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Full text of "Zeitschrift für Volkskunde"

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ZEITSCHRIFT 


des 


Vereins  für  Volkskunde. 


Begründet  von  Karl  Weinhold. 


Unter    Mitwirkung    von    Johannes    Bolte 

herausgegeben 
von 

Fritz  Boehm. 


28.  Jahrgang. 


Mit  3  Tafeln  Al.bildnngen. 


BERLIN. 

BEHREXD  &  CO. 

11)  IS. 


1918. 


et" 


/J: 


Inhalt. 


Abhandlungen  und  grössere  Mitteilungen. 

Seile 

Der  Ursprung  des  Martinsfestes.     Von  Carl  Giemen     . 1  —  14 

Einige    Grundfragen    der    Kinderspielforschung     2.  Kind  vmd  Sprachspiel 

(Fortsetzung).     Von  Georg  Schläger 15—25 

Das  Fangsteinclienspiel  in  den  Rheinlanden.     Von  .Josef  JlUller     .    .    .    .  2C— 41 
Die  Entstehung    eines    dienstbaren    Kobolds    aus    einem    Ei.      Von  Georg 

Polivka 41-56 

Die  Garnweife  oder  Garnhaspel.    Von  Karl  Rrunner   mit  vier  Abbildungen 

auf  Tafel  1) 56-G3 

Schmuckgegenstände    aus    Menschenhaaren.      Von    Franz    Weinitz     mit 

drei  Abbildunsen  auf  Tafel  2^ (14  -  65 


Kleine  Mitteilungen. 


Zum     deutschen    Volksliede,    50.    Die    Vei'suchung.     51.    Das    Baurenlob. 

52.  Steirisches  Bauernleben.     Von  Johannes  Bolte 65  -  7S 

Ein    Schifflein   sah    ich    fahren,   Kapitän    und    Leutenant.     \'on  Wilhelm 

Lücke 70—88 

Der  Rauernjunge    in   der  Landshuter  Vesper,    ein  Handwerksburschenlied 
aus  dem  Anfange  des  19.  Jahrhunderts.     Von  Paul  Emil  Richter.  — 

Nachtrag.     Von  J.  Bolte 88-91 

Volkslieder  aus  dem  Odenwald,  1-4.     Von  Lina  Clauss-Mangler.     An- 
merkungen von  J.  Bolte 92-95 

Zu  dem  Spruch:    Hätfs  Gott    nicht  erschaffen     oben  5,  355\     Von  Anton 

Englert  und  J.  Bolte 95-96 

Lieben  kein  Verbrechen.     Von  Arthur  Kop))  y 97—98 

Das    Ringlein    sprang    entzwei.      Von   Otto  .Stückrath.     Nachschrift    von 

.1.  Bolte gg  ,  f|ff 

Kunstlieder  im  Volksmunde,  1  —  8.     Von  Otto  Stückrath      99-110' 

Wurstreime  aus  Baden.     Von  Ottomar  Meisinger 111-113 

Drei  deutsche  Hausspriiche  und  ihr  Ursprung.     Von  Johannes  Bolte  .    .     113-120 
Steirische  Volksmärchen.    1.    Der    goldige  Hirsch.     2     Der    tapfere  Soldat. 

3.  Spielmannsmärl.     Von  Victor  von  Geramb 120-124 

Der  Gesundheitsbrunnen,    ein  Märchen  aus  Pommern.     Von  Otto  Knoop     124-126 

Der  Schwank  vom  Zeichendisput.     Von  Heinrich  Loewe 126  —  129 

Zu  Bürgers  Münchhausen,  1.  Eine  neue  Quelle  Bürgers    2.  Münchhausens 
Jagdabenteuer  in    slawischen  Volksschwänken.     Von  Johannes  Bolte 

und  Georg  Polivka 129  — 1.")2 

Hessische  Volksschwänke  aus  dem  Jahre  1811,  1-5.    Von  Johannes  Bolto     132—135 
Die  Scheune  brennt!'  oder  die  sonderbaren  Namen.  Von  Wilhelm  Wisser 

und  J.  Bolte 135     137 


Scliwiiiiko  aus  Hinteipoiniuern,  l  -  o.     Von  Otlo  Knoop 137  -  UlS 

Das  Drt'izehnerfest   in  Windhagen    bei  CTiimnieisbach.    Von  Otto  Schell  138— l-lü 

Ein  studentischer  Brauch.     Von  Hermann  l'ischer 1-10 

Eine  Warnung  vor  dem  Meineid.     Von  0.skar  Ebermann  ,mit  einer  Ab- 
bildung auf  Tafel  :;      11U~]4.') 

Das  angebliche  Berliner  Weihnaehtspiel  von    }!)'.<!.     Von  .Tohannes  Bolte  14.')— 147 


Berichte  und  Bücheranzeigen. 


F.  O.lirt,  Danmarks  TrylU'foniiU'r  1:  liiledning  og  Text  i  >.  Ebermann  .  147  — 14S 
Notizen  (A.  Aarne,  W.  Ahrens,  J.  H.  Albers,  Berichte,  .1.  Bolte  und 
G.  Polivka,  A.  de  Cock,  A.  Christensen,  Deutsche  Volksspielo  des 
Mittelalters,  M.  Eberle,  Flämisches  Liederbüchlein,  M.  Gmür,  M.  .1.  bin 
(lorion,  A.  Haiiffen,  W.  Keller,  F.  v.  Luschan,  R.  Meissner,  W.  Meyer 
und  W.  Bousset,  A.  Hilka,  W.  Liidtke,  P.  Mitzschke,  E.  Norden, 
A.  Ülrik,     E.  Otto,    .1.  Pesch,    J.  Polivka,    J.  Reimers,    M.  Hothbarth, 

Rubohn,  H.  Schneider,  H.  Spies,  F.  Teutscli,  .1.  Turi 14S— 1Ö7 

Willieliii  Wissers  75  Geburtstag l.')7 

Krurister l.-),S-li;0 


Der  Krsprimg  des  Martiiisfestes. 

Von  Carl  Giemen. 


Der  heilige  Martin,  dessen  Gedächtnis  der  11.  November  geweiht  ist, 
war  zuerst,  von  seinem  15.  bis  "20.  Jahre,  Soldat  und  soll  als  solcher 
am  Stadttor  von  Amiens  jene  bekannteste  und  oft  abgebildete  fromme 
Tat  vollbracht,  d.  h.  seinen  Mantel  mit  einem  Armen  geteilt  haben.  Schon 
als  Knabe  war  er  mit  dem  Christentum  bekannt  geworden,  wollte  auch 
bereits  mit  12  Jahren  Klausner  werden,  liess  sich  mit  18  taufen  und 
lebte,  nachdem  er  aus  dem  Militärdienst  ausgeschieden  und  eine  Zeitlang 
herumgereist  war,  als  Anachoret  auf  der  sog.  Hühnerinsel  an  der  genuesi- 
schen Küste.  Um  370  gründete  er  bei  Poitiers  einen  Mönchsverband, 
vielleicht  die  erste  klösterliche  Organisation  des  Abendlandes,  aber  schon 
ein  oder  zwei  Jahre  später  wählte  ihn  die  Stadt  Tours  zu  ihrem  Bischof. 
So  errichtete  er  auf  dem  andern  Ufer  der  Loire  ein  zweites  Kloster,  das 
heutige  Marmoutiers,  in  dem  er  selbst  lebte;  doch  gab  er  sich  nicht  der 
stillen  Betrachtung  hin,  sondern  betätigte  sich  ungemein  eifrig  als  Mönchs- 
vater, Heidenmissionar  und  Volksarzt.  Zwischen  397  und  401  starb  er 
eines  Sonntags  um  Mitternacht  und  wurde  an  einem  11.  November  bei- 
gesetzt'); aber  die  Art,  wie  dieser  Tag  jetit  gefeiert  wird,  wird  sich  mit 
alledem  noch  in  keiner  Weise  erklären  lassen.  Vielmehr  sind  auf  ihn 
mancherlei  wohl  uralte  Gebräuche  verlegt  worden,  die  mit  dem  Heiligen 
ursprünglich  gar  nichts  zu  tun  hatten;  sie  lassen  sich  fast  sämtlich  um 
die  beiden  bekanntesten,  von  denen  daher  hier  in  erster  Linie  die  Rede 
sein  soll,  gruppieren:  das  Essen  der  Martinsgans  und  das  Anzünden  des 
Martinsfeuers  oder  der  Martinslichter. 

L 

Von  einer  Martinsgans  hören  wir  zuerst  im  12.  Jahrhundert:  nach 
den  Korveier  Annalen,  die  zwar  erst  im  15.  entstanden  sind,  aber  auf 
gute  Quellen  zurückgehen  werden,  schenkte  im  Jahre  1171  Othelricus 
von  Svalenberg  den  Mönchen  des  Klosters  am  Feste  des  heiligen  Martin 
eine  silberne  Gans^).     Schon  früher    wird    also    eine  wirkliche  Gans  ver- 


1)  Vgl.  zuletzt  Bernoulli,  Martin  von  Tours,  Realencyclopädie  für  protestantische 
Theologie  und  Kirche  n2,  3891  (1903). 

2)  Vgl.  Leibniz,  Scriptores  Brunsvicensia  illustrantes  2,  308  (1710).  Noch  andere 
ältere  Nachrichten  führen  an  J.  W.  Wolf,  Beiträge  zur  deutschen  Mythologie  1, 47  (1852) 
und  U.  Jahn,  Die  deutschen  Opfergebräuche  bei  Ackerbau  und  Viehzucht  1884  S.  232. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1918.  1 


Giemen : 


speist  worden  sein,  wie  das  seit  dem  14.  .laliiiiuuilcrt  aiicli  in  eigenen 
Martinsgansliedern  geschildert  wird.  Sie  sind  in  grösserer  Anzahl  und 
zusammen  mit  anderen,  nachher  noch  zu  erwähnenden  Liedern  zuerst  von 
Sirarock  gesammelt  und  anonym  herausgegeben  worden  unter  dem  Titel: 
„Martinslieder,  hin  und  wieder  in  Deutschland  gesungen  von  Alten  und 
von  Jungen  zu  Ehren  des  bescheidenen  Manns  (bei  einer  wohlgebratnen 
Gans),  mit  zweien  Vorberichten,  die  manches  Dupkel  lichten,  in  Druck 
gegeben  säuberlich  durch  Auserinum  Gänserich.  Bonn  gedruckt  in  diesem 
Jahr,  da  der  Wein  geraten  war."^)  Und  in  einigen  von  diesen  Martins- 
gansliedern wird  die  Sitte  nun  auch  aus  dem  Leben  des  Heiligen  erklärt, 
am  eingehendsten  in  folgendem: 


Der  ward  also  jung  erwählet, 
Dass  er  sollte  Bischof  sein. 
Aber  das  hat  erst  gefehlct, 
Denn  er  willigt  selbst  nicht  drein; 
Und  wie  man  ihn  zwingen  will. 
Da  entgeht  er  in  der  Still 
Und  entwischt  Gewalt  zu  meiden, 
Will  den  Bischofhut  nicht  leiden. 

Aber  wie  er  endlich  schauet, 

Dass  die  Flucht  verraten  war, 

Siehet  er  ein  Haus  gebauet, 

Voll  von  Gänsen  ganz  und  gar. 

Das  erreicht  er  ganz  erschreckt 

Und  von  Zagen  angesteckt, 

Sprach:  'Hier  will  ich  mich  verkriechen; 

Wer  wird  mich  bei  Gänsen  riechen?' 


Aber  ach,  du  bist  betrogen. 
Mein  Martinus,  kurz  hernach: 
Ach  die  Gans  hat  nur  gelogen. 
Da  sie  dir  Geleit  versprach. 
Denn  sobald  der  Feind  nur  kömmt 
Und  dies  Haus  in  Acht  nicht  nimmt. 
Kehrt  er  durch  der  Gänse  Schreien 
Wieder,  suchet  da  von  Neuem. 

Also  wird  der  Mann  gefunden. 
Der  berühmte  Martinsmann, 
Kommt  zurück  zur  Stadt  gebunden. 
Zieht  die  Bischofskappe  an; 
Doch  dass  auch  gerochen  sei 
Dieser  Gänse  Büberei, 
Schlachtet  er  sie  allzusanimen, 
Brät  sie  dann  an  heissen  Flammen. 


Daher  ist  der  Brauch  gekommen, 
Dass  man  noch  die  Gänse  isst, 
So  oft  diese  Tage  kommen, 
Dass  es  Martinsabend  ist. 
Also  dass  oft  Schaden  bringt. 
Wer  zuviel  schwätzt  oder  singt: 
Weil  die  Gänse  Schweigen  hassen, 
Müssen  sie  sich  braten  lassen.'-) 

Aber  das  ist  offenbar  nur  eine  nachträgliche  Kechtfcrtiguug  der  Sitte; 
unsere  alten  Quellen  wissen  wohl  davon,  dass  sich  Martinus  der  Wahl 
zum  Biscliof  habe  entziehen  wollen,  aber  nicht,  dass  er  von  Gänsen  ver- 
raten worden  sei.  Und  noch  weniger  ist  daran  zu  denken,  dass  sie  des- 
halb ihm  zu  Ehren  gegessen  würden,    weil    er   selbst    sie    besonders    ge- 


1)  Weitere  Martinslieder  veröffentlichten  Keusch,  Das  Martinsfest,  Neue  preuss. 
Provinrialblätter  ISöO,  179ff.,  Wolf  1,  41ff.,  Pfannenschniid,  Germanisclie  Erntefeste 
1878  S.  469ff.,  Jürgensen,  Martinslieder  (Wort  und  Brauch  G)  1910,  bes.  S.  "8ff., 
Ostheide,  Zum  Martinsfeste,  Zeitschr.  für  rhein.  Volkskunde  1911,  2g4ff. 

2)  Vgl.  Simrock  S.  22ff.,  sowie  ausserdem  Jürgensen  S.  Hbf.  149f. 


Der  Ursprung  des  Martinsfestes.  3 

schätzt  hätte  und  au  Unmässigkeit  in  ihrem  Genuss  gestorben  sei;  Martinus 
war  Tielmehr  sehr  massig  und  starb  nach  dem  Briefe  des  Sulpicius 
Severus  ad  Bassulam  an  plötzlichem  Ki'äfteverfall  auf  einer  Reise *). 
Vollends  wenn  in  einem  andern  Martinsliede  die  Sitte  der  Martinsgans 
damit  begründet  wird,  dass  auf  den  Rat  des  heiligen  Martin  einmal  eine 
von  einem  Wolf  gefangene  Gans  diesen  betrogen  habe,  so  kann  aus  einer 
solchen  Fabel  eine  Volkssitte  noch  weniger  entstanden  sein,  ja  sie  wird 
in  dem  Liede  schon  vorausgesetzt,  sofern  die  Gans  zum  Wolf  sagt: 

Der  mir  von  dir,  wolf,  half  auss  not 
und  mir  auch  gab  den  trewen  rat, 
des  bin  ich  nit  vergessen; 
der  heilige  sant  Herten  hat 
mein  leib  auch  helfen  essen-). 

Indessen  vielleicht  lösen  unsere  Lieder  doch  das  Rätsel,  dadurch 
nämlich,  dass  sie  auch  von  sonstigen  Speisen  und  Getränken,  die  man  bei 
derselben  Gelegenheit  zu  sich  nahm,  reden.  Ja  das  war  schon  früher, 
bereits  gegen  Ende  des  6.  Jahrhunderts  üblich  —  vorausgesetzt,  dass  sich 
der  5.  Kauon  der  Synode  von  Auxerre  im  Jahre  590:  'etiam  pervigiliae, 
qiias  in  honorem  domni  Martini  observant,  omnimode  prohibentur")  auf 
solche  Schwelgereien  bezieht.  Und  das  ist  deshalb  wahrscheinlich,  weil 
der  heilige  Martin  auch  bei  Gregor  von  Tours,  der  594  starb,  schon  als 
Spender  des  Weins  gilt*).  Jedenfalls  hören  wir  von  solchen  Schwelge- 
reien am  Martinstag  gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts;  ja  wenu  im  Jahre 
1179  die  Kreuzfahrer  vor  Joppe  das  Martinsfest  in  dieser  Weise  begangen 
und  dadurch  die  Stadt  verloren  haben  sollen^),  so  wird  es  in  ihrer  Heimat 
schon  viel  früher  üblich  gewesen  sein.  Wie  verbreitet  die  Sitte  nament- 
lich in  Prankreich,  der  Heimat  des  Martinskultus,  war,  geht  ja  auch 
daraus  hervor,    dass    'faire  la  Saint  Martin'  oder  'martiner'   gut  essen  und 


1)  Vgl.  Janssen,  Over  den  oorsprong  der  St.  Maartensganzen  (Werken  van  de 
maatschappij  van  nederlandsche  letterkunde,  N.  R.  VI,  174  f.  1S50.) 

2)  Vgl.  Jürgensen  S.  137 ff.  —  Noch  andere  Erklärungen  s.  bei  Eeichhardt, 
Die  deutschen  Feste  in  Sitte  und  Brauch  '  1911  S.  23.  Dass  die  Martinsgans 
nichts  mit  den  Gänsen  der  Juno  zu  tun  hat,  braucht  wohl,  obgleich  es  von  manchen 
behauptet  worden  ist  (vgl.  darüber  Treuer,  Untersuchung  des  Ursprungs  und  der 
Bedeutung  des  Martinsmannes  1733  S.  77  und  auch  Pfannenschmid  S.  230)  nicht 
erst  bewiesen  zu  werden;  aber  auch  ihre  Zurüekführung  auf  den  heiligen  Vogel  des 
Mars  durch  Jürgensen  S.  69  ff.  erscheint  mir  ganz  unmöglich. 

3)  Vgl.  Hefele,  Conciliengeschichte  3,  38.  -176  (1877:. 

4)  Vgl.  Jürgensen  S.  57  f. 

5)  Vgl.  Pfannenschmid  S.  499,  der  weiterhin,  ebenso  wie  Jürgensen  S.  53  ff., 
auch  andere  solche  Zeugnisse  beibringt.  Dagegen  ist  die  Erzählung  von  Olaf 
Trygweson,  auf  die  sich  Treuer  S.  74,  Wolf  1,  441  und  Jürgensen  S.  59.  61  berufen, 
wie  letzterer  selbst  zugibt,  wohl  nicht  mit  Sicherheit  so  zu  deuten.  Um  so  mehr 
könnten  die  sog.  Martinshörner  (vgl.  darüber  Pfannenschmid  S.  216.  495,  sowie 
Höfler,  Sankt  Martini-Gebäck,  Schweiz.  Archiv  für  Volkskunde  1902,  22ff.)  auf  diese 
Sitte  zurückgehen. 

1* 


4  Giemen: 

trinken  bedeutet,  'mal  de  Saint  Martin'  dagegen  Trunkenheit  und  ver- 
dorbenen Magen  ^). 

Der  Grund  für  diese  Feier  des  Martinstags  ist  manchmal  in  griechi- 
schen oder  römischen  Festen  gesucht  worden,  die  doch  weder  zur  gloiclien 
Zeit  gefeiert  wurden,  noch  einem  derartigen  Volksfest  überhaupt  zugrunde 
liegen  können*).  Auch  zur  Vorbereitung  auf  und  Entschädigung  für  die 
Adventsfasten  kann  das  Martinsfest  nicht  gedient  haben');  denn  dieses 
Fasten,  das  allerdings  mit  dem  11.  November  begann,  ist,  wenigstens  im 
Abendlande,  nur  von  den  Dienern  der  Kirche,  nicht  dem  Volke,  gehalten 
worden*).  So  wird  das  Martinsfest  vielmehr  ein  altes  Erntefest  sein, 
wozu  ja  auch  passt,  dass  an  ihm  früher  die  Dienstboten  wechselten  und 
der  Pachtzins  entrichtet  wurde^).  Daran  erinnern  vielleicht  zugleich  die 
Gaben,  die  am  Martinstag  von  den  Kindern  eingesammelt  werden;  aber 
davon  kann  erst  nachher  eingehender  die  Rede  sein.  Hier  fragt  es  sich 
noch,  ob  sich  auf  diese  Weise  nun  auch  die  Sitte,  am  Martinstage  gerade 
eine  Gans  zu  essen,  genügend  erklärt. 

Allerdings  wird  die  Gans  auch  zu  anderen  Zeiten  dos  Jahres  gern 
gegessen'),  und  wenn  das  doch  vor  allem  zu  Martini  geschi(»lit  (und  daher 
das  Einläuten  des  Festes  in  Erfurt  geradezu  das  Gansläuten  hiess)'),  so 
iässt  sich  auch  das  mit  Leibniz^)  und  anderen*)  ganz  einfach  daraus  er- 
klären, dass  die  Gänse  um  diese  Zeit  am  fettesten  sind.  Spricht  man  doch 
auf  dem  Eichsfelde,  wie  von  dem  Gänsemarton,  auch  von  dem  Hasen- 
barthel  (Bartholomäus,  24.  August)  und  Schwienethonimes  (Thomas, 
21.  Dezember),  d.  h.  bringt  man  doch  auch  andere  Tiere  mit  Heiligen  zu- 
sammen, weil  sie  an  deren  Festsagen  besonders  schmackhaft  sind'"). 


1)  Vgl.  Jürgensen  S.  59. 

2)  Vgl.  Treuer  S.  76  f.,  Janssen  S.  176,  1  und  Alburs,  Das  Jahr  und  seine  Feste' 
1917  S.  2ö8. 

3)  Gegen  Janssen  S.  177 f.  und  die  von  ihm  angeführten  GewUhrsmäuner. 

4)  Vgl.  Caspari,  Advent,  Uealencyclopädie  für  protest.  Thoologio  und  Kirche ' 
1,  189  f.  (1896,    auch  gegen  RernouUi,  Die  Heiligen  der  Merowingerzeit  1900  S.  208. 

5)  Vgl.  Pfaunensclunid  S.  237.  —  Sartori,  Sitte  u.  Brauch  :>,  2G6  (1914\  be- 
merkt dazu  noch:  „Es  sieht  so  aus  als  ob  man  durch  eine  Art  von  Anfangszauber 
das  künftige  Jahr  recht  günstig  beeinflussen  wolle,  indem  man  es  in  Wohlleben 
und  Oberfluss  beginnt.  Je  mehr  man  trinkt,  desto  mehr  Schönheit  und  Stärke 
trinkt  man  sich  an." 

6)  Vgl.  Pfannenschmid  S.  228. 

7)  Vgl.  ebd.  S.  507. 

8)  Introd.  S.  28. 

9)  Vgl.  Treuer  S.  78,  H.  D.  bei  Simrock  S.  XXI,  Janssen  S.  179  und  die  bei 
Pfannenschmid  S.  5i>,'tf.  angeführten,  auch  Jahn  S.  228,  BernouUi,  Die  Heiligen  S.  208, 
Nilsson,  Die  volkstümlichen  Feste  des  Jahres  1914  S.  40,  Fehrle,  Deutsche  Feste 
und  Volksbriluche  1916  S.  5. 

10)  Vgl.  Pfannenschmid  S.  506,  auch  das  von  Hildebrand  in  Cirimms  Wörter- 
buch IV,  1,1,  1262  ,;i878  angeführte  Zitat  aus  Henisch  S.  1497:  'Vögel  vor  Michaelis 
und  Giinse  nacli  Martini  seiud  nicht  am  gesundesten  zu  essen'. 


Der  Ursprung  des  Martinsfestes.  5 

Gleichwohl  liegt  die  Sache  vielleicht  noch  etwas  anders  und  hat  die 
Sitte,  zu  Martini  gerade  Gänse  zu  essen,  noch  einen  besonderen  Grund. 
Um  ihn  zu  entdecken,  müssen  wir  freilich  erst  einen  kleinen  Umweg 
machen. 

Wie  die  verschiedensten  anderen  Volker,  so  haben  auch  unsere  Vor- 
fahren angenommen,  dass  in  dem  Getreide  eine  unpersönliche  Kraft  oder 
ein  Geist  wohne,  der,  wenn  die  letzte  Garbe  geschnitten  oder  eingebracht 
wird,  damit  er  nicht  an  Altersschwäche  stirbt,  sondern  rechtzeitig  durch 
einen  andern,  noch  kräftigen  Geist  ersetzt  werden  könne,  oder  damit  er 
seine  Fruchtbarkeit  anderen  mitteile,  getötet  und  wohl  auch  gegessen 
werden  müsse.  Das  ist  freilich  nur  möglich,  wenn  dieser  Korndämon  in 
Tiergestalt  gedacht  wird,  sei  es  als  Pferd,  Rind,  Schwein,  Bock,  Hase, 
Wolf,  Fuchs,  Hund,  Katze  oder  auch  als  Hahu^).  So  wird  z.  B.  in 
Fürstenwalde  in  Brandenburg,  wenn  die  letzte  Garbe  geschnitten  werden 
soll,  ein  Hahn  losgelassen  und  von  den  Schnittern  gefangen.  In  anderen 
Gegenden  Deutschlands  oder  Frankreichs  wird  er  an  eine  Stange  ge- 
bunden, mit  dem  letzten  Fuder  nach  Haus  gebracht  und  dort  manchmal 
gegessen.  Wenn  dagegen  ein  Knecht  mit  einem  Erntewagen  umgeworfen 
hat,  dann  heisst  es:  er  hat  den  Erntehahn  verscherzt,  d.  h.  ursprünglich: 
er  bekommt  nichts  von  ihm  zu  essen.  Zumeist  allerdings  wird  nur  ein 
künstlicher  Hahn  dem  letzten  Erntewagen  vorangetragen  oder  auf  das 
letzte  Fuder  gesetzt,  die  letzte  Garbe  wird  in  die  Form  eines  Hahnes 
gebracht  oder  heisst  wenigstens  so,  und  ebenso  derjenige,  der  sie  ab- 
schneidet und  nun  wie  ein  Hahn  krähen  muss.  Aber  alles  das  ist  offenbar 
nur  verständlich,  wenn  ursprünglich  und  zu  dem  angegebenen  Zweck  ein 
wirklicher  Hahn  getötet  worden  ist*). 

Nun  sagt  man  in  der  englischen  Grafschaft  Shropshire,  wenn  ein 
Knecht  mit  dem  Erntewagen  umgeworfen  hat,  vielmehr:  er  hat  die  Gans 
verscherzt,  und  nennt  in  anderen  Gegenden  Englands  das  Erntemahl  aus- 
drücklich 'Harvest  Gosling'  oder  'Inuing  Goose'^),  wie  im  Elsass  Ernte- 
gans*). In  Shropshire  hiess  früher  auch  die  letzte  Garbe  selbst,  nach  der 
die  Schnitter  aus  einer  Entfernung  von  10  bis  20  Schritt  ihre  Sicheln 
warfen  —  und  schon  das  deutete  natürlich  auf  eine  besondere  Schätzung 
hin  — ,  der  Gäuserichhals,  wie  bei  Trier  der  Ziegenbockhals  und  bei 
Aurich  der  Hasen-,    in  manchen  Gegenden  Frankreichs  der  Katzen-  oder 


1)  Vgl.  Mannhardt,  Roggenwolf  und  Roggenhund  -  1866  S.  6,  Die  Korndämonen 
1868  S.  13  ff.  und  noch  ausführlicher  Frazer,  The  Golden  Bough  »  5,  1,  131  ff.  (1912). 

2)  Vgl.  Mannhardt,  Korndämonen  S.  13 ff.,  Pfannenschmid  S.  111.  232,  Frazer« 
5,  1,  276ff.,  auch  Müller,  Den  Hahn  fangen,  Zeitschr.  für  rhein.  Volkskunde  1913, 
228,  Der  Stoppelhahn,  ebd.  1914,  297. 

3)  Vgl.  Frazer  5,  1,  277,  3. 

4)  Vgl.  Kassel,  Mäßti  u.  Kirwe,  Jahrbuch  für  Geschichte,  Sprache  u.  Literatur 
Elsass-Lothringens  1907,  217  ff. 


(•;  ■  Cleineu ; 

Fuchsschwanz').     So    wird    also    der  Korndänion,    wie    als  Fuchs,    Katze, 
Hase,  Ziegenbock,  Hahn,  so  auch  als  Gans  gedacht  worden  sein"). 

Und  daas  sich  daraus  mindestens  zum  Teil  die  Sitte  der  Martinsgans 
erklärt,  das  lässt  sich  nun  aucli  noch  auf  andere  Weise  nachweisen.    Schon 
wenn  in  manchen  Martinslioilern  die  Gans  mit  allerlei  Epitlietis  ornantihus 
bedacht    (als    die    feiste  Gaus,    die    beste   Gans,    die    frömbste  Gans,    die 
schönste  Gans,  die  weisse  Gans,  die  bunte  Gans,  die  graue  Gans,  ja  unsre 
Gans,  die  gute  Gans,    die  liebe  Gans,    die  Schnadergans,    die  Bladergans, 
der  beste  Yogel  in  der  Schüssel   gefeiert)    wird,    so    könnte    das    darauf 
gedeutet  werden,    dass  die  Gans  ein  Opfertier  wai-,    das    man    auch  sonst 
loht,    damit    es    sich    willig    töten    lässt    und    so  ein  wohlgefälliges  Opfer 
bildet').     Mehr  noch  weist  auf  ein  solches  hin,    dass   in  Grez-Doiceau  im 
wallonischen  Brabaiit  am  zweiten  Kirmestag  eine  lebende  Gans   für    alles 
Missgeschick,    das  die  Gemeinde  im  letzten  Jahre    betroifen    hat.    verant- 
wortlich gemacht,    deshalb   zum  Tode  verurteilt  und  nun  von  den  jungen 
Leuten  mit  Papierpfi-opfen  erschossen  wird;  denn  wenn  hier  auch  speziell 
an  ein  Sflhnopfer  gedacht  wird,    so  war  das  doch  nur  möglich,    weil  die 
Gans    früher    sciion    als  Opfer    anderer    Art    galt^).     Diesen  Sinn  wird 
ursprünglich    aucli  das  Gansreissen,  -reiten  oder  -schlagen  gehabt    haben, 
das  vielfach  zu  Martini  üblich  ist  und  auch  in  den  Martinsliedern  voraus- 
gesetzt wird*)    —    wenn  andere  Gänsespiele  auch    zu  anderen  Zeiten  ge- 
spielt werden,    so  haben  sie  das  mit  dem  Hahnschlagen  gemein,    das    ur- 
sprünglich   auch    zur    Zeit    der  Ernte    stattfand,    und    zwar    zu    dem    an- 
gegebenen Zwecke,    d.  h.    um    den  Vegetationsgeist    rechtzeitig   zu  töten. 
Denn  wenn  in  Klauseuburg    in  Siebenbürgen    der  Bursche,    der    den    bis 
zum  Hals  auf    dem    abgeernteten  Felde    eingegrabenen  Hahn    mit    einem 
Sichelhieb  köpfen  soll,  daneben  schlägt,  so  glaubt  man,  wird  die  nächste 
Ernte    schlecht.     Und    auch    sonst    wurde  der  Tötung  eines  Hahnes  be 
der  Ernte  offenbar  ursprünglich  ein  ähnlicher  Sinn  zugeschrieben:  deshalb 
nagelt  man  ihn  noch  jetzt  vielfach  an  die  Haus-  oder  Stalltür  und  belässt 
ihn  da  bis  zur  nächsten  Ernte  —  offenbar  weil  in   ihm    besondere  Kräfte 
wohnen,    die    man    den  Menschen  oder  dem  Yieh  zuwenden  will.     Ja  bei 
Udvarhely    (auch  in  Siebenbürgen,  nur  nicht  im  sächsischen,    sondern  im 
Szekler  Sprachgebiet)  wird  in  die  letzte  Garbe  ein  Hahn    gebunden,    ge- 
tötet   und    wieder,    wenigstens    was    Balg    und  Federn    betrifft,    bis    zum 
nächsten  Jahr  aufgehoben;  dann  werden  die  Federn  unter  den  Samen  von 
der  letzten  Garbe  gemischt   und  mit  ihm  ausgesät,    so    dass   man  deutlich 
sieht,    wie  in  jener,    so    wohnen    auch    in    dem  llahn  besondere  Kräfte'). 

1)  Vgl.  Frazer  '  .'),  1,  2G8. 

2)  Vgl.  auch  Pfannenschmid  S.  231  ff.,  Sartori  3,  267,  IS. 

3)  Vgl.  Jürgensen  S.  G4.  150.  —  4)  Vgl.  ebd.  S.  65. 

5)  Vgl.  Pfannenschmid  S.  510,  Jahn  S.  108.  234,  Jürgensen  S.  G4. 
r,)  Vgl.  Frazer  '  .5,  1,  277  ff. 


Der  Ursprung  des  Martinsfestes.  7 

Endlich  iu  Shropshire  wird  wenigstens  jener  sog.  Gänserichhals,  die  letzte 
Garbe,  bis  zum  nächsten  Jahre  aufgehoben,  weil  er  oder  sie  Glück  bringen 
solP).  Die  Gans  ist  also  ursprünglich  ebenso  wie  der  Hahn  aufgefasst 
worden,  und  darauf  deutet  nun  auch  noch  hin,  dass  man  der  Martinsgaus 
auch  sonst  übernatürliche  Heilkräfte  zuschreibt.  „Schriftsteller  des  17. 
und  18.  Jahrhunderts  zählen  ganze  Reihen  von  Krankheiten  auf,  gegen 
welche  die  verschiedenen  Teile  der  (ians  helfen  sollen,  und  selbst  heute 
noch  sagt  man  in  Niederdeutschland,  Mark  aus  dem  Grossbein  eines 
Gänseflügels  vertreibe  die  Flecken  im  Auge'^)."  Nach  ungarischem  Volk- 
glauben ist  ihr  Fett  gut  gegen  Gicht,  ihr  Blut  gegen  Fieber;  „eine  Feder 
ihres  linken  Flügels  soll  man  zu  Pulver  brennen  und  in  Wein  gemengt 
Epileptischen  eingeben"*).  Endlich  „die  Schuppen  oder  Häutchen  von 
den  Gänsefüssen  legt  man  in  Böhmen  häufig  in  den  Schuh,  um  sich  gegen 
Schweissfüsse  zu  schützen,  oder  zwischen  die  Zehen,  um  keine  Hühner- 
augen zu  bekommen"^).  Die  Sitte,  zu  Martini  eine  Gans  zu  schlachten 
und  zu  verzehren,  gehört  also  in  der  Tat  ursprünglich  zu  jenen  weit  ver- 
breiteten, aus  primitiver  Zeit  stammenden  Gebräuchen,  die  man  als  Töten 
des  Vegetationsgeistes  und  Gottessen  zu  bezeichnen  pflegt^). 


1)  Vgl.  ebd.  8  5,  1,  --'(SS. 

2)  Jahn  S.  234f. 

3)  Vgl.  Herrmann,  Der  volkstümliche  Kalender  in  Ungarn,  oben  4,  40f. 

4)  Vgl.  Reinsberg-Düringsfeld,  Festkalender  aus  Böhmen,  Neue  Ausg.  1861  S.  504. 

5)  Vgl.  darüber  am  ausführlichsten  Frazer  ''5,  2,  48  f f .  169ff.,  auch  Crawley, 
Eating  the  God,  Encyclopaedia  of  Religion  and  Ethics  5,  136  ff.  (1912).  —  Nicht 
als  Bestätigung  für  diese  Deutung  der  Martinsgans  möchte  ich  es  bezeichnen,  wenn 
man  aus  ihrem  Brustbein  wahrsagen  zu  können  meint  (vgl.  darüber  Pfannenschmid 
S.  233ff.  507  ff.  u.  Jahn  S.  235 ff.);  denn  dass  sich  das  auch  anders  erklären  lässt, 
zeigt  Petronius,  Sat.  137:  'recluso  pectore  (anseris)  extraxit  fortissimum  iecur,  et 
inde  mihi  futura  praedixit'.  Auch  dass  die  Gans  bei  den  Briten  und  Norwegern 
tabu  war  (vgl.  Cäsar,  B.Gall.  V,  12,  6,  VitaBedae  36,  auch  Thomas,  Animals:  Ency- 
clopaedia of  Religion  and  Ethics  1,  518  [1908]),  kann  natürlich  andre  Gründe  haben, 
wenngleich  es  ebenso  mit  der  in  Rede  stehenden  Theorie  vereinbar  wäre.  Und  mehr 
noch,  woran  Nilsson  S.  40  erinnert,  dass  man  in  England  am  29.  September,  in 
Italien  am  1.  November  eine  Gans  isst,  während  deutsche  Nachrichten  vom  Beginn 
des  17.  Jahrhunderts  melden,  dass  gemeine  Leute  am  Burkhardtstag  (13.  Oktober) 
gemästete  Gänse  zu  essen  und  ein  grosses  Gelage  zu  halten  pflegten.  Denn,  wie 
Nilsson  bemerkt,  zu  Michaelis  traten  bis  vor  einem  Jahrhundert  auch  die  Dienst- 
boten in  Schweden  und  andern  Ländern  ihre  neue  Stellung  an;  es  zeigt  sich  also 
'dasselbe  Verhältnis,  wie  so  oft,  dass  eine  Volkssitte,  deren  Zeit  durch  die  natür- 
lichen Bedingungen  nur  im  allgemeinen  bestimmt  ist,  kalendarisch  verschieden 
fixiert  wird'.  Selbst  der  Truthahn,  den  man  in  Amerika  am  Thanksgiving-day, 
dem  alten  Erntefest  (jetzt  in  der  Regel  am  letzten  Donnerstag  im  November  ge- 
feiert) isst.  könnte  denselben  Ursprung  wie  die  Martinsgans  haben.  Dagegen  be- 
darf ihre  Zurückführung  auf  die  Walküren,  die  Reusch  S.  189  ff.  versucht,  wohl 
nicht  erst  der  Widerlegung,  und  auch  die  Theorie  von  Hildebrand,  dass  der  heilige 
Martin  an  die  Stelle  eines  Gottes  getreten  sei,  dem  die  Gänse  heilig  waren,  scheint 
mir  nicht  bewiesen  zu  sein.  Auf  des  Heiligen  tatsächliche  Beziehungen  zu  Wodan 
gehe  ich  hier  nicht  ein,  da  sie  für  die  Erklärung  seines  Festes  ohne  Bedeutung  sein 
dürften. 


8  ("lernen: 

II. 
Das  Anzünden  iler  .Martinsfeuer  hat  man  ebenfalls  aus  dem  Lebeu 
des  Heilij^en  erklären  wollen,  und  in  der  Tat  berichtet  sein  ältester 
Biograph,  Sulpicius  Severus  (Vita  c.  11),  dass  er  einmal  in  einen  heidnischen 
Tempel  Feuer  geworfen,  es  aber  von  einem  benaclibarten  Hausp  abge- 
wehrt habe,  und  an  einer  andern  Stolle  (ep.  ad  Eusebium),  dass  er  in 
seiner  Zelle  beinahe  das  Opfer  einer  Feuersbrunst  geworden  wäre.  Aber 
diese  Züge  treten,  wie  Sinirock^)  sagt,  doch  zu  wenig  hervor,  als  dass  sie 
eine  so  weit  verbreitete  Volkssitte  erklären  könnten.  Auch  wenn  man 
früher  in  Belgien  und   Ilollaud  sang: 

stockt  vyer,  maeckt  vyer: 

Sinte  Martcn  komt  hier 

Met  syne  bloote  armen; 

Hy  soude  hem  geerne  warmen')  — 

so  handelt  es  sich  gewiss  wieder  nur  um  eine  nachträgliche  Beziehung, 
die  zwischen  den  Martinsfeuorn,  und  zwar  nicht  jener  bereits  erwähnten 
Erzählung  von  der  Mantelteilung,  wohl  aber  einer  andern  Geschichte  her- 
gestellt wurde,  nach  der  der  Heilige  auf  dem  Wege  zum  Gottesdienst 
seine  Bischofstunika  an  einen  Armen  verschenkte  und,  da  ihm  sein  Archi- 
diakonus  statt  derselben  nur  ein  zu  kurzes  Gewand  verschaffen  konnte, 
mit  blossen  Armen  vor  den  Altar  treten  musste.')  Die  Martinsfeuer  sind 
vielmehr  zweifellos  mit  anderen  Feuern  zusammenzunehmen,  die  zu  Fast- 
nacht, Johanni  und  Weihnachten  angezündet  wurden  und  werden,  und  sie 
haben  bekanntlich  ursprünglich  den  Sinn,  das  Ijicht  und  die  Kraft  der 
Sonne  zu  verstärken.  Das  geht  noch  besonders  aus  einer  Sitte  hervor, 
die  sich,  wie  anderwärts  zu  Johanni,  so  in  der  Eifel  auch  zu  Martini 
fand:  in  Fleringeu  im  Kreise  Prüm  wurde  ein  Korb,  mit  Stroh  und  Reisig 
umwickelt,  angezümlet  und  so  den  Berg  hinnntergerollt:  ebenso  ein 
brennendes  Rad  von  der  Falkenburg  bei  Bertrich  und  vom  Hodberge  bei 
Münstereifel.*)  Denn  weshalb  das  geschah,  das  wusste  ein  mittel- 
alterlicher Schriftsteller  noch  ganz  gut,  wenn  er  von  dem  Radtreiben  zu 
Johanni  sagte:  'rota  involvitur  ad  significandum,  quod  sol  tunc  ascendit 
ad  altiora  sui  circuli  et  statim  regreditur";^)  nur  sollte  dieses  Zurückgehen 
eben  durch  das  Radtreiben,  wie  auch  das  Feneranzünden  verhütet 
werden.  Deshalb  faud  es  zur  Zeit  der  Sommer-  und  ebenso  der  Winter- 
sonnenwende,   aber    auch    zur    Zeit  der  Frühlings-  und  Herbst-Tag-  und 


1)  S.X. 

2j  Vgl.  Simrock  S.  VI,  Reusch  S.  181,  Wolf  1,  -11,  Pfannenschmid  S.  211  nach 
Voötius,  Selectae  disputationes  theologicae  1(>59  S.  4-JS.  Weiten'  iihnliolie  Lieder  teilt 
.lürgensen  S.  83  f.  85  ff.  mit. 

3)  Vgl.  Jürgensen  S.  28. 

4  Vgl.  Schmitz,  Sitten  und  Sagen  des  Eiflor  Volkes  1.  15  f.  (18.'>6),  auch 
Pfannenschmid  S.  211,  Sartori  3,  271. 

ö)  Vgl.  Mannhardt,  Wald-  und  Feldkulte'  1,  5ü'.)    VMi-lj. 


Der  Ursprung  des  Martinsfestes.  9 

Nachtgleiche  oder  zu  Anfang  des  Sommers  und  Winters  statt,  damit  die 
Soane  keine  Kraft  einbüsse  oder  wieder  an  Kraft  gewinne.  Und  den 
Winter  Hess  man  mit  dem  IJ.  November  beginnen;  man  sagt:  St.  Martin 
tut  Feuer  in  den  Kamin,  oder: 

Sankt  Martinus  setzt  sich  mit  Dank 
Schon  auf  die  warme  Ofenbank  ') 

oder,  wieder  in  der  Eifel: 

Nach  der  Allerheiligenmisse 
Sind  wir  des  Winters  gewisse. 
Wenn  er  da  nicht  kommen  mag, 
Dauert  es  nur  bis  Martinstag*). 

Dass  das  zu  dem  Martinsfeuer  nötige  Holz,  wenn  nicht  gestohlen 
oder,  wie  der  Kunstausdruck  lautet,  'ehrlich  geklemmt"'),  dann  zusammen- 
gebettelt wird,  geschieht  wohl  deshalb,  weil  das  mit  jenen  anderen  Gaben, 
von  denen  ich  schon  sprach  und  die  ursprünglich  Abgaben  waren,  oder 
auch  mit  den  Bestandteilen  der  Martinsmahlzeit,  soweit  sie  von  den 
fahrenden  Klerikern,  den  A'aganten  oder  Goliarden  gefeiert  wurde,  üblich 
war.  So  erklärt  es  eich  vielleicht  auch,  dass  in  Fleringen,  wie  wir  eben 
sahen,  ein  brennender  Korb  den  Berg  heruntergerollt  und  anderwärts 
Körbe  im  Feuer  verbrannt  werden;  in  ihnen  sind  eben  vorher  jene  Gaben 
gewesen.  Ja  in  Dordrecht  und  Leiden  wurde  früher  ein  mit  Äpfeln, 
Birnen,  Nüssen,  Kastanien  und  Kuchen  gefüllter  Korb  aufs  Feuer  gesetzt 
und,  sobald  er  zu  brennen  anfing,  umgestossen*);  so  wird  er  auch  ander- 
wärts ursprünglich  solche  Dinge  enthalten  haben,  ohne  sich  doch  deshalb 
überall  so  zu  erklären.  Was  die  Kinder,  die  die  Gaben  einsammeln, 
sonst  noch  gern  hätten  und  was  sie  denen,  die  ihnen  etwas  geben  oder 
auch  nichts  geben,  wünschen,  das  wird  in  den  Martinsliedern  weiter  aus- 


1)  Vgl.  Albers  S.  293. 

2)  Vgl.  Ostheide  S.  104f.,  im  allgemeinen  auch  Tille,  Die  Geschichte  der 
deutschen  Weihnacht  1893  S.  23  f.  und  Yule  and  Christmas  1899  S.  41  f.,  womit 
Nilsson,  Studien  zur  Vorgeschichte  des  Weihnachtsfestes  (Archiv  f.  Religionswissen- 
schaft 1918,  99  f.)  zu  vergleichen  ist.  Wenn  dieser,  Feste  S.  38  gegen  jene  Deutung 
der  Feuer  geltend  macht,  dass  zur  Zeit  der  Wintersonnenwende  kein  Feuer  ange- 
zündet würde  und  dass  auch  im  Frühling  und  Herbst  die  Jahresfeuer  nicht  mit  den 
Tag-  und  Nachtgleichen  zusammenfielen,  so  sagt  er  S.  48  doch  selbst,  die  Wirkungen, 
die  den  Kohlen  des  Christblockes  zuijeschrieben  würden,  erinnerten  an  die  .Jahresfeuer 
und  man  könnte  geneigt  sein,  im  Christblock  den  Vertreter  des  im  Winter  fehlenden 
Jahresfeuers  zu  sehen;  was  aber  das  Fastnachts-  und  Martinsfeuer  angeht,  so  sahen  wir 
ja  oben,  dass  der  11.  November  als  Wintersanfang  gilt,  und  müssen  ebenso  aus 
manchen  Fastnachtsgebräuchen  (vgl.  darüber  meinen  Artikel  'Der  Ursprung  des 
Karnevals',  Archiv  für  Religionswissenschaft  1914,  144ff.)  schliessen,  dass  man  zu 
dieser  Zeit  den  Sommer  beginnen  liess. 

3)  Vgl.  Wimmert,  Das  Martinsfeuer  in  Coblenz-Lützel,  Zeitschrift  für  rhein. 
Volkskunde  1909,  276  und  dazu  vielleicht  noch  Sartori,  Diebstahl  als  Zauber. 
Schweiz.  Archiv  für  Volkskunde  1916,  380. 

4)  Vgl.  Jürgensen  S.  39. 


10  Clemen: 

geführt,  ohne  dass  es  erst  der  Erklärung  bedürfte;  wohl  aber  gilt  das 
von  einigen  Zügen,  die  nicht  bloss  Ausschaiüekungeu  sind,  sondern  dar- 
auf hinweisen,  dass  mit  dem  Anzünden  des  Martinsfeuers,  wenigstens 
stellenweise,  ursprünglich  noch  andere  Gebräuche  verbunden  waren. 

Das  Koblenzer  Martinslied  beginnt  jetzt  mit  den  Worten: 

Heiliger  Sankt  Melirtcs 
Met  de  siwe  Kehrze, 
Met  de  siwe  Rohte, 
Die  Nas'  soll  blohtc: 

ursjirünglich  aber  hat  der  heilige  Martin  —  das  verlangen  der  Eeim  und 
der  Zusammenhang  —  statt  der  sieben  Kerzen  sieben  Gerten  gehabt.') 
Und  diese  Martinsgerten  haben  nun  anderwärts  noch  eine  andere  Bedeu- 
tung, in  Niederbayern  und  Niederösterreich,  wo  die  Kühe  am  Martins- 
tage zum  letztenmal  ausgetrieben  werden,  kommt  der  Hirt  abends  zu  den 
Bauern  „als  der  heilige  St.  Märten"  und  überreicht  ihnen  eine  oder  zwei 
Gerten,  die  aus  einem  mit  Eichenlaub  und  Wacholderzweigen  umwundenen 
Birkenreis  bestehen.  Dabei  sagt  er  altertümliche  Sprüche  auf,  die  für 
das  nächste  Jahr  Fruchtbarkeit  der  Herde,  der  Wiese  und  des  Ackers 
wünschen;  ursprünglich  sollen  die  Gerten  das  bewirken  oder  jetzt  schon 
vor  Unglück  und  Zauberei  schützen;  deshalb  werden  sie  hinter  die  Kaufe, 
über  die  Tür  oder  auf  das  Dach  des  Stalles  gesteckt.  In  der  Oberpfalz 
behält  der  Hirt  die  Mirtesgard'n  für  sich,  lässt  sie  am  Dreikönigstag 
kirchlich  weihen  und  dann  erst  am  Walbernabend,  d.  h.  am  1.  Mai,  durch 
sein  Weib  in  die  Häuser  tragen,  damit  am  Tage  darauf  (wie  auch  sonst) 
das  Vieh  mit  ihnen  zum  erstenmal  auf  die  Weide  getrieben  wird.  Das 
geschieht  ebenso  in  Bayern  und  Osterreich,  wie  anderwärts  mit  frischen 
Gerten;^)  ja  wahrscheinlich  hat  man  mit  ihnen,  wie  sonst  zu  Fastnacht,') 
zu  Martini  auch  die  Frauen  und  Mädchen  geschlagen,  um  ihnen  ebenfalls 
die  Kräfte  des  Baumes  mitzuteilen.  Nur  so  wüsste  ich  es  nämlicli  zu  er- 
klären, dass  es  iu  dem  alten  Düsseldorfer  Martiusliede  heisst: 

Zin't  Mäte,  zin't  Mute, 
Die  Kälver  hant  lang'  State; 
Die  Jongens  sind  Rabaue, 
Die  Weiter  well'  mer  haue*) 


1)  Vgl.  Simrock  S.  30,  l'sener,  Heilige  Handlung,  Archiv  für  Religions- 
wissenschaft 1904,  807,  Wimmert  S.  277,  Wehrlian,  Die  Martinsfeuer  in  Coblcnz, 
Zeitschr.  für  rhpin.  Volksk.  1910,245,  Ostheide,  ebd.  1911,  1G9. 

2)  Mannhardt,  Wald- und  FeldkuUeM,  2ü9  f f.,  Pfannenschmid  S.  219 f .  49C.,  Jahn 
S.298f.,  Usener  S.  307  u.  .Vnm.  3,  Jürgensen  S.  31.  80,  Wehrhan  S.  246.  Albers  S.  294. 
Die  beiden  erstgenannten  machen  auch  nach  Kuhn,  Die  Herabkunft  des  Feuers  und 
des  Göttertranks  1859  S.  148.  180  ff.  auf  eine  ähnliche  indische  Sitte  aufmerksam. 

3)  Vgl.  Mannhardt,  Wald-  u.  Feldkulte  «1,  253  ff. 

4)  Vgl.  Simrock  S.  34,  auch  Clement,  Ein  Martinsabend  in  Düsseldorf,  Zeitschr. 
für  rhein.  Volkskunde  1904,  134  u.  Jürgensen  S.  34.  104. 


Der  Ursprung  des  Martinsfestes.  H 

und  in  dem  Antlernacher:  ■ 

Hei  Sante  Merte', 

Dat  war  en  braver  Mann, 

Der  schlog  sing  Frau  niet  Gerte' ') 

—  denn  wie  sollte  der  heilige  Martin  sonst  zu  einer  Frau  und  dazu  ge- 
kommen sein,  sie  auch  noch  zu  prügeln? 

Audi  wenn  es  in  dem  Koblenzer  Martinsliede  nach  den  vorhin  schon 
angeführten  ersten  Zeilen  jetzt  weiter  heisst: 

Bloht  laift  en't  Bäckershaus, 
Schmeiss  mer  e  halwe  Weck  eraus. 
Mir  aine,  dir  aine, 
Annere  Kenner  gar  kaine, 

so  erinnert  das  an  die  Sitte,  dass  sich  die  Frauen  und  Mädchen  zu  Fast- 
nacht, um  nicht  geschlagen  zu  werden,  unter  andern  mit  einem  Weck 
loskaufen  müssen,-)  passt  also  zu  der  vorhin  vorgetragenen  Deutung  des 
Schiagens.  Und  ebenso  erklärt  es  sich  vielleicht  aus  dieser  Sitte,  wenn 
es  danach  heisst: 

Stievele,  Stievele,  Stang, 

Vuhr  da  Weissergasser  (oder  Kastorgasser)  hammer  kai  Bang, 

Komm  giet  er  mei  en't  Gässche, 

Dann  haue  mer  eich  dat  Schässche.') 

Die  Weisser-  und  Kastorgasse  sind  ja  zwei  Strassen  des  ältesten  Koblenz, 
offenbar  die  Mittelpunkte  zweier  Stadtteile,  deren  Jugend  sich  bei  dieser 
Gelegenheit  bekämpfte.  Auch  in  anderen  Gegenden,  z.  B.  in  Dollendorf 
bei  Königswinter  und  in  Troisdorf  im  Kreise  Bei'gheim  fanden  solche 
Kämpfe  einzelner  Dörfer  oder  Honschaften  gegeneinander  statt*}  —  und 
doch  wird  das  nun  noch  einen  andern  Grund  auch  als  ähnliche  Kämpfe 
bei  der  Einholung  des  Maibaumes  und  dergl.^)  gehabt  haben,  d.  h.  nicht 
nur  den  Grund,  dass  bei  derartigen  Gelegenheiten  zwischen  den  ver- 
schiedenen Gruppeu  leicht  Streit  entsteht.  Mit  anderen  Worten:  Usener 
hatte  wohl  recht,    wenn    er  darauf  hinwies,  dass  z.  B.  in  Poppeisdorf  bei 


1)  Vgl.  Simrock  S.  28,  auch  Keusch  S.  183,  der  aber  eine  andere,  m.  M.  un- 
genügende Erklärung  dieses  Zuges  gibt;  immerhin  wird  das  oben  im  Text  folgende 
zeigen,  dass  andre  Martinslieder  so  zu  deuten  sein  dürften.  Umgekehrt  findet 
vielleicht  Dieterich,  Volksglaube  u.  Volksbrauch  im  Altertum  u.  Gegenwart,  .Jahr- 
buch des  freien  deutschen  Hochstifts  1903,  129,  in  manchen  Martinsliedern  den 
hier  angenommenen  Sinn.  Die  von  Jürgensen  S.  35,  3  geäusserten  Bedenken 
scheinen  mir  unbegründet  zu  sein. 

2)  Vgl.  Mannhardt,  Wald-  und  Feldkulte  ^  1,  253.  263. 

3)  Vgl.  Wehrhan  S.  245,  sowie  die  oben  in  Anm.  1  auf  S.  10  angeführten, 
zu  dem  letzten  Ausdruck  Usener  S.  308,  1. 

4)  Vergl.  Ostheide,  Zum  Martinsfeste,  Archiv  für  Religionswissenschaft  1907, 
154  ff.,  Zeitschrift  für  rhein.  Volkskunde  1911,  1701,  Jürgensen  S.  36;  doch  handelt 
es  sich  bei  dem  aus  Ahrweiler  angeführten  Beispiel  nicht  um  zwei,  sondern  um 
vier  Parteien.    Richtiger  also  Sartori,  Sitte  u.  Brauch  3,  270  f. 

5)  Vgl.  Mannhardt,  Wald-  u.  Feldkulte"  1,  1G2  f.  323. 


12  Clemen: 

Bonn  beim  Gabensainincln  ein  Junge  mit  Degen  und  Papierhelm  mit 
lierumzog,  der  den  Winter  darstellte,  und  daraus  scliloss,  dass  es  sich 
ursprünglich  um  einen  Kampf  dieses  gegen  den  Sommer  gehandelt  habe, 
der  den  Wechsel  der  Jahreszeiten  bewirken  sollte.')  Der  andere  Junge, 
dessen  Arme  und  Beine  mit  Stroh  umwunden  sind,  wird  ja  in  der  Tat 
hier  wie  sonst  den  Sommer  haben  abbilden  sollen;  und  dass  anderwärts 
ursprünglich  eine  Puppe,  von  der  dasselbe  galt,  verbrannt  wurde,  das  ist 
wohl  daraus  zu  entnehmen,  dass  im  katholischen  Rheinland  vielfach 
die  Anschauung  besteht,  im  Martinsfeuer  würde  Martin  Luther  (dem  zu 
Ehren  man  es,  da  er  ja  am  10.  November  geboren  ist,  in  evangelischen 
Gegenden  häufig  beibehalten  hat)  verbrannt  —  eine  Anschauung,  die  nur 
verständlich  ist,  wenn  in  der  Tat  eine  Strohpuppe  in  das  Feuer  geworfen 
wurde.  Ja  vielleicht  erklären  sich  nun  auch  die  Körbe,  die  gern  ver- 
brannt werden,  noch  auf  eine  andere  Weise,  als  oben  angegeben  wurde: 
auch  der  zu  Pfingsten  eingeholte  Fruchtbarkeitsdämon  wird  ja  manchmal 
durch  ein  Korbgefleeht  repräsentiert,  und  dass  ein  solches,  mit  Menschen 
angefüllt,  bei  den  Galliern  verbrannt  wurde  (gewiss  um  den  Vegetations- 
geist zu  töten),  das  wissen  wir  aus  der  bekannten,  auf  Poseidonios  zu- 
rückgehenden Schilderung  Gäsars,  Bell.  Gall.  VI,  16,  4.*)  Ja  in  llombeck 
singt  man  am  Martinsfeuer: 

Sinte  Merten  den  niewe. 

De  ole  is  verterd,') 
was    nur    verständlich  ist,    wenn  in  ihm  ursprünglich  ein  Geistwesen  ver- 
brannt wurde,  um  einem  andern  Platz  zu  machen,   und  in  Marsch  in  der 


1)  S.  307  ff.  —  Dass  dieser  Junge,  wie  Müllenbach  in  seiner  Novelle  Brumaire 
(Aphrodite  u.  andere  Novellen  1902  S.  203)  angibt,  als  'Major"  bezeichnet  wurde, 
spricht  nicht  gegen  das  höhere  i\lter  der  von  Usener  angeführten  Deutung;  dieselbe 
wird  vielmehr  noch  durch  folgende  Notiz  Ostheidcs  (Zeitschr.  für  rhein.  Volks- 
kunde 1911,  172)  bestätigt:  „In  Neuwerk  bei  M.-Gladbach  zünden  die  Junggesellen 
einzelner  Honschaften  ein  Martinsfeuer  an.  Hierbei  nimmt  nun  die  Herrlichkeit 
des  drei  Wochen  vor  der  Frühkirmess  gewählten  Königs  (der  bekanntlich  bei  den 
'Prenck'  den  Königsvogel  von  der  Stange  schiesst)  ein  plötzliches  Ende.  An  seine 
Stelle  tritt  der  'Hiier'    Herr).     Wahrscheinlich   ist   auch    hier    dieser   Übergang   der 

Herrschaft  nicht  immer  so  friedlich  verlaufen  wie  heute Wir  haben  in  dem 

König,  der  den  Sommer  über  herrscht  und  dem  'häer',  der  den  Winter  über  herrscht 
und  für  die  Fastnachtslustbarkeiten  zu  sorgen  hat,  die  alten  Vertreter  des  Sommers 
und  des  AVinters".  Wenn,  wie  Jürgensen  S.  14.  44 f.  und  Sartori,  Sitte  u.  Brauch  3,  269 
erwähnt,  manchmal  auch  der  heil.  Martin  selbst  auftritt,  so  ist  das  ebenfalls  später. 

2)  Vgl.  Mannhardt,  Wald-  u.  Feldkulte»  1,  322.  öl4.  ü25  ff.  Wenn  in  der  rue  aus 
ours  in  Paris  bis  17 13  alljährlich  ein  sog.  'mannei|uin  d'osier',  eine  6  Meter  hohe, 
aus  Weiden  geflochtene  Figur,  um  deren  Reste  sich  das  Volk  dann  riss,  verbrannt 
wurde,  und  diese  Strasse  nach  Jürgensen  S.  02,  weil  sich  in  ilir  die  nach  St.  Martin 
aus  ("hamps  ziehenden  Pilger  mit  Gänsen  versahen,  eigentlich  rue  aux  oües  hiess, 
so  könnte  auch  jenes  Fest  sogar  ursprünglich  am  Martinstag  gefeiert  worden  sein  — 
obwohl  das  später  vielmehr  am  3.  Juli  geschah.  Und  war  nicht  ebenso  vielleicht 
der  am  5.  Nov.  in  England  verbrannte  Guy  Fawkes  eigentlich  der  Sommer  oder 
Vegetationsgeist? 

3)  Vgl.  Jürgensen  S.  31. 


Der  Ursprung  des  Martinsfestes.  13 

Eifel  hiess  das  Martinsfeuer  (das  da  allerdings  in  der  Küche  angezündet 
wurde)  geradezu  das  Verbrennen  des  Sommers. *)  Am  Martinstag  wird 
also  ursprünglich  auch  in  dieser  Form  das  Töten  des  Vegetationsgeistes 
stattgefunden  haben;''')  ja  wenn  das  richtig  ist,  so  wird  dadurch  auch  die 
oben  vorgetragene  Deutung  der  Martinsgans  noch  um  einen  Grad  wahr- 
scheinlicher. 

Doch  wir  müssen  noch  einmal  zum  Martinsfeuer  zurückkehren.  Es 
sollte  nicht  nur  die  Kraft  der  Sonne  verstärken,  sondern,  da  es  das  kann, 
auch  direkt  die  animalische  und  vegetative  Fruchtbarkeit  befördern.  Des- 
halb bitten  in  der  Eifel  die  Kinder  um  Brennmaterial  mit  der  Begründung: 

Dat  der  wonk  net  n'  jagt, 
Dat  der  hagel  net  n'  schlagt, 
Dat  oses  herregots  blömchen 
Op  der  hede  net  verkaalt;') 

ja  deshalb  musste  nach  primitiver  Anschauung  auch  die  Kraft  des  Feuers 
selbst  erst  möglichst  gestärkt  werden.  So  dürfte  es  sich  nämlich  erklären, 
dass,  wie  anderwärts  das  Johannisfeuer,*)  so  an  der  Ahr  und  sonst  das 
Martinsfeuer  von  dem  Jüngstvermählten  in  Brand  gesetzt  werden  musste:*) 
er  mochte  aus  dem  angedeuteten  Grunde  dazu  am  geeignetsten  erscheinen. 
Dass  man  ferner,  um  nun  umgekehrt  sich  selbst  die  Kraft  des  Feuers 
direkt  anzueignen,  ehemals,  wie  durch  oder  über  das  Joliannis-,  so  über 
das  Martinsfeuer  gesprungen  sein  wird,  das  geht  daraus  hervor,  dass  auch 
über  jenes  in  Marsch  in  der  Küche  angezündete  Feuer  die  Frau  des 
Hauses  springen  musste,  und  dass  mau  ebenso  nocli  jetzt  über  die  Kerzen 
springt,  die  vielfach  an  die  Stelle  des  Feuers  getreten  sind  und  so  auch 
in  Martinsliedern  erscheinen.*)  Ferner  streut  man  die  Asche  des  aus- 
gebrannten Feuers  über  die  Wintersaat,  um  sie  vor  Schneckenfrass  zu 
schützen;  ja  man  glaubte,  das  Feld  würde  im  nächsten  Jahre  nur  soweit 
fruchtbar,  als  das  Feuer  seinen  Schein  warf  oder  der  Rauch  getrieben 
wurde.')  Auch  die  Fackeln,  Laternen  (namentlich  die  sog.  Märtesköppe, 
ausgehöhlte  Kürbisse,  denen  man  ein  Gesicht  geschnitzt  und  in  die  man 
ein  Licht  hineingesetzt  hat),  die  neumodischen  Lampions,  die  die  Kinder 


1)  Vgl.  Sartori,  Sitte  u.  Brauch  3,  272,  42. 

2)  Vgl.  Mannhardt,  Wald-  und  Feldkulte  M,  406  ff .  548  ff.,  Frazer  '  .3,  220  ff. 
254  ff.  (1911),  6,  255  ff.  (1913),  Usener  S.  297  ff.,  Dieterich,  Sommertag,  Archiv  für 
Religionswissenschaft  1905  BeihLft  S.  83,  auch  meinen  oben  angeführten  Artikel 
S.  144  ff. 

3)  Vgl.  Jürgensen  S.  29.  82. 

4)  Vgl.  Sartori  3,  228. 

5)  Vgl.  ebd.  3,  271.  272,  42.  Auch  das  wird  mit  dieser  Anschauung  zusammen- 
hängen, dass,  wie  Jürgensen  S.  22  bemerkt,  in  den  anhaltischen  Dörfern  Mühlsteat, 
Rodleben  und  Streetz  der  jüngste  Ehemann  den  Jlartinsschmaus  geben  muss. 

6)  Vgl.  Pfannenschmid    S.  2131,    Jahn  S.  242,    Sartori  3,  272  nebst  Anm.  42. 

7)  Vgl.  Jahn  S.  240  f.,  Jürgensen  S.  29  f. 


14  Giemen:   Der  Ursprung  des  Martinsfestes. 

beim    Gabeusammeln    mit    sicii    führen,    die   Lichter,  mit  deneu  in  Nord- 
hauseu    am    Abend    des    Martinstages    illuminiert  wird   oder  die  in  Nuss- 
schalen  in  Heiligenstadt  die  Geislede  hinunterschwiramen,')  sollen  Frucht- 
barkeit verbreiten  oder  böse  Einflüsse  vertreiben,")  daher  ausserdem  nicht 
nur   möglichst  viel   Lärm  gemacht,  sondern  namentlich   mit  Peitschen  ge- 
knallt   und    mit    Glocken  geläutet  wird,')  was  ja  ursprünglich  den  ange- 
sehenen   Zweck    hat.     In    Ostfriesland    und    in    Tirol    laufen  ausserdem 
maskierte    und    vermummte    Gestalten    auf   den  Strassen  herum,  hier  mit 
langen  Hälsen  und  llöniern  auf  dem  Kopfe,*)  die  wohl  jene  bösen  Geister 
darstellen,  die  jetzt  umgehen  und  deren  man  sich  vielmehr  erwehren  will. 
So  beziehen  sich  alle  am  Jlartiusfost  üblichen  Gebräuche,  wenigstens 
soweit  sie  hier  besprochen  werden  konnten,  auf  den  Wechsel  von  Sommer 
und  Winter,  und  das  sollte  also  wohl  auch  noch  zum  Ausdruck  kommen, 
wenn  man  sie  oder  wenigstens  einige  von  ihnen  zeitgemäss  umzugestalten 
und   in   dieser  Form  zu  konservieren  sucht.     Wie  mit  anderen  derartigen 
uralten    Naturfesten,    dem  Karneval  und  Johannisfest,  ist  das  ja  auch  ge- 
rade mit  der  Martinsfeier,   genauer  dem  Lichterumzug  der  Kinder,  schon 
mehrfach  geschehen:  in  Bocholt,  Düsseldorf  und  Koblenz  ist  er  von  eigens 
zu    diesem  Zweck    gebildeten  Bflrgerausschüssen    vorbereitet   und  geleitet 
worden.^)     Aber  ob  er  sich  in  dieser  Form  wirklich  auf  die  Dauer  halten 
wird  —  in    den    letzten  Jahren    hat  er  ja  selbstverständlich  nicht  stattge- 
funden — ,    das    kann    mau    vielleicht    deshalb  bezweifeln,  weil  die  Feier 
auch  in  dieser  Gestalt  noch  keinen  rechten,  geschweige  denn  wieder  ihren 
alten  Sinu  bekommen  hat.     Und  doch  könnte   man  wohl,  wenn  auch  die- 
jenigen  einzelnen  Gebräuche,  von  denen  ja  schon  jetzt  nur  noch  Spuren 
vorhanden    sind,    mit    der  Zeit  vollständig  verschwinden  werden,  doch  im 
allgemeinen,    wie    den    Karneval    als    Frühlings-,    die    Johannisfeier    als 
Sommer-,  so  das  Martinsfest  wieder  als  Winterfeier  auffassen  und  aus- 
o-estalten.     Ja    täte    man    das    und  erhielte  dadurch  diese  Volksgebräuche 
am  Leben,  so  würde  das  vielleicht  auch  auf  diejenigen  Volksanschauungen 
und  -Sitten  eine   entsprechende   belebende  Wirkung   ausüben,  auf  die  tat- 
sächlich etwas  ankommt,  ja  auf  denen  die  Kraft  und  Herrlichkeit  unseres 
Volkes    beruht.     So    befriedigt    eine    Beschäftigung  mit  deutschen  Volks- 
gebräuchen nicht  nur  ein  antiquarisches  Interesse,  sondern  zeigt  zugleich, 
wie  man  sich  zu  ihnen  verhalten  sollte  und  wie  man  dadurch  zu  der  Er- 
haltung und  Stärkung  unseres  Volkes  beitragen  kann. 
Bonn. 


1)  Vgl.  Sartori,  Sitte  u.  Brauch  3,  269.  272  f. 

2)  Vgl.  Wolf  1,  42. 

3)  Vgl.  Sartori  3,  270.  272  f.,  Jürgensen  S.  33. 

4)  Vgl.  Sartori  3,  270. 

5)  Vgl.  ebd.  3,  269,  22. 


Schläger:    Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  15 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung. 

Von  Georg  Schläger. 

(Vgl.  oben  27,  106-121.  19'.t-215.) 


II.  Kind  und  Sprachspiel.') 

(Fortsetzung.) 

6.  Verlassen  wir  nunmehr  das  Gebiet  des  Reims  und  wenden  wir 
uns  einigen  anderen  Spielformen  des  Kinderliedes  zu,  die  ihre  W'urzel 
gleichfalls  im  Bereiche  der  ersten  Sprachvorübungen  haben  könnten. 

Schon  oben  ist  mehrfach  die  eigenartige  Erscheinung  gestreift  worden, 
dass  zwischen  die  Reimwörter,  freilich  auch  zwischen  nicht  reimende 
Spielwortgeschwister,  ein  unbetontes  Einschiebsel  von  einer  oder 
mehreren  Silben  tritt.  Zu  den  bereits  angeführten  Abzählformeln  und 
Rätselnamen  stellen  sich  da  besonders  Namenverdrehungen  wie  Erna — 
ka—tenia,  Anna — wide—icanna,  Hannes — tra — wannes,  Renner — schra- — 
wenjier,  und  wenn  in  kindlichen  Heilsprüchen  gegen  den  Schlucken  der 
Eingang  Schlicke — ba — licke,  Schlickse — ba — bickse,  Schlückse — fawe — rückse 
lautet,  so  gehört  das  wohl  ebendahin;  es  felilt  aber  auch  nicht  an  Spiel- 
wörtern, die  den  Interjektionen  nahe  stehen  und  auf  die  Sprache  der 
Erwachsenen  übergreifen  können,  wie  eia — po—  peia  neben  eie—beie,  hopp — 
di — wopp,  hoher — di — polter,  rurns — di—bums  oAex  runi — pedi — bum  (z.  B.  im 
Volkslied:  Das  Mädchen  dreht  sich  mm  di  dum;  sie  tragen  mich  dreimal 
rum  di  duvi  —  Deutsches  Volkslied  -  Archiv  A  8.  9),  hei—didel — dei; 
ja,  man  wird  auch  die  Fälle  nicht  ausscheiden  dürfen,  wo  das 
Einschiebsel  für  sich  oder  mit  einem  der  benachbarten  Wörter  Sinnträger 
wird,  wie  Hermen — sin — dermeji,  Fritze— Stigelitze,  Karel  van  Varel.  Und 
wie  in  den  Abzahlformeln  das  Einschiebsel  aus  dem  Reim  in  die  an- 
schliessenden   Umbildungen    hinübergreift,   wie  etwa  neben  einfachem  ene 


1)  [Ich  benutze  die  Gelegenheit  zu  ein  paar  kleinen  Nachträgen.  Zu  27,  204 
Anm.,  Z.  4  v.  u.  statt  'Anm.  4'  lies  S.  2091  Anm.  1.  —  S-  205,  Z.  17  statt  ö-r,  lies 
ü— 5.  —  S.  207,  Anm.  Z.  4  1.  compote.  —  S.  210  Anm.  1,  Z.  7  v.  u.  statt  Zeist  lies 
Leist.  —  S.  211  Z.  5  v.  u.  statt  Gross  lies  Groos.  —  S.  215  Z.  18  statt  'nur  lies 
'mir'.  —  S.  215  Anm.,  Z.  5  v.  u.  statt  'des'  lies  'der'.  —  Ebd.  Z.  1  v.  u.  ergänze  'in 
Abzählreimen'.  —  Zu  S.  211  f.  215:  Schlagreime  wie  die  Mozarts  und  Lindeners 
zeigt  z.  B.  eine  Fassung  von  Lewalter  und  Schläger  Nr.  240  in  der  Schlussformel 
'Das  ist  eine  Maus  laus  bans  —  Du  bist  aus'  (Koblenz,  Deutsches  Volksliedarchiv 
A  48  973).  —  Zu  S.  215  Tschurimuri:  in  einem  anderen  Liede  'Es  war  ein  alter  Mann, 
der  nahm  ein  junges  Weib'  lautet  der  Versteckname  im  Lötschental  Rutschi- 
putschi,  im  Königreich  Sachsen  Ruschel-Buschel  —  letzteres  ein  echter 
Rätselname  nach  Art  der  27,  208  behandelten  (D VA.  A  18198.  31335).  —  Es  ist  auch 
bezeichnend,  dass  Mephistopheles  in  Auerbachs  Keller  zu  seiner  Beschwörung  ein 
Stück  aus  einem  sinnlos  weitergeführten  Kinderreime  verwendet.  —  Ein  weiterer 
Nachtrag  unten  S.  17  Anm.] 


1(5  Schläger: 

metie  viiyo  oder  ene  metie  viing  mang  rhythmisch  gescliärftes  ene  demene 
demige  demi  steht,  neben  eller  zeller  zippel  zappel  ebenso  ella  bezella  heziehele 
öezabele,  wie  im  Rätsel  die  Namenformen  Krüseldenki-uU,  Wi-ickeldiicrackel, 
Tolitertolüter,  PoUckerpolwker,  Knickerdcknackrr,  Gewickelgewackel  u.  ä. 
(Petsch  S.  71.  76  f.),  im  Spiele  Ablautformelii  wie  ijuinkk—de  -  quankle 
begegueii.  im  Reime  vom  gefundenen  Kind  der  Scherzname  Inne  de  ge- 
itww<;rfeGm.s<;(Yolksliedarchiv  A  10  492)  neben  dem  gewöhnlicheren /«rÄen 
binchen  Geisxen.  so  finden  wir  auch  das  Empfindungswort  hei  -didel—dum 
neben    und    wohl    nach    Im—didel—dei})     Handelt   es  sich  dabei  wirklich 


1)  Auch  hier  muB  man  sich  mit  dem  Vorkommen  derselben  oder  ähnlicher 
Verbindungen  im  Munde  Erwachsener  auseinandersetzen.  Neben  den  Rätselnamen, 
über  die  ich  nicht  mehr  zu  sprechen  brauche,  bietet  ein  sehr  merkwürdiges  Beispiel 
der  studentische  Kehrreim  'Hode— wide— wode'  usw.,  der  in  sehr  ähnlichem  Wort- 
laut und  mit  erkennbar  gleiclier  Weise  —  es  ist  wesentlich  die  des  Kinderliedes 
'Eia  popeia,  was  raschelt  im  .Sti'oh'  in  einer  Form,  die  dem  alten  'Resonet  in  laudibus 
recht  nahe  steht,  vgl.  oben  21,  372  —  schon  in  dem  Liederbuche  des  Leipziger  Studenten 
Clodius  um  1GC9  bezeugt  ist;  der  Herausgeber  W.  Nießen,  Vierteljahrsschrift  für 
Musikwissenschaft  7,  586.  625.  648,  hat  bereits  auf  heutige  Nachfahren  in  Wortlaut 
und  Weise  hingewiesen.  Ich  stelle  eine  heutige  und  die  alte  Fassimg  nebeneinander, 
die  erstere  wie  sie  mir  um  1880  als  'Kameruner  Nationalhymne"  vorgestellt  worden 
ist  ^etwas  anders  J.  Meyer.  Anstichlioder  ',  Lcipzig-Reudnitz  1913,    Nr.  118): 

Hode  wide  wode  Hey  kade  wiede  wade 

wideweia  kasseia  hä!  wiede  wanne  nefanne  (s?)  hey 

hode  widewode  siede  niede  fide 

widewitsch  watsch  witsch  ä !  wiede  witz. 

Der  Zusammenhang  mit  Namenscherzen,  wie  sie  unter  unseren  Kindern  gäng  und 
gäbe  sind,  liegt  auf  der  Hand,  vgl.  besonders  Böhme  I  Nr.  1309.  1311b.  1314,  Lewalter 
und  Schläger  Nr.  392,  ebenso  das  scherzhafte  Bestreben,  eine  Fremdsprache  vorzu- 
täuschen —  bei  Meyer  erscheint  das  Gesätz  als  Anhängsel  an  das  Lied  'Reicht  mir  das 
Weib  vom  Stamme  der  Tscherkessen'.  Weniger  einfach  sind  die  Abweichungen  des 
heutigen  Wortlautesvon  dem  des  Clodius  zubeurtoilen.  Die  heutigen  Fassungen,  studen- 
tische wie  kindliche,  sind  geschlossener  als  die  alte,  sie  klingen  darum  glaubhafter  als 
diese  und  dürfen  kaum  gradlinig  daraus  abgeleitet  werden.  Auch  die  Grundlage  ist  bei 
jenen  klarer;  spielerisch  erweitert  einerseits  der  Name,  anderseits  das  Empfindungs- 
wort hode,  verstärktes  ho  (dies  bei  Meyer),  ganz  wie  wir  die  Formel  hode  wide- 
wode in  dem  altertümlichen  Keplied  Erk  und  Böhme  Nr.  122  nach  H.  Zurmühlen, 
Niederrheinische  Volkslieder,  Leipzig  1879,  Nr.  10  wiederfinden.  Was  aber  ist  kade 
das  im  Verlauf  so  unerwartet  durch  siede  mit  seinen  schlagreimartigen  Abwandlimgen 
(ob  nicht  etwa  niede  für  wiede  verschrieben  ist!)  abgelöst  wird?  Vielleicht  darf 
man  die  Vermutung  äußern,  daß  die  verbreiteten  Namen  Kade  und  Siede  gemeint 
sind;  dann  hätte  das  Scherzliedchen  damals  dieselbe  Grundlage  gehabt  wie  heut 
im  Kindermund,  und  Clodius  hätte  wohl  zwei  Formeln,  wie  sie  beim  geselligen 
Trinkspit'l  umlaufen  mochten,  zu  einer  verschmolzen.  —  Übrigens  will  ich  noch  be- 
merken, dass  eine  schweizerische  Form  des  hevitigen  Kinderspruches  -itz  als  stän- 
dige Spielendung  aufweist:  Anna  videwanna  videvitz  und  key  Stamma,  Fritz  vide- 
witz,  videwitz  und  kän  Stitz  (Werdenberg,  DVA.  A  28  734). 

