,
mie biefe 2^^eoIogie gerabe barin i^re ©tärfe ^at, ba^ fie fi^
t^eologifc^ richtet ober gar befd)ränft auf bas;, roas religiö8*fitttic^
förbernb ift. 9lur feiten fällt einmal eine SSemerfung ab, bie
mobeme 2lufgaben ftreift unb bann ift fte fe^r oorfic^tig : „mögen
©eroo^n^eiten unb ©ebanfen ber Sßäter, bie un§ lieb maren, neuen
©eftalten meieren, ba§ foU un§ nic^t befremben ; ba§ ift im @egen«
teil ein 93emei§ oon ber immer no^ ®ärung erjeugenben Äraft
bc§ (Sauerteige^." 2lber im ganjcn mill er nid^t auf Mären unb
intellettuell meiter l^elfen, fonbern erbauen, nid^t^ al§ erbauen,
b. ^. gro^e c^riftlic^e ©runbfä^e unb SSJa^r^eiten in einer SBeife
barbieten, mie fie einer mobernen 3luffaffung ber alten ©lauben^-
loa^rlieit entfpric^t. greilic^ crfc^eint oft feine ganje 3luffaffung
j. ©. oom @otte§reic^ unb Seruf al§ eine ju gefd^ictte, ja ju
glatte Söfung ber ©c^mierigteiten, bie fid^ au§ bem Äontraft ber
biblifc^en unb ber heutigen Sage ergeben.
SBil^elm 93ornemann^) bringt in feinen unter bem
Sitel „©Ott mit un§" erfc^ienenen 21 ^rebigten ä^nlid^ mic
|). ©c^ul^, mit bem er ftc^ t^eotogifcft ftart berührt, auf eine
2)urc^bringung be§ fiebenö mit ben Kräften be§ ©oangelium§.
2llle trübenben unb tä^menben 3Jläc^te be§ Seben§ miH e§ un§
überroinben l^elfen unb un^ ju frö^lic^en ©ottegtinbern mad^en,
bie man an i^rem 5^^i«i>«n, i^rer SSorfid^t, 3)emut unb Siebe al§
folc^e erfennen fann. 9Bir Sinber ber mobernen SBclt ^aben
eine folc^e ©rquidtung, wie mir fie in -3efu§ finben fönnen, fe^r
nötig, barum mirb immer miebcr auf ben ©eroinn ber greubig-
feit in ber d^riftlid^en ^Religion SQBert gelegt. 3)ie gro^e, uufid^t*
bare, emige ©eiftc^melt, bie fid) in biefem 2^bzn ge^eimni^ooU
1) ©Ott mit ung. ^rebtgten oon D. 3Ö. «ornemann. «afel 1901. —
Söete unb arbeite. Scipsig 1904.
92iebet0all: ^ie ntobeme ^rebigt. 227
auSroirft, bte un§ in 3^cfu§ aufgebt, mac^t un§ fro^ unb frei.
Sic erneuert ba§ |)er} unb bdi)nt eine Umroanblung ber SScr^ält*
niffe ber SEBelt, befonber§ ber fojialen, burc^ bie ^^anjung ber
rechten ©efmnung an. ©ornemann fpric^t and) einmal Don bem
Öeruf, ber unfern S^aratter bilben ^ilft^ ebenfo n)ie bie ©e-
f^ioifter ein oon @ott georbnete§ SWittel ju biefem Qxüzdt fmb.
^ier finben mix fc^on ganj anbere Slänge; benn e§ wirb
ni^t nur au§ bem mobernen, nä^er SRitfd^lfd^cn aSerftänbniS be§
®Dangctiumg ^erau§, fonbern au^ in bie äußere unb innere ©i*
tuation ber SSWenfc^en ber ©egenroart ^ineingeprebigt. 2lber ber
^auptjroedt ift unb bleibt boc^ bie Pflege be§ ®tauben§ unb ber
Siebe jum ©eroinn eine§ freubigen ®emüte§ unb eine§ ftarfen
liebet)onen ®^arafter§. 3)ie unter bem Sitel „93ete unb ar*
beite" jüngft erfc^ienene ©ammtung oon fünf ^rebigten jeigt
bei größerem 9teic^tum ber ©ebanten unb ©c^roung ber ©prac^e
ba§felbe 93i(b einer feelforgertic^en ^rebigtroeife, bie oom ®t)an^
gelium au§ bie Sejie^ungen ber ©emeinbeglieber ju ®ott, ber
SBelt unb ben 9Mc^ften regeln unb geftalten mill.
2t r n 0 1 b Ä ö ft e r ift in feiner ©ammlung ,?l e u e aW e n-
f ^ e n' ^) mobern in t^eologifc^er |)infid^t — ber ^iftorifc^e &i)xu
ftuig, mit feiner Sreue bi§ in ben Job, in bem er me^r bem
Sdmen al^ bem Samme gleicht, binbet un§ an feine IJa^ne. 2)arin
liegt fein ©ieg unb feine Himmelfahrt, ^n i^m fommen auc^
mobeme 3Wenf^en ju ®ott unb jur JRu^e. Sine moberne Qt'xU
prebigt oon guter Drt^farbe ift bie ©ebanprebigt über :3ef. 40.
®a§ 2luffa^ren mit glügcln roie 2tblcr mirb juerft etroag breit
auf ben Sluffc^mung be§ ^anbelig^ ber 5nl>wftrie, auf g^otte unb
S3olt§ernä^rung bejogen — biefc§ national^ojiale Programm be^
rü^rt in biefcr Slu^fü^rlid^tcit auf ber ftanjel etroa^ unange^
ne^m — , aber bann mirb ber Seyt angeroanbt auf bie 33ebingung
JU biefem Sluffc^mung, nämlic^ auf bie Sntfte^ung einer neuen
SRenfc^^eit, bie burc^ bie Äraft @ottc§ gezeugt, Ijkv arbeitet unb
fc^afft, um fic^ bann in baö emige 5Reic^ ®otte§ mit feinem emi*
gen 3)ienen binüberjuretten; alfo nic^t nad^ bem 33ilbe fmgenber
1) 9lcue aWenfc^cn. «on 3ltnoIb Softer. Öeipsig 1903.
228 ^Hebergall: %iz mobcme ^ebigt.
Älofter^örc, fonbcm at§ inniges 93cr^ältni§ bc§ ©laubcnö unb
ber Siebe ju @ott foH bic cn)ige ©etigfeit, ber bieSfeitigcn ent*
fpred^enb, ausgemalt werben.
®benfal(§ in boppelter ©ejie^ung mobern, alfo in feiner 93er«
fünbigung felbft wie in ber Serücffid^tigung ber fonfreten SSer^ält*
niffe ift 93. 3)örrie§^) in feinem ^rebigtbanb „3) a § ® o a n g c*
(ium ber Slrmen''. ^n i^m tritt neben ben mobemen @ro§*
ftabtprebiger ber moberne Slrbeiterpaftor. ^ier fpri^t ber jur S^eo*
logie ber „S^riftlic^en SBett" gehörige J^eologe ju bem Stanbe,
bem nun einmal bie au^gefproc^cne ©qmpat^ie biefe§ ÄreifeS ge*
^ört. ©tet§ fu^t er bem SJerftanb beS »erbitterten unb irrege*
leiteten Unglauben^ bic ^auptfätje feiner 2:^eologie annehmbar ju
ma^en, in immer neuen SBenbungen bringt er ben |)örern ben l^ifto»
rifc^en Qefu^, ben SBater unb ba§ @otte§reic^ entgegen. 35iefe 93ot*
fc^aft ift non ibm ganj auf bie 5)entroeife ber Seute abgcftimmt,
eine unenblic^ fleij^ige unb liebeuoUe 93ef^aftigung mit ben fojial-
bemofratifc^en ©ebantenfreifen unb ®en!met^oben fe^t i^n in*
ftanb, fein SBort, mag e§ aud^ in^altlic^ gerabe entgegengefe^t
lauten, mcnigften^ formell in bie ®enfgen)o^nt)eiten feiner 3u^örer
einjubetten. ^i) mei^ leinen anbern, ber fo regelmäßig unb fo
gefc^icft genau oon einem $un!te au§juge^en meiß, ber bem 3^n»
tcreffen!rei§ feiner ^örcr unb bem eigenen gemeinfam angel^ört,
um bann i^re ©ebanten oon bem irrigen auf ben feinen ju len!en.
«^ier neigt fic^ roo^l am tiefften ba§ -^ntereffe be§ aSertünbigerS
unb bie SarfteHung be§ ©oangeliumö herunter ju ben roirflid^en
^ntereffen einer ganj unb gar mobern gerichteten |)örerfd^aft. @g
tt)irb nic^t nur ba§ Soangelium angeroanbt auf ba§ Seben, um
e§ JU burc^bringen, fonbcm Dom Seben au§ mirb ^ilfc unb Slnt*
mort im ©oangclium gcfuc^t. ©o rocrben j. 93. mit feinem Sichte
beleuchtet bic grauen- unb bie Sibe^frage, ber 93cruf, baS 93olf§''
feft, bie SRcic^^tag^ma^l, ba§ @elb, bie SBiffenfc^aft. 3)cr Jcjt
tritt jurücf, oft fc^eint ben SRebncr ber 93olf^oerfammlung nur
lofe ber Jalar ju umt)üllen; 2lnlage, ®ebantenint|alt, ©pra^e
meiben ben S^aratter ber ^erfömmlic^en ^rebigt, ber mannen
1) ©öttingen. 5)nttc ^luflage 1904.
Süebcrgall: 5)ie mobeme ^rebigt. 229
ficutcn f^on an ftd^ unangenehm ift. ©rjä^lungen, ©vlebniffe,
perfdnlic^e ©inbrüdte roürjen bie Darbietungen, bic o^ne ^w'^if^t
bie mobernfte ©rf^einung bebeuten, bie wir bi^^er befproc^en
^aben.
(Siner ebenfo gcfc^Ioffenen unb mobernen ©emeinbe, aber bo^
non ganj anberm ©^arafter prebigt O. 93 a u m g a r t e n ^). ®r
^ält feiner UniDerfitätögemeinbe fleißig i^r 93itb, ba§ 93ilb be§
mobernen SWenfc^en nor, mie er, burc^ einfeitige Pflege be§ intet
(eftueUen unb äft^etifc^en SebenS au^ge^ö^It, ^art unb eitel ge-
worben ift. 9tur ber ©inn für bie SBirHic^feit unb ba§ 93ebärf''
ni^ nad^ einem ®egengen)tc^t gegen bie jerftreuenbe SBielfeitigteit
be§ 2ebcn§ bietet no^ |)offnung auf Slneignung ber c^riftlic^en
^Religion bar. 3)iefe fteflt Saumgarten oor feine ^örer unb 2efer
^in aU bie geiftige 9Kac^t, bie ber Unruhe be§ äußeren unb in*
nercn Seben§ einen |)alt am ®n)igen, bem Seinen na^ SRu^e ein
Heiligtum be§ oerborgenen fieben^ mit ®ott, ber Unfid^er^eit im
Seben ein fic^ere^ Saftgefü^l anbietet, aber au^ bie ^^ic^t auf=^
erlegt, bie näc^ften Seben^bejie^ungen unb ba§ Solti^leben c^riftli^
ju geftatten. Um bie§ ju errei^cn, ftellt Saumgarten ben gcfd)ic^t*
lid^en ^t\vi^ in ben SSorbergrunb, bem ®ott ber innerfte ©runb
feine§ S)afein§ mar, ber in feinem fteHoertretenben Opfertob ba§
©rö^tc für bie ÜJlenfc^^eit geleiftet ^at. Oft Hingen auc^ feine
unb tiefe mgftifdie Jone innigfter Slrt burc^ bic ^^rebigten l|in*
burc^. Saumgarten ftellt mieber einen ganj mobernen ^rebiger
bar, ber au§ feinem ganj mobern aufgefaßten ®^riflentum ^erauö
feiner mitten im ©egcnmart^leben fte^enben ©emeinbe barreid^t,
ma§ i^r nötig ift. Sefonber^ intereffant ift für un§, baJ5 er beiben
mobernen Stimmungen entgegentommt, mie mir fic oben gejei^net
^aben : ganj offen fteUt er fi^ aU moberner 9Wenfc^ auf bie ©eite
ber heutigen 9latur* unb ®ef(^ic^t§erfenntni§, aber fein ^auptbe-
ftreben ift boc^, ber mobernen 3^^^iff«n^cit unb Unruhe eine SBelt
ber Äraft unb ber 9tut)e ftarf unb !lar ju bejeugen.
®benfatl§ in einer ganj unb gar gleichartigen ®emeinbe oon
gebilbeten ®egcnn)art§menfc^en, nämlic^ oor amerifanif^en ©tuben*
1) ^rebiflten au§ ber (Segenroart. Söon D. D. ©aumgarten. a:üMn0en
1903.
230 Sfl i e b e r ö a U : 5)ie mobetne ^rebigt.
tcn i)at ^ c a b 0 b 9 ^) feine prdd^tigen 2lbenbanbac^ten gel^alten.
®arum fann er fid^ ganj unb gar bcm Qixq feineS @ciftc§ ^in*
geben, in bem jic^ moberne 2:^eoIogie unb liebeooUe Serfentung
in ba§ gan§e moberne ©eiftei^roefen ju einem frönen 93unbe 5u*
fammengefunben ^aben. SBBelc^ ein ©lüdt mu^ ba§ fein, eine
folc^e ©eele au§juftrömen in eine ©^or üon empfänglichen jungen
Seuten ! ®em SRebner fte^t bie ganje innere 5lot be§ heutigen Se*
ben§, feine raftlofe ^e^e naij ®elb, SBBiffen unb @^re, bie Ueber»
füüe feiner STnregungen auf aßen ©ebieten, bie ironifd^e ©teßung
ber 531afiert^eit ju ben SBerten be§ 2eben§ tlar unb ^ilfeflel^enb
t)or Singen. Unb roie er mit fc^arfem Sluge bie Slöte erfennt, fo
greift er mit feiner ^anb in ben biblifc^en 9teic^tum unb ^olt
oiele überfet)ene ©olbtörner in feinen fnappcn Slnba^ten mit je
nur einem Seitgebanfen ^erüor. ®ott ein ®ott ber ©rfinbe unb
ber 33erge — ba§ ift ber ®ott ber Seben^^ö^epuntte unb be§
3)urc^fc^nitt§Ieben§; auf bie glut t>c^' 3lrbeit bie ®bbe ber ©amm*
lung in ®ott ; ®otteS ®nbjiel mit ber SBBelt mirb nid^t burd^ feine
®efe^e, fonbern bur^ feine Äinber erreid)t; bie Stot be§ mobemen
2eben§ ift, ba§ fo wenige mit feiner '$ü\i^ umgeben fönnen; bie
aSifionen fmb fein 2uju§, fonbern eine Slotmenbigfeit ; bie Äraft
eine§ Sanbe^ liegt nic^t in feinem SBo^lftanb, fonbern in feinen
^bealen; am beften trägt bie eigne Saft, mer noc^ eine anbre ba*
juuimmt; bie 2lufgabe be§ mobemen ©Triften ift, bie moberne
äBelt, fo unreinlich fie fein mag, ju einem neuen Zr)p moralifc{)er
©d^ön^eit umjuroanbeln ; bie ®abe ber 9teligion ift ein 9lame,
b. i). bie perfönlic^e Sebeutung einer ^i^bioibualität für einen
3Wenf(^en, bie ©tetlung eine§ ®otte§finbe§, ftatt einer bloßen S^¥
in ber SWaffe.
aCBer mertt ni^t, roie fein fic^ ^ier ein ma^berroanbter ®eift
in bie ®rö^e unb in bie 9iot ber ®egenroart ^ineinempfunben
^at? SBBer freut fic^ nic^t, bei ^eabobg ju finben, mie in ber alten
33ibel immer noc^ eine ^üUe oon ®ebanfen and) für unfre 3^it
ftecfen, menn man fie nur lieft? S)iefe präct)tige pfgd^ologifc^e
Slnal^fe, bicfe gefc^icftc 9lnfnüpfung unb SSerroenbung ber 2lllegorie
1) ^benbftunben. ^Religiöfe Betrachtungen oon 3^. ®. ^eabobp. ©ie-
Jen, 1902.
91 i e b er Q a U : ^ie ntobeme ^rebigt 231
ma^cn bic ^rcbigtcn intereffant unb unocrge^Uc^. 2Bie mcl tonn*
ten n)ir oon ^cabobq lernen, um unfre SReben ooCer unb — türjer
ju machen!
@in paar ©ro^ftabtprebiger unb bann ein paar 2)orfprebiger
foHen noc^ üor unferm 93lidt Dorüberjie^en.
Sß, Äirm§^) nimmt weniger auf bie Sage unb 3lufgabe
be§ mobernen ÜJlenfc^cn au^brücflic^ Jftürffi^t aU auf eine mo^»
berne 3)arftellung be§ SoangeIium§. SQBenn auc^ natürlich immer
mieber 33emerfungen einfließen, bie fid) auf bie ©egenmart er*
[trerfen (roie j. 93. über bie ©^ulb ber Sirene am 2lbfatt ber ®e*
bilbeten; bie laufc^igen ©cfen in ben mobernen Söo^nungen, in
benen aber feiten jemanb einteert, um ©infamfeit ju fuc^en), fo
liegt bod^ ber 9lac^brudt auf ber mit immer neuer Siebe unb
immer anbern 93lic!en anfe^enben ©c^ilberung ^lefu unb be§ reid^en
Seben^, ba§ man burc^ i^n gewinnen fann. 3)ie (Starte biefer
^]}rebigten liegt in i^rem roirtli^ erbauli^en, rein crbauli^en 6^a*
ratter, ber i^re große Verbreitung ertfärlic^ ma^t.
©enauer in bie Sage moberner ©ebilbeten t)ineingeftimmt fmb
bie ^rebigten be§ Seipjiger ^^farrcr^ ^ a r I 93 o n ^ o f f ^j. @r
weiß ba§ ®roße an unfrer ßeit ju faffen unb jur 2lntnüpfung
für feine ©DangeliumSoerfünbigung ju fc^ilbern: i^rcn SBa^r^eit^*
fmn, i^r Seinen nac^ einem bleuen unb ©roßen, i^r SÖBeltbilb,
ba§ ©Ott nic^t oerbrängt, fonbern nur no^ größer erfc^einen läßt,
i^r SSertangen nac^ 3lu§geftaltung be§ eignen Qd), überhaupt aüe^,
mag fic^ in i^r oon neuen Kräften unb SBünf^en einem ftarten
unb großen Äommenben entgegenredtt unb ^fttccft. @e^r gef^irft
fteHt er biefem ©e^nen feine 93ertünbigung entgegen: bie Kraft
be§ gegenroärtigen gciftigen ©otte^rei^eö, ba§ ©^riftentum ber
^nnerli^teit unb ber ©rneuerung ber Seele, ba§ 5Bad)fen über
fic^ felbft f|inaug burc^ Sitten auf bie Jü^rungcn bc^ Seben§;
an biefe ©aben unb ©üter binbet er oft gefd)icft an ißerfonen
au§ ber biblifc^en ©efd}ic^te. SR\d)t nur ^^\n^, fonbern auc^
j. 93. 3^rc^iö§ erfc{)eint a(^ Jräger unb ©innbilb göttlicher Kräfte
unb gü^rung; feine "ßerfon, in i^rer ganjcn l)iftorifc^en SBirtlid^-
1) ^rebigten oon D. ^:ßr. % ^irm§. I. 93b. 2. ^luflage. iöerlin 1904.
2i ^rebiflten oon ^arl ©onf)off. 2^ipm 1904.
232 S'l i e b e r 0 a n : 5)ic moberne ^rebiflt.
feit erfaßt, ^ilft boju, l^cute benfelbcn ©eng ju ge^en, bcn ber
^ropl^ct oon ®ott geführt roorbcn ift.
ajle^t^orn^) nimmt oicßeic^t no^ enctgif^cr feine 9tic^»
tung auf bcn mobcrnen aWcnf^en, um i^m moberne§ ©oangcUum
anjubicten. @o fü^rt er j. 93. bie ©ngcl- unb Sleufel^DorfteHung
in längeren gefd^tc^t(id)en ©ffurfeu auf t^re religiöfen aSurjeln
jurücf ; f 0 jeigt er im gefd^ic^tlii^en ®t)riftu§ ben (Srunb ju unferm
Olouben an feine Unoergänglic^teit auf unb ftcUt aßeö, ftatt auf
ba§ „®§ fte^t gefc^rieben", auf innere erlebbarc @rfaf|rungen.
@ut ift bie ^rebigt in ber er mit bem Jejt „^l)x \)abi nic^t gerooDt"
ber mobernen SQSillen^fc^mäci^e ju Seibc ge^t. Sitten offene, tlare,
menn auc^ etma^ Ief|rt)afte ^rebigten — fe^r mobern.
Jlac^bem mir oiele ©ro^ftabtprebigcr betractjtet ^aben, moHen
wir un§ no^ oier 3)orfprebiger oor 3tugen ftellen unb babei ber
Hoffnung 2lu§brucf geben, ba§ immer met)r (Sammlungen au§ ber
^rebigtarbcit in ber Meinen ©tabt unb bem 3)orf erfd)einen mögen,
bie i^re befonbere Starte weniger in ber Originalität ber ©e*
bauten al§ in ber gefc^ictt ben SJer^ältniffen angepaßten ©intlei*
bung fu^en follen. ^n biefer 93ejie^ung geben alle oier, grenf*
fen*), 93itjiu§^), § ef fei ba^ er*) unb Söeingart*^) manche
intereffante ®rmägungen an bie $anb. ^unäc^ft ift e§ wichtig
JU beoba^ten, wie fie alle i^re 2lu§fü^rungen ganj t)inunter ju
ben beftimmten tontreten Sßer^ältniffen i^rer ©emeinbe galten
unb i^re ^rebigt genau in bie äußere unb innere Sage i^rer |)örer
^ineintomponieren. 3öir betommen fo einen ©inbrurf oon bet
jmifc^en ben einjelnen börflic^en ©emeinben ^errfctjenbcu Sle^nlid)«
teit unb ajerfc^ieben^eit. 2)a§ 3)orf am ©tranb ber 9lorbfee, ba§ am
93ieter See, am 9lerfar unb in ber 9lä^e ber ^anfaftabt 93remen —
jebe§ fteigt ttar oor unfern Slugen auf. So geneigt wir finb, biefen
1) 5lu$ $ö^en unb 2:iefen. ^^Jrebigten pon D. 'iß. SD^el)(^om. ßetpsig
1904.
2) ^orfprebigtcn Don ®. grenffen. ©öttingen 1903.
3) 31. 93itiiu§, ^rebigten «b. 1 u. 2. «Bern 1897.
4) IMuS ber ^orfIircf)e. 3el)n ^rcbigten oon ^. ^effelbac^er. 2:übin0en
1905.
5) !Surf)en unb fjinben oon §. Söcingart Öcip^ig 1904.
9lieberflall: 5)ie ntobeme ^rebigt. 233
|>intcr9runb unter bem äftl^ctif^cn ®cfi^t§puntt intcreffant unb
angenehm ju finbcn, fo \if)x muffen wir baran benfcn, ba§ für
bie |)örer ein anberer, ndmlic^ ber praftifd^e in 33etrad^t fommt.
©ie werben immer roieber borauf ^ingeiüiefen, ba§ bie fro^e 93ot»
fc^aft unb bie baju gehörige Seben§orbnung für i^re ganj be^
fiimmten 33er^ä(tniffe gilt, ©ie werben gleic^fam in i^rem engen
S)orfe eingefreift, ba^ fie gar ni^t anberi^ fönnen al§ jugefte^en :
Nostra res agitur. 2)a§ tontrete Seben be§ 3)orfe§ gibt i^nen
ba§ gclb^ auf bem fic^ ba§ ®^ri[tenleben ju betätigen ^at in ©e-
bulb, ©e^orfam unb 9täd)ftenliebe, aber auc^ reiche Slnlnüpf ung§'
unb aSergleic^unggpuntte für bie SBertünbigung felbft. 93efonber§
bie erften brei fuib unermübli^, bie börflic^e Umroelt jur 5Hn«
roenbung unb QHuftrierung i^rer 93otfc^aft t)ercinjuäie^en. 3)a*
bei ge^t ©i^iu§ roo^l am tiefften in ba§ 3mtag§leben hinein:
wenn er uon ber neuen Jurmul^r, ber Rantonalabftimmung, ber
2lrmenpflege, ber ©tatiftit, ber ©^ul^auiSeinmei^ung, ber legten
geuer^brunft, bem ©ängerfeft fpric^t, fo t)at man ben ©inbrudE,
ba^ er am meiften oon allen mit bem 93Iicf auf ba§ ®orfleben
bie Sibel aufgefc^lagen unb bie ^anjeltreppe beftiegen ^at. SDBenn
er oon ©^riftgebanten au§ feine ^^Jrebigt anfaßt, bann ift boc^
immer fein Söunf^ auf ba§ ftärtfte bat|in geridjtet, feinen Seuten bie
©c^riftmal^r^eiten ganj ttar au ma^en. kleben biefem in ba§ 'ältltag^^
leben brängenben prattifc^en Qmq ^aben alle noc^ eine oermanbte
t^eologifd)e 2luffaffung al§ ^ennjei^en i^rer mobernen 2lrt. ^efu^,
ber gefd)ic^tlid)e Se^rer unb ^eilanb, lenktet au§ allen ^rebigten
^eroor. Sei grenffen ift er ber treue, reine, ftarte unb gute
9Kann, ber Offenbarer unb aSertraueu^mann feiner ©laubigen; bei
SBi^iuö ift er ber Se^rer, aWeifter unb ba§ «orbilb, bei ^effel^
ba^er ber 2:räger ber göttli(^en Siebe unb ber Duell eine^ neuen
©eifte^, bei SÖeingart ber 95ilbner oon ®t)arafteren unb ^^erfön^
lic^teiten, ber SlngeU unb a)rel)punft unfrei Seben^. S8on ^efu^
au§ sieben alle brei unermüblid) Sinien nad) allen ©eiten be§ 3111*
tag^leben^, um c§ ju oertlären, ju bur^bringen unb umäugcftalten.
aSerf Rieben ift bie 2lrt, roie fie i^re moberne ©oangelium^:'
erfenntniö in it)rer fpejififdien 3lrt au^fpre^en unb betonen, grenf*
fen gewöhnt fe^r gef^ictt in gelegentlid^en 93emertungen feine
234 Sflicbcrgall: ^ie ntobcme ^rebigt
^örer baran, ba^ c§ auf bic ®cf^i(^tlid^fcit bcv ©rjä^lungcn unb
bic SEBa^r^cit bcr alten 3)ogmen nic^t antommt; al§ ^oct n)ei§
er frei unb fein ben inncrftcn ®c^alt folget ©ef^td^ten ^crau§»
julioten unb ju geftalten, au^ ganj naio oon bem ^tmmet unb
ben lieben ©ngeln ju reben. ©itjiu§, ber grünblic^e ©c^ulmetfter,
räumt mit alten SorfteHungen auf unb fe^t bie richtigen an bie
©teile, ^effelbac^er rebet einfach au§ bem mobernen Sinn l^erau§,
otine }u polemifieren unb feine 3tuffaffung lange ju bcgrünben.
©anj anber§ aber mac^t e§ SBeingart. 3)ie 9tä^e ber großen
©tabt 93remen ^ei^t i^n ganj grünblic^ auf alle fragen ber mo^
bemen ßw^eifler eingeben unb feine Sluffaffung im ©egenfatj ju
ber überlieferten barlegen unb beroeifen. ©o be^anbelt er um*
faffenb bie ^xaQt m6) @ott, er fprid^t ganj offen, „bamit i^r e§
mi^t" T)on ben SOBunbergefc^i^ten aU oon lebenSooHen ©lei^niffen,
ganj au^fü^rli^ fagt er feine 3)leinung über ^efuS, über bie 93i*
bei, „bamit il^r, wenn i^r fol^e 2)inge oon anbrer ©eite ^ört,
nic^t ftu^ig werbet . ., benn baju fte^e i^ auf ber Kanjel, um
euren ©lauben ju ftSrfen."
Sßerfc^ieben fmb fie in ber 2lrt, roie fie i^re ©ebanten äußern.
33i§iu^ ift ber nüchterne, prattif^e 93ott§erjie^er, ber oft rec^t ab^
ftra!t ftet§ eine Söa^r^eit unb 3Wa]^nung einprägt, grenffen ift
ber ^oet, ber feiner bid^terifc^en ©efiattung^traft in einer SEBeife
bie 309^1 fc^ie^en lä^t, bie über ba§ burc^ bie De!onomie
ber *ißrebigt bebingte 9Jla§ ^inau§ge^t. ^effelbac^er ^ält feine
reid^e ©eftaltungstraft ftet§ im ®ienft feiner ^rebigtaufgabc, um
feine Darlegungen padtenb unb intereffant ju mad)en. Söeingart
oerfte^t e§ oortreff lic^ , 33cgriffe unb 33e^auptungen in einjelne
ton!rete, farbig aufgeführte 33eftanbteile aufjulöfcn unb baburc^
bie Slufmerffamfeit mai^juer^alten.
SÖBir f^lie&en noi) ein SBort über bie 3tnbac^ten 91 au-
m a n n ^ ^) an, mit benen er fieben ^a^re lang auf meite Greife
eingemirft ^at, bie burct) ben mobernen ©eift oom ®^riftentum
unb ber ^Religion abgefommen fmb. ^m 3JJittelpunft ber 33er*
fünbigung ?laumann§ fteljt 3^fw^/ ^ud) nacf)bem er if|n auf feiner
1) ©otteig^ilfe. Sßon D. JJr. 91aumann. ©öttingen.
S'l i e b e t ö a 1 1 : 5)ic mobcrnc ^rcbigt. 235
^^aloftinareife in feiner ganjen menfdjlic^cn 33ebingt^eit \)at fenncn
lernen, QefuS al§ ber 2Beg ju ©ott, jum ^rieben, jur Kraft jur
Umgeftaltung ber heutigen Söelt in feinem ©inne. Jlaumann f)at
einen tiefen, flaren ©inn für bic aWad)t ber religißfen Kräfte ; gut
^iftorifc^ gefdiult, tt)ci§ er gefc^i^tlic^e ^^erfonen unb 3^*^^" ^"^
i^rem 3wf<^n^"^^J^^öng ju löfen unb fie plaftifd) unb fräftig al§
Jräger göttli(^er SOßeifung unb ©tärfe in bie jener ^iftorif^en
entfpred^enbe Soge ber ©egenroart ^ineinäuftellen. ©aneben aber
ift er ein ^rop^et @otte§, be§ großen unb guten, gewaltigen unb
rätfetoollen ^errn ber SHJelt, ber ju feinem £)\)x f priest an^ ber
9iatur, ber ©ntroicflung, ber Qnbuftrie, furj axi^ bem ganjen
Uniperfum. äBir ^aben lange feinen fold^en SJerfünbiger ©otte^
gehabt, ber i^n ^ört mit aufmer!famem O^re, mo bie anbern feine
Stimme nid)t oerna^men, unb ber i^n mit einer neuen Sprache
preift, roctc^er man ba§ eigene ®rlebni§ abfütilt. 9lu§ @ra§ unb
ajleer, au§ ^erbft unb 6onne, an^ alter ©^rift unb aui^ neuer
©eifte^beroegung t)ört er ba§ Jftauf c^en ber ©timme ©olteö ; feine
©prad^e lä^t alte religiöfc ©ebanfen neu erglänjen unb ^at un§
manchen (ginbrucf neu erfc^loffen. ®r fpric^t ganj in bie moberne
3eit hinein, inbem er bie neue SBBelt im ©onnenglanje ®otte^
jeigt, inbem er i^r in all i^rem ©etriebe ben großen emigen ®ott
a(§ Qkl unb 2:roft unb §alt uerftänblic^ mad^t. Ob nic^t ber
•^^Joet in i^m bem ^^rop^eten gefä^rlic^ werben, ob nic^t bie SJor*
liebe für 5Haturftimmungen bii^meiten ben 6l)arafter bc§ ©oange^
liumg beeinträchtigen tann, ift eine grage, bie ftd^ n)ot)l allein
burc^ eine Kenntnis ber Sefer feiner ©otte^^ilfe ober feiner 9lac^^
a^mer beantworten liege, mel^e ben geiler be§ Originale oft am
tlarften jur ©c^au tragen.
93on großem ^ntereffe fmb für un§ bie SReben be§ S3remer
'ißaftorg 2t. Äalt^off^), ba er ganj unb gar nic^t nur bie
moberne @eifte§art bei feinen ^örern oorau^fel^t, fonbern auc^
perfönlic^ teilt. 2)aju gel)ört junäc^ft ba§ moberne 9taturbilb famt
ber mobernen 9laturp^ilofop]^ie; alfo nic^t nur bie Se^re üon ber
©ntmidlung, ber SBererbung, ber 9tnpaffung unb ber Sr^altung
1) Gilbert ^altI)off, Üieligiöfe Sßeltanfc^auung. Scipsiß 1903.
3cUf(^rift für Ideologie unb Äirc^e. lö. ^a^rfl., 3. $cft. 17
236 9(1 i c b e r 0 a 11 : ^ie mobcme ^rcbigt.
bcr Äraft fonbcrn anö) bcr ®laubc an bic Uncnbti^fcit bcr fficlt,
bic eine jcnfcitigc SBBcIt auSf erliegt; baju gehört eine 3luffaffung
ber ©ef^i^te, bic in ben fojialen Seroegungen bic treibenben
Strafte fie^t, unb enblic^ eine reIigion§gefc^i^tIid^c unb rcHgion§*
pfri^ologifi^c 2)enfn)eifc, bic ben Urfprüngcn ber religiöfen ®t^
banten in bic 2:iefe ber ©eete hinein na^ge^t. SlDc mobernen
Stimmungen ttingen mit: bie |)o^fd^ä^ung ber aOBiffenfc^aft, ber
^ag gegen Äird^e unb ^faffentum, ber Sinn für ^oefie, baS 93e»
bürfni§ no^ ^erfönlid^feit, ba§ SWifetrauen gegen aUe§, roaö ab^
folut fein miß — turj unb gut, ber moberne SWenfc^, mie er „im
93ud^c" fte^t, fd^aut au§ ben SReben ^eruor, unb bübet einen roic^^
tigen, bem JRebner unb ben ^örern gemeinfamen 33eftQnbteil. ^n
biefe gciftige SSerfaffung rid^tet nun ÄaItf|off feine SluSftt^rungen
hinein, unb jmar nid)t mie bie anbern blofe mit gelegentlichen ©r*
mä^nungen ober mit ftillfd)roeigcnber ^ejie^ung, fonbcrn ganj
au§fü^rlid) unb abfid^tlic^. — SEBeld^e 93otfc^aft f)at er benn ju
bringen? @r f priest oon bem ®ott ber Siebe, mie er angcfid^t§
ber entfe^li^en ©clbftfuc^t einmal in einem (J^riftug^erjen erroac^te,
er fprid^t oon bem QkU ber Unenblid^feit, moju ber 9Jlenf^ bic
Slnlogc eine§ unenblid^en SBBerbenS in fic^ trägt, oon bem Smig^
feit^ge^alt, ben unoerloren jebe§ SWenfc^enbafein in ftc^ trägt ; in
ber Söclt malten emige ®efe^e be§ 9lotroenbigen, ba§ guglei(^ baS
®utc unb ®öttli^e ift, maltet eine fittlid)e Söeltorbnung mit ^o^en
fielen unb <3bealen, an bie ju glauben ben SOBeg ju einem neuen
^enfc^en bilbet. ®iefe SEBelt ber Q\)z^n murjelt nic^t in unfern
aCBünfi^en, fonbcrn in unfrer ^flid^t, an beren ©vfüHung unS fein
9Jlec^ani§mu§ ^inbert, beren ©efolgung unfre fittlic^e ^erfönlic^^
feit ausmacht.
®iefe 93erfünbigung mirb nun auf ba§ moberne SBeltbilb
felbft gegrünbet; fo ift bic ©roigfeit unb Unenblii^feit unfrei
Seben^ unb unfrer Slufgabe gegeben mit ber Sntmicflung unb ber
©r^altung ber ^raft ober e§ mirb biefer unb jener 3u9 aw§ i^m
fe^r gefc^irft jur 3tu§fü^rung unb Srläutcrung benu^t; fo ift ba§
moberne Jiaturbilb mit feiner unenblic^en SBeite ein 3^w9"i^ fö^
bie Siebe ®otte§, fo bie 2lnpaffung eine 93erfc^ärfung bcr SJerant-
mortIid)feit.ber®efellf(^aft gegenüber bem ©injclnen, aber juglci^
91 i e b e r ö a H : %xt moberne ^rcbigt. 237
eine Slufforbcrung, at§ ^erföntic^teit bic 3Wa^t bcr Umroclt ju
überroinben unb bcffcr §u geftaltcn, bic SSercrbung eine aWa^nung,
bic gö^Iföi^c" i>^^ ^erjcng mögtic^ft weit au§juftrecfcn in uner-
fättüc^cr ©e^nfuc^t nad^ Siebe unb Seben. Snblic^ wirb aber auc^
bie 9iotn)enbigfeit bcr ^flidjt bem 2We^ani§mu§, bie ©rbaufgabe
be§ ©Uten bem @efe^ bcr 33ererbung abgerungen.
III. @runbfä^e ffit bie moberne ^rebigt*
aSerf^ieben mag ber Sinbrurf auf ben a3efd)auer fein, menn
man fo bie ganje ©c^tai^trei^e be§ 'ißroteftantiSmug oom red)ten
bi^ jum linfen Slügel aufmarfc^iert fie^t, inbem man hinter jebem
ber genannten gal^nenträger ein paar ^unbert ober taufenb 3Wann
erblicft, bie mit i^m gleicher ®efmnung ober oon i^m abhängig
fmb. 3Jian barf fid^ mo^l freuen be§ einen großen SBBiüen^ in
ben fo oerfd^ieben uniformierten ^Regimentern ; fie marfc^ieren
boc^ alle im Flamen beS §errn Q^fu^ (£^riftu§ mit t)ellen 3cici^c«
gegen all bie finftern ©eroalten, bie un§ SWenfd^en bebrürfen.
aJlöge nur bie auf bem rechten ^lügel ausgegebene ^arole überall
be^erjigt werben: 9lic^t oon ^efuS auSfd^lie^en, roaS ni^t ju un^
gehört ! 9liemanb fann ftc^ bem ©inbrucf ber Kraft entjie^en, bie
burc^ biefe großen 5Reit|en ge^t. Q^btx xot\% ber Äampf ift fc^roer,
aber bie ©ac^e @otte§ ift e§ roert. Qfebem tut e§ gut, [\d) ein*
mal burc^ ben ©ebanfen an bie ajlenge unb Jattraft ber 3Jiit*
ftreiter ba§ 2luge roeiten unb ben 3lrm ftärfen ju laffen.
2lber e§ ^anbelt fid) für un§ nic^t um SinbrüdEe, fonbem
um ©rtenntniffe. 9Ba§ lernen mir au§ unfern grunbfä^li(^en
Srroägungen unb au§ ber ©etra^tung ber mobernen ^rebiger für
bie 2lrt, roie mir ^eute ba§ ©oangelium oerfünbigen f ollen?
SQBir fuc^en unfere aSemertungen um bie beiben aSrennpuntte
ju fummeln, bie uns; bi§^er ma^gebenb geroefen fmb : mobern oer^
ftanbene^ ©oangetium unb moberner aWenfi^. 9lber bamit foll
feine fd^arfe Einteilung für bie uor jutrageuben ®eban!en gegeben fein.
ßuüor noc^ eine 93emerfung über t>a^ 93er^ältni§ ber bärge*
[teilten ^rebiger gu bem Don un§ aufjuftellenben ^beal. ©^ ift
ein gegenroärtig aud) auf anbern ©ebieten, j. ^. ber 9lational*
17*
238 ^itbtxQall: %xt mobeme ^^rebigt
öfonomie, ber ©taat§n)iffcnfd)aft unb ä^nli^en prattifdjcn 3)i§*
aipUncn Dielocr^anbeltcS Problem, n)ic fic^ au§ bcm tatfä^lt^cn
SScrlaufc praftif^er 93cftvcbungcn eine SJorfteQung oon bem QUal
getoinnen lä^t. O^nc auf biefc fd^roicrigc S^age ^icr einjugcf)en,
iDoflcn tüir fo(gcnbc§ aU bic 93orau§)e^ung unfrer toeitercu 2lrbcit
aufftetlen: 1. 3)ic t^corctifc^en 33orftcÜungen Dom Qbcol laffcn fid)
nid^t au§ trgenbiuel^cn aUgcmcincn ^rinjipicn, auc^ nic^t an^ ber
©efc^ic^te ber 3)i^jiplin, alfo ^ier ber ^omiletif, gciüinnen, fonbcm
fic crroac^fcn au§ einer forgfamen 33eobQc^tung unb SScrarbeitung
ber ^rafiS. 3)ie prattifi^cn ^rebigtcn ^aben n\6)t im aßgemeinen
bie Slufgabe, SSermirflic^ungen ber in ber ©tubicrftubc aufgeftcü*
ten, gefc^i^ttic^ unb prinjipiell begrünbeten St)corie ju fein, fon»
bcm bic J^eorie f|at burd^ eine mög(icf)[t intcnfioc 3)ioination
fcftjuftcHen, meldjen 3^9 i>i^ ^^rofi^ §u nehmen im begriffe ift
um baran i^re S^^eoric }u orientieren, bie fic bann natürlich mit
i^ren gef c^ic^tüdien , prinjipicßen, bcfonbcrS pfqc^ologifdjen unb
empiriftifc^en SWitteln bc§ meiteren ju begrünben unb au^jufü^ren
f)at, Slber bie "ißrajig ber fü^renben ©eifter bleibt, weil fie in
unmittelbarer SJerbinbung mit ber 2Bir!li^feit fte^t, unbebingt
SÄu^gang^* unb CueHpunft jeber J^eorie. 2. 3)ie füt)renben
®eifter unb bie gute ^]?raf i§ ^erau^jufinben unb ben 3^9 ^^^ 3^'^
aufiufpüren, ift natürlid) eine ganj unb gar fubjettioe 3lufgabe.
3tber bie einget)cnbe S3erürffid)tigung ber objeüiocn 3Womente fd)ü^t
ben J^eorctiter oor einfeitiger fubjettioer Sieb^aberei, ma§ befon«
ber^ flar unb offenfn^tlid) ift, menn fein perfönlic^er ©cfc^macf
ganj ober jum Jeil oon bem abmeiert, wa^ i^m fein fac^lic^cr
(Sinn al§ 3ug ber 3^it oufgejeigt ^at
Ueberblicfen mir bic oon un§ aufgefteüte Steige oon ^^rebi*
gern unb S^agen barauft)in, ma§ fid) ^ier an neuen bemegenben
aJlotioen unb Q^^ölen emporringt, fo mirb fid) biefe unfre Unter*
fuc^ung mit ber fdiönen 9lrbeit oon ^^}. 3)rero§0/ ^i^ 'jßrebigt bc§
neunje^nten 9af)rt)unbert§, berühren. 3tttein, ba 3)rero^ blo§
nac^ bem ^JJrebigtgegenftanb gefragt f)at, fo ift unfre 21ufgabe
bod^ mit feiner Slrbeit noc^ nid)t ganj erlebigt, fo miütommen e^
un§ ift, roenn fic^ unfre Srgebniffe mit ben feinen berüf)ren.
1) öie^cn 1904.
9^1 i e b e r 0 a r I : %k mobeme ^tebtöt. 239
Unfrc 5^agc fofl angcft^tiS unfrcr 53cfc^räntuncj auf bic letzten
15 3öt)tc fo (auten: SEBorin jeigt fic^ ein 9]euc§ in bcr ganjen
2luSfüt|rung bcr ^rebigt jumat in bcn <3ntercffcn, bic bcn ^rc*
biger leiten? S)ag fann fi^ am beften fo ergeben, wenn mix bic
Don un§ be^anbetten mit ben ^rebigcm ber unmittelbar oor^er-
ge^enben ^eriobe oergtei^en, alfo j. 93. mit bcr 3^it in bcr eine
Sinie von ©teinmeper über ©erot ju ^einric^ 2ang unfrer gront
entfprtd^t. Unter ber SBorau^fe^ung , ba§ bie fotgenben 93emer»
tungen nur at§ ©inbrttdtc unb SSermutungen angefc^en unb jum
ainlal weiterer genauer SBcrgleic^e genommen werben, fd^eint fi^
folgenber Unterfc^ieb geltenb ju mad^en. ®§ ift nic^t ber @egen<
fa§ be§ allgemeinen unb be§ fpejiellen ®egcnftanbe§, benn aud)
bie früheren ^rebigten jcigen fe^r fpejieHe unb bie neueren fcljr
allgemeine ©egenftänbe; e$ ift auc^ nid^t ber Unterfc^ieb ber tt)eo»
logifd^en |)altung, benn ben mobemen S^eologen in jener ent^^
fprec^en fonferoatioe in biefer $eriobe. 3)er Unterf^ieb liegt,
glaube ic^, barin, ba§ jene ^rebiger alle metir in ber „Schrift",
in ben religiöfen unb t^eologif^en Erörterungen ftc^en bleiben,
mä^renb biefe alle mit einanber me^r auf ba§ Seben juge^en.
3)er Unterfc^ieb ^ei^t alfo nid^t: allgemein unb fpejieH, fonbern:
t^eoretifc^ unb praftifc^. 9lber ba§ genügt aud) noc^ ni^t. ^raf*
tifc^ fmb jene, j. 93. @erof, auc^. Slber i^ ^abe ben ©inbrucf,
afö ob i^re praftifc^e Slnmenbung auf bie aJlenfdien, bie SBett,
bie ©ünbe, ba§ Seib unb bie ajerfud}ung über eine gemiffe fd^e^
matifc^e (Seftalt nid^t ^inau^fäme, um nid^t ju fagen, iur Oefo=»
nomic bcr ^rebigt get)öre. SBä^renb bie älteren bie ©pejiali«
fierung unb fontrete 9lu§legung im ©injelnen i^ren ^örern über*
laffen, bemühen ftc^ bie neueren, mögli^ft ber ßu^örerfc^aft auf
ben Seib ju rüdten, um gauj einbringenb einjufc^ärfen : tua res
agitur; ic^ fenne bid) unb beine 9iot, erfenne au^ mic^ unb meine
|)ilfe. @o befommt bie ^rebigt einen anbern ß^arafter; ftatt
ber l^erfömmlidjen 93e^anblung einer ©tcUe au^ ®otte§ Söort, bie
nicl)t feiten ben Sinbrudt einer auf feften tec^nifc^en ^Regeln be*
ru^enben fc^riftgele^rten Seiftung madjt, meiere eben um i^rer
felbft u) i 1 1 e n oolljogen werben mu§, befommt bie 'ißrebigt
eine größere Sto^raft: fie wirb tatträf tiger , aggrefftoer, wirft
240 ^iebergall: ^ie tnobeme ^rebigt.
bic alte „bcroa^rte" aWctf)obc über bcn Raufen; fie toitt nic^t ©c^rift
auflegen, fonbcru fie roiH Scben gcftaltcn. @bcn barum lüitt fie,
um intcreffantcr ju toerben, bic SJlenfc^en an i^rcn roirflidien Qn^
tcreffen parfcn, fie uerfu^t, in bie roirflic^e äu&erc unb innere
Sage ber iJeute ^ineinjurcben. ©o nerlegt fid^ ber ©c^roerpuntt
oon ber ©d}rift auf ba^ Seben. 3)a§ 9leue liegt barum nic^t in
einer anbern 2luffaffung be^ ®oangelium§ ober ber ©c^rift, fon*
bern in ber ©rfaffung be§ mobernen SSWenfc^en. ÜWit einem 3D8orte,
ber SReali^mu^, ber pfqc^otogif^e unb ber fojiale SRealii^mu^ biU
ben ba§ ^ara!teriftif^e iStennjei^en ber mobernen ^rebigt; ober
genauer gefagt: ^ier ift bie neu fic^ emporringenbe Äraft ju fe^en,
in ber ber Qnq ber ©ntmirflung fi^ gegenmärtig offenbart.
2Bic biefe ©ntwidthing mit bem ganjen gegenwärtigen 3^'^'
geifte, mie fie anö) mit ber oeränberten Slnfd^auung oon ber 33ibel
jufammen^ängt, braud)t nad^ allem SBor^ergegangenen nid^t me^r
au^gefü^rt ju werben.
$öie ift biefe 2lenberung ju beurteilen ? aWan mirb i^r fidler
juftimmen muffen. ®§ liegt unabänberlic^ in unferer ®eifte§ri^*
tung begrünbet, ba^ oon ben brei ©liebern, au^ bercn ©qnt^efe
nad^ ©c^teiermac^er bie ^rebigt beftel)en foH, gegenmärtig ber
Slac^brucf oon bem Seyte auf bie ^erfönlic^feit be§ ^rebiger§
unb befonber§ auf ben 3"^^"^ ^^^ ©emeinbe fällt. 9]ur oor
einigen ©efa^ren muJ5 man fic^ boc^ babei ^üten. ©inmal barf
teine ©c^ablone au§ biefer 2lrt gemacht, e§ mufe 5Raum für
jebe anbere 2lrt gelaffen merben. SBBenn ber 5Reali^mu§ jur SSer«
geroaltigung fü^rt, ift er genau fo unrealiftifc^ mie jebe anbre
roirtlic^teit^ferne ©c^abtone aud). 2)ie 2^^eorie ber ^rebigt, alfo
bie ^omiletit foüte fid) begnügen, im allgemeinen }u entmirfeln,
mag bie ^rebigt foU ; aber bann möge fie au§ i^rer eigenen ®e*
fd)ic^te eine güße oon SBegen aufjeigen unb ben Slirf bafür
fc^ärfen, welcher SÖScg in jeber ©emeinbe, ja in jebem einjelnen
Saß JU begel)en ift. 2Öa§ un§ am meiften bie 'ißrebigtmirtfamfeit
oerbirbt, ba§ ift bie ©c^abloneni^aftigfeit, oon ber bie J^corie
ernfte, aber bie ^^Jraji^ oft fe^r fomifdie groben gibt. |)at bann
and) bie ©tunbc für bie 3lUein^errfd)aft ber anali)tifd^49^^^^tif<^^"
^^Jrebigtweife gefc^lageu, fo mirb fie unter ben möglichen SBegen
91 i e b e r fl a 1 1 : ^ie mobemc ^rebigt. 241
immer no^ eine wid^tige SRodc fpielcn bürfcn. 3)enn, unb ba§
ift baö jroeitc, mir bürfen boc^ ben Seyt ni^t cbenfo oernac^Iäf«
jigcn, mie bie frühere ^eriobe ba§ Seben oetna^Iäffigt ^at. i)ft
auc^ ber ®efic^t§punft ber ©(^riftau^Icgung ganj unb gar l^intcr
bem ber ©iniüirfung jurücfgetreten, fo ift bie ©nroirfung gerabc
oft bann am fd^lagcnbften, mcnn fie fic^ auf ein paffenbeig, in
einen analogen %aü ^ineingcfagte^ Söort ftü^t. 2Kfo ber 2lu§s
gang, ber ibeale 3tu§gang^puntt ift in ber SRegel oon bem Seben
ber ©emeinbe ober beö "^ßrebigerS ju nehmen. ®nblid^ noc^ eine
Sleinigteit: e§ ift ni^t nötig, ba§ ben ^örern immer jum 93e«
mu^tfein gebraut roirb, ba^ man i^re Sage fennt, inbem man
fie fc^ilbcrt. ®a§ ftö|t oft ab unb mirft ftörenb. ÜWan brauet ja
nic^t immer ju fagen roa§ man tut, man foH nur tun. ®arum ift
e§ fc^on genug, wenn man nur feine 2tu§fü^rungen praftif^er 2lrt
in bie genau erfannte Sage ber ^örer ^ineinric^tet unb richtig
ftö§t, anftatt lange ju befc^reiben, roarum man ba^in ftö^t. @S
mu§ überhaupt, ba§ fann nic^t oft genug gefagt merben, be§
9teben§ über bie ®inbrü(fe, SBirfungen, 5Borau§fe^ungen u. f. m.
immer weniger unb be§ jielbemu^ten, auf @runb guter Drien*
tierung richtig angefe^ten 3D8irfen§ immer me^r merben. — 9]un
foUen im einjelnen au§ einem Sßerglei^ be§ crften unb jmeiten
Seilet bie 2lnforberungen an unfere ibeal^moberne ^rebigt auf*
gcjeigt merbcn.
A. ^ad mobetne @t»aitge(ittiitdiier{itattbitid unb bie ^tebigt.
ßuerft ba§ ® o a n g e l i u m. 2)ie S^age lautet : Qn mie
meit foll ba^ moberne SBerftänbniS oom ®oangelium, oon ber 93ibel
unb bem Sl)riftentum übevt)aupt, mafegebenb fein für unfre ^re«
bigt? S2BcId)e ^^rebigtmeife f (fliegt e§ au§ unb meiere 33ereid)es
rung fd^enft e§ un§?
3)a§ ift Har : loer nid)t auf bem mobernen aScrftänbniö be§
(£oangclium§ fte^t, ber prebige c§ ani) nic^t. 3lÜe SRücffic^t auf
bie mobernen Seute barf nie mein SBerftänbni^ be§ ®oangetium§
beftimmen, fo menig roie bie Diürfftc^t auf bie ©emeinbeort^obofie.
darüber beftimmt allein mein ©laube, mein SBiffcn unb mein
©emiffen. Sluf ba^ allerentfc^iebenfte ift jumal ber 3lnfänger ba^
242 S'l i e b e r ö a U : ^ic mobemc ^rebigt
oor ju warnen, ta^ er bie geringfte Umroanblung am ©oangelium
oornelime, um e§ „b e m" mobemcn 3Jlenfc^en fc^madC^af t ju ma»^
^en. 9lur unfer 93erftänbni§, nie ber S38unf^ unb ©efc^macf
ber Seutc, beftimme ben ^fn^alt! ®troa§ ganj anbereS ift e§ na*
türlic^, menn unbenju^t unb ungcrootlt weit wir boc^ auc^ uon
^eute fmb, ber (Seift unfrer 3^it w^f^^ 95erftänbni§ mit beein-
flußt. 3lber bewußt feine Unterfc^tagung, feine Slbfc^mäc^ung ix-
genb einer Seite be§ Soangeliumö, nämlic^ ber frolien 93otfc^aft
oon bem SSater unb ^errn im ^immel unb bem emigen SReid)
unb Seben, i>a^ un§ armen, fünbigen unb fc^ulbbefledCten SJlen^
fdien ^eil unb ^eimat geben foß. ©arin nur ganj fteifnadig
bleiben! 9Bem biefe 3)inge nid^t besagen, ben lorfen mir aud^
nic^t burc^ 2lbjüge herein. 6r roill immer melir ab^anbeln unb
fc^ließlic^ lac^t er un§ bod^ au§. 2öir muffen un§ ganj bringenb
baoor marnen laffen, baß mir nic^t um berer miöen, bie nic^t
jur Äir^e fommen unb um bie mir werben mit aller ^raft, bie
treuen Äirc^englieber unbefriebigt laffen, bie an unS fd)on man*
c^e§ ju tragen ^aben, aber roenigften^ ein Siecht auf religiö^-fitt*
lic^e aSoÜfoft befi^en. 9tur nic^t bem mobernen SWenfc^en nac^=^
fc^mac^ten unb i^n mit Opfern an 3Bal^r^eit ober an SBa^r^af*
tigfeit herein nötigen, mä^renb bie eigenen Seute oft red)t ftief«
mütterlich be^anbelt werben! ©§ ift nic^t fein, \^a^ man ben
Äinbern i^r 93rot ne^me unb werfe e§ oor bie ^unbe. 3Wir ift
bie gabel oon bem ^unbc auf bem ©tege eine SEBarnung, ber
nac^ bem anbern ©tüdE ^leifc^ fc^nappte, unb barüber ba§ eine
üerlor, ba§ er im SWaule ^atte — unb ba§ anbere war bloß ein
;3llufion. 3)a§ gilt nur uon ber SSertünbigung be§ ©oangelium^
in ber Äirc^e, bie immer unfrc Hauptarbeit bleibt. S)aß wir
fonft alle§ tun follen, wa§ in unferen Kräften fte^t, um bem mo*
bernen SUlcnfc^en in feiner SBeife ba§ ©oangelium tlar ju mad^en,
alfo in SBorträgen unb S)i§!uffion§ftunben, ift bur^ ba§ ©efagte
natürlich nic^t au§gefc^loffen. SBiellci^t fallen ein paar Srofamen
bann an ben rechten Ort.
W\t ber Sffiarnung oor einer SBertürjung unfrer 93otfc^aft
au§ Sdjeu unb SBerlangen ju gefallen, ift natürlid) weber bie
9Iu§wa^l gcwiffer, oielleic^t bi^^er t)ernad)läffigter, ©türfe no(^ eine
S'^icbergaU: 2)ic mobcmc ^rebtgt. 243
geeignetere gorm ber Darbietung au§gefc^loffen.
Sarüber roollen wir un§ 9lec^enfd)Qft geben, inbem mx un=
fem obigen Vorlegungen über ba§ mobeme ®Dangelium§oerftQnbni§
nac^ge^en unb erörtern, roa§ au8 ben einjetnen fünften für unfre
l^eutige ^rebigt folgt.
1. S)ie Äritit l|at folgenbe ©rgebniffe njo^I jum allgemein
anerfannten 93efi^ gema(^t : a. ®inmal bic 91 u f I ö f u n g ber
alten S^eorie oon ber SBerbalinfpiration. ®a§ bebeutet
nun eine gro^e Srfc^roerung ber ^^Jrebigt, infofern man nun nic^t
me^r jebe 93ibelftelle mit einem „®§ fte^t gefd^rieben" als ®otte§
SEBort ber au§legenben ^rebigt jugrunbc legen barf. ®in 93e*
mei§ ber ©c^n)ierig!eit ift ber betannte Umftanb, ba§ oicle, bie
mit ber fie^re im allgemeinen gebrochen liaben, bod) mit ber ein*
jetnen ©teile nic^t anberS ju ocrfa^ren miffen, al§ märe fie in
ber alten 9luffaffung infpiriert. 3^ft bie ,, Schrift" aber eine @amm=
lung oon ©d^riften, bic eine auffteigenbe fiinie oon 2lu§brürfen
religiöfen fieben§ enthalten, bann mu§ man eine jebe ©teile barauf
^in anfet)en, ob fte bem ®eift be§ ®Dangelium§ entfprid|t. S5a§
ift etroaS ganj anberc§ al§ bie 9lu§legung secundum analogiam
fidel im alten ©inne; baju gehört eine eingelienbe SBefd^äftigung
mit ber 93ibel, bie ben ©efc^mad für bag ©oangelium medten unb
flären mu§. ©elbftuerftänblic^ !önnen mir bann auc^ nic^t mel^r
in ber alten SBcife mit ber 93ibel afö bem Söort ®otte§ beroeifcn,
fonbem mir muffen barauf ausgeben, in bie geiftige 3Belt einju*
führen, beren jeitgemä^er 2lu§brudf bie ©c^rift ift. Sic 5^age
i)ei^t nic^t: SBag fagt un§ biefe ©teile? fonbern: SBaö lebte in
ben Seuten, bie ju i^rcr 3^it i^)^ 3*nnerc§ fo au§brüd!ten ? 3)iefe
©rmägung gibt ju ber grage: S^ematifi^e ^rebigt ober ^omilie?
ben roeiteften ^intergrunb. aSerbleibt bie 2lufgabe, bie ©emeinbe
mit ber ©c^rift befannt ju machen, ber 93ibelftunbe ober bem
58ibelfranj, fo ift bic ^rebigt bie perfönlic^e äufü^rung ^riftlic^en
®eifte§ an ber ^anb einc§ SibelmorteS an eine fo unb fo ge-
artete ©emeinbe. Sie 93ibel ftellt un§ eine !laffifc^e Q^xt mit
allen Qbealen, ^Richtlinien, Äräften, ©runbfä^en ber SebenS* unb
SBeltauffaffung bar. 3)ie eigentümliche SUlifc^ung uon grei^eit
unb Slb^ängigfeit, bic ba§ 9Jer^ältui§ einer gegenwärtigen ^criobe
244 9^ i c b c r fl a n : S)ie mobcnic ^rebigt.
ju bcr Haffifc^cn S^xt, auf roelc^er fic ftc^t, ju bcjeid^ncn pflegt
mac^t 6cibc§ nötig, 2:cEt unb freie SKnrocnbung auf unfre ©egcn^
wart. Seben unb SBett im fiic^t ber großen ttaffifc^cn ©runbgebanfen
auf* unb anfaffcn ju teuren, ift f^tie^lic^ ber ©inn unfrer ^rcbigt.
SKud) bie moberne ^rebigt im boppelten ©inn be§ SBorteä
üerfä^rt nic^t anber§. 3Wag aud| ein Unterfd)ieb in ber 53enu^ung
ber ©d)rift fein jmifc^en ©töder unb 3Jle^i^orn. ©ic roiffen aüe,
bag mir unfre Urfunben noc^ lange nic^t erfc^öpft ^aben, fonbern
ba§ fie un§ nod) fe^r oiel ju fagen ^aben, mie ja gerabe ba§
Unerfc^öpftidie ba§ Äennjeidien be§ maffifd)en ift. 9]ur ft a 1 1*
^ 0 f f töft fic^ ganj üon ber ©c^rift log. Qxvat gebraucht er
einige ©(^riftgebanfen unb 2Borte, aber er ^at jeben SJerfuc^,
mit ber 93ibe(seit in einer Kontinuität ju bleiben, aufgegeben unb
ftrf) auf moberne 91aturp^itofop^ie gefteüt. 3Wögen bie anbern
auc^ no^ fo fe^r in bem ©c^riftgebraud) oon einanber abmeieren,
ber SBunfrf) unb ber ®laube ift boc^ ba, gegenroärtige§ Organ
für ben ®eift ber ©c^rift ju fein.
b. ®a§ j m e i t e @rgebni§ ber Äritit ift bie U n t e r f c^ e i-
b u n g üon 2: ^ e o t o g i c unb 91 c l i g i o n. 2)ie 2:rennung ift
unmöglich, benn auc^ bie ©efürroorter biefer Trennung ^aben
eine J^eologie. 2tuct) bie Sleinreligiöfen fmb 2:t)eotogen. 2lber
fie motten ni^t eine beftimmtc Slieologie mit ber ^Religion uer«
einerteien, um bie ®aUn unb Kräfte ber SJeligion bIo§ um ben
^rei§ abjugeben, ba§ man il^rer ©rttärung, mie fie juftanbe ge*
tommen unb aufjufaffen finb, juftimmt. ©ie miffen, Jl^eologie
unb ®ogma, au^ fel^r oie(e§ in ber ©c^rift, ift SKu^brud, ni^t
©egenftanb be^ @taubcn§. SBie tann man aber bie ßuftimmung
jum ^erfömmti^en 2lu§brudt be§ ®lauben§ jur 93ebingung für
hm ©mpfang bcr im ©lauben au§gcbrüdEten ©üter unb §i(fen
machen ! ©e^en fic^ auc^ bie über bie Dberflädje ^eroorragenben
©tengel, Stätter unb Slüten häufig menig ä^nlic^, bie SOSurjeln
unter ber ®rbe glei(^cn fic^ bebeutenb me^r; unb fc^tiefelic^ ip
e§ biefetbe Seben^fraft be^ grü^Iingö, bie alle ölumen auf ber
ganjen SBiefe tieroorgetrieben i}at, fo oerfc^ieben fie auc^ nad^ i^rem
©amen unb i^rem ^la^e fic^ oben geftalten mögen. S)arum
t)abc jeber feine 2:^eologie, at§ ^ätte er fie nid)t. 2)arum ^aben
9lieber0aII: ^ie moberne ^rebigt 245
wir ^eutc auf bcr Äanjel un§ x>ox einem boppelten ju pten: 9EBir
bürfcn jucrft beiou^t nic^t§ üon unfrer J^eotogie auf bie Äanjet
bringen, foubcrn muffen immer mc^r boran arbeiten, unfere t^eo«
logifd^e Sprache in bie Ijomitetifc^e, nämlic^ in bie r e I i g i ö f c
gurüdtjuüberfe^en. ©aju t)ilft ein unermüblic^e§ ©tubium ber
©c^rift unb ber ©efc^ic^te, bag un^ gleiche ober ä^nlic^e Sieligion
in ganj oerfc^iebenen 3lu§bruct^n)eifen ertennen leiert unb baburc^
frei mac^t oon fd)ematifc^er SluSbrudömeife. 3lud^ ^ier Ijitft bie
unermüblic^e 2lrbeit be§ Ueberfe^en§ ju einer immer freieren 93er^
fügung über ben Qn^alt. 3Jlan trägt ja natürlich immer feine
Ideologie an fic^, aber fte mirb ein immer burc^fid^tigere^ unb
entbe^rlid^ere§ ©emaub für ben 3"^ölt, bie ©efü^le unb ©tre-
bungen, Ueberjeugungen unb ©emi^^eiten beö religiöfen 2eben§.
S)ann mirb man fic^ auc^ oor ber ^olemif gegen frembe 2:^eo=
logie t)üten. 3lac^ bem ©türm ber erften 2lmt§ja^re, mo mau
o^ue ©ifern gegen frembe Ueberjeugungen unb Slnfic^ten bie ei^*
genen nid)t meint mit fiiebe unb 53egeifterung betätigen ju fönnen,
lernt man immer me^r, g^ieben unb ßraft mit einfachen SEBorten
Dom aSater, bem ^errn unb bem 9lci(^ ju pflanjen unb ju pflegen.
ÜKan oergöttert immer weniger bie SJlittel unb nerabfolutiert immer
meuiger bie SSorau^fe^ungen, fonbern überlädt e§ bem 9Jac^benfen
ber ©injelnen, fic^ bie ©rmöglic^ung unb Raffung jener ®aben in
i^rer äöeife jure^tjulegen.
c. ©ine brittegrud)t ber Äritif ift bie ©rfenntnig fagen*
^after ©eftanbteite. ^ft bie 93ibel, fmb bie überlieferten Sin»
fd)auungen über bie ®rmögli(^ungcn be§ ^eileö ©egenftanb be§
®lauben§, bann mu§ man fic^ mie ©töcter gegen bie 3luflöfung
ber ©c^riftoffenbarung in 3)Mrc^en n)et)ren. <3ft ber ©laube bie
ßuftimmung jur ©rfenntnii^ ber früheren Stitm oon ben SSorau^^
fe^ungen, alfo biefe ^uf^iw^wtung 93ebingung für ben ©mpfang
ber geiftigcn ®üter, bann gilt eig, alle aWotioe ber ^^Jietät unb
ber 2lngft um ba^ ^eilige gu ^itfe ju rufen, um einem 3^i^flicfe^«
ber ^eil§tatfad)en in „blo^e :3been" ju fteuern. 2lber wenn loir
mit ber Sategorie „3lu6brurf be§ gläubigen Sefi^e^ ber großen
®aben unb |)ilfen ®ottesi" arbeiten, bann oerfc^lägt e^ nic^t fo
oiet, ob fic^ ber -S^^^alt biefe^ ®lauben§ an ben großen ftarfen
246 91 i e b c r 0 a n : 5)ic moberne ^rebigt
•
^eiligen unb gnäbigen ®ott in einer ©cfc^ic^te ober in einer ©age
2lue;brurf oerfc^affte. ©o bleibt bic @ef^id)te üom ©ünbenfaU
2lu§brudt für bie üer^ängniSooUe 3WQc^t ber ©ünbe, ob wir fie
nun al§ eine, wenn aud^ nod^ fo oerfürjt überlieferte gef(^ic^t=
lic^e 93egeben^eit ober rein aU 2)ic^tung auf f äffen, bie unter
bem 93ilb eine§ einmaligen 93organge§ barftetlt, voa^ immer unb
überall gefc^ie^t. Unfre Ijiftorif^^tritifc^e 6rfenntni§ fe^t un§ in
ben ©tanb, gleid^fam regreffio ben aOSeg oon ber ©rjä^lung ber
Gegebenheit ju ben Sinbrücten unb 2:enbenjen jurürfjuge^en, ben
bie Sichtung oon ben 3^been ju ben fon!rcten ©eftalten oorroärt§
gegangen ift. Ober anber^ au^gebrüctt: bie Kriftalle ber ©rjö^-
lungen löfen wir auf in bie elementaren ©toffe, bie fid) i^ren
©efe^en fotgenb, ju jenen ©ebilben oerbic^tet Ratten. SWag man
auf ber „pofitioen" ©eite fid^ auc^ SJlü^e geben, biefe 9heber^
fc^läge ber ©ebanfen irgenbroie alg roirtlic^e 93egeben^eiten ju oer^
teibigen, in ber ^xa]c\§^ oerfäl^rt man mit jenen ©ebilben genau
fo mie mir, inbem man al§ religiöS'fittli^e Slnmenbung an bie
©efc^ic^te heranträgt, mag mir al§ i^ren fonftituierenben Äeim*
gebauten erfannt ^aben. 9li(^tg intereffanter al§ ^rebigten auS
oerfc^iebenen Sagern über bie ©peifung ber günftaufenb mit ein^
anber ju Dergleichen, ^in^^t ^üben mic brüben bie religiö^^^*
miletifd^e ^erfönlic^teit, mag in biefer @efc^id)te erbaulid^ ift, fidler
t)erau§, fo fc^enft un$ biefe unfre tritifc^e @r!enntnig in anbern
fällen oieÜeic^t eine leichtere ^anb unb immer ein ru^ige§ ®e«
miffen. S)ie 3lrt, mie 3Jl e ^ l ^ o r n bie SBorftellungen oon 2:eufel
unb Sngel, mie 93 a u m g a r t e n bic Oftergefc^id^te be^anbelt,
ift barum fo treffenb unb glüd^lirf), meil fie biefelben religiöfen
Ueberjeugungen unb Jenbenjen herausholen, bie im 93unbe mit
bem SBiffen unb ©rfennen ber bamaligen 3^it biefe @efc^i(^ten
gebitbet ^aben.
d. @in oierte§ 3Woment ift bie Seac^tung be§ g e f c^ i c^ 1 1 i*
c^en ©inne§. 3)ie moberne gefc^ic^tlic^e J^eologie ^at ben
gefc^i(^tlic^en ©inn für bie Siftanjen unb unfern SBa^r^eitifmn
gefc^ärft. SBir fönnen auc^ in ber '»ßrafiS nic^t oergeffen, ba§
bie bibtifd)en ©eftalten eben b a m a l § gelebt ^aben unb bie bib^
Uferen ©c^riften bamaU gefc^rieben morbcn fmb. 2)arum bürfen
91 i e b c r g a n : ^ic mobeme ^rebigt. 247
mx bie mcffianifc^cn SBci^fagungcn nid)t meffianifd)c SBei^fa^
gungcn, borum bürfen mir bcn Äönig ©aoib nic^t mc^r bcn (ic^
ben frommen ©ängcr nennen, barum muffen mir baran bcnfen,
ba§ bie ©ergprebigt bamal§ gehalten unb bie 9Bieberfunft§ermar*
tung bamal^ fo gehegt morben ift. äBir ^aben aße ju oiet gefd^ic^t^
liefen ©inn mitbctommen, um nic^t bie biblifc^en 2lu§fagcn unb @e»
ftalten, ftatt auf einer gläc^e wie oorbem, metmet)r in einer ®ntmid:'
lungöUnie ju fe^en, unb einer jeben i^rer ©teße gemä§ i^ren be^
fonberen eigentli^en ©inn jujufprec^en. Qwax brauchen mir nic^t
oUeS au^juframcn, ma§ mir miffen; jeboc^ bürfen mir nic^t ^an*
be(n gegen bQ§, ma§ mir miffen. 3QBa§ ^iftorifc^ fatfc^ ift mag
Uturgifd) noc^ lange ertaubt fein, mirb aber nie ^omiletifd) richtig.
Unb legen mir etma in ber SBeife ber Slüegorie ein ftatt au§, fo
muffen mir minbeftenS jeben 2lnfc^ein be§ ©egenteit^ oermeiben.
2. ®a§ finb einige @rfct)merungen ber gemö^nlic^en SÄrt ju
prebigen. 2lber fie merben übermogen burd) bie p o f i t i o e n
^ i t f e n, bie un§ bie ^iftorifc^*fritifc^e Slrbeit fc^enft.
a. 9lid)t§ ift ba mit ber großen ®aht ber religiöfen ^erfön^
lic^ feiten ju vergleichen, bie un§ bie Äritif au§ ben 2:rümmern
be§ infpirierten SBorte§ al§ überreichen ®rfa^ ^erau§ge^olt ^at.
333a§ ift ber bogmatifc^e gegen beu menfc^lic^en ^efu§ ba§ ®ben*
bilb @otte§, ma§ ift ^^Jauli 2:^eotogie gegen feine ^erfon, ma§
bie ^fatmftellen gegen bie ^^Jfalmiften, ma§ bie meffianifc^en S5Jei§»
fagungen gegen bie ^rop^eten, ma§ mand)e @r}ät)tungen gegen
bie ©rjä^Ier unb ma§ bie 9Jleinungen gegen bie @efcf)ic^te ! SBie
quillt au^ altem ©emäuer überall frifd}e§ perfönlic^e§ fieben auf,
mie erfcf)eint l)inter bem Söoltenfc^leier alter 3)i(^tungeu unb ßon*
ftruftionen ber eherne @ang @otte§ in ber ®efc^icl)te! @ott
überall, aber üor allem in großen flaffifcf)en ©emalten unb ©e=
ftalten! Unb mer l)ier fc^öpfen unb bie gefüllten Sec^er meiter
geben fann, lä^t anbre an ben alten 9Äauern flicten, flagen unb
fctjelten. aBie frei, aber auc^ mie reic^ mac^t bie Sofung: „bie
©c^rift al§ 2lu§brucf perfönlic^cn ®otte§leben§", unb ba§ ©tubium
ber ©efc^ic^te be^ 21. J., ba^ eine erjiel)ung 3fraeli§ burd^ @ott
barftellt, bie unerfc^öpfli^e ©aben unb ^ilfen reicht! ^n ber
3eit be§ ?3ureufriege§ t)abe ic^ oft geprebigt über ^rop^etenftellen.
248 9^ i e b e r ö a ( ( : 3)tc mobemc ^rebigt.
bic ®ott pon bcm ©taat^intcrcffe einc§ oermeintUc^ frommen 3}o(fe§
lo^löftcn; fo fann man etma ani) bic aJtiffton^frcubigfeit unb
bic neue aWiffion^mcifc be§ Slßgcmcincn eo.^^prot. 9Jliffion§Dcrein§
einmal rechtfertigen burc^ bic Stnalogic be§ 9lpoftel§ ^aulu^, ben
feine neue @rfenntni§ 3efu fofort in bic aWiffion unb jmar in
eine neue 2lrt aWiffion^gebiet hineingetrieben l^at. ©o laffen fic^
innerhalb biefer unfrer tlaffifc^en ©cfc^ic^te eine güüe pon ^er^
fönen unb 33orfommniffen auffinben, bic für alle 3^iten eine tp*
pifc^e S3ebeutung ^aben. Unb biefe geminnen fie baburc^, ba^
ba§ religiöfe Seben auc^ oon beftimmten 9legelmä§ig!eiten, @e^
fe^e genannt, bur^jogen ift, bie wix in ber SBieber^otung bcr--
felbcn 3ufammen^änge entberfen fönnen, mögen auc^ bie ^erfonen
unb bie ©efc^e^niffe fclbft burc^ oicle ^fQ^^'^uni^^i^l« unb große
geiftigc Unterfc^iebe oon einanbcr getrennt fein. Qn folc^en Stc^
gelmaßig!eiten gehört j. 93. ba§ 9Ser^ältni§ oon ^^rop^et unb
^riefter; b. \)., loenn irgenb einmal in einem großen religiöfen
®ntbecfer neue SBalir^eiten unb Söerte aufgetankt fmb au§ ber
Jiefe be§ göttlichen Offenbarung§leben§, n)elcl)e alte gefe^lici^*}cre*
moniclle ®eftaltungen ber religiöfen ®emeinfd)aft antafteten ober
gar über ben Raufen marfen, bann bauert e§ nic^t lange, bi§ ber
alte ©eift auc^ bie neuen ©ebanten übermuc^ert unb an i^rer
freien Entfaltung ^iubert. 2Ber biefen "ißrojeß innerhalb unfrer
biblifc^en ©cfc^ic^te unb Urfunbe genau ftubiert unb erfannt, mer
befonber§ bie enge SBerflec^tung be§ Äreujeg Qefu mit biefem
^]Jrojeß oerftanben ^at, ber meiß, voa^ Offenbarung ift, ber meiß,
baß ju \\)v neben anberm gerabe biefe Uebcrioinbung beS ängft^
lic^^pebantifdjcn, auf 9Jlaffener}iel)ung berechneten ®efe^e§geifte§
burc^ eine Entfaltung perfönlic^er Äraft gehört, bie jmar nicht fo
bequem ju rubrijieren unb ju tjanb^abcn, aber befto mirffamer
unb nadjt^altiger ift. Ober mer einmal erfannt ijat, mie icbc
®lauben6gemeinfc^aft ba^in ftrebt, bie Beobachtung ber hiltifc^en
Ermöglic^ungen religiöfen Seben§ jum Objeft bes religiöfen Ser--
^alten^ felbft ju mact)en, um i^re 3wfunft auf Soften ber reli*
giöfen Dualität ber ®egenmart ju fid)ern, ber mirb fofort bie
Siuie fertig im Kopfe ^aben, bie Qcfu ^otemit gegen bie Uebcr*
fc^ä^ung be§ Äultifc^en mit ber lanbläufigen Kirc^enfvömmigteit
S^icbergaH: ^ic moberne ^ebigt. 249
uerbinbct. ®iefc rcligion^pfijc^ologifdicn 3tnatogicen jroifc^en unfrcr
©cgcniüart unb unfrcr flaffifc^cn 3^it fi^l» i>ic gäben, bie l^iftorifd)-
tritifd^c 2:^eoIogie unb ^rari§ mit einonber oerbinbcn. 9ln i^nen
fonn man fic^ com J^eytc jum %\)ema, ebcnfo wie a\x6) pom 2:^cma
jum Scftc bemcgcn. 2BiB man in eine gegenwärtige, ber aSerbeffe*
rung bebürftige Sage ein SäJort @otte§ ^ineinrufen, bann lege
man fic^ einmal bie g^age nor, ob innerlialb ber ©d^rift nic^t
eine analoge Sage fic^ finben läfet, unb ma§ bie ^rop^eten unb
Slpoftel im 9lamen ®otte§ in fte gefagt ^aben. SWan wirb nic^t
immer, aber fe^r oft etma^ finben, menn man nur über bie nö^
tige 93ibelfenntni§ oerfügt; fmb boc^ bie SJlenfc^enfci^irffate auf
ber ®rbe in ben noc^ fo nerfc^iebenen ^a^r^unberten ftd^ fo fe^r
ä^nlid), liegen boc^ bie großen et^ifc^^religiöfcn ©egenfä^e, bie
bamal^ al§ alte rechtmäßige unb neue ungläubige Sluffaffung mit
einanber rangen, je^t ebenfo neben einanber, roic mir bie ©rjeug^
niffe ber ocrfcl)iebenen geologifc^en ^erioben neben einanber auf
ber ©rboberpc^e finben. S)en SBeg, ben bie religiöfe ©ntmict*
lung Don 'ißfalm 1 über ba§ 33urf) ^iob, ben 73. ^falm, über
®et^femane ^inau^ bi§ Slömer 8,28 gegangen ift, werben mir
einen jeben SWenfc^en mieber^olen laffen muffen.
b. 93ietet bie 33e^anblung ber religionSgefc^ic^tlic^en 2lnalo=
gieen barum weniger ©d^mierigfeiten für bie ^rebigt, weil mir,
um unfre ©egenmart jum 3}erftänbni§ oon bem ®ange ber gött*
liefen gü^rung anjuleiten, im mefentlic^en ber Schrift nur bie
gorm ber Sluffaffung entnel^men, fo ift bie ©ac^e bebeutenb
fc^mieriger, wenn e§ fic^ um i n ^ a 1 1 1 i c^ beftimmte 3luöfagen
über bie 3 b e a l e unb ft r ä f t e unfrei religiöfen Seben^ ^n*
belt, wie pe oon gefdjic^tlid) fixierten ^^crfonen ber 93ibel ent«
roeber gelehrt ober felber bargeftellt morben fmb. 3)eutete man
früher unbefangen fein ^beal in bie ©c^riftmorte t)inein, um
il^nen fo 2lutorität unb 9lac^brurf ju geben, fo ^aben mir biefe^
SSerfa^ren oerftet)en unb al^ notmenbig begreifen gelernt. 3lber
roie immer, ^abcn mir 6rfenntni§ mit einem SSerluft uon 9laioität
unb Kraft beja^len muffen. 9Bir ^aben ertannt, baß eine jebe
3eit entroeber ba§, ma§ fie braucht, au$ bem 93ilbe oon 3^fu^
ober ben SBorten be^ 9t. S, ^erau^^olt ober gar in biefe^ 93ilb
250 9fl i c b c r 0 a 11 ; ^ic mobcrtte ^rcbigt.
einträgt. 2Bir fönnen bcm f^n)äd)cnben 6influ§ bicfer allcS rc*
latiüicrcnbcn ®rfcnntni§ ni(^t bcffcr entgegen, als rocnn toir au8
bcm 6r!cnntm§gef e^ eine 5Ber^altung§rcgct machen unb fagen : Sllfo
gut, bann machen mx e§ mit bemfclbcn SRe^te mie bie anbem
gerabc fo. a33ir ^etfen un§, inbem mir §. 53. bie aSfetifc^^bua^
liftifd^en gorberungen a(§ unocrmeiblici^e, unter ben bamaügen
93ert)ältniffcn aUcin rid^tige Folgerungen be§ c^riftlid)en SebenS^
ibealc§ begreifen unb mieberum mit einem 3lnalogiefc^(uffe fragen:
wa§ mürbe berfelbe SBille, ber bamal§ fo fprac^, ^eute unter bie*
fen unfern 9}er^ä(tniffen oon un§ forbern? S)iefe§ 9}erfa^ren ift
fc^mieriger, aber jebenfaü^ oiel e^rlid)er unb crfolgrei^er, al§ bie
gemö^nlic^e 2lrt, fic^ mit ben ate abfotut aufgefaßten gorberungen
abiufinben, inbem man fie fte^en läßt, aber bod^ feinen SBißen
tut. ®et)t man biefer ^rayi§ auf ben ®runb, bann finbet man
al§ tieffteg 3WotiD, mie bei ben meiften ©runbfragen, auf ber (Seite
ber ©egner ba§ 93cbürfni§, bie Offenbarung ®otte§ in einer ganj
f onfreten ©eftaltung ber SSergangen^eit ju finben. 3)iefe mac^t bann
jebe ©egenmart ju i^rer Sflaoin. ©o merben bie großen ßeiten unfrer
@efc^id)te, bie 93efrciung bringen moUtcn, ju einer Saft. ®arum bre^
d)en oiele bie SSerbinbung mit ber @efc^i(^te überhaupt ah, um i^rc
Slutorität in einer fog. SSernunft ju finben, bie fetbft nic^ti^ anbere^
al§ ba§ ©rgebni^ ber ®efct|ic^te unb i^re aftueüe 2lnmenbung auf
bie 3^i^w*"ftänbe, aber auc^ ebenfo fä^ig ift, ju einer Sprannin
}u merben, mie bie abfolute 2:rabition. SJlag aud^ ber SBec^fel
ber ftrf) auf ben gleichen Flamen berufenben Qbeate Unruhe ober
Spötteln ^eroorrufen, eg ift auf jeben ^aü echter unb mat)rer, be^
mußt jene ©ejie^ung jmifc^en einer ©eite ber gefc^ic^tlid)en QbtaU
träger unb ben 2lufgaben ber ©egenmart ^eriuftellen, aU bie ^ben*
tität trampf^aft auf J^oftcn ber SBa^r^aftigfeit feftju^alten. ^ier
f)aben mir mieber in anbem 2lu§bräden benfelben ®egenfa^ mie
por^in: roer nur in einer beftimmten ^^eriobe ber SSergangen^eit
bie Offenbarung fie^t, bringt bem SBunfc^e nac^ ber Ueberein*
ftimmung mit it)r l)äufig ba^ Opfer perfönlic^er et^ifcl)er Duali»
täten, roeil er ba^ ®öttlic^e immer noc^ irgenbmie in ben 3)ingen
fief)t, unb mären c§ auc^ bie geiftigen 3leußerungen ber ^ö^ften
"Perfonen; auf ber anbern Seite ^at man fi^ oon einer jeben
91 i e b e r g a n : ^ie moberne ^rebigt. 261
folc^cn ©infpcrrung @ottc§ frei gcmad^t unb glaubt i^m mit c^r^
liebem Qrren fogar beffer geredet gu tüerben, a(§ mit einer nic^t
gonj ungejroungenen forreften 2lnpaffung an ba§ Sllte. 2)ie ticffte
geiftige SJotlage Dieter jungen unb atten ©Triften unb S^eologen
f ann mau in bem et^if^en Äonflüte jum 3Iugbruct bringen : SBa^
entfprid)t me^r bem SEBiüen (Sottet: bemütige ^ietät gegen ba§
ailte ober ef)rtic^e Äü^n^eit im ©eftalten eine§ 9ieuen? 2Bir
glauben an ba§ Siecht, in ber Kontinuität mit ber grunb*
legenben "ißeriobe unfrer Steligion unfer Qbeal un*
ferm 93ebürfni§ unb ©inn nac^ ju geftalten. ^\t un§ ©^riftu^,
ber „©eiftgeber'', aufteile be§ t)iftorifc^ ftreng fifierteu 3^efu§ ge«
treten, bann tonnen mir un§ nur freuen, menn bie ^beale fo ab--
mec^fetn unb fic^.fo fc^nell folgen, roie e§ bie ©rinner ung auc^
ben ^lungeren unter un§ heutigen 2:^eologen noc^ ftar oor 2tugen
fü^rt. ^ft un§ suerft al§ „ba§" c^riftlic^e fiebenöibeal bie ©elbft--
oerleugnung oor 2lugen gemalt morben, l^aben mir un§ bann in
ben neunjiger Qa^ren für 3efu§, ben aSoltömann, unb ba§ fojiale
Obeal begeiftert, fo Rängen lieute nic^t menige unter uns; bem
^[beale ber ©elbftbe^auptung unb ber 2lu§bilbung eine§ au^ge*
fproc^enen, traftooHen perfönlic^en SebeniS an, roie e§ eine merf*
mürbige SWifc^ung jroifc^en ®^riftentum unb ^tie^fc^e un§ ge*
fd)enft i)at Slber ma§ tut§? S)a§ ift ber gegenroärtige Qa^reS*
ring am 33aume c^riftlid^er Seben§fül)rung ; anbere Reiten roerben
roieber einen neuen I)erum legen, roie er i^rem unb bem ®eifte
S^rifti entfprirf)t. SGBir benfen nic^t an geftern unb beuten ni(^t
an morgen, gef^roeige an e^egeftern unb übermorgen, fonbern roir
oerfünbigen al§ d)riftlic^e§ Seben^jicl für unfer ©efc^lec^t ein ftä^ler*
ne§ ©^riftentum, anber^ al§ bie S^itß" oor^er unb al§ oiele unfrer
©rüber, ein fieben^ibeat, in bem ba^ „©ei bir felbft getreu" einen
ebenfold^en ^^la^ einnimmt roie ba§ , Verleugne bic^ felbft', in bem
bie ©e^auptung ber etl)ifc^en ^erfönlic^feit ben Stammen für S)e*
mut unb fiiebe abgibt. 3Bir f)abtn ©inn betommen für bie ®i«
genart unb bie Kraft einer ^erfönlic^feit, roeit roir fa^en, roie
ba§ üblid)c S^riftentum unb bie pofitioiftifc^e öilbung^p^ilifterei
blo§ bemütige unb fojialgeftnnte SJlaffeneyemplare juchten roollte.
Ob nun bie @rtenntni§ ber Sigenart unb ber Kraft -Qefu, roie
3eitf(^rift für a:^eolo0ie unb Äirc^e. 16. Sa^rfl., 3. §eft. 18
252 91 i e b e r g a 1 1 : ^ie mobeme ^rebigt
toir fic jc^t überall pnben, auf bie ©cftaltung biefe§ ;3i>catc§ ein«
geioirtt ober ob bicfc§ ^h^ai im§ unbcrou^t bic Slugcn geöffnet
t)at um ^efu§ ri(^tigcr ju fclbcn — auf jeben %a\i gehört eine @r*
Ienntni§ uon ^efu$, bie in il^m nic^t ba§ Sämmtein, fonbern ben
fiöroen fie^t unb eine ©etonung eine§ männtic^eren Ql^^ötc^ i^^
fammen ; unb and) bie ^rebigt barf in biefer 93ejie]bung üon i^rem
Siechte hinter ben t^cotogifc^en unb allgemeinen ®rfenntniffen ber
3eit langfam eintierjuge^en, feinen fd)äblic^en Oebrauc^ machen.
c) Um noc^ ein SBort über bie Gräfte unb @ ü t e r un-
frei ®lauben^ ju fagen, fo bebarf e§ roo^l feiner großen
(Srörterung, ba^ ba§ 93ebürfni§ ber 3^it "i<^t ^^^^ fo cinfeitig
bie aSergebung ber ©ünben unb bie jenfeitige Seligfeit au^ bem
©c^^l^aufe (S^rifti ^erauS^oleu ^ei^t, roie baä bie bogmatifc^e
2^rabition, befonberg aber noc^ bie ^rebigtgen)o^nt)eit, be§ öftern
gebietet. ®ine genauere ®rfenntni§ ber S(^rift, bcfonber§ auc^
be§ 2lpoftel§ ^aulu§, ber ^eilfame ä^^öng ber mobernen ^eili^
gung^beroegung unb ba^ 83ebürfni^ ber Seelen ^at neben i^r bie
et^if^c Umroanblung al§ ®abt unb Stufgabe erfennen geteert.
3le me^r fic^ in i^rer J^lge ba§ ^b^al oerfeinert unb ber Un^
terfc^ieb jroifc^en ©oll unb ^abcn ^erau^ftellt, um fo me^r mirb
fi^ mieber ba§ Seinen nac^ Sünbenoergebung gettenb ma^en.
Rönnen mir auc^ in biefem 3wfömmen^ang eine regelmäßige aBie^
ber^olung a^nen, fo betonen mir nun einmal rüdCfic^t§lo§ unb un^«
befangen ba§ ®lieb, ba§ gerabe ju uufrer 3^it an ber SJei^e ift,
mag ber ®ott, ber allen 3^it^" ^"^ ^^^ ©einen ba^ ^\)xe gibt
unb nic^t in eine alte ^ötm feine '^üüt einfdiränten läßt, fpäter
anbern mieber anbereS barreic^en laffen.
2)ie 5Bertiefung unfrei 3>nnenleben§ famt ber ©enfibilitat
unb inneren ©c^roä^e unfrer Q^ii laffen e§ un§ auc^ geraten fein,
ben ^alt unb ben ftarten greunb in @ott ju betonen, ber unfer
ganje§ Seben in bie Steige bringen fann, mie ba§ 93aumgarten
j. 33. fo gern tut.
d) S)ie ® e f c^ i d^ t e unb bie ^ r e b i g t werben immer mit
einanber oerbunben bleiben, folange e§ fic^ in ber '^^rebigt um
Darreichung oon perfönlid^en Seben^fräften ^anbelt. 2)ie genannten
3)inge finb folc^e J^räfte, bie un§ 9)lenfd)en baju oer^elfen follen.
9^ i e b e r g a n : ^ic mobernc ^rcbigt. 253
gegenüber bcr SWac^t bcr vergangenen ©c^ulb, gegenüber ber au^
ber 9latur unb ber Umgebung auffteigenben ©eroalt ber SBcrfu»
c^ung unb ber in bte g^rne f^auenben ©orc^e um unfer Scben
unb ®ebei^en, un§ felbft ju ermatten, Ferren im eigenen §aufe
unfre§ Innern ju bleiben unb alle 3Wäc^te, bie un8 pon ber
fieberen ^ö^e eine§ flaren, felbftberou^ten Seben^ in§ ®elebt* unb
©etriebenmerben ^inabjie^en motlen, ju bänbigen unb, menn mög»
li(^ jum ftärferen Slufbau unfrei ^fnnenteben^ ju üermenben. 3)a§
ift, jumal bem mobernen 9Wenf^en gegenüber, bie Hauptaufgabe
ber ©eelforge unb ber ^^rebigt, meil ber befonber§ in ber ®efa^r
fte^t, p^^fifc^ gefc^mäc^t unb o^ne ÄonjentrationSfä^igteit mie er
ift, fid^ ben fo breit unb ftar! anbrängenben gluten be^ Seben§
JU überlaffen. 3)a§ \)abtn am Harften $ e a b o b 9 unb 3» o--
^anneS 9Küllcr erfannt. ®§ ift aber fein Zufall, wenn ge»
rabe biefe beiben, befonberS ber Untere, fic^ mit aller üWa^t an
bie ®efc^ict)te, por allem an bie ^^crfon ^efu galten. Senn menn
e§ auf Äräfte in ber SReligion anfommt, auf Äräfte perfönlic^en
Seben§, bann werben mir auf bie ®efc^ic^te gemiefen, bie un§
^^Jerfonen unb ®eftalten jeigt, oon benen mir fd^on unbewußt le^
ben, bie un^ aber immer noc^ reicher madien, menn mir un§ be*
mu&t in fie oerfenfen. äßenn e§ auf Stimmungen in ber SReli^
flion anfommt, bann ge^e man in bie 5tatur unb in ba^ Uni*
uerfum, menn auf SBa^r^eiten, in bie SSernunft, aber Kräfte motten
au§ ber ®efc^ic^te geholt fein. (2)a§ mit biefen brei ^nter*
effen ^ier nur anbeutungSroeife brei oerfc^iebene Sluffaffungen unb
9JJetI)oben bejeic^net merben, ba§ fic^ alle brei immer fuc^en unb
mifd^en, foll nur augebeutet merben, ba ber 3wfammen^ang eine
nähere 2tu§fü^rung unterfagt). 3Bir l)aben alfo in ber aSerffin*
bigung bie Slufgabe, bie ^^Jerfouen, bie entmeber Ouellpunfte
ober erfte (Smpfänger, flare ^lluftrationen ober flaffifc^e ^eu*
gen biefer göttlidien ^ilfen unb Kräfte marcn, bem 33ebürfen unb
®ud)en oor Slugen ju ftellen unb an größeren 3ufammen^ängen
JU jeigen, mie @ott fein 5Reic^ baut unb feine 9)lenfc^en erjie^t.
2llfo ftatt ber geiftreic^cn 'ißaratlele jmifc^en einer gegenmärtigen
unb einer biblifc^en ®rfc^einuug bie 2)urc^fü^rung einer begrün-
benben 2lnalogie, bie in ber gegenmärtigen 2age mutatis mutandis
18*
254 S^icbcrgaK: ^ie ntobcrnc ^rebigt.
bic ber flaffifd^en biblifd)cn 3^it roicbcrcrfennt unb für fic bie*
fcfbe 2lntn)ort ober bicfclbcn ^eitmittet in Stnrocnbung bringt bic
ber ©cift @otte§ burc^ propl)ctifd)e SJlänncr in jene hinein \)at
fagcn laffen. 9EBcr fo bie SSerbinbung jroif^en ^iftorifc^er @r-
tenntni^ unb ber ^omilctif^en ^rajiS jic^en !ann, ber \)at ben
©d)lüffct jur mober nen 93ibelprebigt. SBir wollen ganj
unb gar ©ibelc^riften fein, loir wollen un§ roebcr auf Qbeen noc^
auf @otte§ aSort im überlieferten SSerftanbe [teilen : mir oerlangen
na^ bem ®eift unfrer großen flafftfc^en 3^^^ wir l^ungem nac^
gefc^id^tlic^ gegebenen Kräften unb Si^l^"/ ^^^ bürften nac^ SBirt-
lic^teit; unb biefe fd)entt un§ bie gefc^id)tlid) oerftanbene Schrift.
Unfer Sßerl^ältniö ju i^r ift bie eigentümliche SWifd^ung oon 3lb=
^ängigfeit unb ©elbftänbigteit, roie mir fie immer flaffifc^en Söerfen
gegenüber fe^en. (Statt eine§ ©d^meben^ in ber Suft otjne feften
©runb unter ben %ili%m mollen mir ben 2lnfc^lu§ an gro^e Reiten,
bie i^ren flaffifd)en (S^aratter in i^rer Unerfd)öpflic^teit !unb getan
^aben ; aber ha e^ i^r ^n^alt felber ift, ber unfer 93ebürfni§ an*
jie^t, ba fie un§ immer nod^ ju mächtig finb, um un§ lo§julaffen,
bebarf e§ feiner gefet^lic^en Sftegelung biefe§ SBer^ältniffe^ ; benn
ba§ 93ebürfni§ binbet fefter als ba§ ©ebot. ^thoä) bie Sinbung
burc^ bie Äraft beS 53ebürfniffe§ er^eifd^t unbebingt gro^e ©elb«
ftänbigfeit, roeil e§ nic^t auf eine gemaltfame 93eibe^altung ber
alten Söeife, fonbern auf ben ©eminn neuer Qitlt, ©inbrürfe unb
fträfte au§ bem alten ©c^a^e anfommt. Unb in biefer ©ejie^ung
bürfen mir rul^ig auf bie Unerfd^öpfli(^feit unb Unentbe^rlic^teit
biefer ©c^rift oertrauen, bie für un§ gerabe in i^rem re(^t er^
tannten, gefd^ic^tlic^ menfc^lic^en (S^araf ter begrünbet
liegt. 3)enn biefer mac^t fie un§ ju einer ©timme ©otte§ für
unfre unb alle ©egenmart, roeil mir in i^rer fc^einbar iufätligen
Somplijiert^eit immer eine ^üüt oon 3tnalogien jur Söfung ber
uerroirfelten ©egenroart§aufgaben finben. ©o j. 33. ift e§ nidjt un-
möglid), ba§ fid) in ber näd^ften Qext folgenber oielleic^t inner*
lic^ begrünbete ©ang ber biblifc^en S^^eologie roieberl)olt: na^=
bem mir un§ oon bem bogmatifc^en 6^riftu§bilb ^auli ju bem
ftreng ^iftorifc^ fein follenben ber ©^noptifer geflü^tet liaben, t)at
fic^ beffen unjureic^enber ©tjarafter für unfre Slufgaben \)txa\i^^
SticbcrgaH: Xic mobcmc ^rebigt. 255
geftcüt; foKtc fid) je^t nic^t eine SBcnbung im ©inne bc§ jo^an*
ncifc^cn ®t)riftu§ anbahnen, bcr bcn gefc^id^tlidicn ^cfu^ aufnimmt,
aber in§ SEBeite unb Uniocrfale menbct? ®a§ bann auc^ micbcr
eine 3cit nac^ ^^au(u§ rufen wirb, ift fic^er; jeboc^ immer mirb
berfefbe ©d^riftin^alt fid^ ber neuen 3^it anber§ barfteßen. 6§
miU fc^einen, al^ wenn bie refteftierenbe, grübeinbe, alle§ jer«
fe^enbe 2lrt ober bie ©timmung^fuc^t ber mobernen Seute für
folc^e 3)inge nic^t ju ^aben märe; jeboc^ oieüeidit ift gerabe bie
flare, felbftgeroiffe ©id^er^eit, bie unreftettierte Sraft unfrer großen
gelben unb Qtn^tn, ebenfo mie bie Oemalt ber gef^i^tlic^en
9Birf(i(^feit ba^ ©injige, ma§ au§ bem jmeifelnben ©rübeln ober
bem fc^mac^en ©timmungSmefen ^erau§reigen unb auf feften 93o*
ben fteüen fann. 9EBir fangen e§ Diel(eid)t oft ganj oerte^rt an,
mir t)aben mo^t bie ^onfequenjen unfrer, um eiS furj ju fagen,
^iftorifc^.'praftifc^en ©teHung nod^ ni^t erfannt, menn mir bi^-
putieren unb argumentieren, ftatt ganj einfach barjufteUen unb
ju bejeugen. SBir merben niemals bialettifd^ übermunbenc ®egner
jU ben 5ö&^w S^rifti nieberjmingen, fonbern immer nur baS 3)e*
bürfni^ nad^ Seben unb Unmittelbarfeit ju bem SSerftänbni^ feiner
felbft bringen unb bann an bie DueUen be^ SebenS leiten tonnen.
3)er Cluat ber Steflejion unb ber eigenen Semü^ung um ein not*
bürftig jufammenjujimmembe^ Seben foüten mir, mie ba^ ^o^
Cannes SWüIIer tut, frif^ unb nolt SSertrauen bie ftarfe unb
fro^e Unmittelbarfeit be§ ^errn 3^efu§ jeigen unb e§ bem Se^
bürfniS unb bem ©uc^en überlaffen, ob unb mie fie fi^ finbeu.
aäJir foüten btog ben Sttnfc^lufe ^erjuftelten miffen, bag baö fieben
ba§ 93ebürfni§* unb ba§ Sebürfniö ba§ Seben finbe bur^ ben
^eiligen @eift, bem mir alle immer noc^ ju menig jutrauen, ber
aber ftärfer unb flüger ift, aU mir mit unfern JReflefionen unb
2lrgumenten. ^aben mir alfo bie abfc^lie^enbe SBa^r^eit in bem
Seben, ^aben mir ba§ Seben gefunben in ber @efc^i(^te mit i^ren
göttlichen Jö^^ungen unb Seben^jentren, bann legt fic^ un§ bie
grage na^e, ob „bie" ^rebigt ber ©egenmart nid)t bie @e*
frf)i^t§prebigt fein f otl, mie fie © u I j e bef ürmortet ^at.
S)en ©runbgebanfen ^alte irf) für burc^au^ ri(^tig; nur ^abe id)
mehrere S3ebenfen. SJlag auc^ ein feingebilbete^ "ipublifum bie
256 SfliebergaU: S)ic tnobcrnc ^rcbigt.
©prad^c bcr ^erfoncn unb bcr ©efd^i^tc oline lange Uebcrfc^ung
üerftcl^cn; ober tpo ^aben roir ein fo fein gebilbcte^ ^ublüum in
ber Äird^e? Unb bann wirb eine fo(^c ©efc^ic^t^prebigt, wie fie
©uljc t)or einigen ^fö^ren in ber „®I)rift(. SEBelt" oeröffentlic^t l^at,
fofort überall ha^ einftimmige Urteil erroeden: ba^ ift ja ein SBor^
trag unb feine ^rebigt. SKbgefel^en baoon, ba§ e§ nur fe^r roe*
nigen gelingen wirb, bie ©ac^e ri^tig unb intereffant barjuftcllen:
n)cr in bie Kirche tommt, will nic^t nur ©ad)en, fei c§ Sßa^r^
Reiten, fei e§ 2lufflärungen, fei e§ 2)arftellungen, fonbem er will
©rbauung b, t). ©tärfung feineS perfönlid)en ®laubcn§leben§. Unb
baju gel)ört ttwa^ ^erfönlic^eS. 9Jlan roill ipo^I allgemein 3^u9"i^
unb er^ebcnbe geier: beibeS tann man nic^t ^aben, menn man
ju ^aufe ftc^ etroa^ uornimmt unb lieft. 3Wan will f\ä) an einem
ert)eben unb ftärfen, ber me^r l|at aU man felbft, unb barum mill
man ben 3Wann fe^en unb ^ören, meil nur h\xt6) biefe geiftigen
iätigfciten ba§ ^mponberabilc ber perfönlic^en Ueberjeugung ap-
perjipiert werben fann, mä^renb ber S)rudE nur bie ©ebanten
überliefert, o^ne ba§, ma^ bie ©ebanfenäu^erung ju einer mirt*
lid)en ^rcbigt mac^t. 3)ie ©gntl^efe bicfer beiben erforberlic^en
®inge ergibt fe^r einfach aU 2lufgabe ber ^rebigt ba§ perfön=
lic^c 3^wgni§ eine§ mit bem ©cgenflanbe ucrmad^fenen unb baju
gebilbeten 9Wanne§ über bie großen ©cftalten unb bie Säten
(Sottet in ber @efrf)id)te. ^n roeld^er SBeife fid^ einer bem ^beale,
nämlic^ bem ©leic^gemic^t be§ objeftiüeu unb be§ fubjeftioen ^ah
tor§, nähern roill, ^ängt uon feinen ©aben unb Steigungen ab.
®a§ ber uorgefd^lagene Söeg fein neuer, befonbcr^ au^ nid)t ber
einjig rid)tige ift, üerftet)t fic^ oon felbft. 2lbcr menn e§ fic^ em*
pfie^lt, oerfc^iebenc SBeifen ber 2)arbringung be§ @laubcn§in^altc§
in ber J^^eorie ju be^anbeln unb in ber ^rajiS ju ucrfud^cn, fo
barf ber foeben bargcftellte auc^ einen ^ta^ beanfpruc^en. 5- ^öU'
m a n n ^at I)äufig, 93 o n l) o f f bcfonberS in ben ^rebigten über
^leremia einen f olc^en 2Beg eingefc^lagen ; ba§ fid^ bei ben anbern
fo feiten etma^ berartige§ finbet, meift barauf l^in, ba^ bie ^rattifc^e
Ideologie noc^ fel)r oiel auf einem ©ebicte ju tun ^at, ba§ noc^ nic^t
bearbeitet morben ift, mie e§ \\6) gebührte, nämlic^ auf bem großen,
noc^ jiemlic^ leeren gelb jroifc^en i^rem eigenen unb bem ftreng
^licbcrgall: 3)ic mobcme ^rebigt 257
umhegten SHaum, auf bem i^rc oornc^mcn t^cotetif^cn ©d^roc*
flcrn graben unb fäen. 68 ^anbclt fid^ mit einem aOBort batum,
öibel, ^irc^engef^id)tc unb SDogmatit me^r für bie Sluffinbung
be§ ?ßrebigtftoffe§ ju erf^Iie^en. ^at un8 bie eycgetif^e SBiffen«
fd)oft in bcr ^^i^nung ölt* unb neuteftamentlid^cr ©^arafterbilber
unoergtcid)Ii^e 3)ienfte geleiftet, fo ftc^t un8 noc^ bie greube bc*
oor, bie ©d)ä^c ber ©efc^ic^tc in ä^nlic^er SBeife jugänglic^ ge»
mad)t ju bekommen. SBir mürben bann nic^t nur pielfeitiger unb
intereffanter werben fönnen, fonbcm por allem, morauf e§ un§
in biefem ganjen 3ufammen^ang anfam, fo picl überjeugcnbe unb
geminncnbc SBirflic^feit obieftiocr 2lrt beibringen, aU unfre 2luf*
gäbe überhaupt nur perträgt. 338enn mir pon ber ©efc^ic^töfc^rei*
bung etma§ Sunft ber SWenfc^enbarftcHung lernen, menn mir über*
^aupt pon ber Sunft bie gertigfeit profitieren, unfre ©inbrücfe
pon großen 2)ingen einfach unb ftarf mieberjugcben, mie boi§ 9lau»
mann fann, fo mirb ber gluc^ ber Sangemeile meieren, bie por
bem Slugc cine§ geiftig regen mobernen SWenf^en auffteigt, menn
ba§ SBort ^rcbigt burc^ fein öcmu^tfcin gc^t. 5^^^'*^ erforbert
eine folc^e Söcifc ju prebigen me^r Slrbeit at§ bie (eic^tgefc^ürjte
2lu§(egung einer SSibcIftcHe oon ber gemö^nlic^en 3Irt: aber e§
mürbe fic^ auc^ jeigen, bag im allgemeinen bie Sdf^l bcr Äirc^en*
befu^er in einem gerechten ^Bcr^ältni§ fle^t ju ber geiftigen ®e«
famtarbeit unb ber befonberen SWü^e, auö bcr eine ^^rcbigt gc*
boren mirb.
3. 3)a§ religion^gefc^ic^tlic^e 9Woment unfrcr neueren
2:l)eoIogic f^eint eine redjte ©rfc^merung bcr ^rcbigt ju bebeuten.
3Ber fann noc^ mit gutem ©cmiffen über bie erften ©eiten ber
Schrift, mer über bie Äinb^citsgef^ic^tc, mcr über bie Sotfac^en
bcr großen geftc prebigcn, ol)ne ba§ i^m entmebcr fein t^cologi«
f^c§ ©emiffen ba§ Äonjept oerbirbt ober bie praftifd)c Scnbenj
bcr (ärbauung für ein paar ©tunbcn jeneS au^cr Äraft fe^t!
2lber folc^e 93ebcnfen gelten boc^ nur für eine 2luffaffung
ber Offenbarung unb ber ^rebigt, bie mir um i^rcr rein t^eo«
rctifc^en 3lrt millcn längft übcrmunben ^aben foUtcn. 3)ic Offen*
barung unb bie Slufgabc ber "ißrebigt beftel)t nic^t in bcr W\U
tciluug Pon Jatfact)cn empirif^cr 3(rt, alfo aus; bem ©cbict ber
268 dliebergatl: ^te moberne ^ebi()t.
©cf^id^tc unb bcr ?latur, bie cbcnfo ober ätinlic^ in älteren SRe*
ligion^fgftemen flefunben werben fönnen, fonbern in ber SJlittei*
lang be§ beflimmten @eifte§, in bem in unfrcr flafftfc^en Urtunbe
biefe 2:atfad)en aufgefaßt unb bargeflellt würben, ©o le^rt bie
reIigion§gefc^ic^t(id)e Slrbeit bie Eigenart unfre§ ©laubenö immer
met)r erfaffen unb in ber 3)ifferena jmif^en ber biblifc^en unb
ber au^erbiblifd^en ©arftellung bie Offenbarung erblicfen. ©ie
jeigt innerhalb ber biblifc^en ©ntmicftung ben 9}eft ber na6) 2lb*
jug ber religion^gefc^ic^tti^en 3wflüffe übrig bleibt, unb ber 9ieft
ift ba§ ®anje.
ein mirtung^oolleg, ^riftli^^euangelifc^e^ ^rebigen ift aber
nic^t bauernb mögli^ o^ne eine genaue @rfenntni§ ber eigentüm«
liefen Äraft gerabe unfrei @lauben§. ^ier treten fic^ ja bie oben
gejeic^neten Unterfc^iebe al§ ©runbauffaffungen gegenüber, bie
fic^ beibe ber 9ieligion§gefd)ic^te bebienen, bie eine, bie mit bem
SBorte „©^riftentum" im engeren ©inn, bie anbre, bie mit bem
SBorte „^Religion" bejeic^net rourbe. 3)ie ganje Haltung biefer
93lätter roiberfprid^t bem 93eftreben um berer millen, bie bem
überlieferten (J^riftentum abgeneigt, aber allgemeineren reli^
giöfen Jenbenjen jugänglic^ fmb, ba§ |pe5ififd)e unb c^arafteri*
ftifc^e aOBefen be§ (J^riftentumS al§ einer nüchtern auf bie 3ln*
regung be§ SBiÜen^ unb bie 93efriebigung be§ @emüte§ ge«
richteten geiftigen 3Wac^t aufzugeben, um fie burc^ eine allge^
meinere Dteligion ju erfe^en. Um t)on bogmatif^en (Erörterungen
ganj abjufe^en, ^at immer ba§ Äontrete, ^wfammengefa^te, 2tn=^
fc^aulic^e praftifd)e SBirfung^fraft üor bem Slllgemeinen unb SJer*
f^raimmenben. 9Wögen roir folc^e bie ba brausen fmb, anberS ju
gewinnen fuc^en; bie ©d^ar berer, bie auf ber d)riftlic^==fird^li^en
Srabition ftelien unb ft^ weiterbilben laffen wollen, ift immer
noc^ gro§ unb wertooU genug, um nic^t ba§ !onfret gefd^ic^tlid)e
©^riftentum einem angeblich wahreren uub gere^teren 3lllgemeinen,
ba^ ben Sleligionen jugrunbe liegen foH, al^ Opfer l^injugeben.
Unter ben angeführten ^rebigern ge^t eigentlich nur Äalt^off
au§ bem Umfreiö be§ eigentli^ ©^riftlic^en in ta^ allgemein
SJeligiöfe ^inau<§. Q\t t>a^ feine Ueberjeugung unb ba^ 33erlangen
feiner |)örer, fo ift ni^t^ bagegen ju fagen; nur ift mit aller
9licbergaU: %k mobcrnc ^rcbigt 259
Äraft bapor ju roamcn, ba^ man einer anbern 3)urd^[c^mtt§*
gemeinbe fo etroaS al§ c^riftU^ porfetjt
e§ ift f (ar, ba§ au^ bie fjrage nac^ ber 91 b f o I u t ^ e i t
be§ S^riftentumö einem ^rebiger t)ie(e 93ef(^n)erben ma^en fann.
6§ ift nun nic^t geraten, um reUgion§n)iffenfc^aftlid)er 93ebenfen
mitten auf bie Äraft ju oerjic^ten, bie in bem fröl)lid^en ©tauben
berul^t, ba§ un§ ®ott in ©^riftu^ fein ganje§ ^erj aufgefdjloffen
unb feinen SBitten gefagt ^at, unb fxä) un§ immer no^ offenbart
in ber SBeife, mie mir ^eute ®f)riftu§ flauen imb nerfte^en. 3Ber
JU gemiffen^aft ift, um fo naio unb feft ^t\\x§ al§ bie Offen*
barung @otte§ ju oerfünbigen, mer jo bie SRed^te ber 93ubb^iften
unb 9teger nic^t beeinträchtigen miß, ber rebe boc^ nid^t fo afl-
gemein; benn bie übergroße ©erec^tigfeit unb öerüdtfi^tigung
aller anbern fc^mäd^t, unb ba^ SlHgemeine l^at menig Straft. Unb
menn man burc^ ©tubium unb SReflefion bie frö^lid^e 9kimtät
baju perloren I|at, bann fteße man fie fi^, — mie ba§ \a über^
l^oupt unfre 9lufgabe ift, burc^ SReflefion mieber naio ju merben,
— bann fteUe man fie fic^ mieber ^er burc^ ben ©ebanten: ic^
min in ®otte§ 9iamen prebigen, al§ menn e§ au^er unfrer feine
Offenbarung @otte§ me^r gäbe ; benn bie Offenbarung ©otteö in
ben Sieligionen ober in ber SReligion fe^t oorau§, ba§ jcbe 9te«
ligion pon i^rer Slbfolut^eit überjeugt ift, menn fie etmaö auf
fid^ ^ält unb mirfen miß, me^^alb i^ e§ auc^ fo ma^en mu§.
3Bir Iiaben ja ni^t uom ©tanbpun!t @otte§, fonbern pon unferm
eigenen bie 2)inge ju betrauten unb anjufaffen.
®ie ganje religionSgefd^ic^tlic^e Betrachtung unb Slrbeit ge«
^ört nun, meit fie rein t^eoretifd^ ift, auc^ bann, menn fie ber
^rebigt ben größten Sinken bringt, nid^t auf bie Äanjel, fonbern
in bie ©tubierftube. ©ie ift nic^t ©toff, fonbern 9tegulatio für
bie ^rebigt. 9tur i^re ©rgebniffe, nic^t i^re SBege unb 2)let^o=
ben foßen praftifc^ fruchtbar merben, o^ne ba§ man etma§ »on
ber 2lrbeit fe^en ju laffen braucht, ©o gut e§ ift, menn j. 3).
fSflt\)l\)oxn bie ©ngeU unb 2:eufel§le^re auf ber Äanjel ri^tig
ftetlt unb religiös frud)tbar mactjt, bie ©efc^id^te ber Seufel^oor«
ftellung erfc^eint mir für bie burctifc^nittli^e ^rebigtaufgabe über«
flüffig. aSenn mir bagegen eifern, ba§ bie 3lltgtäubigen i^re
260 9^ i c b e r ö a 1 1 : ^ic mobemc ^cbigt.
S^cologic auf bic Äanjcl bringen, fo rootten wir crft red^t bie
unfrigc baoon fem galten. 2)amit foll natürlich ein gelegentlicher
©eitenblid, xüo 93ebürfni§ unb Sßerftänbni^ ift, nic^t auSgefc^loffen
fein, aber bie öele^rung über folc^e ^^fonimen^änge bleibe ber
Seftüre unb bem SBortrag überlaffen, bie ^rebigt jie^e immer
nur bie prattif^en Konfequenjen au§ unfrer 2:^eologie, bie ftet§
eine größere ©rbauti^feit unb reinere ^erauSgeftaltung be§ 6c^t«
veligiöfen unb Siein^riftti^en bebeuten werben.
2)a8 ift eine banfbare 2lufgobe ber ^raftifd^en J^eologie,
immer me^r greunb unb g^inb bemüht ertennen ju laffen, ma^
bie moberne J^eologie un§, i^ren 2ln^ängem für unfre ^rayiS,
fc^on gef^entt l^ai, o^ne ba§ mir e§ im einjelnen genou überfe^en
fönnen. SBir wollen nie in ben geiler fallen, S^eologie auf bie
Äanjel ju bringen, meil ba§ für un§ ein boppetter geiler märe;
mir moHen immer me^r ^erau<§arbeiten unb jur ©eltung bringen,
roa^ je^t fc^on unfre frö^lic^fte Ueberjeugung bilbet, ba§ man ate
moberner 2:^eologe nic^t „aud^", fonbern gerabe ganj befonber§
in ber ^rayiö mirfen !ann, meil bie moberne S^eologie bie Kräfte
unb bie ©üter herausgearbeitet ^at, oon benen mir leben muffen.
Unfre ®egner reben immer baoon, ba§ mir moberne 2:^eologie
auf bie Äanjet bringen. aSenn ba§ ma^r märe, märe e§ grunboer^
fe^rt, meil mir bann noc^ nic^t grünblic^ genug bie Konfequenj
unfrer Stellung gejogen t)ätten, bie eine jebe Ideologie oon ber
Äanjel au^fc^liegt, aber eine rein erbauli^e SSejeugung ber SBelt
unb Kraft ©otteS in 3^efu§ unb feinen 2lpofteln oerlangt. @e»
lingt un§ biefe 3lrbeit ber Umfefeung t^eoretif^ fo gut, mie fie
nad^ 9lu§mei^ ber mitgeteilten ^rebigten praftifd^ gelungen ift,
bann mirb e§ feltener merben, ba§ oiele in ber Sonfercnj mobem
finb, bie fid) auf ber Kanjel au§ Ungefd^idt nod^ trabitioneU geben,
— oon benen ju gefd)meigen, bie, meil fte noc^ fein geraber SBeg
oom ^örfaal auf bie Kanjel fü^rt, fachte über 9lad)t mit ^raji^
unb 2:^eorie fid^ auf ba^ alte ©eleife umrangieren unb ba§ gute
©emiffen famt ber Kraft oerloren tiaben — tro^ allem Slenegaten-
gepolter.
9fl i c b c r 0 a n : ^ie mobeme ^rcbigt. 261
B. ^er tnoberne SRenf^ nitb bie ^rebigt
®ic @rtenntni§ bc§ mober neu SWcnfc^cn fotttc für
un§ ber jroeite örücfcnpfeilcr fein, wenn wir nac^ ber Slufgabe
ber mobernen ^rebigt fragen.
1. 6§ ift ganj oevtet)rt, nun o^ne weiteres bie ^Aufgabe ber
^rebigt in ber ©egenroart nac^ einem aSerftänbniS beS mobernen
aWenfd)en ju rid)ten. SDenn ber für bie mobeme 2lrt d^arafteri*
ftifd^e realiflif^e ölic! fottte un§ fagen, ba§ bie fieute, bie ju un8
in bie Äird^e fommen, ebenfo menig moberne 3Jlenfd^en fmb, mie
bie mobernen aWenfc^en geneigt ftnb, in bie Äirdje ju ge^en. 9Wit
3lu§na^me ber ©c^rift oon Pfarrer äBoIff in Stachen über bie
grage ,,3Bie prebigen mir ber ©emeinbe ber ©egenroart ?" ^) finbet
man oft in ben unfre fragen be^anbelnben ©d^riften bicfen ^t\)Ux
in ber Sluffaffung ber ganjen gegenwärtigen Sage, ^n bem Ueber*
fc^mang ber 93egeifterung, ben Seuten mit benen man ft^ in
fo oielen fulturellen Slngelegen^eiten oerbunben mei^, ba§ Sefte
ju bieten, in einem geroiffen Ueberbru^ an bem |)eer oon braoen
Keinen Seuten unb älteren grauen, mit benen man alö Pfarrer
faft auSfd^Iie^Iic^ ju tun ^at, möchte man gar gern eine ^u^örer^
fc^aft, bie einen beffer oerfte^t, unb bie jur ©rgänjung i^rer ganjen
©eelenoerfaffung eine SRetigion gebrauchen fann, bie aber oon ber
gewöhnlichen fe^r oerfd^ieben fein mu§. Unb bann beginnt man
mit ber ©c^i^t ju liebäugeln, bie ein banfbarere§ ^ublitum ju
werben oerfpri^t al§ ba§ gemeine Kirc^enoolt, bem man bo^
ni^t fein öefteS fagen fann, unb biefe kleinen ßeute über bie
3ld^fel anjufel^en, weil fie boc^ noc^ in gar ju großer SRüdtftän«
bigteit befangen fmb. Slbev man wirb gar balb werten, wie
fd^recfli^ fc^werfällig alleS auf bem religiöfen ©ebiete oor fic^
ge^t. Qroax fommen bie Heinen fieute, tro^bem i^nen ber Pfarrer
oieleS JU tragen gibt, meiftenS noc^ mit rü^renber 2:reue; aber
ben Ferren mobernen SWenfc^en fällt e§ eben gar nic^t ein, weil
au^ bie liberale Äirc^enluft nic^t fe^r oiele oertragen tonnen.
:3eboc^ wir wollen falfc^e SSerallgemeinerungen nad^ jeber
©eite l)in oermeiben unb folgenbeS ru^ig erwägen unb be^erjigen.
iy^ie^en, «Rtdfcr 1904.
262 9^ i e b e r ö a n : ^ie mobeme ^rcbtgt
2lud^ unfcrc fogenanntc ©cmcinbc, b. \). bic Älrc^enlcutc, finb oon
t)cute. SWanc^c ma^en fic^ and) i^re ©ebanfen über SBunbcr
unb 33ibel unb bentcn anber§ al§ fie e§ bcm ^errn Pfarrer }u acigcn
pflegen. SBie meiften§ ift ani) \)kx bie aScratlgcmeinerung im
aWunbe agitatorifd)cr ©eiflcr, ba§ SBoIf, bie eoangelifc^c ©Triften*
l)cit, bie ©emcinbe fei no^ „gläubig" ober fie fei im ®runbe nur
fc^einbar no^ mit bem alten 9Befen oermad^fen, ein ^robutt be§
9Bunf^e§, ober ber @ifer nimmt partem pro toto. 3)ie Seute
finb eben ^ier fo unb bort fmb fie anber§. Unb mitunter fmb
fie auc^ einmal wenig oon ber „SWucferei" unb oon einem Pfarrer
erbaut, ber e§ ma^t, mie man e§ oor fünfjig ^a^ren gemacht
i)at Unb bann wollen fe^r oiele — fagen mir ja nid^t „bie"
©emeinbe! — freier gelehrt unb geleitet werben. 3)er Pfarrer,
ber freierer Sluffaffung ift, gebe fi^ offen nac^ feiner 9lrt,
ber 9lltgläubige trage fein ^reuj an einer fold^en ©emeinbe, ebenfo
wie c^ ber „mobeme" Pfarrer tun mu§, ber an eine altgläubige
©emeinbe fommt. ?lur bleibe jeber fic^ treu, ne^me um ber Seute
willen nic^tg an unb lege nichtig ab, xüa^ i^n in feinem ©ewiffen
tebrüdfen fann, weil e§ für i^n jum Qn^alt be§ ©lauben§ ge*
^ört. SBer felbft freier fte^t, mag ru^ig auc^ einmal barauf hoffen,
ba& ein im SBergleic^ ju feinen Äirc^enleuten wirtli^ moberner
9Wenf(^ ben Äopf jur Kirche ^ereinftredft, weil i^n ein 93ebürfni§
trieb ober ein 2lnla§ jwang. 3)er wirb wegbleiben ober wieber^^
fommen, je nac^bem i^m bie religiöfe Kraft ba§ 9Wa^ ber mit
il)rer Darbietung üerbunbenen unaffimilierbaren 2:^eologie ertrag*
lic^ machte ober ni^t. ©o !önnte man noc^ eine Steige uon "S&üm
unb entfpred^enben SSorfic^t^ma^regeln anführen ; aber biefe ganje
©rörterung wirb überflüffig burc^ bie 2lufftellung f olgcnber ©runb*
fä§e: SQ3er felbft in feinen Ueberjeugungen jur mobemen S^eo*
logie fid^ red^nct, ber gebe fi(^ — ni^t wie er ift, — fonbern
biefer J^eologie entfpre^enb al§ einen Serfünbiger großer ^ot)er
©üter unb Kräfte, ^e unmittelbarer unb unbefangener er e§ tut,
befto beffer: um fo me^r werben neben feinen t^eologifc^en ©e*
finnung^gen offen i^m auc^ bie oon ben 3lltgläubigen anfangen,
bie fi^ am ^rebiger nähren aber nic^t reiben wollen ; um fo met)r
wirb er unter ben mobernen Seuten bie anjie^en, bie uernünftig
9fl i e b c r 0 a 1 1 : %iz mobernc ^rcbigt. 263
genug finb, ben SBein ni^t nac^ bcm ®Ia[e, fonbcvn nad) bcm
Slöcrtc ju beurteilen. Unb bic anbern mu§ man eben laufen laffen.
Slöir ^oben o^ne SSerleugnung unfre§ befferen ©elbft, unb bamit
aller Äraft, fein SWittel, um alle ju bef riebigen. 3)a§ ^aben unfre
2ltten ni^t getonnt; bann roirb man e§ au^ oon un§ mobernen
S^eologen nid)t al§ SRec^tögrunb unfre§ 3)afein§ in ber Sirene
oerlangen. 2Bir bienen eben ben Seuten, bie ftd^ uon un§ bienen
laffen moUen. 3)ie anbern muffen, folange einer oon un§ am*
tiert, übermintern, ebenfo mie unfre ®eftnnung§genoffen in ber
©emeinbe aud) nmn^mal überwintern muffen. Unb t>a§ anbre
ift bie§: Q)i tiroa^ gut unb ri^tig an bem mobernen (Seifte, bann
werben mir e§ annehmen muffen, ober e§ wirb fic^ felbft unfrer
bemächtigen, o^ne ba§ man e§ mcig. Kommen mir bann bem
mobernen aWenfd)en näl)er, gut; aber na^Iaufen mollen mir i^m
ni^t, meil fomot)l er mie unfre ©ac^e ba§ am menigften oer-
tragen fann.
2. SBir erinnern un^ je^t beffen, ma^ oben über ben mo^
bernen SWenfc^en gefagt, ma§ an allgemein ju beoba^tenben 3ü9^"
jufammengeftellt mürbe. 2Bir fprad^cn oon ber 9t e r o o f i t ä t,
bie eine Konjentration be§ geiftigcn 2eben§, befonberö aber ba§
^ören erf^mert. 3Q3ir moHen un§ oor allem ^üten, i^r burc^
eine aufgeregte, allju impreffioniftifc^e, burc^ tjrage^ unb 2lu§5
rufung^jei^en fomt ©ebanfenftri^en serriffene 3)iftion ent-
gegenjutommen ; oielme^r gerabe burd) eine ruhige flare jufam*
men^ängenbe 2lrt, oon unferm 93eften ju jeugen, moUen mir ben
Seuten mitten in ber ^e^e be§ £eben§ Siu^epunfte unb geier-
ftunben gewähren. 9lber bebenfen mir mobl, mie jebe anbere
2lrt ber SKitteilung gegenmärtig lebenbiger gemorben ift unb alle
®eifte§träfte in Slnfpruc^ nimmt ! 3)ie langweilige, abftratte, um«
ftänblic^c 2lrt ber ^rebigt ift fdjulb, ta^ im allgemeinen ba§ SBort
^rebigt überhaupt bie SBorftellung an fromme Hebungen im ©tille*
fi^en ermedt. SBrauc^en mir au^ nid)t ben i?euten in ber SSSeife
ber oon 93aumgarten überfc^ä^teu (äoangelifation auf bie Sleroen
ju mirten, etma§ mel^r garbe unb Seben, ein paar ri^tige 2ln*
fc^auungen, ein paar Sropfen poetifd^en Könnend tun un^ allen
mit einanber gut; benn mir finb alle für bie meiften unfrer ^e\U
264 9^ i e b e r 0 a U : ^ie mobeme ^rebigt
gcnoffcn ^crjUd) langmcilig.
2)afür fönnen roir nun nic^t^, aber für bic Sänge fönncn
xüxx etroaö. Sffiir roiffen äße, ba^ eine 9iebe breimal fo furj ift,
roenn man fie f)alt, al^ wenn man fie l^ört; aber wir bebenfen
ju wenig, ba§ fie breimal fo lang ifi, roenn man fie ^äxt, al§
roenn man fie ^ätt. öefonber§ ber mobeme SJteroenmenfc^ ^ält
feine über eine ^albe ©tunbe bauernbe Äonjentration au§. 3)ie*
felbe Sleruenfc^mäc^e foU un§ ba ju beftimmen, ftatt i^n
burc^ ©timmung^probuftion noc^ melir ju ruinieren, i^m fefte
gute SBillen^foft ju geben, bamit fid^ an großen ©eftalten uolt Sraft
unb Jener ba§ le^te Jö^K^in ^on Energie mieber entjünbe, baS
in i^m ift. SDabei muffen roir freiließ barüber nac^benfen, mie
mir e§ perpten, baß er burc^ ben 2lnblicf folc^er ©tärte nid^t
boppelt elenb mirb. 3)ie Kunfl, einem ba§ SQBoHenfönnen beiju«
bringen, mirb roo^l por allem in ber ©rmerfung beS ©laubenS
an bie SWöglic^teit neuer Äraft burc^ ba§ freunblic^ bcftimmte, un-
refleftierte 3^wgni§ eineS SBertünbiger^ befielen, ber felbfl burc^
©lauben roieber ftarf geworben ift. Qwax ift e§ mirffomer, burc^
unfer ftarfe^ 3^w9"i^ «nb ba§ 9lu§ftrömen unfrer ^erfönlidjteit
lieber bie ©d^mac^^eit ftar! ju machen, ftatt über ©d^ma^^eit unb
Äraft breit ju fdjmafeen, lieben mir e§ boc^ immer, über 3Bir*
tungen ju reben ftatt SBirtungen au^juüben; aber boc^ fönnten
grogftäbtifc^e ^rebiger mit entfpred^enbem ^ublitum öfter einmal
mie e§ SÄ e ^ 1 1) o r n in einer ^rebigt getan i)at, auf biefe ©a^e
fommen, alfo bie Urfac^e ber SBitlen^f^mä^e, i^re nic^t birefte,
aber mittelbare 93efämpfung burc^ ©lauben, ©elbftjud^t, SSermei*
bung ber Urfa^en, SRegelung be§ leiblid^^geiftigen SebenS befpre»
^en. 2)a§ gäbe ein fpe}ietle§ J^emo in einem allgemeinen ^ai)--
men; biefe ©gnt^efe ber rationaliftifc^en unb ber üblid)en ort^oboy*
pietiftifc^en ^rebigtmeife (fiet)e 3)ren)^, 2)ie ^^rebigt im 19. ^ai)x^
pnbert) mürbe unfre Äanjeln roieber ju ©tätten machen, mo ba§
©teic^mäfeige unb Smige einen „jeitgemä^en" 2lu§bruc! finbet,
unb mürbe fic^er mele fieute anjie^en, meil fie un§ ju intereffan^
teren ^rebigten oer^ilft, al^ e§ bie burdjfc^nittlic^e ejegetifc^e ober
bogmatifc^^ett)ifc^e ^rebigt ift. @^ fmb me^r Seute ba, bie ein«
mal etma§ tüc^tigeö t|ören mollen al§ mir glauben; nur mu§
91 i c b c r g a n : ^ie tnoberne ^rebigt. 265
bcr ©cgcnflanb fic anjie^cn ; oHc äußeren 9Wotioe, ©ittc, SRürf fic^t
auf ben Pfarrer, auf bie Sinbcr, bie äJorgcfefeten Ratten bo6)
n\d)t ©tid^ unb machen bie 9Hcnfc^cn ju ^cud^tcnt.
®er im (Jt)araftcrbilb ,,bc§" mobcrnen SWcnfc^cn aufgejeigtc
9lc ali^mu§ ift ein 3^9/ ber unbebingte 33erü(ffi^tigung t)on
allen (Seiten uerbient, weil fic^ in i^m ber ©inn für bie 3&ai)V'^
^eit unb SBirttic^feit auSfpric^t ber auc^ c^riftlid^ ift. 2Wögen
roir ©Triften auc^ bie aSorau^fe^ungen eineö c^riftlid^en £eben§
nte^r tennen unb pflegen, fo ift bod^ in monier 55e}ie^ung auc^
nodö ^eute ber ©omariter beffer al§ ^riefter unb Seoit. Unb ju
biefen aSorjügen gehört ber freiließ oft bi§ jum ©elbftjerfleifc^en
unb 39^i^w^i*^ entroicfelte ftarfe ©inn oieter unfrer 3^it9^«öffen
für ba§ SBirtli^e. 9Bir muffen un§ einmal im SSerfe^r mit fol-
gen Seuten baoon überjeugen , mie unfre ganje 2lrt fic^ in f olc^
einem f^arfen unb nüd^tern auf bie ^Realitäten gerid^teten ©eifte
fpicgelt ; bann mürben mir etma§ anber§ urteilen über bie ©efü^le
ber aWenf^en beim ©ebanfen an Äirc^e unb ^rebigt. 9Bie gern
machen mir e§ au§ t^eologifc^er SSoreingenommenlieit ober au§
r^etorifc^er ©cfallfud^t mie © t ö rf e r unb Keller, ba§ mir
nämlic^ in großen abfoluten ©egenfä^en: ©läubig^Ungläubig,
S3efel|rt-Unbefet)rt, uon ben Seuten reben! Slber ber ©lief für
bie aOBirflid^teit jeigt ftetige Uebergänge unb ©c^attierungen ; in-
folge beffen mirb an $Bertrauen ju unfrer ®infid)t ober ®^rlid)-
feit oerloren, ma$ an rebnerif^er Kraft gemonncn wirb. SBir
fd)melgen gern in flingenben Unmöglic^feiten unb effettooHen lieber-
treibungen. Unfre ©efü^lömad^erei unb unfer ^^rafenmefen ftö^t
bie fieute ab, bie mit Sci\)Un unb 9}aturfräften }u red^ncn ^oben.
9Bir ^aben un§ beftimmte SBörter unb Schemata bei ber öe«
fd)reibung feelifc^er 3wftänbe angemöt)nt unb finb ju eilig, um
fie immer neu nad^ ber 9Birtlid|teit ju oerbeffern ; mir ^aben feine
3eit, un^ lieber unb oerftänbnigooll, mie ba§ j. 93. Oettli
aSaumgarten, ^^Jeabobg unb anbere tun, in ba§ füllten
ber heutigen 9Wenf^en ju oerfenten, um i^nen gu jeigen : Könntet
xi)x mid) fo genau, mie ic^ euc^, bann fämen mir meiter! So
gilt e§, aWenf^en, SQBelt unb Seben immer fc^ärfer }u erfaffen unb
richtiger barjufteHen, bamit man an unfrer Set)anblung beffen.
266 S^iebcrgall: ^ie mobemc ^rcbigt
Tua^ man fie^t, aScrtrauen geroiime ju unfrer ©ejeugung ber S)ingc,
bie man nid^t fie^t. Qmmcr bic 2;at[ac^eu rcbcn laffen unb mög«
lic^ft hinter i^rer 3Suc^t jurürftrctcn ! 3)ic feinften unb geiftoott*
ftcn and) bic cntrüftetften 2)cf(amationen über bic ©ünbc finb
fc^roa^ im SScr^ältnig jur nüchternen, realiftif^en S)arfteßung i^reS
5lu^e§ unb SBcrberbcn^. 2)ag roir immer unfre Sprache nad)^
fe^en muffen, um un§ ni^t in Siebling^au§brüc!e feftjufat)ren,
ba§ mir immer freier oon allem ^eiligen ©d^atl, ber ©pra^e
Sanaon§, 91icäa§, SRitf^I^, Sremerö unb Ää^ter^ merben muffen,
um mit immer perfönli^erem unb treffenberem 2lu§bruc! bie
3)inge ju faffcn, perfte^t fic^ non felbft. 2Ba§ ber ©eift ber 3^it
jur Kird)e fagt, ift: SBerbe n)al)r! 2luc^ ba§ 3öort „p r o f *
tifc^" mögen mir un§ auf unfre ©^reibmappe f^reiben loffen.