Ob  aber  der  Kindorreim  vom  Studentenscherz  abstammt  oder  umgekehrt  das 
Studentenlied  sich  aus  Kindermunde  bereichert  hat,  ist  mit  voller  Sicherheit  nicht 
zu  entscheiden.  Kennen  wir  Fälle  der  ersteren  Art  —  ich  vorweise  besonders  auf 
den  Narrenspruch  Böhme  I  Nr.  409,  dazu  oben  18,  28  f.,  so  wissen  wir  doch  auch, 
daß  Trinklieder  mit  besonderer  Vorliebe  aus  Wiegenliedern  geflossen  sind,  s.  oben 
21.  'ITA. 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  17 

um  rhythmische  Scliärfuug,  worau  ich  nicht  zweiÜe,  so  scheint  das  eine 
gewisse  Höhe  des  rhythmischen  Gefühls  vorauszusetzen,  und  möchte  es 
zunächst  nicht  einleuchten,  die  Wurzeln  dazu  schon  im  Lallspiele  zu 
suchen.  Aber  vielleicht  dürfen  wir  annehmen,  dass  sich,  ebenso  wie  das 
Oefühl  für  den  Reim  (oben  27,  207),  so  auch  das  für  deu  Rhythmus  im 
und  am  Spiel  entwickelt.  Jedenfalls  sind  von  einzelnen  Beobachtern 
Silbengruppen  anfgezeichnet  worden,  die  ich  mir  schwer  anders  deuten 
kann,  z.  B.  Idelberger  S.  435  f.  (heulüNdä)  didüeidedeiderlei,  leideleide- 
leidelei,  von  einem  anderen  Kinde  randerand,  reidereid,  (adadeita,)  leidelei; 
auch  wenn  Lindner  S.  332  von  seinem  Töchterchen  erzählt,  dass  es  beim 
'Zeitunglesen'  stets  nur  degattegattegatte  unzählige  Male  wiederholte,  so 
sollte  das  offenbar  den  rhythmischen  Wechsel  betonter  und  unbetonter 
Silben  ausdrücken,  wie  ihn  das  Ohr  des  Kindes  aus  dem  Lesen  der  Er- 
wachsenen aufgefasst,  aber  sicherlich  schon  in  seinen  eigenen  Lallübungen 
vorempfunden  hatte.') 

7.  Das  starke  Wiederholungsbedürfnis,  das  bei  den  behandelten  Er- 
scheinungen in  erster  Reihe  beteiligt  ist,  könnte  auch  die  empfundene 
und  beabsichtigte  Herrschaft  desselben  Aulautes,  den  Stabreim  vorbe- 
reitet und  hervorgerufen  haben.  Auch  diese  Erscheinung  ist  im  kindlichen 
Sprachspiele  weit  verbreitet:  ganz  abgesehen  von  deu  überall  geläufigen 
Sätzen  aus  gleichanlautenden  Worten  (Wir  Westerwälder  Waschweiber  .  .  . 
und  dgl.)  brauch  ich  nur  auf  Eingangszeilen  wie  Tross  tross  trill, 
Ringel  Ringel  Rose,  Lirum  lamm  Löffehtiel,  Ene  mene  ming  mang  hinzu- 
weisen, bei  denen  der  einmal  gewonnene  Anlaut  spielerisch  zu  ganz 
anderen  Lautungen  weitergeführt  wird.  Indes  fehlt  mir  noch  die  Möglich- 
keit, in  der  Lallsprache  die  nötigen  Zwischenglieder  in  grösserer  Zahl 
aufzuweisen,  so  dass  ich  diesen  Punkt  lieber  auf  sich  beruhen  lasse;  vsl. 
jedoch  unten  Abschn.  9. 


Mag  man  jedoch  eine  in  ihrer  Art  so  geistvolle  und  formsichere  Lautspielerei, 
wie  sie  die  genannten  Kinderreime  zeigen,  nicht  dem  Kind  allein  zutrauen,  so  ist 
doch  die  Machart  zweifellos  kindlich  und  in  einfacheren  Ausprägungen  dem  Kinde 
sehr  wohl  angemessen.  Der  Erwachsene  verfügt  nicht  mehr  über  die  unbefangen 
waltende  Sprachmeisterschaft,  er  hat  viel  zu  viel  sprachliches  Gewissen,  um  wahr- 
haft schöpferisch  mit  dem  Sprachstoff  umspringen  zu  können:  er  muß  beim  Kind 
als  dem  wahren  Sprachgenie  in  die  Schule  gehen  und  in  Wechselwirkung  mit  ihm 
treten.  Man  braucht  nur  zu  betrachten,  wie  es  Dichtern  vom  Range  R.  Wagners 
und  Dehmels  ergangen  ist,  wenn  sie  nach  'expressiver'  Wortschöpfung  strebten 
(^vgl.  darüber  R.  M.  Meyer,  Idg.  Forsch.  12,  92.  254.) 

1)  Es  ist  bezeichnend  und  vergleicht  sich  der  oben  27,  207.  213  besprochenen 
Anreimung,  wenn  echte  Namen  im  Kindermunde  zu  solchen  Silbengruppen  um- 
gestaltet werden.  So  erscheint  Antonius  van  Paddewaddewat  in  Dorsten  (Zeitschrift 
für  rhein.  und  westf.  Volksk.  14,  118;  zu  Böhme  I  Nr.  310  usw.).  —  [Wie  sich  jene 
Anreimung  unwillkürlich  auch  bei  Erwachsenen  einstellt,  zeigt  eine  von  O.  Stück- 
rath  beobachtete  Umgestaltung:  aus  Edite  bibite  wird  neben  Edita  pipdada  auch 
Elide  belide  und  Edita  sehdita,  DVA.  Soldatenlieder  495  a.  23.] 

Zeitschr.  d.  Vereins  £.  Volkskunde.    1918.  9 


18  Schläger: 

8.  Die  soeben  angeführten  Formeln  zeigen  mit  dem  Wiederliolungs- 
trieb  eng  verschwistert  tlen  entgegengesetzten  Drang  nach  Abwandlung; 
sie  geben  ein  entwickelteres  Seitenstück  zu  den  Lalltypen  ö—^ö  und /a—rfä' 
und  sind  recht  bezeichnend  für  die  kindliche  Art  des  geistigen  Fort- 
schritts: erst  ein  behutsames  Sichern  des  Besitzes,  dann  keckes  (ireifen 
nach  neuem  Gewinn,  wobei  doch  etwas  mit  herübergenommen  wird  zur 
leichteren  Aneignung. 

Hierbei  fühlt  man  sich  sofort  an  den  Vokalwechsel  erinnert,  an  all 
die  Ablautspielc  wie  "nmig—marKj  kling — klang,  P^ff—pcff—pufi]  die  im 
Kiuderreim  so  unendlich  häufig  sind.  Es  ist  sehr  verführerisch,  dergleichen 
mit  dem  auch  im  Lallspiel  vorhandenen  Vokalwechsel  in  Zusammenhang 
zu  bringen  —  besonders  für  den  Anhänger  der  Vererbungslehre,  der  die 
Erbschaft  von  Jahrtausenden  hier  wiederfinden  möchte.  Das  Vorkommen 
im  Munde  der  l<]rwachsenen,  zumal  in  ümgangsprache  und  Volkslied 
(Da  flimmert's  und  flammert's  von  fern,  Jede  Ki — Ka — Kugel  trifft  ja  nicht. 
Hör  ich  ein  Sichlein  ri — ra— rauschen  usw.:  G.  Keller  an  Marie  von  Frisch 
4.  Juli  1876,  Bächtold-Ermatinger  Kr.  303  „um  seinem  keramischen 
Krikel— Krakel  — Krukel — Sinn  zu  frönen",  an  Storm  13.  August  1878, 
ebenda  Nr.  366  ^Sie  sind  etwas  streng  im  Punkte  der  Lyrum  — larum — 
Sachen"  usw.:  ob  nicht  auch  die  heilige  Kaku(ka)killa.  die  nach  E.  Heurici, 
Sprachmischung  in  älterer  Dichtung  Deutschlands,  Berlin  1913  S.  14  in 
einem  alten  Zauberspruch  erscheint,  hier  unterzubringen  ist?  wenn  es 
auch  ein  entstellter  Name  ist,  siehe  oben  8,  341  f.)  braucht  da  nicht  zu 
stören,  dergleichen  kann  ebensowohl  dem  Kindermund  abgelauscht  sein, 
als  wenn  Keller  in  der  Zeit  der  Schwärmerei  für  Betty  Tendering 
unter  anderen  Federproben  auch  den  Reim  leistet  'Rheinländerin — 
Ting  tang  Tendering'  (Bächtold-Ermatinger  I  S.  242;  vgl.  dazu  Böhme  I 
Nr.  1163,  H  Nr.  137—140  usw.). 

Freilich  haben  die  frühesten  Beispiele  des  Vokalwechsels  im  Kinder- 
munde, soweit  ich  die  Aufzeichnungen  übersehe,  wenig  Ähnlichkeit  mit 
dem,  was  wir  Ablaut  nennen.  Es  handelt  sich  da  einfach  um  ein  Streben 
nach  Neuem,  ohne  dass  sich  gesetzmässiger  Wechsel  iu  bestimmten  Laut- 
stufen erkennen  Hesse.  Am  meisten  find  ich  bei  Idelberger:  es  ist  be- 
merkenswert, wie  dessen  Söhnchen  noch  im  ersten  T^ebensjahre  durch 
Nachahmung  gewonnenes  wauwau  in  mannigfaltiger  Art  abwandelt  zu 
wauwa  wauwö  icauwe  wowo  wowö  (S.  259  f.).  Solcherlei  wäre  noch  viel  an- 
zuführen; aber  es  ist,  wie  gesagt,  recht  zweifelliaft,  ob  wir  es  mit  den 
später  auftretenden  wirklichen  Ablautspielen  verknüpfen  dürfen.  Preyer 
verzeichnet  didl-dadl,  memania  nii  via  mö  ma  erst  am  Ende  des  2.  Jahres 
(S.  10:^),  Ament  freilich  dadidu,  gegigo  u.  dgl.  schon  im  10.  Monat  (S.  52); 
mein  eigener  Junge  vergnügte  sich  im  19.  Monat  lange  mit  bibabii.  Das 
alles  kann  schon  unter  starker  Einwirkung  der  Umwelt  stehen  und  bleibt 
besser  aus  dem  Spiele,  bis  ausgiebigere  Beobachtungen  vorliegen. 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  19 

9.  Bei    den    zuletzt    behandelten    Erscheinungen    ist  es  autiällig,  wie 
gross  die  Verschiedenheiten    unter    den  einzelnen  Kindern  sind;    sie  ent- 


o 


hüllen  sich  freilich  erst  bei  sorgfältigem  Vergleichen.  Die  landläufige 
Meinung,  dass  in  diesem  Alter  ein  Kind  sich  ungefähr  ebenso  verhalte 
wie  jedes  andere,  ist  durchaus  irrig.  Nun  wird  es  sich  gewiss  empfehlen, 
für  unsere  Zwecke  vor  allem  die  typischen,  bei  der  Mehrzahl  der  Kinder 
wiederkehrenden  Erscheinungen  ins  Auge  zu  fassen;  jedoch  dürfen  wir 
nicht  ganz  vergessen,  dass  bei  der  Entstehung  bestimmter  Formen  auch  in 
dieser  kleinen  Welt  einzelne  Kinder  mit  besonderen  Neigungen  und  An- 
lagen die  Führung  haben  können.  So  ist  es  unter  Umständen  erlaubt 
oder  geboten,  gewisse  Eigenheiten  der  Kinderdichtung  mit  solchen  Spiel- 
äusserungen  der  Lallzeit  zu  verknüpfen,  die  nur  ganz  vereinzelt  berichtet 
werden.  Dieser  Fall  scheint  mir  vorzulieo;en  bei  einer  sehr  merkwürdigen 
Lallformel,  die  Meringer  S.  145  gleich  nach  dem  3.  Monat,  also  zweifel- 
los vor  jeder  Nachahmung  verzeichnet:  sie  lautet  grli  yiii  (juch  und  nimmt 
ganz  auffällig  mehrere  im  Kinderreim  verbreitete  Typen  voraus.  Einmal 
entspreclien  ihr  in  sinnloser  Lautfolge  Zeilen  wie  giri.  giri  gix  Böhme  I 
Nr.  499,  tross  tross  troll,  in  halb  oder  ganz  sinnvoller  Storch  Storch  Steiner, 
Schnecke  Schnecke  Scliniere,  Ringel  Ringel  Rose,  Müller  Müller  Maler,  Saft 
Saft  siede,  auch  hohle  hohle  Wiede,  backe  backe  Kuchen,  wenn  man  auf  den 
durchgehenden  Stabreim  kein  Gewicht  legt;  dann  aber  erinnert  sie  an  den 
verbreiteten  Abzähltypus,  der  auf  zwei  Reiniwörter  eine  deutlich  ab- 
schliessende Silbe  folgen  lässt,  wie  ea  dea  do,  itta  fitta  futt,  ohne  bohne 
dtist,  eiu  iveia  weg,  reppel  peppel  knall,  kurle  murle  puff.  Das  klingt  vielleicht 
abenteuerlich;  auch  ich  würde  an  einen  Zufall  glauben,  wenn  es  sich  um 
eine  vereinzelte  und  allenfalls  ein  paarmal  hintereinander  wiederholte 
Silbenfolge  handelte.  Wenn  aber  Meringer,  ein  sehr  kühler  Beobachter, 
ausdrücklich  bemerkt,  sie  sei  im  Verlauf  eines  langen  'Lallmonologes"  so 
oft  wiedergekommen,  dass  die  Eltern  diesen  als  die  'Geschichte  von  gi-li 
grli  gucK  bezeichnet  hätten,  so  wird  man  kaum  um  die  Annahme  herum- 
kommen, dass  sich  hier  ein  ganz  bestimmter  Formwille  äussert.  Wir 
wissen  ja  von  diesen  Dingen  noch  blutwenig  und  dürfen  nicht  ohne 
weiteres  verwerfen,  was  uns  seltsam  und  unwahrscheinlich  dünkt.  Hier, 
wie  auf  dem  ganzen  Gebiete,  können  wir  Licht  erst  von  hundertfältig 
wiederholten  Beobachtungen  erwarten. 


Es  ist  schon  mehrfach  darauf  hingewiesen  worden,  wie  sich  im  Ver- 
laufe der  Lallzeit  der  Einfluss  der  Umgebung  immer  mehr  geltend  macht 
So  führen  allmählich  erwachendes  Verständnis  einzelner  Lautgruppen 
einerseits,  Nachahmung  anderseits  gegen  Ende  des  ersten  Jahres  die 
eigentliche  Spracherlernung  herauf:  ein  gewaltiger  Sprung,  der  sich  nicht 
nur    durch    sichtbare    Anspannung,    sondern    bei    manchen  Kindern  sogar 

2* 


20  Schläger; 

durch  eine  nahezu  stumme  Zwischenzeit  anzeijjt. ')  Audi  da  spricht 
spielerische  Gewohnheit  stark  mit:  echoartiges  M'iederholeu  der  zuletzt 
gehörten  Lautgruppen,  zuerst  rein  triebmässiges  Nachplappern,  verbindet 
sich  langsam  mit  Vorstiindnis  und  Wahl.  Die  Schwierigkeit  der  Nach- 
ahmung aber  erhöht  den  Eifer  und  gibt  den  Laut-  und  Wortübungeii  ein 
neues,  schärferes  Gepräge,  immer  mehr  lassen  sich  bestimmte  Ziele  wahr- 
nehmen.") Damit  steigert  sich  aucli  noch  mehr  die  Lust  an  Gleichklang 
und  spielender  Abänderung,  also  an  Reim,  Stabreim  und  Ablaut;  ja  selbst 
das  Unverstandene  reizt  den  Wetteifer  und  führt  zu  kindlichem  Kauder- 
welsch. Ein  hübsches  Beispiel  bietet  das  oben  S.  17  erwähnte  degdtte- 
gattegatte  beim  'Zeitunglesen';  noch  deutlicher  zeichnet  sich  die  gegen- 
seitige Durchdringung  von  Lalltrieb  und  Nachahmung,  reiner  l^aut- 
schwelgerei  und  beginnendem  Sprachverständnis  ab,  wenn  eine  Reihe  von 
sinnlosen  Silbengruppen  plötzlich  durch  ein  verständliches  Wort  oder 
deren  mehrere  abgeschlossen  wird  —  ganz  wie  wir  es  in  Abzählreimen 
so  häufig  finden  (Ene,  done  Tintenfass  usw.;  Stern,  Kspr.  S.  91,  sieht  in 
jener  Erscheinung  eine  Nachahmung  der  Sprache  der  Erwachsenen). 

So  bringt  das  Kind,  wenn  es  mit  einiger  Sprachbeherrschung  in  die 
Spielgemeinschaft  eintritt,  schon  vielerlei  mit,  was  ihm  die  Eingewöhnung 
in  diese  neue  Welt  erleichtert;  die  Spiele,  an  denen  es  nunmehr  teilnimmt, 
müssen  ihm  sofort  lieb  und  vertraut  werden,  sie  sind  eben  in  vielem  die 
gradlinige  Fortsetzung  dessen,  was  das  Kind  aus  sich  selber  bereits  ent- 
wickelt und  geübt  hatte.  Dazu  kommt  als  weitere  Förderung,  dass  auch 
das  Gefühl  für  den  Rhvthmus  inzwischen  weit  stärker  geworden  ist.') 


1)  Völkerpsych."  I  S.270f.  299;  Preyer  S.  '264;  Stern,  Kspr.  S.  15,  Psych.  S.  49 
(auffällig  frühe  Nachahmung!);    Meringer  S.237;    Meumann  S.  163 ff. 

2)  Sp.d.  M.  S.371..'580;  'Echolalie'  Preyer  S.  258,  Völkerpsych.M  S.  270;  vgl. 
Sievers'  Keobachtung  bei  Meringer  8.  116.  —  Zu  der  echoartigen  Wiederholung 
einzelner  Lautgruppen  ohne  Rücksicht  auf  den  Sinn  lassen  sich  Kinderverse  ver- 
gleichen wie  das  schon  oben  27,  210  behandelte  'iMoine  Mu  —  meine  Mu  —  meine 
Mutter  schickt  mich  her,  das  aber  auch  mit  dem  Ablautspiel  verbunden  erscheint: 
Meine  Mi  —  meine  Ma  —  meine  Mutter  schickt  mich  her  usw.  (Deutsches  Volkslied 
archiv  A9696).  —  Nach  Preyer  verbindet  sich  die  Silbenwiederholung  vereinzelt 
mit  dem  Einschub  unzugehöriger  Silben  ('Embolophrasie'},  etv/a.  ich-icli-effbin-in-eff: 
es  ist  der  Erwägung  wert,  ob  darin  nicht  eine  Vorstufe  der  Seherz-  und  Goheim- 
sprachen  zu  erkennen  ist. 

3  Wie  weit  schon  die  Spieläußerungon  der  Lallzeit  durch  das  rhythmische 
Gefühl  mitbestimmt  werden,  ist  noch  wenig  klargestellt,  jedenfalls  vermögen  sie 
es  zu  entwickeln,  s.  oben  S.  17  und  Völkerpsych.  I  S.  270.  Die  triebmäßigen  'Mit- 
bewegungen' beim  Musikhören,  Preyer  S.  127,  lassen  sich  schwer  anders  als  aus  dem 
rhythmischen  Heiz  erklären.  Die  ersten  Tanzversuche  sind  freilich  nicht  rhythmisch, 
ebenda  S.  167,  aber  es  fragt  sich,  ob  das  nicht  mehr  im  Vollbringen  denn  im  Wollen 
liegt;  jedenfalls  vermerkt  Preyer  schon  für  das  Ende  des  zweiten  Jahres  takt- 
mässiges  Tanzen  nach  der  Musik  und  selbst  leidliches  Taktschlagen,  Idelberger 
aber  berichtet  S.  '243  über  taktierende  Handbewegungen  zum  Schlagen  der  Wanduhr 
bereits  vor  Ablauf  des  ersten  Jahres.  Von  Sprechäusserungen  dürfen  ffiii (/ili guch  und 
das  regelmässige  Einschieben  unbetonter  Silben  (oben  S.löf.  19)  stark  insGewicht  fallen. 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  21 

Auch  weiterhin  hört  das  Kind  nicht  auf,  die  erstarkten  Seelenkräfte 
an  dem  immer  reichlicher  von  aussen  zufliessenden  Sprachstoffe  zu  üben. 
Aber  naturgemäss  wird  nun  die  Entscheidung  immer  schwerer,  was  eigner 
Anlage,  was  der  Nachahmung  zu  verdanken  ist.  Das  gilt  besonders  für 
das  grosse  Gebiet  des  kindlichen  Kauderwelsch,  von  dem  schon  oben 
gelegentlich  die  Rede  gewesen  ist.  Wo  dieses  bereits  in  der  Lallzeit  als 
Nachahmung  der  unverstandenen  Sprache  der  Erwachsenen  auftritt  (s.  o. 
27,  202,  Stern  Kspr.  S.  91),  kann  mau  doch  nur  von  einer  Nachahmung 
des  allgemeinen  Klangeindrucks  sprechen,  während  die  Lautgebung  selbst 
aus  dem  Eigenbesitze  des  Kindes  bestritten  wird.  Mit  der  Zeit  muss 
jedoch  die  Nachalimung  immer  zielbewusster  und  bestimmter  werden. 
So,  wenn  kleinere  Kinder  den  fremdsprachlichen  Übungen  ihrer  älteren 
Geschwister  zuhören:  sie  bilden  sofort  die  geheimnisvollen  Klänge  nach 
und  sind  dabei  oft  genug  in  dem  Glauben,  wirklich  in  einer  fremden 
Sprache  zu  reden,  aucli  gehen  sie  wohl  daran,  eine  Geheimsprache  für 
ihren  eigenen  Gebrauch  zu  schaffen,')  wobei  im  einzelnen  Falle  das  Spiel 
zu  ernsteren  Ergebnissen  führen  kann,  als  man  gewöhnlich  annimmt 
(vgl.  Kspr.  S.  345 ff.,  Sp.  d.  M.  S.  442). 

Solche  Eigenleistungen  der  Kinder  haben  sicherlich  einen  Nieder- 
schlag hinterlassen  in  dem  Kauderwelsch,  wie  es  besonders  in  den  Ab- 
zählreimen in  üppiger  Blüte  steht.  Aber  es  ist  sehr  schwer,  das  echte 
Kindergut  herauszusondern.  Am  ehesten  wird  mau  dem  Kinde  zuweisen 
dürfen,  was  in  dem  Gleise  der  oben  behandelten,  aus  der  Lallsprache 
ableitbaren  Wortprägungen  verläuft  oder  doch  aus  ihnen  weitergebildet 
scheint,  etwa  Lewalter  und  Schläger  Nr.  176  Eller  zeller  zibbel  zabbel  Eebbel 
bebbel  knoll,  178  Enter  tenter  tiramenter  Enter  tenter  weg,  188  Ohne 
dohne  dante  rohne  Itta  titta  futt,  189  Eene  meene  ming  mang  kling  klang 
Use  buse  packe  dich  Eier  weier  weg,  190  Annchen  dannchen  diddchen 
daddchen  Ewerde  bewerde  bittchen  de  battchen  Ewerde  bewerde  bu.  Ab 
bist  du,  211  Eene  meene  dunke  funke  rabe  schabe  dippe  dappe  Kaiser 
läppe  (sonst:  Käsenappe)  diele  puffe  aus,  228  Äppelchen  bäppelchen 
bierchen  beichen  puff  usw.,  wobei  denn  freilich  die  Frage  offen  bleiben 
muss,  ob  und  wie  weit  bei  der  versartigen  Ausgestaltung  Erwachsene  be- 
hilflich gewesen  sind.  Auf  der  anderen  Seite  stehen  vereinzelte  Beispiele, 
die  bei  aller  Sinnlosigkeit  wirklich  auf  eine  fremde  Sprache  hinweisen, 
bei  denen  also  Nachahmung  im  vollsten  Sinn  anzunehmen  ist;  das  ver- 
breitetste  Stück  dieser  Art  ist  wohl  Böhme  I  Nr.  1861  Un  deux  trois  quatre 
mit    seinen    vielen    Entstellungen,,  die    doch    immer    einen  französischen 


1)  Es  ist  bemerkenswert,  dass  ein  Kind  sich  einbilden  kann,  in  derartig 
spielerischen,  anscheinend  ganz  willkürlichen  Wortschöpfungen  müsse  ein  Sinn 
liegen  (Meringer  S.  120  ;  Blümmls  Quellen  und  Forschungen  ü,  24\  Darin  spricht 
sich  wohl  dieselbe  Hochachtung  vor  dem  Worte,  zumal  dem  geheimnisvoll  klin- 
genden,   aus,    die    im  Volke    so    viel  abergläubischen  Gebrauch    hervorgerufen  hat. 


22  Schiäser: 

Wortlaut  ahiiöu  lassen.')  Zwischeu  boidoii  (jru()pen  findet  man  aber  eine 
dritte,  die  im  ganzen  der  ersten  näher  steht,  indem  sie  unzusammen- 
hängende, nur  äusserlich  leicht  gebundene  Spielwörter  häuft,  im  einzelnen 
aber  neben  offenbaren  Neubildungen  mit  dem  Klangoharakter  einer  be- 
stimmten Sprache  auch  verständliche  Wörter  fremdartigen  Klanges  aufweist: 
Lewalter  und  Schläger  Nr.  191  Ong  drong  dreoka  Lembo  lembo  seoka 
Seoka  di  tschipperie  Tschipperie  di  Kolibri...,  anderwärts  mit  der 
'Eindeutschung"  Kohlebrieh;  193  Eene  meene  mieno  Galleredde  sieno 
Galleredde  ispusedde  ...  —  hier  dürfte  Espersette,  wie  es  eine  andere 
Fassung  bietet,  die  Herkunft  anzeigen,  in  solchen  Bildungen  lassen  sich 
wohl  die  kindlichen  Versuche  wiedererkennen,  eine  fremde  Sprache  nach- 
zuahmen,') nur  lässt  die  hoffnungslos  verworrene  Überlieferung  fast  nie 
ein  halbwegs  sicheres  Urteil  zu.  Hier  muss  uns  erst  vielseitige  Be- 
obachtung und  vergleichende  Behandlung  einzelner  Stücke  einen  Weg  ins 
Dickicht  bahnen. 

Wenn  man  gegen  die  Wanderung  einzelner  fremdsprachlicher  Stücke 
nichts  einwenden  wird,  so  liegt  es  doch  für  die  meisten  Fälle  näher,  die 
Schule  verantwortlich  zu  machen.  Hier  erlebt  in  der  Tat  das  Sprach- 
spiel in  geselligem  Wetteifer  eine  zweite  Blüte.  Ganz  besonders  worden 
im  Schulverkehr  die  kindlichen  Geheimsprachen  gepflegt.  Bei  diesen 
denkt  man  wohl  durchweg  an  reine  Nachahmung  der  Yerstecksprachen 
Erwachsener,  zumal  da  die  geschichtliche  Betrachtung  letzten  Endes  auf 
Klosterüberlieferung  hinzuführen  scheint:  die  verbreitetste  Kindergeheim- 
sprache,  die  sogenannte  b-  oder  p-Sprache,  ist  auch  die  ältestbezeugte, 
sie  erscheint,  wie  in  einer  Helmstedter  Handschrift  der  Bibliothek  zu 
Wolfenbüttel,  so  auch  schon  in  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts 
bei    Bruder  Gallus  Kemly  in  Sankt  Gallen    (E.  Henrici,    Sprachmischung 


1)  Das  ist  natürlich  nicht  auf  den  Abzählreim  beschi-änkt.  Wir  haben  einen 
sehr  merkwürdigen  Fall  in  dem  Kinderreif,'en  'Seht  den  Kranken  scheiden'  .  .  .  ., 
den  wir  nahezu  sicher  auf  ein  französisches  Vorbild  'C"  est  .oder  J  ai  un  grand 
chäteau'  zurückführen  können,  nur  dass  dieser  aus  rein  französischem  Gebiete  noch 
nicht  nachgewiesen  ist,  s.  Lewalter  und  Schläger  '2G0.  —  Ein  anderer  französischer 
Reigentext  mit  zweifacher  Umgestaltung  im  Munde  der  kleineren  Mädchen  und  der 
Bürgerschüler  zeigt,  wie  schwierig  das  Urteil  über  den  Wortlaut  sein  kann,  wenn 
wir  nicht  zufällig  die  Grundlage  kennen:  M.  Adler,  Volks-  und  Kinderlieder, 
Programm  Halle  1901,  S.  26. 

2  Sprachliche  Grenzgebiete  werden  für  dergleichen  den  günstigsten  Boden 
abgeben,  es  fehlt  aber  noch  an  ausgiebigen  Beobachtungen  hierüber.  Aus  Schlesien 
kenn  ich  einen  Abzählreim,  der  unter' dem  Xamen  'Polnisch  zählen  geht,  aber 
offenbar  nur  ganz  unbestimmte  Anklänge  aufweist:  Enns  wenns  drenns  fiba  faba 
hunka  puuka  dricka  polla  päpst  (DVA.  A  50  775).  Wirkliche  Mehrsprachigkeit  findet 
sich  aber  in  manchen  der  von  Piger  mitgeteilten  Reime  aus  dem  südösterrcichischen 
Mischgebiete,  Zeitschr.  f.  öst.  Volksk..  Supplementheft  1  zu  Jahrg.  6  S.  26 ff.,  und  in 
Gottschee,  Hauffen  S.  161  f.;  so  auch  in  einem  schlesischen  Namenreim  (DVA. 
A.  51  349).:  Hans,  Podry  Gans,  Krotki  wogön,  Dlugi  Schwanz  (=  H.,  Untergerupfte  G., 
Kurzer  Schwanz,  Langer  Schw.). 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  23 

in  älterer  Dichtung  Deutschlands  S.  53;  J.  J.  Schneider,  Über  zwei  Hand- 
schriften der  Stadtbibliothek  iu  Zürich,  Züricher  Dissertation  1904, 
S.  163,  Schweizer  Volkskunde  4  Heft  3  S.  '22).  Trotzdem  ist  angesichts 
der  vielen  einwandfreien  Beobachtungen  an  Kindern  und  besonders  auch 
der  von  Preyer  so  genannten  Embolophrasie  (oben  S.  20  Anm.  2)  die  Mög- 
lichkeit vorhanden,  dass  die  b-Sprache  Kindern  oder  wenigstens  Halb- 
wüchsigen zu  verdanken  ist;  die  Klosterüberlieferung  braucht  ja  nicht  aus 
der  Schulstube  hinauszuführen.  Von  mehr  als  Möglichkeit  darf  man 
selbstverständlich  nicht  sprechen.') 

Eine  alte  Schulspielerei  ist  ferner  der  Rücklauf,  die  Umkehrung 
von  Wörtern  und  ganzen  Sätzen.  Einer  der  frühesten  Scherze,  die  ein 
ABC-Schütze  von  etwas  älteren  Leidensgenossen  lernt,  ist  die  Umkehrung 
seines  Namens,  z.  B.  Regälsch  Gnagflow,  was  in  mitteldeutscher  Aus- 
sprache ganz  verfänglich  klingt;  dazu  gehört  dann  die  Spiegelschrift,  die 
alles  wieder  in  Ordnung  bringt.  Es  liegt  nun  sehr  nahe,  Jagd  auf  Wörter 
und  ganze  Sätze  zu  machen,  die  rückwärts  und  vorwärts  gelesen  völlig 
gleich  lauten:  Otto,  Anna,  Reliefpfeiler,  Ein  Neger  mit  Gazelle  zagt  im 
Regen  nie  (Lewalter  und  Schläger  Nr.  389.  545  f.);  hierher  gehören  auch 
die  sicherlich  in  Klosterschulen  gepflegten  'versus  recurrentes'  (vgl.  Hessische 
Blätter  für  Volkskunde  13,  154;  G.  Gröber,  Grundriss  der  romanischen 
Philologie  H,  1,  392  Anm.  "2).  Hier  könnte  man  freilich  Tiefsinn  wittern. 
Ein  beliebter  Gegenzauber  besteht  darin,  die  Zauberformel  rückwärts  zu 
lesen  und  dadurch  ihre  Kraft  aufzuheben;  infolgedessen  ist  die  schützende 
Rückläufigkeit  vielen  Zauberformeln  eigen,  vom  griechischen  aßXava&av- 
alßu  zum  mittelalterlichen  und  heutigen  sator  arepo  tenet  opera  rotas 
(A.  Dieterich,  Kl.  Sehr.  S.  264f.;  Hess.  Bl.  13,  154;  oben  25,245.  27,269). 
Aus  solchem  Ernstgebrauche  kann  man  sich  gewiss  das  Scherzspiel  er- 
wachsen denken,  wenn  man  einmal  den  Glauben  dazu  hat.  Mir  scheint 
jedoch  der  Umweg  so  wenig  nötig  wie  beim  Kauderwelsch  der  Abzähl- 
reime (oben  27,  215).  Wir  haben  überdies  auch  in  der  Dichtung  etwas 
Gleichartiges,  wofür  meines  Wissens  noch  niemand  den  Zauberbrauch 
bemüht  hat:  ich  meine  die  symmetrische  Wiederholung  der  Zeilen  einer 
Strophe,  wie  wir  sie  aus  dem  mittelhochdeutschen  Lied  und  Spruch  ins 
neuere  Volkslied   und   iu   allerlei  Scherzformen  verfolgen  können    (Carm. 


1)  über  die  Schülergeheimsprachen  vgl.  F.  Kluge,  Rotwelsch  I,  111  f.;  Unser 
Deutsch  3,  Leipzig  1914,  S.  81f.;  H.Schröder,  Streckformen,  Heidelberg  1906,  S.  256  f.— 
Es  sei  angemerkt,  dass  Einschubsilben  ganz  ähnlicher  Art  wie  in  manchen  kindlichen 
Geheimsprachen  sich  in  durchaus  ernsthaftem  Gebrauch  in  Gottschee  finden:  dort 
sind  in  manchen  Liedern,  besonders  dem  geistlichen  Osterlied  Hauffen  Nr.  43,  viele 
Wörter  dem  melodischen  Rhythmus  zuliebe  durch  die  Silbe  d^h  zerdehnt,  z.  B.  troada- 
hoascht  =  Trost,  guardahuarta  =  Garten,  ublosboidahöchan  =  Äblasswocheu.  Es  ver- 
dient Beachtuns,  dass  hierdurch  wieder  Silbengruppen  der  oben  S.  15f.  behandelten 
Art  entstehen.  —  Eine  eigenartige  Geheimsprachbildung  im  kindlichen  Schnell- 
sprechscherz wird  verzeichnet  Schweiz.  Arch.  f.  Volksk.  G,  151. 


24  Schläger: 

Bur.  Nr.  136a  Chume  cliuin,  geselle  min;  \Valther  Nr.  87  Nienian  k;ui  mit 
gerten;  Erk  und  Böhme  Nr.  1491  Schäfer,  sag,  wo  willst  du  weiden:  Musen- 
klänge aus  Deutschlands  Leierkasten  "  S.  147  ff.,  Lewalter  und  Schläger 
Xr. 401  Eduard  und  Kunigunde:  das  Lammerstratenlied  und  die  Schwellkehr- 
reime vieler  Zälilgesehichteu).  Es  läge  nicht  fern,  die  ganze  Art  auf 
tiedächtnisverse  zurückzuführen,  wie  es  S.  Singer,  Schweizer  Archiv  für 
Volkskunde  19,  ]'I2  mit  den  Kettenreimen  tut;  das  würde  auf  Walthers 
lehrhaftes  Gedicht  passen,  aber  ganz  und  gar  nicht  auf  die  anderen 
lyrischen  Stücke,  und  so  dürfte  R.  "Wustmann  (Walther  von  der  Vogel- 
weide, Strassburg  1913,  S.  65)  recht  haben,  wenn  er  meint.  Walther 
habe  „einen  künstlerischen  Scherz,  mit  dem  die  Spielleute  manchmal 
tändelten",  als  Lernhilfe  Terwendet.  Es  ist  eine  Spielform  und  in  der 
Wurzel  von  den  kindlichen  Umkehrungen  nicht  zu  trennen.  Schliesslich 
ist  es  nicht  ganz  ausgeschlossen,  auch  diese  Spielform  bis  in  die  Lallzeit 
lies  Kindes  zurückzuverlegen.  Preyer  bemerkt  S.  299  ausdrücklich,  dem 
Kinde  liege  neben  der  Doppelung  wie  papa,  veinei  auch  die  Umkehrung 
wie  ot—to,  en  —  ne,  an — na  sehr  günstig.  Indes  erscheint  es  inii'  nicht 
sicher,  ob  Preyer,  im  ganzen  ein  trefflicher  Beobachter,  auch  seine  laut- 
lichen Begriffe  ausreichend  geschult  hatte,  um  die  herkömmliche  Doppel- 
schreibung des  Konsonanten  zur  Bezeichnung  der  Vokalkürze  von  der 
wirklichen  Verdoppelung  unterscheiden  zu  können.  Dieser  Ausblick 
bleibt  also  besser  aus  dem  Spiele. 

Endlich  wurzelt  im  Schulleben  noch  ein  anderer,  ausserordentlich  be- 
liebter Scherz:  Deutsch  mit  einer  fremden  Sprache,  meist  Latein  oder 
Eranzösisch,  zu  mischen,  sei  es  nun,  dass  wirkliche  fremde  Wörter  zu- 
sammenhängend unter  die  deutschen  eingeschaltet  werden,  oder  dass  man 
deutschen  Wörtern  auf  irgend  eine  Art  den  Anschein  fremdsprachlicher 
gibt  —  letzteres  zugleich  eine  Art  des  Rätsels.  Auch  das  lässt  sich  ins 
Mittelalter  hinein  verfolgen;  ich  will  nur  erwähnen,  dass  selbst  das  an- 
spruchsloseste (iewächs  ähnlicher  Art,  die  sinnlose  Wortübertragung  (etwa 
Lewalter  und  Schläger  Nr.  510:  Josephus  pulex  po.st  Aegyptum  et  multura 
in  plus)  ihre  Vorbilder  in  der  Klosterüberlieferung  findet,  wie  mau  in  dem 
öfter  erwähnten  Buche  von  Henrici  ergötzlich  nachlesen  kann.  Ob  nun 
Kinder  aus  sich  heraus  solche  Spässe  erfinden  können,  darüber  lässt  sich 
vorläufig  nichts  sagen,  und  so  will  ich  bei  diesem  Punkte  nicht  verweilen. 
Soviel  sei  indes  angemerkt,  dass  in  sprachlichen  Mischgebieten  die  Kinder 
wohl  Wörter  verschiedener  Herkunft  durcheinandermengen  (s.  o.  S.  22 
Anm.  2),  aber,  wie  es  scheint,  nicht  zur  eignen  sprachmischenden  Wort- 
bildung neigen,  worin  sich  ein  selbständiger  Trieb  doch  wohl  kundgeben 
müsste.  Rzesnitzek,  der  einzige,  der  meines  Wissens  hierauf  geachtet 
hat,  kennt  einen  Fall  (S.  33  'das  podobeien  mir"  =  das  gefällt  mir.  nach 
polnisch  podobac),  bei  dem  es  noch  dazu  zweifelhaft  erscheint,  ob  er  nicht 
doch  aus  der  Sprache  der  l^rwachseuen  stammt. 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  25 

Vieles  andere  muss  hier  noch  aus  dem  Spiele  bleiben,  weil  sich  für 
einen  selbständigen  Anteil  des  Kindes  zu  wenig  Anhalt  ergibt.  So  will 
ich  nur  darauf  hinweisen,  dass  auch  die  Sprechfehler,  wie  sie  naturgemäss 
beim  lernenden  Kinde  besonders  häufig  auftreten,  vom  Spieltrieb  ausge- 
beutet werden.  Das  gilt  vor  allem  von  der  'Metathese',  der  Laut-,  Silben- 
und  Wortvertauschung  (Meringer  S.  10  ff.,  Kspr.  S.  296  f.):  aus  ihr  ist 
eine  grosse  Reihe  von  Sprachscherzen  erwachsen,  vgl.  Lewalter  und 
Schläger  Nr.  493  a,  nur  lässt  sich  nicht  behaupten,  dass  das  Kind  einen 
wesentlichen  Anteil  an  ihrer  Entstehung  habe,  da  auch  die  Sprache  der 
Erwachsenen  von  dieser  Neigung  aufs  stärkste  betroffen  wird  (s.  bes. 
Meringer  und  Mayer,  Versprechen  und  Verlesen,  Stuttgart  1895,  und 
Meringer  S.  1  ff.).  Ebenso  Hesse  sich  den  überraschenden  Ähnlichkeiten 
zwischen  Kinder-  und  Studentenscherzen  noch  weiter  nachgeben.  Allge- 
mein bekannt  ist  z.  B.  der  Fidulitätsscherz,  eine  Strophe,  etwa  'Der  Papst 
lebt  herrlich  in  der  Welt'  usw.,  durch  die  verschiedenen  Vokale  hindurch- 
zusingen: Dar  Papst  .  .  .  ,  Der  Pepst  .  .  .  ,  Dir  Pipst  .  .  .  usw.  —  wobei 
sich  denn  auch  ein  gewisser  Ausblick  auf  Walthers  Vokalspiel  'Diu  werlt 
was  gelf,  rot  unde  bliV  erofTnet;  ähnliches  im  Kindermunde  Schweiz.  Arch. 
f.  Volksk.  6,  '291  Nr.  88.  Dagegen  ist  noch  wenig  bekannt,  aber  ein- 
wandfrei bezeugt,  was  R.  M.  Meyer  (Indogerm.  Forschungen  12,  61) 
von  seinem  offenbar  noch  kleinen  Sohn  erzählt:  dieser  fand  Vergnügen 
daran,  statt  'gib  mir  den  Schlüssel'  zu  sagen  'gab  mar  dan  Sclilassal',  und 
ein  so  gewiegter  Beobachter  hätte  es  gewiss  vermerkt,  wenn  hier  an  den 
Einfluss  Erwachsener  zu  denken  wäre. 

Jedoch  wir  müssen  uns  bescheiden.  Auf  einem  noch  so  wenig  durch- 
forschten Gebiete  muss  das  Unsichere  und  Rätselhafte  überwiegen;  und 
ich  möchte  zum  Schluss  noch  einmal  aussprechen,  dass  auch  meine  Aus- 
führungen keinen  Anspruch  darauf  erheben.  Feststehendes  und  Unzwei- 
deutiges zu  bringen.  Hab  ich  aber  dartun  können,  dass  unermüdliche 
Beobachtung  und  eindringliche  Betrachtung  uns  mit  der  Zeit  wohl  dazu 
führen  mögen,  den  Anteil  des  Kindes  mit  einiger  Sicherheit  festzustellen, 
und  dass  sich  das  auch  lohnen  mag,  so  ist  der  erste  Zweck  dieses  Auf- 
satzes erreicht. 

Freiburg  i.  B. 


26  Müller: 

Das  Fangsteinchenspiel  in  den  Rheiulanden. 

Von  Josef  Müller. 


In  (ier  reichhaltigen  Abhandlung  von  Elisabeth  Lemke')  über  das 
Fangsteinchenspiel,  in  der  die  Verfasserin  das  alte  Spiel  durch  alle  Zeiten 
und  Lilnder  verfolgt,  seine  Bezeichnungen  sammelt  und  die  mannigfachen 
Spielregeln  beschreibt,  sind  die  Uheinlande  nur  mit  wenigen  Belegen  ohne 
Angabe  des  Spielverlaufs  aus  Horaberg  bei  Düsseldorf  und  Wevelinghoven, 
Kreis  Neuss")  vertreten.  Auch  sonst  ist  in  der  rheinischen  Literatur^) 
nicht  allzuoft  über  das  verbreitete  Spiel  gehandelt.  Doshalb  halte  ich  es 
nicht  für  unzweckmässig,  eingehender,  wenn  auch  nicht  erschöpfend,*) 
dies  auch  in  den  Rheinlandeu  früher  mehr  als  heute  geübte  Spiel  hin- 
sichtlich seiner  Bezeichnungen  und  Spielregeln  darzustellen.  Es  ist  vor- 
züglich ein  Mädchenspiel;  doch  auch  wir  Jungen  übten  es  mit  gleicher 
Fertigkeit  und  Unverdrossenheit. 

Wie  der  griechische  Name  des  Spieles  {nevxEXL&iCeiv)  andeutet,  wurden 
Steine  oder  Kiesel  vorzüglich  verwandt.  Und  so  sind  aucli  noch  heute 
abgerundete  Steine  (Schnapp-,  Gappsteine  im  rhein.  genannt)  aus  Basalt, 
Quarz  (Wacken),  Tonschiefer  bei  uns  im  Gebrauch.  Aber  neben  Blei- 
stücken, Bohnenringen,  Borkenstückchen,  Entenhalswirbeln,  Fischknoehen, 
Haselnüssen,  Holzwürfeln,  Kastanien,  Kernen  verschieilener  Früchte  u.  s.  f.^), 
wie  sie  in  den  verschiedensten  Strichen  verwandt  werden,  dienen  dem 
Spiele  Knöchel  aus  dem  Gelenk  der  Hinterbeine  von  Schafen,  Ziegen, 
Kälbern  mit  den  vier  im  Aussehen  verschiedenen  Flächen,  die  Astra- 
o-alep  der  Alten.  Freilich  galt  der  Besitzer  solcher  Golenkknöchelchen 
bei  uns  in  der  Jugend  als  ein  beneidenswerter  Glücklicher,  so  selten 
waren  sie;  sie  vererbten  sich  von  Mutter  auf  Tochter.  So  auf  dem  Lande. 
In  der  Stadt  freilich  waren  sie  leichter  bei  den  Metzgern  zu  erlangen. 
So  konnten  die  Mädchen  in  Düsseldorf  in  den  70er  Jahren  4  Knöchel 
für  8  Ff.  erstehn. 

Diese  Knöchel  führen  landschaftlich  verschiedene  Namen;  mancherorts 
ist  auf  sie  die  Bezeichnung  der  Schnappsteine  (s.u.Bickel,Brickel)  übertragen. 


1)  Oben  16,  46-66  (1906).    21,  271-27(;  (lOll). 

2)  Obon  IC).  51.  .')!.  59. 

3)  Der  Nioderrhein  1879,  S.  23.  39;  la^l.  S.  136.  Niedenh.  Geschichtfr.  1879, 
S.  66.  .lahrbuch  d.  Vor.  f.  nd.  Sprachf.  32,  71  f.  ^190G  :  oben  10,  2G0;  Zs.  des  Aacli. 
Geschichtsv.  lO,  14.'i;  Zs.  f.  rhein.  Volkskunde  15,  122  (1918\ 

4)  Dies  ist  bei  den  von  Ort  zu  Ort  wechselnden  Spielabstufungen  eine  unlös- 
bare Aufgabe.  Auch  dem  rheinischen  Wörterbuche  wird  diese  Aufgabe  trotz  reichsten 
Stoffes  kaum  Kolingi^"!  «'»*  freilich  bei  den  mundartlich  so  verschiedenen  und 
sprachlich  merkwürdigen  Kinzelbezeichnungen  nur  zu  bedauern  ist. 

5)  Lemke  oben  IG.  4t>  f. 


Das  FanKsteinchenspiel  in  den  Rheinlanden.  27 

Im  Niederfränkischen  ist  gebräuchlich  köat  (Ruhr),  kot  (niederrh. 
Cleve),  küat  (Heinsberg),  kötala  und  kötolbögala  (Düsseldorf),  kotel- 
knökska  (Elberfeld),  kütsa  (Brenig),  d^balkfiat  (Heinsb.-Kirchhoven),  ein 
im  nd.,  ufr.,  ndl.  verbreitetes  Wort;  vgl.  nmd.  köte,  'Huf,  Klaue,  Knöchel, 
SpielknöcheF;  mnl.  cöte;  nihd.  kcete;  ndl.  koot;  fläm.  keute;  mit  Ablaut: 
ofries.  käte,  eine  aus  der  idg.  Wurzel  gud  entwickelte  Bildung,  die  wie 
kütal  (null,  cötel,  cotel)  ndl.  keutel  bedeutete  'dickes,  rundliches  Ding'. 
Im  ufr.  (Xanten)  bedeutet  köt  (f.)  noch  den  Fussknöchel  des  Rindes  und 
des  Pferdes,  dort  auch  die  Redensart:  ower  da  köt  sita.  Im  Ripuarischen 
bedeutet  dasselbe  küt  (f)  'Hornschuh  des  Rindviehs'.  —  Dazu  das  Zeit- 
wort kotalan  'mit  Hammelknochen,  Schnappsteinen  spielen.'  In  Düssel- 
dorf hiess  der  dicke  Spielstein,  der  in  die  Höhe  geklitscht  wurde,  kötal- 
dots  (m.). 

Verbreiteter  jedoch  ist  der  bekal,  begaU).  So  in  Emmerich,  Moers 
(Felden),  Neuss,  M.-Gladbach  (begaltor).  Schon  Kilian  überliefert:  bickel, 
pickel  1.  'talus,  talus  lusorius';  2.  'bickel,  bickelsteenken  'Petrae  mica, 
petrae  fragmentum  quod  scalpendo  desilit,  assula,  segmen,  segmentum.' 
Abgeleitet  ist  das  Wort  von  einem  Zeitwort  bikken  'hauen'  (ahd. 
bicchen,  mhd.  bicken  (becken),  mnd.  bicken),  wozu  die  Subst.  mnl.  bicke, 
bickel  (=  nhd.  Pickel),  mnd.  bicke,  ags.  becca  'Werkzeug  zum  Bicken' 
gebildet  sind,  ursprünglich  bedeutet  also  bickelstein  ein  abgehauenes 
Stück  von  einem  Steine,  dem  die  gerundete  Form  zu  einem  Spielsteine 
gegeben  wurde;  so  dass  schliesslich  mhd.  bickelstein  'dobbelstein'  bedeuten 
konnte.  Auch  bickel  allein  hat  schon  mnd.  diese  Bedeutung.  Für  Spiel- 
schüsser,  Klicker  kommt  das  Wort  bekal  in  einem  grossen  Teil  des  nfr. 
vor.  Entweder  sind  also  in  den  oben  genannten  Gebieten  zu  diesem 
Fangsteinspiele  eigens  geformte  Steinstücke  verwandt  worden,  oder  auf 
die  Hanimelknöchelchen  ist  das  Wort  bickel,  das  in  nächstfolgender 
Bedeutungsentwicklung  'Steinschüsser'  besagte,  übertragen  worden.  In 
Barmen  sagt  man  auch:  pikalkncjakan.  (Der  Ersatz  des  anlautenden  b  durch 
p  ist  sclion  alt.  In  Keldenich  (Bonn)  heissen  sie  pekola  auch  mit  an- 
lautendem p.)  Der  aufspringende  Ball  heisst  in  Kempen  bekalbal.  Das 
Spiel  wird  verbal  bezeichnet  mit  bekaln,  begala. 

In  Adenau  (Antweiler),  Euskirchen  gilt  brekal  (m.),  plur.:  brekala; 
in  Randerath  (Geilenk.)  brek-knyts  (plur.).  Auch  bei  diesem  Worte  ist 
wohl  ein  ähnlicher  Bedeutungswandel  anzunehmen,  brik  (aus  frz.  brique 
'gebackener  Stein,  Ziegelstein  vgl.  briquette)  bedeutet  im  altndl.,  südndl., 
rechtsrip.  noch  'Ziegelstein'.  Wenn  nun  zu  diesem  Spiele  geformte  Ziegel- 
steinstücke verwandt  wurden,  so  war  sprachlich  die  verbale  Bezeichnung 
des  Spieles  durch  brikala  (brekala)  leicht  gegeben,  wie  es  noch  heute 
dort  heisst.     Aus  dem  Zeitwort  brickeln  ergab  sich  dann  leicht  das  Subst. 


1)  DWb.  1,  1809  unter  Bickeleinspiel,  Bickelstein. 


28  Müller: 

brickel  für  den  Spielstein  und  schliesslich  für  den  Knöchel.  Doch  ist  es 
auch  möglich,  dass  das  nordripuarische  preke  -mit  dem  Fangball  spielen' 
(prekbal)  von  Einfluss  gewesen  ist,  wenn  auch  das  anlautende  br-  nicht 
uhne  weiteres  mit  pr-  gleichgesetzt  werden  darf.  In  Kcldenich  (Bonn), 
wo  man  die  Spielsteine  prekeiten  nennt,  liegt  das  oben  angeführte  prekan 
zugrunde.  (Zu  mhd.  pfreckeu,  nind.  pricken  'stechen';  zum  Bedeutungs- 
wandel vgl.  das  nhd.  'Stich'  beim  Kartenspiel;  pricken  galt  vorzüglich 
für  das  Stechen  von  Fischen  (vgl.  mnd.  pricke  'scharfes  Gerät  zum  Aal- 
fang'). Aus  diesem  Vorgange  erschliesst  sich  leicht  die  Bedeutung  'fangen', 
und  da  der  zu  schnappende  Stein  oder  Ball  ja  auch  wie  ein  vorbei- 
huschender Fisch  gestochen  oder  gefangen  werden  muss,  so  ist  die  Be- 
deutung vom  pricken,  'Ball  schnappen',  'Steinchen  auffangen'  leicht  ver- 
ständlich. Aus  diesem  so  inhaltlich  bestimmten  pricken  wurde  das  Subst. 
prekbal,  prekasten  abgeleitet.  Doch  vielleicht  geben  die  italienischen 
Bezeichnungen  für  brekel  einen  andern,  nicht  uninteressanten  Hinweis: 
giocare  a  breccia,  a  brecola,  brezelle,  briccelete,  brizzele,  giuoco  di 
vrecelle,  Wörter,  die  mit  breccia  'Mauerbruch",  briciola  'Krümel"  verglichen 
werden.^)  Lautlich  ist  die  Entlehnung  aus  dieser  romanischen  Sippe  durchaus 
möglich  (etwa  aus  bricola),  zu  einer  Zeit,  da  bric  noch  nicht  zu  brez 
sich  entwickelt  hatte.  Dazu  kommt,  dass  im  rip.  eine  der  Flächenseiten 
bretsal  genannt  wird,  eine  Form,  die  wohl  auch  aus  der  rom.  Bezeichnung 
der  Knöchel  selber  stammt,  freilich  ein  frühes  Nebeneinandergehen  von 
brik-  und  brez-Formen  voraussetzt.  Stimmt  diese  Gleichsetzung.  dann 
dürfte  der  Schluss  nicht  fem  liegen,  diese  rip.  Namen  auf  die  alte  Be- 
rührung der  linksrheinischen  Franken  mit  den  Eömern  zurückzuführen. 

Im  Geldrischen  ("Weeze,  Nieukerk,  Kevelaer)  und  Clevischen  heissen 
die  Gelenkknochen  hilto  (helta),  angrenzend  an  das  benachbarte  hell, 
hiltik.")  Im  Kempener  Lande  bezeichnet  man  den  Spielknöchel  mit  jelt 
(möt  jeltan  Spilan),  ein  "Wort,  das  trotz  des  verschiedenen  Anlautes  mit 
hilte  verwandt  zu  sein  scheint.  In  der  Aach.  Gegend  ist  knots,  plur. 
knöts  gebräuchlich,  das  dem  ndl.  knots  (Ableitung  zu  Knoten)  entspricht: 
möt  kn9ts  preka  (Mariadorf-Aach.),  brekknyts  (Randerath).  dobalknots 
(Erkelenz).  Im  Kreise  Schieiden  führt  der  Spielknöchel  den  Namen 
mekelsten  (verbal:  mekala),  wohl  zu  mek  'Ziege'  gebildet.  Einigen 
Mundarten  ist  ein  besonderes  Wort  für  diese  Wirbelknöchelchen  verloren 


1)  Lemke  oben  1(1,  49  f.  Aus  Euskirchen  ist  auch  rekdl  neben  brek.il  über- 
liefert, das  wohl  eine  verstümmelte  Form  aus  brekal  darstellt. 

2)  Vgl.  Junius,  Nomenciator  omnium  rerum  1567  p.  319b:  HiUokensspel,  koten- 
spel,  illud  ovillis  talis,  hoc  lusus  genus  bubulis  constat.  —  Die  mnl.  Formen  sind 
hiltike,  hyltinge  mnl.  Handwb.  -Jöl  a).  —  Auch  Fischart  in  seinem  Spielverzeichnis 
(Geschichtklitterung  Kap.  25,  S.  26S  ed.  Alslebcn)  führt  an:  Hiltekens,  Wirten.  — 
Die  Etymologie  steht  nicht  fest;  doch  vgl.  die  Versuche  im  Niederrhein  1ST9,  S. '23. 
39;  1881,  S.  13G;  Niederrh.  Geschichtsfr.  1879,  S.  GG  und  Steinmeyer,  Ahd.  Glossen  4, 
.3228  (s.  Hilte\  —  Lemke  oben  16,  .54.  60. 


Das  Fangsteinchenspiel  in  den  Rheinlanden.  29 

o-eo-ano-en-  sie  beo-niio-en  sich  mit  der  einfachen  Bezeichnung:  kngüchalcha 
{Rhöndorf),  knechalcha  (Niederprüm),  oder  sie  setzen  ein  bezeichnendes 
Bestimmungswort  davor:  tetsknyuch  (pl.:  -knijüch)  (Raeren,  Aachen),  tets- 
knöük  (Kettenis-Eupen),  so  genannt,  weil  die  Knöchelchen  auf  der  Stein- 
platte auftitschen,  aufspringen.  Das  Spiel  selber  verbal:  tetsan.^)  In 
Cronenberg  (s.  Wb.  der  Cronenb.  Mda.  S.  106)  heissen  sie  sipsupknökan, 
nach  der  mit  einer  Vertiefung  versehenen  sup-  (tsup-)  Seite  genannt,  wie 
auch  in  Werden  die  Bezeichnung  jätar  (plur.  Jäters)  auf  die  gat-  (Loch-) 
Seite  zurückführt.  In  Linirich  nennt  man  sie  d^kknyks,  das  Spiel  verbal: 
dokon,  im  Gummersbachschen  wib8lku9k8n,  wim8lkn9akan;  mit  den  wimal- 
kn9aken  spielen  heisst  wimein,  in  Kempen-Boisheim  humenknöchel,  in 
Cröv  (Mosel)  sulersingken  (Schulterknochen). 

Der  seit  alter  Zeit  für  den  Spielwürfel  gebräuchliche  Name  d9b9l 
(m.)  wird  im  rip.  und  ufr.  hier  und  da  auch  auf  den  Spielknöchel  bei 
unserm  Spiel  angewandt;^)  erweitert  zu  dybelsten  (verbreitet  im  Kreise 
Aachen,  Eupen,  Schieiden.  Bergheim,  Köln,  Mülheim,  Sieg,  Mettmann  vgl. 
Eup.  Wb.  S.  33,  Cronenb.  Wb.  S.  21)  und  zu  d9balkn9ts  (Kreis  Erkelenz), 
und  zu  dnbalkflat  (Heinsberg)  (s.  u.  köt).  In  denselben  Gegenden  wird  das 
Spiel  verbal  hezeiclinet  mit  doboln  (mnl.  dobbeln,  mnd.  dob(b)eln  (döpeln, 
doffeln),  afries.  dobbeln,  doblia,  anord.  dubia,  dufla,  mhd.  top(p)elen). 

Die  zum  Spiel  verwandten  Basalt-,  Quarz-,  Tonschiefersteine  heissen 
gapstenche  (moselfr.),  wekelcher  (ebd.),  höwaken,  Hochwacken  (Büschfeld- 
Merzig),  knipsten  (Diesdorf),  glekarsti^nche  (Waldhölzbaeh-Saar),  sülarJten 
(Ayl-Saar),pobastencha (Niederfischbach- Westerw.),  k]itssteii(Aegidienberg), 
snapsten  (rip.  allgem.),  tupchanstenchan  (Leuscheid-Sieg),  doch  werden 
diese  Namen  auch  sämtlich  auf  die  Gelenkknöchelchen  übertragen.  Das 
Auffangen  verbal:  gapen  (moselfr.),  srapan  (Ehlenz),  ratsan  (Ellern),  hikan 
(Barmen). 

Die  vier  im  Aussehen  verschiedenen  Fallflächen  der  Knöchel  (Astra- 
galeii)  führen  ihre  bestimmten  Namen.  Im  griechischen  Altertum  hiessen 
diese:  ylov,  vmiov,  jrgave;,  y.(5o)'^).  Sie  besassen  ihren  festen  Zahlenwert 
(1,  3,  4,  6),  so  dass  man  sie  zum  Würfelspiel  verwenden  konnte,  ohne 
eine  Ziffer  darauf  zu  schreiben.'')  In  den  Rheinlandeu  sind  folgende 
Flächenbezeichnungen   gebräuchlich: 


1)  Eupener  Wb.  S.  102;  Schollen,  Zs.  d.  Aach.  Gesch.  10, 145.  Auch  in  Mulartzhütte. 

2)  Franck,  Etymol.  Wb.  2, 120  leitet  das  Wort  ab  von  afranz.  doble  ;franz.  double, 
lat.  duplum).  Dabei  steht  aber  die  Bedeutungsentwieklung  nicht  fest;  vielleicht 
•um  einen  doppelten  Einsatz  spielen'  ^lat.  duplo  ludere).  Doch  muss  darauf  hin- 
gewiesen werden,  dass  die  rem.  Sippe  dobl-  in  der  frk.  Mundart  zu  dubel  sich  ent- 
wickelt, während  unser  Wort  dgbel  offenes  y  aufweist.  Möglich,  dass  dgp  'Spiel- 
kreiser  eingewirkt  hat. 

3)  Oben  16,  47  f.  mit  Zeichnung. 

4)  L.  BoUe,  Das  Knöchelspiel  der  Alten  1886  S.  10.  Tafel  2.  R.  Andree,  Eth- 
nologische Parallelen  und  Vergleiche,  Neue  Folge  1889,  S.  104.  10r>. 


30  Müller: 

1.  Die  mit  einer  länfflichen,  gewundenen  Verliefung  versehene  Seite  (jrjoi', 
tortuosum)  bretsoi  (Sieg-Rliönclorf),  döbal  (Schieid.-Wollcnberg),  dyp  (Hückeswagen, 
Boisheira),  dubal  (Eusk.-Dirmcrsheim),  fengas  (Kup.-Keitenis),  gfttar,  götort  (Rees, 
Geldern;  zu  got  'Gosse'),  petol  Jirenig),  plönoko  (Neuss),  püp  (Remscheid),  stt'rn 
(Moers-Peiden),  stenkart  (Kupferdreh),  tlts  (Aach.),  tulap  (Bonn),  isin  (Solingen), 
tsüp  (Eusk.),  tsüpko  (Düsseid.),  tsup  (Niedcrprüm)  und  rip.  allgom. 

2.  Die  untere  glatte  Seite  {^'.nrmv,  planum)  gndar  (Geld.-Nieukerk),  semp 
(Rhöndorf),  ts^-m  (Mülh.),  sein  (Hückesw.),  Isi/mal  (Wollenberg),  tsemp')  (Eusk.), 
tserapka  (Düsseldorf,  neben  plctche),  ston,  stönoka,  stundar,  styndar  (nfr.),  stangk 
(Aach.),  vvöp  (Kettenis),  antalowep  (Breinig),  wepche  (Aach.). 

3.  Die  Lochseite  {-/.wov,  pronum)  loch,  louch,  lökska.  lök  (allgem.),  Mkarts 
(Werden),  löuscha  (Aach.),  kulchar  (Eschweiler),  külder  (Geld.,  Rees)  zu  "Kaule', 
gat  (Moers),  gatart  (Kupferdreh). 

4.  Die  gebogene  Seite  (.toujtc,  supinum):  blotar,  blötarka,  blödar  (Kreis 
Geldern),  buch  (rip.),  bükor  (nfr.)  'Bauch',  pukai  (Solingen),  rök,  rögal  (Eupen, 
Montjoie)  'Rücken',  rökacho  (Aach),  Ypsilon  (Krefeld). 

A.  Das  Knöchelspiel. 

K.  Caro  schildert  uns  den  Verlauf  des  Bickelns,  wie  es  zumeist  am  Nieder- 
rhein geübt  wird,  im  Jahrbuch  des  Ver.  f.  nd.  Sprachforschung  32,  71  f.  (190G) 
also:  Das  Spiel  wird  an  einem  Tische  ausgeführt.  Die  vier  Bickeln  werden  auf 
den  Tisch  geworfen,  und  zwar  regellos.  Dann  wird  von  dem  Mädchen,  das  an 
der  Reihe  ist.  der  Ball  mit  leichtem  Nachdruck  auf  den  Tisch  geworfen.  Er 
wird  natürlich  wieder  in  die  Höhe  fliegen,  er  'steuzt'.  Während  der  Ball  sich 
noch  in  der  Luft  befindet,  muss  das  Mädchen  den  ersten  Bickel  mit  derselben 
Hand,  mit  der  es  den  Ball  geworfen  hat,  auf  die  Seite,  wo  die  Vertiefung  (külekan) 
ist,  zu  bringen  versuchen.  Gelingt  es  ihm,  so  bringt  es  die  andere  Bickel  in  der- 
selben Weise  auf  dieselbe  Seite.  Man  sagt:  Da  bikal  lejan  op  dat  külokan.  Das- 
selbe wiederholt  sich,  jedoch  mit  der  Veränderung,  dass  die  Knöchelchen  auf  den 
Rücken,  wo  die  Erhöhung  ist,  zu  liegen  kommen.  Man  sagt  dann:  Da  bikal  lejan 
op  dan  rögan.  Dann  folgt  dasselbe,  aber  so,  dass  die  Bickel  auf  der  schmalen 
Hochseite  stehen:  Da  bikal  st9n.  Damit  ist  der  erste  Teil  zu  Ende.  Beim 
zweiten  Teile  müssen  sofort  zwei  Bickel  statt  eines  Bickels  gewendet  werden. 
Beim  dritten  Teile  müssen  sofort  drei  und  beim  vierten  Teile  immer  vier  Bickel 
sofort  gewendet  werden.  Auch  bei  diesem  Spiele  kann  der  Erfindergeist  der  Mit- 
spieler tätig  sein,  indem  verschiedene  Stellungen  und  Korabinationen  vorgenommen 
werden.     Wer  zuerst  aus  ist,  hat  gewonnen  =). 

In  Essen^)  wurde  das  Schüfein  oder  Bickeln  also  geübt:  Man  warf  einen 
Bickel,  d.  h.  einen  steinernen  Ball  oder  auch  einen  Hartgummiball  in  die  Luft, 
und  während  der  Ball  in  der  Luft  war,  iiiusste  man  die  Schüfel  in  eine  bestimmte 
Lage  bringen  und  zwischenoin  erst  einen,  dann  zwei,  dann  drei  und  zuletzt  vier 
aufnehmen.  Man  unterschied  danach  vier  Abteilungen  des  Spiels:  tiktak,  wenn 
alle  Schüfel  in  beliebiger  Stellung  dalagen;  stönart.  wenn  alle  aufrecht  standen; 
gatart,    wenn    die  hohle  Seite  nach  oben  gerichtet  war,  und  bükort  oder  bükskan, 


1)  Eine  etymologische  Erklärung  dieser  Fliichenbezeieluning  ist  kaum  möglich 
doch  scheint  somb-tsomp  aus  frz.  simple  zu  stammen;  romanischen  Ursprungs  ist 
das  Wort  sicher,   wie  schon  ts  für  s  beweist. 

2)  In  Aachen,  wo  vier  tetsknöuchalcha  und  ein  Ball  gebraucht  werden,  ent- 
stehen so  16  Einzelwürfe  (Zs.  des  Aach.  Gesch.  10,  145). 

3)  Zs.  f.  rhein.  Vk.  10,  2ßOf. 


Das  Fangsteinchenspiel  in  den  Rheinlanden.  3 

wenn  dies  mit  der  gewölbten  Seite  der  Fall  war,  und  je  nachdem  man  wieder  je 
einen,  je  zwei,  je  drei  und  je  vier  aufnahm,  bei  jeder  dieser  Abteilungen  wieder 
vier  Unterabteilungen. 

In  Düsseldorf  wurde  zunächst  die  Reihenfolge  beim  Spiel  bestimmt. 
Aans'  (Anfang)  hatte  das  Mädchen,  welches  beim  Aufwerfen  der  'Böggele'  die 
meisten  gleichartigen  Flächen  nach  oben  erzielte.  Nach  der  Zahl  der  gleichen 
Flächen  richtete  sich  dann  die  weitere  Reihenfolge.  Das  Spiel  begann,  indem 
der  'Kotheldotz'  in  die  Höhe  geworfen  wurde,  so  dass  er  auf  dem  'Dörpel 
'opknitschte'  (aufprallte).  Dann  musste  er  mit  der  rechten  Hand  (nur  der 
'Lenkspoht'  durfte  die  linke  Hand  gebrauchen!)  aufgefangen  werden.  Während 
der  Zeit  aber  galt  es,  geschwind  einen  'Böggel'  herumzudrehen.  Das  vfiederholte 
sich  viermal,  bis  alle  'Kothele'  auf  derselben  Seite  lagen.  Nachdem  so  alle 
Flächen  einmal  nach  oben  gelegen  hatten,  mussten  zum  Schluss  die  vier  Knöchel- 
chen auf  einmal  zwischen  die  Pinger  gefasst  und  herumgedreht  werden.  Wer 
einmal  fehlgriff,  war  'ab',  und  nun  traf  die  Reihe  die  folgende  Mitspielerin. 

In  Dinslaken:  4  bekala  und  1  Ball.  Während  der  Ball  aufhüpft,  hatte  der 
Spieler  die  Bickeln  nach  der  verlangten  Seite  umzulegen,  zunächst  immer  je  einen; 
dann  je  2  zugleich  nach  derselben  Seite  (st(,>nd8r  nannte  man  diesen  Gang),  dann 

3  zugleich  und  zuletzt  den  4.  (Gatar),  zuletzt  alle  4  Bickeln  auf  dieselbe  Fläche 
(Bok). 

In  Sieglar  (Sieg)  sind  folgende  Gänge  bei  dem  Herumlegen  der  pekab 
üblich:  1.  am  l^uch,  2.  am  buch,  3.  am  tsimcha,  4.  am  tsfmcha,  5.  am  opsats, 
6.  tösa  Gnom,  7.  tösa  tsweia,  8.  tös3  dreia,  9.  tösa  fiara  (6 — 9  entsprechen  den 
oben  bei  Dinslaken  angeführten  st^ndar,  gatar,  bok,  während  1 — 4  die  Aufgabe 
stellen,  nur  je  1  Pickel  jedesmal  auf  die  geforderte  Seite  zu  legen,  was  4 mal  mit 
je  einem  Pickel  jedesmal  wiederholt  wird.) 

In  Euskirchen-Dirmerzheim  nimmt  das  pekala  folgenden  Verlauf: 
Während  der  Ball  in  der  Luft  schwebt,  werden  die  Pickeln  in  bestimmter  Ord- 
nung gedreht:  1.  Gang:  einche,  tsweiche,  dreiche,  viarche;  die  auf  der  Erde 
liegenden  Pickeln  werden  der  Reihe  nach  aufgehoben,  bis  sie  alle  4  in  der  Hand 
sind.  —  2.  Gang:  elguch,  tsvveil^uch,  dreil(^uch,  viarlnuch.  Alle  P.  werden  so  ge- 
dreht, dass  die  Lochseite  oben  liegt.  —  3.  ebach,  tsweibuch  ...  4.  etsgmp,  tswei- 
tsfmp  ...  5.  tdubbi,  tsweidubal  .  .  .  Vor  jedem  Gang  müssen  die  P.  wieder 
alle  vier  aufgehoben  und  aufs  neue  hingeworfen  werden.  Dieses  Aufheben  voll- 
zieht sich  durch  Zusammenscharren  (das  Leichtere)  oder  durch  sog.  tika,  d.  h. 
Aufgreifen  der  4  P.  an  ihrem  Platze. 

In  Schleiden-Wallenberg  wird  das  mekala  ähnlich  gespielt.  1.  Während 
der  Ball  in  die  Höhe  ('/.j— 1  m)  fliegt,    greift  das  spielende  Mädchen  zunächst  die 

4  mekalstGn  zu  je  1  hintereinander;  dann  2  und  2,  dann  1  und  3,  zuletzt  alle  4. 
Jedesmal  muss  gleichzeitig  der  Ball  geschnappt  werden.  Dann  folgt  während  des 
Ballfliegens  das  Legen  der  M.  mit  Rücksicht  auf  die  vier  Flächen:  kül  dön,  rögan 
diin,  dgbal  dön,  ts^mal  dön.  Dann  folgt  dat  iarts-chen:  ein  mekelstCn  wird  dpbel, 
der  2.  tsgmal,  der  3.  wieder  d^bal,  der  4.  wieder  tsgmal  gelegt.  Darauf  das 
tsw^tchan:  die  so  liegenden  M.  werden  von  Zeige-  und  Mittelfinger  umfasst  und 
herumgelegt.  Dann  das  drytchan:  das  Kind  muss  zwischen  Zeige-,  Mittel-  und 
Goldfinger  zweimal  je  einen  Knochen  nehmen  und  herumdrehen.  Dann  das 
Viartchan:  es  muss  zwischen  Zeige-,  Mittel-,  Goldfinger  und  kleinen  Finger  drei 
Knochen  nehmen,  den  vierten  dann  allein  zwischen  Gold-  und  Zeigefinger  und 
umdrehen.  Bei  jedesmaligem  Greifen  muss  der  Ball  geworfen  und  wieder  ge- 
schnappt werden. 


3-2  Müller: 

In  Raeren    galt  es  während  des  Tetsens  einen  oder  nielirere  tets-knöüch   in 

°  c. 

die  Höhe    zu  werfen    und    in    der  Flugzeit    die  noch  auf  dem  Tiseh  liegenden  in 
bestimmter  Art  zu  Kif;uron  zu  verschieben,  etwa 


In  Trier,  wo  die  Mädchen  Mnglcalchos  spielten,  waren  "2  Knöchelchen  rer- 
schieden  gefärbt  und  zwei  ohne  Farben.  Doch  konnte  ich  bis  jetzt  Genaueres 
über  die  Trierer  Spielart  nicht  erfahren. 

U.    Das  eigentliche  Fangsteiiichenspiel. 

Es  wird  entweder  mit  vier  Steinen  und  einem  Klicker,  der  bei  jedem  Fange 
aufgeworfen  wird,  gespielt,  oder  mit  fünf  Steinen,  von  denen  je  nach  der  Reihen- 
folge einer  aufgeworfen  wird.  Wie  reichhaltig  hierbei  die  Erfindungsgabe  der 
Kinder  in  der  Behandlung  der  auf  dem  Boden  ruhenden  Steine  während  des  Auf- 
hüpfens des  einen  Steines  oder  Klickers  sich  auswirkt,  zeigen  die  folgenden  Spiel- 
besehreibungen. Immer  neue  Aufgaben  treten  vor  unsere  Augen,  immer  neue 
Bezeichnungen  werden  gefunden,  und  wenn  diese  auch  oft  an  manchen  Orten 
übereinstimmen,  so  sind  doch  oft  die  Regeln  andere.  Nach  dem  Gebotenen  ist 
es  klar,  dass  es  unmöglich  ist,  das  Spiel  von  Ort  zu  Ort  zu  beschreiben  und  zu 
verfolgen.     Der  Raum  würde  nicht  hinreichen. 

B  1 .  Mit  vier  Steinen  und  einem  K  1  i  c  k  e  r. 
Wekalchas  sbilon  in  Enkirch  (Mosel):  i)  6  W^kolsar  (glatte  Steine),  ein 
Klicker.  Meist  zwei  Spieler,  selten  drei  oder  vier.  Gespielt  wird  auf  einer  Stein- 
platte (Treppentritt,  steinerner  Flur,  Türschwelle).  Der  Klicker  wird  bei  jedem 
Gang  mit  der  rechten  Hand  in  die  Höhe  geworfen,  und  während  er  einmal  von 
der  Steinplatte  aufspringt,  muss  mit  derselben  Hand  ein  oder  mehrere  Steinchen 
aufgerafft  und  der  Klicker  aufgefangen  werden  (mit  derselben  Hand).  Geschieht 
das  nicht,  dann  ist  das  betreffende  Kind  ab,  und  das  folgende  fängt  an.  Ebenso 
ist  ein  Kind  ab,  solange  bis  die  Reihe  wieder  an  es  kommt,  wenn  es  im  Spiele 
beim  Aufnehmen  ein  anderes  Steinchen  berührt.  Die  aufgenommenen  Steine 
dürfen  nach  dem  Aufnehmen  aus  der  auffangenden  Hand  in  die  andere  genommen 
und  aufbewahrt  werden.  Während  jedes  Einzelganges  wird  je  ein  Vers  folgender 
Strophe  in  singendem  Tone  gesprochen: 

en  de  pli'n  (Plan.,  siwa  da  goldajs  stiwalchar. 

tswü  da  flu  (Floh),  acht  da  wacht, 

drei  da  brei,  nein  da  pein, 

f«"r  da  8mer  (Buttorschmiere),  tsr-n  da  r^n  i  Regen  i, 

fönef  da  wölaf.  rlaf  da  fijar  .Eier) 

süks  da  sleks  (Schlicks)  tswHlaf  da  tseijar. 

1.  Gang:  Der  Klicker  springt;  während  das  Kind  singt:  'en  do  plen',  wird  ein 
Steinchen  genommen  und  der  Klicker  mit  derselben  Hand  gefangen.  Der  Klicker 
springt  zum  2.  Male;  während  das  Kind  singt:  tswü  da  flu',  wird  das  zweite 
Steinchen  genommen  und  der  Klicker  aufgefangen.  So  geht  es  weiter,  bis  alle 
6  Steinchen  aufgenommen  sind,  also  bis  der  Vers  's<"ks  do  sloks'  gesprochen  ist. 
Nun  werden  die  Steinchen  wieder  hingeworfen,  und  das  Aufrappen  beginnt  in  der- 
selben Reihenfolge  und  in  derselben  Weise,  nur  dass  bei  den  folgenden  G  Würfen 
jedesmal  ein  Vers  von  Vers  7  bis  12  gesungen  wird.  -  2.  Gang:  Die  Steinchen 
werden  hingeworfen:   jedoch    müssen    bei  jedem  Vers  und  Springen  des  Klickers 


1,  Mitgeteilt  von  Herrn  Hauptlehrer  Speth-Eukirch. 


Das  Fangsteinchenspiel  in  den  Rheinlanden.  33 

je  zwei  Steinchen  auf  einmal  genommen  werden.  Die  Steinchen  müssen  also  bei 
diesem  Gange  im  ganzen  viermal  hingeworfen  werden,  bis  Vers  1  bis  12  ab- 
gesungen ist.  —  3.  Gang:  Bei  jedem  Wurf  des  Rlickers  werden  3  Steinchen  ge- 
nommen. Die  Steinchen  werden  also  6  mal  geworfen.  —  4.  Gang:  Bei  jedem 
Verse  und  jedem  Sprung  des  Klickers  werden  einmal  4  und  einmal  2  Steinchen 
genommen  (oder  zuerst  2,  zuletzt  4).  Sechsmaliges  Hinwerfen  der  Steinchen, 
bis  alle  Verse  abgesungen  sind.  —  5.  Gang:  j  und  ein  Steinchen  werden  ge- 
nommen (oder  1  und  5),  sechsmaliges  Wiederholen.  —  6.  Gang:  Alle  6  Steinchen 
auf  einmal  genommen.  Zwölfmaliges  Wiederholen.  —  Dem  Verschen  scheint  die 
Uhr  zugrunde  zu  liegen.  Die  Versenden  sind  des  Reimes  wegen  auf  die  Zahl 
gewühlt. 

In  Püscheid  (Westerwald)  spielen  die  Mädchen  mit  einem  Ball  und 
4  snapsteinen.     Die  Reihenfolge  der  Einzelspiele  ist  folgende: 

1.  üstchan.  —  2.  tsweitchan.  —  3.  drötchan.  —  4.  flertchan,  wie  in  Laubach 
1 — 4,  nur  mit  dem  Unterschied,  dass  die  aufgegriffenen  Steincheu  über  die  linke 
Hand  gelegt  werden.  —  5.  niraklopan:  wiihrend  der  Ball  in  die  Höhe  springt, 
werden  die  Steinchen  der  Reihe  nach  aufgegrifl'en,  hingelegt  und  jedesmal  dabei 
geklopft.  —  6.  bok:  die  aufgegriffenen  Steinchen  bleiben  in  der  rechten  Hand.  — 
7.  uswürfal:  ein  Steinchen  und  der  Ball  werden  in  die  Höhe  geworfen  und  mit 
der  anderen  Hand  wird  das  Steinchen  aufgefangen.  —  8.  eimyl  klnpan.  Beim 
Nehmen  eines  Steinchens  wird  einmal  geklopft.  —  9.  tsweimpl  klypan.  — 
10.  eiarlen:  Alle  Steinchen  und  der  Ball  kommen  in  die  rechte  Hand.  Dc-r  Ball 
wird  in  die  Höhe  geworfen  und  jedesmal  ein  Steinchen  behutsam  hingelegt.  Wenn 
alle  Steine  auf  dem  Tische  liegen,  wird  der  Ball  in  die  Höhe  geworfen,  alle 
Steinihen  werden  zusammengerafft  und  sofort  alles  fallen  gelassen.  —  11,  flpch 
(Fliege),  wie  bei   1,  2,  3,  4,  nur  wird  der  Ball  von  oben  gegriffen. 

Aus  Dahmen  (Prüm):  4  Kieselsteine,  ein  Klicker  (jik).  Wahrend  der  jik 
aufgeworfen  wird  und  auf  dem  Steine  aufspringt,  sind  vor  dem  Auffangen  mit  den 
4  Steinen  folgende  Lageänderungen  vorzunehmen: 

1.  et  (erst):  Ein  Stein  wird  in  der  Zwischenzeit  unter  die  linke  gewölbte,  auf 
dem  Boden  ruhende  Hand  geschoben.  —  2.  tswC-:  der  2.  Stein  wird  unter- 
geschoben. —  3.  dröü:  dasselbe  mit  dem  dritten  Steine.  —  4.  giarchan:  Die 
linke  Hand  über  den  3  Steinen  wird  gehoben  und  der  4.  Stein  hineingelegt.  — 
5.  seiarchan:  die  linke  Hand  legt  die  4  Steine  auf  den  Stein,  die  rechte  Hand 
schiebt  sie  unter  die  linke,  die  wieder  gewölbt  auf  dem  Steine  ruht.  —  6.  klenga 
(kleine)  hiböni  (Hebbaum);  die  linke  Hand  wirft  alle  4  Steine  in  die  Höhe  und 
fängt  sie  mit  dem  jik  zusammen  alle  wieder.  —  7.  Gruse  hib^m:  die  rechte  Hand 
tut  dasselbe.  —  8.  Mentchas:  Alle  4  Steine  werden  in  der  Zwischenzeit  zum 
Munde  geführt  und  wieder  zurückgelegt.  —  9.  Alle  4  Steine  zurück  ins  Viereck. 
—  Folgende  Spielregeln  in  Versform  gelten; 

1.  De  jik  jet  jafangen, 
won  \\'i  net  ka  langan, 
don  as  blakach,  bläkach. 

2.  De  steng  duorfan  net  ryuskukan, 

da  hant  duorf  sich  net  farjukan  (^verrücken) 
de  ipilar  duorf  sich  net  fardukan  ifuschen). 

Die  Gewinnerin  ist  kinagin  (Königin);  in  Bettingen,  wo  die  Mädchen  mit 
•5  dakasan  (dakes,  dikas,  'Klicker')  spielen,  heisst  sie  Gölegötskan  'Goldenguts- 
kind'. In  Ehienz  (Bitburgj,  wo  mit  einem  Klicker  und  4  Schweinfussknöchelchen 
gespielt  wird  und  wo  auch  das  srapan  mit  der  rechten  Hand  im  Bogen  von  oben 

ZeitüChr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    191S.  3 


34  Müller: 

um  den  aufgeworfenen  Stein  vorkommt,  heisst  das  Spie!  fuport  (zu  fupan  'hüpfen"). 

Einen    gelungenen    Gang    nennt    man    eine  srap;    wer    alle   Unterspiele    glücklich 

durchgeführt    hat,    hat    einen    dop    (Büschfeld)').      Die     Mitspielerinnen     suchen 

freilich    oft  die  glücklich  F'ortschreitende  zu  verwirren  und  verwenden  einen  alten. 

Zauberspruch: 

lifks,  hfks,  henofös, 

mäch,    datsta  d?  ft}lan  mos.  (Laubach-Eifel.) 

B-2.     Mit  fünf  Steinen. 

'Dad  gabssden-sbir  in  Laubach  (Hunsrück)^).  Zum  Spiel  sind  5  rundliche- 
Steine  von  Mirabellengrösse  erforderlich,  die  sog.  gäbs-sden  =  (Jabssteine:  gabsa  = 
auffangen.  Es  können  2  oder  3,  oder  auch  noch  mehr  Spieler  sein.  Das  Spiet 
vollzieht  sich  in  18  aufsteigenden  und  ebenso  vielen  absteigenden  Stufen: 

1.  Grsder  =  Erster:  Die  erste  Bewegung  ist  ed  werfe,  indem  man  alle  5  Steine 
in  die  Innenhand  fasst  und  sie  aus  dieser  mit  einem  Wurf  zu  Boden  wirft.  Mit 
der  rechten  Hand  rafft  man  einen  Stein  auf:  mor  düd  öna  hiiio,  wCroft  en  in  di 
he  und  hilt  on  änore,  worauf  man,  den  zweiten  Stein  in  der  Hand  haltend,  den 
ersten  hochgeworfenen  Stein  auffangt.  Man  hat  also  dann  2  Steine  (Nr.  1  u.  2) 
in  der  Hand,  wovon  man  den  einen  weglegt:  da  erst  werd  wechgednn.  Hierauf 
wiederholt  sich  das  Spiel  mit  dem  2.  und  3.,  dann  mit  dem  3.  und  4.  und 
schliesslich  mit  dem  4.  und  5.  —  2.  tswöder  =  Zweiter:  Zunächst  erfolgt  'dad 
hmwerfe'  sämtlicher  Steine.  Hierauf  rafft  man  einen  und  wirft  ihn  hoch, 
tswe  fun  da  änara  wöra  ufgerof  un  da  Grsd  gogabsl,  ehe  er  zur  Erde  fällt.  Von 
den  3  nun  in  der  Hand  befindlichen  Steinen  were  tswc  wcchgeh'ight.  Dann 
wiederholt  sich  das  Ganze  mit  den  Steinen  3  (der  hochgeworfen  wird),  4  und  5, 
die  zu  ralTen  sind.  —  3.  drider  =  Dritter:  Entspricht  Nr.  2  Ein  Stein  wird 
hochgeworfen;  dann  nimmt  man  3  Steine,  also  2  bis  4,  vom  Boden  auf  und  fiini;t 
den  hoehgeworfenen  Stein  Nr.  1.  In  der  Hand  sind  nun  4  Steine,  wovon  man 
3  vfeglegt.  Den  4.  wirft  man  hoch,  rafft  den  letzten  (Nr.  5)  vom  Boden  auf  und 
fängt  Nr.  4.  —  4.  ff-rder  =  Vierter:  Einen  wirft  man  hoch,  rafft  die  4  anderen 
zugleich,  d.  h.  mit  einem  Griff  vom  Boden  auf  und  fängt  Nr.  1.  —  5.  finafder: 
Von  dem  Spiel  Nr.  4  her  hat  man  alle  5  Steine  in  der  Hand.  Nun  wirft  man 
einen  in  die  Höhe,  legt  schnell  die  4  übrigen  hin  und  'gabst'  den  ersten.  Dann 
wird  dieser  wieder  in  die  Höhe  geworfen;  hierauf  rafft  man  die  4  am  Boden 
liegenden  mit  einem  Griff  auf,  ehe  der  emporgeworfene  fällt,  und  fängt  diesen 
schnell  auf. —  G.  hand-haltchos:  Man  wirft  alle  5  Steine  hin,  wirft  einen  davon 
empor,  rafft  schnell  einen  2.  und  fängt  den  ersten  auf.  Nun  wird  kein  Stein  weg- 
gelegt. Von  den  beiden  in  der  Hand  wirft  man  einen  hoch,  rafft  einen  anderen 
(den  3.)  auf  und  fängt  den  emporgcschleudertcn  auf  und  hat  nun  3  Steine  in  der 
Hand.  Hiervon  wieder  einer  hoch;  der  4.  wird  gerafft  und  der  emporgeworfene 
gagabst,  so  dass  man  alsdann  4  Steine  in  der  Hand  hat.  Ebenso  verlahrt  man  mit  dem 
letzten  Stein  und  hat  dann  alle  5  in  der  Hand.  Diese  Abteilung  6  entspricht  der 
Nr.  1;  nur  behält  man  die  gerafften  Steine  in  der  Hand. —  7.  bouarches:  Man 
wirft  alle  '>  Steine  hoch  und  sucht  sie  mit  dem  Hand-Ilückon  aufzufangen. 
Mindestens  muss  einer  auf  dem  Handrücken  liegen  bleiben,  da  man  sonst  'ab' 
wäre.     Soviel  nun  auf  dum  Handrücken  liegen  bleiben,  wirft  man  empor  und  fänirt 


1)  Ebenso  hat  in  Siebenbürgen  der  Spieler  dob  gemacht,  der  im  piziknocbenspiel 
die  Knöchelchen  in  ein  Erdloch  warf  und  somit    gewann.     Siebenbürg.  Wtb.  2,  o'2. 

2)  Beschrieben    von    E.    Proisch.     Frankfurt.      Vgl.    auch    Zs.    für    rheinische 
Volksk.  .1,5,  122f. 


Das  Fangsteinchenspiel  in  den  Eheinlanden.  35 

sie  mit  der  Innenhand  auf.  Den  Rest,  der  daneben  6el,  nimmt  man  wie  bei 
Nr.  6  auf.  Hatte  man  alle  5  auf  dem  Handrücken,  so  niuss  man  sie  natürlich  beim 
Hochwerfeii  auch  alle  5  zugleich  mit  der  Innenhand  auffangen.  —  8.  elatsich-tub 
(einmaliges  Tupfen):  Dieser  Teil  verläuft  wie  Nr.  1;  nur  wird  zwischen  dem  Auf- 
raffen des  jeweilig  nächsten  Steines  und  dem  'gabsen'  des  in  die  Höhe  geworfenen 
jedesmal  einmal  mit  der  geschlossenen  Hand  aufgetupft,  'ufgetubt".  —  9.  döbal- 
tnb  (Doppel-Tupfen):  entspricht  Nr.  2  mit  dem  tube  zwischen  dem  Aufraffen  von 
2  und  dem  Fangen  des  emporgeworfenen  Steines.  Statt  des  'tuba'  ist  es  bei 
Nr.  .S  und  !•  auch  gestattet,  mit  der  geschlossenen  Hand  schnell  auf  dem  Boden 
hin-  und  herzureiben  (wlsa)  und  dann  den  hochgeworfenen  Stein  aufzufangen.  — 
10.  eiar-le3  (Eierlegen):  Man  nimmt  die  5  Steine  in  die  Hand  und  wirft  einen 
empor.  Ehe  man  diesen  fängt,  muss  man  einen  2.  aus  der  Hand  hinlegen  oder 
fallen  lassen;  hierauf  wiederholt  sich  der  Vorgang  so  oft,  bis  man  nur  noch  den 
in  der  Hand  hat,  den  man  zuletzt  in  die  Höhe  geworfen  und  wieder  aufgefangen 
hatte.  Dann  verfährt  man  nach  Nr.  2.  —  11.  grumbera-zetsa  (Kartoffelsetzen): 
Dies  erfolgt  in  drei  Unterabteilungen:  a)  ad  zetsa  verläuft  wie  der  1.  Teil  von 
Nr.  10;  nur  werden  die  Steine  so  hingelegt,  dass  zwischen  grosse  Lücken  vor- 
handen sind.  Es  liegen  also  vier  grumbera  (Steine),  während  man  den  5.  in  der 
Haud  hat.  b)  ad  heifa  (Häufeln):  Den  letzten  Stein  wirft  man  empor,  fährt 
hierauf  schnell  mit  der  Hand  vor  dem  1.  liegenden  Stein  vorbei  und  fängt  dann 
den  fallenden  Stein.  Dann  wiederholt  sich  der  Vorgang,  wobei  man  aber  nun 
vor  dem  Auffangen  des  geworfenen  Steines  durch  die  1.  Lücke,  d.  h.  zwischen 
dem  1.  und  2.  liegenden  Stein  dörich  fert.  Bei  den  weiteren  Wiederholungen 
fährt  man  durch  die  2.,  dann  durch  die  3.  Lücke,  hierauf  hinter  den  4  grum- 
bera, dann  vou  den  sämtlichen  Steinen  herunar  da  Aden  (unter  den  Steinen)  und 
schliesslich  hinler  sämtlichen  her:  iwar  da  sden  (über  den  Steinen).  Die  4  grum- 
bera kann  man  aber  auch,  statt  sie  in  eine  Reihe  zu  setzen,  so  legen,  dass  sich  1 
und  2  nebeneinander,  o  und  4  dagegen  vor  diesen  beiden,  aber  von  ihnen  ebenfalls 
durch  eine  Lücke  getrennt,  belinden.  Das  Durchstreichen  mit  der  Hand  oder  dad 
helfe  erfolgt  dann  :J  mal  von  hinten  nach  vorn  und  3  mal  von  links  nach  rechts, 
c)  ad  pusdün  (Austun):  ist  die  Umkehrung  des  Setzens,  also  genau  wie  Nr.  1  — 
12.  elatsich-kles-esa  (Einfaches  Klos-Essen):  Man  wirft  zunächst  alle  Steine 
auf  den  Boden,  ergreift  einen  und  wirft  ihn  empor:  den  2.  hult  (holt  =  rafft)  man 
und  gabst  den  1.  Von  den  beiden  in  der  Hand  nimmt  man  ena  int  moul  (einen 
in  den  Mund),  wirft  den  anderen  hoch,  nimmt  den  1.  pusam  moul  und  gabst 
uieder  den  anderen.  Hierauf  wird  der  eine  dieser  2  Steine  weggelegt,  und  das 
das  Spiel  wiederholt  sich  mit  dem  andern  und  dem  3.,  dann  mit  dem  4,  und 
endlich  mit  dem  6.  Stein.  —  13.  dobal-kles-esa:  Alle  5  hinlegen,  1.  empor, 
den  2.  hiile  und  den  1.  gabsa  Von  den  zweien  ena  int  moul,  den  2.  in  die  Höhe 
werfen,  den  3.  vom  Boden  und  zugleich  den  1.  pus  am  mpul  n§ma,  worauf  man 
den  emporgeworfenen  auffängt,  so  dass  man  ö  Steine  in  der  Hand  hat.  Von 
diesen  legt  man  einen  weg,  nimmt  den  2.  in  den  Mund,  wirft  den  3.  hoch,  nimmt 
den  4.  vom  Boden  und  zugleich  den  2.  aus  dem  Mund  und  gabst  den  in  die 
Höhe  geworfenen  Stein.  Hierauf  wiederholt  sich  das  Spiel  mit  dem  5.  Stein.  — 
14.  knickches:  Dieses  verläuft  wie  Nr.  1;  man  muss  dabei  aber  dafür  sorgen, 
dass  der  emporgeworfene  Stein  den  aufgerafften,  also  in  der  Hand  befindlichen 
Stein  beim  gabsa  trifft,  so  dass  es  einen  'knick'  macht,  d  h.  klingt  (di  sden  misa 
knTksa).  —  15.  nid-knikchos  (od.  rerchas)  verläuft  auch  wie  Nr.  1;  doch  darf 
hierbei  der  fallende  Stein  beim  Auffangen  den  in  der  Hand  befindlichen  nicht 
treffen,  weshalb  man  letzteren  mit  den  2  vorderen  Fingern  fasst  und  den  hoch- 

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3(5  Müller: 

geworfenen  in  der  hohlen  Hand  auffangt.—  16.  geld  wechsala  (Geldwechseln): 
Alle  5  hinlegen,  einen  raffen  und  hoch  werfen,  den  2.  raffen  und  den  1.  fangen: 
von  diesen  einen  hoch,  den  .'5.  raffen  und  zugleich  den  2.  aus  der  Hand  hin- 
legen und  den  ersten   zu    fan};en. 

Nun  sind  3  u.  1  in  der  Hand:  1  hoch,  2  raffen  und  zugleich  3  hinlegen,  dann  1  fangen; 
Dann  „    2  u.  1    ,.    ,.       ,        2     „       3       „       ,         „  1         „  und  2       „ 

'>  3 

Hierauf  wiederholt  sich  das  Spiel  mit  dem  3.,  4.  und  5.  Stein.  Dann  hat  man 
noch  4  und  .")  in  der  Hand;  hiervon  wirft  man  5  empor,  legt  4  zu  den  3  ersten 
und  bereits  liegenden  Steinen  und  fängt  5  auf.  .Msdann  wirft  man  f)  wieder  in 
die  Höhe,  nimmt  alle  4  liegenden  Steine  einmal  auf  und  fängt  ■')  auf.  — 
17.  knudola-seisa:  alle  •')  hinlegen,  den  1.  raffen  und  emporwerfen,  den  2. 
raffen  und  den  1.  fangen;  diese  beiden  zugleich  hochwerfen,  den  3.  raffen  und 
die  2  hochgeworfeneii  auffangen,  und  zwar  den  einen  mit  der  rechten  und  den 
anderen  mit  der  linken  Hand,  so  dass  man  in  der  linken  Hand  i'inen  Stein  und 
in  der  rechten  Hand  2  Steine  hat.  —  Die  2  in  der  rechten  werden  aufwärts  ge- 
worfen, der  4.  rechts  gerafft  und  die  2  liochsjeworfenen  aufgefangen,  und  zwar  der 
eine  mit  der  rechten  Hand  und'  der  andere  mit  der  linken  Hand,  so  dass  man 
in  jeder  Hand  2  Steine  hat.  Die  beiden  in  der  reihten  Hand  hochwerfen,  den 
5.  raffen  und  die  2  geworfenen  Steine  auffangen  und  zwar  einen  mit  der  rechten 
und  den  anderen  mit  der  linken  Hand.  Nun  sind  in  der  rechten  Hand  2  und  in 
und  in  der  linken  Hand  'i  Steine.  —  18.  breiorchos:  Alle  ö  hinlegen,  den  1. 
raffen  und  emporwerfen,  den  2.  raffen  und  1.  fangen;  diese  2  hochwerfen,  den  3. 
raffen  und  die  2  emporgeworfenen  fangen,  so  dass  man  3  Steine  in  der  Hand 
hat.  Diese  3  zugleich  emporwerfen,  den  4.  raffen  und  die  3  hochgeworfenen 
fangen,  so  dass  man  4  Stück  in  der  Hand  hat.  Diese  4  hochwerfen,  den  .'). 
raffen  und  die  4  emporgeworfenen  auffangen,  so  dass  man  alle  ö  Steine  in  der 
Hand  hat.  —  19 — 3(i:  Nun  folgen  wieder  diese  sämtlichen  IS  Spiele,  aber  in 
der  umgekehrten  Reihenfolge,  also  mit  breiarehos  anfangend  und  mit  ersder 
endigend. 

Es  rersteht  sich  von  selbst,  dass  ein  Spieler,  sobald  ihm  eine  der  geschilderten 
Bewegungen  nicht  glückt,  alsdann  'ab'  ist.  d.  h.  er  darf  nicht  mehr  weiter  spielen. 
Der  2.  Spieler  fängt  dann  das  Spiel  von  vorn  an,  bis  er  ';ib'  wird,  d.  h.  an 
irgend  einer  Stelle  verunglückt,  worauf  der  3.  Spieler  an  die  Reihe  kommt  usw. 
Waren  alle  Spieler  'drfin'  (daran),  so  fährt  wieder  der  1.  Spieler  fort,  und  zwar 
mit  der  Bewegung,  mit  der  er  vorher  missglückt  war.  Das  Spiel  wird  so  lange 
fortgesetzt,  bis  einer  zuerst  alle  Arten  durchgemacht  hat;  dieser  ist  dann  '^us' 
und  hat  das  Spiel  gewonnen.  In  der  Regel  werden  vor  Beginn  des  Spieles  noch 
besondere  Regeln  vereinbart  oder  '9usgdm;igh'.  Gewöhnlich  wird  die  Frage  auf- 
geworfen: 'wad  zül  gTla?'  Solche  Regeln  sind  nun  u.  a.  folgende:  ad  gilt  älas, 
d.  h.  kleine  Uuregelmässigkeiten  werden  nicht  in  Rechnung  gezogen,  z.  B.  das 
Berühren  von  Steinen  beim  Aufraffen  mit  dem  Finger,  ed  gilt  neist  =  nichts,  in 
diesem  Fall  werden  die  Spielregeln  ganz  genau  eingehalten.  Durch  jeden  Verstoss 
ist  der  Spieler  'iib'.  Da  es  beim  Aufraffen  der  Steine  viel  darauf  ankommt,  wie 
diese  zueinander  liegen,  so  wird  oft  vor  Beginn  des  Spiels  yiisgehal  (aufgehalten), 
ob  bei  einem  ungünstigen  Wurf  die  Steine  noch  ein  zweites  oder  gar  ein  drittes 
Mal  hmgewurfen  werden  durften  oder  nicht.  Es  wurde  alsdann  gefragt:  uad  zai 
gila:  ^mgl  öra  tswempl  öra  dreimal  w^rfe?  —  Andere    solcher  Abmachungen  be- 


Das  Fangstoinchenspiel  in  den  Rheinlanden.  3( 

zogen  sich  darauf,  ob  etwaige  Hindernisse  weggeräumt  werden  durften  (r9nma) 
oder  nicht,  und  anderes  mehr. 

Das  'Höwakan-sbil'  in  Haustadt  (Saar)'):  5  Rieselsteine  mit  leichtem  Wurf 
ausgestreut.  In  der  kurzen  Zeitpause,  während  nun  mit  der  rechten  Hand  —  auch 
linkshändiges  Spiel  ist  zulässig  —  ein  Steinchen  etwa  >'>'■)  cm  hoch  geworfen  und 
wieder  aufgefangen  wird,  müssen  die  auf  dem  Boden  liegenden  Steinchen  mit  der- 
selben Hand  rasch  aufgegriffen  werden,  ohne  dass  dabei  benachbarte  Steine  be- 
rührt werden.     1.  estar:  je  ein  Steinchen  wird  in  der  Zwischenpause   aufgegriffen, 

2.  tsweatar:    je  2  Steinchen    werden  aufgegriffen,    3.  dreatar:    3  und  1   Steinchen, 

4.  feiartar:  4  Steinchen,  5.  fenftar:  je  1  Steinchen  (wie  1).  6.  brestchar:  In  der 
Zwischenzeit  muss  mit  den  einzeln  aufgenommenen  Steinchen  an  die  Brust  ge- 
klopft werden  (4  maliges  Wiederholen).  —  7.  kt-rfchar  (Körbchen):  In  der  Zwischen- 
zeit wird  die  Hand  flach  über  je  einen  der  liegenden  Steine  gehalten,  ohne  sie  zu 
berühren.  —  8.  tipchar:  Mit  den  aufgenommenen  Steinen  wird  auf  den  Boden  ge- 
klopft, getippt  —  9.  rudalchar:  Mit  den  einzelnen  Steinchen  wird  geruddelt  (ge- 
rüttelt), d.  h.  ein  paarmal  über  dem  Boden  hin  und  hergerieben.  —  10.  kneichar: 
Mit  den  Steinchen  wird  an  die  Knie  geklopft.  —  11.  hentchor:  Die  rechte  Hand 
schlägt  gegen  die  linke.  —  12.  meilchar:  Die  rechte  Hand  berührt  mit  dem  aul- 
genommenen  Stein  den  Mund.  —  13.  scherchar:  Die  Steinchen  werden  einzeln 
mit  Zeige-  uml  Mittelfinger  wie  mit  einer  Schere  aufgerafft.  —  14.  15.  16.  krom- 
baresetsa-,  heifan-,  ousdein.  S.  Laubach  Habe.  —  17.  aiarlen:  Man  bat  2 
Steinchen  in  der  Hand,  wirft  eins  hoch,  legt  in  der  Zwischenzeit  das  andere  hin 
und  nimmt  gleichzeitig  ein  drittes  auf.  —  18.  aiar  ofholan:  Das  Aufheben  der 
Eier  wird  nachgeahmt,  indem  die  zusammengelegten  Steine  mit  einem  Grifle 
wieder  aufgenommen  werden.  —  19.  snoakan;  Die  in  die  Höhe  geworfenen  Steine 
werden  wie  Schnaken  gehascht.  —  20.  spanan:  Die  Steine  werden  in  Spannen- 
weite hingelegt  und  paarweise  aufgegriffen.  —  21.  seiar:  Auf  den  Boden  wird  ein 
kleines  Viereck  (Scheuer)  gezeichnet  und  die  Steine  werden  hineingeworfen.  In 
der  Wurfzeit  des  einen  Wacken  werden  je  2  Steinchen  aus  der  Scheuer  heraus- 
geschoben und  hernach  ebenso  wieder  hinein,  ohne  dass  die  Umfassungslinien 
mit  der  Hand  berührt  werden. 

Das  'knipstenipil'  in  Dierdorf  (Westerw.):  4  Würfel  (Rückenwirbel  von 
Stockfisch  oder  eckige  Kieselsteine)  und  ein  Klicker,  der  aufgeworfen  wird 
1.  ersdans,  2.  tswaidans,  3.  dredans,  4.  verdans,  wie  in  Laubach  1 — 4.  —  5.  hant- 
hftla:  Die  4  Steinchen  und  der  Klicker  werden  in  die  rechte  Hand  genommen, 
und  der  Klicker  in  die  Höhe  geschnellt  und  nach  dem  Aufhüpfen  mit  derselben 
Hand  gefangen.  —  3.  eiarlen:  s.  Laubach  10.  —  4.  isara;  Liegen  die  Steine,  so 
werden    sie    während    des  Aufhüpfens    des   Rlickers    ein    Stück    weggescharrt.  — 

5.  kleftgas:  Während  des  AufhUpfens  des  Klickers  wird  ein  Stein  aufgenommen: 
dann  wirft  man  diesen  Stein  in  die  Höhe  (der  Klicker  bleibt  nun  aus  dem  Spiel) 
und  nimmt  unterdes  den  2.  Stein  auf  und  fängt  den  herabkommenden  ersten  Stein 
auf.  Nun  werden  beide  Steine  hochgeworfen  und  der  3.  wird  aufgerafft,  dann  '^ 
hochgeworfen  und  der  4.  aufgerafft. 

Aus  Mehren   (Westerw.):    5  Steinchen.     1.  istarchen.    —  2.  tsweitarchan.  — 

3.  drötarchan  (wie  in  Aegidienberg  1 — 3).  —  4.  bok:  1  Steinchen  in  die  Höhe, 
4  zugleich  aufgerafft  und  wieder  hingelegt,  das  niederfallende  Steinchen  mit  der- 
selben Hand  schnappen.  —  5.  knip:  1  Steinchen  in  die  Höhe,  eins  gegriffen  und 
in  der  Hand  behalten,  bis  alle  Steine  nacheinander  aufgegriffen  sind.  —  6.  klöftchan: 


1 1  Mitgeteilt  von  Herrn  Seminarlebrer  Konz-Trier. 


38  Müller: 

1  Steinchen  in  die  Höhe,  1  aufgerafft,  2  in  die  Höhe  geworfen,  dann  3,  bis  alle 
sind.  —  7.  einiol  klopan:  wie  1.,  doch  vor  dem  Ergreifen  des  springenden 
Steinchens  wird  einmal  auf  die  Spielplatte  geklopft.  —  8.  tsweim^l  klypan:  Wie 
".,  doch  zweimal  wird  geklopft.  —  9.  föngar.^trechan.  Bevor  man  nach  dem  Auf- 
werfen des  einen  Steinchens  ein  anderes  Steinchen  aufgreift,  streicht  man  mit 
dem  Zeigefinger  über  die  Platte.  —  10.  stufknron:  Mit  der  ganzen  Hand  fährt 
man  über  die  Platte.  —  11.  riwasbaka:  Während  des  Aufhüpfens  des  einen 
Steinchens  greift  man  mit  Zeige-  und  Mittelfinger  einen  Stein.  —  12.  Ilech  (Fliege): 
Der  aufgeworfene  Stein  wird  von  oben  aufgefangen.  —  13.  i;iorii;n:  gleich  1.. 
am  Schlüsse  werden  alle  4  wieder   hingelegten  Steinchen  zusammengerafft. 

Das  'Gappspiel'  in  Büschfeld,  Kreis  Merzig:  .">  Kieselsteine').  1.  hampas: 
Der  1.  Stein  geworfen,  der  2.  genommen  und  der  1.  aufgefischt;  der  folgende 
genommen  und  der  2.  aufgefischt  u.  s.  f.,  bis  alle  Steine  in  der  rechten  Hand 
sind.  —  2.  doplarst:  Dasselbe.  —  3.  d9psweit:  Ein  Stein  geworfen,  2  Steine  ge- 
nommen, der  1.  aufgefischt;  ein  "2.  Stein  geworfen,  die  beiden  letzten  genommen 
und  der  _'.  aufgefischt.  Die  Steine  sind  zuletzt  alle  in  der  rechten  Hand.  — 
4.  dypdrei:  Ein  Stein  geworfen,  3  genommen,  der  1.  aufgefischt,  der  2.  geworfen, 
der  letzte  genommen,  der  2.  aufgefischt.  —  5.  dopfiarstat:  Der  1.  Stein  geworfen.  4 
genommen,  der  1.  aufgefischt.  —  6.  douwoliarstchos:  Wie  1.  —  7.  douwelzweiter: 
Wie  bei  3.  —  8.  hant.seichas:  Die  linke  Hand  liegt  auf  dem  Boden,  bildet  eine 
Höhlung  mit  ausgebreitetem  Daumen  und  Zeigefinger.  Der  1.  Stein  wird  ge- 
worfen, der  2.  Stein  in  die  Höhlung  eingeschoben,  der  1.  Stein  aufgefischt;  der 
1.  Stein  wird  geworfen,  der  2.  eingeschoben,  der  1.  aufgefischt  u.  s.  f.;  nachdem 
4  Steine  unter  der  linken  Hand  liegen,  wird  der  1.  Stein  wieder  geworfen,  die 
linke  Hand  weggenommen,    alle  4  Steine  mit  der  rechten  Hand  gegriffen  und  der 

1.  aufgefischt.  —  9.  durch  da  brek:  Wie  bei  s,  nur  dass  die  linke  Hand  eine 
Brücke  bildet,  unter  die  jedesmal  ein  Stein  geschoben  wird.  —  10.  brostchas: 
s.  bei  Haustadt  ti.  —  11.  oierlän:  s.  bei  Haustadt  17.  —  12.  ean  da  korf:  die 
linke  Hand  bildet  einen  Korb;  1.  Stein  geworfen,  der  2.  in  die  linke  Hand  ge- 
legt, der  1.  aufgefangen;  1.  Stein  geworfen,  2.  Stein  in  die  linke  Hand,  1.  Stein 
aufgefangen  u.  s.  f.,  bis  alle  ^  Steine  im  Korbe  liegen.  —  13.  aus  dam  korf: 
4  Steine  in  der  linken  Hand,  ein  Stein  in  der  rechten  Hand;  dieser  geworfen,  ein 
Stein  mit  der  rechten  Hand  aus  der  linken  Hand  herausgelegt,  der  1.  Stein  auf- 
gefangen u.  s.  f.,  bis  die  linke  Hand  entleert  ist;  1.  Stein  wieder  geworfen,  alle 
4  Steine    aufgegriffen,    1.  aufgefangen.    —    14.    blöch  (Pflug):    1.  Stein   geworfen, 

2.  Stein  berührt,  1.  Stein  aufgefischt;  1.  Stein  geworfen,  3.  zum  2.  Stein  ge- 
schoben, 1.  aufgefischt,  4.  zu  2.  und  o.  geschoben,  1.  aufgefischt;  1.  geworfen, 
alle  3  gleichzeitig  aufgegriffen.  1.  aufgefischt.  —  15.  sfir:  der  1.  Stein  geworfen, 
die  Hand  macht  über  den  4  zusammenliegenden  Steinen  die  Bewegung  wie  eine 
Pflugschar,  viermal  wiederholt;  alle  4  liegen,  der  1.  geworfen,  4  zugleich  auf- 
gegriffen,   der    1.  aufgefangen.    —    17.  bolts:    Alle  5  Steine  in  der  rechten  Hand; 

1.  geworfen,  2.  wiedergelegt,  1.  aufgefangen  u.  s.  f.,  bis  ulle  4  liegen.  Am  Schlüsse 
wie  bei  l.i.  lii.  —  18.  drestchas:  1.  geworfen,  2.  genommen,  1.  aufgefischt.  2.  mit 
rechter  Hand  geworfen,  3.  genommen,  1.  und  2.  je  einer  mit  der  rechten  und 
linken  Hand   aufgefischt,    2  Steine    in    die    rechte  Hand    geworfen,    4.  genommen, 

2.  und  3.  geworfen,  je  einer  von  rechter  und  linker  Hand  aufgefischt  u.  s.  f.  — 
19.  himolwvrfchas:  1.  geworfen,  2.  genommen,  1.  aufgefischt,  1.  und  2.  gleich- 
aeitig   geworfen,    3.    genommen,    1.  und  2.  aufgefischt;    1.,    2.  und  3.  gleichzeitig 


1    Berichtet  von  Herrn  Hauptlehrcr  Pontenberg,  Büschfeld. 


Das  Fangsteinchenspiel  in  den  Rheinlanden.  ;-{9 

geworfen,  4.  genommen,  1.,  2.  und  3.  gleichzeitig  aufgefischt  u.  s.  f.  —  20.  judgas: 

1.  geworfen,  2.  genommen,  1.  und  2.  aufgefischt,  einen  in  die  linlie  Hand  gelegt 
u.  s.  f.  bis  alle  Steine  an  der  Reihe  waren. 

Spiel    mit  wakaldar  in  Üdersdorf  (Daun):   1.  rstenchas:    Wie  Aegid.  1.    — 

2.  tsweistenchas:  Wie  Aegid.  2.  —  3.  hefelches:  Wie  Aegid.  4.  —  4.  hü.str'nch9s: 
Wie  1,  doch  der  springende  Stein  muss  möglichst  hochgeworfen  werden.  — 
5.  h^Ttsklopches:  Vor  dem  Schnappen  wird  an  die  Brust  geklopft.  —  6.  dlldgp- 
•chas:  2  bis  o  mal  wird  vor  dem  Schnappen  auf  dem  Boden  getippt.  —  7.  §i8r- 
lejalchas:  Wahrend  des  Aufhüpfens  des  einen  Steinchens  wird  ein  Stein  unter 
den  kleinen  Finger  genommen  und  leise  niedergelegt,  während  gleichzeitig  ein 
anderer  Stein  aufgehoben  wird. 

Das  snapan  mit  5  snapsten  in  Aegidienberg  (Sieg). 

A.  st  klen  spil:  1.  at  Ontcha:  5  Steine  hingeworfen;  1.  St.  in  die  Höhe,  2.  St. 
aufgenommen,  ohne  die  anderen  zu  berühren,  1.  St.  aufgefangen,  1.  St.  in  die 
andere  Hand.  Dies  wiederholt  sich,  bis  alle  4  St.  in  gleicher  Weise  aufgenommen 
sind.    —    2.    at  tsw^^tcha:    Wie    1;    nur    werden   2mal  je  2  St.  aufgenommen.    — 

3.  at  dritcha:  Wie  1;  zuerst  1  St.,  dann  3  St.  aufgenommen.  —  4.  at  flartcha: 
Alle  5  St.  in  der  Hand,  1  St.  in  die  Höhe,  unterdessen  die  anderen  4  St.  hin- 
gelegt; 1  St.  aufgefangen,  nochmals  hochgeworfen,  die  4  St.  zusammen  aufgerafft, 
1  St.  aufgefangen.  —  5.  at  fönafcha:  1.  St.  in  die  Höhe,  2.  St.  in  die  Hand,  die 
nun  den  1.  St.  auffängt,  so  dass  2  St.  in  der  Hand  sind.  Einen  St.  wirft  man 
-wieder  in  die  Höhe  und  nimmt  den  3.  St.,  fängt  den  andern  auf,  so  dass  nun 
3  St.  in  der  Hand  sind,  u.  s.  f.  bis  alle  b  St.  in  der  Hand  liegen.  —  6.  at  sekscha; 
1.  St.  in  die  Höhe,  2.  St.  in  die  Hand,  1.  St.  aufgefangen;  1.  +  2.  St.  in  die  Höhe, 

3.  aufgenommen,  1.  +  2.  St.  aufgefangen;  1.  +  2.  +  3.  in  die  Höhe,  4.  aufgenommen, 
1 .  +  2.  +  3.  aufgefangen  (also  nun  4  in  der  Hand);  1.  +  2.  +  3.  +  4.  St.  in  die  Höhe, 
5.  St.  aufgenommen,  1.  +  2.  +  3.  +  4.  St.  aufgefischt,  so  dass  nun  alle  5  St.  in  der 
rechten  Hand  sind.  —  7.  dubalhou:  1.  St.  in  die  Höhe,  2.  St.  aufgenommen,  der 
1.  St.  von  oben  im  Bogen  aufgefangen  u.  s.  f.,  bis  alle  4  St.  an  der  Reihe  waren. 

—  8  a.  es-dobal:  Alle  5  St.  in  der  Hand,  alle  in  die  Höhe  und  auf  der  Hand- 
oberfläche aufgefangen.  Nun  werden  sie  von  hier  aus  wieder  hochgeworfen  und 
in  der  inneren  Handfläche  aufgefangen.  —  8b.  tswgtd9bal:  Da  dies  selten  gelingt, 
so  wird  derselbe  Vorgang  zum  zweiten  Male  gestattet.  Für  A  1 — 6  ist  es  ge- 
stattet, vor  dem  Hinwerfen  der  Steine  sie  schon  in  der  Hand  so  zu  ordnen  und 
sie  so  behutsam  hinzuwerfen,  dass  sie  in  gehöriger  Gruppierung  zum  leichten 
Aufnehmen  daliegen.  Wird  dies  nicht  vereinbart,  so  müssen  die  Steine  hin- 
gestürzt werden  (jastiöts),  so  dass  sie  weit  auseinanderfliegen.  Das  Aufnehmen 
zu  2,  3,  4  ist  nun  sehr  schwer  und  erfordert  rasches  Haschen;  es  entstehen  so 
die  Spiele  iströts-entcha,  ströts-tswetcha,  ströts-fiartcha. 

B.  at   jrüsa    spil    (nur    die   Geschickteren    leisten    sich    diese  Fortsetzung). 

—  9.  es-langks-klets:  1.  St.  in  die  Höhe,  2.  St.  aufgenommen,  1.  St.  aufgefangen; 
1.-1-2.  St.  in  die  Höhe,  3.  St.  aufgenommen,  1.  St.  mit  der  linken  Hand,  2.  St. 
mit  der  rechten  Hand  aufgefangen,   u.  s.  f.  bis  man  4  St.  in  der  linken  Hand  hat. 

—  10.  dubal-langks-klets:  1.  St.  in  die  Höhe,  2.  St.  aufgenommen,  1.  St.  auf- 
gefangen; 1.  -I-  2.  St.  in  der  rechten  Hand,  1.  St.  in  die  Höhe,  3.  St.  in  die  rechte 
Hand    zum    2.  St.    genommen,    1.  St.    aufgefangen;    1.-I-2. -)-3.  St.    in   die  Höhe, 

4.  St.  genommen,  1.  +  2.  mit  der  linken  Hand  gefangen,  3.  St.  mit  der  rechten 
zum  4.;  1. -|- 2. -|- 3. -f  4,  in  der  rechten  Hand  in  die  Höhe,  5.  St.  genommen, 
1.  +2.  St.  mit  linker  Hand,  3.  +  4.  St.  mit  der  rechten  Hand  zum  5.  gefangen.  — 
IIa.  tipcha  miit-es-pOrts   und  dubolpvrts:    1.  St.  in  die  Höhe,  mit  dem  Zeigefinger 


40  Müller:    Das  Fangsteinchenspiel  in  den  Rheinlanden. 

viermal  auf  die  Erde  getippt,  1.  St.  aufgefangen;  1.  St.  in  die  Höhe,  viermal  mit 
der  Handoberfläche  auf  die  Erde  geklopft.  1.  St.  aufgefangen;  1.  St.  in  die  Höhe, 
viermal  mit  den  Fingern  über  die  Erde  streichen,  1.  St.  aufgefangen;  1.  St.  in  die 
Höhe,  Tiermal  in  die  Hände  klatschen,  1.  Stein  aufgefangen.  Daumen  und  Zeige- 
finger der  linken  Hand  werden  auf  die  Erde  gestellt,  1.  St.  in  die  Höhe,  2.  St. 
durch  diese  Öffnung  der  linken  Hand  gestrichen,  1.  St.  aufgefangen  u.  s.  f.  bis 
alle  4  St.  durch  die  ()ffnung  sind.  —  IIb.  Bei  ('er  dubolports  werden  '2  und  2  St. 
hindurchgestrichen.  —  lüa.  beisats:  1.  St.  in  die  Höhe,  2.  St.  aufgenommen,  1.  St. 
geschnappt;  von  den  beiden  in  der  Hand  ruhenden  Steinen  wirft  man  den  1.  hoch, 
den  "2.  eben  geschnappten  legt  man  hin  und  fängt  den  1.  auf,  u.  s.  f.  bis  man  alle 
4  St.  fest  beieinander  liegen  hat.  Jetzt  wird  der  5.  St.  hochgoworfen,  und  bevor 
man  ihn  auffängt,  werden  die  4  ruhenden  St.  aufgehoben.  —  12b.  dubal-beisats: 
Wie  a,  nur  werden  2  und  2  Steine  aufgenommen.  (1.  hoch,  2.  3.  in  die  Hand, 
1.  geschnappt,  3  St.  also  in  der  Hand;  1.  hoch,  2.  3.  hingelegt,  1.  geschnappt; 
1.  hoch,  4.  .3.  genommen,  1.  geschnappt;  1.  hoch,  2.  3.  4.  5.  genommen.  1.  ge- 
schnappt.) —  13  a.  t;iorlnjd:  l.  St.  in  die  Höhe,  2.  St.  genommen,  1.  geschnappt 
(1.  2.  in  der  Hand);  1.  in  die  Höhe,  2.  hingelegt,  3.  genommen,  1.  geschnappt 
US. f.  bis  man  alle  4  hat.  —  13b.  dubal-(,MOr  löja:  1.  St  hoch,  2  St.  aufgehoben 
und  hochgevvorfen,  3.  St.  genommen,  1.  2.  St.  .geschnappt  (•*  St.  in  der  Hand); 
1.  St.  hoch,  2.  3.  St.  hingelegt,  4.  St.  genommen,  1.  St.  geschnappt  u.  s.  f.  — 
14a.  pekmOs  mijt  es-jefalche:  1.  St.  hoch,  viermal  mit  der  rechten  Hand  auf  die 
linke  Paust  geschlagen,  1.  St.  geschnappt.  1.  St.  hoch,  zwischen  Zeige-  und 
Mittelfinger  2.  St.  aufgenommen,  1.  St.  geschnappt,  bleibt  mit  2.  Stein  in  der 
Hand  u  s.f.  —  14b.  pekmOs  myt  dubalj^-felcha:  Ebenso  werden  2  und  2  St.  auf- 
genommen. —  15.  möntcha,  derb  auch  drosfresa,  driß-(Scheiss-)fressen:  1.  St.  in 
den  Mund,  2.  St.  in  die  Höhe,  1.  St.  aus  dem  Munde,  2.  St.  geschnappt,  viermal 
wiederholt.     Zum  Schluss  3.  4.  b.  St.  aufgenommen  wie  bei  1. 

Das  'snapon'  in  Berrenrath')  mit  .snapknöüchalcha:  1.  do  keras:  Ehe  der  in 
die  Höhe  geworfene  Ball  wieder  geschnappt  wird,  muss  der  Spieler  die  auf  der 
Erde  liegenden  Knöchelchen  ergritfen  und  dann  auf  dem  Boden  eine  Bewegung 
wie  srubon  oder  köran  gemacht  haben.  2.  da  nedanedacha  (plur.)  'Niederniederchen.' 
Der  Wurfknochen  darf  nicht  über  die  Nase  herauskommen.  3.  da  noma  hü:  Der 
Wurfknochon  muss  über  den  Kopf  hinauskommen.  4.  et  klypat  hits-chan:  s. 
Brüstchen  (Haustadt  G). 

Das  'snapan'  in  Keldenich:  1.  2.  3.  enchö.  zwcitcho,  dretcha.  4.  virtcha  oder 
küpcho:  Alle  4  Steine  müssen  zusammen  geschnappt  werden.  5.  strölcho  (Strahl): 
Die  Steine  werden  weit  auseinander  hingeworfen  und  müssen  mit  einem  Male  zu- 
sammengegriffen  werden. 

Nach  all  den  Beispielen,  die  ich  ausführlicher  gegeben,  seien  nur  die  Spiel- 
bezeichnungen angeführt,  die  nach  den  übrigen  Darstellungen  ihre  Erklärung  finden. 
Alle  Abweichungen  zu  vermerken,  ist  eben  unmöglich: 

Aus  Wirscheid  (Westerwald):  irstar,  zweitar,  dritar,  fiarter,  dibara,  fartpuse» 
zweirffor,  müra,  rr-wa,  snufa,  smota,  huwolo,  liar,  kafi,  wasar,  drein/fol,  kloft, 
fiarrefar.     (IS  Einzelspiele.) 

Aus  Koenigsfeld  (bei  Sinzig):  einchas,  tsweitchas,  dritchos,  fiartchas.  al  in 
einer  hant,  hemarchas,  dipara,  geisobok,  iM^rlöjan,  dingolo-dingala  op  dar  haut, 
dingala-dingala  um  dar  hant,  cindüpara,  tzsveidüpara,  tsweiletsdüparo,  fenga.  hü. 
(16  Einzelspiele.) 

1)  Berichtet  von  Heim  Pfarrer  Klütsch. 


Polivka:   Die  Entstehung  eines  dienstbaren  Kobolds  aus  einem  Ei.  4J 

In  Ayl  (Saar):  snap,  mestar,  kesal,  püf. 

Aus  Kettig  (Cobl.):  ensnopas,  tsweisnopas,  dreisnopas,  alassnopes,  enlejas, 
tsweilejas,  dreilejas. 

Aus  Ernzen  (Bitb.):  en  Istchan,  tswe  istchan,  drei  istchan,  fer  istchan;  en- 
fer  tswetchan;  en  srouf,  tswü  srouf,  drei  srouf,  fr-r  srouf;  en  dubadup  bis  fer  dubadup; 
en  hertsknup  bis  ferhertsknup;  e  kne,  tswi  kne  bis  fer  kne:  en  dam  (2x),  en  aloch 
(2x),  en  sir  (2  x),  en  hywa  (2  x),  en  emölgnt  (?)  (2  x),  et  heis-chan  (2  x).  (36 
Einzelspiele). 

Aus  Limbach  (Westerwald):  ain  ofhewan,  tswei  on  tswei,  drei  on  ains.  al 
ofhgwan,  eialen,  kelwaplfts,  al  en  da  hö,  of  dan  hen  (Hunden). 

Aus  Pünderich  (Mosel):  eiarlüjcs,  dipartchas,  brestchas,  epalches  on  birchas, 
rouchas,  hür9uchos,  lekas,  spanchas,  pertclias. 

Aus  dem  Siegerland:  erster,  tsweidor,  dreiar.  viortar,  knip,  dup,  >'\,  ihend- 
chas,  ush^ndchas,  eiarlödchas,  Imr,  .swert,  klöporchas,  pletchas,  holakrensar. 

Bonn. 


Die  Entstehung  eines  dienstbaren  Kobolds 
aus  einem  Ei/' 

Von  Georg  Polivka 

(mit  Beiträgen  von  Johannes  Bolte. 

Oben  25,  225   hat  Norliml    eiuen    schwedischen  Volksglauben    aus 
Uppland  mitgeteilt,  nach  welchem  man  einen  Spiritus  familiaris')  bekommt, 


1)  Vgl.  meinen  kürzeren  Artikel  im  Närodopisny  Vestnik  10,  73. 

2)  Zur  Literatur  des  Spiritus  familiaris  (oben  25,  226"i  seien  hier  noch 
einige  Nachweise  nachgetragen.  Universitätsschriften  'de  spiritibus  familiaribus' 
führt  Grässe,  Bibliotheca  magica  1843  S.  22  an  von  Musselins  (Wittenberg  1G23), 
Chr.  Blauschmidt  CL.  1666),  J.  Clodius  (Witob.  1674),  .1.  Stoekhardt  (Lips.  1679), 
Chph.  Schultz  (Regiomonti  1694),  G.  Chr.  Wagner  (Lips.  1715).  Den  Namen  sollen 
nach  Bodin  (De  magorum  daemonomania,  deutsch  von  J.  Fischart  l.')91  Sp.  67  a. 
B.  2,  cap.  1)  die  Araber  Avicenna  und  Algazel  erfunden  haben  S.  Meigerius. 
De  panurgia  lamiarum  1587  Bl.  Ccc  3a  geht  bis  ins  klassische  Altertum  zurück  und 
zieht  auch  das  Saiuvnoy  des  Sokrates  hierher,  über  dessen  verschiedene  Auffassungen 
man  bei  Zeller,  Die  Philosophie  der  Griechen'  2,  1,  69  nachlesen  mag.  Melanchthon, 
Initia  doctrinae  physicae  1555  Bl.  120a  berichtet  von  einem  Teufel  'in  crystallo", 
der  1530  einem  Nürnberger  Priester  einen  verborgenen  Schatz  anzeigte;  .J.  Manlius, 
Locorum  communium  collectanea  1565  p.  34  von  einem  Arzte,  der  in  zweifelhaften 
Fällen  seinen  Teufel  in  der  Flasche  (diabolum  in  vitrum  inclusum)  befragte,  wie 
das  auch  von  Paracelsus  und  andern  Ärzten  erzählt  wird  (Bolte-Polivka,  Anmer- 
kungen 2,  415).  Schon  Frauenlob  ^MSH  3,  146  a  =  EttmüUer  S.  247)  erwähnt  einen 
wahrsagenden  Geist,  der  in  seinem  Schwerte  sitzt.  Herzog  Maximilian  von  Bayern 
verbot  1611  das  Wahrsagen  'per  Spiritus  familiäres'  (Oberbayer.  Archiv  52,  2,  164). 
Schölte,  Probleme  der  Grimmeishausenforschung  1,  184  (1912).  PauUini,  Zeit- 
kürtzende  Lust  3,  114  nr.  13  (1697).  Auch  Fouques  Novelle  vom  Galgenmännlein 
(1810.  Werke  ed.  Ziesemer  1,  221)  gehört  trotz  des  irreführenden  Titels  hierher. 
Bürger  (Briefe  hsg.  von  Strodtniann  1,  383.  1874)  schreibt  1776:  'Mein  Kobolt 
Spiritus  I  ist  von  den  derben  Knollen,  |  die  Dich  zerknuten  sollen.' 


42  Pülivka: 

wenn  man  ein  llalinenei  nimmt,  es  in  seiner  linken  Achselhöhle  trägt 
uad  an  drei  Donnerstagsabendeu  damit  auf  den  Kirchhof  geht.  Diese 
Vorstellung  ist  auch  anderwärts  verbreitet,  wie  icli  im  folgenden  nachzu- 
weisen gedenke. 

Aus  dem  Nordosten  Nieder-österreichs  ist  bei  Vei-naleken,  Mythen 
S.  207  nr.  58  folgender  Aberglaube  aufgezeichnet:  Wenn  ein  Mann  das 
siebente  von  einer  ganz  schwarzen  Henne  gelegte  Ei  sieben  Tage  lang  un- 
unterbrochen unter  der  linken  Achsel  trägt,  kriecht  ein  kleines  Teufelchen 
heraus,  welches  seinem  Herrn  zu  Diensten  ist,  freilich  unter  der  Bedin- 
gung, dass  ihm  des  Herrn  Seele  verfällt.  In  Oberösterreich  erhillt  man 
einen  solchen  Diener,  wenn  man  das  erste  Ei  einer  ganz  schwarzen  Henne 
7  oder  9  Tage  und  Nächte  unter  der  linken  Achsel  trägt,  ohne  die  Kirche 
zu  besuchen,  ein  Kreuz  zu  sehlagen,  zu  beten  oder  sich  zu  waschen;  dann 
kriecht  ein  scliwar/.es  Männlein  heraus,  das  iniiii  in  ein  Fläschchen  sperrt 
und  auf  .">,  10  oder  mehr  Jahre  in  Dienst  nimmt,  ohne  dass  der  Teufel 
nach  Ablauf  der  Frist  Anspruch  auf  die  Seele  hat;  man  kann  ihn  auch 
verschenken  oder  für  3  Pfennige  verkaufen  (Zs.  f.  österr.  Yolksk.  2,  lll). 
Ähnlich  in  der  deutschen  Sprachinsel  Landskron  in  Ostböhmen,  wo  er 
Spiritus  heisst  (ebd.  2,  191.  F.  Knothe,  Wtb.  der  schles.  Mundart  in  Nord- 
bühmen  S.512)  und  im  Bohmerwalde  (ebd.  8,  224).  In  einer  Kügenschen 
Sage  (Haas,  Rügen.  SM^  S.  33  nr.  30)  schafft  sich  auf  diese  Weise  ein  armer 
Mann  einen  Puk  an;  doch  muss  er  ein  von  einer  schwarzen  Henne  um 
Mitternacht  gelegtes  Ei  nehmen  und  sich  mit  diesem  acht  Tage  lang  an 
einer  Stelle,  wohin  weder  Sonne  noch  Mond  scheint,  verbergen;  nach 
sieben  Tagen  kriecht  aus  dem  Ei  ein  kleines  Männlein  mit  einer  Mütze 
auf  dem  Kopfe  hervor,  aber  seine  Füsse  sind  noch  nicht  ganz  entwickelt, 
erst  nachdem  ihn  der  Mann  noch  einen  Tag  in  seiner  Achselhöhle  ge- 
tragen, wird  er  vollständig.  Dieser  Puk,  den  man  sich  auch  auf  andere 
Weise  anschaffen  kann,  hat,  wenn  er  auf  Raub  (für  seinen  Herrn)  aus- 
geht, die  Gestalt  einer  Katze,  oder  er  fliegt  als  Feuerdrache  zum  Schorn- 
stein hinaus  (ebd.  S.  33  nr.  29).  1840  hatte  sich  ein  Mann  bei  Garz  auf 
Rügen  in  eine  Höhle  zurückgezogen,  um  dort  vier  Wochen  lang,  ohne  zu 
sprechen,  zwei  Hühnereier  zu  bewachen,  aus  denen  ein  Puk  heraus- 
kommen sollte  (Haas,  Schnurren  1899  S.  77  nr.  70).  Ein  anderer  packte 
ein  Sparei  in  warmen  Dünger;  als  aber  nach  drei  Tagen  ein  rotes  Käppcheu 
daraus  hervdrluuclitete,  zertrat  er  es  (ebd.  nr.(j9).  Auch  nach  pommerschem 
Glaubeu  kann  man  einen  Kobold  ausbrüten:  man  logt  sich  mit  einem  sog. 
Windei  (vom  Huhu,  Gans  oder  Ente)  unter  dem  linken  Arm  zu  Bett  und  liegt 
80  27  Tage  lang  ganz  ruhig  und  still,  und  nach  der  Zeit  ist  der  Kobold  aus- 
gebrütet (Bl.  f.  i)umm.  Vk.  10,  168  nr.  100).  In  der  französischen  Schweiz 
heisst  der  Kobold,  der  aus  dem  unter  der  Achsel  ausgebrüteten  Ei  eines 
Hahns  oder  einer  schwarzen  Henne  hervorgeht,  'coqwergi".  Hahnzwerg 
(Ceresole,    Legendes   des  Alpes   vaudoises   1885  p.  33  =  Sebillot,    FL.  de 


s 


Die  Entstehung  eines  dienstbaren  Kobolds  aus  einem  Ei.  43 

France  3,  '231).  In  Schwaben  dagegen  glaubt  man,  wenn  man  ein  Ei, 
das  eine  schwarze  Henne  am  Gründonnerstag  gelegt,  unterm  Arm  aus- 
brüte, so  komme  eine  Schlange  heraus,  mit  der  man  hexen  könne  (Bir- 
linger,  Volkstümliches  aus  Schwaben   1,  123). 

Diese  schwäbische  Variante,  in  welcher  der  hilfreiche  Dämon  in 
Schlangengestalt  auftritt,  vermag  uns  vielleicht  auf  den  Ursprung  des 
ganzen  Volksglaubens  hiuzuleiten.  Denn  die  Vorstellung  von  dem  aus 
einem  Ei  gewonnenen  Kobold  scheint  auf  die  ältere  und  weitaus  ver- 
breitetere  Sage  vom  Basilisken  zurückzugehen,  der  freilich  kein  dienst- 
barer Geist  ist,  sondern  als  ein  überaus  giftiges  Untier  von  kleiner, 
schlangenähnlicher  Gestalt  geschildert  wird,  dessen  Entstehung  aber  die- 
selben Züge  trägt.  Bevor  wir  daher  auf  die  slawischen  Seitenstücke  ein- 
gehen, sei  es  verstattet,  einen  raschen  Blick  auf  die  Entwicklung  der 
Basiliskensage  zu  werfen.  Von  der  'Königsschlange'  (ßaadiaxog,  regulus) 
erzählt  Plinius  (Nat.  bist.  8,  78),  dass  sie  in  Nordafrika  in  der  Cyrenaica 
lebe,  kenntlich  durch  einen  weissen  Fleck  am  Kopfe,  dass  sie  durch  ihr 
Zischen  alle  anderen  Schlangen  verjage  und  durch  ihren  giftigen  Hauch 
und  Blick  die  Pflanzen  versenge  und  die  Menschen  töte;  man  vertilge 
sie  nur  durch  den  Geruch  des  Wiesels,  das  man  in  ihr  Loch  lasse^).  Von 
der  Entstehung  der  Basilisken  berichtet  weder  Plinius  noch  andere  antike 
Autoren  (Pauly-Wissowa,  Realencyclopädie  des  klassisclieu  Altert.  3,  100; 
E.  Rohde,  Kl.  Schriften  1,  397)  etwas');  erst  Cassianus  hält  es  in  seinem 
um  430  zu  Marseille  gesciiriebenen  Werke  'De  incarnatione  Christi'  7,  i> 
(Mignes  Patrologia  lat.  50,  210)  für  unzweifelhaft,  dass  die  Basilisken  aus 
den  Eiern  der  ägyptischen  Ibisvögel  hervorkriechen,  was  200  Jahre  später 
Theophylaktos  Simokattes  (Quaestiones  physicae  c.  14.  Aldrovandus,  Orni- 
thologia  1.  20,  3.  Savigny,  Histoire  de  Tibis  1805  p.  121.  199)  durch  das 
Gift  der  von  den  Vögeln  verzehrten  Schlangen  erklärt,  das  sich  in  ihrem 
Leibe  ansammle.  Da  der  Name  Basilisk  oder  regulus  mehrfach  in  der  grie- 
chischen, lateinischen,  deutschen  und  cechischen  Bibel  (Jes.  11,  8.  14,  29.  59,  5. 
Jer.  8,  17.  Ps.  90,  13.  Spr.  23,  32)  zur  Wiedergabe  der  hebräischen  Schlan- 
genbezeichnuug  1*E^  oder  ^irs^i  erscheint,    so  kehrt  die  Beschreibung  des 


1)  Nach  Aelian  {De  natura  aniraaliuni  3,  31.  5,  50.  8,  28)  fürchtet  der  Basilisk 
ebenso  wie  der  Löwe  den  Hahn.  —  Dass  der  Basilisk  mit  der  von  den  Ägyptern 
verehrten  und  zum  Kopfsehmuck  der  Pharaonen  gehörenden  Uräosschlange  (uara 
bedeutet  sowohl  Natter  als  König'  identisch  sei,  gibt  Horapollo  1,  1  i^J.  Pierius, 
Hieroglyphica  15.56  Bl.  105a)  an.  Büdinger  (SB.  der  Wiener  Akademie  72,  451)  leitet 
auch  den  hebräischen  Namen  der  von  Mose  errichteten  ehernen  Schlange 
Nechuschtän  (l^l^'H?  1-  Kon.  18,  4)  aus  dem  Ägyptischen  inechusetan  =  Kron- 
schutz) ab. 

2)  Nach  einem  griechischen  Paradoxographen  verzehren,  wenn  man  mehrere 
Schlangen  zusammen  einsperrt,  die  stärkeren  die  schwächeren,  und  die  letzte 
heisst  Basilisk  (E.  Piccolomini,  CoUectanea  di  Massimo  Planude  1873  p.  2Ü,  au.s 
Rivista  di  filologia  classica  2\ 


44  Polivka: 

Plinius  öfter  in  geistlichen  Seliriften  wieder.  Gregor  der  Grosse  (Moralia 
15,  15.  33,  37  =  Migne  75,  1090.  76,  713)  bezieht  den  regulus  bei  Jesaia 
auf  den  Antichrist;  Bruno  von  Würzburg  (Kxpositio  psalmorum  90,  13  = 
Migne  142,  340)  den  basiliscus  auf  den  Teufel;  Konrad  von  Würzburg 
(Goldene  Schmiede  v.  157.  172),  der  wohl  auf  llrabanus  Maurus  ''De  uni- 
verso  8,  3  =  Migne  111,  231)  zurückgeht,  tituliert  den  Teufel  -hellebäsi- 
liscus'  und  vergleicht  Christus,  den  'höhen  himelharm',  mit  dem  Wiesel, 
das  jenen  in  seiner  Höhle  aufsucht  und  zu  Tode  beisst. 

Dagegen  hat  der  Basilisk  im  Physiologus,  der  verbreitetsten  Natur- 
geschichte des  früheren  Mittelalters,  keine  Stelle  gefunden;  erst  eine  mittel- 
griechische metrische  Bearbeitung  des  15. — 16.  Jahrh.  (Physiologus  publ. 
par  Legrand  1873  p.  52  c.  4—5  =  Pitra,  Spicilegium  Solesmense  3,  372 
nr.  60 — 61)  und  eine  lateinische  Fassung  des  14.  Jahrh.  (Ms.  Sloane  278) 
fügen  einen  Abschnitt  über  ihn  hinzu').  Noch  aus  dem  13.  Jahrh.  stammt 
ein  in  den  französischen  'Bestiaire'  des  Pierre  le  Picard  eingeschobenes 
Zusatzkapitel  'Basile  coc"*),  aus  welchem  wir  erkennen,  dass  damals  das 
Bild  des  geheimnisvollen  Untiers  bereits  durch  die  fabulierende  Phantasie 
ausgemalt  uud  um  neue  Züge  bereichert  war.  Denn  in  der  beigegebenen 
Miniatur  erscheint  der  Basilisk  nicht  mehr  wie  ehedem')  als  eine  ge- 
krönte Schlange  mit  aufgerichtetem  Yorderleibe.  sondern  als  ein  Hahn, 
dessen  Leib  hinten  in  eine  Schlange  endet.  Diese  Gestalt  erklärt  der 
Text  durch  eine  neue  Erzählung:  Wenn  ein  siebenjähriger  Hahn  ein  Ei 
in  den  Mist  legt  und  eine  Kröte  es  ausbrütet,  so  kriecht  aus  dem  Ei  eiu 
Tier,  dessen  Kopf,  Hals  uud  Brust  dem  Hahn  gleicht,  der  Hinterleib  aber 
ist  der  einer  Schlange.  Offenbar  hängt  diese  Fabel  zusammen  mit  einem 
alchy mistischen  Rezept  zur  Verwandlung  von  Kupfer  in  Gold,  das  um 
1100  bei  dem  durch  Lessing  bekannt  gewordenen  Theophilus  prosbyter*) 


1)  Vgl.  Carus,  Geschichte  der  Zoologie  1872  S.  137.  Lauchert,  Geschichte  des 
Physiologus  1889  S.  101.  143.  Mann,  Paul-Braunes  Beiträge  11,  317.  Ein  tosko- 
venetianischer  Bestiarius  hsg.  von  Goldstaub  und  Wendriner  1897  S.  86  und  119.  — 
In  den  slawischen  Bearbeitungen  des  Physiologus  wird  der  Aspis  als  geflügelter 
Drache  mit  Vogelsclmabel  und  zwei  Schwänzen  dargestellt:  nach  einem  südslawischen 
Text  wirkt  der  Blick  des  Aspis  tödlich  TCamäjev,  Fiziolog  p.  297.  Archiv,  f.  slav. 
Phil.  15,  248).  Eine  serbische  Bearbeitung  eines  mit  Leonardo  da  Vinci  zusammen- 
hängenden Physiologus  aus  dem  17.  Jh.  erwähnt  den  Basilisken,  der  mit  seinen  Bück 
den  Menschen  tötet  (Archiv  15,  2G5V  dies  griechische  Werk  Mröo,-  nör  yanhmr  wurde 
auch  ins  Rumäni.sche  und  Kleinrussische  übertragen  ^Archiv  15,  272). 

2)  Cahier  et  Martin,  Mölanges  d'archeologie  2,  213  nr.  :^4  (1851);  vgl.  auch  pl.  21,  AI.,. 
3'i  Vgl.  T'auly-WissDwa,    Kealencyclopädie  3,  100.     Ebenso    noch  bei  A.  Pareus, 

iJe  venenis  1.20,  c.  19  (Opera  1582  p.  597),  Aldrovandi,  Serpentum  historia  lG40p.3(i6 
und  Bibl.  de  las  trad.  pop.  esp.  3,  67.  Kolloff,  Historisches  Taschenbuch  4.  F.  8,  259. 
4)  Theophilus,  Diversarum  artium  schedula  1.  3,  c.  47  'de  auro  hispanico" 
(ed.  Ilg  1874)  =  Lessing,  Schriften  14,  98  ed.  Lachmann -Muncker  =  13,  2,  521  ed. 
Hempel.  —  Angeführt  von  dem  Wiener  Karmeliter  Matthias  Farinatoris,  Lumen 
animae  (Augsburg  1477)  Tit.  34,  E.  Dass  der  Basilisk  goldgelbe  Farbe  halio,  berichten 
schon  Nicandcr  (Theriaca  v.  396)  und  Galen  ^14,  233;.  Thomas  Cantimi>rateusis  (s.  u.) 
erzählt:    'Dicitur  quidem   argentum  eius   cinere  delinitum  colorem  aureum  imitari'. 


Die  Entstehung  eines  dienstbaren  Kobolds  aus  einem  Ei.  45 

begegnet:  die  Heiden  hätten  zwei  Hähne  in  einem  wohlverwahrten  Keller 
gesperrt,  bis  sie  Eier  legten;  ans  diesen  durch  Kröten')  ausgebrüteten 
Eiern  seien  Hähne  mit  Schlangenschwanz  ausgekrochen,  die  man  vor- 
sichtig grosszog,  um  sie  dann  zu  verbrennen  und  die  Asche  vermischt 
mit  getrocknetem  Menschenblut  und  I^jssig  auf  das  zu  verwandelnde 
Kupferblech  zu  streichen.  Nach  dem  angeführten  mittelgriechischen 
Physiologus  gewann  Alexander  der  Grosse  auf  solche  Weise  Gold, 
während  er  nach  einer  anderen  Sage  einem  Basilisken,  der  auf  der  Stadt- 
mauer sitzend  viele  seiner  Soldaten  durch  seinen  Blick  getötet  hatte,  einen 
Spiegel  vorhielt,  so  dass  das  Untier  vor  seinem  eigenen  Blicke  starb ''). 
Auch  Konrad  von  Megenberg  (Buch  der  Xatur  ed.  Pfeiffer  18ßl  S.  264) 
hängt  seinem  um  1340  aus  Thomas  Cantimpratensis  übersetzten  Kapitel 
über  den  Basilisken  jene  abenteuerliche  Fabel  von  seiner  Entstehung  an: 
„Ez  ist  auch  ainerlai  unk,  die  auz  dem  ai  werdent,  daz  ain  han  legt,  der 
neun  jär  alt  ist,  als  die  alten  weisen  sagent.  ich  weiz  auch  einen  guoten 
freund,  der  daz  sach  mit  seinen  au"eu,  daz  ain  s-elerter  man  ainen  unk 
macht  auz  lautern  totem,  diu  er  in  gezoch,  daz  er  wart  als  ain  klainz 
hüenl,  do  liez  er  oben  in  daz  glas  spinnen  und  rauten"  .  .  .  Diese  Fabel 
wird  in  den  grossen  naturgeschichtlichen  Sammelwerken  des   13.  Jahrhun- 


1  Auch  die  h.  Hildegard  (Physica  8,  12  =  Migne  197,  134:^)  um  1150  schreibt 
die  Ausbrütung  des  von  Teufelswürmern  (de  quibusdam  vermibus,  qui  aliquid  de 
dyabolicis  artibus  in  se  habent)  gelegten  Basiliskeneies  einem  giftigen  Frosche 
(rubota)  zu. 

2)  Gesta  Romanorum  c.  139,  Vincentius  Bellovacensis,  Speculnm  hist.  4,  1  und 
Johannes  Gallensis,  Communiloquium  s.  summa  coUationum,  Arg.  1489  pars  3,  2,  5. 
Diese  Tötung  durch  den  vorgehaltenen  Spiegel  kehrt  in  deutschen,  wendischen, 
friesischen,  dänischen,  französischen  und  böhmischen  Volkssagen  wieder  .Kohlrusch 
1854  S.  347.  Grässe,  Preuss.  SB.  1,  300.  2,  103.  L.  Haupt  1,75  =  Kühnau  2,  3S2f. 
Meiche  nr.  522.  Schönwerth  1,  211,  220.  Schulenburg,  Volkssagen  S.  20.  101. 
Müllenhoff  S.  137.  Dykstra  2,  200  =  Volkskunde  23,  81.  Thiele  2,  300.  Oben  11, 
317.  Revue  des  trad.  pop.  7,592.  23,30(3;  vgl.  Aldrovandi,  Serpentum  historia  1610 
p.  372.  ::i74;  Clouston,  Populär  tales  1,  102;  Seligmann,  Der  böse  Blick  1,  148.  178.  2, 
276.  Grohmann  S.  243.  Krolmus  1,  .351).  Aimeric  de  Pregulhan  ;Bartsch,  Chresto- 
matie  proven^ale  1904  Sp.  178)  vergleicht  sich  in  einem  Liebesliede  mit  dem  Basi- 
lisken, dem  ein  Spiegel,  hier  der  Anblick  der  geliebten  Dame,  den  Tod  bringt. 
J.  M.  V.  d.  Ketten ,  Apelles  symbolicus  1,  748  (1699).  So  soll  ein  Spiegel  auch  das 
Gewitter  (oben  15,  79.  Sebillot,  FL.  de  France  1,  108)  oder  die  Feuersbrunst 
(Ratzel,  Völkerkunde  2,  474:  Malaien)  verscheuchen.  —  Bei  Brunetto  Latini 
'Tresor  1,  c.  141,  ed.  Chabaille  1863  p.  192)  und  in  dem  italienischen  'Trattato 
delle  virtü  degli  animali'  i,c.  51  'badalischio'.  14.  Jh.  Goldstaub  und  Wendriner, 
Bestiarius  1892  S.  119)  dagegen  steckt  Alexander  seine  Krieger  in  grosse  Glas- 
flaschen, so  dass  sie  die  Basilisken  sehen,  ehe  diese  sie  wahrnehmen;  und  so 
berichtet  auch  Jacobus  Aconensis  (Vitry)  bei  Thomas  Cantimpratensis:  'Serpentem 
si  homo  primo  viderit,  serpens  extinguitur' ;  desgleichen  der  mittelgriechische  Phy- 
siologus und  Hugo  von  Trimberg  (Renner  v.  14  359  ed  Ehrismann).  Ein  Mann  mit 
einer  Glasglocke  (?)  ist  schon  auf  einem  Säulenkapitell  des  12.  Jahrh.  aus  Vezelai 
gegenüber  einem  Basilisken  dargestellt  (Cahier,  Melanges  d'arch.  1,  153  pl.  25  bis. 
1849.)  —  Vom  Mordblick  des  Basilisken  redet  noch  Schüler  iMaria  Stuart  HI,  4 
V.  2442);  vgl.  über  den  tötenden  Schlangenblick  Melusine  4, 571.  5,  16;  Seligmann  1, 141. 


46  l'olivka: 

derts  meist  ignoriert.  Der  fälschlich  dem  Mugo  von  St.  Victor  zuge- 
schriebene Bestiarius  (8,  41  =  Migne  177,  100),  Alexander  }yeckam  (De 
naturis  rerum  iih.  2,  c.  ll'Ü  p.  198  ed.  Wright  1863),  Bartliolomaeus  Angli- 
cus  (De  proprietatibus  rerum  lib.  18,  15.  Argentine  löOü)  und  Thomas 
Cantinipratensis  (De  naturis  rerum  1.8,4.  Berliner  Ms.  Hamilton  114, 
Bl.  118a),  den  Jacob  van  Maerlant,  Der  naturen  bloeme  3,  v.  1982  über- 
setzt, beschränken  sich  (huauf.  l'liiiius  und  daneben  Solinus,  Isidor,  Avi- 
eenna  und  Jacobus  de  Vitriaco  auszuzielicn:  auch  das  9.  Buch  des 'Roman 
d'Alexandre'  (Berger  de  Xivrey,  Traditions  teratologiques  1836  p.  540) 
bringt  nichts  Neues.  Nur  Vincentius  Bellovacensis  (Speculurn  naturale 
lib.  20,  24.  Yenetiis  1494)  reiht  seinen  Kapiteln  22  und  23  (vgl.  41)  noch 
weitere  Traditionen  über  den  Basilisken  an: 

Hasilisciis  interdum  ex  gallo  nascitur,  quod  gallus  in  otate  decrepita  facit  ovum 
C'X  se,  unde  basiliscus  procreatur.  Sed  in  genoratione  hac  oportet,  ut  niulta  i'on- 
currant;  in  fimo  nuniquc  Cidido  et  multo  ponil  ovum,  ibicjue  l'ovetur  vice  patris  et 
post  multum  teiuporis  oxit  pulliis  et  invaloscit,  sicut  solent  anutum  pulli;  habet 
autem  caudam  ut  coluber,  residuum  vero  corporis  ut  gallus.  Dicunt  auteni  hi, 
qui  creationem  eius  se  vidisse  testantur,  quod  nulla  est  ovi  tesla,  sed  validissiina 
pellis,  intantum  ut  rcsistere  possit  ictibus  validissirais.  Opinio  quoque  quurundani 
est,  quod  ovum  illud  galli  coluber  aut  bufo  foveat,  sed  hoc  incertum  est.  Hoc 
tarnen  in  antiquorum  (!)  scriptis  habemus,  quod  basilisci  quoddam  genus  ex  ovo 
galli  decrepiti  gcneratur. 

Alle  Züge,  die  der  sammeleifrige  Dominikaner  hier  zusammenträgt, 
begegnen  uns  wieder  in  den  späteren  Basiliskensagen:  das  Hahnenei  mit 
der  elastischen  Haut,  die  Ausbrütung  im  Mist  oder  durch  eine  Kröte, 
eiidlicli  die  Ilahnengestalt  mit  Schlangenschwanz.  Es  half  nichts,  dass 
Albertus  Magnus,  der  Zeit-  und  Ordensgenosse  des  Vincentius,  in  seinem 
Buche  'De  animalibus'  üb.  25  'de  basilisco'  und  lib.  23  'de  gallo'  diesem 
Aberglauben  kritisch  zu  Leibe  ging*),  oliue  sich  vor  der  Autorität  des 
Hermes  Trismegistus  zu  beugen*).  1474  wurde  in  Basel  ein  Hahn,  der 
ein  Ei  gelegt,  vom  Henker  enthauptet  uiui  uchst  dem  Ei  verbrannt  (Basler 
('hroiiiken  2.  102.  1880);  ebenso  wurden  im  niederländischen  Zierikzee 
zwei  Hähne  erwürgt  und  die  von  ihnen  gelegten  Eier  zermalmt  (J.  Horst, 
Von  den  wunderbarlichen  Geheimnissen  der  Natur  1588  B.  7,  3  =  Mitt.  f. 


1)  Alberti  Magni  Opera  Kiöl  0,  tj67a:  'Dicunt  etiani  quidam,  iiuod  [basilisci] 
generantur  de  ovo  galli,  sed  hoc  verissime  falsum  est  et  impossibile",  6,  639b: 
'Quod  autem  dicunt  decrepitum  gallum  ovum  ex  se  generare  et  hoc  in  fimo  ponere 
et  hoc  testa  carere,  sed  adeo  durae  pellis  esse,  ((uod  ictibus  fortissimis  resistat,  et 
iluod  hoc  ovum  fimi  calore  focciindetur  in  basiliscum,  nui  est  serpens  in  omnibus 
sicut  gallus,  sed  caudam  longam  serpentis  habet,  ego  non  puto  esse  verum.  Tarnen 
llermetis  dictum  est  et  a  multis  acceptum  propter  dicentis  auctoritatcm'.  —  Vgl. 
Alberti  Magni  Thierbuch  durch  W.  Kyff  verteutscht  1545  Bl.  YGb  und  OGa. 