©tatt immer über bie $Borau^fe^ungen be^ c^riftlid^en 2eben§ ju
ftreiten , ftatt immer breit über bie SBege ju oer^anbeln, medte unb
pflege man ba^ Seben felbft im ©inne be§ ©eelenfrieben§ unb ber
reinen Siebe. 9Bie gering finb bie Unterfd^iebe ber oben oufgefü^rten
S^eologen, menn fie praftifd^ merben, fo gering, roie fie gro§ finb,
menn fie ben ©lauben be^anbeln. ®ie al§ ein Q^xd)en ^ö^ercr
unb feinerer ©eelen!ultur ju beurteilenbe 2tbneigung meler Oe«
genmart^menfd)en gegen jeben SSerfud^ aufbringli^er öeeinfluffung
ift }u fc^onen. SJtiemanb fud^e etma§ burc^ ©türmen unb ©rängen
ju erreichen. 2)a§ liebt man nic^t unb man ^at Stecht. ®er
^rebiger laffe bie ©ac^en ju SBort fommen unb laffe fie mirten,
n)a§ fie in biefer ßage an biefen SJlenfc^en mirten fönnen. 3llle§
3)rängen räd^t fid^ burc^ ben äBiberfpruc^ ber fenfiblen ©elbftän*
bigfeit, alle$ Ueberftürjen burc^ ben unoermeiblic^en JRücffdjlag.
3QBie unau^fte^li^ bem burd)au§ natürlid)en ©inn bie Unart ift,
ba§ ^eilige »on bem "ißrofanen burc^ eine Umlautung fämtlic^er
aSofale unb bur^ ^ot|le§ ^at^o§ abplieben, t|ätte fc^on oben
bei bem 9leali§mu§ ermähnt merben fönnen.
3. SGßenn mir un§ nun fragen, meieren ®influ§ ber ^n*
^alt be§ mobernen S}emu§tfein§ auf unfre $rebigt ^aben foH,
fo motlen mir ben einjelnen 3Womenten nac^ge^en, mie fte oben
al§ 93eftanbteile ber beiben 9ieaftion§bemegungen gefd)ilbert roor*
ben finb. SBieberum ift auf ba^ entfc^iebenfte ju betonen, ba§
91 i c 6 c r 0 a ( ( : ^ie mobcmc ^cbigt. 267
eine tn^altlid^e ©eeinpuffung ber SSertünbigung auSgef^Ioffen
fein mu^. Um ber mobemen fieute willen etwa in ber SBeife
Ä a 1 1 ^ 0 f f § ju prebigen, ift für jeben auSgef^Ioffen, ber nid^t
mit 93en)u|tfein auf biefem ©tanbpunft fielet. <^ö(^ften§ ^anbelt
eS fic^ um bie SluSmal^t unb bie ©arfteßung ber burc^ unfern
©laubcn bargebofenen ®eban!en. SBir prebigen nic^t bieS unb
ba§, weit eS bcm mobernen SÄenfci^en fo geföttt, fonbern ^öä)--
ften^ fo ober fo, roeit er e§ fo beffer uerfte^t unb meit i^n baS
interefpert.
a) 6§ ^anbeft ft^ junä^ft um bie moberne SWatur*
unb 9Belter!enntni§ im !ritifc^en 93erftanbe. SOBie foll
man ftd^ benn baju oer^alten auf ber Äanjel? ®a liegt bie 9lu§^
fünft nic^t fe^r weit: 9Wan foH nic^t bafür unb nid)t bagegen
prebigen, aber man foK nic^t bagegen ^anbeln. 3ltfo meber
bie SWalurgefe^e noc^ bie SBunber foß man retten unb preifen,
roeil beibe§ nic^t auf bie Äanjel gehört. Ste^t man auf bem
33oben ber mobemen naturgefefelid^en ®rfenntni§, bann rebe man
entfpre^enb, fte^t man nid^t barauf, bann rebe unb fünbige man
nic^t bagegen. @§ ift ja nic^t nötig, ba^ man bie fieute oor ben
Äopf ftö^t e^e man i^ncn ba§ Seben^brot jum 9Munbe fü^rt.
Unb bie Seute beuten in biefer 93e}ie^ung oietleic^t »iel moberner,
al§ fie e§ oor bem ^crrn Pfarrer merten taffen. SOBen aber
fein ©emiffen brängt, alte ^^gfif mit bem ©oangelium ju oer*
quirfen unb ju oermec^feln, ber örgert bie ©u^enbcn unter ben
©ebilbeten immer nur meiter ^inau§ auS ber Äir^e. ®§ ift ni^t
ganj überflüf ftg , oor jeber 9lrt oon 2lu§einanberfe^ung mit anbern
©efamtanfd^auungen ju warnen, benn bie Seute, bie ba fmb, be=
galten bod) baoon meift faum ben „4§mu§". 9lber e§ ift fo bil*
ligeS SüBfßl/ P<^ fl^g^w öUe bie böfen ^i^men ju entrüften, an*
ftott befonnen unb gefammelt Seben§fraft an ben 9Jlann ju bringen
in Harem unb magrem 3^wgni§ oon ©elbfterlebtem. ©ol^e S^agen
get)ören in bie ©rofc^üren ber Stpologetifc^en ^anbbibliot^ef, in
ben 3)i§fuffion^abenb, in ben UJortrag. SBir wollen un§ burd^
bie paar ©ebilbeten, bie einmal in eine Äirc^e ^ineinf^neien unb
ba feine Slntmovt auf bie großen fragen finben, nic^t ju einer
93ern)ed)§lung oon SBortrag unb ^rebigt oerleitcn taffen. liefen
3eltf(^rlft für Z^cologie unb Äirc^e. IB. 3a^rg., 3. vcft. 19
268 91 i c b e r 0 a l ( : %ie mobcrnc ^rcbigt
^crrf^aftcn gebührt, rocnn ftc ftd^ bcflagen, eine flare Slntiuort.
S)enn ftc fönncn nic^t perlangen, ba| man bic gcroö^nlic^c Sonn*
tag^prcbigt auf bic Scutc einrichtet, bic nic^t fommen. ^at man
aber folc^e Scutc an bcn großen gcfttagen, bic faft fämtlic^
fragen au§ bem Umfrei§ bcr Statur* unb ©cfc^ic^t^roiffen*
fd^aften nahelegen, bann möge man ru^ig unb nebenbei offen
feine Ueberjeugung fagen. ®ine ©cmcinbe, bie ju bcr religiös*
ftttlic^cn ^erfon i^re§ Pfarrers 95ertraucn ^at, erträgt nicl, unb
fmb man^e au^ anbrcr aWeinung, bie mciften fmb i^m bantbar
ober ^aben n)cnigftcn§ Sichtung »or feiner SBa^r^aftigteit. ^at
fid^ um einen ^]}rebiger mie öaumgartcn, ^eabobg ober
Ä a 1 1 ]^ 0 f f eine ^erfonalgemeinbe oon mobemen Seuten gefd^art,
bann mirb man bcn ^rebiger unter anbcrcn ©eftc^tSpunften ju
beurteilen ^aben, als ben, bcr als cinjigcr in einer gemifd^ten
©emeinbe fte^t. Umfaffenbe unb rüdffic^tSlofe 2luSfprad^e — beibeS
fann, je na^bcm, ^^flic^t ober ©ünbc fein. 3)ie SBirüic^fcit cr^
forbcrt eine Qnbioibualifierung, roic fte meift roeber bcr 2:^corie
nod^ bem ^Regiment pa^t, meit für fie bic 95erattgemeinerung bcr
näd)ften unb liebften Sinbrüdte bie bequemfte ober bie unoermeib*
lic^e aJict^obe ift. ©o mu^ entfd^ieben baoor gemarnt merben,
in bcr ^rebigtmeife non 3)örricS unb SBcingart b i e mobcrnc Sir-
beitcr= unb ®orfprcbigt ju fct)cn. ^cibe muffen cS miffen, n)ie=
meit itirc SBcife i^rer ©cmcinbc entfpric^t ; mer in ä^nlit^cn 9Ser=
l^ältniffcn mirft, mag auch öfter einmal fo prcbigen; öfter, benn
cS ift aud^ roo^I nur 3ufaU, ha^ fämtlict)e ^rebigten SBcingartS
bcnfelbcn S^aratter ^obcn. ^m atlgemcinen mu§ barauf beftan^
bcn merben, ba§ folc^e (Erörterungen t^cologifc^er unb apologeti*
fc^cr 2lrt ebenfo menig auf bie 5!anjcl gehören, mie mir bcn 9Ilt*
gläubigen bic Darbietung i^rer 2:^eoIogic geftattcn. 3)afür muffen
befonbere (Sctegen^citen gcf^affen merbcn. Unb menn bann auf»
mertfame Scutc in unfern ^rebigtcn nid)tS l^ören oon bem, maS
mir in bem SJortrag gefagt ^aben, bann merbcn mir fic leicht
barüber belehren fönnen, bajj bie ^rebigt anbre 9Iufgabcn ^at
unb ba^ unfre SBa^r^aftigfcit gcmafirt ift, menn mir nur nichts
©ntgegcngcfc^tcS im SBcrglcic^ mit bem SJortrag fagen. SlnbcrcS,
aber nichts Sntgcgcngcfc^tcS; baS merbcn mo^tmeinenbe unb oev-
9^ i e b e r 9 a 11 : ^ic moberne ^rebißt 269
ftänbige Scutc begreifen, unb pon bcn anbctn muffen wir un§
eben „boppelgüngig" freiten laffen.
b) 9luc^ ben p r a 1 1 i f d) e n Sßerirrungen bev 3eit gegenüber
ift bie befte SBeife bie, ba§ man bie entgegengefe^te ©ehe am
Soangelium ^erau^te^rt, auftatt ju fc^ilbern unb gu fd^elten, maS
oer!c^rt ift. 2Bir muffen un^ gewönnen, unfre Rraft immer me^r
in bcm einfad^en, unmittelbaren 3^w9"i^ ^^^n ben großen ^eiffräf«
tigen ©ütern unb Gräften ju fuc^en, nid^t in unfern SReflejionen
unb 2lrgumentationen. ©tauben ^ei^t aud^, ber 9Wad^t ber 3BaI|r'=
^eit über bie 9Menfc^en oertrauen.
4. SBie foßen mir e§ t)alten mit ben anbern mobemen Seu»
ten, bie permöge i^rer tieferen Seelenart mieber ein SBerftänbniS
für religiöfe 3)inge gemonnen ^aben? 9tur nid^t an fie
allein beuten ! ®enn ma§ t)eute bei i^nen aWobe ift, fann morgen
fdjon mieber übermunben fein; ift e§ boc^ jum Jeil ein fel^r
unru^ige§, nafc^^ofte§, fat)rige§ ©ef^le^t. 2lber natürlich gibt e§
auc^ anbere barunter, bie ein mirftic^e^ SBerlangen na^ guter,
ftarfer ©peifc t)aben. ®enen biete man fie, na^bem man ft^ pon
bem SSerlangen überjeugt ^at, mo immer man mit i^nen ju tun ^at,
einfa^ unb treu, o^ne ^olemif unb Slnfpietungen, oline geiftrei^
c^elnbeS 2lnpaffen an i^ren ©efc^madt, allein geleitet pon bem
ftoljen 93emu§tfein : Qi) t)abe unb gebe euc^, ma§ i^r f uc^t ! 93on
bo au§ faßt ein Sic^t auf bie befonbere Slufgabe ber fo fe^r uer^*
na^lofftgten Äafualrebe, bie bie meit in ba§ geinbesilanb
porgefc^obene 9lpantgarbe unfrer geiftlic^en 2lrmee ift. SBer an
ben großen Stationen be§ 2eben§ in gebilbeten Käufern ober auf
bem Sir^^of unaufbringlid) leifc Söne anfc^lägt, bie bem ©e^nen
entgegentommen, ftatt in feinem gewohnten Äird)enftil eine SSier*
tetftunbe ju falbabern unb bie Seute ju langmeilen, ber ift ein
3Keifter. 2lber immer feft unb flar ben ett)ifd)^religiöfen ®^a*
ratter unfrei ®pangelium§ bel)aupten, niemals ^Religion um ben
"ißreiö ber St^it pertaufen! 3lur nid^t bie äftt)etifierenbe 3)^ca»
benceftimmung mit ©c^ön^eit unb SWgftif füttern, um rüdfgrat^*
lofe SSeic^tiere in Stimmungen fdjmelgcn ju laffen ! S)a§ Sleft^e*
tifc^e unb bie ©timmung§arbeit müdere nie ju einem felbftänbigcn
gaftor empor, fonbern begnüge fi^ ftet§ mit ber ©teltung ber
19*
270 91 i e b c r 9 a U : Die mobevnc '4^rcbiöi.'
3Infnüpfung unb be§ Ornamente^. 2lu§ aller 3Wijftif trete flar
unb f^arf ^erau§, bog e§ ft^ um ben ©eroinu einer ©eele, eine§
ftarfen unb für anbere ^^ntereffen felbftloö aufgef^Ioffenen S^araf«
tcr§ l^anbelt. Unfre ^oeten, g r e n f f e n unb 9t a u m a n n, t)a*
ben wir ba häufig an ber ®renje getroffen; fo fe^r wir un§
über bie großartige SBerbreitung i^rer ^rebigten unb Slnbad^ten
freuen, fie fmb roo^l me^r unter bem äft^etif^4iterarifc^en ®e=
fi^tSpunft gelefen unb genoffen roorben, aU un§ re^t ift. kleben
biefer müben ober genußfüd^tigen @timmung§fu^t gilt e§ and),
ben tulturmüben, erfc^Iaffenben ®eift 9Iften§ ju befämpfen, l^eiße
er nun Schopenhauer ober Jolftoi; nur foß man i^m,
wie immer, meniger burd^ ®onnern unb 3lrgumente, al§ mit
bem frotien unb ftarfen 3^w9"i^ ^^^ ^»^^ft unb be§ ®(auben§
entgegentreten. Slber ^ier lauert ein geinb, ben bie meiften nod)
nid^t a^nen. Sie 2:^obe'fd^e Se^nfuc^t nac^ neuem ®lauben
unb neuer Siebe famt ber Srtöfung mirb fid) nod^ au§ ber ©p^äre
ber intereffanten Stimmung ^erau^juentmirfeln ^aben, e^e fie für
unfre Slufgabe in 93etrac^t tonunen fann.
2lllei§ in allem: moberne§ ©oangetium unb moberner 9Jlenfc^
geben man^ertei Slnregung ju moberner ^^rebigt. Slber ^rebigt
bleibt ^rebigt, ba§ ift: erbauliche ©elbftoerftänbigung ber ®e^
meinbe über i^r ®lauben. Sieben unb |)offen. ^m ®egenfa^ ju
0. ©aumgarten glaube ic^, baß bie euangetiftifc^e Slrt immer me^r
au^juf^tießen ift, je mel^r bie neue 3^'* wn§ auc^ im 3)orf nur
Ontereffierte in bie Rird^e bringt, ^n bem 9Kaße, atö bie Ouan*
tität abnimmt, nimmt bie Qualität su.
SBaS fagen ©oangelium unb moberne 3^it über bie 2lufgabe
ber ^rebigt?
93ring ot)ne ^^J^rafen, !uri, fraftootl, anfct)aulic^. Mar, per*
fönli^e§ Seben in gefc^ic^tlic^en ®eftalten, im eigenen ßeugni^
jum ®en)inn oon g^i^ben unb Äraft, in einer ben befonberen 35er*
mtniffen beiner ®cmeinbe angepaßten SBeife bar!
SBotlen mir analgfieren, bann fagen mir: ba§ moberne ®oan*
gelium bietet bie 9torm, ba^ moberne 93emußtf ein bie 5orm,
ja ni^t umgefe^rt; benn e§ gibt feine oon bem ®uangelium ge*
botene Jorm, nod^ gibt baö moberne 93cmußtfein bie 9lorm. 3)ie
9t i e b c r 0 a n : ^ie mobcrnc ^rebigt. 271
%ovn\, a(fo bic 9iüdffi^t auf bic mobetnen ®er^ältniffc im 2lu§cn*
unb Qmicnlcbcu, ift allgemein oerpflid^tenb ; (Streit t)errfd^t über
bie 9torm. 9Benu unfre Ueberfic^t jcigt, ba^ bie mobern geriet*
tete 2:^eologie am liebften bem mobernen 9Wenf(^en in [eine Qn-^
tereffen ^ineinprebigt, fo ift ba§ Mar ju bcgrünben ; benn fte i)at
gleifd) von feinem gl^ifc^ unb 93ein oon feinem 93ein, unb üor
allem, fie fie^t in i^m nic^t einen böömilligen 2lbtrünnigen, fonbern
liebt it)n al§ bie l)eutige 2lu§gabe be§ ®otte§geban!en8 „ÜWenfd^".
3)er SBetteifer, i^n ju geroinnen, begeiftre bie oerfd^ieben rebenben
33rüber im ©lauben: ®r ift e§ roert, benn aud^ er ift nad^ unb
au ®otte§ öilb gefc^affen.
J^crlag tion X €. B. Do^r Oaul ;5iebB*) tn (Itübingcn.
(S(^7ißU4^e ^batUcn für btc ©uc^cnbcn unferer S^xt gefammeU von
21. Zerret. 8. 1905. 9W. 2.-. ©ebuttbcn m 8.-.
XkviMidfC^ Ceben. ^rcbigten oon emft 9lorff3, gJapot in Dgnabrücf.
8. 1905. 9W. 2.-. Oebunbcn 3». 3.50.
5»ÖIf PfeMjjlen. Söon f D. ^llfrcb $ cgi et, ^tofcffor bcr a^eologic
an bct Uniocrfitat a:übin9cn. 8. 1903. SW. 2.25. Oebunben Tl. 3.—.
5»8lf PfeMgkn ©on 2lborf SJilfinßcr, tpcilanb ^rälat unb DberH^
prcbißcr. 8. 1902. 9Jl. 1.80. Äattoniert HW. 2.40.
Dae 5iet 1>Cö IPoIlend. ^rcbigten gegolten in ber bcutf^cn coangclifc^^
reformierten ^irc^e ju JJranffurt a. SW. t)on Pfarrer 6ric^ 3^oerfter.
a 1902. 9W. 2.20. ®ebunben 9Jl. 3.—.
Die stimme Jefu in bev Qkqenwavt. ^rebigten unb »etra^tungen oon
$.3i«9Jeif/ früher ?apor prim. in Öiegnitj. 8. 1904. 9W. 4.—. ®eb.3W.4.80.
Pfebigteu übet XOovte Jefu. ^on 3 o M n n e § S3 a u e r. 8. 1903.
aW. 2.—. kartoniert 9W. 2.60.
Set WpUct^e IDefl bee Paulue. ^rei ^rebigten über bag bretje^nte ^a^
piter beg erften ^orint^erbrief e§ t)on Lic. go^anneS ©auer, ^ro^
f effor ber 5:t)eorogie in 9Warburg. ^(ein 8. 1904. ®e^. mit ^otf c^nitt HW. —.80
Ptebigten am bev 9kiCnwavt «on D. D. S3 a u m g a r t e n , iProf effor
an ber Unioerfität ^cl. 8. 1903. m. 3.50. ©ebunben in Seinroanb
2R. 4.50, in %ud) 9W. 5.—.
2(Uö bet Dotftir4^e. 3e^n ^rebigten t)on ^. $ e f f e ( b a c^ e r, Pfarrer in
9'ledaraimmem (93aben). a 1905. 3W. 150. ®ebunben aw. 2.40.
Pfö'ttnet 8ct)Mlprebiflten. söon ^. §. ^a^nde. a 1905. m. 1.50. ®e^
bunben 2W. 2.30.
Ptebigt'Ptobleme. Hauptfragen b. ^eut. ©üangelium§Derfunbigung. 33on
D. D. S3aumgarten. dritte« Saufenb. 8. 1905. 9W. 1.80.
©ebunben Tl. 2.50.
l^rlag DOtt X (E. B. Düftr (Paul ^xthttk) in ÄübingBn.
Lic. theol. ^* TXichcv^aU,
im Äonfirmanbenunterric^t.
8. 1903. an. 1.60.
Clin ^füh }nx (^mx^i^tü.
stein 8. 1902. 5IM. 1.-.
O^rtt in Cirilfniltts.
(Öefte jur ^C^riftlit^n fBelt" 40.)
8. 1899. Tl —.60.
IS^ic preöiaen tPtr 6em moöernen ISlenf^en?
(Erfier Seil: (Eine Untet?fuc^ung übet Wiotm uni> (Quietipe.
3t9eite, buri^gefe^ette lluflage.
fiey. 8. 1905. 2W. 3.-. ©ebuttbcn SW. 4.—.
^ic ittobctttc ^rcbtgt^
Üadf einem Porlrag im babifc^^en »iffenfc^^aftlict^en Prebiger-Perein
3U Äafl6ru(^e.
C^ntdaften in ,,deitff4rift fftc Sl^eolnsie nnb ftiri^e" 1905, #(ft 3.
einaelptcig be« §cftc§ ca. 3W. 1.20.
Ueber die Absolutheit des Christentums
Von F. Niebergall
und
Ueber
historische und dogmatische Methode der Theologie
Von E. Troeltsch,
Professor dor Theologie in Heidelberg.
(Aus „Theologische Arbeiten aus dem rhein. wiasenachaftlichen Prediger-Verein". N, F. 4. Heft.)
Gross 8. 1900. M. 2.—.
Pastoraltheorie.
Von Alfred Krauss,
weil. Professor der Theologie in Strassburg.
Durchgesehener Sondprabdruck aus dem „Lehrbuch der praktischen Theologie».
Herausgegeben von
Lic. F. Niebergall^
Privatdozent in Heidelberg.
Klein 8. 1904. Kartoniert M. 2.—. Gebunden M. 2.75.
273
f te ^m^tifxt in i>er mohtxntn f^frtmn, IvAiftnftSitn
fßon
Lic. Otto Sii^eeU
2:ro^ ber g^ftigfeit mit bcr bie altlut^evifc^e Jauffc^rc in
if)rem fr|ftematifd)en öau cinanbet roibcrftrebcnbc ©(cmentc ju*
fammenget)alten ^ot, ftcüt fic fic^ boc^ al§ eine fie^rform bar, bie
unau^geglid^ene 2Biberfprüd)e unb ©egenfä^e in ftc^ birgt, ©ie
f)Qt in biefer gorm nur einmal eyiftiert, eben jur Qext ber
^crrf^aft ber Ort^oboyie. ®ie gegenmärtig fid) pofitio nennenbe
2:^eologie, bie ba0 ®rbe ber SSergangenl^eit gegenüber ben 9ln*
griffen be§ mobernen, oon bem nid)td^riftli^en ober unterd)rift*
liefen 3cit9^ift fic^ beftimmen (affenben „9tationan§mu§" oertei^
bigen miU, orientiert fid) mo^t meit^in an ben Darbietungen ber
alten 2)ogmatiter, ertennt aber boc^ mel^r ober weniger bie 9tot*
menbigteit einer Äritit refpettioe einer 9teubilbung ber Se^re oon
ber Jaufe an, j. %. unter Berufung auf iJut^er unb bie ©c^rift.
3lx6)t baburd) jeic^net fic^, fomeit bie fpcjieHe S^age nad^ bem
SRec^t eine§ ©aframentö ber 2:aufe, befonber^ ber ^inbertaufe
bel)anbelt mirb, bie gegenwärtige Situation au§, ba§ mirtli^ neue
^rageftellungen aufgetaud)t wären, bie Se^re oon ber Saufe alfo
auf prinjipiell anbere Saf)nen geleitet märe, fonbern baburd), ba§
man ein ftärfere§ ®cfü^l für ba§ ^roblematif^e einer bogmati*
f^cn 9le(^tfertigung be^ @aframent§ ber ^inbertaufe, überhaupt
be^ Oaframent^begriff^ auf bem ©oben be§ eoangelif^en ©Triften»
tum§ befi^t unb oermittet§ einer ftrafferen 3)ur^fü^rung beftimm«
ter, f^on in ber aüproteftantifc^en 2^auflef)re nad)n)ei§barer ©e«
bauten be§ "ißroblem^ ^err ju werben fic^ bemüf)t. 3)a§ ()at benn
3eitjc^rift für X^cologte imb ftirv^e. 15. 3a^rg., 4. ^cft. 20
274 @ (^ c c l : ^ie 2:aufle^tc in b. mobcrncn pojltit)., lut^er. ^ogmati!.
freilid) jur golgc, ba^ bic gcgemüärtigc pofitioc J^eologic ^) ftär^
tcrc SRid^tung^biffcrcnjen aufroeift, al§ bic altprotcftantifd^e S^co*
logic. S)cnn tücnn ^icr bei ben oerfd)iebcncn Sogmatifern bie*
felben ©egenfä^e in bcrfclbcn ©ruppierung auftreten, fo \)at bie
moberne ©ituation vok überhaupt bie Umgeftaltung ber altge^
meinen raiffenfc^aftUc^en Haltung, ber niemanb tro^ atter 9lepri^
ftination fi^ ju entjiel^en oermag, e§ mit fic^ gebracht, ba^ bie
Ätammern ber alten Ort^obofie gelodert mürben, bie (Segenfä^e
beutlid^er fic^ entfalten unb alfo SRid^tung§unterfc^iebe begrünbet
merben fonnten, bie jur 3^it ^^^ ^errfc^aft ber Ort^obofie nid^t
möglid) maren. 3)ie§ berechtigt aber noc^ nic^t ju ber 9lnna^me
eine§ DöHigen 9lu§einanberge^en§ ber einjelnen erfennbaren dUd)-
tungen. Sine folc^e Slnna^me mürbe meber ber (Stimmung ge*
rec^t, bie bie Sßertreter ber öerfc^iebenen 3lnfc^auungen boc^ tro^
ber Don i^nen felbft erfannten Sifferenjen jufammentiält *), noc^
märe fie fac^lic^ au^reic^enb begrünbet; benn im geftf)alten am
@atrament§begriff ift ba§ @in^eit§moment gegeben.
aSon bem lutt)erifc^en 5?onfenfu§ entfernt fi^ am meiteften
bie ©ruppe, meiere am fräftigften bie Sefonberl^eit be§ fatramen^
talen ®^arafter§ ber Jauf^anblung geltenb mad)t unb eine 2:en*
benj fortführt unb tonfequent entmidtelt, bie in ber altlut^erifc^en
Drt^obofie angebeutet ift, bie ftc^ aber unter bem ffirurf ber ge*
nerelten @atrament§tt)eorie nic^t l)at entfalten tonnen. SBenn
oorne^mlic^ ^utter ber Äonfequeuj ber ©aframent§ibee nac^ge»
geben l)at, ol^ne jebod^ mirtlid) al§ Vorläufer ber fogenannten
tl)eofop^ifc^en ©alrament§lel)re, mit ber mir e§ I|ier ju tun ^aben,
gelten ju bürfen, fo finbet man boc^ l^ier ben 2Intnüpfung§punft
unb »erarbeitet nun bie fpejififc^ fatramentalen ©cbanfen ^\xU
ter§ felbftänbig unb original unter bem Programm ber SBeiter^
bilbung ber lutl)erifd)en @a!rament§tel)re. SSon bcnjenigen, bie
1) 3d) bcbicnc mid) ber ^rjc falber biefe§ mir ni^t ganj f^mpa-
tbifcf)en ^u^brucfig, beffen 3lnfpruc^ in JJrage gcftcHt werben !ann, ber
and) nic^t al§ logifd) ju gelten brauet, ^ud) ber SiberaliSmuS fann
pofitiD fein, ^ne cinge^enbe 3lu§cinanberfeöung mu^ ber fpütcren %ax=^
fteUung ber ®efamtcrfd)einung ber pofitiocn 5;f)cologie vorbehalten bleiben.
2) 3}gl. 8aul, 3ft bie ^inbcrtaufc bie Söiebcrgeburt? ^re^ben 1905
@. 31.
8 d| c c I: %k 3:aufle^tc in b. mobcrncn pofitiov lut^et. ^ogmatif. 275
nur bic alte J^eoric rcpriftinieren, iDcnbct man fi^ ab im öc*
iDU^tfcin, ctn)a§ ^ö^cre§ ju vertreten unb eine freiere Stellung ju
befi^en. 3)er Ülorroeger Ärog^^Jonning f)at biefem ^eroufetfein
in feinem ®u(^ Ord og Sakrament befonberS beutlid^ Stu^brud
gegeben^). ®r ift e§ aud^ gemefen, ber biefer neulut^erif^en
©aframent^t^eorie meinet SBiffenö bie präjifefte Formulierung
gegeben ^at. Unter ben beutfd)en 2:^eologen ift oorne^mlic^ ^org
}u nennen 2). Sine eigenartige Uebergang^fteHung nehmen 2:^eo«
logen ber ©runbtoigfc^en ©^ule ein, bie bem SSer^ältniS oon
aSort unb Saframent, bem 93egriff unb ben SJlitteln ber aBieber^»
geburt eingetienbe Erörterungen gemibmet ^aben. Sefonberö
^at ber ^f)ilofop^ ®. 3B. fi^ng in feinem ^uc^: Grundt-
vigianismen og Skrifttheologien ftc^ mit biefen Fragen befc^äftigt.
Sgng fpi^t ba§ Problem auf bie S^age ber ©ünbe unb SBieber^
geburt ju. äBä^renb bie „©d^riftt^eologen" oon ber SSorau^^
fe^ung auöge^en, ba§ ba§ Sbenbilb @otte§ burd) bie ©ünbe
oöllig oerloren fei, le^re ber ®runbtoigiani§mu§ nic^t ben oöHigen
aSerluft; unb mä^renb bie ©c^riftt^eologen eine SEBiebergeburt
tennen, bie me^rfad^ fic^ t)olliief)e unb traft oerfc^iebener 3Wittel,
nämlid) traft ber Jaufe, be§ SBorte^, ber ^rebigt „unb oiellei^t
noc^ anberer 9Jlittel", fei ber ®runbtoigiani§mu§ ber Ueberjeu^
gung, ba§ bie SBiebergeburt nur einmal oolljogen merbe, unb
jmar oermittelö ber Saufe al§ beö einjigen 2Wittel§ ber SBieber*
geburt. 3)ie eigentlich miebergebärenbe Äraft tommt ^ier bem
äBorte ®otte^ im fpejififc^en ©inn ju, nämlic^ bem ©atrament^*
mort, bem SBort ber (Sntfagung, be§ ©laubenö unb ber 2:aufe*).
@ut unb Söfe fmb nic^t blo| etma§ ©ubjettioe^, fonbern jugleid)
1) Bette gjtelder ogsaa om Philippi, hvis dogmatiske Arbejde ikke
saa meget gaar ud paa at b y g g e paa den af Faedrene lagte Grundvold,
8om i^aa at fornye det 17de Aarhundredes lutherske Scholastik, stöttet
ved den senere Videnskabs Midier, ^rogfl-^onning o. a. D. S- 35.
2) §or^, bic 3:aufe al8 ^inbertaufe.
3) fii)ng a. a. D. 8. 5: Det der egentlig bar gjenfödende Kraft, er
hvad de kalder Guds Ord i udmterket Forstand, nemHg Sakrament- Ordet
her Forsagelsens, Troens og DöbeUens Ord.
20*
276 @ c^ e e (: ^ic 5;auf(c^re in b. mobemen pofltit)., lut^er. ^ogmati!.
reale SDläc^te in un§^). ^n bem un§ feinesroeg^ ben 2lnla§ jum
©elbftrul^m gebenben (Suten in un§ finbet Sgng bcn pfpd)oIogi«'
fc^en 2lntnüpfung§punft für bie SRettung. S)iefe Srfenntnig oon
bem natürlid^en ©^arafter be§ @utcn ermöglicht e§, ber SBieber«
geburt i^te eigentliche ©ebeutung a(§ Erneuerung ju oerlei^en.
3)enn fte befte^t nid)t barin, ba§ ein ^ft^biüibuum fubftantieH oon
einem anberen abgelöft mirb, fonbern barin, bag ba§ ^i^bioibuum
DirtueU mit neuen fiebenSträften bereichert roirb *). 9Jlan barf
eben nic{)t bie SBiebergeburt mit ber 93efe^rung oermec^feln ; benn
bie SBiebergeburt ift nic^t al$ fubjeftiüe ^^ömmigfeit im 93en)u§t«
fein unb aCBitten aufjufaffen, fonbern ate etmaS Objeftioe^, al§
eine neue oon ®ott felbft au^ge^enbe unb t)on un§ unabhängige
SebenStraft. ®a^ ba§ neue Seben rein objettiü, „o^ne fubjettio
}u fein" ^), ef iftieren fann, erfennt man an bem getauften ßinbe.
Sann mu§ au^ ein Srmacl)fener objettio ®^rift fein tonnen *).
®a§ in ber SBiebergeburt gegebene neue 2tbm ift bemnac^ eine
neue Siaturfraft. 3)arau§ ergibt fic^ nun unferem 3)ogmatiter
im ^inblidt auf ba§ miebergebärenbe SBort eine befonbere SSor^
ftellung. SBBeber SJlenfc^enmort noc^ ©ibelmort ^at miebergebä*
renbe Äraft. SBeil ba§ Söfe fomo^l mie ba§ ®ute eine 9latur^
ma^t in unö gemorben ift, genügt nic^t bie ©inmirtung auf un^
fere ®rfenntni§ unb unferen SBiUen, bie bie ^ibel befi^t, bie aber
au^ anbere ©Triften unb Sieben, menn au^ in geringerem (Srabe,
befi^en^). 3Bir finb ^erren unfere§ 2BiIlen§, aber nic^t ^erren
unferer -Jtatur; mir fönnen mo^l bie Äunbgebungen ber Slatur-
mac^t mobifijieren, aber fie oeränbern ober fte oöllig aufgeben
tawn nur biefetbe 9)lad)t, bie un§ unfere Siatur gegeben ^at, näm»
lief) @otte§ äBort im eigentlichen Sinn, ba^ allmäct)tige ©c^öpfer*
mort^). Sin folc^e§ ©c^öpfung^mort ift ba§ SBort ber 93ibel
1) 9L a. D. 6. 16.
2) fii)ng a. a. D. S. 20.
3) Uden at vaere subjektivt. 4) 51. a. D. 8. 29.
5) Fordi det onde saavel som det gode er blevet en Natur-Magt i
OS, derfor er det ikke nok med den Indvirkning paa vor Erkj endeise og
Vilje, som Bibelen har, men sora andre Skrifter og Taler ogsaa har, om
end i ringere Grad. 51. a. D. B. 36.
6) ©. 37.
@ ^ c c (: %it 3:auf(c^rc in b. mobemen pofitiOv lut^cr. S)ogmatif. 277
nid)t, hai ftd) an 33cn)u6tfcin unb SBBitten rocnbet. 6§ ift etn)a§
nötig, maS bic ©c^rift nid)t \)at, bie perfönlid^e ^inroenbung be§
SEBortcg an ben einjelncn, bic im münbli^cn SSort gefc^ic^t; unb
bie§ Icben^träftigc münblid^c SBort ^aben roit im ©atramenW*
mort, \>ai feine mefentlidie ©ebeutung afö Jeil einer ^anblung
^at. 3)a§ ©^riftentum ift bemna^ mefentUc^ eine fatramentale
Sieligion^). ®^riftu§ felbft t)at angeorbnet, ba^ bie^ lebenbige
SEBort, meiere« allein bie SBiebergeburt mirft, immer auf« neue
an jeben einjetnen SWenfc^en herangebracht werben foU. @ben
bie§ SBort mu| mieber^olt werben, nic^t blo§ feinem Q^n^alt nac^
miebergegeben werben. S)enn c§ ^anbelt fid) ^ier nic^t um bto§e
SBa^r^eit^bele^rung, fonbern um bie roirMic^e ©cgenroart unb
aWitteilung beö ^errn felbft^). Unb eS mu§ einleuchten, ba§
6^riftu§ nidjt jugcgen fein fann unb nic^t fxd) felbft unb fein
Seben mitjuteilen üermag, roenn nidjt gemiffe, beftimmte 3Borte
unoeränbert nadj feiner eigenen Slnorbnung mieber^olt werben;
wenigftenig fo weit e§ möglid) ift. Senn bie§ ^^ft^alten beS ^oxU
laute« will Sgng nic^t im ftrcngften ©inn oerftanben wiffen*).
©0 tommt ba« Jaufwort allen Slnfprüc^en, bie man an ba«
lebenbigmac^enbe SBort ftellen fann, in befriebigenber aOBeife ent^
gegen, unb fiijng meint mit biefer J^eorie bie rechte SDlitte inne
ju galten jwifc^en bem Äat^olijiSmuS, ber in ber 3Biebergeburt
eine objeftioe, jauber^afte Sßeränberung ber menfd)lic^en 9latur
crblidtt, unb bem ultraproteftantif^en ©ubjeftioi^mu«, ber bie
Slettung nur al« eine 93eric^tigung ber ©rtenntni«, eine fiäute*
rung ber Oefü^le unb eine JJorrettur be§ SBillen« anfielt.
®ie l)ier üon figng vorgetragene J^eorie erwerft junäc^ft ben
(Jinbrudf einer erfrif^enben ©ic^er^eit unb ©efc^loffen^eit. 2llle«
wirb auf ba« Seben fc^affenbe münblic^c 9Bort geftellt unb bamit
jugleid) bie für ba« religiöfe Seben fo wichtige Unmittelbarfeit
unb pcrfönlic^e ^ejie^ung garantiert. ®a§ ber 33ucl)ftabe tötet,
aber ber ®eift lebenbig mac^t, ba« ift ba« überall ^inburcl)flin»
genbe SKotio biefer 2:aufle^re. ©emeffen an ber altlut^erifcl)en
1) S. 46. 2) 51. a. D. ©. 52.
3) Denne Fastholden af Ordlydeii kan her naturligvis ikke
forstaaes i strengeste Forstand.
278 @ c^ e e I: ^ic 3:auf(e^rc in b. mobcmen pofitiov lut^er. Dogmatil.
Jauflc^re, f^cint fte bic bort trcibenbcn 3Jlotiüe aufgenommen ju
^oben, o^ue bie ©c^mäc^en bcr ffiarftellung unb Sßerfnüpfung ju
teilen. 9Wit ber altlut^etifd)en allgemeinen ©atrament^le^re eignet
i^r ba§ entfc^iebene Eintreten für bie bominierenbe (Stellung be8
SBorteg; mit ber fpejiellen Sauflefire oerfnüpft fie bie energifc^e
93etonung be§ fatramentalen ®^arafter§ ber 2:aufe. ^a Sgng
flel)t noc^ meiter, menn er überl^aupt ba§ ®t)rtftentum als fafra^
mentale Sieligion aufgefaßt fe^en miH. 3)ie :3bee be§ münblid^en
SBortS vereinigt in ftd^ beibe 3Jlotioe, ba§ faframentale fomol^l
mie ba§ ^f^^^^^ff^ öm SBort. (Sleid^jeitig oermag fie jeben bot^
trinären unb geiftlofen ^ntellettuali§mu§ ab}umef)ren. S)er SBiber^
fpruc^ enbli^, ber un§ in ber altlut^erifi^en SSel^anblung ber Sr-
mac^fenentaufe unb Äinbertaufe begegnet, ift befeitigt, fofern bem
münblic^en SBort allein, aber anö) ju jeber Qtxt, roiebergebärenbe
Kraft jugefc^rieben mirb. ©o tonnte man in ber auf @runbtoig§
2:l)eologie jurüdfgeljenben 2lnfct)auung Sr)ng§ bie 2:f)eorie ju finben
meinen, bie eS möglich gemacht l)abt, ben altlutf)erifd)en Qntereffen
gered)t ju merben, o^ne beren ©d^mäd^en unb Unfic^erlieiten ju
teilen.
ajian roirb in ber Sat einräumen bürfen, ba§ bie Unfic^er"
f)eiten, bie bei ber Setrad)tung ber altlutl^crifc^en Slnfc^auung un§
entgegentritt, in ber S^eorie SgngS nid)t enthalten ftnb. 3)a§
fpric^t aber nod^ nic^t für bie SRic^tigteit ober 9lnne^mbarfeit ber
3:l)eorie SgngS. 3)enn e$ tauchen anbere Unflarl)eiten unb an*
bere ^ebenfen auf, bie nic^t meniger firmer wiegen al§ bicjenigen,
ber feine SE^eorie au§ bem 3GBege jU ge^en gemußt ^at. S§ barf
fd^on barauf ^ingeroiefen merben, baJ5 Sijng e§ gar nid^t oermoc^t
^at, feine Jljefe fo ejatt burd^jufü^rcn, löie bie eigenen 93orauS^
fe^ungen e§ forbern. Sgng mugte im ^^ntereffe ber oon i^m be*
^aupteten Objeftioität be§ münblid^en SBorte^ bie ^orbcrung auf*
ftellen, ba| ba§ üon ®f)riftuS gefproc^ene faframentale SBort mie*
ber^olt, nid^t blofe feinem ^n^alt nac^ miebergegeben werben muffe.
®enn nur bie unoeränberte S!Bieberl)otung beS faframentalen
3Bort§ oerbürgte bie mirflic^e (Segenmart ß^rifti unb bemjufolge
bie 3Witteilung be§ fiebenS. SJJan mü^te alfo erioarten, ba^ Sgng
alles tut, um ben SBortlaut ju fid)ern. S)aS ift aber jur großen
@ c^ c c I: 2)ic aauflc^rc in b. mobcmcn pofltbv lut^er. ^ogmotit 279
Uebcrrafd^ung be§ Sefer^ nid)t bcv gatt. Qa Sgng meint [ogar,
man bürfc „natürlid) nid^t" ein ftrcngc^ gcft^altcn am SBortlaut
forbcm. Sic oon figng ^icr oorauSgefct^tc ©etbftDcrftänbUc^tcit
bcr Sinfdiränfung ift aber fo wenig felbfloerftänbli^ ober „na«
türlic^", ba§ man oielme^r auf ba§ ^öc^fte befrembet mirb. SRan
oerfte^t allerbingg, mie Sgng ju biefer ©infc^räntung gcfommen
ift. 3)ie ^iftorifc^e Sritif erf^üttertc bie 3uoerftc^t jum aCBortlaut
be§ „Heinen 3Borte§" au§ bem aWunbe be§ ^erm. 3wnä(^ft allere
bing§ fönnte e§ ben Slnfc^ein t)abcn, aU befinbe ftd^ figng im
9Sortcil gegenüber ber Sd^riftt^eotogie. S)eun au^ menn man
bem 2:aufn)ort gegenüber nid)t aller Sritit entraten formte, fo
fc^ien boc^ bie^ Keine 3Bort oiel leichter fritifc^ fic^cr geftetlt
merben ju tonnen, al§ ber Xejt ber neuteftamcntlic^en Schriften.
2lber ber SBorteil mar bod) nur fd^einbar. 3)enn einmal mar
prinjipieU bie 2:e5tfritif jugelaffen unb bamit einem ftet§ oor^an^
benen, menn aud^ oielleic^t nur latent oorl)anbenen ©lement ber
Unfid)er^eit SJaum gegeben, ©obann geriet man oiel ftärter al§
innerhalb ber oon Sgng betämpften ©^rifttt)eologie, b. ^. ^nij'
ftabentlieologie, in Slbl^ängigteit oom ©uc^ftaben. 2)er ^uc^ftabe
erhielt de fact^ eine ^ebeutung, bie ber al§ unpneumatif^ ana*
t^ematifierten Sc^riftt^eologie fremb mar. SBeit entfernt baoon,
ben gormelbienft ju oermeiben, mufete Sgng^ 2^^eorie grabe ba§
gormelmefen begünftigen, ganj abgefe^en baoon, ba^ ber einjelne
®^rift in feinem ß^riftenleben ben Slefultaten ber miffenfc^aft-
liefen 6r!enntni§ untergeben mirb unb prinjipieU betrad^tet jeber
einjelne ein fpejififd) religiöfe§, nämlid^ ein ©eligfcit^intereffe an
eigener miffenfc^aftlid^er @rfenntni§ ber lebenfpenbenben gormel
befi^en ober geminncn mu^. @ben biefe 2lb^ängigteit oon ber
gormel aber mollte Sring oermittel§ be§ SRüdgang^ auf ba§ le*
benbige 9Bort oermeiben. Unb enblid) ermeift fic^ ba§ Q\t\, ha^
o^ne^in, religiös angefe^en, nic^t leiften tonnte, ma§ e§ leiften
foHte, aU unerreid^bar. Sgng mu§ im ^inblidf auf ben mirf»
liefen ©ac^oer^alt auf bie g^rberung oerjic^ten, bie er eingangs
auffteHte. 2)amit fügt er aber feinem eigenen ^au einen un^eil*
baren 9ti^ ju. SEßenn fc^on bie ^iftorifct)e Sritit bie Unoeränber^^
lid)teit ber gormel unmöglid) mad)t, bann ift eben bie Objetti«^
280 @ (^ e e l: ^ie a:auf(cl)rc in b. mobernen pofitiOv Tut^et. ^ogmatit
oität Einfältig gcroorben, in bercn 93cfi^ fid^ Sgng junä^ft ber
fubjcftioen ©c^viftt^eologic gegenüber raupte. ®crabe baS SWo^
ment, ba§ allein SgngS 2:^corie ^ätte ftü^en fönnen, voixh oon
i^m felbft preisgegeben. @r löft alfo unter bem ®rucf ber %aU
fa^en fein eigene^ ©gftem auf. 3)aran änbert ba§ Äompromi^
ni(^t§, auf ba§ er fi^ einlädt. S)enn ^ier ift jebeS Äompromig
oom Uebel; e§ bebeutet ben SSerjic^t auf bie 3)urc^fü^rung grabe
be§ cntfct)eibcnben ©ebantenS. Slnfa^ unb 2lu!§fü^rung fc^wäc^en
fid) gegenfeitig.
^at aber Sijng, um oon ber S)urc^fü^rung abjufe^en, vot-
nigften§ im 2lnfa^ bie aufgefteHte 2:^efe glaubhaft gemad^t?
2)er 2lnfa^ beftanb ja in ber JBorauSfe^ung, bag nur in bem
üon 6^riftu§ angeorbneten münblid)en SBort, fofern eS lieber*
^olt wirb, Seben mitgeteilt mirb. 2)iefe 2:^efe entölt jmei ®e^
bunten. 3""ä^ft gilt cS ben Stac^mciS ju führen, ba^ bie§ fa«
framentale Xaufmort oon ß^riftuS ftammt, unb fobann, ba§ nur
im fog. münbli^en SBort 6^riftu§ jugegen fei, alfo nur ba§
münblic^e SEßort miebergebärenbe Sraft beft^t.
3)en erften 93en)ei§ bleibt Sgng fc^lec^t^in f^ulbig. @r oer-
ji(^tet auSbrücflic^ auf ben ^iftorifc^en SSemeiS bafür, baj5 ba§ Xan^^
mort auf ß^rifti Slnorbnung jurücfge^e, üerquictt aber glei^«
jeitig biefen SBerjic^t mit einer SRefleyion bogmatifc^er Statur über
bie ©egenmart ©l^rifti im SBort 3)a§ ba§ mirtungSträftige Sauf*
mort auf ®f)rifti Slnorbnung jurücfgel^e, fönne man ebenfomenig
^iftorifd^ jmingenb bemeifen, mie bie i^rem ^^n^alt nac^ boc^ eben*
falls ^iftorifd)e 2lnna^me ber Offenbarung ©otteS im gleifd^ vox
2000 <3a^ren. 3)iefe 2lnalogie ift aber rec^t unglüdlid) gerodelt.
®enn fie ^at ju i^rer SBorauSfe^ung bie Sermed^Slung eineS l)i*
ftorifd)en Urteils mit einem ©laubenSurteil. 3)aS ©laubenSurteil
märe fein ©laubenSurteil me^r, wenn e§ in l^iftorif^en Semeifen
beftänbe; unb f)iftorifc^e Urteile als Urteile über ^iftorifc^ ju er-
fennenbe Satfad^en finb unabhängig Don bogmatifc^en ©laubenS*
urteilen. ®ie grage na^ ber Offenbarung ©otteS im gleif^ ift
ein folc^eS ©laubenSurteil; bie ^rage aber na^ bet oon S^riftuS
Dolljogenen 2lnorbnung beS 2:aufroortS in bem üou Sgug bamit
üerfnüpften Umfang unb ^n^alt ift t)iftorifc^er 9iatuv unb mu§
<S c^ e e (: %xt a:auf(e^rc in b. tnobcmcn pofitiov lut^cr. 5)ogmati!. 281
auf bem SBegc be§ ^iftotifc^en ®r!enncnS cntiocber gclöft locrbcn,
ober aU unlösbar betrachtet werben, roenn nic^t gar bie Unge»
fc^ic^tlid^teit erroiefen wirb. 2lnbere 2Rögttd^!eiten gibt e§ nic^t.
@ine auf ^iftorifd)em SBege erfolgte SBeja^ung tennt ßgng nic^t,
tann er aud^ nid^t fennen, roeil ber 93en)ei8 unmöglich ift. S)ie
beiben anbercn SWögüc^teiten fmb ober tötlid) für feine S^eorie.
©0 fuc^t er bie 3Birf(id)teit ju retten, inbem er in fad)ti(^ nic^t
gerechtfertigter SEBeife bie S^^ge nad) bem ^iftorifd^en S3en)ei8 um^
ge^t ober ablehnt, unb nun fic^ auf bcn religiöfen ©rfa^rungS*
beweis refpettioe baS religiöfe ^oftulat beruft, 3Wan foll e§ mit
einem ©laubenSfa^ gu tun ^aben. 3)a§ ®^riftu§ in feinem SBort
bei uns ift, baS glauben loir, roeil mir erlenncn, ba§ eine blo&e
Hunbe uns nic^t retten fann, fonbern nur bie Oegenmart S^rifti
fclbft. @S ift baS ^eilSbebürfniS, mcl^eS unS antreibt, feine
Offenbarung im ©aframentSmort anjune^men. S)er SSeroeiS
„mu^te ein ©laubenSbemeiS werben^)". 3Wit ber ©rfenntniS oon
ber ©yiftena beS S^riftentumS auf ®rben ift bie ©rfenntniS eincS
„urfprünglic^en unb apoftolifc^en 3BortS" gegeben. S)ann meig
man aber auc^, n?elct)eS bieS urfprüngli^e unb apoftolifc^e SBort
ift. darüber fei man auc^ nie in Unfic^er^eit gemefen. 2)enn
noc^ niemanb \)abt behauptet, ba^ ein anbereS 2:aufformular ur-
fprünglic^er gemefen fei, als baS üblict)e. Sie 9lid)tigteit biefer
legten ^e^auptung f oH nic^t geprüft werben ; ber Äern ber Sacl)e
ift ber ^ier d^aratterifierte beweis. 3Jlit biefem (SlaubenSbemeiS
^at fid) fiqng nxdjt nur auf ein re^t bcbenflic^eS ©ebiet begeben,
fonbern gerabeju einen SBeg betreten, oor bem bringenb gewarnt
werben mu^. 3)iefe SBarnung tonnte SBefrembcn erregen, wenn
boc^ anertannt werben foll, ba& allein ©laubenSbeweife in einer
eoangelifc^ beftimmten Sogmatif juläfftg ftnb. 2lber man barf
burd) SEBorte fic^ nic^t irre fül^ren laffen. 9)er ©laubenS beweis,
ben Sgng forbert, ift nic^t ibentifc^ mit bem (SlaubenSbeweiS, ber
jum gunbament einer jeben bogmatif^en (Erörterung gemacht
werben mu§. 2)er einjig pläffige ©laubenSbeweiS rul^t auf ber
Ueberjeugung oon ber SEBirflic^feit unb ©ültigfeit, refpettioe 93er*
binblic^fcit einer Sunbgebung unb 2:atfad^e, bie fid) an baS @e»
1) ^. a. D. ©. 54.
282 @ c^ c c (: ^ic 3:auflc^rc in b. mobcmen pofltit)., lut^cr. ^ogmotit
lüiffen roenbet, a(§ tatfa^Uc^e^unbgcbungoon icbcm ancrf annt rocr«
ben tann, al§ ücrbinbtic^c, normatioc ^unbgcbung nur t)or bcm
®cn)iffcn§urtcil bcftc^t. ajJit bcm üon figng poftulicrtcn ©lau«
bcn§bcn)ci^ ocr^ält c§ ftd^ umgctc^rt. ^icr probujicrt ober po»
ftuliert ba§ ©ubjcft bie 2:at[ac^c auf ®runb eincö unbcfriebigten
®cbürfniffc§ ; noc^ genauer, e§ poftuUert ni^t ein ©laubenSur*
teil, fonbern eine Satfac^e, bie i^rer 9iatur nad) ben SRitteln be8
^iftorifc^en @r!ennen§ unterfteßt ift. Slber Sgng überfielt nic^t
blo% ba§ er mit biefer Operation einer ©ebietSüermengung fic^
f^ulbig mad)t, er oerfättt auc^ mit bem 9letur§ auf ein ^ebürfni^,
ba§ boc^ nur al§ pfr|c^oIogif^e§ oorgeftcUt werben fann, bem ©üb*
jettioi8mu§, ben er bod^ gerabe ber (Sd)riftt^eotogie oormarf.
Slber felbft wenn man bie ju tage tretenbe ixeraßaat^ ef$ äXko
yiyoi; ignorieren miH, ift SgngS 2)efinition unhaltbar. ®enn menn
e§ ein (Slauben^urteil ift, ba§ ®f)riftu§ bei un§ in feinem SBorte
ift, fo fef)lt ber 93emei§ bafür, ba§ ®^riftu§ nur in bem oon
figng d)ara!terifterten münblicl)en 9Bort jugegen ift. 6§ ift eine
unberechtigte 53efc^räntung, menn figng bem ^ibelroort bie "S&^Q'
teit, 6()riftu§ na^e ju bringen unb bie SBiebergeburt ju roirfen,
abfpric^t, jumal menn er, um überhaupt feine 2:^efe bur^jufü^ren,
mit pfgc^ologifc^en SBebürfniffen red)nen mug unb bemnad) auf
bem ©ebiet eine Slntei^e machen muj5, ba§ feiner SE^eorie jufolge
jum ®eltung§bereic^ beS S3ibeln)ort§ gel)ört. Sgng meint frei*
lic^, ba^ bie ©ünbe fo mächtig in un§ ift, ba§ eine blo^e @in*
mirtung auf ben SBitten unb ba§ 53emu^tfein nic^t au§rei^enb
fei. aBenn barau^ aber ber ©c^lu^ gejogen mirb, ba§ ba§ un*
jureic^enbe, gcfd)riebene SBort burc^ ba§ mänbUd)e 3öort in ber
2:aufe ergänjt merben m\x% fo ift bie§ ein ^altlofer @d)lu§.
®enn er fe^t Dorau§, bag ba§ münblic^e SBort im Unterfc^ieb
oom gef^riebenen SBort fid^ nic^t an ba§ ^emu^tfein unb ben
SöiDen menbet. 3)a^ ift aber eine roillfürlic^e, au§ bem 3Befen
be§ SBort§ nic^t ju begrünbenbe Unterfd^eibung. 2)a§ münbli^e
Söort mü^te aufhören 3Bort ju fein. ®inen fc^einbaren 9fle(^t§*
titel für bie ©onberfteHung be§ münblid)en äBort^ fönnte Sgng
nur au§ ber 2atfad()e ableiten, ba^ ®f)riftu§ felbft nur in 93er*
binbung mit bem gemi^ beftimmten, unoeränbert lüieber^often
@ c^ c c (: ^tc 2:auflc^re in b. mobcmcn pofitit)., (utt)er. S)O0mati!. 283
SBorte bic aWittcilung feinc§ Seben§ ocrfnüpft ^ättc. 5)a§ ift
ani) bie SWcinung firingö. Slber grabe I)icr ocrfagt fein 93en)ei§.
Senn figng oeriid)tet barouf, bic 9lic^tigfeit biefcr ^e^auptung
burc^ ben ^iftorifc^en 9tac^n)ei§ ju erhärten, um an bic ©teltc be8
notmenbigen f)iftorif(^cn 9iad)iücifc§ ein nic^t tragfä^igeö ^oftulat
ju fc^cn; unb bie im ©innc Sting§ notmcnbige, unocränbertc
SEBicberf)olung ber oon ®^riftu§ angcorbnetcn SGBortc murbc t)on
Sr)ng felbft nachträglich al§ nic^t notmenbig ^ingeftellt. Sgng
bleibt alfo r\a6) iebcr 9lid)tung ^in ben ©emeiS fc^ulbig. ©eine
2:^eorie jeic^net fid^ gegenüber ber alttut^erifc^en nic^t burc^
größere Slarl^cit unb ©id^cr^eit au§.
ajlit bcm bi^l^er ©cfagten fmb aber noc^ feineSnoeg^ bic (Sin*
roenbungen erfc^öpft, bie man gegen Sijng erf)ebcn mu§. 9Wan
mag t)on ben foeben geltenb gemachten ©inroenbungen 2lbftanb
nehmen unb einmal mit ber 33orau§fe^ung rechnen, ba^ Sr)ng
roirflic^ ben Oberfa^ feiner S^efe glaubhaft gemacht, bie ©onber^
fteUung alfo be§ münblic^en 3GBort§ ermiefen Ijat. 9Jlit meldjcm
SRec^t mirb nun aber behauptet, ba§ ba§ ß^riftentum eine mefent*
lid) fatramentalc SReligion fei? 2lu§ bem S3egriffc be§ münb*
lid^en 3Bort§ folgt biefe S3el|auptung boc^ teine§meg§. 3^it9^*
fc^ic^tlic^ unb pfijd^ologifd) ift e§ ju begreifen, \>a^ Sijng biefe
Definition aufftellt. 2)enn Sgng betennt fic^ al§ einen Sln^änger
ber ©c^ule ®runbtoig§, bie mit Snergie auf bie ©atramente ^in*
mie§; unb ba§ münblic^e SBort mar ja baS J^aufmort, alfo ein
SBort, meld)e§ mit einer ^anblung oertnüpft mar, bie al§ ©afra»
ment gemertet rourbc. Qa firing mochte oielleicI)t anij glauben,
ein fac^licl)e§ SRec^t für feine Definition ju f)aben. Denn er \d)xkb
ja bem münblic^en SBort eine bic 9latur umroanbelnbe, mieber*
gebärenbe SBirfung ju, b. i). eine 3Birtung§fraft, bic bem ge-
prebigten unb gefd)riebenen 3Bort oerfagt mar. 9Wan mirb aber
fd^roerlic^ behaupten tonnen, ba^ bamit bie obige Definition er*
fd)öpfenb gerechtfertigt fei, menigftenö nid^t, fofern ber eigentlid)e
©aframent^begriff jum 3Wa|ftab genommen mirb. Denn e^ cr^
fc^cint miHtürlid^, mit bem S3egriff be§ münblicl)en 2Bort§ fc^lec^t*
^in, felbft menn Sqng mirtlic^ in fac^lic^ begrünbeter SBeife ba§
münblic^c SBort uom gefd^riebenen ju unterfd()eiben oermodjt ^ätte.
284 (S c^ c c I: ^ie Sauflcf^tc in b. mobcrnen pofitiOv Tut^er. 5)ogmatif.
ben 93egriff be§ ©afvamcnt§ ju oerbinben. Sqng erreicht nic^t
einmal ben altlut^erifc^en, bogmatifd) feincSrocg^ einroanbSfreien
©ebanfcn be§ verbum visibile. SWag man aud^ bie SDlotbe be-
greifen, bie Sgngg Definition üorbereitet ^aben, fo wirb mon bod^
gleii^jeitig anerfennen muffen, ba& biefen ajJotiocn ber fac^lic^
unb inneriid) begrünbete 3ufammenl)ang mit bem c^arafteriftifi^en
©ebanfen Spg§ fe^lt. Sijng burfte nid)t oom ©l^rtftcntum al§
einer faframentalen Sieligion fprcc^en, fonbem nur oom ©firiften»
tum aU einer SReligion be§ münblic^en 9BBort§. @r burfte um
fo weniger ben ©aframent^gebanfen mit bem 93egriff bc§ münb»
liefen 3GBort§ oertnüpfen, aU er felbft gelegentlich e§ au^fpric^t,
ba§ ba§ aBort, auf n)eld)e§ er ein fo entfd)eibenbe§ ®cmic^t legt,
feine mefentlic^e ^ebeutung al§ 2^eil einer ^anblung ^at. 2)amit
oerfc^iebt er ben ©^merpuntt ber Betrachtung. S)enn nun werben
— ob mit 9icc^t ober Unred^t, ba§ ju entfc^eiben ift I)ier irrele^
oant — aBort unb ^anbtung einanber gegenübergeftellt, unb ni^t
ba§ münbli^e SBort qua münblic^e^ SBort, fonbem at§ S3e»
gteiterfc^einung einer ^anblung geroürbigt. 3)amit fällt aber ber
^anblung ba§ ^auptgemic^t ju, unb bie fonft oon Sgng urgierte
bominierenbe Stellung be§ münblid^en 2Bort§ mirb erfc^üttert.
3)ie§ oerbient beamtet ju werben. 3)enn e§ läfet eine Unftd^er^
I)cit im 3^i^t^*ww^ erfennen. 9Birb biefe Unfic^ert)eit aber nic^t
berüdfftc^tigt, fo oermi^t man oollcnbS ben SRec^t^grunb für bie
Definition be§ (Jf)riftentum§ aU einer mefentlic^ faframentalen
aieligion. 2lu§ bem S3egriff be§ aBort§ afe be§ münbli^en SBortg
lä^t fi^ biefe Definition nid^t mit fa^lic^er 93ere^tigung ^er*
leiten. Daran mug man fic^ aber oorne^mlid^ galten. Denn
Sr)ng felbft jie^t nic^t bie Äonfequenj au§ bem eben bemerften
3ugeftänbni§. Daö münblic^c SBort foll nac^ ben Intentionen
Sgng^ nic^t oerbrängt werben.
Da§ erfennt man au§ ber näheren Erläuterung, bie bem
münblic^en SBort ju 2^eil wirb, einer Erläuterung, bie freiließ
i^rerfeit^ neue ©d^wierigfeiten fd^afft. figng fprid)t bem gefdjrie^
benen 2öort nur bie gä^igfeit ju, oom §eil ju berichten, nic^t
aber, ®f)riftu25 perfönlid^ na^e ju bringen. @§ ift alfo bie Eigen*
tümlic^feit be§ münblic^en 3öort§, bem einjelnen bie 3un>«nbung
@ ^ e c I: 5)ic 3:auf(e^re in b. mobemen pofltit)., (ut^er. 5)ogmatif. 285
@otte§ ober ß^rifti ju übermitteln, ^m ©aframcntSTüort rocnbet
fic^ ©Ott tüirtfam an bcn einjelnen, if)n roiebergebärenb. S)a§ ift
ja bcr ©ebanfe, ben man aU Seitmotio ber Jauflel^re Sgng^ be^
trad^ten mu^te. 3^ri^9t man nun aber ba§ ©aframentgroort in
feine einjetnen 93cftanbteile, fo mxü bie aWöglic^feit biefer |)in*
menbung ®otte§ nid^t einleuchten. 2)a§ faframentale Saufmort
beftet)t nämlict) nicf)t blo§ au§ ber eigentlichen Jaufformel, fon«
bern jugteid^ au§ ber SIbrenuntiation unb bem ©laubenSbefennt-
ni§. O^ne biefe beiben legten ©tüde ift nact) ber SÄuffaffung
Sring§ ba§ Jaufroort unoollftänbig bargefteüt. ^ann unter biefen
Umftänben oon einer ^inmenbung ®otte§ an ben Täufling ge*
fproc^en merben ? Slbrenuntiation unb @lauben§befcnntni$ fe^en
oielme^r, worauf aucf) 5?rogf| * Jonning aufmerffam ma^t, eine
ßumenbung be§ 2:äufling§ ju @ott oorau§. ©ine analijtifc^e 93e=
tvad^tung be§ 2:aufn)ort§ füt)rt alfo auf ba§ grabe ©egenteil oon
bem, maS Sgng beabfic^tigt. 3)er Täufling befennt pon fid^, ba§
er bem 2:eufet entfagt unb an ®ott glaubt. ®iefe roefentlid^en
33eftanbteile be§ 2:aufn)ort§ fügen fict) nic^t ber allgemeinen ©tia^
rafteriftif be§ Saufmort^ ein, bie fiel) nur auf bie birefte, aber nac^
Sgng nur einen einjelnen Seftanbteil be§ 2:aufn)ort§ bilbenbe
2:aufformel ftü^en fönnte. 9lu§ bem ffiefen be§ Saufmortö, fo
mie e§ Sgng ct)aratterifiert, mill alfo ni^t bie rcligiöfe ^bee fic^
ableiten laffen, bie Sijng bamit oerfnüpft. Qa nod^ me^r. SBenn
Sijng bie ©ntfagung be§ JeufelS unb ba§ 53efenntni§ be§ ©lau«
ben§ al§ mefentlic^en 93eftanbteil be§ Jaufroort^ angcfel^en miffen
roiH, fo moHen biefe Elemente be§ Saufn)ort§ ftc^ nicljt oertragen
mit ber ©runbtliefe, ba§ ba§ münblid^e SEBort eine bie 9tatur
umgeftaltenbe 3Birfung§fraft bcfi^t, entfprec^enb bem urfprüng*
liefen ©d^öpfermort @otte§.
S)amit finb mir aber oor ben ^unft gefteüt, ber bie Äritit
am fc^ärfften ^erau^forbert. @§ ift nic^t ber foeben fonftatierte
Sßiberfpruc^, ber ju einer fc^ärfercn Äritit Slnlafe geben fönute.
SDBiberfprüc^e unb Untlar^eiten maren bereiti met)rfad^ nacftmei^^
bar. SEBa§ ^ier üielme^r jur Kritif reijt, ift ber üöllige 93erjict)t
auf eine Segriff^beftimmung ber SBiebergeburt, bie mit bem
S^riftentum alB einer geiftigcn SReligion argumentiert, ein 3}cr=
286 © c^ c c l: ^ie a:aufle^re in b. mobernen pofitit)., (ut^er. S)ogmatif.
ji^t, ber um fo auffallcuber \\i, aU Sgng im ©cgenfa^ jur
©^viftt^eologic von einer J^eologie be§ ©ciftcö fptidjt, bie in
feiner eigenen S^eologie i^ren 2lu§brucf finbcn foü. 3)er 93egriff
ber SSJiebergeburt mirb baoon aber nic^t berüt)rt. S)enn bie
äBiebergeburt foU al§ Umbilbung ber Statur be§ 9Jlenfc^en üer«
[tauben werben. 2)a§ 33öfe im 9Jlenfd^en ift nic^t eine böfe @e«
fmnung, nic^t Oelbftfuc^t ober fonft ein geiftige§ SBerberben, fon^
bern eine reale 9laturmad^t, ein objeftioe^ S3öfefein. 2)ie 93e*
fet)rung ift eine SBanblung ber ©efmnung, aber bie SQSiebergeburt
eine Sßeränberung ber 91atur, refpeftipe bie 3WitteUung einer neuen
9laturtraft. 3)ie 33egriff§beftimmung ber SBiebergeburt fiet)t mit
aSorbebac^t ab t)om Semu^tfein unb SBiflen. @§ bebarf feinet
befonberen Sia^meife^, ba^ bamit ba§ aSerftänbniS ber SBieber«
geburt Perlaffen ift, ba§ allein auf bem aSoben be§ ®^riftentum§
möglich ift. SGBenn bie ©ünbc noc^ ett)if^ beurteilt werben barf
— unb Sijng felbft fann fic^ bem nic^t entjie^en, menn er ein-
räumt, ba^ ba§ |)anbe(n be§ natürlichen 2Jienfci^en @ünbe ift,
fofern ba§ SJtotio im ®goi§mu§ befte^t ^), — menn alfo, ganj
allgemein unb formal gefpro^en, an 9tormen ba§ ©ünbl^afte er*
fannt mirb, bann oerbieten bereite et^ifc^e Erwägungen eine 2)e*
finition ber SEBiebergeburt, bie nur in ber ©p^äre be§ Statur-
l^aften fic^ bewegt. Unb wenn d)riftlic^e§ Seben ni^t barin be»
fte^t, ba^ man bie oon ®ott gegebene 9taturgrunblage unferer
^erfon fic^ felbft überlädt, fonbern bie natürlid)e SUlitgift ben
9lormen unterorbnet unb in ber au§ ©naben oerliel^enen ®emein«
fc^aft mit bem geiftigen @ott bie 3)löglic^feit ba§u gewinnt, bann
ift e§ unmöglich, bie Söiebergeburt aU einen 9laturproje^ ju
fd)i[bern. 2)enn 9]aturprojeffc vertragen fid) ni^t mit bem ^t--
griff ber 9torm, ber geiftige SEBerte, ober wenn man noc^ allge*
meiner fid) au^brüden wiH, of|ne bamit freilid) ba§ aSerftänbniö
}u mobifiäieren, überhaupt SEBerte oorauöfe^t. SBenn aber Sgng
ben aWenfc^en nur oon ber objeftioen Seite betrachten wiH, ba§
^öfe fowo^t wie ba^ @ute aU eine reale, objeftioe 9]aturmac{)t
in un§ betrachten will im Unterfd)ieb oon ber fc^rifttl)eologifc^en,
fubjeftiuen, mit ben Gegriffen be§ aSewu^tfeiu^ unb be$ SBiUen^
1) S^ng a. a. O. ©. 9.
@ c^ c c I: %k a:auf(e^rc in b. mobcmen poritit)., (ut^er. ^ogmatit 287
red)nenben Setrad^tung, fo mag feine Slbfic^t, ben ©vnft ber
©ünbe möglid^ft beutlic^ jum 2lu§brucf ju bringen unb eine ifo*
liertc, im ©inn ber pelagianifd^cn 93eurtetlung erfolgenbe iBctracft«
tung ber ©ünbe abjule^nen, bea^tenSroert fein; aber il^m üer^
fagen bie 9Jlittel, feine befonbere Slbfic^t burc^jufül^ren. 5)enn
er mu§ anerfennen, bag ba§ 93öfe urfprünglic^ etn)a§ ©ubjeftipcs
ift *) ; benn nur freie SEBefen fönnen gut ober böfe t)anbeln. ^ier
operiert er alfo mit bem S3egriff be§ freien SBiOen^ unb ber ©elbft*
beftimmung aU ben Sßorau^fe^ungen ber böfen 93eftimmtt)eit.
2)amit wirb aber ber Jl^eorie oon bem objettioen 93öfen unb ber
©ttnbe al§ einer ^laturmad^t unb umgetel^rt ber SSJiebergeburt
al§ einer S3egabung mit einer neuen 9taturfraft ber 2:obe§fto§
oerfe^t. 2)er üon Sgng entmicfelte Segriff ber SBiebergeburt üer^
trägt fic^ nic^t nur nid^t mit bem SBerftänbui^, ba§ pon einer
et^ifc^en unb d^riftlic^ religiöfen Betrachtung geforbert mirb ; bie
oon fiqng oorgctragene 3)epnition ber SSJiebergeburt befeitigt nic^t
bIo§ ein mcfentlid^eö 9Jloment ber lutl^erifc^en fie^re oon ber 2^aufe
unb SBiebergeburt, fie gerät au^ in Konflift mit ben eigenen 2lu§s
fü^rungen. 9luc^ an biefem filr Sgngg J^eorie entf^eibenben
^untt oerfagen bie Gräfte unb 3Wittel jur 3)urc^fül^rung. ^er
SBerfud^ Spng^ alfo, ben ©c^mierigfeiten ber altlutl^crifc^en 2:auf«
le^re burc^ eine neue 2:i^eorie ju entgegen, bie felbftönbig unb
original 9Jlomente ber alten 2:t)eorie weiter ju bilben fic^ bemüht,
bürfte al§ migglüdft anjufe^en fein. 2)ic ©c^mierigfeiten unb
Unflar^eiten, in bie fic^ Sgng oermidfelt, finb nid)t geringer, unb
er befeitigt ein bercd^tigte^ 3Jloment ber altlut^erifc^en J^eorie
üoUftänbig, bie fic^re von ber regeneratio spiritualis unb beren
S3ejiel^ung jum ©lauben.
9lu^er^ol6 ber engeren ©c^ule ^at, fomeit mir befannt ift,
firing auc^ feine 9tad)folger gefunben. 2)ie Zi)toxk oom münb^
liefen äBort ober S^aufmort mar ju eng mit ber ©igenart ber
©c^ute ®runbtoig§ oerfnüpft, unb oon ju offenbaren ©d)mierig*
feiten bebrüdtt, al^ ba^ fie fiel) in weiteren Streifen ^ätte burd)*
fe^en fönnen. 2tnbev§ oer^ätt e§ fid) mit ber fonfequcntcn Se-
1) Ul. a. D. S. 16.
288 @ c^ e e I: ^ie 2:auf leiste in b. mobemen pofitiov lut^er. ^ogmatif.
tonung bcr fpejifif^ faframcntalcn SBirfung bcr Saufe, bic für
bic ©d^ulc ®runbtDtg§ bejcic^ncnb rourbc, unb bcr im norbifc^cn
Sprachgebiet ©runbtoigS ©d^ule ben 93oben bereiten ^alf. 3)a|
man ber Jaufe eine befonbere, nur i^r eignenbe faframentale
SBirfung juertennen muffe, ift bie gemeinfame Ueberjeugung eine§
Ä'reifeS geworben, ber nic^t auS einer beftimmten 2:^eoIogenfci^uIe
fict) t)erleitet. ^n ben ftreifen ber beutfc^en aSermittlung^tl^eoIogie,
innerhalb ber (ärlanger ©c^ule unb unter ben mit befonberer ffim*
pf)afe Sutt)eraner fic^ nennenben 2:^eologen befannte man ftc^ ju
biefer Qbee. Qf)xe gefc^ic^tlic^e QEyiftenjberec^tigung fuct)te man
burc^ ben 9tac^n)ei§ ber Kontinuität mit ber altlutt)erifc^en S^eorie
}u ermeifen; bie eigentliche ^iftorifd^e SBermittlung l^at man aber
nic^t in ber altortl^obojen ©c^ule ju fuc^en, fonbern üielme^r in
ber 2:t)eofop]^ie Q. S3ö^me§, Oetinger§ unb ©cfielling^, mit beren
^ilfe man, befonber§ unter bem @influ& o, §ofmann§^), bie 2ln*
fct)auung oon ber geift » leiblichen SEBirtung be§ 2:auffaframentg
auSgeftaltete, um erft nachträglich fte bereite bei ben Sllten ange»
beutet JU finben. 3)ie verborgene 2:riebtraft mu§ man aber in
ber ©atrament^ibee überhaupt finben, bie f^on bie altlut^erifc^en
@ct)olaftiter ju Ronfequenjen nötigte, bie au§ ber 2:i^eorie oom
©aframent at§ bem fic^tbaren SBort fid^ nid^t erflären laffen.
Sine fe^r umfaffcnbe unb grünbli^e 9ied)tfertigung biefer bie
ÜJlängel ber altlut^erifct)en S^aufle^re überminbenben neulut^erifc{)cn
Jauftl^eorie ^at ber ^tormeger Srog^'-2:onning in feinem bereits
mel^rfac^ jitierten 93uc^ oorgelegt. Qt)m tann ber beutfc^e 2t)eo*
löge ^ort) jur ©eite gefteHt werben. ®anj neuerbingä nimmt
mieber SRoc^oH l|ier oertretene ©ebanten auf. (S§ gilt alfo, bie
5?rage ju unterfuc^en, ob biefe 2:^eorie ju einem befriebigenben
3iel gelangt ober menigften§ ben richtigen SBeg jur (Seminnung
be§ QkU anbai)r\t
3n einem bebcutfamen "^^unft unterfd^eiben fiel) ßrog^-Jon»'
ning fon)ot)l mie ^oxx) oon ber foeben gurücfgemiefenen 2:^eorie
2r|ng§. ®§ fommt i^nen nid)t in ben ©inn, ba§ ©^riftentum als
1) Ob V. $ofmann von 8(^cUing ab^ngig ift — fo 9t. «Secbcrg,
bem @rü^mad)cr folgt — braucht f)icr nic^t untcrfuc^t ^u werben, ^d)
barf auf fpdtct erfc^cinenbe Unterfuc^ungen oerrocifen.
<3 c^ c c I : ^ie 2:auf(e^re in b. moberncn pofitit)., (ut^er. ^ogmatit 289
eine wcfcntlict) faframcntalc ^Religion aufjufaffen. Ärog^=^2:onning
Ic^nt au^brücMic^ bicfe Definition ab, in bcr er einen Slbfall oom
biblifc^cn Sßerftänbni^ beö ©l^riftentumS erbltdt 2)a§ ©tiriften*
tum ift eine Derbale unb faframentale SJeligion. @§ fei innere
lic^ unwahr, einfeitig unb irrefüt)renb, wenn man unterfc^eiben
motte jmif^en mefentlict) faframentalem unb mefentli^ oerbalem
S^riftentum. ^n SBal^r^eit beftef)e ba§ (J^riftentum au§ beiben
Steilen; e§ fei faframental unb oerbaP). 2W§ oerbale ^Religion
menbe ftc^ aber ba§ ©^riftcntum an ba$ 33emu§tfein unb ben
aBillen ber ^erfönlic^feit. 3)er eoangelifc^e ^n^alt be8 3Borte§
mac^t bie Ouette ber Sraft au§. Un§ SWenfc^en al§ ^erfönlid)^
feiten tann nur baß SBort 9Jettung bringen*). Qm 33emu§tfein
^at ba§ Söort feine SBirfung; bie SBirfungen be§ 9Borte§ fmb
bemna^ ©eiftmirfungen ^). ^m SBort begegnet un§ @ott al§
freien ^erfönlid)feiten ^). S)arum tritt er auc^ für ben „Subjef*
tiüi§mu§" ber „Sd)riftt^eoIogie", ben St)ng fo l^eftig angegriffen
t)atte, mit groger Energie ein. ^orp fprid)t ft^ weniger poin*
tiert au§; if)m fe^lt bie Slntit^efe, an ber fic^ Ärog^ * lonning
orientierte. @§ finb aber boc^ and) ^oxx)^ Darbietungen beutlic^
genug, um feine Slnfic^t in ber oorliegenben JJrage §u ertennen.
Dag man e§ mit einem geiftigen 93efi^ }u tun ^at, ift it)m jmei»
feüo§^). Qa ba§ SBort ift ein notmenbiger Seftanbteil unb ein
notmcnbigeg aSoüjug^mittel ber 2:aufe®). Da§ aCBort mirft aber,
mie e§ im allgemeinen t)eigt, perfonbilbenb ^). Damit nimmt ^org
biefelbe Senbenj auf, bie Srog^ - Xonning gegen Sgng oerfi^t.
Die 9Jotmenbigteit eineö geiftigen SSerftänbniffe^ be^ ®^riftentum§
foü fo menig oerf ^leiert merben, bag fie oielme^r folgen gegen ^
über geforbert mirb, bie in ben geiftigen Sebensbebingungen üwa^
1) ^rO0^=Sonmng a- a. D. @. 188: Det er indevlig usandt, ensidigt,
vildledende, naar man vil skjelne mellem vsesentlig sakramental og vse-
sentlig verbal Kristendora. Sandheden er den, at det er aldeles vsesent-
ligt for Kristendommen at vtere begge Dele: sakramental og verbal.
«gl. @. 74.
2) 21. a. O. @. 24. 3) 3(. a. O. @. 25.
4) ßroö^=2:onnin0 a. a. D. ©. 48.
5) $>oxx) a. a, D. 8. 57. 6) 21. a. O. @. 64.
7) 21. a. D. (S. 98.
Seitfc^rift für 2^<olOflte unb Ätrc^e. 16. 3a^rg., 4. i^eft. 21
290 © c^ e c I : ^ic 2:aufle^rc in b. moberncri pofitio., lut^er. ^ogmatif .
weniger SGBic^tige^ ober weniger in bie 2:iefe @et)enbe§ meinen er*
fennen ju muffen.
9l6er bie Sluffaffung t)om ©aframent ber Saufe, bie un§
l^ier begegnet ift boc^ fo menig ibentifc^ mit ber altlut^erifd)en,
ba^ üielme^r eine burc^greifenbe Äorreftur ber altproteftantif^en
2^auflel^re geforbert mirb. 2)amit treten ^org unb Srog^^Son-
ning ein in bie auc^ pon Stod^oQ ') ergänjte Steige berjenigen
2:f)eologen, bie ba§ SBcfen be§ ©aframent^ im Unterfc^ieb üom
SBort in ber 9lic^tung tiefer ju begrünben fic^ bemütiten, ba§
man auf bie 9laturmirtung be§ ©aframent^ ben Slid rieten
lehrte unb in biefem „9teaU§mu§" ba§ c^ara!teriftifd)e Unter*
fc^eibungömerfmat ber lutl^erifc^en ©atrament^letire ju erfennen
üerlangte.
aCBenn ba§ ^eil in ber ©^rift bem ©tauben jugemiefen mirb,
tonnte bie Saufe überflüffig erfd^einen. ^org rechnet mit biefer
2fiternatipe unb er oermirft bie gemöl^nlic^e Söfung, ber jufolge
ba§ ©aframent ber Saufe bie inbioibueÜe, mit ber göttlict)en Söer*
gemifferung unb SBerfiegelung uertnüpfte 9JlitteiIung be§ ^eil§
bebeute *). S)enn man bürfe nic^t nac^ bem, rva^ in§ ©efü^l
unb 33en)u§tfein trete, ben Segen be§ ©atrament^ bemeffen. Unb
menn bie SBirfungen be§ ©aframent^ perfd^ieben feien üon ben*
jenigen be^ 3Bort§, fo muffe man nac^ bem fpejififc^en 9Wertmal
ber SBirfungen ber Saufe fragen. ®§ muffe bemnac^ ba§ ©a*
Jrament etma^ bieten, n)a§ ba§ SEBort unb ber ©laube in ber
Siegel menigfteng nirf)t geben fönnten^). S)ie alten 3)ogmatifer
l^ätten bie§ mo^l gefüllt, aber feinen SRaum gefunben, ba§ SBBefen
be§ ©aframent^ beftimmter ju fijieren. ®a§ Problem beftet)e
alfo barin, ju jeigen, mie SBort unb ©laube ebenfo jur ^eil^*
erlangung nötig feien, mie bie ©aframeute, unb mie bodf) beibe
mieber au^einanber gelialten werben müßten. 9Jtan bürfe ni^t
bem ©lauben alle§ jufc^reiben, unb bem ©atrament überhaupt
nic^t§ ©pe}ififd)e§, ober umgefe^rt *). 2lud) J?rog^=Sonning lebt
ber Ueberjeugung, ba§ bie Seseic^nung bes ©aframcnt§ als eine^
1) füod^oU, Altiora quaero, fieipjig 1809.
2) $ort) a. a. O. S. 97.
3) §ort) a. a. D. ©. 78. 4) % a. D. @. 79.
® d^ e e ( : ^ie ^auf (el^re in b. mobernen pofttit)., (ut^er. ^ogmatit 291
verbum visibile feineSroeg^ au§rcict)enb fei ^), uub ba§ man barum
fic^ entfc^Uc|cn müffc, bic altlut^crifc^c S^coric fortjubilbcn. Sticht
barauf fommt e§ an, ma^ im Saframent un§ gefagt mirb, fon-
bcrn barauf, xoa^ mit un§ üorgenommcn mirb^). @o nimmt
bcnn Ärog^«2:onning einen bereite bei ben alten 3)ogmatifcm
aufgetauct)ten, auc^ oon figng angcbcuteten ©ebanfen auf, ba^
man nämlicft ba§ ©a!rament ni^t al^ äßort, fonbern aU ^anb«
lung ju begreifen l^abe^) unb oom 93egriff ber ^anblung au§
bie fpejififc^e ©Igenart be§ Sauffaframent^ ju fifieren \)abi,
3öa§ biefe ^ortbilbung ber altlut^erifdjen Sauf» unb ©a*
frament^le^re begünftigt, ift unfc^mer ju bemerfen. ®^ ift bie
@rtenntni§ üon ber Unjulänglic^feit ber altlut^erifc^en allgemein
nen @atrament§t^eorie. 9Jlan fie^t richtig, bag, menn ba§ @a-
!rament neben bem SEBort al§ etma^ befonbere^ befleißen foH, bem
©aframent eben eine fpejififc^e ©igenart nac^gemiefen merben
mu^. ®ie alten 3)ogmatiter Ratten bafür mo^l eine ©mpfinbung,
Dermoc^ten i^r aber faft nur in ber fpejiellen ©aframent§tel^re 2tu§^
brud ju ©erleiden unb o^ne ba§ e§ i^nen geglüdft märe, bie 3)ifferen^
jierung innerlict) ju bcgrünben (ogt. @. 48 ff. 68 ff.). 3)iefe innere
93egrünbung oerfuc^t man je^t nac^ju^olcn. ^orq mirft bie ^rage
auf, ob nic^t bem 2lu§einanbergel^en ber $eil§permittlung in jmei
!onftituierenbe 9Womente eine Unterf^ieben^eit im ©pcnbenben unb
©mpfangenben jugrunbe liege '•). ®ie Saframente finb ba§ geift*
leibliche iöanb, melc^c^ ®^riftu§ mit ber ©emeinbe üerbinbet im
Unterfd^ieb oon ber rein geiftigen, burc^ ben ©lauben üermittetten
aSerbinbung. ©ie ftnb eine gortfe^ung feinet Äommen§ im S^eifc^,
net)men jmifc^en ber oergangenen unb jufünftigen ®rfci^einung
®l)rifti eine 3"^ifrf)^J^f^ßflung ein ^), bürfen barum aud) allerbing^
nic^t al§ bie abäquate g^rm für bie üollenbete @emeinfcf)aft mit
(S^riftu§ gelten. 2tber für bie bie^feitige ©emeinfc^aft finb fie
erforberlic^. 3)er c^rifttic^e fieben^proje^ ooltjie^t fiel) nämli^ in
einer Doppelreihe oon Sitten, in beren einer oorne^mli^ ber ©eift.
1) ^rog^^^ionning a. a. O. 8. 35. iögC. ^od^oü a. a. O. @. 63 unb
SBrcttner im ÜJlccfl. mrc^en« unb 3eitblatt 1887 gegen ^l)ilippi.
2) 31. a. O. S. 37. 3) 31. a. D. S. 3a
4) §ori) a. a. O. ©. 80. 5) 21. a. O. 8. 82,
21*
292 (S c^ e e ( : 1)ie a:auflc^rc in b. mobcrncn pofitiov Tut^cr. 5)ogmatif.
in bercn anbercr ®l^riftu§ oor^errfc^t. 5)ic§ fü^rt $org auf bic
93crmutung, ha% roie bcr ^eilige ©eift burc^ ba§ SBort, fo ®^ri*
ftu§ üor^crtfc^cub burd^ baS ©aframcnt roirfcn fönne, unb alfo
in ben bcibcn Onabcnmittctn ein Untcrfc^icb ber roirtcnbcn ^cr^
fon üorau^gcfe^t werben muffe ^). 3)a§ in§ ^erj l^ineingefenfte
SBBort fei moijl felbft tviebfräftig, aber bod^ nic^t imftanbe, au§
fic^ allein bie ganje JJülle be§ SebenS in§ 2)afein ju rufen. SBirb
e§ aber üom ©aframent berührt, fo entjünbet fid^ ba§ fieben;
unb auf biefer aSermä^lung üon SBort unb ©aframent beruht
jeber g^ortf^ritt beö inroenbigen 9Jlenf(^en ^). 3)amit roäre alfo
eine innere 93egrünbung für bie ßw'^it^i'w^fl ^^^ ®nabenmittel§
üerfui^t n^ic pc allerbing^ oon ben am ^anon ber inseparabilis
operatio ber 2:rinität feft^attenben alten 3)ogmatifern nic^t ge^
geben merben fonnte.
Ärogl^sJonning, bem ebenfalls bie Unjulänglic^feit ber alten,
von ^t)ilippi unb 21. o. Oettingen mieber aufgenommenen Jl^eorie
beiou^t geworben mar, fu^t auf anberem SBege jum Qid ju ge*
langen. SSon bem foeben ffijjierten ©ebanfen ^orpS mac^t er
feinen ©ebrauc^. ©r ge^t t)on bem ©ebanten einer oerfc^iebcnen
aßirtungSmeife bc§ 2Bort§ unb ©aframent§ au§. 5)em ©afra^
ment eignet eine mefentli^e unb eigentümliche SBirfungöfraft ^).
2)a§ ©a!rament ift etma§ anbere§ al§ blo^e aSer^ei^ung. ®§ ift
nic^t SBSort, fonbern ^anblung *). 5)ie beiben ©nabenmittel mirten
barum bire!t auf t)erfcl)iebene ©eiten unfere^ 9Bcfen§ ein. 3)a§
©aframent aU ^anblung fann nur auf bie ©eite unfereS ©einS
mirfen, bie i^rem ©^arafter na^ allein geeignet ift, rein pofitioer
©egenftanb folc^er ^anbtung ju fein. ®§ fann alfo nur auf
unfere unbemu§te Statur cinmirfen. Äraf t be§ unauflö^li^en 3»*
fammen^angeg oon Statur unb ©eift finbet bann eine inbirefte
SBirfung auf ben ©eift ftatt*). Qm SBort begegnet un§ ©Ott
aU bemühten ^^erfönlid)feiten, im ©aframent al§ abhängigen ©e^
fd^öpfen. ^ier finb mir paffio unb nehmen bie SBirtungen ©otte§
einfarf) ^in. 9tur permöge einer fold)en Söeiterbilbung ift bie lu»
1) 91. a. O. 8. 87. 2) 91. a. O. @. 88.
3) ^og^^SConntng a. a. D. <5. 35. 4) 31. a. D. 8. 38.
5) 9lod)oa fennt nic^t biefcn 3ufammen^ang.
@ c^ c c I : S)ic ^aufCc^re in b. mobemen pofitio., lut^cr. ^^ogmatü. 293
tl^erif^c S^cologic in ber Sage, bic ftiittigc 5^age au^reic^cnb ju
beantworten. 2luf einen biretten ©^riftben)ei§ mu§ man atter*
bing§ üerjid)ten ^).
®rgänjt unb geflutt roirb biefe 3:^eorie burc^ Die ©ünben-
Iet)re; unb l^ier treffen roieber ^orp unb Rrog^^Sonning relatio
aufammen. 3)ie ©ünbe ift nämlic^ nic^t b(o^ ^erfonfünbe, fon*
bern auc^ 9laturfünbe. 3)arum bebarf man cinc§ ®nabcnmittel§,
ba§ nid^t blo^ mte boS SBort auf ben ®eift mirtt, fonbern auc^
auf bie Statur ^). 3)iefcr gorberung tommt ba§ @atrament nac^,
ba§ als ^anblung auf bie 9latur mirft, unb bemjufotge bie
©ünbe aU 9laturma^t trifft. -3m Sauffaframent gibt (Sott bie
®nabe aU 9taturtraft, unb bie Kraft ber ®nabe in ber 9latur
erfennt man barauS, ba^ bie göttlichen S)inge aQmäl^lic^ ®egen'
flanb einer neuen ßuft unb 3iineigung merben ^). 5)ie Konfequenj
biefer Slnfd^auung ift natürlich, ba| eine unausbleibliche SBirtung
bef)auptet mirb. 3)iefe t)on ben alten ©ogmatifern jurüdfgemie^
feue aSorftetlung beftreitet Ärog^-'2:onning au^ !einesmegS; er
gibt fie oielmel^r ju unb erflärt biefe SSJirfung barauS, ba§ fie
ba§ ®epräge ber Staturnotnoenbigfeit trägt*). 9lur barf man
nic^t bei biefer faframentalen SBirfung ol^ne weiteres an bie ootle
ajlitteilung beS ^eilS ben!en. ®S foll nur gefprod^en werben t)on
einer SBirfung, bie nic^t mit bem ootlen ^eil ibentifc^ ift, ja
nic^t einmal für fic^ o^ne weiteres rettenb ift, fonbern nur burc^
bie Schöpfung eineS neuen pofitioen SlnfnüpfungSpunfteS für baS
^eil in unferm SBefen bic ®runblage legt^). SWan mu^ nur
feft^atten, ha^, mäl^renb ber ®eift nid^t ber Stotmenbigfeit untere
roorfen ift, bie SBSirfung beS ©a!raments unmiberftel^lic^ ift. ©onft
wäre aud^ für bie Äinber, bie baS SEBort ni^t aufnehmen fönnen,
eine SJettung unmöglid^. 93ei ben Äinbern überwiegt noc^ baS
Staturleben, fc^lummert baS ^erfonleben ^). ©anj befonberS in
ber fie^re oon ber Kinbertaufc ift baS 93ebürfniS nad) einer fa*
framentalen Slaturwirtung neben berjenigen beS SBorteS äugen«
1) 31. a. D. @. W. 2) 21. a. O. @. 31.
3) 51. a. D. @. 66.
4) ^rog^=3:onning a. a. O. @. 71. 5) 91. a. D.
6) ^gl. §or9 a. a. O. @. 120.
294 S c^ c c I : S)ic ^auftc^re in b. mobemen pofitbv lut^er. S^ogmatit
fällig. SEBirb bie Saufe loefentlid^ aufgefaßt alB ein ffiort an
bie ^inber, bie boc^ ben SEBortcn noc^ fein Sßerftänbni^ entgegen*
bringen tonnen, fo üerfäüt man in magifd^e SSorfteDungen. ^l^nen
entgeht man nur, menn man bie ©pl^äre be§ SBBortS unb ber
^anblung unterfc^eibet^).
ajiit biefen 9lu^fü^rungcn fc^cint aUerbing§ Srog^-2:onning
jtc^ in einen SBiberfpruc^ ju üermideln. @r moUtc bie 9Jotn)en»
bigfeit be§ ©aframent§ neben bem SBort bamit begrünben, ba^
bie ©ünbe aud^ aU eine 5Jatunnac^t gemertet werben muffe, ber
gegenüber ba§ geiftig mirfenbe 9Bort ol^nmädjtig ift. <3n ben legten
2lu§fül^rungen bagegen l^at er biefen @efi^t§punft fallen gelaffen
unb lebiglic^ auf bie 9latur aU unbemu^te SRatur ben 33lidf ge«
rict)tet. Kräftiger tritt bie§ noc^ in ben einleitenben Erörterungen
an ben Sag. ^ier bemerft er, ba^ ber 9Jienf^ nic^t blog ©eift
fei; be§ ü)Jenfc^en aßefen befte^e au§ ©cift unb 9latur. aCBenn
nun ba§ ©l^riftentum eine ©emeinfc^aft be§ 9Jlenfd)en mit
©Ott fei, fo ^abe man fein SRec^t, einen Seil unfere§ 2Befen§ mit
©Ott oereinigt merben ju laffen, einen anberen Seil aber nic^t *).
3JJan mürbe aber Krog^-Sonning unre^t tun, menn man in biefen
Darbietungen i^m einen Söiberfpruc^ meint nai^meifen ju muffen.
2(Kerbing§ ift ber jule^t genannte ©ebanfe atigemeinerer 2lrt;
aber er tritt bo^ nic^t in ©egenfa^ ju bem fpejießeren ©ebanfen.
S)enn t)ermittel§ ber ©inmirfung be§ ©aframent§ auf bie Statur»
fünbe mirb bie 9latur felbft oon ben ^eil^mirfungen be§ ©afra*
ment§ betroffen. ®§ ift barum f^Iie^Ii^ gleichgültig, ob baS
(Saframent in ber ^Relation auf bie Statur ober auf bie Statur*
fünbe in ber 91atur gefeiten mirb. @§ befielt nur ber Unter*
fd)ieb, t>a^ im erfteren gaQ bem ©ebanfen eine birett pofitioe
SiBenbung gegeben mirb, unb bie legten Senbenjen un^erpllt an
ben Sag treten, mä^renb fie im testen gall etn)a§ oerbedtt er*
fc^einen.
53ei ^oxx) finbet man junäc^ft biefetben ©rmägungen. 5)a§
inbiüibuelle Seben ift ein ^wf^^^^^^i^f^i^ i^on 91atur unb ^erfon.
SBä^renb nun ba§ SQBort perfonbilbenb mirft, ^at ia^ Saframent
bie gö^igfeit, bie Slatur umjubilben, ba§ fie 5ur ö-eca ^ua:^
1) ^>ogl)*a:onning a. a. D. 6 74. 2) 51. a. D. @. 28.
@ c^ e c I : ^ie 2:auf Ief)rc in b. mobcnien pofitit)., (ut^cr. 1)ogmatit 295
tüirb^). @o bcgrünbet neben bem Unterfc^ieb bc§ 6penber§ auc^
bie Unterfc^ieben^eit be§ empfangenben SWcnfc^en bie ^n^ci^^it ber
©nabenmittel. ^n ber alten Statur locft ba§ ©aframent bie
göttlid^e Slnlage ^crüor unb roeil^t baS UngöttUc^e, bie 9iaturfeite
bc§ 93öfen, bem 2:obe. 3)ie§ foU aber ni^t magif^ ju üerfte^cn
fein. ^oxK) miü ebenforoenig rote Ärogl^==2:onning einen fold)en
<3rrn)eg betreten. Um biefen ^f^^rmeg aber 5u permeiben, fc^Iägt
^org einen anberen ©ebanfengang ein mie Ärog^-2^onning. 2)e§
Unteren 2lu§funft erfc^eint im ^liföw^n^c^^öng ber leitenben :3been
al§ bie fonfequentere, ^orp aber ift ber reformatorifd^en ©d)ä§ung
be§ @lauben§ innerhalb ber ©atrament^ibee jugänglic^er. ©ine
magifct)e 3Qßirtung be§ ©atrament§ meint ^ort) mit ber 93el^aup*
tung au^fc^lie&en ju !önnen, ba& ba§ ©aframent vom 3«ntrum
be§ ^erfonenlebenö au§ feine SiBirtung entfalte. ®r erfennt feine
unmittelbare SBäirfung be§ ©aframentö an; er meig mct)t§ von
bem ©ebanfen Ärog^^Jonning§, ba^ ba§ ©aframent al§ ^anb^
lung, nic^t al§ SBort, auf benjenigcn 2:eil be§ menfdjli^en 9Befen§
einmirfe, ber nur ber §anblung jugänglid) ift, nämlic^ auf bie
Statur, gür ^oxx) bet)ält ber ©ebanfe ^raft, ba§ bie SBirfung
be§ ©aframent^ oermittelt ift burc^ ben ©lauben ^). 3)a§ ©afra*
ment mirft nii^t unmittelbar auf bie Seiblic^feit ; bie SBirfung
get)t üom ^erfonleben au§, mie auc^ ba^ aOBort oom 3Wittelpunft
au^ nad) au&en mirft^). 93ei biefer S^ffung lä^t fi^ nad^ ^orp
aud^ begreifen, ba^ bem SBort unb ©aframent oft biefelben SBir*
fungen jugefc^rieben werben. 2lbcr ba§ SBort menbet fi^ päba^
gogifc^ an ben einzelnen, unb e§ mirb oerfc^ieben aufgenommen.
2)a§ ©aframent bagegen mirft al§ unbegreiflid)e§ 9Jlt)fterium in
1) ^oxx) a. a. C @. 98. 2) S(. a. O.
3) §ori) a. a. D. @. 99. Sögl. auc^ bie cinleitenbcn (Erörterungen
über ben ^inberglauben. SlUerbingS warnt ^oxx) vox einer Ucberfpan-
nung ber ©laubengforberung (@. 76). ^ie ©d^rift gibt frf)on hti ber (Sr*
roarfifencntaufc benjenigen nic^t 9lcd)t, welche bie gorbcrungen an ben
hk 2:aufc ermöglic^cnbcn ©lauben ju l)oci^ fpannen. S^ax xüixb ein
entroicfcltcr ©taube ben (Segen ber 3:aufe rafd)er jur ©rfc^einung bringen.
3^ür ben (Smpfang ber a:aufe fe^en aber bie ntl. JBerid^tc nur bie 93e*
tanntfc^aft mit ben (^runbtatfac^cn ber (Srlöfung oorauö unb eine an=
fang§mä&ige Ueberjeugung bapon.
296 © c^ c e t : 5)ic a:auf(e^re in b. mobemen pofltiüv tut^cr. 2)O0matit
ge^cimni^ooKcr ©tiflc im 9Jlenfc^en, oi)m in§ beraubte SBillen^'
leben aufgenommen ju fein, ©eine SBivfungen mögen fufjeffio
in bie @rfd)einung treten; bie @abz aber mirb nid^t fufjeffto
mitgeteilt unb fie inbioibualifiert fic^ nic^t na^ ben oerfc^iebenen
^erfönlic^f'eiten, mie bie§ beim Söort bev gaü ift. 3)a§ eine
folc^e auf bie 5toturfeite erfolgenbe 8B3ir!ung ber 2:aufe unb eine
baburc^ begrünbete 91aturgemeinf^oft mit 6^riftu§ möglich ift,
ergibt fic^ bem SMutor au§ ber ©efc^ic^te -3^fw- 2)cnn mit ber
®mpfängni§ (S^rifti gab e§ eine ©otte^gemeinfc^aft in ©^rifto
oor bem ermac^enbeu 93emugtfein ; bai§ @öttlid)e l^at fi^ bi§ jur
Unbemu^t^eit erniebrigt ^). @§ gibt alfo eine Oemeinfd^aft ®otte§
mit bem SWenf^en im ©tabium ber Unbemu^tl^eit unb be§ ali-
mäl^Iii^ aufbämmemben ©elbftben)u§tfein§ be§ SWenfc^en^). S)amit
ift bie Äinbertaufe bogmatifc^ gered^tfertigt. S)ie reinigenbe Sraft
ber 2:aufe fommt ben Äinbem ju mit ber 93efd)ränfung, ba§ jum
perfönlid^en ^abitu§ afle§ erft merbe burc^ freiet, ben)u§te§ et^i*
fc^e§ S8ert)alten. 2)er ^iftorifd^en Kenofe 3^efu entfpric^t alfo eine
^enofe mgftifc^er ^mmanenj im Äinbe, unb ber Äinbertaufe fe^lt
fein aWoment ber faframentalen Saufe. 9ll§ perfönlic^e^ SSer*
galten jum göttli^en Sßort ift ber ®laube im Äinbe nic^t oor»
tjanben. SJor^anben aber ift er im Äinbe al§ ba§ unmittelbare
9taturoer^ältni§ ju ®^nftu§, al§ eine Smpfänglic^feit für bie
Segnungen feinet SReic^e^^). Qm ^inbe^leben überwiegt noc^
bie 9laturfeite. 3)arum mirb bie ®nabe felbft ju einer einer
^ö^eren Orbnung ange^örenben 9latürlic^feit. Q\xx allfeitigen ©nt^^
roidtlung ift allerbing^ no^ ba§ SBort nötig unb ba§ gläubige
SBer^alten. 2)a§ ift aber eine Slotmenbigfeit, bie bie Äinbertaufe
mit ber ©rroac^fenentaufe teilt*). 3rtit biefem @nbergebni§ be^
gegnet fid^ ^org in ttwa^ mieberum mit Ärog^^Sonning, ber
auc^ t)on feiner befonberen Sl^eorie au§ ju ber 2lnna^me gelangt^
ba§ bie 9laturn)irfung be§ ©aframent§ nic^t o^ne weitere^ feiig»
mac^enb fei, fonbern nur auf ba§ ^eil abjiele^). 3)ie 9iatur^
luirfung ift noc^ ntd)t ein neue§ et^if^e§ @eifte§oer^ä(tni^ ju
1) Ul. a. D. @. 110. 2) 31. a. D. S. 117.
3) ^ovx) a, a. O. @. 119. 6) 31. a. O. ©. 121.
4) ^ro0^*3:onning o. a. D, 8. 90.
© d^ c c 1 : 2)ic 2:aufIe^TC in b. mobemen pofltip., lutl^ex. ^ogmalif. 297
©Ott, in SBciüu^tfein unb SBillen. ®ie§ fann nie fcl^lcn im felig-
ma^cnbcn SSer^ältniö ju it)m. ^m ©aframent bringt Oott bic
JBcbingungcn in un§ ^croor, auf ©runb beten bie perfönlic^e 2ln-
nal^me bcr ©nabe juroege gebraut werben fann. ©in objettiüeS
@ut wirb in unö eingepflanst, um fubjettiü ju werben, ^ür bie
Seligmac^ung ift ber ©laube üor^anben').
aWi^t man ^orq§ unb Krog]^*2:onning§ Darbietungen an
einanber, fo mirb ber SBergleic^, fofem man ben SDla^flab ber
©ef^Ioffen^eit gelten laffen miß, nic^t ju gunften ^orgS au§*
fallen. 93eiben Slutoren ift ba§ Qntereffe gemeinfam, ba§ ©afra*
ment fpejififc^ oom SBort abjugrenjen, beibe behaupten eine Sk-
turmirtung be§ ©a!rament§ ber 2:aufe, mie benn aucf) beibe bie^
felbe Sluffaffung pon ber ©ünbe al§ 9laturfünbe ober 9?aturmac^t
teilen. 2lber nac^ ^orp foll ba§ nic^t al§ verbum visibile ju
befinierenbe SBort t)om ^erfonenleben au§ auf bie 9tatur mirten,
bie SBermittlung be§ ©laubenö foll nic^t ignoriert werben, ©oll
aber ba§ ©aframent eine Jiaturmirfung ausüben, fo fd^eint bie
Betonung bes @lauben§ überflfiffig ju fein, unb ebenfo bie iffiir*
fung auf bie 91atur oom ß^ntrum be§ ^erfonenleben^ an^. 3Wan
möd^te bie S^age aufioerfen, warum benn überhaupt eine SBirfung
auf bie 9latur geforbert wirb, wenn ba§ ©aframent junäc^ft auf
ba§ 5ßerfonenleben einwirft; unb man möd)te meinen, ba| ^orp
nur im ^fntereffe einer ©c^eibung be§ ©aframent§ unb be§ SIBorts
jene Sl^efe burdjjufül^ren fid) bemüht. ®ann aber fe^lt in ber
©injelbegrünbung grabe ber innere 9lac^wei§ für bie Slotwenbig-
feit ber 3n?^i^^it ^^^ ©nabenmittel. 3Wan mö^te aber be§ wei«
teren ber Sßermutung 9laum geben, ba^ ^org feinen ganj pra«
jifen 93egriff t)on bem befi^t, ma^ er Slaturwirfung be§ 2:auf^
faframent^ nennt. S)enn wenn er ba§ ^^erfonleben jum S)urclj-
ganggpunft für bie ©inwirfung auf bie Statur mac^t, fo fmb
offenbar ©eift unb Statur einanber gegenüber geftellt. 2ln anbe*
reu ©teilen fd)eint aber Statur ba^felbe }u bebeuten, wie ba§ un*
bewußte fieben, b. J), alfo bie no^ nic^t aum geiftigen 33ewu§t*
fein gelangte Slnlage jum ^erfonleben. S)iefe Sßorftellung legen
^org§ 2tu8fü^rungen über bie Äinbertaufe na^e, benn l)ier iben-
1) ebb.
298 @ d^ c e I : ^ie 2:auftc^re in b. mobcmcn pofitit)., lut^er. ^ogmatif.
tifijicrt er ba§ unmittelbare 9taturper^öltni§ be§ ^inbeS ju ®^riftu§
mit ber Smpfänglic^teit für bie ©egnungen be§ SReic^e§ ß^rifti,
unb er fprid)t oon einem Olauben, ber noc^ nic^t aU perfönlic^eö
aSer^alten jum göttlichen SBort fid) oorfinbct. 9(nbererfeit§ mitt
er aber bod^ bie 9taturfeite im Äinbe al§ bie, meiere bie geiftige
übermiege, ^ingefteüt miffen, bie ©ünbe a(§ 9taturfünbe oon ber
(Sünbe aU ©eiftfünbe unterf^eiben unb bem entfprc^enb bie
©nabe be§ (Sa!rament§ al§ eine einer l^ö^eren 9taturorbnung an«
gel^örenbe 9tatürlic^{eit c^aratterifiert fe^en. 5)amit fd)eint mieberum
©eift unb 9Jatur ber Oegenfa^ ju fein, ber ^ort) im ©inn liegt.
©0 fd^ittert alfo ber begriff, unb Ocfc^loffenl^eit ift nic^t üor»
t)anben. 5)o^ ift bie§ Spidern intereffant unb bejeid^ncnb. S)enn
e§ bereitet bie ®rfenntni§ oor, ba^ le^tlic^ me^r oon untlaren
Stimmungen al§ oon beutKc^en ©rtenntniffen biefe 2:^eorie ftc^
näl^rt.
Um grö&ere 2)eutUd){eit bemüht fic^ Ärogl^^^Jonning. S)a§
nid)t al§ Sffiort, aud^ nic^t at§ verbum visibile, fonbern al§ ^anb*
lung anjufe^enbe ©aframent menbet fic^ birett an bie 9?atur»
feite be§ ajienfd^en, um oon l^ier au§ inbirett auf ba§ geiftige
Seben ®influ§ ju geminnen; ba§ SBort mirft grabe umgefe^rt.
2)ie Unf(arf|eiten ^orp^ finbet man nic^t oor. Krogl^-Jonning
braucht barum au^ nic^t ben ®lauben, um bie Söirfung be§
©aframent§ oerftänblic^ ju mad)en. 93ei i^m fd)Iiegt fic^ fc^ein»
bar jebeö einjelne ©lieb foIgeridt)tig an ba§ anbere an. ©o oiel
barf jebenfall^ gefagt werben, ba^ bie Unterfd^eibung§beftimmungen
burd^ficl)tiger fmb al^ bei |)or9. ÜWan barf aber boc^ ^orp unb
ßrog^'Jonning sufammen betrachten. ®enn bie Slic^tung, in ber
fie ba§ ©pejifif^e be§ ©aframent^ fud^en moHen, ift biefelbe.
üJlit n)elcf)em ®rfoIg fie auf bie ©uc^e gegangen fmb, ift je^t
nä^er in§ 2luge ju faffen. Sßon ben Unfid)erf|eiten, bie in ber
3)arfteQung ^ort)§ un§ begegneten, barf l^ier abgefe^en merben.
^a^ e§ fid^ um bie Söfung eine§ fcl)mierigen ^roblem^
^anbelt, ift ^oxx)^ mie Ärogt)=2:onning§ gemeinfame Ueberjeugung.
S)a§ gilt befonbev^ im ^inblict auf bie SRect)tfertigung ber Äinber*
taufe ^). SJtan lounbert fic^ freilicl), ba§ bie§ nod) ausbrüdtlic^
1) §ort) a. a. D. 3. 7.
@ d) e e I : %\t Jauflc^re in b. mobemcn pofltio., (utf)er. ^ogmatif. 299
^eroorge^oben roirb. ®enn bie ganje Jl^corie foll ja grabe bcm
bogmatifc^cn SSerftänbniö bcr Äinbertaufe bicncn. Qft bic 2^^coric
bcgrünbct, fo ift auc^ ol^ne rocitcrcö bic Äinbcrtaufc gerechtfertigt,
aßenn tro^bem ^ier bie ©d)n)terigteiten löcroorge^oben roerben,
fo erwedt bie§ ben ®mbru(J, ba&, mag aud) gelegentlich bie
Rinbertaufe al§ bie ed^te unb redete Saufe behauptet n)erben, boc^
ba§ SBertrauen auf bie eigenen Darbietungen nicl)t unbebingt ift.
3)a§ ift feine fpi^finbige aSermutung. ^oxx) n)enigften§ lä^t 3Wo*
tipe erfennen, bie bie foeben üermutete SBirfung auSlöfen. 2)enn
einmal perfc^afft e§ i^m Unbel^agen, ba§ er feinen bireften ©c^rift-
grunb für bie Rinbertaufe nact)jun)eifen in ber Sage ift^). Unb
auct) Rrog^^Jonning mu§ einräumen, ba§ bie pon if|m pertretenc
©aframent§Ie^re nic^t burc^ einen bireften @d)riftbemei§ geftü^t
mirb '). S)ie fd^riftgemä^e 9leci)tfertigung feiner J^eorie ftnbet
er nur wie ÜWartenfen^) pon ber biblifcl)en ®fcl)atoIogie au§, bie
ni(^t blo^ eine SBer^errlic^ung be§ @eifte§, fonbern auc^ ber Statur
porau^fe^e. Darum bürfe bie im ©^riftentum burc^ bie 2:aufe
poüjogene 9leufc^öpfung nid^t eine blo§ pfijc^ologifi^e iBebeutung
l)aben. Sie mürbe fonft mit bem efd^atologifc^en Oegenbilb fic^
nic^t pertragen*). ®§ gibt boc^ aud^ ju beuten, ia^ Krog^«
Jonning fi^ au§er ftanbe erflärt, bie 9laturmirfung be$ ©afra^
ment§ begreiflich ju machen, unb eine abäquate Definition pou
ber SBirfung ber ©nabe ®otte§ auf unfere 9iatur nic^t geben ju
fönnen behauptet '^). Doc^ fei bie§ nur me^r im Vorübergehen
bead^tet. Ärog^^2:onning fcfjlägt bie ©ebanfen, bie Pon ^ier au§
auftauten fönnten, burc^ ben ^inmei§ auf fo mancl)e anberen
9tätfet unb 3Wi}fterien, bie ba§ üeben biete, nieber. ®§ ift ba§
freilict) feine neue SJlet^obe. Die Dogmatif ^at e§ ja immer
mieber erleben muffen, ba§ bie unferem ©rfennen überl^aupt ge^
festen ©renjen neue @et)eimniffe unb SRätfel, bie bie eigene
1) (§:bh, 2) ^roö^^aonning a a. C @. 54
3) 9}iartenfen, Dogmatil § 253 2lnm.
4) ^rogf)'3tonnin0 a. a. D. @. 61.
5) Det er ogsaa vist nok, at en adaequat Definition af Guds Naades
Virkning paa vor Natur maa vi erkleere os ude af Stand til at levere.
Er.^3:. a. a. D. 3. 64.
BOO @ (^ e e I : ^ie ^auf (e^re in b. mobemen poritit)., lut^er. ^ogmatit
fpejieUc, ni^t mc^r inncrl^alb bcr allgemeinen er!enntni§t^eoreti*
f^cn Ovenjen liegenbc Sl^eorie bietet, roenn a\x6) nic^t erfidren,
fo bo^ afö notwcnbigc unb ni^t bcfrcmblic^e ©c^ranfen ber bog^
matif^en Slrbeit errocifen foKcn, burd) beten Syiftenj man alfo fic^
nid)t braucht beunruhigen ju laffen.
2öic^tiger aber ift eS, ba§ beibe§ ^or^ unb Ärogl^^Sonning
ben ©ebanfen ber UnentbeJ^rlid^Icit be§ ©atramentig, auf ben bo^
bic ^rämiffen i^rer 2:^eorie ^infü^ren, nid^t feftl^alten tonnen.
®§ berül^rt boc^ eigentümlid^, roenn ^ort) ft^ junäc^ft bemüht,
bic altortl^oboje ©aframent§auffaffung al§ unjulängli^ nac^ju*
weifen; wenn er bie ®^ara!terifierung be§ ©atramentS al§ be§
göttU^ georbneten 2JlitteI§ ber iubioibu eilen ^eU^aneig*
nung unb göttlichen SBergeroifferung unb SBerfiegclung') oerroirft;
wenn er auSbrücflic^ bie Sücfe in ber altortl^obojen Sluffaffung
iDom ©aframent auf jeigt % unb nun bo^ grabe in biefem Qn--
fammen^ang bie fpcjififc^e ©aframentäroirfung aud^ oom SBort
gelten lä^t. 2)a§ ©aframent rt\\x% mie |)orq§ gorberung lautet,
etmag bieten, mag baS SBort unb ber ©laubc für ftc^ nic^t ju
geben oermag; aber ^ox\) fügt biefem ©a^ fofort ein ,,in ber
SHegel" ^) einf^räntenb l^inju. 3Jlan Derfte^t, roie ^orr) ju biefer
(äinfd^räntung tommt. @§ gefc^iel^t unter bem 6influ§ ber Slu^
toritdt gemiffer ©^rif tau^fagen ; ©d)riftmotit) unb ©aframent^*
motio vertragen fi^ eben nid^t bebingung$to§ miteinanber. 2Kan
fann alfo ^or^g ©inf^ränfung begreifen; bamit ift fie aber nid)t
gerechtfertigt, ffienn i^m mü^te alle§ baran liegen, 3öort unb
©aframent fo gegeneinanber abjugrenjen, ha% ma§ bem einen
jugemiefen mürbe, oon bem anbeten nic^t gelten bürfte. 2öenn
in beftimmten, fei e§ auc^ nod^ fo fettenen gällen, haä SBort unb
ber ©laube basfelbe follen geben fönnen, mie ba8 ©aframent, fo
ift bet ©a^ oon bem fpcjifif^en S^ataftet be§ ©aftamentg ptei^^
gegeben. |)otr) I)at nid^t ben 2Kut bet Sonfequenj gehabt. 6t
fonnte i^n nid^t ^aben, meil bie ©c^tift i^m bo^ eine ju ge*
maltige ©ptacl)e tebete, unb ba§ ©c^tiftptiuaip oon il^m nic^t an*
getaftet metben foUte. Uutet biefen Umftänben t)ätte et abet bie
iT^orp a. a. D. <S. 77. 2) % a. D. 79.
3) (^bh.
(S c^ c e I : ^ic 3:auf(e^rc in b. mobcrncn poritio., lut^cr. 'Dogmatü. 301
^f(irf)t gcf)abt gegen bcn ©atrament^gebantcn ftc^ fritifc^ ju Der*
t)alten. 3)a er bie§ nid^t tut, mclme^r bcr Äonfequenj ber fafva*
mentalen ajorfteöung fic^ jugänglic^ jcigt, roirb er einem Som*
promig jugefü^rt, ba§ nic^t nur nic^t befriebigt, fonbern au^ bie
eigenen ^^rämiffen über ben Raufen roirft.
3)iefelbe Unfic^cr^eit finbet man bei Ärog^^S^onning, ber boc^
reiner at§ ^ort) ben ©aframent§begriff burc^jufü^ren beftrebt
mar. Ärogl^*2:onning oerfuc^t ben 9lac^mei§, bag bie Saufe bie
SBiebergeburt mir!t, bie oon ber rclatioe ©elbftänbigteit befi^en*
ben Heiligung unterfd)ieben, ein faframentalcig ^robu!t ift. ®a§
ftimme auf ba§ genauefle überein mit bem 93egriff be§ ©atra*
ment§ aU einer mit un§ üorgenommenen ^anblung unb mit un*
ferer O^nmad^t, bie un§ auf bie neufc^affenbc Slßmac^t @otte§
oermeife '). Slber nun finbet ft^ biefelbe c^arafteriftifd^c (Sinfd)rän*
fung roie bei ^onj. SBa§ Ärog^ * Sonning über ba§ SBer^Uni^
pon SBort unb ©aframent au§fü^rte, foll auf alle g^älle für nor*
male aSer^ältniffe ©ültigteit ^aben*). 2lu einer anberen ©teile
fpri^t er fic^ nod) beuttirf)cr au§. ®r gibt bie aWöglid^teit ber
Erlangung ber ©eligfeit ju allein ©ermittele be§ @nabenmittel§,
ba§ feinem SBefen nac^ tebiglic^ fid) an ben ©eift roenbet, näm*
lic^ traft be§ 2Borte§. S)a§ foll freiließ etmaS 3lbnorme§ fein^);
für bie prinsipielle 53eurteilung mac^t bie§ aber nici^t§ au§. -3ft
einmal ba§ ^rinjip bur^löc^ert, fo ift bie prinaipielle ©c^eibung
preisgegeben, unb man tann bie 2:f)efe, bie al§ grunblegenbe gelten
foll, nur mit ben alten 2)ogmatifern ocrmögc einer millfürlic^en
©e^ung retten. S)iefen 3tu§meg finbet man auc^ bei Ärog^-
Jonning, menn er bie 9lu§na^me freilief) einräumen mug, fie aber
al§ 2lbnormität gemertet fel)en roill, meil @ott eben jmei ®naben*
mittet gegeben I)abe, SBort unb ©atrament. ©o fel)lt benn auc^
1) ^rog^^^^onning a. a. O. <S. 103 : At Gjenfödelsen . . . ejenJomme-
ligen er et sakramentalt Produkt eller formidlet ved Guds
Naade i Sakramen'tet, dette maa ansees for at stemme paa det
nöjeste overens baade med Sakramentets Begreb som Handling» der fo-
retages med os, og med vor Trang som afmaegtige, der ej kan reddea
for Livet uden i kraft af Guds enevirkende, nyskabende Almagt.
2) i alle Fald under normale Forhold. ebb.
3) 91. a. D. @. 53.
302 @ c^ c c I : ^ic a;auf (c^tc in b. moberncn pofitip., lut^er. ^oßmatif.
I^icr de facto ber innere ^tac^roeis^ ber Jiotmenbigteit be§ ©atra*
mentS neben bem Sort, mag e§ auc^ ^ro9^^2:onnin9 weit beffer
at^ ben alten S)09matitern geglürft fein, burc^ gormein ben f^fte^
matifc^en ^e^ler ju üerbecfen. S^ro9^'2:onmng fönnte alterbing^
barauf tjinmeifen, ba§ er boc^ ein ©egner jeber mec^anif^en Sren*
nung ber beiben ©nabenmittcl fei, ja, ba§ er bem ©aframent
au^ ein oerbaleö 3Woment auftreibt ^). 2)ie f^mbolifd^e 2lrt be§
©aframentg mac^t nad) i^m barauf aufmertfam, ba§ eS auc^ auf
ben ®eift mirten foQ. 3)a§ ift ri^tig, bebeutet aber in unferem
3ufamment)ang ni^t§; e§ bebeutet ^öc^ften§ eine neue SBerfd^teie-
rung. 3)enn immer mürbe e§ ftd) nur um eine inbirette SBir-
fung, unb jmar be§ ©aframent§ tianbeln. ®a§ entf^eibenbe ift
aber bie§, ba§ Ärog^*2:onning bem 3Bort bie ooße ^eilSmirfung
unabpngig oom ©aframent jufd)reibt. @§ fann auc^ beffen no^
gebaut werben, ba§ Srogti^Sonning im weiteren SSerlauf biefer
2lu§fü^rungen feiner ©aframent§t^efe nur in ber götm einer
^gpot^efc ©rmä^nung tut. @in günftige^ SJorurteil für bie Slieoric
tann bie§ aUe§ nid)t erroeden. 2)ie S^eoretiter felbft verraten
eine bebcnflict)e Unfid^erl^eit.
3u biefer fqftematifc^en Unftc^erlieit gefeilt ft^ eine milltür^
ti^e Segriff^begrenjung. @§ oertrcigt fid) nic^t mit bem 6rnft
fijftcmatifc^er ©ebantenfü^rung, wenn ^or^ bie grunblegenben
Erörterungen in ber ©eftalt oon Söermutungen entroidelt. ^or^
räumt ein, ba§ ba§ 3öort tonjentriert wirf en fann-), ba§ e§ ben
ajlenfc^en in feinem innerften ajlittetpunft gleic^fam mit momem
taner 3ufömmenfaffung feiner ganjen Kraft treffen unb fo eine
Dur^greifenbe Umgeftaltung bewirten fann^). ®§ foU aber, \>a^
ift bie oorau^gefe^te ^^tberung, ber Unterfc^icb oon SBort unb
©aframent nad)gewiefen werben. ®a§ gefc^ie^t einmal, inbem
jur Ueberrafc^ung be§ Sefer§, ber bie foeben jitierten SQSorte noc^
im @ebäd)tni^ ^at, erflärt wirb, ba& ba§ m^ ^erj l^inein gefenfte
SBort ,,wo^l felbft tricbträftig, aber nic^t oermögenb, au§ fic^
allein bie ganje güUe be§ Seben§ mit allen feinen Attributen in§
3)afein ju rufen" *), Dom ©aframent berührt werbe unb fraft
1) Sl>oöl)^2:onning a. a. D. 122. 2) ^or^ a. a. D. S. 84.
3) (§^bh. 4) 3J. a. D. 8. 88.
@ c^ c c I : S)ie 3:auf(cöre in b. mobernen pofltit)., (ut^er. ^ogmatif. 303
bicfcr SBcrü^rung ba§ Siditlcbcn fic^ entjünbe. 2)a§ ift aber im
^iublid auf ba§ crftc 3u9^ftönbni§ eine roiUtürlidje 53c^auptunfl.
Sobann wirb aber a\x6) auf bcn Unterfc^icb bcr fpenbcnben
^erfon im SBort unb ©aframcnt aufmcrffam gemalt. 2lbcr
Icibcr tann ^org bcn 93cn)ci§ für biefc Untcrfc^cibung nid^t brin=
gen. @r fc^ilbcrt in längerer, an jolianneifc^e ©teDen fic^ an»
f^Ue^enber 2tu§einanbcrfe^ung bcn @ang ber ^eiteaneignung in
bcn einacincn üKenfc^cn, „um bcn ^unft ju bcftimmcn, mo ba§
©aframcnt in ba^fclbc eingreift" '). S)er SBatcr bringt bur^
bcn be§ SSort^ fic^ bebienenben ®eift bic innerfte ©aite bc§ @ottc§*
bemugtfeing jum Süngcn. 3)ie§ roirtcnbc SBort ift ba§ SBort
ß^rifti, foba§ bur^ bic§ SBort ein SBcr^ältni^ ju ®^riftu§ ange-
bahnt roirb, i>a^ Siebe unb SScrcIirung ber SÄcnf^cn unb bic ®r*
fa^rung göttlicher Siebe enthält. ®ie§ immer noc^ ni^t bcn rc*
ligiöfcn ^citSbefi^ unb bie Erfüllung unb bcn 93efi^ be§ ©lau-
ben§ fennenbc, fonbern nur oorbercitenben S^arafter tragenbc
SßerljältniS ju ©^riftu§ mirb in ba§ Stabium be§ ^aben§ über--
gefül^rt bur(^ bic auf ©runb eine§ 2:un§ S^rifti erfolgenbe ©en*
bung be§ ®cifte§ in§ ^erj. 9Jlit bem ®eift n)oI)nt fic^ aber
®^riftu§ felbft im SWenfc^en ein 2); ba§ rctigiöfc Qul ift je^t cr^*
rei^t. ®§ foll ^ier nid^t bie grage untcrfuc^t werben, ob biefe
©fiSjc bcr ^eil§ancignung bcn rcformatorifd)en 9iec^tfcrtigung§*
gebauten überbietet unb baburc^ au§ feiner be^errfc^enben Stet«
lung oerbrängt. ^ier gilt e§, biefen ©ntmurf ber |)eit^aneignung
barauf l^in anjufe^en, ob er bie oon ^org bel^auptetc Unterfc^ie*
ben^eit ber ^erfon be§ (Spenber§ im SBort unb ©atrament be^
weifen tann. Unb eben biesi ift nid^t ber gall. 3)ic Sinien, bie
^org ^ier jieljt, roerben beftimmt burd^ bie ^untte SBort unb
©eift, SBort unb e^riftu§, ©eift unb 6:t)riftu§, b. ^., bie aUge^
meine ©tiaratteriftit ber ^eit^aneignung tann gegeben merben,
o^ne ba§ ein notmenbiger ^la^ für ha^ ©atrament gefunben
roirb unb ot)ne i>a^ eine notmenbige Trennung be§ ®eifte§ unb
©l)rifti nad^gemiefen mirb. 2)cnn ber ©eift bebient fid^ bc§
SBortc§, n)el^e§ ein SBort ©firifti ift, begrünbet ein a3crl)ättni§
ju ®^riftu§, baig ergänjt wirb burc^ bie ©enbung be§ ©eiftcs;
1) §or9 a. a. O. ©. 84. 2) 51. a. O. 6. 86.
304 @ ^ e c 1 : 2)ie Slaufle^rc in b. mobemcn pofitu)., lut^er. ^ogmotit
in§ ^crj, mit bem nun (£^riftu§ felbft in§ ^crj cinjie^t. @S
rocc^feln alfo rool^I formal bie Scgriffe Oeift unb S^riftuS; aber
roie in bcm oorbcreitcnben aift 2öort, ©eift unb ffi^riftuS jufam*
mengeftimmt crfc^cincn, nid^t aber bifferenjiert, fo au^ in bcm
legten, ben cigentti^cn 53cft^ garanticrenbcn Slft. 3Äit bem (Seift
ber ja be§ SBorteg fic^ bebiencn mu§, nimmt (S^riftuö SEBo^nung
im ^erjen. ®er üon ^ox\) gebotene SBcc^fel ber ^Begriffe ©eift
unb ®t)riftus ift nid)t imftanbe, eine (Srgdnjung be§ 333ort§ burd^
ein anbcre§ SJlittet al^ notmenbig ju ermeifen, ober ba§ ber ®eift
unb ®I)riftu§ oerfd^iebener 9JHttel ftc^ bebienen müßten, ^org
fetbft f)at eine ®mpfinbung für biefe Südfe. S)cnn er erfldrt am
@cf|Iuffe bicfe§ 2tbfa^e§, ber ba§ bogmatif^c Stefultat auö ben
oorangegangenen Srörterungen ableiten foö, e§ l^abe ftc^ eine
SWei^e Don 2lften tierau^gefteßt, in benen ber ®eift por^errfc^enb
mar, unb eine 9teif|c, in ber oon ®^riftu§ bieS galt, „'^üt bie
eine 9leil)e fteltte ftcf) un§ al§ Organ ba§ SQSort bar, fotlte e§
nic^t für bie anbere Steige ba§ ©aframent fein? ©oute nid)t,
mie ber I)eitige ©eift burd) ba§ SBort, fo ®^riftu§ oorl^errfc^enb
burc^ ba^ ©aframent roirfen"^)? ©oldie nict)t einmal burc^ bie
Doraufgegangenen ©rörterungen glaub^^aft gemachten 93ermutungen
f)aben natürlich feinen bogmatifc^en SBert. 53ebeutung§ooll fmb
fie aber, fobalb jur 2:^efe ^org^ Stellung genommen werben foH.
©ie bctunben ben Sßerjid^t auf bie fijftematifrf)e 53egrünbung grabe
be§ fpringenben ^unfte§.
2luc^ ^rog^*2:onning§ 3)arftellung fann man oon bem aSor«
murf ber SBillfür ni^t frei fprec^en. ®r meint, eine JRettung
befonber§ ber Äinbcr fei nur bann möglid), menn ©Ott auc^ burc^
ein anbere§ SWittet mit un§ oerfe^ren tonne aU burc^ ba§ SBort,
nämlid) burd) bie ^anblung, unb menn biefe ^anblung an baS
Unperfönli^e be§ SWenfd^en fic^ menbe ^). ©o mirb ber SSegriff
ber ^anblung bejeidinenb für bie ©igenart be§ ©atrament§ ; unb
ber ^anblung ift e§ eigentümli^, nur ^ffioität im 3)lenfc^en
üorau§5ufe^en ^). ^m faframentalen ©f)riftentum ift ©ott l^an*
1) ©otQ a. a. D. ©. 87.
2) ^rog^^3:onning a. a. D. ©. 72.
3) 9(. 0. D. @. 39.
@ c^ c c I : ®ic aiauflc^rc in b. mobernen pofitip., Iutf)cr. ^ogmatü. 305
bclnb, bct SWenfc^ rcjeptio ^). S)q§ 2öort aber fc^t bic freie ^er*
fönlic^!eit oorau§^), unb bie SBirtfamfeit be§ 2öorte§ ^ängt ab
oon ber ©ef^affenl^eit unfcve^ ©eifte^^), ber fic^ nid)t unmittcl*
bar beeinfluffen Id^t % roie bie Statur, ©o ^at burrf) \>a^ 9ta*
türli^e in un8 ba^ 9latür(ici^e au§er un§ S^flöng »um ©eiftigen.
®a§ entfpri^t auc^ ben gorberungen einer gefunben 'ißfqc^ologie ^).
2)iefe gefunbe ^fr)c^o(ogie fc^eint aDerbing§ Ärog^52:onning nid)t
fo einteuc^tenb ju fein, roie feine Sl^efen oermuten laffen. S)enn
er mu§ fie bod^ fd)lieglic^ al§ SJlgfterium beurteilen. 9lber baoon
mag ^ier abgefe^en roerben. ®ie 5^age, auf bic e§ ^ier oor
aUcm antommt, ift bie, ob Ärog^^Jonning berechtigt ift, SBort
unb ^anblung fo gegen einanber abjugrenjen, wie e^ oon il)m gc*
fc^e^en ift.
2)aB ber Sut^eraner Ärog^^Jonning mit feiner bie SBieber^
gcburt auf ba§ (Sa!rament, bie Heiligung auf ba§ SBort bejie»
^enben S^eorie bie a(ttut^erifd)e Se^re oon ber 2öiebergeburt oer*
lägt, ift ba§ menigfte, ba§ gegen feine Slieorie einjumenben märe.
Ärog^^Sonning mürbe aud) einen folc^en Sßormurf nic^t aKju
fc^mer nel^men; er miß ja nid)t repriftinieren, fonbern meiter»
bilben. 93ebeutung§ooUer ift aber, ba§ bie üon il)m beliebte ©c^ei*
bung ba§ religiöfc Urteil unb bie pfg^ologifc^e 93etrac^tung in
einanber mirrt unb in ber 2luffaffung oon ber SBortmirtfamfeit
ju ©ebanten tommt, bie mit ber reformatorifd^en ©nabenle^re in
Konflift geraten. S)a§ SBort foU nad) Slrog^^Sonning ben 9Wen*
fd)en nur in eine neue Situation führen, bie i^m bie aWöglic^«
teit ber 3BaI)l gibt^). 2)ie fatramentale ^anblung aber bebeutet
eine 9teufc^öpfung be8 ©ünber§. 2Bo ba§ SBort auftritt, mirb
an bie SWitmirfung be§ 3JJenfc^en appelliert, mä^renb allein beim
Saframent oon ber ^affioität be^ 3JJenfd)en gefproc^en merben
tann. SWit biefer Srflärung, bie bie SBiebergeburt auf ba§ @a*
trament, bie Heiligung auf ba§ SBort einftellt^), mill e§ aller*
bing§ menig jufammenftimmen, ba§ aud^ eine SBiebergeburt bur^
1) 21. a. D. S. 78. 2) 21. a. D. S. 48.
3) 21. a. D. S. 72. 4) 21. a. D. ©. 97.
5) 21. a. D. S. 98.
6) ^rog^^2:onning a. a. D. S. 119. 7} 21. a. D. @. 103.
^citfc^rift für Ideologie unb Ritdit. 16. aa^rg., 4. ^eft. 22
306 @ c^ e c I : "Die 2:auflcl)rc in b. mobcrnen pofitir)., lut^cr. ^oßntatit
ha^ 333ort ancrfonnt roirb. I ^ctr 1,23 lieg fi^ ja uid^t igno-
rieren, n)ie benn ilber^aupt biefe ©d^riftfteöe eine bleibenbe crux
für bie fpejififd)e ©atrament§t^eoIogie geworben ift. Srog^^Son*
ning pnbet ftd^ aber boc^ oer^ätttii§mä§ig leicht mit bicfer ©teUe
unb anberen, älinUc^ lautenben ab. S)enn er f^idt i^rer ^efpre^
c^ung ooran bie (SrKärung, bog ba§ ©aframent ba§ nS^fte
nnb eigentlid^e ajlittel ber SSiebergeburt bleibe unb er lägt i^r
unoermittelt, unb o^ne bag er be§ 3öiberfpruc^§ mit bem offen==
baren SBortlaut ber ©d^riftfteKen ju gebenfen für nötig befinbet,
bie ®rfiärung folgen, bag ba§ SBort mit bem ©atrament gufam*
men ba^ neue Seben mirft^). SBenige 3^ilcn oor^er ^atteeraber
fetbft bie SWi^tigfeit be§ ©d^riftmort^ mit ber 53el^auptung be»
grünbet, bag ja @otte§ SBort „®eift unb Seben" fei (^o^ 6, 63).
®^ ift alfo ein mertmürbigeg ©dimanfcn jmifdien bigparaten 9Wo=
tioen ju tonftatieren. SBiß man baoon aber feine 9Joti} nel^men,
fo mug man jebenfallg ben 9tac^mei§ bafür oertangen, bog ber
9tefur§ auf ba§ SBort allein fguergiftifd^e @eban!engänge au^löft.
3)enn um bie§ ju oermeiben, miß ja Srogl^= Jonning auf ba§ ©a^
frament jurüdge^en. 2)en 9ta^n)ei§ tann er aber nid^t geben.