2)  Welche  Schrift  Albertus  meint,  ist  ungewiss.  In  llermetis  Trismcgisti 
Poemander  od.  Parthey  1854  (vgl.  Pauly-Wissowa  8,  792)  ist  von  Basilisken  nichts 
zu  finden.  —  Einen  seltsamen  Ursprung  aus  dem  Blute  menstruierender  Frauen 
schreibt  dem  Basilisken  Paracelsus  (Opera  1658  '2,  8(>a.  47:ta)  zu. 


Die  Entstehung  eines  dienstbaren  Kobolds  aus  einem  Ei.  47 

Sachs.  Volkskuude  3,  182);  Christoph  Entzelt  (De  re  metallica  1551  p.  244) 
sah  einen  angeblich  aus  einem  Hühnerei  geschlüpften  Basilisken,  den  ein 
Hirt  bei  Luckenwalde  erschlagen  hatte;  in  Zwickau  wurde  ein  solcher 
Basilisk  in  einem  Keller  eingemauert,  naclidem  er  dort  mehrere  Menseben 
getötet  hatte  (G.  Agricola,  De  animantibus  subterraneis  1549  =  lfil4  p.  68; 
Meiche,  Sagenbuch  von  Sachsen  nr.  519);  in  Warschau  entdeckte  man 
1587  ebenfalls  in  einem  Keller  einen  Basilisken  in  Gestalt  eines  Hahnes 
mit  seclis  Beinen  und  grossem  Schwanz  (J.  Pincierus,  Aenigmata  1605 
p.  306). 1)  In  der  Form  eines  zweibeinigen  Hahnes  mit  Drachenflügelu 
und  Schwanz  hat  Dürer  den  Basilisken  abgebildet*);  ebenso  erscheint 
dieser  auf  einem  Nürnberger  Fastnachtsumzuge  von  1505  (Schönbartbuch 
ed.  Drescher  1908  S.  14),  auf  Holzschnitten  in  Alberti  Magni  Thierbuch 
1545  ßl.  Y  5b,  Erasmus  Alberus  Schrift  Vom  Basilisken  zu  Magdeburg 
1552,  Titel  (Schnorr,  E.  Alberus  1893  S.  137)  und  Lonicerus  Kreuterbuch 
1557  Bl.  XXIX a,  auf  einem  Kelief  an  einem  Trierer  Turm  (Grässe, 
Preuss.  Sagenbuch  2,  103)  und  noch  in  der  Beschreibung  bei  E.  Müller, 
Wendentum  1894  S.  157,  während  er  bei  Seb.  Münster,  Cosniographey  1564 

5.  1444,  Aldrovandi  Serpentum  historia  1640  p.  363,  Sebillot,  Folklore 
de  France  3,  169,  Schulenburg,  Volkssagen  S.  100  einer  Eidechse^)  gleicht; 
in  Memmingen  wird  das  Relief  eines  Greifen  auf  ihn  gedeutet  {Reiser, 
Allgäu  1,  269)  Als  Raritäten  zeigte  man  Basiliskeueier  und  getrocknete 
Basilisken,  z.  T.  Fälschungen  aus  Rochenhäuten  (Gesner,  Historia  anima- 
lium  5,  33a.  1587.  Aldrovandi,  Serpentum  historia  p.  364.  368.  Zedlers 
Universallexikon  3,  599.     Lambecius,  Connn.  de  bibliotheca  Vindobonensi 

6,  309.  7,  200.     Grässe,  Preuss.  Sagenbuch  1,  300). 

Die  Sage  von  dem  Ei,  das  ein  siebenjähriger  Hahn  legt  und  aus  dem 
ein  giftiger  Frosch  einen  Basilisken  ausbrütet,  erzählt  Rud.  Zach.  Becker 
1788  im  'Noth-  und  Hülfs-Büchlein  oder  lehrreiche  Freuden-  und  Trauer- 
geschichte der  Einwohner  zu  Mildheim'  S.  343.  Sie  kehrt  in  verschiedenen 
neueren  Sagensammlungen  mannigfach  variiert  wieder.  So  heilest  es  in 
der  sächsischen  Lausitz  (Meiche  nr.  522  =  Kühnau  2,  382  nr.  992),  dass 
der  Basilisk  aus  einem  Ei  entsteht,  welches  ein  zwanzigjähriger  Hahn  in 
den  Dünger  legt.  Ähnlich  in  Tirol  und  Thüringen,  dass  aus  dem  von 
einem  vierjährigen  Hahne  gelegten  Ei  ein  Drache  herauskriecht,  der  hun- 
dert Jahre  alt  wird  und  fortwährend  wächst  (Alpenburg,  Mythen  S.  376. 
Zingerle,  Sagen  ^  nr.  306;  Seligmann,  Böser  Blick  1,  14.3),  ähnlich  in  der 
Schweiz    (Kohlrusch,    Sagenbuch    S.  346;    Lütolf   S.  353    nr.  307,    S.  577; 

1)  Anderes  bei  Grässe,  Bibliotheca  magica  184:)  S.  7  (G  C.  Kirchmaier,  J.  Made- 
wisius,  L.  Strauss,  E.  Gockel)  und  Beitr.  zur  Lit.  und  Sage  des  Mittelalters  1850  S.  50 
bis  60.    A.  de  Cook,  Volkskunde  23,  79-82.    Seifart,  Sagen  aus  Hildesheim  2,  62  (1860). 

2)  Und  zwar  nach  Horapollo  1,  1  als  Sinnbild  der  Zeit.  Vgl.  Giehlow,  Jahr- 
buch der  kunsthist.  Sammlungen  des  österr.  Kaiserhauses  32,  1  und  174  (1915). 

3)  Mit  der  Kroneidechse  der  modernen  Zoologie  (Basiliscus  Laur.  Brehm,  Tier- 
leben, Lurche  '  2,  76)  hat  unser  Fabeltier  nichts  zu  tun. 


4N  Polivka: 

Schweiz.  Archiv  f.  Vüliiskuiiiie  l(i,  ÜiS).  Nach  sieben  oder  neun  Jahren 
legt  nacii  einer  anderen  Sage  aus  der  Schweiz  der  Hahn  ein  Ei;  bedeckt 
man  es  mit  Pferdedünger,  so  kriecht  ein  Drache  hervor,  der  alles  mit 
seinem  Blicke  tötet  (Zs.  f.  deutsche  Mythologie!,  140).  Nach  einer  kärnt- 
nischen Sage  (Graber  S.  68  iir.  74)  schlüpft  aus  einem  von  einem  sieben- 
jährigen liaushahu  in  einen  Düngerhaufen  gelegten  Ei  nach  drei  Jahren 
ein  Lindwurm,  der  rasch  zu  einem  liieseutier  heranwächst  und  viele 
Menschen  und  Kinder  verschlingt.  Nach  einer  anderen  Sage  (ebda.  S.  71 
nr.  7U)  tut  eine  Sennerin  das  vom  Hahne  gelegte  kleine  Ei  in  den  Butter- 
kübel, und  als  es  mit  schrecklicher  Schnelligkeit  zu  wachsen  beginnt, 
wirft  sie  den  Kübel  samt  dem  Ei  in  den  Bach;  dort  erwächst  aus  dem 
Ei  ein  mächtiger  Lindwurm.  In  Tirol  wird  die  Sage  noch  etwas  ab- 
geändert erzählt:  wenn  der  Hahn  sein  Ei  auf  einen  feuchten  oder  nassen 
Ort  legt,  kriecht  ein  Drache  aus;  wenn  auf  einen  trockenen  Ort,  kriecht 
ein  Basilisk  heraus;  der  sieht  einem  Hahn  gleich,  nur  hat  er  einen 
Drachenschwanz.  Nach  einem  in  der  Oberpfalz  aufgezeichneten  Glauben 
(Schönwerth  1,  348)  legt  ein  siebenjähriger  Hahn  ein  I*]i,  und  aus  diesem 
entsteht  ein  Ungeheuer,  welches  Yieh  und  Menschen  umbringt;  nach 
anderen  ist  es  ein  zehn  Jahr  alter  roter  Hahn,  der  sein  Ei  im  Miste  aus- 
brüten lässt;  daraus  entsteht  ein  Vogel,  der  die  Leute  vergiftet.  Nach 
einem  sonst  in  Norddeutschland  verbreiteten  Glauben  entsteht  der  Basilisk 
aus  einem  von  einem  sieben,  zwölf  oder  zwauzig;  Jahre  alten  Hahn  ge- 
legtet!  Ki  (Mülleiihoff  S.  237  nr.  325;  Strackerjau  2,  97  =  2.  Aufl.  2,  15G; 
Jahn,  Yolkssagen  nr.]ö4;  Bl.  f.  ponun.  Vk.  10,  168  nr.98.  99;  Wuttko'  S.d2; 
Leoprechting,  Lechrain  S.  78:  Lindwurm.  Zs.  f.  d.  Myth.  2,  421).  Hiermit 
hängt  eiue  andere  in  der  Schweiz  (in  Graubünden)  im  Jahre  1730  erzählte 
Sage  (Jecklin  3,  84  =  191lj  S.  451)  zusammeu:  ein  grosser  schwarzer  Hahn 
sass  lange  auf  einem  l*ii  und  wehrte  sich  wütend,  wenn  die  Leute  ihn 
vertreiben  wollten,  bis  das  Ei  sprang  und  einen  fürchterlichen  Gestank 
verbreitete;  wie  man  daun  das  Ei  zerschlug,  fand  man  darin  ein  schwarzes 
Würmchen  und  hieb  es  in  Stücke.  Der  Bauer  drehte  dem  Hahn  den  Hals 
um,  denn  aus  dem  von  einem  schwarzen,  siebenjährigen  Hahn  gelegten 
Ei  kriecht  der  Basilisk  hervor. 

Gleiches  wird  in  Dänemark  vom  Basilisken  überliefert  (Thiele,  Dan- 
marks folkesagn  2,  300.  Kristensen,  Jyske  folkeminder  3,  81.  4.  Gl.  Feil- 
berg, oben  11,  317.  Kevue  des  trad.  pop.  7,  592  nr.  2(i).  In  der  oben  an- 
geführten schwedischen  Erzählung  von  Uppland  wird  ileni  Manne  noch 
die  Bedingung  auferlegt,  Donnerstag  abends  auf  den  Friedhof  zu  gehn. 
In  Islaud  führt  das  Untier  den  Namen  Skoffin  (.\rnason  1,  613),  in 
England  heisst  es  Cockatrice  (Hazlitt,  Faiths  and  folklore  1,  133.  1905), 
entsprechend  dem  französischen  Cocadrille  oder  Codrille  (Melusine  5,  21), 
bei  den  spanischen  Zigeunern  Bcngoji,  bei  den  Arabern  Sif  (Niebuhr, 
Beschr.   von  Arabien   1772  S.  XXXIX),    bei   den  Chinesen  Kiäo  (Schott, 


Die  Entstehung  eines  dienstbaren  Kobolds  aus  einem  Ei.  49 

Archiv  f.  wissensch.  Kunde  von  Russlaud  1,  636.  1841).  Entzelt,  De  re 
jnetallica  1551  p.  244  nennt  den  aus  dem  Ei  eines  [iiännlichen  Haselhuhns 
entstandenen  Waldbasilisken  Haselwurm  (vgl.  oben  11,12  und  RoUen- 
hagens  Froschnieuseler  1,  2,  cap.  19). 

Auch  im  französischen  Teil  der  Schweizer  Alpen  und  in  Frankreich 
selbst  ist  dieser  Glaube  verbreitet  und  schon  seit  dem  Ende  des  16.  Jh. 
belegt  (Rolland,  Faune  pop.  3,  41.  (i,  89.  Revue  des  trad.  pop.  23,  305. 
Sebillot,  Folklore  de  France  3,  231):  ein  7,  9  oder  14  Jahre  alter  Hahn 
legt  in  den  wärmsten  Sommermonaten  ein  Ei,  und  aus  dem  geht  der 
Basilisk  liervor.  Dagegen  braucht  das  französische  Volk  verschiedene 
Mittel  (Sebillot  3,  268).  Gleiches  glaubt  das  italienische  Volk  von  einem 
siebenjährigen  Hahne;  daher  schlachtet  man  die  Hähne,  bevor  sie  alt 
werden  (Pitre,  Usi  del  popolo  siciliano  3,  376.  4,  471.  Archivio  4,  74). 
In  dem  Märchen  bei  P.  Heyse  1914  S.  124  kriecht  aus  dem  schwarzen 
Ei,  das  die  Königin  22  Tage  im  Busen  getragen,  ein  Hähnchen  aus,  das 
schliesslich  zum  Menschen  wird.  Ebenso  kriecht  nach  spanischer  Volks- 
meinung der  Basilisk  nach  sieben  Jahren  aus  dem  Ei  eines  alten  Hahnes 
hervor  (F.  Wolf,  SB.  der  Wiener  Akad.  31,  192  Anm.  Bibl.  de  las  trad. 
pop.  esp.  1,  220.  3,  14f.).  Ähnlich  in  Portugal  (Ebd.  3,  16.  Leite  de 
Vasconcellos,  Trad.  p.  148).  —  Ferner  begegnen  wir  der  Sage  vom  Ur- 
sprünge des  Basilisken  bei  den  Wenden  des  Spreewalds  (Schulenburg, 
Volkssagen  1880  S.  100)  und  bei  den  Cechen  Böhmens  wie  auch  Mährens. 
Aus  dem  von  einem  schwarzen  Hahn  in  den  Dünger  gelegten  Ei  entsteht  ein 
Hiüin,  bazilicek  genannt;  es  wird  von  Sumlork  (1,  350)  ausführlich,  kaum 
ganz  treu  nach  der  Volksüberlieferung  geschildert'). 

Aber  sonst  (und  damit  kehren  wir  von  dem  Basiliskenglauben,  dem 
vermutlichen  Keime  der  in  der  Überschrift  bezeichneten  abergläubischen 
Vorstellung,  zu  ihrer  Verbreitung  zurück)  wird  in  den  böhmischen 
Ländern  nur  erzählt,  dass  auf  diese  Weise  aus  dem  Ei  einer  schwarzen 
Henne  der  Hausgeist  ausgebrütet  wird.''')  Solche  Sagen  wurden  schon 
von  Krolmus  (1,  348  —  352)  und  aus  Südböhnien  von  A'ernaleken  (Mythen 
S.  262)  mitgeteilt.  Wer  einen  solchen  Hausgeist  haben  will,  muss  ein 
solches  Ei  neun  Tage  oder  drei,  auch  neun  Wochen,  sogar  bis  sieben 
Monate  unter  der  linken  Achselhöhle  tragen.  Das  ausgebrütete  Huhn, 
'sotek'  genannt,  hält  neun  Jahre  ohne  Essen  und  Trinken  aus.  Nach 
einer  neueren  Aufzeichnung  aus  Südböhmen  (Charvdt  S.  147)  darf  so  ein 
Mensch  sich  während  der  Zeit  nicht  waschen,  noch  kämmen,  noch  Nägel 
abschneiden,    ebenso  wie    in    dem    bekannten  Grimmschen  Märchen    vom 

1)  Bei  den  Ungarn,  in  deren  Sprachdenkmälern  und  Märclien  Röna-Sklarek  2, 
297)  der  Basiliskus  oder  Basilikus  als  eine  Schlange  seit  dem  IG.  Jahrh.  erscheint, 
.ist  von  seiner  Entstehung,  wie  Prof.  Dr.  R.  Gragger  mitteilt,  nichts  bekannt. 

2)  Ein  belgisches  Sprichwort  lautet:  'Coq  qui  pond,  amene  le  diable  dans 
la  maison'  (Volkskunde  23,  153). 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.   191S.  4 


50  Poh'vka: 

Bärciiluiutor  uiiil  in  audereu  Sagen  (Boltf-l'olivka,  Anmurkungen  "_',  434). 
Neuere  Aufzeiclinungen  gibts  auch  aus  dem  westlichen,  mittleren  und  öst- 
lichen Böhmen,  (Ö.  Lide,  134.  -23,  35'2.  Adämek,  Lid  na  lllinecku  S.  345), 
wo  der  Hausgeist  'radäsok'  heisst,  und  aus  der  Unigelning  von  Podi'-brad 
(Cecetka  S.  110),  wo  noch  bemerkt  ist,  dass  ein  solches  Ei  in  derPhiii])ii- 
.Tacobi-Nacht  gelegt  sein  niuss. 

In  Ostmühren  muss  sich  der  Mann  derselben  Bedingung  unterziehen, 
wie  in  der  südböhmischen  Sago  (Kulda  "2,  254;  Cas.  Mat.  mor.  1870.  123), 
ähnlich  noch  anderwärts  in  Mäliren  (Bartos,  Deset  rozprav  lidojiisnych  S.  49) 
in  der  ersteren  wird  der  Geist  'Spiritus',  in  der  zweiten  'Kubicek'  (etwa 
Jakobchen)  genannt.  Im  südöstlichen  Mähren  (Aug.  Sebestova,  Lidsko 
dokumenty  S.  252)  finden  wir  eine  Bemerkung,  die  uns  an  deutsche 
Volksüberlieferuugen  erinnert:  Das  ausgebrütete  Huhn  verwandelt  sich  in 
einen  feurigen  Drachen  oder  Vogel,  der  alles  Gewünschte  herbeiholt  und 
sich  dann  wieder  in  ein  Huhn  verwandelt.  Eine  ähnliche  Sage  aus  der 
Hanä  wurde  von  mir  in  der  unlängst  erschienenen  Sammlung  von  Er- 
zählungen aus  dem  Troppauer  Lande  und  aus  der  Hana  S.  118  nr.  46d 
veröffentlicht.  Der  Geist  heisst  wie  im  südöstlichen  Mähren  und  im  wesr- 
lichon  Bülimcu  'rarach'.  In  dieser  Sage  sollte  er  seiner  Herrin  von  einem 
Schatze  sagen,  und  als  sie  diesen  gehoben,  musste  sie  sich  dem  Teufel  mit 
ihrem  Blute  verschreiben  und  bekam  weiter  von  ihm  Pulverchen,  so  dass 
sie  viel  Milch  und  Butter  hatte.  In  einer  andern  Erzählung  (Zähorskä 
Kronika  3,  47)  ziehen  die  Leute  den  brütenden  Mann  vom  Ofen  herunter 
und  zerschlagen  das  Ei.  Auch  bei  den  Slowaken  Kordungarns 
(C.  Lid  6,  380)  bekommt  man,  wenn  man  das  erste  Ei  einer  schwarzen 
Henne  zwei  Wochen  in  der  Achselhöhle  trägt,  einen  'skriatok'  oder 
'zmok',  der  wie  ein  nasses  Hühnchen  aussieht  und,  wenn  er  ins  Haus 
fliegt,  einen  feurigen  Stridfen  hinter  sich  herzieht;  man  kann  ihn  los- 
werden, wenn  man  ihn  in  ein  rotes  Tüchlein  gebunden  in  einen  Graben 
am  Wege  legt. 

Ähnliche  Sagen  sind  weiter  bei  den  Polen  aufgezeichnet,  sind  aber 
nicht  so  ausführlich  wie  die  deutschen  und  böhmischen.  Nach  einem 
im  Posenscheu  aufgezeichneten  Glauben  wird  der  'skrzat'  aus  einem 
eigens  gestalteten  Ei  ausgebrütet,  welches  die  Hexe  längere  Zeit  unter 
der  Achsel  trägt  (Knoop,  Sagen  aus  der  Prov.  Posen  S.  111),  ähnlich  in 
Poleu  (Kolberg,  Lud  15,  2G).  In  Galizien  meint  man,  mau  könne  den 
Teufel  aus  dem  Ei  einer  schwarzen  'singenden  Henne'  ausbrüten,  das  man 
neun  Tage  und  Nächte,  ohne  zu  sprechen,  in  der  Achselhöhle  trage 
(Lud  12,220.  l'.)06).  Bei  den  Posener  Polen  (Knoop,  Sagen  S.  115  nr.  37) 
glaubt  man  noch  an  den  Ursprung  des  Basilisken  aus  dem  von  einem 
schwarzen  Hahn  in  Pferdemist  gelegten  FA.  und  zwar  wird  er  von  einer 
Kröte  ausgebrütet.  Auf  dieselbe  Weise  soll  man  in  Galizien  den  'inkluz', 
das  immer  wieder  zurückkehrende  Geldstück  er\Yerben  können  (Lud  2,  252- 


Die  Entstehung  eines  dienstbaren  Kobolds  aus  einem  Ei.  51 

Mater,  antropol.  10,  48;  anders  Ziv.  Starina  7,  106).  Auch  weiter  nach  Osten 
ist  dieser  Glauben  verbreitet.  So  bei  den  Weissrussen  im  Gouv.  Grodno 
(Wisla  13,  399):  ein  fünf,  sieben  bis  neun  Jahre  alter  Hahn  legt  ein  Ei, 
welches  manchmal  so  gross  wie  ein  Huhn  ist,  manchmal  kleiner  als  ein 
Taubenei.  Wenn  es  ein  Mann  unter  der  linken  Achsel  trägt  —  die  Zeit 
ist  nicht  bestimmt  —  so  wird  ein  Kater  geboren,  und  das  ist  der  Teufel 
selbst.  Der  trägt  seinem  Herrn  alles  zusammen,  was  er  sich  nur  wünscht, 
er  spricht  mit  ihm  in  menschlicher  Sprache.  Es  wird  von  einem 
Mädcheu  erzählt,  das  sich  auf  diese  Weise  diesen  Geist  verschaffte,  den 
Kater  mit  Milch  nährte  und  von  ihm  alles  bekam,  was  es  nur  wollte. 

Mit  verschiedenen  Abweichungen  ist  dieser  Glaube  bei  der  klein- 
russischen Bevölkerung  Ost-Galiziens  verbreitet.  So  wird  der  'didko"  aus 
dem  unter  derSchwellevergrabenen,  nicht  ausgetragenem  Ei  nach  neun  Jahren 
ausgebrütet  (Vernaleken,  Mythen  S.  239.  Machal,  Näkres  S.  97).  Anderwärts 
wird  ein  solclies  Ei,  vordem  mit  mancherlei  Zauber  zubereitet,  unter 
der  Achsel  getragen,  bis  der  'Antypko-chovanec  lierauskriecht  (Etnograf. 
Zbirnyk  5,  210  nr.  1;  1.'),  üt;  nr.  171—174,-  105  nr.  184;  23,  156  nr.  401. 
40-2).  Sonst  wird  auch  eine  vom  Markt  gekaufte  Taube  unter  dem  Arm 
getragen  (ebda.  15,  104  nr.  183).  Bei  den  Huzulen  (Suchevyc  5,  197 
nr.  4)  muss  der  Mann,  der  das  Ei  neun  Tage  unter  der  linken  Achsel- 
höhle trägt,  dieselben  Bedingungen  erfüllen  wie  in  der  südböhmischen 
Fassung;  dann  kriecht  daraus  ein  Teufelchen  'scezby'  hervor.  Solch  ein 
Ei  hat  eutweiler  zwei  Dotter  oder  keinen,  die  Henne  kräht  wie  ein 
Hahn  usw.  Man  trägt  es  neun  Tage  uml  neun  Nächte  unter  der  Achsel, 
geht  am  Ostertage  in  die  Kirche  und  sagt  bei  den  Worten  des  Priesters 
Christus  ist  erstanden  dreimal  lieinilich:  'Auch  der  meine  ist  erstanden' 
(Ziv.  Starina  7,  105;  vgl.  Kaindl,  Die  Huzulen  1894  S.  83).  Nach  anderen 
kriecht  der  'antypko'  aus  einem  Ei  heraus,  auf  dem  die  Henne  sieben 
Tage  sitzt,  oder  der  Teufel  springt  aus  dem  letzten  Ei  hervor,  wenn  es 
über  das  Dach  geworfen  wird  (Etnograf.  Zbirnyk  33,  157  nr.  403;  vgl. 
Kolberg,  Pokucie  3,  86  Anm.  2).  Weiter  herrscht  in  Ostgalizien  noch  der 
Glaube,  dass  aus  jedem  Ei,  welches  auf  Maria  Verkündigung  gelegt  wordeu, 
derTeufpl  'osynavec"  herauskriecht,  wenn  es  neun  Tage  und  Nächte  unter  der 
linken  Achselhöhle  getragen  wird;  deswegen  wird  ein  solches  Ei  in  den  Fluss 
geworfen  (Mater,  ukrain.  etuolog.  15,  33).  Weiter  nach  Osten  scheint  dieser 
Glaube  nicht  besonders  verbreitet  zu  sein.  Aus  dem  Gouv.  Podolien  ver- 
zeichnet Cubinskij  (1,  192)  folgende  Meinung:  wenn  die  Henne  vom 
Wind  unterblasen  ist,  legt  sie  einen  'znosok'  d.  i.  ihr  letztes  Ei,  und  wer 
den  'domovyk"  haben  will,  trägt  es  neun  Tage  unter  der  linken  Achsel- 
höhle. Ähnliches  teilt  noch  Dragomaiiov  mit  (Malorus.  nar.  predanija  S.  57 
nr.  28).  —  Die  Grossrussen  glauben  nach  K.  Awdejewa  (Archiv  f.  wissen- 
schaftl.  Kunde  von  Russland  1,  6,:S5.  1841.  Dalj,  Tolkovyj  slovar  1,  410), 
dass  ein  Mann,  der  ein  Hahnenei  sechs  Wochen  im  Busen  trägt  oder  eben- 

4* 


5'2  Polivka: 

solange  in  den  Dünger  legt,   eine  feurige  Schlange  daraus  erhält,  die  ihm 
Reichtum  ins  Haus  trägt. 

Sonst  habe  ich  im  nordöstlichen  Euro]):!  diesen  Glauben  nur  noch 
bei  den  Letten  Livlands  gefunden  (Zbiör  15,  '251):  Dieser  Geist  wird 
hier  'pyiicz'  genannt  (wohl  nach  dem  Puk),  und  entsteht  auf  die  gewöhn- 
liche Weise  aus  einem  von  einem  \'2  Jahre  alten  oder  noch  älteren  Hahn 
gelegten  Ei,  es  kann  aber  auch  unter  das  Kuheuter  angebunden  oder  einer 
Henne  untergelegt  werden.  Dieser  pyiicz  ist  einem  Hahn  etwas  ähnlich, 
lang  wie  eine  Haspel,  dick  wie  der  Daumen,  rot  wie  das  Feuer,  er  hat  ein 
Schlangenköpfchen,  weiter  hinten  hat  er  etwas  wie  eine  Blase  oder  Sack, 
in  welchem  er  eine  grosse  Menge  Getreide  bringen  kann;  abends  vor 
Sonnenuntergang  fliegt  er  aus  und  bringt  Cietreide  und  Geld.  Wer  sich 
dem  Teufel  verschrieb,  konnte  ihn  auch  in  Riga  kaufen. 

Weit  mehr  ist  der  Glaube  an  einen  solchen  Hausgeist  bei  den  südwest- 
lichen slawischen  Völkerstämmen  vei'broitet.  Die  Slowenen  der  südlichen 
Steiermark  glauben,  dass  einen  'skratec'  bekommt,  wer  ein  von  einer 
schwarzen  Henne  gelegtes  l'ji  neun  Tage  unter  der  Achsel  trägt,  fort- 
während an  den  Teufel  denkt  und  Gott  verflucht.  Er  muss  ihm  ein  Glied 
seines  Körpers  verschreiben.  Wenn  er  Geld  trägt,  ist  in  der  Luft  ein 
brennender  Besen  zu  sehen,  zu  Hause  sieht  er  wie  ein  grosser  zottigrer 
Hund  aus  (Pajek  S.  228).  Im  westlichen  Kroatien  erzählt  man:  wer 
ein  von  einem  dreizelin  oder  neun  Jahre  alten  Hahn  gelegtes  Ei  dreizehn 
(oder  neun)  Jahre  unter  der  Achsel  trägt,  bekommt  den  Drachen  'pozof. 
Der  ist  beflügelt,  und  wenn  er  fliegt,  entsteht  ein  Sturm,  dass  Bäume  ge- 
brochen werden. 

Auf  der  Insel  Veglia  (Zbornik  jslav.  1,  228)  wird  der  Hausgeist 
'malic'  oder  'malik'  genannt.  Der  Mann  trägt  neun  Monate  ein  von  einem 
siebenjährigen  Hahn  gelegtes  Ei;  der  Hausgeist  hat  ein  rotes  Käppchen 
und  bringt  aus  dem  Meero  viel  Reichtum,  aber  er  niuss  gut  gefüttert 
werden.  Aiinlich  wird  von  der  Insel  Pago  gemeldet  (ebda.  17,  l'.H),  hier 
heisst  er  'vtaljalc  oder  auch  ^macic\  da  er  sich  in  einen  Kater  verwandeln 
kann;  er  kriecht  aus  einem  von  einem  neunjährigen  Hahn  gelegten  und 
vierzig  Tage  unter  der  Achsel  getragenen  Ei.  In  Dalmatien  heisst  er 
'■macii-'  oder  '■maciklü'  (ebd.  10,  265):  der  Mann  trägt  unter  der  linken 
Achsel  ein  von  einer  ganz  schwarzen  Henne  gelegtes  Ei,  spricht  nicht, 
betet  nicht  durch  die  ganze  Zeit;  oder  er  trägt  ein  von  einem  neunjährigen 
Hahn  gelegtes  Ei  an  der  Brust,  bis  ein  Geschöpf  wie  ein  Kätzchen  oder 
schwarzes  Hündchen  ausgebrütet  wird.  Der  Mann  darf  weder  Glocken- 
geläute noch  Gesang  hören.  Auf  der  Insel  Lesina  (Hvar)  jedocli  ist  der 
'macic'  dm  Seele  eines  ungetauften  Kindes,  auf  Brazzo  ein  meist  böser 
Geist,  der  auf  dem  Festlande  weilt;  eiu  anderer  Geist  vom  Meere  bringt 
Geld  (Glasnik  muz.  bos.-lierceg.  9,  486).  Anderwärts  heisst  er  noch  '■cikavac' 
und  wird  von  Hexen  erworben,  welche  ein  Ei  in  ihr  Kleid  unter  der  Achsel 


Die  Entstehung  eines  dienstbaren  Kobolds  aus  einem  Ei.  53 

einnähen  und  es  so  40  Tage  und  Nächte  tragen,  ohne  sich  während  der  Zeit 
zu  waschen,  zu  kämmen,  die  Nägel  zu  beschneiden,  sich  zu  bekreuzen,  bis 
ein  Teufel  wie  ein  'mjescic'  (Beutelchen)  ausgebrütet  wird  (Srbsko-dalmat. 
ma".  1867,  26,  55).  Ganz  gleich  wird  dasselbe  Wesen,  welches  als  ein 
geflügeltes  Tierchen  vorgestellt  wird,  in  Bosnien  genannt;  der  Mann  niuss 
sich  derselben  Bedingung  unterwerfen  und  ausserdem  von  einer  Zauberin 
dazu  vorbereitet  sein  (Glasnik  muz.  bos.  herceg.  12,  348).  Nach  einer 
anderen  Überlieferung  wird  der  Teufel  ('vrag')  aus  einem  Ei  eines  neun- 
jährigen Hahnes  unter  der  gleichen  Bedingung  ausgebrütet  (ebda.  20,  452). 
Bei  den  Mohammedanern  in  Bosnien  und  Herzegovina  heisst  es,  wenn 
man  ein  von  einem  zwanzigjährigen  Hahne  gelegtes  Ei  vierzig  Tage  unter 
der  linken  Achsel  trage,  könne  man  den  Teufel  'huddam'  ausbeuten,  der 
jeden  Wunsch  erfülle  (ebda.  10,  511).  Aus  der  Herzegovina  wurde 
dieser  Glaube  ausführlich  von  GrO'ic-Bjelokosic  beschrieben  (2,  53  f.  Glasnik 
mus.  bos.  herc.  8,  533):  Wenn  ein  ganze  schwarze  Henne  alle  ihre  Eier 
gelegt  hat,  legt  sie  noch  ein  kleines  Ei,  'iznosak'  (d.  i.  das  letzte  Ei, 
welclies  die  Henne  trägt),  das  trägt  eine  Frau  oder  ein  Mädchen  40  Tage, 
bis  der  'cikavac  ausgebrütet  ist,  und  sie  ist  während  der  Zeit  der  ge- 
wöhnlichen Bedingung  unterworfen.  Der  ausgebrütete  cikavac  sieht  wie 
ein  Beutelchen  aus  und  wird  von  der  Frau  in  die  Nachbarschaft  geschickt, 
dort  isst  er  sich  satt  an  Käse,  Topfen,  Butter  oder  saugt  an  fremden  Ziegen, 
Kühen  u.  a.  Zurückgekehrt  speit  er  alles  aus,  wie  wenn  ein  Beutel  ge- 
öffnet wird.  In  Montenegro  heisst  dieses  Wesen  maä''  und  wird  auf  die 
gleiche  Weise  erworben,  aber  zur  Zeit  des  strengen  Fastens  (Rovinskij, 
Oernogorija  2,  2,  515):  hier  wird  stellenweise  vorgeschrieben,  dass  der 
Mann  die  ganze  Zeit  fastet  und  nichts  Schlechtes  tut.  Vgl.  Wissensch. 
Mitt.  aus  Bosnien  und  der  Herzegowina  1,  440. 

Aus  anderen  östlicheren  südslawischen  Ländern  oder  sonst  aus  den 
Balkanländern  habe  ich  keine  Belege,  obgleich  wahrscheinlich  auch  da 
dieser  Glaube  verbreitet  ist,  um  so  mehr,  da  ihn  auch  die  Rumänen 
kennen.  So  wird  in  Siebenbürgen  (Am  Urquell  6,  144)  wieder  ein  von 
einer  schwarzen  Henne  gelegtes  Ei  unter  der  Achsel  getragen,  und  am 
neunten  Tage  kriecht  das  Teufelchen  in  tler  Gestalt  eines  räudigen  Huhnes 
heraus,  welches  dann  die  Gestalt  verscliiedener  Tiere  annehmen  kann, 
alle  Wünsche  seines  Herrn  erfüllt,  sogar  Häuser  anzündet,  mordet  u.  a. 
Ahnlich  in  der  Bukowina  (Globus  92,  287.  Am  Urquell  1,  107);  hier  ist 
so  ein  Ei  sehr  hart  und  mit  schwarzen  Flecken  gekennzeichnet.  Ebenso 
auch  in  Rumänien  (Am  Urquell  4,  125). 

Noch  auf  andere  Weise  wird  dieser  Hauskobold  erworben.  Nach 
einer  sächsischen  Sage  (Meiche  S.  312  nr.  411)  brachte  ein  Bauer  ein 
ganz  vom  Regöu  durchnässtes  Huhn  nach  Hause  und  fand  von  der 
Zeit  an  täglich  einen  grossen  Haufen  Weizen;  als  er  hörte,  dass  dies  der 
Böse   (der  Drache)    sei,    begoss    er    es  mit    geweihtem  Wasser,    warf   den 


54  Polivka: 

Weizen  auseiiiamler  und  wurde  es  so  los.  Ähnlich  wird  noch  anderwärts 
in  Sachsen  (ebda.  S.  310  nr.  405),  Schlesien  (Firnienicii  '2,  309;  J.  \V. 
Wolf,  Beiträge  2,  342),  Nordböhnien  (Taubniann  S.  78  nr.  12;  Külinau  2. 
40  nr.  G'.lö)  und  in  Niederösterreich  (Vernaleken,  Mythen  S.  2(J0  nr.  61) 
erzählt.  Bei  den  Lansitzcr  Wenden  (C'erny,  Myth.  liytcisce  22  f.  Silnilon- 
burg,  Yolkssagen  S.  lO.'if.  Veckenstedt  S.  3iS7.  H.  Müller,  Wendentum 
S.  164)  wird  ein  vor  dem  Haus  sitzendes  Huhn  aufgehoben  oder  auch  ein 
Kapaun,  dieser  legt  ein  buntes  Ei,  und  daraus  erkennt  man,  dass  es  ein 
'Kubolt',  'Kubu.scik"  ist;  ausserdem  wird  so  ein  Kobold  auch  aus  einem 
gefangenen  Schmetterling  oder  T)ret'kkäfer,  der  in  eine  Schachtel  gesteckt 
wurde  (vgl.  Schulenburg  S.  106).  Gleichfalls  in  Thüringen  (Witzschel  2,  270 
nr.  55)  und  Schlesien  (Kühnau  2,  26  nr.  680.  682.  683):  dieses  Huhn  flog 
in  der  Nacht  wie  ein  feuriger  Drache  und  warf  fortwährend  Weizen  aus. 
Nach  einem  in  Brandenburg  verbreiteten  Glauben  verwamlelt  sich  ein 
schwarzes  Huhn  in  der  Neujahrsnacht  am  Kreuzweg  in  einen  Drachen 
(oben  2,  78.  Veckenstedt  S.  393).  Vergleiche  eine  andere  branden- 
burgische Sage  (W.  Schwartz,  Sagen  der  Mark  Brandenb."  S.  100  nr.  60), 
nach  der  ein  Schuhmacher  den  von  einem  anderen  am  Kreuzweg  weg- 
gelegten Kobold  in  der  Gestalt  eines  Vogels  fand:  er  war  gross  wie 
eine  Elster  und  mit  roten  und  schwarzen  Federn  und  rief  immer:  „Ich  bin 
herrenlos!"  So  wurde  der  Schuhmacher  reich.  Nach  einem  in  Osterr - 
Schlesien  verbreiteten  Glauben  (oben  2,  33  nr.  688.  Grimm,  Myth.  3, 
454  nr.  583)  legen  die  Hennen  zn  Ende  ihrer  Zeit  ein  bis  zwei  um  die 
Hälfte  wie  gewöhnlich  kleinere  Eier,  aus  denen  werden  Drachenhühner 
ausgebrütet;  sie  machen  grossen  Schaden  in  den  Scheunen  und  fliegen 
schliesslich  wie  Drachen  weg;  um  sie  unschädlich  zu  machen,  muss 
man  solche  Eier  über  das  Dach  werfen.  Ebenso  aus  Thüringen  bei 
Witzschel,  Kl.  Beiträge  2,  281  nr.  59  und  65  und  in  Veckenstedts  Zs.  f. 
Volkskunde  4,  390. 

Diesen  (Uauben  finden  wir  noch  bei  den  oberschlesischen  Polen 
(Kühnau  2,  31  nr.  685),  in  Posen  (Kolberg,  Lud  15,  25—27;  Knoop, 
Sagen  der  Prov.  Posen  S.  111):  ein  Bauer  brachte  ein  durchnässtes  und  vor 
Kälte  zitterndes  Huhn  nach  Haus,  .setzte  es  hinter  den  Ofen,  und  alsbald 
begann  das  Huhn  ihm  Getreide  zu  bringen.  So  auch  bei  den  Masuren 
(Toppen  S.  17),  in  Böhmen  (Erben,  C.  poh.  S.  23,  Cecetka  S.  110.  C.Lid 
16,  251),  bei  den  Slovaken  Nordungarns  (Dobsinsky,  Obycaje  117)  und 
bei  den  Litauern   im  Gouv.  Suwalk  (Ziv.  Star.  4,  488). 

Stellenweise  werden  noch  ähnliche  Sagen  erzählt  von  solchen  Kobolden, 
die  als  Hühner,  Hennen  erscheinen,  ohne  dass  ihr  Ursprung,  ihre  l'jUtstehung 
.angegeben  wird;  als  roter  Hahn  (Kuhn -Schwartz,  Nonldeutsche  Sagen 
nr.  48,  Kuhn,  Westf  Sagen  1,  370  nr.  416,  Friedr.  Ranke  S.  152,  Meiche 
S.  298  nr.  388),  oder  als  roter  und  schwarzer  Vogel  (Kulm,  Mark. 
Sagen  S.  192  nr.  180,  181).     Es    fliessen  da  vielfach  Sagen  vom  feurigen 


Die  Entstehung  eines  dienstbaren  Kobolds  aus  einem  Ei.  55 

Drachen,  der  Getreide,  Geld  u.  a.  seinem  Herrn  zuträgt  (oben  2,  78. 
*21,  286.  Grimm,  Myth.  *  2,  851  f.,  Ranke  S.  158,  Meiche  nr.  387.  388, 
Schulenburg  S.  101),  zusammen. 

Nocli  anders  berichten  verschiedene  Sagen  von  der  Entstehung  und 
der  Erwerbung  eines  solchen  Hausgeistes.  Nach  wendischem  Glauben 
(Veckenstedt  S  341)  muss  man  am  ersten  April  einen  schwarzen 
Hahn  in  den  Stall  einschliessen,  dann  findet  man  am  nächsten  Morgen 
dort  einen  Drachen.  In  der  Mitte  des  19.  Jh.  zeichnete  J.  V.  Houska 
in  Böhmen  folgendes  auf  (Gas.  Ges.  Musea  1855,  327):  unter  beson- 
derem geheimnisvollem  Zeremoniell  und  Zaubersprüchen  wird  eine 
schwarze  Henne,  die  noch  kein  Ei  gelegt,  in  zwei  Hälften  zerhauen,  darauf 
erscheint  ein  Geist  in  einem  blutigen  mit  Gold  durchwobenen  Gewand  mit 
zwei  Hörnern  am  Kopfe  und  Pferdehufen  und  bringt  eine  schwarze  Henne, 
die  täglich  ein  goldenes  Ei  legt.  In  Grusien  am  Kaukasus  wickelt  man 
das  von  einem  Hahn  gelegte  Ei  in  Watte  und  vergräbt  es  bei  der  Tür  in 
die  Erde,  dann  verwandelt  es  sich  in  Gold  (Sbornik  Kavkaz.  19,  2,  91). 
Die  Imeritiner  glauben,  in  dem  von  einem  Hahn  gelegten  Ei  finde  man, 
wenn  man  es  zerschlage,  entweder  einen  Adler,  eine  Schlange  oder  ein 
Eamni:  das  erste  und  zweite  bedeute  Unglück,  das  dritte  Wohlergehen 
(ebd.  19,  2,  100). 

In  dem  westlichen  Brandenburg  bekommt  den  Kobold  derjenige, 
welcher  zuJohannis  mittags  zwischen  12—1  in  den  Wald  zu  einem  Ameisen- 
haufen geht,  dort  einen  Vogel  findet  und  den  nach  Zaubersprüchen  in 
«in  Knäbchen  verwandelten  in  dem  vorbereiteten  Sack  fängt  (Kuhn,  Nord- 
deutsche Sagen  S.  393  ur.  92;  vgl.  Lemke  l,r58  'Der  Alf).  In  einer  Sage 
aus  dem  westlichen  Mähren  (Dufek,  Horäcko  S.  312)  findet  ein  Müller 
in  der  Tasche  des  vom  . Jahrmarkt  gekauften  Lederhoson  ein  Schächtelchen 
und  darin  einen  Vogel  —  den  Kobold.  Ähnlich  in  Böhmen  (G.  Lid  23, 
352).  In  einer  mährischen  Sage  wird  eine  im  Tuch  gefangene  und  im 
Stall  aufgehängte  Fliege  zum  Kobold  (rardSek),  der  Milch  verschafi't 
(Zahorska  Kronika  3,  13).  In  einer  Rügener  Erzählung  (Haas,  Schnurren 
S.  78  nr.  71)  verwandelt  sich  ein  auf  der  Landstrasse  gefundenes  Bündel 
in  einen  Puk. 

Stellenweise  wurde  so  ein  Kobold  künstlich  aus  verschiedenen  Sachen 
Terfertigt,  so  in  Schweden,  auf  Island,  bei  den  Estheu  (Grimm,  Myth.*  2, 
912;  3,  148),  oder  wie  im  Mittelalter  in  Deutschland  aus  Holz,  besonders 
Buchsbaum,  geschnitzt  oder  aus  Wachs  geknetet  (ebda.   1,  414  f). 

Dieselben  Dienste  wie  der  Kobold  leistete  auch  das  Alraunmännchen, 
Ton  welchem  Sagen  in  älteren  deutschen  Druckwerken  vorkommen  (Grimm, 
DS.  nr.  83;  Meiche  nr.  391  und  814).  Es  bringt  seinem  Herrn  Glück,  be- 
sonders Geld.  Der  Herr  muss  sich  freilich  dem  Teufel  verschreiben,  aber 
es  wird  dem  kein  besonderes  Gewicht  mehr  beigelegt,  es  ist  offenbar  alles 
Dämonische  verblasst  oder  verloren  (Strackerjan  1,  396  =  2.  Aufl.  1,  487); 


50  Polivka:  Die  Entstehung  oines  dienstbaren  Kobolds  aus  einem  Ei. 

etwas  mehr  erhalten  in  Unter-Österreich  (Vernaleken,  Mythen  S.  "iöS 
nr.  59).  Auch  in  Böhmen  wurde  so  eine  Sago  aufgezeiclinet  (C'as.  Ces. 
Musea  1855  S.  181):  das  Männchen  bringt  seinem  Herrn  Geld  und  Nährun«-, 
sagt  ihm  auch  von  dem  ihm  zugefügten  Schaden  u.  a.  m.  (Vgl.  Grimm, 
Myth.  *  2.  1005  f.:  Wuttke,  Volksaberglauben'  S.  102;  Seligmauu,  Der 
böse  Blick  2.  76.) 

Die  Sagen  von  der  Entstehung  des  Kobokles  aus  dem  Im  einer 
schwarzen  Henne  erinnern  an  verschiedenen  Aberglauben,  der  mit  den 
schwarzen  Hennen  und  deren  Eiern  verbunden  ist.  So  ein  Ei  hilft 
z.  B.  die  Hexe  erkennen,  welche  dem  Vieh  die  Milch  abzaubert  u.  ä. 
(Schönwerth  1,  346),  oder  in  der  Kirche  die  Hexen  erkennen  (15artsch  2, 
267,  nr.  1391;  Wuttke  S.  256 ;  oben  8,  340.  11,423.25,222).  W^uttke  (S.  118) 
führt  zahlreiche  Belege  für  die  Zauberkraft  der  schwarzen  Henne,  ihrer 
Eier  und  Excremente  an.  Sie  sind  in  Böhmen  aus  dem  16.  .lalirh.  be- 
legt in  einem  aus  dem  Polnischen  übersetzten  Schauspiel,  daher  wohl  auch 
für  Polen  in  einer  etwas  älteren  Zeit  (Zi'brt,  Vyrocni  obyceje  S.  99).  In 
Schwaben  kann  dem  Feuer  durch  ein  auf  Karfreitag  gelegtes  Ei  der 
schwarzen  Henne  Einhalt  geboten  werden  (Birlinger  2,  78:  oben  8,  340), 
ebenso  bei  den  Slowaken  (C.  Lid  6,  380).  In  Gottschee  helfen  drei  solche 
Eier  gegen  Hagelschlag  (Hauffen  S.  73),  sonst  auch  gegen  Blitz  (oben 
8,  340).  In  Ungarn  schützt  es  vor  Krankheit,  wenn  es  am  Gregorstag 
gelegt  ist  (oben  4,  323).  Besondere  Zauberkraft  hat  ein  Ei,  welches  .im 
Gründonnerstag  oder  Karfreitag  gelegt  wird  (oben  8,  399;  23.  133).  Aber 
hier  kommen  wir  in  ein  anderes  Gebiet,  zu  dem  mit  dem  VA  überliaupt 
verbundenen  Glauben,  und  so  brechen  wir  ab. 

Prag. 


Die  Garnweife  oder  Garnhaspel/) 

Von  Karl  Brunner. 

(Mit  vier  Abbildungen  auf  Tafel  1.) 


Das  Bild  des  vou  Dr.  Georg  Minden  gestifteten  'Dankzeichens  für 
Verdienste  um  die  Volkskunde'  (Abb.  1)  stellt  in  Anlehnung  ;ui  eine 
Bauernstube  des  sehlesischen  Kiesengebirges,  wie  sie  in  der  lygl.  Samm- 
lung für  deutsche  Volkskunde  zu  Berlin  aufgestellt  ist,  eine  kleine 
Versammlung  spinnender  Mädchen  und  Frauen  dar.  denen  eine  Alte 
Volksüberlieferungen  aus  dem  Gebiete  der  Sage  oder  des  Märchens  zum 
besten    gibt.      Zwischen    ilineu    steht    ein   Bauer,    beschäftigt    mit    einem 


1)  Dieser  Aufsatz  und  der  folgende  erscheint   f;leiehzeitig   in   den  Mitteilungen 
aus  dem  Verein  der  Kgl.  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde,  ]5erlin.  Bil.  .'>,  Heft  2. 


Zeilschrift  des  Vereins  für  Volkskunde.     1918. 
Tafol   I.     Zu  Rrunner:    Garnweife  oder  Garnliaspel. 


!r^'":'!^'*'^;^^'iJ^di^ü'Ki'?^f"'j'!i'i^'v"'"" 


Abb.  1.     Dankzeichen  für  Verdienste  um  die  \  uikskuude, 
gestiftet  von  Dr.  Georg  Minden, 
modelliert   von  Prof.  Hugo  Kaufmann. 
Vio  Hat.  Grösse. 


3 
^  a. 


Abb.  ~.     Si-hlesische  Weifen  in  der  Kgl.  Sannnlunj; 
für  deutsche  Volkskunde  zu  Berlin. 


Abb.  3.    Wefelk, 
^Ischergerät  aus  Klein- 
horst in  Pommei'n. 
'/s  uat.  Grösse. 


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Abb.  4.  Weifspille 

aus  Poischwitz, 

Kl'.  Jaue:-. 


I 


I 


Briinner:    Die  Gatnweile  oder  Garnhaspel.  57 

eigentümlichen  Holzgerät,  das  zum  Aufwickeln  des  fertig  gesponnenen 
Fadens  dient  und  in  Schlesien  Weife  heisst.  Der  Künstler,  Prof.  Hugo 
Kaufmann  in  Westend  bei  Berlin,  hat  die  einfache  Holz.stube  mit  den 
kleinen  Fenstern,  den  niedrigen  Deckenbalken,  dem  heimeligen  Ofen  und 
der  Ofenbank  darum,  die  bekannte  Bunzlauer  Kaffeekanne  auf  «leni  Tische, 
sowie  das  übrige  Gerät  recht  naturgetreu  nachgebildet,  so  dass  uns  das 
Bild  erwärmt  und  den  Geist  nachdenklich  in  jene  alte  Zeit  lenkt,  da 
Sprache  und  Mundart,  Lied  und  Sage,  Recht  und  Brauch,  Glaube  und 
Sitte  wesentlich  durch  die  mündliche  Volksüberlieferuug  sich  vererbten. 
Ist  es  nicht  der  Ausklang  ferner  vorgeschichtlicher  Zeiten,  der  Väter  alte 
Art,  deren  letzte  Spuren  in  der  neuen,  so  anders  gearteten  und  sturm- 
durchtobten  Welt  die  Volkskunde  sammelt  und  birgt  für  kommende  Ge- 
schlechter, die  das  grosse  Weh  der  Zeit  überwunden  haben  werden  und 
wieder  der  Erinnerung  und  Erforschung  deutsclien  Altertums  leben  wollen! 
Die  gesprächige  Alte  hält  in  der  Linken  einen  der  hohen,  reich  mit 
Schnitzwerk  und  Malerei  verzierten  Spinnrocken,  noch  ein  Überbleibsel 
aus  jener  Zeit,  da  man  das  Spinnrad  noch  nicht  kannte  und  den  Faden 
mit  Hand  und  Spindel  drehte.  Aber  nicht  diese  Geräte,  die  der  Volks- 
kunst in  den  verschiedenen  Gebieten  reiche  Gelegenheit  gaben,  sich  zu 
zeigen  und  mannigfaltig  bezeichnende  Liebesgaben  der  Burschen  für  ihre 
Mädchen  hervorzubringen,  sondern  die  Weife,  die  der  neben  den  Frauen 
stehende  Mann  in  Händen  hält,  soll  hier  ausführlicher  besprochen  werden, 
weil  dieses  Gerät  bei  uns  nur  noch  wenig  bekannt  ist  und  bald  vüUio- 
verschwunden  sein  dürfte,  soweit  es  nicht  in  Museen  gerettet  wird. 

Die  Abb.  '2  zeigt  uns  einige  solche  Geräte  mit  grösserer  Deutlichkeit. 
Es  sind  geschnitzte  oder  auch  gedrechselte  Stäbe  von  etwa  Ö7  cm  Länge 
mit  zwei  End-Querbalken,  welche  letzteren  nicht  parallel,  sondern  senk- 
recht zueinander  stehen  und  leicht  gebogen  sind.  Man  fasst  das  Gerät 
in  der  Mitte  des  Achsenstabes,  und  der  aufzuwickelnde  fertige  Faden 
wird  in  Zickzacklinien  um  die  Endsprossen  herumgewunden.  Der  Faden 
kommt  von  der  Spule  und  wird  auf  diese  oder  andere  Weise  zu  Strähnen 
oder  grösseren  Gebinden  vereinigt,  die  in  Niedersachsen  Löppe.  Fitzen 
(ahd.  fizza).  Binden,  Stücke,  in  Hessen  Geblätze,  Zaspel,  Zahlen, 
in  Obersachsen  Weifen  heissen.  So  können  die  Garne  besser  gewaschen, 
gebleicht  oder  gefärbt  werden.  Sie  werden  bei  dieser  Gelegenheit  auch 
abgemessen  in  so  und  soviel  Umwindungen,  so  dass  sie  für  den  Webstuhl 
und  Vertrieb  in  dieser  Form  handlicher  werden. 

Herr  Oskar  Scholz  in  Herzogswaldau,  Kreis  Jauer  in  Schlesien 
schreibt  mir  über  das  Weifen,  dass  dabei  bekanntlich  von  1 — "JO  gezählt 
wird;  20  Fäden  von  je  4  Ellen  zu  je  iäVa  Zoll  bilden  ein  Gebind.  20  Gebind 
heissen  eine  Haspel,  3  Haspeln  bilden  'eine  Strähne  und  4  Strähnen  ein 
Stück  Garn.  Vermutlich  ist  hier  Haspel  mit  dem  sonst  üblichen  Zaspel 
vertauscht. 


58  BniniRT: 

Über  die  Gerätbezeichnung  Weife  wäre  noch  zu  bemerken,  dass  das 
Wort  aus  dem  gemeingermanischen  Zeitwort  wifan,  weifen  gefolgert  ist  und 
nach  (iriinnis  Deutschem  Wörterliuoli  14,  1,  ü3ö  seit  Anfang  des  15.  Jahrh. 
im  üstfränkischeu  und  Üstmitteldeutschen  in  den  Formen  weyphe, 
weyffe,  weyfe,  weiffe,  weyf,  wayff,  waiff  als  Verdeutschung  von 
mittellat.  alabruni,  gagia,  girgillus,  sagia,  sihibra  und  tradulus 
begegnet.  Im  Mittelhochdeutschen  bedeutet  das  Zeitwort  weifen  soviel 
wie  'schwiugenmachen'  oder  'haspeln".  Im  18.  Jahrh.  erlebt  das  Wort 
seine  Blütezeit;  Goethe  braucht  es  öfter.  In  nid.  Mundarten  lebt  es  noch, 
als  wäfe  in  Oberhessen  und  Kurhessen,  waifn  im  Eichsfeld,  in  Thüringen 
und  im  Mansfeldischcn,  weefe  in  Obersachsen  und  Schlesien,  wef  im 
Preussischen.  Von  der  gleichen  germ.  Wurzel  'wip"  sind  noch  abzuleiten 
Weife  in  der  Bedeutung  von  "Grenzmarke'  in  der  oberdeutschen  Gesetzes- 
sprache, erklärbar  aus  dem  niederdeutschen  wip  =  gewundenes  Stroli 
oder  Strohwisch,  engl,  wipe,  und  das  niedersächsische  Weiffe  =  Peitsche, 
engl.  whip.  Das  Zeitwort  weifein  im  Schwäbischen  =  'taumeln, 
wanken"  ist  eine  Verkleinerungsform  von  weifen  und  wird  in  Thüringen 
auch  für  'im  Kreise  drehen'  gebraucht,  am  Niederrhein  für  'sich  um  je- 
mand bemühen"  oder  'schmeicheln".  Ob  das  von  Schmeller  im  Baye- 
rischen Wörterbuch  "  2,  863  angeführte  Wifft  =  Faden  oder  Zwirn  feinster 
Art  gleicher  Wurzel  entstammt,  bleibe  dahingestellt. 

Die  niühsatne  Armbeweguug  beim  Weifen  des  Garns  führte  daini 
wohl  zur  Erfindung  des  Gerätes,  das  wir  gewöhnlich  Haspel  nenuen, 
worüber  auch  bereits  Herrn.  Sökeland  in  den  Mitteilungen  aus  dem 
Museum  für  deutsche  Volkstrachten  und  Erzeugnisse  des  Hausgewerbes  1, 
30  ff.  ausführlich  gehandelt  hat.  Diese  Entwickelung  hat  sich,  wie  wir 
weiter  unten  sehen  werden,  schon  in  früher  Zeit,  wenn  auch  nicht  überall, 
vollzogen,  so  dass  bei  detn  Fortleben  der  alten  Weife  neben  dem  ent- 
wickelten Haspel  und  bei  demselben  Gebrauchszwecke  bereits  im  Mittel- 
hochdeutschen die  Xamen  Weife  und  Haspel  miteinander  verschmelzen. 
Ganz  vereinzelt  begeguet  auch  die  Bezeichnung  Schrägen  (Lexer,  Mhd. 
Wtb.  2,  784;  Grimm,  Wtb.  9,  1624). 

Wir  erblicken  also  in  der  Weife  unserer  oben  dargestellten  Form 
ein  Urgerät  im  eigentlichsten  Sinne,  studieren  seine  Verbreitung  heute 
und  verfolgen  seine  Nachweise  in  alter  Zeit. 

In  Deutschland  sehen  wir  es  nocli  bis  in  die  neuere  Zeit  in  Schlesien 
im  Gebrauch.  Auch  im  benachbarten  Bomster  Kreise  der  I'rovinz  Posen 
wurde  es  unter  demselben  Namen  nach  verlässlicher  mündlicher  Mitteilung 
bis  um  1890  noch  benutzt.  In  Thüringen  scheint  es  auch  noch  bekannt 
zu  sein,  denn  es  findet  sich  auf  einer  Postkarte  mit  der  Darstellung  einer 
Finsterberger  Spinnstube  (Thüringer  Kunstverlag,  Gotha  Nr.  II).  Ausser- 
dem ist  das  Gerät  vereinzelt  nachweisbar  aus  der  Kassubei  im  Stettiner 
Museimi  und  aus  Litauen  im  Museum  in  Tilsit.     Ausserhalb  Deutschlands 


Die  Gainweife  oder  Garnhaspel.  59 

kommen  verschiedene,  z.  T.  recht  urwüchsige  Formen  des  Gerätes  vor  in 
Ungarn'),  bei  den  Huzulen  und  (Toralen-),  im  österreichischen  Küsten- 
land, in  Bulgarien,  Frankreich,  Italien,  Portugal    und    bei   den   Malaien'). 

In  einer  sehr  reich  mit  Abbildungen  ausgestatteten  Schrift  hat 
H.  Schuchardt  in  Graz  (s.  Anm.  3)  solche  Geräte  besprochen,  die  er 
nur  als  den  oder  die  Haspel  (ital.  aspa,  nidl  auch  aspa)  bezeichnet.  Er 
unterscheidet  sie  als  Ilandhaspel  von  den  Drehhaspeln,  die  bei  uns  ein- 
fach nur  als  Haspel  bezeichnet  zu  werden  pflegen.  Man  kann  aus  den 
beigegebeneu  Abbildungen  sehen,  wie  sich  dieses  Gerät  in  der  Weltweite 
aus  der  einfachsten  Vorrichtung  zur  Bewältigung  der  Fadenmasse  bis  zu 
der  oben  abgebildeten  Form  entwickelt  hat. 

Der  Name  Weife  für  unser  schlesisclies  Werkzeug  scheint  demnach 
ausserhalb  dieser  Provinz  und  Posens  nicht  bekannt  zu  sein.  Überhaupt 
ist  er  ebenso  wie  das  Zeitwort  'weifen'  in  Niederdeutschland  anscheinend 
im  Aussterben  begriffen,  während  beide  in  Obersachsen*)  in  einer  ge- 
wis.«en  oben  erwähnten  Verbindung  und  in  Schlesien  vielleicht  nur  durch 
unser  bisher  noch  gebrauchtes  Gerät  davor  bewahrt  geblieben  sind. 

Gehen  wir  nun  weiter  in  die  Vergangenheit  zurück,  so  finden  wir 
dasselbe  Gerät  auf  einem  Kupferstiche  von  J.  E.  Nilson  (1721 — 88)  in 
Koburg  abgebildet^),  welcher  ein  Kalenderblatt  für  den  Monat  Dezember 
ist.  Es  entspricht  in  der  Form  durchaus  der  schlesischen  Weife,  aber  es 
ist  aus  der  Abbildung  nicht  klar  zu  sehen,  ob  die  Stellung  der  End- 
sprossen senkrecht  oder  parallel  zueinander  ist.  Derselbe  Maugel  ist 
wiederholt,  auch  an  älteren  Bildern  festzustellen,  wobei  es  dahingestellt 
bleiben  niuss,  ob  immer  ein  Missverständnis  oder  die  perspektivische 
Schwierigkeit  Ursache  war.  Auch  in  der  Art  der  Garnaufwicklung  zeigten 
die  Künstler  wohl  bei  ihren  Darstellungen  nicht  immer  das  rechte  Ver- 
ständnis. Wiederholt  sieht  man  den  Faden  kreuzförmig  statt  im  Zickzack 
aufgewickelt,  was  nicht  zweckmässig  erscheint  und  jedenfalls  der  uns  be- 
kannten Art  in  neuerer  Zeit  widerspricht. 

Auf  einem  bei  H.  Schuchardt  a.  a.  0.  abgebildeten  Kupferstiche  von 
Bonnart,  Die  drei  Parzen,  aus  dem  Ende  des  17.  Jahrh.  sehen  wir 
wiederum  ein  entsprechendes  Gerät  in  der  Hand  der  mittleren  Parze, 
welches  die  richtige  gekreuzte  Stellung  der  Endsprosseu  und  auch  die 
Aufwickelung  des  Fadens  in  der  zickzackigen  Form  zeigt.  Nur  eins  fällt 
als  abweichend  von  unserem  schlesischen  Geräte  auf,  das  ist  der  Hand- 
griff' unter  dem  Werkzeuge.  Weil  solche  wiederholt  auftreten,  stellt 
Schuchardt    die    Unterscheidung    der    Haudhaspel    als    niittelgriffige,    wie 


1)  Anzeiger  der  Ethnogr.  .\bt.  des  Ungar.  Nat.-Museums  4,  187  (1908).  ü,  25. 
2>  Ztschr.  f.  Österreich.  Volksk.  11.  132  f. 

3)  Hugo  Schuchardt  an  Ad.  Mussafia,  Graz  1905.    Festschrift. 

4)  Ersch  u.  Gruber,  Allgem.  Encyklop.  d.  Wissensch.  u.  Künste  II,  3,  87  (1828). 

5)  Ad.  Bartels,  Der  Bauer  in  der  deutschen  Vergangenheit  1900.    Abb.  149. 


(;0  Brunner: 

unsere  schlesischen  Weifen,  und  als  untergriffige,  wie  eben  auf  dem  er- 
wähnten Bonnartschen  Kupferstiche  auf.  Da  unserer  Sammlung  bisher 
eine  solche  Handliaspcl  noch  fehlt,  möchte  ich  hier  zur  Verdeutlicliung 
eine  Abbildung  eines  kleinen  Gerätes  zum  Fadendrehen  wiederholen 
(Abb.  3),  das  dieser  untergriffigen  Handhaspel  in  der  äusseren  Form  etwa 
entspricht  und  das  z.  B.  an  der  pommersclien  Ostseeküste  auch  AVefelk, 
d.  h.  kleine  Weife  genannt  wird.  Weiteres  über  dieses  kleine  Fischerei- 
gerät ist  andernorts')  gesagt  worden.  Hier  soll  nur  darauf  hingewiesen 
sein,  dass  es  im  Gegensätze  zu  den  Handhaspeln  eine  bewegliche 
Achse  hat. 

Aus  dem  1(5.  Jahrh.  finden  wir  dann  wiederum  eine  Abbildung  eines 
untergriffigen  Handhaspels  bei  Sebastian  Münster,  Cosmographei,  Basel 
1561  S.  812.  Auch  bei  dem  älteren  Brueghel  (1530—69)  kommt  die 
Form  der  schlesischen  Weife  vor. 

liu  15.  Jahrh.  sehen  wir  auch  beide  Formen,  die  untergriffige  und 
niittelgriffige,  vertreten  in  einem  Stiche  von  Israel  von  Meckenem,'') 
ferner  in  einem  Holzschnitt  (um  1490)  des  Berliner  Kupferstichkabinetts 
(Sehr.  1990)  (E.  Diederichs,  Deutsches  Leben  der  Vergangenheit  in 
Bildern  1,  123),  einem  weiteren  des  Münchener  Kupferstichkabinetts 
(Alwin  Schultz,  Deutsches  Leben  im  1-1.  und  Ib.  Jahrh.,  Wien  1892, 
Fig.  151)  und  bei  Fr.  Hottenroth,  Altfrankfurter  Trachten,  Fig.  7,  6, 
einem  Bilde  der  Tracht  von  1405. 

Schliesslich  zeigen  die  Konstanzer  Fresken  aus  dem  Anfange  des 
14.  Jahrh.  (Mitt.  d.  antiquar.  Ges.  i.  Zürich  15,  6.  II)  im  Bilde  7  eine 
untergriffige  Handhaspel. 

Bis  in  diese  Zeit  geht  der  Gebrauch  unserer  Handhaspeln  also  sicher 
zurück.  Isidorus  von  Sevilla  um  600  n.  Chr.  (Origines  19,  29.  Du 
Gange,  Glossarium  mediae  et  infimae  latinitatis  1,  156  s.  Alabrum)  kennt 
allerdings  ein  Gerät,  das  unserem  Haspel  entsprochen  haben  mag,  und 
nennt  es  alibrum.  Hierzu  machten  spätere  Erklärer  folgende  Bemer- 
kungen. Der  Lexikograi)h  Galepinus  sagt,  dass  der  Faden  vom  Spinn- 
Rocken  auf  eine  Spindel,  von  da  auf  das  Alabrum,  dann  auf  die  Garn- 
winde und  schliesslich  auf  ein  Knäuel  gebracht  werde  (filum  a  colo  in 
fusum,  de  fuso  in  alabrum,  hinc  in  girgillum,  deinde  in  glomicellum  etc.). 
M.  Martiuius  (Lexicon  philologicum  1623)  leitet  den  Namen  'alabrum' 
von  den  Flügeln  (alae)  des  Gerätes  ab.  Das  würde  also  auf  eine 
Form  wie  unsere  Drehhaspeln  schliessen  lassen.  Isidors  Erklärung  be- 
zieht sich  indessen  nur  auf  die  Auflösung,  Teilung  der  Fäden  (alibrum, 
(|Uod  in  eo  liberentur  fibi,  id  est  solvantur),  gibt  also  keinen  Anhalt 
für  die  Form   des  Gerätes.     Das  klassische  Altertum  hat  uns  kein   Zeug- 


1)  Mitteil.  a.  d.  Vor.  der  Kgl.  Sanimhmg  f.  d.  Volk.skunde  z.  Berlin  l',   llö. 

2)  Van  Heurck  et  lioekenoogeu.  l/imagerie  populaire  flaniando  V.HO  S.  218. 


Die  Garn  weife  oder  Garnhaspel.  61 

nisüber  den  Gebrauch  eines  Zwischengerätes  zwischen  Spinnen  und 
Weben  hinterlassen,  wie  es  die  Weife  oder  der  Haspel  ist.  J.  Mar- 
quardt  (Das  Privatleben  der  Römer  2.  Aufl.  2,  518 — 519.  188G)  in  seiner 
Schilderung  römischen  Lebens  sowohl  wie  Hugo  Blümner  (Karl  Fr. 
Hermann,  Lehrbuch  der  griech.  Privataltertümer,  3.  Aufl  lierausgeg.  vou 
H.  Blümner  1882)  bei  der  Beschreibung,  griechischer  Frauenarbeit  gehen 
vom  Spinnen  unmittelbar  zum  Weben  über. 

Wie  wir  oben  gesehen  haben,  sind  in  der  mittelhochdeutschen  Sprache 
•die  Zeitworte  weifen  und  haspeln  gleichbedeutend;  im  Althochdeutschen 
ist  auch  liaspil,  mhd.  haspel,  schon  belegt.  Daraus  darf  man  aber  keines- 
wegs den  Schluss  ziehen,  dass  das  Gerät,  welches  wir  jetzt  meistens  dar- 
unter verstehen,  d.  i.  der  kreuzförmige  Drehhaspel,  älter  als  die  Weife 
ist.  Im  allgemeinen  gilt  wohl,  was  Schmeller  (Bayerisches  Wörterbuch 
'2.  Aufl.  2,  863)  nach  Adelung  angibt,  dass  Weife  und  weifen  hochdeutsche, 
Haspel  und  haspeln  aber  niederdeutsche  Wörter  sind. 

Über  das  Alter  des  Drehhaspels  kann  mit  Sicherheit  nur  soviel  gesagt 
werden,  dass  er  im  16.  Jahrh.  bereits  in  der  bekannten  ausgebildeten 
Form  erscheint,  wie  auü  einem  Holzsclinitte  des  Berliner  Kupferstich- 
kabiuetts  (E.  Diederichs,  Deutsches  Leben  der  Vergangenheit  in  Bildern, 
Jena  1908.  1,344)  ersichtlich  ist.  Dass  er  aber  vielleicht  viel  älter  ist, 
geht  aus  der  oben  angeführten  Bemerkung  des  Martinius  hervor. 

Nach  allen  entwickelungsgeschichtliclien  Wahrscheinlichkeiten  ist  an- 
zunehmen, dass  der  Drehhaspel  sich  aus  der  Vervielfachung  der  ursprüng- 
lichen Weifenstäbe  in  späterer  Zeit  als  die  Weife  gebildet  hat,  dass  also 
der  Drehhasp«l  aus  der  Weife  abgeleitet  ist. 

Betrachtet  man  unsere  oben  Abb.  2  dargestellten  Weifen  oder  Haud- 
haspeln  genauer,  so  bemerkt  man  an  einem  von  ihnen  links  dort,  wo 
Achse  und  Quersprossen  zusammengefügt  wurden,  einen  eingebrannten 
Adlerstempel,  d.  i.  eine  Eichung.  Die  Weife  mit  dem  gegabelten  Achsen- 
stab trägt  ausserdem  den  Stempel  „Steinau"  eingebrannt.  Die  Benutzung 
als  Längenmaß  war  also  amtlich  gewährleistet.  Welch  grosse  Not  schon 
immer  die  Behörden  hatten,  rechtes  Maß  und  Gewicht  auch  auf  diesem 
Gebiet  aufrechtzuerhalten,  geht  daraus  hervor,  dass  die  vorgeschriebene 
Haspellänge  früher  vielfach  neben  andern  amtlichen  Maßen,  wie  Elle,  Klafter, 
Metze,  Brod  usw.  an  den  Kirchenmauern  augebracht  wurde.  Ed.  Schoneweg^) 
hat  in  einem  sehr  ausführlichen  Aufsatze  über  'Flachsbau  und  Garn- 
spinnerei i.  d.  Sitte,  Sprache  und  Anschauung  des  Raveusbergers'  auch  ein 
solches  Wahrzeichen  an  der  Kirche  von  Enger  abgebildet.  Falschhaspeler 
wurden  im  18.  Jahrh.  beim  dritten  Male  sogar  mit  Landesverweisung  bedroht. 

Weifen  oder  Handhaspeln,  ebenso  wie  Drehhaspeln  dienten  dazu,  den 
fertigen  Faden  von  den  Spulen  des  Spinnrades  abzuwickeln  und  zu  messen. 


1)  2>'j.  Jahresbericht  d.  Histor.  Vereins  f.  d.  Grafschaft  Ravensberg  zu  Bielefeld.  1911. 


fi2  Branner:    Die  Garnweife  oder  Garnhaspel.  ' 

Dann  pllogte  man  das  so  hergestellte  Gebinde  abzunehmen  und  falls  es 
nun  zu  irgendeinem  Gebrauch  wie  Weben,  Wirken,  Stricken.  Sticken 
oder  Nähen  dienen  soll,  auf  ein  anileres  ähnliches  Gerät  wie  der  Dreh- 
haspel zu  legen,  näniiicli  die  (!  arn  winde.  Die  einfachste  Art  der  Garn- 
winde sind  die  ausgestreckten  Arme  eines  Gehilfen,  die  das  Garubündel 
aufnehmen;  aber  es  gibt  unzählige  Formen  dieses  unentbehrlichen  Gerätes 
aus  Holz,  die  sich  meistüus  von  dem  oft  verwechselten  Drehhaspel  dadurch 
unterscheiden,  dass  ihre  Achse  senkrecht  stellt,  während  die  des  Dreh- 
haspels gewöhnlich  wagerecht  liegt.  Der  Haspel  ilient  dazu,  die  Fäden 
auf  sich  zu  nehmen  und  zu  voreinigen,  die  Garnwinde  dazu,  den  Faden 
wieder  abzunehmen  und  zunächst  wieder  zu  vereinzeln,  zu  verzetteln, 
d.  h.  für  den  sogen.  Zettel  oder  die  Kette  eines  Gewebes  vorzubereiten. 
Die  Haspeln  als  unvollständige  Räder  ohne  Felgen  werden  bekannt- 
lich in  der  Technik  viel  verwendet;  unsere  Geräte  sind  als  Garnhaspel 
von  ihnen  zu  unterscheiden.  Aus  dem  so  weit  verbreiteten  Gebrauche 
des  Haspels  sind  allgemein  gebräuchliche  und  verstandene  Ausdrücke  er- 
wachsen, wie  sich  abhas])eln,  verhaspeln,  in  übertragener  Bedeutung  von 
hastig  oder  stosswoise  sprechen,  stottern,  lebhaft  gestikulieren,  überstürzt 
laufen  oder  arbeiten. 

Zum  Schluss  noch  eine  kurze  Bemerkung  über  die  Garnweife  im 
Volksbrauch  der  Sclilosier.  Unser  Freund  Oskar  Scholz  in  Herzogs- 
waldau  hat  her(nts  liSD'.i  in  einem  kleinen  Aufsatz  über  den  schlesischen 
liichtenabeud*)  einige  Weifsprflche  mitgeteilt,  die  beim  Aufwickeln  des 
eben  fertig  gesponnenen  Garns  von  einzelnen  hergesagt  wurden.  „Wenn 
gute  Reden  sie  be"leitcn,  so  fliesst  die  Arbeit  munter  fort."  So  wurden 
statt  der  einfachen  Abzahlung  der  20  zu  einem  'Gebind'  nötigen  Fäden 
statt  der  Zahlen  jedesmal  ein  kurzes,  meist  neckisches  Sprüchlein  oder 
Einzelworte  zum  besten  gegeben.  Auf  xinfrage  hatte  Herr  Scholz  die 
Freundlichkeit,  noch  einige  seither  gesammelte  derartige  Sprüche,  zum 
Teil  in  schlesischer  Mundart,  mitzuteilen  und  ihre  Verötientlichung  an 
dieser  Stelle  zu  gestatten. 

Aus  Herzoi;s\vald;ui,  Kr.  Jauer: 

Eins  ;1),  Zwei  (2),  Drei  (:!■,  Heisa  (4),  Juchhei  (5\  drehe  (6i  mir  (7)  das  (8)  Räd- 
lein (9)  tüchtig  (10  ,  zähle  (11)  stets  (12)  beim  i  Ki)  Weifen  (14)  richtig  (15),  zwanzig  (16^ 
Faden  (17)  ein  ^18)  gut  (,!'.))  Gebind  v20).    Fitze  zu  mein  liebes  Kind! 

Es  (1),  de  Sunne  schien  höß  (2\  se  schien  (3)  eis  Striiuclila  grün  (4),  wu  stond 
dar  Strauch?  (5).  Oni  Summerhaus  (6\  Woas  koam  gofloin?  (7).  Zwe  Vögel  (8). 
Woas  bruchta  sc?  (!)).  Wull,  Hulz  und  Hei  10,.  Woas  m;lclita  se?ill\  A  rundes 
Nast  (12).  Woas  liäta  se  nei?  (13\  A  scheckig  E  (14).  War  britt's  denn  aus?  (15). 
Olle  UDdc  (16).  Woas  kruch  do  aus?  ^17).  A  sihiuiuT  Vogel  (18).  Wie  song  der 
Vogel?    l'.l.     Kuckuck    20). 

1)  Milteihmgcn  aus  dem  Museum  für  doiitsche  Volkstracliten  1.4,  1G3  f.  [Vgl.  über 
solche  Zählgesänge  Holte,  Z.  f.  Volkskunde  11,  Inj  f.  13,  öS;  ferner  C.  8cliumann, 
Volksreime  aus  Lübeck  1899  S.  142.     Rabe,  Von  haniburgischen  Speichern  19i3  S.  28.] 


Brunner;   Die  Garn  weife  oder  Garnhaspel.  (53 

Aus  Lomnitz,   Kr.  Hirschberg'):  * 

Es  oam  Tenne  (1).  Zwe  ei  der  Schüssel  (2).  Dreier  eim  Beutel  (3).  Vier  oam 
Tische  (4).  Stumpf  oa  der  Weide  (b).  Seger  oam  Hulz  (6).  Sieben  ei  der  Scheune 
(7).  Acht  eim  Kaller  (8).  Neun  überm  Hofe  (9).  Schare  oa  der  Wand  (10).  Elf 
eim  Sand  (11).  Schellen  Karte  eim  Kratschen  (12\  Heffla  oam  Weige  (13).  Vertel 
uff  der  Bühne  (14).  Fufza  Floada  (15).  Säckla  oam  Stengla  (1G>.  Miezla  eim  Stolle 
(17).    Stachel  eim  Flachs  (18).     Wachtel  eim  Kurn  (19;.     Grünstock  (20). 

Enner  üff'm  Taller  (1)  Zwe  ei  der  Schüssel  (2).  Dreier  eim  Beutel  (3).  Vier 
oam  Tische  (4).  Fünfe  eim  Kaller  (5).  Sechs  an  Heller  (6).  Sieben  Näller  (Nägel) 
(7).  Über  a  Hof  (8).  De  Schoal  anöch  (9).  Kind  eim  Stillen  (10).  Liegt  in  der 
Wiege  (11).  Dreckla  oam  Waige  (12).  Hemd  oa  der  Stange  (13).  Löffel  oam 
Golgen  (Löffelholz)  (14).  Teg  uff  der  Beute  (15).  Brut  uff  der  Schuffe  (16).  Miez 
ei  der  Stube  (17).    Hölzl  eim  Busche  (18).    Prille  uff  der  Noase  (19).    Grünspoahn  (20). 

Ähnlich  wurde  in  Niederdeutsclii<ancl  die  Haspelarbeit,  wie  Moser  in 
den  Patriotischen  Phantasien  1,  4ö  berichtet,  munter  belebt:  „Die  Mutter 
erzählte  ihnen  auch  wohl  eine  lehrreiche  und  lustige  Geschichte,  wenn 
sie  haspelte." 

Herr  0.  Scholz  sandte  weiterhin  nachträglich  ein  eigentümliches 
Gerät  ein,  das  Weif  spille  (Weifspindel)  genannt  wird  (Abb.  4).  Es  wird 
dazu  benutzt,  um  mit  ihm  von  der  voljgesponnenen  Spule  das  Garn  auf 
die  Weife  zu  bringen.  Dieses  bisher  hier  nicht  bekannte  Gerät  ist  kunst- 
voll von  einem  Schäfer  geschnitzt,  hat  eine  Länge  von  28  e?«  und  besteht 
ganz  aus  weissem  Holz.  Der  untere  Teil  ist  reich  mit  Kerbschnitt  und 
einem  aus  demselben  Holzstück  heraus  ohne  Unterbrechung  herabhängen- 
den korbförniigen  Anhänger  verziert.  Dieser  Teil  ist  der  Griff  des  Ge- 
rätes, während  der  obere  stabförmige  eine  Spule  vom  Spinürade  mit 
einem  Reste  des  Garnes  trägt.  Sie  kann  sich  leicht  um  diese  Achse 
drehen.  Im  Kreise  Bomst  benutzte  man  zu  demselben  Zwecke  einen  ein- 
fachen Holzgrift",  in  den  ein  längerer  Draht  als  Achse  für  die  Garnspule 
eingesetzt  war. 

Berlin. 


1;  Zur  Erklärung  der  mundartlichen  Ausdrücke  sei  bemerkt:  1.  Eins  auf  der 
Tenne  (dem  lehmbedeckten  Platz  in  der  Mitte  der  Scheune,  auf  dem  gedroschen 
wird).  —  10.  Schere  an  der  Wand.  —  12.  Schellenkarte  im  Wirtshaus.  —  13.  Häuf- 
lein am  Wege.  —  14.  Viertelmaß  auf  der  Bühne  (einer  Galerie  an  der  Hofseite  des 
Bauernhause.«!).  —   15.  Fünfzehn  Fladen  (Kuchen). 

9.  Dem  Schall  nach.  —  15.  Teig  auf  der  Beute  (dem  Deckel  des  Backtroges).  — 
16.  Brot  auf  dem  Schieber. 


(54  Weinilz: 

Schiiuickgegenstände  aus  Mensclienliaiireii. 

Von  Franz  Weinitz. 

(Mit  drei'  Abbildungen  auf  Tafel  2. 

Als  Erzeugnisse,  die  dem  (ieschinacke  der  Biedermeierzeit  besonders 
entsprachen,  sind  jene  eigenartigen  Schmuckarbeiten  zu  betrachten,  die  um 
die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  aus  geflochtenen  Menschenhaaren  her- 
gestellt wurden.  Sie  fanden  hauptsächlich  Würdigung  in  den  Gefühls- 
regungen besonders  unterworfenen  kleinbürgerlichen,  auch  bäuerlichen 
Kreisen.  Man  empfand  es  dort  offenbar  als  Tröstliches,  vou  einem  teueren 
Verstorbenen  etwas  mit  sich  zu  führen,  was  im  Ijeben  mit  ihm  eng  ver- 
bunden gewesen  war.  Da  war  denn  das  Haupthaar  ein  geeigneter  Gegen- 
stand, im  besonderen  das  weibliche  Haar,  aus  dem  man  vor  allem  Uhr- 
ketten und  Armbänder,  aber  auch  Halsketten,  Kreuze,  Ohrgehänge  durch 
Flechten  herstellen  konnte.  Vergoldete  Schliessen,  Schieber,  Petschafte  ver- 
vollständigten die  Stücke  nach  der  künstlerischen  und  kunstgewerblichen 
Seite  hin  (Abb.  1).  Diese  Zieraten  zeigen  zumeist  den  damaligen  modernen 
Barockstil,  der  aus  dem  Frankreich  jener  Tage  gekommen,  bei  uns  Auf- 
nahme gefunden  hatte.  Auch  Vorsteck-  und  Busennadeln  finden  sich,  die 
ninter  der  schützenden  Glasplatte  Darstellungen,  zumeist  Blumensträusse, 
aufweisen,  die  aber  aus  zusammen-  und  aufgeklebten  Haarteilen  hergestellt 
■sind  und  somit  nicht  zu  den  Haarflechtarbeiten  gezählt  werden  können, 
die    als  Haararbeiten  im  höheren  Sinne  angesehen  werden  müssen  (Abb.  2). 

Handelt  es  sich  um  eine  flach  aufliegende  Haararbeit,  so  ist  das  eine 
gewöhnliche  Flechtarbeit  (Klöppeln),  die  keiner  weiteren  Erklärung  bedarf. 
Etwas  anderes  ist  es,  wenn  die  Haare  so  zusammengeflochten  werden  sollen, 
dass  dadurch  ein  Gebilde  entsteht,  das  einen  Schlauch,  eine  Röhre  darstellt, 
also  einen  hohlen  Raum  umschliesst.  Da  tritt  die  Klöppelmaschine  (Haar- 
flecht-Drehmaschine)  in  Tätigkeit.  Unsere  Abb.  3  zeigt  eine  solche  Vorrich- 
tung, die  einem  Nürnberger  Haarkräusler  gehört  und  die  ich  in  diesem  Som- 
mer bei  ihm  besichtigen  konnte.  Leider  konnte  sie,  ein  altes  Ding,  nicht  in 
Tätigkeit  gesetzt  werden,  weil  es  an  Schmiermitteln  gebrach.  Soll  sie 
arbeiten,  so  muss  vor  allem  ein  runder  eiserner  Stab  in  die  Röhre  in  der 
Mitte  —  sie  sieht  aus  wie  ein  kleines  Kanonenrohr  —  eingesetzt  werden, 
um  dessen  herausragenden  Teil  sich  die  Haarsträhnen  zu  schlingen  haben. 
Das  tun  sie,  die,  von  dem  Querarme  herabhängend,  mit  den  durch  Ge- 
wichte beschwerten  Fäden  der  Spulen  verknüpft  wurden,  wenn  durch 
Drehung  des  Handgriffes  die  Klöppel  (Simlen,  Fudenrollen)  in  kreisende, 
sich  kreuzende  Bewegung  kommen.  Um  das  den  eiserneu  Stab  fest  um- 
schliessende  Haargellecht  loszulösen,  muss  er  in  heisses  Wasser  getaucht 
TTerden;  dann  lässt  sich  der  Haarschlauch  leicht  abstreifen.     Ein  besonders 


Zeitsclirift  des  Vereins  für  \'olkslain(le.     1f)1S. 


Tafel  2.     Zu    Weinitz:    ScliniuckijeoeiistiiiKie  aus  MeMsdienliaareii. 


Abb.  1. 
Haararbeiteu  (Hannover). 


.\bb.  2. 
Haarblumenslrauss  (Frov.  hirandenburg). 


Abb.  3. 
Haarflei-htniaschine  (Nürnberg). 


Schmuckgegenstände  aus  Menschenhaaren. 


65 


gutes  Beispiel  eines  solchen  Erzeugnisses  einer  Klöppelmaschine  sieht 
man  in  dem  etwas  wuchtigen  oberen  Armbande  auf  unserer  Abb.  1.  Auch 
die  beiden  unteren  Uhrketten  gehören  zu  dieser  Gattung  von  Haar- 
arbeiten. Die  Yorstecknadel  und  der  Blumenkorb  sind  geklebte  Arbeiten, 
bei  letzterem  scheint  auch  die  Häkelnadel  in  Anwendung  gekommen  zu 
sein.  Ganz  erloschen  ist  diese  Handfertigkeit  auch  in  unserer  Zeit  nicht: 
das  Aufkleben  von  Haaren  um  Lichtbilder  Verstorbener  (im  Kriege  Ge- 
fiillener)  ist  noch  hier  und  da  üblich.  Aber  Armbänder,  Uhrketten  und 
ähnliche  Dinge  sind  aus  der  Mode  gekommen.  Sie  gehören,  wie  die 
Haarflechtmaschinen  selbst,  in  die  öffentlichen  Sammlungen. 

Nachtrag:  In  J.  P.  de  Memels  'Lustiger  Gesellschaft'  1660  (Kgl.  Bibl. 
Berlin  Yt  8881),  findet  sich  in  dem  Poetischen  Scherzgedicht  (S.  278, 
Nr.  688),  das  die  Modetorheiten  der  Zeit  verspottet'),  folgende  Stelle:  'und 
von  Haare  Brasiletten'  (also  Armbänder).  In  Eniilie  Berrins  Gründlicher 
Anweisung  für  Frauen  Haargeflechte  zu  fertigen  (um  1818)  wird  diese 
Kunstfertigkeit  eingehend  beschrieben.  Danach  ist  also  die  Herstellung 
von  Schmucksachen  aus  Haaren  durch  einfaches  Klöppeln  (ohne  Benutzung 
einer  Maschine)  in  noch  früheren  Zeiten  geübt  worden. 

Berlin. 


Kleine  Mitteilungen. 


Zum  deutsciuMi  »olksliede. 

,Vgl.  oben  12,  101.  215.  343.     13,  219.     14,  217.     IG,  181.     IS,  TG. 

50.  Die  Versuchung. 


21,  74.    2G,  178.) 


1.    Es  wollt  ein  Jäger  jagen, 
So  sagt'  er, 

Es  wollt  ein  Jäger  jagen 
Drei  Stunden  vor  dem  Tagen 
Im  Walde  hin  und  her: 


4.    'Ich  kann  vor  meinen  Hunden  nicht. 
So  sagt'  er, 

'Ich   kann  vor  meinen   Hunden  nicht, 
Bleib  Sie  nur,  Schönste,  wer  Sie  ist, 
Wohl  in  dem  Walde  frühl' 


2.    EinenHirsch,  einen  Hasen  und  ein  Reh,   5.    "Laß  Er  die  Hunde  laufen," 


So  sagt'  er. 
Er  grüßt  das  Mädchen  feine ; 
'Was  thut  Sie  so  alleine 
Wohl  in  dem  Wald  so  früh?' 

"Ich  will  mir  pflücken  Rosen," 
So  sagt'  sie, 

"Ich  will  hier  pflücken  Rosen; 
Wir  wollen  beide  kosen 
Wohl  in  dem  Walde  früh." 


So  sagt'  sie, 

"Laß  Er  die  Hunde  laufen. 
Wir  wollen  sie  verkaufen 
Wohl  in  dem  Walde  früh." 

G.    'Ich  kann  vor  meinen  Hasen  nicht', 
So  sagt'  er, 

'Ich  kann  vor  meinen  Hasen  nicht; 
Bleib  Sie  nur.  Schönste,  wer  Sie  ist, 
Wohl  in  dem  Walde  früh!' 


1)  F.  Gerhard,  J.  P.  de  Memels  Lustige  Gesellschaft  1893  S.  85  führt  auch  einen. 
Einzeldruck  dieses  Gedichtes  an,  dem  nur  leider  die  Jahreszahl  fehlt. 
Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1918.  5 


66.  ^ol'e: 

7.    "Laß,  Er  die  H^sen  schmausen,"  .10.    'Ich  kann  vor  meinep  Sporen  nicht.' 

[     So  sagt'.si^,  ^     '  So  .sagt'  er, 

'  "tafl  Er  die  Hasen  schmausen!  'Icli  kann  vor  meinen  Sporen  nicht; 

■Es  sind  ja  mehr  als  tausend  Bleib  Sie  nur,  Schönste,  wer  Sie  ist. 

Wohl  in  dein  Walde  früh."  Wolil  in  dem  Walde  fiüh!' 

8.-  'Ich  kann  vor  nieinem  Tferde  nicht.'  11.    •'Laß  Er  die  Sporen  klingen  " 
So- sagt'  er,        ,,   ,,.;  So  sagt'  sie,      • 

'Ich  kann  \or  meinem  Pferde  nicht;  Laß  Er  die  Sporen  klingen! 

Bleib  Sie  nur,  Schönste,  wer  Sie  ist.  Wir  wollen  beide  singen 

Wohl  in  dem  Walde  früh!'  Wohl  in  dem  Walde  früh." 

0.    "Laß  Er  das  Pferd  doch  stehen,"  12.    'Ach  Mädchen,  bist  du  rasend  blind?" 

So  sagt'  sie,  So  sagt'  er, 

.  "Laß  Er  das  Pferd  doch  stehen!  -Ich  bin  dein  Vater,  du  mein  Kind. 

Wir  beide  wollen  gehen  .^ch  Mädchen,  bist  du  rasend  blind 

Wohl  in  dem  Walde  früh."  Wohl  in  dem  AValde  früh?' 

Aufo-ezeichnet  auf  der  Insel  Rügen  von  E.  M.  Arndt  und  unter  dem  Titel 
•Jägerlicd'  veröffentlicht  in  der  Wünschelruthe,  hsg.  von  H.  Straube  und  J.  P. 
V.  Hornthal,  Göttingen  1818  S.  203,  sowie  aus  K.  Bouterwelis  Nachlass  in  Birlingcrs 
Alemannia  11,  üö  (1883).  —  Diese  in  Erk-Böhmes  Liederliort  fehlende  Hallade  liegt 
noch  in  mehreren  jüngeren  Auf/eichnungen  voi-:  aus  Ost-  und  Westpreussen  bei 
Frischbier,  Hundert  ostpreussische  Volkslieder  1893  nr.  17  =  Neue  Preuß.  Pro- 
vinzialbl.  3,  385  (l.s47.  'Gott  grüß  dich,  Reiter  hübsch  und  fein',  1 1  Str.)  und  Treichel, 
VülUslieder  aus  Westpreußen  ISü,")  nr.  7  ('Ach  Mädchen,  du  bist  schöne",  12  Str.), 
aus  dem  Schwarzwald  (?)  bei  Hansjakob,  Ausgewählte  Erzählungen  1,  222  (11  Str.), 
aus  Südungarn  in  den  Ethnologischen  Mitteilungen  aus  Ungarn  1,  356  (1887. 
'Wo  reit  der  rote  Ritter  hin',  Iti  Str.)  und  aus  der  Bukowina  (oben  15,  263. 
'Es  ritt  ein  Jäger  jagen',  13  Str.).  Meist  macht  eine  Erwiderung  des  Mädchens- 
don Schluss;  so  in  den  prßussischen  Passungen: 

"Ach,  hättst  mir  das  zuvor  gesagt". 

So  sprach  sie, 

"Ach,  hättst  mir  das  zuvor  gesagt, 

Eh  ich  die  Lieb  so  weit  gebracht 

In  diesem  Wald  allhie!" 

Die  hier  geschilderte  Begegnung  von  Jäger  und  Mädchen  verläuft  in  ungewöhn- 
licher Weise;  nicht  jener  wirbt  um  die  Schöne,  sondern  diese  sucht  in  der  Morgen- 
dämmerung den  Fremden  zum  Verweilen  zu  locken,  bis  er  sich  zu  ihrer  Be- 
schämung als  ihren  Vater  zu  erkennen  gibt.  Statt  des  Vaters  tritt  in  einem 
dänischen  Seitenstücke  hei  Grundtvig-Olrik.  Danraarks  gamle  Folkcviser  7,  4(14 
nr.  435  'Hr.  Peder  og  hans  Suster'  der  Bruder  des  leichtfertigen  Mädchens  auf; 
als  er  von  der  ihn  nicht  Erkennenden  unverblümt  aufgefordert  wird,  bei  ihr  zu  schlafen, 
sagt  er:  'Ich  kann  vor  meinem  Pferde  nicht.'  Sie  erwidert:  'So  bind  es  doch  im  Stall 
an!'  —  Ich  kann  vor  meinem  Sattel  nicht.  —  'So  häng  ihn  an  einen  Nagel!'  — 
Ich  kann  vor  meinem  Hute  nicht.  -  'Häng  ihn  doch  auf  einen  Pllock!'  —  Ich 
kann  vor  meinen  Handschuhen  nicht.  —  'Leg.  sie  doch  in  deinen  Hut!'  —  Ich 
kann  vor  meinem  Mantel  nicht.  —  'So  leg  ihn  auf  die  Bank!'  Da  warf  Herr 
Peter  den  weissen  Mantel  ab  und  stand  im  schonen  Hemde  da.  'Hör  an,  wer 
nähte  dir  dein  Hemd  so  fein'?'  —  Das  tat  Chrislinchen,  die  Schwester  mein.  — 
'Und  ist  Christinchen  die  Schwester  dein,  so  bist  du  gewiß  der  Bruder  mein.'  — 
Nun  geschieht  etwas  Unerwartetes,  Herr  Peter  zieht  sein  blankes  Messer  und  er- 
sticht Christinchen.     Dieser  blutige  Schluss,    in    den  Strophen    aus    einer  anderen 


Kleine  Mitteilungen.  67 

Ballade  (6,  266  nr.  357)  eingeflochten  simi.  fällt  aus  dem  Tone  der  übrigen 
Strophen  heraus  und  ist  schwerlich  ursprünglich.  Auch  sonst  weist  ja  der  1S(>2 
in  Fünen  aus  dem  Munde  einer  alten  Fr;ui  aufijozeichnete  Text  Verderbnisse  auf; 
denn  wenn  in  Str.  1  und  13  das  Mädchen  den  noch  nicht  erkannten  Bruder  mit 
seinen  Namen  'Herr  Peter'  anredet,  so  ist  das  ein  offenkundiges  Versehen.  Uarin 
aber  stimmt  die  dänische  Fassung  zu  den  noch  zu  erwähnenden  romanischen 
Liedern,  dass  die  Personen  in  der  Handlung  ein  Geschwisterpaar  sind. 

In  einer  französischen  Ballade,  welche  nicht  das  'V'''aldesdunkel  oder  das 
Bauerngehöft,  sondern  eine  sonnenbeschienene  Wiese  zum  Schauplatz  hat,  geht 
die  Versuchung  des  lebenslustigen  Mädchens  von  dem  nach  j:ihrelanger  Abwesenheit 
heimkehrenden  Bruder  aus.  Der  Jüngling  fragt  die  Mutter  nach  seiner  jungen 
Schwester  und  äussert  gemäss  seiner  Welterfahrung  die  Besorgnis,  sie  könne, 
wenn  sie  draussen  einsam  ihre  Schafe  weide,  von  Fremden  verführt  werden.  Die 
Mutter  ist  ihrer  Tochter  sicher,  allein  er  wettet,  dass  er  sie  verlocken  werde.  In 
der  Gestalt  eines  vornehmen  Reiters  naht  er  ihr,  bietet  ihr  eine  volle  Börse  oder 
einen  Ring,  und  sie  folgt  ihm  willig.  Da  gibt  er  sich  als  ihren  Bruder  zu  er- 
kennen, und  der  Tiefbeschämten  bleibt  nichts  übrig,  als  ihn  um  Schweigen  gegen- 
über den  Eltern  zu  bitten  oder,  wie  eine  Metzer  Fassung  berichtet,  im  Fluss  einen 
freiwilligen  Tod  zu  suchen.  Unter  den  zahlreichen  Aufzeichnungen  aus  ver- 
schiedenen Gegenden  Frankreichs^;  wähle  ich  die  erste  der  beiden  von  Puymaigre 
mitgeteilten  zum  Abdrucke  aus: 

L'epreave. 

1.  Ma  mere,  oii  est  ma  soeurV  ti.  Que  Dieu  te  garde,  belle  bergere, 
—  Mon  fils,  eile  est  aux  champs  Bergere,  en  gardant  tes  moutons, 
Garder  ses  moutons  blancs.                           Ensemble,  si  tu  veux,  nous  causerons. 

2.  Ma  mere,  n'avez-vous  pas  peur  d'elle?      7.    Ma  bergere,  jolie  bergere, 
Les  soldats  y  sont  si  frequents  j'ai  cent  ecus  a  vous  donner, 
Qu'il  y  en  a  parmi  les  champs.  La  belle,  s'il  vous  plait  de  m'aimer! 

3     —  Mon  fils,  quand  il  y  en  aurait  o  n  ^   ■         ■        i  ■ 

.,,  •'  8.    —  De  vos  Cent  ecus  le  n  en  ai  que 

mille,  •"  ' 


Dix  mille,  aussi  dix  millions, 
Jamals  votre  soeur  n'y  auront. 


faire, 

Je  n'ai  point  de  bourse  pour  les 
serrer : 


i.    Ma  mere,  voulez-vous  parier  La,  vous  pouvez  vous  retirer. 

Cent  pistoles,  et  qu'elle  ne  m'  recon- 

naisse  point.  '''■    '^"^^  "°®  ^®^^®  bourse,  jolie  bergere, 

Pf  ,-o  ,-..,„0  „...^.,,„*„       „  ;„  r„        ■  J'ai  une  belle  bourse  ä  vous  donner, 

tt  je  vous  proniets  ([ue  je  lemme-  ' 

nerai  bien    —  ^^  belle,  s'il  vous  plait  de  m  aimer. 

5.    A  pris  son  cheval  par  la  bride;  10.    La  belle  a  plante  sa  houlette: 

S'en  va,  riant,  tout  falottant,  —    Gardera  nies   moutons   qui  voudra, 

Trouver  la  bergere  aux  champs:  Avec  mon  amant  je  lu'en  vas. 


1)  E.  Legrand,  Romania  10,  368  nr.  ö  'Un  garpon  revenant  de  guerre'  (15  Str., 
Normandie).  Puymaigre,  Chants  populaires  du  pays  Messin  1881  1,  97  'Ma  mere, 
oü  est  ma  soeur'  (12  Str.).  1,  98  'Bonjour,  ma  mere,  oü  est  ma  soeur.'  C.  Lecocq, 
Revue  des  trad.  pop.  6,  SüB  'Bonjour,  ma  mere,  oü  est  allee  ma  soeur'  (l»  Str.). 
Guillon,  Chansons  pop.  de  l'.Ain  IS83  p.  63.  Millien,  Litterature  orale  du  Nivernais  2, 194 
(1908)  'Bonjour,  maman,  ma  eher'  maman'  il2,  19,  15  Str.).  Arbaud,  Chants  pop.  de 
la  Provence  2,  113  (186-1,  'Bonjour  pero,  mero  bonjour'  (13  >tr.).  Tiersot,  Chansons 
pop.  des  Alpes  franfaises  lÜO.S  p  113.  374.  Servettaz,  Chants  de  la  Savoie  1910  p.  29 
nr.  11  'Mere,  oü  est  allee  ma  soeur'  (10  Str.). 


68  Boltc: 

11.   Tenez,  ma  luire,  voilä  ma  soeur,         12.   La  belle  a  pris  si  grande  honte, 
Elle  est  i\  moi  si  je  voulais,  Dans  la  riviere  eile  va  se  jeter. 

Mais  c'est  ma  soeur,  je  n'oserais.  —  La  pauvre  fille  eile  s'a  noyöe. 

Aus  PVaiikrcich  ist  die  n.illade  nach  Oboritalien  gewandert;  allein  wenn  auch 
das  Metrum  der  dreizeiligen  Stroplie  in  die  italienischen  Fassungen^)  übernommen 
wurde,  so  hat  doch  derSchluss  eine  bemerkenswerte  Änderung  erfahren:  standhaft 
weist  die  Schäferin  alle  GaSien  des  Fremden,  Ring,  weisse  Schuhe,  Hut  und  Geld 
«urück:  'Sieben  Jahre  war  ich  Hirtin  und  trug  keinen  Goldrinf;,  so  will  ich  auch 
jetzt  keinen  tragen.'  Da  sitzt  der  Reiter  wieder  auf,  zieht  seinen  Hut  und  ruft: 
'Schöne  Hirtin,  ich  bin  dein  Bruder.'  Doch  eremprängt  eine  verächtliche  Antwort: 
'Dein  Gesicht  ist  nicht  das  eines  Bruders,  sondern  eines  Verräters.'  Er  hat  also 
seine  Wette  verloren*).  —  Wieder  eine  andere  Wendung  nimmt  die  bretonischc 
Ballade  vom  Bruder  und  von  der  Schwester').  Daheim  findet  der  nach  vielen 
Jahren  zurückkehrende  Soldat  eine  Stiefmutter  vor,  die  auf  die  Frage  nach  seiner 
kleinen  Schwester  Marianne  diese  eine  Strassendirne  schmäht.  Er  geht  zum  Teiche, 
wo  sie  wäscht,  und  spricht  sie  an.  Entrüstet  erwidert  sie:  'Ich  bin  kein  käuf- 
liches Mädchen;  hörte  mein  lieber  Bruder  in  der  Ferne  Eure  Rede,  so  würde  er 
Euch  alle  Knochen  zermalmen.'  Da  merkt  er,  dass  die  Stiefmutter  eine  boshafte 
Verleumderin  ist,  und  gibt  sich  zu  erkennen;  weinend  fallen  die  Geschwister  ein- 
ander in  die  Arme.  —  Ähnlich  stellt  in  der  portugiesischen  Xacara  (Pastourelle) 
von  der  schönen  Schäferin^)  der  aus  Brasilien  heimgekehrte  Bruder  die  Schwester, 
von  deren  Lebenswandel  Verleumder  ihm  Schlimmes  berichtet  hatten,  durch  einen 
Liebesantrag  auf  die  Probe  und  erfährt  zu  seiner  Freude  eine  Abweisung. 

Blicken  wir  einen  Augenblick  zurück!  Sowohl  die  zuletzt  genannte  breto- 
nische und  portugiesische  Ballade  als  die  französisch-italienische  Gruppe  liefert  uns 
das  klare  Bild  einer  zusammenhängenden  Handlung.  Absichtlich  prüft  der  nach  jahre- 
langer Abwesenheit  heimgekehrte  Bruder  die  Keuschheit  seiner  jungen  Schwester 
durch  einen  Liebesantrag  und  slösst  entweder  auf  williges  Entgegenkommen  oder  zu 
seiner  Freude  auf  eine  stolze  Abweisung.  Dagegen  mangelt  es  dem  deutschen 
und  dem  naheverwandten  dänischen  Liede,    die    sich  beide  auf   ein  Gespräch  des 


1)  Nigra,  Canti  popolari  del  Piemonte  1882  p.  403  nr.  78  'Tentazione':  'Gentil 
galant  ariva  d'  an  guera'  UO  Str.).  —  Marcoaldi,  Canti  pop.  inediti  18öü  p.  KU  'Che 
bei  giüdizi  d'  ün  padre  e  niadre'  (,12  Str.  Alessandria).  —  Ferraro,  Canti  pop.  mon- 
ferrini  1870  p.  'JO  nr.  (j7  'Dijme  an  p6,  o  pare  e  mare'  [12  Str)  =  Ulrich  nr.  77.  — 
Ferraro,  Canti  del  basso  Monferrato  1888  p.  55.  —  Archivio  delle  tradizioni  pop.  9, 
272  (Monferrato.  13  Str.).  18,  229  (Mantua.  17  Str'.  —  Righi,  C.  pop.  veronesi 
18fi3  p  34.  —  Ferrari,  Canti  di  Ferrara  1877  p.  74.  —  Bernoni,  C.  pop.  veneziani  XI,  1 
=  Ulrich.  Ital.  Volksronianzen  nr.  141.  —  Giannini,  Canti  pop.  della  montagua 
lucchese  1889  p.  179  'Vi  do  '1  buon  giorno,  o  padre,  o  madre'  (.16  Str.)  und  182 
'Dove  V  hai  mandata  la  figlia"  (13  Str.).  -  Archivio  3,  45  'Oh,  ben  troati,  nii'  pa', 
mi'  madre'  (15  Str.  Pistoja)  8,  283  'Che  vergogna  de  padre  e  madre'  (12  Str.  Massa 
Lunense'. 

2)  Denselben  Schluss  hat  eine  bei  Arbaud  2.  116  erwähnte  Fassung  aus  Nizza. 
Nur  in  einer  Version  aus  Genua  (Nigra  p.  405 1  und  in  einer  aus  Pistoja  (Archivio  3, 
4t>)  willigt  das  Mädchen  endlich  ein,  mit  in  den  Schatten  zu  gehen;  vgl  auch  Gian- 
nini p.  179. 

3)  Luzel,  Gweiziou  Breiz-lzel  1868  1,  203  und  '207  'Le  fröre  et  la  soeur.' 

4.  Hardung,  Romanceiro  portuguez  1S77  2,  71  'A  linda  pastoriuha'  teilt  vier 
Fassungen  nach  Almeida-Garrett,  Braga  und  Estacio  da  Veiga  mit;  zwei  weitere  bei 
Azevedo,  Romanceiro  do  archipelago  da  Madeira  1880  p.  '25  f.  260  Bellermann, 
Portugiesische  Volkslieder  1Ö64  S.  196  'A  pastorinha'  (mit  anderem  Schluss). 


Kleine  Mitteilungen.  69 

Mädchens  mit  dem  fremden  Reiter  ohne  epische  Einleitung  beschränken  und  in 
denen  die  Verlockung  auffälligerweise  von  dem  Mädchen  ausgeht,  an  völliger 
Klarheit.  Haben  wir  hier  nur  die  Trümmer  einer  älteren,  vollständigeren  Fassung 
vor  uns?  Undhingdie.se  mit  der  romanischen  Gruppe  zusammen?  Diese  Fragen 
mit  Sicherheit  zu  beantworten,  reicht  das  bis  jetzt  bekannte  Material  nicht  aus. 
Doch  scheint  mir  in  dem  allen  deutschen  Fassungen  gemeinsamen  Zuge,  wonach 
der  fremde  Reiter  nicht  der  Bruder  (wie  in  der  dänischen  Ballade),  sondern  der 
Vater  des  Mädchens  ist,  eine  spätere  Abwandlung  des  Stoffes  vorzuliegen. 

Es  gibt  aber  auch  lialladen  von  dem  Liebesgespräch  eines  unerkannten 
Bruders  mit  der  eigenen  Schwester,  in  denen  dieser  nicht  eine  Prüfung  ihrer  an- 
gezweifelten oder  verdächtigten  Sittsamkeit,  sondern  eine  ernstgemeinte  Wer- 
bung um  das  ihm  völlig  fremde  Mädchen  im  Sinne  hat  und  erst  durch  die 
Erkundigung  nach  ihren  Schicksalen  erfährt,  dass  die  Schwester  vor  ihm  steht.  In 
einer  spanischen  Romanze')  reitet  Don  Bueso  eines  Morgens  ins  Maurenland, 
ein  Liebchen  zu  suchen,  und  gewahrt  am  Quoll  eine  Wäscherin.  'Höre,  Mauren- 
mädchen, Judentochter,'  ruft  er,  'gib  meinem  Pferde  zu  trinken!"  "Ich  will  dem 
Pferde  und  dem  Reiter  zu  trinken  geben;  doch  bin  ich  keine  Maurin  oder  Jüdin, 
ich  bin  ein  gefangenes  Christenmädchen."  'Bist  du  eine  Christin,  so  komm  mit 
mir!'  Sie  willigt  ein  und  steigt  zu  ihm  aufs  Ross.  Als  sie  in  die  Nähe  von 
Sevilla  kommen,  jubelt  sie:  "Ich  sehe  das  Land,  wo  ich  geboren  wurde;  als  mein 
Vater  der  König  diesen  Ölbaum  pflanzte,  da  bekam  ich  ihn  zu  eigen."  Erstaunt 
erwidert  er:  'So  bist  du  meine  Schwester  Rosalinda.  Öffne  die  Tür,  Mutter!  Statt 
einer  Schwiegertochter  bring  ich  dir  eine  Tochter.'*)  —  Auch  in  einer  seit  dem 
17.  Jahrhundert  bezeugten  dänischen  Ballade^),  die  noch  in  schwedischen,  nor- 
wegischen und  isländischen  Niederschriften  vorliegt,  begegnet  uns  das  Gespräch 
zwischen  Ritter  und  Wäscherin  am  Bach;  die  Erkennung  vollzieht  sich  freilich 
weniger  dramatisch: 

'Schön  Jungfrau,  schön  Jungfrau,  verlob  dich  mir, 
Ein  breites  Goldband  geb  ich  dir.' 

—  Was  soll  ich  sagen  der  Pflegmutter  mein. 
Sieht  sie  mich  tragen  das  Goldband  dein? 

'So  sag,  du  wärst  gegangen  am  Strand 
Und  hättest  gefunden  das  Goldband  im  Sand.' 

—  Was  soll  ich  sägen  meiner  Pflegmutter  dann. 
Wenn  sie  schaut  meine  bleiche  Wang? 

'Schaut  sie  deine  Wange  bleich  so  sehr, 
Sag  ihr,  ich  wollte  dich  halten  in  Ehr! 

1)  Duran,  Romanceru  general  1,  LXV  (1849).  A.  de  los  Rios,  Jahrbuch  f. 
romanische  Literatur  3,  283  (1861.  Asturien).  In  der  Variante  ebd.  3,  28'2  befreit 
Don  Bueso  seine  Tochter.  —  Katalanisch:  Briz,  Cansons  de  la  terra  '2,  155  'Las 
dos  germanas'.  5,  91  'La  cativa,'  Milä,  Roraancerillo  1882  nr.  '250  'Los  dos  her- 
manos.' 

2)  Eine  gleiche  Erkennung  zweier  Geschwister  bildet  den  Schluss  der  portu- 
giesischen Romanze  von  der  Behexten  (Hardung  1,  49  'A  infeiti(;'ada".  Azevedo 
p.  340.  Bellermann  S.  128).  Die  Jungfrau,  die  der  Ritter  einsam  auf  der  Land- 
strasse antrifft  und  zu  sich  aufs  Pferd  hebt,  weiss  sich  klug  seiner  Zudringlichkeit 
zu  erwehren,  indem  sie  ihm  Krankheit  oder  Behexung  vorspiegelt,  ganz  wie  die 
Königstochter  aus  Frankreich  in  der  spanischen  Romanze  (Wolf-Hofmann,  Prima- 
vera 2,  82.  Geibel-Schack,  Romanzero  1860  S.  388.  Eichendorf f,  Werke  1,  788).  Die 
Verschmelzung  dieser  beiden  Motive  zeugt  aber  nicht  gerade  von  gutem  Geschmack. 

3)  Grundtvig-Olrik,  Danmarks  gamle  Folkeviser  6,  449  nr.  381  'Svend  og  bans 
Soater'.     W.  Grimm,  Altdänische  Heldenlieder  1811  S.  117  nr.  15. 


70  Bolce: 

Doch  willst  du  dich  nicht  verloben  mir, 

So  setz  dich  nieder  und  red  mit  mir! 

Setz  dich  nieder  auf  den  breiten  Stein 

Und  sag  mir  von  den  Eltern  dein!" 

—  Ich  war  gcboron  zur  Abendzeit, 

Meine  Mutter  war  tot  vor  Hahnenschrei. 

Die  Zeit,  wo  sie  legten  meine  Mutter  ins  Grab, 

Läutets  für  den  Vater  mein  in  der  Stadt. 

Und  allzumal  nun  sind  sie  tot. 

Die  mir  geben  sollten  Kleid  und  Brot. 

Nur  nicht  Herr  Svend,  mein  jüngster  Bruder, 

Der  bracht  mich  zu  meiner  Pflegemutter. 

Meine  Pflegemutter  hat  mich  gesaugt  und  erniihrt, 

Fremde  Jungfrauu  haben  mich  das  Nähen  gelehrt. 

Fremde  .Jungfraun  haben  mich  das  Nähen  gelehrt, 

Ich  selber  lehrte  mich  Zucht  und  Ehr. 

'Das  hör  ich  an  der  Kede  dein, 
Du  bist  die  liebe  Schwester  mein. 
Wohlan,  meine  Schwester,  trau  du  mir. 
Einen  feinen  Kitter  gcb  ich  dir. 
Kiimm,  Schwester,  kämm  dein  Haar  von  Gold, 
Einen  reichen  Kitter  du  empfangen  sollt. 
Freu  dich,  die  Hochzeit  soll  geschehn, 
Die  Märe  soll  weit  über  Dänemark  gehn." 

Das  Lied  iässt  es  im  unklaren,  oh  dem  Ritter  bei  dem  .Anblick  der  Jungfrau 
ein  Gedanke  an  die  lange  nicht  gesehene  Schwester  aufsteigt.  Man  kann  daher 
zweifeln,  ob  die  schwedische  Fassung')  von  den  Herausgebern  mit  Recht 
Prüfung'  betitelt  wurde.  Eine  einzige  Aufzeichnung  deutet  durch  einen  Zusatz  darauf 
hin,  dass  der  Ritter  durch  seine  Werbung  die  Scliwester  auf  die  Probe  steilen  wollte: 

'Hab  Dank  für  dies  Wort,  o  Schwester  mein! 
Meine  Schwester  bist  du,  ich  dein  Brüderlein. 
Und  hättst  du  vorhin  auf  mein  Wort  gehört, 
Dich  hätte  zu  Boden  geschlagen  mein  Schwert.' 

In  diesem  Zweifel  werden  wir  bestärkt,  wenn  wir  den  Blick  auf  die  deutsche 
Ballade  von  der  wiedergefundenen  Schwester-)  richten,  die  leider  nur  in  jungen, 
verwilderten  Aufzeichnungen  vorliegt,  aber  doch,  wie  Axel  Olrik  dargetan  hat,  bis 
ins  15.  Jahrhundert  zurückzureichen  scheint.  Eine  Königstochter  wird  als  Rind 
von  einem  Krämer  geraul)t  und  einer  Schenkwirtin  übergeben.  Nach  sieben  Jahren 
(der  in  diesem  Liederkreise  typischen  Zahl)  reitet  ihr  l^ruder  aus  und  kehrt  in 
einem    Wirtshaus  ein.     Er    sieht  die  schöne  Küchenmagd  (das  Südeli)  mit  VVohl- 


1)  Geijer  och  Afzelius,  Svenska  Folkvisor  1880  nr.  8  'Pröfningen".  Arwidsson, 
Svenska  Fornsanger  2,  2;i4  ur.  126  'Jungfrun  i  gröna  lund'  U837).  Deutsch  bei 
Mohnike,  Volkslieder  der  Schweden  1830  S.  51  und  Warrens,  Schwedische  Volks- 
lieder 18,J7  S.  IGT. 

2)  Erk-Böhme,  Liederhort  nr.  178  (=  Uhland  nr.  121  aus  einem  Schweizer  Lieder- 
drucke) und  ISla  -  c  (=  Hoffmann,  Schles.  Volkslieder  nr.  14.  Parisius  nr.  6b.  Reiffer- 
scheid  S.  109);  ferner  Parisius  ur.  Ca  (Altmark),  E.  Meier  nr.  215  (Schwaben)  und 
Dunger  1915  S.  16  (Vogtland).  Dagegen  ist  Erk-Böhme  nr.  179  von  Brentano  veri 
fasst  (Bode,  Vorlagen  in  des  Knaben  Wunderliorn  1909  S.  721 ;  Brentano,  Märchen 
1879  1,  272),  nr.  180  von  Zuccalmaglio,  und  beide  sind  ebenso  wie  Luise  Brach- 
manns Bearbeitung  (Dichtungen  1834  2,  42)  für  unsere  Untersuchung  nicht  zu  ver- 
werten. 


Kleine  Mitteilungen.  tl 

gefallen;  und  die' Wirtin  ist  soi'ort  bereit,  sie  ihm  für  die  Xaclit  zu  verkupiieln. 
Als  er,  durch  die  Tränen  des  Mädchens  gerührt,  nach  ihren  Eltern  und  Geschwistern 
fragt,  erfährt  er,  dass  er  seine  verlorene  Schwester  vorsieh  hat'),  hebt  sie  auf  Sein 
Pferd'und  reitet  heim.  Die  Muttei-  fragt:  'Ach  Sohn',  bringst  du  ein  Schntireiein?' 
'Es  ist  ja'nicht  ein  Schnürelein,'  antwortet  er,  'es  ist  euer  einziges  Töchterlein.'  — 
Mit  dieser  Ballade  stehn  verschiedene  niederländische,  skandinavische  und  slawische 
A-Qlkslieder  in  enger  Verwandtschaft.  In  dem  niederländischen  Liede  bei 
F.  van  Duyse,  Het  oude  nederlandsche  Lied  1,  97  nr.  16  ist  es  der  Kaiser  von 
Schweden,  in  einem  anderen  (Hoffmann  v.  Fallersleben  185l>  nr.  73)  ein  Sohn  des 
Herzogs  von  Traveerne,  der  in  der  Schonkmagd  seine  Schwester  erkennt.  Die 
dänischen  Balladen  von  der  wiedergefundenen  Schwester  (Grundtvig-Olrik  6,  42tl 
nr.  37S)  zerfallen  in  zwei  Gruppen,  eine  jütländische  aus  dem  17.  bis  19.  Jahr- 
hundert (378  E— H),  welche  durch  abenteuerliche  Züge. die  zu  roh  erscheinende 
Handlung  zu  verfeinern  und  auszuschmücken  trachtet,  und  eine  aus  den  jütischen 
und  schonischen  Adelsfamilien  des  16.  Jahrhunderts  stammende  (378  A— D),  in 
der  die  Vorgeschichte  und  der  Loskauf  der  Jungfrau  breit  ausgemalt  wird.  In 
jener  ersten  Gruppe  reitet  Ritter  Medelfar  (Guldbrand,  Feder)  durch  sieben  König- 
reiche, seine  Schwester  zu  suchen;  er  kommt  in  ein  Schloss  und  bewundert  die 
Schönheit  der  Burgherrin;  als  sie  erwidert,  viel  schöner  sei  ihre  Magd,  bietet  er 
ihr  zwölf  Mark  Goldes,  um  diese  sehen  zu  dürfen.  Die  Magd,  die  sieben  Jahre 
die. Sonne  nicht  sah,  wird  gerufen,  dem  Gaste  einen  Berber  zu  reichen;  sie  kleidet 
sich  prächtig,  und  wie  sie  eintritt,  ist's  als  ob  die  Sonne  leuchtete.  Der  Ritter 
ladet  die  Jungfrau  ein  niederzusitzen  und  fragt  nach  ihrem  Geschlecht;  als  er  die 
Schwester  in  ihr  erkennt,  hebt  er  sie  alsbald  aufs  Ross  und  reitet  davon,  während 
die  Königin  ihm  nachruft:  'Wäre  König  Hagen  hier,  du  hättest  die  Schwester 
nicht  bekommen.'  Noch  abenteuerlicher  wird  in  einer  schwedischen  Ballade^), 
die  auch  nach  Norwegen  und  Dänemark  gedrungen  ist,  die  boshafte  Schenkwirtin 
zu  einer  Meerfrau  umgewandelt.  —  Die  slawischen  Lieder')  entfernen  sich  nicht 
so  weit  von  dem  deutschen  Vorbilde.  Die  Jungfrau  ist  die  Tochter  des  Herrn 
von  Babor  in  Spanien  (i^echisch),  des  Königs  Dindesch  (slovakisch),  des  Kain- 
faler  (wendisch),    Bawolski  (polnisch)  oder  Karpij  (kleinrussisch)    und  von  Zigeu- 


1)  In  mehreren  Fassungen  (Erk-Böhme  nr.  181b.  c  und  Dunger  S.  16)  zieht  er 
ergrimmt  sein  Schwert  und  schlägt  der  Schenkwirtin  das  Haupt  ab. 

2)  Geijer  och  Afzelius  nr.  77  'Hafsfrun'  =  Mohnike,  Volkslieder  1830  S.  110. 
Arwidsson  2,  320  nr.  150.  Landstad  nr.  55.  Grundtvig-Olrik  6,  448  nr.  380.  —  Eine 
weitere  Veränderung  zeigt  die  dänische  Ballade  'Hr.  Vilmer  genfinder  sin  Fsestemö' 
(Grundtvig-Olrik  nr.  379  ;  hier  tritt  statt  des  Bruders  der  Bräutigam  als  Befreier  auf. 

;5)  Öechisch:  K.  J.  Erben,  Pisne  närodni  v  Öechäch  2  (1843),  39  nr.  161.  162; 
verdeutscht  im  Deutschen  Museum  1854,  2,  289,  bei  Waldau,  Bölimische  Granaten  1, 218 
1858)  undida  von  Düringsfeld,  Böhmische  Rosen  1851  S.  182;  vgl.  KrejCi,  oben  1,417. 
—  Mährisch:  Susil,  Moravske  narodni  pisne  1859  S.  177  nr.  175.  Bartos,  Mährische 
Volkslieder  1890  nr.  50.  —  Slovakisch:  J.  Kollär,  Närodnie  zpievanky  2,  5  (1835); 
verdeutscht  bei  Haupt-Schmaler  1,  329.  Ethnolog.  Äütt.  aus  Ungarn  1,  359  (1889).  — 
Wendisch:  Haupt-Schmaler,  Volkslieder  der  Wenden  1841  1,33  nr.  5  'Die  wieder- 
gefundene Schwester".  —  Polnisch:  Roger,  Piesni  ludu  polskiego  1863  nr.  132. 
Böckel,  Mitt.  der  schlesischen  Ges.  f.  Volkskunde  6,  47.  —  Kleinrussisch:  Z.  Pauli, 
Piesni  ludu  Ruskiego  2,  24  nr.  21;  verdeutscht  bei  Haupt-Schmaler  1,  329.  Bei  Staufe- 
Simiginowicz,  Kleinrussische  Volkslieder  1888  S.  116  kauft  der  Jüngling  das  Mädchen 
einem  Tataren  ab;  verkürzt  Antonovic  i  Drahomanov,  Istor.  pesni  malorusskago 
naroda  1,  277  =  Chodzko,  Chants  historiques  de  l'Ukraine  1879  p.  86.  —  Bulgaris  ch: 
Miladinovci  1861  nr.  87  =  Rosen  1879  S.  198. 


72  Bolte: 

nern  (cechisch),  oder  Fuhrleuten  (wendisch)  gestohlen  und  einer  Schenkwirtin  in 
Kolin  (cechisch),  Niedergurig  (wendisch)  oder  Lemberg  (kleinrussisch)  verkauft. 
Ihr  Bruder  hat  sie  sieben  Jahre  ^'esucht  und  viele  Pferde  (oOO  cechisch,  7  wen- 
disch) zuschanden  geritten;  er  erhält  die  schone  Magd  auf  sein  Verlangen  zur 
Schlafgesellin ').  entdeckt  im  Gespräch  ihre  Verwandtschaft  und  führt  sie  zu  seiner 
Mutter,  welche  die  wiedergefundene  Tochter  freudig  begrüsst  (Techisch,  wendisch). 
Die  Enthiiu[)tung  der  Wirtin  wird  im  cechischen  Liede  erziihlt,  im  wendischen 
indes  von  der  Jungfrau  verhindert. 

[Nachtniglicli  übersendet  mir  Herr  Prof.  Dr.  .7.  Horäk  in  Prag  freundliclist 
folgende  liemerkungen:  Die  südsl avischen  Volkslieder  von  der  Geschwisterehe 
zerlegt  J.  Mächal,  0  boliatyiskeni  epose  slovanskem  S.  82  in  drei  Gruppen:  1.  Die 
Schwester  des  Zaren  legt  diesem  schwierige  Aufgaben  auf;  der  Zar  lässt  den  Diakon, 
der  die  Ehe  nicht  einsegnen  will,  verbrennen,  gibt  aber  sein  Vorhaben  auf,  als  jener 
unversehrt  bleibt;  2.  der  Bruder  heiratet  die  unerkannte  Schwester;  :!.  der  Bruder 
kennt  seine  Schwester  nicht,  doch  kommt  es  nicht  zur  Vollziehung  der  Ehe.  Bei 
den  übrigen  Slaven  unterscheidet  Mächal  S.  i*31  eine  wendisch-öechische  Lieder- 
gruppe, die  zu  den  deutschen  Balladen  stimmt,  und  eine  kleinrussisch-weissrussische. 
Zur  ersteren  gehören:  Wendisch:  Haupt-Schmaler  1,  33  nr.  5.  2,  33  nr.  22.  Öasopis 
Mac.  serbs.  1882,  135.  1883,  35.  Markus,  Delnje  serbs.  ludowe  p6s.  1882  S.  20.  — 
Öechisch  aus  Böhmen:  Erl)en,  Pisnä  närodni  v  Öechäch  1843  2,  3i)  nr.  IGl.  162  = 
1^864  S.  483  nr.  IS»  =  3.  Aufl.  S.  541  nr.  19.  C.  Holas,  Ceske  när.  pisnc  4,  8  nr.  öa-b  = 
Cesk^  Lid  9,  277  nr.  G.  Aus  Mähren:  Susil,  Moravske  när.  pisnS  *  S.  177  nr.  175. 
Bartos,  Närod.  pfsne  moravske  1889  S.  39  nr.  50a— e  =  1901  S.  95  nr.  116a-c.  — 
Slovakisch:  KoUär  2,5  nr.  3  (Tochter  des  Königs  Dindes).  Jlisik,  Piesne  zo  Spisa 
S.  137  nr.  380  (drei  englische  Könige  finden  ihre  Schwester).  —  Polnisch:  Roger 
S.  73  nr.  132.  Kolberg,  Piesni  ludu  polskiego  18.57  S.  217  nr.  20a -h  ^in  den  Fa.ssungen 
abdh  kommt  es  zum  Incest,  in  andern  erkennen  sich  die  Geschwister  vorher. 
Kolberg,  Lud  12,  215  nr.  417.  Kolberg,  Majowszc  3,  281  nr.  400.  5,  nr.  330.  Lud  IG, 
292  nr.  477.  Wisla  2,  134  nr.  4.  18,  393.  Durchweg  fehlt  im  Polnischen  der  Hin- 
weis, dass  die  Schwester  als  kleines  Kind  von  Zigeunern  gestohlen  wurde:  nach 
vollbrachter  Sünde  will  sich  der  Bruder  töten.  —  In  der  ukrainisch-wei.'isrussischen 
Gruppe  sind  drei  Typen  zu  unterscheiden:  1.  Xachklänge  des  westslavi.'ichen  Typus. 
Ukrainisch:  Pauli  2,  24  nr.  21  nach  vollzogener  Ehe  unternimmt  der  Bruder  eine 
Wallfahrt .  Holovackyj,  Narod.  pesni  galic.  i  ugors.  Kusi  1,  73  nr.  28  ähnlich '.  2,  577 
nr.  6.  8,  27  nr.  IG.  Uubinsky,  Trudy  5,  201  nr.  407  :^das  sündige  Paar  wird  in  eine 
Blume,  Viola  tricolor,  die  das  Volk  'Bruder  samt  Schwester'  nennt,  verwandelt. 
Kostomarov,  (..:esammelte  Werke  1906  Buch  8,  Bd.  21,  518).  5,  917  nr.  485.  Etnograf. 
Zbimyk  9,  132  nr.  25.  Weissrussisch:  Zbiör  wiadom.  17,  163  nr.  73.  Gross- 
russisch: Sobolenskij,  Velikorus.  narod.  pi'Sni  1,  379  nr.  292— 293.  —  2.  Ein  Tatar 
(Türke)  verkauft  eine  Sklavin  einem  Herrn,  der  sie  daheim  nach  ihrer  Abstamm um,' 
fragt  und  in  ihr  seine  Schwester  erkennt.  Tkrainisch:  Pauli  1,  168  nr.  3.  Holo- 
vaökyj  1,45  nr.  (i  =  Antonoviö  i  Drahomanov  1,  275  nr.  63a.  Hotovackyj  3,  15  nr.  1. 
Ziei'ikiewicz,  Piosenki  grainne  ludu  pinskiego  1851  S.  194  =  Antonoviö  1,  277.  Kol- 
berg, Pokucie  2,  27  nr.  29—31.  Ausführlicher  ist  Antonoviö  1.  279.  —  3.  Der  Bruder 
ist  Rüuber  und  überfällt  seine  Schwester,  die  er  erst  nach  einigen  Fragen  erkennt. 
Ukrainisch:  Zbiör  wiad.  8,  8  nr.  9.  8,  lüG  nr.  127.  Weissrussisch:  Komanov, 
Belorus.  Sbornik  1,  1,  49  nr.  9G.  1,  44  nr.  85.  1,  13  nr.  26.  Zbior  wiad.  13,  90  nr.  14. 
Sumcov,  Kazbar,  etnograf.  trudov  E.  H.  Romanova  S.  34.  Lettisch:  Zbiör  16,  110 
nr.  5  (nach  weissrussischem  Vorbilde;  Schluss  verworren).  Zu  diesem  Typus  gehört 
wohl  das  grossrussische  Lied  von  den  neun  Brüdern,  die  Räuber  werden,  ihren 
Schwager  ermorden  und  die  Schwester  schünden  (Sobolevskij,  Velikorus.  narod.  pes. 
1,  250  nr.  178  ,  das  auch  bei  den  Weissrussen  i^Romanov  1,  379  nr.  121)  und  in  der 
Ukraina  (Kolberg,  Pokiicie  2,  30  nr.  33)  begegnet.] 

1)  Nur  im  kleinrussischen  Liede    liisst    er    sich    mit  ihr    in  der   Kirche  trauen. 


Kleine  Mitteilungen.  73 

Wenn  es  auch  zu  weit  führen  würde,  alle  Volkslieder  durchzugehen,  in  denen 
die  Entdeckung  und  Befreiung  eines  verlorenen  oder  entführten  Familienglicdes 
dargestellt  wird'),  so  müssen  wir  doch  zum  Schluss  der  berühmten  deutschen 
Ballade  'Es  steht  ein  Lind  in  jenem  Tal'^j  gedenken,  in  der  ein  aus  der  Fremde 
zurückkehrender  Jüngling  unerkannt  seine  Liebste  (nicht  die  Schwester)  einer 
Prüfung  ihrer  Treue  unterzieht.  Die  vermutlich  älteste,  schon  im  15.  Jahrh.  an- 
geführte Fassung  beginnt  mit  dem  Abschiede  des  Liebespaares  unter  der  Linde; 
übers  Jahr  verheisst  der  Reiter  wiederzukehren.  Zur  festgesetzten  Zeit  erwartet 
ihn  die  Jungfrau  am  selben  Platze,  erkennt  aber  den  Fremden  nicht,  der  sie  an- 
redet und  ihr  von  der  Vermählung  des  Liebsten  berichtet.  Als  sie  dem  Ungetreuen 
nicht  flucht,  sondern  ihm  alles  Gute  wünscht  und  den  Ring,  mit  dem  der  Reiter 
um  ihre  Liebe  wirbt,  weinend  zurückweist,  zieht  er  seinen  Hut  ab  und  gibt  sich 
der  Treubefundenen  zu  erkennen.  Die  andere  Fassung  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrh.  beginnt:  'Es  hat  ein  Megdlein  ein  Reutter  holdt'  und  beschränkt 
sich  auf  das  zweite  Zusammensein  der  Liebenden.  Nicht  ein  Jahr,  sondern  sieben 
hat  das  Mädchen  des  Buhlen  geharrt,  und  der  fremde  Reiter  sucht  die  darüber 
Klagende,  dass  ihr  Liebster  sie  ganz  vergessen   habe,    durch  das  Geschenk   eines 


1)  Vgl.  Uhland,  Schriften  4, 128—134.  Nicht  zugänglich  ist  mir  A.  l'rior,  Ancient 
danish  ballads  3,  460  —  487,  den  Olrik  6,  4'Jl)  erwähnt.  Die  Erkennung  zwischen  dem 
ins  Elternhaus  zurückgekehrten  Jüngling  und  seiner  Schwester,  welche  die  bei 
Friedel-Mielke,  Landeskunde  von  Brandenburg  3,  280  mitgeteilte  Potsdamer  Ballade 
darstellt,  stammt  aus  dem  hier  gekürzten  tragischen  Liede  von  den  Mordeltern 
(Erk-Böhme  nr.  50). 

'  2l  Erk-Böhme  1,  236  nr.  67  und  Kopp,  Eupliorion  9,  27;  vgl.  zur  Literatur  Köhler- 
Meier  ]8!)6  nr.  117;  Marria^'e  l'.i02  nr.  4;  Heeger  1909  nr.  20;  Meisinger  1913  nr.  6 
und  Dun-er  1915  S.  20.  269;  ferner  Hannov.  Geschichtsblätter  5,  124;  Hess.  Blätter 
für  Volksk.  9,  78;  Batocki  1910  nr  10;  Wolgakolonien  1914  nr.  25;  Zs.  f.  österr. 
yolksk.  21,  174  nr.  7  (Ungarn).  Chamisso,  Werke  1869  1,  183  'Liebesprobe'.  — 
Über  die  ausländischen  verwandten  Balladen  vgl.  Reifferscheid,  Westfälische  Volks- 
lieder 1879  S.  155— 158.  —  Niederländisch:  F.  van  Duyse  nr.  32.  —  Dänisch: 
Grundtvig4,  565  nr.  252  'Troskabpröven'.  253  'Junker  Jakob'.  '254  'Tro  som  Guld' 
Kristensen,  Gamle  viser  i  folkemunde  4,  85.  251.  '253.  306.  364.  Übersetzt  von  W. 
Grimm  1811  S.  212  und  Kestner,  oben  12,  6'2.  —  Schwedisch:  Arwidsson  3,  '229 
'En  riddare  pä  vär  äng'  (Kinderreigen).  —  Englisch:  Percy,  Reliques  1866  1,  211: 
B.  2,  nr.  18  'The  friar  of  Orders  gray'  (Bürger,  Bruder  Graurock  und  die  Pilgerin). 
Pittmann  &  Brown,  Songs  of  Scotland  p.  120  'The  soldier's  return'.  Beiden,  'The 
returned  lover'  im  Archiv  f.  neuere  Sprachen  120,  62  (1908).  —  Französisch:  Bu- 
jeaud  1895  1,  302.  Tarbe  p.  219.  '221.  Millien  2,  178  'La  bergere  qui  rencontre  le 
Soldat';  vgl.  2,  168.  Servettaz  p.  28  'L'amant  soldat  renie'.  —  Italienisch:  Bolte, 
oben  12,  58.  Nigra  nr.  54  'La  prova'.  Ulrich,  Ital.  Volksromanzen  1902  nr.  25. 
Heyse  1861  S.  131.  —  Albanisch:  Kaden,  Italiens  Wunderhorn  1878  S.  125  (ver- 
bla.sst).  —  Wendisch:  Haupt- Schmaler  1,  44.  72.  119.  158  nr.  1.5.  43.  87.  134.  2,  27 
nr.  15.  Casopis  Mac.  serbs.  1883,  5.  Markus  S.  11.  Casopis  musea  kräl.  öeskeho 
1830,  388  nr.  4.  1840,  216  nr.  1.  —  Öechisch  aus  Böhmen:  Erben»  S.  493  nr.  31  = 
3.  Aufl.  S.  552  nr.  31.  K.  M.  Jiriüeks  hsl.  Sammlung  im  Böhm.  Landesmuseum  3,  .58. 
Holas,  Ceske  när.  pis.  5,  11  nr.  6a— b.  Aus  Mähren;  Susil  1835  S.  71.  1840  1,  14  = 
Haupt-Schmaler  1,  344.  Wenzig,  Westslawischer  Märchenschatz  1858  S.  248.  Wal- 
dau  1,  60.  Krejci  oben  1,  418.;  Hauffen,  oben  4,  35.  Susil  1860  S.  113  m'.  114. 
Cernik,  Zpgny  moravs.  Kopanicärü  S.  150  nr.  219.  Bartos,  Närod.  pis.  moravs.  1901 
S.  79  nr.  103a— f.  —  Slovakisch:  Slovenske  Speny  1, 125  nr.  336.  3,  26  nr.  63.  3,108 
nr.  308.  —  Slovenisch:  Korytko  1,  51;  vgl.  Haupt -Schmaler  1,  343.  Vraz,  Narodne 
p6sni  ilirske  S.  60.    —    Rumänisch:    Obedenaru,    Texte  macedo-romäne  1891  p.  94. 


;74  B.ilte: 

Schleiers  und  eines  Rinsfes  und  erst,  als  sie  beides  von  sich  \yeist,  durcii  die  Nach- 
richt von  der  Verheiratung  ihres  Verlobten,  für  sich  zu  gewinnen: 

Was  zog  er  aus  seiner  Taschen? 
Bin  Schleirlein,  was  weiß  gewaschen:   . 
'Schöne  Jungfrau,  den  %vill  ich  euc.i  schenlien, 
Wollt  ihr  eures  Huhlen  nimmer  gedenken." 

"Und  wäre  der  Schleir  noch  so  lang, 
Daß  er  Tom  Himmel  bis  auf  die  Erden  gelang, 
Dennoch  wollt  ich  ihn  fahren  lan; 
Mein  Keinslieb  wollt  ich  wiederum  han." 

In  der  hsl.  Fassung  von  1574  (Euphorien  9,  28)  dagegen  will  die  Jungfrau,  die 
dem  fernen  Liebsten  nicht  zu  schreiben  weiss,  ihm  ihren  Schieier  senden,  dariiit 
er  ihrer  gedenke.  Ühereinsiinimung  mit  der  deutschen  Ballade  zeigen  einige 
niederländische,  dänische,  wendische,  cechische  Lieder,  namentlich  in  dem  Zuge, 
dass  das  Mädchen  dem  Liebsten  die  ihr  gemeldete  Untreue  verzeiht.  In  dem 
cechischen  Liede  bei  Waldau  1,  CO  flucht  sie  ihm,  als  ihr  der  Fremde  von  der 
Hochzeit  ihres  Verlobten  orziihU;  da  sieht  sie  den  Fremden  lächeln  und  erkennt 
an  semer  Hand  ihren  Ring  und   ändert  nun   den   Fluch    in   einen   Segenswunsch') 

Lasse  ihn  so  zahlreich  grüssen. 
Als  liier  Gräserhalme  spriessen. 
Send  so  oft  ihm  neuen  Segen, 
Als  es  Tröpf  lein  gibt  im  Regen. 

In  dänischen,  spanischen  und  italienischen  Seitenstückon  berichtet  der  Fremde  der 
Jungfrau,  ihr  Liebster  sei  gestorben;  sie  fällt  in  Ohnmacht,  und  als  sie  wieder 
erwacht,  erfolgt  die  freudige  Erkennung.  —  Häufig  aber  spielt  die  Liebesprobe 
sich  nicht  zwischen  Verlobten,  sondern  Eheleuten  ab,  und  der  heimkehrende 
Gatte,  der  bisweilen  seine  Frau  durch  die  Bosheit  der  Schwiegermutter  zur 
Schweinehirtin  erniedrigt  findet,  hat  seinerseits  eine  Prüfung  der  noch  zweifelnden 
Frau  zu  bestehen,  und  sich  als  ihren  rechtmässigen  Gemahl  auszuweisen-). 


1)  Neckisch  erwidert  im  wendischen  Liede  bei  Haupt-Schmaler  1,  141  nr.  IIS: 
vgl.  2,35  nr.  23,  das  Mädchen  dem  Burschen,  sie  habe  einen  andern  Schatz;  als  er 
aber  diesen  zu  erschiessen  droht,  sagt  sie  eili;;,  sie  meine  ihren  jüngsten  Bruder. 

2)  Vgl.  Splettstösser,  Der  heimkehrende  Gatte  und  sein  Weib  1899  S.  45f.  und 
80f.  —  Jüdischdeutsch:  Ginzburg  -  Marks  1901  nr.  271.  272.  —  Französisch: 
Ulrich,  Französ.  Volkslieder  1899  nr.  2  'L'ppouse  du  croise'.  Puyrnaigre  1881  1,  47 
nr.  2—3  fmit  Anm  ).  Champfleui-j-  IStiO  p.  195.  Heauquier  1894  p.  259.  Romania  1,  3G5. 
Tiersot  18K9  p.  IC.  Bnjeaud  1895  2,  87.  90.  220.  Melusine  2,  46.  8,  69.  Doncieux 
1904  p.  196  'La  porcheronne"    (mit  Anm.).    Tiersot  1903   p.  100.    Millien  1,  195-212. 

—  Bretonisch:  VillemarquO  1,248  'L'epouse  du  croise',  deutsch  bei  Keller-Secken- 
dorff  S.  3G  und  Hartmann-Pfau  S.  281.  Luzel,  Barzas  Breiz-lzel  1,  195.  197.  —  Räto- 
romanisch: Decurtins,  in  Gröbers  Grundriss  der  roman.  Philol.  2,  3,  224.  — 
Italienisch:  Oben  12,60.  Widter-Wolf  nr.  31  'La  moglie  fedele'.  Nigra  nr.  55 
'La  sposa  porcaja'   (Anm.).    TUrich  nr.  20.    113.    138.   159.    Archivio  12,  184.    18,  228. 

—  Spanisch:  Wolf-Hofmann  2,  87  nr.  155.  irrt!.  Vicufia  Cifuentes  1912  nr.  15-23. 
F.  Wolf,  Proben  S.  65.  145.  Geibel-Schack  S.375.  —  Katalanisch:  Mihi.  Roman- 
cerillo  1882  nr.  202.  203.  '234.  Brii  1,  169.  2,  191.  5,  67.  P.  Lanj;  19tX)  S.  20.  35.  — 
Portugicsiscli:  Hardung  1,  71.  Azevedo  p.  202.  Bellermann  S.  100.  Geibel-Schack 
S.  371.  —  Griechisch:  Passow  1860  nr.  441-447.  Jeannarakis  nr.  127.  261.  3»). 
Chasiotis  p.  89  nr.  28.  Arabantinos  nr.  348.  Firmenich  2,  127.  Kind,  Anthologie 
1861  S.  126.  130.  LübkeS.227.  229.  L.  Garnett  1,  191.  —  Cechisch:  Su.sil  1860  S.  131 
nr.l35  (poln.  Ursprungs). —Polnisch:  Kolberg,  Picsni  S.  224  nr.  22a  — p.    Lud  fi,  166 


Kleine  Mitteilungen.  '  7'5 

Als  Hauptmotive  fanden  wir  somit  in'  den  eben  flüchtig  gemusterten  Volks- 
balladen: A.  ein  Liebesgespräch  zwischen  einander  nicht  erkennenden  Bluts- 
verwandten, wobei  die  Werbung  in  der  Regel  (A^)  vom  Manne,  seltener  (A^)  vom 
Mädchen  ausgeht;  B'  eine  Prüfung  der  Schwester  auf  ihre  Sittsamkeit  oder 
(B^;  der  Verlobten  auf  ihre  Treue  oder  (B^)  der  Gattin  durch  den  heimkehrenden, 
unerkannten  Mann;  C  Erkennung  der  Schwester  oder  (C)  der  Tochter,  (C) 
des  Bruders,  (C*)  des  Verlobten  oder  (C^)  Gatten.  Das  Rügensche  Lied,  von 
dem  wir  ausgingen,  wäre  also  durch  die  Buchstaben  A^C^  zu  bezeichnen,  das 
dünische  von  Herrn  Peter  und  seiner  Schwester  durch  A^  C,  die  französische 
'Epreuve'  durch  B^  C^  das  deutsche  'Südeli'  durch  A^  C\  'Unter  der  Linde'  durch 
B'-^  C\  den  französischen  'Retour  du  mari'  durch  B^  C '  usw.  Dass  hier  Motive 
angeschlagen  werden,  die  in  der  Kunstliteratur  oft  verfeinerter  und  reicher  wieder- 
klingen, sei  durch  einen  Hinweis  auf  die  Geschwisterliebe  in  Lessings  'Nathan', 
Schillers  'Braut  von  Messina'  und  Goethes  'Geschwistern'  angedeutet').  Und  wenn 
in  den  letzten  Jahren  die  Erforschung  unserer  deutschen  Volksballaden  durch  ver- 
schiedene tüchtige  Arbeiten  (ich  nenne  nur  Ankenbrand,  Rosenmüller,  Schewe, 
Thietz,  Vollschwitz)  erwünschte  Förderung  erfahren  hat,  so  darf  man  wohl  zugleich 
den  Wunsch  aussprechen,  dass  sie  nach  dem  Vorgange  Uhlands,  R.  Köhlers,  Reiffer- 
scheids  die  internationalen  Beziehungen  nicht  ganz  aus  den  Augen  verlieren  möge. 


nr.  332-333.  Roger  S.  13  nr.  -25-26.  Zbiör  9,  183  nr.  33.  Gloger,  Pie.-;ni  ludu  S.  1G5 
nr.  29.  —  Slovenisch:  Strekelj,  Slovenske  nar.  pesmi  1,  276  nr.  215— 218.  —  Ser- 
bokroatisch und  bulgarisch:  M.  Chalanskij,  Juzno-slav.  skazanija  o  KralevicS 
Marke  1895  3,  636.  Für  die  slavischen  Lieder  vom  heimkehrenden  Gatten  verweist 
Hr.  Prof.  Horäk  auf  J.  Sozonovic,  K  voprosu  o  zapadnom  vlijanii  na  slavjanskuju 
i  ruskuju  poeziju  S.  261-547;  für  die  grossrussischen  Bylinen  von  Dobrynja  Nikitic 
auf  Sumcov,  Etnograf.  Obozr.  1893,  4,  14  und  Sozonovic  S.  511;  für  eine  polnisch- 
ukrainische  Liedergruppe  dieses  Stoffkreiseslauf  J.  N.  Ädanov,  Pesni  o  Knjare  Michajle 
in  ^ivaja  Starina  1890  2,  14.  —  Chinesisch:  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  1879  S.  212. 
1)  In  dem  uralten  Motiv  der  Geschwistcrliebe  kann  man  etwa  folgende 
Fälle  unterscheiden:  A.  der  Bruder  weist  die  unnatürliche  Leidenschaft  der  Schwester 
zurück;  so  Jama  die  Jami  im  Rig-Veda  10,  10  (Geldner-Kaegi,  70  Lieder  des  Rig- 
Veda  1875  S.  142),  oder  Kaunos  die  Byblis  (Rohde,  Der  griech.  Roman  1879  S.  36.  94. 
Röscher,  Mytholog.  Lexikon  1,  839.  2,  1006)  oder  der  dänische  Ritter  seine  Schwester 
bei  Grundtvig,  DgF.  nr.  437 ;  umgekehrt  ist  das  Verhältnis  beider  in  dem  litauischen 
Liede  oben  7,  182;  —  B.  die  Geschwisterehe  wird  vollzogen,  aber  durch  langjährige 
Busse  gesühnt,  wie  in  der  Gregoriuslegende  (R.  Köhler  2,  173,  199),  während  ander- 
wärts der  bewusst  oder  in  Übereilung  begangenen  Blutschande  die  Tötung  des  Mäd- 
chens durch  den  Vater,  Bruder  oder  durch  eigene  Hand  folgt,  wie  in  den  Balladen 
bei  Grundtvig  nr.  434.  438.  439  und  Child  nr.  50-52  oder  in  der  Kulterwo-Episode 
des  Kalevala  (.Schiefner  1852  S.213,  35.  Rune);  —  C.  die  miteinander  als  Geschwister 
Aufgewachsenen  entdecken  zu  ihrer  Freude,  dass  sie  nicht  blutsverwandt  sind;  vgl_ 
Goethes  Geschwister  oder  Paul  Heyses  Weinhüter  (Novellen '2,  .301.  1872);  —  D.  zwei 
Liebende  verzichten  auf  ihre  Vereinigung,  weil  sie  sich  plötzlich  als  Geschwister 
erkennen;  vgl.  Lessings  Nathan  (E.  Schmidt,  Lessing* 2,  361),  das  dänische  Volks- 
lied von  Sverkel  und  seiner  Schwester  (Grundtvig  nr.  4o6  =  Talvj,  Charakteristik 
1840  S.  261.  Andersens  Singspiel  'Liden  Kirsten'  1846)  und  unsre  Ballade;  auch  eine 
Novelle  von  Wilbrandt  (Die  Geschwister  von  Portovenere.  Daheim  1870,  113)  gehört 
hierher;  in  Schillers  Braut  von  Messina  wird  ein  tragisches  Ende  dadurch  herbei- 
geführt, dass  zwei  Brüder  zugleich  in  Leidenschaft  zu  ihrer  unbekannten  Schwester 
entbrennen.  Im  'Neuen  Menoza'  von  Lenz  (1774)  flieht  die  Neuvermählte,  als  sie  von 
der  Blutsverwandtschaft  hört,  kehrt  aber,  nachdem  eine  Kindervertauschung  auf- 
gedeckt ist,  wieder  zu  ihrem  Ehegatten  zurück. 


76  '  Bolte: 

51.  Das  Haurenlob. 

In  der.paurenweis  S(overin]  Kriegsauer. 
1. 
Ey  wie  kompts  doch,  das  man  so  vngeschlachte 
Die  arm  elenden  pauren  gar  verachte? 
Kein  dreüer  volck  ist  nüt  auff  erdt. 

Sie  pflant/.en  vns  den  wein,  die  edlen  reben, 
5  Der  aler  weit  thutt  freüd  vnd  labung  geben; 
Die  pauren  sünd  mir  lieb  vnd  werdt. 

Die  bauren  reuten  wol  fünff  pferd, 
Das  ander  Icütt 
Noch  wol  7.H  fues  herdraben, 
10   Weil  durch  die  pauren  alle  gottesgaben 
Gepflanzett  württ,  wein  vnd  gedreütt. 
2. 
Kein  adel  ist  auff  gantzer  erden  weiitte 
So  erlich  als  der  pauren  adel  heütte; 
Er  ist  von  menschen  nie  geborn, 
15  Dan  in  formierett  selb  der  schöpffer  weise, 

Vnd  war  der  erst  mensch  in  dem  baradeise. 
Von  dem  wir  al  gezeigt  sünd  wom. 
Fürsten,  herren  höh  auserkom. 
Arme  vnd  reich 
20   Vnd  was  auff  erd  thutt  leben, 

Kompt  als  von  bauren;  so  hoch  sie  sich  erheben, 
So  giltts  vor  gott  alles  geleich. 

3. 

Darum  kein  mensch  auff  erd  sol  nit  verachten 
Die  fromen  bauren,  sonder  mehr  bedrachten, 
L'5  Das  er  von  bauren  komen  ist. 

Der  baur  mus  vns  erhaltten  vnd  auch  nöhron, 
Von  seiner  fuetterweid  wür  alle  zören, 
Wer  in  veracht,  der  ist  kein  Christ. 
Kein  mangel  nitt  so  klein  gebrist, 
:!0  Man  schickht  darob. 

Man  mus  ein  bauren  haben 

Zum  hacken,  reütten,  hauen,  graben. 

Darum  sing  ich  des  bauren  lob. 

Anno  1G15  jar  geschriben  den  15.  dag  hor[nung]. 
Anonymes  Moistorlied    aus    dem  Münchner  Cod.  gerni.  .')-45ö,    Bl.  175  nr.  l.>9- 

52.  Steirisches  Bauernleben. 

1.  Mi  gfreut  jo  das  bäurische  Lobm, 
Weil  i  holt  Franzi  hoaß,  bleib  i  danöbm. 
Bin  i  a  Baur,  so  bleib  is  recht  gcarn, 
Tausch  jo  mit  koanen  kloanen  Hearn. 

2.  Möcht  wissn,  wos  d  Hearn  guats  hobm. 

Das  oam  mol  hobms  Daubm,  s  oam  mol  hobms  Robm. 
Nudl  und  Strudl  des  iß  i  reacht  gearn, 
Knüdl  und  hoarnarn  Störz,  lluabm  und  Mörn. 

3.  Die  Hearn  dö  hobm  grausliche  Speien, 

S  graust  oam  wie  em  Ratzen  und  em  Miiusn, 
Schildkröttn,  Schnegn  und  allerhond  Dier; 
Mir  obr,  mir  Bauan.  hobm  Kropfn  dafür. 


Kleine  Mitteilungen.  .  77 

4.  Dö  Hearn,  wann  die  gean  zun  öaßn, 
Soa  tharns  n  Wein  in  Glasin  ausmöaßn. 
Bei  uns  Bauan  do  hots  jo  koa  Zil, 
Donach  daß  oan  durscht,  trinkt  oana  vil. 

5.  Dö  Hearn  thoarn  Gsundheit  trinken, 
Mir  obr  Bauan  thorn  nur  glei  winken. 

Do  hoaßt  na  glei;  Bruada,  i  bring  das  dir  zue, 
Odr  geh,  lock  mi  im  M ,  do  host  in  Kruag. 

6.  Und  wann  i  i  d  Stadt  liinein  geh, 

Do  thuat  maa  stoarnane  Pflasta  so  weh. 

Bei  uns  in  Dorf  is  so  fai  und  öbm, 

So  dann  a  Graberl,  so  geht  ma  danöbni. 

7.  Die  Bauan  wern  hiezt  scho  vil  gscheida, 
Hiez  bauus  öai-nari  Häuser  af  freier  Weide. 
Do  is  es  jo  so  fai  und  so  lind. 

Daß  ma  koan  oanzigan  Stoa  nit  wornimt. 

Aus  einem  hsl.  Liederbuche  in  der  Veitsch  von  K.  Weinhold  um  1859  ab- 
geschrieben. Die  Gross-  und  die  Kiein-Veitsch  sind  Gemeinden  an  der  gegen 
60W  Fuss  hohen  Veitschalpe  zwischen  Allenz  und  Neuberg  in  Obersteier. 

Andere  Loblieder  auf  das  Bauernleben  habe  ich  1890  in  der  Gclegenheits- 
schrift  'Der  Bauer  im  deutschen  Liede'  (Acta  germanica  1,  3)  S.  112  nr.  1—42 
aufgezählt;  dazu  mögen  hier  ein  paar  Nachtrüge  folgen. 