3)enn einmal mug er ja unter bem ®inbrud geroiffer ©d^rift*
fteHen feine allgemeine 9luffaffung oon ber SBirfung bei^ aOBorteS
fallen laffen. ©obann aber oermed^felt ^rog^^Sonning, roie ba§
übrigen^ innerlialb ber fpejififd) lutl^erifd^en ^eil^le^re üblid^ ift,
bie pfr)d)ologifc^e ©pontaneität mit bem religiöfen Urteil über biefe
©pontaneität. Ärogl)^2:onning t)at ganj gemig SRe^t, menn er
ein rein paffioeg 93erl)alten be§ üKenfc^en gegenüber bem 2öort
in 2lbrebe ftellt. SBo ®eift mit ©eift in Serü^rung fommt, fann
man eben nid)t auf ber einen ©eitc fd^tec^tljinnige 2lftii)ität, auf
ber anbcrn ©eite f(^te^t^inige ^affioität fonftatieren. S)enn ba§
Slttioum trifft auf ein SlftioeS. S0Jit ber pfgc^ologifd^en ©pon*
tancität, bie ja auc^ bereite im Segriff ber pft)d)ologifc^en 9le==
jeptioität entl^alten ift, mug man al§ mit einer unabmei^baren
2:atfad)e recfinen. Slber fie barf nic^t ibentifijicrt merben mit
einem barauf fid) grünbenben Slnfprud) oor (Sott ober auc^ nur
mit bem ©ebanten be^ liberum arbitrium indifferentiae. Senn
1) m. a. D. @. 108.
@ c^ c e l : ^ic 2;auf(c^rc in b. mobcrncn pofitiov lut^cr. ^ogmatif. 307
ba§ agitatioc SWoment tann man nid)t fid^, fonbcrn nur bcm
SBorte, rcfpeftioc Oott, jufc^rciben, unb roa^ empfangen wirb,
betrad^tet man ni^t al§ ben @rfoIg eigener Jätigfeit, fonbcrn a(§
ein ©nabengcfc^en!, ba§ angeboten mirb. ®§ ift auc^ feine an«
bere ©teKungna^me möglic^. Senn ba§ 3Bort, unb mit bem SBort
ba§ §eil§gut, ift unabl^ängig oon bem einjelnen, bem eiS gelten
folt, ba. 2)ie ^fqc^ologie ^at fad^Uc^ nid)t§ mit ben geiftUd)en
35Berten unb ©aben ju tun, fie bejeidjnet nur bie allgemeine
gorm, in ber fie n)irt(id) werben, ^f^c^otogifc^c Urteile unb re»
ligiöfe Urteile bewegen fic^ in ©paaren, bie fa^ti^ ni^t§ mit
einanber ju tun l^aben. Sie tonnen fic^ barum ni^t gegenfeitig
ftören. 3)a^ religiöfe Urteil mu§ ju bem pfgdjologifc^en ^inju«
treten, bamit eine fac^lic^e unb inl^attlidie ©rtenntni^ gewonnen
wirb. 2)ie§ religiöfe Urteil ^ängt bann aber nic^t ab oon bem
pfg^ologifc^en, fonbern oon ber Statur be§ ^n^alt^, nac^ bem
aüein e§ ftc^ richten barf. 3öill man aber, wie S^rog^-Sonning
e§ tut, t)on bem pfg^ologifc^en Urteil au§ ein in^altlicf|e§ Urteil
gewinnen, fo oermengt man fad^wibrig unb willfürlic^ ni^t ju^
fammenge^örigc ©ebiete. S?rog^«2onningö 2:t)eorie l^at aber noc^
ben weiteren 9kct)teil, ba§ fie in bem SlugenblidE, wo ber "S&ixh
famfeit be§ SSorte§ geba(^t wirb, ben ©nabengebanten preisgibt.
3)enn J?rogt)^2:onning meint ja nur bann ben ©uabengebanfen
fcft^alten ju fönnen, wenn eine abfolute ^^affioitdt, wie fie im
^inblid auf ba§ SBort niemals möglich ift, behauptet wirb. 2)iefer
Slonfequenj fann er nur entgegen, wenn er eine unoermittelte,
lebenf^affenbe SBirf famfeit be§ 2Bort8 oorausfe^t. Slber bieö
würbe nad) Srogl^==2:onning^ ©rflarungen ') immer nur eine 2lu§=
nat)me fein; unb e§ würbe ferner eine fold)e Säuffaffung oon ber
aCBirffamfeit be§ SBort^ in SBiberfprud^ geraten mit feinen eigenen
grunblegenben ©rörterungen über bie 2trt, wie ba§ SBort wirft.
^rogt)==2:onning begrenjt alfo, fad^tic^ angefel)en, willfürlic^
bie SSirfung^art be§ Söort§. Söillfürlic^ ift aber auc^ bie oon
i^m gebotene Sßer^ältni^beftimmung oon SSort unb |)anblung.
3)ie ^anblung allein foU imftanbe fein, an ta^ Unperfönlic^e be§
SJienfd^en, an feine Statur fic^ ju weuben. 2lbcr Srogt)^2onning
1) ^rog^--2:onning a. a. D. 3. 107. 108.
22*
306 @ c^ c c ( : ^ic 2:auf(c^rc in b. moberncn pofltii)., (ut^cr. ^oßmatü.
t)a§ 333ort ancrfannt roirb. I ^etr 1,23 lie^ fic^ ja nic^t igno*
ricrcn, wie bcnn übcrl^aupt bicfe ©c^riftfteüc eine blcibenbe crux
für bie fpejififd)e ©atrament^t^cologie geworben ift. Ärog^^^Son^
ning finbet fid^ aber boc^ oerl^älthiöma^ig leicht mit biefer Stelle
unb anberen, ä^nli^ loutenben ab. ffienn er f^idt i^rcr 93efpre«
c^ung ooran bie ©rtlärung, ha^ ba^ Saframent ba§ nä^fte
unb eigentUd^e üKittel ber 2öiebergeburt bleibe unb er lä^t i^r
unoermittelt, unb ol^ne \>a^ er be§ 2öiberfpru^§ mit bem offene
baren SBortlaut ber ©c^riftftellen ju gebenfen für nötig befinbet,
bie Srtlärung folgen, ba§ ba^ SBort mit bem ©atrament jufam*
men ba^ neue Seben mirft*). SBenige Seilen oor^^er l^attecraber
felbft bie JRic^tigfcit be§ ©^rtftioort§ mit ber 53e^auptung be*
grünbet ba§ ja @otte§ SBort „(Seift unb Seben" fei (3o^6,63).
®§ ift alfo ein merfroürbigeg ©c^manfen jmif^en bi^paroten SWo-
tioen }u fonftatieren. SBill man baoon aber feine ^Jotij nel^men,
fo mu§ man jebenfall§ ben Jtac^meiS bafür ©erlangen, ba§ ber
9tefur§ auf ba§ SQSort allein fgnergiftifc^e @eban!engänge au§löft.
Senn um bie§ ju oermeiben, miH ja Srog^= Jonning auf ba§ ©a*
frament jurüdgel^en. 2)en 5ia^n)ei§ fann er aber nid^t geben.
S)enn einmal mu§ er ja unter bem ®inbrucf geroiffer ©c^rift*
ftellen feine attgemeine 2luffaffung oon ber SBirtung be§ 2Borte§
fallen laffen. ©obann aber oermed)felt Rrog^^Jonning, mie ba§
übrigeng innerhalb ber fpejifif^ lut^erifc^en ^eil^letire üblic^ ift,
bie pfgd^ologif^e ©pontaneität mit bem religiöfen Urteil über biefe
©pontaneität. Ärog^-Sonning l^at ganj gemi^ SRed^t, roenn er
ein rein pafftoe§ SJer^alten be§ SJWenfc^en gegenüber bem SBort
in Slbrebe ftellt. SBo ©eift mit ©eift in 93erü^rung tommt, tann
man eben nic^t auf ber einen ©eite fd^lec^tljinnige 2lftioität, auf
ber anbern ©eite f(^led)tl)inige ^affioität fonftatieren. Senn ba§
Slftioum trifft auf ein 2lftioe§. S0Jit ber pfr)c^ologifd)en ©pon*
taneität, bie ja aud^ bereite im Segriff ber pfpc^ologifc^en SHe*
jeptioität enthalten ift, mu§ man al§ mit einer unabmei^baren
S^atfaclje recfinen. 2l6er fie barf nid)t ibentifijiert werben mit
einem barauf fic^ grünbenben 2lnfpruc^ oor ©ott ober auc^ nur
mit bem ©ebanfen be§ liberum arbitrium indiffereutiae. 2)enn
1) 3(. a. D. S. 108.
(S (^ e e l : ^ic 2:auf(ef)rc in b. moberncn pofitit)., lutf)er. ^ogmatif. 307
ba^ agitatioe SWomcnt fann man nic^t fic^, fonbcrn nur bem
aSorte, refpcftioe Oott, jufdörciben, unb xoa^ empfangen rairb,
betrachtet man nic^t aU ben @rfoIg eigener Jätigfeit, fonbcrn a(§
ein ©nabengefc^enf, ha^ angeboten mirb. @§ ift auc^ feine an--
bere ©tenungnat)me möglid). S)enn \>a^ SBort, unb mit bem Sßort
ba§ ^ei(§gut, ift unabl^ängig oon bem einjelnen, bem e§ gelten
foH, ba. S)ie ^fpc^ologie ^at fac^üd^ ni^t§ mit ben geiftlid)en
2öerten unb ©aben ju tun, fic bejeidinet nur bie allgemeine
gorm, in ber fie mirtlic^ werben, ^f^d^otogifdje Urteile unb re*
ligiöfe Urteile bewegen fid^ in ©paaren, bie fac^li^ nic^t§ mit
einanber ju tun l^aben. Sie fönnen ftc^ barum ni^t gegenfeitig
ftören. 3)a§ retigiöfe Urteil mu§ ju bem pfg^ologifdien ^inju^
treten, bamit eine fac^lic^e unb in^altlidie ©rtenntni^ gewonnen
wirb. 2)ie§ religiöfe Urteil ^ängt bann aber nic^t ab oon bem
pfgc^ologifc^en, fonbern oon ber 9tatur be§ ^nt)alt^, nac^ bem
allein e§ ftd^ richten barf. SBill man aber, wie Ärog^*2:onning
e§ tut, oon bem pfgdiologifc^en Urteil au§ ein in^altlic^e^ Urteil
gewinnen, fo oermengt man fad)wibrig unb willtürlic^ ni^t ju^
fammenge^örige ©ebiete. Ärog^-Sonning^ Stieorie l^at aber noc^
ben weiteren ^Jtad)teil, ba& fie in bem Slugenblicf, wo ber SBirf*
famteit be§ SSorte§ gebadet wirb, ben ©nabengebanfen preisgibt.
2)enn Krog^-Sonning meint ja nur bann i>tn ©nabengebanfen
feft^alten ju fönnen, wenn eine abfolute ^affioität, wie fie im
^inblid auf ba§ 35Bort niemals möglid) ift, behauptet wirb. 2)icfer
^onfequenä fann er nur entget)en, wenn er eine unoermitteltc,
lebenfd)affenbe aöirffamfeit be§ 2Bort8 oorau^fe^t. Slber bie§
würbe nac^ Ärog]^52:onning§ ©rfldrungen') immer nur eine 2lu§^
na^mc fein; unb e§ würbe ferner eine folc^e 2luffaffung oon ber
aCBirffamteit bc§ SSort^ in SBiberfpru^ geraten mit feinen eigenen
grunblegenben ©rörterungen über bie 2lrt, wie ba§ 2Bort wirft.
Ärogti'Jonning begrenjt alfo, fac^lic^ angefefien, willfürlic^
bie äBirfung^art be§ 3öort§. aOBillfürlidi ift aber and) bie oon
i^m gebotene aSert)ältni§beftimmung oon Söort unb ^anblung.
3)ie |)anblung allein foU imftanbe fein, an ba^ Unperfönlic^e be^
3Kenfc^en, an feine ^natur fic^ au wenben. 2tbcr ftrogti^Jonning
1) Ätoab^3:onnin0 a. a. O. 3. 107. 108.
22*
306 © c^ c c I : ^ic 3:auflel)rc in b. mobcrnen pofitir)., (ut^cr. ^ogntatit
ha^ 3Bort ancrfannt lüirb. I ^etr 1,23 lieg fic^ ja ui^t igno«
rieten, n)ie benn überl^aupt bicfc ©c^riftftette eine bleibenbe crux
für bie fpejififc^e ©atrament^ttieofogie geworben ift. ^rog^^Jon*
ning finbet fid^ aber bod^ Derl^älthi^mä^ig leicht mit biefcr ©teile
unb anberen, äl^ntici^ lautenben ab. 3)enn er fd)icft i^rer SBefpre^^
c^ung ooran bie ©rftärung, ba§ ba§ ©aframent ba§ nä^fte
unb eigentlid^e üKittel ber 2Biebergeburt bleibe unb er lä^t ilir
unoermittelt, unb ol^ne bog er be§ SBiber[prucf|§ mit bem offen*
baren SEBortlaut ber ©^riftfteßen ju gebenfen für nötig befinbet,
bie Srflärung folgen, ba§ ba§ SBort mit bem ©aframent jufam*
men ba^ neue Seben mirft*). SBenige Seilen oorlier ^atteeraber
felbft bie SWi^tigteit be§ ©c^riftmort^ mit ber 93e^auptung be*
grünbet, ba^ ja @otte§ Sort „®eift unb Seben" fei (3[oH.63).
6§ ift alfo ein merfmürbigeö ©^manfen jmifdjen bi§paraten 9Wo^
tioen }u fonftatieren. aBill man baoon aber feine 9toti} nel^men,
fo mu^ man jebenfallS ben Jiac^mei^ bafür verlangen, ba§ ber
9tefur§ auf ba§ SQSort allein fgnergiftifd^e Ocbanfengänge au^löft.
2)enn um bie§ ju oermeiben, roiH ja Srogl^^Sonning auf ba§ ©a*
trament jurüdfge^en. ®en ^aijxotx^ tann er aber nid^t geben.
2)enn einmal mu§ er ja unter bem ©inbrucf gemiffer ©d^rift*
fteHen feine allgemeine Sluffaffung oon ber SBirfung be§ SBorteS
fallen laffen. ©obann aber oern)ed)felt ßrogt)=Jonning, mie \>a^
übrigeng innerl^alb ber fpejififd^ lutl^erifd)en ^eil^le^re üblic^ ift,
bie pfgc^ologifc^e ©pontaneität mit bem religiöfen Urteil über biefe
©pontaneität. Ärogfi-J^onning ^at ganj getoi^ SRec^t, menn er
ein rein pafftoe§ SSer^alten be§ 9Kenf^en gegenüber bem 3öort
in 9lbrebe ftellt. SBo ©eift mit ®eift in Serü^rung fommt, fann
man eben nic^t auf ber einen ©eitc f(^lec^t^innige 3lftioität, auf
ber anbern ©eite f(^lec^tl)inige ^affioität fonftatieren. 3)enn ba§
Slftioum trifft auf ein 2lftioe§. 9JJit ber pf^diologifd^en ©pon*
taneität, bie ja aud) bereite im Segriff ber pft)d^ologifd)en Sle^
jeptioität entl^alten ift, mu§ man al§ mit einer unabmei^baren
2:atfacl)e red^nen. Slber fie barf nic^t ibentifijiert werben mit
einem barauf fid) grünbenben Slnfprud) oor @ott ober auc^ nur
mit bem ©ebanten be^ liberum arbitrium indiffereutiae. 2)enn
""i) kTZo. ©. loa
@ (^ c e I : %k 2:auf(c^rc in b. mobcrncn pofitiDv Iutf)er. ^ogmatif. 307
ba§ agitatiDC SWoment fann man ni^t ft^, fonbcrn nur bcm
SBorte, refpeftioc ®ott, jufc^reibcn, unb voa^ empfangen rairb,
betrachtet man nid^t at§ ben @rfo(g eigener Jätigfeit, fonbern a(§
ein ©nabengefc^enf, \>a^ angeboten mirb. 6^ ift auc^ feine an--
bere ©teDungna^me mögtic^. S)enn ba§ 3Bort, unb mit bem SBort
ba§ |)ei(§gut, ift unabl^ängig üon bem einjetnen, bem eö gelten
foH, ba. 2)ie ^fqc^ologie ^at fac^lic^ nid)t$ mit ben geiftlid)en
SEBerten unb ©aben ju tun, fte bejeic^net nur bie allgemeine
gorm, in ber fie roirflic^ roerben. ^fgdiologifc^e Urteile unb re*
ligiöfe Urteile bewegen fid^ in ©paaren, bie fac^li^ nic^tö mit
einanber ju tun ^aben. ©ie tonnen fic^ barum nic^t gegenfeitig
ftören. 3)a§ religiöfe Urteil mu§ ju bem pfgdjologifdien ^inju»
treten, bamit eine fa^lic^e unb in^altlidie Srfenntni^ gewonnen
loirb. 2)ie§ religiöfe Urteil ^ängt bann aber nid^t ab oon bem
pf^d^ologifc^en, fonbern oon ber Statur be$ ^n^att^, na^ bem
allein e§ ftc^ richten barf. SBill man aber, mie Ärogl^-Sonning
e$ tut, oon bem pfqd)ologifc^en Urteil au§ ein in^altlic^e^ Urteil
gewinnen, fo oermengt man fad)mibrig unb roilltürlic^ nic^t ju-
fammenge^örigc ©ebiete. ^rogfi-Sonning^ Stieorie ^at aber noc^
ben weiteren 9kd)teil, bag fie in bem Slugenblict, wo ber äBirf*
famteit be§ SSorte^ gebac^t wirb, ben ©nabcngebanfen preisgibt.
S)enn 5irogi^'2^onning meint ja nur bann ben ©nabengebanfen
feft^alten ju fönnen, wenn eine abfolute 'ißaffioität, wie fte im
^inblid auf ba§ 3Bort niemals mögli^ ift, beliauptet wirb, tiefer
Äonfequenj fann er nur entgegen, wenn er eine unoermittelte,
lebenf^affenbe SBirffamfeit be§ 2Bort8 oorausfe^t. 2lber bie^
würbe nad) Strog^^^Sonning^ ©rtlärungen') immer nur eine 2tu§::
na^me fein; unb e§ würbe ferner eine folc^e Säuffaffung oon ber
äBirtfamfeit be^ SSort^ in SBiberfprud) geraten mit feinen eigenen
grunblegcnben ©rörterungen über bie 2lrt, wie \>a^ SBort wirft.
^rogt)^2:onning begrenjt alfo, fac^lic^ angefel)en, willfürlic^
bie äBirfung^art be§ äBort^. SBillfürlic^ ift aber auc^ bie oon
i^m gebotene a3ert)ältni§beftimmung oon SBort unb ^anblung.
2)ie ^anblung allein foU imftanbe fein, an ba^ Unperfönlic^e be^
ajJenfc^en, an feine Statur fid) ju wenben. 2lber Krogl)==2:onning
1) Sirofl^^^onning a. a. O. 3. 107. 108.
22*
308 © d) c c I: ^ic 3:auf(e^rc in b. mobcrnen pofitio. lut^cr. ^ogmatif.
!onnte boc^ nicf)t um^in, ben fgmbolif^cu ©^araftcr ber ^anb*
lung tjeroorju^eben unb alfo bcm ©atramciit ein „ocrbalc^ SJlo^
ment" mitjugeben. 2)cr 93cgriff ber ©gmboUf I)at aber bod^ nur
einen ©inn üor bem geiftigen gorum, umfome^r, wenn ber uer«
balc S^arafter ber ©gmbolit au§brürf(ic^ betont wirb. @§ mü^te
alfo grabe ocrmöge feinet oerbaten ©^aratter§ ba§ ©atrament
auc^ roirfen wie ba§ SBort, b. \). alfo gleic^jeitig fatrameutal
unb oerbat. 2)aö ift aber ein SBiberfpruc^. SBefeitigt fönnte er
nur werben, wenn auc^ ba§ SBort primär auf bie Statur wirft.
®iefe 2lnna^me oerbieten aber ^rog^^2^ouning§ ^rämiffen. ©ie
würbe aud^ nac^ feiner Uebergeugung in ba§ ©ebiet ber SUlagic
überleiten. 93öllig preisgeben tann er aber aud^ nic^t baö oer*
bale SWoment be§ ©aframent§, t>a e§ il^m barum ju tun ift, je*
ben Oebanten an eine me^anifd^e Trennung be§ 333ort§ unb ©a«
tramentS fernjulialten. ®§ bleibt alfo ber SBiberfpru^ beftel^en.
®§ lä§t ftc^ aber be§ weiteren nid^t oerftänbtid^ machen, in*
wiefern 3Bort unb ^anblung einen ©egenfa^ bebeutcn, ber ju
ben ©d^lugfolgerungen berechtigt, bie Äcogl^^Sonning jiet)t. Sie
^anblung !ann auf bem ©ebiet, mit bcm allein wir e§ ^ier ju
tun t)aben, nur al§ tätiget ©id^fetbftbejeugen ®otte§ begriffen
werben; legt bod) auc^ Ärogf)*2:onning ©ewic^t auf bie ftiftung§»
gemäße 93er waltung beS SauffaframentS '). 2)a§ SSort mü^te
mau bementfpre^enb al§ bie rebenbe ©elbftbejeugung ©otte§ auf-
f äffen. S)a§ fmb aber feine ©egenfä^e. Senn bie rebenbe Selbft*
bejeugung ©otte§ ift — ^org ^at bie§ aud) einräumen muffen
— f^on ein ^anbeln. SJWan barf e§ äbert)aupt aU willfürlic^
bejeid^nen, au§ ber Definition be§ SBortS ben 93egriff ber ^anb«
lung a limine auSjufc^lie^en. ®a§ SBort fann fe^r wof)l eine
^anblung fein, fo ba^ Jlrog^»2^onning§ ©fflufwe nic^t ju Stecht
befte^t, jumal nod) t)injufommt, ba^ er bod) ba§ SBort ©otteS
als; lebenbigcS, Seben fd^affenbeS 3Bort fennt. Umgefefirt läßt fic^
oom 53egriff ber ^anbluug bie ^bee be§ ©inn§ nic^t auSf^lie^en.
^ebe ^anblung forbert jur 5^age wad) i{)rem ©inn ^erau§ unb
gewinnt erft al§ fmnoolle ^anblung SEBert ; ooUenbS, wenn e§ ftc^
um eine tätige ©elbftbejeugung ©otte§ lianbelt. Ärogf)=2:onning§
1) ^roöö'^onning a. a. D. ©. 71.
@ (^ e e I : ^ic a:auf(e^rc in b. mobentcn poritio., lut^er. 5)ogmatit 309
2:^coric leitet aber baju an, @ott ein fmn — lofe§ ^anbeln juju*
f^reiben. 2)as f)ie§e nid)t blo^ ein Oy^moron !onftatieren, fon*
bcrn auch ben geiftigcn ©otte^begriff oerni^ten, voa^ Stxogfy-'Zon--
ning bo^ ni^t will. 9)kn roivb alfo, wenn man ba§ ©atva«
ment al§ ^anblung ®otte§ betrad^tet, fofort genötigt, bie 5^age
nac^ bem ©inn ju (teilen. Unb eben biefe 9Jötigung jeigt, ba§
roir e$ mit einem geiftigen Segriff p tun l)aben ober mit einem
93egriff, ber nic^t üor bem gorum ber 9latur, fonbern Dor bem
gorum be§ ©eifteä Seftanb ^at. ©§ ift alfo ber Segriff ber fa*
tramentalen ^anblung nid^t geeignet, bie 9kturn)irtung be§ @a*
tramentg 8u ertlären, ba ber Segriff, foll er nid^t um fein me*
fentlic^e^ 9Kerfmal gebrad^t werben, jur 9latur feine Sejie^ung
tiat, fonbern oielmeI)r auf ber ©tufe be§ 9Q3ort§ [x6) bemegt.
Ärog^'J^onning mac^t flc^ bemnac^, roenn er 3Bort unb Safra*
ment unter ben ©egenfa^ oon SBäort unb |)anblung ftellt, einer
roillfürli^en Segriff^beftimmung fc^utbig. (£r fann alfo nic^t be^
meifen, ma§ er bemeifen mill unb beweifen mü^te. ©eine SSeiter-
bilbung ber altlutl)erifd^en Jt)eorie gibt nic^t ben bort oermi^ten
inneren 9lad)n)ei§ ber iJtotmenbigteit ber 3"^^i^^it ^^^ ©naben^^
mittel fomie ber fpejififc^en 35Birfung be^ ©aframent§; unb ber
nic^t torrigierte 5^t)ler mirb noc^ um einen jmeiten oermetirt: ben
SlbfaH oon bem geiftigen SBerftanbni§ ber SBiebergeburt, an bem
bie alten ©ogmatifer fic^ tro^ allem, ma^ baju l^ätte anleiten
fönnen, fc^lie^lic^ boc^ nid)t irre machen liefen.
©§ ift für Ä'rog^'-Sonningi 2:i^eorie fef)r gefä^rlic^, ba§ bie
Äritif junäc^ft nid)t oon einem anberen ©tanbort be§ bogmati-
f^cn Urteilt au§ oorjuge^en braud)t, fonbern aB immanente
Kritif bie Unmöglid)feit ber 2)nrdöfü^rung feiner 2:^eorie ju er*
meifen in ber Sage ift. 2)a§ le^tc unb entfdieibenbe Urteil ift
bamit freiließ nod^ nic^t gefällt; aber jebenfall^ ift bo^ ba§ a3er==
trauen ftart erfd)üttert, ba& man überhaupt auf biefem SBege jum
3iel gelangen werbe. @^ !ann aud) noc^ ber Ironie gebad)t
werben, bie hinter ber 3)arftellung oerborgen lagert, aber ifire ©fi-
ftenj bod) ju ertenuen gibt. 2)en ©atramenten foll etroa^ ©pe»
}ififd)e§ gegeben werben. 3)ie ganje Unterfuc^ung ge^t auf ba§
SWotiü jurüdE, ben ©atramenten il)rc finguläre ©tellung ju wat)ren
310 © d^ e c I : ^ic ^aufle^rc in b. moberncn pofltit)., lut^cr. 5)ogmattf.
unb if)rc Selbftänbigfcit gegenüber bem 3Bort ju retten. ®§ wirb
alfo mit einem befonberen fa!ramentalen ^ntereffe an bie 2lrbeit
herangetreten, ba§ a(§ bie SBieberaufna^mc unb tonfequente ^^rt-
fe^ung be§ fd^on bei ben alten 3)ogmati!ern begegnenben faframcn*
talen 3^ntereffe§ betradjtet werben mu§. ®a§ ®rgebni§ ber 2lrbeit ift
aber eine tatfäci^lid)e 9Winberung be§ SEBerte§ be§ ©atrament§. ®iefc
Se^auptung fönnte 93efremben erregen; fie mu^ e§ anäj, menn
man jum 9Ka§ftab be§ Urteile ba§ leitenbe SWotio nimmt. Sie
fann e§, roenn man bead^tet, ba^ Krogf)=2:onning in ber 2:^efe
üon bem faframentalen unb oerbalen ®^ara!ter be§ ®^riftentum§
eine ^oorbination be§ SDBürt§ unb ©atrament§ Dornimmt. fiäfet
man aber fein Urteil Don bem tatfäc^lid^en ®rfolg beftimmt mer*
ben, fo mu§ man oon einer de facto ju tonftatierenben 2)epo*
tenjierung be§ ©atrament§merte§ fprec^en, alfo eine @rfcl)einung
fonftatieren, bie grabe nirf)t at§ genuine gortfe^ung ober — fo
c^arafterifierten ja Srogf)*2:onning unb ^oxx) \\)x 5ßerl)ältni§ ju
ben alten ©ogmatitern — aCBeiterbilbung ber altlutl)erif^en ©tel^
lung jum ©aframent betrautet merben barf. 5)enn f)ier wollte
man ju ben SBirtungen be§ 3D3ort§ bem ©aframent no^ eine be^
fonbere, bie 3Bortn)ir!ung überbietenbe SDBirffamteit jumeifen. diu
intereffante§ Oegenfpiel ber SKotioe ift bemnad) in ben ^avbk^
tungen ^rog^^Sonning^ bemerfbar'). ®ie ©nergie be§ (Safra«
ment§gebanfen§ treibt ju einer ^fotierung unb fpejififc^en 3Bürs
bigung be§ ©aframent^; bie Siid^tung aber, in ber biefe SBürbi«
gung gefunben mirb, bebingt eine tatfäc^lic^e ÜJlinberung be§
2Berte§ be§ ©aframent^ unb eine grabe umgete^rt roie in ber
altlut^erifd^en 2:f)eorie fiel) oolljielienbe Srgänjung. 5)enu Krogl^*
Jonning, ber Sln^änger be§ lut^erifd)en ©c^riftprinjip^, ber ®eg*
ner ber 2:l)eologie ®runbtoig§, mu§ e§ al§ unoerträgtic^ mit ber
ganjen biblifd)en Offenbarung erflären, menn man ©ermittele ber
faframentalen SDBirfung bie ooße ^Mitteilung be§ $eil§ glaubt er»
warten ju bürfen, b. ^. ba§ SDBunber ber 2Biebergeburt ober ber
oolten neuen 2eben§fd)öpfung ^). 2)enn bie perfönlic^e Slnna^^me
1) 3^0^- ouc^ §on) a. a. D. ©. 121.
2) ^ro0f)=2:onning a. a. D. B. 71: Gjentödelsens eller den fulde nye
Liv8-Skabelses Under.
@ c^ e c I : %it a:auf(c^tc in b. mobetnen pofitio., (utl^er. 5)oömati!. 311
be§ ^cit§ i[t ein ct^i|d)cr 2lft, ein 2lft unfcrc^ ct^ij^en 3;^§ ^).
Senn barum Ärog^'2:onnin9 oon bcr fatramcntalen aBBirfung
fpric^t, fo roilt er auSbrüdtli^ ben ©ebonfen an ba§ ootte ^cil
au^f^Iicfeen. Qa er jict|t ben ^rei§ noc^ enger. ®§ folt fid)
„nic^t einmal" um eine S33irlung ^anbeln, bie felbfi an unb für
ft^ unb otine mcitcreS rettenb ift ^). Stur bie ©runbtagc für ba§
^eit mirb gelegt, inbem ein neuer pofitioer 2lnfnüpfung§punft für
ba§ ^eit gefc^affen mirb ^) ; biefe ©runblegung gefc^ie^t eben irre-
sistibiliter. 3)a^ bamit eine tatfäd^lic^e S)epotenjierung ber ©c*
beutung be§ ©aframentg gegeben ift, erhellt o^ne meitereg. 9lad)
altortt)obofer 2(uffaffung teilt bie faframentale S33iebergeburt ba§
oolte ^eil mit. 2)a^ biefe neue, fpejifif^ faframental interefftertc
S^eologic biefen ©ebanfen nic^t me^r erreicht, ba§ ift bie 3^ronie,
üon ber gefprod)en murbc. Ärogt|»2:onning ^at noc^ oiel weniger,
al§ bie altlutl^erifc^c S^eologie e§ oermo^t, ben @aframcnt§ge«
banfen mit bem ©lauben^gebanfcn unb ben grunblegenben Jen*
benjen ber ©d^rift* unb 9Jcformation8t^eologie in befricbigenber
SBßeife au^jugleid^en.
93eac^tet man aber bie foeben fonftatiertc 9Winberung ber 93e*
beutung be§ ©aframent§, fo ift auc^ bie bogmatifc^c JRed^tferti*
gung ber ^inbertaufc nic^t gegtüdtt, an ber bod^ Ärog^'-2:onning
ein befonbereg ^ntereffe \)at 93ei ben Äinbern fd^lummert ba§
^^Jerfonleben, übermiegt ba§ Slaturleben. ©äbe e§ nun ni^t ein
©nabenmittcl, roeld^eg eine bireftc Staturmirfung ausübte, bcffen
©p^äre unb 2Birtung§meife oon berjenigen be§ 3Bort§ fpejififc^
unterfc^ieben märe, fo mü^te man auf bie Hoffnung einer 9tet=
tung ber ßinber oerji^ten ^). 2lber bicfcr ©a^ oerträgt fic^ nic^t
mit ber anberen 93e^auptung, ba§ ba§ ©aframent nur eine ben
^eil§proje§ einleitenbe 93ebeutung i)abt unb alfo ba§ fatramen^
tale S^riftentum nie ba§ ganje ®f)riftentum ift, ba§ ©aframent
al§ folc^e§ eine feligmac^enbc Kraft befi^t. ©oll biefe allgemeine
1) Qibt>.
2) % a. D.: ikke engang om en Virkning, der selv i og for sig og
uden videre er freisende.
3) 58g(. aud) S. 90.
4) Rrog^^^onniug a. a. 0. ©. 72. 73.
812 ® c^ e e ( : ^ie ^auf(e^re in b. mobernen poruit)., (ut^er. ^ogmatif.
2:f)cfc oon bcm ©cltuitg^bcrcic^ bc§ ©aframcnt§ befielen bleiben,
fo fe^lt ber bringenb notroenbigc überjeugenbe 9tac^n)ei§, ba^
burd^ bie SIpplijierung ber faframentalen ^anblung bie ^inber
gerettet unb felig werben. ®enn wenn bie SWettung ber Äinber
oon einem ©nabenmittel abhängig gemad^t wirb, fo mu^ na^ge*
roiefen werben, ba§ bie SBiebergeburt, bie bur^ bie Äinbertoufe
ooüjogen roirb, ba§ oolle ^eil unb bie roirflic^e SRettung oerlei^t.
33ei bem ©ebanfen einer Einleitung ber ^eil§aneignung fann man
nid^t [teilen bleiben. @§ !önntc nun jmar baran erinnert werben,
bo^ Ärogti^Sonning aui) bem ©aframent ein oerbale^ 9Woment
mitgab, alfo aud^ in ber Sinbertaufe eine am 93egriff be§ SBorte^
orientierte ©inmirfung auf ben ©eift oorauSgefe^t werben bürfte.
3Iber bicfen 2lu§weg ift Srog^'2:onning nic^t gewillt ju betreten.
®r mü^te bann mit magif^en SJorfteltungcn operieren; biefe le^nt
er aber grabe in bem 2lbf^nitt, ber auf bie Äinbertaufe öejug
nimmt, ab. 2)cn Äinbern gegenüber barf man nac^ Ärog^^2:on5
ning nur faframentate, nic^t oerbalc 5äWomente gettenb machen.
3)ann mü^te aber angenommen werben, ba^ bie in ber faframen-
talen Äinbertaufc oermittelte Slaturwirfung al§ foldt)e fd^on fclig-
mac^enb unb befinitio rettenb ift. S)a§ wiberfpric^t aber ber
unter bem 6influ§ ber ©c^riftworte entwidelten Definition be§
aBirfung§bereic^§ be§ ©aframent^.
Ärog^^2:onning fc^eint ein ®efüt|l für biefen get)ler in feiner
Si^eorie gel^abt ju ^aben. 2)enn 9tuneberg§ ®ebi^t Sven Dufva
l)eranjiet)enb, fonftatiert er ben ®egenfa|; eine§ ^erjen^c^riften^
tumS unb etne§ in oerftänbiger, burc^bac^ter SBeife fidt) SRec^cn»
fd)aft gebenben (S^riftentumS. ®er Äopf, b. 1^. alfo ber 3>nteUeft,
fann f^wa^ unb gering, unb ba§ §erj boc^ lauter unb gut fein^).
2)aoon jeugt ein Seben oolter ©elbftoerleugnung unb Siebesiübung,
beffen aWotio nic^t bie reflefticrte ®rfenntni§ ber ^^3flic^t ift, fon»
bem ein unwillfürlic^er Srieb, ba§ ®utc ju tun, fobag baS ®ute
jur jweiten 9latur geworben ift^). ©in folcbe^ Seben muffe fa^
framentale§ (£t)riftentum genannt werben. 2)amit ift nun allere
1) Ett daligt hufvud hade han, men hjertat det var godt. ^rog^^
^onning (S. 71.
2) % a. D. 3. 78.
@ d^ c e l : 2)ie 2:aufle^rc in b. mobetncn pofitiov lut^er. ^ogmati!. 313
biitgS ber focben fonftaticrtc SBibcrfprudf) nic^t bcfeitigt. 2)ic
prinjipiette ©ttlärung, baj3 ba§ bie ©runblagc legeitbe ©aframeitt
no^ be§ feligmad)enbcn 2Bortc§ unb bc§ ©laubcnS al§ einer (£r-
gänjung bebarf, wirb oon biefer ©rörterung nic^t berührt ober
umgeftaltet. SBol^l ober ift etroag anbere§ errci^t roorben. Ärogt)^
Sonning ift unoermerft mit biefem jule^t c^arafterifierten „fa*
framentalen S^riftentum" in ein „oerbaleg ©tiriftentum" hinüber*
geglitten. 2)a§ uertangt natürlid^ niemanb, ba^ 93ebingung ber
©eligfeit eine bur^ ben ^fntellett oermittelte, refleyion^mä^ig oor«
gefteUte fgftematifc^e (SrfenntniS be§ ©loubenS unb ber ^flid^t
fei. Sinem Sven Dufva auf religiöfem ©ebiet fönnte niemanb
ben ^eit^jugang in g'^age ftetten. 2)er ©treitpunft ift anber^mo
ju fu^en. Srog^^S^onning ging oon ber 2lntit^efe einer bur^ bie
faframentale ^anblung oermittelten bireften SBirfung auf bie
91atur unb einer burc^ ba§ SBort oermittelten bireften SBirfung
auf ben ©eift au§. 3Ba§ ^rog^-S^onning aber in 2lnle^nung an
bie ©eftalt be§ Sven Dufva jeic^net, ift ein ß^riftentum, ba§
felbfloerftänblic^ au^ bort in bie ®rfc^einung treten fann, mo
eine SBortmirfung ftattgefunben ^at. SJtan reffeftiert nic^t über
bie fgftematifc^en 3ufammen^änge, gibt fic^ feine intellettuell oer^
mittelte SWed^enfd^aft über bie Siragmeite, Äonfequenjen unb 93e-
bingungen beffen, mag aufgenommen ift, erfd^Iie^t fic^ oielme^r
einfältig, fc^lic^t unb treu bem Qn^att, feiner motioierenben Äraft
unb feiner ba§ §erj, b. 1^. bie ^erfonli^feit padfenben ©eroalt.
®ie§ fc^lic^te ^erjenöc^riftentum faframentale§ ß^riflentum ju
nennen, ift roiHfürlic^ unb oerleitet ju 9Jli^oerftänbniffen. 2)cnn
ber 9tero biefe§ ^erjen§c^riflentum§ ift bie perfonlid^e Gattung
unb 3w"^^"bung. ®§ ift eine befonbere gorm be§ perfönli^en
Seben§, nic^t aber ein Seben, ba§ au^erfialb be§ ^erfönlid^en unb
©eiftigen ftef|t unb nur burc^ ben 33egriff ber SUatur im ©egen*
fa^ jum perfönli^en ©eift^) ^arafterifiert roerben fann. Sluf
bie§ ^erjen^^riftentum ober Sven-Dufva-(£t)riftentum ipa^t nic^t
bie ©i^arafteriftif, bie Ärogfi^Jonning fonft ber bem ®aframent^=
begriff offen fte^enben Slatur ju teil roerben lie^. 2)ie äu^er-
lic^e S3emerfung aber, ba^ bic0 §erjcn§d)riftentum jur jroeiten
1) 2(. a. D. @. 39.
314 @ c^ e e I : ^ie 3:auf(el&rc in b. mobertten poritic, (ut^cr. 5)0ömati!.
9latur geiüorbcn fei, berechtigt noc^ feine§rt)eg§ oon einer bloßen
Jiaturroirfung ju fprec^en. Ob biefe SRebeform übert)aupt berec^*
tigt ift ober atten Slnfprüd^en be§ et^ifc^en Urteile genügt, !ann
^ier unerörtert bleiben, ^ier brauet nur barauf l^ingerotefen ju
werben, ba§ e§ fic^ um ein 93ilb jur ^Huftration eineö get[ti=
gen 93efi^e§ ^anbelt. SBßenn alfo Krogti^Sonning ba§ Sven-
Dufva-(£t)ri[tentum ein fotramentale^ (J^riftentum nennen roiH, fo
mag man an ber SBiflfür ber 93ejeic^nung nad)fic^tig oorüber*
getien; nic^t aber fann man baran üorbeigeben, ba^ bie§ fafra*
mentale ®t)riftentum feinem ®e^alt unb feiner ©igenart nac^ burd)*
au§ üerfc^ieben ift von bem faframentalen ®t|riftentum, roelc^eS
bie ©aframent^t^eorie Ärogt|*2:onning§ forbert. Sieben bie bereits
nac^gcmiefenen Unflarlieiten tritt alfo eine neue Unflar^eit. ©ie
ift jmar pfgc^ologifd) intereffant; benn fie lüftet ben Schleier, ber
ben ßampf ber Ärogli^S^onning bcmegenben SWotioc oerbedtt; fte
untergräbt aber bie fpftematifc^e ©icf)erl|eit ber bogmatifc^en
J^eorie unb beleud)tet auf§ neue i^re ^altlofigfeit.
3luci^ SRoc^oU ift e§ ni^t geglürft, bie S^eorie oon ber p^ri»
fifd^en 91eufc^öpfung in ber S^aufe lebenSfräftig ju geftalten. ®r
tritt atlerbingS, befonber§ im ^inblid auf bie ^inbertaufe, mit
mobernen pfpc^ologifc^en 2:t)eorien an bie Söfung ber 2lufgabe
^eran ; ba| er aber ba§ Problem gelöft Iiabe, barf man mit ©runb
bejmeifeln. Qta man tann, menn nic^t bereits Srogl^^SonningS
Darbietungen baoon ju überjeugen oermod)ten, an it)m infonber*
t)eit bie Stotlage ftubieren, in ber fti) biefe Sauflefire befinbet.
Senn JRoc^otl muJ5, um fie burd)}ufüt)ren , mie fc^on anberc oor
i^m (ogt. ®uen), auSbrüdttic^ pon ber 9ied)tfertigung§te^re ber
Sieformation abfegen. ®r mac^t freiließ au§ ber 9tot eine 2:u--
genb. @ine gauje SRei^e oon 3)ogmen mürbe oerfümmert er*
f (feinen, wenn man bie 9ied)tfertigung an^ bem ©lauben ju ber
bie ganje Äir^enle^re bet)errfdf)enben 3Jlitte mac^e^). 3)aS fog.
1) 9^orf)on, 3^om ^nbergtauben, 9leue fird^I. 3eitf*r 1902 @. 675.
Söcnn 91. fic^ auf 9titfrf)t beruft, ber eS für unmöglich cr!(ärt f)attc, Su*
tf)cr§ ^IbenbmafiBIc^rc auS feiner Üte^tfcrttgungSIe^re al§ t>tm ^rinjip
feiner 3:^corogie abzuleiten, fo ift bamit nid)tS geroonncn. %tnn fctbfts
üerftänblid) fann ber einjelne 2:^eo(oge f)etcrogene (Elemente in fic^ auf«
ncl^men. '^^ie ©mpirie beweift aber nichts gegen bie prinzipielle O^orberung.
<S cf) c c I : ^ic 2:auf(cf)rc in b. mobcmcn pofitiov lutf)er. ^ogmatif. 315
SJlatcrialprinjip bcr Sieformation fei übcrtiaupt fein p^ifofopt|i^
fc^e§ ^rinjip, au§ bem man ba§ ganjc ©pficm aufbauen mü^te^).
©0 oorbeI|aItIo§ Iiaben meber ^org noc^ Sroß^^Sonning fic^ au§*
aufprec^en gemagt, bic boc^ bie ©^mierigfeit einer jutreffenben
bogmatifc^en 93egrunbung be§ Sauffatrament^ lieroor^ebcn. 9Wit
9to^oll§ SWayime läjjt fid^ eben aöe§, n)a§ irgenbroann at§ tirc^-
lic^e Se^re gegolten ^at, rechtfertigen. 3ln bic ©teße einer ge^
fd^loffenen fac^Iic^en 93egrünbung ift bie formale tir^H^e Sluto»
rität getreten. SRoc^oll roürbe jroar biefen SSormurf nic^t gelten
taffen. 35enn er [priest oon einer 3JieIt)eit ber 3)inge, bie oor
bem ^rinjip ba gemefen fei 2). 2lber bie 95ielf)eit ber ®inge ift
in biefem galt boc^ nur bie SSiet^eit ber Seigren. Sine fold^e
93ielt|eit ber Set)ren fann aber innert)alb be§ ®^riftentum§ immer
nur als 3Iu§bruc! oerfc^iebener 93ejie^ung§möglid)feiten 93eftanb
liaben. Äeine Se^re fann be§ 3^f^w^n^ß"^ö"9^ "^it '^^^ 3^"^^^
entraten. ©ie mü^te in ebenbemfelben 2CugenbIicf auft)ören,
eine d)rift(irf)e Set)re ju fein. 3Iu^ eine oorne^mlic^ pfrid^ologi^
fc^e 93etradf)tung gelangt jur Äonftatierung ber roefentlid^en ©iu'-
^eit. 2)enn e§ ^anbelt fi^ um einen d^arafteriftifdf)en fiebeng^
üorgang, ber mit bem Slnfpruc^ auftritt, ba§ ganje Seben be^err^
fd)enb ju erfüllen unb ju regeln. 3)a§ ift mieberum nur mög^
tic^, menn eine foorbinierte SSiel^eit auggefc^loffen mirb, unb ein
eint)eitlic^e§ ®efüge nad^mei^bar ift. @§ get|t ba§ (Et)riftentum
an feinem 2(nfpruc^ jugrunbe, wenn man e§ nid)t al§ eine ein=
^eitlic^e ®rfc^einung auffaffen barf, bereu SMomente auf einanber
abgeftimmt fmb unb einanber gegenfeitig bebingen. 3)a§ bebeutet
nod) nic^t bie ßurudtf ü^rung be§ ®^riftentum§ auf ein „pt)ilof opbifc^e^
^^rinjip". 9Jlan tonnte bie§ mit ©rünben 0. §ofmann§ be*
leuchten, ju bem boc^ 9tod)oll unb feine ©efmnung^genoffen mie
ju einem fie^rer emporfc^auen. (Syiftiert nun aber ein folc^er
jentraler 3wfammen^ang unb eine fol^e ©in^eitlic^teit — oon
Vertretern ber pofitioeu S^eologie mirb bieg auc^ bereitmilligft
anerfannt; ic^ erinnere nur an S?ä{)ler, 3t|me(§ unb SR. ©eeberg
— bann ermeift ftc^ 9loc^oll§ Sßerfuc^, ba§ ©aframent ber Saufe
unter ^rei^gabe ober rid)tiger Os^^rierung ber 9te^tfertigung§*
1) Otoc^oH, Altiora quaero S. 38. 2) 9^^3 , a. a. 0. 8. 675.
ai6 @ d^ c c l : ^ic ^auflcl^rc in b. mobcrnen pofitio., lut^er. S)oömatif.
Ic^re ju retten, aU unbraudf)bav. .^a SWoc^oH^ ©rläuterungen
(äffen e§ überhaupt dlS jroeifel^aft crfc^einen, ob er bie Äompe*
tenj ^attc, eine ^orberung wie bie obige ju ftetten. ®enn er
oertangt ben 3wfammen^ang ber burd^ bie 2:aufe geroirften 9teu'
fc^öpfung mit ber enbgültigen ©rneuerung beS 9Jlenfc^en im ^zn^
feit§, forbert bie 2lnerfennung ber gei fielet blicken SBirtung
be§ 2:auffaframentS unb betont, ba^ \>a^ SBßert ber Steufc^öpfung
am inneren 9Wenfd)en beginne, bie Saufe alfo junäc^ft als ett|i*
f^e Erneuerung ju beftimmen fei, t>a^ aber ba^inter fic^ bie Sln^
beutung p^gfifd^er SBiebergebärung ergebe ^). 3Jlit biefer ©rflä«
rung ^at er aber bie 2:aufe jum 3Jlittefpunft gemacht unb einen
prinjipielten 3wfammenl|ang fonftatiert, ben ju !onftatieren unb
erft red^t ju forbern er feiner Xi^toxk jufolge ni^t intereffiert
fein fonnte. SJlit anberen SBorten: Siodfiolt l^at felbft ein bie
d)riftlic^en SebenSmirtungen umfpannenbe§ „^rinjip"; nur fuc^t
er e§ nid^t in ber Siec^tfertigungSle^re, bie oerglid^en mit feiner
Sauffel^re bie 9toüe einer untergeorbneten gunttion übernimmt.
dto6)oM SRe^tfertigung feiner befonberen Sluffaffung oon ber
2:aufe ift alfo meber folgerichtig burd^gefü^rt noc^ fac^lic^ ju
bulben.
Sluc^ fein pfpc^ologifc^er 93en)ei§ tann nic^t ba§ Problem
löfen. SWo^oU fc^eint al(erbing§ junäd)ft einen berechtigten ^ro*
teft gegen jebe ntt^terne, platte SSerftänbigfeit einjulegen unb mit
fieserem 93lidE für bie 9Bßirflidf)feit be§ pfp^ifc^en SebenS bie Qx--
rationatität unb baS Stätfel^afte, ©e^eimni^oolte ju umf äffen.
®arauf ben 93lidt ju lenfen, märe an fid^ fein gute§ 9te^t. 2lber
er mad^t ficf) einer falfd^en SSermenbung f^ulbig, unb er fann
feinen eigenen Darbietungen nic^t 3)urc^fid)tigteit oerIeit)en. ®r
meint, man \)abt e§ ju menig beachtet, ba§ i>a§ SBerf ber Söie*
bergeburt nid^t bto^ im 93emu^tfein, fonbern auc^ im Unbewußt*
fein ficf) oottjiet)e. S)ie§ nennt er ba§ ^kc^tbemu^fein^), über
ba§ mir feine Oemalt tjaben. S§ fei ein ©ebiet, in melc^em (Sott
arbeiten tonne, in meinem etmaö fic^ ereignen tonne, of)ne ba^ mir
1) d\od)oU, Altiora quaero @. 72.
2) (£bb. S. 71 ; 9i^3. a. a. D. @. 674.
@ cf) c e I : ^ic 2:auf (el^rc in b. moberncn poritio., lut^cr. 3)ogmatif. 317
e§ lüiffcn *). 2)ie SSerou^tfcin^pf^c^oIogie ift nad) i^m nur bic ^olbc
^f9d)olo9ic; o^itc ben ^intergvunb be§ Unbcmu^tcn qI§ bcr an*
beten ^älfte bc§ 3f4 jerfaltt ba§ 3fd) in bie 5Bielt|eit ber feeli*
fc^en Junttionen ^). SJlit SWelimte betrautet er bie (Seele aU „ein
immaterielle^ befonbere§ ©injelmefen". 3)ie ©eelc entfielt ni^t
evft inbuftio in ber SRegiftricrung ber @in}elerfat)rungen ^). SSon
l^ier au§ finbet er nun ben 9Beg jur SWec^tfertigung befonber§ ber
Äinbertaufe. 2)ie buntle SWegion beS 9]ad^tben)U^tfein§ birgt eine
55ülle an ^fn^olt, oon bem nur menig in unfer reflejc§ 93cn)u&t«
fein eintritt, ©o brauche man auc^ nic^t an bem in ber 2:aufc
oon oben gemirften ©lauben beS ^inbe§ ju jmeifcln, wie benn
überhaupt bli^artig au§ ber Siefe be§ pfpc^ifc^en fieben§ unoer*
mittclt neue ©ebanfcn unb SebenSbemegungen auftauchen.
3n)eifello§ ift bic l^elle ©emu^tfeinSpf^^ologie nid^t bie ganje
^^f9ct)ologie. Slber meieren SBert tiaben 9tocl)oU§ Darbietungen
für bie bogmatifc^e ^Rechtfertigung bes; Saframent§ ber ^inber-
taufe? SRoc^oll oerlegt ba$ ©c^mergemid)t ber ganjen 93etrac^5
tung in bie bunfle Sftegion be§ 9ta^tbemu^tfein§. 2)a§ miber*
fpricl)t burc^au§ bem 93egriff be§ geiftigen perfönlidf)en Seben§.
®§ ^anbelt fic^ bei biefem ©egriff, unb barum auc^ bei bogma*
tif^en ©rmägungen, nic^t um pfgd^ogenetif^e Betrachtungen, fon*
bem um jureid)enbe Urteile über einen geiftigen Satbeftanb.
SEBenn nun Stod^oH bie§ 93emu§tfeiu, ba§ er c^arafteriftifc^ genug
9tad)tbemu^tfein nennen mu§, bem er nur in ber J^orm einer
iBetiauptung einen „tiefen" 3"^ölt juioeifen fann, oon bem er nur
ben negatioen ©a^ aufftelten !ann, ba^ e§ ein „Unbemugtfein"
fei, menn SRod^oll bie§ Unbeiou^tfein al§ ba§ fonftitutioe 3Jloment
be§ geiftigen 2eben§ t)infteHt, fo erließt bie unlogifc^c 9lrt biefe§
UJerfa^ren§ oon felbft. 5)enn e$ ift ein logifc^er SBiberfprud^,
ben ©c^merpunft be§ geiftigen Seben§ in eine ©pl|äre ju oer*
legen, für bie man nur ben 93egriff „Unbeiou^tfein" ju prägen
n)ei&. 3ft erft ba§ gciftigc Seben erioac^t — mie e^ erioac^t,
intereffiert ben ^frid^ologen, tann ben $Religion§pft)c^ologen inter*
effieren, ift aber bem 2)ogmatifer gleid^gültig — fo ^at man ben
1) "iRodjoU, Altiora quaero 8. 71.
2) 9^513. a. a. 0. S. 673. 3) 91. a. D. S. 674.
318 @ c^ c c l : ^ic 3:auflc^rc in b. mobcrncn pofitio., Iutf)er. ^ogmatit
©c^iüerpunft in bcn SOlcrfmalcn ju finbcn, bic eben ba§ geiftige,
ba§ beraubte fieben fonftituieren. Unb felbft roenu man bie pfg=
c^ogenetifd^ orientierte pfpd^ologifc^e ^Betrachtung 9tod^ott§ befolgt,
fommt man nid)t, jum 5ftac^tben)u§tfein f ortfd^reitenb , jur ©eefe
al§ einem immateriellen befonberen ©injelmefen; auf pfqc^ologi*
fc^em 3QBege gelangt man nur jum SJerftänbni^ ber ©eele al§ be§
Konjentration§punfte§ be§ inbioibuellen Qi)^, SDßeiter füi^rt bie
^^fgc^ülogie nic^t. ®§ ift ganj richtig, ba^ unfer ©eelenmefen
nic^t in ber 9tegiftrierung ber ®injelerfa{)rungen inbuttio entfielt.
Sine folc^e „materialiftifc^e ^fg^ologie" ^) oerträgt fic^ ni^t mit
ben Srgebniffen ber Srtenntni^t^eorie. 2lber oon biefer ^Iner«
fennung ber 2;^efe $Roc^oll§ bi§ ju feiner SWetap^^fif ift noc^ ein
gewaltiger ©prung. Unb nur oermittel§ eine§ ©prunge§ fönnte
man feine SWetapti^fif erreichen. 2lber felbft menn man fie er^
reicht l^ätte, märe ni^t§ gewonnen; benn man ^ätte ba§ SEBert*
i)er^ältni§ fa^mibrig umgetel^rt.
9lod)oll I|at freilid) ein ^ntereffe an biefer Umtel^rung. ®r
roill ben Sinberglauben red)tfertigen, ber auf bem ©ebiet be§ un*
bemühten Innenlebens fi^ bemege. 2lber mau munbert fi^ ho6),
ba^ Slod^oll an bem 91ac^n)ei§ biefe§ Kinberglauben§ nod^ ein
Sutereffe ^aben fann. 3)ie alte Ort^obojic, ber JRo^oU gebenft,
mar an bem Siad^roeiS ber fides infantilis mefentli^ intereffiert.
©ie oerfte^t ja ba§ fie^rftüd ber Saufe oon ber Slöiebergeburt
unb Sle^tfertigung ber ©rmac^fenen au§. Korrelat ber Stecht*
fevtiguugSle^re mar aber ber @(aube. JRoc^oU jebod) t)atte einen
foldjen prinjipmägigen 2lufbau oenoorfen, er brauste alfo um
bie bei ben alten 2)ogmatifern in i^rer Stellung mo^l begreif*
lic^e fides directa fi^ ni^t ju tümmern. ©efd^ie^t bie§ bocl),
fo bemeift t§, mie fe^r i^m bie alte ®ogmatif uod& 2lutorität ift.
©eine eigenen ^rämiffen t|ätteTf biefen 9lac^mei§ nic^t nötig ge«
mad^t, ber it)m mieberum einen eigentümlichen ©pra^gebrauc^
aufjmingt. ®enn er fprid)t — Sc 1, 41 mu| natürlich mieber
t)ev^alten — oon einem ©lauben, ber niemals bemüht mirb *).
2)a§ Kinb mirb au§ bem 3Biberftreben genommen unb burc^ ben
1) m^iS. a. a. D. @. 673.
2) Q^b\>. S. 642; Altiora quaero ©. 71.
© d^ c e I : S)ie 2:auf(e^re in b. mobcrncn pofitiov lut^cr. ^ogmatü. 319
®eift ju fclbftcigcncm ©ingcl^en in bcn ^ö^eren SSSiUcn geführt,
^ict operiert aber SRoc^oU überaß mit 93cgriffen, bie bem 2:ag«
berou^tfein entnommen fmb. ®r mu§ ni^t blo^ ben ©faubcn,
wie er nun einmal auf eoangetif^em 93oben nur oerftanben roer*
ben fann, um feinen eigentli^en 3i"t|att bringen, er fann biefen
rebujierten ©tauben überliaupt ni^t befc^reiben, o^ne bie ©renjen
be§ 9lac^tben)U^tfein§ ju überf^reiten, unb alfo begriffe ju prägen,
bie innerhalb be§ 9lac^tben)u|tfein§ überl^aupt feine ©ültigteit
befi^en fönnen. ®r fann alfo nur behaupten, nic^t nadl)roeifen.
Sluc^ bie pfgc^ologifdl)e 2lnalogie, mit ber er arbeitet, ift un^
brauchbar. SBeit ^fnfpirationen gleid^fam au§ ber bunflen SEiefe
be§ ©eetenlebenS bli^artig auftauchen ^), foll ber oon oben ge*
mirfte ®laube be§ Äinbe§ pfgd^otogifd) annä^ernb ertlärt fein.
2lber SRoc^oU oergigt, baj3 bie bli^artigen Qfnfpitationen nur bort
oor^anben fmb, mo bereite bemu|te§ geiftigeS &^bzn befeffen mirb.
5äWag bie ^f^fpi^^tion aud^ in ber gorm ber Sfftafe in bie ®r^
fc^einung treten, möglich ift fie nur bort, mo ber 3uf*^"i> ^^^
„Unbemu^tfeing" eine übermunbene (SntmidElung^ftufe ift. liefen
^nfpirationen eignet alfo pfgc^otogif^ angefc^en fo menig ber
3ufammenl)ang mit ber fides directa, ba^ oielme^r ber ßwfom»
men^ang mit ber fides reflexa geforbert mirb. 2)ie Sinologie
oerfagt bemnad^ oöllig.
(Snblic^ ift SWoc^olt auc^ au^er ©tanbe, bie geift4eiblic^e SBir*
fung be§ 2:auffaframent§ nur einigermaßen oerftänblic^ ju ma-
chen. 3)a§ SBort übermittelt immer nur @eiftige§ ^) ; ber ©cift
fü^rt nie bem fieibe fieiblic^e^ ju^). Qwax fmb (Seift unb Seib
auf einanber geftimmt *), aber ber S)ualigmu§ oon ©eift unb Seib
bleibt befielen ^). S)ie geift4eiblic^c Söirtung gefc^iet|t alfo burd)
ba^ SBßort unb ba§ ©lement^). ®iefe Darlegung ift aber an ber
2lbenbma^l§le^re orientiert; SRoc^oU oerfu^t e§ nic^t, fie au§fü^r*
li^ in ber Set)re oon ber Saufe ju entmideln. 3)enn mie foHte
ba§ ©lement ber 2:aufe bem fieibe etma§ Seiblic^e^ jufü^ren
fönnen ? 3)ie alten 2)ogmatitcr ließen mit gutem ®runb bie ®in*
1) m^S- d' ö. O' ®- 674.
2) Otod)oa, Altiora quaero S. 32. 3) (^bb. 3. 34.
4) ebb. 3. 32. 5) ebb. @. 34. 6) ©bb. 8. 35.
320 @ d^ c c l : %k 2:auf(c^rc in b. mobcrncn pofitiOv tutl^er. ^ogmatif.
wirfung bc§ ®Icmcnt§ auf bcn Scib (corpus) eine äu^erlic^c
bleiben. Sto^oü t)Qt and), wenn er uon ber aBBiebergcburt fpric^t
immer nur in pfij^ologifc^en Kategorien geurteilt ober in Äatc^
gorien, bie pfp^ologifc^ fein fotten. ®r lägt ba$ SBert berSSäie*
bergeburt im bewußten unb unbemujsten ©inn fic^ ooDjielien, ®r
fu^t pfgc^otogifc^e 2CnaIogien auf, um ben Äinberglauben an^
nät)ernb ju ertlären. ^ier ^anbelt e§ fi^ alfo ftet§ um pfgc^o*
logifc^e ßufammen^änge, mie \a benn au^ Sftod^ott ben 3)uali§5
mu§ oon ®eift unb Jiatur bel)auptet unb ben ®eift nac^ ber be*
reit§ diarafterifterten S)oppeI^eit betrautet. Unb plö^lid) erfährt
man nun, bag eine 9Inbeutung plipfifc^er SBiebergebärung , bie
fic^ f)inter ber im 93orbergrunbe fte^enben et^ifc^en Srneuerung
ergebe, ju tonftatieren fei ^). S)erartige§ tann man natürlid) be*
Raupten; mill man aber eine bogmatifc^e SRe^tfertigung be§ ©a»
framentg geben, barf man bei Behauptungen nid^t fielen bleiben.
aWan barf boc^ ermarten, ba§ ein 93erfu^ ber Srflärung gemad^t
mirb, Ärogl^^^^onning ^atte fid) baoon menigfteng ni^t bi^pen^
fiert. ^a6) SRo^oH erf^eint aber biefe geift * l e i b l i d) e ffiir^
tung unoerftänbli^. 2)ie SBiebergeburt ooltjiel|t fic^ feiner 2:^efe
jufolge im 93en)ugtfein unb Unbemugtfein. 2lf)er bie§ Unbemugt*
fein ober 9lad)tben)ugtfein ift immer nod^ ®eift, nid^t Seib ober
9tatur im pti^fif^en ©inn. @§ fann alfo oon t)ier au§ no^ feine
2lnbeutung einer p^9fifd)en SBßiebergebärung aud^ nur geatint mcr*
ben. ©oHte 9io^oll bie§ aber bo^ für möglich galten, fo mügte
man ii^m ben SBormurf ber 93egriff§oermen gung machen.
3)enn er mürbe nun ben 93egriff unbemugte 9latur balb aU gei^
ftigen unb balb aU p^gfifd^en 93egriff brausen, unb ben eingangs
aufgeftetlten S)uali§mu§ oon 9latur unb ®eift preisgeben. 3)a§
mögli^e SBerftänbni§ für bie 3lnbeutung ber p^rififd)en SBieber-
gebärung mürbe bemnac^ nur mit einer anberen Unflar^eit er*
fauft, bie nod) baju grunblegenbe SSorauSfe^ungen SRoc^oUS um*=
ftögt. 2luc^ burc^ 9to^oll§ Darbietungen ift alfo biefe neulut^e»
rifc^e 2:auflel)re nid)t flarer unb einleuc^tenber gemorben.
S)a§ gilt an6) oon ^allerS temperamentnollem Eintreten für
1) ^Roc^oü, Alt. qu. @, 72.
(S d) c c l : ^ie 3:aufle^rc in b. mobemcn poptiOv tutf)cr. ^oömatit 321
bic in bcr ncufut^crifc^en 2)oftrin cnttialtenen ^^rtfc^nttc ^) unb
feiner au^fc^Iiegüc^en 3urüctfüt|rung ber SBßiebergeburt auf bie
Saufe. 9Wan fu^t bei Rätter überhaupt oergebenS nad^ Haren
bogmatifd^en Sinien. ©i(^er ift nur bie 93e^auptung, ba§ Saufe
unb S03iebergeburt jufammenge^ören, baj3 analog ber ©eburt bie
SBiebergeburt aU einmalige Steufc^öpfung, nict)t al§ Umioanblung
betrad^tet werben muffe, unb ba§ bei bcr a33iebergeburt auf SBßitte
unb 53erou^tfein überl^aupt nic^t SRüdffid^t genommen werben mu§^).
©0 fann er, mie f^on früher ÜJlartenfen, bic Äinbertaufe al§ bie
normale ^orm ber Saufe anfeilen 3). 2)ie ^urd^t oor einem ^ in ^
übergleiten in§ SWagifc^e ift unbegrünbet. ®enn eine magifd)e
aSirtung ift nur bann oorau§gefe^t, menn oon einem blo^ äu^er*
lid^en, pf)t)fifc^en SWittel eine SBirfung auf ba§ innere 9Bßefen einer
3Wenf(^enfeete ausgeübt wirb, ^n ber ^inbertaufe mirb aber
nid)t oon einem p^pfifd^en 2WitteI eine 3QBirtung ausgeübt, fon=»
bern 00m allmächtigen ®otte§millen. SEBenn er fein „9Bßerbe!"
fpric^t, fo fei bie§ nicbt magifc^. 3Jor magif^en 93orftellungen
fc^ü^t auc^ ber Umftaub, bog ber 9Jlenfd^ in ber SBiebergeburt
nic^t einfach fertig umgefc^affen mirb; e§ mirb oielme^r irgenb
eine et^ifc^e Selbftentf(^eibung oon ibm geforbert. @ott t|at bie
abfolut neue Kraft eingefc^affen, bereu befcligcnbe ober oerbam«
menbe äBirtung bann oon ber nac^folgenben ober gleidl)jeitigen
©ntfc^eibung abhängig ift. ®em 9Wenfc^en mu^ erft bcr neue
SebenSfeim gegeben fein, er mu^ erft miebergeboren fein, et|e er
glauben tann.
Slber mirb burc^ biefe nac^folgenbc gorberung be§ ®lauben§
nic^t ber Söert be§ roiebergebärenben Sauffaframent§ geminbert?
^atler, ber bod) ®dl)rifttt)eologe fein mill, mu^ bo^ miffen, bag
mcr miebergeboren ift, ba§ Seben f)at. 2Birb aber nun neben ber
SSiebergeburt nod^ ber ©laubc oerlangt, fo ^at ber SSSiebergebo-
rene qua SBiebergeborener nid^t bas; Seben ; b. f). aber, nid^t blo§
ba^ Saframcnt, auc^ bie SBiebcrgcburt mirb entioertet. 2lud^
^atler oermag alfo bie in bcr Stimmung unb 3(bfid)t oor^an*
1) $>ancr, '2)er 93cgnff ber aßicbcrcjcburt nac^ ber ©^rift, 9fl^3. 1900,
8. 610. 2) 21. a. D. 3. 592. 608.
3) % a. D. G. 601.
3eiM(^rift für Z^eoCogie unb Äirdje. 15. ^a^ig., 4 §<ft. 23
322 @ d^ c c I : S)ic 3:auflel^rc in b. mobcrnen pofitiov lutl^er. ^ogmatit
bcnc ^oc^fc^ä^ung bc§ ©atrament^ in bcr Xi^toxiz nid)t onfcfiau*
li^ ootftcflig ju mad^en. SJlöglic^ roärc bic§ nur, roenn er über»
^Qupt auf bcn eüQngcnfd)en @(auben§gebanfen ocrji^tcu rooUtc.
2It§ coangclif^er 2^^coIoge ift er baju natürlich nic^t imflanbe,
Toenn er auc^ für bie SBiebergeburt bcn ©laubenSbegriff nic^t
fruchtbar }u machen wei^ unb eS fogar als eine ®infeitigfeit ber
^Reformatoren ^inftellt, loenn fie bem ©tauben eine fo groge ^e*
beutung für bie SBiebergeburt beilegen.
3u bem foeben bemertten gel|ler gefeUen fi^ anbere Unftar»
Reiten, ^n ber Saufe ift einmalig ber neue Seben^anfang ge*
fe^t. 3)arum ^aben bie SReformatoren Unrecht, roenn fie ertlären,
baj3 man tro^ ber SBicbcrgeburt burc^ bie Saufe immer me^r ein
Sinb @otte§ werben muffe. 2lber nac^ ^aller ^at ber oierte
(Soangetift (^o^. 1, 12) biefen ©ebanten oertreten, ben boc^ bie
^Reformatoren angeblich ju Unred^t oertreten. Unb obmot|l bie
SBicbergeburt na6) Slnalogie ber natürlichen ©eburt ju oerfte^cn
ift, mirb bod^ oon ^aller unterfc^ieben jmifc^en objeftioer unb
fubjeftioer SEBicbergeburt. ®§ gibt folc^e, bie bie neuf^öpfenbe
Sat ber SBiebergeburt burc^ @ott nur empfangen l^aben, unb
fold^e, in benen ba§ neue 2tUn auc^ mirttic^ ju ftanbe gefommen
ift. 2)iefe Unflart)eit mirb noc^ oergrö^ert burc^ bie 2tnnat|me,
ba^ meift bie objeftioe unb fubjeftioe 3Kiebergcburt in einanber
fliegen, greilid^ gibt e§ nun bod^ manä)^, in benen ba^ neue
2zbm, auf ba§ c§ bie neugebärenbc Sat @otte§ abgefe^en ^at,
nic^t Satfa^e gcmorben ift. ®erartige§ ju oerfte^en, bürfte felbft
bem 2lutor biefer (Sä^e fc^mer merben. 3Iber felbft bie Unab-
l^ängigteit ber SBiebergeburt oon ber bemühten SBitlen^bemegung
mirb ni^t feftge^alten. 3)enn fofern e§ fic^ um ®rmad)fene })a\u
belt, mug man ben SBßunfd^ nac^ ber ^Jteugeburt oorau^fe^en.
2)enn @ott mirtt niemals jmanggmeife. 9Jlit welchem 9te^t be*
tont benn ^aUer fo energifc^ bie 2lnalogie ber SIBiebergeburt mit
ber natürli^en ©eburt? Unb ift e§ gerechtfertigt, bem Sauf»
faframent eine unterfc^ieblic^e bogmatifc^e 93egrünbung ju geben?
Söenn bie Saufe mirtlic^ bie 3Biebergeburt mirft unb babur^ erft
ben ©lauben möglid) mac^t, fo i}at ^alter feine fac^licf)e SJeran«
taffung, bie (gnt)ad}fenentaufe anber§ barjuftetlen aU bie Rinber*
@ ^ e c I : '3)ic 3:auflc^re in b. mobcrncn pofitio., (utl^er. ^ogmatif. 323
taufe. 53cibc muffen aU SBiebergebuvt roirfenb bogmatifc^ glcid)
fein. 3)enn bet bogmatifc^e 53en)ei§ gilt unbebingt, entmirfelt ein
in ber ©oc^e liegenbe^ tonftante§ 9Ser^ältni§, bulbet barum feine
2)iffcrenjiierung. ®q§ ift — ic^ fommc fpdter nod) barauf ju*
rüdt — überliaupt bev ©runbfa^, ber allein ba§ 2:auffatrament
bogmatifd^ rechtfertigen fann. 3)lan tann bie ^inbertaufe nic^t
anber§ bogmatifd) rechtfertigen at§ bie @rn)ac{)fenentaufe. Qft nun
aber feiten§ ^aßer^ für bie ©rroa^fenentaufe boc^ eine irgenbroie
geartete beraubte SBßitten^bemegung poftuliert, fo ift roof^l ba§
ÜJtotio biefe§ ^oftulat^ ju oerftelien; bie bogmatif^e 2:^eorie
|)atler$ wirb nun aber ju einem unauflösbare SBiberfprüc^e ent-
tialtenben Äompromip. 9Jlan braucht barum bei ^atler fic^ nic^t
lange aufjut)alten, mag er auc^ einer Stimmung 2lu§brudE geben,
bie meit verbreitet fein mag in ber gegenwärtigen lutt)erifc^en
Slirc^e. Sie ift aber ni^t imftanbe, fic^ einen bogmatifc^ flareu
Slusbrurf jU geben.
®§ ift fc^lie^tic^ biefe ganje ;£()eorie, bie mir bii^tier be*
trachten mußten, fo menig tut^erifc^, ba§ fie baS c^arafteriftif^e
SJlerfmal ber lut^erifc^en ©nabente^re pötlig preisgibt. 2)enn fie
let)rt mieberum bie ©nabe aU eine 3kturfraft uerfte^en. ®amit
ift/ göuj abgefe^eu von ben mannigfad)en Unflar^eiten unb 2öi*
berfprücf)en, bie notiert werben mußten, über fie ba§ Urteil ge-
fproc^en. ®a§ bebarf feiner weiteren 2Cu§füt)rung. SJlan meint
atlerbingS mit bem Vorwurf be§ Spiritualismus unb ^tatoniSmuS
bie Eingriffe jurüdtfd)lagen ju fönnen, meint bei ben Seftreitern
ber auf biefen Seiten uorgetragenen S^^eorie eine moberne gorm ber
alten, ben fieib unb bie Seiblic^feit i)erac{)tenben 3lSfefe erblirfeu ju
bürf en unb bem gegenüber ben gefunben biblifd^en StealiSmuS ju mx-
treten. Ob ein SRcaliSmuS gefunb ift, ber an fo mannigfaltigen Uu=
tlari^eiten unb unfaßbaren Behauptungen, wie gejeigt war, frauft,
mag ba^ingeftellt bleiben. 3)em f)iblifcl)en unb reformatorifd^en Qi}xu
ftentumSuerftänbuiS ijai er jebenfaöS ni^t bie ^^af)n frei gemacht,
vielmehr nur ben fat^olifd^en ©nabenbegriff erneuert. 6S braucht
nur an ^or^S ©rElärung uon ber ©nabe als einer einer ^öliereu
Drbnung ange^örenben 9latürlic^feit ober an i^rog^^SConningS 2)e^
finition ber ©nabe als einer Skturfraft erinnert ju werben.
23*
324 (S rf) c e l : 3)ic 2:auf le^rc in b. mobcrnen pofitiOv Iutf)er. Dogmatil.
8ut{)er {)Qtte aber bic ®nabe @ottc§ al§ bie batmt)crjigc ©cfm»
nung Dcrftct|cn gelehrt, bic ftd) pm ©ünbcv ^crobneigt, feine
©ünbe richtet unb bcn (Sünber felbft in bic geiftigc ©cmeinfc^aft
mit fic^ aufnimmt. 3)amit ^atte Sutf)ec bcn ftoifc^=fat^olifd)en
©nabcnbcgriff cnbgüttig übcrmunbcn. 2)a§ finb befannte ®ingc;
icf) barf an6) auf bie 2lu§fü{)rungcn pofitiocr S^eotogcn, fo in*
fonbcrf)cit an bie 9Iu§fü^rungcn Don 3K. Äät)(cr^) unb 2llt^au§
ücrmcifcn. 5Hamentlic^ 2lftt|au§ roirb nic^t mübe, bic „tl)eofo*
pt)if^c" Sauflctire ju bc!ämpfen unb bcm ^icr Dcrtrctcncn 9tca«
li^mu§ gegenüber bcn cd)ten biblifc^cu 9leali§mu§ ju oerfec^ten,
9ßir bürfen barum bcr von 2lltf)au§ unb ebenfalls oon ©remer
eingenommenen ^^ofition un§ je^t jumenben.
2.
®§ fönnte, menn man gemiffe fünfte bev lauflctive ©remerS
unb 2lltt)au§' fid) ücrgcgcnmärtigt, bcn 3lnfc^cin ^aben, a(§ ob e§
überf)aupt unberc^tigt fei, fie in irgcnbmefdic Stelation auf bie
octtiobofc Jauftl^eovie ju ftcKcn. 2Ht^au§ fritifievt bie Sauflc^re
ber proteftantifc^en Orttiobofic fe^r fc^arf. 93ei ©remer finbet
man jmar feine fo einfc^neibenbc 3lu§einanbcrfe^ung mit ber alt*
lut^crifc^en Saufboftrin, aber feine teitenben ^been fmb biefelben,
bie auc^ bei 9Ilt^au§ un§ entgegentreten. Unter biefen Umftän«
bcn möchte e§ benn boc^ bebenflid) erfc^einen, bie Jaufanfc^au*
ung, mit ber mir un§ jc^t ju befc^äftigen f)abcn, jugteic^ in einem
ßufammen^ang ju betrachten, ber SRürffic^t nimmt auf bie ©tcl*
lung ber altlutt)erifd)|n Ort^obojic jum Jaufproblem. 3)ie ur=
fprünglic^e J:t)eotogie ber 9teformation§jeit unb bie 2;^eofogie ber
©c^rift ift für 3I(tt)au^ unb ©remer offenbar ma^gebenber unb
einflußreicher gemefen, al$ bic 2^f)eologie ber alttut^erifd^cn Cr-
tf)obo5ie. 3)a^ ift im ganjen richtig ; tro^bcm barf man bic 9te*
lation auf bie ort^obore S)ottrin nicf)t al§ unangemeffen beur*
teilen. 2)a§ SJlotio unferer grageftcüung forbert ja nic^t eine
ex instituto üorgeuommene pofitioe Orientierung an bcr altluttiC'
rifd)en Sef)re. (£§ ^aubelt fiel) oietme^r um bic 3rage, melcl)c
1) 9W. Ml)Ux, ^ie Saframente al§ ©nabenmitter, Seip.jlg 1903.
S d^ e c l : %it 2:auf(ef)rc in b. mobernen pofitiov lut^er. ^ogmatif. 325
©teüung bic alte Seigre gegenroärtig innerhalb ber 2:^eo(o9ic erhält,
bic fid^ aU pofitiue Slieologic angefc^en wiffcn m\l unb bic x. L ai^
^üterin be§ Rrc^lic^cn @rbc§ gelten roiU. 3)a& bie ortl^oboren
Formulierungen fritifiert werben, barf nic^t 93efremben erroerfen.
3ur Äritif mu^te ja bic alte ßc^re ^crau§f orbern. (5§ fommt
auf bie Slrt unb ben Umfang ber Äritif an unb auf bie ©cfamt^
ftimmung, bie man ben bogmatifc^cn ©runbibeen ber alten 2:^e0'
iogic entgegen bringt. 2)ann wirb man aUerbingS be§ ©runb*
fa§e§ inne, ba^ bie bogmatifc^e ©e^anblung be§ 2:aufproblem§
nic^t einen unbebingt juuerläffigen ©c^tu^ auf bie ®efamtt|altung
ber 2:{)cologie anläßt, ba§ gefunbene ®rgebni§ alfo nid^t fc^tcc^t«
t)in ocraKgemeinert merben barf. 93Ici6t man aber biefer ^e-
fc^ränfung, bie ju bead)ten baS porliegenbc Problem nötigt, fid)
bemüht, fo barf man bie Unterfuc^ung über bie bogmatifcfjc 93e*
^anblung be§ 2:aufprobIemg in ber gegenmärtigen pofitinen J^eo--
logie mot|I mit ber ^rage nerhtüpfcn, roie meit biefe pofitine
S^eologic auf bic 9Wotioc ber altproteftantifd^en 2:t)eologie, bie
bod^ auc^ Sut^cr nic^t frcmb maren, fic^ einlädt. Unb märe
roirfli^ eine ftarte SRebujierung unb Umbilbung ber alten "Sox-
mulicrungen ju fonftatiercn , fo märe ber grabe gegenmärtig
nic^t unerliebtic^en ®rfenntni§ 2lu§brurf gegeben, ba§ bie S^^co«
logie, bic pofitin-lut^erif^ fein mill, i^re Slbfid^t nur burd)^
füt)ren fann, inbem fie met)r ober weniger fritifdl) fid^ oer^ält
unb alfo bie Drt^obojie, fo mie fic gef^ic^tlid^ gemorben ift,
ermeic^t, refpeftioc i^re Siid^tung gebenbe Äraft fc^mäc^t. 9tun
mirb freiließ bic na^folgenbc Unterfuc^ung noc^ jeigcn fönnen,
ba§ man bei biefcn altgemeineren 3wföniment|ängen nic^t braud)t
fte^en ju bleiben, ba§ oielmct)r tro^ aller ^ritit unb 2lbme^r
fac^lic^e SWotiDjufammenl^änge na^meilbar finb unb bie lutt)e^
rifc^e ©aframent§let)re oertrcten werben foU^). S)amit märe doII=
enb§ bic l)ier oorgenommene ©inorbnung gerechtfertigt.
äBenn man oon ber foeben entmicf clten , al§ genuine gort-
bilbung ber lut^erifc^en 2:aufle^re fid^ c^aratterifierenben J^eorie
Ärogl^^Sonning^ unb feiner ©efinnung^oermanbten an ©remer^
1) §. ©remcr, ^aufe, Söiebergeburt unb Rinbertaufe. 3">eitc Slufi.
mux^lol) 1901.
826 @ d^ e e I : ^ie 2;auflef)rc in b. mobernen pofitiOv lut^er. ^oömatif.
unb 2l(t^au§' Sarbictungcu herantritt ^), fo atmet man nic^t blo§
crfcid)tert auf, weif man bcn ©inbrudt einer üie( loenigcr fom*
plijierten unb üiel ftrafferen S^eoric crl^ätt; man begrübt eS auc^
freubig, in eine ©pt)ärc oerfe^t ju fein, bie bem eüangefifc^en
©nabengebanten feine ©igenart unb bominierenbc ©teUung magren
mitt unb jene l^od)Iut^crif^e, in SDßal^rl^eit oom lut^erifd^en ®eift
üerlaffene Sluffaffung unermübfid) jurüdmeift. @§ ift ein Sßer*
bienft ®remer§ unb Slttl^auS', jenem lut^erifd)en SReali§mu§, ber
bie Jaufe f^lie^Uc^ ju einem Staturmpfterium maä)t, bie &tcu
ftenjberec^tigung ju beftreiten. 9lber ber ^roteft ridjtet fic^ nid^t
b(o^ gegen eine angeblich „feiblid^e" SBirfung ber Saufe; man
barf nad) ©remer unb 2ltt!^au§ ni^t einmal oon einer fitt*
liefen Ummanblung fpre^en. S)ie Saufe ift jmar ba§ 93ab ber
833iebergeburt unb Erneuerung. ®otte§ ©nabengabe mirb in ber
Saufe mitgeteilt, ©remer betrautet e§ al§ eine untut^erifc^e unb
fd)riftroibrigc 3luffaffung, wenn man crflärt, ba^ in ber Saufe
nur bie ®nabe angeboten, ni^t aber bie eigentli^e ®ab^ ber ®nabe
mitgeteilt merbe^). ÜWan barf auc^ ni(^t bie Saufe al§ blo^e
93erbürgung ber ®nabe ®otte§ bewerten, ©in fol^e§ Urteil über
bie Saufe mürbe i^r grabe ben ©^arafter nel^men, ben fie nac^
(£t)rifti Slnorbnung befi^en foü. 3)enn Sf)riftu§ ^at ber Saufe
bie Äraft ber 833iebergeburt mitgeteilt ^). ©oU alfo unfere l^eutigc
Saufe nod) al^ Saufe gelten, fo mu§ fie bie Saufe ber SBieber*
geburt fein *). ©ic mu^ met)r geben al^ blo^ eine 2lnmartfc^aft
auf ba§ ^eil. 3)enn in ber erften 6l)riftent)eit roaren ©innbilb
unb SQSirftic^feit oerbunben; unb tim in biefer Sßerbinbung be*
1) Sßfll. auc^ V, b. Srencf, SBicberQcburt unb ^efe^rung in i^rem SBer*
^ältni§ JU einanbcr unb jur Saufe, fpcaieö jur ^inbcrtaufe. ^aftoral-
blätter 1904 ©. 741 ff.
2) externer, a. a. O. @. 14. 29. lögt. SHt^auS, bie $eil§bebcutung
ber Saufe @. 293: Tlan mu& unterfc^eiben jtt)ifd)cn ber ^cilgbarbietung
in Sßort xmb ^rebigt unb ber realen ^eilSjueignung bur(^ ba§ Saframent
ber Saufe. 8. 71 unb 208: Söiebergeburt unb Erneuerung werben realiter
in un§ oottjogeu.
3) Gremer a. a. O. © 30.
4) ebb. <S 34. 36.
@ c^ c c I : ^ie $ouf Ic^re in b. woberncn pofltiOv lut^cr. 2)oömatil. 327
ftc()t bieg SGBcfen bc8 ©atramcnt§ bcr Saufe ^). 2)ie laufe ift
alfo ba§ fatramentale 93ab ber aSiebergeburt. SBebcr ©remer nod)
2lltf)au§ bulbcn eine Slbfc^roä^ung biefeS ®ebaufen§. @§ roirb
t)on i^nen alfo minbeften^ fo energifc^ wie Don ber altproteftan*
tifc^en Ort^obojie ber cf^ibitbe ß^aratter beS 2:auffaframent§
geltenb gemad)t. S)a§ SBort unb ber SBiDe (Sottet garantiert
biefe SBirtung ber Saufe ^). ©remer beutet au^ felbft biefen
ßufammen^ang mit ber alten S)o!trin an^ roeun er bie mobcrtien,
auc^ Don pofitiuen S^eologen angefteQten 3}erfuc^e, bie Saufe al$
©aframent ber 93erufung ju oerftel^en, als unlut^erifc^ betämpft.
3)ie aMöglid)feit einer SBiebergeburt oor ber Saufe unb eine bar»
au§ refultierenbe 93etra^tuug ber Saufe afö be§ äußeren unb in^
ueren ©iegel§ für bie ©nabeueriDeifuugen ®otte§ wiberftreitet nac^
©remer bem tatfäd)ti^en 3fn^alt ber lut^erif^en ©a!rament§*
le^rc^). S)iefer 93el^auptung ©remerS fann man aUerbingS mit
ftarten 3n^^if^I" gegenüber treten. 3)enn bie Sauflet)re Ouen*
ftebtS lä^t eine fc^on burc^ ba§ SBort geroirEte SBiebergeburt er»
fennen, menn auc^ tonftatiert werben muj3, ba§ tro^ aDem ber
äJerfud) gemalt roirb, ben faframentalen S^aratter ber Saufe
feftju^alten. 9Q8enn bemnad) aud^ ®remer§ SBe^auptung in ber
gorm, wie fie aufgeftellt ift, unrid)tig ift, fo barf fie bod^ info*
fern al§ gut lut^erifd^ gelten, alö [\t ben ©aframentSgcbanten,
bie ej^ibitioe 2lrt be§ SauffaframentS, jur 2)arftellung bringt.
6remer§ SBe^auptung bedt fid^ ni^t mit bem tatfäd)lic^en 93efunb
ber altlut^erifd^en (Sa!rament§le]^re, mo^l aber mit bem in i^r
enthaltenen faframentalen SMotip.
3)ie Saufe ift alfo ein Satrament unb gibt al§ fold)e§ bie
aSJiebergeburt. Qn ber S3eftimmung aber beffen, maS SBieber«
geburt ift, gc^en ©remer unb 2llt^au§ eigene SBBege. SDJan t)at
in unbegreiflid)er SBeife *) ©remer bie Slnftd^t untergefd)oben, ba§
1) 9L a. D. S. 34. «Bgl. aurf) Sllt^auS a. a. D. @. 293. 71 f. unb
feine 9(u§fül)rungen über bie angebliche testiticntio bei ben alten ^Jätern,
2) Grcmcr a. a. D. S. 28: „9tic^t burc^ ba§ §ören beg SöortS unb
ben ©lauben würbe man G^t)rift, fonbcm nur bur4 bie ^aufe."
3) Grcmer a. a. D. S. 15.
4) ^4^gl. ^^3^i(abclpt)ia; Drgan für coangcl. ®emcinfrf)aft^pflcge 1900.
B28 @ c^ e e I : ^ie ^aufle^re in b. mobernen pofitb., (ut^er. ^ogmatü.
er ba§ Kteinob bcr ^Reformation, bie SRc^tfertigung burc^ ben
©tauben, in ^rage ftcUe unb fo bic tat^olifd)e 3Ber!gerec^tigteit
burc^ eine ^interpforte roieber einlaffe. 2Ber auc^ nur oberftäc^*
Uc^ bie S^riften ®remer§ tennt, wirb oon ber ^alttofigEeit biefeö
Sßorrourfö, ben ©remer mit Stecht jurüdtroeift, überjeugt fein.
2lud) feine fpejiette Saufle^re gibt feinen 3(nlaj3 ju einem fold^en
Sßorrourf. Qntmer mieber tommt t)ier Sremer auf ben SRed^tfer^
tigung^gebanfen jurüdC. S)ie Saufe gilt i^m grabeju aU ba§
Sßoßjuggmittel ber re^tfertigenben ©nabe ®otte§. Unb um jeber
©ntmertung be§ reformatorifd^en 9ted)tfertigung8gebanfen§, mag
e§ ftc^ nun um fat^olifc^e SRec^tfertigung^lel^re ^anbeln ober um
bie in ben ®emeinfc^aft§freifen ^errfc^enbe Sntleerung be§ SRed^t'
fertigung§begriff§, ben SRiegel oorjulegen, meift er ben ©ebanfen
jurüdE, alg fei bie SBiebergeburt, bie bie 2:aufe nermittelt, eine
fittlic^e Umroanblung ober eine SBertei^ung ^ö^erer göttlicher Ju«
genbfräfte ^). Siic^t neue§ Seben mirb burd) bie Saufe gefd^enft,
fonbern ba§ Seben roirb bem Säufting neu gefd^entt. „®urc^ bie
Saufe ate ein 93ab ber SBiebergeburt unb ©meuerung be§ l^ei-
ligen ©eifteg n)iberfäf)rt un8 bie rec^tfertigenbe ©nabe; bie 9lec^t«
fertigung aber befte^t nac^ SRm 4, 5—8 in ber Sßergebung ber
Sünben, unb fo ergibt fi^, baj3 bie Saufe ein 93ab ber SBBieber^
geburt unb ©rneuerung be^ ^eiligen ©eifte§ genannt ift meil fie
alte ©ünbenf^utb i^inmegnimmt unb baburd^ atte§, unfer ganje§
Seben neu maä)t" ^). SBiebergeburt ift nidjt^ anbere§ atö 93e*
gnabigung, at§ Sßergebung ber ©ünbe, „unb l^ei^t nur SBieber*
geburt, meil nn^ burc^ bie Sßergebung ber ©ünben ba§ Z^btn neu
gefc^entt roirb, ober roeit mir burd^ bie Sßergebung ber ©ünben frei
roerben oon Sob unb ©eric^t unb baburd) erft roirftid^ in ben 93efi^
be§ Seben^ fommen" ^). 2)ie Sßergcbung ber ©ünben ift bie SBie*
bergeburt, ober auc^, bie 9ied)tfertigung ift bie SBiebergeburt ;
immer aber ift Söiebergeburt nid)t§ anbere§ at§ ^Rettung unfereS
Seben§ oom ©eric^t. ©ie ift nic^t ein jroeitc^, ba§ bem SöJen-
fd^en roieberfä^rt, nad^bem er gered^tfertigt ift. 33on einer fitt-
liefen Umfc^affung ober Umroanblung ober oon einem neuen ©üb»
1) G^remer a. a. O. 8. 65. 2) 9(. a. O. S. 48.
3) 21. a. D. 3. 54.
(S ^ c cl : S)ie ^aufle^re in b. mobemen pofitio., Iut^cl^ ^ogmatif. 829
jcft, einem neuen Q6), ba§ burc^ bie SBiebergeburt juftanbe tom*
men foße, tann feine Sftebe fein^}. 3)ie SBicbergeburt ift über*
I)aupt nic^t etn)a§ au^ev ober neben ber SRe^tfertigung ^). 3)ie
SBiebergeburt ift bcmnoi^ ein „foteriologifc^er" ©egriff unb be-
beutet ben foteriologif^en 2ltt ber SBegnabigung be§ ©ünber§.
®iefe foteriofogifdie S3etra^tung teilt and) 3llt^au§. SBenn
man in ber ©ünbenabroafc^ung me^r finben mitt al§ ben ein»
maligen 2ltt ber göttlichen SoiSfprec^ung von ber 6^ulb unb
©c^ulboer^aftung, fo gelangt man unmeigerlic^ ju einer tat^oli*
fierenben, magif^en Sluffaffung ber Saufroirfung ^). 3Jlan barf
an feine fittlid)e Ummanblung benfen, fonbern nur an ba§j|enige
l^eitömägige Sun @otte§, fraft beffen er fein Sßer^ältni^ jum
ÜJlenf^en nic^t me^r burc^ bie ©ünbe beftimmt fein lä§t, S)er
aWenfc^ mirb in ein neue§ SBerl^ältniS ju ®ott oerfe^t, ol^ne ba§
bamit fc^on ein neue§ SBer^alten t)ergefteßt märe*). @§ ^anbelt
fic^ in ber Saufe um ben ein für aÖemal üoHjogenen ©intritt in
ein objeftiü religiöfeö Sßer^ältniö '^) , um ben foteriologifc^en 3lft
ber Sonfolibierung eine§ ^eilöuer^ältniffe^ ju ®^riftu§ bem 6r»
löfer ®). 3)ie ntl. 33egriffe ber SBiebergeburt unb Erneuerung be»
jeic^nen nxdjt eine fittlic^e Ummanblung unfere§ SBiUeni^ fonbern
einen einmal Doßenbeten, in fic^ gef ^(offenen Sßorgang, eine Sat
@otte§ an un§. SGBirb alfo bie Saufe al§ ba§ SBab ber SBieber*
geburt unb ©rneuerung gcfc^ilbert, fo foH bie§ bie Saufe al§ ben
Segnabigunggs unb ®rrettung§aft d^arafterifieren ^), al§ ben re«
ligiöfen Slft ber gnabenmäjjigen Slnteifgabe an ber ©rlöfung^),
al§ eine 9teufd)enfung be§ ^eil^gut§, eine 3Bieber^erfteÜung in
ben Status eineS oom ®erid^t§Der^ängni§ befreiten fiebenS ^). 3)a»
mit ^at 3lft^au§ ben „t^eofop^if^en" SBiebergeburt^begriff aufg
fräftigfte abgelehnt unb in ber ©e^ung eine§ neuen Sßer^ältniffe^
JU ©Ott ba§ d^arafteriftifc^e ÜJJerfmal ber SBiebergeburt unb ©r-
1) 31. a. O. ©. 55.
2) SC. a. D. @. 57. 3) mtf)an§ a. a. D. ©. 81.
4) % a. D. ©. 82.
5) 3irtl)au§ a. a. O. @. 112. 6) ©bb- @. 113.
7) ebb. 8. 256. 8) @bb. @. 240.
9) ebb. 8. 255.
830 @ d^ e e I : %k ^auf (el^re in b. mobemen pofttiOv lut^er. Xogmati!.
neuerung unb bemjufolgc oud) bcr J^aufroirfung gcfunbcn. 68
wirb an un§ bcr vcfigiöfc 2lft bcr fotcriologifd^cn Erneuerung
realiter oottjogen^). 2)a§ ift naä) Sllt^auS bcr cc^t lut^erifc^c
SRcaU§mu§ bcr 2:auf(e^rc.
SBilbranbt f)at bie beibcn 3Slotm, bie un§ in bcr 2;auPe^re
®remcr§ unb 2lft^au§ bisher begegneten, fid) angeeignet, 3)ie
üoße SBebeutung be§ JauffaframentS fott allen 3lbfd)n)äc^ung§='
oerfu^en gegenüber erhalten bleiben. 2lnbererfeit§ roirb bie fo*
teriologifd)e SRed)tfertigung ber a:aufe fo energifd^ burc^gefü^rt,
ba§ SBilbranbt nur oou einer SBSirfung @otte§ am Täufling, ftatt
im 2:äufling gefpro^en fe^en mü% ®iefe SBSirtung am S^uf*
ling, bem ßwfammcnl^ang naä) am fiinbe, roirb al§ ein Urteil
über ba§ Kinb gef^ilbcrt, unb jroar ate ein Urteil, ba§ nic^t ju^
gleich ate innere ©inmirfung auf ba§ Äinb befiniert merben barf.
aSergebung ber ©ünbe unb Slufna^me in bie ^inbfd)aft ift bcr
^[nl^alt biefe§ Urteils. Sllfo aud) ^ier eine „foteriologifdie", am
9ted^tfertigung§gebanfcn orientierte 3:auflcl^rc.
©omeit ^at man e§ jebenfaHS mit einer einl^eitlid^cn unb
ftraffen 3)oftrin ju tun, mit einer S)ottrin, bie jufolge i^re§ ®e-
l^altcS refpeftiert merben mu§ unb bie mit Diel größerem 9ied)t
al§ biejenige Srog]^^2:onning§ al§ lut^erifd^ gelten barf. Qdi benfe
je^t nic^t an bie bereits l^crauSgc^obene 3wföntmenftimmung mit
bem altlut^erifc^en ©atramentSmotit). @S barf Dielme^r baran
erinnert merben, ba§ auc^ bie fpcjififd^ foteriologifc^e Slbjmerfung
ber 2:aufe, bie junäc^ft als 9Zeuerung angefe^cn merben !önnte,
bo^ fi^ auf lut^erifd^c Srabition berufen fann. Sllt^auS l^at bieS
auc^ einmal oorübergel^enb getan. 3)enn er tonftatiert, ba§ faft
alle älteren lut^erifd^en Sfegeten bie 2:aufe menigftenS in einer
SBejiei^ung i^rer abgef^loffenen 93ebeutung na^ bef^rieben l^ätten,
b. f). nac^ il^rer foteriologif^en Seite als ben ®runb eineS neuen
|)eilSDer^ältniffeS. ^ier merbe bie SBiebcrgeburt richtig gebeutet
auf ben göttlidjen ©nabenatt bcr grunblcglic^en ^ineinücrfc^ung
in ben objeftiücn ©tanb beS ^cilS^). 93ei Oucnftebt fann man
1) @bb. ©. 236. 260.
2) SBilbranbt im ajiccflcnburgifc^cn li?ird)en= u. 3eitblatt 1903 @. 324.
3) 2((tf)auS a. a. D. 6. 261.
@ c^ e e I : ^ic ^aufle^rc in b. mobcmen pofitio., lut^er. ^ogmatif. 331
me^rfa^ al§ SEBirfung bet S^oufe bic translatio in regnum gratiae
t)erjcid)net finbcn^), unb alfo eine offenbar foteriologifc^ geratete
93efc^rcibung bcr 2:aufn)irfung. Slbcr felbft iDcnn bicfc formale,
Don 2l(t^au§ roirflic^ ooUjogcnc Scrfnüpfung mit ber alten Sra«
bition ^) nic^t möglich märe, bürfte man bod) in ber oon ©remer
1) JJür bie eigentli^e 2:auflc^rc Ouenftebtä braud^t man aber biefe
^ormcl ni(^t su bcrücffid^tigcn. @ic ^ebt nid^t ba§ d^arafteriftifd^c aJlo-
ntcnt F)crau§, ba^ »ielme^r in ber SWitteilung ber vires credendi unb
operandi gcfud^t werben mix^. Cuenftebt ^ot biefe grormel, bie fi^ mit
feiner F)9perp^9ftfc^en ©ei(§le^re ni^t »erträgt, au§ ber ©^rift unb bog*
matif^en 3:robition, inäbefonbcre ben 93efenntni§f^riften übernommen;
fic ftc^t unausgeglichen neben bm anberen ^oti^en. 58ornc^mIi^ an^
ben 93efenntni§fd^riften ift fie bann in 5(u§Iegungen be§ (utl)crifc^en Äa*
te^i§mug übergegangen. @o wirb fic aud^ oon ZI). Äaftan in feiner
fc^r weit oerbreiteten „^luSleßung bc§ Iutf)crif^en Äatcc^igmuS" (3. 2lup.
©^(c§mig 1901) ocrtreten, mie benn übcrF)aupt Äaftan, ouf ben ft^ 5llt=
baug ßelegcntUc^ bejieben fann, ju ben SBertreteni ber ,,foteriologifc^cn"
a;auf(el)re gejäblt mcrben barf, bie alfo auf eine längere ^rabition jurücf-
bUden !ann. %xe 2:aufe ift nac^ Äaftan \>a^ Saframent ber SSicberge-
burt, meit fie in ben 6tanb ber 9®iebergeburt oerfetjt, bie Seftung eine§
neuen Sßerl)ältniffc§ wirft. 2)arauf liegt ber a:on (@. 328. 331. 332). 3n
ber 2aufe mirb ber aD^cnf(^ aufgenommen in ®otte§ gnabenrei^e ©c-
meinf^aft, unb gmar oon ®ott felbft. ,t%aiM bebarf e^ in ber 2aufe
feines Söcmu^tfeinS barum auf ©eiten beg 3:äufling§" (338). %w d^a--
rafteriftifc^en SWomente ber foteriologifc^en 3:aufboftrin fmb an(i^ in
RaftanS ©rflärunß ber 2:aufc enthalten. %a Äaftan aber entfpred^enb ber
3lbri^t feines 93ud^e§ feine 93eranlaffunfl b^ttc, in eine auSfül)rUd^e bog=
matif^e unb biblifcf)=:t^eologifd)e 93egrünbung fcineS @tanbpunfte§ einjus
treten, mag e§ genügen, ^ier feine 5luffaffung t^etifc^ ju fonftaticren;
mit ber ©ad^c felbft werben mir un8 nod^ ausgiebig ju befd^äftigcn
baben. ^aftang Darbietungen fmb oornebmlic^ be§megen bebcutungSooU,
weil ein großer 3:eil bcr lutberif^en ©ciftlic^fcit ftc fi^ wirb angeignet
baben. %a^ \\t um fo ma^rfc^einli^er unb begreiflieber, al§ ^aftan e§
glücflicf) ücrftanben f)ai, bie gärten unb legten 8pitjen ber foteriologifi^en
Doftrin, wie fic bei (Iremer unb 9lltbau§ un§ noc^ begegnen werben, ju
ocrmeiben, überl)aupt bic Doftrin in einer JJorm oorjutragen, bie bcm in
lut^crifc^er Umgebung 9(ufgcwac^fcncn einleud^tenb erf(^cint, um fo mebr,
al§ baä paulinifcb=lutberifc^c ©nabenbewu^tfein, in bcm man bic Ä'raft
bcr fotcriologifcben 3luffaffung fuc^cn mu&, in ben mc^r fd)lic^tcn, auf
ben Unterriebt abgc^wcdtcn i?lu§fü^rungen S^aftan§ einen bcftimmtcn unb
ba§ ©cwiffen anfaffenbcn ^lussbruef f)at finben fönnen.
2) Sögl. ba§ ju Slaftan in bcr legten 5lnm. ©cfagtc.
332 @ ^ c c 1 : 5)ie a:auflc^re in b. mobcrnen pofitiov lut^ct. 2)o0motit
unb 3Ut^au§ t)crfod)tencn ^ofition bcn altlutl^crifc^cn ®cift roieber
crfenncn, mögen anä) im Q^ntcreffc einer präjifen unb ftraffen
2)urd^fül^rung ©infc^ränfungen unb Umbilbungen vorgenommen
fein^). 2)er 3)uttu§ ber altlut^erifc^en Sie^tfertigungäle^re lebt
nämlic^ miebct auf unb fuc^t fic^ eine ©eltung ju oetfc^affen, bie
felbft bie in ber alten Ort^oboyie übliche übertrifft. 2)enn nirgenb§
^at, fomeit mir betannt ift, bie alte Ortl^oboyie e§ vermögt, ber
SRec^tfertigung§le^re eine folc^e bominierenbe Stellung im bogma^
tifdjen Softem ju geben, mie fie bei ©remcr unb 3llt^au§ un§
begegnet. S)er SBerbinbung be§ trabitioneH lut^erifd)en SBerftänb*
niffe§ ^auli mit ber oon fintier ge^anb^abten Terminologie, mie fie
2llt^au§ bei Soofö^) oerjeic^net fanb, ift biefe Äonjentrierung ju
oerbanten, bie al§ Äonjentrierung auf ben religiöfen 93egriff ber
9iec^tfertigung unb SCBicbergeburt, refpeftioe Erneuerung betrautet
n)erben foll. ®§ Derbient aber au^brüdElid) bemerft ju werben,
ba§ biefe religiöfe S^ffung ibentif^ ift mit ber rein forenfif^en.
S)enn bie ^Rechtfertigung gilt 9llt^au§ al§ bie objettioe reale Qn^
eignung be§ ^eilöertrage§ ber fteHoertretenben ©ü^netat S^rifti^);
fie ift ein forenfif(^er 9ltt^). 3)ann aber mirb bie Saufle^re burc^
bie ort^oboy geworbene SRed^tfertigung^lel)re beftimmt, bie bei ben
alten S)ogmatitern nur mü^fam unb unbeutlic^ fid) neben ber
]^9perp^9fifd^ gebeuteten unb in biefer ®eutung grabe bie Sauf*
lct)re beftimmenben ^eit^le^re geltenb mad)en fann. ©inb bem^
nac^ aud^ er^eblic^e ©ifferenjen mit ber alten Slnfc^auung oor*
l)anben, fo fmb bo^ au(^ mieberum 93ejie^ung§puntte ju tonfta*
tieren, unb einem c^aratteriftifc^en SUloment ber altort^obofen
2:t)eologie ift eine fpftematifc^ burc^greifenbe ©eltung oerf^afft.
6§ barf alfo mo^l bie uon 2ltt^au§ unb ©remer vertretene ^o*
fition mit bem Slnfpruc^, lut^erif^ ju fein, auftreten. SWit biefer
^ofition l^at man aber oor allem ben Sßorteil gewonnen, ba§ bie
religiöfe ©runbanfc^auung ber 9leformation vom Sßerl^ältnig bes;
i) ^0(. bie foteriorogifd^e fjaffung avi(i^ ber ©rneucrung, unb baju
Cuenftcbt über bie renovatio.
2) 8oof§, ßeitfabcn ber 2)oömen0cfc^i(^tc ' 1893 @. 352.
3) mtf)au^ a. a. D. @. 275.
4) ©bb. @. 276. 58ergl. auc^ bie 2(u§einanberfe^ung mit ^^ilippi
8. 274.
@ ^ c e 1 : 5)ic 2:aufle^tc in b. mobernen pofltio., Tut^cr. ^ogniatit 333
(3ünbcr§ ju @ott bie gcbül^rcnbe SerüdEfi^tlgung finbct. 93ei
bicfcr Sauflc^re tanu bcr ©cbantc ni^t auftauchen, baj3 unfer
^ci( abhängig gemacht roirb oon beftimmtcn SBcränbcrungen, bie
roir erleben. ®§ fäUt auc^ jeber @d)cin fort, atS !önnte eine
iustitia infusa jur ^eil^bebingung gemacht werben. @§ roirb an-
bererfeitg ebenfofe^r berjenigen 93eftimmung ber ©nabe porgebeugt,
bie bie ©nabe ju einer 9taturtraft begrabiert. ©in ^kturmpftcrium
fann bei biefen ^rämiffen bie 2:aufe nie roerben. ®enn einer
jubijieHen ©rflärung fe^lt als fotc^er jebe SBejie^ung auf ben ©e*
banfen einer p^gpfd^ ober ^albp^pfifc^ oorgefteHten 9Banb(ung.
®§ ^anbelt fi^ nic^t um ^pperp^^fifdje Äräfte, fonbern um ein
eine ©rtlärung abgebenbe§ 3Bort. 3)ann mu§ bie 5iaturgemein*
fc^aft burc^ bie ^erfongemeinfc^aft erfe^t werben^), ba§ natur*
bafte 93erftänbni§ bem au§fdblie§lic^ geiftigen SßerftänbniS be§
©^riftentum§ n)cid)en.
Jro^bem ^at bie foeben i^rer |)aupttenbenj nad) c^aratteri^
fierte J^eorie ffiiberfpruc^ gefunben. ©ofem ber 3Biberfprudb
ausgebt oon SSertretern berjenigen Slnfc^auung, bie bie 2:aufe ju
einem ^laturm^fterium mac^t, barf er t)icr unberüdE fu^tigt bleiben,
S)enn bereu S^eorie ermicS fid^ in jeber S3ejie^ung a(§ ^altloS
unb unannehmbar, ^fntcreffe bagegen erroedtt e§, ba§ folc^e, bie
obne ber ^tl^eofop^ifc^en" Sluffaffung SRec^t ju geben, ben fafra^
mentalen ©^arafter ber Jaufe gema^rt fe^en moUen unb „pofitio"
bogmatifcbe Slnfd^auungen ju ©erfechten beanfprudien, oon ber
2:auftebre ©remev^ unb Slttl^auS' nic^t befriebigt fmb. 3)er SBiber*
fpruc^ richtet fid) gegen bie foteriologifc^e 2lbjroedtung be§ 2:auf=
faframent§, fpejiell alfo gegen bie oon ©remer unb 2llt^au§ oer*
tretene Definition ber SBBiebergeburt unb ©rneucrung. Unb menn
man ba§ bogmatifcbe aWotio be§ 2öiberfprud)§ beamtet, roirb man
feiner Berechtigung ftct) nict)t entjiet)cn fönnen.
©§ mar in unferer Sarfteüung bie foteriofogifc^e S:auflet)re
of)ne atüdEfic^t auf ben ©tauben reprobujiert. SCBeldje Stellung
bem ©tauben jugeroicfen mirb, mu^ bcmnäd)ft noch unterfudjt
werben. @§ galt juoor ba§ ©runbmotio ober bie ^aupttenbeuj
f)erau^iuftelten, felbft auf bie ©efa^r f)in, bag bie nacl)fotgenbe
1) dremcr a. a. D. 8. 77.
334 @ ^ c e r : ^ie 3:auf (c^re in b. mobertten pofitiOv Tut^er. ^ogmatit
3)avftcttun9 eine ©rgänjung nötig mad)t. 3)ie§ ^auptmotiü ift
bcr ftartc ^roteft gegen jebiüebe fittlic^e Umwanblung, ift bie ^ox-
beruug cine^ rein religiös- foteriologifc^cn SßerftänbniffeS ber SBieber-
geburt unb Srneuerung. 33efonber§ beuttic^ ift bie§ 3Jlotio oon
SBilbranbt gettenb gemad)t; in feiner Darbietung tritt barum auc^
befonberS offenfunbig bie ©c^iüäc^e bicfcr S^corie au ben S^jg.
SRomberg^) ^at gegen 2Bifbranbt§ Sfiefe, ba§ e§ fi^ in ber Saufe
um eine SBirfung @otte§ am Äinbe t)anbfe, ertlärt, ba§ man bei
9BiIbranbt§ Sluffaffung überhaupt nid)t üon einer SDßirfung am
Rinbe. fprec^en fönne. 3)enn ein bto§e§ Urteil über ba§ Äinb fei
überhaupt feine äBirtung ©otteS am Äinbe mel)r ju nennen, ba
burc^ ein Urteil aunäd)ft ni^t§ am ^inbc geroirft, fein 93eftanb
nid)t geänbert merbe unb jebeS ©ingel^en beö Äinbe§ auf baS Ur*
teil \a auSgefd^loffen merbe *). Sine geiftige i8erül)rung unb Sin^
mirtung fei nid)t erfolgt, äöenn SBilbranbt tro^bem üon einem
„gemaltigen ©ingriff" ®otte§ in ba§ Seben be§ ^inbe§ fpred)e,
fü Ifabt er ju biefer 5ßerfic^erung feinen ©runb. 3)a baS Urteil
(Sottet ba§ Sinb nic^t berüfire, tonne üon einem „Singriff" ®otte§
in§ Z^bzn beS ^inbeö überhaupt nic^t bie 9iebe fein'), SRomberg
betont bem gegenüber, ba§ (Sott nie am ober über, fonbern ftct§
im SJJlenfdjen ba§ ^eil mirfe, ba§ eg überhaupt feine bloßen Ur^
teile ®otte§ auf bem ^eilSgebiet gebe, ®otte§ Urteile melme^r
ftetS iufammenge^en mit a:aten ®otte§. 93ci 2Bilbranbt§ 3)ar*
ftellung falle ba§ ®eben ®otte§ unb ba§ Stemmen be§ 2Jienfc^en
nic^t jufammen, fonbern au8 einanber^).
ajlit biefen SBemertungen ^at m. ®. 9tomberg auf ba§ SWo^
ment aufmerffam gemad^t, an bem bie 2:f)corie oon ber objeftioen
aJerfe^ung in ben ®nabenftanb fd)eitern mu§, jebenfallS fofern
e§ fic^ um eine bogmatifrfie SHed^tfertigung ^anbelt. ®§ liegt in
ber Siatur beS bogmatif^en Urteile begrünbet, ba§ bie 3)ogmatif
uon objeftioen 2:!^eorien nic^t reben fann, 2)ogmatifc^e Urteile
finb ®laubenSurteile, genauer gibujialurteile. 9Jian fann biefen
1) Otomberg im ÜJ^ecflcnburgifc^en ^irdE)en^ unb 3eitblatt 1903 mx. 8.
20, bef. <5. 404 ff.
2) 31. a. D. S. 404. 3) % a. D. S. 405.
4) % a. D. 8. 147.
8 c^ e e I : ^ie 3:aufle^re in b. mobemen poflttp., (ut^et. ^ogmatif. 335
©a^ nur ignorieren^ wenn man bie ©pl)äre bc§ eüangclifd^en
^eil8perftänbniffe§ überhaupt oerlaffen roiD. SWon mag bem
©laubenSbegriff ber ,,mobernen S^eofogie" mit no^ fo großer
©fepfig begegnen, man fann bo^ nic^t in Slbrebe [teilen, bag
irgcnbmie jum ^Begriff eine^ uollftänbigen bogmatifc^en Urteile
ba§ gibujialmoment gel^ört, 3)enn man ^at e8 in ber c^riftlic^en
Sogmatif mit bem geiftig gearteten religiöfen Seben ju tun. 9iid)t
aU foUte l^ier bie in mannigfachen gormen in bie ®rfc^einung
tretenbe religiöfe ©mpirie bef(^rieben werben. 3)a§ märe bie 2luf*
gäbe ber SReligionSpf^i^ologie^ nic^t ber 3)ogmatit, für bie ber
©cgriff beS Stormatioen !onftitutip ift. 3)a^ änbert aber nichts
baran, bag eine Slbftraftion üom religiöfen Se6en eine Selbftoer*
nid)tung ber 3)ogmatif märe, ©ie mürbe oermittelö einer folc^en
Slbflraftion ben S3oben unter ben gü§en üerlieren, beun fie mügte
auf i^re eigene SWaterie oerjic^ten, ben -Sn^alt i^rer 3lu§fagen
preisgeben, ©ie entmicfelt bie iWomente, o^ne bie ha^ befonbere
unb inbioibuetle c^riftlid)e fieben, bejie^ungSmeife bie c^riftlidje
^eil8erfenntni§, nic^t gebac^t merben tann. ®ag gibt ben bog-
matif^en ©ä^en it)re attgemeine unb allgemeingültige 2lrt. 2lber
fie entmidEelt boc^ bie ÜKomente be§ c^riftlid^en Seben§ unb ber
c^riftlic^en fiebenSbejie^ung, benen als folc^en SBirflic^feitSmert
eignet. ®S fmb atfo, üorauSgefe^t, ba§ man überhaupt ein SWec^t
l^at, ba8 ©^riftentum als geiftige ^Religion ju üerfte^en, ftetS pf^-
c^if^e <3n]^alte, ober in bie ^^f^c^e aufgenommene ^n^alte, bie
jur ®rmägung fte^en. Xawn mirb aber bie 9icbemeife oon einem
obieftioen realen 93efi^ bogmatifc^ unoerftänblic^. ^n bemfelben
SÄugenblidt, in bem man eine objeftioe, o^ne glei^jeitige fubjettioe
(Srfc^einungen erfolgenbe SBerfe^ung bel^auptet, mirb bie ©igenart
beS bogmatifd)en Urteils preisgegeben, mirb bie aufgeftellte 93e*
l^auptung illuforifd^, bie nur fo lange mit einem ©c^ein beS JRec^tS
auftreten fann, als bie 93ebingungen beS bogmatifc^en Urteils un*
beachtet bleiben.
SDJan oerfud)t freili^ eine letzte SRettung, inbem man bie
Slnalogie beS rec^tlid)en S3efi^eS jur ©rflärung ^eraujie^t. 3Jlan
fann ber berufene (Srbe fein, ot)ne bod^ in ben mirflidien @enu§
ber @rbfd)aft eingetreten ju fein. 3lber biefe 2tnalogie bemeift
336 @ c^ e e ( : *2)ic 2:ouftef>rc in b. moberncn pofitiOv lut^cr. ^ogmatü.
ni^tig, wie überhaupt rcd)tnc^c Slnalogicn nic^t an bic l^ö^entage
bcr ^Religion bc§ ®^riftcntum§ heranreichen, ba§ richtige SBerftänb*
ni§ nid)t ju Permitteln üermögen, e§ öielme^r nur gefä^rben
f önnen. Sntwebcr man ^at ba§ ^eil ; bann ^at man e§ nur ate
Seben§in^alt, alfo nur in pfgc^otogifc^ faßbarer gorm. Ober man
^at e§ überhaupt nic^t; ein 2)ritte§ gibt e§ nic^t. ®in „objet*
tioer, realer S3efi^" ift in ber ^Religion überhaupt no(^ fein 53efi^.
S)arum fann bie 3)ogmatif aud^ mit biefem 93egriff nid)t§ an*
fangen, unb einer bogmatifc^en 2:^eorie, bie mit biefem 53egriff
operiert, fe^lt ha§ fignififantc 3Jlerfmal be§ bogmatifc^en Sa^e§.
5)er fog. objef tipe SBefi^ ift no^ feine religiöf e ®rö|e geworben ;
biefe ,,rein religiöfe" Betrachtung ift alfo überhaupt noc^ feine reli«
giöfe S3etra^tung. Unb felbft menn man bie rec^tlict)e Slnatogie
gelten laffen fönnte, märe für bic ^ier jur 2)i§fuffton fte^enbe
2:t)eorie nod) nic^t§ erreict)t. Senn biefe 2lna(ogie mürbe nur ju
einer S^arafteriftif ber 2:aufe atö etne§ (Saframentö ber ^Berufung
füf)ren ober eine§ 2Ifte§, bcr bie Slnmartfc^aft auf ba§ ^ei( gibt,
©egen eine fold^e Definition ber Saufe aber mc^rt fic^ grabe bie
fotcriofogifd)e 2:^eorie^). Sie mc^rt fic^ mit gutem ®runb ba«
gegen. 3)enn inbem fie bie§ tut, gibt fte ju erfennen, ba§ \>a§
foeben entmicfcttc unb gegen bie ^ier befpro^ene 2:^eorie gefeierte
3Jlotip i^r fetbft nicf)t fremb ift, mag i^m auc^ bie gebü!^renbe
33erüdEfid|tigung nid^t geiporben fein. SMit einer bloßen SInmart*
fc^aft fann bie 3) o g m a t i f unb bic bogmatifc^c S3egrünbung
ebcnfomenig etma§ anfangen mie mit einer rein foteriologifc^cn
2:f)eorie, bie prinjipicH Slbftanb nimmt pon fubjeftipcn aMomenten.
6§ bleibt aud) unpcrftänbfid^, mie fi(^ pcrcinigcn lä^t bie 93e*
^auptung einer mirffamen, aber bod^ bto§ objettipcn ©rflärung
@otte§ unb bie SInerfennung be§ ®^riftcntum§ aU einer SReligion
be§ @cifte§, refpeftipc be§ 9Bort§ unb be^ @(auben§. 3)a§ ^eiU«:
f)anbc(n ®otte§ ift nie ein objettipc^ ober blo^ foterioIogif(^e§.
3)cnn um e§ aU §ei(5;f)anbeln mürbigcn unb c^arafterifieren ju
fönuen, fann man ber pfijc^otogifc^cn Sebingungen nic^t entraten,
bie 33orau§fe^ung einer fofc^en SBürbigung finb,
1) Sögt, befonberg ©remer a. a. O. @. 25. 33. 113. ^n ®ottc§§an*
beln fei übcrf)aupt nii^t ^u f^cibcn 5n)ifd)cn ^nroartfc^aft unb ®ahz.
<S ^ e e ( : ^ic 3:aufU()rc in b. moberncn poptiü., lut^cr. 2)o0mati!. 337
^abm Srcmer unb 3Jltt)au§ ipirflic^ bicfc 6rtcnutni§ mU^
ftänbig unbcvürffid)tigt gelaffcn? 3)ie SWotioe ju einer folc^en
Ülid^tberürffic^tiflung fmb jroeifeUoö pov^anbcn, unb wie fie luirfen
tonnten, jeigen bie Darbietungen SBilbraubtö. Sluci^ lä§t ba§ 93ilb,
JU bem bcr erfte ©inbrudt ber t)on ©remer unb 3(lt^auö gebotenen
aiu^fü^rungen oerleitet unb bo^ manchen al§ burd^au§ jutreffenb
gelten mag^), e§ af§ unjroeifel^aft erfc^einen, ha^ bie gorberungen,
bie focben aufgefteüt würben, ni^t bead)tet finb. 3Jlan mu§ ober
boc^ fic^ ^üten, ben Don 9llt!^au§ unb ©remer*) immer mieber^
polten ^^roteft gegen bie ct^ifc^e ©rneuerung ©ermittele ber 9Bieber«
geburt al§ einen unbebingten "ißroteft auc^ gegen irgenbmelc^e fub*
jeftioen SSeränberungen im aWcnfc^en aufjufaffcn. @§ mürbe frei^
lic^ bem befonber^ oon 2llt^au§ ftort geltenb gemachten Jenor ber
foteriologifc^en 93etrad)tung entfprec^en, menn man biefer 9tnna^me
fid) juneigen mürbe. 33eoor man aber einer fofdjen Slnna^me
golge gibt, t)at man ba§ eigent(id)e aWotio be§ Äampfe^ gegen
bie Definition ber SCBiebergeburt al§ einer et^ifc^cn ©rneuerung
fic^ t»or ba§ 9luge ju ftetten. SBenn man oon einer fittlic^en Er-
neuerung traft ber Saufe nicl)t§ miffen miü, fo mirb unter ber
fittlic^en ©rneuerung bie Sefeitigung ber natürlichen ©ünb^aftig*
teit oerftanben, b. I). mau betrachtet unter biefen Umftänben bie
renovatio al§ eine SQBanblung be§ t)abitueUen 3wftö^^^^^ ^^^
Sünberö, al^ eine SSeränberung feiner fünbigen 9iatur ober ber
9ktur über^aupt^). Dann mirb man felbfioerftänblicl) 2llt^au§
unb ©remer ba§ 9tec()t juertennen muffen, bie Definition ber
SEBiebergeburt al^ einer fittlict)en Ummanblung abjule^nen. SJJlan
^ätte eine 3In(eif)e gemad)t beim tat^olifc^en |)eil§gebanten, ben
eoangelifc^en ©nabenbegriff oerlaffen. 9Man tonnte oietteic^t bie
^tage aufmerfen, ob e§ terminologifc^ gefc^icft mar, ben 93egriff
ber et^ifd)en ©rneuerung im engeren Sinn ber ©efeitigung einer
natürlichen ©ünbigteit ju oerfte^en. Sobalb man aber auf bie
(Sact)e felbft fiel)t, tonnen berechtigte ©inmänbe nict)t erhoben werben.
Da§ erfct)eint noct) weniger möglich, menn man bcmertt, \)a^
1) Oiutj, 3:aufe unb SSiebergeburt ^^3- 1901 ©. 589.
2) SBgl. auc^ (S. ©acfer, %k ^eilSorbnung, ©üterölo^ 1898.
3) ^^l mtiau^ a. a. O. B. 82; ©rcmer a. o. D. @. 76.
3<itf<^nft für X^eoloßie unb Äird?<. 16. Sat^rg., 4. $eft, 24
338 © d) c e t : ®ie 2:auflef)rc in b. mobcnicn pofitio., Tut^cr. Dogmotif.
TDcbcr ©rcmcr noc^ 2llt^au§ eine rein foteriologifd)e, t)on je9lid)et
SBeiüu^tfein^manblung abfcl^enbe 2)urd)fü^rung i^rer Jauft^eoric
gegeben ^aben. S3ei biefem 2:atbeftanb fönntc e^ evft re^t ben
Slnfc^ein erroedten, aU ^anbfe e§ fic^ um nicl)t^ weiter of^ um
eine rein formale, terminotogifc^e S)ifferenj.
Sremer nämfic^ erflärt, e§ beginne mit ber S3egnabigung
nic^t blo§ ein neuer Seben§abfd)nitt für ben SMenfc^en, fonbem
ein neueö ßeben^). 3)en S3egriff ber SBegnabigung fann er ober
in biefem 3wf^"^*^ß"^öng au^ burc^ ben 93egriff be§ @(auben§
erfe^en unb bemgemä^ erHären, \>a^ mit bem ©tauben ba§ neue
Seben beginne. S)ie§ Seben lüirb nun näl^er bal^in erläutert, ba^
e§ ein Z^btn in banfbarem, feiigem, ernftem ©tauben fei. SEBenn
er aber offenbar einfc^ränfenb fortfährt, biefe§ neuen gebend aWad)t
unb Äraft fei unb bleibe nur bie 93ergebung§gnabe unb nic^t§
anbere§, fo mirb niemanb, ber ben retigiöfen ®e!^att be§ paulini*
fd)en ®^riftentum§Derftänbniffe§ noc^ at§ au JRec^t befte^enb aner*
fennt — ba§ er ju 9ted)t befte^t, brandet t)ier nic^t ermiefen gu
werben — gegen biefe ©infc^ränfung ernft^afte S3ebenten anju==
führen l^aben. ©ie mirb oietme^r at§ fac^ti^ geforbert erfc^einen,
unb barum auc^ de facto nic^t ben ®^arafter einer loirflic^en
©infc^räntung ober eine^ SRücf juge§ tragen. %a\t nodj inftruftioer
fmb bie 2Ibfd)nitte, in benen ©remer oon ber SBirffamteit be§
^eiligen @eifte§ fpric^t. 3)er ®eift wirft nid^t in un§ in ber Äraft
einer neuen ^ö^eren Statur; fonbem ein ^erj, mdd)e§ ba§ 3Bort
aufnimmt, inbem e^ in fraft be§ l^eitigen @eifte§ glauben ternt,
ba§ nimmt mit bem SBBort ben l^eitigen ©eift auf unb mit bem
l^eiligen ©eift ben SBater unb ben So^n^). 2)ie oon ^autu$
@ai 5, 22 c^arafterifierten ^rü^te be§ ©eifte^ roirtt tatfäc^tic^
ber ©eift in un§, aber bo^finbmir e§ felbft, bie e§
üben, aud) wenn mir un§ baju überminben muffen^).
3)ie ^erfon ©otte§ ift e§, bie in feinem f)eitigen ©eift mir gegen*
märtig geworben ift unb ben ©tauben wirft, SWut unb 5lraft wer*
1) ©remcr a. a. O. 8. 57.
2) ©remcr a. a. D. 8. 75.
3) ebb. ©. 76. S8on ©remcr gefpcnt.
S c^ c e r : ^ic 2:auf(c^re in b. mobenien positiv., lut^er. ^ogmatif. 339
Icil)t unb bcn Söillcn waä) ruft\V ©faubcn ift oiel mc^r al§
@ute§ tun; c§ frf)Iie§t ba§ ®utc§ tun nid^t bIo§ ein, fonbcrn
©lauben löft ben SWcnfd^en dou bcr ©ünbe ; bcnn bic SJcrgcbunflg^
gnabe, bie er ergreift, ift e§, bie i^n (o^mac^t. @§ gibt feine
ftärfere Söfung oon ber ©ünbc a(§ bie 93erge6ung§gnabe burc^
bic ©emeinfc^aft be§ breicinigen ®otte§ im l^eiligcn Oeift mit
un§ ^). 3)ie§ bejeic^net ©remcr al§ bie Üleugeftaltung unfere^
fieben§ burc^ beu ^eiligen Oeift^). Unfer geben mirb burd^ i^n
ein ©lauben^Ieben unb bleibt ein ©lauben^Ieben. 3Bir glauben
burc^ ben (Seift ; aber ©lauben ift nic^t ein einmalige^ unb nic^t
ein erfte§ Sßer^atten, f onbern ein bleibenbe§ Sßer^alten.
S)arum l^ei^t roiebergeboren fein glauben; au§ bem ®eift geboren
fein, ^eigt glauben*). 3)urc^ ben ©lauben gel^t bic innere SBBanb*
lung mit un§ öor. „®er ©laube i f t biefe innere Umroanblung,
nämlid^ ber ©laubc, roelc^er gcred)tfertigt roirb nid)t um biefer
Ummanblung mitlen, fonbern al§ ©laube be§ ©otttofen" ^).
9Wit größerer SReferoe fpric^t ft^ 2llt^au§ au§; aber e§ be«
gegnen un§ bod) ©cbantengänge, bic in ber Stic^tung ber foeben
bei ©remer fonftatierten liegen. ®urc^ bie SEaufe ift ber ©eift
in un§ ^ineingefommen; er roo^nt in unferem ^erjen^). 2)er
©rfolg ber eifusio spiritus sancti ift nid^t ein fittlic^er ^abitu^
neuer ?trt, aber bod) ein neue§ religiöfe§ Sßer^ältni^ ber ^er*
fönlic^feit ju ©ott^). ©ine Sßeränberung im SQBiUen be§ a:äufling§
folt jmar nid|t Dorau§gefe^t merben ^) unb jeber ©ebante an eine
attioe 3Jlitbeteiligung unfererfeit§ mirb abgemiefen. Slber 2llt^au§
fpric^t boc^ Don einer ftttli(^en Zat, bie fic^ freiließ fofort eine
SRebuftion auf reseptioe^ miUcntlic^e^ Sic^untergeben unter bie bar*
gebotene $eil§tat ©otte§ gefallen laffcn mu^^). 9ln einer anberen
©teile mirb jugegeben, ba§ bie SBiebergeburt fc^on eine ©rfri*
fc^ung unb ^Belebung unb freubige Stufrid^tung ber ^erjen in fid)
befc^lie^t ^% ®a§ obieftioe 3Biberfa^rni§ ber SBiebergeburt ^at al§
folc^e§ jugteic^ feineu SReflej im ^erjen be§ 93egnabigten ; „e5
1) @bb. @. 77. 2) ®bb. @. 78. 3) ©bb. ©. 82.
4) @bb. 8. 84. 5) (gbb. @. 85.
6) mtf)au^ a. a. D. 8. 52. 7) (5bb. 8) @bb. S. 127.
9) ^(tt)au§ a. a. O. 8. 167. 10) (Sbb. 8. 279.
24*
H40 @ d^ c c l : ^ic 2:auflcf)re in b. mobcrncn pofitio., lutf)cr. *2)o0mati!.
mac^t ein tröfta^c§, frö^Iid)c§ ©ciüiffcn" 0- ^cbcnfaUg bic
SBanbtung unfcrc§ rcHgiöfen 93cit)u§tfcin§^)auf
grunb ber in ber Stec^tfertigung ober SBicbcrgeburt ooUjogcnen
3Q3anblung unfcre§ 93ct^ältniffc§ ju ©ott, bic frcubigc ©r^cbung
be^ ber empfangenen ©ünbenüergebung innc roerbenben ®c^
füt)l§ roirb jugegeben. 3Jlit ber SBiebergeburt ift unmittelbar bie fub*
jeftioe ©eroig^eit be§ ^eil§ gegeben^), ©ofem bie Saufe eine
objcftipe ^inroegfd^affung ber ©ünben vermittelt, oerfe^t fie ben
9Wenfc^ctt in ein neue§ Ser^ältnig ju ®ott, o^ne freiließ ein neue§
SBert)alten ^ergeftettt ju t)aben. SIber mit ber ©ntfernung ber
©ünbe au§ bem 93eroufetfein ®otte§ ift jugfeic^ eine Entfernung
berfelben au§ bem menfd^Uc^en ©elbftbemu^tfein geiuirf t *). 3Kan
wirb, menn man ber anfängli^ befproc^enen Slu^fü^rungen 6re^
mer§ unb 2llt^au§' gebeult, gcmi^ nic^t ganj o^ne Ueberraf^ung
bie ^ier foeben entmidteltcn ©ebanfen aufnehmen, 3)em SBortfaut
nad^ entf)alten fic jebenfaH§ me^r, alS man auf grunb ber erften
2lu§fü^rungen ermarten burfte, 3lber am SBortlaut ju Heben ift
unangebracht unb roertlo^. 3)lan barf im ^inblidt auf biefe
legten ©rörterungen ®remer§ unb 2lft^au§' barauf aufmerffam
machen, ba§ eine rein objeftiDe «Interpretation be§ foteriologifc^en
2Ifte§ ber äBiebergebnrt unb (Erneuerung, bem, xva^ 3ltt^au§ unb
©remer gemoUt l^aben, nic^t gerecht mirb, ba& i^r ^roteft gegen
bie fittlic^e ©rneuerung üorne^mlid^ bem natur^aften a}erftänbni§
be§ 93egriff§ gilt unb ba§ i^re 2lnfd)auung oon ber SBBieberge-
burt nid)t o^ne 3u^iff^"ö^me ber ^bee einer SBanbtung nic^t
blo§ ber objettioen Sage, fonbern auc^ be§ menfc^lic^en 93erou§t»
fcin§ (2llt^au§) ober be§ menfd^lic^en a3er()alten§ ((Sremer), re*
fpeftioe ber inneren Ummanblung burc^gefüt)rt werben fann. 3)ar*
au§ müfete fid) bann ber ©c^lu§ ergeben, bafe bie anfangs ge*
botene (J^aratteriftif ber J^eorie ®remer§ unb 2lltl)au§' einer
er^ebtidjen ftorrettur unterjogen werben mu§. Snm minbeften
barf gefagt werben, ba§ ber SBorwurf, ben SRomberg gegen SBit-
branbt ergeben tonnte, f)infällig wirb, fobalb man bie oon ®remer
unb 2lltt|au§ entwickelte 2:f)eorie in^ 2luge faßt.
1) 8. 278. 2) «ou 31. gefpcrrt. 3) (Sbb. 4) ©. 82.
© d^ e c I : Xie ^aufle^re in b. mobevnen pofitio., lut^cr. ^ogmatif. 34 1
9(bcr e§ barf borf) bic S^^agc aufgeworfen werben, ob biefc
legten ^luöfü^rungen fic^ mit bcm Sölotio oertragen, ba§ roir in
ben crften 2lu§einanberfe^ungen !enncn lernten, unb ob, faH§ bie
legten 2lu§fül)rungen bered)tigt ftnb, bie glatte 9lble^nung be^ ®e^
banfen§ einer etl)ifrf)cn ©rneuerung ober „93emeuerung" fad)Iid^
gercd)tfertigt erfcf)eint. fie§tere§ bürfte faum ber 5^0 fein. SEBa^
2ltt^au§ unter bem 2:itet ber iffiiebergeburt foeben befc^rieben t)at,
ift re Vera eine ftttUrf)c Srneuerung, ober, um mid) Dorfid)tiger
au§}ubrücten, tann nur unter bem 93egriff ber fittlic^en Srnene^
rung oorgeftettt merben. 3llt^au§ ^at in ben 53egriff ber äBieber«
geburt bie 93etebung unb freubige 2lufric^tung be§ ^erjen§ auf»
genommen, fpric^t oon einer Sntfernung ber ©ünbe au§ bem
menfc^Iic^en ©emu^tfein unb oon ber freubigen Sr^ebung be§ ber
empfangenen ©ünbenoergebung inne merbcnben ®efü^t§. S)a§
bie§ eine innere unb fubjeftioe Ummanblung ift, fann 9l(t]^au§
nic^t beftreiten. @§ fott aber feine prinjipieöe Seränbcrung un^
fere§ 3Befen§ fein, unb bie et^ifcl)e ©rneuerung liegt nic^t i n bem
2lft ber SBiebergeburt an ftd), fie ift nur eine notmenbige g^^^fle
ber in ber SBiebergeburt fid| oottjie^enben r c I i g i ö f e n ©rneue*
rung^). SBenn aber ba^ ®efü^t gemanbelt mirb, unb menn an-
bererfeitg ba§ menfc^Iic^c Semu|tfein eine fo burdigreifenbe SBer*
änberung erfäl)rt, ba§ bie ©ünbe barau§ entfernt mirb % bann
tann man nic^t mel^r eine et^ifd)e Erneuerung be§ menfc^Iid)en
SB e f e n § in Slbrebe fteüen. 9Wan mü^te fonft ju ber un^alt=
baren SBorfteHung fic^ bequemen, ba^ ©elbftbemu^tfein unb ®e*
füt)t nid)t jum SBefen be§ 3Jlenfd)en gehören, fonbern nur ber
tätige Söitle. "SJlan barf Sllt^au^ biefe Äonfequenj oor^alten;
benn er oerfidjert nid)t nur, ba^ bie iffiiebergeburt al§ fükt)e noc^
feinerlei 2(u§tilgung unferer natiirlidien ©ünbt)aftigfeit enthalte —
baoon mar bereite gefprod)en — fonbern aud), ba^ fie n i d) t
einmal bie p r i n } i p i e 1 1 e 93eränberung unfere^ SB e f e n ^
in ftc^ befd)(iefee. ©emnad) märe eine mefentlidie 93eränberung
be§ üJJenfc^en erft in bem 9(ugenb(irf eingetreten, mo ber SÖgitle
in faßbaren ^anblungen fid) betätigt. 3)a§ märe jebenfaü^ noc^
bie erträglid)fte 5)eutung ber oon ?llt^au^ gegebenen 93erfid)erung.