Zu  nr.  2.  'Ain  ritter  und  ain  pauman'.  Erk-Böhme  3,  27  nr.  1079.  —  Ähnliche 
Kampfgespräche  ebd.  nr.  1080.  1571.  Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit 
1877,  369  (Altercatio  rusticorum  et  clericorum).  St.  Gallener  Cod.  985,  S.  41(.;. 
V.  Boltz,  Weltspiegel  1550  v.  1714  (Bächtold,  Schweizer.  Schauspiele  2,  177).  Zurflüe, 
Bruder  Klaus  1601  (Bächtold,  Geschichte  der  Literatur  in  der  Schweiz  1892  S.  389. 
Ebd.  Anm.  S.  103  über  C.  Murer).  Hartmann,  Volksschauspiele  1880  S.  23.  Bolte- 
Polivka,  Märchen-Anmerkungen  3,  311  f.  —  5.  'Gesang  das  wil  ich  heben  an'.  Von 
Peter  Frey.  Flugblätter  in  Zwickau  und  bei  Maltzahn,  Bücherschatz  1875  S.  319, 
806;  hsl.  in  Luzern  (Bächtold,  Gesch.  der  Lit.  Anm.  S.  125).  W.  Sarcerius,  Geist- 
licher Herbarius  1,  61  (1573)  =  Grässe,  Des  dt.  Landmanns  Practica  1859  S.  VII.  — 
«.  'Ein  Sach  nehm  ich  zu  Muth'.  Grillenvertreiber  1,  96  (1670)  =  v.  d.  Hagen, 
Narrenbuch  1811  S.  456  —  7.  'Nun  merckend  auff,  ihr  lieben  Freund'.  Erk-Böhme  3, 
390  nr.  1548.  —  8.  'Merket  auf,  ihr  Christenleut'.  Sztachovicz,  Brautsprüche  1867 
S.  143.  Unser  Egerland  2,  46.  Puymaigre,  Folklore  1885  S.  150.  Sibylla  Schuster, 
Ophiletes  1685  S.  145.  —  II.  'So  freue  dich,  lieber  Bauersmann'.  F.  Günther,  Die 
schlesische  Volksliedforschung  1916  S  125.  —  13.  'Ihr  frommen  Bauern,  kommt 
heran'.  Erks  Nachlass  28,  467.  —  lö.  'Ihr  Herren,  schweigt  ein  wenig  still'.  Weinhold, 
Mitt.  des  histor.  V.  f.  Steiermark  1859  S.  11.  Sztachovics  1867  S.  146.  Kohl,  Heitere 
Volksgesänge  1908  S.  24.  Schweiz.  Archiv  5,  35  nr.  53.  Amft  1911  nr.  1(!3.  —  18.  'Ein 
Bauer  ist  ein  Ehrenmann'.  Haltrich,  Zur  Volkskunde  der  Siebenbürger  1885  S.  118. 
—  20.  'Wy  boeren  en  boerinnen'.  F.  van  Duyse,  Het  oude  nederlandsche  lied  1, 
828  nr.  226.  —  22.  'Mein  Vatter  ist  kein  Edelmann'.  Des  uhralten  Leyer-Matzs 
lustiger  Correspondentz-Geist  1668  S.  117  nr  167a  (12  Str.  abweichend.  Berlin 
Yt  9376).  Berliner  Ms.  gerra.  oct.  429,  Bl.  IIa.  Sztachovics  S.  148.  —  24.  'Bin  ich 
der  lustige  Bauer'.  Kohl  1908  S.  25.  —  28.  'S  Baua  sein  das  ist  mein  Leibm'. 
Kohl  1908  S.  10.  -  35.  'Die  Buechiberger  Bure'.  Erk-Böhme  3,  390  nr.  1549.  - 
37.  'Nach  dem  Winter  so  kompt  uns  der  Sommer  herzue'.  Flugblatt  1631  (10  Str.) 
bei  Maltzahn,  Bücherschatz  S.  319,  805.  —  42.  'Was  wollen  wir  singen  und  heben 
'  an?'  Böhme  nr.  588.  Bäumker  2,  372  nr.  436.  Haxthausen  nr.  20.  Erk-Böhme  3,  840 
nr.  2144.  Lerond,  Lothringische  Sammelmappe  1,  40  (1890).  Flugblätter  Berlin 
Hymn.  5020.     Erks  Nachlass  29,  381. 


TS"  ..:  Bolte,  Lucki: 

Ferner  einige  weitere  Dichtungen: 

'Leut  uff  dem  land  wil  ich  uch  nemen  her'.    3  Str.  —  Michel  Beheim,  Heidelberger 

Cod.  germ.  312  (Bartsch  147),  Bl.  2S0b. 
'Die    lerch    und    auch    die    nachtigal'.      5   Str.    —    Hans    Rosenplüt    bei    Keller, 

Fastnachtspiele  3,  1113. 
'So  schweygt  stil  vnd  hört  auff  leyse'.    —    Spruch    von    den    baurn.    Leyptzck  1521 

(Weimar).     Vgl.  Weller,  Annalen  1,  208  nr.  -10. 
'Ich  pin  ein  armer  pauersmon'.    13  V.  —  Hans  Sachs  1569  (Werke  ed.  Keller-Goetze 

23,  442). 
Matthias  Reichelt,  Der  selige  vnd  fröliche  Ackerßniann.     Leipzig  1602  (Berlin  Yh 

7071.    In  Reimpaaren  . 
Joachim  Berlin,    Der  Bawren  Haushaltung.     Wittenberg  IGOü,   4"  (Berlin  Yh  7061. 

7082.    In  Reimpaaren)  =  Joh.  Coler,    Calendarium  perpetuum,    ander  Teil  1607, 

Bl.  E  1  a  (Berlin  Ov  1696).     Vgl.  Weller,  Annalen  1,  362. 
'Zu  Fasten  da   gehet   der  Sommer   heran'.    6  Str.    —    Flugblatt   des    17.  Jahrh.  bei 

Weinhold,  Mitt.  des  histor    V.  f.  Steiermai-k  1859  S.  10. 
'Als  ich  einmal  ausritt  hetzen'.    12  Str.    —    Ditfurth,  Volks-  und  Gesellschaftslieder 

1872  nr.  17. 
'Als  ich  newlich  ausspatzierte".  15  Str.  —  J.  P.  de  Memel,  Lustige  Gesellschaft  1657 

S.  239  =  1660  S.  203  zu  nr.  501. 
'Jedem  Lappen  gfalt  sein  Khapp'.  34  Str.  —  J.  A.  Poyssl  1683  im  Archiv  f.  neuere 

Sprachen  122,  241  (li)09:. 
'Pasche  uff.  ihr  chrischtlich  Litt'.    7  Str.  —  Lerond  1,  3  (1890). 
'Wann  der  Bauer  wäre  tot,  wo  hält  dann  der  Bürger  s  Hrod'.  19  Str.  —  Hamburger 

Drehorgcllieder  1,  322  (Bibl.  des  Vereins  f.  Hamburg.  Geschichte\ 
'Wer  hat  den  Namen  gering  reich?    Der  Bauer.    8  Str.  —  Ebd.  1,  6.  90.  153. 
'Ich  lebe  als  Landmann  zufrieden.    3  Str.   —    Erk-Böhme  3,   391  nr.  1551.   W^olfram 

nr.  364.    Schremmer  nr.  199. 
'Wie  schön  ist  das  ländliche  Leben'.  5  Str.  —  Wolfram  nr.  365. 
'Mir  Leit  uffem  Lande'.  6  Str.  —  Nach  Gleim.  Erk-Böhme  3,  392  nr.  1552.  Marriage 

nr  70.    Meisinger  1913  nr.  223.  Pfaff,  Volkskunde  im  Breisgau  1906  S.  145. 
'Fröhlich  und  nicht  verzagt'.    5  Str.  —   Sztachovics  S.  149. 
'Lustig,  mia  Bauarn,  mia  hobms  nur  gräd  fein'.    5  Str.  —  Kohl  1908  S.  26. 
'Lustig,  wir  Bauern,  wanns  Wetter  nit  schlagt'.    7  Str.  —  E.  Schnell,  St.  Nicolaus  4, 

49  (1885). 
'O  Bauerstand,  o  Bauerstand'.    16  Str.  —  .M.  v.  Sehen kendorf  1813  (Gedichte  1878 

■  S.  53). 
'Wie  es-ter  de  voor  vant  land?'    13  Str.  —  Firmenich  3,  662. 
'Laet  ons  den  landtnian  loven'.    10  Str.  —  F.  van  Duyse,    Het  oude  ndl.  lied  1,  815 

nr.  224  a. 
'Als  ic  aenmercke    al    dat   de  werelt  hout  bevaen'.     9  Str.    —    F.  van  Duyse  1,   817 

nr.  224  b. 
'Als   vader  Adam    spitten    en   moeder  Eva   span'.     12  Str.    —    F.  van  Duyse  1,    '21 

nr.  225  a. 
'Den  beer   en    lants-mau    nioct    ick    altijt   eeren'.     10  Str.    —    !•".  van  Duyse  1,   ?23 

nr.  '225  b. 
'Adam  onzen  vader'.    9  Str.    —    Het  vermakelyke  Haagse  Bos  1773  S.  25  (^Berl  n  Zf 

7561,  1). 

Berlin.  Johannes  Bolto. 


Kleine  Mitteilungen.  79 

Ein  Schilfleiii  sab  ich  fahren,  Kapitän  und  Leuteuant. 

In  einem  Aufsatz  „Die  Entwicklung  des  deutschen  Soldatenliedes",  den  ich 
im  November  1915  in  "Westeinianns  Monatsheften  veröffentlichte'),  hatte  ich  auch 
das  Lied  -Ein  Schifflein  sah  ich  fahren"  erwähnt  und  dazu  bemerkt,  dass  in  ihm 
wahrscheinlich  die  Erinnerung  an  die  Überscefahrten  deutscher,  von  England  ge- 
kaufter Truppen  nachklinge.  Ich  ahnte  damals  noch  nicht,  dass  sich  diese  Ver- 
mutung-) zur  Höhe  einer  Tatsache  erheben  liesse. 

Da  erhielt  ich,  genau  ein  Jahr  nach  dem  Erscheinen  meines  Aufsatzes,  ein 
Schreiben  des  in  Hannover  im  Ruhestande  lebenden  Wirklichen  Geheimen  Kriegs- 
rats Jüngst,  in  dem  mir  dieser  Herr  mitteilte,  dass  er  über  Zeit,  Ort  und  Ver- 
anlassung der  Entstehung  des  Liedes  und  sogar  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit 
über  die  Person  seines  Verfassers  etwas  auszusagen  vermöchte  und  mich  für  die 
Einzelheiten  auf  eine  dem  Briefe  beigefügte  Niederschrift  verwies,  die  er,  ver- 
anlasst durch  meinen  Aufsatz  in  Westernianns  Monatsheften,  angefertigt  hatte  und 
mir  zustellte,  um  „vielleicht  auf  diesem  Wege  zu  verhüten,  dass  das  Ergebnis 
seiner  Erinnerung  mit  ihm  verlösche."  Ich  habe  daraufhin  den  Absender  auf- 
gesuclit  und  fand  in  ihm  einen  damals  Dljilhrigen  Herren  von  erstaunlicher 
geistiger  Frische.  Nur  war  er  leider  fast  völlig  taub,  so  dass  die  mündliche  Ver- 
ständigung mit  ihm  nicht  unerhebliche  Schwierigkeiten  bot.  Ich  versuchte,  ihn  zu 
veranlassen,  das,  was  er  zu  dem  Lieiie  zu  sagen  hatte,  von  sich  aus  zu  veröffent- 
lichen und  wiederholte  diesen  Versuch,  nachdem  mir  John  Meiers  Beitrag  zu  dem 
Liede^J  bekannt  geworden  war,  den  ich  ihm  zur  Einsicht  übersandte.  Herr  Jüngst 
schien  auch,  wie  er  mir  unter  dem  25.  Januar  1917  mitteilte,  geneigt,  dem  \  ollis- 
liederarchiv  seine  Aufzeichnungen  zu  übergeben,  ist  aber  dazu  nicht  mehr  ge- 
kommen. Am  19.  März  d.  Js.  hat  ein  Uniilücksfall  seinem  Leben  ein  Ende  ge- 
macht So  darf  ich  mich  als  den  Vollstrecker  seines  letzten  Willens  in  bezug  auf 
sein  Lieblingslied  betrachten,  wenn  ich  im  folgenden,  was  er  mir  darüber  mit- 
geteilt, veröffentliche.  Aber  auch,  was  ich  aus  Eigenem  dazugebe,  gehört  schliess- 
lich dem  Dahingeschiedenen,  da  ich  nur  den  von  ihm  aufgedeckten  Spuren  weiter 
nachgegangen  bin. 

1.  Die  ÜberHeferung  über  die  Entstehung  des  Liedes  nach  Jüngst. 

Das  Lied  „Ein  Schifflein  sah  ich  fahren"  wurde  in  der  althannoverschen 
Artillerie,  in  welche  ich  im  Sommer  l>i4ü  eingetreten  war,  mit  Vorliebe  gesungen, 
auch  wurde  dort  die  Geschichte  über  seine  Entstehung  erzählt  und  im  Wege  der 
Tradition  festgehalten.     Diese  Traditionserzählung  lautete: 

Im  vorigen  Jahrhundert,  als  die  Hannoverschen  Kurfürsten  zugleich  als 
Könige  auf  dem  englischen  Throne  sassen,  und  zugleich  in  England  und  in 
Hannover  regierten,  kam  es  häufig  vor,  dass  Hannoversche  Truppen  zeitweilig  in 
englische  hienste  traten  und  Übersee  verwendet  wurden.  So  wnnlen  auch  einmal 
einige  Regimenter  Infanterie  naih  Ostindien  geschickt.  Diese  Trupprn  wurden 
bei  unserer  Festung  Stade  auf  der  Elbe  eingeschifft.  Von  den  zu  diesem  Trans- 
port benutzten  Schiffen  hatte  eins,  auf  welchem  sich  3  Kompagnien  befanden,  eine 
stürmische  Fahrt  und  musste  wegen  schwerer  Havarie  nach  der  Elbe  zurück. 
Dort  blieb  dasselbe  mehrere  Monate  liegen,    bis  es  von  Neuem  ausfahren  konnte. 


r.  Band  119,  412-42(\ 

2)  Sie  gründete  sich  auf  die  Anmerkungen  zu  Erk-Böhme,  Deutscher  Liederhort 
Nr.  1324-1326 

3)  Schweizerisches  Archiv  für  Volkskunde  20,  206-229  (1916). 


80  I.ucke: 

Während  dieses  Aufenthalts  l)efand  sich  die  Mannschaft  in  schlechten  Verhält- 
nissen, es  entstanden  Krankheiten  und  Missmut,  und  die  Leute  fingen  an  zu 
desertieren. 

Da  kam  der  zufällig  auf  diesem  Schiffe  mit  untergebrachte  Regimentsarzt  auf 
den  Gedanken,  die  Stimmung  der  Soldaten  durch  anregende  Unterhaltung,  Spiel 
und  Gesang  zu  heben,  und  fand  in  diesem  Bestreben  durch  eine  ihren  Vater  be- 
gleitende, aufgeweckte  Feldwobeltochtor  lebhafte  Unterstützung.  Dabey  entstand 
das  hier  in  Rede  stehende  Lied,  welches,  da  es  mit  einer  Tanzaufführung  ver- 
bunden wurde,  richtiger  als  Singspiel  zu  bezeichnen  ist.  Der  Vollständigkeit 
halber  will  ich  hier  den  Wortlaut,  wie  wir  den.selben  sangen,  folgen  lassen*).  .  .  . 
Dass  der  Schlussvers  nicht  so  übel  gemeint  ist,  gehl  daraus  hervor,  dass  die 
üfficiere  der  Reihe  nach  selbst  miltanzten. 

Nicht  allein  dieses  Wortlauts  erinnere  ich  mich  genau,  sondern  auch  der 
Weise  der  Aufführung  und  der  Melodie.  Letztere  kann  ich  noch  klar  und  be- 
stimmt wiedergeben.  Die  Aulführung  bei  uns  war  die  folgende:  Wie  bei  unserem 
Soldatensingen  überhaupt,  so  wurde  auch  dieses  Lied  unter  Leitung  eines  Vor- 
sängers gesungen.  Als  solcher  fungierte  ein  besonders  musicalisch  veranlagter 
älterer  Kanonier  oder  auch  ünterofficier.  Derselbe  sang  die  erste  Strophe  jeden 
Verses'')  allein,  intonierte  und  lactierte,  das  Folgende  wurde  im  Chor  gesungen. 
Bei  der  ursprünglichen  Aufführung  trat,  wenn  das  Lied  gesungen  werden  sollte, 
die  Feldwebeltochter  zum  Tanze  an  und  tanzte  bei  jedem  Verse  mit  wechselndem 
Tänzer  auf  dem  Schiffsverdecke  herum,  zuerst  mit  dem  Capitain,  dann  mit  dem 
Leutenant,  und  so  weiter.  Der  Tanz  war  ein  rascher  Galopp,  wurde  mit  Trommel- 
schlag tactiert,  die  Schlussworte:  Soldaten  —  Kameraden  waren  von  verlaufendem 
Trommelwirbel  begleitet,  welcher  so  lange  anhielt,  bis  der  Tanz  herum  war. 
Unsere  Melodie')  passt  sich  durchaus  dem  Inhalt  und  dem  Wesen  des  Liedes  an, 
und  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  dieselbe  noch  die  ursprüngliche  war.  Ge- 
tanzt wurde  bei  uns  nicht,  der  Trommelschlag  wurde  mit  Hülfe  eines  alten 
Messers  pp.  auf  der  Tischplatte  der  Wachstube  ausgeführt. 

2.  Jüngsts  Nachprüfung  der  f'berlieferung. 

Die  Tradition  wird  durch  einige  Angaben  der  Geschichte  der  Königlich 
Hannoverschen  Armee  von  L    v.  Sichart  bestätigt: 

1.  Im  .■).  Bande,  erste  Abteilung  §24,  S.  84  ff  ist  angegeben,  dass  im  Jahre 
1781  zwei  Regimenter  Infanterie  nebst  Rcgiments-Artillerie  für  den  Ostindischen 
Dienst  neu  errichtet  wurden  (Nr.  15  u.  16).  Diese  Regimenter  waren  eigentlich 
nur  Bataillone  und  bestanden  aus  je  10  Compagnien  mit  zusammen  lOiö  Köpfen. 

■2.  Daselbst  S.  83  ist  angegeben,  dass  das  zuerst  fertige  Regiment  Nr.  1.')  im 
Oktober  1781   bei  Stade  auf  der  Elbe  auf  4  Transportschiffen    nach  England    ein- 

1)  Es  folKt  der  Text  nebst  Angaben  über  die  Vortragsweise  (s.  unten)  Der 
Text  weicht  von  dem  bei  Erk-Böhme  3,  209  gebrachten  nur  wenig  ab:  Str.  2,  3: 
und  Kressen,  4,  3:  Bey  ihrer  Wehr  und  Waffen,  5,  3:  Bey  Stade  auf  der  Sclianzen. 
Ferner  wird  in  dem  Kehrreim  der  Halbvers  „Nimm  das  Miidcl'  zweimal  wiederholt. 
Endlich  ist  das  Lied  um  eine  auch  sonst  bekannte  7.  Stroplic  vermehrt: 

Wie  kommen  unsre  Herren  Officiers  in  die  Höllen? 
Capitain  und  Leutenant. 
Auf  einem  schwarzen  Fohlen 
Soll  sie  der  Teufel  holen: 

Capitain,  Leutenant  usw. 

2)  Muss  heissen:  den  1.  Vors  jeder  Strophe. 

3)  Siehe  unten  S.  87. 


Kleine  Mitteilungen.  81 

geschifft  wurde,  dass  3  dieser  Schiffe  glücklich  England  erreichten,  dass  aber  das 
4.  Schiff  durch  heftigen  Sturm  nach  Ritzebüttcl,  d.  i.  jetzt  Cuxhaven,  zurück- 
getrieben wurde  und  erst  im  März  1782  nach  einem  unter  sehr  ungünstigen  um- 
ständen durchgebrachten  Winter  England  erreichte.  Während  dieses  Aufenthalts 
und  auf  diesem  Schiffe  fanden  die  oben  erzählten  Vorgänge  statt. 

3.  Ebendaselbst  wird  auf  S.  84  der  Namen  des  Regiments-Chirurgus  des 
Infanterie-Regiments  15  mit  Schwarze  angegeben. 

Beide  Regimenter  kehrten  1791  bezw.  179i'  zurück  und  wurden  in  Stade  auf- 
gelöset,  wobei  ein  grosser  Teil  der  Mannschaften  bei  Regimentern  der  Stader 
Garnison  wieder  Dienste  nahm.  So  kam  unser  Lied  nach  Stade  und  von  da, 
durch  die  mit  Hannover  in  Verbindung  stehende  Artillerie-Abteilung,  hierher. 
Dass  hier  die  Tradition  eine  so  lebendige  war,  erklärt  sich  daraus,  dass  die 
Geschützkanoniere  der  Hannoverschen  Artillerie  nicht  aus  eingestellter  bald  wech- 
selnder Mannschaft,  sondern  aus  freiwillig  Angeworbenen  bestanden,  welche  auf 
längere  Zeitabschnitte  eapitulierten.  Diese  Capitulationen  wurden  meistens  wieder- 
holt, so  .  dass  viele  langgediente  Leute  da  waren.  So  stand  z.  B.  noch  im  Jahre 
1841  bei  unserer  Batterie  ein  Kanonier  William  Dirks  aus  TuUamore  in  Irland, 
welcher  noch  als  Junge  sich  einer  Legionsbatterie  angeschlossen,  die  Kriege  in 
Spanien  und  18  lö  die  Schlacht  bei  Waterloo  mitgemacht  halte  und  1810  mit  der 
Legion  nach  Hannover  gekommen  war. 

3.  Weitere  Untersuchung. 

Die  Angaben  Sicharts,  auf  die  sich  Jüngst  stützt,  lassen  sich  nach  einigen 
Seiten  hin  ergänzen,  da  im  Kgl.  Archiv  zu  Hannover  die  Akten  des  15.  Regiments 
erhalten  sind*).  Die  Geschichte  dieser  Truppe  gehört  zu  den  traurigen  Kapiteln, 
denen  man  die  Überschrift  geben  könnte:  Wie  mit  deutschem  Blut  Englands  Welt- 
herrschaft begründet  wurde^). 

Das  Regiment  wurde  1781,  ebenso  wie  das  16.,  auf  Veranlassung  der  Ost- 
indischen Kompanie,  die  damals  einen  Daseinskampf  gegen  die  mit  Frankreich 
verbündeten  Mahratten  unter  Hyder  AU  kämpfte,  aufgestellt.  Während  das 
Offizier-  und  Unteroffizierkorps  aus  Freiwilligen  der  cburhannoverschun  Armee 
zusammengesetzt  wurde,  sollten  die  Mannschaften  soweit  als  möglich  im  deutschen 
.,Auslande''  angeworben  werden.  So  waren  Werbestellen  in  Worms,  Frunkfun  a.  M. 
und  Heilbronn  eingerichtet:  mit  Hessen-Darmstadt,  Württemberg  und  den  Grafen 
von  Wertheim-Löwenstein  fanden  Verhandlungen  über  die  Gewinnung  von  Leuten 
statt.  Es  war  also  ein  sehr  buntscheckiges  Gemisch  deutscher  Stämme,  das  sich 
in  den  beiden  Regimentern  zusammenfand,  ein  buntes  Gemisch  auch  in  bezug  auf 
die  frühere  soziale  Stellung  der  einzelnen  Rekruten^). 

Das  15.  Regiment  war  im  September  1781  fertig  aufgestellt  und  wurde  in  der 
letzten  Oktoberwoche    in    der  Festung  Stade    in    die    4  Transportschiffe    verladen. 


1)  Signatur :  Hannover  38  C. 

2)  Vgl.  dazu  E.  v.  d.  Knesebeck,  Geschichte  der  churhannoverschen  Truppen  in 
Gibraltar,  Minorca  und  Ostindien.  Hannover  1845.  Ferner:  Briefe  auf  einer  Reise 
von  Stade  nach  Madras  in  Ostindien  und  aus  Ostindien  geschrieben  nach  Stade  von 
einem  chuvhannöverschen  Capitain  der  Infanterie.  Bremen  1789.  (Der  Verfasser  ist, 
wie  aus  dem  Inhalt  hervorgeht,  der  Kapitän  v.  Scharnhorst,  Herausgeber  der 
Konsistorialrat  Watermeyer  in  Stade.) 

3)  Vgl.  was  Knesebeck  S.  129  f.  nach  den  handschriftlichen  Aufzeichnungen 
eines  Teilnehmers  der  Expedition,  des  späteren  Generals  Best,  zitiert. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1918.  6 


go  Lücke : 

oder  richtiger  gesagt  hineingestopft^),  die  die  Ostindischc  Konipiinie,  um  es  abzu- 
holen, herübergeschickt  hatte,  wahrend  die  Fregatte  'La  belle  Poule'^)  den  Schutz 
des  Geleitzuges  übernehmen  sollte.  Am  "27.  Oktober  erfolgte  die  Abfahrt.  Aber 
schon  gleich  nach  dem  Austritt  aus  der  Elbe  überfiel  die  Schiffe  ein  gewaltiger  ■ 
Sturm,  der  die  'Polly'  von  den  übrigen  trennte.  Während  diese  nach  mehr  als 
zweiwöchiger  Fahrt  England  erreichten,  kehrte  sie  aus  Furcht  vor  feindlichen 
Kaperschiffen  um  und  warf  Anfang  November  vor  Ritzebüttel  Anker. 

An  Bord  hatte  die  'Polly'  zwar  nicht  drei  vollständige  Kompanien,  sondern 
nur  eine  ganze  (Schultze)  und  von  zweien  den  grössten  Teil.  Von  der  des 
Hauptmanns  Best  waren  14,  von  der  des  Hauptmanns  v.  Hörn  4'J  Mann  auf 
anderen  Schiffen  untergebracht.  Aber  mit  Ausnahme  eines  Leutnants  und  eines 
Filhnrichs  befanden  sich  sämtliche  Offiziere  der  drei  Kompanien  auf  dem  Fahr- 
zeug, ausserdem  ein  Kompaniechirurgus'').  Weiterhin  werden  in  den  Rapporten 
5  Frauen  als  Fahrgäste*)  aufgeführt,  so  dass  die  spätere  Erinnerung  an  die  Feld- 
webeltochter vielleicht  eine  tatsächliche  Unterlage  gehabt  haben  kann.  Dagegen 
machte  der  Regimentsarzt  Schwarze  die  Überfahrt  auf  der  'Grand  Dmhess  of 
Russia'  mit 

Vor  Ritzebüttel  sahen  sich  die  auf  der  'Polly'  Eingeschifften  bald  in  trauriger 
Lage.  Eine  Reihe  von  Umständen  traf  zusammen,  um  die  Leute,  unter  denen 
ohnehin  nicht  die  besten  Elemente  waren,  zur  Verzweiflung  zu  l)ringen.  So  kam 
CS  zu  einem  Vorfall,  über  den  ein  Bericht  des  Hauptmanns  v.  Hörn  vom  13.  De- 
zember 1781  an  den  Generalmajor  v.  Scharnhorst  in  Stade  selbst  sprechen  möge: 

Da  die  Capitains  durch  die  erhaltenen  (relder  von  der  Regierung  in  Stade  im 
.Stande  waren,  derer  Leute  Unzufriedenheit,  in  Ansehung  des  Hungers  zu  hemmen, 
so  wurde  so  viel  möglich,  an  Brod  und  Gemüse,  wie  auch  etwas  Brantewein  an- 
geschafft. So  lange  dieses  anhielt,  so  lange  waren  sie  völlig  ruhig,  aber  so  wie 
diese  Provision  zu  Ende  ging,  so  war  das  Verlangen  nach  Brod  wieder  da.  Wir 
waren  ausser  Stande  ihnen  zu  helfen,  und  sprachen  sie  mit  gutem  Erfolg  zur  Ruhe. 

Am  8.  dieses  erhielt  unser  Schiffs-Capitain  die  Nachricht  von  dem  hiesigen 
Conimandeur  der  Galliote,  dass  es  wegen  der  Gefahr  des  starren  Eisganges  noth- 
wendig  sey,  im  Hafen  zu  legen,  dies  geschah  am  Abend.  Zu  meinem  grossesten 
Erstaunen  bemerkte  ich  zur  Zeit  der  Ebbe,  dass  das  Schiff  ganz  trocken  lag;  um 
zu  vermiithende  Desertion  zu  verhüten,  mussten,  ohne  dass  alles  Tauwerk  einge- 
nommen wurde,  auch  die  ganze  Nacht  ein  Officier  nebst  2  Unter-Officiers  auf  dem 
Verdeck  wachend  seyn. 

Da  die  Kälte  zunahm,  und  das  Kochen  durch  den  verschiedentlich  starken 
Wind  nicht  gehörig  bewerkstelligt  werden  konte,  so  dass  zu  Zeiten  des  Abends 
kaum  das  Eßen  gar  ward,  so  vergrössertc  dieses  alles  der  Leute  Unzufriedenheit, 
wie  nicht  weniger  der  gar  zu  enge  Raum  dos  Schiffes,  welcher  nach  des  Schifs- 
Capitains  Aussage  für  140  Mann  eingerichtet,  und  240  Mann  die  Zahl  derer  sich 
darauf  befundenen  ist,  wie  auch  für  189  Mann  Schifsdecken  befindlich,  folglich 
60  Mann  ohne  Decken  jede  Nacht  seyn  mussten.     Selbst   der  Kochkessel   ist   nach 


1)  Die  Verteilung  auf  die  Transportschiffe  war  folgendermassen  geregelt:  Grand 
Duchess  of  Russia  (308  t  222  Mann,  Benjamin  Anne  (402  t)  284  M.,  Kingston  (338  t) 
240  M.,  Polly  (,309  t)  230  M.;  ausserdem  übernalim  die  Fregatte  noch  52. 

2i  Sie  war  den  Franzosen  im  Kampfe  abgenommen  und  hatte  ihren  Namen 
behalten. 

3)  Er  hiess  Bennecke.  Die  Kompagniefeldscherer  galten  nicht  als  Offiziere, 
wohl  aber  der  Regimentsarzt. 

4)  Nach  dem  Vortrage  zwi.schen  der  churfürstl.  Regierung  und  der  Ostindischen 
Kompanie  durfte  jode  Kompanie  2  Frauen  mitnoluuen,  dagegen  waren  Kinder  von 
der  Überfahrt  ausgeschlossen.     Vgl.  v.  d.  Knosobeck  S.  179. 


Kleine  Mitteilungen.  1^3 

des  Capitains  Aussage  nur  für  140  Mann  eingerichtet,  gleichwol  musste  die  ganze 
Anzahl  ihre  Portion  daraus  erhalten').  Den  9.  und  10.  schien  alles  ziemlich  ruhig 
und  wir  erwarteten  mit  Schmerzen  den  Convoy').  Am  11.  des  Morgens  gegen  ü  Uhr 
wurden  die  Leute  unruhiger  wie  einraahl,  allein  durch  die  Absendung  eines  Unter- 
Officiers  mit  einem  Briefe  an  Ew.  Excellence  der  bald  Hülfe  für  sie  würcken  würde, 
Hessen  sie  sich  jedoch  mit  der  grössten  Mühe  zur  Ruhe  bringen.  Ich  hofte  sie 
hierin  diesen  Tag  zu  erhalten,  und  brauchte  zu  dem  Ende  alle  mögliche  Vorsicht. 
In  dieser  Meinung  nun  traf  ich  mit  dem  Schifs-Capitain  heimlich  diese  Abrede, 
da.ss  wir  die  darauf  folgende  Nacht,  weil  es  die  Noth  erforderte,  in  See  stechen 
wolten,  welches  dieser,  jedoch  auf  eine  Bescheinigung  derer  3  Capitains  an  Bord, 
zu  thun  versprach.  Zu  mehrerer  Beruhigung  lies  ich  denen  Leuten  doppelte 
Portions  Brod  geben,  da  verschiedene  weinend  über  Hunger  und  verfrohrene  Füsse 
klagten;  selbst  der  Anführer  des  nachmaligen  Aufstandes  beruhigte  die  Leute 
äusserst,  folglich  man  nicht  den  geringsten  Argwohn  von  dieses  Menschen  Bosheit 
haben  konnte.  Allein  um  12  Uhr  zur  Zeit  der  vollen  Ebbe  war  der  Aufstand  unter 
der  Anführung  des  Corporals  Reiche  in  einem  Augenblick  algemein  und  zum  Theil 
wütend.  In  einem  Augenblick  waren  ein  Haufen  Leute  auf  dem  Verdeck;  dieser 
Haufe  sicherte  die  Person  des  Corporals,  und  dieser  vertheidigte  den  Ausgang  der 
Leute  mit  dem  Sübel  in  der  Faust,  und  encouragirte  sie  mit  den  Worten:  Er  wolle 
sie  nach  Stade  führen,  herauf  zu  kommen.  Hier  war  alle  Gewalt  und  Güte  ver- 
gebens, zudem  die  Leute  mit  Thriinen  und  mit  Wuth  versicherten  sie  wolten  nur 
an  Land,  und  wer  desertierte,  den  wolten  sie  selbst  umbringen.  Sie  sagten  auch 
zugleich:  Sie  hätten  alle  Liebe  für  ihre  Officiers,  aber  sie  riethen,  dass  keiner  Ge- 
walt brauchte,  wie  denn  auch  der  Corporal  Reiche  auf  seinen  Capitain  der  Com- 
pagnie  und  seinen  Sergeanten  verschiedentlich  gehauen. 

Hier  war  also  nichts  anders  thunlich.  als  hinterdrein  zu  gehen,  um  sie  mit  Güte 
in  Ritzebüttel  durch  Bestellung  der  Quartiere  und  E13en  und  'Trinken  aufzuhalten. 
Alles  war  auch  auf  Zureden  hieselbst,  sogleich  nach  Erscheinimg  der  Quartierzettel 
ruhig,  ausser  einer  Anzahl  von  40  Mann  unter  förmlicher  Anführung  des  Corporals 
Reiche,  die  grade  durch  auf  Bremerlehe  marschierten,  jedoch  sind  schon  verschie- 
dene von  diesen  wieder  zurückgekommen.  Dahin  ward  sogleich  Nachricht  p.  Estafette 
von  diesem  Vorfall  gegeben,  dorten  Anstalt  zu  ihrer  Arretierung  treffen  zu  können. 

Da  es  unwahrscheinlich  ist,  diese  Leute  wieder  an  Bord  zu  bringen,  so  habe 
auch  die  an  Bord  gebliebenen,  deren  70  an  der  Zahl,  allhie  einlegen  müßen.  Der 
hiesige  Agent  Lilienthal  hat  durch  seine  schleunige  Hülfe  viele  Dienste  gethan,  und  da 
es  denen  Leuten  an  Strümpfen  fehlet,  so  habe  ich  auch  hiezu  Anstalt  treffen  müssen.') 

Übrigens  sind  sie  jetzt  ruhig,  inzwischen  wäre  mein  unmassgeblicher  Rath,  dass 
man  so  bald  als  möglich,  uns  hier  weglegte,  zudem  es  äusserst  kostbar,  und  täglich 
1  Mgr.  für  den  Mann  bezahlt  wird. 

Ritzebüttel  den  13*55  Dec.  1781.  gez.  F.  v.  Hom.*) 


1)  Zu  den  240  Angehörigen  des  Regiments  ist  auch  noch  die  Schiffsmannschaft 
hinzuzurechnen. 

2)  Die  zur  Abholung  der  'Polly'  bestimmte  englische  Fregatte  'Ariadne'. 

3)  Über  die  traurigen  Zustände  nach  der  Ausschiffung  berichtet  noch  eindring- 
licher ein  in  den  Akten  befindliches  Schreiben  des  Oberstleutnants  Mutio  in  Ottenn- 
dorf  vom  18,19.  12.  1781:  „.  .  .  .  Der  Frost  hat  einem  Theil  der  Mannschaft  Hände 
und  Füsse  unbrauchbar  gemacht,  und  der  Mangel  an  guter  Nourriture  hat  ihre 
Kräfte  sehr  mitgenommen  .  .  .  werden  ersehen,  dass  die  Schiffs-Kost,  theils  der 
Witterung,  theils  der  überhäuften  Anzahl  Menschen  wegen  mitunder  schlecht  ge- 
kocht, so  dass  es  wegen  Härte  nicht  zu  gemessen  gewesen  oder  ganz  und  gar  nicht 
hat  zu  Feuer  gebracht  werden  können  und  eben  deswegen  die  Portion  Zwieback 
nicht  hinreichend  gewesen,  den  Mann  sattsahm  zu  ernähren." 

4)  Knesebeck  S.  131  f.  bringt  noch  einige  Einzelheiten,  die  sich  in  den  Akten 
nicht   finden   und   wohl   aus    den  Aufzeichnungen  des  späteren  Generals  Best  ent- 

6» 


84  Lücke: 

Es  ist  wohl  anzunelniuMi.  ila.ss  dieser  Bericht  das  Geschehnis  in  sehr  ge- 
diim|)flon  Farben  darstellt  und  vor  allem  das  verschleiert,  was  die  Offiziere  be- 
lasten liünnte.  Das  Verliältnis  dieser  zu  ihren  Mannschaften  scheint  keineswegs 
mustergiltig  gewesen  zu  sein'). 

Das  Weitere  ist  kurz  erzählt:  Die  Mannschaft  wurde  Ende  Dezember  nach 
Stade  gebracht,  wo  sie  im  Wach-  und  Garnisondienst  beschäftigt  wurde,  während 
die  Deserteure,  so  weit  sie  crgrifTen  wurden,  ins  Gefängnis  wanderten-;.  Die 
'Polly'  blieb  den  Winter  über  in  Ritzebütlel,  ebenso  die  noch  im  Dezember  als 
Geleitschiff  eingetroffene  Fregatte  'Ariadne'.  Erst  am  22.  März  1782  stachen  beide 
Schiffe  mit  der  v.  Horn'schcn  Division"),  deren  Ausfälle  durch  Mannschaften  des 
16.  Regiments  ersetzt  waren,  in  See  und  erreichten  schon  am  ib.  Sheerness. 

Wenn  wir  diese  geschichtlichen  Vorgänge  in  Zusammenhang  mit  dem  Liede 
bringen,  erhebt  sich  sogleich  die  Frage:  Hätte  unter  solchen  Verhältnissen  das 
Lied  als  Sing-  und  Tanzspiel  zur  Belustigung  und  Ablenkung  der  aufgeregten 
Leute  auf  der  'Polly'  entstehen  könnend  Es  )uag  wohl  sein,  dass  in  der  zweiten 
Hälfte  des  Novembers  17.S1  einzelne  üfliziere  versucht  haben,  ihre  Mannschaft 
über  die  bösen  Tage  auf  gute  Art  hinwegzubringen,  aber  von  einem  engeren 
kameradschaftlichen  Verhältnis,  wie  es  die  Jüngstsche  Tradition  von  der  Ent- 
stehung des  Liedes  voraussetzt,  kann  keine  Rede  sein.  Und  doch  sprechen  eine 
Reihe  von  Erwägungen  dafür,  dass  das  Lied  in  diesem  Winter  17Sl/ü>2  ge- 
schaffen ist. 

Der  Inhalt  stimmt  zu  der  Situation:  Str.  1:  Ein  Schifflein,  drei  Kompanien 
Soldaten.  Str.  "-' und  3:  Wie  die  traurige  Verpflegung  die  Sehnsucht  nach  schmack- 
hafteren Speisen  wecken  musste,  tritt  aus  den  Quellen  deutlich  genug  hervor,  und 
dass  man  statt  des  verzapften  Branntweins  lieber  guten  Wein  gehabt  hätte,  ist 
auch  verständlich.  Überdies  ist  zu  beachten,  dass  zahlreiche  Angehörige  der 
Division  Hörn  aus  weinbautreibenden  Gegenden  Deutschlands  herstammten';. 


nommen  sind.  Dieser  war  als  Fähnrich  auf  dem  Schiffe.  Über  die  iCxpeditinn, 
insbesondere  aber  über  die  indischen  Verhältnisse,  schrieb  er  Heisebriefe,  die  unter 
dem  Titel :  Briefe  über  Ost-Indieu,  das  Vorgebirge  der  guten  Hoffnung  und  die  Insel 
St.  Helene,  geschrieben  aus  diesen  Liinderu  von  C.  C.  Best,  lirsg.  v.  K.  G.  Kiittnor, 
Leipzig  1807,  veröffentlicht  wurden. 

1)  Vgl.  V.  d.  Knesobeck  8.130.  Wenn  da  \on  der  Nachlässigkeit  des  Kapitäns, 
der  die  embarkirte  Mannschaft  befeldigte,  die  Rede  ist,  so  dürfte  allerdings  damit 
in  erster  Linie  der  Kapitain  Schultze  gemeint  sein,  der  indes  nicht  den  Befehl 
über  die  ganze  Division  hatte.  Diesen  fühlte  vielmehr  v.  Hörn.  Über  Schultze  ur- 
teilte der  Kriegsrat  v.  Münchhausen  in  einem  Schreiben  vom  5.  März  1782,  dass  er 
„unfähig  wäre  7,\i  S.  Majestät  Dienst  wegen  Handlungen,  die  öffentlich  von  ihm 
erzählt  werden." 

2}  Von  37  Deserteuren  wurden  29  wieder  ergriffen  und  bestraft. 

3)  Der  Befehl  wurde  'bon  gre,  mal  grcv  v.  Hörn  wieder  übertragen.  Die  übrigen 
Hauptleute,  denen  er  angeboten  wurde.  Best  und  zwei  des  ItJ.  liegiments.  wussten 
sich  davon  zu  drücken;  v.  Münchhausen  schreibt  an  Genoralmajor  v.  d.  Bussehe  in 
Hameln,  Stade,  d.  12.3.1782:  „Die  Polly  liegt  vor  der  Schwinge  tbei  Stade;  und  die 
Division  kann  auf  den  ersten  Wink  an  Bord  gehen.  Es  herrscht  hier  einiges  Mis.s- 
vergnügen  unter  den  Officiers,  Sie  scheuen  sich  für  die  Polly  wie  zaghafte  Kinder 
für  Polter-Geister.  Niemand  will  die  4.  Division  des  15 1>^'"  Regimentes  comnian- 
dieren." 

4)  l'nter  den  Namen  der  Angehörigen  der  Hornschen  Division  deuten  u.  a.  auf 
Süd-  oder  mitteldeutsche  Herkunft:  Stadelmeyer,  Baumeißel,  Schwärtzel,  Weinmüller, 
Grimmingcr,  Emmert,  ferner  die  Vornamen  Jakob,  Zacharias,  Kaspar  zur  Unter- 
scheidung gleichnamiger  Soldaten  angeführl>. 


Kleine  Mitteilungen.  85 

Sir.  -i  mit  ihrem  platten  Inhalt  kann  ebenso  gut  ursprünglich  wie  spätere  Zu- 
dichlung  sein,  Str.  5  wird  in  der  Form  „Zu  Stade  auf  der  Schanzen",  die  Jüngsts 
Aufzeichnung  bietet,  während  des  Garnisondienstes  der  Truppe  vom  Januar  bis 
bis  März  1782  entstanden  sein'). 

Etwas  weiter  auszuholen  gilt  es  bei  den  beiden  letzten  Strophen. 

Die  7.  deutet  zunächst  wieder  zweifellos  auf  das  schlechte  Verhältnis  zwischen 
Oflizieren  und  Mannschaften.  Etwas  seltsam  mutet  darin  das  Fohlen  als  Reittier 
an.  Eine  spätere  Fassung  hat  denn  auch  den  Rappen  dafür  eingesetzt.  Mir 
scheint  es  naheliegend,  dass  darin  ursprünglich  eine  Erinnerung  an  die  'Polly' 
steckt,  dass  diese  anfänglich  genannt  war. 

Vor  der  Elbraündung  hatte  das  Schilf  einen  furchtbaren  Sturm  erlebt,  und 
mancher  seiner  Insassen  mochte  da  geglaubt  haben,  dass  die  Reise  nach  Ost- 
indien vorzeitig  zur  Reise  ins  Jenseits  werden  würde.  In  solcher  Gefahr  mag 
dem  Munde  der  Soldaten  nenugsam  die  Verwünschung  entfahren  sein:  „Hole  der 
Teufel  die  ganze  Wirtschaft,  zumal  das  Schiff,  in  das  man  uns  hilflos  und  willenlos 
hineingepfercht,  aber  auch  die  Offiziere,  die  uns  geworben  und  gedrillt  und  schi- 
kaniert!"^) .,Mitsamt  der  schwarzen  Polly,  der  Teufel  komm  und  hol  sie,"  so 
oder  so  ähnlich,  vermute  ich,  hat  die  Strophe  ursprünglich  gelautet. 

Aber  der  drohende  Untergang  konnte  auch  noch  andere  Gedanken  auslösen. 
In  solchen  Lagen,  wo  der  Mensch  hilflos  den  Elementen  gegenübersteht,  werden 
leicht  Kindheitserinnerungen  an  Sagen  von  Gespenstern  und  Unholden  wach.  Eine 
Hauptrolle  spielt  da  auch  der  Teufel.  In  der  Eibmündung  hatte  er  nach  der  Erzäh- 
lung des  Volkes  schon  einmal  sein  Spiel  mit  einem  Schiffe  getrieben  und  war 
überlistet  in  den  Grund  des  Stroms  gebannt'').  Manchen  der  Soldaten  waren  auch 
sicher  aus  der  Heimat  die  Geschichten  vom  wilden  Jäger  und  vom  Schimmelreiter 
geläufig*),  Sagen  von  weissen  Teufelpferden  waren  gerade  auch  an  den  Nordsee- 
küsten im  Schwange')-  Jetzt  mochte  angstvolle  Einbildungskraft  in  dem  auf- 
gewühlten Meer,  in  dem  Gischt  der  weissen  Wogen  den  Gottseibeiuns  selbst 
heranstürmen  sehen. 

So  sind  die  Grundlagen  der  beiden  Strophen  ebenfalls  völlig  aus  der  Situation 
heraus  dargeboten,  und  erst  in  weiterer  Folge  hat  wohl  das  dichterische  Empfinden 
der  Wirkung  des  Gegensatzes  die  unschuldvollen  Himmelsreiter  und  die  vom 
Teufel  geholten  Vorgesetzten  geschaffen").  Es  ist  ja  überhaupt  anzunehmen,  dass 
das  Lied,  wie  so  viele  andere  Soldatenlieder,  eine  allmähliche  Erweiterung  des 
Textes  erfahren  hat.  Einen  besonderen  Anlass  hierzu  würde  besonders  der  Vor- 
trag als  Singspiel  mit  eingefügtem  Tanz  geboten  haben,  von  dem  Jüngst  berichtet 
und  wozu  die  nach  seinen  Angaben  von  mir  aufgezeichnete  Melodie  passt. 

John  Meier  hat  nachzuweisen  versucht,  dass  in  unserm  Liede  drei  verschiedene 
Bestandteile  zu  einem  neuen  Ganzen  zusammengeflossen  seien:  die  Anfangsstrophe  der 
alten  Ballade  vom  Grafen  und  der  Nonne'),  ein  uragesungenes  Schäferlied  „Schäfer,  sag 

1)  Vgl.  zu    den    verschiedenen  Ortsangaben   J.  Meier,    Schweiz.   Archiv  20,  '221. 

2)  Über  Prügelesekutionen  bei  der  Ausbildung  vgl.  v.  d.  Knesebeck  S.  130. 

3)  Vgl.  K.  MüUenliotf ,  Sagen  von  Schleswig -Holstein  1845  S.  264.    Henniger  u. 
V.  Harten,  Niedersachsens  Sagenborn  2,  130. 

4i  Vgl.  u.  a.  J.  Grimm,  Deutsche  Mythol.  *  1,  129.  Kuhn-Schwartz,  Norddeutsche 
Sagen  1.S48  S.  156.  228.  427  f.    Niedersachsens  Sagenborn  1,  192. 

6)  Müllenhof f  S.  567f. 

C)  Dabei  kann  sehr  wohl  auch  wieder  eine  mythologische  Erinnerung  mit- 
gespielt haben.    Vgl.  J.  Grimm,  Mythologie  *  2,  831. 

7)  Erk-ßöhme  1,  Nr.  89.     Vgl.  Schweiz.  Archiv  20,  221. 


86  Lücke: 

was  willst  du  essen'?"')  und  der  167»  in  dem  Liecle  ..Ach  Mutter,  ^ib  mir  einen 
Mann"  erscheinende  Kehrreim").  Der  Verschmelzungsprozcss  sei  zu  vollständiger 
neuer  Einheit  gelungen,  und  nur  der  historischen  und  qnellenkritiscben  Forschung 
habe  es  gelingen  können,  die  Einzelbestandtcile  noch  aufzuzeigen.  Nach  meiner 
Überzeugung  muss  diese  Auffassung  stark  eingeschränkt  werden  Wohl  sind  einige 
Volksliedmotivo  und  der  alte  Kehrreim  glücklich  verwertet'),  aber  das  Lied  als 
solches  ist  von  vornherein  als  einheitliche  Schöpfung  anzusehen. 

Es  bleibt  noch  zu  untersuchen,  ob  das,  was  wir  sonst  von  der  Überlieferung 
des  Liedes  wissen,  mit  den  bisherigen  Feststollungen  in  Einklang  zu  bringen  ist. 
Die  bisherige  Forschung  sieht  in  den  Fassungen,  welche  die  epische  Eingaugs- 
strophe  nicht  haben,  sondern  gleich  mit  der  Frage  beginnen  ,Was  sollen  die  Sol- 
daten essenV"  die  ältere  Form.  Zeitlich  an  erster  Stelle  steht  unter  diesen  eine 
flämische  Niederschrift,  das  Spottlied  „Wat  zullen  ons  Patrioljens  eetenV" '),  das 
demgemäss  auch  als  Grundlage  unseres  Liedes  angesehen  wurde.  Der  Urheber 
dieser  Auffassung  ist  Hofimann  von  Fallersieben,  der  zu  dem  Text  des  l'atrioten- 
liedes  folgendes  bemerkte:  ,, .  .  •  aus  Brüssel,  aber  doch  in  Holland  entstanden, 
es  ist  ein  Spottlied  auf  die  holländische  Staatenpartei,  die  sogenannten  Patrioten 
die  im  J.  178.S  den  Einmarsch  der  preussischen  Truppen  nicht  zu  hindern  ver- 
mochten und  erlagen.  Es  ist  gewiss  im  preussischen  Heere  zuerst  gesungen 
worden,  wie  es  denn  auch  wohl  dort  entstanden  ist  .  .  .  Merkwürdig,  dass  dies 
Lied  in  den  Jahren  1813  —  15  an  der  Niederelbe  wieder  auftauchte;  damals  sang 
es  die  englisch-deutsche  Legion.  Daher  denn  auch  der  wunderliche  Anfang:  Ein 
Schifflein  sah  ich  fahren  usw."') 

Bei  näherer  Prüfung  lässt  sich  Hoffmanns  Ansicht  schwerlich  halten.  Wie 
das  Patriotenlied  bei  Büsching  und  v.  d.  Hagen"),  woher  es  auch  Holfmann  ent- 
nommen, nach  der  mündlichen  Überlieferung  von  Marie  Josephine  t.  d.  Hagen,  geb. 
V.  Reynack  aus  Brüssel  um  1795  aufgezeichnet  ist,  so  dürfte  es  nach  den  in  der 
genannten  Sammlung  gegebenen  Bemerkungen  auch  dem  flämischen  Sprachgebiet 
entstammen.  Auch  ein  aus  den  geschichtlichen  Verhältnissen  herzuleitendes  Be- 
denken steht,  was  Hoffmann  entgangen  ist,  dem  nicht  im  Wege.  Im  Gegenteil: 
Auch  in  Belgien  spielte  eine  sogenannte  Patriotenpartei  eine  Rolle,  und  zwar 
einige  Jahre  nach  den  Vorgängen  in  Holland,  an  die  Hoffmann  denkt.  Während 
man  ursprünglich  nur  die  nach  Frankreich  geflüchteten  Demokraten,  die  als  eine 
Art  Krähwinkler  Landsturm  im  Herbst  1789  einen  Einfall  nach  Belgien  unter- 
nahmen, so  bezeichnete,  wurde  der  Name  später  von  den  Österreichern  auf  die 
aufständischen  Belgiern  insgesamt  übertragen").  Diese  belgischen  Wirren  stehen 
zunächst  in  Zusammenhang  mit  inneren  Streitigkeiten  in  Holland,    aber  bald  wird 


1)  Erk-Böhme  3,  Nr.  1491.    Vgl.  Schweiz.  Archiv  20,  2-22. 

2)  Schweiz.  Archiv  20,  206ff. 

3)  So  mag  der  Dichter  auch  den  Anfang  der  Ballade  vom  Grafen  und  der 
N:)nne  (Erk-Böhme  Nr.  89)  wohl  gekannt  haben,  wenn  sich  auch  die  epische  Form 
des  Eingangs  ohne  weiteres  aus  der  Situation  erklären  Hesse.  Ein  weiteres  Motiv: 
gebackene  (gebratene)  P'ische  z.B.  bei  Erk-Biihme  Nr.  107b,  110a  u.  ö.  Im  Zu- 
sammenhang mit  dieser  Speise  scheint  doch  wohl  'Krebse'  statt  'Kresse'  das  Fr- 
sprüngliche.     Vgl.  J.  Meier,  Archiv  20,  224  ff. 

4)  Erk-Böhme  3,  Nr.  1324.  [F.  van  Duyse,  Het  nude  nederlandsche  lied2,  1825 
nr.  473.  3,  2485.] 

5)  Hoffmann  von  Fallersleben,  Niederländische  Volkslieder  ]85(>  8.  298. 

6)  Büsching  und  v.  d.  Hagen,  Sammluns;  deutscher  Volkslieder  1807.  Anhang 
Nr.  9.    Vgl.  dazu  S.  420. 

7)  V^'l.  N.  G.  van  Kampen,  Geschichte  der  Niederlande  2,  507 ff.  ."))2ff. 


Kleine  Jritteilungen. 


87 


das  niederländisch-belgische  Gebiet  einer  der  Hauptschauplätze  des  grossen  Angriffs 
kriegs  der  französischen  Revolution,  der  1793  fast  ganz  Europa  in  seine  Kreise  zog 

Zu  den  englischen  Hilfstruppen,  die  damals  in  Belgien  fochten,  gehörten  in 
erster  Linie  Hannoveraner,  und  Namen  des  heutigen  flandrischen  Kampfgelünde 
tauchen  schon  damals  in  den  Annalen  der  hannoverschen  Regimenter  auf:  Menin, 
Werwicli,  Hondschoote,  Ypern. 

Zu  dem  von  England  aufgestellten  deutschen  Hilfskorps  war  im  Jahre  1793 
auch  das  Regiment  getreten,  das  17.S1/S2  als  das  15.  die  Fahrt  nach  Ostindien 
angetreten  hatte.  Bei  einer  1785  erfolgten  Neueinteilung  der  Armee  hatte  es  die 
Regimentsnummer  14  erhalten.  1791  und  1792  waren  seine  Überreste  nebst  denen 
des  16.,  jetzt  15..  zurückgekehrt  und  in  Stade  neu  formiert  worden'). 

Sicher  hat  es  auch  seine  Lieder  mit  auf  den  neuen  Schauplatz  seiner  Taten 
gebracht,  vor  allem  sein  Lied  ,Ein  Schifflein  sah  ich  fahren."  Und  auf  Grund- 
lage dieses  hannoverschen  Soldatenliedes  hat  sich  dann,  so  wird  man  nun  ohn- 
weiteres  schliessen  können,  das  Spottlied  auf  die  Patrioten  gebildet. 

Damit  sind  die  letzten  Hindernisse  beseitigt,  die  der  Richtigkeil  der  Jüngst- 
schen  Tradition  über  die  Entstehung  von  „Ein  Schifflein  sah  ich  fahren''  noch  ent- 
gegenzustehen schienen.  In  ihren  Grundzügen  darf  diese  als  den  Tatsachen  ent- 
sprechend angesehen  werden.  Das  Lied  ist  im  Winter  1781/82  im  Zusammenhang 
mit  den  Vorgängen  auf  dem  englischen  Transportschiffe  'Polly'  bei  der  4.  Division 
des  15.  hannoverschen  Regiments  entstanden. 

4.  Notenbeilage. 

A  ist  die  von  Jüngst  mitgeteilte  Melodie,  die  mit  der  bei  Erk- Böhme  3, 
Nr.  1326  verzeichneten  manche  übereinstimmenden  Züge  aufweist.  Jüngst  bemerkt 
zu  Z.  1:  Vorsänger,  Z.  2fr.:  Chor-).  Z.  5 ff.:  Tanzbeginn,  währt  bis  zu  Ende.  Z.  1 
bis  4:  Rezitativ,  breiter,  ruhiger  Soldatengesang.  Z.  5 — 7:  lebhafte  Gallopade, 
Staccato  mit  kurzem  Trommelschlag.  Z.  S:  die  Schlussworte  lang  gezogen,  mit 
verlaufendem  Trommelwirbel. 


Ein  Schiff  lein  sali    ich 


m 


if:=it:irti 


Sife-g 


fah-ren,  Ka  -  pi  - 
-N H K- 


nant,      dar- 


in-nen  warn  ge  -  la  -  den    drei    bra-  ve  Kompa-nien  Sei  -    da  -  ten 


m 


^=1=^ 


:t=t 


-:^— «i=i5=^r 


tan,Leutnant,Fäh-ne-  rieh,  Sergeant,  nimm  das    Mä-del,  nimm  das  Mä-dol. nimm  das 


derHand.  Sol     -     da     -     ten,     Ka-  me    ■ 

In  B  füge  ich  eine  mir  sonst  nicht  aufgestossene  Melodie  bei,  die  mir  von 
meinem  Bruder,  Unteroffizier  Joh.  Lücke,  im  5.  Garde-Regt.  z.  F.,  Anfang  1917  mit- 
geteilt wurde.   Bei  seinem  Truppenteil  war  das  Lied  nach  seiner  Angabe  sehr  beliebt. 


1)  Vgl.  T.  d.  Knesebeck  S.  153.  162  f.  166  ff. 

2)  Vgl.  oben  S.  80. 


88 


Lufke.  Kichtpr-Boltp 


R. 


9^te=,-ES=^^£;^Fr 


?rre=!!= 


-7 — ^- 


i^i^ 


-• — F— 


:-(2__9_^- 


Ein  Schifflein  sah   ich       f:\li-ron,         Ka- pi  -    tän    und  Leu-te  -  nant,  dar- 


•<*•■••         ■•■ 


igEgEgggjEgEEEEjfe^^feaggj. 


ra:r(C:^-J±=p; 


in-nen  warn  gc  -  hi  -  den     drei  bra-ve  Kom-pa  -  nion  Sol  -  da-ten,    Ka  -  pi- 


-M-iz=i^' 


^m 


■t._u — \:=ii—i 


^^^l^^^ 


tän,Leu-tenant,Fähnrich,  Sergeant,  nimm  dasMä-deljnimm  das  Mä-del    bei  der 


Hand.  8ol-da -ten,Kam-raden,ninimdasMä-del  bei  der  Hand. 

Hannover.  Wilhelm  Tuicke. 


Der  Bauernjunge  in  der  Landshuter  Vesper, 

ein  Handwerksburschenlied  aus  dem  Anfange  des  19.  Jahrhunderts. 


»    — '-^ ^^^-P' K S-t — -P — •    I h  '• ^ — ^ ' N-i • — S is 

4_,_-irr|,— ^=g;-f-3  F=[L^ ^—y, j'  f_,-^=q!t=:q 

ä  -  ne      schö-ne     Stadt,  val  -  la  -  de  -  ri  -  dum  -  d;i,      da 


-± 

1.  Landshut  is 


— N IS N S • — f-a ^ — ^ • F — |— « ■] 

»* ' iT—  *—- ' 1^ — ^ '-->' üi— ' 1^--^ 

se      nei-lich     ä  -  ne     Ves-  per   ge  -  hatt,  val-  la  -  de-  ri  -  dum-dä,     da 

— K-r N K T S ■< 'S S — I 

-^— f  — »t r? R K »^-4         — js — H s~   s     -N       g-^ 

la  -  mus    da  -  inus    ge  -  sun  -  gen,     val  -  la  -  de   -   ri  -  de  -  la  -  de- 
-*f— li'— :^r — ^- 


r  5      p 


ri     de  -  la  -  de  -  ri  -  de  -  la,denn  an-ders  hat  das  Ding  ja  gar  nich  ge-  klun-gen 


-_-_ 


-—X^ZL^--. 


val  -  la  -  de  -  ri  -  dum  ■  da. 

2.   Ä  Kiistel  hing  da  an  der  Wand,  valladeridumdii, 
bein  l'feiflein  dran  von  allerhand,  valladeridumdii. 

Da  hat  Äner  mit  Fingern  drauf  rumgegriffen,  valladerideladeridoladcridela, 
Da  ha'n  die  Pfeiflcin  juchhee  gepfiffen,  Talladeridumdü. 


Kleine  Mitteilungen. 


89 


Und  Äner  hat  woll'n  ä  Schachtel 

schneiden, 
Der  Andre  hat  gewunken,  er  sollt's 

lassen  bleiben, 
Und  Äner  wollt'  äu  meßingen  Dalmus 

fressen, 
Nee  Vater,  das  Ding  kann  ich  gar 

nicht  vergessen. 

Da  is  Äner  in  an  hölzern  Butten 

neingestieg'n, 
Ä  ganze  Weil  hat  er  still  geschwieg'n. 
Auf  einmal  reißt  er  sei  Guschen  auf 
Und  macht  an  Lärm,  das  war  ä  Graus. 


5.  Zuletzt  da  bring'ns  an  Pudelhund, 
Den  ha'n  se   mit'n  Kopf  in's  Wasser 

neigetunkt. 
Da  ha's  se  de  Leute  ja  so  bespritzt. 
Dass    Jeder    hat    sei    Gusch'n    ab- 
gewischt. 

6.  Nee  Vater,  wenn  Du  das  Ding  hätfst 

gesehn, 
Ä  halbe  Bier  hätt'st  auch  gegeb'n, 
Ä  halbe  Bier,  ;i  Seidl  Wein 
Auf'n    Sonntag   wird's    wohl   wieder 

sein. 


Vorstehendes  Lied    ist   aus    dem  Munde    eines  1799    geborenen  Handwerkers 
niedergeschrieben. 

Dresden.  Paul  Emil  Richter. 


Nachtrag. 

Eine  vollständigere  Passung  (B)  steht  in  L.  Erks  hsl.  Nachlass  auf  der  König- 
lichen Bibliothek  zu  Berlin  Bd.  7,   16j: 


Alle.gretto. 

(d'O 


Bayrische  Vesper. 

Aus  Neunkirchen  im  Odenwald  1S4Ü. 


i-t 


Ef=ztr:f=zt^Eie=:rz=g=z 


1.    Zu  Landshut  in  der         ul  -  teStodt, 


va  -  la  -  di  -  ra  -  drum-  tra,     hört 


Tzr^ ^ — y/ —  ^-i ^ — ^ — J.-.^ — J? — • — ^ — «-1 ■!■ w—' 


was  sich  jüngst  zu- tro  -  ge   liot,       va  -  la  -  di  -  ra-drumtra.     Do  bin     i       in 


a.', 


4=^= 


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. — j:^»/ — ^ — • — ^,_p-B — I — K^—  — K 


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i 


Kirch  ge-kum-me,     va  ■ 


la  -  di -  ra  ■ 


-5— - 


dum  -  tra. 


viel       Wun- der- ding     hob 


^;l|3iEH^^iiEaEi 


ver-numme,      va  -  la  -  di  -  ra  -  dum  -    tra. 


Do  woren  Männer  groß  un  klan, 
Stüoker  vierzi,  wie  i  man, 
Hoben  olle  gsunge,  hobn  alle  glese, 
Sin  gewolti  stark  im  Handel  gwese. 

A  jeder  hot  en  Zettel  gehet, 
Druf  woren  Hoken  krumm  un  grod. 
Und  wann  der  an  hot  angehobe, 
Glei  hot  der  andre  nachgeschobe. 


i.  Un  warm  der  dritt  is  ausgewischt, 
Glei  hot  eich  a  der  viert  nei  gemischt. 
Viele  wollten  Schochteln  schneide, 
Aner  hot  gewunke,  soUens  losse  bleibe. 

5.  Ebbes  het  i  schier  vergesse, 

Zwa  wollten  messene  Därme  fresse. 
Ans  müßt  ihr  aber  a  no  wisse, 
Zwa  hoben  gar  in  Prügel  bisse. 


90  Kiclitor-Bolte : 

(i.  Aner  hot  en  Bettstolle  tröge,  10.  Uf  e  nml  war  es  mäuslistill. 
Do  is  e  geler  Worm  rauskroche,  I  hob  nur  schaut,  wos  gebe  will. 

Der  Schweinpelz  nahm  den  Worm  Do  hobens  Lames-dames  gesunge, 

di  Gosche  Un  aner  is  in  e  Butt  nei  gsprunge. 

Hot  di  Hacke  gwolti  ufgeblose. 

11.  Hn  wie  er  war  in  die  Butt  gestiege, 

7.  Aner  hielt  in  linker  Hand  Hot  er  erst  e  Bissei  still  geschwiege, 
En  hole  Bam  mit  Stricke  drufgespannt,  No  leert  er  seine  Gosche  aus, 

Di  hot  er  mit  em  Holz  gefidelt,  Macht  die  Leut  aus,  de.-^  war  e  Graus. 

Do  wor  e  Gaulsschwanz  dran  geknittelt. 

12.  L'n  wie  des  alles  sor  is  gwese, 

8.  Aner  hot  e  Trummle  gehet,  Hot  er  cbbes  aus  em  Buch  lier  glese, 

Uf  die  er  gwolti  geschloge  hot,  I  sog  dir,  wann  desDini:  hattst  gesehen. 

Des  hot  dir  brummet  no  so  sehr,  E  Masle  Biere  hättst   drum  gegeben. 

Als  wenn  e  Wetter  am  Himmel  war. 

Vi.  Zuletzt  brochtens  gor  en  Pudelhund, 

9.  Un  e  Kaste  stand  an  der  Wand.  Den  hobens  mit  der  Gosche  ins  Wasser 
Druf  woren  Hölzli  allerhand,  gedünkt; 

Un  wann  mr  do  druf  rum  gegriffe,  Do  hob  i  aber  hcrzli  gelacht 

Glei  hoben  alle  Hölzli  pfiffe.  Un  hob  mi  aus  em  .Staub  gemacht. 

Eine  183.S  in  Dreieichenhain  bei  Frankfurt  a.  M.  aufgezeichnete  Fassung  (C) 
in  Erks  Nachlass  7,  164  beginnt:  'Zu  Langsdorf  in  der  große  Stadt,  drala  rala 
ridum  da,  wo's  immer  was  zu  vespern  hat'  (G  Str.  mit  Mel.).  Auch  Schmeller, 
Die  Mundarten  Bayerns  lb21  S.  253  führt  einige  Zeilen  aus  der  'Vesper  von  Lands- 
hut' an.  —  In  einer  anderen  Fassung  (D^,  die  nach  Erk  (Deutsche  Volks- 
lieder 2,  1,  50  nr.  43.  1841)  1790  von  den  Mönchen  der  Abtei  Erbach  bei  Mainz 
gesungen  wurde,  geht  eine  Einleitung  vorauf: 

Vetter,  loß  dir  Wunder  soga,         ,Chor:,i  Hör  mir  zu! 

Was  sich  neuli  hot  zugetroga.      (Chor:)  Bin  i  nit  a  braver  Baa? 

Es  sind  41  zweizeilige  Strophen  mit  anderer  Melodie.  Aus  A.  v.  Arnims  Xachlass 
hat  Erk  (Nachlass  7,  1G6)  eine  weitere  Aufzeichnung  (E)  von  ISÜtJ  (23  zweizeilige 
Str.  mit  Mel.)  kopiert:  '0  Vota,  lost  euch  Wunda  soga,  volotoro',  mit  der  Über- 
schrift 'Bairisch  Kirchenlied',  Der  Name  Landshut  ist  in  DE  fortgefallen,  wäh- 
rend er  in  C  zu  Langsdorf  entstellt  ist. 

Das  Lied  auf  die  Landshuter  Vesper  ist  aus  einem  nichtstrophischen  Dialekt- 
gedichte des  17.  Jahrh,  hervorgegangen: 

Vatter,  i  mueß  dir  Wunder  sagen. 

Waß  sy  nachten  zue  hat  tragen 

Z  Lanzol  dinen  in  der  Stadt  ,130  Verse). 

Eine  um  1670  aufgezeichnete  P^assung  teilte  Blümml  (Zs,  f,  hochdeutsche  Mund- 
arten 6,  228.  1905)  aus  einer  Tübinger,  eine  etwas  jüngere  A.  Hartinann  (Bayerns 
Mundarten  1,  225.  1S91)  aus  einer  Münchener  Hs.  mit.  Drei  spätere  Bearbeitungen 
lassen  die  Beziehung  auf  Landshut  fallen:  1.  A.  Blumauer  (f  179s),  Der  evan- 
gelische Bauernjunge  in  der  katholischen  Kirche  (Vater,  hörts  nur  Wunder  an. 
182  V.  Sämtliche  Werke  1819  7,  41  =  1827  2,  12  =  1830  1,  90  ^  1841  3.  133. 
Gerning,  Reise  nach  Österreich  1,86.  1802  =  Radlof,  Mustersaal  aller  Mund- 
arien 1,  156.  1821).  —  2,  Ein  Gedicht,  welches  ein  evangelisch  -  schwäbischer 
Bauernknabe  seinem  Vater  erzählte,  als  er  das  erstemal  in  die  Stadt,  und  allda  in 
eine  katholische  Kirche  kam  (16  S.  o.  0.  um  1800.  Berlin  Yd  7906,  nr.  56:  'Vata, 
höar  nu  Wunder  an';  301  V.,  dazu  ein  Lied:  'Als  d'  Juda  unsarn  Heara  bald 
gfanga  habn  ghabt',  10  Str.).  —  3.  Der  Neuling  in  der  Kirche,  176  V.  aus  dem 
bayerischen  Schwaben:  'Vater,  heer  niT  Wonder  a'  (Schmeller,  Die  Mundarten 
Bayerns  1821  S.  547;    vgl.  Hartmann  1,  235.  238). 


Kleine  Mitteilungen.  91 

Dasselbe  bayrische  Gedicht  des  17.  Jahrh.  liegt  noch  einem  zweiten  Liede 
zugrunde,  in  welchem  nicht  ein  Knabe,  sondern  ein  erwachsener  Bauer  eine 
Kirchenmusik  beschreibt: 

1.  Ei  denkt,  mich  arme  Bauersmah,  hum,  hum. 
Kam  letzt  das  liebe  Frummthun  a,  hum  hum. 
(22  Str.  mit  Mel.  wie  'Es  ritten  drei  Reiter  zum  Tore  hinauB).  Aus  F.  Nicolais  hsl. 
Sammlung  in  Erks  Nachlass  30,  590.  —  2.  'Denkt  doch,  mich  armen  Bauersmann' 
(19  Str.  in  einem  um  1800  gedruckten  Flugblatte;  Vier  Lieder,  Leipzig,  Solbrig. 
Berlin  Yd  7907,  nr.  38  und  Yd  7925,  nr.  45).  —  3.  'Och  denket  mek  oarmen  Buers- 
mann'  (7  Str.  aus  Halberstadt.     Firmenich,    Germaniens   Völkerstimmen    1,  171).    — 

4.  'Ach  hört  mi  armen  Buersmann  an,  hm  hm'  (22  Str.  mit  Mel.  aus  einer  Hs.  von 
1791  in  Erks  Nachlass  5,  118).  —  ä.  'Ach  hört  mi  armen  Bursmann  an"  i'23  Str.  aus 
einem  Berliner  Liederbuch  ebd.  5,  119).  —  6.  'Ach  hört  mi  armen  Buersmann,  hm 
hm'  (IG  Str.  aus  dem  hsl.  Liederbuch  eines  Bauern  in  Nauen  bei  Berlin  ebd.  5,  124). 

—  7.  'Ach  hört  mich  armen  Bauer.smann'  ^29  Str.  mit  Mel.  John,  Volkslieder  aus 
dem  Sachs.  Erzgebirge  1909  nr.  205).  —  8. 'Mey,  hiert  mich  orma  Bauersmoun'  1 19  Str. 
E.  Hennig,  Reisen  in  Schlesien  1799  S.  132).  —  9.  *Schlesische  musikalische  Blumen- 
lese 3.  Jahrg.,  4.  Heft.  Breslau  1S05.  —  10.  'Vernahmt  mich  orma  Bauersmän'  (18  Str. 
mit  Mel.  aus  Schlesien.  Erk,  Volkslieder  1,5,  38  nr.  33.  1840).  —  11.  'Vernahmt  mich 
armen  Bauersmann'  (18  Str.  mit  Mel.  aus  Schlesien  durch  Hoffmann  v.  F.  1S42  in 
Erks  Nachlass  5,  123X  —  12.  'Vernahmt  mich  ormen  Pauersmohn,  hebe'  17  Str.  mit 
Mel.  von  der  Gräfin  Reichenbach,  Waltersdorf  1843.  ebd.  7,  560).  —  13.  'Mer  (^uam 
a  mal  das  Fromthon  an'  (16  Str.    Liederbuch  eines  Soldaten  aus  Seelow.  ebd.  5,  125) 

—  14.  'Enem  Bua  kem  dat  Frommsen  an'  (8  und  9  Str.  Frischbier.  Preussische  Volks- 
lieder in  plattdeutscher  Mundart  1877  nr.  25a— b).  —  15.  'Es  war  einmal  ein  Bauers- 
mann' ^9  Str.  mit  Mel.  aus  Berlin.  Erk,  Volkslieder  1,  3,  64  nr.  68.  1839).  —  16.  'Et 
war  n  mahl  n  Bueasmann'  (9  Str.  aus  Halberstadt.  Firmenich  1,  172).  —  17.  '0  Greete, 
wat  hebb  ick  esehn'  (16  Str.  aus  Osnabrück  Firmenich  1,  247).  —  18.  'h-k  on  onser 
Nopfers  Mon'  (8  Str.  aus  dem  Kuhliindrhen.  Zs.  f.  österr.  Vk.  10,  111.  1904  =  Unser 
Kuhländchen  1,  277.  1911\  —  Unzugänglich  war  mir  Blümml.  Der  Bauer  in  der  Kirche 
(Deutsche  Mundarten  hsg.  von  Nagl  2,  169.  1906). 

Das  bayrische  Diaiektgedicht  hat  endlich  auch  in  Salzburg  wiederholt  das 
Vorbild  zu  scherzhaften  Beschreibungen  eines  Kirchenfestes  abgegeben: 

1.  'Loß,  Riepel,  i  muß  da  was  wunderliß  sogen'.  1751  (33  Str.  Bayerns  Mda.  1, 229). 

—  2.  'Gott  gseng  enckh  Essn,  das  haist  an  Lenckhn  hergsössn'.  1758  (14  u.  16  Str. 
und  Rezitative.  ebd.  1,  295).  —  3.  J.  M.  Kagerer  1759:  'Gott  gseng  enks.  olli  Herrn, 
und  laßt  enks  brav  schmöcka'  (28  Str.  ebd.  1,  231.    Süss,  Salzburger   Volkslieder  1865 

5.  99.  Kohl,  Heitere  Volksgesänge  1908  nr.  78.  Sehottkys  Volksliedernachlass  hsg. 
von  Blümml  1912  nr.  33).  —  4.  Die  Duxer  Messe:  'Ich  gang  amöel  ge  Zell  dürchö' 
(9  Str.  Bayerns  Mda.  1,  233.  239.  Lutterotti,  Gedichte  im  Tiroler  Dialekt  1854  S.  44. 
Frommanns  Deutsche  Mda.  5,  100.  1858.  Süss  1865  S.  107.  Die  Heimat  1,  208; 
Meran  1912-13). 

Übrigens  ist  der  die  Kirchenmusik  anstaunende  Bauer  ein  altes  komisches 
Motiv.  In  Freys  Gartengesellschaft  c.  54  betet  die  Biiurin  die  Orgel  im  Strass- 
burger  Münster  an;  in  den  von  Jellinghaus  herausgegebenen  niederdeutschen 
Bauernkomödien  1880  S  154  und  2.15  erzählt  ein  Bauer,  wie  der  taktschlagende 
Kantor  den  Jungen  winkte  stillzuschweigen,  diese  aber  immer  lauter  schrien;  vgl. 
J.  P.  de  Memel,  Lustige  Gesellschaft  1656  nr.  2  und  J.  Leseberg,  Jesus  duodecennis 
1610  Bl.  E3b.  Ebenso  beliebt  waren  bäurische  Schilderungen  einer  Theaterauf- 
führung:  Pirmenich  2,  176.  181.  188.  447.  3,  278.  A.  Pölz  bei  Blümml,  Schottky 
S.  145. 

Berlin.  Johannes  Bolte. 


;t-2 


Clauss-Mangler: 


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Volkslieder  aus  dem  Odenwald»). 
1.    Die  heiljgen  drei  Könige. 


^^^^^^^=^^^^^ 


'Ilir     lieil  -  gen     drei     Kö  -  nig    aus  Mor  -  gen-land,  wo    wol  -  let      ihr 


1= 


^ig^^^ 


hinV  —  „NachBeth  -     -  le  -  hem." 

2.  „Nach  Hetlilelieni  steht  unser  Sinn,       7. 
Wir  wolln  anbeten  den  Herrn  Jesum 

Christ.'- 

3.  'Ihr  lieben  drei  Herren,  bleibet  heute 

bei  mirl  8. 

Iih  will   euch  guten  Wein  und  guts 
Hier." 

1.    -Ach    nein,    ach    nein,    tlas  kann  ja      U. 
nicht  sein, 
In  dreizehn  Tagen  vierhundert  Meil." 

ö.    'Ei    warum    ist   denn    der  mittel  so     10. 
schwarz'?' 
„Es  ist  der  König  aus  Morgenland." 

6.    'Rist    du    es  der  König  aus  Morgen-     11. 
bind, 
So  reiche  mir   deine  rechte  Handl' 


,,Meine     rechte    Hand    die    reich     idi 

dir  nicht, 
Denn  du  bist  der  Herodes,    ich  traue 

dir  nicht." 

Sie  gingen  alle  drei  den  Berg  hinauf, 
Da  sahn  sie  den  Stern  wohl  über  dem 

Haus. 

Sie    gingen  alle   drei  ins  lluus  hinein, 
Da    fanden    sie    die    Mutter   und    das 
Kind  allein. 

Sie  fanden  das  Kind  ganz  nacket  und 

bloß 
Und  legtens  der  Maria  auf  ihren  Schoü. 

Sie  schenkten  der  Mutter  eine  goldene 

Krön, 
Bis  übers  Jahr  einen  neuen  Sohn. 


Die  iilteslon  Aufzeichnungen  dieses  Ansingliedes  stammen  aus  dem  IG.  Jahr- 
hundert (Wackernagei,  Kirchenlied  2,  nr.  '.118— 9'21.  Erk-Böhme,  Liederhort  3,  10'.' 
iir.  ULM  ff.  Vogt,  Die  schlesischen  Weihnachtspiele  1901  S.  300).  Die  drei  Teile 
desselben,  das  dramatisch  wirkende  Gespräch  der  Könige  mit  Herodes,  die  An- 
betung des  Christkindes  und  die  Bettelreinic  am  Schluss,  sind  in  unserer  Fassung 
trotz  mancher  Entstellung  deutlich  zu  erkennen.  Die  erzählende  Einleitung  (Drei 
König  kamen  in  Herodes  Land  .  .  .)  ist  freilich  bis  auf  einen  in  Str.  4  rer- 
sprengten  Rest  (Sie  ritten  daher  in  schneller  Eil,  in  dreizehn  Tagen  vierhundert 
Mei!)  verloren  gegangen.  'Morgenland'  in  Str.  5 — 6  ist  aus  'Mohrenland'  entstellt. 
I>er  letzte  Vers  'Bis  übers  Jahr  einen  neuen  Sohn'  stammt  natürlich  aus  dem 
Danke,  mit  dem  die  Sternsinger  nach  erhaltener  Spende  sich  von  der  Gebern  ver- 
abschieden (Man  hat  uns  ehrcntleichen  geben,  der  liebe  Gott  laß  euch  mit  Freuden 
leben  usw.).  —  Zur  Verbreitung  des  Liedes  vgl.  Erk-Bühmc  3,  Uli,  Schweizer 
Volkskunde  4,  MÜ  und  fiewalter,  Kinderlied  11)14  S.  394  zu  Nr.  713.  Ähnlich 
niederländisch  bei  F.  van  Duyse  3,  2041  nr.  528;  danisch  bei  Nyerup,  Udvalg  af 
danske  Viser  1,  278  nr.  5ö  (1821). 

Bei  dieser  Gelegenheit  sei  es  verstattet,  von  einem  um  IsOO  gedruckten 
Nürnberger  Kupferstiche  (auf  dem  Germanischen  Museum),  der  den  Umzug  dci 
Sternsinger  darstellt,  die  Melodie  eines  Sternsingerliedes  mitzuteilen,  zu  dem 
der  Text  leider  nicld  überliefert  ist: 


1)  Vgl.  oben  20.  401. 


Kleine  Mitteilungen. 


93 


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2.  Marias  Wanderung. 


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1.     Ma  -  ri  -  a     woll-te     wal 


len,  wollt  al  -  le  Land  aus  -  2:ehn, 


wollt 


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su-chen  ih-  ren     .Sohn 


den     sie    ver-lorn  hat  schon. 


2.  'Wir  haben  ihn  gesehen 

|:  Vor  eines  Juden  Haus  :| 
Schaut  er  ganz  traurig  aus.' 

3.  „Was  trug  er  auf  seinem  Haupte?" 
\:  'Eine  dörnerische  Krön,  :| 

Das  Kreuz  trug  Jesus  schon. 


4.  'Das  Kreuz   muli  .lesus  tragen 

i:  Von  Jerusalem  in  die  Statt.  ;, 
Wo  Jesus  gelitten  hat. 

5.  'Maria,  du  sollst  nicht  weinen. 

:  Sollst  auch  nicht  traurig  sein. 
Das  Himmelreich   ist  dein. 


6.  'Das  Himmelreich  geht  über, 
1:  Geht  über  Gut  und  Geld,  ; 
Geht  über  die  ganze  Welt.' 

Vgl.  Erk-Böhme  3,  756  nr.  2058—2062.  Priedlaender,  Hundert  deutsche  Volks- 
lieder nr.  76  (Siebengebirge).  Köhler-Meier  nr.  1.  Dunger-Reuschel  1915  S.  236. 
Schlossar  S.  0.  Blümml,  Beiträge  zur  dt.  Volksdichtung  1908  S.  29.  Hauffen, 
Gottschee  Nr.  4.  Thirring-Waisbecker,  Zs.  f.  öst.  Volksk.  il,  184  nr.  27  (Heunzen). 
Wolgakolonien  1914  Nr.  10.  —  Ähnlich  Waldau,  Böhmische  Granaten  2,  169. 

3.    Der  ungeschickte  Wildschütz. 


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1.     Der  Salz-bur-ger  Bau-  er  hat    ein  ein  -  zi  -  gen  Sohn:  wenns  heisst  im  Wald 


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schiessen,  hängt  ers  Flintlein  schon  an:     Ich  schiess  die  Ha-sen  und  du  schiesst  die 


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Reh,  und    i     tausch  mit  keim    Gra  -  fen     und    i     tausch  mit  keim  Fürst. 


94 


Clauss-Mangler,  Englert: 


Heut  hats  im  Wald  gscliosse, 
Es  hat  mich  sphr  verdrösse: 
I'  hab  gemeint,  ich  scliieS  e 

Hlrsclüein, 
Und  iiab  e  Kuli  geschosse. 
Die  hat  moineni  Nachbar  g'hört. 
Der  hat  schrecklich  lamentiert. 
'Schweig  still,  mein  lieber  Naclibar, 
Schieß  e  Hirschlein  dafür." 


Gestern  abend  bin  i  heinigange, 

Käme  Jäger  zu  mir, 

Das  weis  i  aber  doch  net, 

Wams  drei  oder  wams  vier. 

Die  haben  gschaut,  was  i  trag 

I'nter     meinem    Gwehr    und     meiner 

Tasch; 
Gsagt  hab  i's  aber  doch  net, 
Und  gschmeckt  habe  sie's  net. 


Vgl.  Seckendorfs  Musenalmanach  für  das  Jahr  1808,  S.  57:  'Bin  a  Salzburga 
Baua  bei  mein  bestn  Jahrn'  (8  Str.  zu  6  Zeilen).  Eine  andre  Fassung  aus  dem 
Odenwaide  erhielt  Erk  (Naehlass  31,  807;  1858  von  W.  v.  Plönnies  in  Darmstadt: 
'Ich  bin  ein  Salzburger  Hauer"  (4  Str.). 


4.    Der  geschlagene  Ehemann. 

1.  Ein  Frau  wnllt  wall- fahr- tegehn,  he      juch- he,        IhrMann  wollt  a   mitgehn 


ei     dideldum  dumdumdum, ihr  Mann  wollt  a   mitgehn,  ei     di-del  -  di-del-dum. 


'Mann,  du  mußt  zu  Hause  bleibe, 
Mußt  Messer  und  Gabel  abreibe. 

Messer  und  Gabel  nicht  allein. 
Auch  das  kleine  Schmalzgändelein.' 

'Mann,  wieviel  Hühner  habe  glegt?" 
S  schwarz  unds  weiß  habe  gelegt. 

S  schwarz  unds  weiß  nicht  allein. 
Auch  das  kleine  Junghendelein. 

'Mann,  wieviel  Eier  hasch  der  ge- 

backe?' 
I  hab  mer  keins  gebacke. 


7.    Die  Frau  die  hält  (holt?)  d'  Ofegabel. 
Schlägt  den  Mann,  daß  er  zappelt. 

8.  Der  Mann  springt  zu  der  Hintertür  naus, 
Springt  in  sein  Nachbars  Haus: 

9.  'Herr  Nachbar,  was  will  i  sage, 
Mich  hat  mein  Frau   so  gschlage'. 

10.  'Mein  hat  mirs  a  so  gmacht. 
Morgn  woUn  mer  früh  aufstehn, 
WoUn  zum  Herr  Amtmann  gehn.' 

11.  'Herr  Amtmann,    vvas  wolle  mir  sagn, 
Uns  habe  unser  Weiber  so  gschlagn." 


12.    'Ihr  seid  halt  Weiberknecht, 

Euch  gschiehts  des  Teufels  recht.' 

Variante  zu  Str.  3— G:  Zu  Hause  bleib  i  net,  Messer  und  Gabel  reib  i  net. 
Str.  j  lies  Schmalzpfändelein? 

Vgl.  Erk-Böhme  2,  694  nr.  907—909.  Süß,  Salzburg  1865  S.  63.  Kohl. 
Tiroler  Lieder  1899  nr.  181.  Schottky,  Volksliedernaohlass  ed.  Biümml  19l2 
1,  80  nr.  22.  Kirschner,  Aussiger  Gau  1898  S.  59.  Heimat  (Meran)  1912—13,  46. 
Strackerjan,  Oldenburg^  2,  236.  Wendisch:  Haupt  -  Schmaler  2,  83  nr.  93.  — 
Verwandt  ist  das  Lied  'Es  war  ein  kleiner  Wann'  bei  Krk-Uöhnie  2,  686  nr.  895. 
Köhler-Meier  nr  ::1(».  Marriage  nr.  195.  Bender  nr.  130.  E.  John  1909  nr.  114. 
Gassmann  1906  nr.  67.  Amft  nr.  519.  Dunger  1915  S.  160.  Schremmcr  nr.  144, 
Lewalter,  Kindcrlied  S.  362  und  425  zu  nr.  321.  Tobler  1903  S.  73.  Zs.  f.  österr. 
Volksk.  15,  135.  Jungbauer,  Bibliographie  des  Volksliedes  in  Böhmen  1913  S.  100 
nr.  532— 534.  —  Ähnlich  dänisch:  Grundtvig,  Minder  2,  288  =  Berggreen,  Felke- 


Kleine  Mitteilungen.  95 

sänge'  1,  257  nr.  171.  Kristensen,  Skja»mteTiser  lyOl  S.  112  nr.  2.3  (Anmerkung). 
Norwegisch:  Bugge,  Folkeviser  fra  Telemarken  18.59  S.  20  =  Folke  1,  368. 
Französisch:  Ärnaudin,  Grande-Lande  1,  254—279  (Frau  spottet  über  ihren 
kleinen  Mann). 

Bretten.  Lina  Clauss-Mangler. 

(Anmerkungen  von  J.  Bolte.) 


Zu  dem  Spruch  'Hätt's  Gott  nicht  erschaffen'. 

(Oben  5,  355.) 
Das  Münchener  Nationalmuseum    besitzt    ein    ungefähr    18  x  12  cm    grosses, 
vermutlich  aus  einem  Stammbuch  herrührendes  Blatt,   auf  dem  die  folgenden,  von 
alter  Hand  geschriebenen  Verse  stehen: 

Hets  Gott  nit  Erschaffenn 

detens  Nitt  Nünen  vnd  paffen 

Wers  Vngesnd  detens  die  Dökdor  nit  pflegen 

dets  weh  lis  man  es  gar  Vnder  Wegen. 

Darunter  befindet  sich  eine  aquarellierte  Handzeichnung.  Ein  vornehm  ge- 
kleidetes Liebespaar  sitzt  unter  einem  Birnbaum  (Quittenbaum?)  auf  einem  mit 
Blumen  bedeckten  Hügel.  Der  Mann,  in  der  erhobenen  Linken  eine  goldene 
Schale  haltend,  kehrt  dem  Beschauer  den  Rücken  zu  und  hat  das  Gesicht  nach 
rechts  zu  der  Frau  gewendet,  die  sich  zärtlich  an  ihn  anschmiegt.  Unten  steht 
in  lateinischer  Schrift  lAPR  (P  aus  Versehen  für  H?)  und  darunter  1601. 

Vollständiger  lautet  diese  Verteidigung  der  geschlechtlichen  Liebe  in  einer 
Eintragung  von  1644    bei  R.  Reil,    Ein    denkwürdiges  Gesellen-Stammbuch  1860 

S.  45; 

Wenns  Vnrecht  wer,  so  hets  Gott  nit  erschaffen. 

Wenn  es  Sund  wer,   so  tlietens  nicht  die  Pfaffen. 

Wenn  es  vngesundt  wer,  so  thetens  die  Doctor  nit  pflegen. 

Wenn  es  nit  woU  thet,  so  Hessens  die  Weiber  vnderwegen. 

Ähnlich  in  einem  Jenaer  Studenten-Stammbuch  von  1753  bei  Keil,  Die 
deutschen  Stammbücher  1893  S.  2.)8:  'Lieben  ist  nicht  wider  Gott.'  Aus  dem 
Jahre  1772  stammt  eine  Aufzeichnung  im  Stammbuch  der  Seifensiedergesellen  der 
Stadt  Punitz  (Histor.  Monatsblätter  für  die  Provinz  Posen  8,  61.    1907): 

Das  lieben  ist  nicht  wieder  Got,  sonst  hätte  er  es  nicht  erschaffen. 
Keine  synd  kann  es  auch  nicht  seyn,  sonst  lissen  es  die  Pfaffen. 
Und  wäre  es  sehr  ungesundt,  so  würden  es  die  Ärzte  meiden. 
Und  gewisslich,  thät  es  wehe,  so  würd  es  keine  Jungfer  leyden. 

Fast  ebenso  in  der  oben  6,  603  von  mir  mitgeteilten  hsl.  Fassung  nach 
1768:  'Es  ist  nicht  wider  Gott'').     Auf   eine    in    Christian  Weises  'Überflüssigen 


1)  Zu    den    ebd.    6,  303   nr.  6    abgedruckten  lateinischen  Spottversen    auf    die 
Mönche  kann  ich  nachtragen,   dass  sie  in  etwas  andrer  Fassung  in  der  Aurifaber- 
schen   Sammlung   von    Luthers    Tischreden   {Eisleben  1566  BI.  617  =  Ausgabe  von 
Förstemann  3,  301)  begegnen:    „Encomium  Monachorum.    Einer   sagte    ein  Mal    zu 
Doctor  Martin  Luthern  über  Tisch  diesen  Vers  von  den  Mönchen: 
0  Monachi,  ventres  pigri  estis,  amphora  Bacchi, 
Vos  estis,  Dens  est  testis,  turpissima  pestis. 
Das  ist:  Die  Mönche  sind  faul  und  saufen  sehr, 

Sind  böse  Wurm,  bezeugt  Gott  der  Herr." 


96  Englert,  Kopp: 

Gedanken'  S.  IOC  enthaltene  Verbreiterung  des  Spruches  hat  Erich  Schmidt  oben 
."),  3.j.')  nr.  ■_'  hingewiesen  und  bemerkt,  dass  der  Volksreim  noch  heut  in  Österreich 
fortlebe.  Dies  kann  ich  aus  einem  1893  zu  Ruma  in  Syrmien  geschriebenen 
Liederhefte  bestätigen,  das  Herr  Dr.  A.  Byhan  in  Hamburg  dem  Herausgeber 
dieser  Zeitschrift  übersandte.  In  einem  aus  verschiedenen  Bestandteilen  zusammen- 
geflickten Liede  'Die  Mädchen  sind  wie  der  Wind'  (oben  26,  :J36)  lautet  hier  Str.  7—8: 

Und  wenn  das  eine  Schande  war,  so  hiitts  Gott  niclit  erschaffen; 
Wenn  das  eine  Schande  war,  so  tätens  nicht  die  Pfaften. 
Und  wenns  der  Gsundheit  schädlich  war,  so  täts  der  Doktor  meiden, 
Und  wenns  den  Mädchen  weh  tat  tun,  so  täten  sics  nicht  leiden. 

Der  Spruch  muss  aber  bereits  im  16.  Jahrhundert  verbreitet  gewesen  sein; 
denn  die  letzte  Zeile,  welche  in  der  oben  G,  303  erwähnten  Aufzeichnung  des 
18.  Jahrhunderts  also  klingt: 

Und  WRnn  es  wehe  thätt,   su  thätts  kein  Mädl  leiden, 
finden    wir    schon    in    Hieronymus  Bocks    gereimter  Satirc    "Der    rollen    brüder 
orden'')  Bi.  B4b  in  etwas  abweichender  Form  angeführt: 

Esel   wein.  (int  Latin,  hat  nur  zwo  sylba. 

Noch  lindt  man  ander  wein  trollen,  Darzu  kreichen  sie  also  sehr, 

Wann  sie  des  haben  ein  vollen.  Hei  jn  gierten  suiist  nichts  gelten  mehr. 

Rhümen  .sich  jrer  lehr  vnd  kunst,  Bald  faliends  an  zu  figurieren. 

Was  sie  zu  Dauender  vnd  sunst  l>er  graw  esel  will  auch  Ba.ssieron, 

Zu  Löuen  lioch  studiert  haben  Kan  Solmisiiren  Vt  Ke  FA  l{e 

Griechisch  Latinisch  buchstaben,  Ita  Vt  Fa  Re  mi  la  Rc. 

Kennen  drei  .J.  im  ABC,  Der  Text  aber  heist:  Thet  es  wehe. 

Vorn  stehts  A,  in  der  mitt  ein  T,  Die  meidlin  Hessen  d  knaben 
Die  machen  ein  Wort,  heist  Ita'),  gehn°). 

Da  die  durch  Solmisationssilben  bezeichneten  Noten  das  Bruchstück  einer 
Melodie  bilden,  so  ist  anzunehmen,  dass  der  von  Bock  angeführte  Text  einem 
gesungenen  Volksliede  entnommen  ist.  Vielleicht  vermag  der  eine  oder  der  andere 
Leser  dieser  Zeitschrift  hierüber  Aufschluss   zu  erteilen. 


1)  Erschienen  vermutlicli  zu  Strassburg  zwischen  154;;  und  1550.  Vgl.  Strauch, 
Vjschr.  f.  Litgesch.  1,  90—97.  2,  497. 

2)  Als  klangmalende  Bezeichnungen  für  das  Eselgeschrei  führt  Grimms 
DWb.  4,  2,  201(1  die  Kornion  ia.  ya(h),  chika,  gigag,  hika,  ihUi'a  und  ika  an.  aber 
nicht  die  obige  Form. 

3)  Auf  diese  Stelle  wurde  ich  durch  den  folgenden  Hinweis  in  Fischarts 
Praktik  (Scheibles  Kloster  8,  613)  aufmerksam:  „Es  werden  sich  auch  jhren  viel 
lieber  frü  niderlege.-i,  dann  frü  auffstehen,  nachdem  ein  Bachofen  voll  Lieb  da 
regiert;  dann  es  heis.,  wie  H.  Bock  reimet:  Thet  es  wehe,  die  Meidlin  Hessen  die 
Knaben  gehn."  —  Den  ähnlichen  Gedanken,  dass  Frauen  liebe  mehr  wert  sei  als 
alle  andern  Vergnügungen,  ver.sinnlicht  ein  öfter  wiederholter  Holzschnitt 
des  IG.  .lalirhunderts,  durch  vier  mit  (iraben,  Fischen.  Falkenjagd  und  Feuer- 
anblasen beschäftigte  Männer  und  ein  sie  verlachendes  Mädchen  (Wickram.  Werke 
5,  XCIII'.  E.  Fuchs,  Die  Frau  in  der  Karikatur  190G  S.  182.  .1.  v.  d.  Pleyden, 
Speculum  Cornelianum  1G18  nr.  34).  —  Einigermassen  verwandt  sind  die  Dar- 
stellungen der  vier  Alter  der  Liebe  (Wickram,  W.5,  CIX  und  S,  350.  Diederichs, 
Deutsches  Leben  der  Vergangenheit  1,  150  nr.  488.  De  Bry,  Emblemata  1611,  Neu- 
druck 1894  nr.  25.  .L  v.  d.  Heyden,  Öpec.  Cornelianum  1618  nr.  ;!5.  VgL  Gassmann, 
Das  Volkslied  im  Luzerner  Wiggertal  190G  nr.  108  'Ist  das  Mädchen  achtzehn  .lahr"). 

München.  Anton  Englert  (und  J.  Bolte). 


Kleine  Mitteilungen.  yj 

Lieben  kein  Verbrechen. 

Das  gellügelte  Wort  „Ist  denn  Lieben  ein  Verbrechen"  wird  bei  Büch- 
mann  (20.  Aull.  1900  S.  330  u.  ö.)  auf  eine  Ode  von  A.  Pope  (1708)  zurück- 
geführt und  im  Bereich  der  deutschen  Dichtkunst  mit  Stellen  aus  Gellerts  Lust- 
spiel Die  zärtlichen  Schwestern'  (174T),  Lessings  Trauerspiel  'Sara  Sampsoii' (17.j5), 
Wielands  'Grazien'  (177(1),  C.  F.  Weißes  'kleinen  lyr.  Gedichten'  (1772)  belegt, 
worauf  dann  die  bekannten  Anfangsworte  des  nach  Angabe  von  Erk-Böhmes  Lieder- 
hort (2,  4Ö4  Nr.  645)  schon  vor  ISIO  entstandenen  Liedes  angeführt  werden.  Dieses 
findet  man,  meist  vierstrophig,  ausserdem  noch  in  Bernhardis  Liederlexikon  (2,  234 
Nr.  ir.tl),  in  Härteis  Liederlexikon  ('S.  3:!1  Nr.  428),  in  Wustmanns  Liederbuch 
f..  altniod.  Leute  ("  S.  4G4  vgl.  622),  bei  Köhler-Meier,  Volkslieder  von  der  Mosel 
und  Saar  (S.  44  Nr.  3(1,  hier  2  achtz.  Str.),  in  der  Liedersammlung  des  Studenten 
F.  Rolle  1S46/47  (v.  O.  Stückrath):  Hess.  Blätter  f.  Volkskde.  11,  s2  u.  ö.  Vgl. 
Hoffmann -Prahl,  Unsere  volkst.  Lieder*  S.  157.  Prahl  verweist  auf  eine  Stelle 
bei  Kopp,  Deutsches  Volks-  und  Studenten-Lied  (S.  285)  aus  der  Handschrift  eines 
ungenannten  Schlesiers  „Ist  Lieben  ein  so  groß  Verbrechen",  was  auch  die 
Herausgeber  der  späteren  Auflagen  von  Büchnianns  Geflügelten  Worten  (''^1903 
S.  34^  usw.)  sich  zunutze  gemacht  haben.  Abgesehn  von  einem  Nachtrag  im 
Euphorion  13,  131  mögen  hier  zu  den  vorstehenden  einige  fernere  Belegstellen 
hinzugefügt  werden. 

Vor  allem  findet  sich  mehrere  Jahrhunderte  vor  Popes  „'t  is  no  crime  tolove" 
in  den  Carmina  Burana  S.  171  'Non  est  crimen  amor,  quia,  si  scelus  esset  amare  | 
nollet  amore  deus  etiam  divina  ligare'.')  In  der  1722  erschienenen  Oper  'Das 
eroberte  Jerusalem'  von  Joh.  Sam.  Müller,  2.  Handlung,  2.  Auftritt  kommt  vor: 
.„Ist  Lieben  ein  Verbrechen?"  Ahnliche  Wendungen  trifft  man  auch  in  der  Lieder- 
dichtung des  1>;.  Jahrhunderts  an.  ohne  dass  ein  unmittelbarer  oder  auch  nur 
irgendwie  mittelbarer  Einfluss  Popes  darum  anzunehmen  wäre.  So  bieten 
Le  Pansivs-)  Poetische  Grillen,    Erfurt  1729  S.  33: 

Ist  denn  mein  Lieben  ein  Verbrechen, 

Und  meine  nie  gebrochne  Treu? 

So  will  ich  selbst  mein  ürthel  sprechen, 

Dass  ich  des  Todes  würdig  sey. 
Vom  bekannten  Sperontes  (Scholze)  enthält  'Singender  Muse  an  derPleisse  Zweyte 
Fortsetzung"  (1743)  ein  Lied  (Nr.  21),  das  beginnt  „Mein  Engel  nimm  zu  Herz  und 
Ohren",  das  in  sechs  sechszeiligen  Strophen  verläuft,  und  wovon  die  vierte  Strophe 
lautet:  „Ist  redlich  lieben  eine  Sünde?  |  So  wirf  den  ersten  Stein  auf  mich"  .  .  . 
Dieses  Lied  kommt  auch  in  fliegenden  Jahrmarktsheftchen  vor,  z.  B.  Berlin 
Yd  7909  St.  43  Mein  Engel,  nimm  zu  Herz  und  Ohren  .  .  .  ü  Str.  4:  Ist 
redlich  lieben  eine  Sünde  .  .  .  Straßburg  U  und  LB  Sammelm.  IV  St.  50  Willst 
Du  mich  nicht,  mein  Kind  mehr  lieben  ...  9  Str.  3:  Nimm  dieses  doch  zu  Herz 
und  Ohren  ...  6:  Ist  redlich  lieben  eine  Sünde  .  .  . 


1)  [Ähnlich  lautet  Chr.  Weises  Beweisführung   (Der   grünenden  Jugend   über- 
flüssige Gedanken  1668  =  Neudruck  1914  S.  98.     Oben  5,  355) : 
Ihr  Leute  lasset  euch  in  Liebessachen  ein! 
Dann  wo  die  Liebe  nicht  auff  Erden  solte  seyn, 
So  war  das  liebe  Ding  die  Eva  nit  geschaffen  .  .  . 
Eine  offenbar  ältere  Fassung  ist  oben  6,  303  mitgeteilt: 
Es  ist  nicht  wider  Gott, 

Sonst  hätt'  ers  nicht  ei'schaffen  .  .  Ferner  s.  oben  S.  95.] 
2)  Deckname  für  Joh.  Carl  Kell,  geb.  1693  zu  Zwochau  (oben  23,  392). 
Zeitschr  d.  Vereins  f.  Voltskunde.    1918.  7 


98  Kopp,  Stückrath: 

Hierher  gehören  auch  Stellen  wie  von  Friedrich  Müller  in  Könneckes 
Literaturatlas  -S.  257:  „o  wer  wollt'  auf  Erden  leben,  '  wenn  die  Liebe  Sünde 
wiir"  —  oder  in  einem  Plugheftehen  Yd  Tül'.t  Stück  84  "Sechs  schöne  Neue  Lieder' 
an  vierterstelle  „Jenseits  wart  ich  Dein,  Zilinde"  die  zweite  von  acht  (4  z.) 
Strophen  im  ganzen:  „Dort,  wo  Liebe  kein  Verbrechen  |  Gleich  gestimmter 
Seelen  ist"  —  oder  im  Lie<le  .Schön  ist  die  Jugend-  z.  B.  Erk-lrnier  1.S41  H.  G, 
S.  25  Nr.  2t>  von  6  Strophen  die  vierte:)  „Ist  denn  Lieben  ein  Verbrechen'"  u.  a.  m. 
Auch  für  das  Lied,  von  dessen  Anfangsworten  die  geilügelie  Redensart 
Schwungkraft  und  Hauptanstoss  erhielt,  lassen  sich  fliegende  Drucke  nennen  — 
mit  etwas  abweichendem  Heginn  „So  ist  lieben  ein  Verbrechen"  Yd  'i'M)2.  III  und 
Yd  7903:  'Vier  sehr  beliebte  neue  Lieder  B.  Z.  (169)  d.  i.  Berlin,  Zürngibl  — 
Yd  7904,  IV  (196)  —  und  wie  sonst  üblich  beginnend  „Ist  denn  Liebe(n)  ein 
Verbrechen"  Yd  7903  (215),  Yd  7908  (05),  Yd  7918  St.  14,  Yd  7932  St.  15  u.  a.  m. 
Weiteres  über  Lied  und  geflügeltes  Wort  findet  man  schliesslich  bei  J.  Meier, 
Kunstlieder  im  Volksmunde  S.  75  Nr.  480  und  Einleitende  Bemerkungen  S.  LX  bis 
LXll,  sowie,  neuerdings  in  dessen  1917  erschienenen  Volksliedstudien  S.  o,  o7— 42. 
Wenn  er  in  letzterem  Buche  (S.  37)  aus  Königs  Gedichten  (Hamburg  u.  Lpz.  171  ii, 
Vorw.  1713)  anführt  „Ist  Lieben  ein  so  groli  Verbrechen"  (Arie,  7  Zeilen),  so  hat 
er  damit  zugleich  den  Verfasser  für  das  damit  identische  Gesangsstück,  auf  das 
oben,  bereits  hingewiesen  wurde,  das  bisher  nur  aus  der  Handschrift  jenes  unge- 
nannten Schlesicrs  mitgeteilt  war,  unzweifelhaft  ermittelt. 

Nicht  nur  durch  die  gleiche  Strophenform,  die  zu  den  gebräuchlichsten  und 
volkläufigsten  innerhalb  der  deutschen  Dichtung  gehört,  eine  blosse  Verdopplung 
der  allgemein  verbreiteten  einfachen  vierzeiligen  Form  (4  m  3  w  4  x  ab  .  .  .  cd), 
sondern  auch  durch  Inhalt  und  Färbung,  durch  das  ganze  wehleidig  empfindsame 
Liebesgewinsel  fühlt  man  sich  gemahnt  an  das  wegen  seiner  süsslich  lüsternen, 
katzenjämmerlich  mauzenden  Erapfindelei  berüchtigte,  wegen  der  einschmeichelnden, 
schmelzenden  Melodie  jedoch  unverwüstliche  Lied  vou  gleichfalls  unbekannter 
Herkunft  ..Guter  Mond,  du  gehst  so  stille".  In  beiden  Fällen  handelt  sich's 
olTcnbar  um  hotlnungslose,  sündhafte  Liebe,  sträflichen  Umgang  und  verbotenen 
Genuss,  wenn  auch  nur  in  Gedanken,  wodurch  in  dem  einen  Liede  die  sophistische 
Frage  veranlasst,  im  andern  der  gute  Mond  zum  -Schluss  aufgefordert  wird,  ins 
Kämmerlein  der  Angebeteten  zu  schleichen  und  ihr  zu  sagen  „daü  ich  sie  liebe  .  .  . 
daß  ich  aber  schon  gebunden  .  .  .  und  dal.1  ich  nicht  ohne  Sünde  lieben  könne  in 
der  Welt;  lauf  und  sag's  dem  guten  Kinde,  ob  ihr  diese  Lieb'  gefällt'-.  Wie 
nahe  liegt'  hier  die  Frage,  fast  schwebt  sie  schon  auf  den  Lippen:  .Ist  denn 
Lieben  ein  Verbrechen'?* 

Marburg  in   H.  Arthur  Kopp  t- 


l)as  Itinglein  sprang  entzwei. 

Bolte  hat  oben  20,  66  ff.  über  das  Motiv  des  zerbrochenen  Bingleins  ge- 
handelt. Es  ist  ihm  entgangen,  dass  in  dem  vielgesungenen  und  weitverbreiteten, 
auch  jetzt  noch  nicht  ganz  vergessenen  Modeliede  des  18.  Jahrhunderts  ..Ich 
liebte  nur  Ismencn,  Ismene  liebte  mich,"  das  von  einem  Grafen  Putbus  in  Weimar 
herrühren  soll  (gedruckt  1766),  das  Motiv  des  zerbrochenen  Ringleins  in  prägnan- 
tester Fassung  auftaucht.     Es  heisst  da: 

Hier  unter  diesen  Buchen 

Gabst  du  mir  Strauss  und  Band. 


Kleine  Mitteilungen.  99 

Dort  kamst  du  mich  zu  suchen, 
Hier  nahmst  du  meine  Hand. 
Dort  gabst  du  mit  Erröten 
Den  Ring,  den  Untreu  bricht.  — 
Gedanken,  die  mich  töten, 
Ach  straft  Ismenen  nicht! 
Ct.  Wustmann,    Als    der  Grossvater    die   Grossmutter    nahm.     4.  Aufl.     Leipzig 
1905,  S.  aiSS.    Friedlaender,  Das  deutsche  Lied  im  18.  Jahrhundert.     1902.    2,  TS. 

Bei  der  ausserordentlichen  Beliebtheit,  deren  sich  das  Lied  erfreute  —  man 
denke  nur  an  Goethes  Brief  an  Herder  1771  (Aus  Herders  Nachlass,  herausi;-.  von 
Heinrich  Düntzer  und  Ferdinand  Gottfried  von  Herder  I,  Prankfurt  a.  M.  1856, 
S.  29):  „Ich  habe  aus  Elsass  zwölf  Lieder  mitgebracht,  die  ich  auf  meinen  Streife- 
reien aus  den  Kehlen  der  ältesten  Mütterchens  aufgehascht  habe.  Ein  Glück! 
Denn  ihre  Enkel  singen  alle:  „Ich  liebte  nur  Ismenen."  —  ist  es  vielleicht  be- 
rechtigt anzunehmen,  dass  Eichendorlf  aus  ihm  das  Motiv  des  zerbrochenen 
Ringieins  entlehnte,  es  glücklich  mit  dem  Mühlenradraotiv,  das  im  Volksliede  seit 
dem  IG  Jahrhundert  aul'taucht  und  in  der  Kunstdichtung  immer  wieder  eine  Rolle 
spielt,  verschmolz  und  so  eine  Einheit  schuf,  die  in  allen  ihren  Teilen  volks- 
miissig  gedacht  war,  vom  VoUie  fast  unverändert  aufgenommen,  aber  auch  weiter- 
gebildet und  zum  Ausgangspunkte  einer  ganzen  Reihe  neuer  Lieder  gemacht  wurde 
und  so  eine  ganz  ausserordentlich  liedbildende  Wirkung  ausübte. 

Biebrich  a.  Rh.  Otto  Stückrath. 

Nachschrift.     Der  obige  Nachweis    ist  zweifellos  wertvoll;    allein    wenn    die 

Worte  'den  Ring,    den  Untreu  bricht'    bedeuten   sollen:    'den  Ring,    der    im  Falle 

der  Untreue    des  Mädchens    am  Pinger    des  Jünglings  zerspringt',    so    müssen  sie 

auf  eine  längst  bekannte  Vorstellung  anspielen:    sonst  wäre   der  Ausdruck  viel 

zu  knapp  und  undeutlich.     Es    ist    mir    daher    wahrscheinlicher,    dass  EichendorfT 

auf  eine    solche    ältere  Überlieferung    zurückgreift    als    gerade    auf   dieses  Lied. 

Übrigens  leitet  sowohl  O.  v.  Greyerz  (Schw-eizer  Archiv  für  Volkskunde  IG,  205) 

als    der  verstorbene  Dr.  Ludwig  Krähe    (nach    brieflicher  Mitteilung)  Eichendorlfs 

Ringmotiv  direkt   aus  dem  Wunderhornliede  vom    zerbrochenen  Mühlrad  ab.     Zu 

den  Umwandlungen  von  Eichendorffs  Gedicht  im  Volksmunde  vgl.  noch  F.  Günther, 

Die  schlesische  Volksliedforschung  191G  S.  177. 

Johannes  Bolte. 


Kunstlieder  im  Volksmunde.i) 

1.  Gustav  Pfarrius,  Der  Wein  von  1857. 

A.  Originaldichtung. 

1.    Im  Jahr  achtzehnhundert  fünfzig  und  Doch  Eins  und  das  Beste  gerieth, 

sieben  Davon  soll  erzählen  dies  Lied. 

Chor:  Ja!  Chor:  Doch  eins  und  das  u.  s.  w. 

Da  verbrannten  der  Kappes  und  die 

ßjjben  2.    Zum  Herrn  hatte  Petrus  gerufen  durch 

Chor:  Ja!  des  Himmels  Spalten: 

Da  verbrannten  die  Braten,  O  Herr,  hier  außen  ist  es  nicht  mehr 

Chor:  Ja!  auszuhalten! 

Der  Geldpotentaten,  Das  ist  ein  Gedusel 

Chor:  Ja!  Von  Bier  und  von  Fusel! 


1)  Vgl.  oben  23,  391.    24,  315. 


100 


Stückrath: 


Laß  wieder  den  Weinstock  gedeih'n, 
Sonst  mag  ich  nicht  Portier  mehr  sein ! 

Da  sprach  der  Herr  milde  und  gnädig. 
Wozu  denn  gleich  so  wild    und    un- 

fläthigV 
Stopft  zu  an  den  Zinnen 
Des  Himmels  die  Rinnen! 
Servaz  und  Pankraz  bindet  fest 
Und  Urban  belegt  mit  Arrest! 

Da  tunkeltewie  ein  Demant  die  Sonne, 

Und  auf  Erden  verbreitete  sichWonne; 

Es  quoll  aus  den  Reben 

Ein  Jubel  imd  Leben, 

Daß  Noah  der  Alte  thät  schrei'n: 

Ach,  könnt'  ich  doch  drunten  jetztsein! 

Da  aber  sprach  Petrus  zu  \oah  dem 
Frommen : 

Kannst  du  denn  niemals  genug  be- 
kommen? 

Da  drunten  giebt's  heute 

So  durstige  Leute, 

Daß  ihnen  der  Schoppen  zu  klein, 

Ging  sechsmal  so  viel  aucli  hinein. 


i"i.    Da  sind  z.  I!.  die  Männer  der  'Namen- 
losen', 
Mit  denen  wünscht'  ich  selber  einmal 

anzustoßen; 
Sie  waren  beim  Sauern 
Bisher  zu  bedauern; 
Wie  herrlich  wird  jetzt  ihr  Gedeih'n 
Heim  Siebenundfünfziger  sein! 

".    Da  schwieg  Xoah,  sich  hüllend  in  seine 

Tugend, 
Und    gedachte    der    schönen    Zeiten 

seiner  Jugend, 
Als  im  dauuiligen  Weinjahr 
Er  der  Trinker  allein  war; 
Die  zechen  jetzt,  dacht'  er,  drauf  los, 
Und  ich  sitz'  in  Abrahams  Schooß! 

S.    Darum,  ihr  lieben  Freunde  und  Fest- 

geniissen, 
Laßt    uns  wirken    im  Siebenundfünf- 

zigor  unverdrossen, 
So  lang'  zum  Geschäfte 
Vorhalten  die  Kräfte; 
Denn  drüben  in  Abrahams  Schooß 
Macht  Keiner  den  Pfropfen  mehr  los! 


Gedichte  von  Gustav  Fi'arrius,  Neue  Sammlung.  Köln  1S60.  S.  265— 2G7: 
'Lied  auf  den  Siebenundlüiirziger,  nach  der  Melodie  des  Baierischen  Himmels'. 
Zur  Melodie  vgl.  Erk-Böhme  3,  ö.OO  nr.  1764  'Nach  Kreuz  und  ausgestandnen 
Leiden'.  Ein  Einzeldruck  (1904)  o.  0.  bringt  geringe  Abweichungen,  die  durch  den 
Charakter  des  Einzeldruckes,  der  als  Tafellied  bei  einer  Dampferfahrt  irgendeiner 
lustigen  Gesellschaft  gedient  zu  haben  scheint,  bedingt  sind.'-} 

2)  Ein  in  Studentenkreisen  verbreitetes  Lied  auf  den  Trojanischen  Krieg  (6 Str.' 
ist  entweder  dem  obigen  Gedichte  von  Pfarrius  nachgeahmt  oder  geht  ebenfalls 
auf  den  'Bayrischen  Himmel'  zurück.  Die  Aufzeichnung  der  Melodie  verdanke  ich 
meinem  Kollegen  Herrn  Professor  Dr.  K.  Knott.     (J.  Bolte.) 


Solo. 


Chor.      Solo 


1.     Im  Jah-re     elf-hun-dcrt-achtundachtzig  an  -  te  Christum  na-tiim,  .la! 


Da 


woll-tc     es    das    un- er  -  bitt-li-che  Fa-tum,  Ja!dassdieStadtTrojavomFeuerzer- 

Chor.  Solo. 


stört  \vard,.)a!  Wie  sowasbis  dahin  nochniemalser-hörtward.  Ja!    Wie        dio-scs  den 


Kleine  Mitteilungen. 


101 


B.  Aus  dem  Volksmunde. 


Es  war  im  Jahre  achtzehnhundert  sechs- 
und.siebzig  und  sieben, 

Chor:  Ja! 
Da   verfaulten    die  Kappes    und   die 
Rüben. 

Chor:  Ja! 
Da  verfaulten  die  Trauben, 

Chor:  Ja! 
Es  ist  kaum  zu  glauben! 

Chor:  Ja! 
Dass  derPetrus  im  Himmel  tat  schrei'n : 
Jetzt  mag  ich  kein  Pförtner  mehr  sein !" 

Chor:  Dass  der  Petrus  usw. 


3.  Drauf  schien  vom  Himmel  die  Sonne 
Und  auf  Erden  verbreitet  sich  Wonne, 
Und  es  reiften  die  Trauben, 

Es  ist  kaum  zu  glauben, 

Dass  der  Noah  im  Himmel  tut  schrei'n: 

,Ach.  könnt' ich  dort  unten  jetzt  sein!" 

4.  Drum,  ihr  Bretthiiuser,   Steiner  Boden- 

losen, 
Mit  euch  will  ich  jetzt  einmal  anstossen, 
Denn  ihr  wart  bei  dem  sauren 
So  sehr  zu  bedauren, 
Euch  ist  jetzt  jeder  Schopjieu  zu  klein, 
Ging  zehnmal  soviel  noch  hinein. 

5.  Drum, 


2.    Da  sprach  der  Herr  zu  Petrus  gnädig: 
„Sei  docli  nicht  immer  so  unflätig, 
Verschliesse  die  Pforten, 
Lass  grünen  die  Borten, 
Dass  die  Menschen  auf  Erden  sich 

freu'n, 
Und  lustig  gedeihe  der  Wein!" 

Mündlich  aus  Bretthausen  und  Stoin-Ncukirch  (Obcrvveiterwaldkreis)  1905. 
(Vgl.  dazu:  Der  Westcrwalii,  im  Auftriige  des  Westerwaldklubs  herausgegeben 
von  Leo  Steruberg.    Düsseldorf  l'Jll.    S.  122  1'.) 


ihr  lieben  Freund   \md  Zech- 
genossen, 
Lasst  uns  arbeiten  im  Weinberg  des 

Herrn  unverdrossen, 
Lasst  uns  trinken, 
Bis  wir  versinken! 

Denn  dort  oben  in  Abrahams  Öchoss, 
Meeht  kaaner  en  Stoppe  mehr  los. 


2.  Philipp  Keim,  Der 
A.  Originaldi 

Als  ich  in  Frankreich  Posten  stand. 
Meine  Augen  nach  der  Heimath  wandt', 
Dacht'  ich  an's  theure  Vaterhaus, 
Wie  mag's  doch  drinnen  sehen  aus':" 
Dort  werden  wohl  die  Lieben  mein 
Beisammen  in  dem  Stübchen  sein. 
Und  beten  demuthsvoU  zum  Herrn, 
Schütz'  den  Geliebten  in  der  Fern'! 

So  stand  ich  manche  lange  Nacht 
In  Frankreich  auf  der  stillen  Wacht, 
Und  dacht  mit  Sehnsucht  hin  zurück, 
Wo  mein  liebes  Kind  die  Welt  erblickt, 
Mein  liebes  Kind  von  mir  getrennt. 


Laudwehrmaiiii. 
chtung. 

Das  unbekannt  sein  Vater  nennt. 
Und  das  Licht  der  Welt  im  Heimath - 

land 
Erblickt,  als  ich  vor  StralJburg  stand. 

Als  ich  nun  einst  in  dunkler  Nacht 
Treu  wieder  stand  auf  kalter  Wacht, 
Fiel   Schuß  auf  Schuß,  ich  sank  dahin, 
Und  schwer  und    dunkel  ward    mein 

.Sinn. 
Man  trug  zum  Lazareth  mich  fort 
Und  pflegte  mein  am  stillen  Ort, 
Man  auch  die  Wunden  mir  verband 
Mit  treuer  Hand  in  fremdem  Land. 


'■■   Chor. 


Chor 
wiederholt. 


-K+r — • '  — ' — 


::^=r:^-^t 


— N S' 


-»       ■»■       -m- 


Griechenge  -  lang.  Ja,  ja!  das  soll  euch  verkünden  mein  Sang.  Ja,    ja!     Wie 
'    Schluss. 


Sang    .Ja,        ja! 


102 


Stückrath: 


Dann  lag  ich  manche  lange  Nacht 
Voll  Schmerzen,  wo  mein  Auge  wacht, 
Und  betete  zum  lieben  Gott: 
Sei  du  mein  Retter  in  der  Noth, 
O,  schütze  du  mit  deiner  Hand 
Die  Lieben  mein  im  Heimathland, 
l'nd  sende  Frieden  weit  und  breit 
Du  treuer  Gott  in  Ewigkeit! 

Gottlob I  geheilt  ist  meine  Wund' 
l'nd  laut  erschallt  die  Friedenskund", 
Das  deutsche  Reich  ist  neu  erwacht 
Durch  Deutschlands  Sieg  in  blut'ger 

Schlacht, 


Das  deutsche  Volk  ist  treu  geeint, 
Darnieder  liegt  der  stolze  Keind, 
Der  deutsche  Krieger  heimwärts  zieht, 
Wo  er  die  Seinen  wieder  sieht. 

Posd-s'  grieh-dumm. 
G.    Der  Kaiser  Luis  Napoleum, 

Der  krauchelt  in  dem  Busch  herum. 

Mit  500,000  Mann. 

In  kann  an  Kutschke')  doch  net  ran. 

Lud  wann  der  Feind  das  'Aisik'  gricht, 

So  fürchte  mir  uns  Deutsche  nicht. 

Vivat  Deutschland, 

Du  sollst  leben  Hoch  I 


Philipp  und  Lisbeth  Keim  aus  Diedenbergen,  ein  nassauisches  Dichter-  und 
Bardenpaar.  Wiesbaden,  herausgegeben  von  J.  Chr.  Glücklich.  IV.  .Aufl.  1905. 
S.  178  f.  nr.  S".'.     (Über  den  Verfasser  IMülipp  Keim  vgl.  a  a.  0.) 

B.  Aus  dem  Volksmunde. 


Als  ich  in  Frankreicli  Posten  stand, 
Mein  Aug'  ich  oft  zur  Heimat  wandt', 
Und  dacht'  ans  teure  Vaterhaus 
Und  all  die  Lieben,  die  zuhaus. 

So  stand  ich  manche  lange  Nacht 
In  Frankreich  auf  der  stillen  Wacht, 
Es  fiel  ein  Schuss,  ich  sank  dahin. 
Und  schwer   und   dunkel   ward    mein 

Sinn. 


.\I:in  trug  zum  Lazarett  micli  fort 
fnd  pflegte  mein  am  stillen  Ort, 
Auch  meine  Wunden  man  verband 
Und  pflegte  mich  mit  treuer  Hand. 

Gottlob,  geheilt  ist  meine  Wund', 
Und  laut  erschallt  die  Friedenskund', 
Das  deutsehe  Reich  ist  neu  erwacht 
Durch  Deutschlands  Sieg  in  blut'ger 

Schlacht. 


Mündlich  aus  Bonseheuer  (ünterlahnkreis)  I'JIO.  —  Vgl.  dazu  John  Meier, 
Kunstlieder  im  Volksmunde  11)06  nr.  350  und  Kühler-Meier,  Volkslieder  von  der 
Mosel  isy<;  nr.  315. 

3.  .1.  F.  Castelli,  Das  Waldweibchen. 
A.  Originaldichtung. 

1.  Ich  bin  ein  armes  Mädchen, 
Hab'  weder  Geld  noch  Gut, 

Doch  dreh'  ich  flink  mein  Rädchen, 

Und  hab  zur  Aibeit  Muth:  ^ 

Mein  alter  Vater  liegt  d'rin  in  der  Kammer, 
Er  kann  nicht  sehen,  o  Grauen  und  Jammer  1 

Hurrah I  mein  Rädchen,  geschwind,  geschwind! 
Mußt  viel  erspinnen. 
Mußt  viel  gewinnen, 
Denn  Vater  ist  blind. 

2.  Es  ist  so  kalt  im  Zimmer, 
Kein  Holz  ist  mehr  im  Haus, 
Nein,  frieren  darf  er  nimmer, 
Fort,  in  den  Wald  hinaus! 

Und  muß  aus  dem  Schnee  ich  das  Reisig  graben. 
Er  muß  ja  ein  warmes  Kämmerlein  haben. 


I)  Über  das  Kutschkelied  vgl.  oben  1.'),  174.   22,  288. 


Kleine  Mitteilungen.  103 

Und  wenn  der  Athem  zu  Eise  wird. 

Die  weißen  Flocken 

Mir  nässen  die  Locken, 
Fort,  Väterchen  friert!  — 

3.    Und  als  sie  in  dem  Walde 
Am  Kreuzweg  Reisig  nahm, 
Da  sah  sie  eine  Alte. 
Die  ihr  entgegen  kam; 
Das  Mütterchen  wankt"  aus  dem  Dickicht  am  Stabe, 
Es  beugte  ihr  Leib  sich  schon  näher  zum  Grabe, 
Doch  rüstig  noch  trippelte  vorwärts  ihr  Fuß, 
Mit  freundlicher  Stirne 
Bot  sie  der  Dirne 
Den  höflichsten  Gruß. 

i.   'Was  suchst  du  denn  so  fleißig,' 
Frug  sie,  —  "mein  liebes  Kind?' 
„Ich  suche  dürres  Reisig 
Für  Väterchen,   das  blind  — ."' 
'Da  muß  ich  dich  armes  Ding  wohl  beklagen!' 
„Bin  reich,  kann  die  heiligste  Schuld  abtragen!" 
Und  immer  emsiger  sammelt  sie  fort. 
Die  Alte,  die  braune. 
Setzt  sich  auf  dem  Zaune, 
Und  führt  nun  das  Wort: 

5.  'Dein  Schicksal  soll  .sich  wenden. 
Das  nun  dich  drückt  so  schwer, 
Dein  Elend  soll  sich  enden. 
Thust  du,  was  ich  begehr; 

Es  will  jetzt  das  Glück  sich  deiner  erbarmen. 
Es  kömmt  dir  entgegen  mit  offenen  Armen. 

0  stoß'  es  nicht  von  dir,  und  hasch'  es  mein  Kind!'  — 
„Ich  kann  mit  dem  Segen 
Den  Vater  dann  pflegen, 
O  rede  geschwind!" 

6.  'Ein  Herr  von  hohem  Range 
Hat  neulich  dich  gesehn, 
Seitdem  nun  ist  ihm  bange, 
Will  fast  vor  Lieb'  vergehn. 

Er  bietet  dir  Kleider  und  Güter  und  Gold. 
Bist  du  ihm  in  Zukunft  ein  wenig  nur  liold, 

Sollst  seyn  seines  Schlosses  herrlichste  Zier, 
Auf  seidenen  Kissen 
Des  Lebens  genießen, 
Und  Vater  mit  dir!' 

7.  Betroffen  steht  die  Arme 
Und  mit  sich  selbst  im  Streit; 
Sie  war'  von  allem  Harme 

Auf  einmahl  nun  befreyt;  —  — 
Und  Väterchen  könnte  im  Überfluß  leben!  — 
Doch  plötzlich  fühlt  sie  ein  innerlich  Beben, 
Und  ihres  geliebten  Wilhelms  Gestalt 
Tritt  ihr  vor  die  Seele, 
L'nd  was  sie  hier  wähle. 
Klar  wird  es  ihr  bald. 


104  Stückrath: 

8.  „Nein,  nein,  das  thu'  ich  nimmer!' 
Rief  sie  mit  bitterm  Schmerz, 
„Ha!  trügerischer  .Schimmer, 

Du  blendest  niolit  mein  IlerzI 
Verzeih  mir,  alter,  rhrwiirdiger  Greis! 
Kann  dich  nicht  beglücken  um  solchen  Preis, 

Will  spinnen  für  dich,  wenn  Niemand  mehr  wacht. 
Will  drehen  am  Rädchen 
Die  feinsten  Fädchen 
Bis  spät  in  die  Nacht. 

9.  Doch  meine  Hand  verschenken 
Um  schnöden  Goldes  Roth, 
Den  armen  Wilhelm  kränken 
Durch  Treuebrucli  z\i  Tod", 

Das  kann  ich  nicht  leisten,  du  wirst's  nicht  begehren. 
Durch  Sünde  kann  man  den  Vater  nicht  ehren  ü'^ 
Und  hastig  huckt  sie  den  Holzbündel  auf, 
Beflügelt  die  Schritte 
Zu  Vaters  Hütte 
Im  Schnellesten  Lauf. 

1(1.    Was  schauen  ihre  J51icke ' 

Starr,  sprachlos  blieb  sie  stehn, 
Sie  traut  nicht  diesem  Glücke, 
Ein  Wunder  war  geschehn, 
Von  seinem  Leiden  gelieilt  war  der  Blinde, 
Er  stand  an  der  Tliür'  ohne  .Stock,  ohne  Binde 
Und  in  unnennbar  seliger  Lust 
Sanken  sich  beyde 
Mit  Thränen  der  Freude, 
Doch  stumm  an  die  Brust. 

J.  F.  Castelli,  Poetische  Kleinigkeiten,  2tes  Bändchen.    Wien  lölo.    S.  li'O 
bis  126:  'Das  Waldweibchcn,  Ein  Märchen'. 

B.  Aus  dem  Volksmunde. 

1.  'Ach,  ach,  ich  armes  Mädchen,  3.    Und  als  sie  nun  im  Walde 
Hab"  weder  Geld  noch  Gut,  Ein  wenig  Reisig  nahm, 
Doch  dreh'  ich  flink  mein  Rädchen           Da  sah  sie  eine  Alte, 
Und  hab"  zur  Arbeit  Mut.  Die  ihr  entgegen  kam; 

Mein  alter  Vater,  der  liegt  in  der  Die  Alte,    sie  wankt  aus  dorn  Walde 
Kammer,  am  Stabe, 

Er  ist  ja  doch  blind,  o  Jammer,  .\ls  käme  sie  eben  aus  finsterem 
o  Jammer!  Grabe. 

2.  Es  ist  so  kalt  im  Zimmer,  4.    „Was  suchst  du  so  fleissig, 
Es  ist  kein  Holz  im  Haus,  Was  suchst  du.  mein  Kind?" 
Doch  frieren  darf  er  nimmer,  'Ich  suclie  dürres  Reisig. 

Ich  muss  zum  Wald  hinaus!  Ich  suche,  was  ich  find.' 

Und  mü.sst  aus  dem  .Schnee  ich  das  ,Da  muss  ich  ditli  armes  Mädchen 

Holz  horausgraben,  bfklagen, 

Er  muss  ja   ein  warmes  Kämmerlein  Konmi  her,  ich  will  dir  was  Heimliches 

haben'  sagen. 


Kleine  Mitteilungen. 


105 


„Dein  Schicksal  muss  sich  wenden. 
Das  dich  nun  drückt  so  schwer, 
Dein  Kummer  muss  sich  enden, 
Tu,  was  ich  jetzt  begehr'! 
Es  will  sich  das  Glück  jetzt  deiner 

erbarmen. 
Es  kommt  dir  entgegen  mit  offenen 

Armen. 


„Ein  Herr  von  hohem  Range 

Hat  neulich  dich  gesehn, 

Seitdem  hat  er  dich  gerne, 

Möcht'  fast  vor  Lieb"  vergelm. 

Er  bietet  dir  Kleider  und  Güter  und 

Gold, 
Bist  du  ihm  ein  wenig,  ein  wenig 

nur  hold." 


7.    'Nein,  meine  Hand  verschenken 
Um  schnöden  Goldes  Wert, 
Den  armen  Wilhelm  kränken, 
Dies  nie  von  mir  begehrt! 

Das  kann  ich  nicht  leisten,  du  wirst's  nicht  begehren, 
Durch  Sünde  da  kann  man  den  Vater  nicht  ehren!' 

Mündlich  aus  Ohren  (Kreis  Limburg  a.  L.)  191.'>  durch  Vermittlung 
Frl.  Lenz-Ohren.  Ähnlich  aus  Camberg  (1907)  und  Oberauroff  (190S)  aus 
mündlichen  Überlielerung  in  meinem  Besitz. 


von 

iler 


4.  K.  W.  Schultz.  Der  Bergmann. 
A.  Originaldichtung. 

Der  Bergmann  fährt  zu  Schacht  hinab,     S.    Der  Bergmann  fordert  au  den  Tag. 
Wie  in  ein  tiefes  dunkles  Grab;  Was  in  der  Tiefe  heimlich  lag; 

Bei  seines  Grubenlichtes  Schein  Doch  hat  er  reichen  Fund  gethan. 

Schlägt  Fäustel  er  und  Schlägel  ein.  Was  wird  dafür  dem  Grubeumann? 


2.    Glück  auf!     Erschlügt  die  Ader  an, 
Die  reiche  Beute  geben  kann. 
Im  festen  Mutterstein  versteckt 
Hat  Edelerz  er  aufgedeckt. 

;■).    Denn  in  der  Berge  dunkelm  Schacht 
Liegt  aller  Reichtum  unbewacht. 
In  Kelsenklüfte  tief  versenkt, 
Von  wildem  Steingeröll  umschränkt. 

4.    Versprengt  in  schlechten  Kieselstein 
Liegt  hier  Juwel  und  Edelstein; 
Hier  springt   ein  Quell,    der    silbern 

flieBt, 
Die  Ader  dort,  die  Gold  ergießt. 


9.    Sein  Tagewerk  ist  ^lüh  und  Last, 
Sein  Feierabend  späte  Rast, 
Sein  Lohn  ein  armes  Stückchen  Brod. 
Sein  Loos  stets  neue  Todesnoth. 

10.  Denn  ihm  zur  Seite  gelit  und  droht 
Auf  jedem  Schritt  ein  Schauertod. 
Ein  Fehltritt,  und  er  stürzt  hinab 
Zerschmettert  in  sein  l-'elsengrab. 

11.  Wie  hier  das  wilde  Wasser  braust! 
Wie  dort  das  böse  Wetter  saust! 
Zu  seinen  Füßen  ohne  Grund 
Gähnt  heimlich  auf  ein  finstrer 

Schlund. 


ö.    Die  Krone  auf  des  Königs  Haupt         12.  Und  über  seinen  Häui^ten  droht 

Hat  hier  des  Bergmanns  Hand  geraubt;  Ein  Felsensturz  ihm  jähen  Tod; 

Den  Goldring  an  der  Bräute  Hand  Weh,  wenn  der  wie  im  engen  Sarg 

Hat  aus  dem  Abgrund  er  entwandt.  Ihn  lebend  hinter  Schutt  verbarg! 


6.  Den  Schmuck,  worin  die  Fürstin  Ki. 

strahlt. 
Hat  er  mit  Todesnoth  bezahlt; 
Der  Edelherren  rothes  Gold 
Hat  er  mit  seinem  Schweiß  verzollt. 

7.  Auf  Ritterbrust  den  goldnen  Stern      14. 
Schlug  er  aus  harten  Quarzes  Kern, 
Und  seiner  armen  Hand  entsank 

Der  reiche  Schatz  der  Wechselbank. 


Sieh  da,  ein  bleichendes  Gebein! 
Ein  Felsenhang  sein  Leichenstein. 
Hier  starb  ein  Knapp  den  Hungertod. 
Jetzt  schafft  ein  Knapp  hier  um  sein 

Brod. 

Glück  auf!  Der  Steiger  ruft  die  Schicht; 
Der  Knapp  fährt  auf  zu  Tageslicht ; 
Was  er  erbeutet,  läßt  er  gern 
Dem  überreichen  Grubenherrn. 


10(5 


Stückrath : 


15.    Der  Grubenherr  empfängt  das  (iold,  16.    ündhastdu,Christ,demHerrnget"rohnt, 
Der  Knappe  schlechten  Kupfersold,  Wirst  du  mit  Kupfer  abgelohntV 

Und  damit  ist  er  abgelohnt.  Ein  Schacht  ist  diese  Erdenwelt, 

Wie  viel  er  aui-h  dem  Herrn  erfrohnt.  Der  einen  Schatz  verborgen  hält. 

17.  Von  festem  Mutterstoin  umschrilnkt 
Liegt  Hininielsgold  liier  eingesenkt. 
Du  bist  der  Bergmann,  schlage  einl 
Was  du  erbeutest,  bleibet  dein. 

Deutscher  Musenalmanach  für  das  Jahr  lisöl,  herausgegeben  von  0.  F.  Gruppe, 
Berlin,  S.  31t>— ;!19:  „Der  Bergmann",  von  Karl  Wilhelm  Schultz. 

B.  Aus  dem  Volksmunde. 

1.    Glückauf:  Der  Bergmann  führt  liiuab    i.    Er  iorJert  fleissig  an  den  Tag 


Zur  Teufe  in  sein  dunkles  Grab, 
Wo  in  der  Berge  dunklem  Schacht 
Ruht  aller  Reichtum  unbewacht. 

Bei  seines  Grulienlichtes  Schein 
Schlägt  Fäustel  er  und  Schlägel  ein. 
Glück  auf!     Er  schlägt  die  .\der  an. 
Die  reiche  Beute  geben  kann. 


Was  in  der  Tiefe  heimlich  lag; 
Und  hat  er  reichen  Fund  getan, 
Ist  fröhlich  dann  der  Grubenmann. 

Und  ist  sein  Tagwerk  Müh  und  Last, 
Sein  Feierabend  späte  Rast, 
Sein  Lohn  ein  armes  Stückchen  Brot. 
Er  steigt  drum  doch  in  Todesnot. 


Die  Krone  in  des  Königs  Hand 
Der  Bergmann  hält  sie  in  der  Hand, 
Der  Ring  von  mancher  jungen  Braut 
Hat  Hergmannsarbeit  hier  geraubt. 


Glück  auf!    Verstiegen  ist  die  Schicht; 
Der  Knappe  fährt  zum  Tageslicht, 
Legt  ab  das  Leder  und  dankt  gern 
Dem  Grubenkönig,  Gott  dem  Herrn. 

Mündlich  ans  Allendorf  (Unterlahnkreis)  1005.  Eine  schriftliche  Aufzeichnung 
aus  Oberndorf  a.  L.  (ünterlahnkreis)  vom  Jahre  1885  entspricht  bis  auf  die 
15.  un<l  IG.  Strophe  unserem  Originalliedc,  fügt  aber  unsere  Strophe  6  in  unserer 
Fassung  aus  dem  Volksmuiule  als  Schlussstropiie  ein.  Nur  dieseui  Umstände  ver- 
danke ich  es.  dass  mir  bei  Durchsicht  des  Musenalmanachs  das  Lied  auffiel  und 
als  Vorlage  zu  der  aus  mündlicher  Überlieferung  geschöpften  obigen  Fassung  an- 
gesprochen wurde. 

5.  Alois  liluuiauer.  Stutzerlied. 


1.  Närrchen.  sey  nicht  sprudc 
Komm,  und  küsse  michl 
Jünger,  warst  du  blöde, 
Aelter,  zierst  du  dich. 

2.  Wisse,  nur  ein  Weilchen 
Sind  die  Mädchen  schön, 
Müssen,  wie  die  Veilchen, 
Welken  und  verirehn. 

3.  Itzt  nur  sind,  wie  Seide. 
Deine  Händchen  weich; 
Aber  bald  sind  beide 
Deinem  Handschuh  gleich. 

4.  Itzt  nur  zeigt  dein  Schmunzeln 
Holde  (irübchen  mir, 

Bald  umziehen  Runzeln 
Mund  und  Wange  dir. 


Originaldichtung. 

."■.    Uzt  nur,  kleines  Xärrclion, 
Ist  dein  Busen  voll. 
Und  in  wenig  Jährchen 
Ist  er  schlaff  und  hohl. 


6.  Itzt  nur  sieht  dein  Leibchen 
Zirkolförmig  aus; 

Bist  du  einst  ein  Weibchen, 
Wird  ein  Viereck  draus. 

7.  Deine  Augen  funkeln 
Itzt  nur,  weißt  du  das'/ 
Wisse,  bald  verdunkeln 
Sie,  wie  trübes  Glas. 

8.  Itzt  nur  dir  zu  Füßen 
Siehst  du  Herrchen  flehn; 
Aelter,  wirst  du  müssen 
Liebebetteln  gehn. 


Kleine  Mitteilungen. 


107 


S. 


9.    Itzo  gieb.  und  labe  10. 

Freundlich  jeden  Gast, 
Spare  nicht  dein'  Habe, 
Bis  du  nichts  mehr  hast. 

Aloys  Blumauer's    siimratliche    Werke. 
174 — 17ä.     „Stutzeriied." 


Küsse,  weil  dein  Mündchen 
Roth  und  küßlich  ist; 
Denk',  es  kommt  ein  Stündchen, 
Wo  dir's  Niemand  küßt. 

Zvveyter    Theil.     Königsberg    18"27. 


B.    Aus  dem  Volksmunde. 


,  Xärrchen,  sei  nicht  spröde. 
Komm  und  küsse  mich, 
.Jünger  warst  du  blöde. 
Älter  zierst  du  dich: 
Wisse,  nur  ein  Weilchen 
Sein  die  Mädchen  schön. 
Müssen  wie  die  Veilchen 
Welken  und  yergehn. 


Drum,  mein  Mädchen,  labe. 
Freundlich  jeden  Gast, 
Spar  nicht  deine  Habe, 
Bis  du  nichts  mehr  hast; 
Küsse,  weil  dein  Mündchen 
Rot  und  küßlich  ist. 
Denn  es  kommt   ein  Stündchen, 
Wo  dirs  niemand  küsst. 


2.  Jetzt  noch  sind  wie  Seide 
Deine  Hände  weich. 
Wisse,  liald  sie  beide 
Einem  Handschuh  gleich; 
.letzt  noch  siehst  du  Herren 
Dir  zu  Füssen  flehn. 
Älter  wirst  du  müssen 
Liebe  betteln  gehn. 

Liederbuch  des  Karl  Enders,    Oberlibbach   (um  1840).     Das  achte  Lied 


4.  Deine  Augen  funkeln 
Jetzt  noch,  weißt  du  das? 
Wisse,  bald  verdunkeln 
Sie  wie  trübes  Glas; 
Jetzt  noch  zeigt  dein  Schmunzeln 
Holde  Grübchen  mir. 
Bald  umziehen  Runzeln 
Mund  und  Wangen  dir. 


1.  Liebchen,  sei  nicht  blöde, 
Komm,  und  küsse  mich! 
Jung,  da  bist  du  spröde. 
Älter,  zierst  du  dich, 
Wisse,  nur  ein  Weilchen 
Sind  die  Mädchen  schön, 
Müssen  wie  die  Veilchen 
Welken  und  vergehn. 

•2.  Jetzt  sind  noch  wie  Seide 
Deine  Hände  weich, 
Aber  bald  sie  beide 
Einern  Handschuh  gleich. 
Jetzt  zeigt  noch  dein  Mündchen 
Zarte  Grübchen  mir. 
Bald  umziehen  Schrunzeln 
Mund  und  Wangen  dir. 

Daun  i.  d.  Eifel  19 13  mündlich      Vgl. 


3.  Küsse,  weil  dein  Mündchen 
Rot  und  reizend  ist, 

Denn  es  kommt  ein  Stündchen, 
Wo   dich  niemand  küsst. 
Lass  die  Augen  funkeln 
Heller  als  zwei  Stern, 
LTnsre  Liebe  dauert, 
Hab'  mein  Liebchen  gern. 

4.  Komm   an  meinen  Busen,     • 
An  mein  liebend  Herz, 
Lass  dich  herzen,  küssen, 
Lass  uns  treiben  Scherz. 
Liebchen,  sei  nicht  spröde. 
Komm  und  küsse  mich, 
Ich  bin  auch  nicht  blöde. 
Und  ich  küsse  dich. 

dazu  Nassovia  199,  S.  144  Nr.  1. 


L.  Willi,  Das  Fräulein  an  der  Hininielsthür. 

A.    Originaldichtung. 

Ein  Fräulein  stand  an  der  Hinimelsthür: 
,Sanct  Peter,  Sanct  Peter,   öffne  mir!" 
Sanet  Peter  darauf:  „Und  das  thu  ich  nicht !" 
'Wodurch  verdien  ich  solch  Gericht?' 
'Weil  du  so  dumm  gewesen  bist. 
Dein  Lebtag  keinen  Mann  geküßt!' 


1(18  Stiickrath: 

2.  Da  sprang  sie  nach  Sanct  Peter  hin 
Und  faßt  den  Alten  flugs  beim  Kinn 
l'nd  sab  ihm  solch  einen  süßen  Kuß, 
Daß  er  ihr  endlich  öffnen  muß. 
Drob  lachten  alle  Heiligen  sehr. 
Der  heil'ge  Petrus  docli  noch  mehr.  I..  Wihl. 

Der  LSpassvogel  |  oder  |  Witz  über  Witz  ]  in  Wort  und  Bild  |  Ein  Buch  zum 
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Bagel.  I  0.  J.   (um  ]n50;.    8".    S.  «H. 

B.  Umgestaltung  von  R.  Genee. 

Ein  Fräulein  stand  vor  der  lliinmelsthiir,    ein  Fräulein,  ein  Fräulein. 
Und  sprach:  'Sanct  Petrus  öffne  mir,   ach  öffne  mir,  ach  öffne  1' 
Sanct  Petrus  d'rauf:  'Und  das  thu  ich  nicht,  nein  das  thu  ich  nicht. 
Nein,  das  thu'  ich  nicht!'  —  'Wodurch  verdien"  ich  solch  Gericht'/' 
'Weil  du  so  dumm  gewesen  bist,  weil  du  so  dumm  gewesen  bist, 
Dein  Lebtag  keinen  Mann  geküßt,    weil  du  so  dumm  gewesen  bist,  so 

ungeheuer  dumm!' 
Da  sprang  sie  zu  St.  Peter  hin,  und  nahm  den  Alten  flugs  beim  Kinn, 
Un<l  gab  ihm  einen  so  herzlichen  Kuß,  daß  er  ihr  endlich,  endlicli  öffnen  muß. 
Da  lachten  all  die  Englein  sehr,  ha,  ha,  ha,  ha,  ha,  ha,  ha,  ha,  ha.  ha,  ha. 
Doch  Petrus  lachte  ndch  weit  mehr,  ha,  ha,  ha,  ha,  ha,  ha,  ha,  ha,  ha,  ha,  ha,  ha. 

Album.  I  Sammlung  j  ausgewählter  Gesänge  |  vorgetragen  |  von  |  Wiih.  Brandt  | 
Sänger  aus  Hamburg.  |  Siebente  verbesserte  Auflage.  |  Mainz,  |  bei  Josef  Auniüller. 
I  8*.  o.  J.  (R.  Genee  komponierte  das  Lied,  und  in  der  von  ihm  aus  musikalischen 
Gründen  vorgenommenen  Umgestaltung  wurde  es  18.^7  von  dem  Sänger  Wilhelm 
Brandt  in  Mainzer  Wirtschaften  vorgetragen.  W^ähreiul  Genees  Komposition 
keinen  Einüuss  auf  die  im  Volksniunde  übliche  Weise  ausübte,  sind  seine  Text- 
änderungen für  die  Umbildung  des  Liedes  sehr  wichtig  geworden.) 

C.    Aus  dem  Volksmunde. 

Ohor:  Es  stand  ein  Fräulein  an  der  Ilimmelsthür, 

Die  wollte  dort  herein. 

Es  stand  ein  Fräulein  an  der  Himmelsthür, 
Die  wollte  dort  herein. 

Fistelstimme:  'Ach  Petrus,  lieber  Peterus, 
Ach  lasse  mich  herein  !' 

Bassstimme:     'Du  hast  noch  keinen  Mann  geküsst, 
Du  darfst  auch  nicht  herein,' 

Chor:  Sie  hat  noch  keinen  Mann  geküsst. 

Drum  darf  sie  nicht  herein. 

Fistelstimme:  'Ach  Petrus,  lieber  Peterus, 
Ach,  lasse  mich  herein!" 

Hassstimrae:     'Du  hast  noch  keinen  Mann  geküsst. 
Nein,  nein,  du  darist  nicht  rein. 

Der  die  Pisteistimme  singende  junge  Mann  geht  auf  Petrus,  d.  h  den  Bass- 
sänger, zu  und  gibt  ihm  einen  Kuss. 


Kleine  Mitteilungen. 


lOit 


Bassstimme: 

Chor : 
Bassstimme : 


'Jetzt  hast  du  einen  Mann  geküsst, 

Jetzt  darfst  du  auch  herein!' 

Sie  hat  jetzt  einen  Mann  geküsst, 

Drum  darf  sie  auch  herein. 

'Da  lachen  Ja  die  Engelein, 

Sie  lachen: 
Chor    mit  hohen  Stimmen):  "Ha,  ha,  ha— a!' 
Fistelstimme:  'Da  lacht  der  alte  Peterus, 

Er  lacht: 
Chor  (mit  tiefen  Stimmen  :  Ho,  ho,  ho.  ho— o!' 

Das  Lied    wird    szenisch    aufgeführt.    Von  Männern    gesungen    bietet  es  viel 
Reizvolles.     Aus  Bach  (Westerwald)  mündlich  11)05. 

D.    Aus  dem  Volksmunde. 

Es  stand  eine  Fräulein  vor  der  Himmelstür 
Und  wollte  gern  herein, 
Es  stand  eine  Fräulein  vor  der  Himmelstür 
Und  wollte  gern  herein. 

Da  sprach  zu  ihr  der  Peterus: 
'Du  darfst  noch  nicht  herein!' 

'Weil   du  noch  keinen  Mann  geküsst. 
Darfst  du  noch  nicht  herein.' 

Da  lief  sie  schnell  zum  Flachspapa 
Und  gab  ihm  einen  Kuss. 

Da  lachten  all  die  Engelein : 
'Hi,  hi,  hi,  hi,  hi,  hl'. 

Da  lachte  auch  der  Peterus: 
'Ho,  ho,  ho,  ho,  ho,  ho. 
Die  Kinder    bilden  einen  Kreis,    in  dessen  Mitte  Petrus,    der  Flachspapa  und 
einige  Engel  stehen,    während  ein  Kind  als  Fräulein  vor  der  Himmelstür,  ausser- 
halb   des  Kreises    steht.     Die    weitere    Entwicklung    ergibt    sich    aus    dem  Text. 
(Kinderspiel  mündlich  aus  Breithardt  i.  T.  lülO.) 

7.    L.  F.  G.  V.  Goeckingk.  Unmöglicher  Besuch. 
A.  Originaldichtung. 


Könnt'  ich  mich  zum  Raben  machen: 
Über  Flüsse,  Berg  und  Thal 
Flog  ich  täglich  zwanzigmal. 
Rief  an  deinem  Fenster  leise: 
Mache  auf,  mein  Amarant! 
Und  von  meiner  schnellen  Reise 
Ruht'  ich  aus  in  deiner  Hand. 

Könnt'  ich  mich  zum  Rehe  machen: 
Durch  die  Saaten,  durch  den  "Wald, 
Lief  ich  täglich,   ach!  wie  bald! 
Ueber  deine  Garten-Hecken 
Sprang'  ich  hops!  mit  einem  Sprung, 
Und  wie  wollt'  ich  dann  dich  necken 
Unter  der  Verwandelung! 


Könnt  ich  mich  zum  Karpfen  machen: 

Mit  der  Elbe»)  flöß  ich  dann 

Täglich  hin  zu  dir,  o  Mann! 

Aus  dem  "Wasser,  sprang'  am  Ende 

Meiner  Fahrt  ich  hoch  herauf. 

Und  mich  fischten  deine  Hände 

An  dem  Ufer  glücklich  auf! 

Aber,  wünsch'  ich  armes  Mädchen 

Noch  so  viel  mich  hin  zu  dir: 

Dennoch  bleib  ich  immer  hier. 

Nicht  zehn  Schritte  kann  ich  gehen, 

Dass  nicht  jeder  fragt:  Wohin? 

Wohl!    dass  man  nicht  auch  kann  sehen. 

Wo  ich  mit  dem  Geiste  bin. 

Nantchen  (d.i.  Goekingk). 


1)  Statt  eines  anderen  Flusses. 


110  Stückrath,  Miisinger: 

Poetische  Blumenlesp  ;iuf  das  Jahr  1777.  Göttingen  bey  Johann  Christian 
Dioterich.  S.  Ißii— 167.  „Unmöglicher  Besuch.  An  Aniaranth."  =  Goeckinirk.  Lieder 
zweier  Liebenden  1779  S.  54. 

B.    Eine  Fassung  aus  dem  Volksmunde, 
welche    oben    22,   406    niitgetoili    wurde,    stimmt    genau    mit    dem    Originalliede 
überein.     Eine  Fassung  von  3  Strophen,  beginnend  mit  der  zweiten,  die  erste  als 
Schlussstrophe  bringend,  mit  geringen  Abweichungen,  aus  Rheinböllen  iHunsrück) 
in  meinem  Besitz. 

8.  J.  M.  Firmeilich.  Steckbrief. 
A.  Originaldichtung. 
Es  wird  hiermit  bekannt  gemacht,  Sie  ist  nicht  groß,  doch  auch  nicht  klein, 

Daß  auf  dem  Balle  gestern  Nacht  Gar  schlank  von  Wuchs  und  zait  und  fein, 

Ein  Mädchen  hier  aus  dieser  Stadt  IhrBusen  schwellend,  weiß  wie  Schnee, — 

Gar  manches  Herz  gestohlen  hat.  Kürzung  ein  Engel,  eine  Fee. 

Sie  schlich  damit  sich  plötzlich  fort,  Ein  sondres  Merkmal  ist  noch  dies: 

Man  kennt  nicht  ihren  Zufluchtsort;  Wenn's  Diebchen  lächelt  zauberisch  süß. 

Woran  man  sie  erkennen  kann,  So  bilden  sich,  Toll  Reiz  und  Zier. 

Zeigt  dies  Signalement  hier  an.  Zwei  Grüblcin  in  den  Wangen  ihr. 

Ihr  Lockenköpfchen  blond  wie  Gold,  Jedwedem  leuchtet's  nun  wohl  ein. 

Die  Äuglein  blau  und  wunderhold,  Wie  höchst  gefährlich  sie  kann  sein 

Das  Mündchen  küßlich,  rosig,  klein.  Für  eines  jeden  Jünglings  Ruh" 

Die  Zähne  blank  wie  Elfenbein.  l'nd  für  die  Männer  noch  dazu. 

Die  Wänglein  roth  auf  Liliengruud,  Wir  bitten  derowegen  all", 

Das  Schwanenhälschen  blendend,  rund,  Daß  jeder  im  Betretungsfall 

Ihr  Füßchen  leicht,  von  kaum  acht  Zoll,  Sie  fesselt  und  sie  baldig.st  schafft 

Das  Händchen  seidensanft  und  voll.  In  treuer  Liebe  enge  Haft, 

AVir  ordneten  dies  also  an. 

Daß  man  darnach  sich  richten  kann, 

Wir  grüßen  höflich  allesammt. 

Und  unterzeichnen:  Liebesamt,  J.  M.  Firmenich, 

Deutscher  Musenalmanach  für  das  Jahr  1851,  Herausgegeben  von  P,  0.  Gruppe 
Berlin  S.  ^<5 — 86:  'Steckbrief.  Dabei  noch  die  Anmerkung:  'Mit  diesem  Liede,  in 
Musik  gesetzt  von  Kücken,  errang  der  Kölner  Männer-Gesang-Verein  l)ei  dem 
Düsseldorfer  Sängerfest  im  Jahre  1850  den  Preis.' 

B.  Aus  dem  Volksmunde. 
Es  wird  hiermit  bekannt  gemacht.  Die  Backen  sind  wie  Liliengruud, 

Dass  auf  dem  Balle  diese  Nacht  Das  Schwabenhälschen  !)  blendend  r\md, 

Ein  Mädchen  hier  aus  dieser  Stadt  Die  Füsschen  leicht  und  kaum  acht  Zoll 

So  manches  Herz  gestohlen  hat.  Das  Händchen  seidenweich  und  voll, 

Ihr  Lockenköpfchen  ist  wie  Gold,  Nun  leuchtet's  Jedermann  wohl  ein. 

Die  Äuglein  blau  und  wunderhold,  Dass  sie  kann  sehr  gefährlich  sein 

Die  Zähne  sind  wie  Elfenbein,  Für  eines  Jünglings  sanfte  Ruh' 

Der  Mund  ist  rosenrot  und  klein.  Und  für  die  Männer  auch  dazu. 

Drum  bitten  wir  in  diesem  Fall, 
Dass  jeder  im  Betretungsfall 
Sie  fesselt  und  sie  baldigst  schafft 
In  treuer  laebe  enge  Haft. 
Mündlich    aus    Stein-Neukirch    und    Bretthausen    1915.     Ähnlich    aus  Nieder- 
libbach.     Als  'Vereinslied'  gesungen  in  Oberauroff  (1907). 