1) 3llt^auö a. a. C 8. 278. 2) 31. a. C <5. 82.
342 @ cf) e e I : ^ic 2:aufle^rc in b. mobemcn pofitiov lut^er. ^O0motit
aSieüeic^t bavf man aber hinter i^r noc^ mcl|r ccblirfen. ®cnn
ftc cripcctt im ^wfammcn^ang mit bcr SSc^auptung Don bcr 2lu5*
tilguug ber natürlicf)cn Sünbtiaftigfeit ben Sinbrud, al§ ob Sltt-
l)au^ bie gvagcfteUung ber t^cofopl|ifd|cn 2)o{trin, gegen bie er
fic^ boc^ fo energifc^ me^rt, nic^t ganj übermunben ^ätte. 3)ie
©ünb^aftigfeit f(^eint ein aWoment ber 91atur geworben ju fein,
in bie 5Jtatur ^erabgeftiegen ju [ein, an§ ber fte nun in attmä^^
lid) fortfc^reitcnbem ^^voje^ entfernt werben foÜ. 2llt^au§ mürbe
fid) bemnad^, faU§ man ein Stecht i)at, \\)m bie§ Steftbuum ber
„t^eofopI)ifcf)en" ^^ageftetlung jujumeifen, oon feinen ©egnern
nur baburd) unterfc^eiben, bag er bicfe J^agefteUung für ben Se^
griff ber SBiebergeburt nic^t frud)tbar machen miü; im SSerlauf
ober be§ weiteren ^eil^projeffei» mürbe biefe gragefteUung mieber
auftaud)en. ©ollte e§ fic^ aber^) nur um bie Äorrettur oon
SBiden^regungen l^anbeln, fo märe auc^ biefe 2lnna^me bebenf«
lieber 2lrt. SÄud) bann lie^e fic^ ber ©ebanfe nii^t oerfediten,
ber eine prinjipieüe Jßeränberung unfcre^ SBefen^ au^fc^Ue^t.
S)enn e§ liegt boc^, logifc^ angefe^en, im 33egriff be^ äBefen^ ber
©c^merpunft unb ba§ entfd)eibenbe SäJJoment. ^Jlac^ Slltljau^'
?ßrämiffen mürbe bann aber bie SBiebergeburt feine birette Se«
jie^ung jum SBefen geminnen. 2)er für 3l(t^au§ entfd)eibenbc
religiöfe 53egriff ber 3Biebergeburt mürbe nur mit Slfjibenjen in
aSerbinbung gebrad)t. 3)a§ I)ätte aber, abgefcl)en oon ber logi«
fc^en ©c^mierigteit, gefährliche Äonfequenjen für bie f9ftematifd)e
©tetlung ber SBiebergeburt. 3)enn nun märe bie golge, ba^ im
^inblidE auf bas SBefen — unb oom äBefen abjufe^en ift boc^
ein 2)ing ber Unmöglid^teit — bie SBiebergeburt nur ein oorbe^
reitenber Sltt rairb, tia^ @c^mergemid)t alfo in bie ©rneuerung oer^
legt mirb. 2)icfe Folgerung mu^ aber Sllt^au^ au§ religiöfen
©rünben ablehnen. 2)ann aber entftet)t ein |)iatu^, ben er nic^t
legitim befeitigen tanu.
2)ie|er .^iatu§ ift aber unnötig unb burd)au§ oermeiblic^.
3)enu ma§ 2l(t^au^ unter ben 5Jegriff ber SBiebergeburt fubfum^
miert, ift bereite eine SBefensmanblung. ®e^ 9Jlenfd)en SBefen
ift gemanbelt, meun feine ©efü^Ie unb fein ©elbftbemuptfein gc«
1) mt\)anä a. a. D. 8. 278: „Straft . . . ju etf)if(^cr iöetätigung".
© c^ c e t : ^ic %an^kf)xt in b. mobernen pofitiOv tutf)er. ^oömotif. 343
roaubelt finb. 2)cnn eben bamit ift anertannt, ba§ bic SBiöen^^
ftettung be^ SJlcnfc^cn eine anbete getporben ift. 2Ran tann ben
©efül^Ien nid)t bie oon 2(It^au§ i^nen jugefd)riebene JHic^tung
ocrlei^cn, unb baneben bie alte 3BiUen§fteüung be§ in bie ©ünbe
uerfnec^teten Sölenfc^en feft^alten, fei e§ ani) nur in begrifflicher
93eleucf)tung. 3)ie retigiöfen „©efü^tc", bie 2llt]^au§ im Sluge f)at,
ba§ Oefü^I ber freubigen ©rl^ebung auf ®runb ber empfangenen
©ünbenüergebung, bie 93elebung unb freubige Slufric^tung be§
.^ergen^ fe^en bie SBiUen^roanbtung oorau§. 3)ie ©ad^Iage uer*
l)ält ftd^ umgefe^rt, n)ie fte 21lt]^au§ befc^reibt. Solange man oon
äÖiHen^erneuerung prinjipiett nic^t fprec^en barf, ift e§ unmögtid),
Dou einer 53elebung unb ®rfrif(^ung be§ ^ergeng ju fprec^en.
2)enn biefe Belebung mü^te — felbft menn e^ möglich roäre, fie
o^ne ©esie^ung auf ben 53egriff be^ SBillen^ ju benfen, unb felbft
loenn man bie ^c^^^ifung be§ geiftigen ©efamtlebenö be§ SRen«
fd)cn§ oorau^fe^en bürfte, bie Sllt^auö offenbar al§ möglich an^
nimmt — oernic^tet werben im ^inblirf auf ben ber ©rneuerung
nirf)t teilliaftig geworbenen ffliüen. 2)enn e§ bliebe ein noc^ nid)t
befeitigter SBiberfpru^ beftelien. S§ fann natürlirf) barauf l^in^
gemiefen werben, ba& im ß^riftenleben ber Kampf jmifc^en ber
©ünbe unb bem ®eift (Sottet permanent ift, alfo ein SBiberfprud^
unfer Seben begleitet unb boc^ tro^ biefe^ aBiberfpruc^g bie
„freubige ©r^ebung" be§ ^erjeu^ unb bie Seben^jUDerfic^t mög-
lid) unb mirflic^ ift. 3)a§ ift ri^tig, wenn auc^ fein 9lnta^ be^
fte^t, bie^ JU fräftig ju betonen. ®§ fönnte fonft leicht ber @rnft
ber SReligion unb ber ftttlicf)en Verpflichtung jugteic^ gefä^rbet
werben. 3)oc^ baoon barf ^ier abgefel)en werben, wo nur bie
Satfac^e felbft interefftert. Slber c§ ift mit biefer 2:atfac^e
für bie J^corie 2llt^au§^ nocl) nicf)t§ gewonnen. 3)enn in feiner
2f)eorie ^anbelt e^ . fic^ um einen prinjipiell überhaupt noc^
nict)t gelöften SBiberfprud). ^n et^if^er 33e}ie{)ung t)at bem
^rinjip infolge überhaupt noc^ feine Sinwirfung ftattgefunben.
(£§ bleibt alfo ba^ 3Jewu§tfcin um ben ungcfd)wäc^ten unb unbe^
rührten 93eftanb be^ fünbigen äBillen^. 5)anu tann bie 'äele*
bung be^ .^erjen§ entweber nict)t moglid) fein, weil fie nur auf
bem ©runbe eine^ einl)eit(ic^en 33ewu^tfein§ fid) ert)eben fann.
344 © c^ c e I : ^ic 2:aufrc^re in b. mobenten pofitio., lut^er. ^ogmatü.
ober fic roäre eine Qtlufion, bie bal)infc^n)inben müßte, fobalb ber
roirfticftc 2:atbeftanb beutlid^ in§ 33en)u§tfein träte.
2lber e§ f önnte oietleic^t bie et^ifd)e ©rneuerung ermattet
werben ? ©ie fo(( ja eine golgc ber SBiebergeburt fein ; mz 2llt^
t)auö ertlärt: eine notroenbige innere 5*^(ge. 3lber auf ®runb n)o«
oon barf man biefe ©rmartung ^egen? ®§ ift au^ bem begriff
ber SBiebergeburt ja grabe ba§ 3Woment entfernt, ba§ gu biefer
©Öffnung 2lnla§ geben tonnte. 9Wan bürfte alfo bei ber Don
2lltt)au§ oorgefc^Iagenen g^ffung im heften galt nur oon einer
unfi^eren Srmartung fpred)en. 3)ann märe aber mieberum bie
freubige 2lufric^tung be§ ^erjen§ problematifd) geworben, ©oü
alfo bie oon 2l[t^au§ gefd^ilberte SBiebergeburt möglich fein, fo
mu§ er ben Segriff ber fittlic^en Smeuerung in bie Sßiebergeburt
aU ein 9Woment ber SDSiebergeburt aufnehmen. @r oermag fonft
meber bie „notmenbige innere 5<^l9^" ^^^ etl)ifrf)en ©rneuerung
au§ ber retigiöfen ©meucrung nac^jumeifen, nod^ überhaupt ber
religiöfen Erneuerung ben On^ött ju geben, ben er i^r tatfäd)lid)
gegeben ^at.
Stuf ba§fetbe 9tefultat werben mir ^ingefü^rt, menn mir ber
anberen oon 2(It^au§ gegebenen SBerfic^erung na^ge^en, baß mit
ber Entfernung ber ©ünbe au§ bem göttli^en 93emußtfein ju«
glei^ eine Entfernung ber ©flnbe au§ bem menfd)Iic^en ©elbft^
bemußtfein gegeben fei, aber eine gleicf)jcitige SJeränberung im
SQSiüen be§ Säufling^ au§gef^Ioffen fei^). 2)enn mie fann bie
©flnbe au§ bem menf^lid)en öemußtfein entfernt fein, menn im
aBitten bie ©ünbe noc^ oöttig ungebrod)en, nod) ganj genau ebenfo
mie bi§t)er fortlebt? E^ muß boc^ bie 3Bitten§ric^tung ober bie
aflSittenöftettung eine anbere gemorben fein, eine 93eränberung er^
fafiren ^aben; fonft mürbe ja mieberum ber Qn^^lt be§ neuen
93emußtfein§ fic^ al§ ^ttufion ermeifen. 3)em Semußtfein mürbe,
fobalb e§ ft^ auf ben SBitten rid|tet, bie oerfc^ulbenbe Äraft biefeö
aBiüen§ entgegentreten unb au§ bem menfd)nd^en Semußtfein märe
bann eben bie ©ünbe nid)t entfernt. 23orau§fe^ung be§ oon 311t*
^au^ bem 33emußt|ein jugefi^riebenen 3^nba(t§ ift bie 3tenberung
ber äÖiüensivic^tung, b. l). aber eben bie 33evänberung be^ aOSiüen^
r 9(rtöau§ a. a. D. <S. 8'2. 127.
@ cft c c 1 : 5)ic 3:auf Ic^re in b. mobemen poptii)., lut^cr. S)oömatif . 345
felbft. 3)enn barin grabe beftct|t bic 2BiHcn§änbcning, ba& bic
aBitten^ric^tung unb bic SBiUcn^fteHung eine 3lenberung erfährt.
®§ ift alfo unmöglich, ben oon 3llt^au§ erläuterten Segriff ber
SBicbergeburt feftju^alten, unb bod) ben ©ebanten ber etl^ifc^en
Srneuerung au§ bem 93egriff ber SBiebergeburt au§jufrf)eiben. ®ie
3Biebergeburt ift alfo ni^t eine fog. objeftioe SBiebergeburt. 3)a§
l)at 3llt^au§ fc^lie^Ii^ erfennen muffen, roenn er eine pfgd^olo*
gifc^e Srgänjung bringt. SCber feine ©rganjung ift nid)t au^^
reid^enb ; bie SDSiebergeburt l^at ju i^rem SWoment bie et^ifd^e 6r^
neuerung.
Sei ©remer ift bie Sachlage noc^ einfacher. ®r befiniert
ja im weiteren SSerlauf feiner Darbietungen bie äBiebergeburt al§
ein neues SJer^alten, aU ba§ bleibenbe äJer^alten be§ ®lauben§,
ba§ ®ute§ tun in fic^ einfd^tie^e. -3"bem er aber fo oom SWittel-
pun!t be§ @Iauben§ au§ ba§ SBerftänbniS ber SBiebergeburt finbet,
l^at er eben baburc^ ba§ fittlic^e Clement mit in bie SQSieberge*
burt aufgenommen. Qn unb mit bem ©lauben ge^t bie innere
SBanblung oor ftd^'). SBenn er einfd)ränfenb berherft, e§ fei ju
oiel gefagt, ba§ burc^ bie SSäiebergeburt ein neue§ ©ubjeft merbe,
fo braud^t man bei biefer ©infc^ränfung ftd) nicf)t aufju^alten.
3)enn fie gilt ber Slbme^r ber l^eiliftifc^en 93en)egung. 2Ba§ un§
interefftert, ift bie Satfadje, ba§ ©remer au§ bem Segriff ber
SBiebergeburt ba§ fittlicf)e SJloment nid)t ganj l^at auSfd^eiben
tonnen, im ©laubenSbegriff bie SBerbinbung ber religiöfen unb
et^ifc^en (Seite gefunben l)at. ©o fpric^t er ja au^ oon einer
^erfongemeinfd)aft, bie nid^t möglich ift ol^ne ^nanfprud^na^me
be§ 3Biüen§.
9lun tonnte man freilid^ auf bie Jaufle^re QuenftebtS per«
roeifen, ber jufolge bie regeneratio im Unterfc^ieb oon ber reno-
vatio als religiöfer Segriff, na^ 2lnaIogie ber oorliegenben 9(uS*
fü^rungen 2lIt^)auS^ ju oerfte^en ift unb ber jufoIge erft bie re-
novatio baS etl)ifd)e SOterfmal nad^{)oIt. 9Jtan tonnte bemnad)
l^ier eine oon 3I(tt)auS felbft freilief) nid)t ertannte aSermanbtfd)aft
mit bev a(tortl)obo5en SSorftetlung tonftatieren, unb e§ tonnte ben
2lnfc^ein geminnen, als ob bie focben gegen 3I(t^auS gerid)tete
1) ©vemer a. a. D. S. 84.
346 © d) e c ( : 2)ic 2:auf le^rc in b. mobemen pofitiOv lut^er. S)o0mati!.
^^ofcmif fic^ md)t Dertrügc mit bcm, n)Q§ für bic 2)arftcöun9 bcr
2(nfd)auun9 Oucnftcbtö Don bcr regeneratio unb renovatio ju
gelten i)at Slbcr bei Cuenftebt ^anbelt e§ fid) bod^ nur um eine
quaestio facti, bie über ba§ prinjipietle Stecht ber ©c^eibung be§
religiöfen unb fittUc^en 3Jloment§ nic^t entfc^eibet (ogl. ©. 35 f.).
SInbererfeitg märe e§ Derfrü^t, menn man 2lIt^QU$' foteriotogifd)en
3Biebergeburt§begriff mit bem SBiebcrgeburt^begriff Duenftebt§ ju^
fammenfc^auenunb alfo eine neue 9Serf nüpf ung mit ber altortl^oboyen
2)üftrin tonftatieren moflte. S)enn Cuenftebt tennt fad)lic^ nid^t
bie innere SSerbinbung von SDSiebergeburt unb ©rneueruug, bie
2lltt|au§ tro§ allem oorau§fe^t. ^ladi) 2ltt]^au§ fott bie etl)ifc^e
©rneuerung bie notmenbige innere gotge ber retigiiJfen SBieber^
geburt fein. 93ei Oucnftebt taffen ftc^ mo^t au§ ber SReforma-
tiün§tf)eologie ftammenbc gotmeln finben, bie einen berartigen
^ufammen^ang ijon SBiebergeburt unb (Erneuerung behaupten;
faditid) liegen bie 3)inge aber fo, ba§ er, um jur renovatio ju
gelangen, eine^ erneuten gratiosus influxus bebarf, ber ÜWittei«
lung ber ^gperp^gfifdien vires operandi. S)iefe SSorftellung le^nt
3lltl|au§ mit Siecht ab unb erreid)t fo eine engere SSertnüpfung
Don äBiebergeburt unb (Erneuerung ate mie fte Cuenftebt mög*
lic^ ift. aOBeitere 93erbinbungen mit ber altproteftantifd)en 3)of*
trin, al§ mie fie bereite nad)gemiefen maren, ftnb bi§ ^ierliin alfo
nic^t JU fonftatieren.
2)a| bie Slble^nung be§ ®ebanten§ einer et^ifd)en (Srneue*
rung fad)lic^ nic^t gered)tfertigt ift, bürfte epibent geworben fein ').
ittun mar aber nod^ bie grage geftellt, ob bie ©efamtanfc^auung
oon ber SÖiebergeburt, mie fie in^befonbere bei Sllt^au^ un§ ent^
gegen getreten ift, fic^ mit bem SJlotio ©erträgt, ba§ un§ in ben
erften 3lu^fü{)rungen über ben foteriologifd^en ©tiarafter ber 2Bie*
bergeburt begegnete. 6§ bürfte fc^raer fein, bie ^rage ju bejahen,
unb bamit fte^en mir oor einem neuen ^iatu§. @^ fann ba^
1) ©ben barum barf auc^ auf ben ^ad)wtx§ ber efegcttfcfien Uni)alt'
barfeit ber ^ofition 5C.§ üerjicfitet roerbcn. ^er Scbriftbeioeig 31.^, unb
fltabe biefer ift aud) fo oft fritifiert roorben, baj man überflüffige 9(rbcit
tun mürbe, wenn man i^n aufg neue prüfte. 6ier galt es, ber fgftcmas
tifd)en ©cbanfenarbeit nä^er ju treten.
Bd)^^l: 2)ie 3:aufle^re in b. mobcrnen poptio., lut^cr. S)ogmatit 347
bcutlic^ crfcnnbarc SRotio bcr fotcriologifc^cn 3Bieber9eburt§(e{)vc
burc^ bic ©rgänjung, bic foeben bcfpvoc^en roorbcn ift, nicf)t aB
belanglos ober gar at§ nid^t oor^anbcn erflärt werben. ®a^ e§
üorl^anben ift, betunbet bie Snergic, mit ber infonber^eit 2lltt|au§
bie jubijielle 2lrt bcr ertöfenbcn ©rtlärung ®otte§ ^croorliebt,
befunbet ber oon ©remer poftutierte 3ufammen^ang ber 833ieber-
geburt unb Saufe mit ber JRec^tf crtigung , befunbet bie oon il^m
gern vorgenommene Sejie^ung ber SBiebergeburt auf ben ®eban^
!en ber Sieufc^enfung be§ öebenS unb ber ©rlöfung pon Job unb
©eric^t, betunbet cnblic^ auc^ bie eigenartige 93eforgni§, bie et^i^
fd)e SBanblung in ben 93egriff ber SBiebergeburt aufjunel^men^),
obwohl boc^ bies gefc^e^en !ann, ol^ne ba§ ei^ nötig märe, an ben
^rrgängen ber „t^eofop^ifc^en" Xa\x\U\)xt ober ber ^eiligungS*
bemegung fid) ju beteiligen unb baburd) bie retigiöfe ^raft be§
SHec^tfertigungSgebantenS illuforifc^ ju machen. Somo^l Sremer
n)ie 2lltt|au§ fürd^ten baS Se^tere. 3)ie 2lufna^me ber et^ifd^en
SBeränberung in ben SBiebergeburtSbegriff ocrlangt natürlich al§
Äonfequenj bie 2lnertennung ber Spontaneität be§ menfc^lic^en
SBillen^. 9lun jeigt fid^ aber ber bereite tonftatierte ßufömmen*
^ang ber Sluffaffung ®remer§ unb 2llt^au§' mit ber alten or^
t^obofen gragefteHung barin, ba^ biefe 2lnertennung al§ 3lbfall
pou bem bur^ bie ^Reformatoren neu entbedten ©nabeneoangelium
beurteilt mirb. 2lltf)au§ lehnte barum jeben ©ebanten an eine
aftioe 9Jlitbeteitigung unfererfeit§ ab, roenn er auc^ nid^t imftanbe
war, biefen ©ebanten mirtlic^ fad)ent]prec^enb burd)jufü^ren, unb
eben barin ju er!ennen gibt, mie frf)mer e§ bei ber l^eutigen oer-
änberten t^eologifc^=n)iffenfc^aftlid^en (Situation ift, bie 3Wotioe
ber alten, einer anberen ioiffenfd^aftlid)en ©efamtfituation ent=
ftammenben ort^obojen Stieologie feftju^alten. 2lber ba§ SWotio
ber alten 2et)re mill er boc^ ni^t preisgeben unb eben bieS jebe
meufc^lid)e 2Ktion ober Spontaneität auSfc^liegenbe SUlotio oer-
trägt fic^ mit bem erften 3JJotiD, baS in ber foteriologifc^en 2)e==
1) ^er an fxc^ a(§ bere(f)tigt erfannte $roteft %^ unb ©r.S flegcn
ben ©cbanfcu einer fittlid)en 9teufc^öpfung fü^vt rociter, al§ juläffig ift.
53erec^tigt war er alä ^roteft gegen eine falfc^c Sillen§pl)i^fif ; er burfte
aber ni(f)t auf bie SiüenSpfi)cf)o(ogie au§gebet)nt werben.
348 @ d^ e e I : %it ^ouflc^rc in b. moberncn pofttiOv lut^er. S^ogmatif.
finition ber SBicbcrgcburt ftd^ unS offenbarte, ©bcnfo urteilt
©remer; xvix l^aben bie %xt\i)txt, bie ®nabe abjule^ncn, nic^t aber
bie %xz\f)^\t, barauf etnjugel^en ^). Qxx ber Sriäuterung biefc§
®eban!en§ finbet ©remer bie ©elegen^eit, feine ^arabojatt^eo-
logie^) ju entroideln, bagegen empfinbet er nid^t bie 9Zötigung,
bie pfr|d)oIogifc^e unb barum aud) roiHentlic^e Spontaneität ')
be§ aWenfc^en su betonen. 2Ran finbet alfo bei ©remer benfelben
c^arafteriftif^en Söiberfprud^, ber bereite bei Cluenftcbt (ogl. ©. 37)
unb überhaupt in ber alten Drt^obojie fid^ bemertbar mad^t *).
3)iefer SBiberfpruc^ beftätigt aber mieberum bie Sfiftenj be§
junäd^ft ^erau§gel|obenen 9JiotiD§, ba§ mit ber immanenten So^
gif ber fpäteren SQSeiterfü^rung be§ SBiebergeburt§gebanfen§ jur
Sin^eit nic^t fic^ gufammenfc^lie^en lä^t. S)er Sogit biefe§ SWo^
tio§ entfprid|t nur eine fold)e äuffaffung oon ber iffiiebergcburt,
bie ftc^ auf bie Äonftatierung ber objeftiocn 3tenberung unfercr
Sage befc^räntt, aber auf unfer SSer^alten ober auf unfere fub«
jeftioe 5Jeränberung feine SRüdEftc^t nimmt. 3llt^au§ bot aurf) be§
öfteren biefcm ©cbanfen aiu^brudf gegeben. 3)ie 2;aufe mirb jum
©intritt in ein objeftio^religiöfeS, nid)t fubjeftio-et^ifc^c^ SBer^
^ältni§^); ba§ objeftioe 6eil^oerl|ältni§ mirb mieber^ergeftetlt ®).
Unfere Sage mirb gemanbett; e§ ^anbelt fid) nid)t um bie 93er^
änberung unferer fubjeftioen 3wftä^ibli^feit, fonbern unfere§ ob*
jeftioen 3uftönbe§^). 3)ic 2:aufe ift, mie e§ an einer anberen
©teile t|ei|t, ba§ 833iberfa{)mi^ ber objeftioen äBaublung unferer
religiöfen Sage, nic^t aber ber fubjeftioen SSeränberung unferer
93ef^affent|eit ®). SCBenn man ftd^ ber 3lu§fü^rungen 3llt^au§' er*
innert in benen er bie SBanblung be§ menfc^li(^en ©elbftbemufet*
fein§ unb ber ©efül^te einräumte, b. \). alfo bod) eine fubjeftioe
1) ©remer a. a. D. ©. 98.
2) Solan c^arafterifiert oicüei^t am jutreffenbften bxt ^^eologte ©re-
mer§ aB biblijiftifc^e ^arabojalt^eologic.
3) ^er 93e0riff ber Ülesepttoität fann xid)t\Q oerftanben werben, ift
aber boc^ äJit^beutungcn auggefetjt
4) %a^ er nicf)t ein notroenbigcS 9Jlerfma( ^^pofititjcr'' $l)eologie ift,
erftel)t man baraug, ba^ 9)1. ^'äbler i^n befämpft.
5) 3(It^au§ a. a. D. ©. 112. 6) 51. a. D. @. 159.
7) 51. a. D. ©. 182. 8) % a. D. ©. 256.
@ cf) c c l : ^ic $;auflef)re in b. moberncn pofttio., Iutl)cr. 5)o0matif. 349
SBeränbcvung jugab — bcnn bicfe SDSanblung bc§ 33cipu§tfcin^
uub bcr @cfü{)Ie fann nur ate fubjeftbe Sßcränberung uufcrer
Sefdjaffenl^cit porgcfteüt werben — fo wirb man mit 93efremben
bie foeben ^erau^ge^obenen ©ä^e 2llt{|au§^ lefen. ®a§ SSefrem^
ben wirb aber aufhören, wenn man auf ha^ SRotio ber 2:auf«
le^rc 2lltt)iau§' ad^tet. 3)ie§ üWotio nötigt ju biefen legten 2lui8s
fagen. 9Jlan wirb bann bie ©ä^c, bie eine unb fei e§ auc^ eine
auf ein 2Rinbeftma| rebujierte fubjettioe 93eränberung anerfennen,
mit 53efremben aufnetimen unb fte aU uuDerträglic^ mit bem
eigentlidien 3Motio ber Jaufle^re ültt^au^' betrachten, 2)a§ l^ei^t
aber, e§ barf bie ©rgänjung, bie bem SBiebergeburt^begriff ju
teil würbe , nur alö eine unter bem S^^ng ber S^atfac^en unb
im SBiberfpruc^ mit bem eigentlichen aJiotio erfolgenbe ©rgän^
jung beurteilt werben. ®a§ genuine SWotio biefer foteriologifcl)en
Jauf* unb SBiebergeburtsile^re ^aben wir in bem aJlotio ju er-
blidfen, ba§ an bie ©pi^e unferer ©rörterung geftellt würbe. S)ie
3)ifferen} ift atfo me^r al§ eine blo§ terminologifc^e Sifferenj, wie
gelegentlicl) oermutet werben fonnte (®. 146). Unter biefen Umftdn*
ben werben wir nun aber boc^ einen ungelöften 833iberfprud^ tonfta»
tieren muffen. 3)a§ al§ genuin bejeic^nete ÜJlotio mu^te aber
immer wieber fic^ burc^fe^en, weil man ebenfo wie bie altprote^
ftantifc^e S^eologie bie et^ifd)'pf9c^ologifc^e 93etrac^tung§weife nur
al§ ©efä^rbung be§ Sie^tfertigung^gebanfen^ ju bewerten in ber
Sage war.
3JJan barf aber eine noc^ feftere 93erbinbung mit ben SWo^
tioen ber altproteftantifc^en Saufle^re tonftatieren , aU wie fie
bi^lier nad)juweifen war. Unb man fann biefe Sßerbinbung an
einem ^un!t nac^weifen, ber junäc^ft bem 2lnfc^ein na^ nur uon
3)ifferenjen }u reben geftattet. Um biefen ©a^ ju erläutern uub
JU rechtfertigen, bebarf e§ juoörberft einer Erörterung ber 5^age,
wie fiel) im fpejiellen ba§ 93er^ältni§ dou Jaufe unb ©laube ge*
ftaltet. 3)ie altlut^erifc^e Jaufle^re l)atte ba§ ^^Jroblem, ia§ burc^
bie 93erfnüpfung be§ Satvament^begriff^ mit bem eoangelifc^eu
®lauben§gebanten gcfcf)affen würbe, nicl)t bcfriebigenb ju löfen
uermoc^t. iSlaw f)atte bie 2Inna^me einer auf magifct)em SBege
ooüjogenen 2Biebergeburt burct) bie Jaufe woi)l ju oermeiben ge=
350 8 4 e e I : ^ie 2:oufIe^rc in b. mobernen pofitio., lut^cr. ^ogmatif.
rou§t ba man SDSiebcrgeburt uub ®Iaubc in Korrelation ju ein--
anbcr brachte. 3Iber c§ rourbc ba§ Problem boc^ nur jurüdgc^
f^oben; benn bic (Sntfte^ung bc$ ®Iauben§ raupte man nic^t bc«
greiflic^ 5U mad^en. 3Wan lie^ i^n in ^gpcrp^gftfc^cr äBcifc gc*
mirft fein, ol)ne baß man au§ ber eigenen ^^tIofopt)ic unb ^^fr)^
c^ologie bie 3Jlittet jur ©rläuterung biefer Slnnatime ^erne^men
fonnte. Unb anbererfcitS fa^ man ftd^ unter bem QwanQt be§
@atrament§gebanfen§ genötigt, bcfonbere, nic^t genauer ju um*
fd)reibenbe SBirfungen gu poftulieren.
gür ©remer unb 2l(t^au§ ift nun bie 2:aufe ba§ ©aframent
ber realen SBiebergeburt. ©inen Unterfd^ieb gmifc^en Äinbertaufe
unb ©rmad^fenentaufe gibt e§ ni^t. Unfere heutige 2:aufe ift
entmeber bie 2:aufe ber urc^riftlid)en ©emeinbe, bie S^aufe, mie
fie ®^riftu§ felbft gemoöt l^at, ober pe ift überhaupt feine 2:aufe
me^r. So gut mie bie (Srma^fenentaufe ift barum aud) bie Kin*
bertaufe ba§ ®ab ber realiter oottjogenen SQSiebergeburt. 2Bie
oerträgt fic^ biefe Sel^auptung mit bem reformatorifc^en ®runb^
fa^, ta^ ber ®Iaube bie 33erl)ei^ung I)at unb nur im ®Iauben
ba§ ^eit^gut bcfeffen rairb? ®§ müfete offenbar, oorauögefe^t
natürfid), ba^ biefer ®runbfa^ anerfannt unb auc^ ba§ befonber^
beuttic^ Don (Sremer entmirfcitc ^) ©aframentömotio feftge^alten
mirb, bie altortl^obofc 2lu§funft oom Äinberglauben mieber auf*
gegriffen merben.
3)a§ ift nun aber boc^ nid)t ber gatl; n)enigften§ gilt bie§
junäd)ft für ben auf 2[lt^au§ fu^enben J^eotogen aSilbranbt. ®r
beftreitet ben Äinbergtauben , ba er pf^d^ologifc^ unmöglich fei.
®rft „nac^ oerftanbe^mä^iger 3lneignung be§ 3Borte§ oon ber
Sünbe unb ®nabe" ^) ift ber ®Iaube möglirf). 3)er Segriff be§
„unbemufeten ®Iaubeu^" ift ein miberfpruc^öooller 33egriff *).
1) G^remcr a. a. D. @. 34.
2) iEfladl mxd^.'- u. Btblatt o. a. D. @. 300.
3) Sßgl. 0. b. 2:rencf, ^aftoralblättcr 1904: „'2)iefc ^nnabme (sc. be§
^inberöIaubenS^i trägt ju bcutlic^ ben Stempel ber petitio principii an
ber Stirn, unb cntfprid^t auc^ fac^Iic^ fo locnig bem biblifd^en ^Segriff
bc§ ®(auben§ roic aUen %ai\ad)m ber ©rfa^rung, ba& auc^ 8utt)er, ber
fic eine 3eit lanq im ^ntcrcffc ber .^inbertaufc vertreten ju muffen glaubte,
fic^ boc^ Sule^t im großen Siatec^i§mu§ mieber oon i^r lo^gefogt i^at*"
@ d^ e e t : ^ic 2:aufrcl)rc in b. mobcmen pofitio., (utfjer. ^ogmatif. 351
Sro^bcm foü nad) SBilbranbt bic Äinbertaufc bic ooUe Hneig*
nung bcr ^cil^gnabc uermittctn, b. ^. bie SBcrgcbung bcr ©ünbe
unb bic Äinbfd)aft. 2lbcr fc^on Stdmberg t|at gegen äBilbranbt
ben begrünbeten ©inroanb erhoben, ba§ SBergebung ber ©ünbe
bußfertigen ©lauben üorau§fe^e ^), unb ba§, roenn ber bußfertige
©laube be§ Äinbe§ beftritten roirb, bie aHöglid^teit ber ©ünben^
oergebung aufgel^oben fei unb otfo bie adoptio unbenfbar roerbe^).
Siomberg erbtieft aU Äonfequenj ber Don SDSilbranbt gegebenen
Betonung be§ 93erftanbe§ aU be§ ®rfenntni§organ§ bie pödige
9(uf(öfung ber Saufgnabe, unb er meint, baß eine berartige ob*
jettioe 93erfe^ung be§ Sinbe§ in ben ©nabenftanb oon bem Sor-
rourf be§ SWagifd^en fic^ ni^t werbe frei l^alten tonnen^). 9Wan
fann fid^ ber 93ebeutung be§ Don SRomberg erhobenen ®inn)anbe§
im allgemeinen nic^t Derfc^Iießen. ^öd^ften^ über ben SSormurf
be^ 3Wagifc^en ließe fid^ bi§futieren. 3)enn SQSilbranbt betrad)tet
ja bie 2:aufmirfung nic^t al§ eine SBirfung, bie im Äinbe ftatt=
finbet. ®r fpric^t nur oon einem Urteil ®otte§ über ba§ Äinb.
eine folc^e Sluffaffung ift ebenfo burd^fic^tig, mie bie ortliobofe
9ted^tfertigung§(e]^re. 9Wan muß aber ben anberen, nid)t weniger
fc^mer miegenben SJormurf ergeben, baß bie Eigenart be§ reli*
giöfen 93er^ältniffe§ unb be§ bogmatifcl}en Urteile feine ©erücf^
fic^tigung gefunben l^at, alfo bereite au$ biefem ®runbe bie von
SBilbranbt gebotene 9led)tfertigung ber Saufe refpeftiue Äinber*
taufe feine bogmatifc^e ^Rechtfertigung ift unb bemnac^ feine
Süfung be§ ^roblem§ bebeutet. ®§ fü^rt biefe 2:^eorie SBilbranbt^
no^ ju ber weiteren logifd)en ^olge, baß bie Sebeutung ber Saufe
geminbert wirb. SBilbranbt mürbe bie§ natürlich nic^t jugeben;
er barf bie§ auc^ nid)t, wenn er nic^t feinen 2lu§gang§punft
preisgeben miü, baß bie Saufe ba§ in ftd) au§reid()enbe ©afra-
ment ber SBiebergeburt ift. 2lber wenn erft burdf) erjie^ung unb
Unterricht ba§ Kinb jum ©emußtfein feiner Saufgnabe gelangen
unb jum @lauben§leben fic^ entmidfeln foK, fo wirb man in biefem
gortfc^ritt notgebrungen eine qualitatio, nid)t quantitatio anbere
?^orm be§ ^eilSbefi^e§ erblidEen muffen, b. 1^. aber einen fad)=
1) i^ecfr. Ä393I. a. a. D @. 404.
2) 91. a. O. 3. 405. 3) 91. a. D. 8. 147.
352 <3 c^ c c I : '2)ic ^auflc^re in b. mobernen pofitio., Iutf)cr. 3)ogmatif.
lid)en 5ortfd)ritt über bie Saufroirfung f)ix\a\x^ anjucrtenncn
babcn. 3)em fac^Iic^en J^ortfc^ritt mufe aber bie ^ö^ere SBertung
jugemeffen lüerben. 2)a§ taxin nur gefc^e^en, inbem ba§ ©atra-
ment ber S^aufe in feiner 93ebeutung de facto geminbert roirb^).
^an tonnte alfo bie 2:aufe nur unter bem ©efic^t^puntt ber 2ln*
bietung ber ®nabe ober al§ ba§ ©atroment ber Berufung 6e»
trachten. 3)a§ aber roiberftrebt grabe bem treibenben aWotio ber
foteriologifc^en Sluffaffung nom ©aframent ber Saufe, ©o n)irb
man an biefem SBiberfprud) beffen inne, ba^ 9Bitbranbt nic^t im*
ftanbe ift, feine S^eorie burc^jufü^ren, o^ne fte töblic^ ju ge=^
fä^rben.
3)arf man oon 2llt^au§ balfelbe behaupten? @r ift ein
©egner ber altort^obojen 2:t|eorie uom Äinberglauben. ^m ein*
jelnen ben SSemeis; bafür anjutreten, bürfte überflüfftg fein. @§
fei nur barauf ^ingemiefen , ba^ er e§ aU ben %zi)Ux ber alten
2)ogmatifer betrad^tet, ba§ fte t>a^ 2lttribut be^ rec^tfertigenben
unb feligmac^enben ®(auben^ auf bie aptitudo passiva ber un*
münbigen Äinber, seil, auf bie angeborene ®mpfängticf)feit unb
formale 9taturbefä^igung jum Olauben übertrugen unb mit biefem
fälfc^lid^ fo genannten „®lauben" bereite bie nova vita gefegt
1) J8ei t). b. %xtnd ift bie§ ©rgebni^ aroeifcUoS. 3l)m fte^t e§ feft,
ha^ bie Äinbcr feinen ©lauben ^abcn {^aftoralblätter a. a O. <S. 747).
@r leugnet aber einmal, ba& bie JBebingung beä ©(aubeng unbcbingt fei.
%aS ^. Z' fenne feiner (£ntftef)un0§5eit zufolge nur bie SHüc{fi(f)t auf bie
@rnjad)fenen. Tht bicfer ©rfenntni^ »crfc^afft o. b. 2:renrf fi^ bie SWög*
Ud^teit, bie ntl. JJorbcrung ber Ttioxtg unb jisidvoia im §inblicf auf bie
Äinbcrtaufe für unt»erbinbUc^ ju erüären, alfo au^ offen mit bem refor^
matorifc^en (S^runbfafe, baj bie fid. salvifica haS §eil ergreift, ju brechen,
^icfe flare preisgäbe ber ©ültigfcit be§ ®runbfa^e§ fc^fec^t^in jcugt
aücrbingS oon einer bcutlic^en drfcnntniö ber oorliegenben ©d^wicrigfeit
unb einem nic^t geringen ÜJ^ut im §inberni^nebmen. Slber man barf
biefen 3Kut boc^ al§ ben Tlnt ber ^erjroeiflung anfprec^cn; unb ber
58arrierenfprung ift nic^t geglürft 5)a§ erl)cnt au^ bem, mag gegen SBil-
branbt bereite geltenb gemad)t mürbe. So mu§ benn auc^ o. b. ^rencf
einräumen, bab bie fpätere perfönlic^e Selbflentfrf)eibung für ben oollen
®enu^ ber ^inbfd)aft, nid)t aber für bie Siebergeburt bcbingenb fei.
%. i). aber, bie Söiebergeburt ^at nur oorbereitenben Sert imb baS Sa=
frament ber 2:aufe uerliert feine umfaffenbe 93ebeutung.
@ d^ c c I : ^ie ^^auflc^rc in b. mobcrncn pofitiOv lut^cr. ^ogmotif. 353
fein liefen ^). 3Iltf|QU§ d^aratteriftert bicfc 3tnna^mc al§ ein 5^9*
ment. Ouenftebt^ J^eorie Dom Kinberglauben roeift er jurücf^).
Sinen bewußten Äinberg(auben tcnnt aud) 2Wt^au§ nid)!.
9lber 3llt^au§ l)at nid)t ben 9Jtut, ben d. b. Jrend bcfap,
bic JWid^tigfeit ber S^efc uon ber SSebingung bc§ ®lQu6en§ über=^
l)aupt }u beftreiten. S)ie Se^re Don ber Jaufe roagt er nic^t bar*
jufteüen, ot)nc be§ ®(aubenö ju gebcnten. ^nbem er jn)ifd)en
einem Dor^ergc^enben unb nad)foIgcnben ®Iauben unterfc^eibet
gewinnt er bie 9JlögIic^Eeit einer 53erädEfid)tignng be§ @(auben§.
3((t^an§ wiü nid^t leugnen, ba§ ber ^rofelgtentaufe ein ©laube
ooranjuge^en t)abe^). ©in geroiffer ©taube „in irgenb n)etd)em
©rabe" fei a(^ allgemeine fubjettioe SBorbebingung ber ©afra«
ment^erteilung geforbert roorben unb ju forbern *). Um jum @m*
pfang be§ Saframent^ befähigt gu fein, genüge bie ^5efanntfd)aft
mit ben ©runbtatfac^en ber ©rlöfung, eine allgemeine Kenntnis;
be§ |)eil^ unb be§ eigenen Un^eil§, eine gemiffe Ueberjeugung Don
ber ffia^r^eit be^ geprebigten 2Bort§ unb bie SBiHigfeit, ba§ Söort
anjune^men ^). 2/ie ^eiUbebürftigfeit fotl gemedt merben. 5)iefer
bem Saframent oorange^enbe ©laube mirb einer oerlangenb au§«
geftrecften offenen unb leeren (!) ©ettler^anb Derglid)en, roä^renb
ber bem ©atrament nad)folgenbe ©laube bie gefüllte §anb ift,
bie bie @d)ä^e, bie jener begehrte, tatfäc^lid) empfangen l^at unb
nun feftt)ält *). ®er ber Saufe oorange^enbe ©laube ift alfo
nid)t bie fides salvifica, unb ebenfo menig mac^t er bie Saufe ju
bem, tt)a§ fie ift. ©§ mar ber 'St\)Ux ber alten 3)ogmatifer, ba§
fie bicjenige fides, bic ba^ |)eil begehrt unb fid) oerlangenb nad)
bem ^eil au^ftredt, o^ne e§ fc^on ju ^aben unb ju befi^en, ben
rec^tfertigenben ©tauben nannten^), ^ier mirb alfo bie altor*
tl)obore Jfieorie entfc^ieben abgelet)nt. Statt beffen tnüpft 2ltt=
l)au§ an bie altproteftantifc^e Unterfc^eibung ber fides generalis
unb specialis an. 2)en ber Saufe uorange^enben ©tauben be*
1) 3llt^au§ a. a. D. 3. 299.
2) ^llt^au^, bic ^iftor. unb bogm. ©runblaöcn 2C. S. 78.
3) mii)a\x^, ©cil^bcbeutung S. 298.
4) ebb. S. 297. 5} (Sbb. S 301. 6) @bb.
7) Sat^auä a. a. D. S. 299.
3citf(^rift für Xbeolcjjie unb Äirc^e. 15. ;\a6rq., 4. $eft. 25
354 © c^ e c I : ^ic 3:auf Cc^re in b. mobcrncn pjofitio., (utf)et. ^ogmatit
jctd)net er bcm gema^ al§ bic fides generalis, ben nac^folgcnbcn
©tauben al§ bie fides specialis^). 3)ie Saufe bilbet ben ent*
fc^eibenben SBenbepunft an n)eld)em ber l^eil^oerlangcnbe ©taube
in ben ^eitSempfangenben unb ben)al)renben übergel^t^. -Snt
aCBort finbet eine allgemeine Sßcrgegenroärtigung be§ ^eit§ \iatt,
roä^renb bie 2:aufe ba§ ©a!rament ber inbiüibuetlen ^eil^jueig*
nung ift, ber fpesiellen 2lpplifation be§ ^eit§. „91irf)t at§ ob in
ber Saufe burc^ eine rounberbare 9Wad)tn)irtung be§ tieitigen
©eifteö ber ©taube „eingeflößt" würbe, abgefef)en com Sßort fo*
baß aud^ fd)on bei unbewußten Äinbern mittete be§ ©a!rament^
bie donatio fidei ootljogen würbe. Sßielmel^r bleibt immer ba§
verbum praedicatum ber gottgeorbnete SBeg, auf meldiem ber
©eift ©otteg ba§ SWenf^en^erj jum ©tauben fü^rt" ^). S)üd)
1) m\>. @. 302.
2) ®bb. @. 303.
3) @bb. @. 304. — 3n feiner erften Sd^rtft über bie 3;aufe l)at ^lU
l)anS offenbar nodj eine anbcre ©tcflung eingenommen, m^nn aud) eine
ä^nlicf)e ^artition be§ ©loubeng in ben bege^renbcn unb bcfi^cnbcn oor^
au^gefe^t ju fein fd)cint. ^n biefer früt)eren ©d^rift loiü 31. ^loar nid)t
bie attort^obojc 3;l)corie oom ^inberglaubcn oertrcten, aber bod) ben
ricf)tiflen ©ebanfen biefer 3;t)corie retten (@. 78). 9öic ein unmünbige^
^inb, ba§ md)t fprec^en fann, auc^ o^ne Söorte um 5'laf)run0 fle^t, fo
gibt c8 au(f) eine ftumme S3itte. Ob bemüht ober unbewußt, ber ÜJlenfc^
in feinem natürlichen Sünbenetenb unb feiner angeborenen (SrlöfungS*
fät)igfeit fc^reit nad) 58arm^erjigfeit. 3Wan barf bem Ä'inbe ein tjeimtic^e^
<Se^nen nac^ ber (Erfüllung mit einem neuen götttid)cn 2ih^n 5ufpre(f)en
(39). ©§ gibt im ^inbc ein 83eget)ren ber ^aufe al§ unbetou&tcn, aber
boc^ al§ roirflic^en 3"ftanb (40). ^urc^ bie Saufe mirb nun im ^inbc
5(ufgefc^toffent)eit unb (Smpfänglid^feit für bie fein SnnereS berüt)rcnbe
göttüd^c Snfluenj geroirft, foioie bie JJa^igfcit jur Empfangnahme ber
burc^ bie äuoorfommcnbe ©nabc it)m gebotenen ®üter (78). SBermittel^
beä Saframentä mirb eine folc^e innere ©inroirfung ®ottc§ auf ba§ Siinb
norauSgefetjt, baß c§ baburc^ in ben <5tanb gefegt ift, fid) ber entgegen^
fommenben ®nabc ©otte§ aufaufc^Iie^cn (76). Söon ®(auben§aftioität
barf jeboc^ nid^t bie iHebe fein. 9lbcr ha^ ©aframent ber 3:aufe gibt
bem ilinbe bie Snitiatioe jum ©tauben, in gleicher Seife, mie beim ©r^
joac^fcnen ba^ 2öort. ^ie Saufe forbert nic^t ben ©Cauben, fonbern be-
wirft il)n. „Tlan barf aud) nid)t betjaupten, magifd) feien alte Knaben-
wirfungctt, welche bem 33en)u&tfein unb Söilten üorange^en." „E§ gibt
aud) ein ©ebiet unbewußter 3öirfungen im 5^aturgrunb ber ^eetc." Sßenn
@ c^ e c ( : %k 3:auf (c^rc in b. moberucn pofitio., lut^cr. ^ogmatif. 355
ba§ bleibt feft befte^cn, t>a^ c§ o^nc Saufe feinen perfönlid)en
^ei(§glauben gibt ^). ®§ barf jeboc^ jum ©c^Iu| noc^ bavauf ijxn-'
gewiefen werben, ba§ 9llt^au§ bcn ©lauben nie in bem Sinn 5uv
S3ebingung ber a:aufe gemacht fe^cn will, ba^ ber ©laube evft
bic Saufe juv roirf liefen Saufe, b. i. jur realen ^eilggabe ma-
6)z\\ mü^te. 3)ie Saufe ift roirffam al% götttic^e§ ©uabenroert
an unb für fic^^).
®ag atlt^au^, aU er bie altort^obo^e Unterfc^eibung ber
fides generalis unb specialis für fid) in 2lnfpruc^ na^m, feiner
glücf(id)en ©ingebung 5<>'9^ leiftete, fei nur im Vorübergehen er^^
ipä^nt^). 2)ie fides generalis ber altproteftantifc^en 3)ogmatif
fic^ ®ottc§ ®cift nur burc^ 93en)ujtfein unb Söillcn vermittelte, bann frei=
lic^ roäre ber ^Hnbcrglaubc unmöglich (79).
3llt^aug ^at, fo oiel ic^ fc^e, bicfc 3lu§fü^rungen nic^t roiberrufen.
3>c^ glaube aber bo(^, if)rcr bloj anmer!ung§n)eife gebcnfen ju muffen
unb fie aU ba§ 3eugni^3 einer früf)crcn (Sntmicflunggftufc %S betra(f)ten
5u bürfen. "3)cnn il)re ©inorbnung in bcn (SJebanfcngang feineS fpäteren
S8u(f)e§ begegnet ju großen Sc^micrigfcitcn. 9öäf)rcnb er ^ier eine „©in-
flö^ung" bc§ ®Iaubcn^ beftrcitet unb eine donatio fidei hei ^inbcrn oer-
mittele bc§ Saframentä ablehnt, roiü er bort noc^ bic 3Köglic^fcit be§
^inberglaubeng fcftbalten, fpric^t er au§brücfUd) oon einem burc^ bic
Saufe gemirftcn ©tauben unb einer @mpfänglid)fcit für bie ha^ Qunere
beg Slinbcä bcrü^renbc göttliche Snflucnj. ^aujerau b^t auf grunb biefcr
@c^rift gcurteilt, 5t. babe bie ^ofition ber alten ^ogmatifer oerfaffcn
unb fei glücfCic^ jur römifc^cn Cebre oom character, bcn bie Saufe präge,
foioic auc^ jur 53crtaufc^ung be§ lutbcrifcben ®nabenbegriff^ mit ber fd)0=
laftifcben gratia infusa gelangt (Sb-8-3tg. 1893, Sp. 2B9). 5)ie 3lbn)cid)ung
^2(.ä Don ber ^^Jofition ber alten ^ogmatücr erfc^eint mir nic^t fo groß
mic S^amerau, ber offenbar nic^t bcrücffi^tigt, baß nac^ aItprotcftantifd)er
3lnfcbauung eine b9Perpbi)Pf^e Infusio fidei ftattfanb. 3cb roei^ aber
nid)t, n)ie bie bier oon 31. oertretcne ^^^ofition mit ber fpätcr oon ibm
cntroicfeltcn 5lnfcbauung au^jugleicben ift. ^er SÖiberfprud) ift fo gro6
nnt> mibcrftreitct bem 2öort(aut ber fpäteren 2(u§fübrungen fo fcbr, baj
er bic ©i)potbefe berauSforbert, 5C. babc fpätcr ftiUfcbmeigcnb feine früberc
^ofition aufgegeben, ^d) glaube barum berechtigt ju fein, oon einer ^iä-
hiffion biefcr f ruberen ^Icu^crungen 3t. § 3lbftanb ju nebmen, unb mid)
aüein an bie in feinem ^ucb über bie §ei(öbcbcutung ber Saufe niebcr*
gelegten 3(nfcbauungen bitten ju bürfen.
1) 9ntbau§ a. a. D. 3. 305.
2) @bb. S. 306.
3) Sögl. ^unfe, ber Scbrftrcit über bie ^inbertaufe. Gaffel 1900 3. 68.
25*
356 8 d^ c c I : ^ic aauffc^rc in b. mobetncn pofitio., lut^cr. ^ogmatit
\x>ax eine fides, wie fie auc^ ben Teufeln jugefc^rieben rocrbcn
tonnte, md)t aber ein begef)renber unb tieit^oerlangenber ©laube.
3(ber bei biefcr Ungcnauigteit brauchen roir un§ f)ier nic^t aufju*
l)a(ten, roo un§ bie 3I(tf)au§' eigentümliche ^^Jofition intereffiert.
3Bir ^aben bemnac^ bie grage ju unterfuc^en, roa^ 2l(t^au§ mit
biefer Unterfc^eibung erreicht ^at unb wie fic^ befinitiu feine bog^
matifd)e 9tec^tfertigung be§ Jauffatrament^ geftattet.
3n einem notmenbigen 3wfammenl|ang mit feinet eigentlichen
©aframent§tt)eovie ftef)t bie Unterfct)eibung ber fides generalis unb
specialis nid)t. Sßenn 9Ilt{)au§ übert)aupt meint, ben ®aframent§*
gebauten }unäcl)ft entmicfetn ju tonnen, ot)ne au§brücflicl) be§ @Iau*
ben§ ju gebenten — unb ber bei lueitem größte Seil ber Unter*
fud)ung 2t(t^au§ rul)t auf biefer 93orau§fe^ung — fo ließe e§ fic^
mo^l noc^ oerftet)en, menn nachträglich al^ eine au§ ber euange*
Uferen Stellung be^ 2lutor§ begreiflicf)e ®vgänjung ber ®lauben§«
begriff, mie er ber 9teformation fic^ evfc^loffen t)at, in bie ®v==
örterung aufgenommen mürbe. 3lber man mü^te eben bann eine
Erörterung nur be§ Ji^uji^^Ö^^"^^"^ erwarten, ©tatt beffen mirb
auf eine boppelte 2lrt be§ @lauben§ 9tücfficf)t genommen, oon ber
nur bie le^te bogmatifc^en Söert l|at. ?Senn bie 2)ogmatit f)at
e§ ja nur mit ber $eil§ertenutni§ ju tun. 2öenn nun bocf) neben
bie fides specialis bie fides generalis geftellt mirb, fo i)at bie§
bei 2llt^au§ feinen ®runb in ber autoritatiuen ©eltung ber ©d)rift,
bie eine fo abfolute 53el|anblung be^ Jauffatrament^, mie fie Sllt*
f)au^ junäc^ft gegeben ^attc, nid)t tennt. Unter bem ®inbrud ber
Sc^riftmortc mu§ 2tlt^au§ uor bem Soltjug be§ Jauffatrament^
menigfteng eine gemiffe Srtenntni^ be§ |)eit^ unb eine geroiffe
Ueberjeugung pon ber 2Ba^rt)eit ber "^^rebigt üorau^fe^en. 2ln*
bcrerfeit^ perbot bie fd}on genügenb bcfanute fatramcntale 2Bür*
bigung ber Saufe, biefem ber Saufe oorauge^enben ©tauben einen
befonberen ^cil^mert jujufc^reiben. 2)ann märe ja ba§ ©atra«
ment entleert. So jmingen bie fatramentale Sc^ä^ung ber Saufe
unb bie Ueberjeugung oon ber fc^lec^t^inigen bogmatifc^eu 93er=
binblic^feit ber Sc^riftmovte 3(ttf)au§ ju bem Äompromi^, ba$
un^ in ber mit bogmatifd}er ftvaft au^geftatteten Stiefc dou ber
fides generalis tunb mirb unb ax\^ bem Saframent^gebanten Stlt-
@ d) c c I : ^ic ^aufref)rc in b. ntobernen pofitio., lut^cr. ^oßmatif. 357
l)au2f' allein md)t ticvgetcitct iDcvbcn tonn. @r mu^ alfo in feine
bogmatifc^e ^Rechtfertigung ber Jaufe einen ©ebanfen aufnehmen,
bcr einen eigentUd^cn bogmatifd)en SEBert nid)t befi^t. ©r mug
ben @Iauben§begriff in jroei qualitatio buvd)au^ Don einanber ge^
fc^iebene unb and) uon it)m felbft einanber fern gef)altene 2Womente
jertegen, um überf)aupt ben ©laubensgebanfen retten ju fönnen.
2)a§ ift aber nid)t ber einjigc Srfolg biefer SWanipulation.
2)ic fides generalis rourbe al^ ucriangenber ©taube befiniert unb
mit ber leeren 93ett(er^anb oerglic^en. 2)iefer Söergleic^ ift burc^
bie Jrabition gefdjü^t. ©c^on bie Sßäter ber ort^oboyen 2:{)eoIogie
fannten i^n. (Jr ift aber, fobalb er inncrl^atb ber ®pt)äre be§
religiöfen fieben§ gebraucl)t mirb, rec^t menig gefc^idtt. 2)a§ fie^t
man aud) an 2llt^au§' Darbietungen. 2)enn biefe leere fidea
generalis wirb bod) menige Q^iUn fpäter al^ ein @(aube be=
fc^rieben, ber eine gemiffe Ucberjeugung üon bcr äBa^r^eit bee;
geprebigten Söort^ unb bie SBSiüigteit, ba§ SBort aujuncl^men, in
fid) befd)lie§t. 2)iefc Ucberjeugung unb biefe 3Q3iüigfeit ift nur
möglich, menn ber Qn^alt be§ ^eil§mort§ an ber ©eele be§ SWen^
fd)en gearbeitet ^at, b. i), alfo |)eil§n)irfung ausgeübt tiat. Söenn
aber ein 3wftanb, refpcftioe eine 93efc^affen^eit anerfannt werben
mu^, bie al§ ^eifSmirfung ju bejeic^nen ift unb bereit^ pofitiüe
@üter oermittelt l^at — benn ein pofitiDeS @ut ift j. SB. eine
noc^ fo limitierte Ueberjeugung oon ber SDBa^r^eit be§ geprebigten
3Öort§ — bann luirb ber Sergleid) mit ber leeren Settler^anb
hinfällig. D^erjenigc, bem bie fides generalis jugemiefen werben
barf, ift nic^t mel)r befi^lo§, oielme^r im ®efi^ cine§ ^eilömert
t)abenben @ut§. @^ uermag bcmnac^ 9ltt^au§ feine urfprünglid)c
2lufc^auung oon ber fides generalis nid)t feftju^alten. 2)ie fiogit
beig 93egriff^ treibt i^n weiter, al^ ber eigenen S^^eorie juträg^
lic^ ift. ^d) l)abe ^ier baoon abgefe^en, ba^ ber ©ebanfe eine^
na^ bem ^eil ftc^ ftredenben, aber nid^t be§ |)eil§ teilhaftig
merbenben ®tauben§ bem eüangelifc^en 93erftänbni§ ber c^rifttid^en
^Religion nid)t cntfprid)t. 3Q3er oerlangenb nac^ bem ^eil aus-
^ijaxii, ba^ nid)t in nebelliafter ^crne in unerfennbaren Umriffcn
auftaud)t, fonbern im |)eil§n)ort beutlid) unb präji^ umfc^rieben
üor bie Seele tritt, ber ^at aud) ba$ ^eil. SRan müßte ben äSe-
358 © df) c c l : ^ie ^auflcf)rc in b. mobcrncn poritic, lutftcr. 5)ogmatil.
(jriff bc§ aScr^cigungigroorte^ um fein c^araftcriftifc^c§ 9JlertmaI
bringen, wenn man einem fel^nfüc^tigen SBevIangen nac^ bem ^Se-
ft^ ber flar er!ennbaren SSertieilung ben (Srfotg, alfo ben ©in^^
tritt in ben ^efi§, ftrittig machen moUte. 2)a§ eine fotd)e Sin«
naf)me prattifc^ fel^r bebentlic^e folgen jeitigen mü|te, bebarf feiner
näheren 3tu§fül^rung. |)ier genügt e§, ben logifc^en aBiberfpru^,
ber in biefer 2lnna^me enthalten ift, aufjubeden. Sie bringt ben
Segriff ber 93er^ei§ung um feinen eigentlid^en ^n^att, behauptet
eine 93er^ei§ung, bie bo^ feine 93ert)ei^ung ift. 2)a§ ift eine ab==
furbe 9Inna^me. 2lttt)au§ fann fie an6) ernft^aft nic^t üertreten.
2)enn er mugte ja bie fides generalis in^aIt§DolIer befc^reiben,
al§ e§ feiner eigentli^en Jenbenj nac^ gefc^e^en burfte. S)arum
fotl auc^ ber SBßiberfpruc^, ber mit 2ltt^au§' urfprüngli^er 2:t)efe
üon ber fides generalis gegeben ift, ^ier nid)t befonber§ f)erau§i
gehoben werben, menn er auc^ nic^t unermät)nt bleiben burfte.
3Bot)I aber mu§ man barauf nac^brüdlic^ aufmerffam machen,
ha^ an^ ben 33emertungen biefe§ 2lbfd)nitte§ bie Unf)altbarfeit ber
Uuterfc^eibung einer fides generalis unb specialis fid^ ergibt.
"Sflan barf aber noc^ auf eine weitere ©c^mierigfeit bie 2luf*
merffamfeit f)in(enfen. 2)a§ $eiI§mort übte, wie 2l(tl^au§ jugeben
mu^te, gemiffe $eil§n)irfungen au§ ; unb menn e§ aud^ nac^ 2ltt*
f)au$ nur oortäufige SlBirfungen waren, fo waren e§ boc^ ^eil§*
wirfungen. S)a erl^ebt fic^ aber benn bie J^age, warum biefe
SBirfung nur eine oortäufige, feine befinitioe ift. 3Wan tonnte
baran benfen, ba§ ber aJlenfd) felbft e§ üerfc^ulbet, ba§ bie uoUc
SBirfung ausbleibt. ®ag wäre an fid) eine mögliche 2lnnal^me;
aber fie wiberftrcbt bem 3wfammenf)ang, in bem wir un§ befin-
ben. ®inmal würbe gauj ba^fetbe na^ 3Iltt)au^' ^rämiffen aud^
Don ber Saufe gelten. 'J)enn eine unwiberftet)lic^e SBirfung ber
Jaufe, bie oon SJertretem ber neulutf)erifc^en J^eorie behauptet
würbe, leugnet 3lltt)au§. Slnbererfeit^ fe^lt bem 93ert)atten be§
Ü)len]d)en gegenüber bem ^^eit^wort ^ier ba§ SWerfmal be§ SOBiber-
flreben§. @r will ja nid)t SBiberftanb leiftcn, fonbern wiHig auf
ba^ angebotene .^eil eingeben. Streben uac^ bem ^eil, nic^t
Söiberftreben gegen ba§ ^eil ift bie (Signatur be§ bie fides gene-
ralis l)abenbeu 9Jlenfc^en. '^m SJJenfc^en liegt e§ alfo nid)t bc*
8 d) c c I : Xic 3:auflc^rc in b. mobcrncn poptitj., lut^cr. Dogmatil. 359
grünbct, wenn bic SBirfung nur eine oorläupgc ift. 2)ann tonn
man nur bic Urfac^c im SBort [uc^cn. 2)a§ ber 9Kenfc^ uor bcm
SBoüjug ber 2:aufe c§ nic^t weiter bringt aU bi$ jur fides gene-
ralis, mü^te auf ba§ ^eil§* unb SBerf)ei§ung§mort jurüdgefü^rt
merben, ba§ feiner Statur nad) fo geartet [ein mü§te, ba§ c§ x>oü^
ftänbige SBirfungen aud) unter ben günftigften Umftdnben nic^t
au^juüben imftanbe ift. 3)a§ biefe 2Infc^auung ft^ roebcr auf bie
©c^rift noc^ auf bie 2:i^eotogie ber ^Reformatoren unb altpro*
teftantifc^en SBäter ftü^en fönntc, ift eoibent. 3)ic altprote^
ftantifc^c S:t)eologie roei^ oon einer nur burc^ baS SBort iDoVi--
jogcnen Söiebergeburt unb 93cfef)rung ; unb fie mei^ in i^rer S)og'
mati! baoon ju fpred)en, weit fie ben einfad)en SBortlaut ber ©c^rift,
infonberf)eit oon ©teücn mie 9lm 10, 17 unb I ^etr 1,23 in
bem näc^ftliegcnben SSerftönbni^ gelten lä^t. 2)a§ bamit für
bie bogmatifc^e ^Rechtfertigung ber Saufe al§ eine§ befonberen
@atrament§ eine crux auftauchte, bie um fo unangenel^mer mürbe,
a(§ man in ber ^olemit gegen bie reformierte S^eologie mit ber
Slnerfennung ber fetigmacf)enben Sraft be§ 2Bort§ ber reformierten
©aframent^auffaffung SBorf^ub Iciften ju fönnen fc^ien, ba§ atfo
mit biefem bogmatifc^en Urteil über bie ^eil^bebeutung be§ 9Bort§
ber eigenen ©atramentSt^eorie fein guter 2)ienft ermiefen mürbe,
ba§ tonnte bie attprotcftantifcI)e Ort^obofie nid)t abgalten, ber
6rfenntni§ fiut^er§, bie jugleic^ eine 6rfcnntni§ ^^ßauli mar, un*
bcbingt 9laum ju geben, "^üx 2lct. 10 mu& auc^ 2llt^au§ mit
©remcr eine 2lu§na^me jugeben. greilicl) fucl)t er, wie auc^ Sremer
unb 0. b. Jrendt, bie Sragmeite biefer 2Iu§na^me möglic^ft eng
JU begrenjen. ®§ foHtc bem 2lpoftel ^etru§ gejeigt merben, ba§
ani) Reiben, ol^ne erft 3fraeliten ju merben, am ^eit ®otte$ 21n*
teil erlangen fönnten. S)ic Äorneliu^eraö^lung foU alfo eine
^^Jarallete jur ^fingftgefc^ic^te merben. 3Iber biefe biblifd^^ttieo*
logifc^e ©rt'Iärung bürfte rocnig befriebigen. ©ie mac^t ben Äampf,
ben '^aulu§ ju führen ^atte, unuerftänbli^. Silber e§ foUen ^ier
nid)t ausigefü^rte biblif^=t^eologifci^e (Erörterungen gegeben merben,
jumal fie nic^t unbebingt nötig finb. Sine Unterfud)ung ber (gr^
övtcrungen Sllt^aus' auf ibren fgftematifclicn @e^a(t l)in ift au§*
rcic^enb. 3lu^ ber üon il)m ftatuiertcn aiu^nat)mc erbeut, ba^
860 @ d^ c e I : S)ic $auf(c{)re in b. mobcrncn pofitiüv lut^er. ^ogmotif.
bem SBBort bic bcfc^ränfte ^cbeutung, bie um ha^ SJor^onbenfcin
bto§ ber fides generalis ju crflären, i^m crfc^loffcn iDcrben mu§tc,
an fid) nid}t eignen fann. SBenn nun ober roebev im SJlenf^eu
noc^ im SBort ein jureic^cnber ®runb gefunben werben fann, fo
fte^t man vox einem SRätfel, beffen man fid^ nur permittel^ ber
bereits in ber altort^oboyen S^aufte^re gebotenen SluSfunft ent^
lebigen !önnte, ba^ e§ ber nid^t meiter auf feine 2lbfid)t \)'m in
©rmägung ju jiel^enbc SDBille ©otteS, alfo ber SBiütürmiüe @otte§
fei, bem biefe ungleiche SBirtung }ugefd)rieben werben muffe.
®ann aber erfd)üttcrt man erft rec^t bic 3ut)erfici^t auf bie Üraft
feinet SBorte§.
2l(t^au§ barf um fo weniger biefen 3tu§meg betreten, aU eS
feine Ueberjeugung ift, ba§ immer baS geprebigte 2öort ber ge^
orbnete SBeg fei, auf bem ber ®eift ©otteS ben aWenfc^en jum
©tauben fül^rt. 2)iefe Ueberjeugung uertritt er ja befonberS ftarf
in ber 2lu§einanberfe§ung mit ben neueren SBerfuc^en, bem ©afra*
ment ber laufe ctmaS „Spejififd)c§" ju mnbijieren. S^nen gegen*
über gibt er ben alten 3)ogmatifern Stecht, wenn fie bie ©in^eit
ber im äBort unb ©aframent befd^toffenen ^eili^gabe prinjipielt
geltenb mad^ten. 2llle 93eranftaltungen jur ©rlöfung tragen hen
ganjen ^eilSin^alt ooU unb ungeteilt in fid)^). ^rebigt unb 2^aufe
get)ören alfo jufammen. ®§ wirb in ber 2^aufe nic^t burc^ eine
munberbare 9KacI)tn)irtung bc§ ^eiligen ©eifte§ ber ©laube einge*
flö^t, abgefe^en oom SDBort, fonbern immer ift cS ba§ SBort, ba8
bie SBirfung ausübt 2). 5)em SBort eignet alfo nac^ 2llt^au8'
eigener Ueberjeugung, prinjipietl unb auf ben «^n^att gefe^en,
nic^t jene ^efc^räntung, bie oorauSgefe^t werben mu§te, um ju
oerftel^en, ba^ bie 5Bertünbigung bcS Sßer^ei^ungSworteS nur ben
©rfolg ber fides generalis ju oerjeic^nen ^atte. SBar cS bereits
ein logifc^er SBiberfpruc^, wenn 2lltt)auS ju bem 93er^ei§ungSwort
nur einen oerlangenben ©tauben in 3Jejiet)ung fe^te, fonnte Sllt-
^uS felbft biefe 33orftelIung nid^t burc^fü^ren, fo fommt nun nod^
l^inju, ba§ feine S3eftimmung beS SBortS unb bie Söerfnüpfung
beS alfo beftimmteu SBortS mit ber Saufe als beS eigentlid)en
agens ber Saufe erft red^t bie Ütätfet oergvö^evt unb bie Schwierig*
i) 2llt[)au6 a, a. O. 3- 71. 2) (5bb. e. 304.
© c^ c c l : ^ie $auf(e^rc in b. mobetncn pofitiü., lut^er. ^ogmatif. 361
feiten oermc^rt. ®^riftu§ fann ja nun im SBort nic^t anbev§
gegenwärtig fein al§ in ber Jaufe; eben ber ®^riftu§ unb eben
ba§ Seben, ba§ im SBort un§ na^e fommt, tritt un§ aud) in ber
Jaufe na^e. 3)er ©nabenanerbietung mu§ aber md) 2llt^aus'
eigener Slnna^me bie 3ueignung ber ®nabe folgen'), ©ann mu§
bQ§ SBort bereite bie SBirtung ausüben fönnen, bie von 3I(t^au§
ber 2:aufe jugefc^rieben mirb. ^m 93egriff be§ 9Bort§ ift nid^t^
enthalten, ha^ biefe jueignenbe SBBirfung unmögli^ mad)en fönnte.
2llt^au§ entbedt ober bod^ nod^ einen legten SluSmeg. ^m
SBort finbet bie allgemeine Sßergegenroärtigung beg $eil§ ftatt,
roä^renb bie Jaufe ba« Saframent ber fpejiellen ^eiBjueignung,
ber fpejiellen 2Ipplifation be§ ^eil§ ift. 3lber biefe Unterfc^eibung
^at feinen bogmatif^en 3Bert. ©ie ^ätte e§ nur, wenn man ben
^n^alt beS SBorteS oerallgemeinern bürfte, b. ^. alfo bie 33ebeu=
tung be§ SBort§ entwerten^ mill. 3)a§ liegt gänjtic^ au^er^alb
ber 3tbfic^ten 2llt^au§'. 3)iefe ganje Unterfc^eibung grünbet fic^
alfo nur auf bie menf^lid)'jufällige, burc^gängig üblid)e 2lrt ber
Darbietung. SSon ber g o r m ber Darbietung fann man aber
nic^t bogmatifc^e Urteile über ben SEBert unb bie 93ebeutung
einer ®ad)e abhängig machen. ®ott ift nic^t ein 9Wal allgemein
gegenwärtig, unb ein anbere§ SWal fpejiell gegenwärtig. ®ie
©egenwart (Sottet, oon ber allein bie ^Religion unb barum auc^
bie Dogmatif un^ ju fpre^en erlaubt, ift immer eine wirflid)e,
b. \). alfo eine fpejielle ©egenwart. SDBenn mau bie bogmatifc^e
93ebeutung be§ 3Q3orte§ al§ eine§ ®nabenmittel§ nic^t entwerten
will unb wirflic^ oon einer ©egenwart @otte§ im ^©orte ju
fpred)en wagt — unb 2lltf)au§ wäre wo^l ber le^te, ber bie ©egen-
wart ©ottes; im Sßort bcftritte — bann oerliert bie Unterfd)ei^
bung ber allgemeinen SJergegenwärtigung unb ber fpegieUen Slp--
plifation ben bogmatifc^en äöert, ben i^r 2(ltt)aui§ beilegen will.
9Jlef)r al§ bie ©egenwart ©otte§ fann ber 9Äenfc^ nic^t gewinnen.
2)tan mü^te fonft bie I^eorie oon ber unio mystica substantialis
wieber aufleben laffen. Derartige Slbfic^ten liegen aber 2lltt)au^
fern. Dann oerlievt aber feine Unterfc^eibung jeben bogmatifd)en
^alt. Diefe llnterfc^eibung würbe ja auc^ bereits auf ba^ 9Ser^
1) Q^bt). 3. 70.
362 © d) c c l : ^ic ^auf (e^rc in b. mobcrnen pofitit)., Iutf)cr. ^Jogmotif.
f)ä(tni§ be§ verbum praedicatum jur 9lbfotution jutveffen, unb
alfo bcn fatramcntalcn ©^aratter bcr 3lbfotution begrünbcn. SRan
oern)cd)felt eben bie religionSpfpdjoIogifdjc ^Betrachtung mit ber
bogmatifc^cn.
2)ic (Erörterungen, bic 3(lt^auS bietet, crroedten nun befon^
berc§ ^ntcreffe be^^alb, rocil fie ba§ ©aftroment^motiD beutli^ er*
fennen laffen. 3)ie Jaufe foB üroa§ roirfen, w)a§ ba^ SBort nic^t
wirft. O^nc Saufe gibt e§ feinen perfönlid)en |)eil§glauben ^).
2)a^ ber befonbere 9Jlobu§ be§ 9ta^cbringen§ berfclben res biefen
(Srfotg tiaben foHte, ern)ie§ ftc^ al§ eine bogmatifc^ unhaltbare
93orfteßung. 9Benn tro^bem nur auf grunb ber noDjogenen 2:aufe
pcrfönlic^er $ei(§glaube mög(id) fein foH, fo roirb biefe Slnna^me
nur uerftänblic^, wenn man eine 93erüf)rung oon jenem SWotio
uoraufe^en barf, ba§ in ber attort^obofcn Sauflel^re aU ein fpe^
jififci^ faframentate§ SKotiu un§ entgegentritt. 2I(t]^au§ fönnte
jmar biefe Formulierung al§ unjutreffenb empfinben. 2)enn er
roeift bie bei ben altproteftantifc^en 93ätern un§ begegnenbe Sßor^^
ftetlung, ba§ burc^ bie 2:aufe ein unbefinierte§ quiddam pcrmit«
te(t roerbe, fräftig jurüd. (Sin unbefinierte^ quiddam mirb auc^
in ber Jat nad) 2llt^au§ ni^t burc^ bie 2:aufe übermittelt. ®^
ift ja fraft ber 3^^I^9wng be§ @lauben§ in eine fides generalis
unb specialis genauer umfd)riebcn, n)a§ ben alten 3)ogmatifern
ju umfd)reiben nid)t möglich mar. 2)ie J^aufe wirft eben ben
perfönlic^en ^eiföglaubcn, bic fides specialis. 3lber biefe S)iffe^
renj mit ber alten Ort^obofie ift bod) nic^t eine ®ifferenj be§
9Kotip§. SKan befd)reibt bie SBirfung uerf^ieben; unb ba^ bie
93efc^reibung, bie 9llt^au§ gibt, bcn Sorjug gegenüber berjenigen
ber alten 3)ogmatifcr uerbient, ift jmcifello§. 2lber ba§ SWotiu,
ba§ JU biefer 93efc^reibung anleitet, ift bei beiben boc^ ba^felbc.
@§ foH ber 2^aufe eine SBirfung jugemiefen werben, bie man bem
3Bort allein unb fc^lec^t^in nic^t jujuweifen wagt. 3)eutli^ tritt
bie§ SJlotiD in ber ©rflärung 9llt^au§' an ben Jag, ba& bie Saufe
ben entfc^eibenben SBenbepunft bilbe, an weld)em ber f)eil§Der»
langenbe ©laube in ben ^eit^empfangenbcn übergebe. 2)iefe ®r*
flärung erinnert felir ftarf an bie altbogmatifd)e 2lnfd)auung uon
1) mti)an^ a. a. D. S. 305.
@ d) c e l : ^ic %an^Uf)xt in b. mobcmen pofitio., lut^cr. Dogmatil. 363
ber Infusio fidei ücrmittet§ ber 2:aufe. 9Benn man behaupten
würbe, ba§ 2tltt)Qu$ bicfc 2tnf^QUung roieber eingcfüfirt pttc,
würbe er bic§ gcroig at§ einen unbered^tigten SSorrourf jurücf«
weifen^). 2)enn er ^at grabe in bem ^wfammen^ang, in bem fic^
ba§ foeben angejogene SBort bepnbet, fid^ gegen jebe „ßinflö^ung"
beg ©tauben^ au§gefproc^en, wie er ja auc^ oon magifd)en SBir^
fangen nichts wiffen roiD. 2lber ba§ @aframent§motiD ift bei it)m
boc^ ftär!er, al§ ber $roteft gegen unliebfamc Honfequenjcn be§
@aframcnt§motiD§. SBenn bie Saufe ben SBenbepuntt bilben foU
unb wenn biefer ©a^ bogmatif^e, alfo allgemeingültige, unb nic^t
religion§pfgc^ologifc^e93ebeutung befi^en foß, bann mu§, bogmatifc^
angefe^en, bem Jaufmort eine 9Birfung§fraft eignen, bie bem
©nabenmittcl be§ 3Q3ort§, bogmatif^ angefe^en, nic^t eignen fann.
S)enn fonft fällt bie 93ered)tigung fort, in einer bogmatifc^en Un-
terfu^ung über bie Jaufe ba§ ©aframent ber Saufe aU ben ent*
fd)eibenben SBenbepunft ju betrachten. ^^rinjipieH angefe^en fönnte
weber ba§ üorangcl^enbe noc^ ba§ nad)folgenbe SBort ber ©naben«
oer!ünbigung perfönlid^en ®laubcn erjengen. Ob 2lltl^au§ ben
}ettlid)en SSolljug be§ Saufaft§ al§ ben cntfc^eibenben SBenbepunft
mürbigt, ift au§ ber ^^ffwng be§ ©a^e§ nic^t erftc^tlic^. 6§ roürbc
biefe 2lnna^me natürlid^ ber (Snergie be§ ©a^e§ am beften fic^
anpaffcn. 3)ann freiließ mürbe 2lltt)au§ erft re^t ben SSormurf
einer magifc^en „(Sinflö|ung" be§ @lauben§ unb ber 9lnba^nung
ber altbogmatifc^en SSorftellung ber Infusio fidei fürchten muffen.
2)oc^ bie un§ bereite betannten ©rörterungcn 9lltf)au§' über bie
Saufe al§ ba§ ©aframent ber SDBiebergeburt nötigen ni^t ju biefer
au§ ber ^onfequenj be§ ©a^e§ fid) ergebenben 2lnnal^me. 9kn
mürbe freiließ bie Zueignung be§ $eil^befi^c§ unb ber jur perfön-
liefen ßraft gemorbenc 93efi^ au^einanbcrfaUen. 2)a§ bcfc^löffe
aber in fic^ bie ©efä^rbung be§ faframentalen (Jt)arafler§ ber
Saufe in bem ©inn, wie fic bei äBilbranbt ju bemerfen mar, ober
e§ mü^te eine latente unb ni^t weiter ju erflärenbe SBirfung ber
Saufe poftulicrt werben. 2)ann bcfänbe man fid) aber wieber im
93annfrei§ be^ SJ^agifc^en, ben 2lltt|au§ boc^ grabe permeiben will.
(£§ fet)lt if)m alfo bie 9J}öglid)feit, feinen @a^ mit ber erforber-
1) ^on feiner früheren Schrift fönnte bie§ freilief) !aum gelten.
364 (S c^ c c I : ^ic ^auflcf)re in b. mobcrncn pofitiPv lut^cr. 2)O0motif .
Ud)cti fgftcmatifc^en Älar^eit burdiaufü^rcn. Unb fie fc^lt i^m,
rocil er inncrl^atb feiner Sauft^eorie ein rocit ftärtcreS 93erftänb^
iiisi für ben geiftigen 6t)arattcr be§ S^riftcnlum^ beft|>t, al$ roie
e§ in ber altbogmatifc^en 2:auflcf)rc feinen Slu^brudt finben fonnte.
2l^tet man aber auf baS le^te 3Jlotio, fo finbet man biefelbe
bogmatifc^e Ueberfc^ä^ung be§ JauffafrantentS, bie foroo^I bei
Ouenftebt roie bei ^utter unS begegnet unb bie 2llt^au§ in ber
bort uor^anbenen gormutierung jurüdroeift. ®ie Senbenj, bie
SBirfung be§ Sa!rainent^ uom ©tauben unabhängig ju ftetlen
unb bem Sauffatrament tatfädjUd) einen bogmatifc^ ^ö^eren SBert
jujuujeifen al§ bem ©nabenmittel be^ SBort§, ift unbeftreitbar oor«
l^anben. So lentt biefe mobern pofitioe (Erörterung ber 3:aufle^re,
bie fo ftarfe Äritif an ber aItbogmatifcf)en Jaufte^re üben fonnte,
bod) jurürf JU bem Satrament^motio ber attproteftantifd)en %t)to^
logie. SBort unb ©laube erhalten ni^t bie il^nen gebü^renbe
bogmatifd^e (Stellung, ©o fe^r bie S^eorie 2llt^au§' im SSergleic^
mit ber attort^oboyen, im SJerglei^ befonber§ mit ber neulut^e^
rifc^en 2lnfc^auung ben SJorjug oerbient unb at§ ein roirflid^er
gortfc^ritt bejei^net merben barf, fo nad^brüdlic^ mu^ man boc^
anbererfeitS auf bie Sd^mierigteiten aufmcrffam mad^en, oon benen
au^ biefe S^eorie bebrüdtt wirb, unb auf i^reu 3wfammen^ang
mit ber alten J^eorie in einem entfc^eibenben ^untt.
Qn einer Sejiel^ung aüerbing§ fönnte biefe bogmatifc^e Ueber*
frf)ä§ung be§ JauffaframentS in§ ©egenteil umjufd)lagen bro^en.
Solan fönnte oermuten, ba§ 2ltt^au§ eine bogmatifd)e SRed^tferti*
gung ber Äinbertaufe a(§ be§ ©aframent^ ber SBiebergeburt nic^t
}u geben in ber fiage fei. S)enn bie 2;t)eorie oom Äinberglauben
wirb beanftanbet. Segt man aber bie Slu^fü^rungen ber erften
©d)rift 2ltt^au^' ber 93etrad)tung jugrunbe, fo mürbe man fc^mer*
lic^ oon einer 3)epotenjierung bc§ ©aframent§ fprc^en bürfen.
3)enn t)ier roiü er nod) ba§ aBa^rf)eit§moment be§ ^inberglauben§
^erau^fteüen unb eine ba§ 3^^"^^^ be§ ftinbe^ berü^renbe 3n*
ftucnj @otte§ burc^ ba§ ©aframent tonftatieren. 2)ie in biefer
erften ©c^rift niebergelegte Slnfc^auung mar ju allem anberen e^er
geeignet, a(§ ju einer Sefeitigung be^ „9Wagifc^en" a\x^ ber ©afra^
mentsit^eorie. ^ier infonbert)eit lie^e fid) ber 3ufammenf)ang mit
@ d^ e e ( : ^ic Sauffc^rc in b. mobcmen pofitio., Iutf)cr. 5)ogmatit 365
bcr altboflmatifdjen Safmmcntätticone fonftaticvcn. 2Iber bic (Sr*
flärungcn in ber jrociten ©d)rift über bie 2:aufc liegen e§ boc^
qI^ fraglich erfc^einen, ob SHtl^auS feiner urfprünglic^en ^Option
treu geblieben fei. ©robe im ^inblicf auf bie unmünbigen Kinber
rourbe bie ©inflögung be§ ®Iauben§ beftritten. 3)emnad) tonnte
e§ fc^einen, at§ ob bie Saufe ^ier jum Saframent ber 93erufung
begrabiert fei, bie Stinbertaufe atfo nid^t me^r ba§ ©aframent ber
SBiebergcburt fei. @§ fd)eint mir aber biefe Interpretation nic^t
gegen jeben 3n)eifel gefiebert. Sinen fac^Iid)en Unterfd)ieb jroifc^en
Äinbertaufe unb ®rn)ad)fenentaufe m\l 2ltt^au§ nic^t jugeben.
3)tan bürfte alfo nur fagen, ba§ feine ©rflärungen über bie Saufe,
bie im ^inblidC auf bie ®nüad)fenentaufe erfolgt fmb, eine bog*
matifd)e ^Rechtfertigung ber Äinbertaufe erfc^meren. @^ tonnte
ja nic^t einmal bie fides generalis ben Äinbern jugemiefen luer«
ben. Unb ebenfomenig ift e§ mög(id), oon einer auf grunb ber
Saufe gemirtten fides specialis ju fpred)en. 2)a§ Jlinb ift ja
nod) gar nic^t in bcr Sage, ba§ 333ort aufjune^men. :3m ftrengen
©inn be§ 3D3ort§ tonnte man alfo ben ©a^, ba| bie Saufe ben
entfd)eibenben 3D3enbepuntt bitbe, an bem bie fides generalis jur
fides specialis merbe, auf bie Äinbertaufe nic^t übertragen. 9]un
märe ja freiließ bie Stu^tunft mögü^ — unb oermutlic^ mürbe
aud) 9Ittt)auS biefe 2tu§tunft geben — ba§ ein jeitlic^e§ Q\x^
fammenfatlen be§ Saufuoßjuge§ mit ber 9Birtung be§ perfönli^eu
©tauben^ nic^t geforbert merben bürfe. @oU nun ber Äinber*
taufe nic^t ber ®t)aratter eine§ ®atrament§ ber ffiiebergeburt ge«
nommen merben unb foll bie foeben angejogene ©rtläruug ju
SRec^t befielen, fo märe nur bie 3)eutung mögtid^, bie bereite oben
gegeben mürbe unb bie au§ bem ^Banntrei§ be§ SDlagifd^en nid)t
^iuau^fü^rte. @§ märe aber jugteic^ ber bogmatifc^ notmenbige
3ufamment)ang be§ ®ebcn§ unb ^inne^men^ jerriffen, b. f|. aber,
bie @in^eittid}teit ber Saufmirtung mirb aufgelöft. 3)a§ fafra=
mentale SJlotio ift gerettet, aber gleidjjeitig ift bie bogmatifc^e
9led)tfertigung preisgegeben, ober ber ©runbfa^, ber allein eine
bogmatifc^e 5Re^tfertigung ermöglid}en tonnte. @S muß oon 5Red}t'
fertigung, ©ünbenoergebung unb Söiebergeburt gefprodjeu merben,
ot)nc bag be§ rec^tfertigenben ©laubcuS gebad)t mevbeu barf. 2)ie
366 @ d) c c r : S)ic 2;auflc^rc in b. mobcrncn pofitit)., Cutter. 5)09motif.
Don 3l(tt)au§ tjorgenommcne Umbilbung bcr alten ©ofttin ift
fc^lie^lic^ cbcnforücnig burc^füt)rbav wie bie oon i^m bcfämpftc
„t^cofop^ifd^c" gortbilbung bcr alten fie^re, mit ber fie ba§ ©afra»
nient^motio, wenn aud) in anbetet Slbftufung, teilt.
9loc^ beutlid)et tteten in ben 9tn§fü^tungen ©temetS bie
©c^roietigfciten an ben 3:ag. ®§ ift feinen ©rflätungen jufolgc
falfc^, wenn man ben S3eft§ be§ ^cit§ nut nebenbei an bie Saufe,
in SBitflic^feit an ben ®lauben binbet'), ©tcmet räumt allet-
bing§ ein, ba^ bie S^aufe in „unlöflic^em 3uiömmen^ang" mit
bem SOBott be5 ^eit§ fte^t: abzx bie§ SBort mecft hod) nut $eil§*
oettangen. S)er 2:on liegt auf bem „nut". 2)enn ba§ ^eit^oet*
langen ift etft b e t ©laube, bet bie 3}etgebung ^at, nic^t bet
ganje ©laube, fonbetn etft bet 2(nfang. ©temet untctfc^eibet
batum ebenfalls ben ©lauben, bet bet Jaufe ootange^t oon bem
®lauben, ben bie 2:aufe mitft. gut bie 3ueignung bet @nabe
^at ®^tiftu§ ba§ ©aftament htt 2:aufe angeotbnet *), beten fa«
ttamenta(e§ SBefen in bet SSetbinbung oon Sinnbilb unb SBitf*
lid)feit befielt ^). 3»"i>«nt jum SBott bet SBettünbigung bie 2:aufe
^injufommt, l)aben mit an unfetet Saufe bie SJetgebung unfetet
Sünbe. SWan t)at oon feinem ©tauben nic^t^ ot)ne bie Saufe *). „®§
gibt tatfäci)lic^ feinen anbeten SCBeg jur Sitc^e @otte§ ^injugetan §u
metben, al^ butc^ bie Saufe. 9Jlan fann fic^ noc^ fo piele jutteffenbe
©ebanfen ma^en übet @ott unb (J^tiftu§, übet ba^ ^eil in ®^tiftu§
unb üb^v \x\\§, bie ©ünbet, füt bie e^ ba ift — babutc^ ift man nod)
fein (S^tift. 3Jlan fann ba§ aud) ©lauben nennen, menn man mill,
ja man fann bieUebetjeugung ^aben, ha^ ha^
alle^auc^fütun^, fütmid) \)a ift — laff c id^ mic^
nid)t taufen, fo bin ic^ no^ fein S^tift, fein ju ©naben ange*
nommeue^ ftiub @otte§, mie 'iJJaulu^ etft babutc^ ein S^tift routbe,
ha^ et tat, ma^ i^m 2lnania§ fagte" ^). „9tut butc^ bie Saufe
mitb mau ein ®^tift, nut butd) bie Saufe fommt man in ben
Sefx^ bet SJetgebung bet ©ünben, nut butd) bie Saufe alfo in
ben 33efi^ bet 9tec^tfettigung^guabe" ^).
Klatet fann ba§ ^JÄotiü, mit beffen ftouftatietuug mit bie
1) O^remer a- a. O. @. 25. 2i (Sbb. S. 89. 3) (Sbb. S. 34.
4) ®bb. <3. 95. 5) ©bb. 8. 148. 6) ©bb. <B. 149.
@ (^ c e I : ^ic $oufIcf)re in b. mobcrncn pofitiOv lut^cr. ^ogmatif. 367
Sarftcttung ber 2:auflc]^rc 2llt^au§' fd)Io[fcn, nic^t jum Slusibrucf
gebracht roerbcn. 3)a§ ec^t lut^crif^e ©aframcnt^motio feiert ^ier
einen Sriump^, ben e§ in ber oltort^obojen Sc^re in biefem Um*
fang nid)t feiern burfte. Sergebeng fuc^t man bei ben altprote*
ftantifc^en 2:t)eotogen eine berartige bogmatifc^e 93etonung be§
2:auffatrament5. 9Kan fragt gefpamit, wie ©rcmer, ber bod^
©c^riftt^eologe fein roiü, biefe J^efe begrünbct. 2)ie 9lntn)ort,
bie man erhält, lä^t einen gefc^Ioffenen unb fieberen bogmatifd)en
Seroeiö uermiffen; fc^Iie^Iid^ trägt bie J^eorie ein formaler 33i*
bUji§mu§, ber feinen ma^gebenben ^n^alt Dom atttut^erifd)en ©a-
fvamentSmotit) ^er geminnt.
3luf bie Unterfc^eibung be§ ber Saufe oorange^enben unb
be§ i^r nac^fotgenben ®(auben§ braucht ^ier nid^t mieber einge^
gangen ju werben. SBaö in biefer öejie^ung gegen 3lltl)au§ ge*
fagt mar, gilt aud) gegen ©remer. SBo^l aber mu§ barauf ^in=
gemiefen werben, ba§ (Jremer oon einer SBirffamteit be§ 3D3orte§
fpric^t, bie fic^ mit feinen befinitioen 2lu§fül^rungen über bie bog^
matifc^c 93ebeutung ber 2:aufe nid)t verträgt. SWan fönnte fc^on
baran benfen, baß Sremer bereits im $inblid auf bie @d)rift
fic^ genötigt fie^t, feine 2:f)efe einjufc^ränten. ®enn angeficl)t§
ber ©rjä^Iung Don ÄorneliuS muß ©remer gefielen, baß bie
Saufe be§ ÄorneliuS weniger gab, al§ fonft bie Saufe ^). grei*
lic^ Derfuc^t ©remer fel^r balb biefem Swfl^ftäJibniS burc^ fräftige
Simitierung jebe meitertragenbe Sonfequenj ju nehmen. 2)ie Saufe
be§ ßornetiuS wirb aU 3tu§nat)mcfatl gemürbigt. Ob biefe ©r-
{(ärung ejegetifc^ richtig ift, mag bal^ingeftellt bleiben, ©tatt
beffen ift i^r bogmatifc^er ®et)alt ju prüfen. 3)a ergibt fid^ benu,
wenn man fi^ auf ben Soben ber ©rtlärungen ©remerS fteüt,
baß bie bogmatifc^e 93emei§ffl^rung gefä^rbet wirb. 2)enn ber
bogmatifd^e öemeiS bulbet feine 2luSna^men ober Süden. ®r
fteöit ja bie notroenbigen 93cbingungen feft, bie gelten muffen,
wenn oon bem ^eiBmert eine§ DbjettS gefproc^en werben foU.
3)arf man aber mit SRe^t oon einer 2luSnat)me fpred^en, fo muß
man auf einen in ber ©ac^c felbft liegcnben ^eweiö oerjid)ten
unb ftatt beffen ben autoritären ©d)riftbewei§ wieber intt)roni^
1) ©remer a. a. D. @. 107.
368 © d) c e I: ^ic 2:auf(cörc in b. mobcrncn pofitiov tut^cr. ^ogmott!.
ficren. SJlan gibt alfo nic^t mci^v einen bogmatifdjen, fonbern
einen bibtijiftifc^en 53en)ei§, gegen ben auc^ ©remer feine roirt*
tirf)en Seb.enfen f)aben roürbe'). 333ill man abev eine bogmatifc^e
9tec^tfertigung geben — unb ©remer felbft roitl baranf boc^ nic^t
oerji^ten ; benn er fragt nic^t blo^, ma^ fc^riftgemä^ ift, fonbern
aud^, roa^ glauben^gemä^ ift ^) — fo ertjeDt, ba^ jene 9lu§na^me,
bie ©remer ftatuiert, nid)t jur Ätärung ber Sai^e beiträgt, oie(*
mel^r bie bogmatifc^e ^en)ei§füt)rung nnr erfc^roert. Qa ©remer
Iä§t e§ auffälliger ffieife bei biefer einen 3tu§nai^me nic^t fein
33en)enben ^aben. 3)enn er gibt an einer frül^eren ©teile feiner
Schrift }u, ba§ burc^ „fonberlic^e SBeranftaltungen @otte§ einmal
einer ol)ne Saufe 6t)rift werben tann, ber nid)t blo§ fo l^ei^t,
fonbern ber auc^ ift, n)a§ er ^ei^t, ein begnabigter ©ünber"^).
2lct. 10, 44 bemeift bie 9nöglid)feit eine§ foldjen %am. @§ ift
bann aber bie 2lct. 10 beri^tete ©efc^ic^tc nic^t me^r ein ^eil§*
öfonomifc^ ju oerftef)enber 9lu§na^mefall, fonbern ein 2ln^alte*
punft für immer erneut ju ftatuierenbe 2tu§na^men. 3)er Äor^
neliu^erjä^lung mirb alfo ein weiterer ©pielraum gemäf)rt, al§
bie Don ©remer felbft gegebene ©yegefe julä^t. Unb mit biefer
33ermet|rung§möglic^teit ber 3lu§na^me mirb erft rec^t bie bog^
matifc^e 9ied)tferligung ber 2:aufe, mie fie Sremer beabfic^tigt,
gefä^rbet. 2)enn je^t ift au^ abgefe^en oon ber Saufe ber @r^
folg möglid^, ben ©remer am ©c^lu§ feiner ©c^rift au§brücflic^
ber Saufe oinbijierte.
2lber aud) wenn man oon einer SSermertung biefe§ oon
©remer notgebrungen gemad^ten 3wgeftänbniffe§ abfegen mill,
barf boc^ behauptet merben, ba§ er ba§ ©nabenmittel be§ 9Bort§
in einer SBeife befd^reibt, bie mit feinen ©rtlärungen über bie
Saufe ftc^ nicl)t gut oerträgt. ^n bem 3Ibfd^nitt, ber ber SBirf^
famteit be§ ^eiligen ®eifte§ gemibmet ift, mirb ber ©ebanfe ent*
midelt, ba§ mer jemals glauben gelernt t)at, feinen ®lauben ber
SSirtfamfeit be§ ^eiligen ®eifte§ oerbanft. 2Bo aber ber ^eilige
@eift ben ®lauben mirfe, ber ba fage: „mir ift 93arm^er}igteit
miberfa^ren", ba ftel^e smifc^en i^m unb benen, bie ba glauben,
nid)t^ met)r. 'iJiun l^aben aber @otte^ S)iener unb ^Soten bejeugt,
1) (5bb. 3. 121. 2) {§:bt>. 3) Cremet a. a. D. ©. 32.
S c^ e e I : S)ie a:auf Ic^re in b. mobcrnen pofitiOv lut^er. Xogmotit 369
roa§ Toir glauben foUcn unb bürfen. „®§ bleibt immer ba^fclbc
unb n)irb immer auf^ neue erlebt, unb barum ift ®otte§ SBort
unb i^eitiger ®eift an einanber gebunben. ©in ^erj, roetc^e§ ba§
3Q3ort aufnimmt, inbcm e§ in traft be§ f)eiligen ®eifte§ glauben
lernt, ba§ nimmt mit bem SBBorte ben t)eiligen
©eift auf unb mit bem f)eiligcn ©eift ben 9Sater
unb ben So^n'), foba^ e§ fagen fann, i^ f)abc it)n, ic^ f)abt
ben Sater, ic^ i)abt meinen ^crm 6t)riftu§" ^). 2Wan barf ben
t)ier üon ©rcmer üertretenen ©ebanfengang a!jcptieren, begreift
aber nid)t, mie er fic^ mit bem 2:aufmotio ®remer§ jmanglo^
oereinigen (ä§t. ®a§ ©nabenmittel, bem ©remer f)icr bie foeben
befd)riebenen SBirfungen jumeift, ift ba§ SBort fd^(ecl)t^in. ®§
mirb nic^t auf ba§ Saufmort rebujiert; nid)t§ beutet eine fotc^e
9tebuttion an, bie oielmetir au^gefc^loffen ift. 2)cnn mag mir
glauben bürfen, ^aben bie 2)iener @otte§ bejeugt. Unb mit biefem
uermöge be5 ®eifte§ fräftigen 3Q3orte nimmt man ®ott auf, ^at
man ben |)cil§glauben. 2)ann begibt fic^ ©remer be§ bogmati*
fd)en 9lec^t^ ju einem ©a^e mie bem, ba^ unfer ®laubc nichts
ift o^nc bie 2:aufe. SBenn ©remer mirfli^, maS nid)t bejmeifelt
merben fann, bogmatifc^ unb nid)t re(igion§pfg^ologifd) gemeinte
©rmägungcn aufteilt, fo ^at er mit biefen 2lu§fül|rungen über
ba§ SGBort feine 2:f)eoric umgeflogen. Sine fc^einbare ^Rettung
märe nur möglich, menn er t>a^ Söort im ©inne ber allgemeinen
®nabenoerfünbigung oerftanben miffen mollte. 3)ann mü^te aber
nid)t nur ber Slac^fa^ geänbert merben, man mügte bann auc^
fofort gegen biefe J^eorie oon ber allgemeinen ©egenmart ®otte§
im äBort ben ©inmaub crt)cben, ber gegen 3Ilt^au§ gettenb ge*
mac^t mürbe. SSäre e§ aber bie 3lbfic^t ©rcmcr^, biefe bogma*
tif(^e ©ntmicflung über bie ^eitsbebeutung bc§ 2öort§ mit feinen
fpäteren 2lu^fül)rungen über bie Jaufe bergeftalt ju ^armonifieren,
ba§ auf ba§ 2aufmort eyemplifijiert mürbe, fo mü^te eine folc^e
|)armonifierung nic^t blo^ an bem äßortlaut ber t)ier gebotenen
Formulierung fc^eitern, fonbern auc^ baran, ha^ nun bod^ ba§
^^ßroblem be^ allgemeinen Ser^eißung^mort^ mieber auftaucht, ol)ne
einer befriebigenben Söfung entgegen gebracht merben ju fönnen.
1) SBon ©vcmcr gefperrt. 2) 3(. a. D- S. 75.
3citfc^nft für X^toloöie unb St\x<i}c. 16. ^«^^3., 4. ^cft. 26
370 <S d^ c e I : %\t 2:auf (e^rc in b. mobcrnen pofitip., lut^er. S)ogmatif.
6§ bleibt olfo bcr SBibcrfprud^ befielen. ®ic eigenen 3)arbie*
tungen (Jremer^ ert)cbcn fic^ gegen feine Sanfteste, ber alfo bie
innere fa^li^e unb notroenbige 93egrünbung fe^tt.
©rft red)t Raufen fid) bie ©c^roierigfeiten, loenn man ber
Don ©remcr oerfu^tcn bogmatifc^en SRed^tfertigung ber Äinber«
taufe nac^ge^t. ®r uerlä§t nie ben ©runbfa^, ba§ unfere heutige
^inbertaufe mit ber ntl. Saufe ibentifc^ ift unb ibentifd^ fein m\x%
um überhaupt Saufe ju fein. @ine Slnmartf^aft auf bie ©nabcn^
gäbe barf nic^t behauptet merben. Qn @otte§ ^anbeln ift über^
^aupt nid)t ju fc^eiben jroifc^en Slnmartfc^aft unb ©abe^. 3ln«
bererfeit^ fann man nic^t ^oc^ genug Dom ©tauben beuten. 3)urc^
ben ©lauben \)at man alle§, ma§ @ott für un§ ift unb ^at ^).
©taube mu^ jur Saufe ^injufommen, bamit man ^ält, xoa^ un§
gegeben ift^). 3)a§ fönnte mieber auf bie Sf)eorie nom Kinber^
glauben ^infü^rcn.
©remer roill in ber Sat nid^t über ba§ SBort üom ©tauben
ber Kinber fo abfpred)enb geurteilt roiffen, mie e§ üielfad^ ge*
fd)e^e^). 3mmer oom „bemühten" ©tauben al§ ber Sebingung
für ben ©mpfang ber ©nabe au rcben, fei ein üer^ängni^Dotlcr
^[rrtum^). Sei 2ltt^au§ mar in feiner fpäteren ©c^rift eine
folc^e ©rftärung nid)t ju finbcn. 93ei ©rcmer überraf^t fie me*
niger, at§ fie bei 3lttt)au§ überraf^en mürbe. S)enn ©remer
i^atte ja, roie früher gejeigt, ben fotcriologifd^en S^aratter ber
äBiebergeburt weniger entfc^ieben burc^gefüf)rt at§ 9llt^au§. ©8
mü§te nun au§ bem ^roteft ®remer§ gegen ben bemühten ©tau«
Un ber jeittic^e Sufo^^^^^^^öng oon ©taube unb Saufe gefolgert
merben. 2)arauf fd^eint ©remer e§ auc^ abgefe^cn ju ^aben.
©Ott begnabigt un§ mit feinem SBort. ©ein Segnabigung§mort
fotl ben ©tauben in un§ mirten unb mirtt i^n fo, ba§ mir oon
1) ©rcmcr a. a. O. @. 117. 2) @bb. @ 119.
3) (Bbb. @. 131.
4) (S^remcr a. a. D. @. 123.
5) ®bb. ©. 128. Sßgl. @. 131: ,M ift nid)t blofj ein ücr^ängnigDOÜer,
nein, e§ ift ein gcfäl^rlid^et, ein fcelengcfdl)rlidf)er Irrtum, ben »iele üer=
treten, meiere gegenmärtig gegen bie ^inbertaufe rcbcn unb (^reiben, ber
Irrtum »on bem einzig mcrtootten fogcnannten beraubten ©lauben"
8 c^ e e ( : Xie ^aufle^re in b. mobemen pofttiov lut^er. ^ogmotit B71
ha ab un§ nur rockten f önnen gegen unfer ^cil unb ®otte§ Siebe,
wenn wir nic^t glauben rooBen'). ®urc^ unfere ©egnabigung
wirft er ben ©tauben. ®a§ ift „nic^t fo gemeint, ba& barum
^egnabigung unb @(aube iDeit, meit auSeinanberliegen fönnten,
ober ba§ 93egnabigung unb ®Iaube al§ jroei oerfc^iebene Sßir«
fungen @otte§ oon einanber unterfc^ieben unb getrennt werben
tonnten. @ott wirft ben ©tauben baburc^, ba§ er un8 im @oan*
getium feine ©nabc .... oerfünbigt, .... welche gibt , fobalb
fein aBort un§ erreid^t" ^). Söo barum ©Ott feine ©nabe inS
^erj fenft, ba wirft er bamit ben ©lauben, unb fo bewirft er
aucft im Kinbe, wenn anber§ bic Sinbertaufe Saufe ift, ben ©lau^
ben^). 2)amit fc^eint ©remer bie altbogmatif^e 2:^eorie üom
^inberglauben, bie r>. b. 2:rencf at§ petitio principii bejeic^net
l)atte, bie 2l(t^au§ in feiner fpäteren Schrift abgelehnt ^atte, weit
fie jur 93orftettung einer magifd^en „©inftö^ung" beS ©tauben§
fül^ren mü&te, wirftid^ ernft^aft ücrtreten ju wotlen. SKan ift ju
biefcr SKnna^me um fo e^er geneigt, al§ er 53egnabigung unb
©taube nid^t aU jwei oerfc^iebene Söirfungen ©otte§ angefe^en
wiffen witl. 2)ann aber fönnte man i^m ben 93orwurf nic^t er*
fpareu, ba§ feine bogmatifc^e ^Rechtfertigung ber Kinbertaufe bie
aSorftettung oon ber Infusio fidei nid^t legitim jurüdtweifen fönnte.
Um bie 2:aufe nid^t in ein Saframent ber Berufung umwanbetn
JU muffen, um i^r ben ntt. ^fn^att wahren ju fönnen, beträte er
einen 2Beg, ber ben t)on i^m fetbft anerfannten ©runbfa^, ba§
unfere ©emeinfc^aft mit ©Ott geiftige ©emeinfc^aft, ^erfonge*
meinfd^aft unb unfer ©taube ein 9Ser^atten be§ SöiO[en§ fei, nic^t
me^r gebül^renb berüdtfic^tigen fann.
©0 fet)r aber auc^ bie ©nergie biefer Slu^fü^rungen ©remerS
in bie 93a]^n ber alttut^erifd^en I^eorie einjulcnfen bemüht ift,
fo wenig barf man boc^ ©remerS 2:^efe oom Sinbergtauben mit
ber atttutt)erifd)en ibentifijieren. ®enn oon einem unbewußten
©tauben witt er tro^ feinet ^rotefte§ gegen ben bewußten ©tau^
ben boc^ nict)t§ wiffen. ^Sewußter ©taube ift überatl, wo ©taube
ift *). 2)er ©taube fott wac^fen, nic^t aber auö unbewußtem ©tauben
1) @bb. 3. 125. 2) (5bb. @. 126. 3) @bb.
4) Gremer a. a. D. S. 128.
26*
372 @ d^ e c I : %k 2:auf(c^rc in b. mobcmen pofitb., lut^cr. ^ogmatif .
ju beiüu^tem ©laubcn werben ^). ©remer crflärt fclbft, fi^ ni^t
auf bie 2lnnat)mc früherer Qzitzn üom Sinberglauben jurücf jicl^en
ju raoKen. 3Jlan fönntc in biefen Slcu^crungen einen nid^t gu
löfenben aBiberfpruc^ mit bcn 2reu^erun9en erbliden, auf bic ju^
erft aufmcrffam gemad^t rourbe.
©ie fielen aber boc^ nic^t ganj unüermittelt neben einanber.
©remer fennt, wenn er oom Äinberglauben rebet, in bcr %ai nur
einen beraubten ßinbergtauben. 3)ie Satfac^e unfere§ Äinbcr^
glaubend liegt fo roeit jurüd, wie unfer 93en)u^tfein ^). 2Kan
barf fogar bem ^roteft ©remerö gegen ben beroufeten ©tauben
ein gen)iffe§ 9Jla§ t)on S3ered^tigung nid^t abfpred)en. SJÖenn
©rcmer fragt, ob ber Olaube üieHeid^t fein ©taube war, ber noc^
nid^t „ootlfommen" war ober ber noc^ nic^t bie ganje 3uoerfid^t
be^ ©tauben^ ermeffen tonnte, fo ent^ätt biefe gragc ein ric^tige§
ajlotiü. Quantitatioe 3)ifferenjen peränbern nic^t ba§ Siöefen be§
@tauben§. 9Bo roirfti^ ©taube t)ort)anben ift, ba barf man mit
©remer, mill anber§ man ni(^t ben geiftigen ®t)arafter be§ ®^ri^
ftentum§ gefä^rben, bewußten ©tauben t)orau§fc^en, ol^ne bie ifloU
loenbigteit eineS 9Ba(^fen§ unb SReifen^ in 2lbrcbc ftetten ju muffen.
©Ott erft ber „bemühte" ©taube, b. t). atfo je^t ber ©taube, ber
atle§ überfielt, atte§ in feinen aSorau§fe^ungen unb gotgerungen
überfct)aut, in feiner Slotmenbigfeit begreift, in feiner ganjen ^raft
unb ^errtid)teit ertebt, ©taube genannt werben bürfen, bann
würbe nid^t nur ben roenigften bie§ ^räbifat jugefc^rieben wer*
ben tonnen, man mürbe aud) bie 5^age aufmerfen muffen, ob e§
unter biefen Umftänben mögti^ fei, jematg ben ©tauben jutref^
fenb }u befct)reiben. 3)enn wo quantitatioe SWa^ftäbe güttig fein
fotlen, wirb man nie eine fidlere 9iorm finben tonnen. 9Wan
märe ja auf bie ©mpirie angeroiefen, bie nie uubebingte SWagftäbe
ju geben in ber Sage ift. 3Jlan mürbe entmeber bei bcn tjöc^ften
3tnfprüd)en nur einen oortäufigen ©renjpunlt finben, olinc bic
©arantic ju Ijaben, ba| man fid) mirtlic^ mit bem gcfunbcnen
jufricben geben bürfc, ober man mü^tc einen fdtjtic^tid) bod^ nur
mitlfürtic^ feftjufe^cnbcn 2)urd)fc^nitt^puntt auffuc^cn, ber grabe
al§ 3)urd)fd)nitt unbrauchbar wirb. S)enn eine 9ieligion wie bie
1) @bb. 2) (^bt>. 8. 132.
@ (i^ c e I : %k 2:auf(c^re in b. mobemen pofitiov (ut^er. 3)ogmati!. 373
c^riftlic^e fann ftc^ nid^t mit ©urc^fd^nitt^ma^äben begnügen.
3n bicfcr 93egrünbung möd^tc id^ mid^ bem ^roteft ®remer§
gegen ben „beraubten" ©tauben anfc^Iie^en, aber bic Folgerungen
©remerS möchte ic^ für unerlaubt lialten. 3)ic ganje foeben ent-
widtcite Betrachtung über ben ©lauben ift religionSpfgd^oIogifd^
orientiert, ^frid^o- unb pifteogenetifd)e ©rroägungen \)abtn aber
al§ foId)e in ber ®ogmatit feinen ^la^. ®enn bie 3)ogmatif
roid bie S3ebingungen be§ ?3egriff§ feftfteüen, nid^t aber bie ton^
trete ©injelgeftattung in ber religiöfen ©mpirie. 3)ie 3)ogmatif
tennt alfo nic^t quantitatio beftimmte, fonbern qualitatio unb nor*
matiü beftimmte Probleme. SBenn barum ©remer gegen ben „be==
raupten" ©tauben fo energifd^ proteftiert, fo ift jroar fein ^ro^
teft, fobalb man if)n ifoliert betrad^tet, bered)tigt. SCBenn aber
©remer au§ biefem ^roteft bogmatifc^e Folgerungen ableitet, fo
mad)t er fic^ eine§ Uebergriff^ in ein anbere§ ®ebiet fct)ulbig,
perquidtt fad^mibrig bie religionSpfgd^oIogifc^e unb pifteogenetifc^e
Unterfud)ung mit ber bogmatifd^en. ©eine Slu^fü^rungen ver-
lieren alfo ben bogmatifc^en SCBert, ben fie boc^ ber SKbftc^t na^
ijabtn foden. ©ie tonnen alfo nic^t bie bogmatifd^c 2:^efc t)om
Rinberglauben ftü^en. ®§ l^aben aber biefe 3lu§fü^rungen ®re*
mer§ offenbar ben Qrozd gehabt, eine irgenbroie pfr)d)ologifd) ge*
artete Serbinbung ^erjufteüen jn)ifd)en ben erften 2lu§fü^ruugen
über ben burrf) bie 2:aufe im Äinbe gemirtten ©tauben unb ben
testen 3lu^f üt)rungen , bie nur bemühten ©tauben anertennen.
3)aran fte^t man benn auc^, ba^ ®remer§ ©tettung jum Äinber-
gtauben nid^t ibentifd^ ift mit ber attbogmatifd^en. 2)enn bic
attbogmatifd^e SKnfc^auung üon ber fides infantilis t)at jum d)a-
rafteriftif^en SKerfmal bie Unterfc^eibung ber fides directa unb
fides refiexa. ©ine fotc^e Unterfd)cibung tegt aber ©remer feinen
2lu^fät)rungen grabe nid^t jugrunbe.
2)arf mau aber bie eben !onftatierte SBermitttung für jurei^
d)enb t)atten? ©c^mertic^; bie SWotioe be§ erften unb be§ jmeiten
©ebantengangeö rocifen nämtid) in eine oerfc^iebene SRid)tung. 2)er
erfte ©ebanfengang fud)te Jaufe unb ©taube mögtic^ft eng mit
cinanbev ju oer!nüpfen, fo eng, ba§ ein }eittid)e§ ^wf^^tt^^^f^^^^"
be§ 2:aufaft§ mit ber ©ntfte^ung best ©lauben§ geforbert fd)ien.
B74 @ c^ c c ( : %k 3;auf Ief)re in b. mobcmen pofitiOv lut^er. ^oflmatif .
^icr entroidettc ©rcmcr feine Sluöfü^rungen o^ne 9iüdftd)t auf
irgenb n)eld)e ^fgc^otogie. 3)er Oebanfe an ba§ ej^ibitioe 2:auf»
faframcnt gab ben ®rörterungen bic JRic^tung. Qm jroeiten @e=
banfengang bagegen ifi biefer @eftc^t§pun!t jurüctgeftellt. ^ier
lä^t ©remer fi^ oom ©tauben beftimmen, ben er tro§ aller 93e*
grenjungen bod^ al§ einen 93en)u§tfeinSoorgang ju befinieren fuc^t.
2)ann befielt aber boc^ jroifd^en ben erften unb ben jroeiten 2lu§=
füfirungen eine Südte, bie unau§gefüttt geblieben ift. Qn ber Äon*
fequenj biefe§ jroeiten ©ebanfenS liegt e§, 2:aufoottjug unb Olau*
ben jeitlid^ oon einanber ju trennen, ßremer ^at biefer Ronfe^
quenj fid) nirf)t entjogen; benn er tennt "S&üe, in benen ber ©laube
erft „lange, lange Qtxt, nac^bem man getauft ift"^), beginnen
fann. Unter biefen Umflänben wäre aber bie bereite erwähnte
2lbtt)e^r ber SKeinung, ba| 33egnabigung unb ©laube „roeit, roeit
au^einanberliegen", ober ^egnabigung unb ©laube aU jroei oer«
fd)iebene 9Birfungen ®otte§ getrennt werben !6nnten ^), illuforifd^
gemacht. ®aran ertennt man, bag in ©remerS 2lu§fü^rungen
über ben J^inberglauben unb bie 2:aufe aWotioe enthalten fmb,
bie gegen einanber arbeiten, ftatt jufammen ju arbeiten. 3)ie oon
©remer felbft gegebene 93ermittelung ermeift fid^ al§ unjureic^enb.
6§ bleibt bann nur noc^ bie 5^age fibrig, ob bie SWotioe
gleid^roertig neben einanber ^erlaufen, ober ob ein SDlotio ba§
Uebergen)id)t erf)alten ^at. ®a§ fiepte ift ber %a\i. ©remer
benft fe^r ^oc^ oom ©tauben. „Slber me^r, oiel me^r noc^ . . .
mu§ man fagen oon ber ©nabe" ^). ©taube ift bemjufotge, ba
ja jur %a\x\z ber ©taube gehört, bort oor^anben, mo bie Öe--
gnabigung eingetreten ift, „aud^ menn er nod) eingefct)toffen ift in
bie Segnabigung, mit ber ber breieinige ©ott un§ fc^on aU Äin«
ber getragen f)at". „3)er ©laube ift fo lange eingefc^toffen in ber
93egnabigung, bi§ er fi^ jeigt, unb er jeigt fic^, roenn ba§ ®r*
fenncn, ba§ 93en)u|tfein fic^ jeigt" *). Qn biefen 2leu§erungen
tritt ba§ eigentliche 3Wotio ber 2:auflet)re ®remer§ mieber an ben
Sag; fie ftimmen jufammen mit ben anfangt abgegebenen ©r--
1) Gremcr a. a. C. ©. 119. 2) (5bb. S. 126.
3) (Eremer a. a. D. @. 119. 4) (Sbb. B. 132.
<5 d& c c ( : %k a:auf Ic^re in b. mobcrncn pofitio., (ut^er. ^ogmatif. 375
flärungcn über bie 2:aufc aU ba§ ©aframcnt ber SCBiebergeburt.
Slbcr fie oerfaßen nun aud^ bem Urteil, ba§ bort au^gcfproc^en
roerbcn mu&te. Stun tann natürlich ber ej^ibitioc ©^araftcr ber
Jaufc behauptet werben, aber auf Orunb einer SBorftclluug, bie
foroo^I bogmatifc^ unhaltbar ift at§ auc^ ©remerS ©a^, ba^ ber
©taube ftct§ beraubter ©laubc ift, paratgfiert. S)er in ber ^e=
gnabigung cingefc^Ioffene ©laube tann gar nic^t üorgeftellt n)er==
ben. ®r ift überhaupt tein ®Iaube. 3)cnn ber ©taube ift ein
33ctt)u|tfein§oorgang. ^ier aber roirb in ber ©lauben^befinition
prinjipiett 2lbftanb genommen oom ^emu^tfcin. 2)er ©taube
wirb feiner pfgd^otogifc^en 2lrt enttteibet unb in ben foterioIogi=
fct)cn 2lft aufgenommen. 3)a§ fmb SBorte, nic^t me^r 3Infrf)au=
ungcn. 9Wan fann fie bem SBcrftänbni^ nur bann nät)er bringen,
wenn man eine 93egnabigung abgefet)cn nom ©tauben t)orau§fe^t,
mie aud^ 2ttlt)au§ eine 9Biebergcburt unb ^Rechtfertigung bct)aupten
mu^te, ot)ne auf ben rec^tfertigenbcn ©tauben 5RüdEfi(^t ju nel)'
mcn. ®remer§ [tariere ^eroor^ebung be§ ©tauben§begriff§ in
ber foteriologifct)en Jaufboftrin füt)rt atfo ju nur noc^ größeren
Sctiroierigfeiten. 9Jlit bem ©a§, ber ben ©tauben in ber 33e*
gnabigung cingefc^toffen fein tä^t, ift bie attortt)obo5e 2:f)eoric
von ber fides directa ebenfo fe^r überboten, mie bie attortf)obore
Jaufte^re bur^ bie ©e^auptung überboten mürbe, ba^ o^nc bie
Saufe perföntid^cr ^eit^gtaube nic^t ejiftieren tonne. 3)iefe Ueber^
bietung ber atten Saufbottrin ift bie d^araftcriftifc^e Spi^e ber
Saufte^re ®remer§. 9lu§ ben ocrfd^iebenen 3Jlotioen feiner Jauf^
Iel)re t)cbt fid) frf)tie^tid) bag ©aframent^motio bcuttid) heraus;.
9Jlan mag bem retigiöfen, pautinif^en ©runbton feiner ©ntmide=
tungen bie Slncrtennung jolten, bie er oerbient; bie 2:t)eotogie ber
©nabe üerteugnet ©remer nirgenbS, unb er mei^ it)r einen mar?
men Jon ju geben. Slber feine ©nabentt)eotogie ift ungtürftic^
oertnüpft mit bem ©atrament^motio unb bem attproteftantifc^en
©d)riftmotio, unb er t)at a\x§ %VLx6)t, ben römifc^en 93erbienftge*
bauten mieber in bie eoangetif^c J^eotogie einjufü^ren, e§ nic^t
oermoc^t, ber ct^ifd)^pft|c^otogifrf)en ^etrad)tung§form bie ©tetlung
einjuräumen, bie i^r oor atlem au§ bogmatifcf)en ©rfinben, bie
Ijier nic^t mieber^ott ju merben braud)en, gebül)rt. 6^ barf bar?
376 © (i^ c c l : ^ie Xauflc^rc in b. mobcrncn pofitio., (ut^cr. ^ogmatif.
um bcv 93erfuc^, ble 2:auf(c^rc in ber von ©rcmer unb Sllt^aus
gegebenen foteriologifd^en S^ffung ju begrünben, al§ gefc^eitert
angefet)cn werben. 9)lan roirb oor Probleme gefiedt, bic ni^t ge^
löft werben fönuen ober bie im Stammen ber coangelifc^en 3)og*
matif nid)t gebulbet werben bürfen.
»77
$0$ $jibtn m^ htm dSoattg^liimt').
Sßon
D. @6eri|arb Sifdier,
^rofeffor Ux X^eologie in »afeX.
®§ ift ein rcic^cg, n)cite§, ja — toic einer ber fantonalen
SRef erentcn *) urteilt — uferlofcS ®cbiet, ba§ unfer Sfiema um*
f erliegt, unb c§ ift oon üom^erein auSgefc^Ioffen, a\x6) nur baS
SCBefentlic^fte, xoa§ f\6) barüber fugen Hege, in ber mir jugemef*
fenen ß^it oorjubringen. Qn einer jiellofen %a\)xt uuf^ unbe*
grenjte SKeer braud)en mir un§ aber buburc^ bennoc^ nic^t per*
führen ju (offen, '^üx unfer ©efc^lec^t enthält pielme^r unfer
J^ema eine ganj beftimmte, fonfrcte ^i^age, bie un§ allen auf ber
Seele brennt. 3)ie grage: fmb mir al§ ©Triften perpflic^tet, nac^
bem ©pangelium ju leben ? Unb ift ein folc^eS Seben möglich in
ber SCBelt, in bie mir geftettt fmb? SBie aber — baS ift ein
3meifel, ber gerabe an ben ©mften, 9tac^benfenben unter ben
©Triften ber ©egenmart nagt — mie aber, menn un§ ba§ ®nan»
gelium ein Seben jeigte, ba§ fic^ in biefer SBelt gar nic^t per*
1) 58ortrag , gehalten am 22. ^luguft bc§ So^reS in 2Iarau bei ber
cinunbf ec^jiöften ^a^re^perf ammlunfl ber fc^meiaerifc^cn reformierten ^re«
bigcrgefeüfciöaft.
2) S)a§ intcreffante 9lefcrat, ba§ ^rof. 2lmoIb 9Kcper in ber
2l§fetifc^en ©efeßfc^aft in S^xid) erftattet ^at unb im 5JerIag pon
3. ©. 93. 2Wobr (^aul Giebccf) peröffentlid^t , ift mir erft mit ben Sior*
refturbogen angegangen unb fonnte be^^alb Pon mir bei ber ^bfaffung
meines 95ortrage§ nid&t benü^t werben. Um fo me^r freue ic^ mic^
über bie Uebereinftimmung an roefentlidjen fünften.
3eitf<^rtft für X^eo(oflte unb Äirc^e. 16. J^^rfl., 5. ^eft. 27
378 35 i f c^ e r : ^a§ ßcben nad& bcm (Snanq^linm.
lüirtlid^cn Iic|c, ober ba§ bod) ftct§ nur oon cinjehten geführt
iDcrbcn fönntc unb fc^on beS^alb bc§ SRcc^teS pcrluftig ginge, aßen
als ^htal üorgc^alten ju werben? 935enn un§ ba§ öeftreben,
@rnft }u machen mit ben gorberungen beS ©oangeliumS, un§ in
allen unfern ^anblungen, in unferm ganjen Seben al§ jünger
^efu JU ben)äf)ren, in unlösbare Äonflifte oerroictelte, unS $um
minbeften nötigte, auf bie SBerroirtlid^ung oon 2luf gaben ju per*
5irf)ten, bie roir al§ unfere SWenfc^enpflic^t erfennen, bie an un§
als ©lieber einer götnilie, eineS SßolfeS, mannigfacher ®emeim
fc^aften herantreten?
®S ift baS teine ^xa^t, bie irgenb ein bem Seben frember
X^eoretifer erfonnen ^dtte. ©ie brängt fic^ gcrabe benen am
meiften auf , bie mitten im ©efc^SftSleben brin fte^en unb feine
Slnforberungen täglich empfinben. Qa mir bürfen fagcn : ©ie ift
bie 5örm, in bcr ber 3"5^if^I ^n ber SBoHtommen^eit beS S^ri*
ftentumS in ber ©egenroart am einleud)tenbften auftritt. Unb Un«
jä^ligen fc^eint eS unmöglich, ftc frö^lic^ ju verneinen, ©o leib
e§ manchen unter i^nen tut, fo glauben fie bod^ ju bem 3w9^'
ftäubniS genötigt ju fein, ba^ niemanb me^r baS ®Dangelium als
9iorm für fein ganjeS Seben betrad^ten tonne, ba§ man ^öc^ftenS
in beftimmten %&Ütx[, auf gemiffen ©ebieten, fo etma im Sßerte^re
mit ben näd^ften g^milienangel^örigen bem Soangelium gemäg
l^anbeln fönne.
aSor einiger Q^xt ^aben ftc^ Ideologen über bie Slbfolutl^eit
beS ©^riftentumS geftritten unb babei bie 5^age erörtert, ob bie
Offenbarung ®otteS in ^efuS S^riftuS jemals fiberboten merben
tonne. Unb mä^renb beibe ©egner barin übereinftimmten , bag
fie bis je^t noc^ nie überboten morben fei, tonnten fte fic^ nur
nic^t barüber einigen, ob bie 9Jlöglid^teit einer Ueberbietung über«
^aupt angenommen merben bürfe ober nid^t. ^m 93ergleic^ mit
unferm Probleme erfd^eint biefe %xaQt als eine afabemifct)e ©treit«
frage oon unenbli^er ^armlofigteit. 3)enn mä^renb bort um
etmaS geftritten mürbe , baS oieHeic^t in ferner 3wtunft einmal
eintreten tonnte, baS aber eigentlict) niemanb für ma^rfc^einlid^
^ielt, Ijanbelt eS fid^ ^ier um bie fd)mere ©orge, ob S^riftuS unS
gegenmdrtigen, je^t tebenben aWenfd^en nod^ meiter ber g^ü^rer fein
$tf4ieT: %cS geben nac^ bem ^angelium. 379
fönne unb bütfe, t)on bem lüir un8 unfere QkU jctgen laffcn bei
ber täglichen 2lrbeit, im Berufe, im prioaten mie im öffentlichen
Seben, ber un^ neuen 2Wut gibt, menn mir angefic^tS ber SCBiber«
ftänbe in un§ unb au^er un§ oerjagen. @§ ift eine 5^age^ neben
ber bie alten ^arteigegenfä^e innerhalb ber c^riftlic^en Sirene un«
bebeutenb crfc^einen. 3)enn nun ^anbelt e§ fic^ nic^t me^r barum,
ob ba§ ®t)riftentum in biefer ober jener gorm feftjut)alten , ob
biefeö ober jene§ @tüd preiSjugeben fei. ^a^ S^riftentum felber,
feine 3WögIic^teit, feine Berechtigung mirb in gragc geftettt. Ober
ha ba§ S^riftentum ein oielbeutiger Begriff ift, unb ba e§ gerabe
^eutjutage beliebt ift, ba§ S^riftentum mit ber ^^rm, in ber e§
ju einer beftimmten Qtxt aufgetreten ift, ju ibentifijieren : e§ ^an*
belt fic^ barum, ob mir auc^ noc^ in ber ©egenmart mit 3efu§
leben fönnen, ob feine 935orte auc^ noc^ für bie ©egenmart bie«
felbe begeiftembe, oerpflid)tenbe unb tröftenbe ®emalt ^aben mie
für frühere 3»Q^vl|unberte , ober ob mir — menn oieÜeic^t auc^
fc^meren ^erjen§ — gefte^en muffen, fobalb mir nur offen unb
e^rlid^ fmb, ba§ unfer ©efc^lec^t fic^ nac^ an bem ©ternen richten
muffe.
1.
aOäir miffen , mie e§ ju biefer g^agc gefommen ift. ®% ift
jebod^ le^rreid^ unb tröftlic^, fic^ bie ©efc^ic^te be§ ^robIem§ in
Erinnerung ju rufen; benn fic jeigt un§, ba§ nic^t bIo& SJBeltfmn
unb Seiben^fc^eu ju jmeifeln begonnen ^aben , fo fe^r aud^ beibe
an ber Jrage, fomie an ber oft aÜjurafc^ gegebenen oerneinenben
2lntmort beteiligt fein mögen.
2lm fd^roffften ^at in ber Oegenmart 5lie^fc^e ba8 5lein
formuliert, e§ at§ Unmöglic^feit bejeic^net, ba§ jemanb jugleic^
S^rift fein unb an allen mobernen Seben§aufgaben teilnehmen fönne.
„Söo^in tam ba§ le^te @efüt)l oon Slnftanb, oon Sichtung oor fic^
felbft, menn unfere Staatsmänner fogar, eine fonft fe^r unbefangene
3lrt SWenfc^ unb Slntic^riften ber S^at burc^ unb burc^, fic^ t)eute noc^
©Triften nennen unb jum 2lbenbmaf)l ge^en? .... Sin gürft an ber
©pi^e feiner ^Regimenter, prac^tootl als StuSbrud ber Selbftfuc^t
unb Selbftüber^ebung feines JBolfeS, — aber o ^ n e jebe ©c^am
27*
380 35 i feiger: %aS 8cbcn noc^ bcm ©oottgelium.
fic^ als ©Triften bcfcnncnb ! . . . 9Bcn oemcint bcnn ba§ ©Triften»
tum? aBa§ ^cigt cö ^aSelt'? 3)a^ man ©olbat, ba| man SRic^*
ter, ba§ man Patriot ifl; ba§ man fid^ mc^rt; ba§ man auf feine
®^re ^ält; ba| man feinen SBorteil miH; ba§ man ftolj ift . . . .
Sfebe ^raftif jebeS 2lugenblicf^, jeber ^»nftinft, jebe jur %at mer^
benbe SBertfc^ä^unq ift ^eute antid^riftlid^: n)a§ für eine SWi^*
geburt üon S^Ifc^^eit mu§ ber moberne SDlenfd^ fein, ba&
er fic^ tro^bem nidjt fc^ämt, S^rift noc^ ju ^ei§en!"
®§ märe iebodi ein Irrtum, mürbe man glauben, bafe aBein
9lie§fc^e, ober bo^ er als eine ber ^aupturfad^en, bie 93eun»
ru^igung innerhalb ber S^riften^eit ^eroorgerufen l^ätte. SBiel*
leicht me^r a(§ je fprict)t ^eutjutage ber ©injelne nur anS, xoaS
Unjä^Iige bemegt, menn fie e§ oieÜeic^t auc^ me^r noc^ empfinben
unb a^nen als Mar erfennen unb auSjufprec^en permögen. Sn
gleicher 3cit mit 5lie^fd)e ocrfünbigt Jlolftoj ba^felbe 3)ogma
üon ber Unüercinbarfeit be§ ®oangeUum§ mit bem Kulturleben
unb ber ®efeflfc^aft§orbnung ber ©egenmart, menn auc^ oom ent^
gegengefe^ten Stanbpunfte aixS. Slber bie Unoerfö^nbarteit ber
mobernen Äulturibeale mit bem ©^riftentum roirb fc^on oon
©traug unb Schopenhauer als felbftoerftänblic^e 9Ba^rt)eit
behauptet.
S33arum ift nun aber bie 5^age pjö^tic^ aurf) in ber c^rift*
liefen Oemeinbe felber brennenb geworben?
9Bir befinben un§ im testen ©tabium eine§ langen ©ntmicf*
Iung§pro}effe§, ber mit bem 9iationali§mu§ anfing, burc^ bie SHe»
ftauration im 2lnfang be§ legten 3fa^rl|unbert§ unterbrod)en mürbe,
nac^^er aber um fo rafc^er fortfc^ritt. ^rre gcmorben an ber
d)rifttid^en ®ogmatif, t)atte man fic^ auf bie rf)riftlid^e ®t^if ju*
rüdgejogen. Ueberbrüffig einer 2luffaffung be§ S^riftentum§, bie
au§ i^m eine Se^re mad}te, moüte man e§ jur Xat merben laffen.
gür manrfie mar e^ ein SRüdjug auf baS S3el)auptbare, eine ^rei§^
gäbe oon ^ofitionen, bie nic^t me^r ju galten fd)icnen. 9lnberer=
feit§ mar e§ bod) aud) Unjä^ligen ju SJlute roie bei einer 2Bie*
berentberfung. Unb mit einer ^inrei^euben Segeifterung unb
einem ©rnfte, ber oor feinen Opfern jurüdfc^eute, machten fie fid)
awS SBert, it)rem ringenben, fuc^enben, fi^ fet)nenben @efct)Ie^te
$if c^et: %c^ Seben nac^ bem QN)angeUum. 381
Sefuö al8 bcn Reifer in allen 9tötcn ju üerfünbigen unb fic^ bei
i^m bic Sofung für bic fojialen Äämpfe bcr ©cgcniüart ju ^olcn.
^e^ntic^ iDte einft nac^ bem brei^igiä^rigen Sleligion^triege be§
17. 3fa^r^unbert§ roodtc man fid^ nad) bem trcnnenben ©trcite
um bie 3)ogmen in ber tätigen Jlac^folge 3»«fu roicber finbcn.
S)er mit neuem ®ifer unternommenen Untcrfuc^ung ber c^riftlid)en,
in^befonberc ber urc^riftlidien @efd)i^te entnahm man bie ©r^»
tenntni^, ba§ man bisher -3cfu§ üiel ju fe^r im Sichte fiut^erö
unb ^aulu§ gefe^en, unb ba§ e§ nun gelte, jum 3efu§ ber @qn*
optifer }urüd(jufe^ren. 91ict)t auf ba^ göttliche äBefen , ba§ oom
^immel ^emicberftieg, um bic Sünben ber üMenfc^^eit ju fü^ncn,
fonbern auf ^e^n^, i>^n %xz\xnb ber Slrmen, Sd)mac^en unb Unter»
brüdten richteten fic^ bie 93lidte, ober — mie man mo^l auc^ fagte
— auf 5efu§, ben fojialen ^Reformator, älflentl^alben mar oon
d^riftUc^^ojial bic SRebe. Unb in 3)eutfd)lanb fam e§ fogar unter
9?aumann§ gw^^^^fl W ©tünbung einer neuen politifc^cn
'^^Jartei, meiere bic ^örberungen bc§ ©oangcliumS nun cnblic^ ein*
mal burdijufc^en bemülit fein follte.
2lber bie Srnüc^terung tam merfmürbig rafc^. Unb oer^
fcl)iebene§ trug baju bei, ba§ man an bem neuen %m\\>t irre
mürbe. SKan crfannte, ba| aud) ber fgnoptifc^e 3efu§ oicl me^r
bie 3^9^ ^^^ bogmatifc^en ®^riftu§bilbe§, oon bem man fic^ lo§*
fagen mollte, trage, al§ man juerft ^attc jugcben moBen. SEBic^*
tiger jeboc^ mar, ha^ gerabe ber ^iftorifc^e Qefu§, ben bic erneute
gemiffcn^afte ©rforfc^ung bc§ Urc^riftcntum§ fanb, bcn bie "^ifan-^
tafle be§ ^aläftina bercifcnben Siebter^ unb ^olitifer§ jeid^netc,
unfer ©cfc^lec^t oietleic^t noc^ frembartiger berührte al§ ber ®^ri*
ftu§ be§ 3)ogma^. SBa§ bie mobcrne gorfc^ung al^ SRefultat i^rer
airbeit barbietet, ba§ ift nic^t me^r bcr rationaliftifc^c SRcnfc^en*
freunb früherer ,Scben 3^efu', ber rebete mie ein aufgetlärter beut*
fc^er ^rofcffor unb fic^ im 3)icnfte bcr ©emeinnü^igteit auf je^rte.
SBir finben einen ^efu^, bcr an ®ämoncn glaubt, ber ba^ na^c
SBcltcnbe crmartet, bcr ftc^ um ^olitif, Äunft unb SCBiffcnfc^aft
unb taufenb anbcrc 3)inge, bie baö fieben be§ mobernen üWenfc^en
auffüllen, nid)t fümmcrt.
Unb angcfic^t^ bicfe§ -Qcfu^bilbe^, ba^ fi^ al§ ba§ ^iftorifd^e
382 $ i f c^ e r : ^ai Seben nac^ bem ©Dangelium.
gab, würbe nun crft rcc^t bie g^agc brennenb, ob Qt\\x^ nod^
weiter unfcr gü^rev fein fönne, burc^ ben wir unferm ^anbeln
bie ^kU jeigen laffcn, bcr ^eilanb, üon bem roir ^ilfc erwarten
bürfen. @§ ift nic^t bcr Unglaube, ber fo fragt, ©eroi^ er auc^.
aiber feine S3ebenten fönnten !einen Sinbrucf mad^en, wenn fie
nid^t im ©laubigen 93unbe§genoffen fanben. 9Bo lebiglic^ Un*
glaube — ic^ meine Unglaube im tiefften ©inne beS SQ3orte§:
3Wi§trauen gegen @inn unb üMa^t ber SBeltleitung, platte @elbft*
jufrieben^eit unb SKangel an S^rfurd^t üor bem ©ro^en unb
liefen — bem Olauben gegenüberfte^t, ba prallen bie ßw^cif^l öu
bem ©lauben ab, mag aud^ bie SJÖeltanfc^auung , bie mit bem
©lauben oerbunben ift, taufenb 2lngriff§punfte bieten. 2lber ge*
rabe im ©lauben felbft te^rt fic^ etwa§ gegen bie gorbe»
rung, bem fo gejeii^neten ^iftorifd)en 3fefu§ na^jufolgen.
®er ©laube an ben lebenbigen (Sott empfinbet e§ aU un=
fromm, eine ©efc^ic^te oon faft jwei ^a^rtaufenben burc^juftrei»
c^en. 2luf ©runb biefer ©ef^ic^te finben wir unS aber atlent*
falben 3luf gaben gegenübergeftetlt, welct)e bie erften ©Triften mit
gutem Steckte oerna^läffigen mochten, an beren Söfung mitjuar«
beiten wir un§ jebod^ oerpflic^tet füllen. ®en erften ®f)riften,
weli^e bie ©eftalt biefer SBelt ba^infc^winben ju fe^en meinten,
fonnte eg beffer unb ©otteg SCBillen angemeffener erfi^einen, ftc^
nic^t mit ben Sorgen ju belaften, welche bie Stellung eineö @^e*
gatten, eine§ §au§oater§, einer ^auSmutter mit fid) bringt. SBir
urteilen umgete^rt, ba§ nur in beftimmten %ä\ltn ber SSerjic^t auf
bie S^e geboten fei, ba§ in ber Siegel aber ber ©^eftanb al§ bie
gottgewollte 3^orm für ba§ 3ufammenleben ber beiben ©efc^lec^ter
ju gelten t)abe. 2B i r ertennen in ben ftaatlic^en Orbnungen bie
^üter wertooUer ©üter unb füllen un§ gebunben, fie ju galten
unb ju oerteibigen. 2Bir glauben, ba| unfer eigene^ fßolt eine
beftimmte SWiffion ^abe, unb fe^en e§ be§f)alb al§ unfere ^fli^t
an, il^m al§ 93ürger, al§ ©eamte, al§ ©olbaten ju bienen.
2Bie aber, wenn O^fw^ fü^ oHe biefe Slufgaben, bie un§ bar»
a\x^ erwac^fen, fein 33erftänbni8 gehabt, wenn er fid^ i^nen gc*
geuüber ablet)nenb oerl^alten ^at? gü^rt un§ bann bie Slnerten*
nung ^efu al§ be§ ^errn unb bie Eingabe an ben göttlict)en 9Bit»
I^i f (^ er: %aS 2tbtn nac^ bem Ch)angelium. 883
Icn, wie toir i^n and) in bcr ©efc^id^te ber ©egcnroart crfcnncn,
titelt in unlösbare Äonflifte?
@o ift bic gragc, ob xoxx auc^ ferner in 3»efn§ unfern %üf)^
rer unb ©rlöfcr fe^en bürfcn, gerabc be§^a(b fo beunru^igcnb,
roeil i^re 93eja^ung un§ oor eine ^fli^tenfodifion ju fteßen fdieint.
SBenn roir nun bie 5^age ju löfen oerfuc^en, fo tun roir e^
nic^t aU 9lpoIogeten. 2Bir fteden un§ nic^t al^ ©Triften, für bie
e§ feine 3tt^^ifcl wnb ©c^roierigfeiten mc^r gibt, ben 9lic^t<^riflen
gegenüber. Söir füllen oielme^r nur attjufe^r, roelc^c cmfte,
fc^roere ©ac^e cS ift um roa^reg, ed^teS ß^riftentum, unb wie fe^r
man fid^ pten xnn% o^ne weiterem bie ©cjeic^nung c^riftlic^ für
ftc^ in SKnfpruc^ ju nehmen unb fic^ baburc^ oon anbern ju un*
terfc^eiben. 9Bir fprcc^en mi)t ate ©lüdtUd^e, bie im ooüen öe^
fi^e ber Söfung finb, oielme^r afe Siingcnbe ju SRingcnben, aU
©uc^enbc JU ©uc^enben. SBo^I aber treten mir afö folc^e an ba§
^^oblem ^eran, bie roiffcn, mclc^ ein unerfe^Iid^cr SBerluft e§ für
bie SWenfc^^eit märe, menn bie SBa^r^eit baS ®ingeftänbni§ cr^
forberte, ba§ mir heutigen auf meiten Oebieten unfern SJBeg o^ne
ober im SJBiberfpruc^ ju 3f«fu§ ge^en müßten. SCBir treten al§
fol^c an bog ^^roblem ^eran, bie an ber Hoffnung einer befrie*
bigenben Söfung feft^alten.
6§ ift nic^t nur eine ^flic^t ber ®^rlicl)f eit , fonbem e§ ift
and) jur richtigen 33curteilung ber oorl)anbenen ©c^mierigfeiten
unumgänglii^ nötig, ba§ mir unS juerft einmal ben ®egenfa^
jmifc^en unfcrer heutigen, proteftantifc^en 2luffaffung be§ ß^ri^
ftentum§ unb ber Qa^r^unberte lang t)errfc^cnben in ©rinnerung
rufen. ?3efonber$ bcr oor furjem in S3afel oerftorbene ^rofeffor
Ooerbed ^at mit bem größten ^tac^brud barauf ^ingemiefen unb
betont, ba§ imifd)en ß^riftentum unb Beteiligung an ben Kultur«*
aufgaben ein unoerfö^nlic^cr SBiberfpruc^ befte^e. @r ^at im
SKönc^tum bie c^aratteriftifc^fte ®rfc^einung be§ ®l)riftentum§ ge*
fe^en unb al§ unbeftrcitbare Jatfac^e behauptet , ha^ mir alle,
in§befonbere mir Stac^fommen ber jüngeren SBölfer, ^eutjutage
oom S^riftentum fc^mertid) anbcr§ müßten al§ oom gricdiifd)»
884 ©if (i^er: 5)a8 öebcn nad) bcm ©oangeKum.
römifd^cn ^cibcntum, $arfi§mu§, öra^maniSmu« unb anbcm
^Religionen, roenn bie alte Kirche ba§ üWönd^tum nic^t erjcugt ^ätte.
yiod) geroiffer ift il^m bie anbete Jatfac^e erfdjienen, ba§ üom
nierten Qa^r^unbert bi§ jur SReformation nichts ®ro§e§ in ber
Sirene lebt ober gefd^ie^t, ba§ nic^t au§ bem Älofter ^eroorge*
gangen rodre ober boc^ irgenbroie bamit jufammen^inge.
aCBir !önnen norlöupg bal^ingeftellt fein laffen, ob loirflic^ —
n)ie er glaubt — ein S^riftentum, ba§ in mancher 53ejie^ung ein
ganj anbere§ ©efic^t jeigt al§ ba§ ber erften Q^^^^unberte, roirf»
lic^ fein Stecht auf biefen 5lamen me^r ^abe. Q^bcnfallä werben
mir, je pertrauter wir mit ber ©ef^idjtc ber Kirche fmb, befto
beffer oerfte^en, ba^ gerabe ein fo gelehrter Kenner ber alten
Jtirc^e ju ben 3:]^efen gefommen ift, bie Ooerbed nertreten ^at.
®a§ alte ©^riftentum trägt in ber %at einen auggefprod^en
roeltflüd^tigen ©^aratter. Unb wir fönnen ein flärfereö ober fc^roa*
c^ere§ SWi^trauen gegen Äunft unb 2Biffenf(^aft noc^ bi§ in bie
fpäteften 3^^*^*^ hinein gerabe bei ernften ©Triften immer mieber
entbecfen. Unb e§ fmb feineSroegS blo§ befabente ©eftalten ober
ßeute, benen e§ an 93erftanb unb 3:atenten gefehlt ^ätte, in benen
e§ ftc^ regt. Oleic^gültigfeit , ja geinbfeligfeit gegenüber bem
©taate unb feinen 9lufgaben ift ben ©Triften fd^on oon ®elfu§,
aber auc^ fpäter ^äufig mieber oorgemorfen morben. Unb roenn
mir fe^en, roie enge j. 33. ein Xertullian ben Krei§ ber bem &i)xu
ften erlaubten öefd^äftigungen jie^t, fo oerfte^en mir, marum ber
^eibnifc^e ®egner im ©Triften ben 2lnarc^iften unb Qtx^iäxzt ber
©runblagen erblidtte, auf benen fid) bie menfc^lict)e ©efeßfc^aft
aufbaut.
2Bir merben jeboc^ bem, ber ben mobemen ©Triften auf ben
©tanbpuntt ber alten Sirene jurüdtjute^ren ober auf ben ®^ri*
ftennamen ju t)erjid)ten nötigen miH, oerfd)iebene§ entgegenhalten
fönnen jur ^Rechtfertigung bafür, ba§ mir fein ©ntmeber^Dber ab^
lelinen. ^i) meife nur auf jmei fünfte ^in. 1. S)ie Stellung
eine§ Jertullian unb anberer ju bem, ma^ man geroö^nlic^ unter
bem 9Borte 9Belt jufammenfa^t, mirb erft bann rii^tig oerflanben,
menn man im 3luge behält, ba& biefe 3Belt ju i^rcr Qtxt noc^
ooUftänbig unter ber |)errfc^aft be§ |)eibentum§ ftanb, ba^ man
SBifc^er: ^aS Seben nad^ betn ©DangeCium. 385
nic^t Staatsbeamter, nic^t ©olbat, nic^t ^atibelSmann, nic^t fie^*
rer u. f. m. fein tonnte, ol^ne fottroä^renb in 93ejie^ung jum
©ö^enbienfte, [omit in ®efa^r ju geraten, ben d^riftüd^en ©tauben
ju nerleugnen. 9Bie fe^r bicfe Jlatfac^e bei ber richtigen SOBürbi-
gung üieler ^roeltflüc^tiger' SBorte unb SRatfc^ldge in ©etrad)t ju
jie^en ifl, jeigt ba§ oeränberte Sßcr^alten ber Äirc^e, fobatb bie
^öd^fte aJlac^t im ©taate in bie ^änbe üon ©l^riften übergegan^
gen mar. Unb 2. — unb ba§ ift nod^ mic^tiger — ma§ e§ l^ei^t,
ein 3fü"9^i^ xi^\^ ß^rifti ju fein, baS entnehmen mir in te^ter
Sinie nid^t ber ©^riften^eit ber erften <3[af)r^unberte, fonbern Qefu
Söorten felber. Unb fo abfurb auc^ O n erbe d bie 2lnfic^t erfc^eint,
„ba§ S^riftentum f)aU juerft eine etma fünfje^n^unbertjläl^rige
^eriobe burd|}uma(^en gehabt, in melc^er feine eigentliche Seben§*
anfid^t t)on einer il^m ganj fremben pcrbrängt gemefen fei", fo
merben mir e§ bennoc^ für möglid^ galten, ba& 3f«fu§ in ocr*
fc^iebener ^ejie^ung feit ber ^Reformation beffer oerftanben mirb
als in ben oor^erge^enben ^f^^r^unberten. Qn jebem ^aüt mer*
ben mir e§ nic^t nur für unfer Siecht, fonbern für unfere ^flii^t
galten, unS bei ^efuS felber barüber ju unterrid^ten, ju melc^em
Seben er feine 3>ön9^^ ocrpflid^tet.
^aben mir nun aber mirflic^ angefic^tS ber SBorte, bie ^i\\x^
felber gefproc^en ^at, ba§ 9ied)t, eine anbere Stellung jur Söelt,
i^ren ©ütern, Gräften unb SWäc^ten einjune^men als bie, moju
fic^ bie ©Triften ^al^r^unberte lang oerpflict)tet füllten, menn fie
fie auc^ fe^r oft mit fc^lec^tem ©emiffen in ber Sßxa^i^ preiSge*
geben ^aben? ©eraten mir nic^t bann erft rec^t in fc^mere ©e*
miffenSnot, menn mir unS allein bei ^t\u^ felber bie Slntmort
Ijolen auf bie S^age, ju melc^em fieben feine S^ac^folge oerpflii^tet?
Sie miffen, ba§ innerhalb ber ®l)riftent)eit oor allem 9iaumann
in feinen 33riefen über SRcligion ben SJÖiberfpru^ jmifc^en 3^fu
SGBorten unb bem Seben, baS mir führen, baS mir alle als felbft*
oerftänblid^ anfe^en, als unüberbrüdtbar bejeic^net ^at. SCBic auS
bem oor^er in ©rinncrung ©ebrac^ten t)eroorge^t, fagt er bamit
nichts 9leueS, 91ieg€t)örteS. 2lber er fagt eS oon einer Stelle auS,
roo i^m ein meiter Qu^öxzdxti^ gemi§ ift, unb er fagt eS in be-
fonberS padEenber g^vm. Unb jmar finb feine 8B3orte beS^alb
386 liß i f d^ e r : %aS 2^htn noc^ bem ©oongelium.
fo einbrudE^DoD, tDetI man baS SSerlangen bur^^ört, fooiel, alS
f\d) nur immer mit ©^rli^fcit ocrträgt, ein S^rift ju bleiben.
3)ie ^auptf^mierigtcit für bie, meiere naä) bem (Soan*
gelium leben moQen, liegt nic^t ha, wo fie oft gefacht wirb: in
einjetnen SEBorten ber 93ergprebigt.
Sffiir aDe fennen bie 2lu§fprüc^e, bie jeber buc^ftäblic^en ©r*
füKung fpotten , unb bie eben be^l^alb immer mieber angeführt
werben jum SSemeife, ba§ 3^efu§ Unmögliches oom 3Äenf^en oer*
lange, ©o etma ba§ Sffiort oom 2lu§rei§en be§ 2luge§, ba§ un§
ärgert, oom Raffen ber 2lnge^örigen, oom nic^t ©orgen für ben
folgenben Sag, bann aber au^ ba§ oom ^in^alten ber lin!en
SBange, wenn man unS auf bie rechte fc^tägt, oom Ueberlaffen
beS SRanteU an ben, ber mit unS um ben Slodt rechtet. ®§ ift
nic^t nur bie offenf unbige Unmögtic^teit, bie un§ oerbietet, einjelne
biefer Sffiorte bu^ftäblid) ju erfüllen. SBol^in fämen mir, menn
fic^ jeber ba§ 2luge angriffe, ba§ i^n in Sßerfuc^ung f ü^rt ? 2lu^
bie ©rroägung, ba§ mir gar nic^t im ^f^tereffe unferer 9lä^ften
^anbeln mürben, oerbietet un§ häufig, nac^ bem SEBortlaute ber
2lu§fprüd)e 3f^fu ju oerfal^ren. ©erabe bie 9lüdffid)t auf ben
5iäc^ften fann unS häufig jmingen, Unrecht, baS un§ zugefügt
wirb, nid)t einfa^ ru^ig ^injunel^men, oielmel^r un§ jur ffie^re
JU fe^en unb auf bie 5)eftrafung be§ UebeltäterS ju bringen. Ober
mä^renb un§ ^^ul^eit unb SeibenSfc^eu oietteic^t rät, bie ©orge
für ben folgenben 2;ag roirtlic^ bem folgenben Sag ju überlaffen,
beftimmt un§ ber Oebanfe an ba§ un§ anoertraute 3Bo^l anberer,
unfere 3Ma§regeln für bie 3wtunft ju treffen unb bur^ ange^
ftrengte 2lrbeit, fo oiel in unfern Säften fte^t, 9lot unb Äum^
mer oon un§ unb ben Unfern ferne ju galten. S)a§ aDeS ifl
fc^on fo häufig gefagt roorben, ba§ ic^ mic^ mit biefer furjen 2ln*
beutung begnügen barf.
Unb ebenfo genügt ber blo^e ^inroei§ auf bie fc^on oft mit
SRec^t ^eroorgel^obenc Satfa^e, ba§ 3f^fu§ felber in einjelnen %aU
Icn gegen ben buc^ftäblic^cn ©inn feiner SBortc gel)anbelt l)at. 3^
erinnere nur jum 93eifpiel an ba§ SBort , baö jebem 93ittenben
SBif c^er: %aS 2tbtn nad^ bem ©oongeltum. 387
©eroä^rung geben Reifet, unb bie ©efd^ic^te oom tanandifd^en
SBeibe. ©erabe bie Unmöglic^teit einer roörtlic^en @rfüKung jeigt
uns bie richtige 3lnn)enbung biefer 9Borte. Unb e« brandet nur
ein wenig guten aGBitlen, um fte ju erfennen. ©erabe bie Unmög*'
lic^feit manche einjelne 2lu§fprüc^e buc^ftäblic^ jU befolgen, jeigt
f^on, roaS jeber, ber fic^ nur ein wenig in bie 3GBirtfamfeit <3efu
oerfenit, oon bem ©elfte feiner ^erfönlic^feit ^at berühren laffen,
fofort erfennt: ^z^n^ ift fein ©efe^geber gleich 3Äo^ammeb. 3)a§
©Düngelium ift fein Koran. ®a§ malere fieben na^ bem ©oan^^
gelium ift fein Scben nad) einem ©efe^e — unb mären bie |)erren»
morte biefe§ ©efe^ — fonbern ein fieben in unb mit bem ©otte
3lefu S^rifti. Un§ ju einem folgen fieben im 2lngefic^te be§ le*
benbigen ©otte§, in fortroätirenber ©emeinfc^aft mit i^m ju oer*
Reifen, ba§ mar ba§ ^iel, für ba§ er gelebt ^at, für ba§ er ge*
ftorben ift. 3)ie SBorte Q[«fu bürfen nic^t oon feiner ^erfon ah
gelöft unb ifoliert betrautet merben. ^efuS unb fein ©oangelium
fmb untrennbar oerbunben. 2Wag auc^ manche grage beS fiebenS
^efu infolge ber lüden^aften Ueberlieferung in einem nic^t me^r
auf^ellbaren 3)unfel bleiben. SWag ft^ oon manchem einjelnen
SBorte nic^t mel^r ausmachen laffen, ob eS oon 3t^fu§ gefproc^en
ift ober ob barin bie 9lnfc^auung feiner ©emeinbe jum 2lu§brucf
fommt. SWag mit Stecht über fe^r wichtige 93eftanbteile ber ©e«
banfenmelt Qefu unb i^ren urfprünglic^en ©inn geftritten merben.
©erabe über bie 5^age, auf bie e§ ^ier anfommt, fann fein Qwtu
fei l^errf(^en. SBer au§ ben einjetnen SBorten ^i^fu ein neueS
©efe^ bilben mill unb fein 3fü"9c>^ i^^ f^i" glaubt, menn er e§
bud^ftöblic^ erfüllt, ber i)at ^efu§ nid^t oerftanben. Unb felbft
menn bie erften 3>ö"9^^ -SefuS fofort follten mi^oerftanben ^aben,
fo ^at jebenfallS il^r 3Mi§oerftänbni§ nic^t oer^inbert, ba§ ber
eigentli^e Qnl^alt feinet ßeben§merfe§ in ber Ueberlieferung beut^
lic^ l^eroortritt. Unb menn man bagegen bie Sluffaffung ber
äBorte burc^ manche Kird^enoäter, bie buc^ftäbli^e $eobad)tung
einjelner SBorte burc^ mand^e ^eilige geltenb mac^t, fo meifen
mir oor allem auf ben Slpoftel ^^aulu§ ^in jum 93emeife, ba§ bie
oon un§ oertretene Sttuffaffung nic^t erft eine ©ntbedfung ber 9leu=
jeit ober boc^ beS ^roteftanti§mu§ ift.
388 liB t f c^ e r : %a^ fieben nod^ bem ©Dangelium.
2Wan pflegt ^cutc in geroiffcn Greifen ber S^cologie mit SBor*
liebe ben Unterfc^ieb jroifc^en QefuS unb ^aulu§ ^eroorju^eben
unb e§ ate ein Unglüd ju bejeic^nen, ba§ in ber ^riftUc^en Äirc^e
ba§ Soangelium Q^fu burc^ bie paulinifd^e a:()eologie jurücfge^
bvängt, ja rool^I gar oerbrängt roorben fei. 2Wan foUte aber über
ber geroi§ nötigen Beobachtung, ba| in ber 2^at burc^ ^au(u§
©ebanfen in ben Sßorbergrunb gefc^oben roorben ftnb, bie in ber
aSerfünbigung Qe^n nid^t biefe 93ebeutung Ratten, ja oielleii^t
gänjUd^ fel)Iten, bie 3:atfa^e ni(^t oergeffen, ba§ ^aulu§ tro^
aQebem Qefu^ gerabe an bem roic^tigen fünfte, auf ben e§ l^ier
anfommt, im mefentlic^en richtig oerftanben l^at. Unb mag un§
auc^ feine Se^re oon ber ©erec^tigteit au§ bem ©lauben um be§
rabbinifc^en ®eroanbe§ roiQen, in bem fie un§ entgegentritt, roie
ein Äinb auS einer fremb unb unoerftänblid^ geworbenen SEBelt
berühren, ©ie entl^ält in oergänglii^er ^üKe bie eroige SCBa^r*
^eit, ba| 3efu§ ®^riftu§ nic^t getommen ift, um un§ auf§ neue
in bie Kne^tfd)aft eine§ @efe^e§ ju f flirren, fonbem un§ in bie
grei^eit ber ®otte§finber ju oerfe^en. 3)er ^err ift ber ®eift,
roo aber ber ®eift be§ ^errn ift, ba ift grei^eit. 3fefu§ ift nid^t
al§ ©efe^geber gefommen fonbem aU ©rlöfer. @r ift gefommen,
un§ frei ju ma^cn oon allem, roa§ un§ oon ©ott trennt. ®r
fteHt un§ in ba§ rid^tige 93cr]^ältni§ ju ©ott, ber SEBelt unb ben
9iä^ften. Unb mit ben betannten paraboyen SEBorten, bie ic^
nic^t im einjelnen anjufü^ren braud^e, l^ebt er bie füllen, bie unS
bie aSSirflid^teit oerbergen, räumt er bie ©c^ranfen ^inroeg, bie fic^
immer roieber jroifc^en ©ott unb ben 2Wenfc^en ftellen, jie^t er
bie Konfequenj au§ bem ©a^, ba§ e§ bem SWenfc^en nid^tS ^ülfe,
roenn er bie ganje SBelt geroönne unb nel^me ©c^aben an feiner
©eele. SGBärcn fie buc^ftäblic^ ju erfüllen, roie 9iaumann meint,
at^ ^aragrapl^en eine§ ©efe^e§ ju oerftel^en, bann roflrbe ^efuS
fein SEBerf felbcr jerftören. 3)enn nur ber 3Jlenfc^ ift ein auf«
rec^t fte^enber ganjer SJlenfc^, ift ein freiet ©otte§tinb, ber ootl«
ftänbig frei nac^ eigener Ueberlegung l^anbelt unb in jebem 2lu*
genblidEe tut, rooju er fx6) burc^ fein ©eroiffen getrieben fü^lt.
5)a§ ift eine @rtenntni§, bie mir nic^t erft ft a n t ober überliaupt
ben mobernen ©tl^ifern oerbanfen. 3)afür l^at nic^t blofe ^auluö
liß i f (^ e V : %a^ Seben nac^ betn (^ongelium. 889
geftrittcn. 3)a§ ift bie 93orauSfe^ung aKcr SBorte unb Säten
Ocfu. SEBir foüen üollfommcn tocrbcn, roie ber l^immlifc^c SJater
ooCfommcn ift. 9Bir foBcn un§ im SBcrfc^re mit bem 9läd^ftcn
nic^t hinter ein gcfd)ricbenc§ ober ungefc^riebeneS ®efe^ jurflcf«
jie^en, fonbem il^nen baS erroeifen, oon bem mir münf^en, ba§
bie fieute e§ un§ tun. 3^efu§ tennt feinen anbern ©otte^bienft,
als ein Sffianbeln in ber SBBa^r^eit, im finblic^en 2tufblid ju ®ott
unb in brüberlic^er Siebe.
3)e!gt)atb tonnen mir fomol^I als ®injetne mie atS ©lieber
oon ©emeinfc^aften in bie Sage tommen, bireft gegen ben buc^*
fiäbli^en ©inn einjelner SEBorte ^e^n ju l^anbetn unb babei ben*
noc^ ein guteS ©emiffen l^aben unb überjeugt fein, ba§ mir Qün*
ger ®^rifti geblieben fmb. 3>€fu§ binbet unS nic^t an irgenb eine
aSorftetlung oon ©ott, fonbem er ftellt un§ oor ben Icbenbigen
©Ott. Unb eben babur^ mac^t er unS }u freien aWenfc^en, bie
jebe beffere JlenntniS ber SBirftic^feit nic^t in 93erlegent|eit fe^t,
fonbem beffer unb fieserer i^ren 2Beg ge^en lä^t. 9Hd)t bie er*
fennt er al§ feine 3>ö"9^^ ö"/ ^^^ om eifrigftcn ^err, §err ju
il^m fagen, fonbem bie ben SBitlen beS 93aterS im ^immel
tun. ©S ift nic^t, mie 91 au mann aufS neue fagt, ^riefter*
f^laul^eit, meiere bie 3lu§flu^t erfunben l^at, S^efu SBorte feien
oon oorn^ercin nic^t mörtlid) gemeint gemefen. ®§ ift fd)on öf*
terS mit Stecht betont morben, ba§ eS unter Umftänben leichter
ift, ein SBort buc^ftäblic^ ju befolgen al§ fid) oon bem ©eifte lei«
ten au laffen, in bem e§ gefpro^en ift. ®§ ^aben ebenfo oft
©(^mac^l)eit unb 2:rägl)eit mie ©ruft unb Opferfreubigfeit oer=«
fu^t, au§ einjclnen Sprüchen ^efu aufS neue ein ©efe^ ju ma*
c^en. Uub nic^t fetten tam gerabe ba, mo man einjelne SluS*
fprüc^e aufs 93uc^ftäblic^fte genommen l^at, etmaS ^erauS, baS il^rem
©eifte fremb mar. 3Mit Stecht fagt 91 au mann felber, ba§ bie
Älöfter, in benen 9Wöncl)e unb 9tonnen na^ bem SBortlaute ber
eoangelifc^en SBeifungen leben motlen, teineSmegS baS ©aliläa ber
93ergprebigt fmb.
3lber ift mit biefer ©rtenntniS, bie in ber ©egenmart befon-
berS §errmann einbringlic^ unb unermüblic^ oertritt, alte
©^mierigfeit gel)oben?
390 SB t f d| c r : %cS fieben nac^ bem ©oangeHum.
4.
®cn)i^ ba§ ©oangcUum fann nic^t oon bcr ^crfon 3f^fu
abgclöft, feine SBorte bürfen ni^t ifolicrt unb jum ®efe^e ge*
mac^t roerben. ^efu§ ift mel^r al§ ein ©efe^geber. ^n i^m tritt
un§ ba§ Seben mit ®ott at§ erf c^ütternbe , befetigenbe ^Realität
entgegen. ®r gibt uns feine ©ittenregeln, nac^ benen toix im ein*
}elnen %aUt l^anbeln fönnen^ bie un§ bie eigene Ueberlegung unb
ben eigenen @ntfd^(u§ erfparen. ®r bringt un§ in bie ri^tige
Stellung ju ber un§ umgebenben SBirflic^feit. 9lic^t ein fieben
x\a6) ben Sprüchen ^z^n, fonbern ein fieben mit bem ®otte 3»cfu
S^rifti ift ba§ fieben noc^ bem Soangelium.
9lber gerabe mit biefer @rfenntni§ beginnt nun erft bie ei*
gentlic^e, bie ma^re ©c^mierigfeit. 3)enn nun ergebt fic^ erft bie
grage: ift ein folc^e§ fieben möglich? Qft ein fieben mögli^ in
biefer SBelt, ba§ (Srnft mac^t mit Qefu ©otte^glauben?
3n)eiertei ift auf§ engfte mit biefem ©otte^glauben oerbun*
ben unb lä^t fic^ nid^t baoon ablöfen: Q^efu (Stellung jur Sffielt
unb feine (Stellung ju ben 3Renfc^en.
®ie SBelt ift Qf^fu^ bie (Schöpfung @otte§ unb oergönglic^.
©ie ift ein SEBert au§ ®otte§ ^anb, gefd^affen, ber oorüberge^enbe
©c^aupla^ ber menfc^lic^en ©efc^ic^te ju fein, in allen i^ren Sei*
len unter ber unmittelbaren fieitung ®otte§ unb feinem SEBiQen
gel)orfam. @r forgt für Die SBögel unter bem ^immel unb tlei*
bet bie fiilien auf bem gelbe, fo ba§ au^ ©alomo in aller feiner
^errlic^teit ni^t angetan mar roie eine oon i^nen. @r lä§t bie
©onne jeben SWorgen aufgellen unb fd^cinen über Söfe unb ®ute
unb regnen über ®erec^te unb Ungerechte. Kein ©perling, bereu
mon boc^ jroei um ein 3l§ üertauft, fällt ol^ne feinen SlBillen oom
®ac^e. 2Bie Diel mel)r ift ba§ fieben beig aWenfc^en unter fei*
ner fortmäl^renben fieitung! 3luc^ bie |)aare auf bem Raupte
be§ aWenf^en fmb alle gejault. Q[ft ein SEBort benibar, ba§ ben
feften ©lauben an bie fortroäl^renbe unbebingte fieitung alle§ bef*
fen, voa^ auf ber @rbe gefc^ie^t, ftärter jum 3lu§brucf braute?
Unb mie biefe 3GBelt oon ®ott gefc^affen ift unb feinen SBin*
ten gel^orc^t, mie nid^t§, auc^ nic^t ba§ 3lllerfleinfte barauf ge*
35 i f c^ e r : ^a§ Seben nad| bcm ©oangcltum. 391
f^c^en fann, ba§ er nid^t gcorbnet f)at, fo bebarf c§ nur eincS
SEBinfcS ®otte§, unb fic fmtt in ü)x 9lic^tS jurüdf. ^immel unb
@rbe rocrbcn ocrgcl^cn unb einer neuen SBelt Slaum mad^en. 2lHe§,
ma^ je^t bog 3lu9e be§ SWenfd^en burc^ feine Sc^önl^cit unb
Drbnung erfreut, ift bod^ nur eine i)ergdnglid)e Srfc^einung. SEBa§
je^t ber ©d)aupla^ ber menf^U^en Slrbeit, ber menf^Iid^en
Kämpfe, ber menfd^lic^en Sor^eit unb 93o§^eit ift — e§ i)at Uu
nen bleibenben 93eftanb. Unb bie raa^re, ooHfommene Sffielt roirb
in ^älbe tommen.
Unb ber ÜJlenfc^ fetbft, ber 93eroo^ner bicfer oergänglic^en
®rbe? ©ein SEBert ift feine Seftimmung, ein Äinb bc8 ^immli«
fc^en Sßaterö ju fein, ©egenüber bicfem Qid tommt aüe§, roorum
fic^ bie SWcnf^en ju bemül^en, xooxnad) fie ju jagen unb ju ringen
pflegen, nid)t in Setra^t. SBorauf e§ anfommt, ba§ ift, ju trac^^
ten nac^ ®otte§ 9teid) unb na^ feiner ®ere^tig!eit. SBer bie§
oermag, bem wirb aöeö, roeffen er ju biefem oergängli^en Seben
bebarf, ^injugefügt werben. (Sben biefe§ ,2lHe§' erfc^eint aber
<3efu§ angeftc^tö be§ eroigen, jenfeit^ biefer @rbe liegenben Qkk^
fo geringfügig, fo nebenfäd^lic^, ba§ er e§ gar nic^t ber ®txüäi)^
nung wert l^ält, ba§ aüe§, wa^ be§ mobemen 2Wenfc^en Äopf unb
^erj au§füHt, feine Seele gar nid^t bewegt. SlBo er oom ®elbe
fpric^t, beffen Srroerb für Unjä^Iigc ba§ einjige 3^^^ i^^^^ ß^"
bcn§ ift, ba§ afe 93efi^ überall eine faft unüberroinbUc^e ^err*
f(^aft ausübt, al§ loctenber ßo^n SKitlionen oon ^änbe in 93e*
roegung fe^t, bie SWenfc^en jum Kriege treibt unb jum ^rieben
jroingt, ba fpric^t er oon il^m nur al§ oon einem ^inberniffe,
ba§ ben SWenfd^en abl^ält, fein Qkl ju erreid^en. 2Kan fann nic^t
®ott bienen unb bem äWammon. Sntroeber wirb man biefen ^af*
fen unb jenen lieben. Ober man mirb jenem anhängen unb ben
anbern oerac^ten. Unb e§ erfd^eint Qe^uS lei^ter, ba§ ein Kamel
bur^ ein 9iabetö^r ge^e al§ ein JReid^er inS SReid^ ®otte§. Unb
nur infofern, aU mir un§ greunbe mad^en lönnen mit bem un*
geregten 3Mammon, fo ba§ fte un§, wenn er unsJ auögel^t, in bie
emigen ^ütten aufnehmen, fann fein gluc^ in ©egen umgemanbelt
merben. 3^*9* ni^t f^on allein biefe§ eine SEBort, wie fel^r ^t\n^
ba§ ganje 2Wenfc^entcben nur im Sichte be§ jufünftigen ®otte§^
392 iSifc^er: %aS Sebeit nad^ bem ©oangeUum.
rcid^c§ bctrad^tct, roic fcl^r allcS je^t 93eftc]^enbc, oKe au§ bcr irbi»
fd^cn (Syiftcnj ^eroorgcl^cnbcn ©eftrcbungcn, auf i^re (Sr^altung
unb SBerDoHfonimnung gcri^tctcn ©cmül^ungen il^m hinter bcm
fornmenbcn übcrrocltlid^cn Qkk ocrfd^roinbcn ?
Unb bod^ roar er fein lücltabgcroanbtcr ©enfcr, bem bie
großen ©ebanfen, bie il^n erfüllten, ben ©lief getrübt Ratten für
bie il^n umgebenbe 9Birf(ic^!eit. ©eine ©leic^niffe oor allem geigen
un§, melc^ fc^arfe§ 2luge er gel^abt l^at für baig Seben in feiner
unenbü^en aWannigfaltigfeit. @r fennt bie SÄrbeit be§ Sanb»
mann§, ber feinen Samen auswirft unb je nac^ ber 93efc^affen=
l^eit bc§ 2lrferboben5 balb gar nichts, balb brei^ig^ balb fec^jig^
balb ^unbertfältig erntet. ®t roeife, roie ber boö^afte Sla^bar
i^m bie gruc^t feiner 9lr6eit ju fd)mälern fuc^t, inbem er ^eim*
li^ in ber 9la^t, roä^renb bie Scute fc^lafen, auf baS J^lb gc^t
unb Unfraut unter ben SEBeijen fäet, wie aber ber fluge @ut§^err
bie ^ne^te abl^ält, baS Unfraut unb bamit aud) mertoollen 3Bei«
Jen auSjuraufen, unb ru^ig bis jur &xnU märtet, um bann baS
Untraut befonberS ju binben unb ju oerbrennen. @r fennt bie
SlBeife be§ ©ärtnerS, bcr gemiffen^aft bem unfru^tbaren ©aume
noc^ einmal alle Sorgfalt jumcnbet, beoor er i^n umbaut, um
ben ^la^ anberS ju oerroenben. ®r fc^ilbert bie ^auSfrau unb
i^re 3Wägbe bei il^ren mannigfa^en SJerric^tungen, ben Kaufmann,
ben ^anbter unb ben ^anbmerfer. @r mei§, ba§ bie ^errfc^er
ber Sßölfer fie unterjo^en unb bie ©ro^en fie oergeroaltigen, ba§
bie 93ölfer mit einanber Srieg ffil^ren. (5r ift oertraut mit ben
(Spielen ber Kinber unb mci|, roie äl^nlid^ i^nen bie Oemo^n^ei*
ten ber ©rma^fenen fmb. Unb bie 2lrt, mie er oon aUebem
fprid^t, bemeifl, mie felbftoerftänblic^ i^m ba§ aHe§ ift. (5§ ift
i^m felbftoerftänblic^ , bo§ bie§ aüeS fo fortgebt, fo lange biefe
®rbe no^ befte^t, \>a% roie einft in ben Sogen oor ber ^Iwt bie
3Renfc^en a^en unb tranfen, freieten unb fic^ freien liegen, bi§
aioai) in ben Äaften ging, fo auc^ ba§ aße« fortgel^en roirb bis
jU ber 2lnfuuft beS SDlenfd^enfol^neS. 3lber fo felbftocrftänbli^
il)m baS ift, fo roenig finb mir o^ne weiteres berechtigt, nun bar*
aus ben ®d)lu§ ju jie^en, bag QefuS auf alle biefe 3)inge ben
9Bert gelegt l^abe, ben mir i^nen beijulegen geneigt fmb. 2luc^
^ i f c^ e r : %aS fieben noc^ betn ©oongelium. 393
ba^ ftuge 93ene]^men beS ungered^ten ^anSf^aÜnS gibt i^m
bcn ©toff ju einem ©leid^niS. 3lber wie l^ier, fo rocift er au^
fonft nur mit ber Slbfic^t auf baS 2:reiben be§ täglichen fieben§
l^in, um feinen ^örern ba§ SBcfen be§ ^immelrci^e§ aufnu»
f^Ue^en.
Qa angefic^tg ber SBertrautl^eit ^t^fu mit bem täglichen iJeben
feines SßolfeS mu§ man x)ietme^r bie grage auf werfen, ob man
löirflid) ein SRec^t ^at, bie ©leic^gültigfeit 3f^fu gegen aUe§ ba§,
xoa^ xüit unter Kulturarbeit jufammenaufaffen pflegen, barauf ju*
rüdfjufül^ren, ba§ i^m in feiner Umgebung beren SBic^tigfeit ^abe
entgelten muffen, ©eroi^ ber galiläifd)e ©oben, auf bem 3«fu§
fie gefproc^en ^at, gibt feinen SBorten i^re ^arafteriftifc^e gär«
bung. Unb al§ e^ter SWenfd) mar Qt\n^ ein Kinb feiner Qzxt.
SBer aber nur ein menig aufmerft erfennt, ba§ bie 3Äenfc^en im
mefentli^en biefelben g^agen befc^äftigt ^aben wie l^eute. Unb
ba§ e§ eine Säufc^ung ift, ju glauben, Qt^n^ \)abt nur beS^alb
fo mand^e§ in feinen ©prüd^en gar nid^t berül^rt, weil er ein Äinb
@aliläa§ mar, meil er al§ ©lieb eines Keinen, abfeitS Dom großen
aßeltftrom liegenben SßolteS, alS ©o^n einer einfachen gamilie
aufgemac^fen mar. SEBol^l mag bieS alle§ in 93etrac^t gejogen
merben, menn mir perfud^en, in baS SEBefen feiner ^erfönli^feit
einjubringen. Silber ben eigentlid^en ©d^lüffel ju il^rem SBerftänb*
niS finben mir ^ier nic^t. ®iefer ift üielme^r fein ßeben mit ®ott.
©Ott fielet fo gro§ oor feiner ©eele, erfüllt fo fe^r fein ganjeS
^erj, ba§ feinem auf ©ott gerid^teten ©lidte alleS 3>^bifc^e, SBer*
gängli^e jum mefenlofen Scheine mirb.
Unb oon biefem ©otteSglauben au§, burc^ ben er fortmä^*
renb mit ©ott in ©emeinfc^aft fte^t, fc^aut er auc^ ba§ SBerl^ält«
niS ber SWenf^en ju einanber an. SEBie alle 2Wenf^en nur als
Kinber ©otteS i^re ^öeftimmung erreichen, fo fielen mir nur bann
im richtigen SJer^ältniffe ju unfern ajlitmenfd)en , menn mir in
i^nen bie Sinbcr beSfelben ^immlifd^en SSaterS unb bamit unfere
©rüber feigen. SBir fmb alle in gleid)er SBeife mit allem, maS
mir fmb unb l^aben, oon ber ©nabe unfereS ^immlifc^en SßaterS
abl)ängig. 3Bir ^aben aüe im beften JJalle nur getan, vs>a§
mir }u tun fd^ulbig maren, bebürfen aber täglich ber Vergebung
3eltf<^rift für XfftoiOQxt unb Stiv^t. 16. ^a^rg., 5. *eft. 28
894 liß i f d^ e r : %a^ Seben nad^ bem (^ongeltutn.
für haS , xoa§ toir ocrfäumt ober übel getan l^aben. ©o follen
anä) mir unfern 9täc^ften ©ergeben, roie unS ber l^immlifc^e SBater
unfcre ©Bulben ©ergeben ^at unb ©ergibt, unb beffen eingebenl
fein, ba§, wenn mir unbarmherzig finb, ber SBater im ^immel
aud^ un§ jur JRec^enfc^aft jiel^en wirb.
@o ift e§ ber gemaltige ®otte§gIaube, ber 3fcfu§ bie SEBelt
unb bie SReufd^en nur in i^rer ^ejie^ung )u ®ott betrauten lä^t.
Unb er gibt feinen SBorten ben Qn^alt, ber e§ unS fcbmer, jo
unmöglid^ erfc^einen lä^t, ein fieben na^ bem ^©angelium ju
führen. SWan \)tbt meift nur bie SWal^nungen, bie geinbe ju He»
ben, fic^ nic^t ju rächen für erlittene UnbiD, fxd) nic^t abjumcn»
ben ©on bem 93ittenben u. f. m. ^er©or, atö ob bie ©c^roierigfeit,
na^ bem (Snangeüum ju leben, gerabe ^ier am beutßd^ften ju
Jage trete. 2lber no^ ©iel gewaltiger tut fic^ ©or un§ bie Äluft
auf, bie unfere ©tellung jur SEBelt unb ben SRenfc^en, unfere 3luf *
faffung be§ ßeben§ ©on ber ^f^fu trennt, menn mir ba§ SEBort
©on ben ©perlingen nic^t blo| gebantenlo§ nad)fc^roa^en, fonbem
e§ un§ mirfli^ anjueignen ©crfuc^en, e§ in allen feinen Äonfe«
quenjen ausbeuten. 3)ann erfennen mir: ber roa^re @runb,
warum unS ein ßeben na^ bem ©oangelium ate gänjlid^ un*
mögli^ erfc^eint, ift ber, ba§ mir ben ©ottegglauben nid^t be-
fi^en, in bem biefeö 95Bort gefpro^en ifi. 9li^t bie SBelt ift an^
ber§ geworben unb bie Seben§©er^ältniffe ©crmidfelter. Ober mö^
gen fte anbcre geworben fein in bem Zeitalter ber 2)ampfmaf(^i»
neu unb ber (Sleftrigität, fo liegt bo^ ber le^te, eigentliche ®runb,
warum wir bie ©tellung Q^fw nic^t einnehmen fönnen unb woUen,
ni^t barin. 3)er @runb ift ber, ba§ wir feinen ®lauben ni(^t
ju teilen ©ermögen. Unb e§ war ganj berfelbe @runb, ber ben
^^ariffier in 3efu§ ben gefäl^rlic^en 95olI§©erfü^rer feigen lie§,
berfelbe ®runb, ber ber politifc^en Srwägung ju ©runbe lag:
e§ ift beffer, ba§ ein SWenf^ fterbe, al§ ba§ ba§ ganje SBolf ©er«
berbe.
SEBir ©ermögen ben ®lauben nid^t ju faffen, au§ bem ^erauS
bie SBorte gefpro^en ftnb. SBol^l ift weit über ben ÄreiS berer
^inau§, bie fid^ ju ber c^riftlic^en Äir^e rennen, ber ®laube an
ein göttli^eS SEBefen ©orl^anben. ^a man barf getroft annehmen.
SJifd^er: %a^ öeben nac^ bcm ©oangetium. 896
ba§ fclbft bic, lücld^e fi^ mit bem 2Wunbc afö STtl^eiftcn bcfcn^
ncn, im inncrftcn ^crjcn^grunbc ftd^ in irgcnb einer Sffieife oon
einer I)ö^ern, hinter ber SBelt ftel^enben 3Wa^t abhängig fül^Ien.
3Ber ®ott üemeint, oerneint im ©runbe ftetg nur eine beftimmte
9Sorfteüung x)on ®ott, oerncint ben @ott, an ben er ju glauben
erjogen roorben ift, ben @ott feiner ^lac^barn, ben ®ott ber Jfir*
c^en. 2lber neben biefem Olauben an bie götUid^e fieitung unb
Ißorfel^ung, ber fi^ überall in einem gemiffen ÜJlafee finbet, ift bie
materialiftifc^e, bie SEBett entgöttlic^enbe SlBeltbetra^tung au^ tief
in bie c^riftlic^en Jlreife ^ineingebrungen. Unb mir alle laffen
un§ oiel me^r oon i^r leiten, al§ mir un§ beraubt fmb. Sitten
mir genau auf unfer Sßerl^alten im täglichen ßeben, im ©efd^äft,
in 5lranf]^eiten, angepc^t^ oon Unfällen, in ber 93eurteilung ber
öffentlichen ®inge ! 93erglcic^en mir bie oon ©Triften gef^riebenen
Leitungen mit anbern 93lättern. SSJie jum Sßermec^feln ä^nlic^
ift boc^ meift ba§ 93ene]^men unb ba§ Urteil be§ ©l^riften, beffen^
ber fi^ al§ ©Triften betennt unb e§ aufri^tig fein miH, unb bef^
f en, ben mir al§ 9lic^tc^riften, als 2ltl^eiften, al§ Reiben betrad^ten !
Un§ allen ift bie SßorfteHung, ba^ ba§ SBeltgetriebe baS (Ergebnis
oon Kraft unb ©toff fei, ba§ junger unb Siebe bie 2Wäc^te feien,
bie ba§ 3JJenfc^enlcben regieren, fo in ^I^ifd^ unb 93lut überge*
gangen, ba| mir in oielen ^äütn aui) o^ne meitere§ nad^ biefer
Ueberjeugung ^anbeln, mögen mir unig auc^ noc^ fe^r mit bem
3Äunbe JU entgegengefe^ten Ucberjeugungen befennen unb beS gu=
ten @lauben§ fein, bag biefeS 33cfenntni§ mirtli^ unferer inner«
ften Ueberjeugung entfpred)e.
®§ ift ba§ Siecht 9laumann§ auf biefe Slatfa^e ^injumei-
fen unb ben SBiberfpruc^ aufjubecfen, ber jmifc^en unferm ^an*
beln unb einem üom ©eifte S^rifti be^errfc^ten fieben befte^t.
Unb menn er au§ ber ^rajiS bie 2:^eorie jie^t, menn er fagt:
„e§ gilt ®^rift ju fein, fo oiel unb fo gut e§ in biefer Sffielt mög*
lic^ ift, man mu^ barauf oerji^ten, nur c^riftlic^e SKotioe ju ^a*
ben, fonbern man f)at fie neben anbern", fo motten mir un§ ju*
tiäc^ft ber ®^rlic^teit freuen, bie ftc^ barin au§fpric^t. ®^rlic^e§
@ingeftanbni§ einer 9lot ift ftet§ eine ©runbbebingung, baoon frei
JU merben.
28*
396 $ i f d) e r : %a^ Seben noc^ bem (^angelium.
@§ fragt fic^ frciUd^, ob wir ein SRc^t ^aben, 3iü"8^i^ 3fcfw
ju ^cifecn, TOenn loir eS für unmögli^ crtlärcn, feinen ©otteS«
glauben au^ in ber ©egenroart feftjul^atten. ®en)i§, e§ war ein
^[rrtum, wenn man oerfannte, ba§ 3tcfu^ i>i« Äinbf^aft @otte§ in
Oaliläa prebigte, unb bag bie ganje ^^rm feiner SJerfflnbigung
babur^ beftimmt ift galiläif^e fiofalfarbe trägt. SEBir aße ^aben
un§ ^eute baran geroö^nt, man^e§ al§ jeitgefc^i(^tlid)e ^^rm an*
jufe^en, bie n)ir o^ne weitere^ preisgeben. 3lud| bie Äonferoa^
tioften unter un§. ©o \)at un§ @ott bur^ bie ©efd^ic^te felber
gelehrt, ba§ bie @rn)artung be§ na^en SEBeltenbe§ ein ^fnrtum roar.
9lber wenn mir au^ bie jeitgefc^ic^tUc^e Jö^bung, in ber un§ ber
@otteSgIaube , ber ünblic^e @laube an bie älQmac^t ©otteiS ent<
gegentritt, al§ vergängliche gorm preisgeben, wenn fidi unfere
Hoffnung auf ben enblid)cn ©ieg be§ ©otteSrei^eS in ein anbereS
®en)anb fleibet, ben ©ottcSglauben Qefu fetbft tonnen roir ni^t
als eine fc^öne aber unhaltbare Säufdjung erflären, ol^ne 3»cfuS
felber preiSjugeben.
fiägt fi^ nun aber mit ^t^n ©otteSglauben unb ben Äonfe»
quenjen, bie er barauS jie^t, in ber 3GBeIt leben, ja bürfen mir
bamac^ leben?
5.
©teilen mir, beoor mir biefe 5^oge gu beantmorten ©er*
fuc^en, junä^ft mit aller Sntfc^ieben^eit baS feft, bag baS im
©lauben ©efproc^ene {ebenfalls nur bem ©lauben gilt. Unb ma«
c^en mir unS flar, maS baS l^eifet.
3fefuS ^anbelt unb fpri^t im 93lic! auf bie !ommenbe SBelt.
3fft auci bie SGJelt, bie befielt, baS SBert beS ^immlif^en SBaterS,
bef(^ienen x)on feiner ©onne, fo ftel^t bo^ baS SRei^ ©otteS erft
noc^ beoor, unb mir foHen barum beten, ba§ eS balb fomme.
®iefer ©laubc ift ber ©runbton, ber burc^ aUeS , maS er fagt,
^inbur^flingt. @r lä§t ftc^ ni^t oon 3f^fu SEBorten trennen, o^ne
ba§ man i^nen i^re SSSirfung nimmt.
ü)]an ^at auc^ in fold)en Äreifen, bie an bem d^riftlic^en ©lau»
ben irre gemorben maten, gemeint, roenigftenS an ber cfariftlic^en
©t^if feftl)alten ju tonnen. Unb Seute, bie baS ®l|riftentum als
^ t f d^ e r : %a^ lieben noc^ bem ^ongelium. 397
aicligion oerroarfcn, glaubten boc^, ba§ bic c^riftlic^c SWoral in
i^rcn ^auptforbcrungen ba§ 9lid)tigc träfe, unb fic fachten bicfen
gotberungen eine religion^lofe SBcgrünbung ju geben unb ju itu
gen, bafe fie erft nun roirtlic^ überjeugenb geworben feien. ®a§
mar ein gewaltiger Q^tum. ®urd^au§ mit SRec^t fagt 9t ie^«
fc^e: „©ie fmb ben ^riftlidjen ®ott Io§ unb glauben nun um
fo me^r bie djriftlic^e 2Woral feft^atten ju muffen .... ^ür un§
anbere ftel)t e§ anber§: menn man ben cftriftli(^en ©tauben auf»'
gibt, jie^t man ftd^ bamit ba§ Siecht jur d)riftlic^en ÜJloral unter
ben gü§en roeg. . . ®a§ ©^riftentum ift ein ©Aftern, eine jufam*
mengebac^te unb ganje Slnfi^t ber ®inge. 93ri^t man i^m
einen ^auptbegriff, ben ©lauben an @ott, ^erau§, fo jerbric^t
man bamit auc^ ba§ ©anje."
®ie gorberungen be§ ©oangeliumS ^aben nur für ben einen
Sinn, ber ben ©lauben Qefu teilt, bem ba§ ©üangelium mirf*
lic^ eine fro^e ©otfc^aft ift. ©tel^t bie SEBelt nic^t unter ber fort-
roä^renben, unmittelbaren ßeitung einer SWac^t, bie ba§ ©Ute jum
©iege fü^rt unb in oäterli^er Siebe über jebem einjelnen 3Ren*
fcl)en ma^t, gibt e§ für bie SWenfc^enmelt feine anberen QkU al§
ba§, xoa§ fid) in biefer SBelt erreichen lä^t, bann fd^minbet ni^t
nur ber SÄut, fonbern auc^ ba§ 9led^t, unbetümmert um ba§,
roa^ oor 2lugen liegt, nac^ bem ©oangelium ju leben. 9lic^t etma
be^^alb, meil nun bie 2lu§fic^t auf ben „ßot|n" fehlte, fonbern
roeil fid) bic 2lufgaben, bie mir unferm ^anbeln ftetlen, nac^ ber
53eftimmung ber 3Belt unb be§ 3Wenfc^en rieten muffen. 3Wand)e
gorberungen be§ Soangelium^ ftänben bann aber fo fe^r im äBi*
berfpruc^ }u bem Sinn be§ ßeben§, mie i^n bic tägliche ©rfa^rung
lehrte, ba| mir i^re 93eobad)tung aU unoemünftig unb fo fc^licg»
lic^ auc^ al^ unftttli^ beurteilen müßten. ®er beftc 93emei§ bafür
ift bie Jatfad^e , bafe man ba , mo man lebiglic^ an ber SBer-
binblic^teit ber fittlic^en Jorberung feft^altcn miK, ben ^riftli^en
©lauben aber al§ einen SDBa^n preisgibt, ganj oon felber alfmä^^
lic^ auc^ bie ^flic^ten ^eruntcrfd)raubt, bic ftttlic^en Qbealc be§
®t|riftentum§ preisgibt. ®§ lie^e fiel) ba§ befonberg an ber Sttuf^
faffung be§ §umanität§gebantcn§ unb ber Stellung jum Selbft*
morbe beutli^ nad)mei|en.
898 35tfd|er: %aS Scben nad& bem ©oanflelium.
@o tann e§ un§ auc^ nic^t rounbcrncl^men, rocnn ba§ SBer!^
ba§ bie ÜJliffton treibt, immer mieber auf l^eftigen SBiberftanb
ftögt, menn ge^ö^nt ober getobt wirb über eine SBirtfamteit unter
fremben SBöltern, bie bie Ueberjeugung jur Sßorau^fe^ung f^at,
ba§ Quc^ fie ®otte§!inbcr fmb. 3Wöc^ten fic^ boc^ bie SWiffionare
ftet§ an ba§ SEBort erinnern: SlBe^e, menn fie eu^ mo^treben!
9lur mit 93ebauern lann man eine UJerteibigung lefen, bie na^roeift^
bafebie SWiffionare e§ ftet§ für eine ^auplpflic^t anfeilen, bie^eiben^
unter benen fie mirfen, ju richtigen 3)eutfd^en, granjofen u. f. ro,
ju mad)en. Sld^ bie gjerfudf)ung, bie ben 3Wiffionaren bro^t, ift
nic^t bie, ju wenig, fonbem im ©egenteil ju oiel einjuge^en auf
bie nationalen Prätentionen ber ©uropäer. ^6) fage ba§ n\ä)t,
um einen SSorrourf ju erl^eben, fonbern nur, um an einem 93ei*
fpiete }u jcigen, wie bie Stellung jum ÜJlitmcnfc^en, bie fi^ au8
bem c^riftlic^en ©lauben ergibt, bem al§ 2^or^eit erfc^cinen mu§,
ber biefen ©lauben nic^t teilt.
S)ie SBorte ^efu fmb an ßeute gerid^tet, bie bem @t)ange»
lium ©laubcn fc^enfen. @ie menben ftcft an bie ^^üngergemeinbe.
Slud^ ba^ ift in 93etrac^t ju gießen, mill man i^nen nic^t einen
iSinn geben, ber i^nen ooBftänbig fremb ift. ©ie rooUcn auc^
für bie jünger fein ®efe^ fein. 9ioc^ weniger aber ftnb fie
SRegeln, nac^ benen gemaltfam bie Orbnung aufeer^alb ber Qün^
gergemeinbe ^erjuftellen märe. SBorte wie ba^ über bie @^efc^ei*
bung, ben @ib u. f. ro. ftetlen nidjt ®runbfä§e für bie öffentliche
©efe^gebung auf. ©leic^ roie üWofe§ um ber ^erjen§^ärtigfeit
loiUen geftatten mu|te, bie grauen ju entlaffen, fo mirb auc^ ^eute
ber @taat fo lange nic^t auf ä^nlic^e 33eftimmungen, bie mit ber
menfc^lic^en ©c^roä^e unb 93o§^eit rechnen, üerjic^ten tonnen, als
nid^t bie ganje SWenfd^l^eit ober boc^ alle feine 3lnge]^örigen oom
®eifte ©l^rifti regiert werben. ®a§ ift o^ne weitere^ flar unb
wirb roo^l auc^ faum beftritten werben, fo ba| e^ nid^t weiter
auggefül^rt ju werben braud)t. Unb ber ®l)rift, ber al§ ©taatS*
mann unb 9ti^ter berartige ©efe^e erläßt unb au^fül)rt, l^anbelt
bamit nic^t gegen ba§ ®Dongelium. ®a§ ift gegenüber Solftoj
geltenb ju mad)en. SBol^t befi^en wir fein Söort Q^\u, baS mit
ber ajlögtic^feit rechnet, ba| dtiriften in folc^er Stellung tätig
lißif c^er: ^od Seben nad^ bem ©oangelium. 899
feien. 3)a§ aber ha, wo man nic^t na^ freier SDSa^I baS fieben
nac^ bem @DangeUum ju fül^ren unternimmt, anbere @efe^e ^err«
fc^en muffen, ift eine Sffial^rl^eit, bie un§ @ott felber leiert, ©c^on
^13aulu§ fäKt c§ nic^t ein, ba§ il^m mol^lbetannte SlBort ^efu über
bie Untrennbarfeit ber @^e aud^ auf fol^e ®^en anjuroenben, mo
roenigftenS ber eine 2:eil gläubig ift. 9lac^bem er im erften Äor.
7, 10 gefd^rieben ^at: ben (S^epaaren gebiete nic^t ic^, fonbern
ber ^err, bafe fid) bie %xa\x oon i^rem 2Wanne ni^t trennen foK,
fä^rt er fort: ben Uebrigen fage ic^, nid^t ber ^err: menn ein
93ruber eine ungläubige %XQn \)at, unb biefe milligt ein, mit i^m
ju leben, fo foD er nic^t oon i^r laffen . . . S33enn fic^ aber ber
ungläubige Seil loSfagen mitl, fo foll er e§ tun. SBruber unb
©c^mefier fmb in folc^en fällen nic^t gebunben. @ie foDen gar
feinen SJerfuc^ ma^en, ben anbem Seit ju l^atten. ©^on inner»
^alb ber ©liriftengemeinbe felber oerji^tet er barauf, bie ibeale
gorberung gemaltfam burd^jufe^en. Unb in ber Sat ^ei^t e§
aud) ^ier : alleö, mag nic^t au^ bem ©lauben f ommt, ift ©ünbe.
3)a§ Seben nac^ bem (äoangelium ift ein Seben im ©lauben.
Unb nid^t blo§ oon bem einen SBorte gilt: nid^t alle f äffen e§,
fonbern bie, benen e§ gegeben ift. ®^ ift ein ßeben gegen ben
©c^ein. Unb nid^t immer befommt ber f^on auf biefer SBelt
rec^t, ber bamac^ lebt. Unb 3^fu§/ ^^^ i>ö^ SBort oon ben ©per*
lingen gefproc^en \)at, beren feiner o^ne ben SBillen be^ ^immli'
fd)en Sßaterö oom ®ac^e fäUt, oon ben paaren unfereS ^aupteS,
bie alle gejault finb, ^at am Äreuje fein irbifc^e§ Seben geenbet.
äßer möd^te aber bel^aupten, ba§ er angefic^tS be§ Sobe^ iene§
SBort ni(^t gefproc^en ^ätte? ^at er bod^ aud) ben Job als
bittem ^el^ au§ be§ ^immlif^en SBatcr^ ^anb angenommen.
Sticht nur mem irbifc^e SBo^lfa^rt ba^ ^öc^fte ^i^l ift niufe
ba§ teoangelium oermerfen. 2lu(^ loer in braoer S^rlic^feit bie
gro§e SWittelftra^e ju ge^en münfc^t, o^ne grobe Uebertretungen
ber göttli^en ©ebote ju begeben, aber auc^ o^ne fic^ gro§ in 2Bi*
berfpru^ ju fe^en ju bem, roa§ bei ber SWenge SRec^t unb Srauc^
ift, wirb fic^ fagen muffen, ba§ er in ber %at barauf oerjid)tet
\)ai, fid) in aücn S)ingen hnxä) ba§ ©oangetium leiten ju laffen.
Unb mer unter un§ magt ju behaupten, ba§ bie§ nic^t auc^ oon
400 SB i f d^ e r : %a^ Seben nad) betn ©oongenum.
i^m gilt. SBer Don un^ oUen, ni^t blo^ bie ©efd^aft^Ieute^ bie
^änblcr unb ^anbroertcr, bie ©taatömänncr unb fSRilit&x^, and)
wir 2:l)coto9cn, loir fieiter unb @eclf orger ber ©emeinben^ mir
Pfarrer unb ^rofefforen, niu§ nic^t geftc^cn, ba§ er immer mie^
ber nad) bem Sa^e 9laumann§ ^anbelt: ic^ roiH S^rift fein,
f 0 oiel unb f o gut e§ in bief er SEBelt mögli^ ift ? ®a§ er immer
mieber barauf oerjid^tet, nur ^riftli^e 2Wotioe ju ^aben, fonbem
fte neben anbern ^at?
3)ie SWoral be§ ©oangeUumg ift eine l^croifc^e 3MoraI. (5§
ift eine rid^tige @rfenntni§, wenn bie§ in ber ©cgenmart mieber
entfc^ieben betont wirb. Unb biefe rid)tige ©rfenntniö lag ber
oiet gefc^oltenen Sd^eibung ber tat^olifi^en S^riftenl^cit in jmei
Klaffen ju Orunbe. Unb e§ fragt fic^ oietleic^t noc^, mer bem
©oangelium me^r ©emalt antut: 3)er, melier in ber @rtenntni§,
ba§ ftet§ nur menige ben ©tauben befi^en, ben ba§ @oangelium
oorau^fe^t, bie Unfä^igteit ber großen ÜJlenge ju einem Seben
na^ bem (Soangelium offen eingeftel^t, ober ber, melier au§
bem ©oangelium eine SInmeifung mac^t, mie man in @^ren unb
2ßot)lftanb grau merben unb juglei^ t)a^ emige £eben erlangen
fann. 3)a§ fieben nac^ bem ©oangelium ift ein fieben roiber ben
©c^ein unb barum ein Seben ber ©elbftperleugnung, ein freimil^
Iige§ 2:ragen be§ Äreuje^. @in ^eroifc^e§ fieben, ba§, fo lange
bie ®rbe beftrf)en mirb, ftet§ nur oon wenigen gelebt werben wirb.
^a aud) nur ber crnftlic^e Sßerfu^, biefe§ Seben ju führen, wirb
ftet§ nur oon wenigen gemacht werben. 3)a§ füllen wir alle,
unb fein einjiger oon un§ wirb auf ©runb feineö wirflid) gefül^r*
ten ßeben^ 9laumann wiberlegen fönnen.
aber — ba§ ift nun bie wid^tige JJrage — ift ba§ nun aud^
rec^t f 0 ? Äönnen unb bürfen wir gar ni(^t ein ootle§ Seben nac^
bem @oangelium führen? Qft e§ gar nic^t wünf^en§wert , ba§
rec^t oiele ©lieber einer ©emeinfc^aft, einei§ 93olte§, re^t oiele
©Itern unb Äinber, rec^t oiele ©efc^äft^leute unb 93eamte bemüht
fmb, fic^ in i^rcm ganjen ätben oon d^riftlic^en 2Wotioen leiten
JU laffen? aJlü^te bie menfc^lid^e ©cfeKfc^aft ju ©runbe gelten,
wenn alle i^re Slngeliörigen ganje S^riften wären , müßten bie
Kräfte brac^ liegen, bie ©aben oerfümmem, bie boc^ gerabe nac^
^if d^er: %a^ Seben nad^ bem (^angelium. 401
d^riftttc^cm ©tauben ®ott fclbft in btc aWenfc^l^eit unb bie @rbe
gelegt ^at?
6.
®ie 5rage roare bann ju bejal^en, wenn bie 2luffaffung
be^ (Spangelium^ , bie feit @^open^auer immer n)ieber
al§ fetbftDerftänbUc^ auftritt, unb bie aud^ bei 9laumann bur^«*
Hingt, Siecht ^ätte. 9lber fo richtig e§ ift, wenn ba§ ^eroif^e
be$ @oangeIium§ betont n)irb, fo einfeitig ift, barau^ oor allem
ben ^eroiSmuS ber Sntfagung ]^erau§ gu ^ören. ®er ®laube
an ba§ @oangelium mac^t energifc^e älrbeit in unb an ber äBelt
nid^t unmöglich, ebenfo wenig ein mannhaftes tapferes 93ene^men
im aSertel^r mit bem 9läd^ften. SBir finb im ©egenteil ju beibem
befto gefc^icfter, je me^r in un§ etroaS oon bem ©ottoertrauen
3efu e^rifti lebt.
©0 fc^r bie Uebergeugung oon ber aSergänglid^teit biefer
aOBelt unb bie Hoffnung auf einen neuen ^immel unb eine neue
®rbe bur^ alle SBorte 3»^fu ^inbur^flingt , auc^ ba, roo unfer
an ben 3Bcltlärm gcmö^nteS D^r fte nid^t oernimmt, fo ifi bcn=*
noc^ nic^t rid^tig, baJ5 bem 3»önger 3»^fw f«i"« anbere (Stellung
gur SQSelt gejieme als bie, ftc^ fo meit als immer nur möglich oon
allem S-tbifd^en loSjulöfen, bie gegenwärtige ©rbe mit allen i^rcn
3uftänben, Orbnungen unb ©inric^tungen preiszugeben unb in
ftiltcr öefc^aulid^feit i^r ©nbe ju erwarten unb ft^ auf bie gu*
lünftige oorgubcrcitcn. ©en)i| biefc Äonfequeng ift gcgogen mor«
ben. SBor aUem im SWönd^tum. Slber f^on bie Stellung beS Ur*
c^riftentumS gur aSSelt ift nic^t einfad^ bem roettmüben ^effimiS*
muS, in ben bie Sulturfd^märmcrei immer mieber umf^lägt, glei^-
gufe^en. ©S fpric^t ftc^ — wie nic^t überfeinen werben barf —
eine gewaltige SebenSbeja^ung barin auS, baJ5 aUerbingS baS SSer*
ge^en ber bisherigen ©r&c erwartet, ni^t aber auf ein im 91ebcl
oerfd^wimmenbeS ^enfeitS, oielmel^r auf eine neue ©rbe gehofft
wirb unb auf bie Sluferfte^ung bcS ficibeS, wenn aud^ ein 2lufer*
fielen in einer neuen ooDfommeneren ©eftalt.
®S ift ein ^ftrtum, wenn man immer wicber aufS neue, auc^
aiaumann, in SWitleib unb Äeuf^^eit, ©nt^altfamfeit unb ber
402 $ t f d^ e r : %aS fieben nad^ bem ^ongelium.
gä^igfcii, Seiben unb öeleibigungen gebutbig ju ertragen, bte ^ole
eoangelifd^er ©ittlic^fett fie^t. ^n lauter paffioen Sugcnben. SBie
ganj anber^ mü|te ba§ SSilb ^z^\x au^fe^en , al§ e§ un§ in ben
Soangelien entgegentritt ? @o etroa, n)ie e§ un§ gejeic^net wirb in
fü^li^en aSitbem ber gebcr unb be§ ^infelö. ffield^ eine Kluft liegt
aber groifc^en bem fanften unb bulbenben 3>^fw^ biefer 93ilber, bem
6^riftu§ mit bem gefd^eitelten Soden^aupte, bem fü^en ölümelein
unb 93ruber Sämmlein ber 3iwjß"i>örffc^en fiieber unb ber ernften,
gerben ©eftalt ber brei erften Soangelien! S)em 3>ßfu§, ber ge«
jürnt ^at, roie wenige 3Wenfd^en ju jümen imftanbe ftnb, ber fei«
neu ^ünflß^ ©atan gefc^olten, feinen Sanbeöfürften einen guc^§
unb ben frommen unb SRe^tgläubigen oorgeroorfen ^at: 9Be^c
euc^, i^r ©c^riftgele^rten unb ^^arifäer, i^r ^euc^ler, ba§ il^r
ba§ SReic^ ber ^immet jufd^tiegt cor ben SWenf^en; benn i^r
tommt nic^t l^inein unb Ia|t aud^ anbere nid^t ^inetntommen, bie
I)ineinge]^en motten. 3Be^e eud^, i^r ^euc^ler, ba§ i^r 3Weer unb
Sanb burc^ftreifet, um einen einzigen ^rofelpten ju ma^en; unb
wirb er e§, fo mac^t i^r au§ i^m einen ©o^n ber ^ötte jroeimaC
fo arg al§ i^r. 3Bie wenig ^at er fx6) banor gehütet, ju nerle^en
unb an§ufto|en, wie mutig unb unbefümmert um bie golgen ben
Kampf geführt gegen atte abftc^tlic^e unb unabpc^tlt^e Süge!
aSSelc^e ©nergie, meiere greube, ju mirfen, fo lange e§ Sag ift,
meiere 2lu§nü§ung ber Qzxt unb ber non @ott gegebenen Ärafte!
Unb auc^ feine ©tettung jum Seiben, mie anber§ tft fie al§ bie
atter berer, proteftantifc^er unb fat^olifd^er |)eiliger, bie «^ ate
Oefd^enf ®otte§ begrüben, ja e§ rool^I gar felber l^erbeifü^ren.
SEBie ^at er energifd^ ben Kampf bagegen aufgenommen unb ben
aWü^feligen unb 33elabenen, bie er ju fid^ rief, nic^t blog geiftlic^c
^ilfe gebracht. aBie wenig ^at er fic^ aber auc^ ba, mo er ben
Seibenben geholfen ^at, non fc^mäc^ltc^em SWttleibe leiten laffcn
unb ftd^ nic^t gefc^eut, bie mit ftrengen aOBorten jurüdEjumeifen,
bie i^n ju oerloden fc^ienen, non ber i^m Dorgejei^neten 93a^n
abjumeic^en.
Unb au^ feine aCBorte werben falfc^ oerftanben, wenn man
ftetS nur bie Jtegation ^erau^^ört. ©ewijg er fagt : ©orget nic^t,
wenbe bic^ nid)t ab oon bem, ber bic^ bittet, richtet nic^t u. f. w.
^ifd^er: %cS Seben na^ bem (St^angelium. 403
älber bod^ ni^t baiS 9tic^ttun oon irgenb etiuaS ifi eiS, loa^ bem
SWenf^cnleben in feinen äugen ben SBert gibt. S33ir foDen nic^t
im ^afd^en nad) irbifc^en ©ütern unfer fieben verlieren, fonbern
md) bem SReic^e ®otte§ trauten. Sflgir foDen bem 9iäd)ften tun,
n>a§ mir mflnfd^en, ba^ e^ unS bie fieute tun. ^e§^a(b ftnb aUe
biefe SBorte, bie mit 5lid^t beginnen, bo^ nur bie 2lu§Iegung ber
pofttioen ffieifung: 2;rac^tet juerft na6) bem SReic^e @otte§ unb
feiner ©ere^tigfeit, fo roirb euc^ aüe§ Uebrige anfallen, nur ®r*
läuterungen ber 3Barnung: SBaö ^ülfe e§ bem SWenfc^en, roenn
er bie ganje äBelt gemänne unb ne^me bod^ @c^aben an feiner
©eele, nur 2lnroenbungen ber großen ©ebote: S)u foHft @ott
beinen ^erm lieben oon ganjem ^erjen unb beinen Stäc^ften mie
bic^ fetbft.
©0 geigt benn and) bie Oefd^ic^te, ba| bie SUlenfd^en burc^*
ani nic^t in bem 3Wa|e, in bem fie ber ®eift (S^rifti erfüllt,
gleichgültiger werben gegen bie Slrbeit in ber 3Belt unb mutlofer
im aSerfe^re mit i^ren ajlitmenfd^en. 9Wan barf im ©egenteil
fagen: feft unb fidler auf biefer @rbe fann nur ber fte^en, ber
mit ^cfu§ an eine gufünftige glaubt. Saffen ©ie mid^ einen un^
oerbäc^tigen 3«W9cn anführen. ® o e t ^ e bemerf t ju®cfermann:
„^i) mö^te mit fiorenjo oon SRebici fagen, bag alle biejenigen
auc^ für biefei^ fieben tot fmb, bie fein anbereö hoffen", :3a
e§ lie|e ftd^ unf^mer nac^roeifen, bafe aller maljrer gortfc^ritt ju*
fammen^ängt mit bem ©lauben an QkU, bie jenfeitö be§ ^v\>u
fd^en liegen.
S)ie, meiere bie 93e^auptung oertreten, ba§ man ^öc^ftenö
nod^ auf einjelnen ©ebieten al§ S^rift leben !önne, ba§ Eingabe
an bie non ©ott i^rem SSolfe gefteHten Slufgaben unoereinbar fei
mit einem fieben na^ bem ©oangelium, fül^ren gerne ^i^mardCS
Flamen im ÜWunbe. 2lber gerabe Sigmar dt ^at mit aller @nt»
fc^ieben^eit befannt, bafe man il^m mit bem ©lauben au^ ba§
aSaterlanb genommen ^ätte, ba§ er o^ne feinen ©lauben niemals
geworben märe, xoaS er mar. 3Belc^ ergreifenben 2lu§bnidt ^at
er aber feiner Ueberjeugung oon ber SBergänglid)feit unb ber
©leid^gültigfeit alle^ Qrbifc^en oerlie^en! Unb bennod^ mit me^
djer unermüblic^en Energie ^at er fic^ um alle 2lufgaben feinet
404 SB i f cl^ c r : %a^ ßcben nac^ bcm ©oangclium.
öcrufeS gctümmert, rocil et i^n au§ ®ottc§ ^anb na^nt! Stbcr
an6) auf bcm ©ebictc bcr Sagiffenfd^aft, ber Runft unb bcr Ztä)'
nif lücrben bic l^ö^ftcn Qkh nie oon bcm ^eute oiel gepricfencn
SHcaIi§mu§ erlangt werben, ni^t oon jener materialiftif^en aBelt*»
betrad^tung, bie — menn fte aud^ ®ott nid^t gänjltd^ negiert —
boc^ ein egoiftifc^eS ^anbeln at§ notroenbig unb ba§ ©(Raffen
materieller aOSo^lfal^rt aU roic^tigfte Slufgabe anfielt ')•
3u b ief er ©eftnnung fte^t freiließ baiS ©oangelium in abfo*
lutem ®egenfa§. Unb eben ba§ biefe ©efmnung bie ganjeSBelt
erfüUt, bag fie ben SBerfe^r jmifc^en ben einjelnen SWenf^en mie
ben SJöIfern be^errfc^t, ba| fte unjä^Iigen Einrichtungen unb @e»
fe^en ju ©runbe liegt, mai^t e§ un§ f^roer, ja oft gerabeju un-
möglid^, ba§ Seben nac^ bem ®oangeIium ju oerroirflic^en. S)et
Kaufmann fann oft nic^t fein ©efd^äft treiben, o^ne baburc^ bie
Syiftenj feinet Äonturrenten ju ruinieren. 3)ie ®in^eit be§ einen
95olte§ mu| auf Unfoften be§ anbem erlauft werben. Q^bem
bie Srfinbung einer neuen SWafc^lne einer Keinen 9lnja^l ben
Äampf um§ 3)afein erlei^tert, beraubt fte eine gro|e 3Wenge i^rer
bisherigen ©inna^mSqueflen. 3)a§ ift bie 9lot, bie Staumann
ergreifenb fc^ilbert. 3)ie ©efcHfd^aft, in bcr mir leben, ift in ber
3:at fo bef^affen, ba§ ber einjelne, ber nac^ bem ©ebote 3«fu
feinen Städ^ften lieben möchte roie fid) felbft, i^m roe^ tun muJ5,
um ftc^ felbft ju erhalten. Unb mir alle empfinben, ba| e§ ein
Unrecht toäre, i^n, ben einjelnen, obne roeitcreS bafur oerant=
mortlid) }u ma^en, i^m e§ al§ perfönlicf)e ©^ulb anjure^nen.
®r fann nic^t anber§ ^anbetn, miH er fic^ in feiner Umgebung
behaupten.
2lber — unb ba§ ift nun mieberum bie grage — follen mir biefe
Satfac^e ate ein UnglüdE empfinben, at§ bie ©d^ulb, menn nic^t
beS einjelnen, fo boc^ ber ganjen SJlenfc^^eit, aU eine Srbfc^ulb,
unter ber au^ mir feufjen, ober follen mir un§ i^r al§ einem
unabänbcrlic^en 5iaturgefe§e beugen? Können mir bem Soange-
lium, baS au§ bem finblic^en ©lauben an bie allmächtige aSater«
liebe ©otteS geboren ift, oermöge einer beffern unb tie*
1) ^Jcrgl. bie intereffantcn SluSfü^rungcn btx fjr. SB. g-ocrftcr, a:ec^s
nif unb ©t^if (ßeipaig 1905) ©. 16 ff.
IBifd^er: %aS Seben nac^ bem ©oangelium. 405
fetnSBelt^ unb ®otte8crtcnntni§ ba§ @cfc§ be§ Äampfcö
um§ 3)Qfein entgegenl^aUen , baS ®efe^, bajs auf ber @rbe baS
SBo^t bcä einen ftetö nur auf Äoften be§ anbem erfauft wirb,
jeber gortfc^ritt ber einen für bie anbern eine 9lieberlage fein mu§?
SBenn wir jum ©d^Iuffe noc^ biefe ^rage ju beantworten
unternehmen, fo fte^t — x6) n)et§ ba§ roo^l — ®fau6e ©tauben
gegenüber. 3lber ein ©taube, ber fic^ ebenfo fe^r, ja mit me^r
Ste^t, auf bie Satfac^en berufen fann aU bie angebtid^ reatifti*
fd^e 3Bettbetrad^tung, bie mit bcn beftc^enben 3i^ftäi^*>^" öt§ un*
abänberlic^en rechnet.
7.
JBBo^er fommt c§, ba| ba§ ©oangetium für fo üiete Unbe*
friebtgte unb Slottcibcnbe ein tecrer ©c^alt ift, roä^rcnb fte fic^
bod^ fo bereitmitlig oon jcber nod) fo trügcrifd)en Hoffnung todEen,
ftc^ fo leicht für atle mögtid^en ^beatc begeiftcrn laffen?
©ie fe^en im ®oangelium nur bie Äunbe üon etroaS, baä
oor nun batb jrocitaufcnb ^fö^ren gcfd^c^cn ift. aSon Sreigniffen,
bie oiettetd^t einft oon ber attergrö^ten 93ebcutung geroefen fmb,
oon ©reigniffcn, beren SBirfung ftc^ nod^ bi§ in bie ©egenroart
erftredEt. Sro^ altebem aber bie Äunbe oon etroaö, ba§ ber SSer«
gangenl^eit angehört, ©ie aber feufjen unb ringen unter bem
l^artcn ®rudte ber ©egenmart unb flauen in ben wenigen furjen
SlugenbtidEen, mo ber Äampf mit ber tägtic^en 9iot nid)t fieib
unb ©eete gefangen nimmt, brennenben 2tuge§ in bie bunffe 3"'
lunft na^ Qtxdi^n au§, bie bie ©eftattung neuer befferer 3uftänbe
üerl^eigcn. ©ie bei ber c^rifttic^en Äirc^e unb i^rcr 93otfc^aft ju
fuc^cn, baö fommt il^nen ni^t in ben ©inn.
Unb tonnen mir i^nen bc^megen einen SJormurf mad^en, ja
fönncn mir un§ überhaupt nur rounbern barübcr, ba§ bem fo ift,
ba| für Unjä^lige unter unfern 3eitfl^"öffen, ba| für bie grojge
aJlaffe fpejietl be§ arbeitenben aSotfe^ ba§ ©oangetium unter ben
2:atfad^cn, an benen ftc^ ber ©taube an eine fc^önere beffere 3"*
fünft, an bie ©rtöfung au§ atl i^rer teibtic^en unb geiftigen SRot
emporranft, feine ©tetle ^at ? <3ft boc^ au^ für bie gro|e SWc^r*
ja^t berer, bie fic^ ®t)riften nennen, ba§ ©oangelium im mefent^
406 $if(^er: %aS 2ebtn nac^ bem (^angelium.
Itd)cn nur bic ©otf^aft oon bcr @riö[ung, bie einft 3*fu§ doQ*
bracht ^at, unb bancbcn noc^ bie Hoffnung auf ein in ferner
3)ämmcrun9 liegenbcS 3^enfeit§. 9lur fpärlid^ unb fd^road^ aber
lebt bie Ucberjeugung, bag and) für bie Umgeftaltung biefer ffielt
im ®oangeIium Sßunberfräfte Derborgen liegen.
SBir ®I)riften ^aben, roenn oietleic^t ani) noc^ nic^t ade in ber
S^eorie, fo boc^ äße in ber ?ßrayiS ju rafc^ mit ben befte^enben
Sßer^ältniffen unb ber fie rec^tfertigenben brutalen materialiftif^en
SBeltanfd^auung fapituliert. Un§ ift e§ felbftoerftänbli^, ba| im aSer»
fet)re ber aSölfer miteinanber ®en)alt vox Siedet ge^t, bajg ^olitif unb
®t^if mit einanber nid)t§ ju tun ^aben. 3)a§ bie ©runblage aller
Sultur t>a^ 2:rac^ten nac^ @elb unb 93efi§ fei unb fein muffe, unb
ba§ im ©rmerb^leben einfad^ bie ro^e Kraft ju entfc^eiben i)abz.
®a|, roenn aud^ nic^t ber einjelne, fo bod^ bie ©efamt^eit gegen
bie, meiere fid^ am (Eigentum unb bem fieben i^rer 3Kitmenfd^en
©ergreifen, naä) bem ©runbfa^e 2luge um 2luge, Sa\)n um Qa\)n
JU ©erfahren f^ah^. Unb nun fommen anbere unb nel^men bie
©teile ein, mel^e bie SSertreter be§ ®nangelium§ preisgeben. 9tun
fommt bie ©ojialbemofratie , nun fommen bie Sonfumgenoffen*
fdjaften, bie griebenSoereine, alle bie ungä^ligen ©uc^er unb ®nt*
bedter naturgemäßer SebenSmeifen u. f. m. unb jeigen nic^t nur
ba§ Smpörenbe ber befte^enben Orbnungen unb ©itten, fonbern
rollen jugleic^ auc^ Silber einer beffern fc^önern 3iifwnft auf.
Unb fte fu^en SBege, wie bie S^räume einer fc^önern 3"f""ft
allmä^lic^ jur S33irfli^teit gemacht merben fönnen. Unb fo geben
fie ben SRenfdjen nic^t nur eine Hoffnung, bie fie in ben fd^roe»
ren ©tunben tröftet, fonbern aud) SitU, für beren ©rreic^ung
fie in begeifterter 2lrbeit alle Kräfte anfpannen. SBiH man fxi)
überjeugen, wie fe^r auc^ in folc^en Greifen, bie fic^ junä^ft nur
jur materiellen 93efferung i^rer Sage jufammengefunben ^aben,
ber ©ebante an eine oollftänbige Umgeftaltung aller SJer^ältniffc
begeifternb mirft, fo lefe man j. 93. bie Siebe, bie ber ©efretär
be§ a3erbanbe§ f^roeijerif^er Äonfumoereine in biefem Qa\)xe bei
ber (Eröffnung be§ 37. britifc^en ®enoffenfc^aft§fongreffe§ in ^ai§*
leg gehalten ^at^).
1) Dr. $. simulier, Ueber hxt Orunblagcn ber ©cnoffenfc^aftSberoe»
$ i f d^ e r : %aS Seben na($ bem ©oangeliinn. 407
©c^on oDctn bic Zat\aä)t, bo^ biefc Sßertrctcr üon SReform^
bcrocgungcn rocnigftcn^ bcn ®rud ber bcfte^cnbcn aSer^ältniffc nid)t
einfach al§ ctroaS unabänbcrli^c§ ^tnnc^men, bafe ftc bcn ©lau«
bcn an feine ^cbung ni^t preisgeben, geroinnt i^nen ba§ Sßer*
trauen bcrer, bic am mciften barunter leiben, ein aSerttauen, ba§
bcn ^rebigem beS 6oangclium§ fo oft nic^t bargebrad^t roirb.
aKu§ baS fo fein, unb ift eS rec^t, ba§ e§ fo ift?
Qd) beftreite nid^t, ba§ 3«fu§ nichts non einem Sfteid^e ©ot^
te§ n)ei|, ba8 fid^ aflmä^Iic^ burc^ menfc^lic^e 2lrbeit auf ber
®rbe oermirKic^t. Qä) l^abe mit 9lac^bru(f barauf ^ingcmiefen,
ba§ bic gange beftctjcnbc 6rbe mit allem, xoa§ bic SWenf^cn bar«
auf gefc^affen ^aben, i^m ein nergänglid^eS ©ebilbe ift, ba§ bin*
nen furjem einem neuen ^immel unb einer neuen ®rbe meieren
mirb. Unb ic^ ne^me aud^ jc^t fein ©ort baoon jurfidt. 2)lit
aUer (Schärfe möchte ic^ e§ oielme^r nochmals betonen, bag i^ bcn
©tauben, ber in biefer SBclt nic^t bic roa^re SBelt fie^t, oielme^r
bcn Slidt barüber ftinauS rid^tet, mit bem (Soangelium unabtrenn«
bar oerbunben ^alte. 9lber ic^ bin jugleic^ aud^ beffcn gemi^,
ba| mir gerabe at§ 3ü«9«^ -S^fu nic^t fo grog benfen bürften
non ber Unabänberlic^feit mand^eS befte^enben unb nic^t fo gering
Don ber ftraft beS ©oangeliumS aße Sßer^SItniffe umjuroanbeln.
®er ©Ott unb ber Sßater 3^efu ß^rifti, ber biefe SQBelt jerf^kgen
fann mie ein 3:öpfer baS 9Ka^merf feiner ^änbe, befi^t au^
bie ÜWac^t, fte na^ feinem SflgiUen ju leiten unb umjugeftalten.
Unb im ^inblidt auf biefe ©rbe ^at OefuS gßfost: ma^rli^ ic^
fage eud), roenn i^r ©lauben ^abt mie ein ©enftom, fo merbet
i^r JU biefem 93erge fagen: rüdtc oon ^ier meg bort l^inüber, unb
er mirb fortrüdten, unb nichts mirb euc^ unmöglich fein.
dhemanb ^at me^r im ©lauben an bie 93ergdnglic^feit biefer
aSSelt gelebt al§ bie erften ©l^riften. Unb bennoc^ mit welcher
©nergie, ja mit roeld^em 2:ro^e, man mö^te faft fagen, ©tarr=^
föpfigfeit ^aben fte barauf oerjid^tet, fxi) in bie befte^enben aSer«
^ältniffe ju fc^idten. aBa§ märe au§ bem ©^riftentum gemorben,
menn fc^on fte fo rafc^ i^ren grieben gemalt Ratten mit ber fte
umgebcnben 2Belt? ffienn fte nic^t ber befte^enben ©efcHfc^aftS«
gung. ©afcl, JBerbanb fc^roetjer. Äonfumoereine 1905.
408 ® i f d^ c r : %a^ ficben nad^ bcm ©oanoclium.
orbnung jum S^ro^c oerfu^t l^ättcn, ber eine me^r, bcr onbere
TDeniger tapfer, naä) bem (SoangeUum, fo me fte e^ oetftanben,
ju leben? 3)em, roai man ben SRigoriömuS ber alten Äirc^e ju
nennen pflegt, ber ben SRömern unbegreiflichen ^artnädtgfeit, bie
ni^t leben rooDte, n)ie man oon je^cr ju leben gemo^nt mar. Der«
banfcn mir e§, ba§ mir un§ ^eute no^ ©Triften nennen fonnen.
Unb ^aben ni^t biefe ©Triften, meil fie fic^ meigerten, bie ^orberun*
gen gu erfüllen, bie oon i^ren Se^örben mie i^ren SBolf^genoffen
an fte gefteUt mürben, unb bie fie al^ 9Biberfprud^ Q^c^tn ba§
Soangelium empfanben, gcrabe baburc^ geholfen, bie 3Belt in ge»
maltiger S33eifc umjugeftalten ? ©ooiel and) l^eute noc^ ^errfc^t,
xoa^ JU ben ^orberungen beig 6oangelium§ im aOSiberfpru^e fte^t,
fo ift bod^ man^e ©inrid^tung, manche ©itte, bie beim Eintritt
be§ ®]^riftentum^ in Sraft ftanb, üor ben g^tberungen be§ c^rift^
li^en Oeroiffeng gefc^munben ober menigften§ au§ ber Oeffent»
li^!eit in ba§ 3)unfcl gebrängt morben. SOBer magt aber mirf^
li^ 3U behaupten, ba| ba§ @oangetium mit feiner ^aft an bie
©renjen feiner 9Birffam!eit gelangt fei, ba| nic^t noc^ unjäl^lige
Oebiete ber ^errfd^aft ber brutalen ©eroalt gu entjie^en, ber
aSernunf t unb ber Siebe ju untermerfen mären , menn mir nur
entfc^iebener unb mutiger oerfud^en moHten, nad^ bem ©oangelium
JU leben?
aOSir tun unS l^eutgutage oiel ju gute auf unfere Kenntnis
ber Äräftc, bie in bcr 5iatur unb bem fojialen Seben ber 9Kenfd^»
^eit malten, unb auf unfere realiftif^e Setrad^tung ber S)inge,
bie fte nimmt, mie fte ftnb, ftatt fie in ba§ t)erflärenbe Sic^t un«
ferer SBünfc^e unb Hoffnungen ju ftellen. Unb fern baoon bar«
über ju fpotten, motten mir un§ gerabe al§ ©Triften biefeS ©tre»
ben§, ber SBirfli^teit flar in§ 2luge ju fe^en, freuen. @e^t boc^
auc^ atte ed^te f^römmigfeit barauf au§, burc^ bie ^üQe bei^
@d^einc§ jum SBefentlid^en, 3Birflid^en burd^jubringen unb barin
JU leben unb mebcn. Unb 3fcfu§ felber ift fein Sleligionöftifter
in bem ©inne, ba| er unS an irgenbmelc^e ©ä^e über @ott unb
bie SOBclt bänbe. 6r miU un§ Reifen, auf bem feften 93oben ber
S33irflic^feit ju fte^en. Unb je me^r mir un§ oon attem 2;ruge
unb ©c^cine frei ma^en, befto nä^er fommen mir aud^ bem @otte.
$ i f d^ e r : %aS Seben nac^ bem ^angelium. 409
ju bcm un§ ju führen Qe\n einjigeS 3i^I if*- Sf* «§ «w^ ober
roirfli^ — allein barum ^anbett e§ fic^ — tft c§ nun roirflic^
beffere Kenntnis ber aSSirflic^feit unb ber fte regterenbcn SWäd^te,
iDenn toxx ein fieben nac^ bem (Soangelium al^ unDoUite^bar tx*
Hären unb ber gorberung, auf ®ott gu oertrauen unb ben 3läi)^
ften JU lieben roie un§ felbft, ba§ ®efe^ entgegenftetlen, ba| aKe§
Sebenbe fid^ nur im Kampfe behaupten fann?
2Bir alle tennen ben ©egen, ber auf ber 2lnftrengung ru^t,
unb miffen, melc^ fc^Iedjten S)ienft man unS unb unfern 9iä^'
ften erroiefe, !önnte man un§ ba§ ^Ringen unb 2lrbeiten erfparen.
©c^tummembe Gräfte erroac^en, nerborgene Jugenben fommen
jum 93orfd^ein, menn bie 9lot an ben 3Wenfd^en l^erantritt. Unb
bie ©efc^i^te gibt manche« 93eifpiel bafür, roie Sßölfer ju neuem
Seben ermac^t fmb, al§ e§ für fie galt, im blutigen Äampfe um
i^re Syifteng ju ringen, ©ö fann id^ e§ fe^r rool^I oerftel^en,
loenn gerabe Äenner ber menfc^Iic^en 9iatur unb ber ©efc^ic^te
gegenüber ben 93eftrcbungen ber JriebenSoereine für einen „f rifc^en,
frö^üc^en" ^rieg in bie ©c^ranfe treten, ober menn anbern ber
©ieg ber ©efinuung, bie im ©oangelium jum StuSbrucf fommt,
al§ ba§ größte Unglüdt erfc^einen roitt, ba§ bie SWenfc^^eit treffen
fönnte.
2lber, m. ^., mir ^aben bereite ba§ aWi^öerftänbuiS jurüdE»
geroiefen, ba^ in 3efu§ nid)t§ al§ ben ftiUen 3)utber unb in bem
©oangelium nur bie 2lnmeifung jur SQBo^Itätigfeit unb 9lgfefe
fielet. 9tic^t weniger märe eS aber ein feltfamer ^fnrtum gu meinen,
ba| roirflic^ ber SUlenf^^eit aß ber ©egen geraubt mürbe, ber
in ber Slnftrengung unb im Kampfe liegt, wenn immer metjr bie
©eftnnung ^crrfd)enb mürbe, in ber einer be§ anbern befteS fuc^t.
©ibt e§ nid^t fd^on jet^t ja^Itofe ©ebiete, roo Äraftanfpannung
unb ©elbftüberroinbung glänjenbe ©iege baoon trägt, o^ne baJ5
ber 2lrm, ber aüe Äräfte anfpannt, ba§ Qkl ju erreichen, ju*
gleich ben 93ruber, ber ebenfaflig mit Slnftrengung feiner Äräfte
ftd^ oormärtg fämpft, rüdtfic^t§lo§ nieberfc^lägt ?
2)oc^ bie 3Bett Ic^rt un§, fo fagt man un§, ba^ aKseit bag
3Bo^I be§ einen erfauft werben mu§ burd^ ben SRuin bc§ anbern.
ÜJlan ftettt bem 93atergotte, ben 3^fu§ oerfünbigt, ben @ott ent*
3(itf(^rift fflr Zt^cologie unb Airc^e. 16. ^a^rg., 5. ^eft. 29
410 $ i f d^ e r : %a9 2ehtn nad^ bem ^angeltum.
gegen, ber fx6) im äBcltlauf offenbart. Unb in ber %at fe^en
toix nid^t, roic ber Jö^«/ ^«^ ^^ grü^ja^r bie 9ltpen üom (Schnee
befreit unb auf ben erftorbenen gluren ncue§ Seben crroedft, gu«
gleich auc^ bie üerberbenbringenben Saroinen in 93cn)egung fe^t,
©aumftamme Inicft unb ba§ glimmenbe ^erbfeuer jum jerftören«
ben 93ranbe entfa^t? ©e^en wir nid^t, roic bie ©d)n)albe, um
il^re jungen ju füttern, an einem einzigen 2:age unjdl^Iigen 9B3ür«
mern ben ®arau§ mad)t? Unb mufe nic^t fie felber oieHeic^t
roieber bem großem SRauboogel jur 9ta^rung bienen? @emi^.
Slbcr erlaubt un§ bie SBernunft, erlaubt un§ bie ©ef^ic^te, be§'
^alb meil ber SQSolf baS fiamm fri|t, meil ber ftürjenbe 5et§ er«
fc^Iägt, roa§ fi^ feinem Saufe entgegenftellt, nun al§ ein unab^
änberlt^eS @efe^, ba§ un§ ®ott felber le^rt, ju proftamieren,
bafe aud) ber SW e n f c^ fi^ auf ber ®rbe in alle ®mig!eit nur
behaupten fann, inbem er feinen 5läc^ften niebertritt? ©elbft bie
©efc^ic^te ber Sßölfer miberlegt für ben, beffen 93licf nic^t am
cinjelnen S^age haften bleibt, biefe SWeinung unb gibt un§ fein
9ied)t, baran ju jmeifeln , ba§ ni^t brutaler @goi§mu§ fonbern
©ered^tigfeit ein Sßol! er^ö^t, ba| ©ottoertrauen unb Släc^ften«
liebe f^tie|lid^ nic^t ju ©d^anben werben.
aöo^in Mmen mir, roenn mir au§ bem ©ebiete ber 9tatur
unb be§ 2:ierleben§ ober auc^ au§ bem, ma§ nod^ je^t meite Greife
ber ÜWenfd^^eit be^errfc^t, bie ©efetje ableiten mottten, an bie mir
für alle ßeiten gebunben ftnb? ©tatt meiter ju fc^reiten auf
bem 3Bege ber SßerooHfommnung mürbe bie SWenfc^^eit att-
mä^li^ mieber auf, ja unter bie ©tufe be§ 2:ierc§ jurücffin!en.
2luc^ auf bem ©ebietc be§ gcfd^led^tlic^en fieben§ laffen mir un§
nid^t leiten burc^ ba§, roa§ mir auf niebern ©tufen beoba^ten,
fonbern mir fmb überjeugt, ba^ für ben 9Wenfc^en al§ aSemunft*^
roefen anbere ©efe^e gelten al§ für bie unoemünftige Äreatur.
Unb menn mir au^ ba§ 3>^eal ber monogamen ®^e no^ lange
nid^t überall oerroirflic^t fe^en, fo oerjid^ten mir bo^ bamit meber
auf bie IJorberung, nod^ unterlaffcn mir, fooiel an un§ felber
liegt, fie ju oermirtlic^cn. ©anj biefelbe ©teHung muffen mir
aber einnehmen ju att ben anbern görberungen, bie fi^ au§ bem
©lauben an ©ottc§ SlHmac^t unb aSatcrliebe unb ber SInerfennung
^ifd^er: %a^ Beben nadi bem Q^oangelium. 411
unfercr aWitmcnf^en qI§ uuferer 93rüber ergeben. Unb eben xvtxl
ber einjelne, ber nac^ bcnt Soangetium leben miü, babei atlent*
l^alben auf ©c^ranfcn ftö§t, bie er allein nt^t wegräumen !ann,
ift eö unfere S^riftcnpflic^t, nic^t bIo§ in un§ felber ju befämpfeu,
roa^ bem Soangelium SBiberftanb leiftet, fonbcm auc^ barnac^
JU ftreben, bag afle bie Sitten unb ;3inftitutioncn, bie un§ rote
ein fefte§ 9le§ umfc^Iingen, immer mel^r oom ©eifle beS ®oan*
geliumS bur^brungen unb umgeftattet roerben. SBo^l roenbet fic^
ba§ oon ^e^VL^ Oefproc^ene an ben ©lauben, rieten ftd^ bie '^ox^
berungen be§ ®oangelium§ an bie, benen feine fro^e 93otf(^aft
bie SOBal^r^eit fpric^t. Unb \ö) roitt feine^roeg^ ba8, roa§ ic^ oor*
l^er barüber auSgefül^rt ^abe, nun roieber irgenbroie jurüctne^men.
aiber ein anbercS ift e§, Orbnungen geroä^ren gu laffen, bie um
ber ^erjenS^ärtigfcit mitten nötig fmb, roic ba§ au^ ^aulu§ ^at
tun muffen, ober folc^e, bie oon ber ©ünbe ^eroorgcrufcn ftetä
neue Sünbe erjeugen muffen.
©0 ift e§ g. 53. gcroi^, fotange e§ Seftien in SKenfc^enge^
ftalt gibt, nötig, mit (Seroalt gegen fie oorjuge^en. 2lber auc^
biefc ©c^u^einri^tungen für bie menfc^lid^e ©efettfc^aft tonnen
in und)riftlic^em ober c^riftlic^em ®eifte gefdjaffen unb ge^anb^abt
roerben. ©eroijg ift ei^ ein O^-rtum, §u glauben, ba§ mit beffern
^[nftitutionen o^ne roeitereS aud^ bie einjelnen SWenfc^en beffer
roürben. 3loäi oiel geroiffer ift aber, ba§ unenbli^ oiel Qammer
unb ©ünbe bie notroenbige ^«'Ige ber traurigen aSer^altniffe ftnb,
in benen au^ in ben c^riftlii^en Sänbern noc^ unjä^lige leben.
äBo^l glauben roir, ba§ @ott aud) 9tot unb 6lenb benü^en tann,
um bie SOtenfd^en gu ftc^ gu gießen. 9lber ba§ ^at O^fuS nic^t
ge^inbert, au^ ber leiblichen 9lot gu ^ilfe gu tommen unb oft
oor ber geiftigen. Unb gerabegu rud^to^ roäre e§, roottten roir
mit bem ^inroeife auf @otte§ 3lttmac^t ben S)ingen i^ren fiauf
laffen. SBir galten eg für unfere ^flic^t, un§ unfere eigene !ör*
perlid^e SeiftungSfä^igfeit unb fo aud^ ben ©eift frifc^ gu erhalten.
aSBir fu^en unfere Sinber nac^ Kräften fc^limmen Sinflüffen gu
entgie^en, i^nen eine ©teUung gu oerfc^affen, bie i^ncn mögli^
mac^t, fic^ o^ne fortroä^renben Kampf gegen bie 93erfu^ung i^r
93rot e^rlic^ gu oerbienen. Unb auc^ bie unter un§, bie etroa
29*
412 IBifd^er: %c^ Seben nad^ htm ^angelium.
auf bcn ©cgen bcr Slrntut l^injurocifen lieben, tun, n)a§ fte fönnen,
um oon fic^ felbft unb ben Q^rigcn ben SWangel ferne ju Italien.
Unb eS wäre unnatürlich, roenn fte eS nic^t täten. 2)ann muffen
mir e§ aber auc^ al§ unfere ^flic^t anerfcnnen, eine ®efellfc^aft§»
orbnung ocrmirfli^en ju Reifen, bie jebem einjelncn möglich mac^t,
nad) bem @oangelium ju leben, ol^ne ba^ er babei }u ©runbe
ge^t. S)ann ift e§ unfere ^flic^t, nic^t ju ru^en, bi§ oon bem
biegten 9ie^e fc^ltmmer ©emo^n^eiten unb ©inri^tungen, in ba§
Unroiffcn^eit unb ©c^ulb bie menfc^lic^e ©efellf^aft feit ^al^x*
taufenben oerfd^lungen l^at, SJtafc^e um iSlaf^e jerrei^t.
Sticht blo6 bie mir jugemeffene 3^^^ verbietet mir, auf alle
bie fünfte ^injuroeifen, mo bie 2lrbeit aller berer einjufe^en ^at,
bie im ©oangelium ni^t ein roeltfrembe^ 3»beal erblicfen. 3)a^
®Dangelium enthält feine beftimmte ©efeUfd^aft^orbnung. Unb
bie einjelnen SBäorte Qefu, fo fategorifc^ fte oft lauten, ftnb feine
®efe^e§Dorfc^riften, an beren SBortlaut mir un§ galten fönnten.
9Ber ben ©eift beS ©oangeliumS in ftc^ mirfen lagt, mug ftc^
ben SBeg felber fud^en, ber i^m al§ ^[ünger ^z\\i ju ge^en jiemt.
Unb allerlei äßege fül^ren ju bemfelben S^zU.
3u allen 3^it^" ^^t e§, folange bie c^riftlic^e Kirche befte^t,
aud^ einjelne mie gange ©ruppen gegeben, bie bie einjelnen ©orte
3efu möglic^ft buc^ftäblic^ ju erfüÜen oerfuc^t ^aben. Unb fo
menig ic^ bie ©efa^r oerfenne, bie in einer folc^en Stellung liegt,
fo fe^e ic^ eä bennod^ für ein ©lüdt an, ba| e§ ber Äird^e nie an
fold^en ©Itebern gefehlt ^at. ©te lehren unS immer roieber, ntc^t
gar ju rafc^ über bie einjelnen SBorte Q[efu unb bie barin Ite*
genbe S33eifung tjinmegjuge^en. 9öer ift unter un§, ber j. 93. nic^t
unter bem ©inbrucf ber erfc^üttemben ^rebtgt, bie S o l ft o j in
Derfc^iebenen feiner 93üc^er über bie SBorte „Sticktet ni^t" ^ält, bie
©mpfinbung gewonnen ^at, bag un§ biefeö aQBort boc^ me^r }u
fagen ^at, al§ mir i^m gemö^nlid^ entnehmen? ©ollte ni^t btc
©efinnung, bie barau§ fpric^t, roenn mir fte un§ angeeignet Ratten,
in gang anberer äßeife au^ in unferm ©eric^tSmefen unb aQ ben
©inri^tungen, mit benen bie ©efellf^aft ber ©c^mac^^eit unb ber
93o§^eit entgegentritt, jum 2lu§brurf fommcn ? ^ängt nid^t oieU
leicht bie ©rfolgloftgfeit unferer ©trafpflege, bie ft^ immer me^r
^ifc^er: %aS Seben nac^ bem ©oangelium. 413
aufbrängt bamit jufammcn, ba§ ftc auf Sßorau^fe^ungen beruht,
oor bcucn fc^on 3^cfu§ gcroarnt ^ot? Unb roic auf bicfcm ©c*
biete, fo ftedten wir nod^ aDent^atben in ©efettfd^aftSorbnungen,
©eiuo^nl^eiten unb ^nf^auungen, bie n)tr als ura(te§ @rbe mit»
f^Ieppen, tro^bcm fie jum 2:eil in biref tem SBiberfpruc^e gu
ber ©efmnung be§ ©oangeliumS ftel^en. 9lur langfam empfinbet
bie (S^riften^eit biefen ffiiberfprud^, unb noc^ langfamer gelingt
e§ i^r, il^n aufju^eben. 2lber bie§ ift fein ©runb, il^n alS un*
oermeiblicb anjufe^cn. 3Ba§ auf fo otelen ©ebieten möglid^ ift,
bafe bie aQBo^Ifa^rt unb ber ^ortf^ritt be§ einen nic^t burc^ ben
gatt be§ anbern erlauft wirb, follte ba§ ni^t au^ auf bem ©e^
biete be§ ©rroerbSlebenS möglich fein, fobatb mir un§ nur non bem
teuflifc^en ^fvrma^ne befreit ^aben, ba| nur bie fc^rantentofe ©elbft^
fud^t ba§ Seben geminnt? 9lod^ be^errfc^t biefe SJleinung ba§
Renten weiter Äreife au^ innerl^alb ber S^riften^eit, tro^bem ba§
mir nietteii^t mit bem SWunbe ba§ ©egentcil befennen. Unb fo
gilt e§ benn auc^ meift als felbftoerftänblid^, bag bie mei^e Stoffe
ba§ Siecht l^abe, ben ©djmarjen nid)t nur ba§ Sanb ju nehmen,
fonbern fte ouc^, menn fie fic^ jur aßel^re fe^en, mit aßen 9Kitteln
ju untermerfen. ©o flafft freiließ ein unüberbrüdbarer aSBiber*
fpru^ jmifc^en ber ©taatSraifon unb bem Seben nac^ bem Soon*
gelium. aber ba§ barf un§ ni^t l^inbern, al§ ®^riften immer
mieber gegen bie ©runbfä^e ju proteftieren, bie in bem SSerfe^re
ber aSölfer untereinanber no^ al§ fclbftoerftänblic^ gelten. Unb
mir brausen bie Hoffnung bur^ouS nid^t oufjugeben, bog fic^
au^ auf biefem ©ebiete bie ©ebote ber ©ere^tigteit unb 3Wenf^«
lic^feit burc^fe^en.
©0 fe^en mir im Sirf)te be§ SoangeliumS altentl^alben 2luf=
gaben, bie un§ jur 2lrbeit aufforbem. 9lod^ liegt im ©oangelium
ein ©^atj oon Kräften, ber 9Bunber ju tun vermag. Unb menn
mir nic^t ben ©tauben befttjen, biefe Kräfte fetber ju entbinben,
biefen ©c^o^ felber ju lieben, fo moDen mir unfern Rleinglauben
e^rlic^ cingefte^en, aber ni^t bem ©oangelium bie ©c^ulb geben
unb ba§ 3B3ort gelten laffen, ba§ alle 3)inge möglich finb bem,
ber glaubt, ©emi^ ba§ ©oangelium jeigt un§ ein Seben, boS im
aSiberfprud^ fte^t, ju bem, roa§ oor 3lugen liegt, ©erabe ba§ ift
414 ^ i f d^ e r : %a^ £eben nad^ bem ^ongelium.
aber ein ß^ici^en feiner Unoergängllc^feit. Unb ftatt beS^alb baran
ju üerjroeifeln, rootlcn wir banf bar fein, ba| eö un§ immer roieber
oor äugen f)&% toaS fein fofl, unb unS foroo^l aU einjelne wie
al§ ©efamt^eit baoor bemal^rt un^ mit bem (Errungenen jufrieben
JU geben. Unb menn e§ in ber %ai je^t noc^ fe|r oft atö un>
mögtic^ erfd^eint, na^ bem ®oangelium ju leben, fo ift e8 für alle
bie, meldje an ben SSater ^e^n ©^rifti glauben, ^ßflic^t, barnac^
}u trachten, ba§ immer mel^r f^on auf biefer (Srbe bie Sitte jur
(Erfüllung gelange: 3)ein Steid^ lomme.
415
>ßfr. «. ^laiiif
(SBronnroeilcr bei IHeutlinöeit).
1 — 3. S)ic (Sntitjicf lung be§ „SWoberncn" au§ ber
tlaffifdjen @eifte§n)clt.
1. 2)ie Maffifc^e ^^criobc beutfc^cn ®eiftcglebcn§ gcid^net ftd^
oor anbcm ftafftfdjcn ^criobcn (bem griec^if^en 2lltcrtum, bcr
atcnaiffance, bcr cnglifdjcn, franjöftf^cn Älaffif u. f. xo.) baburd)
au§, ba§ in il^r jum erftcnmal auc^ bic ©efe^c aller Äloffigität
ju üollem flaretn 93en)u§tfein gcbradjt roorben fmb. Srmöglic^t
lourbe beren ^erouHarbeitung burc^ ein in ber ganjen SBeltgc-
fd^i^te (au^ in ©riec^cnlanb) nid)t bagcn)efene§ $anb in ^anb^
arbeiten oon 3)ic^tfunft unb 5)enffraft, oon fünftlerifc^cr ^^robut»
tionSfraft unb tritifd^*fpetulatioer @eifle§fc^ärfc. ©o fann auc^ erft
Don je^t an ba§ „ÜRobeme" (roie baiS „Sflomantifc^e") feinerfeitS
in bewußten ©egenfa^ gegen bie Älaffijitat treten. Sie ©cfe^e ber
(enteren ftnb junäc^ft für bie Äunft unb i^re ©ebiete burc^ bie
Seffmgfc^e Ävitif, für baö ©ebiet be§ gefamten ©eiftesilebens; burc^
^m. Äant in muftergültiger , alfo felbft flaffifc^er 3B3eife aufge*
fteüt roorben. 3öa§ nämlic^ Äant in feinen brci großen fritifd^en
SBerfen, ber Äritif ber reinen SJernunft, bcr prattifd)en aSernunft
unb ber ^ritif bcr Urteil^fraft nac^rocift, ift im ©runbe gar nic^tö
anbcrc^ al§ eben jene§ ®efe^ bcr inneren ©in^citlid)*
teit, ©efc^mäjsigfcit unb ©inftimmigteit, n)clc^c§ bü§ ganjc be-
wußte ©eiftc^Icbcn in feinen brci gunftionen, im 2)cufen, SBoücn
416 ^lancf: Älafftfc^c, mobcmc unb rcitgiöfc 8cbcn§auffaffung.
unb gefü^I^mä^igcn Urteilen al§gcbietenbc§9bcal be^crrf c^t.
9lac^ biefem ®efe^ miß ber ®cift fraft innerer Slötigung bic ganje
SBelt ber ©rfal^rung aufgefajst, beurteilt unb geftaltet roiffen.
3)ie§ ®efe^ ift aber nichts anbere§ al§ ba§ @efet> ber Älaffisität
fclbft, ba§ ffaffifc^e geiftige SebenSibeal, ba§ nun unferc 3)ic^ter
in ber lebenbigen 3lnfc^auung be§ SBa^ren, be§ ®utcn unb be§
©^önen un§ na^egebra^t unb in§ ^erj gefc^rieben ^aben. 2tt§
tlaffifd) ift ba^er ein ®eifte§n)er! (n)iffenfc^aft(i^e§, fünftleri[c^e§,
politifd^esi, foaia(e§, juribif^e^) immer bann ju bejeic^nen, menn
e§ lebiglic^ in 5Würffid)t auf bie innere ©in^eit ber ©ac^e entmor*
fen unb ausgeführt morben ift; mobern (ober romantifc^) ift eS,
menn e§ in feiner 9lnlage oon irgenb meieren fonftigen 9iüclftci^*
ten unb Qntereffen be^errf^t ift, e§ mag fonft fo bebeutenb fein
als e§ miß. ®ie ftrenge innere ©a^lid^!eit, bie ©cfe^mäjsigfeit,
bie au§ ber 3WannigfaItigteit unb SBerfc^lungen^eit ber ®rfa^-
rungSmelt mit ftegl^after Ätar^eit ^erauSleuc^tet, bie ift immer baS
üUlerfmal ber ÄtaftUität.
®a bie§ ®efe^ ber inneren ®inl|eit mie gefagt in aCen brei
©eiftcSfunftionen ba§felbe ift, fo gibt e§ ben fic^ barauf grünben*
ben ®eifte§gebieten be§ ftrengen, wahrhaftigen 3)enten§ b. i. ber
aSiffenfc^aft, be§ ftrengen ftttli^en SöoUenS unb ^anbelnS, b. i.
be§ 9iec^t§M/ be§ ftrengen auc^ in ©ac^cn be§ ©efü^lS unb ©e^
fd)macfS rein fa^Uc^en, gefe^mä^igen Urteilend unb ©eftattenS,
b. i. ber Äunft, i^r 9iec^t auf Slutonomie, b. t). auf ©elbftbeftim*
mung rein au§ ben in i^rem Qbeal liegenben, nict)t Don au§en
^erjugebrac^ten ®efe^en ^erau§, unb bamit auc^ i^rc ®Iei^be*
re^tigung untereinanber.
®ie l^ö^ere innere ®in]^eit biefer brei geiftigen SätigfeitiS^
formen untereinanber mirb l^ergefteüt burc^ ben „^rimat ber
1) S)a§ $H e d^ t e ift ba§ ®utc im fonfrctcn ©inaelfan. (So ift ba^cr
immer nur unter ben betreffenbcn fpe^icücn S3crt)dltniffen gültig, alfo nur
relatio gültig , nic^t abfolut roic bag ®ute felbft. %a aber immer nur
im ©injelfaß mit ©ic^cr^eit auäjuma^en ift, mag „$Hc^t" auf (Geltung
beanfpruc^cn fann , fo fann nur bog Dlec^te mit ber SmangSgeroalt be*
fleibct werben, al§ „ditd^V, rod^reub ba§ reine ®ute felbft immer inner*
l)alh ber ©efinnung fielen bleiben, fic^ mit bem inneren ©emiffenSurteit
begnügen mu^.
platte!: ^lafPfc^c, mobemc unb rcliöiöfc ficbcnSauffaffung. 417
praftif^en JBcrnunft" m. a. SB.: bic Icitcnbc 3^«t^alii>^« ift bic
bc§ ftttlic^ @utcn, bcr bic ^htm bc§ SBa^rcn, be§ SRcc^ten
unb bc§ ©^öuen untergeorbnct ftnb; jcbo^ fo, bog bicfc auf
t^rcm eigenen ®ebiet Dößig autonom bleiben unb nur i^re je^
roeiligen Srjeugniffc in i^rem 9Berte für ba§ @anje unb in il^rer
SBirtung auf ba§ @anje Don jener erfteren abwägen unb regu«
Heren laffen muffen. SBiffenfdiaft Stecht unb Äunft fmb autonome
gleic^bere^tigtc ©ebiete, ba§ rein Sittliche, ba§ ®utc aCein l^at
ba§ ausifc^Ue^lic^e 9iec^t, gemiffe — relatio berechtigte — miffen*
fd)aftlic^e juribifd^e, fojialiftifc^e, fünftlerifc^e Sinfeitigfeiten in i^re
©c^ranfen ju meifen unb fo ba§ geiftige ©efamtleben oor Ueber^
griffen ju fc^ü^en.
2)ie afabemifd)' unb fünft(erifc^erfeit§ häufig beliebte ^aral«
telificrung : 3Biffenfc^af t — ©ittli^feit — Äunft fc^eint ung bem*
nac^ unHafftfc^ unb unrichtig ju fein. SBiffenf^aft unb Äunft
foCen bic ^\>etx[ be§ SBa^ren unb ©^önen al§ fritif^e 3Wäc^te
auf bem SBoben bcr tonfreten 9Bir!tic^!eit bc§ menfc^lic^en ©eifteö*
unb ®efenfc^aft§leben§ vertreten. 3)ie SJertreterin bcr ^bet be§
®uten, bcr reinen ©ittUc^feit foC auf bicfem »oben ba§ 9iec^t
fein, freiließ ift e§ ba§ nic^t immer, fo menig SBiffenf^aft unb
Äunft immer bic ©ac^e bcr reinen 9Ba^r^eit unb ©^ön^eit oer*
treten l^aben. SBiffenfc^aft, 9iec^t unb Äunft !önnen ba^er unter*
einanber mo^t in Äonflift fommcn, SBiffenfc^aft unb Äunft mögen
in^befonbere gegen oeraltete 9iec^t§^ unb ©ittenbegriffe anfämpfen,
moju ja bie politifc^e SBertretung ber 5Rec^t§ibec au^reic^enbe tri^
tifc^e ©clegen^eit gibt, aber gegen bie ©ittlic^feit aU folc^e fi^
aufjule^nen ift für beibe ©etbftüber^ebung. ®arnac^ mag man
abfc^ä^cn, mag an ben befannten Slnfprü^en ber Mnftterfc^aft
SBal^re^ unb g^tf^cs; ift: gen)i& ift ftttli^e§ unb äftt|etif^e§ Ur--
teil jmeiertei Urteil, aber in feinem SBert für bie ©efamt^eit mirb
ba^ ^unftmert eben boc^ le^lic^ auc^ nac^ feinem ftttlic^en @e^alt
geroertet. 3)a§ ©itttic^e ift ba§ rein aWenfc^li^e; unb aud^ ba§
Äunftmert ift fc^lie^li^ nur ein 9Wittel, um bie^ jur reinen 3)ar'
ftellung su bringen ; bie üirtuofefte ^anb^abung ber tünftlcrifd^en
Jec^nif fann ben 9Wanget an innerem meufc^lic^en ©e^alt ni^t
erfe^en.
418 ^ I a n cl : Älafftf cftc, mobcmc unb rcligiöf c SebenSauff affung.
2. 2)cr politifc^c fitberaü§mu§ mar eS, ber al§ Xcftomcntö*
Doßftrerfcr bc§ tlafftfc^cn Qbeali^muS bicfc Slutonomic oon SBif»
fcnfc^aft Siecht unb Äunft in ber großen Ocffcntlic^feit burc^fc^te
gegenüber Don ber biiS^erigen ftaatlid^en unb Fir^Uc^en ®ebun«
benbeit ber öffentlichen aJleinung. 3)a§ ift fein ^iftorifd)e§ 9}er^
bienft. ®ie golfl^ bk\e^ ©iegeS — einer ber pofitiDen Errungen*
fcbaften be§ 3»ö]^^e§ 1848 — war aber nichts weniger aU eine
neue ©tüte be§ flofpfc^en 3i>^oliSn^w5. @§ trat oielme^r ein
DöQiger Umfc^n)ung ein.
2)ie ftreng Maffifc^e, mit ben 9lamen Sant ^ gierte « ©d)iDer»
^egel bezeichnete 9lic^tung ^atte ben SOtenfc^engeift me( ju febr
aU felbfttätigeS, ja felbftfc^öpferifcbeS SBefen aufgefaßt, fie ^atte
ba§ pafftoe, empfängliche Clement in ibm, ba§ boc^ aßen ©toff,
auc^ benjenigen für bog ®eifte§leben liefert, faft ganj ignoriert
unb infolge baoon bie Slb^ängigteit aße§ menfc^Ucben (Seiftet*
lebend oon natürlichen unb fojialen 33ebingungen fo gut wie gar
nic^t beachtet. 2lnbere, oon ©oetl^e, ©c^clting, S^leiermac^er
oertretene SRic^tungen machten jmar l^ierin nic^t mit, opponierten
auct) bagegen oom äft^etifc^en, pfpc^ologifc^en, religiöfen ©tanb»
punft au§, maren aber boc^ felbft oiel )u fe^r im allgemeinen
5lbeali§mu§ (ober auc^ Silafftjiömu^) befangen, um jene ®infeitig-
teit aufwiegen ju tonnen. 9toct) weniger mar ^ieju bie tünftleri*
fcf)e unb religiöfe 9iomantit imftanbe mit i^rer einfeitig ftimmungs;^
mäßigen Seben^auffaffung. So mar ber JHüdfc^lag unausbleiblich.
3. 2)ie aßiffenfd^aft, ba§ SRecbt unb bie Äuuft, fobalb fie
i^rer 2lutonomie ftct) bemüht unb fro^ geworben waren, liefen
alle ibealen unb pbitofop]^ifd)en ^rinjipienf ragen, mittelft beren
fte eben erft il^r Siecht in ber Deffentlic^feit fic^ erftritten Ratten,
fahren unb gingen oöUig in i^rcr ftofflicben gegenftänblic^en 2lr^
beit auf.
a) 3)ie SBiffenfcbaft fpric^t ficb junäc^ft in bewußter 3Beife
bie fc^öpferifcbe gäbigfcit ab; an^ bem ^Jbeal bcS fc^öpferifc^cn
3)enfer§ wirb ha^ beS gorfc^er§ in ^Jktur unb ©efc^ic^te. 3)ie
3Biffenfct)aft wirb rein befc^reibenb. 2)urc^ biefe Selbftbefc^räu'
fung gewinnt fie eine 3Jlcnge eingebenber foliber ^enntniffe auf
allen ©ebieten ber erfat)rbaren äBirflicbfeit , fic wirb auc^ oor
$lancf: ^lafflfc^e, mobente unb reltgidfe SebeniSauffaffung. 419
aDcm in bcr mat^cmatifc^^mcc^anifdöcn 9ioturn)iffcnfc^aft unmittcis
bar fruc^tbor für bie roirtfc^aftlic^c 5hiltur. 2lbcr bei foldjcm
^Betrieb miß bic ®r[c^einungg* unb ©rfal^rungSroclt eben immer
nur ou§erlid) erflärt, ni^t aber einheitlich unb innerlich begriffen
merben unb barum bleibt ber ©toff 9Jleifter, ber jerfe^enbe SBer»
ftanb geminnt e§ über ben jufammenfoffenben jentralifterenben
(Seift unb bie 3Biffenfc^aft fte^t am SRanbe be§ aWateriali^muS.
b) Sie Äunft — fomeit fie roieber in bie SBa^nen ber 5Ro»
mantif einlentt, fc^Iie^t fte fi^ felbft oon ber unmittelbaren ®e*
megung ber ©eifter au§ unb tommt mefentlic^ al§ SReattion^er*
fd)einung gegen biefe in SBetrac^t — bie Äunft gewinnt burc^ bie
neue ftofflic^^naturmiffenfc^aftU^e SRic^tung ebenfalls eine SJlenge
tec^nifd)er Slu^bruct^mittet unb geminnt baburc^ an ^ä^igfeit auc^
bie alltägliche SBirflic^teit äft^etif^ ju burc^bringen , moran eS
ben Älaffifern boc^ in ^o^em @rabe gefehlt ^atte. 2lüein ber au§«
gefproc^ene SWangel an jebem geiftigen Qheal, bie g^eube an ber
^ä^lic^en, ja gemeinen ©eite be^ üebenS seitigt ^ier nic^t meniger
unfpmpat^ifc^e ®rf^einungen al§ e^ bie SluSmüc^fe be§ mirtfc^aft»
liefen £iberali§mu§ maren.
c) ®ine nic^t weniger afute „aSermeltlid^ung" erlitt ber
Slec^t^ gebaute, wie er ben Älaffitem oorf^mebte (Schiller,
gid)te, Urlaub). 3^nfolge ber traurigen ©rfal^rungen be§ Qal)xz§
1848 unb ber ^olgejeit oermanbelt fic^ ber „Äampf umö SRec^t"
in einen immer bemühter merbenben Äampf um bie SRa^t, fo»
mo^l auf nationalem ©ebiet — l^ier unter gü^rung ©iSmardö^)
— al§ auc^ auf bcm mirtfc^aftli^en unb fojialen — ^ier unter
JJül^rung einfeitig manc^efterlidjer unb fogialiftif^er 2:^eoretiter.
®a^ beutfc^e 3Solf fud^t ben SSorfprung, ben bie anbern SBölter
auf bem ©ebiete ber nacften Q[ntereffenpolitif feit ^a^r^unberten
ooraug^aben, mit bemühter beutfc^er ®rünblict)teit ^ereinju^olen.
2)er Staat felbft grünbet au^gefprocf)enerma^en feine ©fi^
ftenj auf ben nationalen unb mirtfd)aftlict)en ®goi§mu§ — roei^
man bod), ba§ ber @goi§mu§ bie meitau§ ftärffte Jriebfeber ber
1) ®ie S'lotroenbigfeit unb Unumgdnglic^feit oon 33i§marc(§ 33orge^en
angefic^tS ber politifc^en ©ai^lage foH bamit in feiner ©eife in 3n>eifel
gebogen werben.
420 ^ I a n (f : Älafflfc^c, mobcme unb religiöfc ßcbenSouffaffung.
Slrbeit bilbct ! 9lur barf man ftd^ nic^t barübcr rounbcm, rocnn
bicfc§ ^rinjip in bcr breiten erroerbenben 95oIt§maffe einen SBiber^
^aC finbet, ber einem fc^Iie^Iic^ boc^ un^eimlic^ mirb. S)ie©döran«
tenlofigfeit ber Ronfurrenj, bie mit bem fallen aDer ftoattic^en
unb jflnftlerifc^en S^ff^I^ eintritt, nerfü^rt junäc^ft ju aCer mög»
tiefen Unfolibität im ©rmerb (unreelle 2lugenblicfSgrünbungen,
billiger ©c^unb ftatt prei§merter 2lrbeit); fobann bringt fte aber
auc^ jroifdjen bie mirtfc^aftlic^ fü^renbe unb bie mirtfc^aftlic^ ge»
fül^rte klaffe einen unüberminblic^ f^einenben ©egenfa^, benn bie
le^tere mu§ ftd^ je^t lebiglic^ als (SrmerbSmittel in ber ^anb ber
erfteren porfommen. ®er liberale Staat finbet e§ ferner für gut,
im felben 2lugenblidt bie aSoltSmaffe auc^ non fir^lic^er SReligion
unb Slutorität ju emanzipieren unb fo mit ben äußeren 33anben
auc^ bie inneren fittlic^en, menn ni^t auf julöfen, fo boc^ ju lorfem
— tein äöunber, roenn je^t im gefelligen fieben bie plattefte öbefte
©enu^fuc^t ftc^ breit mac^t, im öffentlichen, politifc^en unb rec^t*
liefen fieben aber baS laut geprebigte SRi^trauen, nor allem bie
^e^e ber geführten SJolfStlaffen gegen bie fü^renben bie ^err«
fc^aft antritt. Staatliche unb tir^Hc^e ^^ürforge jufammen mit
prioater 95erein§tätigfeit tonnen bem bi§ ^eute nur ein fc^mac^e§
©egengeroic^t bieten. 2luc^ anbermeitige 2lnnä^erung§nerfuc^c
muffen junäc^ft fc^eitern.
S)a§ jmeite ffirbe ber neuen ^olitit, oon ©iSmardt gen)i§
nid)t gemoDt, aber mit neranla^t, ift ber nationale ©^auniniSmuS,
ber ein ebenfo bequemet ate geiftlofe§, freiließ Don unferen 9Jac^s
barnationen noc^ in ungleich ftärferem 3Wa§e ausJgebeuteteS, po»
litifc^e§ 9lgitation§mittel barfleUt unb bem gemiffe Ijalbroiffenfc^aft»
lid)e Strömungen, JWaffent^eorien unb fi^nlic^eS bebentlic^en SJor*
fct)ub leiften.
4 unb 5. ftlaffifct)e unb religiöfe Seben^auffaffung.
4. 2Bem ift nun bie Sc^ulb an biefem 2lbfall jujufc^reiben?
9iac^ allem SBi^^erigen trägt ber flaffif^e ^beali§mu§ ein gut
Seil ber ©c^ulb felbft, fofern er in ifarifc^em §oct)flug fic^ felber
überftiegen l^atte unb nun burc^ fein ©c^idEfal feinen brei legiti«
men Äinbern, ber SBiffenfc^aft, bem 9lect)t, ber Äunft e§ felber
$ l a n (i : ^laffif ^e, mobeme unb religidf e SebenSauffaffung. 421
nahelegte« ftc^ an bte 93ebingungen ju erinnern, an roet^e oQe^
3)afein — auc^ ba§ be§ 3^beal§ — auf biefer ®rbe gefnüpft ift.
Slttein bicfe notiücnbige ©elbftbefmnung rourbe, wie c§ bei biefer
abroärtöfü^renben 3)entric^tung naheliegen mu§, allma^Iic^ immer
me^r ju einem ftc^ ge^en laffen, bie berechtigte ^^^rberung ber
9leujeit, aller Slrbeit, auc^ ber geiftigen gegenftänbtic^e, fruchtbare
unb greifbare Qkk ju geben, führte ju einem aWaterialiSmuS ber
©efmnung, bie fic^ nun eben auc^ in ber rein materiellen 2luf«
faffung Don Statur unb SJlenfc^enteben bur^ Äunft unb SBiffen*
f^aft gefiel, fie^tere l^örten aber bamit auf, ber ©emein^eit be§
alltägli^en 3)afein§ ein ©egengemic^t ju bieten; bie SBiffenfc^aft
lieg i^ren fritif^en ©mpiriSmu^ plö^lid) in platten 2naterialiS<
mu§ umfc^lagen; ber 9tec^t§gebanf e , ber einft bem SBolt bie po*
litifd^e ©elbftbeftimmung sugefproct)en, gab üollenb§ fic^ felber preis,
al§ er fic^ jur nacften ö^tereffenpolitif oerflüc^tigte. Unb — mie
e§ JU ge^en pflegt — je mel^r man be§ ibealen ©runbe§ ber 2luto*
nomie dou SGBiffenfc^aft, SRed^t unb ^unft oergag, befto me^r mur«
ben biefe fic^ Selbft jmecf ; bie SDBiffenfc^aft gefällt fi^ jeitroeilig
in unfrucJjtbarer 2)etailträmerei, bie ^unft fuc^t me^r Slnflog ju
geben bur^ 3)arftellung be§ ^äglic^en, ja ©emcinen al§ ©r^e*
bung unb ©rbauung burc^ 2)arftcliung be§ S^önen. ©rftereö
ift freili^ auc^ leichter. 2ll(eö in aüem : SBiffenfd^aft, SRec^t unb
Äunft maren fel^r ftolj auf i^re neugemonnene ibeate Slutonomie,
allein in biefem freubigen ©tolj ^aben fie bie Don berfelben ge«
flellte gorberung, beren ©rfüQung boc^ eben SSoraugfe^ung biefer
2lutonomie ift, teilmeife migact)tet, teilmeife aber au^, voa§ noc^
fc^limmer ift, mit falfc^er SJlünje ju beja^len nerfu^t^).
©0 blieb ba§ Seben ber unmittelbaren ©egenmart o^ne alle
ibealen gaftoren, unb wer o^ne folc^e ni^t leben mod^te, mußte
fie roieber ba fu^en, mo fie bisher o^ne SSerü^rung mit ber
großen ©eifteSberoegung, ja jumeift unter bemühter 2lble^nung
eine§ SompromiffeS mit i^r, ein ftiHeS 3)afein gefriftet, nämlic^
bei ber ^Religion; man ging alfo mieber in bie Äirc^e. 3lber:
SDBiffcnfd^aft, SRec^t, ^unft foKen i^re Slutonomie behalten; fein
1) ®amit foll naturlid) bie fubjcftioe SBal^r^aftigfeit einc3 <Strau&,
^üc^ner, $äcfel u. a. nic^t in 3n>eifel gebogen tuerben.
422 ^lancf: ^(affifc^e, mobeme unb religidfe SebenSauffaffung.
crnft ju nc^mcnber üWcnf^ fann rüiücn§ fein, fie neuerlicher SBc«
Dormunbung burc^ ben ©taot au^jufe^en ober fte bem (Bd)o^ ber
Äirc^e, bem fte einft entfpro^t jurürf$ugcben. ^aben fie an6) ben
SBater, ben tlaffifc^en 3ii>cöli§mu§ j. %, fd^nöb verleugnet, er lä§t
fie boc^ ni^t me^r an§ mütterliche ©ängelbonb feffeln. S)ur^
biefe Sachlage ift nun aber auc^ bie öffentliche, b. i. bie firc^U^e
SReligion, in bie 9lottt)enbigfeit oerfe^t, i^r eigene^ religiöfe§ Se»
benSibeal neu ju beftimmen unb e§ }um flaffifc^en in ein tlareS
93er^ältni§ ju fe^en. ^Beginnen mir mit bem le^teren!
a) 3)a§ ttaffifd^e Seben^ibeal mirb am beften be«
jeid^net al§ ba§ be§ $umani§mu§: e^ miß alle in ber STOen«
fc^cnfeete liegcnben Seime entmideln, ben üWenfd^en erft jum DoHen
SWenfc^en machen, i^n baburc^ erft recf)t ju fic^ fclber bringen,
i^m erft ba§ ®efü^l feiner magren SBürbe geben. 3)a§ SBefen
be§ 9Jlenfd)engeifte§ aber mürbe, mie gejeigt, faft ausfc^tiejslic^
in feine 2tttioität, feine felbftf^öpferifdje Kraft gefegt, ^hin ift
gemi§ ber attioe, b. \). ber fittlic^ freie, felbfttätige SDBillc ba§ ibeate
3iel be§ 3Wenfc^en, aber ein rein attioeg SBefen tann berSWenfc^
feiner 9iatur nac^ niemals werben; ift er boc^ einmal nic^t
©c^öpfer fonbern ®efd)öpf. Qn SBirtlic^feit fommt ber SÖlenfd^
be§^alb niemals oon feinem ©efü^Ugrunb lo§, unb biefer
bringt i^m immer mieber feine natürliche unb fojiale ©ebunben»
lieit ^anbgreiflid) jum ©emu^tfein. 2Ba§ auf bem 2öeg geiftig«
fittli^er ©elbfttätigfeit, ©elbftjud^t unb ©elbftbilbung erreicht roer*
ben tann, ift alfo nur, ba§ bie 9teattion gegen biefe im ®efü()l
empfunbene Slb^ngigfeit nid^t eine bumpf inftinttioe unb ro^
egoiftifc^e bleibe, fonbern me^r unb me^r eine geiftig freie unb
unioerfale merbe. 3lber ber Quellpunft alleS, auc^ be§
llö^ftentmicfelten ®eifte§leben§, mirb immer im @e»
fü^l liegen unb jroar an ber Stelle, mo Q[nftinft unb
2:rieb, Seibenfc^aft unb Slffeft fi^ jur 2tcu§erun-g
b rängen. Unb bie§ immer neu queHenbe, unmittelbare ©efü^fe^
unb 2:riebleben lä§t fic^ niemals t)on bem gegenftäublic^ gemor*
benen, reflettierten, auf Schrauben geftellten ®eifte$leben oerbrän»
gen noc^ fi^ baburcf) erfe^en. ®§ erfc^eint i^m gegenüber fei*
neSroegÖ al§ urfprünglic^eS, fc^öpferif^e§, t)ielmet)r alg tünftlic^e§^
^ I a n cf ; ^lafflf cftc, mobcme unb rcligiöfc 8cbcn§auffaffung. 423
gcmac^tc§. ®a§ SBorflellungSlcbcn unb ber SBiUe l^abcn i^m ge*
genübcr nur bic gunftion, bic ocrfc^iebcncn finnlid^cn unb gcifti^
gen ©efü^Ic gegen einanber abguroägen unb ben geiftig ftttlic^cn
ben Sßorjug ju geben vor ben fmnli^ egoiftif^en. 2lber bie
erfteren rooKen junor roirtUd^ atö ©efü^l^roerte empfunben fein,
elie fie tatfäc^Ud) bie ©d)ä^ung erlangen, bie i^nen gebührt, ©onft
finb fte nic^t e^t. 2ttte roirüid^ roertooHe geiftige Slrbeit (ah*
gefe^en von ber bloßen ©mpirie unb 2:ed)nitj, befielt bemnad) in
ber SBerfung geiflig fittli^er @efül|le.
S)iefe SBerfung ift geroi^ gefnüpft an bie felbfttätige Slrbeit
bei^ S)enten§ unb 2BoKen§, aber fie gef^ie^t boc^ burc^au§ auf
bem 93oben be§ @efü^I§; bleibt fte über bemfelben, errei^t fie
ben ®runb be§ @efüt)I§ nic^t, fo wirb fie faftifd^ unroirffam, wirb
bloge ©Beinarbeit, geiftige 3)reffur, bie ftc^ burc^ ben fc^lieg*
lidjen unausbleiblichen SRüdfaH in§ Oemeine al§ ©d)n)inbel ent*
puppt. ®a]^er ber 9Jame 93ilbung§fc^n)inbel. 8Ba§ com ©emüt
nid)t re^tmä^ig erworben roorben ift , baS fann aud) ber SBille
l^ernac^ nic^t Don fic^ au§ geben, xoa^ ni^t im SJlenfc^en^erjen
felber, b. \). in ben liefen be§ ®emüte§ erlebt unb erzeugt roor«
ben ift, ba§ fann aixä) nid)t au§ i^m ^erauS. 2)en fmnlid^en
trieben unb Qnftinften niu§ ©d^ritt für Schritt ber 33oben ab>^
gerungen roorben fein dou ben geiftigen ©efü^tSroerten, ben egoi*
ftif^en üon ben uniüerfal gerid^teten. ®er SBitte ift mithin immer
nur fooiel fittlid) frei, aU ba§ ©efü^föleben , auf beffen @runb
er fic^ felber erfaßt, nergeiftigt ift. 3)ie geiftige grei^eit muJ5 al§
^a^ ^ö^ere empfunben roorben fein gegenüber uon ber ftlaüif^en
Suft ber ©innlidjfeit, bie Siebe al§ ba§ ^ö^ere gegenüber Don
jeber 3lrt bes felbftif^en @enuffe§.
S^nSbefonbere aber ift jebe au^erorbentli^e SBiüenSanfpan«
nung nur mögli^ auf @runb einer ebenfo anbauernben, au^er*
orbentlic^en ©efü^lSer^ebung, jeneS /,9Ku§", ba§ bie ©röfeen ber
SReligion, einen ^eremia, gransiSfuö, ^aulu§, fintier, auc^ 3f^fu§
felbft bei i^rem SBerfe trieb, mar nt^t ber 2lu§brucf eine§ SBil*
len§Dorfa^e§, einer refleftierten 93eftrebung, fonbern ber 2lu§brucf
eines im innerften ®efü^l erlebten geiftigen ß^angeS, einer 3lngft
um bie eigene ©eele. Unb erjie^bar ift aud^ ber homo communis
424 ^ l a n cf : ^lafftfd^e, mobeme unb religidfe SebenSauffaffung.
(bcr MtagSmcnfc^) nur fo vkl, aU fein ©cfül^telebcn fic^ Dcr»
gciftigcn lä^t.
b) SBcrgciftigung, SBcrfittlic^ung bc§ ©elbftbcrougtfcin^, b. \).
be§ ©ctbftgcfül^lS ift aber gar md)t§ anbereg, al§ roaS ba§ ®^ri»
ftcntum oon je^cr afö fieben§programm für jeben aWenfc^cn auf»
geftetlt ^at; Setc^rung, Erneuerung, SBiebergeburt fmb nur an*
bere SBorte bafür. Qn au§gefprod)enfter Söcifc roill c§ an ©teile
beg „gteif^eömenfc^en" ben ;,@eiftesimenfc^en" fe^en, an ©teUc
ber ftnnlic^ felbftfüc^tigen ©yiftenj bie fittlic^ unioerfal gerichtete
.©fiftenj. SJlit biefer ©efamtforberung, me^r noc^ aber mit i^rer
©ic^erfteHung burc^ bie le^te unb ^öc^fle fieben^mac^t, burc^ @ott,
^at bie ^riftli^e SHeligion in it)rer eoangelifc^en S^ffung bem
üafftfc^en 3ii>^ali§mu§ einen Unterbau anjubietcn, ben biefer nic^t
ol^ne weitere^ t)on ber ^anb roeifen barf. ^a, m\i er feinem
^ibeal nic^t§ vergeben, fo mu^ er fte bireft ju ^ilfe rufen.
3)enn ber 33en)ci^ ift nun eben burc^ bie tatfä^lic^e @ntmicflung
pon aSJiffenfc^aft Siecht unb Äunft nic^t erbradjt roorben, ba^ fie
üon fi^ aus bie ^bee be§ äBa^ren, ®uten unb Schönen jum
©iege führen werben, ©inmal mar, mie gejeigt, ber ©turj in§
©emeine auf aUen brci ©ebieten gro^ unb bie ©r^ebung barau§
ift nod^ auf feinem ®ebiet DöHig gelungen, nic^t einmal auf bem
ernft^afteften oon ben breien, bem ber ftrengen Söiffenfc^aft. Qt
me^r fie fic^, mie baS jur Qtit gefd)iet)t, auf bie empirifd^^friti«
fc^c gorf^ung befc^ränft unb bamit i^r eigene^ 3^beal oertürjt,
befto weniger ift fte imftanbe, einen ibeaten Jaftor im SßolBlebcn
felbft barjuftellen. 3)aju ftedtt fie bod) noc^ oiel ju fe^r im ©toff.
Ober : ©oll bie bermalige politifc^e SSertretung beS 9ied)tSgeban*
fen§ jenen ibealen gaftor bilben? ^a, ^ört man bie ©ojialbemo*
tratie, fo märe fie ba§ einjigc ibeate, mas e§ noc^ im aSoIteleben
gibt. 2lber ba§ glauben mir i^r eben nid)t ganj. Ober foU ba§,
ma§ oon Sunft l^eutjutage Dor unb unter baS SSolt fommt, bie
©ac^e be§ ^beal§ oertreten ? 3)a§ roirb bod^ niemanb im ®mft
behaupten motten.
©erni^: jene brei 3^been machen ben reftlofen Q[ n ^ a 1 1 be§
gefamten geiftig fittlic^en SebenS auS, mie ba§ unfere 3)ic^ter unb
3)enfer unS fo fc^ön oeranfc^aulic^t unb bemiefen ^aben; roai
^land: ^(afftfc^e, mobetne unb religiöfe SebenSauffaffung. 425
aber nur bic SReligion beioeifen fann unb nic^t SBiffcnfc^aft, nic^t
JRec^t ni^t Äunft, ba§ i% baj5 biefc 3^been nic^t ein blo^c^, oft
fc^ulbig gebliebene^, oft nur mü^fam ^erauögcquältcS, wenn nic^t
gar mit falfc^er 3Wünje bcja^Itc§ „©oß" barfteOcn, fonbern n>irf«
lic^ bie geiftige Stiften} be§ SOtenfc^en überhaupt ausmachen, bie
geiftige, b. i. bie einjig roirflic^e ©jiftcnj, für bie e§
ben ®otte§männem nic^t gu oiel war, bic irbifd^e ©yiftenj ju
opfern. 3Wit biefem Opfer ben>icfcn fte, ba^ e§ ft^ in ber ^Jrage
be^ 3^bealö eben nid)t bIo§ um eine me^r ober weniger fd^öne,
anflänbige ©fiftenjroeife be§ SWenfc^en Ijanbelt, fonbern um ben
aJlenfc^en felber, feine ©eligfeit ober Unfeligfeit. ®§ ift bie ein*
jigartige ©tärfe ber Sieligion, bag in i^r ba§ Qbeat wie auf
feinem anbern fieben^gebiet aU unmittelbare mirfli^e ©jiftenj
(®^riftu§) bafte^t, unb ba§ e§ bann in fold)er Steinzeit unb ^o*
^eit fte^en bleibt, wie nirgenbS fonft. 2)enn Söiffenfc^aft, iRe^t
unb Äunft, bie auf biefer ©rbenroelt fc^affen muffen, fmb ber 9la*
tur ber <Bad)z nad) beftänbig in ©efa^r, eg ju materialifteren
unb bamit oon feiner ^ö^e ^erabjujie^en. Qn ®ott allein ift ba§
perfönlic^e ^beal jugleid^ ba§ einjig Sleale, ba§ e§ gibt unb o^ne
ba§ ber ajlenf^ gar nic^t SWenfc^ ift. 9Bir beuten alfo: fot^er
tieferen ©egrünbung unb ©rgänjung burc^ bi« SRctigion foHte fic^
ber flafftfc^e 3?beali§mu§ nid)t entjie^en. ®r oergibt bamit feiner
reinen ©eiftigfeit geroife nic^t§ ; er gefte^t nur, ba§ bie oon i^m
gewollte 3Belt Haren, aufrii^tigen ®enfen§, rechten, eblen ©tre«
ben§ unb fc^önen @eftalten§ nic^t möglich ift obne bie elementare
©runblage eine§ t)ergeiftigten ©efü^lslcbens, mie e§ eben nur bie
Unmittelbarfeit ber SReligion Ijeroorjurufen imftanbe ift.
älllein nac^ allem bi^l^erigen ift bod^ noc^ me^r ju fagen. 2)er
flafftfc^e 3[beali§mu§ t)er l angt auc^ bireft biefe Srgänjung, menn
er an bem obengenannten ^rimat, ber praftifc^en äSernunft, ber
3bee be§ ®uten, feftl|ält. 3)enn ber @ott be§ @oangelium§ ift ja
gar nic^t^ anbere§, al§ eben bie^ ®ute, ba§ al§ le^te unb ^öc^fte
perfönlic^e aJlac^t empfunben wirb, ju ber e§ fein anbere§ SJer*
^ältni§ geben fann, al§ ba§ abfoluten 95ertrauen§ unb ©e^or-
fam§. ffläa§ ift ®ott, b. i. bie ^eilige Siebe felbft , anbere§ al§
jene reine ©ittlic^feit in perfönlic^er ®eftalt? ©omit ift edjte,
Seitf<^rift für X^eoloflie unb Äirc^e. 15. Sa^rg., 6. ^eft. 30
426 ^land: Stlafflfc^e, mobetne unb religidf e Sebeniouffaffung.
coangclifc^c SRcItgion gar nic^tö anbetet al§ bie SBcrtrctung jener
3entralibee be8 ©uten, ber bie anbern ^bten roie gefagt in i^rer
SBirtung auf ba§ ©anje unterfteCt fmb. ©o wirb e§ pfpc^olo*
gifc^ auc^ ocrflänblic^ , warum in früheren Stxim bie SHeligion
bie ©eroalt über alle ©eifte§^ unb ^errfc^aft§gebiete überhaupt
beanfpruc^te unb ausübte, unb roarum SBiffenfc^aft, SRec^t unb
Äunft roillig i^re ^öc^ften Seiftungen in i^rem S)ienft Dottbrac^ten.
Sltlein jene Seiten geigen freiließ auc^ unroiberteglid^, ba§ jroif^en
ibealer 9teligion unb empirif^ fir^Iic^er ^Religion berfelbe 9Bi*
berflreit obroattet, roie bei ^unft, 9iec^t unb SBiffenf^aft, ba§ ftc
in i^rer, freiließ roieber ganj anber§artigen SBeife ebenfo ftart
unb ftnnenfäüig bem ^rosejs ber 9Jlaterialifierung anheimfällt —
benn auc^ ber 91berglaube ift im ©runb ein STOaterialismu^, unb
ber ed^te ©laube ift aCejeit immer nur ber f^male ^fab jroif^en
3lberglauben unb Unglauben geroefen — roie jene brei von ^au§
au§ me^r gegenftänbtid)en ®eifle§gebiete. 3Serfd)ärft roirb ber
©egenfa^ be§ Qbealen unb be§ empirifc^ 9Birtlic^en auf bem reti-
giöfen ©ebiet no^ babur^, baj5 bie SReligion oiel enger al§ jene
brei freieren ®eifte§gebiete mit bem befte^enben 9lc^t unb ber
l^errfc^enben (Sitte t)ertnüpft ift, ba^er auc^ i^re Steinigung —
9ieformation ^ei^t man§ l^ier — eine ganj anbere ©a^e ift, ai^
etroa eine Slutauffrifc^ung in SDBiffenf^aft, ^unft, ^un^P^^ubeng
unb auc^ ^olitif. ferner ift bie fird|lid)e Stetigion pon i^rem
göttlichen ©runbe unb SRec^te au§ geroö^nt, aud^ fold^e gorbe*
rungen, bie in SEBirtlic^teit nur relative ©eltung beanfpruc^en fön«
nen, alg abfolute ju ergeben, fragen ber SBeltanfc^auung , mit
roelct)er freiließ ber SBunberglaube unb bie ganje ©atrament§ma«=
gie oerfnüpft ift, ju 2)ogmen unb ©lauben^befenntniffen ju ftem*
petn, oon beren 2lnnaf)me ober 9iid)tanna^me gleich ©eUg!eit ober
Unfeligteit be§ SRenfc^en abhänge, ©o ift e§ brum nic^t ju per«
rounbern, roenn ber tlaffif^e 3fbeali§mu§ feinet fritifc^en Urfprung§
eingeben! bie ^erfömmlic^e SReligion^übung in feiner SBeife an*
greift, unb bringenb eine Steinigung unb Äldrung roenigften^ be§
3entralen, ber retigiöfen SebenSauffaffung felbft oerlangt.
c. ^ene Sefel^rung, bie ber ®^rift al§ SBiebergeburt bejeic^net,
roeil er fte al§ götttid)e Steufc^öpfung empfinbet, mu§ boc^ roefent*
$ ( a n cf : ^laffif c^e, moberne unb religiöfe SebenSau ffaffung. 427
lic^ mit als 3Berf bci8 freien, fctbftberou^ten 4öiücn§ gefaxt roerben,
fonfl lüäre fie ja reine, göttliche 9Wagie, jauber^afte SJerroanblung
unb bamit fitttic^ roertloS. S)amit ift aber weiter gegeben, bafe
baS natürliche ©efü^lS- unb Iriebteben, au§ bem aöeS SBoOen,
aud) ber ftttli^e Söiöe al§ SBiDe entfpringt, nic^t oon Slnfang an
al§ mit ber @rbfünbe bei^aftet abgetan merben barf, 3)ie „©ntmürbi^
gung" ber menfd^Uc^en „9latur" ift ber ^auptanfto§, ben unfre ftlaf-
fifer am ^ertömmlic^en S^riftentum genommen ^aben. @$ tann
fic^ in Söirtlic^feit auc^ bei ber SBefe^rung nic^t um eine Unter«
brüdEung berfelben ^anbetn, fonbern nur um eine Ummanblung,
bcffer noc^ um eine SSereblung, mobei auf ben für fic^ allein frei-
li^ unfru^tbaren milben Stamm ein eble§ SReiS aufgepfropft mirb
— religiös gefproc^en: ba§ Söort ®otteS, flafftfct) gerebet: ha^
Qbeal — mobei le^tereS aber bo^ erft burc^ ben oon jenem ein«
ftrömenben ©aft unb 2:rieb feine SebenSfäl^igfeit unb gruc^tbar*
feit erhält. Unb mie bei ber 93e!e^rung beS ©injelmenfc^en, fo
ift§ bei ber ber ©efamtmenfc^l^eit burc^ bie göttliche „Offenbarung".
aWit bem ^inmeiS auf biefe 2:atfac^e ^at ber flaffifd^e QbealiSmuS
jmeifelloS Siecht gegenüber oon einem aSfetifc^en S^riftianiSmuS
unb einer burd)S ^erfommen geheiligten Äirc^enfprac^e, bie eben
ni^t an ber ^irflic^feit orientiert ift. @r ^at bamit auc^ bei
aHen, bie i^r natürliches @mpfinben nic^t bem ^ertommen geopfert
^aben, bereits gefiegt. Siegt eS boc^ auf ber ^anb, ba^ bie Se«
benbigfeit unb §rifc^e beS natürlicf)en '^nflinfteS fict) fc^led^terbingS
nic^t erfe^en lä§t burcl) refleftierte SBiHenSanftrengung. fie^tere
fann unb foU oielme^r ben erfteren blo§ merfen unb anregen. S8on
beS ©ebantenS ©läffe angefräntelte ^Religion ift unfruchtbare Älo*
fterreligion ; eS ift nichts bamit, „auf ben Krümmern beS ^^nftinftS
bie 2:ugenb aufbauen ju roollen". 3)aS gibt eine ©erlogene ^eilig*
feit, jene fpejififc^e 2:ugenb, meiere bie offijielle SReligion immer
unb immer mieber oer^a§t unb oerac^tlict) gemacht ^at. SlÜe te«
benbigen großen ©eifter ^aben für ©otteS ©ac^e mit aller nur
benf baren, natürlichen üeb^aftigfeit unb inftinftioer 5rif^^ geftritten
— ein 93en)eiS, ba§ eS fic^ beim religiöfen Qbeai nic^t um Untere
brürfung ber Statur, oiclme^r nur um richtige fieitung beS natür«
liefen ©mpfinbungS« unb JrieblebenS ^anbelt. Unb jebem älter
30*
428 $ l a n (f : ^lafftfd^e, mobeme unb religiöfe 8ebenSauffaffung.
Toerbcnbcn brängt c§ fid^ auf, ba§ er oß bic Sufl unb %n\ä)e,
bic er einft bem jugenbü^en ©piel cntgcgenbroc^te, nic^t etwa
unterbrürfen foße, fonbem jufammcnfaffen, fonjentrieren auf baS
53eruf§n)cr! feinet Sebcn§. SBenn unÖ alfo nod) ^eutgutage auc^
in befferen religiöfen ^Blättern unb SBüc^ern bie SÄnfc^auung ent*
gegentritt, ba§ S^riftentum forbere Ueberroinbung bcr Statur,
Slbftreifung be§ Slatur^af ten in unig, f o fagcn mir : Stein ! e§ ^an»
bclt ft^ nur um ein ginben ber eckten gefunben SRidjtung unfre§
natürlichen gü^Ien^ unb (Strebend, bie mit ber göttlichen SebenS*
rid^tung mefentlic^ ein§ ift, atlerbingg unter beflänbiger 93etämpfung
ber fic^ immer ^eroorbrängenben ungefunben unb falfc^en. 3)ie
finnlid^ felbftfü^tige ^erip^erie unfrei S)a*
f e i n § , ba§ 2;ierif^e in un§, ba§ bie ganje SBreitfeite unfrei 2e»
ben§ au^ma^t foU in ben Sienft beS gciftigen ßem
trum§ gejmungen merben. 3)ie§ ift ba§ fittlic^
retigiöfe fieben^pr ogramm be§ @t)angelium§
mie beö tlaffif^en 3»i^^öIiSmu§.
2luf biefem SBege unb nur auf biefem fönnen ber flaffifc^e
0[beaU§mu§ unb bie eoangelifc^e SReligiofität ju innerer 2Jerfö^»
nung unb gegenfeitiger 2lnertennung gelangen. Sie SReligion
bleibt bie jentrale, geiftige fiebenSmac^t felbft,
beren Sraft in erjie^erif^er^infic^t ber !laffif^e Qbeali§mu§ nic^t§
an bie Seite ju [teilen ^at. S)enn nur in il^r ift bie fittlid^e gor*
berung be§ SGBd^ren, Outen unb ©c^önen jur felbftüerftänblic^en
geworben, ber fittlic^e Seben^nero ift in i^r am unmittelbarftcn
lebenbig, ba§ 3^beal fte^t in unroanbelbarer Steinzeit über ber ge*
meinen ©rbenmirflic^teit, inbeffen e§ burc^ bie 2lrbeit oon Söiffen«
fd^aft, SHec^t unb Äunft in bie ^eripl^erie be§ Seben^ eingeführt
wirb, roo e§ bann immer auc^ SJerunreinigung erbulben mu^. 2ln*
bererfeitg bleibt bie Sieligion o^ne jene gegenftänbli^e 2lrbeit un»
fruchtbar, benn ba§ Qbeal foU bod^ nic^t bloß in feftlic^er, tuU
tifc^er geierli^feit angef^aut unb oere^rt, fonbem auf biefer ®r*
benroelt fo oiel al§ möglich oermirflicJjt werben. Sonft tann fic^
ba§ S^riftentum ber furd)tbaren Slnttage auf unfru^tbare Sran^*
jenbeng nict)t erme^ren. S)er tlafftfc^e 3^bealigmu§ ift e§ brum,
ber bie ganje ^JüHe be§ mirflic^en, fittlic^en 2eben§in^alte§ bei«
$ l a n cl : ^lafftfc^e, mobetnc unb rcUgiöf c öcbcnSauffaffung. 429
bringt, bic SReligion gibt i^m i^rcrfcit^ bcn tragcnbcn ®runb unb
fein ftd)crc§ Qid, bamit auc^ erft bcn ooUen ®rnft unb ^ah.
©emeinfam mu^ beibcn fein ber eigentli^e Stero alle§ roa^r^aftcn
©eifte^leben^ : bie S^rfurc^t oor bemSDBirÜi^en unb
bie Sßerfö^nung mit il^m in ber fittlic^en ©rl^ebung über
ba§ ©emeine unb in ber religiöfen ©rgebung in ba§,
roo§ getan unb getragen fein mu§.
©injelne 6efonber§ ftrenge Sßertreter be§ Mafftfc^en 3i>caU§*
mu^ ^aben inbeffen bie i^nen Don religiöfer ©eite angebotene
Unterbauung i^re§ ©tanbpunft§ j. Z. mit ©ntrüflung jurürfge*
miefen. Qu i^nen gehört u. a. ber SWarburger ^rofeffor 5Ha*
1 0 r p. 6r meint, in ber religiöfen ©r^ebung (Slnbad^t, @ebet,
gotte^bienftlid)e ^eier) merbe nur ba§ im Ueberfc^mang be§ @e^
fü^I§ norroeggcnommen, mag bie menfc^Uc^e Sultur in ftrenger,
gebulbiger 2lrbeit fc^affen muffe. Qm „3^"f«i*^" merbe nur ba§
al§ erfüllt angefc^aut unb im norau^ genoffen, roa§ in SBirKic^^
!eit nur ba§ 9tefultat ernfter, ftttlic^er 3lrbeit an ftc^ felbft unb
an ber Kulturmenfc^^eit fein fönnc. S)ie cinjige e^rlic^e 2luf«
gäbe ber 9ieligion§übung fei ba^er bieS fittlidje ^i^al bem aWen^^
fd^en ftetS tebenbig unb gegenmärtig ju erhalten. StatorpS ©tanb:=
punft frantt aber an einer Ueberfpannung ber menfd)lic^en ©elbft«
tätigteit in ber obengejcic^neten SRi^tung 3=ic^te§. 3)er 3Wenfc^
non gteifc^ unb S3lut bcbarf eben ni^t blo§ einer SBergegen*
märtigung, fonbern auc^ einer n)irftid)en Sicherung feine§
fittlid^en QbtaU , bie i^m eben nur bie Sieligion ju bieten im*
ftanbe ift.
5. Sltlein nun ergebt fic^ auc^ bie anbere 5^age: !ann unb
barf ba§ ß^riftentum o^ne meitere^ bie ^anb jur SJerfö^nung
bieten, fann eö eine Sebenöauffaffung julaffen, bereu Slu^gangs^
punft bie grunbf ä^ lic^e 9lnertennung bcrSlutono*
mie be§3Menfcl)cngeifte§ ift? Slntmort : ^a, wenn mirf»
lic^ unter biefem Sßenfdjengeift nic^t ber gemeine empirifc^e, fon*
bem ber ibeale oerftanben mirb. Setyterer ift boc^ roo^l nid^tö an*
bereg, af§ ma§ ber S^rift mit bem „©benbilb ©ottes" meint, mo*
nad) ber SWenfc^ gefc^affen fei. Sefmnt ber aWenfc^ fid^ mirflic^
auf ftc^ felbft, fteigt er auf ben ©runb feinet ^erjenS ^inab, fo
*430 ^lancf: ^laffifc^c, mobcme unb rcligiöfc Scbcngauffaffimg.
ftöjst er bort auf feine eigenen, eroigen ©runbgefe^e, eben jene
^been, bie fic^ nun ebenfo menfc^U^ anfüllen, al§ fic bem S^ri«
ften t)on Äinb^eit auf alg erhabene, göttliche ^ei(igfeit§gefe^e er^
fd)ienen finb. ®öttlic^e§ unb 9Wenf^Iic^e§ eint fi^ nun. ®in
SHaffael malt göttli^e unb menfc^Iidje ©d)ön^eit in einem 2ln^
geftd^t. t^^-eilic^ bie 2)iffonanj ma^t fi^ immer mieber fühlbar:
„Sw'if^^ ©innenglüd unb ©eclenfricben bleibt
bem SWcnfc^en nur bie bange 9Ba^l,
^uf ber @tim ber ^o^en Uraniben leu(^tet
ibr ocrflärter ©trabl."
3)a§ man aber auf bie Satfa^e biefer S)iffonanj, religiös
gefprod^en ber Sünbe, rein menf^lic^ gefproc^en: biefe§ fteten
9lbfaltiS be§ SWenfc^en non feinem magren ^d), ba§ S^riftentum
^eute noc^ al§ eine grunbfä^lid) ^eteronome (fremb^gefe^lic^e)
9ieligion au§jugeben magt, biefe§ SWi^nerftänbniö foHte auf
proteftantifd^er ©eite nic^t me^r für möglich gehalten roerbcn.
3Benn ber ^opft bie autonome SHeligion, ©ittlic^teit/Söiffenf^aft
^unft nerflud^t unb bie römifc^4at^olif^e 9Biffenfc^aft if)m barin
folgt (mie j. SB. ber "ißrager ^rofeffor Söiümann mit feiner n)ü=
ften aSerfe^erung Äant^), fo tä§t pc^ ba§ begreifen, man fürdjtet
ja für bie eigene SWa^t unb ©yifteng, aber auf coangelif^er Seite
foHtc man barüber Mar fein, ba^ eine ^eteronome Steligion nic^t
me^r unb nic^t weniger bebeutet, aU 3)ienft eine§ bem 9Jlenfc^cn
felbft roefen§fremben ®otte^, b. i. ©ö^enbienft. 'ißrotcftantiSmuS
bebeutet aiutonomie be§ religiöfen @eroiffen§, ba§ Einigung, 5Ber*
föt)nung mit feinem, feinem fremben ®otte fu^t, non bem e§
feiner Statur nac^ gar nic^t§ miffen !önnte. 3)a§ ®oangelium
mag bem oerirrten unb oerblenbeten ÜWenfc^engeift noc^ fo oft ate
frembe^ Qöc^ (•^eteronomie) er f (feinen, gel^t e§ i^m einmal in
feiner magren ^ebeutung auf, fo mu§ e§ i^m im felben Slugen*
blidt als SGBiebererlangung feiner 3lutonomie unb greit)eit, al§
JRücffe^r }u feiner magren eigenften 9iatur erfd)einen. 3)a§ ®ött=
lic^e ift gleid^ bem roal^r^aft ertannten 9Kenfd)lid^en ; ift bem nic^t
fo, fo finb Söorte mic: „Kinbf^aft ®otte§", „Sbcnbilb ®otte§",
'^^Jtirafcn ot)ne allen ^intergrunb. 35er autonome SJlenfc^ ift ber,
ber fic^ felbft ein ®efe^ ift, ber nic^t oon äußeren finnlic^en, fon^
planet: ^lafftfd^e, mobeme unb religtöfe SebenSauffaffung. 431
I
bern dou inneren geifttgen SRotioen — unb bieS fmb erft roirflid^
feine eigenen — geleitet wirb unb bQ§ ift boc^ roo^I Sl^eonomie,
göttliche fieben^art.
©eroig ift beim gemeinen 9Wenfd)en immer bie ©efa^r Dor»
^onben, bag bie i^m }ugefproci^ene Autonomie in älnomie (Unge«
fe^Iic^teit) umfd)Iägt; ^ier liegt aber ein ^Betrug beS %k\^6)^^*
menfd^en Dor, ber für ftc^ in 2lnfpruc^ nimmt, maS nur bem
©eifte jugefproc^en n>Qr. 3)iefe leibige Satfoc^e ^ot aber j. 93.
ben 2lpoftel ^ßaulug feine§n)eg§ baju oerleitet ha^ SBort Don ber
Jrei^eit ber Äinber ©otte§ unb oon ber 2luft|ebung be§ ©efe^eö,
b. i. ber ^eteronomie, mieber jurüdjune^men, meil etliche ©emetn«
beglieber in ©alatien unb Äorint^ e§ fleifc^lic^ mi^rauc^t Ratten.
@g ift aud^ eine falfc^e ^äbagogif, bie bad tun miD, benn fo oiel
Unfug ber jugenblic^e SWenfc^ mit SBorten treibt — biefelbe ^n--
gcnb, ber man burc^ falfc^e ©efetjlid)feit ein frembeS 3^oc^ auf*
legt, räc^t ftc^ für biefe Unn>a^r^aftigteit in ganj anberer SBeife.
5)a§ 3Jli§trauen ift rafc^ bei ber ^anb ; nur baburc^ , ba^ biefe
?5orberungen aU folc^e be§ ureigenften fid^ felbft red^t oerfteben«
ben $IWenfc^engeifte§ auftreten, Derlieren bie gorberungen be§ SBat}'-
ren, ©uten unb ©c^önen ben aufbringlidien unb läftigen S^araf ^
ter, ben fie mäl^renb ber langen ©rjie^ung^jeit oft annehmen müf*
fen. ©0 aber, menn i^nen ber ©^aratter ber 3Iutonomie gewahrt
bleibt, werben fie me^r unb metir als bie innerjien jentralen fie=»
benStriebe be§ 9Wenfd)en empfunben, bie freilid^ nic^t rafd^ auf^
fc^ie^en mie ba§ aüejeit lebenSluftige Untraut, bie oielmetir lange
im ^erjenSgrunb gehegt unb gepflegt fein mollen, oft genug aud^
oon mütterlicher unb oäterlic^er ^anb oerteibigt fein moDen, bi§
fte ftarf genug fmb, i^rer geinbe ftc^ fetber ju erme^ren. 2)er
3)ienft be§ ^tbealen ift bann nid^tS anbere§ me^r, al§ bie ^erau§*
arbeitung be§ wirflic^ ©c^ten in unfrer 9latur, be§ eigentli^
aWenfc^lic^en in unS, ba§ in feinem Kern ba§ ©öttlid^e ift, 2)ie§
©efü^l }u medfen ift boc^ auc^ ba§ 93eftreben einer fpejififc^ eoan«
gelifc^ c^riftli^en ©rjiel)ung; fie^t ein SSater bei feinem ©o^n
ba$ @efüt)l ber ©elbftoerantmortlic^teit in bem bejei^neten ©inne
aufteimen, fo tann er i^m getroft bie ßügel ber ©rjietjung me^r
unb me^r übevfaffen. ©oUten in biefem ft'arbinatpuntt nic^t eoan*
432 g^land: ^(affifd^e, mobeme unb religiöfe SebenSauffaffung.
gcUfd^cr ©inn unb tloffifc^cr QbcaliSmu^ einig fein?
®en)ig gegen bie Sluflöfung in „tlafftfc^en ^^^ali^mu^" mug
fic^ bie eoangelif c^e SRetigiofttät entfc^ieben wehren ; benn bie fitt*
lic^e 9lutonomie unb grei^eit ift nur bie eine (Seite i^re§ 3Befen§.
3)ie anbete aber, ber Sieligion urfprünglic^ eigcntüm*
lic^e liegt auf ber paffioen fiebensifeite be§ SWenfc^en, bie er eben
nid)t felbftänbig unb frei ju geftalten Dermag, bie er oielme^r afe
göttliche gügung in Ergebung ^inne^men fotl. ®§ betrifft ba§
an bie natürlid^en fojialen unb gefd^ic^tUc^en 33cbingungen feinet
3)afeing, alle§ ba§, wonach er, um mit ©c^rempf ju reben, ein^
fad) „gelebt mirb". 3IIlein biefe jmeite ©eite, bie eigentlich reli*
giöfe, ftimmt mit ber erfteren oöflig überein, benn unfer eoan*
gelifc^er ^eil^glaube ge^t eben ba^in, ba& atle§, roa^ ber gläu»
bige SWenfc^ erfährt, jur SBedfung unb ©tärfung feinet magren
©elbft führen mu^, b. i). jur görberung feiner fittlid^en Slftioität,
jur Sr^ö^ung feiner fittlic^en ©panntraft, menn er eig auc^ nic^t
gleich auf§ erfte SWal fo oerfte^t. Entbehrungen unb Seiben fmb
jum äBac^^tum be§ inmenbigen SDlenfc^en nötig (oergt. ba§ ©teic^*
ni§ üom reidien SWann unb armen Sajaruö), o^ne fie mirb au§
bem SWenfc^en eben nid^tö SRec^te^. ©o oerfö^nt fid^ ber ®läu*
bige auc^ mit bem, mag unter i^m ift (Ooet^e), inbem er aüt^
auf bie Sr^ö^ung feiner fittlic^en ^erf önlic^f eit , nic^t auf fein
äufeere^ SBo^Ierge^en bejie^t. 93ei ben garten groben aber, bie
ber ©taube im Seben butc^jumac^en ^at, märe e§ nur angejeigt,
menn ber tlaffifc^e S^ealii^muS offen eingeftünbe, ba^ er fic^ im
Seben nur fc^roer ju behaupten oermag, o^ne biefe ©runblagc
be§ eoangelifc^en ®Iauben§ unb ber i^m entfpringenben fpejififc^
religiöfen Jugenben ber ®emut unb ®ebulb. 3)ie ^öc^fte fitt*
lic^e ©r^ebung ift nur möglich auf bem ©runb ber
religiöfen ©rgebung. 33eibe erf orbern unb ergänjen ein*
anber gegenfeitig. 9tur fo fommt e§ ju einer mirflic^en ftttlic^
religiöfen perfönlic^en ©efamtejiftenj.
$(ancf: ^afftfd^e, mobente unb religiöfe l^bendouffaffung. 433
6. ©cbiet^bcftimmung für ba§ jittlic^ rcligiojc Sc-
bcnSjcntrum cincrjeitig unb für bic perip^crifc^cn
©ctfte^gcbictc: SBiffcnfc^aft, SRec^t unb Äunft
anbcrcrfcitg.
Saffen wir nun jum ©c^Iu| bie gen. brei Äinbcr i^rc gor*
bcrungcn ftcUcn auf @runb ber i^ncn oom tlaffifc^en ^bcali§mu8
jugefproc^enen unb Dom mobemen @eifte§Ieben behaupteten äluto«
nomie. 2)ie ßonfequenjen für bie äRutter, bie Sieligion, n)erben
ftc^ ^ierau§ oon felbft ergeben.
1) 3n S^agcn ber SBa^rtieit erflärt fic^ bie SSäiffenfc^aft
für allein !ompetent, infofern ate fie baS fic^ felbft 3Biberfpre«=
c^enbe in ber SBorftellungSroelt be§ aJlenfc^en nic^t bulbet, unb er*
tlärt für bie innere @in^eit unb ©efetjmä^igfeit unfrer ©cban*
!enn)elt allein forgen ju wollen, ^icrburi^ aber tommt fte in
Konflift mit bem religiöfen SBunberglauben, nic^t fofern bie 9teli=
gion bie Sac^e beö einheitlich fd^öpferifc^en ©otteögeifteS oertritt
— ^ier ^at auc^ bie SBiffenfc^aft nur anjuerfennen — rool^l aber
fofern ber religiöfe ®laube oon feiner Vergangenheit l^er bic 9lei*
gung übertommen ^at, ®ott felbft in oereinjeltcr, fprung^after unb
bal^er naturroibriger SBeifc in bie SBelt eingreifen ju laff en unb bantit
bie ©efd^loffen^eit be§ ©^öpfung§gan§en auf ju^cben. ^iemit mutet
er aber bem SWenfc^cngeifte ju, bie eigene innere ©in^eit, b. \). ftc^
felbft preiSjugeben. 3)a§ SGBunber im alt^ergebrad^ten ©inn fprengt
nic^t blo§ ben 5laturjufammen^ang , fonbem bie 93ebingungen
unfrer eigenen geiftigen ©yiftenj. SBer brum nic^t ben SWut ^at,
ba^ tonfequente einheitliche 3)enfcn einfach al§ ©ünbe ju bejeic^«
nen, tann ba^er alö S^rift rec^t mo^l ber materialiftifc^en 9tatur«
auffaffung, nic^t aber ber nü^ternen, fritifd^en gorfc^ung böfe
fein, gür bie ©egenmart l^at ja ber ^rotcftantiiSmu^ längft auf
ba«g SDBunber ocrji^tet, nur für aSergangen^eit unb ßw^i^nft ber
göttlichen Offenbarung ^ält er eig nod^ aufrecht. 2lllein mer für
ben ©ang ber fittlid^en Orbnung in ber ©efc^ic^te ein offene^
Sluge ^at, wirb nic^t jugeben, ba& ®ott ft^ etmag oergebe, roenn
er fic^ auf bem SBeg ber fogenannten immanenten inneren ®nt«
midtlung offenbart, ftatt auf bem be§ fprungmeifen ©ingreifenS
4B4 $ I a n (! : ^lafftfd^e, mobente unb religiBfe SebeniSauffaffung.
oon QU^cn ate deus ex machina. S)cnn nur bei crftcrcr 3lnfd)QU5
ung lüirb bcr Jlnotcn lüirtlic^ aufgclöft, beim SBunber alter Orb-
nung wirb er immer nur jer^auen. .^ier \)ai bie SBiffenf^aft
ämeifelloS eine reinigenbe Slufgabe in 93ejie^ung auf baS religiöfe
ißorftellunggleben felbft. Somit mirb freiließ bie ganje ©tettung
be§ ©Triften jur ®rbenn)trflic^!eit unb bie ganje SebenSauffaffung
eine anbcre. gättt jene göttliche SBunberroelt ba^in, fo mirb um^
geteert aud^ ber Job nid^t länger me^r al§ eine oon au§en über
bie SDlenjc^^eit üertjängte göttliche Strafe — al§ negatioeS 338uns
ber — angefe^en werben, menn er au^ immer noc^ aU ber ©tacket
ber ©finbe empfunben mirb unb sugleid^ al§ ftärffter antrieb,
baig turje Srbenleben mit eroigem ©ehalte ju füllen. 3lber ba^
ganje aSer^ältni§ jum Seben überhaupt, feinen 33ebingungen, Stuf*
gaben unb ©ütern roirb ein anbereö, ein pofttiüere^, ein üerfö^n*
tereS, al§ e§ bei ber mittelalterlich a§fetifc^en unb auc^ noc^ ber
ort^oboy pietiftifc^en fiebenöauffaffung mar. 3)iefe oeränberte ©tel*
lung ift burd) bie SBiffenfc^aft geiftig angebahnt roorben ; in bie
SBirflid)teit überfe^t rourbe ftc burc^ eine fc^einbar ganj anber§«
artige 93eroegung, nämlic^ burc^ bie neue Stellungnahme jum
9tec^t§gebanten, jur ^olitif, bie ftc^ in oielen eoangelifc^en Srci«
fen unter bem 9tamen ber d^riftlic^ ober eoangelifc^ fojialen ©e*
roegung ooUjog. Qn i^r ^at fic^ nämlic^ bei biefen Greifen bie
®rfenntni§ ber natürlichen unb fojialen 93ebingungen burc^gefe^t,
an bie für ben aWenfc^en eine ftttlic^e fiebenSfü^rung getnüpft ift :
ol^ne menfc^enroürbige äußere ®yiftenj ift e$ für bie SDlaffe tat«
fäc^li^ unmöglich, bem fittlic^ religiöfen ©ebanfen ^olge ju geben,
benn roer ftd^ roirtfc^aftlid^ nur al§ 35Bare gefd^ä^t unb be^anbelt
fietjt, bem fe^lt auc^ bie ftttlic^e ©elbftacf)tung , meiere bie aller*
erfte 9Sorau§fe^ung jeber fittlic^ energifd^en Seben^fü^rung ift. ©o
ift aud^ in religiöfen Greifen ber 95oben vorbereitet jur SHnerfen^
nung be§ jroeiten §aftor§ in ber mobernen ®eifte§roelt, nämlic^
2) ber 2lutonomie be§ rechtlichen gebend, roelc^e^ eben jene
äu§cren 93ebingungen für ein oon fittlic^en aJlotioen be^
^errfc^te§ menfc^li^e^ 3)afein ^erftellen foH. ffi§ ertiebt bie gor-
berung, ba§ auc^ ber religiöfe SWenfc^ fein roirtlic^e^, — freilid)
nic^t blofe oermeintlic^e^ — Seben^intereffe oertreten bürfe mit
planet: ^lafflfd^e, mobeme unb reltgiBfe SebenSauffaffung. 435
t
allen geiftig unb ftttlid^ ertaubten SRittetn, bie i^m ju ®ebote
fte^en, oor aDem auc^ auf bem SSSeg ber ^olitit, nur ba^ er aud^
^ier beS ©prud^ei^^ nic^t oergeff e : @in jeglicher fcl^e nic^t auf ba§
©eine, fonbern aud^ auf baig, xoa^ be§ anbem ift.
3ene 3Borte : diriftlic^^ eoangeUfc^ fojial ^aben bemnac^ frei«
(i^ it)re ^ebeutung junäc^ft nid^t auf bem po(itifc^en @ebiete
felbft, roo^I aber, roa^ ba§ Äaifertelegramm oom Qaf)x 1896 roo^I
nid^t bebac^te, auf bem religiöfen ©ebiet, auf bem fte mie gejeigt,
eine mefentlic^e Äorreftur oofljogen. 3)ie Vertreterin ber 9ieli»
gion, bie Kird^e, ^at auf ®runb ber neuen Srfenntniig nic^t me^r
mie früher Stecht unb $flid)t, bie ^olitit aU eine $rioatfad)e ber
fürftlic^en Äabinette ^injufteflen, wenn fie felbftnerftänblic^ aud^
nac^ wie oor 9Sertrauen prebigen wirb, roo fte e§ mit gutem @e*
roiffen fann. SlfleS mcitcre tonnte in ber 3^1* ber politifc^en unb
mirtfd^aftlic^en ©elbftbeftimmung beig SBolteS nur SWi^trauen gegen
bie SReligion felber fäen, ba^er auc^ ber 9tame „enangelifc^ fojial"
mit SRec^t au§ ber politifc^en ^arteioertretung oerf^munben ift.
3)enn roer im Flamen ber ^Religion auftritt, ber tritt mit einem
gcmiffen abfoluten 3Infpruc^ auf unb ju bicfem 2lnfprud^ pagt
eben ba§ politifc^e Seben mie bie gauft auf§ Sluge. 3)ie ^olitit
ift einmal eine rein menfc^lidie SWac^tfrage — auc^ ba , mo in
SBirflid^teit ber ©ebante be§ SWec^te§ ber erfte ift — unb brum
ift fie eine oiel ju mec^feloolle ®rö§e, oiel ju fe^r eine SRec^nung
mit allen möglid)en relatioen göftoren, al8 ba^ jener älnfprud^,
mit bem jebe im 9tamen ber SReligion erhobene gorberung auf«
tritt, ^ier 2tu§fic^t auf bie i^r gebü^renbe 93ea(^tung ^aben tonnte.
3)a^er lag baö ©c^icffal ber ©tödterifc^cn ?ßarteigrünbung, auc^
roenn e§ perföntid) unoerbient mar, boc^ in ber 9latur ber ©ac^e.
3(ber auf tirc^lic^cm unb religiöfem ®ebiet ^aben jene 5Ramen
nac^ mie oor i^r gute§ SRec^t gegenüber ber noc^ immer mäd^ti«
gen religiöfen ©timmung, afö \)abt ber „Untertan" tein politifc^e§
©elbftbeftimmung^rec^t, ^abe fic^ oielme^r feiner Obrigtcit al§ ber
Stelloertreterin ®otteg mit abfolutem ©e^orfam unb aSertrauen
JU unterroerfen. Q]i e§ einmal cinfa^e SBa^r^eit, ba§ ber 3Renfd^
bod) nur auf ©runb einer menigften^ einigermaßen gefid^erten
©riftenj auc^ jum aSeroußtfein beffen gelangt, ma§ er fic^ felbft
436 $ I a n d : ^lafftfd^e, mobeme unb religiöfe SebenSauffaffung.
in gciftig ftttüc^cr ^infid^t fc^ulbig tft, fo f)at er bamit and) ein
fittlic^e^ Stecht in biefen gragen ber äußeren ©jiftenj ein SEBort
mitjureben.
%a^ ber römifc^e ^ot^oIiji^muiS freiließ einen @o«
jioIi^muS im mobernen @inn überhaupt nid^t anertennen fann,
liegt auf ber ^anb. 2)a§ ein}tg Slutonome ift für i^n ja bie
römifc^e SBeltfirc^e, welche jebe anbere 2lutonomie, bie be8 mo«
bemen ©taat§ n)ie ooßenbö biejenige be§ (SinjelfubjetteS, oerflu*
c^en mu§. SBai^ ber ultramontane ©ojiali^mu^ e^rlic^erroeife
oerfprec^en fann, ift alfo nur: möglic^fte grei^eit oon ftaatlic^em
3n)ang, baju ein beffercr gutterpla^, bafür mu& aber ber SRcnfc^
auf feine geiftige 2lutonomie, ju ber nac^ allem bi§l^erigen boc^
au^ bie rec^tlic^^politifc^e @elbftbefttmmung gehört, oei^ic^ten.
3) 2)ie Slutonomie ber Äunft verlangt oom ©Triften, ba^
er nic^t bie religiöfe ober gar auSfc^lie^lid^ tirc^lic^e Äunft für
bie im ©runb allein bafeinSberec^tigte anfe^e, oielme^r ba$ gange
aWenfd^enleben, 9tatur unb ©efc^ic^te al§ mürbigen ©egenftanb
ber Sunft anerfenne, oor allem aber, ba§ er alle Äunft an bem
i^r felbft eigentümlichen aWa^ftab meffe, nämlic^ baran, ba§ fie
ec^t fei, b. f). ba^ bie innere be^errfc^enbe Sin^eit be§ @eifte$
auc^ mirflic^ i^ren SluSbrudt gefunben \fabt in ber äußeren ®e*
ftaltung unb 93ilbung, im Son, SBort, garbe, Stein, ba§ alfo
nic^t frembe, äu^erlic^e ober gar gemeine aWotioe ben SDlei^el,
^infel unb bie geber regieren. 3)a§ ©emeine, ha^ [xd) burc^ ge*
fällige gorm fo oft alö „fc^ön" ausgeben barf, foll bann mo*
möglid^ ni^t burc^ äußere ©emaltmittel, fonbern burd^ el^rlic^e
unb energifc^e Sunftfriti! in ber Deffentli^fcit unmöglich gemacht
merben. Qu biefem @nbe barf ber eoangelifc^e S^rift nun frei«
lic^ etroaö me^r ©elbftermannung oon ber Äünftlerfc^aft ermarten,
al$ biefe bi^ ie^t aufgebracht ^at!
SBirb aber bie Sieligion geneigt fein, aud^ ber mobernen
Äunft eine tritifc^e SBirtfamfeit i^r felbft gegenüber aujugefte^en?
©emi^ ift ba§ ©efü^l, ba§ im öft^etifc^en Urteil lebenbig mirb,
ein ganj anbere§ al§ bag religiöfe ©efü^l — nur im letzteren
^anbelt e§ ftc^ ja um bie innere ffijiftenj be§ SWenfc^en felbft, beim
erfteren nur um feine äußere me^r ober weniger anfpred^enbe
^lonc!: Älafflfd^e, mobemc unb rcligiöfc fiebenSauffaffung. 437
©yiftcnj tt) e i f c — unb bo^ locrbcn xoit bcm äft^ctif c^cn Äritifcr aud)
ein Urteil über ec^te unb uned^te SReligiofttät juertennen muffen,
wenn er roirtli^ natürlichen Sinn für ec^teS ober unechtes ®e*
ffi^I überhaupt i)at, für urfprünglicft (Smpfunbencö unb für me^r
ober weniger aufrichtig unb tünftüc^ 9lac^empfunbene§. 3)enn
ba§ erftere wirb in feinem Slu^brudf ganj oon felbft, o^ne e§ ju
miffen unb ju motten, aud^ dft^etifc^ feine innere ©eroalt beroeifen
(j. 95. bie Schriften beS neuen 2;eftament§, ber ^rop^eten u. a.),
mä^renb ba$ Untere eben aucf) in biefer 93ejiel^ung fic^ mit be*
foratioen 9taci^l^ilfen begnügen mug unb eben bamit auc^ bie metir
ober meniger mangeinbe innere SBal^r^aftigf eit bofumentieren mirb.
@§ l^at nun freilieft nicftt ben 3Infcf)ein, aU ob bie bermalige
tircftlicfte Steligiofität ficft biefe breifacfte Äritif feftr ju ^erjen
geften liefee. Unb — leiber muffen roir ba§ jugeben — pe \)at
bei bem bermaligen ©tanb be§ geiftigen Seben§ nur attjuoiel
©runb, gegen jene ©inreben oorficfttig ju fein, ©o lang bie 93er«
treterin ber ^hzz beig SBaftren, bie SBiffenfcftaft, lebiglicft fritifcft«
empirifcft orientiert ift, fo lang fte iftren legten 93eruf, ber SRenfcft*
tieit ein einfteitUcfte^ geiftigen SDBeltbilb ju geben — bafe roir ba*
mit feiner Strt oon oberfläcftUcftem 9Woni§mu§ ba§ SBort reben,
ift rooftt felbftoerftänbli^ — taum nocft als ibeateS Qkl gelten
lö^t, fo lang ftat fte aucft felbft oiel ju roenig fa^IicfteS Qntereffe,
um in folcften g^agen emftlicf) ®eftör beanfprucften ju tonnen.
Unb fo lang bie ^otitif mit iftrer bermaligen parlamentarifcften
^^Jarteioertretung bie einjige 9Sertreterin be§ SRecf)t8gebanfen§ in
ber breiten Oeffentlicftteit ift, fo lang roirb aucft bie Sieligion oon
iftr roenig geiftige ^ilfe erwarten bürfen. Unb ebenfo roirb iftr
bie Äunft, bie nodft immer ftauptfäcftlicft naturaliftifcf), b. ft. eigent»
lieft blo^ tecftnifcft interefftert ift, feine roefentlicfte ©tütje fein tön«
nen. 2)a§ Slnfä^e jur 95efferung auf atten brei ©ebieten oorftan*
ben finb, fott bamit nicftt geleugnet roerben.
3)ie m 0 b e r n e SB e 1 1 \)at \a ein guteS 9te^t jubie*
fer iftrer ®infeitigteit. 3)enn bie SBelt roitt geroi§ ju«
oor roirtlicft getannt unb tecftnifcft befterrfcftt fein, efte fte roirtlicft
bem ftttlicften SebenSjroerf unterroorfen roerben fann. Sie ftat
alfo baö ganje SRecftt ber leibftaftigen SBirtlicftteit in iftre 2Bag*
438 $ ( a n c! : ^laffifd^e, mobeme unb reltgiofe SebeniSauffaffung.
fetale ju loerfcn. Unb bic SBcrbienfte, lüclc^e fid) SBiffcnfd^aft unb
^^Jolitit 2:ec^nif unb Äunft um bic mobernc SKcnfd^tieit fc^on cr^
roorbcn ^aben, fmb ja gar nid)t rocgjubringcn. ©ic ^abcn roirtUd^
ba§ menfc^U^c ©cfamticbcn in feinem äußeren öcftanb merf=
lid) gehoben. SlUcin e§ fmb boc^ immer nur bie pcripl^erifc^en
Scben§gebiete gemefen, benen i^re 3Irbeit gegolten; oom eigentli^*
d)en ScbenSjentrum ber SWenfc^l^eit ^abcn fie ftc^ bi§ je^t tatfäd^*
lic^ mit mirMic^er 3Irbeit ferngehalten. Seilö roeil fte grunbfä^*
lid^ i^m bie 2)afein§berec^tigung abfprac^en , teils meil fte auf
biefem fc^mierigen ®ebiet bie ^Neutralität oor}ogen. ^Uein bag
ber je^ige ©tanb ber 3)inge ein befriebigenber märe, tann mit
gug nic^t behauptet werben. 2)enn ma§ baruntcr leibet, ba§ ift
ber SWenfc^ felbft, beffen geiftige (Sin^eit e§ auf bie 3)auer nic^t
erträgt, ba^ bie ganje OeiftcSmelt in SBiffenfc^af t , SRed)t unb
Äunft fc^lec^terbing§ feine gütilung me^r ^at mit biefem unmittel =
baren ftttlic^^religiöfen gütilen, Renten unb aBollen. 2)a8 93e*
bürfniig eines inneren SluSgleic^S mirb ein immer lauteres merben,
unb menn bie SSertreter ber SReligion einerfeitS, bie Vertreter Don
SBiff enfc^aft, SRec^t, Äunft anbererfeitS roirflic^e 2R e n f d^ e n fmb,
fo mirb baS 93ebürfniS fic^ auc^ in i^nen felbft regen, unb bic
Ictitercn merben ben erfteren gegenüber nid^t me^r blofe fritifc^
breinreben moHen, foubern i^r auc^ mirMic^ pofitioe geiftige ^ilfe
JU bieten fuc^en. 3)ie 9leligion itirerfeitS, meiere als SJertreterin
ber 3^"tralibee beS ©uten jenen tritifc^ freieren, aber boc^ mie«
ber ftofflid) gebunbeneren ©eifteSgebieten gegenüber übergeorbnct
bleibt (um einen ®rfati ber ^Religion burc^ SBiffenfc^aft unb ftunft
tann eS fic^ im ®rnft nic^t me^r ^anbeln !), mu§ aber auc^ felbft
biefe ^ilfe fuc^en unb fie annehmen, ©ie befinbet fid^ — baS
ift feine Srage — bcrmalen in einem ©tanb geiftiger Unfreil^eit,
ber itiren roirflic^ berechtigten ftttlic^ := religiöfen @influ§ auf bie
SWaffen nur fc^äbigen fann. ^ier l^at bie SBiffenfc^aft unter-
ftü^enb einjugreifen , freilid^ nic^t burc^ Sinfü^rung ber mec^a»
nifc^en SBeltbetrad^tung in baS 2)ogma, fonbern burc^ ^erauSar-
beitung eineS baS ®emüt roie ben SBerftanb gleich befriebigenben
aOBeltbilbeS in ber oon unfern Älaffifern eingefc^lagenen 3)enfric^«
tung, benen baS SBeltganje ein einheitlicher Organismus mar.
$ l a n c! : ^laf rtf c^e, mobeme unb religt5f e Seben^auffaffung. 439
SBcitcr aber f)at bie tirc^Iid^c SRcIigion runb an§uer!cnnen , ba§
fte gegenüber Don ben 3näd^ten be§ ©emeinen in ber Sßelt nid^t
bie geiftigen 2Wittel f)at unb au^ nid^t l^aben barf, bie ^ier
nötig fmb. ®§ fe^lt i^r bie nötige ©c^ärfe unb oor allem auc^
bie genaue Äenntniig um ba§ 93öfe ba ju faffen, mo e§ fi^t. ©ie
bebarf alfo iJ^rcrfeitö be§ ftarfen SlrmS be§ Sflec^t§, ba§ mit ber
meltlic^en SWac^t im 93unbe ftel^t. Ol^ne biefcg mürbe bie Sieli*
gion, bie immer etma§ SWilbeS ^aben mu^ — miß jte boc^ in
te^ter Sinie nic^t nehmen unb f^äbigen, fonbern geben unb feilen
— fc^Iie^Iic^ jum ©pott ber SBelttinber. ®rft menn bie fri^
tijc^e ©c^ärfe ber SJBa^r^eit unb beö 9lec^t§ hinter i^r fte^t (nid^t
me^r al§ tnec^tifc^e fonbern al§ freie ©ienerin), ift fie oor bem
SWi^brauc^ i^reö 2Borte§ fi^er. gerner ift fc^on au§gefü^rt
roorben, ba§ bie SReligion auf eine roirfli^e SBürbigung unb
93eac^tung i^rer SJBa^r^eit gar nid^t hoffen fann, roo nic^t ba§
SRec^t juoor für eine menfc^enroürbige @yiftenj geforgt ^at!
®nblic^ ift auc^ bie ^unft eine unentbehrliche, felbftänbige
Wienerin ber ^Religion, benn biefe !ann i^re 2lufgabc nur bann
erfüllen, menn bie be^errfc^enbe innere ©in^eit be§ ©eifteiB nic^t
bto^ im QenfeitS oere^rt, fonbern fooiel möglid) in biefer SBelt
jur gegenmärtigen, tebenbigen 2lnfd)auung gebrad)t mirb. Unb
ba§ tann nur bie Runft teiften. ©ie roe^rt ber OemütöDerrol^ung,
bie eben fc^liefelic^ auc^ ein geinb ber ftttlid^en fieben^auffaffung
mirb. ©0 braucht bie SReligion bie Äunft nic^t blog um i^re
^iftorif^en unb ftimbolifc^en 93ilbcr t)on i^r malen ju laffen, ober
mürbige 9täume fic^ oon i^r geben ju laffen, fonbern um bem
ganjen Seben ben ©tempel ber geiftigen SBei^c aufjubrüdten.
©inb aaSiffenfc^aft, SRec^t unb Äunft auf bie oolle ^ö^e il)re§
93erufeg getommen, fo merben fte ber eoangelifc^en Sfteligiofität
biefen 3)ienft oon felbft erfüllen. ®iefe bleibt bie le^te unerfe^^
lic^e ®eifte§ma^t, bie ftc^ ju i^ren Wienerinnen ©erhält mie ba§
reine, roei^e Sic^t ju feinen oerfc^iebenen garben. 2lnbererfeit§
^aben mir aber aud^ un8 überjeugt, ba§ fte bie i^r gebü^renbc
@eifte§mac^t in ber mobernen SBelt otine bie ^ilfe oon biefen
niemals roieber erreichen mirb. ®rft mu§ bie ^Religion burc^ ba§
tlare, leibenfc^aftölofe 3luge ber SBiffenfd^aft ju fieserer ©elbft=
440 $lanc!: ^lafftfd^e, mobeme unb religidfe SebenSauffaffung.
unb SBcItcrtcnntniS geführt fein, bcr ftarfe Slrm beg SRec^ö mu§
i^r burc^ ^erfteDung einer einheitlichen, innerlich n)ie äu^rlid^
befriebigenben nationalen unb fojialen SebenSgemeinfc^aft ben 93o«
ben bereitet Iiaben, unb enblid^ mu§ bie ©eele ber Äunft auc^
ba§ äu^erlic^e, unmittelbar gegenwärtige fieben bur^brungen
^aben, et|e fte roieber al§ bie le^te jentrale Äraft beS SWenfc^en
roirb anertannt werben unb fte il^re voüt 933irffamteit entfalten
tann.
3)ie Ueberroinbung beö ©egenfat^eS freilid^, ber unfer ganjeS
2)afein fonftituiert, beig ®egenfa^e§ groifd^en ben oerfc^iebenen Se»
ben^intereffen, biefer ^^erip^erie unfereö 2)afein§ unb bem geifti»
gen 3cntrum unfereg Seben§ felbft ift roie bie b I e i b e n b e
fiebenSaufgabe be^ einjelnen, fo bie ©efamtaufgabe ber menfc^^
ticken Äulturgemeinfc^aft überhaupt. Unb e§ ift nic^t ju fürchten,
ba§ fie bamit fertig fein wirb , wenn einmal i^r irbifc^er Sag
getommen ift.
441
$tt ^miflt^xt in l^^r m0i^ttntn ^üPvttn, Irxtl^txif^tn
Lic. Otto @4eel*
3.
Qwtx bcbcutfamc SJcrjud^e, bic altluttierifc^c Sauflc^rc um*
jubilbcn rcfpcftioc roeitcrjubilbcn, o^ne bcn ß^föntmcnl^ang mit
i^r Qufjugeben, Ratten fi^ ol^ unburc^fü^rbor ^erau^geftedt. @nt«
mcbcr crmicfcn fid) bic SKotioe ate unbrauchbar ober bie ®inicl»
au§fü^rung brad)tc unlösbare Probleme, ober bcibeig mar bcr
gatl. Sin 2Bcg, bcr fieser jum Qkl ^ättc führen tonnen, mürbe
nic^t gcfunben. ^a c§ ermuc^^ au§ bcr ®ejamtbe^anb(ung be§
Problems bic ®rfenntni§, ba^ eine SRed^tfertigung bc§ ©atra*
mcnt§motio§ unb eine bamit jufammen^angenbc 3»bcntifi}ierung
bcr Sinbcrtaufe mit bcr ®rmac^fenentaufe, eine folc^e Häufung
bcr ©c^micrig!citcn mit fic^ bringe, ba^ man bei biefen ^rämiffen
überhaupt auf eine fiö[ung \>z§ Problem« merbc ocrjic^tcn muffen.
6§ fc^eint bcmnad^ ba§ Stäc^ftlicgcnbc ju fein, burc^ äbftric^c gc*
ringerer 3Irt bie größten ^inberniffe ju bcfeitigcn unb auf ©runb
bcr alfo tjorgenommenen SRcbuttion be§ ^robIcm§ ^err ju mer«
bcn. 3)icfcn Slu^mcg l^at man in bcr 2;at betreten, unb oiclc
fmb e§, bie gegenmärtig mit bcr ^ier gefunbenen fiöfung fic^ ju»
frieben geben.
3)ic biö^cr inS 2luge gefaxten bogmatifc^en Erörterungen über
bic Saufe ftimmten tro^ aller 3)ifferenjen barin übercin, ba^ bic
Saufe al^ ba§ 93ab bcr SEBicbcrgcburt gemertet mcrbcn muffe.
3mar burfte man intialttic^ ben altort^obofcn 93egriff bcr äBie*
bergeburt mcber mit bcmjcnigcn bcr „t{)eoföp^ifc^cn", noc^ mit bem*
jenigen bcr „fotcriologifc^cn" Saufle^re ibcntifijicren. 3ici>cöwial
3eitfc^rift für X^eologie unb Ätrc^e. 15. Oa^rg., 6. ^eft. 31
442 @ c^ e e l : ^te ^auf (e^re in b. mobemen porttio., lut^er. ^ogmatü.
xoax ein eigentümliche^ 9SerftänbniS ber SDBiebergeburt ju fonfla*
tieren. 3Iber barin fanben ftc^ bod^ bieje brei unter fic^ fo oer«
fd)iebenen Sqpen ber bogmatifc^en ©egrünbung ber J^aufe, bag
fie formal bie Saufe aU ba§ ey^ibitiüe Satrament ber 3Bieber^
geburt angefe^en roiffen TOottten, unb foIgerid)tig biefen ©a§ nic^t
auf bie ®rroac^fcnentaufe befd^ränften, fonbem auc^ auf bie Sin=
bertaufe belogen, alfo eine bogmatifc^e Unterfd^eibung oon @r<
mad^fenen« unb Äinbertaufe ju oermeiben fud)ten. 3>P nian nun
ni^t in ber Sage, ben SBiebergeburtSbegriff ber foteriologifc^en
Saufle^re ftc^ anjueignen, fie^t man fic^ alfo genötigt, bie „6r*
neuerung" in ben begriff ber SBiebergeburt aufjune^men, o^ne
ieboc^ ber „t^eofopf)if(^en'' Interpretation ben @iege§prei§ juju^
erfcnnen unb o^ne bie oon ben altproteftantifc^en 3)ogmatitern
gegebene t^eologifc^e @rflärung ber äBiebergeburt unb @meue«
rung unbebingt für richtig ju galten, f o tonnte man entmeber ben
faframentalen ©tiarafter ber Saufe überl^aupt beftreiten, freiließ
ouf bie ©cfa^r t|in, nic^t me^r für „pofitio" ju gelten, ober man
fonnte e§ oerfuc^en, unter öeibel^altung beS ©atrament8begriff§
ber Sinbertaufe eine anbere ©tettung jujuroeifen, ate ber ©r^
mad^fenentaufc. 3)iefem 93erfuc^ begegnet man oornel^mlid^ bei
«unteO unb ©aul^).
93unte, ber feine 2lu^ffil^rungen teilmeife auf bie (Erörterungen
ber lut^erifc^en öetenntni§fd^riften glaubt ftü^en gu tonnen, fin*
bet in ber Saufe meber eine fpejipfc^e, im ©inne ber Sleulut^e«
raner oerftanbene ©atrament^gnabe, noc^ ein 3Wittel, baS bie
®nabe mitteile unb mirte, fonbem nur bie SKnbietung ber gött*
li^en ©nabe^). 3)ie Saufe ift aufjufaffen alö bie 3lnbietung be§
oer^eigenen $eit§ an ben einjelnen, bie 93ebingung aber für ben
©mpfang be§ ^eil§ ift ber bemühte unb perfönlic^e ©taube, ber
au§ ber ^^ßrebigt ftammt^). 2)arau§ ergibt fid^, ba&, falls eS fic^
um bie Saufe eine§ unmünbigen ÄinbeS ^anbelt, erft oiele 3a^re
1) ®. SBunfe, S)er ße^rftrcit über bie ^inbertaufe innerhalb ber lut^e*
rifc^cn ^irc^e, Raffet 1900. S89L auc^ ©töcfer in feinem SOorroort ju
SBunfeS 8c^rift.
2) @aul, a. a. O. 3) 93unfe, a. a- D. @. 1.
4) ®bb. (S. 8.
6 ^ e e t : ^te 2:aufle^re in b. mobernen porttio., lut^er. Dogmatil. 443
itac^ bcm SBoKjug bcr Jaufe bcr ©laube eintreten tann. .3>nbem
nun aber bie SReformatoren unb bie 93cfenntni§fc^riften feine SBie^
bergeburt o^nc SJedjtfertigung unb teine 9ted)tfertigung ol^ne ben
beraubten ^eilSglauben tannten, anbcrerfeitö bie 3Biebergeburt aud^
ber Äinber burc^ bie Saufe behaupteten*), getaugten fie ju einer
magifc^en SSorfteKung oon ber S^aufroirfung. 2)enn fie lehrten
je^t eine 3Wagie be§ SBortS unb ber ©nabe. SEBeil man ftinbcr»
taufe unb ©rroac^fenentaufe ibentifijieren rooKte ^), oerfiel man felbft
in ben fat^olif^en ^S^ttum, ben man boc^ abjuroeifen bemül^t mar.
2lu§ biefer 3n>itf"^ii^l^ f^nn man nur bann befreit merben, menn
man oon ber ßtnbertaufe nid)t me^r behauptet, afö ftc^ mit bem
SBefen be§ 2:auffatrament§, roie e§ oon aßen 93e!enntni§f^riften
au^gefproc^en ift, oerträgt. 95unfe gelangt bemnac^ ju folgenber
Definition: „3)ie Jlinbertaufe iji bie 2lnbietung unb 3"f^c^c^w"9
be§ in S^rifto befc^loffenen göttlichen ^eil§ an ben einjelnen.
©ie ift bie ©runblage unb ©tü^e für ben fpäter entfte^enben
©lauten be§ Säufling^, ben berfelbe traft be§ ^eiligen ®eifte§
burc^ ba§ 3Bort erlangt. 5)ie Äinbertaufe ift nic^t bie SBieber*
geburt. 3)iefe gefc^ie^t erft, roenn ber Täufling jum ©tauben
tommt"^). Slud^ ©töder erttärt in feinem SBorroort jur S^rift
95unte^, ba§ man ben 93egriff be§ ©tauben^ entleere, wenn man
oon einem Sinbergtauben fpred^e, unb bafe man ben 95egriff ber
SBiebergeburt entteere, menn man bie Sinbertaufe al§ ba§ 93ab
ber aBiebergeburt befiniere. ß^föwtmenfaffenb erKärt SBunfe:
„bie Saufe ift ba§ ©aframent, burc^ metc^eö ©ott bem einjetnen
feine ^eil^gnabe barbietet unb jufid^ert. ®iefe Darbietung unb
Sufic^erung gefc^ie^t burc^ ben Zeitigen ©eift. 9Kit ber c^rift«
ticken Saufe ift ©eiftmirtfamfeit oerbunben. %&\)xt erft bie ©na«
benanbietung in ber Saufe in bem Saufbemerber jum 3)urc^bruc^
be§ ©Iauben§, fo mirft bie Saufe bie SBiebergeburt im ooDen
Umfang, b. ^. SRed^tfertigung unb ©eiftmitteitung unb oerftegett
biefen SSeftt; im 95en)u§tfein be§ Säuftingg, ^at bie 9tec^tferti*
gung be§ ©ünberS fd^on ftattgefunben burd^ ba$ ©nabenmittet
be§ SDBort§, ba§ im ©tauben angenommen mürbe, fo ootlenbet
1) 93un!e a. a. O. @. 23.
2) @bb. @. 33. 3) @bb. @. 34.
31*
444 © d^ e c 1 : 5E)ie Sauflc^rc in b. mobcmcn pofltio., lut^cr. 3)09matit
bic Saufe bic SBicbergeburt burc^ bic SWittcilung bc§ ^eiligen
®ciftc§ al§ ^rinjip bc§ neuen fieben§ unb SBeftotigung ber Stecht»
fcrtigung im 93en)u&tfein be§ ©etouften. 3fft bie ganje SCBieberge«
burt fc^on vox ber Saufe gcfd^e^en, fo ift biefe baig äußere unb
innere ©iegel für bie Onabenerroeifungen be§ breieinigen ©otteS
an ben ©etauften. 3^9'^'^ U* ^^^ Saufe bie 2lufna^me in bie
©emeinbe be§ er^ö^ten ^erm, in meiner berfelbe burc^ SDBort
unb ©aframent mit feinem ®eift maltet" *). 2)ie Kinbertaufe ift
barum nur bie 3wficf)erung unb Slnbietung be§ $eil§, nic^t baS
95ab ber SBiebergeturt. 2)enn bie ftinber befi^en nid)t ben rec^t^
fcrtigenben ©lauben unb barum eben barf i^nen nic^t bie SEBie»
bergeburt jugefc^rieben werben 2).
6inen ätinlic^en ©ebanfengang oerfolgt ©aul. @r mirft bie
grage auf, ob bie Äinbertaufe bie SBiebergeburt fei, um biefe
grage ju oemeinen. ^infic^tüd^ il^rer unmittelbaren ^eil§roir^
tung ift bie Äinbertaufe nic^t ber ©rmac^fenentaufe gleic^. ®§
fetjlt an ben fubjettioen aSorau^fe^ungen auf menfc^lic^er ©eite
baju, ba^ bie Äinbertaufe bie ganje güUe ber ®nabe unb beS
^eil. @eifte§ uermitteln tonnte. @rft bann erfolgt bie SBieberge-
burt, roenn ber gläubig geworbene S^rift au§ eigener Ueberjeu*^
gung ba^jenige bejaht, mai^ il^m in ber Sinb^eit gefc^e^en ift.
3)aju fommt, ba§ bie ©d^rift nid)t bie ^inbertaufe !ennt. ©o
fönnte bie Äinbertaufe überflüfftg ju fein fc^einen. 9lber einmal
fpric^t bod^ ber ganje ®eift ber ©d^rift für bie Äinbertaufe ^) ;
anbererfeitS barf man bie Äinbertaufe boc^ menigftenS eine Saufe
jur SBiebergeburt nennen, ©ie gehört nad^ ®otte§ Orbnung jur
SOBiebergeburt, bilbet bie ®runblage für bie SBiebergeburt*). „SBei
ber Äinbertaufe ooflaie^t ftc^ ber erfte 3ltt; @ott teilt fc^on ba^
oom neuen fieben ober oon ber SBiebergeburt mit, roa^ i^re eigeut*
lic^e ®runblage bilbet: ein neue§ aSer^ältni§ ju ®ott, b. i). SJer«
gebung ber ©ünben, ®otte2Jf inbfc^aft, ©rbfc^aft be^ eroigen fieben§,
er bietet feine ®nabe bar!"^) ®ie Kinbertaufe oermittelt atfo
biejenigen ®nabengabcn, bie man au^ o^ne perfönlid)en, berou^*
1) SBunfe a. a. D. ©. 114. 2) (&hh. @. 116.
3) ©aul a. a. O. ©. 18. 4) (Bbh, @. 27.
5) ®bb.
6 ^ e e l : ^ie ^auflebte in b. mobemen pofltio., lut^er. ^ogmatü. 445
tcn ^cilSglaubcn empfangen !ann*). ©oul will alfo nic^t^ üom
perfönlic^en unb beraubten ^eilSglaubcn bcr Äinbev roiffen unb
folgerichtig andj bie S^efe oon ber aSicbergeburt ber Äinber ni^t
anerfennen. 2lnbererfcit§ ift er aber, wie er fagt, „pofitiüer"
S^eologe unb al§ folc^er intereffiert an bem tro^ allem feftju«
^altenben ©aframent^c^arafter ber Äinbertaufe. 3wJ" ©atra--
ment gehörte aber boc^ ber ®Iaube. 3)ie SSefreiung an^ bem Di-
lemma oerfc^afft bie Stjefe oon ber Äinbertaufe al§ bem @afra*
ment ber Slnroartfc^aft auf bie SBiebergeburt ^). ©o erf lärt ftc^
©aul in ber Sage, auf biefe Äinbertaufe bie 2:ermini anmenben
ju fönnen, bie bei 2llt^au§, ©remer unb o. b. Jirendt un§ ent»
gegentraten, nur mit bem einen Unterfc^ieb, baft er auf ben 93e«
griff ber SBiebergeburt oerjic^tet. 3)ic ^inbertaufe ©ermittelt bem*
nac^ eine pofitioe ®abe: ba§ neue 93er^Itni$, in ba§ ber 2:äuf'
ling ju ®ott üerfe^t rnirb ^). ®§ mirb bamit juglei^ bie ®runb*
läge gelegt ju einem neuen fieben, ober „e§ mirb ber Stnfang ge*=
mac^t mit einem perfönlic^en ®emeinfc^aft$leben mit S^riftuS, bad
bann beginnen fann, menn ber SWenfcft glaubt unb für ©tiriftuä
fic^ entfc^eiben fann"^). 2Benn©aul alfo auc^ ni^t bie J^efe fic^
aneignen fann, ba^ bie Äinbertaufe bie SBiebergeburt fei, fo oer*
ma^rt er ftc^ boc^ gegen ben SBorrourf, in fubjeftioer ©elbft^err*
lic^feit ba§ ©aframent ju oerac^ten ober bem ©^riftmort ben
©etjorfam ju oerfagen*). Sluc^ bie oon ber Srma^fenentaufe
unterfdjiebene Kinbertaufe bleibt ein ©aframent, eine ^anblung,
burc^ bie ®ott bem Kinbe ein neue§ 93erl)ältni§ ju ft^ gibt unb
bie Befreiung oon ber ©ünbe unb ©c^ulb i^m juteil merben
lä^t«).
Ob €§ pofitio ift, ein ©aframent in feiner 93ebeutung ju re*
bujieren, mag baf)ingefteKt bleiben, ©remer ^at j[ebenfall§ in
biefem 2lbfc^n>äc^ung§oerfuc^ einen 9lbfall oom Sut^ertum unb
ber ntl. 3lnfc^auung erfannt ') ; unb %i). ^arbelanb ^at ni^t me^
1) @aul a. a. D. 8. 19.
2) (Sbb. @. 21. 3) @bb.
4) i&hh. @. 22. 5) @bb. 8. 31.
6) ^bb, <B. 30. 7) Bremer a. a. D. 8. 15.
446 @ d) e e I : ^ie 2:aufle^re in b. mobemen pofitiOv lut^er. ^ogmatit.
nigcr fc^arf biefe ^ofition bctämpft^). SBic^tigcr aber al§ bie
^rage na6) bem pofitipen S^aratter biefer 2:Quf(e^re ift bie %xaQt
nac^ i^rer bogmatifd^en ^altbarfeit. Sag biefe 2:^eorie manches
befi^t, ipqS i^r geneigt machen tonnte, foQ nic^t beftritten n)erben.
6^ ift oornel^mlic^ ba§ ^ntereffe an bem poUen bogmatifd^en SBe«
griff bev ffiiebevgeburt unb bie SBerüdfic^tigung be§ reformato«
rifd^en ©lauben^begriffS in biefer 2:^eorie jur ©eltung gelangt;
unb fie perfuc^t e§ nic^t, ^altlofe, aber burc^ bie 2:rabition fant-
tionierte SSorfteüungen ju repriftinieren ober in neuer SBerbrämung
annehmbar ju machen. Ob bie in ber bogmatifd^en Unterfc^ei*
bung ber Äinbertaufe oon ber ©rroad^fenentaufe begrünbete ®r»
ipeid^ung ber alten 2:^eorie pom @a{rament ber Saufe geeignet
ift, ein 3Witte( ber Sßerftänbigung mit folc^en ju werben, bie eine
noc^ ,,rabitatere'' Haltung einzunehmen ftc^ perpflid^tet fügten,
brandet ^ier nic^t unterfud^t ju n)erben. @S mürbe eine folc^e
Unterfu^ung leidjt ©efa^r laufen, rein atabemifc^e (Erörterungen
JU pflegen, jumal bie ©timmung, bie unö bei ben Sßerfed^tern
biefer 2:^eorie entgegentritt, menig per^eifeung^poll erfc^eint; ^ier
^aben mir nur bie ©rmeic^ung feftjufteüen, unb jmar eine 6r«
meic^ung, bie fic^ auf bie ©rfenntniö pon ber ma|gebenben ©tel«
lung beö epangelifc^en ©lauben^begriffg jurüdtfü^rt. 2)a$ ©lau«
ben^motip, nic^t ba$ SaframentSmotip ^at ^ier baS Uebergemic^t
erhalten.
3lber mie ftel^t eS mit ber bogmatifc^en 9tec^tfertigung ber
2:^eorie? 3wnäc^ft fmb menigftenS Ungenauigteiten por^anben.
33unfe meint feine 2:^efe auf ben 2:aufbegriff ber lut^erifc^en 33e*
fenntni^fc^riften ftü^cn ju fönnen. 3)ie bort niebergelegte Ueber»
jeugung pom SÖefen ber Saufe berechtigt i^n, mie er meint, bie
Äinbertaufe al§ bie 2lnmartfc^aft auf ba§ ^eil ju befinieren. 2lber
fc^on ^arbelanb ^at barauf ^iugemiefen, ba^ S3unfe§ 2lnna^me
einer 2lnbietung pon ©ütern, bereu Stealifierung erft nac^ längerer
3eit eintrete, ein burdjauS m oberner, ben Steformatoren frember
5)egriff fei^). 3)a§ oiferre bejeic^ne nic^t eine 3wp^^^'wng für
bie 3wfunft, fonbern eine SÖlitteilung in ber ©egenmart ^). ^uufe
1) Zf). §arbe(anb, %aS f&ab ber SBiebergcbutt, ^annoper unb f&tf
lin 1902. 2) §avbe(anb a. a. D. 8. 6. 3) ®bb. @. 7.
@ (^ e e I : ^ie 3:aufle^re in b. mobernen pofitbv lut^er. ^ogmatit 447
fann auc^, felbft roenn man ^icroon abfeilen roiD, fogar na6) feinen
eichenen vorangegangenen Erörterungen in fo unbebingter äBeife
fi^ nic^t auf bie SBetenntni^fc^riften berufen. 3)enn er felbft l^atte
e§ al§ beren 2luffaffung erroiefen, baß bie Saufe ba§ ©aframent
ber SBiebergeburt fei. 2)ann fann er nic^t au§ ber SBorfteDung
ber SBetenntni^fc^riften Dom SBefen ber 2:aufe ben ©c^lu§ ab'
leiten, bag bie £aufe nur bie älnbietung unb 3uftc^erung be§ in
ß^rifto befc^loffenen ^eilS an ben einjelnen fei. 9lber gegen biefe
2)efinition erl^eben fic^ au(^ bogmatif(^e SBebenfen. @§ rvat bur(^*
au§ berechtigt wenn (Jremer bie 2lnna]^me einer in ber Saufe
blo§ gegebenen 2lnn)artfc^aft auf ba§ ^eil jurüdwieS. 2)aDon
fann, woran je^t nur erinnert ju werben brau(^t, bie 2)ogmatif
jufotge ber Eigenart bes; bogmatif^en SBeweife^ nic^t fpre(^en.
®ö bebeutet ben Sßerjic^t auf bie religiö^^pfgc^ologifc^e 9tatur be§
bogmatifc^en 93egriff§, wenn man eine blofee Slnmartf^aft be*
l^auptet, bie aU fol^e no^ feine |)eil2;güter mirflic^ oertei^t. 9lur
mit |)itfe ber 9tec^tSana(ogie liege ftc^ eine folc^e ^el^auptung
plaufibet machen. Stber bie 9lec^ti^analogie ermieS [xä) aU un«
jureic^enb, religiöfe 93egriffe ju erläutern; au(^ rourbe auf biefe
SÖeife ber bogmatifc^ ju forbernbe einheitliche ^wfö^nicn^ang oon
©eben unb ^inne^men jerriffen. ©rabe im ^fntereffe ber bog»
matifc^en Segrünbung mu| 93unfe§ S^eorie abgelehnt werben,
©eine ^Rechtfertigung ber Äinbertaufe ift überhaupt feine bogma^
tifc^e ^Rechtfertigung *). 3)ann aber taud^t bie 5^age auf, ob e§
1) %a^ barf au6) oon Dlutj, Saufe unb SOMebergeburt (91^3. 1901)
gelten. 9lu^ ift ebcnfo roenig wie löuufe geneigt, bie ^ofltion ©remerS
unb 3lIt^oug' fi^ anzueignen. 3^1 ber lut^erifd^en ^ird)e f)ab^ bie 3lb-
fl^t, bie SBirffamfcit ber ©aframente fidjcr gu fteflen, bttju geführt, oon
ber SBcbingung beg ©(aubeng mc^r ober weniger objufc^en (594), eine
Senbena, bie er aud) bei SBocfer unb 3lltbau8 pnbet (595). ^ic (S^rift
ober beäci*nc augbrücfüc^ ha^ SBort aU iWittel ber SBiebergeburt (600),
unb eine 3öiebergeburt, oon ber ber Söetroffcne nid)t§ roei^, gebe e8 nid)t
(604). ©bcnforoenig brauche unfcr ®Iaube immer bie 3:aufe, um fid) an
etroog galten ju fönnen. 3)enn er bah^ ba§ SBort ®otte§, (S^^rifti ^crfon
unb 2öer! (605). *2)ag pnb burc^auS beoc^tengroerte 9lu§fü^rungen. 3(ber
SRutj böngt boc^ am SahramentSbegriff aU einem befonberen 93egriff.
5)enn er er!(ärt, ba6 e« hei feiner 5luffaffung fc^mierig fei, einem erwach-
fenen, ntd)t getauften, gläubig geworbenen 9Wenfd)en no^ eine befonbere
448 <S d) e e l : 2)ie Xaufle^re in b. mobemen poftttD., lut^er. 2)ogmatif.
überhaupt geftattct ift, bogmatif^ einen Unterf^icb jroifc^en Äin-
bertaufe unb ®rn)ac^fenentQufe ju machen, ob man atfo, faU§ man
bie £aufe bogmatif^ rechtfertigen miU, nic^t vielmehr genötigt
roirb, aUe§, ma^ oon ber 2:aufe au^jufagen ift, unbebingt, o^ne
©infc^ränfung unb 3lu§na]^me oon ber Saufe au^jufagen.
©aul lä^t im roefentli^en oon benfelben ÜKotioen fic^ be«
ftimmen, mie 93unte; boä) ift er einen Schritt weiter gegangen.
3Benn nac^ 93unfe bie Sinbertaufe ba§ ©aframcnt ber Sinbietung
ber ®nabe mar, fo fuc^t ©aul menigftenS au§brüdlic^ ben ©e-
bauten einer ©nabenmitteilung für bie Äinbertaufe gu retten. 3)te
Äinbertaufe ift ba§ ©aframent jur SBiebergeburt, meil bie JBer-
gebung ber ©ünbe bem Rinbe in ber 2:aufe gef(^enft mirb. ©o
ma^rt ©aut fräftiger ate SBunfe ben fatramentalen ©^arafter ber
Sinbertaufe, menn er auc^ unterfdjeibet jmifi^en ber Saufe ber
@rroa(^fenen unb ber Sinber. ^nbem aber ©au( bie ÜKitteilung
einer ®abe in ber Äinbertaufe behauptet, uerfic^t er auc^ ein bog^
matif(^ ric^tigeg ÜKotio. Sro^bem !ann man [x6) mit feiner (Sr*
flärung ebenfo roenig befreunben, mie mit berjenigen 93un!e§. ®ie
bogmatifc^en ©c^mierigteiten, bie l^ier entftel^en, ftnb ni^t ge«
ringer. 3wnäc^ft mirb ©aul genötigt, SDBiebergeburt unb ©flnben^
SBirfung ber Saufe äujumeifen. 3Ran werbe nur fc^rocr über bie unbe^
ftimmte „rounberbare ^ermc^rung ber ©eifteSgabcn", wie fie bie alten
3)O0mati!er hzi^aupttitn, ^inau§!ommen, ober am ($nbe au^ bei bem für
bag 5luge ftcfttbaren ©nabenäcid^cn fid) genügen laffen ober auf ein igno-
ramus fid) jurücf^ie^en muffen. 5lbcr bicfcr SRac^teil fei gering gegenüber
ber ®efabr einer 9Jcrle^ung beg SWaterialprin^ipS (606. 607). ©obonn
bcpniert er boc^ fpäter bie a:aufc alg ba§ gcroiffc ^anbgreiflic^e 3eic^en
ber @nabe ©otteS, an melc^em fid) in @tunben ber @c^mad)^eit ber
a)lenf^ aufrid)ten fonn (608), roö^rcnb $Hutj bod) bicfe Söirfung fd)on bem
aSort jugcmiefen ^atte (605), abgefe^en baoon, ba& bicä überhaupt feine
bogmatifc^e SRcd^tfertigung ift. Unb enbli^ betrautet er bie ^inbertaufe
aU bie erfte 5lnbietung ber ®nabe ®ottc§, b. ^. alfo bie Saufe al§ ba§
8afromcnt ber ^Berufung (618). ^amit aber oerfüUt er bem 3rebler, ben
mir bei iöunfc fci&on (onftaticren mußten. 3mmerl)in bebeuten feine ^luS-
f Urningen eine ftarfe @d)mäc^ung ber faframcntalen SBertung ber 2:aufe,
menn auc^ ftctS nod& baö @a!ramcnt i^m ctmaS bcfonbere^ ju fein fc^cint,
bem er nun freiließ nid)t me^r einen bogmatifc^ (laren 5lusbrud ju geben
ocrmag.
@ d) e e ( : 2)ie ^laufk^re in b. mobemen pofitit)., lut^er. ^ogmatü. 449
oergebung oon einanbcr ju trennen. @rft bann ift ber 9Kenfc^
roiebergeboren, roenn er im ben)u|ten ©tauben ©^riftuS gefunben ^)
unb mit Semugtfein unb SEBiDen burc^ 93u^e unb ©tauben eine
anbere SRic^tung eingef erlagen ^at*'). @rfl je^t ift bie SBirtung
ber 2:aufe oolljur ©ettung gelangt, erft je^t bie ganje güde
ber ®nabe unb be§ ©eifteS ©ermittelt % SJlit biefen ®rflärungen
^at ©aul tatfäd^li(^ ber Söiebergeburt bie ©ünbenoergebung unter*
georbnet. S)icfe ©rörtcrungen nötigen ju bem bogmatifc^en ©c^lu§,
baß erft ber SDBiebergeborene im S3eft^ be§ |)eite ft^ befinbet, alfo bie
©ünbenoergebung nidjt ba§ ganje ^eil oerleil^t. 2)ann aber ift
bie reformatorifc^e ©c^ä^ung ber ©ünbenpergebung preisgegeben
unb ©aul ^at einen SDBeg betreten, ber bie „bloße 93egnabigung"
üon einer nad^folgenben, ^ö^ere« oermittelnben 3Biebergeburt unter*
fdjeiben te^rt, eine 2lnna^me, bie energifc^ beftritten ju l^aben ba§
aSerbienft ber Jaufle^re ®remer§ ift. ©aul fönnte biefer fatalen
Sonfequenj nur entgegen, menn er feine (Erörterungen nid^t al§
bogmatifc^e angefeben roiffen miß, fonbern nur bie empirifc^e @nt*
faltung religiöfer 93en)uJ3tfein§öorgänge ate ©egenftanb feiner 9lu§*
einanberfefeungen betrachtet fe^en roiH. 3lber eine folc^e Slnna^me
mürbe boc^ ben 2lbfic^ten ©aul§ miberfpred^en ; benn ©aul mill
ja grabe einen bogmatifc^en 93eroei§ geben. SDBill man alfo ©aul
Dor ber bogmatifc^ bebentlic^en ^onfequenj fdjü^en, bie implicite
in feinen 2lu§fü^rungen enthalten ift, fo mürbe man i^m boc^
feinen 2)ienft ermeifen. S)enn nun müßte man gegen il^n ben
aSormurf ergeben, baß er c§ an bem a3erfu(^ l^abe fel^len laffen,
feinen 93e^auptungen bie b o g m a t i f c^ e Me^tfcrtigung nac^*
folgen ju laffen.
©^on bie eben fonftatierte Satfac^e mürbe un§ nötigen, ©aulS
2lu§fü^rungen gu beanftanben unb nac^ einer anberen Stec^tferti*
gung be§ 2:auffatrament§ un§ umjufe^en. ®§ fommt aber nod^
^inju bie nic^t minber bebenfli^e Satfad^e, baß ©aul eine ÜRit*
teilung beS ^eilS abgefe^en pom ©lauben tennt, unb 93e]^aup«
tungcn aufftellt, bie unoerftänbli^ roerbcn. ©aul meint, baß mit
ber ftinbertaufe bie ©runbtage gelegt merbe ju einem neuen fieben,
" 1) ©oul o. a. D. ©. 26. 2) @bb. @. 24.
3) ebb. @. 26.
460 @ c^ c e I : S)ie a:auf(e5rc in b. mobcmcn pofttio., lut^er. ^ogmotit
bcr 2lnfang gemai^t toerbe mit einem perfönlic^en @e«
meinfc^af trieben mit (J^riftu§, baS bann beginnen f önne, wenn
ber aWenfd^ glauben tonne ^). 9lac^ ©aul aber fe^tt e§bemÄinbe
noc^ am bemühten Seben; perfönH(^e§ ®emeinf^aft§(eben fe^t
aber bemu^te^ Seben ooraug. 2)ann fann aber boc^ nid^t fd^on
in ber Sinbertaufe ber Slnfang gema(^t werben mit einem perfön*
li^en @emeinfc^aft§Ieben. ©aul fc^eint biefen SBiberfpruc^ ge»
fü^It ju ^aben. ®enn er unterf^eibet ja jmifd^en bem „2lnfang
machen" unb bem „beginnen". 2lber biefe Unterfc^eibung bürfte
^öc^fteng Dor bem gorum ©aul§ befielen. ®er ©at( ©aufö ent»
^ält alfo jmei ni^t mirflic^ vereinigte aJiotioe. ®§ foU bem ®Iau*
ben fein SRe^t gema^rt werben, unb e§ foD ba§ ©atrament ber
Äinbertaufe, ba§ üom Olauben ni^t ju fprec^en erlaubt, mit ej*
^ibitioer, wenn auc^ rebujierter Kraft auSgeftattet merben. S)a§
ift ein Söiberfpruc^, ben nur SDBorte f^einbar oerbeden tonnen.
3)a§ aber auc^ ^ier noc^ ba§ ©lauben^motiü üormaltet, ertennt
man baran, ba| ©aul bie unperftänblic^e Unterfc^eibung be§ „2ln*
fangmac^en§" unb be§ „53eginnen§" einführt.
3u biefem über ben Erörterungen ©aul§ tagernben unb fic^
nic^t lichten moüenben 3)untel gefeilt fic^ nun bie ©rflärung, bag
bie Äinbertaufe nur folc^e ©aben »ermitteln bürfe, bie man o^ne
bemühten ©tauben empfangen tonne, ©aul fe^t alfo oorau^,
bag bie eDangelif(^e ®ogmatit ^eiUgüter tennt, bereu S3efi^
nic^t an ben ©tauben gebunben ift. Um ben fatramentalen ©b^*
rafter ber Äinbertaufe ju retten, öer(ä|t er je^t bie ©runbpofi=
tion be§ reformatorifdien Sßerftänbniffe^ be§ ©l^riftentumö. ®er
M^n^eit biefe§ SBorge^enö wirb man erft rec^t inne, menn man
beachtet, ba| e§ fic^ um bie ®abt ber ©ünbenoergebung ^anbelt.
®§ bürfte ^ier nac^ allem, mag oorangegangcn ift, mo^t genügen,
biefen ©a^ ^erau^jufteüen, um feine Un^altbarteit unb bamit bie
Un^altbarfeit ber bogmatif(^en ^Rechtfertigung ber Kinbertaufe, fo
mie fie ©aut ju geben uerfuc^t, barjutun. ®§ fei nur beffen noc^
gebad)t, ba^ ©aul felbft im |)inblid auf ©remer, 2llt^au§ unb
t). b. Srend ben ©a^ geprägt ^at: „ber §eil§gtaube ber Kinber
1) ©aul a. 0. D. ©. 22.
6 d) c c I : %xz 2:aufle^re in b. mobemen pojlticv lut^er. ^ogmotit 461
wirb alfo abgelehnt, unb e§ wirb eine SBiebergeburt == SRec^t^
fertigung = ©ünbenpergebung bel^auptet, ol^ne bajs ber ©taube ba*
ju nötig ift" ^)! S)ann ^atSaul über feine eigenen fpäteren 2lu8*
fü^rungen ba§ Urteil gefpro^en, bie pfg^ologif^ nur oerftänb*
lic^ werben, wenn man bie fSlaöit f\6) pergegenroärtigt, bie ba§
©aframentömotin immer noc^ über ©ante bogmatifc^e« 3)enfen
ausübt. SBenn er aber enblic^ ertlärt, (£remer§ unb 9l(t^auS'
@a^, ba^ burc^ bie Äinbertaufe ber läufling in ein neueS JBer«
t)ältni§ JU ©Ott gefegt werbe, fu^ aneignen ju fönnen, fo fällt
biefe ©rtlärung unter ba§ SBerbift ber SBemerfungen, bie im 3«*
fammenl^ang ber Jaufle^re ©remer^ gegeben werben mußten,
©aul ^at feine ^ofition baburd) nic^t getlärt, ba§ er eine leife
aSermittlung mit ber foteriotogif^en 3)oftrin anftrebt, o^ne be*
ren bogmatifd^ ri^tige§ 9Kotio ju atjeptieren.
3um Schlug fann noc^ barauf ^ingebeutet werben, ba§ biefe
2:^eorie e§ nic^t oerftanben ^at, ben bogmatifc^en ®ewei§ für bie
9lotwenbigteit ber 3"^^^^^'* ^^^ ©nabenmittel ju erbringen, unb
t>a^ bie ©rünbe, bie etwa angeführt werben, nic^t bogmatifc^er,
fonbern religion§pfi)c^o(ogifc^er Statur finb. gür 93unfe fowo^l
wie für ©aul fte^t e§ feft, baj3 ba§ SDBort auc^ beim ©atramcnt
t>a^ fonftituierenbe SWoment ift^). SBie foü e§ benn begreiflich
fein, ba^ ba§ Saufwort, ba§ über bem unmünbigen Täufling ge*
fprod^en wirb, au^ nur bie abgef^wdc^te ffiirfung befi^t, bie
©aul ber Äinbertaufe juweift? 3)a§ 3Bort fe^t geiftige Slufna^me«
fä^igfeit oorau^; biefe aber wagte ©aut für bieg ©tabium ber
©ntwirftung be§ tinbli^en fieben§ noc^ nic^t oorauSjufe^en. 9Kan
mü^te alfo eine „magifdje" 3Birtung be§ 2:aufwort§ fonftatieren
benn e8 würbe bem 2:aufwort eine 3Birfung jugewiefen, bie man
fonft nic^t bem ©nabenmittet be§ 2Bort§ jujufc^reiben ben 3Wut
t)at. 3)ie notwenbige ^olge wäre bie, ba^ man ba§ Jaufwort
c^aratteriftifc^ unterfc^eiben mügte oon bem fouftigen ©nabenwort.
3)ann wäre aber bie ©runbt^efe, oon ber ausgegangen würbe,
preisgegeben ; unb boc^ f ül^rt ein orbnungSgemäfeeS 2luSge^en oon
biefer J^efe ju biefer legten Folgerung, b. f). alfo jur ©elbftauf^^
1) ©aul a. a. D. @. 11.
2) iSauI a. a. D. ©. 25. löunfc o. a. D. ©. 9. 11.
462 6 (^ e e I : S)ie a:auflc^tc in b. mobemcn poflti©., lut^er. S)oömatit
löfung ber 2:^cfc. 2)iefcm @rgcbni§ tann man bann nur mit ber
©rflärung begegnen, ba§ man baS ®rgebni^ nic^t anertennen mü.
9Wit einer fold^en (Srflärung märe notürli(^ nic^fö gewonnen, mU
mel^r nur bie eigene Unfic^er^eit jum 2lu§brud gebra(^t. ©o ge*
rät man alfo in ba§ ®ilemma, ba% bie Äinbertaufe ein ^eil§«
gaben oerlei^enbe^ ©aframent ift unb bo(^ bem SDBort au(^ für
bie§ ©atrament tonftitutioe ©eltung eignet. Unb eben bamit fe^It
eS mieberum an bem inneren 9tac^n)ei§ für bie 3"^«i^^it ber ©na-
benmittel. 6§ eyiftiert ja im ©runbe nur ba§ SBort al§ ®na»
benmittet. ®a^ e§ in ber gorm ber Hinbertaufe apptijiert mirb,
peränbert nic^t feinen ©^aratter al§ 3Bort, SBo foU benn ber
@runb bafür gefuc^t werben, ba§ bie Sinbertaufe bo(^ eine SDBir*=
fung ^at, bie ba§ einfadje SÖort nic^t ausübt? 3)iefe fragen fönnte
man nur befeitigen burc^ ben ^inroeiö barauf, ba§ bie ©(^rift
jmei @nabenmitte( behauptet, unb mir im ©el^orfam gegen bie
©c^rift uns biefer 2:atfad)e ju beugen Ratten. S)ie alten 3)og^
matüer l^atten bereite biefe Söfung gefunben; aber biefe Söfung
ift unbraud)bar. 9lu§ bem 3)i(emma fäme man nur ^erauS, menn
nmn e§ magte, bem Jauffaframent eine fpejififd^e SDBirfung juju^
meifen, bie bem 3Bort als 3Bort nic^t eignet. 3)ann märe jmar
bie Orunbt^efe pom ©ort als bem tonftituierenben 3Womcnt ber
S^aufe aufgegeben unb gleidjjeitig bie generelle ©aframentSt^eorie
ber alten 3)ogmatiter hinfällig gemorben. Slber man l^ätte hoä)
eine 53a^n betreten, bie jum 3i^l ben inneren SladjmeiS ber 9lot«
menbigteit jmeier ©nabenmittel i)at 3)a6 biefer 3Beg atlerbingS
nidjt jum ßiel führen tonnte, jeigt bie öefprec^ung ber J^eorie
Jlrog^^SonningS. 3)aS ift auc^ ©aul ni^t verborgen gemefen.
@r ^ätte fonft nic^t fo energifc^ im ©ort baS fonftituierenbe SWo^
ment ber 2:aufe ju finben gelehrt. 3)ann aber bleibt eS bei bem
Ergebnis, ba^ meber auS bem ©^arafter ber 2:aufe als beS SÖorteS
bie oorauSgefe^te SBirfung ber 2:aufe begreifli^ gemacht merben,
noc^ bie 9Jotmenbigteit jmeier ©nabenmittel nac^gemiefen merben
fann, unb ba| anbererfeitS bie SBirfung, bie ber Saufe ber Äinber
jugefc^rieben mirb, über beren allgemeine ^eftimmung als äBort
hinausführt.
®ie ganje bogmatifc^e Unfid^er^eit biefer 2:aufboftrin ^at
S ^ e e I : ^te 2:aufIe^Te in b. mobettien pofttit)., lut^ec. ^ogmatit 453
Sunfc einmal ^araftcriftif^ crtcnnen (offen, nämlic^ in jener be*
reitS jitierten ©teile, bie feine jufammenfaffenbe Slnf^auung Don
ber 2:aufe entwidelte ^). ^ier foU einmal bie Saufe bie SBieber*
geburt im oo Ken Umfang mitten, b. ^. ^Rechtfertigung unb ®eift«
mitteilung unb Sßerfiegelung biefe§ SBeft^eS im ^erou^tfein beS
JäuPingS. 2lnbererfeit§ ift e§ möglid^, ba§ bur^ ba§ ©naben^
mittel beö Sffiort« bie SRed^tfertigung be8 ©ünberS bereite ftatt*
fanb; bann Dollenbet bie Jaufe nur bie SOBiebergeburt bur^ bie
SRitteilung be§ ©eifte^ als $rin}ip be§ neuen fiebenS unb al$
SBeftätigung ber ^Rechtfertigung im 93erou|tfein be§ ©etauften.
©d^liefelic^ ift eö möglich, ba§ bie ganje ffiiebergeburt oor ber
Saufe gefc^e^en fei; bann ift bie Saufe baS innere unb äußere
©iegel für bie ©nabenerroeifungen ©otte§. 3)er bogmatifc^e ©e*
^alt ber Saufe mirb alfo in biefer Stufenfolge immer mc^r re*
bujiert, unb ni^t nur ber Saufbegriff, auc^ ber bogmatifc^e 53e*
griff ber ^Rechtfertigung mirb entleert. 3)enn e§ tcnnt nun 93unfe
eine 9le(^tfertigung, bie im ©lauben angenommen mürbe, aber
nod^ nid^t ba§ ^rinjip be§ neuen Seben§ unb bie ^eitegemi^^eit
enthält. S)iefen ÜRangel ergänjt nun bie Saufe. Slfaer ©unfe
^at mit biefer (Srflärung mcber ber Sc^re oou ber ^Rechtfertigung
noc^ berjenigen oon ber Saufe einen guten 3)ienft ermiefen. 3)eun
er rebujiert ben bogmatifc^en S3egriff ber Stec^tfertigung fo ftar!,
bag man bie reformatorif^e 9tec^tfertigung§le^re ni^t micber er^
tennt, unb er beeinträchtigt anbererfeit§ bie bogmatifc^e ©elbftän»
bigteit be§ Sauffa!rament§. Unb roenn oollenbö bie ganje äöie^
bergeburt oor ber Saufe gefc^e^en ift, fo bleibt für bie Saufe
überhaupt nidjtS mel^r übrig, ©ie foU jroar immer nod^ roenig«
ften§ als ba§ äußere unb innere ©iegel für bie ©nabenermeifungen
©otte^ an ben ©etauften gelten. 2lber tann bie 3Biebergeburt
üollftänbig unb oollenbet fein, menn i^r baS ©iegel fel)lt? Unb
ift bie Saufe, menn e§ eine ooUftänbige 3Biebergeburt fc^on oor
ber Saufe gibt, etmaS anbereS mie eine blo|e 3^vemonie? ©ie
fönnte ^öc^ftenS als äu|ere§ ©iegel in SBetrac^t fommen, ba§ aber,
ba ja bie ffiiebergeburt al§ oollenbet oorgeftellt mirb, bogmati*
1) »unfe a. a. D. @. 114/115.
454 <S d) e e I : ^ie ^auflel^re in b. mobemen pofttiov lut^er. 'Dogmotif.
fd^en SBert nic^t bcft^t. ^icr ift a(fo bcr bogmatifi^e SScgriff
bc§ SauffQframcnt§ ooüftänbig aufgclöft. 93un!e§ (Srörtcrungen
fönntcn ^öc^ftcn§ a(§ ©efc^rcibung be§ möglid^en @ntn)i(f(ung§*
gQng§ etne§ religiöfen ^nbioibuum^ ®e(tung befi^en; man fönnte
it)ncn alfo m5gli(^ern)cife rcligion^pf^c^ologifd^en SBcrt jufd^rciben.
Slbcr bann roäre eben bic bogmatifd^e 93croci§fü^rung aufgegeben.
3)arum barf man aud^ biefe ©rörterung 93unfe§ a(§ ben DoUgüI«
tigen 33en)ei§ ber bogmatif(^en Unft^er^eit in ber ©egrflnbung
ber 2:auPe^re betrachten. 3)ie 3)ogmatif tanu nic^t ein unb bem«
felben Objeft eine fo bifferente ©tettung gueignen, wie e§ l^ier oon
93unfe l^inft^tlic^ ber S^aufe gefc^et^en ift. 2Ba§ bie 3)ogmatif
Don ber Saufe au^jufagen ^at, mu§ unter atten Umftänben unb
immer gelten, ©onft ^ebt man ben bogmatif(^en 93egriff ber
2:aufe auf. ®ntmeber mu& man oon ber 2:aufe au^fagen fönnen,
ba§ fie baS 33ab ber 933iebergeburt fei, unb bann ift bie§ tonfti«
tutip für ben bogmatifc^en 93egriff t)on ber Saufe, ober man mu^,
\a\l^ bie§ nid^t gefagt merben barf, überhaupt auf eine bogmatifc^e
aSerroertung be§ Saufbegriff§ oerjic^ten. 6in britte§ gibt e§ nid^t.
3)ann erließt aber aud), ba§ bie Unterfd^eibung ber Äinbertaufe
öon ber 6rma(^fenentaufe bogmatif^ unbegrünbet ift, unb ba§
©remer ein ri(^tige§ aWotio öertrat, al§ er gegen bie Unterfc^ei«
bung be§ ©aframent^ ber 93erufung ober ber 3lnn)artfc^aft auf
ba§ ^eil Don bem ©aframent ber 933iebergeburt proteftierte. 93untc§
aSerfuc^ ermeift fi(^ fc^Iie^lic^ aU ein Kompromiß, ba§ angefid^t§
ber 9lormen be§ bogmatifc^en Urteile fw^ al§ unhaltbar ^erau^fteUt.
9Wit ben oon 93unfe gebotenen Sntmidtlungen ift man alfo
ni(^t imftanbe, bie SWängel ber J^eorie ©remerS ju erfc^en. ®ie
Saufe mu&te al§ 933icbergeburt unb ©rneuerung mirfcnb begriffen
werben; anbererfeit§ mar ber neulutberif(^e 93egriff ber SOSieber*
geburt ooüftänbig oerfe^lt; unb eine bogmatifd^e Unterfc^cibung
ber Kinber^ unb ©rmad^fenentaufe lie^ fic^ ebenfalls nic^t burdi«
führen. Unter biefen Umftänben tonnte e§, menn benn übcrl^aupt
no(^ bie Saufe etma^ bebeuten foü, angemeffcn erfc^einen, mieber*
um ben Seftimmungen ber altort^obojen 3)ogmatifer fic^ guju«
roenben, benen jene oon 93unfe burc^gefü^rte Setra^tung ber Äin*
8 c^ e e ( : ^ic Zanftt^xt in b. mobemen pofttit)., lut^er. 3)O0matit 465
bertaufc aU be§ ©aframent^ ber SSerufung frentb ift unb bic ju^
nä(^ft unterfd^icb§(o§ Hinbcr^ unb ©noac^fcncntaufc atS ba§ ©atra*
ment bcr SEBiebergcburt unb Erneuerung anjufe^en lel^rt. 6§ fel^tt
in ber %at gegenwärtig nic^t an ba^inge^enben SBerfuc^en. 3lu§
bcr 3^^^ berjenigen, bie am fräftigften ben 2lnfc^luj3 an bie gor*
mein ber alten S)ogmatif ooHjiel^en, feien 2:^. |)arbelanb unb
SRomberg ^erau§ge^oben. O^ne Heinere @rn)ei(^ungen tommt man
freiließ — ba§ gilt in^befonbere oon |)arbelanb — au^ ^ier nic^t
burd^. 2l6er e§ werben \>o6) im ganjen bie Formulierungen ber
alten 3)ogmatiter feftge^alten. S)ie Saufe mirb burc^auS al§ ba§
©atrament ber 933iebergeburt befiniert ; ba§ gilt namentlid^ in ber
Slntit^efe gegen SunteS UmbeutungSperfuc^e. 3[n ben ^Begriff ber
3Biebergeburt ift anbererfeit§, wie gegen ®remer geltenb gemalt
mirb, ber 93egriff ber (Erneuerung auf junel^men. 3)ann muj3 man
auc^ ein d)arafteriftifc^e§ ÜKerfmal ber altproteftantifc^en 2:auf'
le^re, bie SSorftetlung oom Sinberglauben, mieber aufgreifen unb
burc^jufü^ren oerfuc^en. 3)enn nur vermittels biefer S^eorie ift
e§ offenbar möglich, bereits bem unmfinbigen Äinbe ben oollen
93efi^ ber SBiebergeburt jujuroeifen, unb alfo 93un!eS 3lbfc^roäc^ung
fomo^l mie ©remerS Umbeutung unb Hrog^^SonningS 9leubi(bung
ju oermeiben, bejiel^ungSmeife ju überminben. Um bie J^eorie
uom Kinberglauben tonjentriert fid^ barum au(^ baS 3"tereffe
biefer mobernen SRepriftinatoren.
SlDerbingS ift bie ©infw^t in ben Sinberglaubcn bei biefen
mobernen SBertretem ber alten 2:^eorie ni(^t größer geworben, als
wie jur 3^'* ber altproteftantifd)en Ortl^obofie. SKan ift jroar
in ber Sage, auSfül^rlic^c ©ntmidlungen über bie pfpc^ologifc^e
aJlöglic^teit beS KinberglaubenS ju bieten, man fann ganje 2fb^
fc^nitte aus 3^if^n^i^ ^^^ 3)eli^fc^ jitieren, man fann über bie
Äurjfid^tigfeit unb bie fel^r ber (Srgänjung bebürftige Orientierung
berer fic^ aufl^alten, bie in ber 2:^efe oom Kinberglauben eine
petitio principii meinen ertennen ju muffen, bie auS pfpc^ologi*
fc^en foroo^l wie religiöfen Orünben fic^ gegen bie 2lnna^me eineS
re(^tfertigenben ÄinberglaubenS unb gegen beffen ^bentifijierung
mit bem perfönlic^en ^eilSglauben fträuben, man fann alfo fel^r
ftar! baS ©emugtfein ber religiöfen fomo^t roie roiffenfc^aftlidjen
456 S c^ e e l : S)ic Xaufte^rc in b. mobemen pofitit)., lut^er. ^oömatif.
Uebcrlegen^eit bcfi^cn unb gelangt fc^tiej^lic^ boc^ ju bem 93e*
fenntni^, ba§ man oor einem SRätfel fie^e. Statt nun aber auö
ber 6rfenntni§ be§ Unaufgctlärten unb 9tätfel^aften ein SJiotio
jur aSorfi^t unb 3w^ttcf^oltung ju geroinnen, ^ulbigt man einem
äJerfa^rcn, ba§ entgegengefc^te SBa^nen einjufdjlagen geneigt ift.
^n ber SRetigion maltet ja offenbar roeit ftärfer ba§ ©e^eimniS
als in ber unS umgebenben SBBelt. SBeroegt ftc^ aber bie 9ieligion
im aW^fteriöfen, bann fann bie ©ntbedung eineö buntein SRätfetö
ben ©inn nic^t beunruhigen ober auf bie 3)auer irritieren. ÜJian
meint bei 2lner!ennung bc§ ®e^eimniffe§ in ber ^Religion auf bcn
fritifc^en ®ebrau(^ ber 3)ent6egriffc, benen boc^ logifc^e 9iotroen*
bigfeit eignet, oerjic^ten ju bürfen. 3)enn über ber ©p^äre beS
oemflnftigen 3)enfenS ergebt ftc^ bie ^ö^ere, bem profanen ^n«
tetleft oerf(^loffene unb nur bem roa^r^aft Jwmmen, b. ^. tief
bußfertigen unb unbebingt gel^orfamen ÜWeufc^en ftc^ ein rocnig
entfc^leiembe ©p^äre ber ge^eimni^ooffen , oberen, überoemünfti*
gen aßelt.
©0 befennt benn 9tomberg, roenn ber Olaube bie conditio
sine qua non ber ©eligfeit fei, unb roenn baö Sinb eine menf^»
lic^e ^erfönlic^feit fei, fo i)abe man fein SRec^t, beim Sinbe eine
2lu§na^me ju machen, roeil man bie ©ac^e ni^t oerfte^en fönne ^).
Um ju fieberen ®rgebniffen jU gelangen, bürfe man nur ben SBeg
ge^en, ben Sut^er gegangen fei unb ber bei aüen ajlgfterien ©otteS
ber adein richtige fei; man muffe unbebingt feft^atten an ben in
ber ©^rift offenbarten ^eifenormen, o^ne Stüdfic^t auf i^re ©r-
flärbarfeit. „®§ roirb fic^ immer beroa^r^eiten, baß bie bann
gefunbenen SRefultate au^ oor bem SBerftanbe ftc^ als „^ö(^fte
aSemunft" erroeifen unb unS reinigen oon unrichtigen SSorurteilen
unb 93egriff§beftimmungen" ^). ©o erfal^ren roir benn , baß e§
Dödig grunbloS fei, bem Äinbe ein „Unberoußtfein" ju imputieren.
3um SBeroußtfein gehören nic^t notroenbig bie erfennbaren Sleuße*
rungen beSfelben. @§ frage fi^ nun roeiter, ob ba§ Äinb g I a u *
ben fönne ^). 3)er ®(aube ift bie oertrauenSooüe Eingabe be§
Qij^ an ein anbereS <3d), eine Eingabe, bie nic^t in erfter fiinic
1) an^Söt. 1903, (S. 147. 2) ®bb. 3) ebb. @. 148.
@ (^ e e I : ^ic a:auf (e^rc in b. mobemen po\itio,, tut^er. 3)oömatit 457
burc^ SRcflcyton, fonbcm burc^ Intuition geiüirft roerbc. ®ic
®lQuben§fraft ru^t nic^t im benfcnbcn Sßcrftanb, fonbcrn im ®e«
fü^I unb SEBilten, bie mit bcm 3)enfen cinS fein fönnen, aber eS
oft genug nic^t finb. ©efü^I unb SÖiüe fmb aber beim Sinb
beutli^ toirtfam f^on in ben crften fiebenStagcn. 3)ie Organe
)ur @lauben§bUbung fmb a(fo por^anben. 3)er @Iaube ift ni^t
ein ben)uj3te§ „f\6) aneignen", fonbern ein habitus, in bem ber
SJlenf^ fte^t^), ein habitus fiduciae, ber oon @ott gemirft, oom
üRenfc^en mere passive angenommen mirb*). Slüerbing^ ift für
unfer 2luge ba§ 93en)u|tfcin be§ Äinbe§, ber ®eift be§ ÄinbeS,
im @c^tummer befinbUc^, tatfa^li(^ aber in l^öc^fter 2:ätig!eit be*
griffen^). ®a§ e§ aber Sflomberg barum ju tun ift, ben ®lau*
benöbegriff in feiner eoangelifc^en Sigenart feftjul^alten , erfennt
man baran, bafe er oon bem tiefen SBu^gefü^l, beffen ein unmün«
bigeS Rinb fä^ig ift unb uon bem habitus be§ ®lauben§, ber ein
mirfli^er ®laube fei, fpric^t*).
aWan barf Stomberg ba§ 3«ugni§ geben, ba| er bie ÜJiänget
be^ ©remerfc^en SDBiebergeburtö« unb 2:aufbegriff^ oermeibet unb
bie au§ ber altlutl^erifc^en älnfd^auung folgenbe ^onfequenj anju^
nehmen fic^ nic^t fd^eut. 3)a| feine ätuSfül^rungen aber überjeu^
genb mirtten, !ann nid^t behauptet werben. ®ie oertrauen§ooIle
Eingabe be§ ^6^^ an ein anbere§ ^c^ foH burc^ Intuition ge»
mirtt fein; aber boc^ nic^t au^fc^Ue^li^. ®enn SRomberg roeift
boc^ auc^ ber SRePeyion eine ©teile ju, menn anä) nic^t bie erfte
©teile*). <3ft «iber beibe§, Steflepion fomo^l mie Intuition, für
bie Sntfte^ung be§ ®lauben§ notmenbig, fo ift für ba§ SSerftänb«
ni§ be§ Äinberglaubene^ mit ber Unterfc^eibung 9tomberg§ nic^t^
gemonnen. 3)enn nun müfete ja 9iomberg au^ ben unmünbigen
^inbern JReflefion jufc^reiben, bie er boc^ fpäter grabe au^ge»
fc^toffen fe^en miH. 3)enn er befiniert fpäter ben ®lauben al§
fides directa. Unter biefen Umftänben barf man roenigftcn^ er^^
flären, ba| bie fpäteren 2luSfü^rungen mit ben früf)eren nic^t
ausgeglichen fmb. SÖenn er nun be§ weiteren baran erinnert, ba|
1) ebb. <B. 149. 403.
2) (gbb. ©. 403. 3) (§:bh.
4) 3(. a. D. @. 149. 5) 51. a. D. 8. 148.
3eitf(^rtft für X^eologie unb 5lir<^e. 15. Jja^rfl., 6. ^eft. 32
458 @ d^ e c I: S)ic aiauflc^re in b. mobemen pofltiov lut^er. ^oßmotif.
bic ®taubcn§traft nt^t im benfcnbcn Sßerftanbc, fonbcm im ®e*
fü^l unb aOSiücn rourjelt, unb grabe beim Äinbe ®cfü^t unb SBille
bcuttic^ mirtfam ftnb, fo ift bic erfte ^älfte biefe§ ©a^e§ richtig.
SRomberg pergi^t aber, ba§ ber 933i(Ie, auf ben bie ®ogmatit SRflrf*
jtc^t nehmen muj3, ni^t ba§ unbemuj^te Jrieblcben be§ Äinbe§ ift,
fonbern ein SBide, ber mit Sßorfteffungen pertnüpft ift. SDBie t(ar
biefc 95orftenungen finb, roic beutlic^ bie 6r!euntni§ oon ber 2:rag*
weite biefer 95orftelIungen ift, ba§ ift eine %xaQ^, bie im !on!reten
©injelfall bie 3)ogmatif ni^t ju unterfudjen l^at, ber ja bie reli«
gionSpfgc^ologifc^e 2lufgabe fern liegt, ©ie ^at überhaupt nic^t
bie S^age aufjumerfen, mann ein folc^er ©taube möglich ift. 3^re
9lufgabe ift e§, bie tonftanten, unentbehrlichen SWerfmale, bie ben
93egriff fonftituieren, ju entmideln. 9Dem ©tauben ift e§ aber
eigentümlich, eine ^^nttion be§ entroicfelten 93en)u§tfein§leben§ ju
fein. 3Ba§ SRomberg bei Säuglingen ©efül^l unb 3&\üt nennt,
ift noc^ gar ni^t ber etl^ifc^e SBitte, ber 9tormen tennt unb 9ln*
fc^auungen ^at, fonbern eine triebmä^ige fieben^äufeerung. SBenn
JRomberg ba§ ®efü^l unb ben SBitlen be§ ©äugling§ al§ bie
3Burjel ber ®lauben§traft bejeic^net, müj^te er al§ ®ogmatifer
für bie bogmatifc^e ®eftaltung be§ ®lauben§begriff§ bie pom
Säugling abftra^ierten 9Jlomente ma|gebenb mad^en. 3)enn bie
S)ogmatif fann nic^t pon jmei perfc^iebenen 3lrten be§ ®lauben§
fprec^en. SBa§ pom ®lauben8begriff entmidelt mirb, gilt aüge*
mein unb notmenbig. SWan mu§ alfo entmeber an ber fog. fides
reflexa bie 933efen§merfmale be§ ®lauben§ entroideln, ober an ber
l^gpot^etifc^en fides directa. ®a§ folgt au§ ber 9latur ber bog=»
matifc^en 2lrbeit. 933itl aber SRomberg biefe ^onfequenj ni^t gelten
laffen, fo mac^t er fic^ eine§ fgftcmatifi^en ge^lerS f(^ulbig unb
feinen Slu^fü^rungen fe^lt bann bie bogmatifc^e Äraft; fie roer*
ben bogmatifd^ mertlo§.
9tun fc^eint mirflic^ SRomberg biefe 9totmenbigfett anertennen
JU mollen. 3)enn er fprt(^t pon bem tiefen 93uj3gefü^l, beffen ein
unmünbigeg ^inb fä^ig fei. ®r trägt alfo boc^ allem Slnfc^ein
nac^ einen ein^eittidjen bogmatif(^en ®lauben§begriff por, finbct
bie roefentlic^en 3Kerfmale an ber fides reflexa unb befiniert nun
ben ^inberglauben al^ einen mirtlic^en ®lauben. ®a§ au§ ber
@ d) e e (: %xt ^aufle^re in b. mobemen pofittD., (ut^er. Dogmatil. 459
9latur bcr bogmatifc^en Slrbcit entfprmgcnbe bogmatif^c SWotio
tttadjt ft(^ gcn)i§ ^icr bemerfbar. 9tun aber wirb man genötigt
eine Äreujung jroeier aWotioe jti tonftatteren. S)ie§ leitete wichtige
bogmatifd)e ^otip mirb burd^treujt oom Yeligion^pfgc^ologifc^en.
^enn bie älu^fül^rungen 9iom6erg§ über ba§ @effl^I unb ben
aOSiüen ber Äinber Ratten nic^t jum 2lu§gang§punft bie bogma«'
tifc^e (Srtenntni^ be§ ®lauben§begriff§, fonbem bie pfgc^ogenetifc^e
Jragefteflung, bie nohoenbig bie SRebuftion im ©efolge l^atte, nun
aber bogmatifc^ oermertet mürbe unb barum einen 933iberfprud)
in bie bogmatif(^en 3lui§fü^rungen l^ineintragen mu§te. 2)iefer
3Biberfpru(^ ift au^ unfc^mer in ben meiteren 3)arbietungen SRom*
bergö ju ertennen. 2)er ©taube mirb al§ habitus befc^rieben,
nä^er aU ein habitus fiduciae. Sro^bem mirb bie SBufee por*
au^gefe^t. 93u|e ift aber nie ein habitus, fonbern ein actus.
2lnbererfeit§ ift e§ aber auc^ unmögli(^, im ®lauben§begriff einen
©egenfa^ uon habitus unb actus ju fonftruieren, berartig, ba§
ba§ 3wpö^b^'ö>^>^^'^ ^^^ ©laubeng ein actus, ber ®laube felbfi
ein habitus fei^). ®aS miberfpric^t bem ©runbfa^ uon berpfg--
^ologifc^en Spontaneität, mie benn überhaupt ber ©egriff beS ha-
bitus möglic^ft ungeeignet ift, um geiftige^ £eben ju d^arafteri»
fteren. SSoDenb^ ift e^ ein SBiberfprud), uon einem habitus fi-
duciae ju reben. ©nmal gehört bie fiducia ber ©pi^äre ber
fides reflexa an ; f obann f ann man bie fiducia nid)t aU habitus,
fonbem nur a(§ actus befdjreiben. O^ne ben actus ift i^r 936^
griff überhaupt. nic^t ben!bar. ©o bemegt fic^ StombergS SSer*
fu^, bie alte 2:auft^eorie mieber ptaufibel ju ma(^en, in un»
lögbaren 933iberfprü(^en. ®r mitl eine bogmatifc^e Erörterung
geben, mirrt aber bie bogmatif^e unb religiongpfgc^ologifc^e 9lr*
beit ineinanber ; er mitl ber ^fgi^ologie gerecht merben, ignoriert
aber ba§ ©runbbatum be§ pfp^ifc^en Sebeng; er miH bie SWerf*
mute ber fides reflexa auc^ für bie fides infantilis gelten taffen,
ift aber nun nur imftanbe, miberfpru(^goolle Segriffe ju bilben.
SBirb aber ber SSerfu^ gemad^t, biefen SBiberfpruc^ aufjulöfen,
fo mirb notmenbig ber Kinberglaube feinet <3[n^altg entteert, ber
bogmatif^e 93egriff beg ®tauben§ mirb fa(^mibrig rebujiert unb
1) 51. a. O. @. 403.
32*
460 6 d) e e l: ^ic Jaufle^re in b. mobcmen poflti©., lut^er. ^ogmotit
batum auc^ bic bogmatifc^e SRe^tfcrtigung bcr Äinbertaufc iüu*
forifc^.
®effcn wirb man erft rcc^t innc, roenn man ^arbelanbS
SRcd^tfcrttgung bc§ Äinberglauben§ ftd^ ocrgegenmärtigt. ®^ mar
gejcigt, bafe ^arbclanb mit Siecht 93unte§ Jauf t^corie juvürf mieS ;
g(eic^faü§ ift er im SRe^t wenn er bic äöicbergeburt nid^t mie
ßremer foteriologifc^ befc^reibt, fonbern ben ©egriff beS neuen
Seben§ in bie SSorftcltung pon bcr 3Biebergcburt mit aufnimmt.
3)ie 2:aufe ift atfo ba§ ©ab bcr SDBicbergcburt. ^arbelanb be-
tont bie^ im 3lnfc^lu| an bie lut^erifc^-ortl^oboye Se^re t)on ber
Saufe; alfo mirb bie 2:^efe be§ Äinberglauben§ notmenbig. 6r
ift bereit, biefe S^efe fic^ anjueignen, aud) wenn fie unoorftellbar
fei. „SEBcnn etmaö t)on ber ^eiligen ©c^rift bejeugt mirb, fo
fragen mir nic^t, ob ba§ oorftedbar ift ober nic^t, fonbern beugen
un§ unter bie ©c^rift unb erfennen bie 2:atfac^en an, auc^ menn
mir fte nic^t oorjufteüen uermögen" ^). ^arbelanb l^ätte nun frei*
lic^ nic^t nötig gehabt, ^ier fo ftarf feinen ©e^orfam gegen bie
©c^rift ju betonen. ®enn oon einem Äinberglauben fpric^t nir*
genbg bie ©c^rift. o. b. 2:rencf, ber bem ©atrament§begriff fic^
beugte, ^atte barum auc^ bie 33ebingung be§ ®(auben$ nic^t al§
unbebingt betrachtete). Slber ^arbelanb mirft boc^ fofort, nac^*
bem er ba§ ©c^riftprinjip in ber foeben gejeigten aiu^fd)lie|lid^*
feit geltenb gemacht, bie J^age auf, ob benn mirflid^ bie SUlittei*
lung be§ ®eifte§ an unmünbige Äinber eine unooUjiel^bare 9Sor*
ftellung fei. 9lad) langen 3itöten an§ ben ©c^riften Sei^6)voii^'
unb 3)eU^fci^' gelangt ^arbelanb ju bem ®rgebni§, ha^ ber Äin*
berglaubc nic^t unmögli^ fei. 2lber ^arbelanb magt bo^ nic^t
red)t, ben 93egriff be§ Äinberglauben§ fo ju geftalten, baß er mit
bem 93egriff be§ |)eil§glauben§ fic^ »erträgt. SSon aüen 3)og*
matifern merbe ber ©taube alö bic ^anb bejeic^net, mit ber mir
bie bargebotene ®nabc ^inne^men. ®ie§ 33ilb bürfte ben Äinber^
glauben begreiflich mad^en. „können pe (sc. bie Äinber) nic^t,
o^ne baoon eine Kenntnis ju ^aben, ftd^ großen Sleic^tum, roo^l
gar eine Ärone fc^enfen (äffen? Saffen fte ftc^ nic^t ein reiche«;
1) ©arbelanb a. o. D. S. 19.
2) ^aftoralblätter 1904 ©. 748.
@ cf| e e (: ^te ^oufle^re in b. mobemen pofitit)., tut^er. ^ogmati!. 461
^ßatcngefc^cnf gefallen, o^ne e§ fpätcr qI§ einen 3)rucf ju empfin*
ben ober barüber ju flogen, bo^ e§ i^nen aufgebrungen ober auf*
gejroungen fei?" „Unb roie ba§ Äinb, wenn man it|m ein ®olb*
ftücf in bie $anb legt, unroiÜtürlic^ o^ne 2l^nung beS 8Berte§
bie |)Qnb fc^lie^t unb eö ergreift, foüte, wenn ®ott in bie geift^
lic^e ^anb bie geiftlic^en @üter legt, ba§ Äinb nic^t auc^ foju*
fagen mit feiner geiftlic^en $anb gugreifen tonnen" ^)? „@old)e§
(Srgreifen aber ift ®laube" %
®iefe ^Interpretation be§ Äinbergtauben^ ift rec^t bebenflic^
für bie S^eorie $arbclanb§. 2)a§ Sefen bes; ®laubcn§ beftet)t,
auc^ nac^ ^arbelanb^), im SSertrauen. Unb nun foU man 93cr^
trauen ^aben, o^ne ju roiffen, ba^ man oertraut? 2)a§ ftnb 2Borte,
benen niemanb einen ©inn abgewinnen fann. 2)enn ber oer^
trauenbe aWenfc^ roei§, ba§ er oertraut; unb roci| er e§ ni^t,
fo ^at er fein Vertrauen. @§ märe ftnnroibrig, bieg ju leugnen.
3u fmnroibrigen Slnna^men fann bie bogmatifd^e Strbeit aber nie
oerpflic^ten. 3)arum fc^roäc^t benn auc^ |)arbelanb feine 2lu§=
fü^rungen ab, „Hülan mag ben 3lu§brurf (sc. ®lauben) beim
Äinbc nic^t ju gebrauchen roagen, fo liegt baran roeniger" *). „933er
ben 2lu§brudE „®laube" f|ier nic^t ju gebrauten roagt, mü§te,
fall§ er in ber ©ac^e juftimmt, einen 2lu§brud mäfilen, ber boc^
im ®runbe biefelbe ®eftnnung meint, bie man al§ ®laube bc^
ieic^net" ^). .^arbelanb gelangt alfo nur fo meit, eine bem ®lau'
ben ä^nlic^e ®cfinnung ju f onftatieren ; ben ^eil^glauben felbft
erreicht er nic^t. $)a§ biefe 2)ifferenj belanglos fei, ift nur §arbe=
lanbS Se^auptung, bercn bogmatifd)e§ SRec^t er nic^t erroiefeu
t)at unb bie mit feiner SHed^tfertigungSle^re fic^ nic^t oerträgt.
Sie^t man fic^ nun aber ben oon ^arbelanb rcbujierten Äinber*
glauben nä^er an, fo fann man bei bemfelben nic^t fielen bleiben,
©ntmeber führen |)arbelanb§ Srörterungen jur J^eorie Sunfes.
3)a§ Äinb lä^t fic^ in ber Saufe bie ^eilSgüter f^enfen**), ohne
fie mirflic^ ju bcfi^en, b. i), bie 2:aufe märe nur eine Slnmart*
fdiaft auf ba§ ^eil. 3)icfe Folgerung miH ^arbelanb nic^t ge*
1) §arbclanb a. a. D. S. 28. 2) @bb.
3) (5bb. 4) ^bh. 5) @bb. @. 29.
6) ^arbetanb a. a. O. @. 28.
462 6 c^ e e (: ^ie 2:aufle^re in b. mobenten pofttit)., lut^er. ^ogmotif.
jogen lüiffcn. ®r bcftrcitct ja bie SRic^tigteit bcr I^eoric 93unfe§.
2)ann ift nur bie jrocitc Folgerung möglich: bic Jaufc wirb ju
einem opus operatum. 3luc^ biefe &^aratteriftit (e^nt freilid^
^arbelanb ab^), unb feine S)efinition be§ Äinbcrglaubeng als
eines (SrgreifenS ber in bie geiftlic^e ^anb — aber luaS ift bie
geiftlid^e $anb? — gelegten ®üter foü offenbar ben uoUgültigen
93en)ciS für bie Unmöglic^teit einer folc^en 9luSIegung erbringen,
^ber $arbe(anb ftei|t ftc^ i>oä) genötigt ju erflären: ,,Unb mag
fic^ baS ftinb ber 3Birfung in ber Sauf^anblung nic^t entjie^en
tonnen, unb infofern ein geioiffer 3">ött9 flattfinben,
fo finbet ber ©eift ja ba§ Äinb in folc^er Sefc^affen^eit oor, ba§
eS gern auf feine (beS ©eifteS) SBirffamteit eingebt" 2). 3)iefe
(JrKärung ift oon ber 2:^eorie beS opus operatum menigftenS
nic^t me^r weit entfernt. (Sic^ i^r entjic^en fönnte ^arbelanb
nur^ wenn er ben rebujierten ©lauben bereits als uor ber 2:aufe
oor^anbeu betrachtete. S)ann mürbe er aber einer oon ber alten
Drt^obojie mit 9tec^t jurücfgeroiefenen 2lnna^me anheimfallen unb
ben 9lec{)tfertigungSgebanten gefä^rben. @o ^at alfo |)arbelanb
baS opus operatum nur mit 3Borten auS bem Jaufbegriff auS*
gefc^ieben; fac^lic^ mirb er biefer S^eorie gugetrieben. Stnberer«
feitS oermag feine Slnfc^auung oom Äinberglauben nidjt metir bie
alte Söffung ber Ort^obojie feftju^alten unb barum eben nic^t ju
leiften, maS fie boc^ leiften foU.
2luc^ Sil. 0. Oettingen bemüht ftc^ um eine fiöfung beS ^^ro«
blemS, bie bic Saufe in jeber 95ejie^ung als baS ©aframent bcr
äBiebcrgeburt unb ©rneuerung ju faffen geftattet unb boc^
bie £inie ber altlut^erifc^en 2:^eologic inne ^ält. @S entfpric^t
biefe 2lbfid)t ja nur ber ©efamt^altung bcr ©ogmatif o. Oet«
tingenS, bie mit o. ^ofmannfc^cr aJlct^obit, ben Sttnfprüc^en beS
beutfc^en ^ietiSmuS auS ber 3)iitte beS oerfloffcnen ^a^r^unbertS,
einem reichen 3itö^^"f^ö§ ^"^ ^^^ allgemeinen moberneren Site»
ratur bem ©eift bcS 17. 3>ö^rt)unbertS roieber frifc^e ficbenSfraft
cinju^auc^en fic^ bemüht, ©o mirb o. Oettingen tro§ aller fc^ein=
baren gü^lung mit ben Gräften ber ©cgeumart jum SSertreter
1) ©arbclonb o. a. D. ©. 29. 2) ©bb.
@ c^ e e (: ^ie ^aufle^re in b. mobemen pofttit)., lut^er. ^ogmati!. 463
einer reoftionären ©ogmotif, jum 93ilbner eine§ rea!tion&rcn
glügcte innerhalb ber t^eologifc^en Stiftung be§ Derfloffenen ^di)x^
^unbertö, bie mit v. ^ofmonn^ ber erfolgreid^ neue unb roertootte
^roblemfiettungen in bie J^cologie feiner 3cit t)ineinjutragen raupte,
güölung genommen ^otte. SWit oer&nberter SWet^obe fuc^t er
boc^ }u repriftinieren. SRan mürbe o. OettingenS Stedung unju«
reic^enb befc^reiben, wenn man hm ©efic^tSpuntt ber reaftio*
nören Siepriftination gang unbead^tet Iie§e. Slber niemanb, in
bem überhaupt etma§ Don ber ^bee eine§ geiftigen ®ut8 Seben ge^»
monnen t)at, tann auf bie 2)auer gegen ben (Strom einer großen
geiftigen ©efamtberoegung grabe anfc^mimmen. 2tuc| o. Oettingen
^at e§ nic^t Dermoc^t; ba^ ertennt man beutlic^ befonberS an
feiner Jaufietire, bie gleic^geitig aU eine oon 5Rüdtftänben nid^t
ganj freie Slu^einanberfe^ung mit ber eigenen Sßcrgangen^cit fic^
betunbet.
®ie allgemeineren Stic^tlinien jur 93eftimmung ber ^ofition
0. Oettingen§ innerhalb ber gegenmärtigen ©teHung be§ 2!auf»
Probleme geminnt man^ menn man oon feiner ^^olemtt au§ge^t.
®§ barf aber, um jebeö ÜWi^oerftänbniS au^jufc^Iiefeen, jugleic^
barauf aufmerffam gemacht werben, ba§ o. Oettingen nic^t in ber
2lu§einanberfe^ung mit ben mobernen pofitioen J^eorien über bie
2:aufe feine Sluffaffung geroonnen ^at, fonbern oielme^r mit einer
lange fertigen 2lnfd)auung in bie 3)i§fuffion eingreifen fonnte.
2)ie Orunblinien feiner ^ofttion roeifen junäd)ft birett auf bie
altlut^erifc^en ©ogmatiter ^in. 9Wit ben au§ ber altproteflan«
tifc^en Ort^obofie gewonnenen 3lrgumenten begibt fic| o. Oettingen
in ben Kampf, in ber generellen ©aframentSt^eorie fc^einbar bie
altlutt)erifc^e 2luffaffung burc^ leife Äorre!tur fonjentriercnb, in
ber @ingelargumentierung mit altproteftantifdjen Sinroürfen ar*
beitenb, im fc^lie^lic^en ©rgebniS bie attorttiobofe S^corie ah
fc^mäc^enb.
®er ttieologiegefc^ic^tlic^en (Stellung ber 2)ogmatif o. Oet*
tingensJ entfpricf)t e§, ba§ in feiner ^olemif bie ältefte ©teile unb
ben breiteten JWaum bie 2lu§einanberfe^ung mit ber neulut^eri*
fd)en S)oftrin einnimmt, ju ber er felbft oorübergc^enb fic^ be*
464 6 c^ e e (: ^ie 2:Quf(e^re in b. ntobenten pofitio./lut^er. ^ogmatit
tannt ^atte ^). @r rocnbet fic^ gegen ben mi&oerftänblic^cn ©o^,
ba^ „nur in bcr 2;aufe unb nur oermittelft berfelben" fic^ bie
SBiebergeburt vo\likf)t" ^). SWan barf nic^t bie SWöglic^feit beS
@Iauben§ ober einer 33efe^rung beö SWenfc^en üor ber Joufe ober
o^ne biefelbe leugnen, ©etouft fein unb roiebergeboren fein ftnb
nid)t ibentifd^e ^Begriffe*); unb burc^ bie 93etonung einer leib*
liefen 9laturn)ir!ung ber laufe gefä^rbet mon ba§ lut^erif^e 93e*
fenntniö*). 3)oc^ barf man ftc^ auc^ nic^t mit ©remer unb
SBunte ibentifijieren. ©remer get|t ju meit, wenn er beftreitet,
ba§ mit ber äBiebergeburt bur^ bie Saufe ein neuer ficben^an»
fang in un§ gefegt merbe^ meil jene SBiebergeburt noc^ nic^t fitt*
lic^e Ummanblung, fonbern nur Vergebung ber ©finbe unb 9ie^t==
fertigung in fic^ fc^Iie^e*). ®§ finben fxd) mebrfac^ bei ü. Oet^»
ttngen, namentlich auc^ in feinem älteren Sluffa^ in ber 3)orpater
3eitf^rift, 2lu§brü(fe, bie e§ roa^rfdjeinlic^ machen tonnten, al§
f)abt er fc^on Dor ©remer bie foteriologifc^e 2;aufanfd)auung ge*
le^rt, fo befonberS, menn er alö bie ^auptfac^e bejeic^net, ba§
man burc^ bie 2:aufe auS bem 2:obe gerettet fei**). 3lbe>: ein
folc^e^ 93erftänbni§ ^at boc^, mie bie näheren ©rläuterungen jei«
gen, d. Oettingen fem gelegen, unb er tonnte barum fpäter, otine
feine urfprünglic^e ^ofttion ju mobifijieren, ®remer§ a5erftänbni§
ber 2:aufe jurüdroeifen. 9Wit bemfelben 9ted)t burfte er 93unfe§
J^eorie ablehnen, mie bie§ in bcr 3)ogmatit gefc^el^en ift^). 3)enn
fc^on in ber ©orpater 3^itf^rift ftellte er t>a§ Programm auf,
bie 9totn)enbig!eit unb SWöglic^feit bcr SBiebergeburt bc§ Äinbe§
burc^ bie Saufe ju crmeifcn**). ^n einem fpätcren 2luffa^*) ^t
0. Oettingen bie§ Programm au§geffit|rt. 3)amit ^at er bann
jugleic^ ben 3lufri| ber altlut^erifi^en Saufle^re geroonnen.
1) % V, Oettingen, ^ie Siebergeburt burc^ bie Riubcrtaufc, ein ar-
ticulus stantis et cadentis ecclesiae, ^orpater 3eitfc^nft für S^eologie
unb mrc^e 1862 ©. MB.
2) Ül a. D. @. 330. 3) ®bb.
4) @bb. ^ßl. @. 343 unb o. Oettingen, fiut^erifc^e ^ogmatif, 35b. 2
^cil 2. anünc^en 1902. @. 385. 436.
5) %Qt a. a. O. @. 437. 6) ^3^1)^. 62, 338.
7) %Qt @. 437. 8) ^33:^^. 62, 331.
9) ^3^^Ä. 1863.
@ cf| e c I: 5)ic Saufle^re in b. mobcmen poptio., lut^cr. 5)o0mati!. 465
SWad^t fic^ aber v. Octtingcn im großen unb gonjen bcn
3lufri§ ber altlut^erifc^en ®ottrin ju eigen, fo barf man oermu*
ten, bo§ rocnigftenS ein %t\l ber bort Dor^anbenen ©c^roierigfeiten
roieberfe^rt. Sie fmb nic^t ouSgeblieben, wenn auc^ d. Oettingen
junäc^ft eine größere Jtonjinnität erftrcbt. ®r tonnte biefcm Qn^
tereffe golge geben, weil er an ber neulut^crifc^en 2:t)corie bie
©efa^r be§ fatramentalen ^rinjipS erlebt ^attc. ©o greift er
benn mit Energie auf ben ©runbgebanfen ber generellen ©afra«
mentSt^eorie ber alten 2:auflet|re jurüdt, wenn er ben 9leulut^e*
ranern oorroirft, ba§ fte bie reale, alle ^eiföroirfung oermit^^
telnbe SWac^t be§ 2Bort§ unterfc^ä^ten unb eine falf^e eyf luf ioe
aSer^ältni^beftimmung oon 2Bort unb 2:aufe gäben, aU ob bie
2:aufe ctroaS anbere§ roirten fönnte, benn i>a^ 3Bort. 2)a§ ffiort
©otteS fei nic^t bIo| überjeugenb, fonbem jeugenb ^). ®ine folc^c
3eugung§!raft befi^t aber ba§ SÖBort, roeil ber eroige fiogo§, ber
ganje ®^riftu$, im SÖBort real gegenwärtig ift, ft^ felbft an fein
SÖBort gebunben t)at unb barum oon feinem SÖBort baS 3^w9"i^
gibt, i>a^ e§ ®eift unb Scben fei^). @r ift ganj ebenfo real in
feinem SBort roie in feinem ©aframent jugegen. SBer barum
©otteö roa^reS SBort ^ört, ber empfängt Qtjn^ ebenfo notroenbig,
roie berjenige, ber ha^ ©a!rament erhält ^). 2)ie Saufe ift nicht
ba§ einjige 9Biebergeburt§mittel ; man barf bem SÖBort nic^t ab--
fprec^en, roa§ boc^ im ©aframent nur burc^ ia^ SBort geroirtt
roirb. I ^etr. 1, 23 ift für o. Oettingen ebenfo bebeutung^ooU
roie für bie alten 3)09matifer^). Wlan barf eben ba§ SBort nic^t
JU einem flatus vocis oerflüc^tigen^). 9)a§ SBef entließe in ber
Saufe ift alfo ba§ SBort.
aWan ^at feinen ©runb, biefe ©rflärungen o. Oettingen^ ju
beanftanben. 9tun fotl aber boc| ba§ Sauffaframent neben bem
SBort bogmatifc^ gerechtfertigt roerben. Um biefe 9lbfic^t ju oer«
roirf liefen, finbct o. Oettingen feinen anberen SBeg, al§ roie i^n
bereite bie aItproteftantifd)e Ort^obofie fannte. ®a§ ©aframent
gibt ba§felbe ^eilögut roie ba§ SBort, aber in einer anberen
SBeife ber Vermittlung. @§ beftätigt unb oerftegelt nic^t blo^
1) ^3^i)^. 62, 343. 2) ebb. ©. 345.
3) ebb. S. 346. 4) ebb. 535. 5) ©bb. 538.
466 @ cf| e e (: ^te ^aufle^re in b. mobemen pofvtiv., lut^er. ^ogmatit
bic ^eilSroirffamfcit beg 3Bort§, fonbcm !onjentricrt unb xnhxvU
bualiftert fte etgentämli^. 3)arum f)at man ha^ @atrament mit
9tcd|t baö verbum visibile flcnannt. ©eine mefentlic^e (Eigentum»
lic^feit aU äBiebcrgeburtSmittel murjclt in ber Äraft bcS 3Bort§,
boS ^ier nic^t bIo§ ^örbar ift, fonbern ein fic^tboreS, fü^lborcS
Slemcnt ber SBermittlung ju feinem Jräger i)at^). S)a§ oertün*
bigte 8D8ort richtet [läj an bie ©efamt^eit ober an oiele ju gleicher
3eit^), ba§ ©a!rament aber ift baS inbimbuett applijierte SBort').
®rft bur^ ba§ ©aframent ber Saufe fann ber eingelne feiner
^Rettung perfönlic^ gen)ij5 werben^). 3Wan mirb gang an ^utterS
2lu§fü^rungen erinnert, wenn man bei o. Oettingen lieft, ba§ ba§
SBort bas einjige auöreic^enbe SWittel märe, faö§ ber einjelne, in
feinem ©eroiffen beunruhigte ©ünber burc^ bie an fein ben)u|te§
©cifte^Ieben fic^ menbenbe 3Bortoertünbigung ju ooHer perfön»
Iic{)er ^eilSgemi^^eit gelangen fönnte. ^er }u ^eilenbe SJIenfc^
ftedt aber burc| fein leibUc^ bebingteS 9tatur(eben eine eigenartig
ausgeprägte 3itti>iJ>il>wötitdt bar. $)arum ift eö üon Dom herein
ein Srmciö ber gnabenreic^en ^erablaffung S^rifti, ba§ er feiner
Oemcinbe t)eilige ^anblungen eingeftiftet ^at, in benen ganj fpe»
jieH bem einjelnen, unb groar in Siüdtft^t auf fein inbiDibuelleS
^ebürfniS bie ^eilSgnabe unb ^eilSgabe gugeft^ert unb burc^
leibliche elementare 2^räger mitgeteilt werben fott unb !ann*).
©0 roenig nun bie altbogmatifc^e S^eorie aU eine bogma==
tif^e ^Rechtfertigung be§ Sauffaframentö gelten fann, fo menig
fann bie§ üon ben 2lufftettungen v. Oettingen^ bet)auptet werben.
3Jlit ber an bie 2^^corie oom verbum visibile p^ anle^nenben
2)efinition bringt man e§ nic^t gu einer bogmatifc^en, fonbern
^öd)ften§ gu einer religion§pfgd)oIogifc^en ^Rechtfertigung, fofem
man auf befonbere pfqcl)ifc^c Sebürfniffe eingelner O^^i^il^wen
refurriert, bie befonberer, fmnenfäüiger aWebien bebürfen, um über«
^aupt i^re§ religiöfen 93efi§e§ bauernb fro^ unb gemi^ gu merben.
5ür bie bogmatifc^e ©rfenntniS unb SRec^tfertigung ift bamit no^
ni^t§ gewonnen. 3)enn bie 2)ogmatif t)at ja bie in ber ©ac^e
1) ^33:f)^. 62, 347 S)0t. 381. 384. 2) %^t 8. 381.
3) ^3$^^. 62, 348 ^gt. @. 381.
4) %S^W' 62, 563. 5) ^gt. @. 381.
@ cf| e e I: ^ie 2:auf(e^re in b. mobemen pofUb., lut^er. Dogmatil 467
fclbft licgenben, notroenbigen unb allgemein Derbinblid^en SWomente
^erau^gu^eben, o^ne auf fpe}ielle pfqd^ifd^e ^ebürfniffe StädEftc^t
ju nehmen. 3)ie Jrage, roie ba§ ^eil bem einjelnen natie ge^
bracht werben foÜ, ift überhaupt feine bogmatifc^e grage. 2luc^
fü^rt bie 3)efinition be§ ©atramentS ate be8 verbum visibile
unb ber inbioibueHen ^eiteapplifation unb Onabenjufic^erung nic^t
auf bie 2;aufe, fonbem auf bie aibfolution. ©c^on J^ieblib ^at
auf biefen (Sinn)urf au^brücfli^ ^ejug genommen unb i^m mit
bem ^inmeiiS gu begegnen Derfuc^t, bag ber in ber Slbfolution
ftattfinbenben inbioibueßen Slpplitation ber aSer^ei^ung ba§ Sig-
num externum fe^le. 2)ogmatifc^en ^alt tann er freiltd^ biefem
©inmanb nic^t geben, u. Oettingen \)at ebenfaü^ feine befonbere
3)efinition ber Jaufe gegen ben auö biefer Definition ft^ er^e*
benben Sinroanb fc^ü^cn muffen. 2lber auc^ er gelangt feinen
Schritt weiter al§ grieblib. ®r fann nur miebertiolen — ba§ er
aug Ji^iebtib felbft fein 2lrgument gefc^öpft ^abe, foll bamit nic^t
gefagt merben ; mir ift eine a3efanntfc|aft d. OettingenS mit grieb^
tib ^ier nic^t entgegengetreten — maö fc^on grieblib gefagt ^atte.
0. Oettingen meint, ba^ jmar fc^on bie 2lbfotution al^ ba§ inbi«
oibuatifierte unb infofeni bem einjelnen oergeroiffertc SDSort bc*
jeic^net merben fönnte. 2)a^er bilbe fie auc^ ben berechtigten
Uebergang dou ber (Sigentümlic^feit bt^ äBort§ gu ber be§ ©afra«
menti^^); unb o. Oettingen ift in ber glücf liefen Sage, fic^ auf
bie confessio Augustana 2lrt. 12 berufen ju fönnen. 9Benn er
nun boc^ nic^t bie Folgerung au§ biefem 3w9cftä«i>ni2i^) i^^^U fo
^at bieS feinen ©runb barin, baj5 für bie in ber Slbfolution ftatt«
finbenbe ^anbaufiegung ber birette SBcfe^l ®^rifti fe^lt, unb ba§
ferner bie ^anbaufiegung fein leibliches ©lement ift, ba8 al§ Srä*
ger be§ 3Bort§ bem einjelnen Empfänger applijiert merben fönnte.
SJlit biefer 3Biebergabe eineS alten 2lrgument§ braucht man fic|
nic^t auf§ neue gu befaffen. @S genügt gu fonftatieren, ba^ auc^
0. Oettingen eine neue gorm ber öegrünbung nid|t ^at finben
fönnen.
9Bot|l aber barf beffcn gebac^t merben, ba^ bie befonbere
1) ^32:F)^. 1862 ©. 348.
2) «gl. 0, a. O. 6. 563 unb ^gt <5. 388.
468 @ cf| e e l: 5)ie a:auf(e^re in b. mobcmen poptiü., lut^cr. S)09motit
bogmatifc^c ^Rechtfertigung beg 2:ouffatromcnt§, bie v. Octtingcn
anftrebt, eine 3lbfc^n)äc^ung ber bogmotifc^en Siec^tfertigung be§
SBortg aU ©nabenmittel jur f^olge ^at. üRan fonnte nic^t gut
bie „QQVLQaxiQ^txa^V* be^ 3Borte8 ftärfcr betonen, olS e8 burc^
0. Oettingen gcfc^e^en voat, ber jum Ucberflu^ noc^ in ber 3lu§»
einonberfe^ung mit ben ÜUeulut^eronern bie ©jiftenj cineS ©lou*
bcn§, einer 95cfet)rung unb SBiebergeburt oor ber Saufe uub ab--
gefe^en oon ber Saufe sugab, roie ja auc^ ber alten Ort^obojie
bicfe S^cfc nic^t fremb ift. 9tun aber wirb ber Unterf^ieb von
SBort unb ©atrament bat)in feftgelegt, ba§ erft baö ©atrament
bie perfönlic^c ^eil^Dergcroifferung ju geben uermögc^). 9Benn
nun mit ben 2lltlut^eranern ertlärt mirb, ein Untcrfc^ieb oon
SBort unb ©atrament quoad rem fei nid^t uor^anben, fonbcrn
nur quoad nos, fo mü§te u. Oettingen ber Ueberjeugung ^ulbi*
gen, ba§ bie ^eil^geroi^tieit nur ein jufälligeö ÜRoment ber ^eil§*
gäbe fei. ®enn fonft mürbe ja ein Unterfc^icb quoad rem !on«
ftatiert merbcn muffen. SBitt aber x>. Oettingen biefer Folgerung
nic^t nad^geben, fo oerUert bie aufgeftellte formet i^re Berech-
tigung. 3)ann märe aber bie S^efe oon ber umfaffenben SBebeu-
tung be§ 9Bort§ al§ be§ au§reic|enben @nabenmittel§ gefä^rbet
unb man ^ttc ben crftcn 2lnfa^ ju einer befonberen faframen*
taten SBürbigung ber Saufe gemonnen. 9tun fann aber v. Oet«
tingcn bie ^eitegeroi^^eit ni^t für belanglos ober nebenfdc^li^
ertlären, ift au^ feincSmegS gemillt, auf eine folc^c Betrachtung
fic^ einjulaffen. 3)ann bleibf i^m nur ber 2lu§meg, bie 93ebeu*
tung be§ 3Bort§ als ©nabenmittel cinjufc^ränfen. ffir ^at bicfen
SluSmcg nic^t oermeiben fönnen. 3)enn er fic^t fic^ ju ber ®r*
tlärung oeranta^t, bafe erft bort baS Sebcn ber SBiebergeburt mirt»
lict) eingetreten fei, mo ®ott nic^t blo^ burcl) ba§ allgemein oer^
f ünbigte 33äort, fonbern burc^ ba^ inbioibuell applizierte ©atramentS«
mort ^eilSorbnungSmä^ig ben SÄenfc^en erfaßt ^abc^). SSSenn
alfo erft traft ber Saufe mir imftanbe ftnb, als Ä'inber OottcS
ju leben ^), unb fc^lect)terbingS o^ne biefelbe bie ^eilSgemi^^eit
beS einzelnen nic^t möglich ift*), bann mirb ber Saufe eine 2Bir*
1) ^33:^. 62, ©. U7. 2) @bb. @. 348.
3) Qibh. 8. 351. 4) @bb. @. 350.
(S cf| e e (: ^ie Xaufle^re in b. mobemen poftttDv (ut^et. ^ogmatit 469
fung jugcfc^ricben, bic bem SBort, baS boc^ aud^ Doßgültige^
©nabcnmittcl fein foHtc, nic^t eignet. 3)o§ SBort tann alfo bcn
roirttic^cn Eintritt ber 3Biebcrgeburt nic^t vermitteln. 2)onn barf
man aber nic^t 8D8ort unb 2;aufe bogmatifc^ auf eine ©tufe fteHen.
(Srinnert man fic^ aber nun ber anfänglichen 3lu§fage über ba§
©ort, fo begreift man ni^t, marum bem SBort nii^t biefe nur
ber laufe jugefc^riebene 2Bir!ung möglich fein foK. S)enn im
äBort mar ®^riftu§ real gegenwärtig. ®ine folc^e ©egenroart
6t)rifti fann aber, roie bereite bei ber Erörterung ber foteriolo-
gifc^en Saufle^re auögefü^rt rourbe, nie eine „aügemeine" fein,
fonbern ftet§ nur eine inbimbuelle. 3)ie bogmatif^en Erörterungen
D. Oettingen§ a(fo über ba$ 3Bort al§ ©nabenmittel berechtigen
gar nic^t ju ber Unterfc^eibung quoad rem unb quoad nos.
3)ann mürbe aber mieberum bie oon 0. Oettingen gegebene be«
fonbere 3Bürbigung be§ 2:auffaframent§ ^infäUig merben, ma§
auc^ barau§ ertieHt, ba§ d. Oettingen in ber ^olemit gegen bie
9tculut^eraner bie neulut^crifcf)e Jtiefe öon ber auSfc^lie^Iiclien
3urürffüt)rung ber 2Biebergeburt auf bie 2:aufe beftritt unb c§
monierte, ba§ man bie 3Wöglict|feit be§ ®Iauben§ unb ber S8c=
fe^rung üor ber Jaufe unb o^ne bie Jaufe grabeju leugnete*).
2)ogmatifd^ angefe^en barf aber ber ©laube, ben ba§ SBort wirft,
nic^t unterfc^icben fein uon bem ©tauben, ben ba§ Saufmort
mirtt. ©onft ift ber burc^ ba§ 3Bort gemirtte ®laube nod^ nic^t
ber ^eil§glaube.
(So mirb e§ alfo ü. Oettingen unmöglict), feine 2:t)eorie burcti*
jufütiren. @e^t man oon feinem 93egriff be§ 2Bort§ als be§
@nabenmittel§ au§, gelangt man ju einer Entwertung be§ ©a!ra«
ment§. ®e^t man aber, um üon ber Unjulänglidjfeit ber Einjel*
begrünbung jc^t abjufc^en, üon ber bem S^auffatrament jugemic*
fenen 2Birfung au§, fo gelangt man ju einer 2lbfcf)mäc^ung ber
bogmatifctien 93ebeutung be§ 8EBort§ aU eineS @nabenmittet§.
33eibe§ aber roiberfprid^t ben Slbftc^ten 0. Oettingen^. 2)ann
aber fann man mof)l bcl^aupten, ba§ in ben Darbietungen ü. Oet*
tingenS bic ©aframent^ibec eine 9ioUe fpielt, ba§ er ftärfer.
1) ^33:^^. 62 @. 330.
470 @ (^ e e (: ^ic a:oufle^re in b. mobcmen poflth)., lut^cr. S)ogmati!.
atö er felbft ^^ jugcbcn ro'xü, unter bem ©influ^ be§ ©atrament«»
begriffe ftel)t; man fann aber nic^t behaupten, ba§ ei^ i^m ge^
glüdt fei, ben b o g m a t i f c^ e n 93cioeiS für bie Stotroenbigfeit
jroeier 2lrtcn beS Onabenmittefö ju geben. 3)enn feine 2lu§fü^«
rangen ^cben fic^ gegenfeitig auf ober geraten roenigftenS in StoU
lifion mit einanber, um fc^lieglici^ bei unaui^gleic^baren 3Biber»
fprüc^en fte^en ju bleiben. @o bleibt nur bie änöglic^feit übrig,
burc^ ben einfachen SRefurö auf bie ©c^rift ben Slac^meiS ber
3n)ei^eit ber Onabenmittel ju erbringen, ©c^on bie alte 3)og*
matif mu^te babei fte^en bleiben; auc^ d. Oettingen !ommt ni^t
weiter. ®r gibt biefem ^tac^meiö jroar ein anbere§ ©emanb. Qn
ber Jaufe empfängt bie ÜBirtung be§ äBortö i^ren „tieiföorb*
nung^mä^igen" 2lbfc^lu§^). Solle JRu^e ^atte ber Hämmerer erft,
als er getauft mar (ärt. 8). ©tma au^ Äorneliuö? Unb bie
©amariter glaubten boc^ nac^ o. Oettingen oor ber 2:aufe^).
3)iefe „bcilSorbnungSmä^ige" 9te^tfertigung ift ni^tS meiter ate
bie ^Berufung auf bie äußere 3lutorität ber ©c^rift. 3)amit ift
aber für bie innere ®rfcnntni§ ber ©ad)lage noc^ nichts erreicht.
2)a§ 3w^üdge^en auf bie äußere ©c^riftautorität ift ber tatfäd^^
lic^e Seriic^t auf bie Söfung beg Problems.
3Benn aufeerbem noc^ auf bie ®laubcn§ftärtung ^ingeroiefen
mirb, bie bem ^eilSbebürftigen burc^ ba§ ©a!rament ju teil mirb,
fo märe e§ natürlich unmöglich, eine folc^e ©tärtung in Slbrebe
)u ftellen. Slber mit bem ^inmeiS auf eine eingetretene @laubenS>
ftärfung ^at man noc^ feine bogmatif^e ^Rechtfertigung gegeben.
üRit Duantität§^ unb Ont^«fitöt§erfc^einungen t)at e§ bie 2)og*
matif nic^t ju tun; ba$ ift mieberum bie 2lufgabe ber SRcUgionS«
pfgd)ologie. ®ie ©ogmatit fäme auc^ in eine übte Sage, wenn
fic berartige ©rfc^einungen in i^re 93eroei«fette aufnehmen moUte.
Senn nun märe fie gehalten, ber tonfreten ©ntroidtlung beö ein*
seinen ^nbioibuumS nac^juge^en, o^ne einen 3lbfc|lu^ unb o^ne
einen SWa^ftab ju finben. SSSeber bie grage nac| bem „SBann"
ber ©ntfte^ung beS ®lauben§ nod| bie 5^age nac^ bem 3Bac|§»
tum unb ber SBerftärtung be§ ®laubcn§ ift eine bogmatifc^e S^age,
1) ^S'^^' 18Ö7, @. 542. 350. 2) @bb. @. 541.
8 cf| e e l: S)ic Saufte^re in b. mobemen pofltit)., lut^er. S)oömatü. 471
fonbcrn nur bic S^agc nac^ bcm „3Bic" unb ber 9lrt bc§ ©lou^
bcn§, alfo Die Jrage noc| ben ^Scbingungcn unb 3Wcrfmalen be§
93cgriff§. 3)ic 2:^eoric v. OcttingenS ift alfo nic^t cinlcuc^tcnbcr
al§ bic oltorttioboye X^eorie. @8 !e^rcn j. I. ganj biefclbcn
93cbcnfcn roieber, bic gegen bic alten 3)ogmatifer erhoben werben
muffen ; unb bic leichte korreftur, bie o. Oettingcn oorgenommen
f)at, ift üicl ju roenig eingreifenb, al§ ba§ ein roirtlic^er (Srfotg
erwartet werben !önnte. ©o fetir er im Siecht ift, roenn er ©re*
merl; unb 93unfe§ ^ofition ablehnt, fo wenig ^at er bod^ oer«
moc^t, eine wirtlic^ bogmatifc^e ^Rechtfertigung feiner bie alte 2el)re
repriftinierenben J^eorie ju geben.
2luc^ feine ^Rechtfertigung ber Äinbertaufe befriebigt nic^t.
^ier wagt er eS freiließ nic^t, fo unrebujiert, wie bei ber aHge*
meinen 2:aufle^rc bie altorttiobojen 2lnfc^auungen ju oertreten;
aber ein wirtlicl)cr ©ewinn ift boc^ nic^t ju oerjeic^nen. o. Det*
tingen ift freiließ feft überjeugt, ni^t blo^ oon ber 5Rotwenbigfeit
ber Äinbertaufe — bie ja ein articulus stantis et cadentis ec-
clesiae ift, bie man nur beftreiten fann, wenn man mit bcm
sola gratia nid)t ernft mac^t 0; at§ ob bie 2lner!ennung ber alt^
ort^obofen 2^^eorie oon ber capacitas mere passiva^) unb ber
bloßen bem Äinbe oorbc^attenen JRenitenj ^) bie Sßorau^fe^ung für
bie pra!tifi^^religi6fe unb fgftematifc^4l^eoretifc^e 2lnerfcnnung be§
®nabengebanfen§ wäre — fonbcrn auc^ oon ber 9Wöglic|feit i^rer
bogmatifc^en 9iecl|tfertigung, fobalb man nur ein§ jugeben woHe :
ba^ man nict)t ba§ SRec^t tiabe, jU leugnen, wag man nic^t be«
greifen !önne*). 9Rit einer folc^en Erinnerung lä§t fic^ fc^lie^^
lic^ jebc§ nicl|t ju löfenbe Problem ber alten 3C^^eologie au§ bem
S33ege räumen, unb man t)at nod^ obenbrein ben Vorteil, ben ®in«
brucf JU erweden, als ob nur fo bie religiöfe ^flic^t ber 2)emut
1) ^gt S. 402. 2) S)3a;^Ä. 1863 @. 346.
3) 3u bicfem Söibcrfpruc^ ogl. OuenftcbtS Darbietung ber a:auf*
Ic^re. 3»u ^er Dogmatif brücft flc^ o. Oettingcn ctwoS rcferoiertcr aug:
Sebcm Äinb eignet eine ^»gemiffc paffwc ©eilSempfänölic^fcit". 5)a§ ju
leugnen wäre graufam (@. 412). 5)ic ^©ytraoaganj" ber Cucnftebf fc^en
Definition beg ^nbcrfllaubcnS Ic^nt er ab (@. 433).
4) 5)33:^^. 1863 @. 349.
472 @ c^ c e l : 5)ie Saufle^rc in b. mobcmen pofitit)., lut^er. S)08matü.
unb be§ @c^orfam§ noirRic^ geübt werben !önnte unb ber t^eo«
logifd^e ©egner fxd) unb fein Äönncn fclbft^crrlic^ gegen ®ott
roenbe. ®S fommt eine folc^e (SrHärung auc^ einer weit oer^
breiteten mobernen Stimmung entgegen, bie bie 9leIigion als @e*
^eimniS Derfte^en leieren miU. 3)a§ jebe lebenbige ^Religion nid^t
blo| bem irreligiöfen 9Wenfc|en mgfteriöS erfc^eint, fonbern auc^
ba§ fromme Qnbioibuum oor 2:iefen ftettt, bie eS nic^t ergrünben
!ann, ift ganj gemi^ richtig. Slber im @e^eimni§ liegt ni^t bie
Sraft unb nic^t baS eigentli^e fieben ber SReligion. ®ie 3^^'^
unb 3SBerte finb offenbar unb einleuc^tenb in i^rer ^Relation auf
bie ©injelfeele. ®a§ Unerflärbare fängt erft an, menn man e§
oerfuc^t, bie Sinjelerfc^cinungen in einen großen meltumfpannen^
bcn 3iifön^"^ß'i^ong einjuorbnen, ober wenn e§ gilt, bie 5^agc
nac^ bem „SSSie" unb „SBann" ber ®ntfte^ung be§ religiöfen fie«
benS, nac^ bem „SÖBie" ber Offenbarung ®otte§ in ben Offen*
barungSträgern ju beantworten. $ier Derfagen fc^lie^Iic^ bie
aWittel unfereS ®rfennen§. 2)ie ©ogmatif ^at feinen @runb, bie§
@e^eimni§ ju ignorieren. Slber e§ faßt jufammen mit ben
©c^ran!cn unfereS (SrtennenS übert)aupt, mit ©c^ranten, bie auf
bem ®ebiet beö profanen 2Biffen§ bereits beginnen. 2)ie 3)og*
matif felbft barf aber bieS auS allgemein roiffenf^afttic^en ®r*
mägungen in feinem 3)afein ju oerfte^enbe ©e^eimniS nic^t burc^
neue ©e^eimniffe innerhalb ber (SinjetbiSfuffion ber einjelnen loci
oerme^ren. ^n ber ©injeterörterung barf man nur ba§ ®e^eim«
ni§ micbcrfinben, baS au§ ben allgemeinen ©rörterungen fic^ er«
gibt, ober man ^at, falls neue SRätfcl ftc^ ergeben, einen falfc^en
SBeg betreten. 3)ie ©rfenntniS fol^er Slätfcl oerpfliditet bann
nic^t JU einem bemütigen aScrjiit auf weitere 3lrbeit, ber nur ber
intcHeftuellcn 9teblic^feit gefä^rlid) werben !önnte, fonbern ju einer
5Reoifion ber eigenen bogmatifc^en ®ntwidflungen. ®ogmatifc^en
aBert ^at alfo eine folc^e 95erufung auf baS Unbegreifliche, wie
fie bei ü. Octtingen unS begegnet, nic^t. 3)ic ^inbertaufe mu^,
fobalb eS fic^ um it)re bogmatifc^c ^Rechtfertigung ^anbelt, ebenfo
begreiflich fein wie bie ©rwac^fenentaufe. ^ft fie eS nic^t, fo
jeugt baS oon einem geiler in ber fgftematifc^en Slntage. 3)ag
tro^bem immer wieber ber Berufung auf baS ®et)eimniSoolle in
@ c^ e e I : ^ie ^auf (e^re in b. mobemen pofIttOv tut^et. ^ogmati!. 473
ber bogmatifc^cn ^Rechtfertigung ber Äinbertaufe ftottgegcben wirb,
^at feinen @runb in ber unjulängüc^en SJergegenroärtigung ber
Sragroeite be§ religiöfen 3Wotioö ber 3)emut unb in ber SJerroec^*
feiung ber religion^pfqc^ologtfc^en 3lufgabe mit ber bogmatifc^en.
©ie^t man nun aber öon bem unbere^tigten SRefurS v. Det*
tingenS auf ba§ Unbegreiflid^e ab, um feinen poftttDen 2)arbie«
tungen nad^juge^en, fo mu| man fonftatieren, ba§ er bic altort^O'^
bo;e älnf^auung t)on ber ^inbertaufe abgefc^mäc^t ^at, o^ne i>od)
eine jutreffenbe bogmatifc^e 9lec|tfertigung gegeben ju ^aben. 2)ie§
le^tere gilt auc^ bann, menn man fic^ auf ben 93oben feiner ei»
genen grageftettungen begibt, o. Dettingen ^atte 58unfe§ fiöfungS*
oerfuc^ jurücfgemiefen. 3)te ^inbertaufe barf alfo nic^t atö ba§
©aframent ber 93erufung ober Slnmartfc^aft auf ba^ ^eil erKärt
werben. @§ mufe bie faframentale 2Biebergeburt behauptet mer»
ben. 3)a§ ift aud| gcfd^etien. o. Oettingen meint, ba§ nirgenb^
ber Unterfc^ieb oon SBort unb ©aframent fo beutlid^ mie in ber
Äinbertaufe merbe. ^ier tonne ba§ 3Bort ber ^rebigt nic^t 2ln*
menbung finbcn. ®§ fei alfo Slberglaube, menn man bie gorm
ber ^rebigt für ba§ ^inb anmenben rooUte. Sie einjig bentbare
gorm ber ^eiteapplüation an ba§ Äinb, alfo ba§ ÜWittel feiner
^Rechtfertigung, fei bie Jaufe ober bie faframentale SSSiebergeburt.
©rabe meil im neugeborenen Sinbe baö (Elementare oorroalte, fei
bie Jaufe für bie Äinber ba*). 2lber mü^te bicfe SBegrünbung
niclit auf bie 2:^eorie Ärog^^Sonningö ^infü^ren? Ärog^^2:on»
ning ^atte ja mit ^ilfe grabe biefe§ @ebanten§ bie fpejififc^e
Eigenart be§ ©aframent§ neben bem SBort betont. 2)icfer Son*
fequens burfte aber o. Oettingen nii^t golge geben; er ^atte ja
bie Unoerträglid^feit ber t^eofopt)if^en Saufle^re mit bem lut^e^
rifc^en ©nabengebanten ertannt unb ba§ ^auptmotio ber gene*
retlen ©atrament^le^re ber alten ©ogmatiter ft^ angeeignet. 2)ann
merben aber bie foeben giticrten ©rtlärungen über bie Äinbertaufe
unoerftänblic^. 2Benn baS 2Bort jum tonftituierenben 9Roment
ber Jaufe gemacht ift, mcnn au^brüdlic^ bie SBirfung be§ ©a«
frament^ auf ba§ 2Bort jurürfgefü^rt mirb^), fo oerftel^t man
1) ^32:^^. 1863 ©. SM ff.
2) (5bb. 1862 ©. 538.
Scitfc^rift für X^eologie unb Äir(^. 16. ^^o^rg., 6. ^eft. 33
474 <S c^ e e ( : ^ie Saufle^re in b. mobemen pofUiOv lut^er. Dogmatil.
nic^t, Toarum baS verbum visibile ouf bo§ Äinb eine 3SBirfung
foD ausüben tonnen, bic bem verbum praedicatum oerfagt bleibt.
@8 fann ja bod^ nur bo§ verbum, baS feinem ©e^olt unb feiner
d^arafteriftifc^en ©cflimmt^eit nad^ mit bem verbum praedicatum
ibentifc^ ift, in ber Äinbertaufe bie SBirtung ausüben, ©ie^t
man aber genauer ^in, fo finbet man, ba§ u. Oettingen ^ier über»
^aupt mit einem anberen @egenfat( operiert, alS er it)n fonft in
feiner a;aufle^re tennt. ®enn bic urfprünglic^e ©cgenüberfteüung
beS verbum visibile unb audibile mar barin begrünbet, ba| baS
verbum visibile bie inbioibucKe 3lppli!ation ber ^eilSgnabe jur
3)arftetlung braute unb barum bie ^eilSgemi^^eit mirtte. 3)iefer
©efic^tSpuntt, oon beffen SRe^t ober Unrcd)t nic^t mcl^r gefproc^en
ju merben braucht, ift ^ier in ber Erörterung über bic Äinbcr«
taufe oöllig aufgegeben. ®r ^ätte ja auc^ feinen ©inn. Senn
biefer befonbere Erfolg ber Saufe fetjt bie 2Birffam!cit beS ver-
bum praedicatum oorauS, unb rechnet mit einer golgc, bic o.
Oettingen, ber ftärter als bie alte Ort^obojic auf bie ^fgc^ologie
9hld(ftc^t nimmt, ben unmünbigen ^inbem gegenüber ni^t ftc^er
8U ftatuieren roagt. @o fällt nun aber auS ber bogmatifc^en
SRed^tfertigung ber Äinbertaufc grabe baS 9Womcnt fort, bem o.
Oettingen in ber bogmatifc^cn 9tec^tfertigung ber S^aufe übcriiaupt
baS entfc^cibenbe ©emic^t oerUe^en tiatte. 9)ian mu^ alfo in ber
ä^aufle^re o. OettingenS einen fd^roeren fqftematifc^en %e\)Ux fon«
ftatieren, unb im 3wfömmen^ang bamit eine auS ber grunblcgen^
ben Sluffaffung o. OettingenS nic^t ableitbare neue Formulierung
beS aScr^ältniffeS oon 9Bort unb ©aframent, ober rid|tiger, bie
2lnba^nung einer neuen Formulierung. 3)enn ju einer folgerid)«
tigen Surc^fü^rung fommt eS nic^t, ba fie in bie t^eofop^ifd)e
Slnfc^auung einjutenten nötigen mürbe. Sann aber bleibt neben
bem tonftatierten fgftematifc^en F^^ler bie unoerftänblic^c 33e^aup*
tung fte^cn, ba§ baS 33äort baS mirtfame 9Webium in ber 3:aufe
ift, eS aber boc^ abcrgläubifd) märe, eine 9Birffamfeit beS SBortS
auf bic ^inber oorauSjufc^cn. 2)ie 2Birfung, bie ber Äinbcrtaufe
jugefc^rieben mirb, nämlic^ bie faframentale SBiebcrgcburt^), er*
1) ^33:^^. 1862 8. 335.
S ^ e e ( : %ie 2:auf(e^re in b. mobemen poftttOv (ut^er. ^ogmottf. 475
tlärt fic^ nic^t au§ ber Jatfadie, ba§ bic 2:aufe ate verbum be*
pniert roirb. 5Da^ o. Dcttingcn bic ^äbifatc audibile unb vi-
sibile nennt, ^t feine SSebeutung. 3)enn fte änbem nid^t ba§
8D8efen be^ 3BortÖ. Unb aixä) mit 53ejug auf ba§ visibile ftänbc
man oor einem SRätfel. 3)enn bic anfc^auUc^e SRebe ber 2:aufe ifi für
bad Äinb noc^ feine anfc^aulic^e iftebe. ®^ fann alfo o. Oettingen
feine X^eorie oom SDBort de facto nic^t aufredet erhalten; menn
er fie aber ber 9lbfic^t nac^ aufrecht credit ^ »ermicfelt er fic^ in
einen unlösbaren SSSiberfprud^ ober gelangt )u einer au$ feinen
^rämiffen nic^t oerftänbtic^en SSe^auptung. ^n beiben gäöen
aber ift bic beabfic^tigte bogmatifc^e Sled^tfertigung unmöglich ge*
morben.
^a man mufe einer noc^ größeren Unfic^er^cit in ber bog*
matifc^en ^Rechtfertigung be§ @aframent§ ber Äinbertaufe begeg*
nen, als roie fic bisher ju erfennen mar. 2luf grunb ber bisher
befproc^enen 2luSfü^rungen o. OcttingenS burfte man bod^ nur
oon einer Unjulänglic^feit ber öegrilnbung ber behaupteten SSSir*
fung unb einem — freiließ unlösbaren — 9Biberfprud^ mit ber
allgemeinen ©aframentSt^eorie reben. 9flun fte^t aber v. Oet^
tingen fic| genötigt, überhaupt bic faframentale SBiebergeburt
burc^ bic Jlinbertaufe, bie er boc^ behauptet ^atte ^), in Jrage ju
ftellen. 2)aS ift um fo befrcmblic^er, als 93unfeS Jauft^eorie oon
i^m abgelehnt mürbe. <3unäc^ft mirb ber Äinberglaube rebujiert.
®a§ baS aWoment ber „aSernunft" ober beS „95emu|tfcinS" fe^lt,
bereitet o. Oettingen aDcrbingS feine ©c^mierigfeiten. 3)enn er
meint auf grunb ber ©c^rift (ogl. fic. 1, 41) oom Olauben auc^
bann fprec^en ju bürfen, menn biefe SWomente nic^t oor^anben
finb. 2lber tro^ feiner @ct)riftgebunbenl^eit unb feineS SiüdjugeS
auf baS Unbegreifliche fte^t er boc^ ju ftart unter bem ©inbrurf
ber pfgc^ologifc^en 93ebentcn, als ba§ er OuenftebtS 2:^eorie un*
bebingt fic^ l^ätte aneignen fönnen. @ie galt i^m ja als (Sftra*
oaganj. 9)ann freiließ fönnte eS fraglict) erfc^einen , ob nun bie
2:^eorie oom Äinberglauben , ber ja boc^ ^eilSglaubc fein foll,
1) ^33:F)Ä. 1863 (S. 335; ogl 6. 345: bie reale aBiebcrgeburt Dott*
jief)t fic^ tatfäc^Uc^ burc^ bie 2:aufe im ^inbe. p. Oettingen ^at biefen
5luffa^ nic^t antiquiert, Dietmc^r in feiner ^ogmatif i^n ancrfannt
476 € c^ e e ( : ^ie ^aufle^re in b. tnobenten pofitio., lut^er. Dogmatil
bogmatifc^ tragen fann, xoaS fte tragen fott. 3)iefem SSebenten
fuc^t t>. Oettingen baburc^ ju begegnen, bag er aU baS jentrate
aWoment beS ®Iauben§ ben ÄinbeSfinn betrachtet ^). 3)amit wäre
bann roieberum bie bogmatifc^ einl^eitUc^e Betrachtung be§ ©(au-
ben§begriff§ geftd^ert. Slber ftinbeSftnn ift boc^ nie ibentifd^ mit
Unberou^tfein. Unb roenn man biefen Äinbe^jtnn aU actus di-
rectus oom actus reflexus unterfc^eiben roitl, fo fül^rt bie Untere
fc^eibung boc^ nic^t weiter aU bi§ jur Slnertennung ber Jatfa^e,
ba| man e§ mit einem offenen unb aufgefc^toffenen 95ertrauen ju
tun l^at, bag argto^ ift unb noc^ (eine 9tec^enfc^aft über ben
®runb feines 95ertrauenS fic^ ablegt. Qn einem Vertrauen aber,
ba§ um ftc^ felbft ni^tS roei^, gelangt man nie. SWan mürbe
fonft au6), roic fc^on früher bemerft, ben Segriff be§ SSertrauenS
auf lieben. 3""^ ©lauben gel^ört aber, mie o. Oettingen roei§,
no^ bie 53u|e. @r meint, ba§ bem ^inbeSglauben , „mie e§
fi^eint", bie 53u§e fe^Ie*). S)a§ mürbe bann freilid^ bie bogma^
tifc^e 93ebeutung beS ÄinbergtaubenS auf§ äu^erfte gefäl^rben.
3)arum fül^It fi^ o. Oettingen gebrungen, bem Slugenfi^ein ent*
gegen ben SSegriff ber 93u|e in ben Kinberglauben aufjune^men.
3)a§ 93u|ringen „mu| unb mirb im Äinberglauben feinen gott*
gefegten Äeim* unb 9lnfang§punft l^aben, fofern \a ber ©taube
nichts anbereS ift al§ gottgemirtter ÄinbeSfinn unb biefer im fün*
bigen KinbeS^erjen nii^t anberS erjeugt unb geboren werben fann,
als burc^ eine gottgemirfte jiexavota, ©inneSänberung , met^e ja
eins mit bem biblifc^en 53egriff ber 33u|e ift" % @S foü ^ier
nic^t herausgehoben merben, ba| o. Oettingen bie Jatfäc^Iic^^
feit ber 33u§e in ber g^rm einer gorberung unb eineS ^oftu«
latS tonftatiert, roaS offenbar ein Unbing ift. ©S fei oielme^r
beffen gebac^t, ba§ er glaubt oon einer ©inncSänberung fprec^en
ju bürfen, roo er felbft nod) fein 93emu§tfein anerfennt. ©inneS*
änberung ift boc^ eine Slcnberung beS 33cmu§tfeinS unb ber SEBil«
IcnSric^tung. SSorauSfe^ung ber 93u|e im ©tabium beS Unbe*
mu^tfeinS bürfte bann alS begrifflict)er SBiberfpru^ beurteilt mer^
ben. 2)em ®eroid)t ber oon allen ©eiten fic^ er^ebenben 93ebenfen
1) ^33:15^. 1863 @. B47. . 2) @bb. @. 349.
3) ^SZ\)^. @. 350.
<S (^ c c l : %xt 3:auf (c^rc in b. mobetnen pofitto., lut^er. 3)o0mati!. 477
!ann ftc^ anä) o. Octtingcn ni^t gonj cntjicl^cn, ®cnn er tommt
fd^Uellid^ ju bcm rcfignicrtcn @rgc6m§: „2Bir tooUcn un§ ja gern
befd^ciben über biefcn ^unft: rote unb ob^) ber ©laubc, ber
n)irtlid)e, ^eiUempfänglic^e*) ©laube in ben Äinbern t)or=»
l^anben fein fonn, ober üielme^r, ob loir biefe gottgeroirtte ^2luf*
gefc^Ioffenl^eit für ba§ ^eil" ©taube nennen bürfen, etroaS ent*
fd^eibenbeö ju beftimmen" ^). ®in fotc^eS 93e!enntni§ gefä^rbet
aber bie fQftematifct)e ©ic^er^eit ber bogmatifd)en SRe^tfertigung
be§ Äinbertauffatrament§. 3)en ©tanbort einer bloßen Slnroart»
fd)aft auf ba§ ^eil b^ben roir aÖerbingg nocb nii^t. 2lm ®e«
bauten einer SGBirfung be§ 2:auffaframentö wirb feftge^altcn. 2lber
e§ fel^It boc^ ba§ SSertrauen auf bie eigene 2:beorie, bag bei ben
alten 3)ogmatifern uorl^anben roar, unb e§ finbet eine tatfäc^üc^e
SRebujierung be§ bogmatifc^en 93cgriff§ be§ Sinberglaubenö ftatt,
ben 0. Oettingen auc^ in biefer abgefc^roäi^ten gorm nii^t oon
ben bem 93egriff felbft an^aftenben Unflar^eiten frei ju macben
üerftanben ^at.
3lber bei ber foeben un§ begegnenben SRefignation bleibt
0. Oettingen nic^t fte^en. ®r wirft in feiner 2)ogntatif bie ^rage
auf, o6 burcb ben 3lft ber Äinbertaufe bie JRed^tfertigung unb
©ünbenoergebung, bie an ben bewußten ©tauben at§ 93ebingung
gebunben fei ^), bem unmünbigcn Äinbe geroä^rteiftet werben Wune,
unb wir tefen bann bie SBorte: „Ob roir jenen göttlichen ©na^»
benaft beim unmünbigen Täufling atö SBiebergeburt ober SRecbt*
fertigung im üotten *) ©inn be§ SBorte^ bejeicbnen bürfen, lann ja
. • . . fragtic^ fein, ja nic^t obne ©runb^) angefochten werben"^).
S)ann wäre aber bie bogmatifc^e SRedjtfertigung ber ^inbertaufe
mißgtüctt. 2)ie ®ogmatif tann nicbt unterfct)eiben jroifi^en ootler
unb ntct)t ootter SGBiebergeburt. 3)at)on roar bereite in ber 3lu§s
einanberfe^ung mit 93unfe gefpvod^en worben. 9Jlu§ man alfo
eine unoolltommene ^Rechtfertigung unb SBiebergcburt jugeben,
bann l^at man eingeräumt, ba§ ber ^eil§6efi§ noc^ nicbt oorban-
ben ift. ^ann bie Sinbertaufe atfo nic^t bie 9tecbtfertigung unb
1) 93on mir gefperrt.
2) 31. a. D. @. 359. B) ^gt § 53, 1. 3.
4) Söon o. Dettingcn gefperrt 5) ^gt ©. 417.
478 S (^ c c l : 3)ic Zau\it^xt in b. mDbcrnen pofiti©., lut^er. 5)ogmatif .
SGBicbcrgeburt ganj oerlei^cn, [o i)at fie überhaupt ni^t ba§ ^eU
mitgeteilt. SBenn tro^ biefer ©inf^ränfung bcr buri^ bic ftinbcr»
taufe ertDirlten ffliebergeburt unb Sftec^tfertigung ü. Oettingen boc^
erf lärt, ba§ fic^ in ber ftinbertauf e to i r 1 1 i ^ unb n) i r ! f a m ^)
um S^rifti n:)iUen bie geiftlic^e 3Biebergeburt be§ fleifc^lic^ gebo*
renen Äinbes^ ooHsie^c, ober boc^ nur in bem ©innc unb in ber
SEBeife, ba| ber l^eilggemiffe, roeil Don @ott gefi^enfte STnfang
bc§ neuen fiebcnS in ber ©otteStinbfc^aft bamit ein für allemal
gefegt fei, um innerl^alb ber d^riftlid^en Oemeinf^aft einer be*
mußten (Entfaltung entgegen ju ge^en, fo bebeutet biefe (ärllärung
bogmatif^ angefe^en einen SBiberfpruc^ mit bem erften Singe*
ftänbniö. ©oü aber ber 93licf auf bie (gntfaltung be§ SebenS ge«
richtet merben, fo ift ber bogmatifd^e ©efi^t^punft preisgegeben,
dn beiben ^äUen ift aber bie bogmatifc^e 9tec^tfertigung nic^t
erreicht, üielme^r, bogmatifc^ betrautet, baS ©aframent ber Äin*
bertaufe abgefc^mäc^t, bie altortl^oboye S^eorie üon ber Äinber»
taufe als bem sacramentum regenerationis rebujiert unb in bie«
fer SRebuttion unbrau^bar gemorben.
®§ fül^rt alfo auc^ o. OettingenS SSerfud^, auf ben 93a^nen
ber alten £aufle^re baS Sauffaframent bogmatifc^ ju begrünben,
ni^t jum Qkl 2BaS er errei^t, ift nur eine bogmatifc^ ni^t
ocrmertbare 2lbf^mäc^ung ber alten 2:^eorie. ^a eS mu§ jum
©c^tu§ noc^ barauf ^ingeroiefen werben, ba| fogar 3iefte ber
t^eofop^ifc^en 93etrad^tung nic^t ganj übermunben fmb, o. Oettingen
bemnad^ in feiner ä^aufoorftellung SRubimente feiner eigenen SSer*
gangen^eit, bie er hoä) ni^t me^r anertennen wollte, ^at jurüd*
bleiben laffen. ®ine birefte 9iaturn)ir!ung beS Jauffatramentö
mitl er aUerbingS ni^t teuren ^), unb mit ^^ilippi möd^te er ®in»
fprac^e ergeben gegen bie annähme einer 9laturn)ir!ung, weil bic
®efa^r einer magifc^^bgnamifc^en Sluffaffung Dor^anben fei ^).
3lber ein 9teft jener Deutung ift boc^ jurücf geblieben ; benn o.
Oettingen mill „feineSmegS jene, unfere leibliche 9tatur ^eiligenbc
SCßirfung göttlicher ©nabe überhaupt beftreiten" ^), nur meint er,
1) %^t 6. 417. SBon V. Oettingen gcfperrt.
2) V. Oettingen, ^gt. @. 385.
3) ®bb. @. 436. 4) @bb. 8. 386.
6 d^ e e ( : %\z ^aufle^re in b. mobevnen pofUio., (ut^et. ^ogmotü. 479
ba| fic ftd) bereits bur^ boS SQSort üoBjie^e. Unb tro^ feineS
fpäteren 3"fönimenge^enS mit ^^ilippi fann o. Oettingen boc^
erflären: „SBir unfererfeit« beftreiten teineSioegg — tüie bai^ j. 93.
^ß^ilippi in cytremer 9Beife tat — bie r e l a t i d e ^) ©ere^tigung
jener reatiftif^en Sluffaffung ber g e i ft * I e i b li ^ ^) im ©aframent
un§ bargereic^ten ©nabengabe. Sluc^ mir gefte^en ju, \a möc^*
ten e8 befonberö betonen^), maS 2:]^omafiu§ fogt: mäl^renb
boS SEBort mit feinem 3^"9"i^ f^^ on bie felbftbcmugte ^erfön*
lid^feit bc§ SWenfci^en menbct, um auf fie unb oermittelft i^rer auf
ben ganjen SWenfd^en ju mirfen, roenbet fic^ ba§ ©aframent an
ben ganjen geift4ci6lic^en 9Befen§beftanb be§ aWenfd^en" ^). @o
fc^eint e§ benn aud^ nur bebenMic^, eine birefte SBirtung auf bie
leibli^c Staturfeite be§ SWenf^en afö ba§ ©pejififci^e beS ©afra«^
mentS §u bel^aupten *). @ine inbireftc SBirfung fdjeint alfo me«
niger bebenftic^ ju fem. Slber größeres ©eroid^t barf man taum
bicfen ^rflärungen beilegen, bie me^r ein pfgi^otogifc^eS Qntereffe
crmedten, fofern fie al§ SRubimente eineS früheren ®ntroi(IIung§^
ftabiumS 0. Oettingen^ fic^ befunben. gär ba§ bogmatifct)c 5Ber*
ftänbniS ber Saufle^re ü. OettingenS l^aben fie ^öc^ften§ ganj
untergeorbnete ©ebeutung; fu^te er bod^ icbc gefal^rbro^enbe
aSenbung ju befeitigen.
@ine SRei^e oon ^arafteriftifd^en SöfungSoerfuc^en ift an un^'
feren Slugen Dorübergejogen. 9Man ücrfuc^te be§ ^roblemi^ ^err
JU werben üermittelft einer SBeiterbilbung beö fpejififc^ faframen*
talen 9Motit)§ ber attort^obojen Saufte^re; man oerfuc^te e§ mit
einer am tut^erifi^en SRec^tfertigungSgebanfen orientierten 9leu*
bilbung ber alten Se^re; man oerfuc^tc e§ mit einer SRebuftion
ber überlieferten Se^re ober mit einer }eitgemä|en unb barum
nic^t ganj traftooQen SRepriftination. @ine Söfung, bie ben 9lor*
1) SBon mir gcfpertt.
2) 0. Oettingen, ^gt. ©. 401. §icr barf man oicUci^t au^ pf9^o«
logifc^ unb ^iftorifc^ baS 5Berftänbni§ fuci^cn für jene SBorfteUung o. £)c3
com 3:aufu)ort, bie in bie ©al^ncn ^rog{)'3:onning§ ^inüberleiten mußte
unb einen fremben Unterton in bie Darbietungen einfüfirte.
3) ®bb. S. 400.
480 @ c^ e e ( : ^ie ^auflel^re in b. mobernen pofttiov lut^er. ^ogmotif.
men beö bogmatifc^cn 3)enfcn§ ©cfricbigung ju gctDÖl^ren ocr^
mod^t l^ottc, rourbc nic^t gefunbcn; unb allen 95erfu^en eignete
in Derf^iebcner 55orm unb in oerfc^iebencr ©tärfe baS bogma^
tif^e Äteben am ©aframcntöbegriff, äJcrgegcnroärtigt man fi^
ben ^n^att ber aItprote{tantifd^en ^aufle^re unb bie bogmatifc^e
93el^onb(ung be§ 2:auffaframent§ in ber gegenmärtigen |)ofitioen
Ideologie, fo f^eint bie SRei^e ber in grage tommenben SWöglic^^
feiten einer bogmatifd^en ©rörterung be§ 2:auffa!rament§ im „po-^
fitioen" ©inn erfdjöpft ju fein. ©rroieS ftc^ aber feine biefer
Erörterungen ate jutänglid^, fo ift offenbar ein rabifaler Schnitt
ba§ einjige Heilmitteln atfo in einer „reformierten" Entleerung
unb SBerflüc^tigung ber rettenbe SGBeg ju crbticfen. S)od^ el^e biefe
aWöglid^feit ermogen mirb, fei noc^ jroeier 9lu§roege gebadet, bie
nid^t grabe neu finb, aber mit entfc^toffenem 9Mut betreten mer*
ben, baburd^ freili^ erft rec^t bie Sfiotlage beleud^ten, in bie man
l^ineingeraten ift.
3fn ber „atigemeinen eoangetifi^^lnt^erif^en Äird^enjeitung" *)
^at '^x. ^. eine SRcil^e oon STrtifeln oeröff entließt unter ber Ueber*
fc^rift: „^[nitiale unb SRanbjeic^nungen jum ©aframent ber Slaufe".
®§ fann nic^t meine Slufgabe fein, in eine ©injetbefprec^ung fei*
ner 3)arbietungen mic^ einjulaffen. ®a§ mürbe ju überflüffigen
SBieber^oIungen führen. (£§ werben biefe 2lrtitel nur beömegen
erroäl^nt, roeil fie jum @c^Iu§ ein 3Wotio erfennen laffen, ba§
un§ bereite gelegentlid^ entgegengetreten mar, aber in biefer un»
oer^üUten ©eftalt bo6) faum oorgefunben mürbe, gr. ^. ift ein
energifc^er SBertreter ber 2luffaffung ber 2^aufc al§ be§ ©afra*
ment§ ber SBiebergeburt; unb er oerfte^t biefen @a^ im ©inne
be§ 93efenntniffe§ unb ber Siturgie. 2lber er mei§ au^, melden
©c^mierigfeiten biefer ©a^ begegnet. &x leugnet nic^t, ba§ e§
möglich fei, au§ ber ffiiebergeburt in ber 2:aufe im ©inn ber
©e^ung eine§ neuen £eben§anfange§ in menfc^Iid)en ©ebanfen«
gangen gotgerungen abjuteitcn, bie anberen grunblegenben Se^ren
be§ ®oangeIium§ miberfpred^en ^), 3lber er legt SBerroa^rung ba*
gegen ein, bag man in menfi^Iii^en Folgerungen @ott bie SBege
1) 9iag. QivAutf). ^.3t9. 1902.
2) 5(. O. O. @. 487.
@ d^ e e I : ^ie ^aufle^re in b. mobemen pofttto., (ut^er. ^ogmatü. 481
üorfc^reiben mü, bic er auf grunb einer in feinem SDBorte be*
jeugten ©nabentat nun gelten mu&. „SWenfc^cn gegenüber befielt
ba§ @efe§ ber gotgeri^tigtcit ju Siecht. 5Ber eö aber auf ®otte§
geoffenbarte§ ®oangeUum anwenben roiü, wirb bie§ Unternehmen
fc^eitern feigen unb Schiffbruch leiben am Olauben. Qn SGBa^r^
l^eit mu| ber c^riftli^e ©taube t)ie(e ®inge in fic^ jufammen-
f äffen, bie na^ SWenfd^engebanten eitel SBiberfprüctie fmb; unb,
menn irgenbmo, fo ^at er eben hierin bie ©d^mad^ (£l^rifti ju
tragen"^). ®ag ift iebenfaCS eine offene ©pra^e; maS oon xi)x
ju galten ift, braui^t l^ier ni^t weiter auiSgefü^rt §u werben, ^n
ber Erörterung ber Saufte^re SRo^oQS unb ü. OettingenS mar
bie^, mie ic^ ^offe, au§reic^enb gef^el^en. @tma§ fuc^t nun frei^
ti^ f^r. ^. hoä) einjulenlen. ®cnn e§ foC „felbftoerftänblid^ nid^t
geleugnet fein", „ba| mir je nac^ unferer fiebenSfü^rung berufen
fein lönnen, bie 2:atfad^en unb SGBal^r^eiten beö Himmelreichs auc^
in ber menfc^licl)en Sßorftettung unb im menfc^Iic^en begriff p
einem einheitlichen, miberfpruc^Slofen ©anjen aufammenjufaffen" ^).
aOSie bieg freiließ möglict) fein fann, wenn boc^ !urj oor^er be*
l^auptet mar, ba| im ^riftlic^en ©lauben t)iele 3)inge enthalten
feien, bie nac^ menfd^li^en ©ebanfen „eitel SGBiberfprüc^e" feien,
erfäl^rt ber Sefer nic^t, SDBol^l aber barf er nun mieberum ^ören,
ba| bie gorbcrung, ein miberfpruc^§lofe§ ®anje§ ^erjuftellen, über
ba§ ©tabium eine§ SBerfud^S nic^t ^inauiSfommen tann. „3)oc^
bleibt bieg ein Sßerfuc^.'' „3Birb er in ber SEBeife burc^gefü^rt,
ba§ man geoffenbarte Jatfac^en unb SBal^r^eiten augfc^eibet ober
änbert, meil fie in bag felbft gemä^lte ©Qftem nic^t paffen, fo
bleibt er nic^t me^r ct)riftlic^, fonbern wirb im legten ©runbe ju
einer eitlen ©elbftoergötterung. 2)iefe trägt i^r ©eric^t fi^on
barin in fi^ felber, ba§ biefelben ©rgebniffe, meiere bem, ber fie
auffteHt, aüe SEBa^rl^eit in fid^ faffen, anberen jum ©egenftanb be§
©pottcg merben." „Obmo^l mir bemnad^ nii^t leugnen, ba| aug
ber Stnertennung ber obje!tioen SGBiebergeburt in ber Saufe gol*
gerungen abgeleitet mcrben lönncn, bie anberen grunblegenben
Se^rcn be§ (Soangeliumg miberfpred^en, fo t)at bieg für ung feine
1) 91. a. D. (3. 487. 2) @bb.
482 S ^ e e ( : ^ie ^aufle^re in b. mobemen pofitw., lut^er. ^ogmatit
toeitere ^ebeutung. SBir toasten unS in DoQer 3ut>erftc^t baS
coangclifc^c Sflc^t, feine einjige bicfcr Folgerungen anjuertennen.
9la^ ©otteS SBort wirb bur^ bie SEBiebergeburt in ber ä^aufe
!ein f)üf)txtS ^eiti^moment ber 9tec^tfertigung l^injugeffigt, bie
Sfte^tfertigung nic^t in ©ered^tmac^ung umgewanbett unb bem
3Befen unb ber 9lotn)enbig!eit ber ©efe^rung unb beg ©loubenS
nichts abgefprod^en. 3fn feinem SBort enoeift ft^ ®ott immer
qI§ ein ®ott ber Orbnung für ben ©e^orfom be§ ©tauben^, aber
atlerbingS nid)t atö ein @ott be§ ®gftemg für bie natürli^e 93er<
nunft" 0- 3)iefer 2lutoritätgben)ei§ überbietet nod) ben altprote«
ftantif^en. 3)enn bie alten S)ogmati!er ftanben boc^ unter an^
beren aUgemeinmiffenfc^aftlic^en SBorau^fe^ungen mie gr. ^., mit
bem eine 9(u§einanberfe^ung um fo meniger angebracht ift, al0 er
jeben (äinmanb al§ ä[u§Pu| ber felbft^errlii^en SSernunft jurücf*
meifcn mürbe. 2)a ^ört natürli^ jebe 2tu§fid^t auf SBerftänbigung
auf. ®§ genügt barauf ^injuroeifen, ba| er ben 2lriabnefaben
meint gefunben ju l^aben, ber au§ bem Sabgrintl^ ft^er ]&inau§«
fü^rt. 3)a| aber ber Don i^m gemiefene 2lugmeg ungangbar ift,
bürfte au§ bem bi^^erigen Sßerlauf unferer Unterfu^ung einleuchten.
@ine anbere 53a]^n ^at ©teinme^ eingefdjlagcn *). 6r miß
bie 2:ciufroiebergeburt primär al§ religiö^^foteriologifc^e perftanben
miffen; ba§ ift ba§ rict)tige an ber S:aufle^re ®remer§. 2lber
©teinme^ ibentifijiert fi^ ni^t mit ber foteriologifc^cn Sxiufbof«
trin ; benn er nimmt in ben begriff ber SGBiebergeburt bie et^if c^e
SBanbtung auf. 3)a§ neue foteriologifdje SBer^ältni^ ju @ott
fann nic^t gebucht merben, o^ne ba§ e§ in ung eine Äraft neuen
fittUc^en £eben§ entfaltet^). 3)ie SBiebergeburt ift al§ SBiberfatir*
niö unb treibenbe fittlic^e Stuf gäbe ju oerfte^en *). 3Inbererfeit8
barf man 2llt^au§' 9lnfd|auung oom ©lauben üor unb nac^ ber
Jaufe fic^ nic^t aneignen. 2)enn ber ^eilSglaube ift eö, ber im
91. %. bei ber ©rroac^fenentaufe bie 93orau§fe^ung für ben 2:auf«
empfang bilbet. ^eil^glaube ift oor bem ©aframent oor^anben ^).
1) 31. a. D. ©. 487.
2) ©teinmetj, 2:aufe unb Siebergeburt, m^S- 1902.
3) 9^3. o. a D. <S. 79.
4) ^bb. @. 151. 5) @bb. ©. 162.
6 c^ e e I : %it ^auf (e^ve in b. mobemen pofitiOv lut^er. Dogmatil. 483
3)a6 cS nun natürli^ fc^rocr wirb, bie Slotroenbigfeit ber Jaufe
ju begreifen, ift felbftoerftänblic^. @tetnme^ n)ei| ha§ and) fe^r
rool^I. ©8 tau^t oor i^m ein fc^roereS Problem auf ^). (5r löft
e§ burc^ bie Jt)efe, ba| ba§ SBort ben ©lauben wirft, ber Olaube
baS ^eil ergreift, ba§ ©atrament aber bie fpejiefle, inbimbueße
9lp))(itation bebeutet. (£^ mac^t unS noc^ fi)e3ieU be§ ^ziU ge^
miß% @inc bogmatifc^c Sfted^tfertigung ift bic§ freiließ ni^t.
3)enn ber ^eilägloube eyiftiert nic^t o^ne ^eilSgeroig^eit. 3)o^
barauf braud^t in unferem 3ufo»wmen^ang nii^t weiter eingegangen
ju werben, ^ier intereffiert junä^ft, ba§ ©teinme^ ba§ äJer^ält*
ni^ pon Saufe unb ilBiebergeburt fo ju entwidEeln perfu^t^ ba^
bem SEBort unb bem ® tauben nichts genommen wirb, ba| bie
3Biebergeburt nic^t afö rein foteriotogif^er Sltt üerftanben wirb
unb bie ^ebeutung be^ @aframenti^ tro^ adem gewahrt bleiben foU.
9lun aber fteüt fid^ neben bie bereits üon Steinme^ bemertte
©c^mierigteit eine neue. SBenn er nid^t mit 2llt^auS einen erft
nad^ ber Jaufe ju tonftatierenben ^eil^glauben jugeben will, fo
Knute bie ^Rechtfertigung ber Äinbertaufe in 5^age geftetlt wer»
ben. SWan fann nac^ Steinme^ nii^t oon einem Olauben ber Äin»
ber oor ber Jaufe fpre^en, auc^ ni(^t oon einem in ber S^aufe
gewonnenen ©tauben. 93eibe§ ift unpfQc^otogif(^^). Sann !ann
e^ bei ber Sinbertaufe mit bem ©tauben ni^t biefetbe öewanbt^
ni§ ^aben, wie bei ber Srwa^fenentaufe. 93ei ber Äinbertaufe
tritt ber nac^fotgenbe ©taube an bie ©tette beg ©taubeng, ber bei
ber ©rwac^fenentaufe oorange^t, eine öe^auptung, für bie er
einen birelten @d^riftbewei§ nic^t ju geben in ber Sage ift, bie
er nur auf grunb ber analogia fidei aufrecht ermatten ju fönnen
erltärt. 9lun aber f^eint ba§ ©aframent ber Äinbertaufe eine
bto^e Qtxtmonit ju werben. ®ann ^ätte aber ©teinme^ wiber
SBitten ben tut^erif^en ©aframent§begriff oertaffen. ©o bteibt,
ba auc^ ein Slu^weg, wie ber oon ^x. ^. empfol^tene, i^m nic^t
fgmpat^ifd^ fein !ann, nur noc^ eine ÜHögtic^teit übrig: bie Jaufe
at§ opus operatum ju faffen. ©teinme^ wei§, ba| i^m fein am
berer 2lu§weg bleibt; unb er ^at ben 9Mut, biefen SBeg ju ge^en.
1) ms a. a. O. @. 161. 2) @bb. ©. 162.
3) @bb. @. 226.
484 @ (i^ c c ( : 3)ic a:auflc^rc in b. mobcnten pofltio., (ut^cr. S)oflmatü.
SBenn, fo meint er, Sllt^auS bie SBirlung ber 2:aufc ex opere
operato bcftrcitc, rocil ber Olaubc nad^folgc, fo (affc er unberücf*
fic^tigt, ba| boc^ beim ©mpfang ber Saufe ber ©laube fel^le,
Sfflan fönnc barum nxä)t umritt, in gemiffem @inn üon einem
opus operatum ju fpred^en, unb man tonne eben nur bel^aupten,
ba§ ber nad^folgenbe ®Iaube bie§ opus operatum (imitiere*).
9leu ift auc^ biefe, auf euangelifd^em 93oben immerhin bcfrembenbe
©rflärung nic^t. @^on SRi^ter ^at biefetbe 93el^auptung mit ber--
fetben Simiticrung im ^fa^re 1861 jur a)i§!uffton gefteDt«), ©ag
bie Dogmatil mit biefer 2^^efe nic^t§ anfangen tann, bürfte au§
ben ®rörterungen in ber 2Iu§einanbetfe^ung mit ber foteriologi*
fc^en 3)oftrin fic^ ergeben, ©teinme^ ^at mit biefer (SrMärung
feiner S:aufle^re auc^ einen unheilbaren SRi| jugefügt. 3)enn er
trennt nun b o g m a t i f ^ bie Sinbertaufe oon ber ©rmad^fenen*
taufe, aiuc^ fein ffleg mirb ungangbar, felbft menn bie 2^^eorie
oom opus operatum eine bogmatifc^ mögliche SßorfteHung märe.
®§ werfen alfo mo^I bie beiben legten 5Bcrfud)e ein intereffante§
©(^lagUct)t auf bie Situation; aber irgenb meiere Sfflittel, in le*
flitimcr SGBeife bie 9tot ju befeitigen, ^aben fie ni^t na^juroeifen
uermod^t.
^d) fe^e nur einen SBeg, bie bogmatif^e 9totIage, bie bie
je^t hinter un§ liegenben Unterfu^ungen tennen gelehrt l^aben,
ju überminben, ben SBeg nämlich, ber eine befonbere bog*
m a t i f d^ e 3Bertung be§ S^auf faframent^ au^fc^Iie^t. SÄÜen SBer*
fuc^cn, mit benen mir un§ befc^äftigen mußten, mar bei aller
©ifferenj biefe befonbere bogmatifc^e aCBertung be§ ©atrament^
gemeinfam. ©ic fonnte ganj maffio jum 2lu§brudE tommen, fie
tonnte f(^lie§lic^ aud^ me^r ftimmung^mä^ig al§ in bogmatifd)
1) m^S' a. a. D. @. 229.
2) mdittx, %k Äinbcrtaufe, i^x SBefen unb \\)x SHcc^t. a:^©t^^r. 1861
@. 247. — o. b. ^rcnrf ^attc f<^on gefüllt (ogl. ©arbelanb), ba^ feine
^^coric bem ^Borrourf bc§ opus operatum anheimfallen fönntc. ®r meint
bem SBorrourf mit ber bo0mcnöef4icf)tlici^ unhaltbaren SBorftclIung begcg*
nen ju fönnen, ba^ in biefer 2{)eonc c§ borf) nur ba§ menfrf)üc^c opus
im Saframcnt gcmcfcn fei, ba§, of)m ©laubcn geübt, al§ mcrtlo^ au gel^
tcn Ijdbz, niemals aber bag opus divinum, ba§ in feinem ®efd^el)en un*
abl^ängig t)om Glauben fei.
@ c^ e e ( : ^ie ^aufle^re in b. mobemen pofttiov Iut()er. ${)09matil. 485
f larer Formulierung it)ren SluSbrucf finben ; aber fic war überall
noc^roetSbar. ^c^ brauche nid^t im einjelnen ju refapitulieren unb
jufammenfaffenb ju mieber^oten, jufammenfaffenb bic Sinien noc^
einmal ooigufü^ren, bie fic^ l^erau^ftettten. ®8 barf an bem ^in*
n)ei§ auf baS aflen ©cmeinfame fein 53en)cnbcn ^aben. 3Benn
nun bie S^age noc^ erörtert werben foü, ob ber foeben angeben*
tete 2Beg gangbar ift, fo mö^te ic^ bie (Erörterung biefer 5^age
jugleic^ mit einer ©l^aratteriftif ber ©atramentglel^re 9W. Ää^Ierg
oerbinben, bie freiti^ auf eine befonbere Betrachtung ber ©afra»
mente ni^t oerji^tet, bic aber boc^ fo referoiert fic^ oer^ält, ba|
man oon i^r a\xS ben Uebergang mag finben fönnen ju ber $o«
fition, bie, wenn ic^ rec^t fel^e, allein eine roirflic^e Ueberminbung
ber ©(^mierigtciten oer^eigt
4.
Ää^ler^ S^auf'* unb SaframentSte^re ift ber tonfequentefte
SBerfuc^ innerl^alb ber pofitioen 2)ogmatit bic fatramentale SBer*
tung be§ ©aframent§ ju überroinben. ®r mirft freili^ bie grage
auf, ob bie reformatorifc^e ©c^ä^ung ber ©aframentc nod^ }u
5Red)t beftcl^e, unb er roirft biefe ^rage auf um fie ju bejal^cn.
Jro^bem möd)te man fragen, ob er überhaupt nod^ eine bogma«
tifc^e SRe^tfertigung ber öefonber^eiten bei8 ©aframent^ gibt.
Unbebingt in bie erfte ©teile rüdtt ba§ SBort; bie ©a!ra»
mente treten hinter ba§ ©ort in bie jmeite Sinie ^ unb fie muffen
irgenbroie bie 2lrt be§ SBorte§ an [x6) ^aben^). ®a§ ©emcinfame
ber ©atramente mit bem SGBort liegt barin, ba| beibe ben gleii^en
3iU^alt l^aben, nämlic^ 6^riftu§ unb feine ®nabe, unb ba§ burc^
biefe aWittel fid) (£^riftu§ felbft barbietet be^uf§ be^ ®lauben§ an
i^n ^). 3)aju tommt at^ jmeiteö SWerfmat, ba§ ba« jum ©tement
^injutretenbe SBort nic^t für eine rounberroirtenbe Formel gilt,
fonbern bem ®lauben ba§ Soangelium, bie ©nabenbotfc^aft an-
bietet. ^®§ liegt ^ier alfo ba§ ©nabenmittel be^ 3Borte§ oor,
eingefaßt in einen tirdjlic^en 93raud^." 3)ie ©nabenroirtung be§
©aframcnt§ ift an ben ©lauben gebunben unb biefer roieberum
1) SW ^ä^Ier, a. a. O. 8. 6. 2) (5bb. @. 49.
3) @bb. S. 48.
486 @ ^ e e ( : ^ie Xaufle^re in b. mobetnen pofttit)., (utl^er. Dogmatil.
an baö beutcnbe SBBort ®otte§^). 9lic barf ba§ ©aframcnt in
bie Sftei^c etwaiger neben ba§ SEBort tretenber ©nabenmittel ge*
ftcttt werben, ani) bann nic^t wenn man oom ©aframent etroa^
93efonbere^ auSfagen roitl^). Ol^ne ©lauben empfängt niemanb
bie @aframent§gnabe % unb ber ©ame ber SEBiebcrgeburt ift ba§
©ort, ba§ SGBort oom auferftanbenen ©etreujigten*). Ää^lcr
fü^It feine SBerantaffung, biefen ©a^ einju[^rÄn!en. „3)ie SBer«
mittelung ber Saufe tommt bann entroeber au§ bem ©ort, in
roelc^eö baS SBaffer üerfa^t ift, ober bie 2:aufc teilt bie 3BirffamIeit
mit bem SBort. ÄeinenfattS wäre e§ ber il^r augfd^lie|lic^ eig«
nenbe ©e^alt"*).
2lber Ääl)(er miti ben @a!ramenten bo^ elmaS 93efonbere§
gewährt fe^en. Qu biefem 33e^uf l^ebt er eine Slnjal^I oon SWert*
maten ^erau§, auf bie mir un§ nic^t äße einjutaffen braud^en,
ba fie feineSmegS alk bogmatifc^e ^ebeutung ^aben. S)oc^ feien
junä^ft bie befonberen 5WerfmaIe genannt. ®a§ 53efonbere ber
©aframente neben bem SDBort finbet Ää^ler in gemeinfamen Äenn==
jeic^en. 3)ie ©aframente fmb junäc^ft auf ben Seib bejogene
©itten **) , bebeutf ame 93ilb^anblungen ") , unmanbetbare Unter«
pfänber für ba§ ^anbeln bc§ lebenbigen ©l^riftu^ traft i^rer @in^
fe^ung^, nic^t bIo| auf bie Su^iflnung ber®nabe an bie einget-
nen berechnet, fonbern oorne^mlic^ in il)rer ®efc^t^tlid)teit, SRed^tS«
titet unb ©ame ber Äirc^e®), ctma^ 93efonbere§ nii^t burc^ il^ren
®el^a(t, fonbem burc^ bie 9trt ber S)arbietung ^^), unb enbli^
ftiftungSmä^ig 93e!enntni§^anblungen be^uf§ ber @emeinfd)aftlid^«
feit^i).
®§ bebarf feiner näheren 53egrünbung, ba| ben erftcn beiben
aWomenten fein bogmatifc^er SBert eignet. ®ogmatifd^e 93ebeu*
tung tonnte ba§ erfte SWoment \a nur bann gewinnen, wenn
irgenbroie loieberum bie naturl^afte SBirtung be§ ©a!rament§ er»
1) m\)Ux, o. a. O. <S. 52.
2) (gbb. @. 63. 3) ©bb. 6. 61.
4) ©bb. 8. 65. 5) ®bb.
6) ebb. @. 60. 7) @bb. <B. 61.
8) (Sbb. ©. 63. 9) ebb. @. 61.
10) ebb. @. 65. 11) ebb. @. 69.
6 d^ e e I : S)ic a:ttuf(c^rc in b. mobcmcn pofltu)., lutl^er. 3)09matit 487
loiefen tuerben foQte. ^aS ift aber ein @ebanfe, ber ^ä^Ier DöUig
fremb ift mag er fic^ aucft me^r al§ einmal gegen atte „oerftie*
gene" ©eiftigteit menben unb barum am 9tea(i§mu§ ber fatra^
mentalen ^anblung feine e^reube ^aben. (Sbenfomenig fommt bem
jmeiten SWoment bogmatifc^er SBert ju, menn benn anberS ju
9le(^t befte^t, ma§ fid) un§ im SSerlauf ber Unterfui^ung al$
bogmatifc^ crmiefen ijatU. 3)ie ©l^arafteriftif ber ©aframente al§
3!)arftettungen unb 3^^^^" f^ö ^n fic^ ni^t beanftanbet merben;
nur ba§ foU betont werben, ba§ biefe ®l^arafteriftif nod^ nichts
mit einer bogmatif^en ^e^anbtung be§ @atrament§ )u tun l^at.
(äbenfo ift e§ richtig, menn Äa^ter in ben ©atramenten ben SRec^tS*
titet ber äußerlichen Äiri^e erblicft unb biefen ©a^ befonber§ im
^inblidt auf i^rc gcfc^i^tlic^e ©eftimmt^eit gcfprod^en l^aben mifl.
Stbcr auc^ bie§ ift no^ feine bogmatifc^e SDBürbigung be§ ©afra^
ment§. 2)enn e§ ^anbelt fic^ in biefer S^arafteriftit um l^ifto*
rifdje ®aten, bie al§ fol(^e tonftatierbar finb unb beren 93ebeu-
tung man crtennen fann, o^ne bie @lauben§frage aufrollen ju
muffen. 2lu§ biefer Betrachtung ergibt fic^ benn aud^ bag le^te
SKoment, ba§ oon Ää^ler genannt mirb. ®ie fiängcnroirfung gel^t,
um eine^ 2lu§fpruc^S Rä^lerS mic^ ju bebienen, in bie 53reite.
Ratten bie ©a!ramente, gefc^i^tlic^ betrad^tct, gcmeinfc^aftftiften*
ben SBert, fo l)aben fie au^ einen bie ©emeinfc^aftlic^teit xoaf)^
renben, feftigenben unb oerbreiternbcn SGBert. 9lber bie§ !ann be*
Rauptet rocrben, o^ne ba§ bie religiöfe 93ebeutung ber ©atramente
au^brüdElic^ in bie ®i§fuffion ^ineingejogen ju merben braucht.
SaSer in religiöfen Drganifationen nid^t lebiglid) etroa§ ^atl)oIo*
gifc^eS }u crblidten geneigt ift, unb mer ben fo5ialpf9c^ifct)en SBert
üon ©gmbolen, ©ebräuc^en unb ©itten ertannt l^at, ber roirb bie
üon Ääl^lcr herausgehobenen aWomente al§ richtig beurteilen tön*
nen, o^ne genötigt ju fein, bie ©aframentc al§ SWebien ju be*
trachten, bie ^immlifd^c, eroige Oüter oermitteln ober irgenb rocl^e
Sejie^ung ju einer SBermittlung fold^er ©üter befi^cn. ©o fü^rt
auc^ biefe Betra(^tung nic^t ju einer bogmatifc^en SBürbigung beS
©aframentc. ®§ bleibt alfo übrig nur bie ®rtlärung, baß bie
©aframente ba§ unroanbelbare Unterpfanb für ba§ ^anbeln bc§
lebenbigen S^riftuS traft i^rer ©infe^ung finb, unb baß fie ctroaS
488 © d^ c c l : %xt Zau^Uf^x^ in b. mobcmen poptio. (ut^cr. 3)o0matit
93cfonbcrc§ nid^t bur^ tl^ren ©e^alt, fonbcm burd^ i^rc 9lrt ber
S)arbictun9 barfteQcn. 2ln bicfer ©rflärung tüirb jjcbcnfatlS baS
©aframcnt aU 3Mittct ber ©nabcnjucignung gcbac^t ol^o ber @c«
ftc^t^punft erörtert, ber für eine bogmatif^e Unterfuc^ung über
ba§ ©atrament in gragc fommt. @o fpri^t benn M\)hx banon,
ba| e§ im ß^riftentum beftimmtc, l^crauSge^obene, fojufagen „pri*
üilegierte" SWittet ber ©nabenjueignung gibt, bie ber jucignenben
(Sinroirtung @otte§ auf unS ocrmittelft feinciS auSgcgoffenen unb
bei un§ roo^nenben @eifte§ btenen^). So ift e§ nac^ Ääf)Ier eine
empfinblic^e Surfe, wann 3f. Saftan auf bie SBefonber^eit ber
©aframentc in genere neben bem SBorte nx6)t tiefer eingebt, n)ä^*
renb ü. Oettingen in biefem ^untt ergiebig fei^). 2lber biefe
Berufung auf o. Oettingen berechtigt nid^t ju einer ^^bentifijie'
rung ber Slnfc^auung Kä^Ier§ mit berjenigen v. Oettingen^. Slüer^
bing§ fennt Ääl^Ier eine fatramenttic^e öegrfinbung ber ©ernein^
f^aft mit 6;^riftu§ in ber Jaufe^). 2lber Kavier ^ebt nic^t bIo§
t)ert)or, ba§ ol^ne ©lauben nicmanb bie ©atrament^gnabe empfängt
— baS wäre feine Ääl^lcr eigentämUd)e 93e^auptung — er urteilt
au<^ au|erorbentIic^ nüd^tern über bie fatramentlic^e ^ebeutung
ber 2iaufe unb oerjidjtet DoUenbö barauf, bie Sinbertaufc burc^
bie 2:^eorie oom unben)u|ten ©tauben ju rechtfertigen, ©in un*
bemühter ©laube ift i^m unfa^lic^, ebenfo wie ein 33en)u|tfein
o^ne ©in^eit be§ 93emu|tfein§. ^nx ein ^eroorbrec^en be§ mit
ber 2:aufe eingepflanjten ©tauben^ mit ber 2leu§erung§fä^igteit
be§ 53emu§tfein§ ^at er bisher nirgenb^ 93elege gefunben *).
SKbcr mie geftaltet fi(^ benn bie bogmatifc^e Slei^tfertigung
ber S^aufe? ®ie Saufe mirb jur untcrpfanblii^en S)arfteüung ber
93erufung^). ®§ !am Sut^er barauf an, ben ©^riftu§ für un§
fo nat)t mie möglii^ an un§ ^eranjubringen. 3)ie§ gcfc^iel^t burc^
ba§ ©aframent in feiner 93eftimmt^eit at^ Unterpfanb ^). 3)oc^
Mi)Ux begnügt ftc^ nic^t mit ber SBieber^oIung bicfe§ in ber
Iut^erifd)en 2:rabition immer roieberfel^renben ©ebanfen§. 3»"bem
er biefem ©ebanten nadige^t, erfennt er, ba§ gerabe unfere Jaufc
1) Ää^Ier, ebb. @. 16. 2) @bb. ©. 16 5lnm. 2.
3) ®bb. @. 61. 4) ebb. @. 91 2rnm. h
5) @bb. S. 68. 6) ®bb. @. 53.
@ d^ e e l : S)ie Xaufle^te in b. mobcmcn pofitu)., lut^er. ^oöutatit 489
fid^ [c^iücr bicfer SSegrünbung einorbncn Iä|t. Unfcrc 2:aufc,
bic er au(^ qI§ „SBinfcItaufc" bcjcic^nct, tann !aum alö anfc^au*
lic^e SRebc gelten, ©ic oerliert bic SÄnfc^auIic^feit, roeil xoxx nur
bur^ ^örenfogen oon i^r roiffen^). 3)er Jauffd^ein mit bcm
Äir^enfiegel foü bie anfc^aulid^c ^anblung erfe^cn. 3)ag ift
offenbar ein Uebclftönb ^). 9Dlan foüte barum auc^ weniger reij*
bar gegen bie 2:aufgefinnten fein^). Unfere Saufe ift nic^t wie
bie ÜWiffioniStaufe ein rebenber 2tft. ^ä^ler beftreitet, ba| unfere
„SBinteltaufe" eine barfteCenbe, bürgenbe ^anblung für ben ein*
jelnen fei*). 3)ie S^aufmirfungen fmb nur bann fatramentUc^
bargeboten, wenn bic ^anblung für ben Jäufting in bilblic^er
Unterpfanbfc^aft roirffam werben. Unb baö ift in unferer 93e«
l^anbtung ber ^inbcrtaufe nur in einer Unbeutlic^feit oor^anben,
bie an Slufl^cbung ber faframentlid^en 93ebeutung ftreift*). @o
bürfte fid^ benn auc^ bie unbebingte ^lotrocnbigteit ber Äinber*
taufe weber au§ ber ©d^rift, no^ au§ ber Sac^e enoeifen laffcn ®).
S)amit fc^eint eine bogmatifc^e ^Rechtfertigung ber Jaufe ber Un*
münbigen l^infäUig geworben ju fein, jumal ber Äinberglaube be*
ftritten wirb.
Stber fönnen biefe 9lu§fül^rungen roirtlic^ al§ eine befonbcre
bogmatifc^e ^Rechtfertigung ber 2:aufe gelten, bergeftalt, ba| man
oon bcm ©atrament ber 2:aufe in bogmatifd^er 93ejie^ung etmaS
öefonbercfl^ au§fagen fann? ffi§ bürfte bici^ nic^t ber gaß fein,
unb e§ miß mir fi^cincn, a(^ ob auc^ Mi)kx biei^ faum ernftlii^
be^au))ten fönnte. ®enn ber ganje 9tac^brudE liegt bei i^m in
ber Unterorbnung ber S:aufe unter baö SBort unb in ber ©l^a*
raftcriftif ber S^aufe a(^ einer rebenben ^anblung. 3)ogmatifc^
betract)tct fallen alfo S^aufc unb SBort unter ein unb biefclbe
SBürbigung, unb Ää^lcr ^ättc f(^n)erlic^ in einer SBcifc, bie nur
i^m eigentümlich ift, bie unterpfanbli^e ^cbcutung unferer Saufe
angcjmeifelt, roenn ni^t ber bogmatifc^e ©runbgebante feinet
©aframent^begriff^ feine geber geleitet l)otte. 3Ba§ Köhler mit
biefem befonberen aWoment geroonnen ^at, ift nirf)t eine bogma^
1) ®bb. @. 57. 2) ebb. @. 58.
3) ebb. 4) ®bb. @. 61.
5) Ää^Icr, ebb. 8. 91. 6) ebb. 6. 90.
3ettf(^rift für X^eoloflie unb Äirc^c. 16. ^aift^., 6. ^eft. H4
490 @ <^ e e ( : ^ie ^aufle^re in b. mobernen pofttiOv lut^er. Dogmatil
tif^c 93cgrünbung, fonbcrn immer nur eine rctigionSpfg^oIogifc^c;
b. \). aber, bie befonbcren SWomente, bie Sanier herausarbeitet
bienen inSgefamt nic^t einer bogmatifc^en SRe^tfertigung ber SSe»
fonbcr^eit ber 2:aufe^). Sie ^eben nic^t bogmatif^e ©igentüm«
li^feiten ^erauS, auc^ bort nic^t, mo bie bogmatifd^e Sebeutung
beS ©aframentS ber Skiufe auSbrüctlid^ jur ®i§tuffton geftellt
mürbe. ®ie oerfc^iebenc SSeife, ha§ ©oangelium an bie fieute
Ijcranjubringen^), begrünbet feine bogmatifc^e ®ifferenj. Ää^ler
^at alfo nic^t eine bogmatif(^e ^Rechtfertigung ber befonberen ÜWert*
mate ber @a!raniente gegeben.
3)em lauffaframent im allgemeinen ift bemnac^ fo menig
eine befonbere bogmatifd)e (Erörterung juteil gemorben, ba§ oiel«
me^r baS einjige aWoment, bem bogmatif(^er SBert nietleic^t ju*
erfannt werben !önnte, au^cr^alb ber ©pl)äre be§ ®ogmatifci^en
liegt. @S fct)eint aber Ää^ler hoä) für bie Äinbertaufe noc^ ein
befonbereS bogmatifc^eS Strgument in öereitfc^aft ju ^aben. S33a*
ren feine Urteile aud^ nod) fo referoiert, unb meint er au^ un*
ferer heutigen 5orm ber Sinbcrtaufe faft ganj bie fa!ramentlid)c
a3ebeutung abfprec^en ju muffen, fe^t er auc^ eine ernft^afte c^rift»
li(^e (Sntmictlung o^ne S^aufe aU mögli(^ PorauS, fo meint er
boc^ behaupten ju bürfen, ba§ 6^riftu§ im ©atrament ^anbelt
unb bie @nabe ber Äinbfc^aft anbietet. 2)aS fommt auf ben
©ebanfen ber juoortommenben ®nabe l^inauS ^). 3)ieS aber mürbe
auf bie J^eorie führen, bie mir in 93unfe§ Darbietungen fennen
lernten. @S märe aber auc^ ber Oebanfe einer gratia praeve-
niens gar ni^t fpejififc^ für bie SCaufe. 3)a§ gilt — ganj abge*
fe^en baoon, voa^ bogmatif(^ oon biefer 2:^eorie ju l^alten ift —
üon jebem ^eilSmort, bas! gilt ebenfo fe^r unb mellcic^t noc^
1) ^ann roirb aber fein Sßorrourf gegen ^aftan f)infällig. ^cnn bie
5)ogmatif t)at fid^ md)t um 33ctra(4tung^meifcn ju fümmem, bie bogma^
tifd^ betanglog ober wertlos fmb. ©cbeutung ^ätte ^äl)(er§ ©inroanb
nur, menn bie befonbcren 9Jlerfina(e be§ Gaframentjg im Untcrfc^ieb oom
Söort bogmatifd^ befonbere aJierlinale mären. (S^ märe nicfjt auSgefd^Iof«
fen, ba& .^ä^Ier bie^ in ber Zat meint, ^ann ift gegen i^n baSfelbe ein-
gumenben, roie früher gegen n. Oettingen ; Häl)(er ^ätte alfo bie religion^^
pf^d^ologifd^e Betrachtung mit ber bogmatif(f)en oermengt
2) ®bb. ©. 66. 3) 31. a. D. @. 91.
6 d^ e c 1 : 5)ic a:ouf lel^re in b. mobemcn pofttit)., lutl^er. ^ogmatif. 491
mel^r oon bcr c^riftti^cn ©rjic^ung al§ oon bcr 2kxufc bcr Un*
münbigcn. 2tuf jebcn gaU ^attc man aber mit bicfcm ©cbanten
nic^t bic Äinbcrtaufc bogmatifc^ gcrc^tfcrtigt, jumal bcr ©cbantc
bcr gratia praeveniens nur bann ernftti^ bogmatifc^ berc^tigt
ift, menn fein bircttc§ Äorrelat bic menf^U^c SRcjcptioität ift.
©onft mürbe man einem tat^oUfc^en ober bogmatif^ in^altlofcn
9Scrftänbni§ bcr gratia praeveniens oerfaCen. Sanier barf um
fo meniger bicfcm ©cbanten befonbere bogmatifcft begrünbenbc
Äraft jumeifen, al§ er c^riftU^e ©ntmidtlung ol^nc Saufe für
möglich ^ält, unb al§ er in bcr gcncrcBcn Srörtcrung über bic
Saufe bic SQBirfung bcr Saufe auf ba§ ©nabenmort jurürffü^rte
ober auf ben r e b c n b e n 2lf t bcr Saufe auf mertf am ma^te,
o^ne bic ^inbertaufe au^brürflic^ auöjufc^lic^cn. ©oU bic Qbce
bcr gratia praeveniens bic Äinbertaufe mirHic^ bogmatifc^ rec^t*
fertigen, fo mürbe ni^t nur ein ^ier bogmatif(^ nic^t au^rcic^cns
bcr ©egriff mit bogmatifc^cr ^raft au§gcftattct, e8 mürbe auc^
eine leichte Spannung jmifc^en bcr Sicc^tfcrtigung bcr Äinbertaufe
unb bcr Saufe überhaupt ju tonftatiercn fein, fofern für bie Saufe
ber Äinber eine anbere ^Rechtfertigung, al§ für bie Saufe im gc*
ncreCen notmenbig gemorben ift.
3)lan mag an ben tleinen Spannungen, bie offenbar noc^
oorl^anben fmb, noc^ ben 3wföntmen^ang Ää^terS mit bcr „po«
fitioen" Sauflc^rc cr!cnncn; man mirb aber au^ bann noc^ ju»
geben muffen, ba| M^ter^ Sauflc^re faft ben ©egcnpol bilbct ju
einer ^oc^tut^crif^en 3Bürbigung be§ @atramcnt§ unb t>a^ feine
Sauflel^re, fofern man fte im ^wfammen^ang mit ber ort^oboyen
St)eorie betrachtet, bie bentbar ftärffte 9tebuttion, menigften§ bie
ftärffte gefc^ic^ttic^ gemorbene SRebuttion bebeutet. Slbcr ^ier
tommt e§ jetjt nic^t ^auptfä^lic^ barauf an, biefe Siebuttion na^*
jumeifen ober ber tleineren Spannungen ju gebenfen, bie tonfta^»
tiert mcrben tonnten; ^ier bemegt fic^ ba§ ^»ntereffe um ben
©runbgebanten Ää^ler^, bcr auf rcformatorifc^c Qmpulfc jurürf-
gc^cnb eine folc^e 3)urc^fü^rung geftattet, ba& Unftc^cr^citen unb
Spannungen oermicbcn mcrben, eine mirtlic^ einheitliche 5Rec^t«
fertigung ber Saufe gegeben unb bo^ bie reformierte 93etra^tung,
ju ber fc^einbar aßc§ ^inbrängte, oermicbcn mcrben tann. ®a§
34*
492 6 d^ c c I : Die a:auflc^rc in b. mobemen pofltio., tut^er. Dogmatit
ju jcigcn, bcbarf c§ nac^ allem, loaS üorauf gegangen ift, nic^t
mcl^r oieler 9Borte.
3)ie 2lu§einanberfe^ung mit ber bogmatifc^en Se^anbtung be§
Saufprobicmö in ber ortl^obofen unb pofitiüen lut^erifc^en Zf^to-
logie ^atte eine Stellte üon ©runbfä^en entfielen fe^en, an
bie je^t nur furj erinnert ju mürben braucht, um ba§ bogmatif^e
©rgebniS ber oorangegangenen Unterfuc^ung ju geroinnen unb bie
^alblieiten in ber bogmatifc^en 33egrünbung be§ JauffaframentS,
bie ju fonftatieren roaren unb oon benen übrigens auc^ fog. mo»
berne 2%eologen ni^t frei ju fprec^en fmb, ju überroinben. 9Wan
möd)te üermuten, ba| ein oöflig rabifale§ ©d)tu§ergebni§ bie not»
roenbige golge ber oorangegangenen Äritit fei, baß atte§ auf ein
rfictftc^t§(ofe§ preisgeben beffen l^inauSläuft, roaS im lut^erif^en
aSerftänbniS be§ ®^riftentumS ^eimatSrec^t geroonnen l^at. ^zhtv,
ber für eine fpejififc^ bogmatifd^e 338ürbigung be§ 2:auffaframentS
meint eintreten ju muffen, roirb geneigt fein, einen folc^en SBor»
rourf ju ergeben unb bamit s^gtci^ ba§ ric^tenbe Urteil ju fäßen,
Sin folc^eS Urteil mürbe aber boc^, falls eS gefprod^en mürbe,
oerfrü^t fein unb nic^t auSrei^enb fubftanjiiert roerben fönnen.
@S barf oielme^r für bie in ben tritif^en Semertungen nieber*
gelegten pofttioen bogmatifc^en 2lnfci^auungen eine ©runbtenbeng
ber lut^crif^en 2:aufle^re in 3lnfpruc^ genommen mcrben. Mer»
bingS nic^t in ber SBBeife, ba§ man einfai^ eine beftimmte ®e*
banfenrei^e ^erauSfc^älte, il^r baS ^räbitat beS genuin fiut^eri»
fc^en gäbe unb nun mit lut^erifc^en ^rätenfionen bie eigene
Xl^eorie entroirfelte. @in berartigeS SSerfa^ren mürbe auf ©elbft«
täufc^ung hinausführen, ben ^iftorifc^en Sai^oer^alt oerfi^teiem
unb bie SrtenntniS oerbunfeln, ba§ bie bogmatif(^e Slrbeit in
i^rer Stetation auf bie gefc^ic^tlid^e SBergangen^eit ftetS, um eS
furj JU fagcn, fgnt^etifc^en S^arafter tragt. 3)iefe ©c^ranfe miß
atfo beachtet ober oielme^r gegen alle SWi^beutungen unb falfc^en
©inglieberungen oon oorn^erein aufgerichtet fein.
9Wit biefem SSorbe^alt barf aber jeber aSerfuc^, als bie Äon«
fequenj ber bist)erigen Srörterungen bie reformierte „Sntteerung"
ober „aSerflü^tigung" beS 2:auffa!ramentS ^injuftellen, als unbe*
@ ^ e e l : ^ie Xaufle^re in b. mobemen pofUiOv (tttl^er. ^ogmatif . 493
grfinbet jurüdgeiDiefen werben. 9ln ber pulgär reformierten lauf»
anfc^auung ift grabe bieS ju beanftanben, ba§ fte bie Saufe bIo|
al§ einen äu^erli^en 33rauc^, al§ ein äu§ere§ 3^^^^" anfielt,
eine 3Bttrbigung ber Saufe aU eines ©nabenmittetS überhaupt
nic^t ju pnben permag. S)a§ ^ei^t aber : bie reformierte 3lnfci^au*
ung ignoriert grabe baS SWoment, ba§ mir alsf mefentüc^eS ÜHo*
ment meinten ^erauSfteCen ju muffen, bie Beurteilung ber Saufe
als eines verbum promissionis. Sarum genügt eS feineSmegS^
bie Saufe blo§ ftgnifitatio ju oerfte^en; man mu§ oielme^r mit
ben alten ^ogmatifem für bie Saufe als ©efamt^anblung^ bog«'
matifc^ angefe^en, baS ^räbifat beS Sj^ibitioen magren. ®ie
3)ogmatif ift, gemä§ bem, waS über bie 9latur beS bogmatifc^en
Urteils ausgeführt mar, nid^t in ber fiage, eine anbere Stellung
jur Saufe einjune^men. ©ie fönnte bieS nur, menn fie barauf
oerji^ten wollte, bie Saufe als rebenben Sltt aufjufaffen. ®ann
mürbe fte aber bem fc^on o^ne bogmatifc^e (Stellungnahme er»
fennbaren tatfae^lic^en Befunb beffen, maS als Saufe bejeic^net
fein mill, nic^t gerecht. Sine Slenberung ber foeben geforberten
bogmatifc^en Stellungnahme jur Saufe mürbe notmenbig bie ge*
f^ic^tli^e Saufe, bie Saufe alfo, roie fie mirflic^ ftattfinbet, igno«
ricren unb als Saufe entroeber einen Slft d^araf terifieren , ber
oöllig unoerftänbli^ ift ober bem überl^aupt jebe 93ejie^ung auf
baS |J)eil fe^lt. Qn beiben fällen mügte bie 2)ogmatit barauf
perji^ten, oon ber Saufe 9loti) ju nel^men; in beiben Italien
märe aber au^ noc^ gar nic^t an bie Saufe gebac^t, mie fte tat^
fäc^lic^ geübt mirb, ober genauer, mie fte in gefc^ic^tli^er ©eftalt
oorliegt unb als c^riftli^e Saufe in ber lut^erifc^en S^riften^eit
fi^ barftcllt. aSergegenmärtigt man ftc^ biefe, fo mirb man ftetS
einem in äBorte gefaxten Brauch gegenübergefteQt. 2)a aber in
ber ©ppre einer geiftigen Steligion 93rciuc^e als fol^e nichts be*
beuten, fonbem nur in i^rer SBerbinbung mit bem äBort, b. \).
alfo als finnoolle 93räuc^e, fo ift baS 3Bort ber 9len) ber Sauf*
^anblung. SSSie anf^auli^ bieS SBort ift, baS ift junäc^ft gleich*
gültig, baS ift eine grage, bie überhaupt junäc^ft nid^t intereffiert,
unb ob fte bogmatif^ interefftert, ift auc^ ^ier ni(^t ju miffen
nötig. 3)aS ©ntfd^eibenbe ift oielme^r bieS, ba| baS 9B3ort, fo
494 © d^ e e 1 : 3)ic 2:aufle^rc in b. mobcmcn poritto., lutl|cr. Dogntotit
mit unb bei bcm 9D3affer ift, bic bcftimmcnbc ©tcHung bcfleibet.
3)ann l^ängt aber ba§ bogmatifc^c Urteit über bie Jaufe oon bem
bogmatifc^en Urteil über ba§ 938ort ab. 9Mit anbcren 9D3orten:
man fann bogmatifc^ jur Jaufe nur ©teCung nehmen, inbem man
fie ate verbum promissionis ju oerfte^en fu^t. Q\t fie aber
verbum promissionis, bann mu§ il^r ej^ibitioer (S^arafter bei^
gemeffen merben. 3)a| fie verbum promissionis ift, ergibt ftd^
au§ bem 3ufammen^ang be§ 3n^alt§ be§ SaufmortS mit bem
aSer^eigungSmort überhaupt unb einer barauS refultierenben ©in«
orbnung in bie a3ebingungen , unter benen überl^aupt ein SQ8ort
^eiI§mort ift. 2)arau§ ergibt fxc^ freiließ auc^ beö meiteren, ba§
ber 2:aufe fein befonberer ejl^ibitioer ®^arafter jujuroeifen ift,
ba| fie nur in bemfelben ©inn aU ej^ibitit) ju gelten ^at, mie
bie 2)ogmati! bie§ oom SBort überhaupt au^jufagen imftanbe ift.
3)er IJe^ler ber alten 3)ogmatif mar e^, tro^ genereller Sinorb*
nung be§ 2:auffa!rament§ unter ben 93egriff be§ SEBorteS ben ey»
^ibitioen (J^arafter be§ ©aframent§ bei gleid^jeitiger Sorferung
ber 93erbinbung oon ®eift unb S^aufmort boc^ energifc^er unb
ejfluftoer ju faffen, al§ bie§ in ber SBetra^tung über ba§ SBort
al§ ©nabenmittel gefc^a^, unb bem entfprec^enb bann für bie nac^
einer bur^ ba§ Sßort fc^le^t^in erfolgten Se!e^rung unb SBieber-
geburt ooÜjogene Saufe bogmatifc^ noc^ eine befonbere SEBirtung
JU oinbijiercn. 9D3enn barum aud^ mit ber alten Dogmatil ber
ey^ibitioe ®^arafter be§ Jauffatramentö feftge^alten merben foB,
fo gilt e§ boc^, bie bogmatifc^ notmenbigc Sluanjierung biefe§
®ebanten§ ju beachten, um nic^t roiebcrum in ben 93annfrei§ be§
faframentalen aKotio§ ju geraten. 3)ie Saufe ift nic^t ein blo^e§
Su^ertic^eg Q^'\ö)tx\, fonbern ein mirffameö ©nabenmittel, aber fie
ift mirtfame§ ©nabenmittel in gauj bemfelben ©inn, mie bieS
oom SBort bogmatifc^ au§gefagt merben barf.
Ste^t bie§ feft, fo tann man bie Saufe bogmatifc^ nur als
ba§ 93ab ber SDBiebergeburt bejeic^nen. ^ebe anberc Definition
mürbe bie bogmatifc^e aSebeutung ber Saufe nic^t blog rcbujieren,
fonbern überhaupt eine bogmatifc^e aSetrac^tung ber Saufe un»
möglich machen. @S mar beffen gebaut, ba§ ber ©ogmatit bie
Slufgabe jufäHt, bie 93ebingungen feftjuftellen, unter benen ber
@ ^ e c 1 : 5)ie a:auflc5re in b. mobemcn pofitit)., lut^cr. ^oßniati!. 495
Segriff cyifticrt. 3)ie ©ogmatit ^at i^rc Analogie nirf)t an einer
pfg^ogenetif^en SBiffenfd^aft, fonbern an ber Sogit unb ©rfennt*
ni^t^corie. ©ott nun bie 2:aufe einem bogmatifc^en Urteit unter*
ftellt werben, fo barf junäcftft nic^t eine unterf^iebUrfie Slntroort
gegeben werben auf bie %xaQt, roaS bie S^aufe roirte, unb e§ barf
anbererfeitö nur eine Slntroort al§ richtig gelten, bie SlHgemein*
gültigfeit beanfpruc^en tann, eine 3ingemeingütttgteit, bie felbft*
oerftänblic^ il^r fpejififc^eS ©epräge erhält burc^ bie allgemeinen
93ebingungen, unter benen überhaupt nur bogmatifc^e SBerte be«
fielen.
3)lan barf atfo junäc^ft nic^t bifferenjieren ; benn jeber Sßer»'
fud^ einer ©ifferenjierung würbe fic^ in ba§ ©ebiet ber Smpirie
unb ber fontreten ©ntroidlung be§ Seelenleben^ begeben unb ju^
gleich bie Sinl^eitli^teit unb @ef(^loffen^eit be§ fgftematifc^en Qn^
fammen^ang§ auflöfen. 3)iefer 5^^ler roirb bort gemalt, wo man
jmifc^en ^inbertaufe unb ©rmac^fenentaufe unterfc^eibet. 9Benn
©aul feine ©c^rift über bie 2:aufe betitelt: ^\t bie Äinbertaufe
bie 3Gßicbergeburt? fo mac^t er fic^ einer bogmatif^ falfc^en 5^age*
ftellung fc^ulbig. ®enn nun fte^t er fic^ oeranla^t, roo^l bie
2:aufe, aber nid^t bie Äinbertaufe al§ baS 33ab ber SBiebergeburt
ju befinieren, unb atfo oon bemfelben ©atrament jmei bur^auS
oerfc^iebene bogmatifc^e 3lus;fagen ju machen. 93effcr fte^t e§
aurf) nic^t mit ber weithin üblid)en bogmatifc^en ^Rechtfertigung
ber Sinbertaufe burc^ ben ©ebanten ber gratia praeveniens.
3)enn einmal roei^ bie ®ogmatif nur oon einer mirtfamen gratia
praeveniens }u fpre^en, ba bie SSorauSfe^ung einer bogmatifc^en
2lu§fagc über bie gratia praeveniens bie ertannte SSirflic^feit ber
juoorfommenben ©nabe ift. 2lnbererfeit§ tann bie 3)ogmatif bie
juoorfommenbe ®nabe nic^t al§ eine 2:eiterfc^einung be§ |)eilS
betrachten, bie nun burc^ eine anbere ©nabenanerbietung unb ©na-
benmitteitung ergänjt merben mü^te, fonbern nur al§ ba§ ganje
^eil ober bie 9JJitteitung be§ ganjen ^eil§gut§ unter bem befon*
beren religiöfen ©efic^t^puntt be§ 3uDorfommen§ ber fiiebe ©otteö,
ober, ma^ ba^felbe ift, unter bem ©eftc^t^puntt ber Slble^nung
be§ a8erbienftanfpru^§ ©Ott gegenüber. ®ie ©nabe ©otteS ift
immer bie ganje ©nabe ©otte§. ©ine Seilgnabe fennt bie ®og=»
496 @ ^ e e l : 5)ie 2:auflc^re in b. mobemcn pofltiUv lut^er. 5)oömatit
matif nic^t, ipcil fic ni^t bcn ^rojcß verfolgen faitn^ unter bem
allmä^Uc^ bcm rcflcttierenbcn ©crou^tfcin bie cinjelnen 3Womentc
in i^rer Scbcutung fic^ entfalten ober in i^rer i>a^ ©efamtleben
immer fräftigcr in Slnfpruc^ ne^menben aWotioation mirtfam mer*
ben; fonbern mit ber ®rtenntni§, ba§ e§ eine ®nabe ®otte§ gibt,
t)at fie aud) bie ganje ©nabe. ©ie mürbe fonft anä) nie norma*
tioe Srfenntniffe geminnen, fonbern nur empirifc^e 9Ma&ftäbe,
unb barum jugleic^ eine ftete Unfic^er^eit ^infic^tlic^ ber Slbgrenjung
unb geftfteÜung be§ 3Wa^ftabe§ mit in ben Kauf nehmen muffen,
^eiteunfid^er^cit märe bann bie le^te g^tge einer fotc^en falfd^en
^ragefteUung. ®§ mu^ bemjufolge bie ooCe bogmatifc^e 33etrac^«
tung auc^ im ^inblirf auf bie ^bee ber gratia praeveniens ge*
übt merben, miU man ni^t bem ^gperp^gpfd^en, foteriologi|c^en
ober fat^olifc^en aSerftänbni§ ber ®nabe mieber oerfaßen. 9Äeint
man alfo mit bem ©ebanten ber gratia praeveniens bie ftinber*
taufe bogmatifc^ rechtfertigen unb ben Sc^mierigtciten au^ bem
aOBege ge^en ju fönnen, bie bie 2)efinition ber Kinbertaufe afö
be§ @aframent§ ber 3Biebergeburt bereitet, fo ^at man bie ©c^mie»
rigfeiten nic^t befeitigt, fonbern nur oerfc^Ieiert. ®§ befielen tat^
fä^li^ auc^ bei biefer ^Rechtfertigung ganj biefelben Schmierig*
feiten, mie bei bem SSerfuc^, bie Äinbertaufe al§ bai ©atrament
ber 9Biebergeburt ju oerfte^en. Unb man ^at no^ bagu ben
f^ftematifc^en 5^^Ier gemacht, oor bem bie le^te Definition ocr-
fd^ont bleibt, ba§ man bie @in^eit(icft!eit be§ fgftematifc^en 3"=
fammen^ang§ gefprengt unb in bie ©p^are pifteogenetif^er ®r*
mägungen fic^ begeben ^at, alfo bie c^arafteriftifc^e ©igenart be§
bogmatif^en Urteile ni^t berürffic^tigt, unb barum auc^ au§ bie-
fem ©runbe eine bogmatifc^e 9ie^tfertigung nic^t gegeben ^at.
3QBenn alfo bie 5)ogmatit auf inbioibuell pfpc^otogifc^e unb pfqc^o»
genetifdje S^agen fic^ nic^t einjutaffcn ^at, mu§ fie eine bogma*
tifc^ abgejmerfte Sifferenjierung, mie fie ber Unterfd)eibung ber
Äinbertaufe unb Srmac^fencntaufe jugrunbe liegt, al§ bogmatifc^
oerfe^lt jurürfmeifen, fic al§ eine ^Betrachtung anfprec^en, bie eine
©ebiet^oermengung unternimmt unb ber 9leligion nid)t minber
mie ber ®ogmatit gefä^rlic^ mirb, o^ne bie ^inbemiffe befeitigt
ju ^aben, bie man au§ bem SQBege räumen wollte.
@ d^ c e I : ^ie a:aufle^re in b. mobemen poptit)., lut^cr. 5)oginotit 497
^ft alfo bic ©iffcrengicrung unmöglich, fo fann man bic
Saufe nur a(§ ba§ Saframcnt bcr SBicbergcburt bcjeic^ncn. 3)a*
mit wirb man bcr götbcrung gerecht, bie au§ bcr Statur be§
bogmatif^cu Urteilt ftc^ ergibt. 3)a8 bogmatifrfie Urteil ^atte e§
nur mit ben tonftantcn, immer gültigen SWcrtmalen ju tun. ®a§
ift nun bie Eigenart be§ @nabenmittel§ be§ 3Bort§, ba§ e§ Seben
ücrlei^t, üom 2:obe jum fieben fü^rt. 3)er 3Beg, auf bcm bieg
erreicht mirb, ift naturgemäß oerf trieben. 9iatürlic^e 9lnlage,
Temperament, ^erfunft, foiialeö ÜWilieu, ©ruft bcr eigenen ©e«'
fmnung unb bcr Umgebung, unb mag bergleic^en met)r ift, aUesf
bieg mirb ben ©ntmidtlungggang becinfluffen unb geftaltcn. 2lber
bag entfd)eibenbe religiöfe unb bogmatif^e Snoment bleibt überall
bagfelbe: göttli^cg Seben oerlei^t nur bag SEBort ©otteg; b. ^.
nur bem ffiJorte ©otteg ift eg eigcntümli^, eine ganj beftimmte^
auf bie ©igenart beg 3Borteg jurüctge^enbc Sebengric^tung unb
SBiUengftclIung ju erjeugen. 3)ag ift aber gemeint, menn man
oon ber roiebergebärenben ^raft beg SBortg unb t)on ber SQBieber*
geburt fpric^t. 3)ie ®ogmatit ^at nun bie c^aratteriftifc^en 9Wcrf>
male biefer SBiebergeburt ^eraugjufteUen, alfo bie SRertmale, bie
bem 33egriffe int)ärcnt ftnb, o^ne bie ber 93egriff nic^t gebadet
merbcn fann. 3)cr bogmatif^e 33egriff ber SQBiebergeburt becft
ftc^ bemnac^ nic^t mit ber empirif^en 2Biebergeburt ; aber bie
empirifdjc SSSiebergeburt finbet an bem bogmatifc^en 93egriff
i^re 9lorm. ^^at nun aber bag SBort ©otteg feine bogmatifc^e
9Bürbigung in bem ©ebanten, baj3 eg SQBiebergeburt mirft ober
göttlic^eg Seben unb ©eligteit oerlei^t, fo fann auc^ bie 2:aufe
nur alg bag 93ab ber SBiebergeburt bejeic^net merben. 3)enn bie
Saufe mar ja ein in ©otteg 333ort gefaßter 93rau^. Unter bem
©efx^tgpuntt beg ©nabenmittelg betrautet fann barum oon ber
Saufe nur gelten, roa^ oom 3Borte gilt, muß aber auc^ oon ber
Saufe alleg bag gelten, mag oom 333orte gilt. SWan minbert i^re
bogmatifc^e ©ebeutung, menn man fie nur alg bag ©aframent
ber aSerufung ober ber Slnmartfc^aft auf bag ^eil befiniert. SWan
oerläßt bie @pt)äre beg bogmatifc^en Urteilg, wenn man auf bie
SBirfung, 3)le^rung unb SSergemifferung beg ©laubeng ^inmeift.
3)enn nic^t mit quantitatioen, fonbem mit qualitatioen ©rößen
498 @ (^ c c I : %it 2:auflc^re in b. mobcmcn pofitiOv Iutl)er. 5)o0matif.
\)at c§ bie Sogmatit ju tun. 2tuc^ roürbe man übcrfc^cn, ba§
ba§ SBac^Stum be§ ©tauben^ — fo toenig bieg ju befc^rcibcn
eine Slufgabe ber ®ogmatif ift — mannigfa^ bifferenjiert jur
©rfc^einung tommt. Unb n?enn man als ein befonbere§ bogma«
tifc^e§ 9JJcrtmaI ber Saufe eine fpejieüe SBergeroifferung bc§ ©lau^^
ben§ behauptet, mürbe man bie roiebergebärenbe Kraft be§ 333ort§
unb bie 9Birfung beS @lauben§ burc^ baS SQBort in grage fteUen.
3)ie 2:aufe ift bemnac^ ein in bem nä^er umgrenjten ©inn ju
oerfte^enbeS ey^ibitioeS ©nabenmittel, unb fie ift aU folc^eS ba§
33ab ber 3Biebergeburt. ©ine anbere bogmatifc^e SteUungna^me
}ur Saufe ift nid^t möglic^.
Sefte^t nun aber nic^t ein SBiberfpruc^ barin, ba§ bem
SBorte, aber auc^ ber laufe bie 3Birfung ber SBiebergeburt ju»
gemiefen mirb? ^optioe ©ogmatifer, bie nic^t ber SBerfuc^ung
erlegen waren, ba§ (Satrament al§ etmaS 93efonbere§ sui generis,
oom 9Bort feinem SBefen unb feiner SBirfung nac^ ooüftänbig
aSerfc^iebeneS ju betrachten, bie üielme^r baS ec^t reformatorifcfte
aWotio ber bie ©nabe oermittelnben 93ebeutung be§ SD3ort§ unb
ber Korrelation be§ SD3ort§ auf ben ©lauben fic^ angeeignet Ratten,
maren boc^ nic^t in ber Sage, eine fie felbft befriebigenbe 2lnt»
mort auf bie S^^age nac^ bem 9Ser^ältniö oon Saufmirtung unb
SBortroirfung ju geben. 3)a§ 2Bort mürbe al§ ber ©ame ber
SCBiebergeburt gemertet unb man magte fogar eine aSergemiffcrung
burc^ baS SBort fdilec^t^in ju bel^aupten. 3)ann f^ien baS Sauf*
fatrament überflüffig ju mcrben. 3)a aber eine folc^e Äonfequenj
nic^t jugegeben roerben burfte, mu^tc man mieber bie ©puren ber
alten 3)ogmatiter auffuc^en unb eine befonbere, nic^t nä^er ju
befc^reibcnbe äBirtung ber Saufapptitation tonftatieren , ober bie
SCBiebergeburt al§ ba§ ^robuft ber ^rebigt unb ber Saufe ^in»
[teilen, ober aber einen energif^en Schnitt tun unb ba§ ©c^mer*
gewicht in bie Saufe oerlegen. S)oc^ feiner biefer äöege ^atte fid)
aU gangbar erroiefen, unb nun fte^cn mir felbft offenbar oor ber-
felben ©arfgaffe.
3lber e§ fc^cint boc^ nur fo. S)cr ©c^ein fann nur entftel^en,
menn man unberürffic^tigt lä^t, ba§ bie 3)ogmatif übert)aupt nic^t
fic^ auf bie ^^c^age nac^ bem „SBann" unb „2Bie" ber ©ntfte^ung
@ ^ e e r : ^e Xauflel^re in b. mobernen pofttit)., lut^er. Dognmtit 499
bcr SQBicbcrgcburt cinjulaffen ^at. SBer eine SRoIlcnoertcilung
jiDtfc^cn bem fog. generellen SBort unb ber Saufe Dorjune^men
beginnt, i^at bereite ba§ ©ebiet ber bogmatifdjen Slrbeit oerlaffen
unb ftc^ in bie ©pl^äre ber religionSpfgc^ologifc^en ®mpirie be^
geben, bie al§ empirifc^e ftet§ nur inbioibueÜ gettenbe SSorftel*
lungen übermitteln !ann. 2)ie Saufe fann at§ ba§ ©nabcnmittet
be§ aCBort^ bie SBiebergeburt roirfen, unb ba§ SBort !ann in ganj
bemfelben Umfange unb in ganj berfelben SBeife bie SBiebergeburt
mirten. Ob im fontreten ©injelfall ba§ SQBort ober bie Saufe
biefe SCBirfung ausübt, ba§ ju entfc^eibcn ift bie ®ogmatit über*^
^aupt nid)t in ber £age, bie ja nur bie bogmatifc^e ^ebeutung
be§ 93egriff§, nic^t aber beffen (Stellung in ber tontreten inbioi*
bueHen 3Birflic^teit ju unterfuc^en ^at.
2lber ift man mit biefer ©rflärung roirtlic^ au§ ber ©ad*
gaffe ^erauSgetommen, in bie auc^ mir ju geraten fc^ienen?
aWü^te nun nic^t entmeber ba^ SEBort ober bie Saufe für über^
flüffig ertlärt merben? ®in folc^er ®inmanb märe begreiflich;
^at boc^ bie trabitioneHe bogmatifc^e Erörterung be§ Saufproblem§
nie bie bogmatifc^e Betrachtung oon ber empirif^en unb religion§^
pfgc^ologifc^en reinlich gefonbcrt, unb alfo 3)enfgemo^n^eiten er*
jeugt, bie fc^mer ju überminben finb. Slber e$ lä^t fic^ boc^ bie
Unjulängli^teit biefe§ ®inmanbe§ nac^meifen. ®§ mürbe nämlici)
ein folc^er 6inmanb — oorau^gefe^t einmal, i>Q^ er fic^ mit ber
Statur ber bogmatifc^en 3lrbeit ocrtrüge — notmenbig baju an^^
leiten, auc^ einer bogmatifc^en 2)ifferenjierung ber generellen 2Bort*
oertünbigung nac^juge^en. SBenn bie S^efe gilt, bap ba§ 3Bort
bie SQäiebergeburt mirft, unb menn auf grunb biefer S^efe nun
bie Saufe für überflüffig ertlärt merben foll, fo mü^te man bie
grage [teilen, mel^e ^^rm ber SBortoertünbigung benn bie äBie«
bergeburt gemtrtt ^at unb, fobalb biefe 5rage eine Slntmort ge*
funben, jeöe anbere 3orm ber SBortoertünbigung für überflüffig
ertlären. ^a nod) me^r; bie letzte Äonfequenj biefer 5^age*
ftellung märe bie ©rflärung, ba§ bem ^3Biebergeborenen" über«
^aupt ni^t me^r ba^ aBort oertünbigt merben muffe. 2)aig märe
nun natürlich praftifc^ unburc^fü^rbar unb in religiöfer Sejie^ung
pemijiö^, ba man ftatt auf ©otte^ ©nabe fi^ ju oerlaffen, fub^
500 @ c^ e e I : ^ie ^aufle^re in b. mobenten pofitit)., lutl^er. ^ogmotif.
jcftioer SSorgängc fic^ ju rül^mcn angeleitet würbe. Unb c§ roürbe
auc^ au§ ber bogmatifc^en 93ebeutung beS 9Bort§ ftc^ nic^t be*
grünben laffcn. ®enn roenn ba§ SQ8ort bic SBiebergeburt roirft,
fo xo'xxtt e§ ftet§ unb tann e§ ftet§ nur ba§ roirten, roaö ^fn^alt
biefe§ 93egriff§ ift; e§ lüirtt atfo-bie SBiebergeburt nid^t al§ einen
momentanen 2l!t, um nun h^n SWcnfc^en fortan fid^ felbft ju
überlaffen, e§ mirft fie oielme^r al^ eine ftet§ erneute, immer«
roä^renb erfotgenbe SBiebergeburt. 2)iefer bogmatifc^ notmenbigen
S^efe entfpric^t an6) auf§ genauefte bie 9latur be^ SEBiUenS. 3)ie
miebergebärenbe Kraft be§ 3Bort§ ift bemnac^ ibentifc^ mit ber
bie SSStebergeburt er^aftenben, Sonft !önnte ba^ SBort überhaupt
nic^t bie äßiebergeburt mirten. 3)amit ift nid^t in ben 93egriff
ber SBiebergeburt etma^ qualitatio 9leue§ aufgenommen. SJa^
jur 93eurteilung gefteßt ift, ift immer nur bie SBiebergeburt. 9tur
bie 53ejie^ung§linien fmb anbere. 3)a§ eine 9Wal ^anbelt eS fic^
um prinjipieüe, abfolute ©rroägungen, ba§ anbere 9WaI um rela*
tioe. 3lber bie relatioen erma^fen au§ ben prinsipiellen, bringen
alfo etmaS 93efonberei§, ®igenartige§ nic^t neu ^inju unb fönnen
barum jeberäeit mit ber prinjipießen (Srmägung oertnüpft merben,
®§ ift, prinjipiett betrachtet, immer nur bie SBiebergeburt, mit
ber mir e§ ju tun ^aben. ®ann aber er^eßt, ba§ man meber
ben 93rauc^ ber 2:aufe, noc^ bie oerfd^iebenen gormen ber SBortoer*
fünbigung für überflüffig ju erflären au§ bogmatif^en ©rünben
ein SRec^t ^at. @o tann bie bogmatif^e 2;^efe, ba§ baS SBort
bie SBiebergeburt oertei^t, unb bie bogmatifc^e 2:^efe, ba^ bie
Saufe bie SBiebergeburt oerlei^t, nic^t ©c^mierigfeiten ber oben
c^ara!terifierten 2lrt begrünben. 3)a§ märe nur möglich, menn
ber bogmatifc^e ©egriff ber SBiebergeburt preisgegeben mürbe.
Ommer nur ift e§ t)a^ SBort, roelc^e§ bie SBiebergeburt mirtt;
mann aber unb in roeld^er gorm ber Sarbietung, fann bie ®og*
matit nic^t fagen. @o menig man aber eine ftetige SBieber^olung
ber SBortoertünbigung für überpüffig ^ält, obwohl bic „erftc
SBiebergeburt" gemirft fein fönnte, fo menig barf man auf grunb
ber 2:t)efe, ba& ba§ SBort ba§ 9Äittet ber SBiebergeburt ift, bie
2:aufe für unnötig erMären. 2)enn auc^ ^ier mirft ba§ SBort unb
auc^ ^ier liegen bogmatif^ bie ^inge genau ebenfo, mie bei ber
@ (6 c c l : S)ic ^auflc^re in b. mobcmcn pofltio., Iutl)er. 5)o0matif. 601
aUgemeinen SBortoerfünbtgung. SBtQ unb tann man bemna^ bie
eine Sonfequenj ntc^t für juläffig erMären, borf man auc^ bie
anbere Sonfequenj nic^t gießen, unb bie Uebung ber 2:aufe für
nu^lo§ ober unbegrünbet Ratten, ©ie ift ebcnfomenig überf[üffig,
mie bie aQgemeine Iffiortoertünbigung. Unb fo menig man im
^inblirf auf bie tonfrete SlBirtlic^feit jeberjeit eine ^eilfame aCBir«
tung ber Sßortoerfünbigung behaupten tann, ebenfomenig ift man
oerpflic^tet, bie Sauf Übung abhängig ju machen oon ber gorbe*
rung einer notroenbigen l^eilfamen SBirfung. 3Wan ^at bogma*
tifc^ angefe^en, gar fein Siecht, für bie Xaufübung eine größere
Sicferoe ju beanfpruc^en al§ für bie SQäortoertünbigung. 2Bo bieS
gefc^ie^t mirft immer noc^ ein uneoangetifc^er ©aframent^begriff
nac^; man mürbe bann fc^lie^lid^ auf 33a^nen gebrangt, bie eine
irreftftibte SlBirfung ber S^aufe »erlangen. 3Äan mu§ bemnac^
bei ben einfachen bogmatifc^en SCuSfagen fte^en bleiben unb fic^
ba§ bogmatifc^e ^onjept ni^t burc^ @eftc^t§puntte oerbaU^omi«
fieren laffen, bie einer unbogmatif^en Erörterung entnommen fmb^
fa^mibrig in einer bie bogmatifc^e Srtenntniig fcftäbigenben SSSeife
SRürffid^t nehmen auf empirif^e, fontrcte ©injetfäße^ um nun oon
^icr aus jugteic^ ben reügi6|en begriff ber SBiebergeburt, ber in
fiut^erö @rMärung oon ber täglichen 3Biebergeburt feinen betann«
teften, menn auc^ bogmatif^ nic^t ganj präjifen SluSbrud gefun^
ben ^at, Ju gefä^rben unb alfo oon einem geiler jum anberen
geiler getrieben ju werben. ®8 bleibt bemjufolge bei ber bog*
matif^en 2lu§fage, bag bie ins; 2Bort gefaxte Saufe mie ba§ „aü--
gemein" oertünbigte äBort bie SlBiebergeburt mirtt unb ba^ jeber
^erfuc^ einer Sfollenoerteilung frembe unbogmatifd^e ©eftc^tSpunfte
in bie bogmatifc^e (Erörterung l^ineintrögt unb ju einer bogma«
tifd^en 3)epotenjierung entmeber be§ 3Bortg ober ber Saufe unb
einer religiös unerträglichen SJeränberung beS ©egriffS ber SlBie*
bergeburt fü^rt.
3lber mu^ nun nid^t mit bemfelben Stecht, mie bieS ^inftc^t*
lic^ ber SEBortoertünbigung gilt, bie SBieber^olung ber Saufe ge=^
forbert merben? ^n ber Sat, bie bogmatif^e Erörterung ber
Saufe tonnte teine ©d^ranten aufroeifen, bie bie 3Bieber^olung
unmöglich matten. Wlan mü^te, falls man auS ber bogmatif^en
502 @ d^ e e I : ^te ^Quftef)re in b. mobernen pofitit)., (utl^er. ^ogmotit
SBürbigung bcr 2:aufc eine folc^e bie 338ieber]^oIung au§fci)lie§enbc
Jolgcruttfl ableiten roottte, bie grunblegenbe bogmatifc^e (Sriennt^
m§, bie geroonnen xoax, preisgeben unb entroeber bie römifd^e
Stellung jur Saufe fid) aneignen ober in bie 93a^nen be§ neu»
tutt)erifd)en Jaufbegriff^ einlenten ober jum minbeften bie Saufe
bogmatifc^ oom SBort unterfc^eiben. 3)ann würben aber roieber*
um alle bie ©c^roierigfeiten auftauchen, bie in ber oorangegange*
nen Unterfuc^ung un§ entgegen getreten waren. ®arum tann
bogmatifc^ tein @runb gefunben werben, ber bie SBieber^olung
ber Saufe al§ etroa^ Unmöglid)e§ ^injufteUen geeignet ift. 3Bie
man ba§ 2lbenbmat)l mieber^olt, bie 2lbfolution mieber^olt, bie
SBortoerfünbigung n)iebert)olt, mü^te man, bogmatif^ angefe^en,
auc^ bie Saufe mieber^olcn fönnen. Sro^bem märe eine SEBieber»
l^olung ber Saufe jmedmibrig. 3)enn man ^at bie Saufe nic^t
bto^ unter bem ©eftc^t^puntt be^ ®nabenmittel§ ju betrauten,
fonbern äugteic^ al§ ben Sltt ber 3lufna^me in bie ©emeinbe be§
^eilö. 3)ie Saufe ift nic^t blo^ ©nabenmittel, fonbern gleirfijeitig
2lufna^meritu§ in bie 9leligion§gemeinfc^aft, bie fic^ al§ c^riftlic^e
oon ieber anberen 9teligton§gemeinfrf)aft unterfc^ieben mei§. ®er
Saufe eignet alfo au^ eine bie gefd^ic^tlic^e ©^riftengemeinbe be*
grünbenbe, jufammen^altenbe unb oerbreitcrnbe 9Birfung. Unter
biefen Umftänben fann natürtid^ an eine SBieber^olung ber Saufe*
ni^t gebac^t werben. SBürbe man tro^bem eine SBieber^olung
f orbern, 'fo würbe man nur ju ertennen geben, ba| man ben
2lufna^mcatt al§ fotc^en mit bogmatifc^en ^ntereffen betrautet,
alfo eine untereoangelif^e 3luffaffung oon ber ©nabe ftc^ ju eigen
mac^t. 9Man würbe bem SHitu^ al§ 9iitu§ lieiteoermittelnbe 93e*
beutung juweifen; man mü^te bann für ben '^aü ber fünbigen
®ntwi(flung ober einer eingetretenen „Sobfünbe" entweber eine
ftetige SBieber^olung ber Saufe forbcrn ober eine (Srgänjung ber
Saufe burc^ ein ©aframent vok ba§ römifc^e 93u^fatrament.
93eibe§ täme fad)lici^ auf ba§felbe ^inau^. ^n beiben ^ätt^n
würbe bie ^eil§oermittlung ni(^t auf ba§ 9Bort fc^lec^t^in jurücf«
gefül^rt, fonbern an einen beftjmmten 9litu§ gebunben, fo ba§ ber
9titu§ al§ folrfier eyliibitioe SBirtung erlangte unb bamit jum
bogmatifd^en 3^"t^wwt ber Saufe gemacht wäre. SEBiH man aber
@ d^ c e I : Die aiauflc^re in b. mobemcn pofitit)., lut^cr. 5)ogmotit 503
biefcn 2Bcg oermctben — unb ba§ er ocrmicbcn rocrbcn mu§,
ergibt fi^ au§ her bogmatif^en SBürbigung bcr Saufe, bie allein
al§ möglich ertannt rourbc — , fo barf man nic^t au§ bogmati*
fc^en ©rünben bie Unroieber^olbarteit ber Saufe behaupten, fon*
bern nur au§ bem oben genannten @eft^t§puntt. ^t\>t bogma*
tife^e SBürbigung be§ Slufna^meritug al§ eine§ 9litu§ ber Sluf»
na^me roürbe fofort ba§ eoangelifc^e aSerftänbni§ ber Saufe un=
mögli^ madien unb fpejififc^ fatramentale aOBirtungen au^löfen,
um beim opus operatum }u enbigen. 9Wan ^at alfo ben bog*
matifc^en 9Bert ber Saufe uon i^rem fojialen ober ©emeinfc^aft
bilbenben 3B3ert reinlid^ ju fonbern, unb nur mit bem legten bie
Unmicber^olbarteit ber Saufe ju begrttnben.
2)arau§ erbeut bann freili^, ba% bem ©aframent ber Saufe
befonbere SWertaale, d)ara!teriftifc^e ©igentümlic^teiten eignen.
93ei ber ®arftellung ber Saufle^re Äd^lerg mar eine Steige foU
c^er 3Jlomente ^erau§ge^oben, beren Stid^tigfeit nic^t in 3"^ßJf^t
gejogen merbcn burfte. 2lber biefe ®rfenntni§ tann bie bereite
entmicfelte bogmatifc^e ®rfenntni§ ber Saufe al§ eine§ ©naben^
mittete nid^t umfto^en, !orrigieren ober ergänjen. ®§ roirb frei*
lic^ in ber bogmatifc^en fiiteratur über bie Saufe immer mieber
ber aSerfu^ gemacht, biefen Sefonber^eiten ber Saufe bogmati«
fc^en SGBert jujufprec^en, 2lm beutlic^ften tritt biefer SBerfu^ an
ben Sag in ber (Erörterung be§ untcrpfanblic^en 6^aratter§ ber
Saufe. Steinte man boc^ oon l^ier auö überhaupt bie bogmatifc^e
9iec^tfertigung ber Saufe finben ju muffen, o^ne bie Ronfequenjcn
baoon für ben bogmatifc^en öegriff be§ 3GBort§ ober ben bogma»
tifc^en ©egriff be§ ®lauben§ ju bemerten. Unb bafe bie Saufe
unterpfanbUc^en SQBert gewinnen fann, ober aU inbioibueße ^ei(§^
jueignung erlebt merben fann, ba| man auf fie jurüctblicten fann
al§ ben 93en)ei§ ber juoorfommenben Siebe unfereö @otte§ unb
in biefcm SRürfblicf @tauben§fraft unb ^uJ^^^^^^t erlangen tann,
ba$ in ^rage ju ftellen liegt mir oöflig fem. ®a§ mu^ einem
jeben fern liegen, ber ben 3^W9"iff^n laufest, bie bie Saufe au§*
gelöft ^at unb immer mieber auf§ neue au^löft. ®ie Saufe ift,
fo oiel tran!^afte unb abergläubifc^e 93orftetlungen fid^ auc^ mit
i^r oerfnüpft ^aben mögen, bo^ ein md^tiger ^ebel d^riftlirfier
B04 @ d^ c e I : %xt ^auflc^re in b. mobcmen pofitiov lut^er. S)o0matit
gtömmigfcit gcroorbcn. ®ine ©efd^idjtc bcr ^riftli^en J^öm*
migteit, ja auc^ nur eine ©tijje fotc^cr ©cfc^ic^te, tann an ber
Saufe nic^t üorübcrgel^cn. @lc roirb oielme^r einen treiben*
ben ®inPu§ biefer ^nftitution anerfennen muffen. Unb je breiter
bie ©runblage ber Äir^e wirb, mit befto größerem Qntereffe mirb
fie über ber ®rl^altung ber Saufe machen. 3)enn in ber Saufe
l^at fte ein SDtittel, an aQe heranzutreten unb unter bie ba§ ®e>
roiffen anparfenbe 9Mac^t be§ SBort^ auc^ biejenigen ju ftetten,
bie fic^ ber regelmäßigen Sertünbigung ber ©emeinbe fern ge«
l^alten ^aben unb bereu 93eruf unb Umgebung ernfte S'^ogcn unb
@tt)ig!eit§gcbanfen nic^t erjcugt.
2me§ bie§ foll anertannt werben. 2Iber ^at man bamit
mirflii^ eine bogmatifdje SCBürbigung be§ Sauffaframent^ gegeben?
Um bei bem jule^t genannten @ebanten anjuf nüpf en : niemanb
fann eine fol^e Slbsmerfung ber Saufe al§ eine mit SWüdtfic^t auf
ben Säufling erfolgte befonbere bogmatif^e ^Rechtfertigung ber
Saufe beurteilen, ^ier ift bie Saufe ba§ ©nabenmittel be§ aOBort^,
wenn auc^ ein unter befonbere SlBei^c gcftettte^ unb in einbrucf^*
ooß anfdöaulic^er g^tm oorgetrageneö ©nabenmittel beS 3Bort§.
aSon ^ier ausJ merben mir nur jum verbum praedicatum geführt,
um eineö alten Serminuö mic^ ju bebienen. 3)a§ ift natürlid^
auc^ bie Saufe; unb oielleic^t mirb biefer (S^arafter ber Saufe
bei ben großftäbtifc^en 9Maffentaufen ju menig jum SluSbrudt ge*
bracht. 3)aß aber mit biefer (J^arafteriftif eine befonbere bogma-
tifc^e 53cgrünbung grabe ber Saufe gegeben fei, bürfte faum je«
manb bel^aupten rooÜen. ÜWan iiat c§ ja in biefem %aU nur mit
bem allgemeinen ©nabenmittel beö 3Bort§ in feiner öejie^ung auf
bie münbige Umgebung ju tun.
SWit bem unterpfanblic^en unb inbioibueQ applijierenben ®^a«
ratter ber Saufe oerl^ätt e§ fic^ natürlich anber§, Slber e§ nnir
fc^on früher beffen gebac^t, ba§ eine folc^e ®^aratteriftil ber
Saufe ni^t ibentifc^ fei mit einer bogmatifdjen SHec^tfertigung.
9Wan ^at c^, mo bie Saufe berartig gemertet wirb, mit befonbe^
reu @rlebni§n)eifen ber §eil§aneignung ju tun, auf bie bie Sog*
matif al^ Slormmiffenf^aft feine 9W(ffic^t nehmen fann. 3)enn
nic^t maS in inbioibuell tonfreten gdllen erlebt werben fann, ober
@ ^ e e 1 : 5)ie a;aufle^rc in b. mobemen pofltit)., lut^er. 5)oömatif. 605
toorauf cinjelnc ^fnWüibucn ftc^ berufen mögen, fonbern ma^ aß*
gemeingültige^ ®rgebni§ fein mu^, ^at bie 3)ogmatif ju ent«
mirfeln. ©enereße, nic^t fpejieüe, balb tonftatierbare, batb über»'
^aupt nic^t oor^anbenc ÜJlerfmale ftnb e§, mit benen fie fic^ ab*
gibt. SBenn barum ber Saufe unterpfanbli(^e 93ebentung juge*
roiefen mirb, beten SGBert übrigen^ 3Jl. M\)kx auf ein üJlinimum
rebujieren mu^te, fo ^at man mit biefer ©^aratteriftit bie Saufe
nur unter religion§pfr|(^oIogifclöe, nidjt unter bogmatifrfie 93eleuc^s
tung gefteflt. 3)ie aSermengung beiber 93etrac^tungen ^atte fi^
al§ ein immer mieberfel^renber geiler ermiefen. ®ine fiebere unb
miberfpruc^^lofe bogmatifc^e Sic^tfertigung ber Saufe mirb erft
bann möglich fein, wenn biefe unglüdfli^e SSerbinbung bi^parater
Betrachtungen gelöft wirb. 3)ie religion^pfgc^ologifc^e 93eurtei*
lung ^at [tet§ nur inbioibueße ©injclfäße im 9luge, benen i>a^
c^arafteriftifc^e Äennjei^en ber bogmatifc^en Beurteilung, bie aß»
gemeine 93erbinblic^feit unb 9Serpf(ic^tung fe^lt. 2Ba§ auf befon*
bere pfgc^ifc^e ©rregungen Slüdfic^t nimmt, befonbere pfpc^ifc^e
Bcbürfniffe in§ 3luge fa^t, fann nie aßgemein oerbinblic^ fein.
SWan mag eine fol^e (Srflärung afe oerftiegene ©eiftigteit, pla*
tonif(^en (Spiritualismus, 3lbfaß oom bibtifc^en 9leali§mu§, ober
mie man fonft noc^ lüiß, branbmarten. ©c^lagmörter begrünben
feinen 3led)tStiteI, unb mögen fie mit noc^ fo großer Snergie ge*
bilbet unb in bie 5)iStuffion gemorfen merben. ^n§ Unrecht ge*
fe^t werben fie aber burc^ bie bereits nac^geroiefene Satfa^e, bap
eine bogmatifc^e SJermertung religionSpfgc^oIogif^er 3Jlomente fO'
fort bie anerfanntc bogmatif(^e Bebeutung beS SBortS als eines
©nabenmittelS ober bie bogmatifc^e 93ebeutung beS ©taubenS ge=
fä^rbete, in grage fteflte ober überhaupt aufhob. Vestigia terrent;
barum gilt eS rein ju f treiben, bogmatifc^e ©rroägungen nid)t
mit religionSpfpc^ologifc^en ju oerquiden, ben te^teren jmar i^r
aus ber öefc^affenlieit ber inbioibueflen ^^Jfqc^e ^erjuleitenbeS Siecht
JU betaffen, nid^t aber barauS bogmatifc^e Äonfequenjen ju jie^en.
2)aS verbietet fic^ aud) auS bem ®runbe, ba^, mie früher l^eroor»
gehoben mar, bie für bie Saufe in 2tnfpru(^ genommenen 9Wo^
mente ni(i)t eyttufio für fie in Stnfpruc^ genommen werben fonn-
ten, oielme^r auc^ anberen ^eitSbarbietungen, ^eilSerfa^rungen unb
3€ttf(^ntt für X^eologle unb Äir(^e. 15. Sa^rg., 6. $eft. 35
606 @ ^ c c 1 : 5)ic a:auflel^rc in b. tnobemcn pofitio., lut^er. Dogmatil
ScbcnSfü^rungcn jugctüiefcn werben fonnten unb mußten. 9Bac^§*
tum, ©tärfung unb 93crtiefung waren aber überhaupt mä)t oon
ber ©ogmatif ju berüdtftc^tigenbe SRerfmale be§ ®Iauben§. ®ie
bcfonbcren ajlomente alfo, bie man ber 2:aufe meinte retten ju
fönnen, ermeifen fid^ al§ fol^e, bie für bie bogmatifdje ©rörte^
rung ber S^aufe nid)t in S^age fommen.
®in foIc^c§ bogmatifd^ befonbercg 9Werfmal fönntc aber mth
kxä)t bie ©infe^ung burd^ ®^riftu§ fein. 6§ ift bi§^er biefe
grage abfic^ttic^ ganj jurüdtgcfteflt morben; unb c§ foO bie ^ifto^
rif^e 5^age, ob 6^riftu§ bie Saufe eingefe^t ^at, au§ gleich ju
entmidteinben ©rünbcn ^ier überhaupt ni^t erörtert werben. ®aß
fe^r ftarte ^w^^if^t erhoben werben fönnen, wci& jebcr Äunbige.
@§ jeugt ni^t grabe oon ernfter Beteiligung unb SJtitarbcit an
bem f^wierigen ^iftorifc^en Problem, wenn ©aul in feiner Unter-
fud^ung über bie Sinbertaufe erttärt: „2luf bie Sßerbä^tigungen,
bie neuere 2:^eotogen in 93ejug auf bie ©^t^eit ber (Stiftungen 3^efu
au§fpre^en, inbem fie fagen, fo wie bie neuteftamentlic^cn ©c^riften
bie ©atramente in urc^riftlic^em 93rauc^ unb ur^riftti^er ©c^ä^ung
auf jeigen, fönne 3^efu§ fie nid^t eingefe^t ^aben, aud^ auf bie 2ln*
feditung ber e^t^eit, bie ;3efu aniffion^befe^t {iSflt 28, 19) burc^
^arnad erfahren, . . . ge^e id^ ni(^t weiter ein. Jraurig ift eg,
ba& berartige Erörterungen, ,wel^e ba^ S^riftentum entwerten,
unb e§ in eine gefd^ic^t^tofe Slügemeinfrömmigfeit auflöfen woDen',
mit 5tei§ ins; SSolf hineingetragen werben unb bie ®eriugf(^ä^ung
ber ©aframente noc^ weiter oerbreiten unb nod^ größer machen,
aU fie fc^on ift"^). 2)a§ finb 2:öne, bie man oft oernel^men
tann, bereu SDSert aber ni^t baburd^ gefteigert wirb, ba^ fie im-
mer wieberl^olt werben, ^ier nü^en feine 3)eflamationen, unb
wären ftc aud^ noc^ fo gut gemeint, fonbern nur emfte ffiertie*
fung in ba§ Problem felbft. Sann wirb bie ©ic^er^eit, mit bev
man oon „93erbäd)tigungen" fpric^t, oon felbft aufhören unb einer
etwa§ fritifc^eren ©timmung, referoierteren |)altung unb größeren
Stulpe 'ißla^ machen. Slber ^at bie 2)ogmatif SJeranlaffung, biefe
junäd[)ft bem Oebiet ber neuteftamentlic^en gorfc^ung angel)örenbe
5?rage auc^ oon fic^ au§ ju unterfu^en ? Qft bie ®inf e^ung burd)
1) Saul, a. a. D. ©. 15.
@ c^ e e 1 : 5)ie 2:auflc^rc in b. mobemcn poptio., lutl^et. S)oömatif. 607
®^riftu§ bic conditio sine qua non bcr bogmatif^en ©rörtcrung
bcr Saufe?
Mf)kt legt großes @zwx6)t auf bic ©infe^ung ber 2:aufe
bur^ (£^riftu§. @r fü^rt ben ©ebanten au§, ba§ loir un§ lüo^I
ber eigenen SBorte ^efu im Üfl, %. freuen fönnen, aber bo^ nic^t
bem peinü^en S^agen na^ feiner buc^ftäbli^en SHebe nac^jugebeu
^aben. „3)a§ geiftgele^rte ©oangelium über il^n i ft ba§ @oan*
gelium" ^). SSir ^aben taum einen 9Iu§fpruc^ oon i^m roörtUc^;
n)ir fe^en i^n immer mit ben 2lugen ber Seric^tenben. Qf^be
|)anblung mirb un§ in Sluffaffung unb ©rinnerung dritter ge^
malt. 3lnber§ uer^ält e§ fid^ mit ben ©ahamenten. @ine uon
®^ri[tu§ georbnete ©itte ge^t ungemanbelt oon i^m ju un§.
©eine SScrmäc^tniffe ftnb un§ Unterpfanb bafür, ba^ bie ä^^f^gc
be§ ®DangeIium§ bie feine ift^). 3)a§ neuteftam. Sibelmort ift
au§ ber c^ri filieren ©emeinbe; Scfu§ ^at e§ nic^t gefc^rieben.
„9Iber in ben ©aframenten l^ören mir feinen ^mperatio" ^).
2)oc^ meldier bogmatifdje ©eminn ift mit biefer Unterfc^ei»
bung unb ber barau§ refultierenben 53etonung ber ©infe^ung ber
2:aufc burd^ ®^riftu§ gegeben? ®^riftu§ ift na^ Ää^ler un§
gegenmärtig im SBort, unb nur ba^ SBort oermittelt bie ®nabe.
3)arum muffen aud^, roie Ää^lcr burc^füt)rt, bie ©aframente
irgenbmie bie Sttrt be§ 2Bort§ an ftd^ ^aben'*). 9lun märe aber
biefe Uuterfc^eibung, bie Kälter oomimmt, geeignet, bie 3ut)erfid^t
auf ba§ Söort ju trüben. 5)enn e§ ift i^m mertooK ju miffen,
ba^ mir in beit ©aframenten ben ^mperatio ©^rifti oeme^men,
mä^renb ba§ 3Bort fonft un§ nur im Qüngerberic^t entgegentritt.
2)ann mürbe de facto ba^ ©aframent^mort jur oberften ^nftanj
gemad^t unb jur ®eutung§norm für bie fonft un§ überlieferten
Söorte ^t\n erhoben. SGBäre bie§ aber ber gafl, fo mügte man
ftet§ an bie übrigen SBorte mit einem nic^t ganj ju befeitigenben
©efü^t ber Unftc^er^eit l^erantreten. ©ie tonnten, oorau^gefe^t,
ba§ Ää^Ierg ^^artition ri^tig ift, nie mit berfelben ©i^er^eit al§
©nabenmittel jur (Seltung gelangen mie ba^ ©atrament^mort,
fo ba§ auf Umroegen nun aud^ Ää^ler eine Ueberorbnung be§
1) ^tt^Ccr, a. a. D. ©. 65. 2) ©bb.
3) ebb. 6. 67. 4) @bb. @. 49.
36*
508 @ c^ c e 1 : 5)ie 2:aufle^te in b. tnobernen pofitto., lut^er. 5)oömatü.
©atrament§ erteilt ^ättc. Unb c§ mü^tc nun erft grabe ba§
„pcinti^e fragen" nad) bcr buc^ftäblid^cn 9lebc Qz^n cinfc^cn,
alfo bic SScrirrung ber 9Äagbatcna am Oftcrmorgcn roicbcr (Sc*
ftalt gewinnen. 2)a§ würbe aber Ääl|ler§ eigenen Intentionen
ftc^ ni^t einfügen, bie barauf auSgel^en, ben ^iftorijiftifc^en 3lbcr*
glauben ju befämpfen, ba& bie apoftolifc^e Sßerfünbigung un§ ben
©inn Qefu oerbunfle unb man barum na^ ber aut^entifc^ eckten
^rebigt 3[efu forfc^en muffe, um baran bie 3IpofteI ju meffen.
3)iefe ©d^eibung Kä^Ier§ mü^te alfo in einer bogmatifc^en Erör-
terung über bie 2:aufe nic^t blo§ golgeerf^einungen jeitigen, bie
Ää^ler ni(^t lieb ftnb, fonbern auc^ bie bogmatifc^e ®eltung be§
3Bort§ in i^rer unbebingten ©id^erl^eit ungünftig beeinfluffen.
Slber Dorau§gefe§t einmal, ba§ Ää^ler§ ^artition angängig
fei, mürbe fie mirtlic^ leiften, roa§ fte leiften mitl? ®a§ bogma^
tif^ ©ntf^eibenbe am 2:aufbraud^ ift boc^ ba§ Saufmort. Slber
grabe bie§ 2iaufmort begegnet ^infic^tlid^ feiner S^ffung ben
allergrößten ©c^mierigteiten. @§ tauchen ^ter jum minbeften ganj
biefelben ©c^roierigfeiten auf, bie ^äl^ler fonft bei ber 5^age nad^
ber 9Wöglic^feit einer aut^entifc^en SBiebergabe ber SBorte Qefu
^eroor^ebt. 2)aß mir ^ier nic^t mit größerer ©ic^er^eit mie fonft
Dor ein unmittelbare^ unb birette^ 9Bort Qefu geftetlt fmb, baß
aud^ bieg SBort nur in ber Ueberlieferung ber ©emeinbe ober in
bem 93eric^t ber S^ünger un§ gegeben ift, ba^ ift jmeifelloS. 3)a§
barf au(^ ber jugeben, ber bie Sinfe^ung ber Saufe auf ®^riftu§
aurüdfü^rt. ®§ bliebe alfo bloß ber 93raud^ be§ Saufend felbft
jurüdt, ber al§ folc^er feine bogmatif(^e Sebeutung l^at, mie Ääl^*
ler ba§ auc^ eiujuräumen fein Sebenten trägt ; ber 9titu§ gewinnt
erft bur^ ba§ beutenbe SBort feinen ©inn. 3ft bieg beutenbe
äBort aber benfelben Sebingungen unterfteHt, mie bie übrigen
SBorte 3»efu, fo fällt jebe Sßeranlaffung fort, bie 2:auf^anblung
in ber SBeife ^eraugjul^eben, mie eg Kühler in ben jitierten ©teilen
getan ^atte. 2)ann aber mirb bie grage nac^ ber ©infe^ung ber
2:aufe bur^ ®^riftu§ bogmatifd^ glei(^gültig. 3)ie 2:aufe
fte^t je^t nic^t ifoliert ba, fonbern im 3wfo"^wi^^^öng mit ben
übrigen 3leußerungen unb ßunbgebungen Qz\n. ©ie finbet il^r
aSerftänbnig nid^t burd^ ftc^ felbft, fonbern nur im äuf^ni*"^"^
@ ^ c e I : %xz a:aufle^re in b. mobemcn pofltio., lut^et. S)oömatit 609
^ang mit bem ganzen fiebenSiperf ^efu^ xou ba^ \a and) analog
im Hbenbmal^t bcr gaD ift. 3)arau§ ergibt fid^ aber eine grabe
umgete^rte SBertfc^ä^ung al§ mie jte Ää^Icr fennt menn er bie
2:aufe aB ba§ a3crmäd^tni§ ß^rifti betrachtet, ba§ un§ ein Unter*
pfanb bafür ift, ba§ bie 3wfage be§ @oangeUum§ bie feine fei.
S)iefe ©(^ä^ung ifoliert bie SCaufe. 3>ft ober eine fotc^e QfoUe*
rung, mie gejeigt, ni^t mögti^, fo mirb auc^ ber oon Ääl^ler
bem fälfc^Iii^ ifolierten ©aframent jugemiefene 9lormc^arafter ^in*
fäDig. 3)er ^wf^ntmen^ang mit bem ganzen SebenSmerf 3^efu
mirb ba§ entfd)eibenbe 9Jloment. 3)ann aber l^at bie grage, ob
bie Sauf^anblung burc^ 3^efu§ eingefe^t ift ober nic^t, feine bog*
matif^e ©ebeutung. ®enn felbft menn fte nic^t oon il^m einge*
fe^t unb erft eine ©ct)öpfung ber Urc^riftenl^eit märe, mürbe bie
©ogmatit nur bie S^age nac^ bem Qfn^alt be§ ^eiI§mort§ auf*
jumerfen l^aben^). 2)iefer ^n^alt ift aber, mie oon felbft ein*
leud)tet, nic^t baoon abl^ängig, ob ber Sraud^ be§ 2;aufen§ auf
3efu auöbrüdlid^e Slnorbnung jurüdge^t. Äann man baS a;auf*
mort auf eine ©tufe mit bem ©nabenmort Qefu ftellen, fo barf
man bie a:aufe bogmatif^ erörtern, o^ne ber ®infe^ung i>\xx6)
®]^riftu§ befonberiS gebenfen ju muffen. ®a§ ^ei^t aber: bie
5rage nac^ ber ©infe^ung ber 2:aufe burc^ ©liriftuS ift bogma*
tifd^ belanglos. 3)arum braucht aurf) bie ©ogmatif fic^ nii^t mit
bem fomplijierten ^iftorifc^en Problem ju befd^äftigen, ba§ ^ier oor*
liegt, unb mir ^aben feinen 2lnla&, ber ncuteftamtlic^en gorfc^ung
in§ ®et|ege ju tommen^), inSbefonbere bie oon ^eitmüKer ange*
regte ^rage in ben Sreis unferer bogmatifc^en ©rmägungen tierein
JU giel^en^). @ine anbere ^rage ift e§, ob bie ®infet^ung ber
1) Senn e§ fic^ um ba§ 2Bort ®otte8 a(§ ©nabenmittel ^anbclte,
fomtte auc^ Cutter ba§ autoritäre ©i^riftprinjip ignorieren.
2) ®§ mu^ überhaupt eine bogmatif^e Unterfuc^ung über bie ^aufe
mögli^ fein, o^nc ba^ man in ber alten 3öcife einen aufgeführten unb
bo(^ nie jcbcn übcrgcugenbcn @^riftbcn)ci§ liefert. gebenfaUg ^at biefe
5lrbeit e§ oerfu^t, ba§ 3^aufprobIem bogmatifc^ ju erörtern, o^ne eine
umfaffenbc biblifc^-t^eologif^e Unterfud^ung ooranjufc^icfen. ®egcn ben
SBormurf beä „©ubjeftioiämug", mit bem man ja immer f^nell jur $anb
ift, fd^ü^t roo^l ber 2:enor bcr gonjcn 2lugfül)rung.
3) 0. ^obf^üt^ ^at bie ^igfuffton in ben a:^8t^. 1904 eröffnet
5)0^ ogl. ^eitmüCierg «eric^Hgung in Z\)^t^x. 1905.
510 @ c^ c e l : %xz 2:auflc^re in b. mobemcn pofittOv lut^er. ^ogmatü.
Xa\x\z hnxä) ®^riftu§ Sebcutung geminnen fönnte für btc ^^agc
nac^ bcm gemeinf^aftSbUbcnbcn SBcrt ber Saufe, unter welchem
®eft^t§puntt fie and) betrachtet werben burfte, ober für bie reli-
9ion§pfr)(^olo9ifc^en ©rroägungen, bie jtc^ mit ber Siaufe üer^
tnüpften. 3)a§ ift aber eine "^xaqz, bie au^er^alb be§ 3ta^men§
unferer Unterfuc^ung liegt. 9Bir brausen fie roeber ju beant*
Worten noc^ überhaupt bie S^age nad^ ber 2:aufeinfe^ung burc^
®^riftu§ anjufc^neiben. Un§ genügt ooflftänbtg bie ©rfenntni^,
ba§ bie bogmatif^e Erörterung ber Saufe unberührt bleibt oon
bem 6rgebni§ ber Unterfud^ung über bie genannte l^iftorifdie
grage. 2)amit finb aber bie 3WögIi(^feiten erfdiöpft, bie ber
Saufe eine befonbere bogmatif^e Slec^tfertigung unb befonbere
bogmatifd^e aWerfmale jufü^ren tonnten. ®ine Äorrettur ober
©rgänjung ber bereite gebotenen bogmatifd^en Erörterung ber
Saufe wirb nic^t blo^ überflüffig, fte würbe aud) bie bogmatif^e
©ebantenbilbung mit fremben ®efid)t§pun!ten oerquidten unb ba-
burd^ ben bogmatifc^en 93en)ei§gang iOuforif^ machen.
5)a§ ein „reformiertet" aSerftänbni§ ber Saufle^re in einer
bogmatifd^en Erörterung über bie Saufe al§ ©nabenmittel abju*
lehnen fei, mar gejeigt; nur im 9Infc^Iu§ an ben tut^erifdjen
Sgpu§ lie^ fi^ eine befriebigenbe 9Intmort geminnen. S)a§ mujste
tro^ aller Äritif, bie an ber attort^oboyen Saufle^re unb ber po^
fitioen Saufle^re ber ©egcnmart ju üben ift, feftgel^alten werben.
Äönnte nun aber ni^t bie baptiftifd^e ^raji§ bie notmenbige
?5olge unferer Entwidtlungen fein? 9Jlan mu^ fid) ja beffen er*
Innern, ba^ fomo^l bie aItortl)obofe Sl)eorie oom Äinbcrglauben
al§ auc^ bie ebenfalls eine einheitliche fqftematifd^e Erörterung
ermöglic^enbe foteriologifc^e Sottrin aU au^ enblic^ bie 9JebU'
jierung ber Äinbertaufe auf ben @eban!en einer 2lnwartf^aft auf
ba§ ^eit jurüdtjuweifen ift. 3)ie ^rajci^ ber ^aptiften fc^eint
bemna^ bie aBein folgeri^tige Saufpraji^ ju fein, unb bie in
ben oorau§gefct)idtten 3)arbietungen entwirfelte Saufk^re fc^eint
ben Enabengebanfen ber lut^erifd^en S^eotogie umjufto^en. Sluf
beibe Einwänbe wirb man gefaxt fein muffen; aber beiben Ein*
wänben fe^It boc^ ein jurcic^enber SRe^t^grunb.
2ln bem legten Einwanb barf man fc^neU oorübergel^en. Er
4
© c^ c e l : 2)ie a:auflc^tc in b. moberncn pofltuj., lut^er. 2)0ömatif. 511
enthält allcrbingg bcn f^roerftcn Sßoriüurf, bcr einem ^riftli^
frommen SWenfc^en gemacht merben tann, unb infofem mfire e§
mo^I angebracht, länger bei i^m ju oermeilen. Slber ein foId)er
2luf enthalt uerbietet fic^ f^on baburc^, ba§ in ben ®injelbemer-
tungen biefer Unterfui^ung öftere ju biefer S^age ©teDung ge«
nommen werben mugte. 2Benn tro^bem immer mieber man auf
aSormürfe gefaxt fein muj5, bie in ber eben angebeuteten Stiftung
fic^ bemegen, fo jeugt bieS nid^t für bie ©yiftenj eine§ immer
größer merbenben SlbfaUg oom ®runbbe!enntni§ ber SHeformation
in ben Steigen ber eoangelifc^en Jl^eologie, fonbern nur für bie
ftarte 9Wac^t, bie immer noc^ bie t^eologifd^e Formulierung biefe§
©ebanfenö burc^ bie S^eologie einer unter ganj anberen miffen-
fc^aftlid^en unb p^ilofop^if^en Sebingungen fte^enben Qzxt au§^
übt. TOc^t bie ©rö^e be§ 2lbfaa§, fonbern bie 3Jla^t ber t^eo^
logifd^en 2:rabition erfennt man in folgen Sßormürfen. 9tun ^at
man an fic^ jroar feine Sßerantaffung, an fold^en 93orn)ürfen glet^«
gültig oorüberjuge^en ; nid^t blo§ be§roegen, meil weniger Äun*
bige bur^ fotd^e ©inroänbe immer mieber oerroirrt unb in falfd^e
Urteil^ba^nen geleitet merben, fonbern aud) be^megen, meil fie
ba§ un§ allen gemeinfame religiöfe 93efenntni§ jum 3lu§brud
bringen unb in i^rem religiöfen ©el^alt ju einer 9li(^tfd)nur für
bie eigene Slrbeit merben. ^n unferem ßufammen^ang mag aber
biefe gorm ber 93erüdtfic^tigung be§ ©inroanbcS genügen; ba§ er
fac^lic^ ungerecht unb unjutreffenb ift, mu& fxd) au§ ben früheren
Erörterungen ergeben.
®tma§ eingel^enber bagegen l)at man fx6) mit bem erften ©in-
manb ju befc^äftigen. 2)a§ ©efpenft be§ 2lnabapti§mu§ ift immer
mieber in ben coangetifc^cn ßird)en aufgetankt unb immer mieber
l^at bie eoangelifc^e 2)ogmatit c§ ju befc^roören unternommen.
9lun erließt, ba§ bie altort^oboje Jaufletire, menn einmal il^re
^rämiffen ju Siecht beftanben, fel^r mo^l in ber Sage mar, biefe
^Ibmel^r mirhingsifräftig uorjunelimen. 3lber mie liegen bie ®inge
^eute? oorne^mlic^ bann, menn bie in biefer Unterfuc^ung ent*
midelten ©ebanten berechtigt fmb?
3uDürberft barf bie§ betont werben, ba§ ber SSaptiSnm^
!eine§meg§ bogmatifd^ jmingenbe ®rünbe für feine ^raji^ geltenb
512 @ c^ e e l : ^ie ^aufle^re in b. mobemen pofttiov lut^er. ^ogmatit
mai^cn fonn. ©einen autoritären ©c^riftberoei^, ber ju einer
ganj unbegrüubeten 93ud^ftabentne(^t[^aft fü^rt, fann man fclbft-
oerftanblic^ nic^t für überjeugenb galten. ®amit wäre bic ^rayi^
felbft frei(i(^ ni(^t roiberlegt, roenn \\)x auc^ eine ^auptftü^e cnt-
riffen wäre. S)a§ ©ntfc^eibenbe ift oielmcl^r bieg, ha^ ber 93ap'
ti^muS an bemfelben gebier leibet, roie fein l^eftigftcr ®egner, bie
Ort^oboyie. ®a§ flingt parabojc, o^ne jebod^ e§ ju fein. 3)enn
beibe legen bem ©atrament eine befonbere SBertung bei. 93eibe
üben ba§ ©atrament ber Saufe, o^ne einen inneren bogmo*
tifdien 93eroei§ für bie befonbere ©d^ä^ung, bie e§ erfährt,
erbringen ju fönnen; unb beibe ^aben ben 3^Jtpuntt ber Ertei-
lung abl^ängig gemacht oon pf^i^ogenetifd^en (Srmägungen unb
biefe pfgd^ogenetifc^en ©rmägungen nun fad^roibrig ju bogmati«
fc^en geftempelt. 2)a§ bie eigenartige ^raji^ ber 93aptiften noc^
befonbere retigiöfe ©cfa^ren jeitigen fann, ift fo oft ^eroorge*
l^oben, ba§ c§ unnötig ift, e§ ju mieber^olcn. ®arin liegt auc^
nid)t ber ©c^roerpuntt. 2)enn Oefal^ren entfd^eiben fd^lieglic^ nid^t
über baS Stecht ober Unred^t einer ©ac^e. 3)a§ ©ntfc^eibenbe ift
oietmel^r bie falf^e bogmatifd^e grageftellung, bie fic^ barin be==
tunbet, ba§ man in ber S)ogmatit bie grage nac^ bem „9Bann"
ber Jaufe al§ eine bogmatif^e g^age bel^anbelt, roa§ fie nic^t ift.
S)ann aber gewinnt ba§ Problem ber Äinbertaufe eine an*
bere ©cftalt. ®ogmatifd^e Erörterungen fönnen fte nic^t in§ Un=^
rec^t fe^en. ®enn bic ®ogmatif entroidfelt nur bie Sebingungen
be§ 93egriff§, fann aber nic^t unterfudien, mann in ber Empirie
biefe ©cbingungen oorl)anben finb. 9Jlan mürbe alfo bie ©ren^
Jen ber bogmatifc^cn Slrbcit überf c^reiten , menn man au§ i^r
©pejiatregeln für bie firc^li^e SSerfünbigung unb ba§ firc^lid)e
|)anbeln ableiten moHte. SBo^l aber barf man bie§ ^eroor^eben,
ba^ ein oitale^ ^ntereffe befte^t, mögli(^ft balb bie einjelnen bem
Einfluß be§ ®nabenmittel§ ju unterfteHen. E§ oer^ält fid^ mit
ber ßinbertaufe analog mie mit bem fir^lid)en Unterricht unb
ber fir^li^en äBortoerfünbigung. ©o roenig man ^ier bie nie
JU beantmortenbe unb te^tli^ ungebü^rli^e g^^ge ftellt, ob aüe
Sebingungen für ein mirffame§ ^anbeln erfüllt fmb, fo fe^r man
im (Segenteil intereffiert ift, ben c^riftlic^en Unterricht fc^on in
@ c^ e e I : %it ^auflc^re in b. mDbemen poptio., lutl^cr. $)ogmati!. 513
bcn crflen ©tabien bcr ©ntioidtlung beginnen ju laffcn, bcn ©a*
men au^juftreuen, ber nun mit @ottei8 §ilfe unb wann c§ i^m
gefällt, SBurjel fc^tagen foK, fo ^at man auc^ feinen ®runb, bie
^inbertaufe burc^ bie ©rroac^fenentaufe ju erfe^en. @§ mürbe
bann nic^t nur einer fatf^en SBertung beg ©aframentS erft re^t
bie Sür geöffnet^ man mürbe auc^ bie Orunbfä^e, bie bie aüge^
meine aBortuertünbigung leiten, preisgeben. SBann ba§ SBort
ben ©tauben mirft, miffen mir nid^t, braucht bie 2)ogmatif nic^t
JU miffen. 3^r genügt e§ ju fonftatieren, ba§ ba§ SBort ®tau*
ben jeugenbe unb miebergebärenbe Äraft befi^t. ®ann ift bie
Sir^e alö bie oerantmortUc^e Slepräfentantin ber ^eitSgemeinbe
oerpflic^tet, nic^t ju jögcrn mit ber SSertünbigung be§ SBortS,
unb bieg aSerantmortlid^feitögefülil au^ ben einjelnen ©liebem ein»'
juprägen. ®en ©rfolg ermartet fie nic^t oon i^rem ^anbeln,
fonbem oon ber ^raft ®otte§, bem fte bie ©ntfc^eibung über 3cit
unb ©tunbe überlaffen barf. ©ilt aber bie§ für bie SBortoer«
fünbigung im allgemeinen, fo gilt e§ anä) für bie 2:aufe, bie ja
nic^tö anbere§ al§ SSerfünbigung be§ 9Borte§ ift. 2lu§ bogmati*
fd^eu ©rmägungen fann man bemnad^ nic^t©rünbe l^erleiten, bie
bie Kinbertaufe unmöglich machen. SWan mürbe ja oielmel^r ba§
ber 2)ogmatit oorbe^altene ©ebiet Derlaffen, menn man au§ bog«
matif^en ©rünben bie Sinbertaufe betämpfte. Sann aber bie
©ogmatif bie Äinbertaufe nic^t al§ ungebührlich l^infteDcn, fo
madien bie befonberen 9J?omente, bie o^ne bogmatifc^er 9latur ju
fein, mit ber Saufe oer!nüpft maren, bie Stinbertaufe jur ^flic^t.
2)aö bogmatifd^e Urteil über bie Saufe forbert alfo teine^meg§
bie baptiftifc^e ^rajis; ^erau§. 3)ie 2)ogmati! mu§ fi^ jebe^ bi=
re!te Urteil über ba§ Stecht ober Unre^t ber Äinbertaufe uerfagen,
mill fie nic^t i^re Äompetenjen überfc^reiten. 2lllgemeine ©rmä*
gungen ber eben genannten Slrt fprec^en aber gegen bie baptiftifc^e
für bie firc^li^e "ißrafi^.
Slber mü|te nic^t bo^ bie übliche ^rayi§ bie Sinbertaufe ju
einem blo§ jeremoniöfen aitt ftempeln? Unb mü^te man nid)t
ein oöHigeS SSerfagcn be^ Saufmort^ behaupten unb bamit
bie ^Rettung ber Äinber leugnen? ©in jeremoniöfer 2lft fann
bie Saufe nie merben. ®enn bie Saufe ift jugleic^ ein ^eilSmort
514 @ ^ e e ( : 5)ic 2:auflcf)re in b. mobcmcn pofitiov lut^er. ^ogmati!.
an btc Umgebung unb fte^t in bicfem ©inn unter benfelben 93e*
bingungen, wie bie äJertünbigung be§ 3Bort§ überhaupt. Qm
übrigen aber ift ein offenbar unroirffame§, b. i). in pofitiüer 93e*
jte^ung unn)irffante§ ^anbeln auc^ mit ber aügemeineu SEBort«
oertünbigung üerbunben ober oon i^r nic^t au§jufc^Ue§en. ©ine
auf ein einjclne§ ^[nbioibuum abgejielte mirffame ^anblung
aber ju forbern ^aben mir nie ein Stecht. SBir müßten fonft
aud^ für bie SBortoerfünbigung ba§ ©leic^e forbern, ma§ nid)t
gefc^ie^t. SBirb aber bie f^rage nad^ ber ©eligteit ber getauften
unmünbigen Kinber aufgemorfen, fo begreift man ba§ iS^tereffe
an biefer 5^age, ba§ bie J^eorie einer unbebingten ey^ibitioen
SQBirfung grabe be§ 2:auf fatramentö gejeitigt l^at unb im*
mer mieber jeitigt. SMber e§ oer^ält fic^ l^ier boc^ nid^t anber§
al§ mit ber 5^age nad^ ber ©eligteit berer, an bie ba§ 9Bort ber
93crl)ei6ung überhaupt noc^ nid^t ergangen ift. ©o wenig ^ier
emige 9Jerbammni§ t)orau§gefe^t mirb, fo menig ^at man ein
Stecht, biefe Sßorau§fe^ung im ^inblidt auf eine 2:auft^eorie gel=
tenb ju ma^en, bie ein bebingungi^Io^ mirtfame§ ^anbetn ®otte§
al§ eine bogmatifc^ unhaltbare SßorfteHung ablehnt. ®ie aften
3)ogmatifer badeten bcfd^eibener unb au^ ^riftli^er, menn fie ben
Orunbfa^ oerfoc^ten, ba^ nic^t ber defectus, fonbern nur ber
contemptus ber Jaufe fc^äbige. SBerl^ält e§ ftd^ aber mit ben
unmünbigen ^inbern nid)t anber§, al§ mit ben überhaupt nod^
nid^t unter bie SBirtfamteit be§ SDBortg gefommenen SKenfc^en, fo
fällt ganj jebe 33eranlaffung fort, Sauft^eorien ju bilben, bie mit
bem eoangetif(^en SBerftänbni^ ber S^aufe fxä) nic^t oertragen.
®in folc^e§ eoangelifc^eg, genauer eoangelifd^-reformatorifc^e^
93erftänbni^ ber 2:aufe möchte bie in biefer Unterfuc^ung oorge«
tragene 2:t)eorie für fid) beanfpru(^en. ©ie mürbe alfo ben 2ln*
fpruc^ ergeben, minbeften^ fo pofttit) ju fein, mie bie Sauft^eo*
rien ber pofttioen S^eologie. Ob fie freili^ biefen Slnfprui^ mirb
burd^fe^en fönnen, fte^t ba^in. 2)a§ ^ängt oon bem 3Wa§ftab ah,
ber über ben pofitioen ®^aratter entfc^eiben fott. 9Birb bie tra^
bierte JJorm ber Saufle^re jum 3Wa^ftab genommen, bann aller*
bingg mü§te man fic^ bef^eiben unb ru^ig ben 93ormurf be§ dia-
bitati^muö l)inne^men. 3)enn an ber alten S^eorie in it)rer ®e*
@ c^ e e I : %xt Xauflc^re in b. mobemen poptio., lut^er. ©ogmotif . 615
famt^cit gemeffcn, ift bicfe Slicoric rabifal. Slber c§ bürftc bcr
Seiocig crbrad^t fein, ba^ ni^t bIo§ bic alte Jl^coric unfcrcr alt«
protcftantifc^cn 3)ogmatifcr, fonbcm aud^ bic neueren pofitiocn
Saufle^ren — bie, obn)o]^l poptio, boc^ j. 2:. bie alte fie^re rebu-
jiertcn unb i^re ^gperp^gfif^e Unterlage preisgaben — mit ^in^^
berniffcn ju tämpfen liatten, bie unüberroinblid^ roarcn. ^i)xzn
pofitioen S^arafter betätigten biefe 2:^eorien bann barin, ba§ fie
bie eigentliche crux ber alten Sauflel^re, bie ©a!rament§ibee, irgenb*
n)ie tonferüierten unb bie religionSpfgc^oIogifc^e grageftetlung mit
ber bogmatif^en oermengten. 3}on biefem ®efic^t§puntt auS
burfte bie Saufle^re al§ ©yponent ber t^eologiegefc^ic^tlid^en @nt*
roidlung betrad^tet werben. 9Iber e§ gibt no^ anbere SRa^ftäbe
als bie fan!tionierte S^eologie eine§ beftimmten 3citalter§. Ääliler
l^atte ben bogmatif^ aDein möglid)en 9Wa§ftab beutlic^ heraus-
gearbeitet. Segt man aber biefen aWa^ftab jugrunbe, fo bürften
au^ bie 2lu§fü^rungen biefer Unterfud^ung ben 2lnfpruc^ ergeben,
„pofitio" ju fein, ba fie ben allein bogmatif^ möglichen ©runb^
gebauten ber SReformationSt^eologie ^erauS^eben, i^n in einer ben
Stormen beS bogmatifc^en ®en!en§ entfprec^enben SBeife burc^ju*
fül^ren fuc^en unb auc^ bie ©rflärungen Sut^erö im fleinen Kate*
c^iSmuS ni^t in§ Unred^t fe^en. 2Iber fc^Iie&Iic^ ^anbelt e§ ftc^
nid^t um bie im tirc^Iic^en ^arteitampf ber ©egenmart aufgerollte
grage, maS pofttio ift ober liberal unb rabifal, fonbern um bie
grage, maS bogmatifi^ richtig ift. ®a mirb man benn, menn
anberS man feinen ©tanbort in ber reformatorif^en SrfenntniS
nom ©oangelium nehmen tann, unb menn man bie ©igenart beS
bogmatif^en unb fgftematifc^en Urteils fid^ tlar gemacht ^at, in
bie Sal^n geleitet, bie in biefer Unterfui^ung bie 5Wittet jur Kritit
fomo^l mie jur t^etifc^en 2)urc^fü^rung gab. 3)aS bogmatif^
SRid^tige mirb fi^ bann non felbft al§ baS „^ofitioe" lierouSftetlen.
516
®in SBort ber SSerföl^nung unb jur SJcrföl^nung in bcn
augcnblidtli^en Stampfen.
fßon
^Qftor asSeflertnann
in @nmerfinn bei (Emben.
9ltd)t neue ©rgebniffc ju förbcm bienen bie folgenbcn 2lu§=
fü^rungcn, aSielmc^r bienen fte baju eine geroiffe JftüdEfc^au ju
i)Qlten, eine ©elbftbefmnung auf (Srunb gefunbener ©rgebniffe.
©oroeit fic^ auf biefem ©ebietc oon ©rgebniffen reben lä^t. 3)enn
auc^ rüdfic^tUc^ i^rer ^aben roit mit bem 2lpoftet ^aulu^ ju be^
tennen: nid^t ba§ ic^'§ fc^on ergriffen f)abz ober fd^on ooDfommen
fei; ic^ jage i^m aber nac^, ob iäf^ and) ergreifen möi^te, nad)^
bem ic^ Don ©^rifto 3icfu ergriffen bin. 2Bir ftnb auc^ in biefer
^inftc^t nid)t am Qkl, auf bem SBeg jum QkU jtnb mir erft.
®er fiebenbige ift nie fertig, fertig ift nur ber Sote. SBir fe^en
je^t bur^ einen (Spiegel in einem bunfeln SQBort. ©inen abge*
f^Ioffenen ©tanb mit ber Qnf(^rift: ^ier ge^t'g ni^t meiter,
gibt'§ nic^t unb tann'§ unb barf § ni^t geben, 2)er SBiffenf^aft^
aud^ ber religiöfen SBiffenfd^aft ein ®nbe fe^en l^ei^t ben menfc^*
lid)en ®eift jum ©tiöftanb oerurteilen. Unb ©tittftanb ift SRüd^
fc^ritt.
2)a§ liegt auc^ nid^t im ^[ntereffe ber ©ac^e felbft. ©oll bie
SReligion eine mirtlic^ mirffame üRad)t fein, fo mu^ fie nötig fein,
b. \). menn au^ nic^t au§ ben S^itoer^ältniffen l^erauSgema^fen,
aBeftermann: aBa§ ift ung ScfuS? 517
fo boc^ auf btc fragen ber jeweiligen ^^it Slntroort gebcnb. @ine
Meltgion, bie mit i^rer 3^'* ^i^ 93erü^rung oerltert, mu§ not«
roenbigerroeife i^re Sebeutung unb Äroft juglcid^ oerlicren. S)a
nun aber bie 3^i*o^^^äl^"iffc i"^ 5^w& f^^i^/ f^"^ ^i^ SHeligion
ebenforoenig einen ein für allemal abgefc^loffenen ©tanbpunft ein*
nehmen. Sluf i^re eigenen Äoften mürbe fie ba^ tun. ©ic mürbe
fic^ felber töten. Sie mürbe jule^t ju einer 9tuine oergangener
^a^rtiunbcrte, o^ne in i^re 3cit ^ineinjupaffen : SRuinen bemun»
bert man mo^l, bemo^nt fte aber nic^t me^r. (5§ mu§ ein gort*
f^reiten, mie auf allen ©ebieten, fo auc^ auf biefem ®e6iet, auf
bem ©ebiet ber 9teligion geben.
2)a§ e§ ba o^ne Äampf nic^t abgelit, ift felbftoerftänbtid^.
Sßor allem in unfrer 3^'* if* ^^ entbrannt, ^od^ ge^en jurjeit
bie aBeDen. 2ln unb für fid) ift ba§ tein ©c^abe unb lein 9tac^*
teil. aSäenigftenö nic^t notmenbigermeife. ®§ mag ja fein, ba§ bie
3erfplitterung in bie oerfd)iebencn Stiftungen eine gemiffe ©c^mäc^e
unb O^nmac^t im ©efolge l|at, jum minbeften feinen befonber^
imponierenben @inbrud mac^t. 3)a fte^t bie fat^olifc^e Sird^c in
i^rer inneren ©efd^loffen^eit unb Slbgefc^loffen^eit ganj anber§
ba — aber auf Soften be§ inneren Seben§ unb ber inneren Jrei-
^eit. 2)er Äat^olif beugt fic^ im letzten ©runbe oor ber Sluto^
rität ber Kirche: Roma locuta, causa finita. Söir ^^Jroteftanten
erfennen nur eine SMutorität an: bie SBa^r^eit. ®in Äampf um
bie äBa^rlieit ift e§, ber augenblidtlic^ geWmpft mirb. SBenig*
ften§ im ©inn unb na^ bem Sinn ber Stampfer. 3)er SBa^r^eit
miU man nä^er tommen. 2)ie SBa^r^eit miß man ergrünben.
Um bie ift ber Äampf entbrannt. Unb ba§ ift an fic^ fein ©c^abe.
Sampf ift Seben. Kampf üerrät Seben. Äampf förbert auc^ ba§
Seben. SDBenn man feine ^Option ju oerteibigen l^at, lernt man
bie ©c^mad)en unb ungebecften ©teilen berfelben erfennen. 3Wan
baut feine ©teDung au§. 3Wan mirb ftc^ flarer. 3)er Kampf al^
fol(^er ift nie ein beflagen^merter 3^ftönt>. ®^ forbert jur Sln^
fpannung ber nor^anbenen Kräfte auf, bie ben Kämpfer felbft am
mciften förbert. 3lur auf bem 333ege be§ Kampfe^ merben bie
©c^ä^e gehoben, bie im tiefen ,3nnern be§ ®^riftentum§ ru^en.
SJian mag nun über bie augenblicflic^en ©egenfä^e benfen mie man
518 2öcftcrmann: SBa§ ift un§ 3[efu§?
Tüxü, ba§ ift nid)t ju leugnen : roir l^abcn roieber gelernt, ba§ bie
ererbte SBalir^eit roiH erworben fein, um befeffen ju werben,
©elernt ^aben wir, ba^ bie SBol^r^eit tein ein für allemal fertiget
®ing ift, baö man oon frül^eren 3«it^« übernehmen !önnte; ba^
oielmc^r jeber für ftc^ augjumacben ^at, mag SBal^rl^eit ift, ^aben
mir gelernt. SBir ftnb auf bem 9Beg jur SQBa^r^eit. S)ie SEBa^r*
tieit fuc^en mir. 3Bie roirb boc^ gearbeitet in unferer Qzxtl SQBie
Diele Äräfte finb ba tätig! 9Irbeiten unb Slufgaben ^aben ftd^
un§ aufgetan. 2ln unb für fxd) ift ber Kampf !ein ©c^abe, fein
©d^abe für ba§ S^riftentum felbft.
2lud^ fein ©c^abe für bie ©emeinben. 2)ie merben ja mo^l
bebauert in unferer Qtxt öebauert mirb, ba^ aixfi) in fte bie
Uneinigfeit hineingetragen mirb. Sie foDen in i^rem ®lauben§^
ftanb erfc^üttert merben. ®erabe bie neueren 93erfud^e, auc^ bie
©emeinben mit ben ©rgebniffen ber neueren gorfc^ung befannt
ju machen, mie pe j. ^. in ben religionSgef^ic^tlid^en SBolfS«
büc^ern oorliegen, merben üon gemiffen ©eiten unb in gemiffen
Greifen fc^arf oerurteilt. Sie miH man auf bie t^eologif(^en
Greife befc^ränfen, be^anbelt fet)en unb miffen nur in tl^eologi*
fc^en 3^itf<^^if^^^- Slber ni(^t üor ber ©emeinbe. S)ie foll oer*
fc^ont bleiben.
©ine gemiffe Berechtigung bürfte bem ni^t abjufpre^en fein.
3)a§ bürfte bod^ ni^t üergeffen merben, ba^ bie ©emeinbe nic^t
mit ^gpotl^efen beunrul^igt merben barf. äJergcffen merben bürfte
\)o6) nid)t, ba^ manc^eg, ma§ al§ fic^ere^ @rgebni§ ausgegeben
mirb, lebiglic^ mel^r ober minber begrünbete ^gpotl^efe ift. ^an^
c^c§, roa^ al§ enbgültig ausgemacht l^ingefteHt mirb, ift noc^ im
gtu^. ©ine gemiffe SBorfic^t alfo nic^t oergeff en ! ©in Unterfc^ieb
mu^ gemad^t merben, oor mem man rebet. ©§ fann auc^ ju
meit gegangen merben.
3u meit gegangen merben fann aber nic^t minber auf ber
anberen ©eite. ^d^ meine, menn fünftlic^ ben ©emeinben bie ©e*
genfä^e oorentl^alten merben. 3)a^ ©egenfä^e ba fmb, miffen pe.
Unb menn fie i^nen oon benen, bie i^re berufenen 93ertreter fmb,
ni(^t gefagt merben, fo fic^ertic^ oon anberer ©eite. Ob ba§
aber bann immer jum guten auSfc^lägt, bürfte fc^r fraglich fein.
aSeftctmann: 2Ba§ ift un§ ^cfuS? 519
2)ic (Segcnfä^c werben häufig übertrieben. 2Iuc^ bie SBcrböditi^
gungcn, bie laut ober ftiüfc^roeigenb gegen bie ©eiftlic^en erhoben
werben, al§ ob fie nic^t§ me^r glaubten, oielme^r nur auf 53efe^(
fo rebeten, roie fie reben, l^aben größtenteils barin i^ren ®runb.
3Wan !ann al§ ©eiftli^er furchtbar unter benfelben leiben. ®ö
tonnen einem baburc^ g^njiffe ^Arbeitsgebiete, geroiffe Greife ge-
rabeju üerf^Ioffen werben. ®ie ©emeinbe ^at ein Sted^t barauf
üon ben Srgebniffen ber neueren 5<^^Ww"9 i^ ^ören. 5)a ju
fagen: nubicula est, transibit, ge^t m6)t an. 3)amit ift ber
©emeinbe nic^t gebient. S)ie Jatfa^e lä&t fid^ nic^t auS ber
äBelt bringen, ba§ ein großer Seit unfereS SßoIteS bem ©Triften*
tum entfrembet ift. ®ar mandje SSer^ältniffe mögen baju beige«
tragen l^aben. 9lic^t jum minbeften aber bie f^orm, in ber i^m
baS ß^riftentum na^c gebradjt ift. @S tiafft eine Äluft. SReben
mir nic^t immer oon ber ^erjenS^ärtigfeit unb Oottlofigteit ber
9Jlenfc^en, um biefen 3wftanb ju er!lären. Sttrbeiten mir oiel*
me^r, bie Kluft, bie nun einmal befte^t, ju überbrüdten. 93ringen
mir unferen 3^it9^*^<^ff^" ^^S ©^riftentum mieber na^e burc^ ben
ÜlacbmeiS be§ Unterfd^iebeS jmifc^en gorm unb Qn^alt, burc^ ben
9tac^meiS, baß bie gorm jeitlicb, ber :3n]^alt aber emig ift, burd^
ben yiaäjvoti^, baß, mögen auc^ gemiffe formen faDen, bo^ aud)
fo baS S^riftentum ewigen ©e^alt unb Qnl^alt behält, @§ wirb
woI)l oon fog. ort^obojer (Seite geltenb gemalt, baß bie SiebeS*
tätig!eit ein "ißrobuft be§ „alten" ©laubenS fei. @ie üerlangt
wot)t oon ber anberen Seite, ftc^ aud^ erft in biefer SBeife auS^
guweifen. O^ne auf biefe gragefteüung nä^er einjuge^en, b. l).
auf bie S^age, ob bie SiebeStätigteit wirflic^ ein ^robu!t ber
Ort^obofie ift: wenn nun mal auf bie @r folge eingegangen wirb,
gefragt wirb nac^ ben Srfolgen, fo fönnte biefe gragefteUung boc^
auc^ für bie, bie fo operieren, fe^r gefä^rlic^ werben. Unter
weffen Seitung ift bie ©ntfrembung eingetreten, wie fie augen^
blidtlid) befte^t? SBem l^aben wir'S ju üerbanten, baß, ®ott fei
3)ant, in ben legten 3>Q^^cn wieber eine SÖanblung jum 33efferen
eingetreten ift? ®S ge^t in ben legten ^^^ren wieber ein 3wg
}um ©wigen burd^ unfere 3^^^- Ob's bloß jufäHig ift, ha^ bieS
mit ber Sntwidflung ber neueren ä^^eologie jufammenfäUt ?
520 ^eftetmann: ^ag ift und ^efug?
SBicIen ift boc^ ba§ S^riftcntum roiebcr na^egcbra(^t. ®ic ®e«
meinbcn bürftcn bei bem Sampf nic^t ocrloren, fonbern gewonnen
^abcn.
S)cr 9]Qc^teiI ^at fic^ crft im ©cfolgc bc§ Kampfes cingc-
ftcflt. SDBir [teilen in berOefa^r, über bie SBcrfc^ieben^eiten, bie
un^ trennen, ba§ ©emeinfame, bo^ unö ocrbinbet, ju ocrgcffen.
3ln ber ©cfa^r fte^en roir, ba§ ba§ gemeinfame 33anb jerriffen
n)irb. Unb oon ^ier an^ erroäc^ft aüerbingS eine gro^e ®efa^r.
2tuc^ für bie ©emeinben. 5Ri^t nur ba§ fie manche Slrbeiter ocr*
liert. Unb jmar nic^t bie fcl)lecl)teftcn. ©erobe in ber legten
3eit me^rt ft^ bie Qa\)l berienigen, bie fic^ au§ bem 2lmt jurüd*
jie^en. 33or allem unter bem jungen 5iac^n)u^§. Sie glauben
bei i^rer (SteKung nic^t me^r im ©egen mirfen ju fönnen. SDBirb
boc^ bie Slrbeit man^er ©eiftlic^er geftört, menn nid^t gerabcju
lahmgelegt bur^ bie SBerleumbungen unb Söerbö^tigungen, bie
üon ber einen ober anberen Seite erhoben merben. SBie fc^aKen
bie boc^ hinüber unb herüber. SBie mirb ba gerebet oon einer
grunbftürjenben S^eologie, bie bie gunbamente erfc^üttere. 2öie
mirb ba bie Staatsgewalt gar angerufen, bem oermeintlid^en
grcoel ©in^alt ju tun. Qa, e§ fe^lt nic^t an Stimmen, bie oon
ben ber mobernen SRic^tung 3ln^angenben gerabeju oerlangt, fid)
Don ber Kirche ju fc^eiben unb eine eigene firc^lid^e ©emeinfc^aft
jU grünben. ©§ ift ju befürd^ten, ba§ e§ f^Iiegli^ noc^ jur
Stuffünbigung ber tiri^lic^en ©cmeinfd^aft feiten§ ber oerfc^iebenen
t^eologif^en SRic^tungen tommt. Unb ba§ märe, menn au^ fein
9tuin be§ S^riftentumS — eine ©in^eit auf Äoften ber 9Ba^r^eit
unb grei^eit märe ju teuer crtauft — , aber bod^ eine furchtbare
Sc^roäc^ung be§ '^^5roteftanti§mu§. ©§ märe auf§ tieffte ju bc*
tiagen. 3)a mal einer 93erftänbigung ober menigften§ Annäherung
unb gegenfeitigen 2lnertcnnung t>a^ Söort au reben, ju reben ein
SBort ber 3?erfö^nung unb jur aSerföt)nung bürfte ebenfo bere^*
tigt mie notroenbig fein.
@§ liegt mir babei oöttig fern, bie beftel^enben ©egenfä^e ju
Dermifd)en. 3)ie fmb ba unb laffen ftc^ nic^t auS ber SBelt
bringen, darüber ^inmeg ju reben ober ^inmeg ju täufd)en, fic^
unb anbere, bürfte nid)t bem g^i^i^^" bienen. 3)ie SBerfd^ieben^
SBeflcrmann: SBag tft un§ ^cfuS? 621
Reiten unb SBerf^icbenartigfcitcn laffen ftc^ nid&t leugnen. 3lber
@in§ ^aben unb wollen bie oerfd^iebenen SRic^tungen gemcinfam
^aben. 2)a§ perfönlicl)e ©^riftentum. Unb baS ifi ba§ SBetrübenbe
in unferer Qzit, baj3 bie§ fo l^öufig bcm ©egner oon bem ©egner
abgefproc^en wirb. SEBir fönnen e§ nidjt oerl^el^len, ba§ biefer
geiler vox allem oon ber ort^obojen ©eite gemalt wirb. SBir
wollen eS i^r gar md)t beftreiten, ba§ fte in gutem ©lauben il^re
^Option oerteibigt. 93eftreiten wollen mir eS i^r m6)t, ba§ fie
e§ e^rlid^ unb aufricl)tig meint, meint bamit bem ^erm einen
®ienft ju tun. Safe aber fein ©ifern um ben ^errn mit Un»
oerftanb barau§ werbe! Äeine Sinjweiflung be§ inneren ©Triften»
tumS foH ba§ fein. SSon ber fmb wir weit entfernt. 2lber bann
foUte unb mü^te fie bod) ju berfclben Slncrtennung auf ber an*
beren ©eite fic^ entfi^Iie&en unb entfc^lic^en fönnen. aWan mag
nun über bie neuere gorfcl)ung benfen, wie man will: ber ^ox^
wurf ber grioolität unb fiuft 2tlte§ ju ftürjen, um i^r eigenes
JßJerf an bie ©teile beSfelben ju fe^en, bürfte bod^ unberechtigt
fein. ®§ ge^t ein großer ©ruft l^inburd). 2)er @rnft : i^ glaube,
barum rebe x6); xd) mug. Sßer tann unb barf ba baiS ©Triften«
tum, ba§ perfönlic^e S^riftentum abfprec^en? 2)ie8 tonnte unb
mü^te ben gemeinfamen SBoben abgeben, oon bem aug eine 93er*
ftänbigung möglid) wäre. &^ f)at baS ^errmann in feinem „SSer*
fe^r beS ©Triften mit @ott" fc^on oor Qa^rcn betont. 9li^t§,
roa^ l^ärter ift, al§ jene SIburteilung. 9lid^t nur, bag bamit bem
(Jf^riftentum wal^r^aftig ni^t gebient wirb, gebient wirb nur ben
unc^riftlic^en unb au^erc^riftlid)en Äreifen: bie Siebloftgfeit, bie
babei mit unterläuft, ift unb fann bod) nie im ©inne ^efu fein.
Q6) wci^ wo^l, roa^ barauf entgegnet wirb. (Entgegnet wirb
barauf, ba§ eben ba§ fein ©^riftentum mel^r ift, ba§ oon ber
mobcrnen 9ticl)tung al§ (S^riftentum ausgegeben wirb. ®arauf
wirb entgegnet, ba^ bie begriffe unb Slnfd^auungen [fallen unb
gefallen finb, bie für baS ecl)te, wal^re ß^riftentum fonftituie*
rcnb fmb.
aSir wollen wicber nid^t oern)ifcl)en unb oer^el^len. Sin
groger Äomptey oon 93egriffen unb Slnfd^auungen ift gefallen.
®ine ganje Steige oon ©ä^en ift gefallen. Unb wa^ feine Äraft,
3rttfc^nft für X^eologle unb Äirc^e. 15. Sa^rg., «. $eft. 86
522 aBcftermann: ®a8 ift un3 3efug?
feine 93cbeutung für ©lauben unb Seben oerliert — c§ mag noc^
roeitet gcfdileppt werben fönnen, aber aflmä^Iid^ ge^t eS unter, e§
oerfi^roinbct. 9lur roaS (ebt unb ficbcn gibt, bleibt. ®anje
Steigen Don @ä^en ^aben i^re ^raft oertoren. ^urj auSgebrüdtt:
bie (Sä^e über ^^nS. ®a finb gar mand)t, bie un§ — man
mag e§ nun bebauern ober ni^t — nxd)t mel^r intereffieren.
SBenigftenö fielen fie nid)t für ung in erfter Sinie. 2)ie @nt^
fte^ung 3efu mit all ben S^agen, bie fic^ baran fnüpfen, mit ben
gragen ber ©ott^eit unb Srinität; bie objcftioe SSerfö^nung mit
ber Opfer? unb ©teHoertretungSt^eorie ; bie ganje JReil^e ber fog.
^eilStatfad^en. 3urüdgetreten ift ba§ „über ;3efug". ®a§ ift
nun einmal Satfa^e. üJlag'S einen ®runb ^aben, ben e§ roiH
— ob l^iftorifd^ berechtigt ober unberechtigt, moÜen mir ^ier ni^t
unterfud^en. greilicl) fo fcft ftel^en bie fünfte nii^t, wie fie l^äufig
ausgegeben werben. @§ ift ba manches bunfel. Um nur @in§ l^er*
auSjune^men, tfxt rounberbare ©eburt ;3efu: ob bie ©oangelicn,
menigftenS bie ©gnoptifer mit berfelben rechnen, bürfte minbe*
ftenS fraglicl) fein. üJlf. 3, 21. 31 ff. lägt fc^mertic^ eine anbere
(grflärung ju. Unb baj3 ber ©laube burc^ Slufgabe jener ^ofi^
tion nichts oerliert, jeigt am beften ber Slpoftel ^aulu§, ber nid^t
bamit rei^nct. ®in anbereS 93cifpiel — bie objcftioe SBerfö^nung:
bei ^t^n^ felbft finben mir biefelbe nicl)t. 3)ic gro^e ©ünberin
^at aSergebung o^ne berartigc Vermittlung; bie ©efc^ic^te oom
oerlorenen ©o^n, barm^erjigen Samariter, 3öfl"^i^ wnb ^^ari^^
fäer fc^lic^en biefelbe nid^t minber auS. Qm 2lugeftd)t ber ^anb^^
lungSmeife Qefu felbft galten berartige ^Optionen nic^t ftanb. 2)oc^
baS nur nebenbei. 3Wag'§ einen ©runb ^aben, ben e§ miH: fie
ftnb unferem ©mpfinben entfd)n)unben, entfc^munben bem ©mpfin*
ben unferer 3^^*- Unfere Q^xt mag ja oieleiS mieber lernen ; bag
fie aber fic^ jemals mieber für jene 5wgen, um bie früt)ere Qaf)x*
^unberte fo ^art unb ^eij3 geftritten ^aben, begeiftern tonnte, ift
nic^t anjune^men. @§ ift anberS geworben. 2)ie 2)ogmatif ^at
i^re 3ugfraft oerloren. 3)a§ 3)ogma über ^efu§ — turj auS-
gebrüdt — ift jurüdgetreten.
2lber Qcfu§ felbft ift babei nid^t untergegangen, ^m ©egen*
teil. Qt\\x^ felbft ift geblieben, ja um fo me^r l^erporgetreten.
SQeftermann: SaS ift uttS SefuS? 523
308ic nod^ nie in unfcrcr ^^xt ©o wie in unfercr ß^it ^^^t nod^
rool^I fein ;3a^t^unbcrt fxä) mit O^fuS befd^äftigt. ©o intcnfto.
©0 cingc^cnb. 2)a§ ©ogma oon unb über ;3cfuö ift jurüdgc*
treten. 2lber e§ ift, al§ ob bie 5^age nad) bem gaÜen ber (£r*
tlärungen unb 2)cutungen früherer 3^it^" *iwr um fo brcnnenber
geworben märe, bie grage: wer voax benn nun eigentlii^ biefer
3[cfu§ oon Stajaret^? mag ^at er gerooHt? roaS ^at biefer SWann
gemottt mit feinen SBorten unb feinen 2:atcn unb fd^lieglid^ noc^
mit feinem rounberbaren Sterben? 2H§ ob unfere 3^it "wn erft
red^t barauf 2lntn)ort l^aben mü^te. 3)a erfd)einen bie 93ü^er
mit bem einfachen unb boc^ f o wuchtigen Sitel : QefuS. Unb md)t
nur, ba^ bie i^re SBerfaffer finben unb gefunben ^aben, bie finben
unb ^aben auc^ i^re Sefer gefunben. Sticht ein Sebcn ^t\n, ha§
un§ ^ier oorgefü^rt wirb — bie SSerfuc^e ftnb mo^l enbgültig ab-
getan. 2Iber oorgefül^rt mirb unS ba biefer aWann oon 9tajaret^
in feiner ganjen @infa(^^eit unb ©röfee, in feiner ganjen SWilbe
unb SBud^t, in feinem ganjen ®rnft unb feiner ganjen greunblic^«
feit. SBorgefül^rt mirb unS ba ba§ innere Seben biefeö SRanneS,
fo ^immell^oc^ ba§ unferige überragenb unb boc^ and) mieber fo
ju bem unferigen fi(^ ^ernieberlaffenb unb ba§ unferige roedenb.
®g ift rü^renb mit anjufe^en, mie fid^ bie ©eifter unb ©eeten
mü^en, biefen inneren ^em, ben Kern biefe§ inneren Sebenö ju
erf äffen: feine SBSorte unb Saaten bie genfter, burc^ bie mir in
ba§ innere Qfefu flauen unb ju flauen fuc^en, wie ftd) 9tau*
mann au^brüdt. ;3efu§ ift mieber lebenbig gemorben. SBieber
auf bem ^lan ift 3>«fu§. S^f^^ leuchtet burd^ bie ^lO^^^^unberte
unb Siöl^rtaufenbe l^inbur^. Unb 2:aufenbe unb Slbertaufenbe
jic^t biefer 3iefu§ in feinen SBann. ®r lägt fie nic^t mieber to§.
®r tut eg il^nen an. @r nimmt unb ^ält fie gefangen. SWan
mag über bie neuere gorfc^ung benfen, roie man miU: fie ^at
ung 3i^fu§ mieber oerfte^en gelehrt ober oielmcl^r fie leiert ung
Qefug mieber immer metir oerfte^en. SBicber na^e gebracl)t l^at
fie un§ ben SWann au§ ^lajaretl^, ben SWann mieber lieb unb
mert unb ^oc^ unb grog gemacht f)at fie ung. 9iicl)t ben -3^fw§
ber aSergangenl^cit, ben ®ottmenfc^cn nxd)t ©onbern biefen 3efu§
oon iJtajaret^ o^ne ade füllen, bie Siebe, 2Inbetung ober Unoer^»
36*
524 SBeftexmann: SBa8 xft unS ScfuS?
ftanb früherer 3^it^^ i^"^ umgelegt: ber tommt, ber ift loieber
ha ju fud^cn unb feiig ju mad^en, roaS oerloren ift.
Slber ift ba§ nod^ ©l^riftentum? ift babei S^riftentum no^
möglich? 3)a§ ift bic grage. 3)ie wirb oon ber ©egenfeite t)er^
neint.
greilic^ fprec^e fie nic^t t>on einem 93ruc^ mit bem ®Iauben
ber 93ibel, ber Sßäter, ber ^Reformation. Um ein ungeteiltes unb
unteilbare^ ®anje ^anble e§ fic^ ^ier, fage fie nic^t. 2)amit
mürbe fie fic^ felbft ben 33oben unter ben gü&en roeggraben.
Senn bagegen ift bod^ root)l bie ©egenfrage erlaubt: mer ^at noc^
ben DoHen ©lauben, ben ©tauben in allen feinen ©injcl^eiten ?
mer ^at noc^ ba§ ooHe Söeltbilb ber ©d&rift? mer nod^ ben ©lau«
ben an bie 9tä^e ber ^arufie ? ©age man ni^t, ba§ feien fünfte,
bie an ber ^eripl^erie lägen, gür bie bamalige Qext ftc^er nic^t.
3)a§ bilbet einen mefentlic^en SBeftanbteil i^re§ ©laubenS. SBenn
man nun einmal ben oollen ©lauben l^aben mill, menn man jjebe
Slbroeic^ung ober SRobifijierung mit bem Slnat^ema belegt, bann
roenbe man bie§ aud) erft einmal auf unb gegen fic^ felber an.
3Bo^l teiner me^r, ber in allen fünften auf bem früheren ©tanb*
punft ftel^t. 308ir ^aben unterfc^eiben gelernt unb muffen unter*=
fc^eiben jmifd^en ©lauben unb ©lauben§gebanten. ^inft^tlic^ ber
le^teren l^at fid^ eine Slenberung, eine Söeitcrentmidtlung oolljogen.
SBie auf allen ©ebieten, fo aud^ ^ier. Unb e§ märe traurig,
menn baS nid)t ber ^aü märe. SRit biefem ©runb ift bat)er nic^t
JU operieren, bie oermeintlic^e Unc^riftlid^feit ber neueren Sl^eo^'
logie ju bemeifen.
Sluc^ nic^t mit bem anberen ©runbe, ba§ baburc^ eine gro^e
aSereinfac^ung, eine SBefeitigung gro&er Steile ber ^rifilic^en ober
oielme^r oermeintli^ d&riftlid^en Se^re oerbunben ift. @§ ift ba§
in SBirtli^feit ber %aü. 2)ie 3)ogmatifen oerlieren an 3)ide unb
Umfang. 2lber meit entfernt gegen bie neuere gorfd^ung ju
fprec^en fprid^t ba§ gerabe für fie. ®§ ift ba§ ein ©ebanfe, ben
^arnad mit Sted^t geltenb mac^t. ^f^be SReformation, jebe 6r*
neuerung ift mit einer aSercinfad^ung, 93ef^ränfung oerbunben.
Sie ift in erfter Sinic fritifc^e Stebuttion. @§ ift baS bei ^efu§
ber %aU: m6)t baS ift ba§ a3emegenbc, roa§ er 9leue§ oerf ünbigt ;
SBeftetmann: 2BaS ift imS SefuS? 525
oielmc^r, ba§ er fo mand^cS 2lltc unb Ucbcriicfcrtc rocgfaHcn Id^t.
Stcl^men wir j. 93. bie SBcrgprcbigt: loaS ift ba8 9lcue? SRic^t
roaS 3»cfu^ foö*- 2)a§ ober rocnigftcn^ baS mciftc finbct [\6) avLÖ)
bei ben JRabbinern. 2)arin ift ben ;übifd^en ©elel^rten Döttig rec^t
ju geben, roenn pe behaupten: 3»^fuS l^at nichts SIeueS gebracht,
^ber er ^at Dielet, mag bamal^ a(§ Zeitig galt, geftric^en. 3)ag
ift baS 9teue bei 3t^fu§: oieleS, voa^ bie ^^arifäer unb ©c^rift*
geleierten fagen, fagt er nic^t. @r rebujiert. @r ^ebt baS SBSefen
^erüor unb Iä§t ba§ Stebenfäd^lic^e Stebenfäd^ü^eg fein. 2)aS
^atte Dörfer bag JßJefen nur ju fel^r übcrroud^ert. ®r befc^neibet
bie Derroitberte ^ftanje, bie in ber ©efa^r fte^t, in roilbe ©c^ö§*
linge i^re Äraft ju oerlieren. Stid^t ntinber ift e§ ber gaH bei
unb in ber Steformation. SOSeld^ eine 93ef(^ränlung! (£§ ift nun
einmal ein Slaturgefe^: im Saufe ber 3^it ^urd^ 2lnpaffung an
bie aSer^ältniffe wirb manches in bie SReligion aufgenommen, ma§
nic^t JU x\)x gel^ört. ©ie fd)iegt 9tebentriebe. Steu^erlid^ f^einen
fie JU bem e^ten Stamm ju gehören. 2lfö ju bem ecl)ten ©tamm
ge^örenb merben fie l^ingefteHt — notgcbrungen mirb ba§ 9teuc
unter ben ©d^u^ ber 9teligion gefteQt. SBenn ber ©tamm nic^t
nerroilbern foH, mu§ non 3^it ju Qtxt ber Sfteformator tommen,
ber il^n Don aBen SJlebentrieben reinigt. 2)er mu§ rebujieren.
Sllfo ba§ ift nic^t au§fc^laggebenb. SSielme^r lönnte baiS gerabe
für bie ^Berechtigung ber neueren SRic^tung fprec^en. Ueber baS
©l^riflentum, ba§ perfönlid^c S^riftentum entfc^eibet nid^t ba§ aWe^r
ober 9Minber beS @laubenin^alt§. (gntfd^eibenb ift ba bie ©tel*
lung JU Qefu. Ob ^[efu^ im 3Rittelpun!t fte^t unb bleibt. Ob
3>efu§ ift unb bleibt bag 3^*it^wm. SWögen ba bie einzelnen
(Slauben^gebanfen auc^ noc^ fo oer!et)rt fein. ^6) l^alte
bie ort^oboye Siid^tung mit i^rer Se^rmeife p ®ott ju tommen
für falfd^, glaube fogar, ha^ fie birett bie ajlenfcl)en ^inbert, ben
redeten SBeg ju finben. 2lbcr bie SBertreter ortliobojer 9licl)tung
l^alte i^ für ©Triften. 3l\d)t i^re J^eologie ^at fie ju ©Triften
gemacht. 3^ ©Triften geworben finb fie auf ganj anberem SQäege.
3)a§ perfönlid)c ©^riftentum ^angt an ber Stellung ju ;3efu.
gür men Qefu§ unb jmar ber gefc^ic^tlic^e QefuS aufhört 9Wittel*
puntt JU fein für ©laubcn unb Seben, ber ift fein S^rift mel^r.
526 ffieftermann: SBaS ift uitjg 3cfu3?
So lange ic^ mi^ aber an 3>^fum tiammere, burd^ ^f^fwi« n^i^
leiten unb beftimmen (äffe, ^at feiner baS JRe^t, mein inneres
S^riftentum anjujroeifeln.
Unb ba§ nun ^btn ift bie grage. Ober anber§ auSgebrücft :
bie grage ift, ob ;3efu§ auc^ fo ber ^eilanb ift unb bleibt. 93e*
^ält Si^fuS/ na^bcm jene begriffe unb Se^ren gefallen fmb, auc^
fo noc^ Qn^att genug 31 unb D für bie ju fein unb ju bleiben,
für bie jene ^Begriffe unb Seigren gefallen fmb? ®ag ift bie
grage.
Unb biefe g^age wirb oon ber gegnerif^en ©eite mit nein,
mit einem ftriften Stein beantwortet, ©efagt wirb: QefuS bleibt
für euc^ ni^t ^eilanb unb ©rlöfer unb barum ift feine Ueber*
einftimmung mögli^. 3f«fuS ift ^ö^ften§ für euc^ noc^ SSorbilb,
aWufter. 3lu§ ber ©rlöfung mirb ©elbfterlöfung. SluS ber Srlö*
fungSreligion wirb bie JReligion ber ©elbfterlöfung. Unb 3efu§
miß me^r fein, mel^r al§ SSorbilb.
3Benn ba§ roal^r, menn 3»efu§ ha^ nur für unS ift, bann
^ot bie gegnerif^e ©eite red^t. 3)a§ ift gar ni^t ju leugnen.
@en)i§, nic^t ha^ biefe Betonung Qefu als beS SSorbilbeö fo gauj
oermerflid) unb oeräd^tlic^ mdre, mie fie geroö^nlic^ ^ingefteUt
wirb. ®o8 mirb fie ja. 93ei glömmen roie 9tic^tfrommen ift e§
SWobe geworben. 2lber bemgegenüber ift bod) ju beachten, ba§
^efuS felbft öfters bieS SRoment betont. Unb aud^ oon ben Slpofteln
mirb eS ^eroorge^oben. ^a, ein 2lpoftel ^etruS fann barin bie
ganje 93ebeutung beS SeibenS Qefu jufammenf äffen: Sl^riftuS ^at
gelitten für unS unb unS ein SBorbilb gelaffen, ba| il^r foHt
nachfolgen feinen gu^ftapfen. SBSir l^aben unS baran gemöl^nt
mit einer gemiffen ©eringfd^ä^ung auf bie Stxt mit bem „Sugenb*
menfd)en" QefuS ^erabjubliden. Sticht richtig. 2lbgefel^en baoon,
ba§ mir unS freuen fönnten, mcnn biefer ©laube nod^ überall bei
uns lebenbig märe unb jmar Icbenbig nic^t nur in SEBorten, oiel*
me^r in ber Zat unb im Seben. Qene ©poc^e l^at and) il^re 93e*
beutung. @ie mar lebigli^ baS Sytrem ju ber oor^ergcl^enben,
ber ©nabent^eorie, ber übertriebenen ©nabentl^eorie, in ber unb
burc^ bie ber 3Wenfc^ §u einer 9lull, einem ©tein gemorben mar.
Sie mar eine Steaftion beS fc^affenben, arbeitenben Qal^r^unbertS,
ffieftermann: ®a8 tft ur^ SefuS? 527
bte Slntroort auf bcn Duieti^muS, ber oicÜeic^t im ©cgcnfaS ju
bcr fatl^otif^cn SBerttrciberci in ber SHeformation^jcit am ^Ißia^
xoax, aber ni^t au§reid^te für aÜe 3^it. 2llfo fo gan§ rid^tig
bürfte bie unter un§ jur 9Wobe geworbene 2lrt über jene Qzxt
JU [potten nic^t fein.
Unb bod^: menn jene ©el^auptung ber ®egner roa^r märe,
fte mären im Stecht. 9ti^t nur, bag jene 2;^eorie in ber 2luf*
flärungöjeit enbgültig abgemirtfd^aftet i^at, mit biefer 2:^eorie mirb
man ;3efu unb bem S^riftentum felbft nid^t gered)t. ^t\\x§ mitt
mel^r fein. 2lu^ fü^rt jene Söertung ^t^n ju ©d^mierigfeiten,
bie unlösbar ftnb. 6§ märe ba oor allem an 9taumann }u er*
innern, für ben biefe 93etrad^tung gerabeju ju einer 3^^fplitterung
fü^rt: ate religiöfeS ^rinjip miH er ^fcfum feft^alten, als fitt*
lid^eS ^rinjip ift er für i^n überbietbar unb ju überbieten, mirb
3[efu§ für i^n jum „fulturlofen orientalifd^en SBSanberprebiger".
aSon bem festeren nimmt er fc^merjlid^ Slbf^ieb al§ fämpfenber unb
arbeitenber SWann feiner 3^it- S^ft ^ält er an 3^fu unb feiner
^eiligen ©eele, fomeit er Siettung für feine ©eele bei @ott fud^t
unb finbet. Slbgefe^en baoon, ob 9laumann auf bie ®auer mirb
in biefer ßerfplitterung bleiben fönnen, er ge^t babei oon einer
falfcl)en JßJertung Qt^n au§. 6r quält fic^ ab mit ben oerfc^ie*
benen Söorten unb aSorfd^riften ;3efu, bie, fo mie fte lauten, ge*
rabeju unburd^fü^rbar fmb für ben ^ulturmenfc^en unferer Qüt:
roenbe bic^ nic^t oon bem, ber bir abborgen miH; fo jemanb bir
ben 9iorf nel^men miß, bem la§ aud^ ben SRantel; fo bir jemanb
einen ©treic^ gibt auf beine recl)te Sade, bem biete bie anbere
auc^ bar u. f. ro. ®r mirb ftu^ig barüber, ba§ Ö^fuS gar nicl)t
in alle SSer^ltniffe eingegangen, ganje ftttlicl)e Berufe gar nic^t
berührt l|at unb md)t berül^ren tonnte, ^n ganje ©ebiete ift er
nic^t eingegangen, ni^t in baiS ©ebiet be§ g^milienoaterS, nic^t
in baS ©ebiet be§ @efc{)äft§manne§, nid^t in ba§ ©ebiet beS
Staatsbürger^. 2llfo, fd^lie^t 9iaumann, ^[efuS als SSorbilb nic^t
mel^r für unS }u gebraucl)en.
2)aran ift etmaS SRid^tigeS. Sinfac^e SRac^a^mung S^efu ift
nid^t möglid). 3>^fuS !ennt nur eine^i^bioibnalet^if: neben ®ott
unb ber einjelnen Seele oerfmit alles anbere, oerlieren alle an*
528 SBeftetmann: fßaS ift utt§ ^efuS?
bcrcn Scjic^ungen unb SBcr^ättniffc i^rc 93cbcutung. 2)a§ efd^a»
totogifi^e SWoment lüirft babci mit. ®r glaubt ba§ 3BcItcnbe na^c,
fte^t in bcr ganjen SBeltarbeit in 93cruf unb ©taat, in bcn rec^t*
lii^en unb gefcHfc^aftlic^cn gönnen feine Weibenben SBerte. ©eine
ganje Stellung ift lebigli^ religiös gcgrünbet unb gerid^tct. 3lxd)t
bag er ba§ menfc^lid^e ©emeinfc^aft^Ieben bireft betämpft unb
aufgebt: feine SBorte über bie ®]^e fmb eroig gültig; ben SÖSert
ber Rinberfcete i^at er erft erfennen geleiert unb jum roeltgefcl)id^t*
liefen gaftor ift fein SBort l^infi^tlid^ be§ Staates geworben:
gebt bem Äaifer 2lber tro^bem liegt ber Sc^roerpunft Qefu
an anberer ©teile. 3)en ^auptnad^brudt, ja beinahe ben einjigen
SRad^brudt legt er auf bie ©efmnung unb jroar religiöfe ®efin»
nung. Unb barum, fage id^, ift jene onbere SBSertung ^efu falfc^.
®amit wirb ^t\\x^ jum ©efe^geber. @r ^ört auf, ^eilanb ju
fein. ®§ wirb oergeffen, ba^ Qt\n^ n\d)t Safuift ift unb au^
nic^t fein roiH. ;3efu§ ge^t ni^t barauf au§, SBer^altungömag*
regeln ju geben. ®r oerbinbet fein ®oangelium nid^t mit einem
beftimmten Sulturjuftanb, turj auSgebrüdtt. ^ätte er ba§ getan,
er \)&tit ®n)ige§ unb aScrgängli^eö oermifc^t. 5)er Äulturjuftanb
ift oeränberlii^. ^ätte QefuS fic^ mit feinem ®t)angelium auf
benfelben feftgelegt, er märe für immer auf benfelben feftgenagelt
geroefen. Späteren Qtxkn mit anberem Äulturjuftanb ^ätte fein
©oangelium nic^t bienen tonnen. 3^ melier Saft für bie SReli«
gion bie Sßcrbinbung mit einer beftimmten Äulturepoc^e merben
tann, fe^en mir jurjeit an ber fatl)olifd)en Äird^e: fie ift rücfftän*
big gemorben bur^ i^re 93erbinbung mit bem mittelalterlichen
Sulturjuftattb. 3)amit tut man ^efu unb feinem @oangclium
roa^r^aftig feinen Sienft, ba& man i^n l^ineinjie^t in bie tultu-
reßen 93eroegungen, für bie fultureüen 33emegungen ber Qtxi oon
i^m bie Sireftioc o^ne roeitcreS t)olen ju fönnen meint. 9lic^t
ate ob feine fittlic^e Haltung unS nichts me^r ju fagen l^ätte.
2)ie ift oielme^r für un§ oon größtem SBert mit i^rem ©runbge*
bauten: ma§ ^ülfe e§ bem SWcnfc^en S)a§ ber einjelne ®ott
finbet. 2)a| ber einjelne reif mirb für bie (Smigteit. Sa§ ber
einjelne fein Seben fü^rt nic^t beftimmt burc^ ben äußeren Srfolg,
nic^t beftimmt burc^ ba§ Urteil ber 9Jlenfc^cn, beftimmt allein
Söcftetmann: 9Ba8 ift unS 3efu8? 529
burc^ ba§ ©erou^tfcin bcr aScrantroortung oor bem großen (Sott.
a)a§ bcr einjclne fic^ umfaßt unb umf^loffcn roiffe oon ber fiicbc
®ottc§, ber fein SSater ift, unb fo im SBeltgetriebc alg ^erfön*
lic^fcit fic^ fül^Ie: ic^ bin mel^r wert ate bie ganje SBelt. ®ie
@ e [ i n n u n g roiH Q^^n^ pjlanjen. ®ine ©efmnung, für bie er
gingerjeige bei einzelnen ©elegen^eiten gibt. 9Jur afö fotc^c bie*
nen unb foUcn bie einjelnen 9Wa^nungen bei 3^fu bienen. 2luf
bie ©eftnnung fommt i^m alleS an. 9iur auf bie ©cftnnung.
Unb jroar — barouS mac^t er fein ^e^I — auf eine neue @e*
finnung. 2)ie fte^t ju ber beftel^enben im ©egenfa^. (£r miH Io§*
mad^en oon bem alten Sinn. ®r roiß löfen. Srlöfen xoxU er.
Qene anbere 2luffaffung errei^t nic^t bie ooDe ^öl^e Qefu, ben
ganjen 3^efu$ nid^t. ^efuö war mel^r al§ aSorbilb. ^efuS roar
unb roontc ^eitanb fein.
216er ift unb bleibt er ba§ für un§ nod^? 2luf bie g^rage
tonjentriert fic^ alle§. 2öa§ bleibt ^efu§? n)a§ bleibt QefuS, wenn
bie alten Segriffe unb 2lnfcl)auungen , in benen roir it)n ju be*
trod)ten gewohnt fmb, fallen? 5HJa§ ift unö 3ßfu§?
®^ ift roo^l ®ö^re in feinem „3 SWonate gabrifarbeiter
unb Äanbibat ber S^eologie", ber auf eine ©rfa^rung aufmerf«
fam mac^t, bie nad) i^m jeber an ä^nlic^er ©teile bienfttuenbe
®eiftlicl)e gemalt ^aben mirö: ber 2lrbeiter ^at feine Sichtung
me^r oor all ben 2)ogmen unb Se^rfä^en unb S3egriffcn, aber in
(ä^rfurc^t ftel^en bleibt er oor ber ^erfon ^efu. Unb maS ^ier
Don einer beftimmten klaffe au^gefagt mirb, baö gilt allgemein.
2)ie ^erfon ^efu ^at etmaö jeben SKenfc^en unroillfürlid^, aber
unroiberfte^lic^ ®rgreifenbe§. 2öer in feinen Sannfrei^ fommt,
wirb unb fü^lt fid) feftge^alten. SBoburd^? aa3a§ ift e^, ba§ un§
an biefer ^^Jerf on fo fe^r anjiel^t ? 31id)t baS äußere Seben —
ba§ liegt für un§ jum größten 2:eil im 2)unfeln unb fo fcl)önc§
©eroebe auc^ bie ^^antafie gefponnen ^aben mag, SRcligion ift
mel^r al§ ^^^antafie. 9ii^t ba§ äußere 2tbzn — mir überfe^en
nur einen ganj fleincn 9lu§fd^nitt, bie furje 3^it '^^^ öffentlid^en
aßirffamfeit unb biefe auc^ fogar noc^ nur ju einem fleinen Seil.
3u einem Seben ober, mie man je^t lieber fagt, ju einer ©efc^ic^te
:3efu reid^en bie Duellen ni^t au§. 5tid)t ba§ äußere ficben —
530 SBeftermattn: ®a5 ift uttS 3cfu8?
ba§ !ommt ]^öd^ften§ al§ ^intergrunb in ©ctrac^t, auf bctn bie
©eftalt [lä) ergebt, qI§ ^intergrunb für ba§ innere Seben, ba§
fi^ erft re^t oon biefcm abgebt. Sa§ ift ba^ eigentlid^ 2lnaie==
l^enbe bei ;3efu. ®a§ eigentlid^ 2lnsiel^enbe bei 3fcfu ift ber S^a*
rafter, ber nur @in ^rinjip ^at unb nur oon biefcm @inen ^rin^^
jip fid) leiten unb beftimmen lä^t: (Sott. Qn teine§ SRenf^en
Seben ift @ott eine fo lebenbigc SRealitdt geroefen wie in 3>cfu
Seben. ©oroeit wir fein Seben fe^en unb fe^en !önnen, ift aUe^
^Religion. 2Iuf @ott ift feine ©eete in allen Sagen gerichtet unb
bejogen. ©eine ©eete befinbet ftd) ftet§ in ber ^öc^flen Spannung,
ol^ne ba§ irgenbroo unb irgenbroenn ein 5iac^Iaffen, ein ®r*
fc^Iaffen ju bead^ten wäre. SSie ein elettrifd^cr ©trom, ber nir*
genb§ unterbrochen ift, burdjflutet ,bie g^ömmigfeit fein Seben.
3)a§ ift ba§ eigentli^ ainjie^enbe bei O^fw- ®o^ 2ln}ie^enbe ift
bie§ @anje, Äonfequente, biefer ®rnft, ber ^t^u§ erfüllt: ba ift
feine ©ebroc^enl^eit, roeber fo, ba^ ein 93ru^ fein oergangeneS
Seben bur^jie^t unb biefe§ in jroei ^älften teilt, nod) ba§ in
ber ©egenroart jroei ©eeten in feiner ©ruft wären, bie miteinan*
ber ringen. üJlan mag il^n nehmen roo man roiH: roeber feine
SEBorte nod^ feine laten oerraten eine innere Rrift§, in ber er ba§
oerbrennt, xoa^ er einft angebetet, unb je^t anbetet, roa^ er oer*
brannt \)at 6ine „53ete^rung" beutet firf) an feiner ©teile an.
2In feiner ©teile auc^ etmaS oon bem ©efü^l, ba^ mir alle fen*
nen unb ber 3)i^ter in bie SBorte f leibet: „^z mel^r bie Sieb'
in mir entbrennt. Um fo oiel metir mein ^erj erfennt, SBie e§
bic^ lieben foHte." -3e meiter mir fommen, um fo me^r erfennen
mir, mie meit mir ^intermßicl jurüdblciben. Sei 3>efu anber§.
®a ift fein ^interm ^kl 3wtücf bleiben, fein ©c^lec^terfein al«
bo§ ^rinjip, fein ^beal, ba§ ^beal bliebe: ;3beal unb SBirflid^*
feit beden fic^ in jebem 2lugenblirf. Unb boc^ auc^ mieber fein
Uebermenfd^, fein ^errenmenfd), fein (Sott in menfd^lic^er ^ülle.
Qm (Segenteil: nil humani a me alienum. yix6)t ba^ i^m alle§
fo nur in ben ©^o^ gemorfen mürbe. 9lic^t ba§ er mül^eloS
jum Qkl ^inonftiege. (ä§ ift ein mirfli^er Kampf, ben er fämpft
unb fämpfen mu|. 2ln tiefen öemegungen, aSerfucl)ungen unb
3meifeln fe^lt e§ nic^t. 6in Kampf mit fic^ felbft — er ift oer^
Seftetmann:Sa$ ift utt^ 3efu<S? 531
fuc^t glci^ loic roxi, bod^ o^ne ©ünbe. ©in Stampf mit bcm ®c»
f^irf unb ©c^irffal unb bc§ ficbcn§ JRätfeln — ni^t ba§ ftetö
burc^fti^tig tote @ta§ für i^n ba§ fieben tt)äre. 3lu(^ bei i^m
gibt'^ ©tüntte unb bie SöeHen feine§ inneren Se6en§ gelten ^oc^.
©ejroeifeh unb gerungen l^at anä) er. Qa, er erft red^t. SRingen
muffen f)at er um ®ott um bie ©rtenntni« fcineg S5JiUen§ unb
bie (Ergebung in il^n. 2lber er ift unb bleibt ftet§ grö&er aU
©efc^id unb ©c^lrffal. ®r ift unb bleibt (S^arafter, religiöfer
©Baratt er: bie Sleligion ba§ ©lement, in bem unb Don bem er
lebt; bie Sieligion ba§ Clement, in bem er ftd^ bewegt. SSJir
fe^en ^ier eine religiöfc Sraft, toie e§ eine größere nie gegeben
\)at unb — a\x6) nie geben mirb. 2)arin rul^t bie 2lbfolut^eit
beS S^riftentumg.
2:un mir mal alle ^üUen weg. (Suiten mir bie§ Seben, bieg
innere Seben un§, foroeit möglid^, ju oeranfd^aulicl)en. JßJir feigen
^ier einen 2Wenfcl)en — bie Suft, in ber er lebt, ift bie Siebe
@ottc§. 211^ bie glaubt unb oerfünbigt er ®ott. @ott finbet er
fo. Unb jmar allüberall. 9tid^t nur in ber ^eil§gefd^i(^te. ^n
ber 5Ratur, ber SBelt md)t minber. 2)a ift ni^tS oon ber Ueber^
jeugung ber fi^le^teften ber SBäelten. SBon einem trant^aften ^effi«
miSmuö ift bo nid^ts. SBeber in ber bubbtjiftifc^en gorm eine§
SBogner, nod^ in ber pietiftifcl)en ^«^rm mit i^ren unmännlichen
Älogen über ba§ Jammertal ber @rbe. ©emife, für ba§ @lenb
ber SBelt unb in ber SBclt ^at er einen 93lid mie feiner. @r ift
nid^t fo geiftig, um nic^t ju fagen übergeiftig, toie i^n feine SBer*
el^rer oft geftempelt l^aben. 3Bie feiner f)at er einen 93lirf für
Seib unb Srübfal, bie bie SBclt erfüllen. So fet)r : er mirb unb
fann innerli^ baoon Eingenommen werben, gerül^rt merben fann
er barüber unb baburc^ ju 2:ränen unb Seufjem. ©o fe^r: in
erfter Sinie ju bcncn, bie leiben, roei§ unb fü^lt er fid^ gefc^irft.
yixi^t mie einen Qol^anneg treibt e§ i^n in bie SBüfte: i^n treibt
e§ in ein Seben ber 2lrbeit unb be§ ®ienen§ bi§ jum 2:ob. 6r
fuc^t bie Verlorenen auf. ^Berufen fül^lt er ftd^, in erfter Sinie
benen (Srlöfuttg unb Befreiung ju bringen. yi'\d)t in äu§erlicl)er
aOSeife — \>a liegt ber fd^arfe Unterfd^ieb jmifc^en i^m unb ben
jübifd^en ®rängern. Sa§ ift e§, waS in unferer 3^it fo oft oer*
582 SBcftermann: 3Bag ift ung 3efuS?
geffen wirb, lüenn man i^n jum ©ojialtftcn, ©ojiatreformcr ma^t.
®ic ^i(fc, bic er bringt, ift in crftcr Sinic gciftig unb gciftlid^.
^alt roin er bieten nic^t unter biefem SIenb ju oerfmten, ni^t
unterzugehen unb ben Äopf tiängen ju laffen, oietme^r größer ju
fein aU bie SBellen, bie un§ umgeben. ®r bietet ben ^alt in
bem ©lauben an bie Siebe ®otteS. Sie ift für i^n eine SJBirf*
lid^feit unb jroar im Unterfd^ieb oon ber jeitgenöfftfcl)en %xöm*
migfeit, bie unter bem ©inbrud ber traurigen ©egenroart
i^ren @lauben beinahe au^fc^lie^lid^ in Hoffnung manbelt, eine
gegenmärtige Söirtlic^feit, nic^t nur eine Sac^e ber ß^f^nft unb
Hoffnung. @ine anwerft lebenbige SBirtli^feit ift fie für i^n.
3n beinahe naioer SBeife, wenn man fo fagen barf, rebet er oon
ber. ©eroife, in erfter Sinie ift (Sott für il^n ber 2lIImäd^tige, ber
aud^ bie ^aare auf unferem Raupte aQe geiö^tt l^at unb ol^ne
beffen SBiQen ni^t einmal ein (Sperling nom S)ac^e fäQt unb
faDen tann. 2lber biefe SlHmad^t ift bod^ nur ber Untergrunb
jeine§ ©ottoaterglaubenö. ©o ^od^ i^m au^ ©Ott fte^t, nid^t
meltabgeroanbt, meltjugemanbt glaubt er ben: ber leud^tenben
©onne gleid^ fte^t am girmament feinet ©laubenS ber ©ottoater»
glaube. 3Wit einer ©ic^er^eit mie niemanb oor i^m erfaßt unb
^ält er ben feft. @r tann e§ gar md)t oerftel^en, mie bie 3Wen«
fc^en nur eine anbere SöorfteDung oon ©ott l^aben unb ^aben
tonnen. @e^t bo^ in bie Statur hinein: feilet bie Sßöget
unter bem ^immel an ; fe^et bie Silien auf bem
gelbe SBSie tonnt 3» ^^ ^ö nur forgen? 2luf eud^ f eiber
ad)Ui, aä)M auf ben 3^9 i>^^ eigenen ^erjen§ : mo ift einer un«
ter Sud), ber, fo i^n fein ©o^n bittet um einen gifc^ . . ., ber
il|m eine ©erlange gibt. 3Bie tonnte ein SBater feinem Äinbe
etn)a§ geben, ba§ i^m fd)abet. Unb ba§ nel^mt i^r oon ©ott an ?
D it|r kleingläubigen! ®§ ift fo etma§ 9tatürlic^eö, ©infa^e^
bei -Scfu, biefer ©laube an bie Siebe ©otte§. 211^ ob e§ gar
nid^t anbcr^ fein tonnte. 2ll§ ob e§ ftd) oon felbft oerftünbe.
2)a§ ©cl)n)ere unb ©c^mierige nic^t, fie ju glauben. ®a§ ©c^mere
unb ©c^mierige, mie bie 50lenfc^en nur auf einen anberen ©e=
bauten tommen tonnen, ©ott ift Siebe, Siebe ftet§, nur Siebe,
nxd)t^ anbere§ aU Siebe. 2lu§ ber Siebe tommt er nie. Unb
SQeftexmann: 9Bai? ift utt§ Sefu§? 533
l^icr fommt feine ^rebigt nun auf i^re ganje ^ö^c. 2K§ Siebe
feiert et @ott tro^ aller ©ünbe unb bei aller ©ünbe ber üWen«
fc^en. @r oerfünbet ben (Sott, ber ©ünbe oergibt, ben @ott, ber
ben oertorenen ©o^n gerabe aufnimmt, bem ber oerlorene ©ol^n
me^r mert ift al§ bie 99 ©ere^ten, bie ber SBujje nicl)t bebürfcn.
aWit ber aSerloren^eit ber SWenf^en fteigt bie Siebe ©otteö. ©o
oerfünbet er eS in ben fd)önften ©leic^niffen, bie i^ren ®inbrud
nie oerfc^len: in ben ©leic^niffen oom oerlorenen ©rofi^en unb
oerlorenen ©d^af unb erft rec^t oom oerlorenen ©ol^n. Unb baS
mieber mit einer ©ic^erl^eit unb ©elbftoerftänblic^teit, bie nid)t
iu überbieten ift: fo mac^t il^r üJlenfc^en eig, ba§ SBeib fuc^t ben
©rofd^en, ben e§ oerloren, ba§ ©d^af, ba§ fxi) oerirrt l^at, ber
^irte unb ber SJater fpricl)t nid^t me^r oon ber Vergangenheit,
menn ber ©o^n au§ ber g^embe ^eimfel^rt. SBie fönnt i^r nur
einen anberen ©lauben an ®ott, eine anbere SBorftellung oon
©Ott ^aben! Unb barum einen frifc^en, froren 3Wut ju ©ott
gefaxt! 3)a§ ber l^etle ^intergrunb aller feiner SBorte. ®a§, mag
au§ allen feinen SBorten l^erau^flingt.
Unb nid)t minber au§ feinen 2;aten, feinem Seben. ^ä)
benfe babei in erfter Sinie nid^t an bie Späten ber bireften Siebe,
oon benen un§ berichtet wirb. S)ie anjujmeifeln liegt fein ©runb
oor. O^ne auf bie SEBunberfrage im einjelnen einjugelien: na^
allen ^lad^ric^ten ift anjune^men, bag burd^ fein SB8ort bie ©ee*
len fo erfd^üttert mürben, ba§ bie Seiber baburc^ genafen. 3Bun=
berbare SGBirfungen muffen oorgefommen fein. — 3lu^ nid^t in
erfter Sinie benfe id) bobei an bie 2:at ber Siebe, in ber er fic^
ber Verlorenen xax' ^^oxt^jv, ber ©ünber unb 3öllner annimmt.
6§ mar ba§ mirflid) eine a:at. SBir !^aben baför nur aHju fel^r
ba§ ©efüljl oerloren. Verloren ^aben mir nur allju fe^r ba§
@efüf)l für ben ©egenfa^, ben er babei ju überminbcn ^at. 3öll'
ner unb ©ünber — ein ©ammelname für bie Vermorfenften un*
ter ben Vermorfenen. 3öllner unb ©ünber — mir mürben fagen:
Sumpenpad. Unb mit benen oerfe^rt 9efu§. Sticht mie bie ^^a^
rifäer unb ©c^riftgele^rten, bie t^nen ©trafreben l^atten über it)re
©^led)tigfeit unb Vermorfen^eit unb Vujsprebigten, ba§ fic in ftd)
gelten. Vielmcl^r ganj freunbtic^ unb lieben^mürbig. ®r ^ebt fie
534 ffieft ermann: 2Ba3 ift un<8 3efug?
inncriic^. Qnncrli^ roanbclt er fie um. (£r rcbet i^ncn Don ber
Siebe ®otte§. Unb nid^t nur bajj er oon ber rebet. 3)ie lebt er
felbft. 2lu§ feinen eigenen Bügen lefen fie bie. ©ie füllen fi^
gel^oben, ba§ ber 3efu§ fic^ mit i^nen einlädt. S)a ift leine
^erabtaffung. 9Wan ^at bi§n)ci(en ben Sinbrud: Q^fuS felbft ift
l^ingeriffen üon ber @üte feinet Sßatev^ im ^immel. ©ie merben
fic^ bemüht: wie werfen wir un§ boc^ weg, wie leben mir unter
unferem JßJert — ba ma^t ber nerlorene ©ol^n fic^ auf unb ge^t
ju feinem Sßater : SSater, i^ ^abe gefünbigt ; ba oergie^t ba§ fün*
bige 3Beib ^ei§e 2:ränen ber Sieue unb fcl)mcre Späten ber 93u§e
tut ein Sa6)än§ unb ein fieoi !e^rt bem 3ott^aufe ben SRürfen,
bem nac^jufolgen, ber ba§ ^erj if|m abgerungen ^at. ©ie erte«
leben bie (ärlöfung. 308ie ein elettrifc^er gunte fpringt Don bie*
fem 3>efu auf fie ber ©laube an bie Siebe @otte§, an bie fünben»
uergebenbe Siebe @otte§ über.
2lm meiften aber Hingt fein ©laube ^erau§ auS ber Sat
feinet eigenen Seben§. ®r glaubt an eine üWiffion. 3ln eine
aWiffton oon ®ott. ®a§ 93emu§tfein ift nid)t au§ feiner 93ruft
JU nehmen. SEBir moüen barüber nid^t ref[e!tiercn, mann e§ in
i^m aufgemacht: ob frü^ ober erft bei ber Jtaufe — e§ ift ba.
SBir f e^en i^n nur, ba erft, mo e§ i^n befeelt. (5r mei^ fic^ oon ®ott
gefanbt. ©efanbt mei§ er ftd) ben 3Wenfc^en ®ott ju bringen unb
jmar ®ott al§ Siebe. Unb baran ^ält er feft. geft ^ält er baran,
mag er nun ®ott erleben ober nid^t. ®r erlebt ®ott nid^t. @r
arbeitet umfonft. gruc^t feinet SBerfe^ bleibt au§. SWit Unoer-
ftanb unb Unglauben l|at er ju fämpfen. 5)bd} ^offnung§oollem
atnfang feiner 2öir!famfeit, mä^renb beffen i^m bie üJlenge in
unerhörter ißegeifterung jugejubclt, !ommt'§ jum ©tillftanb, ber
jum rapiben SRüdgang mirb. Qn bem ^o^n unb ©pott ber Sluto-
ritäten gefeilt fid) bie Sreuloftgfeit berüJlaffe unb bie ®t)arafters
loftgteit ber jünger unb ber 93errat au§ bereu SWitte. Unenbtid^e
©infamfeit unb äSerlaffenl^eit ift fein So§: ber mein 53rot iffet,
tritt mic^ mit gü^en. SBenn irgenb einer umfonft gearbeitet, fo
ift e§ 3cfu§. 9li^t§ bleibt i^m erfpart. aim @nbe feinet SBir*
tcn§, feinet 2Berben§ um bie ©eele feinet 95olf§, in bem er fic^
burc^ feine ®nttäufcl)ung ^at irre mad^en laffen, fte^t bie größte
SQeftexmantt: SaS ift un§ defuiS? 635
©nttäufc^ung: Qerufalcm, Qcrufalem, roic oft @ro|jügiger
^at feinet gebadet geftrcbt, feiner je me^r ba§ 33efte ber 9Wenfcl)en
gerooDt — ber je me^r atö Qt^n^ erlebt, ba^ bie 3BeIt mit Un«
banf oergilt, au^ feiner. Unb nid^t nur bie SBebeutung einer
entmutigenben (grfa^rung \)at bag für i^n. gür i^n liegt barin
jugleic^ eine f^roere a3erfud)ung. S)ie fc^roere SBerfu^ung, ob
fein 308eg ber recl)te ift. ®ie SSerfuc^ung tritt an i^n ^eran wie
in bem ®egenfa§ ber geinbe, fo auc^ in bem paffioen Söiber*
ftanb ber aWenge. 3!"*"^^^ unb immer mieber ^at er ftd^ gegen
bie aSerfucl)ung ju meieren. ®rft unter biefem ®eftd)t§punft, erft
unter bem ©efi^töpunft, ba§ er fic^ felbft au§ ber ©eele fpri^t,
werben mand^e feiner SBorte unb ©leic^niffe oerftänblic^. ©o
j. 93. ba§ @leid)ni§ oom ©äemann: baS, mag bort auf bem gelbe ge«
fi^iel^t, ber teilmeife 3Wi§erfoIg, neben bem aber auc^ ©rfolg fte^t,
tröftet i^n in feiner 2lrbeit. ®r oerteibigt bamit feinen ©tauben
gegen bie a3erfucl)ung, bie fid^ an il^n ^eranfc^Ieid^t. — ©cl)lie§*
H^ fommt e§ jur Äataftrop^e, in ber fein ©laube bie Feuerprobe
JU befielen l^at unb a\x6) befielet, ©emig, ni^t al§ Uebermcnfd)
ge^t er in fie l^inein. Sluc^ nid)t alö ©ott. ®a§ ift nicl)t nur
©^ein, mag un§ oon feinen inneren Kämpfen berid)tet wirb. @r
^at ju ringen, roirflic^ ju ringen, ©r ift ganj SWenfd^. 2lber
aud^ ba oerfinft er nii^t. Unb ob er meber 3Beg nod^ ©teg fte^t,
ob afle§ anberg fommt, aU e§ feinen ©rmartungen entfprid^t, ja
auc^ nur ber Statur entfpric^t, alle§ anberg fommt, al§ eg bem Qn«
tereffe ©otteg f eiber bient unb ju bienen fc^eint, er ^ält feft an
bem ©laubcn an bie Siebe ©otte§: Siebe ift ©ott, ©ott bleibt
Siebe, mag id^ aud^ untergeben, mag er mid^ auc^ untergel^en
(äffen, mic^ jerfd^mcttern unb fc^eitern laffen. @r ift größer atö
fein ©efd^irf unb ©c^idfal. SBal^r^aftig , fo \)at noc^ nie ein
aWenfc^ gerebet. Unb mag noc^ mel^r ift: fo ^at nod) nie ein
3Wenfc^ gelebt, geglaubt ^at fo nod^ nie ein 9Wenfd). ©olc^ ein
©laube ift nod^ nie geroefcn. ©eglaubt nie noc^ folcf) ein ©laube.
gürma^r, eine 2:at, eine unenblic^ fül^nc Jat, aller ©elbftocr*
ftänblic^feit roiberfpre^enb unb ju allem 2lugenf^ein in fcl)roff=
ftem ©egenfa^e fte^enb: ber ©ott, ber feinen 3Beg im ©unfein
gelten unb fd^lie^lic^ im ginftem enben lä|t, ben ©ott glaubt er
536 SB c ft c r m a n n : SBag ift un8 3cfug?
in jcbcm Slugenblid fcinc§ ScbcnS ate SSatcr.
SWan f ann nur fragen, roa^ größer ift : fein ©taube ober feine
Siebe. Sie l^angcn auf§ engfte miteinanber jufammen, auf§ engfte
miteinanber jufammen ba§ SReligiöfe unb Sittliche, ©eine „Sog«
matif" fü^rt oon felbft jur „®t^if". ©ein ©laube fommt erft
in feiner fittlidien 2lrt jur (JrfüDung unb feine fittlic^e 2lrt ift
roieber o^ne feinen ©lauben unben!bar. ©infam fte^t er unter
ben üJlenfc^en. Unoerftanben unb unbegriffen, gür fein 3irf f^i«
93erftänbni§. 3Bo^I füllen fie fic^ oon feinen SBorten begeiftert,
aber nur begeiftert. S)a§ ift ein SBerf be^ Slugenblidg. 3Wit bem
SlugenblidE oerfliegt e§ roieber. @r greift ju anberen SJiitteln.
3u ben SKitteln ber 2:at. Qu praftifc^er Siebeötat. Slber auc^
fo feine bauernbe 93eeinfluffung. 9Benigften§ nic^t für ba§, roaS
3[efu§ eigentli^ roitt. ^a, e§ fpi^t immer me^r ber Sonflift fic^
ju. ®§ tommt jum ©ruc^. Qux Äataftrop^e tommt e§ fc^Iieg*
lic^. Sie einjelnen gäben finb un§ ni^t immer beutlic^. 3Wand^c^
liegt t>a für un§ im Sunteln. Sie Skitfa^e aber liegt oor: ^e«
fu§ gefreujigt. 3^bo^ nun QefuS felbft! 5Uid|t nur nid|t bitter
unb oerbittert. 9lic^t ber SBelt flu^enb ftirbt er. ®r oerliert
nic^t ben SJhit. 2ln ber aJienfc^^eit oerjmeifelt er ni^t. Sen
©tauben an bie 2Jienfc^^eit gibt er ni^t auf. Sen ©tauben bc«
^ält er. Qa, and) biefen feinen 2:ob mei^ er noc^ bem ©tauben
bienftbar ju madien: „©o roa^r mic^ ©ott für eu^ jum Opfer
gibt, fo fefte ftel^t'g, ba& er eu^ emig tiebt" — !ein SBort, ba§
un§ me^r ba§ @e^eimni§ feine§ SobeS al^nen tä^t. gür euc^!
eJür euc^! Samit überroinbet er in ber ©tunbe be§ 2lbenbma^t§
ba§ furd^tbare Sunfet feineig ©terbenS. 9lic^t eine Ji^eorie, feine
Sogmatif, bie er ba gibt, ©r ftirbt in ber ©croipeit, ba§ fein
©terben oieten jugut fein merbe. ©i§ jum testen ift er treu.
Jeft ptt er bi§ jum testen. ®r tagt fi^ nic^t abbringen oon
feinem ©tauben. S3on ber Siebe abbringen tä^t er fiij nid^t. ®r
ift unb bteibt S^arafter, ©^arafter in bem ©tauben: ©ott ift
Siebe unb i^r bie Äinbev ©otte§. Stetigiöfer S^arafter — bie
gröjste retigiöfe Straft, bie e§ je gegeben ^at unb geben mirb . . .
©0 fc^auen mir ^fcfum an. Sa§ ber ©eminn, ben bie neuere
S^eotogie un§ bringt unb gebrad)t ^at, SUlag fie im übrigen fein
SBeftcrmann: SBaiJ ift un8 3efug? 537
loic unb roag fic xoxU, fic mag untergel^en, bic§, bic§ aHein fc^on
fiebert i^r eroige 93ebeutung. Sic lä^t un§ 3efu§ feigen, ©c^en
Id^t fic un§ 3«fw inneres Sebcn. ©ie le^rt unS ni^t oon Qefu
unb über ^fcfum ju ben!en unb ju rcben. Qefum felber nac^ju:'
benfen le^rt fte un§, Ic^rt fic un§ immer me^r. ^»tttmer me^r
le^rt fie un§ Qefum in feiner ganjen ®rö§e unb ^öl^c ju er*
greifen unb ju begreifen unb ju oerfte^en. ®a mögen alte ®e*
ban!enrei^en, oieDeic^t (ieb geworbene ©ebanfenrei^en, ©ebanten»
reil^en, bie mir oon ben SBätern ererbt, ju ®rabe ge^en — ge«
VD\% in ber erften 3«it fäDt e§ einem fc^mer, fi^ barein ju fin*
ben; al§ ein SJerluft, aU ein unerfe^lic^er SJerluft erfc^eint eS
einem juerft, bann aber mirb eS ju einem Serluft, ber weit, meit
überboten mirb burc^ ben ©eminn, ben man empfängt, Qe\\x§
felbft mirb fo größer, .^ö^er empor fteigt für un§ fo Q-^fuS.
9Bir fe^en Q^\\x inneres Seben. 35ie innere Äraft, bie religiöfe
Äraft, bie i^n befeelt, mirtt mit i^rer ganjen löfenben unb ertö«
fenben SBirfung auf unS ein.
Qa, bie löft unb erlöft unS. 2)ie§ Slnf^auen ber größten
religiöfen Äraft, bie je einen 9Wenfd)en befeelt ^at, l^ilft unS fromm
ju leben unb ju bleiben inmitten unferer 3«it unb SBelt, inmitten
unferer fiage unb Ser^ältniffe. Sa§ ift mel^r als aJiorat. SWe^r
als aSorbilb ift unS :3[efuS ba. QefuS ift unb mirb unS ba mirif*
li^ jum @rI6fer unb Stetter unb ^eitanb. Ql)m gegenüber fmb
mir nid)t mie bie SEinber, bagegen er ber ausgereifte S0iann. SBir
nic^t bie Unentroidtelten, er bagegen ber ausgereifte ©^arafter.
3i^m gegenüber fmb mir bie Äranten, bagegen er ber einjig ®e*
funbe. 3Bir bie SSerlorenen, bagegen er ber, ber allein ben rec^*
ten SBeg mei§. SBir bie 93erirrten, bagegen er ber gül^rer. SBir
füllten ben 2lbftanb, ber oon i^m unS trennt. 2ln unfere 93ruft
f (plagen mir: ®ott, fei mir ©ünber gnabig!
SBie Kein, furchtbar flein fommen mir unter bem ®inbrudE biefer
^erfönlic^feit unS oor. 9Bie Keinen unb tteinlic^en 3)ingen fangen
mir bo^ im ©egenfa^ ju i^m an. 9Bie leben mir bo^ unter
unferem SBerte. ^^v feib ®otteS Kinber, eure ©eele me^r mert
als bie ganje 9Belt; ber 9Bert ber ganjen SBelt reicht nic^t an
ben SBert, ben a\xi) nur Sine ©eele ^at, ^at felbfl bie ©eele
8fitf(^r4ft fflr Xl^eoloßte unb «trc^e. 16. ga^rg., 6. $eft. 37
688 9Beftermatitt: SBa» ifl un§ 3efu§?
eines ÄinbeS! ©o fagt Qt\n§. Unb mir tonnen unS roegmerfen
an bie Singe bcr SBelt, tonnen oieüeid^t gar buntlen Singen
bienen. SBir fc^ämen unS oor Qt\\x, muffen un§ an i^m fc^ämen.
QefuS beugt unS, ba§ mix bie ^anbe falten: i^ l^abe gefünbigt,
fünbige tagli^ no^. SBir finb fo wenig ®^arattere. SQ3ie eS 3«^
fu§ war: fo ungebunben, fo frei, fo nur ®inem ^\dt lebenb. S)a«
gegen mir fo jerfplittert, fo geteilt: mit jmei ©eelen in ber 93ruft
. . . . @o gegenüber unS felbft.
9ti^t minber ®ott gegenüber. 3fefu§ fü^rt in aßen Sagen
bur^ : i^ ftel^' in ©otteS ^anb ; eS tann mir nichts gef(^e^en ....
Sarin lä^t er bur^ nichts fi^ irre machen. Unb nun mir ! SBir
bei bem leifeften SBinb^au^ jufammenbrec^enb, oei^meifelnb unter
ben tieinften Snttäuf jungen. 9Bir fo gebunben an bie 2lu§en*
melt unb in unferem ©lauben fo beftimmt burc^ ©rfa^rungen.
SQSir fo menig l^abenb oon bem magren „bennoc^" be§ ®lauben§ :
bennoc^ bleibe ic^ ftetS an bir — erft rec^t fo menig oon bem
„tro^bem" : „menn ic^ auc^ gleid) nichts fü^Ie SJon beiner 9Wa^t,
Su fü^rft mi^ bodi jum QxtU 2luc^ bur^ bie 9lac^t." SEBie
flein, minjig ilein pnb mir biefem Qt\\x gegenüber. Unb nic^t
nur ba§. SBir fügten unfern Äleinglauben , unfern Unglau^
ben als etmaS, maS nic^t fein follte unb fein bürfte. ailS ©ünbe
füllen mir unfern Klein* unb Unglauben. SBir füllen eS als
©ünbe, menn mir ben Äopf fo leicht l^ängen taffen, fo menig
^erauSmac^fen unb ^erauSragen über ®efd)id unb ©^idEfal. 2llS
©ünbe füllen mir eS, menn mir fo menig unfern ^la^ in ber
SBett behaupten: balb ^immel^od) jaudijenb, balb jum 2:obe be*
trübt finb mir. Siefe S^aratterlofigtcit füllen mir als ©ünbe,
als ©ünbe, ba§ mir fo menig @rnft mad)en mit bem ©lauben
an bie Siebe ®otteS.
2lu^ fo menig ©ruft ma^en mir mit ber Siebe bem 9lä^ften
gegenüber. Sa tut fic^ ber ganje aibftanb jmif^en unS unb Qz\\x
nic^t meniger auf. SBie menig ^aben mir <3^fu ©inn, ber fid^
nid^t oom ©Öfen überminben lä§t, oietmel^r baS 35öfe überminbet
mit ®utem. SBie menig oon ber ®efinnung 3efu. ®emi§, nid^t
nur leibet unb bulbet bie. ®S ift baS ein ganj fatfc^eS 93ilb, in
bem uns ^t^u^ fo l^äufig bargeftetlt mirb. Qu bem maleren 3e*
SBeftermattn: SBai^ ift uttS SefuiS? 539
fuSbilbe gel^ört and) ber ^t\nS, ber bic ®ei§el fc^roingt. 3>^fw8
tämpft. Qx bcfämpft bic ©ünbc. 2lber bcn ©ttnber liebt er.
3om unb Siebe roei^ er ju ocreinen. 3)a§ ^öd^fte für il^n : oer«
geben, nic^t rächen; md)t richten, fonbern oerjei^en; g^ieben ftiften,
ni^t oergclten; unb ba§ nid^t ftebenmd, fonbern fiebenjigmal
fiebenmal 9Bir mad^en'^ gerabe umgefe^rt. Sen ©finber
betämpfen wir, aber rouc^em laffen mir bie ©ünbe. SBon ber
©ünbe laffen roir unS überroinben, erroibem mit ©ünbe auf
©ünbe. .^err ^t\n, wie Kein, roie flein fmb mir. SBor bir
finfen mir, bu ©roger unb ^ol^er unb ©uter!
2lber wir oerfinten nic^t. SBir oergel^en ni^t roie oor ber
©onne ber ©c^nee. 9lid|t wie ber ©c^metterling, ber am Sid^t
fic^ bie %lüQd jerflattert. ©o voxx nic^t an ^^fw- »®^ beugt
ben ©tola unb ba§ SSerbienft bamiebcr, er beugt mic^ tief unb
er ergebt mi^ roieber." ^e\\x8 l^ebt unb erl^ebt un§ unmiüfürlid^.
3Bir fe^en i^n, oorübergel^en fe^en mir il^n Siefe ^crfön»
li^teit, biefe am rcinften unb tiarften unb fc^önften l^erauSgear»
beitete ^erfönlic^feit ber 9Wenf^engefd^ic^te. 9Bir fe^en i^n nic^t
an ber aWenf^l^eit oerjroeifetn, ben ©tauben an bie üJlenfc^l^eit
nid^t oerlieren, i^n oielme^r feft^alten unter allen ®nttäufd^ungen
unb aWigerfolgen. 9Bir fe^cn i^n bie einjelne ©eele werten mit
bem l^ö^ften, größten SEBert — mir rid^ten un§ an i^m auf, ge-
l^oben unb erl^oben füllen mir un§ unmiQtürli^. ©ein innerei»
fieben fe^en mir — ni^t nur, ba^ e§ unS treibt il^m na^juleben,
t» gel^t eine ^raft pon i^m au§, bie unS l^ält unb ^ebt unb
trdgt unb ftü^t. SQBir lernen nidjt oerjroeifeln, menn auc^ unfer
9S3eg ftc^ in 2)unfel oerliert, pielme^r aud^ bann bafte^en mie ein
eherner gelfen im branbenben SWcer: „®8 fann mir nid^t§ ge»
fd^el^en 3Hle§ S)ing mä^rt feine 3^** " ®i^ lernen
ni^t oerjmeifeln an un§ felbft, mögen mir auc^ meit jurüdEbleiben
l^interm 3'^- «®^^ ©runb, brauf id^ mic^ grünbe " Unb
fo fe^t man ben ©paten an ju neuer Slrbeit, ju neuer arbeit an
fic^ felbft. 2lu^ ju neuer 2lrbeit an anbren. SQSir lernen arbei*
ten, o^ne 5^d^t ju fc^auen, in oergeblid^er SÄrbeit unS aufreiben,
ba§ „inserviendo consumor** lernen mir. SQ3ir lernen in ber
3Belt über ber SBelt fielen: „Saffet un^ mit Q^efu jie^en
87*
640 SBeftcrmann: 3öag ift un8 SefuS?
9Bir lernen — um bie alten 9lu§brttdEe ju gebrauchen ~ 93u^e
unb ©tauben, ^f^fw^ bemütigt unb werft un§ jugleic^. 3efu§
mad^t unö frei oon un§ felbft unb oon ber SQSelt, le^rt un§:
größer fein al§ ba§ ©efd^idf ift be§ üJlenfc^en Siecht unb ^flic^t.
Qefug ift unb bleibt un§ ber (grlöfer. ®a§ ift 3fefu§ un§.
2luc^ uns.
®enn er fü^rt un§ ju ®ott. ®ott finben roir in il^m. ®r
roirb un§ jum ©o^ne ®otte§. @en)i^, nid^t in ber alten bogma*
tifd^en SBeife. ®a§ ift fein 83efcnntni§^ ba§ wir nac^fprec^en^
gef^roeige a priori an Q^fum l^erantragen. ®8 ift für un§ eine
Srfal^rung, bie xoxx ma^en. Unb barum ol^ne allen metap^^ft*
f^en 93eigefd|marf. ©o: mit fic^ jiel^t un§ 3efu§. 3efu§ jie^t
uns an unb mit, i^m nac^juleben. @r tut eS unS an, lä§t unS
nic^t mieber loS. SEBir ftcl^en in feinem 93annfreiS. Unb nun mirb
er uns erft gro§. ®rft rec^t gro§ mirb er unS, mo mir unS i^n
als aJia^ftab, Qhzal nel^men. 9lun füllen mir erft red^t ben 2lb*
ftanb, ber unS oon il^m trennt. SBie fc^mer fällt unS ba jeber
Schritt. O maS ift ber QefuS bod^ für ein 9Wann. ©o ^at nod^
feiner gelebt, ©eliebt ^at fo nod) feiner. Keiner ^at no^ fo ge-
glaubt. SBetc^ eine ^ö^e, auf ber er ftel^t. SQ3ir bleiben meit
jurüdE. Unb je nä^er mir if|m fommen unb ju fommen fuc^en,
befto l^ö^er fteigt er. S)er SWann fte^t auf ber ©eite ®otteS.
®anj auf ber ©eite ®otteS ftel^t ber SWann. Ser üJlann lebt
ein ©otteSleben. ^n bem 2Rann ift ®ott. ®ott fte^t in bemfel*
ben oor unS — eS überfommt unS unmillfürlic^ : ®ott ift gegen*
roärtig Qu i^m finben mir ®ott. ®ott in i^m ju unS
rebet. @xo% größer, immer größer mirb unS ^efuS. ©o gro§
fc^lie^tic^ — mir beugen unfere 5lniee unb falten unfere ^änbe:
mein ^err unb mein ®ott. ^err ^efu, bir leb' id| ; ^err :3efu,
bir flerb' id^; ^err ^t^n, bein bin ic^, tot unb lebenbig. 9Bir
erleben, maS ber |)eilanb einft in 3luSfic^t ftetlte : f o jemanb miH
®otteS SBitten tun, ber mirb erfennen, ob biefe meine fie^re oon
®ott ift ober ob ic^ oon mir felber rcbe. 3Q3ir erleben an unb
in i^m bie ®rlöfung. @ott erleben mir an i^m unb in itim.
9lid)t ein SetenntniS, baS mir unS felbft abjmängen. 2lud^ nid^t
eins, baS mir nur nad^fprä^en, unter bem mir aber ni^tS oer*
SBeftcrmann: SBa§ ift unS SefuS? 541
ftünbcn ober bei bem xoxx gar ein sacrificium intellectus brächten.
SEBir glauben nic^t um anberer 5Rebe roitten. SQBir l^aben fefbft ge*
l^ört unb erfannt, ba§ biefer ift roal^rlid^ e^riftu§, ber SQSelt
^eilanb. <3efu§ ift unb bleibt un§, auc^ un§ ber ®rlöfer.
2)ie gorm l^at fic^ geänbert. ©eänbert ^at fid^ ber SBeg.
Slber aud^ nur ber 9Beg. Unb ba fagen wir mit bem Siebter
be§ alten Sieben, menn au^ in anberem ©inn: e§ ift bod) nur
ein SBeg. 2)a§ 3iel ift baöfelbe. SQBir finben auc^ in ^[efu ©ott.
Unb barauf fommt bo^ aQe§ an. ®§ tommt atteS barauf an^
mie id| einen gnäbigen ®ott finbe unb erhalte. Sarauf fommt
atleö an, mie i^ bal^in gelange, ein ®otte§Ieben ju leben. S)icfc
fiebenSoerfaffung ift baö E^riftentum. 2ine§ anbere fmb bo^
nur SQ3ege ju bem Qkl Ueber biefe SBege fann man fe^r oer*
fd^ieben beuten. üJlan fann fie für unrichtig l^alten unb barum
in aller @^r(ic^teit unb Slufrid^tigfeit unb ©ntfc^iebenl^eit be*
tämpfen. 21ber man fott unb barf boc^ nic^t bie perfönlid^e fiebeng*
oerfaffung, ba§ perfönlid^e ©^riftentum in grage ftellen. S)aS
l^ängt nur oon ber (Stellung ju Qefu ab, baoon ab, ob Qt\n^
SWittelpuntt ift unb bleibt, gür men er bai§ ift unb bleibt —
mir motten ni^t über ben SEßeg ftreiten, auf bem er ju Qt\n ge--
tommen ift, ober oielme^r mit bem 9Beg ba§ 3i«I in §t*age ftetten
motten mir ni^t. 9Bir motten bem al§ einem 53rubcr bie $anb
reichen, ber mit un§ feine Sniee beugt oor bem Slajarener. ®rft fo
merben mir SJlut unb greubigteit unb Äraft unb J^^i^^it geminnen ju
einem mirflid^ mal^r^aftigen 3ufammenarbciten unb 3wfammcnmir5
fen. 9Benn irgenbmann, fo tut ba§ in unferer ßeit not. Qd) mei|
nid^t, ob e§ f^on fo meit ift, mie|)arnac! meint. ^amadE fd^reibt:
6§ mirb auc^ bie Qtit fommen unb ift fc^on im ^Injuge, in ber
fic^ bie eoangelifc^en ©Triften auf bem 53etenntniffe }u 3!cfu§
®^riftu§ al§ bem ^errn unb in bem ©ntfc^luffe, feinem SBorte
}U folgen, aufrichtig bie ^anh reichen merben, unb unfere tatl)o*
lif^en ©rüber merben bann folgen muffen. 2)ie Saft einer langen
©ef^i^te oott oon SJJijsoerftänbniffen , oon gormein, bie mie
©c^roerter ftarrcn, Stränen unb 93lut laftet auf un§, aber auc^ ein
l^eiligeg @rbe ift un§ in it)r gegeben. Unentmirrbar fc^einen beibe
miteinanber oerbunben ju fein, aber attmö^lic^ fc^eiben fie ft^
542 SBeftermann: 9Ba$ iß unS Sefu§?
boc^, roenn au6) ba§ le^te „ffierbe" über biefcm ®^ao^ no^ nic^t
gefprod^en ift. ©rabfmn unb 9Jlut SCufrid^tigfeit gegen fid^ felbft,
greil^eit unb ßiebe — ba§ fmb bie ^ebel, roel^e bie Saft ^eben
werben." ^6) roei^ ni^t, ob e§ fc^on fo roeit ift. ®a§ cS aber
fo weit tomme, baran mitjuarbeiten ift ber aWü^e wert. Unb
nötig. aSenn bie formen, bie alten gormen fallen, roenn unfere
3eit oerlangt, ba§ ber alte 3Bein in neue ©d^läuc^e gefaxt wirb
— gut, ba§ ift auc^ oon ®ott. 2Bir rooHen bem ^crrgott nic^t
in5 ^anbroerf pfufc^en. 3Bir rooBen nic^t an bcn formen fleben,
bie bo^ oergänglic^ fmb. SDBenn un§ ha^ ®n)ige nur bleibt.
Unb baS bleibt un§. Un§ auc^. 3Ba§ anberen ^^iten i^re ©lau«
ben^gebanten gemefen finb, un§ ftnb fte e^ auc^. SSieQeic^t ftnb
fie e§ un§ noc^ me^r. Unb wenn unter ben neuen formen gar
man^e ber SSergängli^teit angel^ören, wenn fpäteren 3^'*^^ t>i^t*
leicht unfer ®laube nur aU ein ^ilf^glaube porfommen mag —
njir fe^en nid^t auf ba§ SSerganglic^e; auf baS, n)a§ eroig ift,
fe^en wir. SQSir fönnen nic^t anberS. 8Q8ir füllen un§ gebunben.
@§ ift uns ernft, ^eilig ernft. SQ3ir glauben, barum reben roir.
„Unb ^ab* ic^ geirrt unb fanb mi^ nid^t auS, bei bir, ^err, ift
Klarheit unb Sic^t ift bein ^au§."
Berlag oon :5. (E. B. M o Fr r (Paul ^ishttk) in ۟btn0Bn.
KÜRZER HAND-COMMENTAR
ZUM
ALTEN TESTAMENT
in Verbindung mit
I. Benzinger, A. Bertholet, E. Bndde, B. Dahm, H. Holzinger
und 6. Wildeboer
herausgegeben von
D. Karl Marti,
ord. Professor der Theologie an der Universität Bern.
Lex. 8.
Preis des ganzen Commenlars in 5 gehefteten Bänden oder 20 Abteilungen,
wenn auf einmal bezogen M, 76.—,
in 5 Halbfranzbänden M. 90.-, in 20 Leinwandbänden M. 96.—.
Jede Abteilung igt einzeln kioflich.
Die Bände werden anch einxeln abgfe^eben.
— Auafährlichen Prospekt bitte zu verlangen. -^— ^^
Unter der Presset
Die Religion des Alten Testaments unter den Religionen des vor-
deren Orients. Von D. Karl Marti, o. Professor der Theologie an der
Universität Bern. Lex. 8. ca. M. 2.50. Gebunden ca. M. 3.50.
J.REVILLE
MODERNES CHRISTENTUM
Huforisierte Uebersetzung aus dem Französisdien von B. B u d{.
8. 1. und 2. üausend. 190^. elegant kartoniert m. 2.50.
<Ptto ggutttgarten:
Predigt-Probleme. IJauptfragcn öcr l|cuttgcn (Eoan.
geliumsoerbünbigung. 3. (Eaufenb. 8. 1905. Itl. 1.80. (Bebun-
bcn m. 2.50.
neue Bahnen. Der Unterricht in ber c^riftlic^en Reli-
gion im (Beift ber mobernen Ideologie. 6.11. (Eaufenb. 8.
1903. m. 1.20. «ebunben Itl. 1.80.
lieber Rindererziehung. (Erlebtes unb «ebac^tes. 8.
1905. m. -.80. (Bebunben Hl. 1.50.
fierders Gebenswerk und die religiöse Frage der Ge-
genwart. 8. 1905. m. 1.80. «ebunben Itl. 2.50.
B^rlaö onn J, (fL. 3. Molfx (Paul ^vthttk) in dübmgtn.
Fuchs, Lic. E., Repetent in Giessen, Vom Werden dreier Denker.
Was wollten Fichte, Schelling und Schleiermacher
in der ersten Periode ihrer Entwicklung?
Gross 8. 1904. M. 5.—. Geb. M. 6.50.
,Es ist ein ebenso eigenartiges wie anziehendes unternehmen» drei
Philosophen, die in ihren Anfängen viele Berührungspunkte besitzen, später
weit auseinandergehen, nach ihrem inneren Werden und ihren gegenseitigen
Beziehungen, anziehender und abstossender Art, zu schilderü. Mit meister-
hafter Geschicklichkeit, die den StoiF durchaus beherrscht und den Personen
kongenial ist, IGst Fuchs diese Aufgabe, in manchem an Eucken, seinen
grossen Lehrer, erinnernd . . . ."
Kartell-Zeitung akademisch-theologischer Vereine. Sept. 1904.
Steift, D. €nbt0i^ß o. ö. ^rofeffor bcr ^^ilofop^ic an bcr
Uniocrfitat 93crn, Der Sinn fte« Dafeiits. ©trcifjüge
eine§ Optimiften burd^ bie jß^ilofof^^ic bct ^c^cnmati.
&xoi 8. 1903. m. 8.-. ®cb. m. 9.60.
„. . . ffia§ er gibt, atmet eine fo frifdje, frö^Ii^e ^ampfmutftimmung^
ba& man fxd^ gern feiner Sluffaffung Eingibt, ber roenig ober gar nichts am
®nbjiel unb alleg an ber SBeroegung gelegen ift. ... 5)ie ©treifjüge eineS
Dptimiften gel)en burd^ bie SWetap^^fif (ber @inn ber Söelt), bie ©rfenntnig»
t^eorie (ber ©inn beg ®r!enneng), burd) bie ©t^if (ber ©inn beS perfönlici^en
fiebeng) unb burd) bie ©oaialp^itofop^ie (ber ©inn beg fo^ialen ßebenS). @3
fmb 20 fd)ctnbar nur lof e aneinanbergerei^te ^luffä^e, jeber in fid^ zin ©an^eS,
unb bod) flnb fie burd) ein ge^eimeg SBanb oerfniipft, burd) bie mutige, freu*
bige SBeltauffaffung if)re§ WutorS. ©3 wirb wenige Öefer geben, bie nid)t ^ter
unb ba, namentlid) in ben flott polemifdjen Kapiteln, ju heftigem Söibcrfpruc^
erregt würben, aber !aum einen, ber nid^t mit reifem ©eminn an wiffen«
fd^aftlid^er ©rfenntniö unb nor attem mit neuem frifdjen SWut an feine Arbeit
jurucRe^rte."
3)er a;ag. 1904. Sfhc. 201.
dit frer lOeitfre fres ^^affvffunbcvt»^
93erfu(^ einer ßuItur))^tIofo))^te«
®ro& 8. 1899. Tl. 7.50. ®eb. 3^. 9.—.
„. . . 3)aä SBud) sic^t eine JBilanj an ber S^^^^unbertroenbe unb fül^rt
in fe^r gemanbter unb anfpred^enber §orm ben ®ang ber Kultur, i^rer ^o*
bicme unb 3lufgaben im ßaufe ber gerieben hi^ auf bie jetzige Qtxt nor unb
fteat ba§ §oro8fop für bie 3u!unft . ."
$iftorifd)^poIitifd)e «lätter. aMndjen. 1904.
Stanford UniverBity Libraries
Stanford, California
Bittm thii book on w b«tor« dat« diu.
% M
"^
hrS
I