Riebrieh  a.  Rhein.  Otto  Stückruth. 


Kleine  Mitteilungen.  111 

Wurstreime  aus  Badeu. 

Gurt  Müller  teilte  oben  27,  55—67  Wurstlieder  aus  Sachsen  mit  Ich  möchte 
im  folgenden  eine  Reihe  von  badischen  Gebräuchen  und  Liedern  als  Ergänzung 
hruin-en.  Auch  bei  uns  Süddeutschen  spielt  das  Schlachtfest  eine  grosse  Rolle; 
kein  Geringerer  als  Ludwig  LThland  hat  ein  Metzelsuppenlied  gesungen. 

Auch  in  Baden  gehen  verkleidete  Burschen  in  das  Haus,  in  dorn  geschlachtet 
worden  ist,  und  erbetteln  das  Wurstle.  In  Büchenbronn  bei  Pforzheim 
ziehen  sie  als  Pfannenllicker  oder  Scherenschleifer  herum.  In  Bruchsal  singen 
sie  den  Spruch :  'Wurstle  raus,  Wurstle  raus,  's  isch  e  brave  Frau  im  Haus' 
(E.  H.  Meyer,  Badischos  Volksleben  im  U».  Jahrhundert  S.  334).  In  meiner 
Heimat  Rappen  au  war  dieser  Brauch  früher  auch  bekannt,  man  nannte  es 
'scharren'    (vgl.  mein  Wörterbuch  der  Rappenauer  Mundart,    unter    sara  S.  160a}. 

In  Waldprechtsweier  bei  Rastatt  lautet  der  Spruch,  den  Meyer  mitteilt: 
Es  stehen  drei  Scheite  hinter  dem  Herd,    Es  ist  ein  seidner  Faden  ums  Haus. 
Die  Frau  im  Haus  ist  aller  Ehren  wert,    X.  giebs  Würstel  raus. 
Dem  Hausherrn  (N.),  Ich  stehe  auf  einem  kalten  Stein, 

Er  trinkt  keinen  AVein,  er  ist  gut  (?),  Gebt  mir  ein  Würstel,  dann  geh  ich  heim. 

In  Metten  berg,  Amt  Bonndorf,  wird  ein  Lied  gesungen,  das  seiner  Form 
wegen  wichtig  ist: 

Wa  esset  er  z'  Obet,  w^a  esset  er  z'  Nacht?     Dönt  is  doch  au  g'höre. 
Wa  hänt  er  mit  eurem  Süüli  g'macht?       's  Süüli  hätt  au  krumme  Baim), 
De  Metzger  hat  e  Zipfelkappe,  Gömmer  au,  so  chumm  i  hai(m). 

I  hanen  g'seh  ums  Eck  umegnappe.  Nu  kaini  sure  Rabe 

Leer  isch  wore  de  Süüstall  Suscht  du  ni  dra  verderbe, 

's  Süüli  hat  en  hoche  Burscht,  's  Süüli  hätt  e  Niere, 

Gönnt  is  (gebt  unsi  au  e  Leberwurscht.     Löni  mi  .lasst  mich)  nit  verfriere. 
Aber  nur  ka  kleine,  's  Süüli  hätt  e  Rigeli, 

Lieber  zwo  für  eine.  Bioset  mir  is  (ins)  Fideli. 

■s  Süüli  hätt  e  Schnorre,  (E.H.Meyer,  Badisches  Volksleben  S.3Ö.3.I 

Aus  dem  Wolfacher  und  Harm  ersbacher  Tal  erwähnt  Meyer  das  'Säckle- 
oder  Häfelestrecken'.  Ein  Nachbar  befestigt  ein  Säcklein,  Korb  oder  Gefäss  an 
eine  lange  Stange,  legt  einen  Zettel  hinein  und  streckt  im  Dunkeln  die  Stange 
zum  Fenster  des  Hauses  hinein,  in  dem  geschlachtet  wird.  Ähnlichen  Brauch 
fand  ich  in  Hüsingen  bei  Schöpfheim  im  Wiesental.  Dort  verkleiden  sich  junge 
Burschen  und  machen  sich  unkenntlich.  Dann  gehen  sie  mit  einem  Zuber,  in 
dem  sie  mit  einem  Kochlöffel  trommeln,  vor  das  Haus,  in  dem  Schlachtfest  ge- 
feiert wird,  und  reichen  den  Zuber  zum  Fenster  hinein.     Sie  singen  dabei: 

Raus,  raus,  Würstli  raus,  Gent  mer  nit  e  chlaini, 

's  isch  e  bravi  Fruu  im  Haus.  Gent  mer  zwoo  für  aini. 

's  Süüli  het  e  Niere,  Stieget  ufe  bis  an  First, 

Lönt  (lasst)  mer's  nit  verfriere.  Hauet  abe  Speck  un  Wurst. 

's  Süüli  het  e  hochi  Burst,  Lönt  das  Messer  dura  (durch)  goh. 

Gent  (gebt)  mer  au  e  Leberwurst,  Und  saget  doeh,derMetzgerheig's  (.habe;do. 

Aus  Riedlingen  bei  Rändern  kenne  ich  folgende  zwei  Sprüche: 

1.    Süüle,  Süüle,  Chrumbai(n),  Gent  mer  au  e  Leberwurscht. 

Gimmer  (gieb  mir)  e  Wurst,  so  chum  's  Süüle  het  e  grosse  Niere, 

i  hai(m),  Lönt  (lasst)  mi  doch  nit  gar  verfriere, 

"s  Süüle  het  e  grosse  Mage,  2.    Gueten  Oobe, 

Gent  (gebt)  mer,  was  i  cha  vertrage.  Gott  g'segn  ich  euri  Goobe. 

's  Süüle  het  e  grosse  Burscht,  Gott  g'segn  ich  euer  Esse  und  Trinke, 


]1'_)  Meisinger,  Bolte: 

Euer  Siiiile  tuet  nümme  linke.  "s  Siiüli  het  e  Niere, 

Euer  Siiiile  het  e  chrumm  Bai(n),  Liint  mi  nit  verfriere. 

Gent   mer    e  Wurscht,   so    chumm  i  's  Siiüli  het  e  hohle  Sehueh, 

hai'm).  Gent  mer  e  Schoppe  Wii(n)  derzue. 

Gent  nit  e  cliliiini.  Der  Metzger  sitzt  im  Ecke, 

Gent  mer  zwoo  für  aini.  Er  losst  sichs  gar  wohl  schmecke. 

Euer  Siiüli  het  e  grosse  Mage,  Schöni  Fruu  un  gueto  Maa 

Gent  mer,  was  i  chaa  vertrage,  Luege  einander  liebli  aa. 

"s  Siiüli  hat  e  chrumme  Hals,  Mer  danken  sit  viel  dausig  mool, 

Gent  mer  d'  Site  un  ung"schächt  alls.  Metzget  wieder,  aber  hol  (bald). 

In    der  Neujahrsnacht    ziehen    die   Kinder    in    Kappelrodccl;    von  Uaus    zu 
Haus  und  singen  das  Schnitzlied: 

Als  hinischt  {heule  Naeht)  ist  es  die  kälteste  Nacht, 
Das  Kindlein  Jesu  geboren  war. 

Im  Kehrreim  wünschen  sie  zum  neuen  Jahre  Glück: 

Wir  wünschen  euch  all  ein  neues,  guts  Jahr, 
Ein  neues,  guts  Jahr  und  auch  viel  Glück. 
So  beten  wir  an  Herrn  Jesum  Christ. 

(Vgl.  meine  Volkslieder   aus    dem    badischen  Oberlandc  S.  226  f.)     Am    Schlüsse 
sprechen  die  Kinder  Verse,  die  sich  vielfach  mit  denen  des  Würstlelicdes  docken: 

Hausvater,  steig  ins  Dach, 

Hol  herunter  e  Rippach  ■  Speckseite), 

Nimm  eins  von  den  langen 

Und  lass  die  kurzen  hangen. 

Gen  (gebt"'  ihr  uns  e  brennti  Supp, 

So  gehn  mir  zuen  ich  in  d"  Stub. 

Gen  ihr  uns  e  Maß  Wii^n:, 

So  gehn  mir  zuen  ich  uii. 

Gen  ihr  uns  e  Blatt  voll  Schnitz  und  Speck, 

So  gehn  mir  sit  vor  der  Tür  eweg. 

Oder  gen  is  e  Sester  Nuss, 

So  bliwe  mir  's  ganz  Johr  duss. 

Hausvater,  lass  dich  den  Gang  nit  verdriesse 

Und  lass  die  rostige  Taler  aus  dem  Beutel  rausschiesse, 

Nit  z'  klein  und  nit  z'  gross, 

Dass  "s  uns  den  Beutel  nit  verstosst. 

Hausmutter,  steig  nauf  in  de  First, 

Droben  hängen  c  paar  Dutzend  Wurst. 

Nimm  nur  von  den  lange, 

Und  lass  die  kurzen  hange, 

Dreimal  um  de  Kachelofe  rum. 

Zum  Fensterli  naus  und  zum  Küchetürli  nei(n\ 

Df'S  muss  e  grosse  Bratwurst  sei  n). 

Nach  Empfang  der  Gabe  singen  sie  ein  Uanklied: 

1.  Man  hat  uns  redlich  und  ehrlich  gegeben, 
Gott  lässt  euch  das  Jahr  in  Frieden  erleben, 
In  Freuden  erleben,  und  das  ist  wahr. 

Wir  wünschen  euch  all  ein  neues,  guts  Jahr  usw. 

2.  Wir  wünschen  den  Bauern  einen  goldenen  Wagen, 
Darauf  soll  er  ins  Himmelreich  fahren, 

Ins  Paradies,  ins  Himmelreich, 


Kleine  Mitteilungen.  113 

Da  sind  wir  alle  den  Engeln  gleich. 
Den  Engeln  gleich,  und  das  ist  wahr, 
Wir  wünschen  usw. 

3.    Wir  wünschen  der  ßiiurin  eine  goldne  Krön, 
Gott  gebe  ihr  auch  den  ewigen  Lohn. 
Den  ewigen  Lohn  und  auch  viel  Glück, 
So  beten  wir  an  Herrn  Jesum  Christ. 

Hat  man  ihnen  nichts  gegeben,  so  singen  sie: 

Man  hat  uns  ehrlich  und  redlich  nix  gebe, 
Der  Teufel  soll  euch  der  Hals  ra  säge. 

Bemerkenswert  ist,  dass  alle  diese  Heischelieder  eine  feste  Form  haben,  in 
der  Urform  eine  erzählende  Einleitung,  dann  eine  Aufz<ihlung  der  gewünschten 
Gaben,  zum  Schlüsse  einen  Segenswunsch  oder  eine  Verwünschung.  Im  Sommertag- 
lied  in  der  Pfalz  (Heidelberg)  heisst  es: 

Stri,  Stra,  Stroh, 
Der  Summerdag  isch  doo, 
Der  Summer  und  der  Winter, 
Die  sin  Geschwisterkinder  usw. 

Gibt  man  ihnen  keine  Gabe,  so  singen  sie: 
( )  du  alter  Stockfisch, 
Wammer  kummt,  doo  hosch  nix. 

Von  Gaben  erwähnen  sie  Wein  und  Bretzeln. 

Genau  denselben  Bau  wie  diese  Bettellieder  hat  das  griechische  Frühlings- 
lied, das  uns  bei  Athenaeus  8,  .160  B  überliefert  ist:  ^li-&'  rß&e  j^tiiöcör.  Dort  wün- 
schen   sich    die    Kinder   .Ta/.äi7a>'-Marmolade,     rvoxov  dwOTgor,  xajrvQwra   und    '/.ey.tiyiray. 

Sie  drohen,  wenn  sie  nichts  erhalten: 

^l  fxh'  xi  ()o)a£t-;  ■  f(  ^f  fit'/,  ovx  edaoftFv. 
i)  rav  -dvQar  c/fQWfies  >'j   dnv:isQdvi>or 
ij  rdv  vvraTxa  Tay  soo)  xai)}]jdvar. 
faxf)ä  fiEV  Fozij   uadftoc  fur  ol'aoasv. 
äv  dij  <f'iotji   x(, 

/IFJ'ft    (h'/    T(    q^FOOK. 

(Vgl.  A.  Dieterich,  Kleine  Schriften  S.  'M2.) 

Es  wäre  eine  lohnende  Aufgabe,  alle  deutschen  Heischelieder  zu  sammeln.  — 
Zu  der  Weise,  die  Gurt  Müller  27,  64  mitteilt,  möchte  ich  bemerken,  dass  sie 
aus  Konradin  Kreutzers  Oper  'Das  Nachtlager  von  Granada'  stammt.  Sie  fand  in 
einem  Parademarsch  im  Galopp  unseres  Heeres  Verwendung  und  ist  dadurch 
volksläuflg  geworden. 

Karlsruhe.  Othmar  Meisinger. 


Drei  deutsche  Uaussprüche  iiud  ihr  Ursprung. 

Vor  einigen  Wochen  stand  ich  in  Mölln  vor  dem  jetzt  in  die  Kirchenmauer 
eingelassenen  Grabsteine  des  unsterblichen  Schelmen  Eulenspiegel.  Als  ich  darauf, 
zum  Markte  des  anmutigen  Städtchens  hinabsteigend,  das  zum  volkskundlichen 
Museum  eingerichtete  Fachwerkhaus  aus  dem  Jahre  1582  betrachtete,  las  ich  auf 
einem  Balken  der  schmuck  wiederhergestellten  Vorderseite  die  Worte: 

VAURE    VND    WEIS    WOL    WOR    HIN  •  MICH    WVNDERT  • 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.  1918.  8 


1  l.|  Holte; 

Anfang  und  Ende  der  Inschiil't  fehlten,  da  die  Xachbarbalken  schadhaft  geworden 
und  durch  glattes  Holz  ersetzt  waren.  Aber  mir  fiel  sofort  eine  Stelle  aus  Heinrich 
von  Kleists  Briefen")  ein,  der  1802  vom  Thuner  See  an  den  in  Bern  weilenden 
Heinricli  Zschokkc  schrieb:  'Wenn  Sie  mir  einmal  mit  Gessner  die  Freude  Ihres 
Besuches  schenken  werden,  so  geben  Sie  wohl  acht  auf  ein  Haus  an  der  Strasse, 
an  dem  folgender  Vers  steht:  ■ 

Ich  komme,  icli  weiss  nicht  von  wo, 

Ich  bin,  ich  weiss  nicht  was, 

Ich  fahre,  ich  weiss  nicht  wohin. 

Mich  wundert,  dass  ich  so  fröhlich  bin. 
Der  Vers  gefällt  mir  ungemein,  und  ich  kann  ihn  nicht  ohne  Freude  denken, 
wenn  ich  spazieren  gehe'.  —  Freilich  weicht  der  noch  vorhandene  Rest  der 
Möllncr  Inschrift-)  bedeutsam  von  diesem  schweizerischen  Spruch  ab.  der  für  das 
Rätsel  des  Lebens  und  Sterbens  einen  so  ergreifenden  Ausdruck  gefunden  hat. 
Es  liegt  offenbar  die  Umkehrung  zugrunde,  die  der  glaubensmutige  Reformator 
Luther,  durch  die  müde  Ergebung  des  wohl  im  14.  Jahrhundert  geprägten 
Spruches  gereizt,  ihm  15-'hS  gab^): 

Ich  lebe  und  weiss  wol  wie  lang, 

Ich  sterbe  und  weiss  wol  wie  und  wenn. 

Ich  fare  und  weiss  wol  wohin: 

Mich  wundert,  dass  ich  noch  traurig  bin. 

Dem  Ursprünge    der    unendlich    oft  wiederholten   mittelalterlichen  Verse  sind 

R.  Köhler  (Kl.  Schriften  3,  421—452)  und   Euling  (Das  Priamel  l!tOö    S.  408  bis 

414)  eifrig  nachgegangen^),  so  dass  ich  mich  auf  wenige  Bemerkungen  beschränken 

kann.     Wir  treffen   dieselbe  Dreizahl    der    zur  Selbstbesinnung    mahnenden  Dinge 

auch  bei  dem  Minnesänger  Süsskind  von  Trimberg  (MSH.  2,  2.i8b): 

Swenne  ich  gedenke,  waz  ich  w;is  ald  wn/.  ich  bin, 

Aid  waz  ich  werden  muoz,  so  is  al  min  vröude  lün 

und  bei  Freidank  (22,  12): 

Swer  driu  dinc  bedsehte, 

Der  vermite  gotes  sehte: 

Waz  er  was,  unt  waz  ei-  ist, 

Unt  waz  er  wirt  in  kurzer  frist. 
Das  älteste  Vorbild  dieser  Trias  aber  ist  wohl  ein  Satz,    den   die  im  tj.  Jahr- 
hundert   durch    den    Diakon    Felagius    aus    dem  Griechischen    übersetzten  'Verba 


1")  Kleist,  Werke  hsg.  von  E.  Schmidt  ü,  280.  Wie  K.  Köhler,  Kl.  Schriften  3, 
424  nachgewiesen  hat,  benutzte  Kleist  später  den  Spruch  für  die  Fragen  des  Varus 
an  die  cheruskische  Alraune  im  letzten  Akte  der  Hermannsschlacht:  'Wo  komm 
ich  her?     Wo  bin  ich?    Wohin  wandr  ich?' 

2)  Vgl.  Bestmann  und  Lueder,  Corpusculum  inscriptionum  Jlolnonsiuin.  1390. 
—  Zur  Literatur  der  Hausinschriften  vgl.  oben  1."),  430. 

3)  R.  Köhler  :'.,  4'23.  430  f.  In  der  Weimarischen  Ausgabe  von  Luthers  Werken 
45,  401;  vgl.  ebd.  14,  194.  705.    17,  1,  345.  ÖOG.    19,  Kil.    28,  493.    34,  2,  274.  CIO. 

4)  Vgl.  ferner  J.  Eberlin,  Schriften  hsg.  von  Enders  2,  li4.  3,  300.  S.  Schwab 
1ÖG8  bei  Wackernagel,  Kirchenlied  4,  557  nr.  759.  Joh.  Hauser  in  der  Wiener  Hs. 
41'20,  Hl.  116b.  Ich  wil  HauBhalten,  Magdeburg  o.  J.  Bl.  B6a  (Berlin  No  5125). 
Biinngier  1G19  in  der  Tübinger  Hs.  Md  458  nr.  166.  Dreselly,  Grabschriften  1900 
nr.  1711.  804.  G.  Reicke,  Der  eigene  Ton  1907  S.  486  f.  —  W.  Hertz,  Dichtungen 
1900  S.  480  (altengl.  um  1300).  Anglia  42,  1.55.  Joh.  Junior,  Scala,celi  1480  s.  v.Divicie. 
R.  Hakius,  Commentarius  in  Psalterium  1664  1,  493  b  y.u  U.  Köhler  3,  445).  Moer- 
kerken.  De  satire  in  de  nedcrlandsche  kunst  1904  S.  173.  Koddige  Opschriftcn  3, 
118  (1685).  —  Recueil  von  allerhand  CoUectaneis  9,  39    1719.  lu  R.  Köhler"..  448). 


Kleine  Jlitteilungen.  IIb 

seniorum'  3,  4  dem  in  der  ägyptischen  Thebais  lohenden  Abt  Elias  beilegen: 
'Ego  tres  res  timeo:  unam,  quando  egressura  est  anima  niea  de  corpore;  aliani, 
quando  occursurus  sura  Deo;  tertiam.  quando  adversum  nie  proferenda  est  sen- 
tentia'').  In  dieser  Sentenz  des  alten  Mönches,  die  auch  verschiedentlich  in 
metrische  Form  umgegossen  wurde  und  in  der  deutschen  Dichtung  Widerhall 
fand,  möchte  ich  die  Wurzel  erkennen,  aus  der  nach  mehreren  Jahrhunderten 
unsere  Verse  hervorgesprosst  sind. 


Noch  weiterer  Verbreitung  als  dieser  Spruch  erfreut  sich  in  Deutschland  die 
sinnschwere  Hausinschrift: 

Wir  bauen  Häuser  gross  und  fest, 
Darin  wir  sein  nur  fremde  Gast; 
Und  da  wir  sollen  ewig  sein. 
Da  bauen  wir  gar  wenig  ein. 

So  oder  ähnlich  steht  in  der  Schweiz,  im  Elsass,  in  Siebenbürgen  wie  in 
Böhmen,  Sachsen,  Hannover  und  anderv^ärts  an  vielen  Häusern  zu  lesen-).  Eine 
erweiterte  elsässische  Fassung  aus  Buchsweiler')  verrät  durch  das  Alexandriner- 
mass  ihre  Entstehung  im   17.  oder  is.  Jahrhundert: 


1)  Im  ö.  Buch  der  Vitae  patruni  (Migne,  Patrologia  lat.  73,  861 B).  In  einer 
anderen,  ursprünglich  ebenfalls  griechischen  geistlichen  Apophthegmen.sammlung 
(Migne  74,  .392  nr.  97)  ohne  den  Namen  des  Elias.  Über  den  letzteren  s.  Acta 
Sanctorum  Sept.  3,  745  =  Migne  21,  4:!2. 

2)  Schweiz:  Sutermeister,  Haussprüehe  1860  S.  G5.  —  Elsass:  Kassel,  Jahr- 
buch f.  Gesch.  Elsass-Lothr.  21,  305  nr.  151a— d.  —  Schwaben:  Alemannia  8,  294 
=  Draheim,  Deutsche  Reime  1883  nr.  263.  Keiser,  Sagen  des  AUgäus  2,  677.  — 
Tirol:  W.  O.  [Zingerle],  Haussprüche  1871  S.  21.  Hörmann,  Haussprüche  IS93  S.  124. 
Oben  9,  203.  Deutsche  Inschriften  ^  1875  S.  13.  Dreselly,  Grabschriften  ^  1900 
S.  205  nr.  723.  Padberg,  Haussprüche  1895  S.  38  =  189S  S.  95.  Lipperheide,  Spruch- 
wörterbuch 1906  S.  45.  —  Bayern:  Das  Bayerland  1,  1:32  1890).  2,156.  3.35. 
5,  264.  8,  540.  10,  118.  —  Steiermark:  oben  3,  280.  —  Siebenbürgen;  Haltrich, 
Zur  Volkskunde  der  Siebenbürger  Sachsen  1885  S.  434  nr.  145—150.  180.  —  Alten- 
burg: Lobe,  Hausinschriften  1867  S.  18.  —  Erzgebirge:  E.  John,  Aberglaube  1909 
8.20.  —  Sachsen:  Zinck,  Wohnhausin.schriften  im  Königreich  Sachsen  1913  nr.  38. 
550-561  und  Mitt.  f.  sächs.  Volkskunde  6,  340-348  1^1916).  —  Westböhmen: 
A.  John,  Sitte  1905  S  2-15.  —  Rheinland:  Picks  Mtschr.  f.  rhein.  Geschichts- 
forschung 3, 132. 1877.  Mtschr.  des  Berg. GV. 23, 150.  —  Harz:  Draheim  nr.l39.  Blätter  f. 
Hymnologie  1885, 63.  Zs.  des  Harzvereins  24,  446.  Oben  15,  432f.  (1577.  1717.  1630.  1636). 
—  Hannover:  Mithoff,  Kunstdenkmale  :!,  17.  181  (Alfeld.  Hildesheim).  6,  135 
(Osnabrück  1579).  —  Danzig:  j\litteilung  von  Prof.  G.  Markull.  —  Wie  A.  ü. 
V.  Granach  1561  in  einer  Leichenpredigt  auf  den  Fürsten  Carl  von  Anhalt  erzählt 
(Blätter  f.  Hymnologie  1886,  31),  standen  in  einem  Fürstensaal  unter  einem  gemalten 
Engel  die  Reime: 

Uns  Engel  wundert  alle  gleich,  Und  seid  doch  nichts  denn  frembde  Geste ; 

Das  ir  Menschen  uff  Erdreich  Da  ir  Gott  ewig  solt  anschawen. 

Bawet  Schlösser  und  grosse  Feste  Da  wil  doch  gar  niemandt  hin  bawen. 

Ahnlich  beginnt  eine  Hausinschrift  von  1827  in  Siebenbürgen  Haltrich  S.  435 
nr.  1.50) :  'Wie  wundern  sich  die  Engel  im  Himmelreich  |  über  das  Erdreich,  |  dass 
die  Leute  bauen  Häuser  fest'.  .  . 

3)  Mündel,    Haussprüche  1883  S.  35.     Offenbare  Fehler  des  Holzschnitzers  oder 
des  Druckers  sind  in  V.  2  im  (für  ein),  3  nur  (für  doch),  4  im  (für  in\ 


118  Holte: 

Die  Menschen  bauen  sich  oft  Häuser  und  Paläste, 
Die  gleich  als  wie  ein  Thurn  zu  Babel  prächtig  stehn, 
Und  sind  doch  auf  der  Welt  nur  Pilgrim  und  nur  Gäste, 
Die  durch  das  Jammertal  in   Himmel  sollen  gehn. 
Wer  fragt  nach  Haus  und  Hof  auf  dieser  schnüden  Erde, 
Wenn  ich  nur  dermahleinst  ein  Hinunelsbürger  werde! 

IJbrigens  begegnen  uns  die  Verse  nicht  bloss  als  Hausinschrifteii:  wir  finden 
sie  um  1400  in  einer  nd.  Spruchsammlung')  in  folgender  Form: 

Wy  sint  hyr  vromde  geste 

I'nde  tymmeren  grote  veste; 

My  lieft  wunder,  dat  wi  nicht  muren, 

Dar  wi  ewieh  moten  duren. 

Ähnlich  hochdeutsch  in  Mones  Anzeiger  1833,  48  ^  Wackernagel,  Dt.  Lese- 
buch 1,  .S3Ü  (1839).  Ferner  lö'JO  in  Michael  Neanders  Ethica  vetus  S.  30,  1605 
bei  F.  Petri,  Der  Teutschen  Weissheit  Bl.  G  8  b,  um  1605  in  der  Hs.  des  Kieler 
Studenten  Petrus  Fabricius  (Alemannia  17,  2,')0),  Kio.')  in  einem  Ingolstüdter  Licder- 
blatt  mit  eigner  Melodie  (Biiumkcr,  Das  katholische  Kirchenlied  2,  oOl  nr.  328. 
Blätter  f.  Hymnologie  1885,  48),  l(i47  in  Schneubers  Teutschem  Stammbuch  (Hoff- 
mann   V.   F.,    Spenden    zur    Litgesch.     1,    31.    1844    =    Findlinge  1,    448.    1861), 

1664  bei    R.  Bakius    (Commentarius    in    Psalterium    Davidis    1,    .')94b.    3,  257a), 

1665  bei  Moscherosch  (Gesichte  Philanders  von  Sitiewald,  Strassburg  1()65,  2,  158), 
1672  in  einer  Predigt  von  Johann  Fabricius  (Blätter  f.  Uymnologie  18S5,  oO). 
Auch  Fischart  scheint  darauf  in  seinen  Altersstufen  (oben  15,  403)  anzuspielen. 

Eng  vorwandt  scheint  mir  nun  ein  Satz  des  h.  Hieronymus  im  128.  Briefe 
(Migne,  Patrol.  lat.  22,  1099):  'Vivimus  quasi  altera  die  morituri,  et  aedificamus 
quasi  semper  in  hoc  saeculo  victuri.'  Denn  wenn  hier  auch  dem  unbekümmerten 
Errichten  dauerhafter  Häuser  nicht  die  vergessene  Vorbereitung  auf  das  Jensens 
gegenüber,  sondern  das  hastige  Geniessen  irdischer  Lust  zur  Seite  gestellt  wird, 
so  dürfen  wir  doch  darin  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  die  Quelle  des  deutschen 
Hausspruches  erkennen,  in  den  sich  nur  nebenher  noch  eine  Erinnerung  an  das 
Psalmwort  (119,  19)  'Ich  bin  ein  Gast  auf  Erden'  eingemischt  hat.  Aber  auch 
Hieronymus  hat  diese  Fassung  der  Mahnung  an  den  Tod")  nicht  selber  gepräf;t, 
sondern  die  wirksame  Antithese  einem  heidnischen  Vorgänger  entlehnt.  Denn 
kurz  vorher,  im  12.{.  Briefe  (Migne  22,  1057),  bezeichnet  er  sie  geradezu  als 
Zitat:  'Et  illud,  (juod  de  Megarensibus  dicitur,  iure  miseris  coaptari  potesi: 
Aedificant  quasi  semper  victuri,  vivunt  quasi  altera  die  morituri'.  Vermutlich 
schwebt  ihm  eine  Stelle  aus  Tertullians  Apologeticus  ad  versus  gentes  c.  39 
(Migne  1,  52(i)  vor:  'Do  nobis  scilicet  Diogenis  dictum  est:  'Megarenses  obso- 
nant  quasi  crastina  die  morituri,  aedißcant  vero  quasi  nunquam  morituri.'  Freilich 
wird  diese  Äusserung  des  Kynikers  Diogenes  von  älteren  Schriftstellern  nicht  be- 
zeugt, und  es  könnte  eine  Verwechselung  mit  seiner  von  Aelian  (Varia  bist.  12,  56) 
angeführten  Äusserung  vorliegen,  er  wolle  lieber  der  Widder  eines  Megarers  sein 
als  sein  Sohn,  womit  er  auf  die  bekannte  plumpe  und  materielle  Gesinnung  der 
Megarer')  zielt.     Jedenfalls  ist  der  Satz  nicht  das  geistige  Eigentum  des  Diogenes, 


1)  Lübben,  Mitteilungen  aus  nd.  Hss.  1874  S.  1.  Zs.  f.  dt.  Alt.  27,  43.  —  Ähn- 
lich im  Rimbökclin  ed.  Seelmann  18!-5  v.  2397. 

2;  Bei  Freybe,  Das  Memento  mori  in  deutscher  Sitte  11909)  ist  der  deutsche 
Hausspruch  merkwürdigerweise  nicht  berücksichtigt. 

3)  Vgl.  dazu  Pauly,  Realencyclopädie  des  klass.  Altertums  4,  1719. 


Kleine  Mitteilungen.  117 

sondern  gehört  einem  noch  älteren  griechischen  Philosophen  an,  dem  Agrigentiner 
Bmpedokles,  welcher  von  der  Genussucht  seiner  Landsleute  die  bittere  Schilde- 
rung entwarf:  'Die  Agrigentiner  schwelgen,  als  ob  sie  morgen  sterben  sollten, 
und  bauen  sich  Häuser,  als  ob  sie  allzeit  leben  sollten'').  Auf  Empedokles  also 
in  letzter  Instanz  geht  unser  Hausspruch  zurück.  Dass  sein  Satz  von  Aristoteles 
und  Lukian  mit  etwas  veränderter  Spitze  aufgenommen  wurde,  sei  nebenher  er- 
wähnt"). 

*  * 

Als  ein  merkwürdiges  Seitenstück  möchte  ich  schliesslich  noch  einen  dritten 
deutschen  Hausspruch  heranziehen,  der  ebenfalls  weithin  bekannt  ist.')  Von  der- 
selben Anschauung  ausgehend,  dass  das  Haus  seinen  Erbauer  überlebe  und  des- 
halb im  Laufe  der  Jahre  oft  den  Besitzer  wechsle,  zieht  er  die  Folgerung,  dass 
der  gegenwärtige  Inhaber  gar  kein  dauerndes  und  wirkliches  Eigentumsrecht  bean- 
spruchen könne: 

Das  Haus  ist  mein  und  doch  nicht  mein; 

Beim  Nächsten  wird  es  auch  so  sein, 

Dem  Dritten  wird  es  übergeben, 

Der  Vierte  wird  nicht  ewig  leben. 

Den  Fünften  trägt  man  auch  hinaus. 

Nun  frag  ich:  wem  gehört  dies  Haus? 

Dieser  Gedanke  wird  nun  verdeutlicht  und  zu  einem  epischen  Gebilde  entfaltet  in 
einer  orientalischen  Erzählung,  in  der  ein  wandernder  Derwisch  eine  handgreifliche 
Nutzanwendung  von  der  Lehre  des  Spruches  macht. ^)  Aus  einem  ungenannten 
persischen  Werke  gibt  der  französische  Reisende  Chardin'')  in  einer  Beschrei- 


1)  Diogenes  Laertius  8,  2,  63  =  Diels,  Fragmente  der  Vorsokratiker  1,  151 : 
Ay.QayavTivoi    TQV(pi7>oi  ftkv   wg     ai'Qiov   anodavoinitroi,    oixiuf    ds    xnraay.eva'Corrm    </ic    .tmito 

rw  xsömv  ßicoao^iiei'oi.  —   Chr.  Lehmann,    Florilegium    pnliticum    1662,   3,   391    nr.  4G 
schreibt  diesen  Ausspruch  dem  Plato  zu. 

2)  Aristoteles  äusserte  nach  Diogenes  Laertius  5,  1,  11,  manche  Menschen 
darbten  so  jämmerlich,  als  ob  sie  immer  leben  würden,  andere  aber  prassten,  als 
ob  sie  sofort  sterben  müssten.  Lukian  malmt  in  einem  Epigramm  (3,  4ßl  ed. 
Jacobitz;  vgl.  1,  219  Charon  c.  20): 

' Üg  reüriiSö/isvog  tujv  möv  dyaDwv  caioXave, 
'  Qg  (5f  ßuoaöfierog  (/Jti'deo  acov  xxsdrcov. 

3)  Er  erscheint  seit  1715  in  verschiedenen  Abwandlungen  im  Elsaß,  Baden 
Schwaben,  Oberbayern,  Tirol,  Salzburg,  Hessen,  Altenbnrg,  Wcstböhmen.  Waldeck, 
Magdeburg  u.  a.  (Kassel,  .lahrbuch  f.  Gesch.  Elsaß-Lothr.  21,  :W8  nr.  170  a— d. 
Dt.  Inschriften M87Ö  S.  11.  Draheim  1883  nr.  405.  Alemannia  8,  247.  Reiser,  All- 
gäu  2, 675.  Dreselly  1900  nr.  670-672.  679.  W.  0.  [Zingerle]  1870  S.  23.  Hörmann  1893 
S.  124  — 128.  Krackowizer,  Inschriften  im  Lande  ob  der  Enns  1901  S.o.  Das 
d.eutsche  Volkslied  18,  125.  Padberg  1895  S.  38  =  1898  S.  S8.  Oben  3,  282.  Lucae, 
Aus  dt.  Sprach-  und  Litgeschichte  1889  S.  2:36.  Lobe  1867  S.  18.  A.  John  1905 
S.  245.     Curtze,  Waldeck  1860  S.  443.     AVander,  Sprichwörterlexikon  2,399.) 

4)  Auf  diese  Erzählung  wurde  ich  aufmerksam  durch  eine  dankenswerte  Zu- 
sammenstellung von  J.  K.  Brechenmacher  im  Magazin  für  Pädagogik  81, 180  iJ918) 
'Der  Pilger.  Die  Stelle  bei  Chardin  wies  mir  Geheimrat  Prof.  Dr.  Th.  Zachariae 
in  Halle  freundlichst  nach;  seiner  Vermittlung  verdanke  ich  auch  die  wertvolle 
Auskunft  von  Herrn  Professor  Dr.  C.  Brockelmann  über  den  persischen  Autor 
Ferideddin  Attär  und  die  Verdeutschung  seines  Textes. 

5)  Chardin,  Voyages  en  Perse  1, '207  (Amsterdam  1711  und  1735.  4")  =  2.148  eJ. 
Langles  1811.     In  der  ersten  Ausgabe   (Londres  1686  p.  249)   fehlt  dieser  Abschnitt. 


]18  Bolte: 

bung  der  morgeiiländischeu  Fremdenherbergen,  die  er  1711   in  sein  Tagebuch  vom 
1.  März  1673  einschaltet,  folgendes  Gcschichtchen  wieder: 

Je  nie  Boliviens  d'un  conte  que  j"ai  lu  dans  un  Auteur  Peisan,  d'iin  Derviche, 
ou  Religieiix  Mahometan,  qui  voyageoit  en  Tartarie.  Etant  arrive  dans  la  Ville 
de  Halk,  il  s'en  alla  loger  dans  le  Palais  Royal,  le  prenant  pour  un  Caravanserai. 
II  y  entre,  et  ayant  regarde  de  tons  cötcs,  il  se  va  placer  .sous  une  belle  galeric. 
met  bas  son  petit  sac  et  son  petit  tapis,  qu'il  etend,  et  s'assit  dessus.  Des  Gardes 
l'ayant  apper(,u  en  cette  posture,  lui  crierenl  de  se  lever,  lui  demandant  en  colere, 
qu'est-ce  (^u'il  prötendoit  faire?  II  repondit,  (jiril  pretendoit  passer  la  nuit  dans 
ce  Caravanserai.  Les  Gardes  se  niirent  ä  crier  plus  fort,  qu'il  s'en  allät,  et  que  ce 
n'etoit.  pas  ici  un  Caravanserai,  mais  le  Palais  du  Roi.  Le  Roi,  qui  se  nommoit 
Ibrahim,  etant  venu  k  passer  lä-dessus,  il  se  mit  fort  ä  rire  de  la  bevue  du  Derviche, 
et  l'ayant  fait  apeller,  lui  denianda  coinment  il  avoit  si  peu  de  discernement,  de 
ne  reconnoitre  pas  un  Palais  d'avec  un  Caravanserai?  —  Sire.  se  mit  ä  dire 
le  Derviche,  que  V.  M.  daigne  souffrir  que  je  lui  demande  une  chose.  Qui  a  löge 
premieiement  dans  cet  edifice-ei,  apres  qu'il  a  ete  fini?  —  Ce  sont  mes  Anci-tres, 
repondit  le  Roi.  —  Apres  eus,  Sire,  qui  est-ce  qui  y  a  löge?  reprend  le  bon  hemme. 
—  C'est  mon  Pere,  repondit  le  Roi.  —  Et  apres  lui,  qui  en  a  ete  le  maitre?  —  Moi, 
repliqua  le  Roi.  —  Et  de  grace,  Sire.  qui  en  sera  le  maitre  apres  vous?  —  Ce  sera 
mon  fils,  repond  lo  Prince.  —  Ah!  Sire,  reprit  le  bon  Derviche,  un  edifice  (jui 
chango  si  souvent  dhabitans,  est  une  hötellerie,  et  n'est  pas  un  Palais. 

Chardins  unmittelbare  Quelle  bleibt  noch  zu  ermitteln;')  doch  teilte  mir  Herr 
Professor  ßrockelmann  in  Halle  dieselbe  Geschichte  aus  der  Biographie  des  be- 
rühmten My.stikers  Ibrfihira  ihn  Adham,  vormals  Fürsten  von  Balkh,  mit,  welche 
der  persische  Dichter  und  Geschichtsschreiber  des  Sufismus  Ferideddin  'Aüfir 
(geb.  1119,  gest.  1230)  in  seinem  'Leben  der  Heiligen'  überliefert:  =) 

Als  der  Tag  heraufkam,  ging  er  in  die  Halle  hinaus  und  setzte  sich  auf  den 
Thron,  nachdenklich,  versonnen  und  sorgenvoll.  Die  Stützen  des  Reiches  standen 
jeder  an  seinem  Platz,  die  Diener  bildeten  eine  Reihe,  und  sie  hielten  öffentliche 
Audienz.  Plötzlich  trat  ein  Jlann  von  ehrfurchtgebietendem  Aussehen  zur  Tür  her- 
ein, so  dass  keiner  von  dem  Gefolge  und  der  Dienerschaft  den  Mut  hatte  zu  sagen : 
Wer  bist  du  ?  Allen  blieb  die  Zunge  in  der  Kehle  stecken.  So  ging  er  bis  vor  den 
Thron.  Ibrahim  sprach;  -Was  willst  du?'  Er  antwortete:  'Ich  will  in  diesem  Gast- 
haus absteigen.'  Er  antwortete:  'Dies  ist  kein  Gasthaus,  es  ist  mein  Palast,  du  bist 
verrückt.'  Er  erwiderte:  'Wem  gehörte  dieser  Palast  vorher?'  Er  antwortete: 
'Meinem  Vater.'  Er  sagte:  'Vorher?'  Er  antwortete:  'Meinem  Grossvater."  Er 
sagte:  'Vorher?"  Er  antwortete:  'Dem  und  dem.'  Er  sagte:  'Vorher?'  Er  antwortete: 
'Dem  Vater  des  und  des.'  Er  sagte:  'Wohin  sind  sie  alle  gegangen?'  Er  antwortete: 
'Sie  sind  fortgegangen  und  gestorben."  Er  sagte:  'Ist  es  dann  nicht  ein  Gasthaus, 
wo  der  eine  kommt  und  der  andre  durchgeht?'  —  So  sprach  er  und  verschwand, 
und  das  war  Chidr^i,  über  ihm  sei  Heil!  Der  Brand  und  das  Feuer  in  der  Seele 
Ibrahims  nahm  zu.  und  sein  Schmerz  wuchs  .  .  . 

1)  Poll,  Pfeffels  Fabeln  188S  S.  (i5  führt  zwar  »Sadi,  Gulistan,  Paris  1737  p.  277 
an;  doch  finde  ich  in  den  Übersetzungen  von  Oloarius  (IGGOj  und  Graf  iJfSlii)  nichts 
Hergehöriges. 

2)  Part  I  of  the  Fadhkiratu  '1-Awliyä  (Memoirs  of  the  Saint«)  of  Muhammad  ihn 
Ibrahim  Faridu"ddin  'Attär,  edited  in  the  original  Persian  by  R.  A.  Nicholson. 
I>ondon  l'.)Ü5  p.  8G,  10-21  Persian  historiclil  texts,  vol.  3\  —  Vgl.  über  'Att.-ir  P.  Hörn, 
Geschichte  der  pcisischen  Literatur  1901  S.  158. 

3)  Über  den  wandernden  muhammedanischen  Propheten  Chi dr  vgl.  W.  Hertz, 
fiesamrnelte  Abhandlungen  1905  S.  50f.  und  I.  Friedlaender,  Die  Chadhirsage  und 
der  Alexanderroman  1913. 


Kleine  ilitteilimgen.  119 

Diese  Biographie  des  um  7T7  verstorbenen  heiligen  Scheichs  IbrühTm  ist  aber, 
■^vie  GoldziherM  bemerkt  hat,  dem  Leben  Buddhas  nachgebildet.  Es  wäre  also 
nicht  unmöglich,  dass  unsre  Geschichte  vom  König  und  Derwisch  ursprünglich 
buddhistisch  ist  und  sich  schon  irgendwo  in  der  indischen  Literatur  findet. 

In  Europa  machte  jedenfalls  die  Fabel,  gleichviel  ob  muhammedanischen  oder 
buddhistischen  Ursprunges,  Eindruck").  Addison  nahm  sie  alsbald  in  seinen 
Spectator  (nr.  289.  31.  Januar  1712)  auf;  in  Deutschland  und  Frankreich  ver- 
breiteten sie  ferner  das  Yademecum  für  lustige  Leute  o,  4  nr.  5  (1767),  das  Diction- 
naire  d'anecdotes  (1777  1.399  =  1778  2,3ßb  'Image  de  la  via';  deutsch  als  'Anek- 
doten oder  Sammlung  kleiner  Begebenheiten'  177.S  2,  12),  der  Abbe  Champion 
de  Nilon  in  seiner  Ausgabe  von  B.  Giraudeaus  Parables  (1786  nr.  71),  Clemens 
Brentano  in  seiner  anonymen  Verdeutschung  der  Parabeln  des  Vaters  Bonaventura 
(Sulzbach  ISSd  S.  305  =  1851  S.  286  'Der  Derwisch'),  Christoph  von  Schmid 
(Gesammelte  Schriften,  Augsburg  1861  16,227  =  Sämtliche  Erzählungen,  Ravens- 
burg? 5,  99  'Der  Pilger")  u.  a.  In  gereimte  Form  wurde  sie  eingekleidet  durch 
La  Fermiere  (Pables  et  contes  1775  p.  öd  'Le  caravanserail'),  Nivernois  (Fables 
1796  2.6  'Le  derviche  et  le  calife'),  Barrucand  (Mercure  de  France  1804  18,292 
'Le  derviche  et  le  roi'),  Pfetfel  (Poetische  Versuche  9,  155  -Der  Derwisch  und  der 
Ohan'.  1805)  und  Adolf  Böttger  (Gesammelte  Werke  1865  1,209  'Memento  mori'). 
Sieht  nun  nicht  unser  deutscher  Hausspruch,  der  in  zweizeiliger  Form  bereits 
1715  zu  Weissenburg  im  Elsaß  erscheint,  der  persischen  Parabel  ausserordentlich 
ähnlich?  Man  wird  dies  unbedenklich  zugeben  können,  ohne  jedoch  daraus  sofort 
auf  ein  Abhängigkeitsverhältnis  zu  schiiessen;  vielmehr  sind  Spruch  und  Erzählung 
aus  einer  uralten  und  allgemein  verbreiteten  Vorstellung  entsprungen.  Nicht  nur 
der  Derwisch  nennt  das  Leben  eine  Reise,  wie  Kleists  Prinz  von  Homburg  (IV,  3) 
mit  sichtlicher  Bezugnahme  auf  die  persische  Parabel  sagt,'')  sondern  schon  im 
Alten  wie  im  Neuen  Testament  und  in  der  kirchlichen  Dichtung  tritt  uns  dieser 
Ausdruck  für  die  kurze  Dauer  des  Erdenlebens  im  Vergleich  mit  der  Ewigkeit 
des  jenseitigen  entgegen.  'Ich  bin  ein  Gast  auf  Erden',  heisst  es  im  Psalm  119,  19; 
'Wir  haben  hier  keine  bleibende  Statt,  sondern  die  zukünftige  suchen  wir',  sagt 
der  Ebräerbrief  13,  14.  In  seinem  ergreifenden  Liede  'Ich  wölt,  das  ich  doheime 
•wer'  mahnt  Heinrich  von  Laufenberg:*) 

Woluf,  min  herz  und  all  min  müt. 

Und  such  das  gut  ob  allem  gut! 

Du  hast  doch  hie  kein  bliben  nüt. 

Es  si  morn  oder  es  si  liüt. 
Aus  dem  16.  Jahrhundert  ertönt  es  bei  Friedrich  Widebram:») 


1)  I.  Goldziher,  Vorlesungen  über  den  Islam  i;)10  S.  163.  —  Es  liegt  also  ein 
ähnlicher  Fall  vor  wie  bei  der  Lebensbeschreibung  des  h.  Josaphat;  vgl.  Lieb- 
recht. Zur  Volkskunde  1S79  S.  441  und  E.  Kuhn,  Barlaam  und  .Toasaph  (Abh.  der 
Münchner  Akademie  1893. 

2)  Die  folgenden  Nachweise  entstammen  zumeist  dem  angeführten  Aufsatze 
Brechenmachers  und  der  Dissertation  von  PolL    Pfeffels  Fabeln,  Straßburg  1888  S.  65. 

0^  Immermann  kennzeichnet  im  llünchhausen  (5.  Buch,  6.  Kap.  Werke  3,  48  ed. 
Boxberger'  die  Beschränktheit  des  Küsters  dadurch,  dass  ihm  dieser  Vergleich  im 
Munde  des  Schirrmeisters  als  eine  ganz  neue  Weisheit  vorkommt. 

4"i  Wackernagel,  Kirchenlied  2,  540  nr.  715  =  Erk-Böhme,  Liederhort  3, 869  nr.  2175. 

5MVackernagel5,323nr.  512;  vgl.  Blätter  für  Hymnologie  1886,  92,  auch  1885,24. 
183.  Dazu  etwa  Luther,  Kirchenpostille  1544  2,  Bl.  N5  (über  1.  Petri  2)  und  Schriften, 
Eisleben  1565  2,137  b.  Goethe,  Hermann  und  Dorothea  9,  v.  269:  'Nur  ein  Fremdling, 
sagt  man  mit  Recht,  ist  der  Mensch  hier  auf  Erden'. 


l-'O  Bolte,  V.  Geramb: 

Wir  lol)en  wie  oin  Wandersmann, 
aus  dem   18.  bei  F.  A.  Lampe  (1731): 

Mein  Leben  ist  ein  Pilgrimstand, 

Ich  reise  nach  dem  Vaterland, 
und    ein  Ilausspruch    zu  Wcrmetschwil  v.  J.  1743   versichert  mit  einem  Hinweise 
auf  die  irdische   Wuhnstätte:') 

Hier  bleiben  wir  nicht  lange, 

Gehen  immer  aus  und  ein; 

Unßer  Wohnung  ist  im  Himmel, 

Da  wir  worden  ewig  sein. 
''•erlin.  Johannes  Bolte. 


Steirische  Volksniürfhen. 
l.  Der  goldige  Hirsch.-) 

Es  war  einmal  ein  armes  Keuschlerraandl,  der  hatte  zwei  Kinder  von  seiner 
ersten  Frau.  Nun  wollte  er  wieder  gern  heiraten,  aber  jede,  um  die  er  anhielt, 
wies  ihn  ab,  weil  er  eben  zwei  Kinder  habe.  Als  er  wieder  einmal  auf  Braut- 
schau  auszog,  begegnete  ihm  ein  hässliches  altes  Soldatcnweibl,  und  um  nur  über- 
haupt wieder  ein  Weib  ins  Haus  zu  kriegen,  fragte  er  sie,  ob  sie  ihn  zum  Manne 
nehmen  wolle.  Aber  auch  ihre  erste  Frage  war,  ob  er  wohl  ja  keine  Kinder 
hätte.  Weil  er  sichs  nun  aber  einmal  in  den  Kopf  gesetzt  hatte,  eine  Frau  heim- 
zubringen, log  er  sie  an  und  sagte:  nein,  er  habe  keine  Kinder.  Da  willigte  sie 
ein,  und  sie  heirateten  sogleich. 

Als  sie  aber  heimkamen,  liefen  ihnen  schon  von  weitem  die  Kinder  entgegen 
und  riefen:  „Vater,  ist  das  unsere  Mutter':"'  Da  wurde  das  Weib  sehr  zornig, 
stiess  die  Kinder  von  sich  und  überhäufte  den  Mann  mit  Vorwürfen,  dass  er  sie 
belogen  habe.     Er  aber  sagte  nur  immer:  .,Lass  nur  gut  sein"  und  hoffte  bei  sich. 


1)  Sutermeister,  Hausspriiche  1860  S.  G5.  Vgl.  Curtze,  Waldeck  1860  S.  -143:  'Dies 
Haus  ist  mein  und  doch  nicht  mein,  nach  mir  kommt  ein  anderer  drein:  im  Hininiol 
wird  unsere  Wohnung  sein.' 

2)  Märchen  aus  Steiermark  sind  bisher  meines  'Wissens  nicht  bekannt  gewesen. 
Die  vorliegenden  drei  erzählte  mir  am  3.  und  15.  September  191G  der  alte  Berg- 
arbeiter Heinrich  Freidl  in  Zeltweg  bei  Judenburg  (Obersteier  .  Dieser  ist  00  Jahre 
alt,  kann  weder  lesen  noch  schreiben,  besitzt  aber  eine  gute  Erzählergabe  und  ein 
prächtiges  Gedächtnis.  Er  selbst  hatte  die  Märchen  als  Kind  in  einem  Gebirgs- 
bauernhof  ober  Obdach  "l^an  der  steirisch-kärntnischen  Grenze},  wo  er  aufwuchs, 
von  seiner  83jährigen  'Züglmutter'  (Ziehmutter)  erzählen  gehört.  Die  alte  Trau 
wusste  viele  ähnliche  Märchen,  an  die  er  sieh  aber  nicht  alle  mehr  genau  erinnert. 
Sie  erzählte  besonders  gern  beim  Spinnen  am  Abend.  Auch  sie  hatte  nie  lesen 
und  schreiben  gelernt  und  die  Märchen  wohl  auch  schon  aus  ihrer  Kindheit  mit- 
gebracht. Wir  können  daher  das  Alter  der  Märchen  auf  sicher  120  — 1.J0  Jahre  in 
der  hier  vorliegenden  Form  ansetzen.  Ich  gebe  sie  mit  Ausnahme  einiger  besonders 
charakteristischer  Sätze  hochdeutsch  wieder,  folge  dabei  aber  möglichst  wörtlich 
der  von  mir  während  des  Erzählens  mitstenographierten  Aufzeichnung.  —  Xr.  1  ist 
eine  Variante  zu  Grimms  'Brüderchen  und  Schwesterchen'  Bolte-l'olivka, 
Anmerkungen  zu  den  KHM.  1,  79  nr.  IL,  die  durch  den  Namen  Verasin  und  den 
-Mangel  der  Verse  bei  dem  nächtlichen  Besuch  der  ertränkten  Mutter  nicht  sehr 
altertümlich  wirkt. 


Kleine  Mitteilungen.  '[•Jl 

sie  würde  sich  mit  der  Zeit  doch  dareinfinden.  Doch  bald  musste  er  einsehen, 
dass  es  nicht  gehe.  Eines  Tages  nahm  er  daher  'ein  Labl  Brot  und  ein  Maßl 
Zwetschken'')  und  ging  mit  den  Kindern  in  den  Wald.  Dort  gab  er  ihnen  das 
Brot  und  die  Zwetschken  und  sagte:  „Da  essts,  dawais-)  wos  hobbs,  und  wann's 
araol  nix  mehr  hobbs,  bittats  den,  der  ober  enker  is!  Hoam  kema  deafts  neama!" 
Die  Kinder  machten  sich  daraus  nicht  viel  und  gingen  allein  ganz  getrost  im 
Waid  weiter.  Als  sie  müde  und  hungrig  waren,  setzten  sie  sich  nieder  und  jaus- 
neten.  Nach  dem  Essen  fühlten  sie  Durst  und  gingen  daher  suchen,  ob  nirgends 
ein  Wasser  wäre.  Richtig,  nach  einer  Weile  kamen  sie  zu  einem  Wassertrog. 
Zuerst  trank  das  Dirnlein.  Kaum  aber  hatte  sie  getrunken,  so  schaute  sie  der 
Bub  verwundert  an  und  rief:  „Ja,  bist  du  aber  gross!"  Denn  sie  stand  plötzlich 
erwachsen  und  in  grosser  Schönheit  vor  ihm.  Da  riet  ihm  das  Miidchen:  „So 
trink  du  auch,  dann  wirst  du  auch  ein  grosser  Mann."  Er  aber  meinte:  „Nein, 
ich  möcht  bald  lieber  was  anders  sein,  wie  ein  Mensch."  „Ja,  was  müchtst  denn 
dann  sein?"  fragte  die  Schwester.  Antwortete  er:  „Ich  möcht  ein  guldiger  Hirsch 
sein!"  „Nun  so  trink,  vielleicht  wirst  einer!''  Der  Bub  trinkt  und  ist  sofort  ein 
goldiger  Hirsch. 

Wie  sie  sich  nun  so  eine  Weile  voll  Verwunderung  anstaunen,  kommt  eine 
grosse  Jagd  daher.  Der  Graf  will  sofort  auf  den  Hirsch  schiessen,  aber  einer 
seiner  Geführten  ruft  ihm  zu:  „Halt,  es  steht  ein  Mensch  auch  dabei!"  — 

Da  kamen  sie  nun  alle  herzu  und  sahen  das  wunderschöne  Frauenzimmer, 
und  der  Graf  fragte  sie,  wie  sie  mit  dem  Hirschen  daherkäme,  und  sie  rausste 
ihm  alles  erzählen.  Sie  gefiel  aber  dem  Grafen  so  sehr,  dass  er  sie  bat,  ihn  zu 
heiraten.  Allein  sie  meinte,  das  sei  unmöglich,  denn  sie  sei  ja  viel  zu  arm.  Doch 
der  Graf  liess  nicht  ab  zu  bitten,  so  dass  sie  endlich  einwilligte.  Der  Graf 
schickte  sofort  heim  und  liess  'Ross  und  KogI wagen  ^)  und  Spielleut'  holen.  Als 
sie  dann  heimfuhren,  banden  sie  den  Hirsch  hinten  am  Wagen  an,  und  er  lief 
lustig  mit.  Im  Schloss  wurde  sogleich  die  Hochzeit  gefeiert,  und  sie  lebten  zu- 
sammen in  Freude  und  Glück,  und  nach  einem  Jahr  schenkte  die  Gräfin  ihrem 
Manne  ein  Knäblein. 

Da  biach  ein  Krieg  aus,  und  der  Graf  musste  zu  Felde  ziehen.  Beim  Ab- 
schied trug  er  seinen  Leuten  auf  das  strengste  auf,  alles  genau  zu  erfüllen,  was 
die  junge  Gräfin  befehlen  werde.  Inzwischen  hatte  die  böse  Stiefmutter  den 
neuen  Aufenthalt  und  die  Verwandlung  der  Kinder  erfahren,  und  eines  Tages 
meldete  sie  sich  im  Schlosse,  sie  wolle  ihre  Stieftochter  besuchen.  Diese  empfing 
sie  sogleich  voll  Güte,  führte  sie  im  Schloss  herum  und  zeigte  ihr  alles,  auch  ihr 
Kindlein,  welches  Verasin  hiess.  Wie  sie  so  in  den  Gärten  des  Schlosses  lust- 
wandelten, kamen  sie  auch  zu  einem  grossen  Teich.  Dort  nahm  die  Alte  den 
kleinen  Verasin  in  die  Arme,  als  ob  sie  ihn  liebkosen  wollte,  und  plötzlich  ver- 
setzte sie  der  jungen  Gräfin  von  hinten  einen  Stoss,  so  dass  diese  in  den  Teich 
stürzte  und  ertrank.  Dann  zog  sie  der  Toten  ihre  Kleider  aus,  legte  diese  selbst 
an  und  kehrte  mit  dem  Knäblein  am  Arm  ins  Schloss  zurück.  Zu  den  Dienern 
stellte  sie  sich  so,  als  ob  sie  die  junge  Gräfin  sei.  Die  Diener  und  Mägde  er- 
schraken alle  über  die  plötzliche  Veränderung  ihrer  Herrin,  die  auf  einmal  so 
hässlich  geworden  war,  und  zitterten  bei  dem  Gedanken  an  die  Rückkehr  ihres 
Herrn.  Nach  drei  Tagen  befahl  die  Alte,  man  solle  den  goldigen  Hirsch  schiachten, 
sie  wolle  von  ihm  ein  Stück  Braten  essen.     „Das  wird    doch    nicht    sein,"    riefen 


1)  Fin  Leibchen  Brot  und  ein  Maßlein  Pflaumen. 

2)  Derweil. 

3)  Prunkwagen  mit  'Kogl'  =  Baldachin  (oder  Zierkugeln?). 


122  ^'-  Geraiiil); 

die  Diener,  „dass  sie  von  ihrem  eigcnon  Bruder  ein  Stück  Fleisch  will  haben!" 
und  keiner  wagte  es,  den  Uefohl  auszuführen.  Aber  am  nächsten  Tajj  wiederholte 
sie  ihren  Befehl  und  am  dritten  Tage  nochmals.  Da  musslen  sie  endlich  ge- 
horchen; denn  der  Graf  hatte  ihnen  ja  befohlen,  ihr  alles  zu  geben,  was  sie  ver- 
lange.   So  führten  sie  den  Hirsch  zur  Schlachtbank. 

Aber  gerade  als  sie  ihn  niederschlagen  wollten,  kam  der  Graf  aus  dem  Krieg 
zurück.  Erzürnt  herrschte  er  die  Diener  an,  was  sie  da  machten.  Da  erzählten 
sie  ihm,  dass  die  Frau  es  so  wolle.  Er  aber  befahl,  den  Hirsch  sogleich  zurück- 
zuführen und  sagte:  „Ich  werde  ihr  schon  andere  Freuden  bringen.'"  Als  er  nun 
die  Frau  sah,  erschrak  er  so,  dass  er  fast  umgefallen  wäre.  Allein  er  ermannte 
sich  und  dachte  bei  sich:  „Nun  ja,  sie  ist  so  schnell  gross  und  sauber  worden 
und  ebenso  schnell  alt."  So  ersah  er  darin  eine  Strafe  Gottes  und  bcschloss,  es 
ruhig  zu  ertragen.  Abends  legten  sie  sich  zu  Bette,  und  der  Graf  plauschte  mit 
der  Frau,  aber  er  berührte  sie  nicht.  Der  Graf  aber  konnte  nicht  einschlafen. 
Um  Mitternacht  kam  plötzlich  etwas  vor's  Fenster,  und  der  Graf  hörte  deutlich, 
wie  draussen  eine  Stimme  sprach:  „Was  macht  mein  lieber  Verasin?"  Darauf 
antwortete  das  Kind:  „Er  liegt  in  der  Wiege  und  weint  geschwind.*^  Und  wieder 
fragte  die  Stimme:  „Was  macht  die  alte  Frau'?"'  Und  das  Kind  antwortete:  „Sie 
liegt  im  Bett  wie  eine  Sau >  —  Ua  dachte  sich  der  Graf:  „Was  ist  das?"  und 
die  Stimme  kam  ihm  vor  wie  die  seiner  Frau.  Darüber  dachte  er  hin  und  her 
die  ganze  Nacht  und  den  ganzen  folgenden  Tag.  Am  Abend  gingen  sie  wieder 
schlafen,  und  wieder  kam  die  Erscheinung  und  sprach  wieder  genau  so  mit  dem 
Kinde.  Da  ging  der  Graf  am  nächsten  Morgen  zum  Pfarrer  und  fragte  ihn,  was 
denn  das  sein  könne.  Dieser  sagte  ihm,  er  müsse  sich  nun  in  der  nächsten 
Nacht  vorm  Fenster  hinstellen  und,  wenn  die  Erscheinung  wieder  käme,  sie 
augenblicklich  fest  anpacken  und  an  sich  drücken.  Das  werde  sehr  schwierig 
sein,  allein  er  dürfe  unter  keiner  Bedingung  früher  auslassen,  bis  die  Gestalt 
nicht  selbst  sage:  „Jetzt  bleibe  ich  schon  da."  Diesen  Hat  befolgte  der  Graf. 
In  der  Nacht  richtete  er  sich  vorm  Fenster  zurecht,  und  wirklich  kam  die  Er- 
scheinung wieder.  Mit  aller  Kraft  fasste  sie  nun  der  Graf  geschwind  und  riss 
sie  an  sich.  Allein  die  Gestalt  wehrte  sich  so  heftig,  dass  er  sie  fast  nicht  fest- 
lialten  konnte.  Endlich,  als  er  schon  beinahe  den  Mut  verlor,  sagte  sie:  „Lass 
mich'  nur  aus,  jetzt  bleibe  ich  schon  da,  aber  zweimal  sterben  ist  hart!" 

Darauf  nahm  er  sie,  trug  sie  ins  Schloss,  aber  in  ein  anderes  Zimmer  und 
sagte  der  Alten  gar  nichts  davon.  Nur  das  kleine  Kind  nahm  er  ihr,  indem  er 
ihr  sagte:  „Spin^)  hast  du  so  keine  mehr,  also  gebe  ich  das  Kind  einer  Amme." 
—  Am  andern  Tag  fragte  er  die  Alte:  „Was  verdient  eine  Frau,  die  eine  andere 
umbringt?"'  Da  erwiderte,  sie:  „So  eine  verdient,  dass  man  ein  Fass  machen 
lasse,  in  das  man  inwendig  kreuzweis  Messer  und  Gabeln  einschlägt;  in  das  muss 
die  Mörderin  hineinkriechen  und  dann  über  eine  hohe  Leiten  hinabgelassen 
werden.'"  Da  ging  der  Graf  zum  Binder,  der  hoch  oben  am  Berg  wohnte,  und 
bestellte  ein  solches  Fass.  Wenn  es  fertig  sei,  sollten  die  Binderbuben  pfeifen. 
In  drei  Tagen  war  das  Fass  fertig,  und  es  war  gerade  1  Uhr  mittag,  da  bliesen 
die  Binderbuben  oben  am  Berg.  Da  ging  der  Graf  zur  alten  Frau  und  sagte: 
„So,  jetzt  wollen  wir  ein  bischen  spazieren  gehen.'"  Sie  aber  sagte:  „Nein,  ich 
habe  Kopfweh;"  denn  sie  ahnti-  schon  etwas  Böses.  Der  Graf  aber  befahl  ihr 
streng,  ihm  zu  folgen,  und  so  musste  sie  mit.  Schon  vom  Weg  aus  sah  sie  das 
Fass  und   fiel  vor  Schreck   sogleich  in  Ohnmacht.     Die  Binderbuben  aber  packten 

IJ  Spin  =  Alutterniilch;  daher  abspänen. 


Kleine  Mitteilungen.  123 

sie,  schleppten  sie  hinauf,  steckten  sie  ins  Pass  und  Hessen  sie  über  die  Leiten 
hinab.  „Und  i  bin  aft  a  gang-  ban  Loch,  gehts  hürts  ma  auf,  wanns  a  so  zua- 
geht!"') 

2.  Der  tapfere  .Soldat.-) 

Es  war  einmal  ein  altes  Schloss.  bei  dem  es  nicht  geheuer  war.  Unter 
diesem  Schloss  war  ein  Wirtshaus.  Einmal  kam  ein  abgedankter  Soldat,  der  bat 
beim  Wirt  um  Herberge.  Der  Wirt  hatte  keinen  Platz  frei,  sagte  aber:  „Wann 
du  in  oltn  Schloss  wüllst  schlofn,  obn  is  Platz  gnua,  aber  obn  loabs  halt  neamd'), 
wirst  halt  obn  net  bleibn  kinn."  Allein  der  Soldat  sagte:  „Das  macht  mir  nichts; 
was  gellt  mich  als  alten  Soldaten  das  an,  wann  ich  nur  über  Nacht  bleiben  kann!" 
Da  füiirten  sie  ihn  hinauf,  Hessen  ihn  ins  Schloss  hinein  und  sperrten  ab.  Er 
legte  sich  oben  in  ein  Bett.  Als  er  eine  Zeitlang  gelegen  hatte,  begann  es  herum- 
zurunioren.  Aber  da.s  machte  ihm  nichts.  Als  es  aber  zu  arg  wurde,  stand  er 
auf  und  machte  Licht.  Da  warf  es  durch  den  Kamin  einen  Menschenfuss  herab. 
Rief  der  Soldat:  „Weil  schon  ein  Fuss  da  ist,  nur  den  andern  auch  her!"  Sofort 
kam  auch  dieser  durch  den  Kamin  herabgesaust.  „Nur  noch  ocha!"^)  rief  der 
Soldat.  Da  warf  es  auch  das  'Mittergstell'  herab.  „Nur  noch  ocha!"  rief  er 
wieder,  da  kam  die  lechte  Hand,  dann  die  linke.  „Jetzt  noch  den  Kopf  auch 
her!"  Da  warf  es  auch  den  Kopf  herunter.  Der  Soldat  setzte  die  Teile  alle 
schön  zusammen,  und  wie  er  auch  den  Kopf  dazu  passte,  sagte  er:  „Jetzt  steh 
nur  auf,  dass  ich  einen  Kameraden  auch  hab!  Bin  so  ganz  allein  da."  Da  stand 
der  ganze  Mensch  auf,  und  der  Soldat  gab  ihm  zu  essen  von  seinem  Essen.  Der 
andere  langte  auch  lleissig  zu,  und  wie  er  fertig  war,  winkte  er  dem  Soldaten,  er 
solle  mit  ihm  gehen.  Der  Soldat  folgte  ihm.  Schon  bei  der  ersten  Tür  befahl 
ihm  der  Fremde,  aufzusperren.  Allein  der  Soldat  sagte:  „Ich  habe  nicht  zu- 
gesperrt, ich  sperre  auf  auch  nicht.  Sperr  selber  auf,  wenn  du  willst  drinnen 
sein!"  Da  sperrte  der  andere  auf.  Bei  der  zweiten  Tür  war  es  wieder  so,  aber 
der  Soldat  weigerte  sich  wieder,  und  es  sperrte  wieder  der  andere  auf.  Bei  der 
dritten  Tür  aber  wollte  der  Fremde  durchaus  nicht  selbst  aufsperren.  Da  sagte 
der  Soldat:  „No,  no,  so  lassen  wir's  halt  sein;  ich  hab  nichts  zu  tun  drinnen; 
gehn  wir  halt  zurück."  Da  musste  der  andere  auch  die  dritte  Tür  aufsperren, 
und  es  standen  drei  Truhen  drin,  alle  voll  Geld:  Kupfergeld,  Silbergeld  und  in 
einer  Dukaten.  „Das  gehört  jetzt  alles  dir,"  sagte  der  Fremde,  wurde  schnee- 
weiss  und   war  dahin. 

3.   ■Spielniannsiufirr^). 

Auf  einem  Berg  stand  einmal  ein  altes  Schloss,  in  dem  es  niemanden  litt. 
Herunten  am  Fuss  des  Berges  war  ein  Wirtshaus.  Dahin  kam  eines  Tages  ein 
Reisender,  der  wollte  dort  übernachten.  Aber  der  Wirt  hatte  keinen  Platz  und 
schickte  ihn  ins  Schloss  hinauf,  sagte  ihm  aber,  dass  es  dort  nicht  geheuer  sei. 
Doch  der  Reisende  fürchtete  sich  nicht  und  wars  zufrieden,  nur  eine  Unterkunft 
zu  bekommen.     Oben  legte  er  sich  in  ein  Bett;    doch    als    er    sich's  gerade  recht 


1    Der  letzte  Satz  wurde  vom  Erzähler,    der    das    übrige    alles    sehr  ernst  vor- 
gebracht hatte,  rasch  und  lustig  hergesagt. 

2)  Vgl.  Grimm,    KILM.  nr.  4   'Von    einem,    der    auszog,    das  Fürchten  zu 
lernen'  (Bolte-Polivka,  Anmerkungen  1,  22.    'i,  537). 

3)  Leidet  es  halt  niemanden. 

4)  Nur  noch  weiteres  herab. 

ö)  So  lautete  die  Bezeiclmung,  die  der  Erzähler  gebrauchte,   also  'Spielmanns- 
Märlein'. 


24  "^-  Gcramb,  Knoop: 

wohl  sein  liess,  begann  es  hinter  dem  Retl  zu  schlagen.  ^Niir  Rubel"  rief  er, 
„was  ist  denn  das!"^  Allein  das  Schlagen  hörte  nicht  auf,  und  so  stand  er  endlich 
auf  und  ging  hinters  Bett  schauen.  — 

„Hm!    Markwürdil    Hiaz  hobn  zwoa  Flöch  am  Strohalm  Brettl  ghuisciu.*' 

Graz.  Victor  v.  Geranib. 


Der  Gesaudheitsbrnnnen. 

Ein  Märchen  aus  Pommern. 

Ein  Kaiser  von  Russland  hatte  drei  Söhne,  von  denen  der  jüngste  Karl  hiess. 
Einmal  horte  der  Kaiser,  der  immer  l;rank  war,  dass  im  fernen  England  ein 
(üesundheitsbrunnen  sei;  wer  daraus  Wasser  trinke,  werde  sogleich  gesund.  Des- 
halb sandte  der  Vater  zuerst  den  ältesten  Sohn  hin,  um  das  Wasser  zu  holen. 
Derselbe  bestieg  ein  Schiff,  fuhr  nach  England  und  stieg  an  einem  grossen  Walde 
ans  Land.  Dort  setzte  er  sich  hin,  um  zu  essen.  Sogleich  näherte  sich  ihm  ein 
kleines  graues  Männchen  und  bat  ihn;  .,Gib  mir  auch  ein  wenig  Brot,  ich  habe 
in  sieben  Wochen  nichts  gegessen.'-  „Wenn  du  sieben  Wochen  gehungert  hast." 
sagte  der  Prinz,  „dann  kannst  du  auch  noch  länger  hungern  "  Und  er  gab  ihm 
nichts.  Da  sagte  das  Männchen:  „Ich  weiss,  was  du  willst.  Du  sollst  aber  nicht 
hinkommen,  wohin  du  willst."     Damit  verschwand  es,  und  der  Prinz  mit  ihm. 

Als  der  erste  Sohn  nicht  wiederkam,  sandte  der  Kaiser  den  zweiten  aus. 
Auch  dieser  kam  in  den  Wald,  und  auch  ihm  erschien  das  Männchen  und  bat  mit 
denselben  Worten  um  ein  Stückchen  Brot.  Aber  wieder  wurde  es  abgewiesen, 
und  der  zweite  Prinz  hatte  infolgedessen  dasselbe  Schicksal  wie  sein  Bruder:  auch 
er  verschwand. 

Als  der  Vater  eine  lange  Zeit  gewartet  hatte  und  keiner  von  den  beiden 
Prinzen  zurückkehrte,  die  Krankheit  aber  immer  zunahm,  da  sandte  er  den  dritten 
Sohn  aus.  Auch  dieser  fuhr  über  das  Meer  und  traf  in  dem  Walde  mit  dem 
Männchen  zusammen.  Dieses  klagte:  „Ach,  gib  mir  doch  ein  wenig  Brotl  Mich 
hungert  so  sehr,  denn  ich  habe  in  sieben  Wochen  nichts  gegessen."  „Wenn  du 
in  sieben  Wochen  nichts  gegessen  hast,'  sagte  Prinz  Karl,  ,,so  komm  her:  es 
wird  wohl  für  uns  beide  reichen."  Darauf  sagte  das  Männchen:  ,.Ich  weiss,  was 
du  willst:  Du  sollst  für  deinen  Vater  einen  Krug  voll  Wasser  vom  Gesundheits- 
brunnen holen.  Ich  will  dir  dabei  behilflich  sein.  Reise  nur  getrost  fort,  du 
sollst  den  Brunnen  finden.  Doch  zwei  gute  Ratschlage  gebe  ich  dir.  Du  wirst 
auf  deiner  Reise  an  dem  Schloss  des  Königs  von  England  vorbeikommen.  Gehe 
aber  bei  der  Hinreise  nicht  hinein,  sonst  kommst  du  nie  zum  Gesundheitsbrunnen. 
Zweitens  aber  hüte  dich  vorm  Galgenfleisch."  Der  Prinz  versprach  zu  folgen  und 
reiste  weiter.  .41s  er  das  Schloss  des  Königs  von  England  erblickte,  liess  er  sich 
das  nicht  gross  anfechten,  sondern  wanderte  weiter,  bis  er  auf  einem  hohen,  steilen 
Berge  den  Gesundheitsbrunnen  auffand.  Er  nahm  einen  Krug  voll  Wasser  und 
machte  sich  auf  den  Rückweg. 

Wie  er  wieder  an  dem  Schlosse  vorüberkam,  beschloss  er,  Einkehi'  zuhalten. 
Er  fand  in  dem  Palaste  alles  schlafend.  In  einem  Zimmer  lag  eine  wunderscixlne 
Prinzessin.  Er  legte  sich  zu  ihr  und  schlief  bei  ihr.  Darauf  schrieb  er  auf  die 
Unterseite    der  Tischplatte    seinen   Namen  'Prinz  Karl  von  Russland'  und  verliess 

I)  Auf  der  Wijipe  gescliauki'lt. 


Kleine  Mitteilungen.  125 

dann  das  Schloss.  In  dem  Walde  traf  er  das  graue  Männchen  wieder  und  bat  es, 
ihm  zu  sagen,  wo  seine  Brüder  wären.  Das  Männchen  aber  warnte  ihn  und 
sagte;  „Hüte  dich  vor  ihnen,  denn  sie  sind  Galgenfleisch.  Sie  müssten  erhängt 
werden,  denn  sie  werden  viel  Unglück  über  dich  bringen."  Aber  der  Prinz  bat 
so  dringend,  dass  der  Graue  sie  herausgab.  Alle  drei  bestiegen  nun  das  Schiff 
und  fuhren  der  Heimat  zu. 

Die  beiden  ältesten  Brüder  aber  beneideten  Karl  um  den  Besitz  des  Gesundheits- 
wassers und  beschlossen,  es  sich  zu  verschaffen  und  den  Bruder  zu  verderben. 
Als  Prinz  Karl  einmal  schlief,  nahmen  sie  heimlich  seine  Krulio,  gössen  das 
Wasser  in  die  ihrige  und  füllten  seine  mit  Seewasser.  Als  sie  nach  Hause  kamen, 
freute  sich  der  Kaiser  sehr  über  seinen  jüngsten  Sohn  und  trank  von  dem  Wasser 
aus  seinem  Kruge.  Aber  statt  gesund  zu  werden,  wurde  er  nur  noch  kränker. 
Da  brachten  die  beiden  Brüder  das  rechte  Wasser,  und  siehe  da,  er  wurde  so- 
gleich gesund.  Nun  logen  sie  ihm  vor,  Prinz  Karl  habe  ihn  mit  dem  Wasser 
töten  wollen.  Da  wurde  der  Kaiser  sehr  zornig  und  befahl,  man  solle  seinen  jüngsten 
Sohn  erschiessen;  die  Kleider  und  die  Zunge  des  Erschossenen  solle  man  ihm  als 
Beweis  bringen.  Prinz  Karl  aber  bat  den  Jäger  so  ilehenllich  und  versprach  fort- 
zugehen und  nie  wiederzukommen,  dass  der  Jäger  gerührt  wurde,  ihm  andre 
Kleider  besorgte  und  ihn  gehen  Hess.  Dem  Kaiser  überbrachte  er  die  Zunge 
eines  Rehes. 

Auf  seiner  Wanderung  erging  es  dem  Kaisersohn  zuerst  herzlich  schlecht, 
bis  er  sich  endlich  in  einer  grossen  Stadt  bei  einem  Kaufmann  als  Lehrling  ver- 
dingte. 

Inzwischen  bekam  die  Königstochter  von  England  einen  sehr  hübschen  Prinzen. 
Als  dieser  grosser  war  und  schon  lesen  konnte,  spielte  er  einmal  unter  dem  Tisch 
und  sah  dort  die  Inschrift:  Prinz  Karl  von  Russland.  Dies  zeigte  er  der  Mutter. 
Sie  las  die  Worte  auch  und  wusste  nun,  wer  der  Vater  ihres  Sohnes  war.  So 
beschloss  sie,  nach  Russland  zu  reisen,  um  sich  den  Prinzen  Karl  vom  Kaiser 
als  Gemahl  zu  erbitten.  Sie  nahm  ein  ganzes  Regiment  Soldaten  und  fuhr  mit 
vielen  Schiffen  bis  an  die  russische  Küste  vor  der  Haupstadt  des  Landes.  Dort 
liess  sie  von  ihrem  Schiffe  aus  eine  lange  Brücke  bis  ans  Land  bauen  und  die 
Mitte  derselben  mit  Plüsch  belegen.  Dann  liess  sie  den  Kaiser  um  den  Prinzen 
Karl  bitten.  Es  kam  aber  zuerst  der  erste  Sohn.  Dieser  wagte  nicht,  das  hübsche 
Tuch  auf  der  Brücke  zu  betreten  und  ging  nebenan.  Daraufsagte  die  Prinzessin: 
,.l)ies  ist  nicht  der  rechte  Prinz:  den  will  ich  nicht  zum  Gemahl  haben."  Da 
sandte  der  Kaiser  den  zweiten  hin.  Auch  dieser  wagte  nicht  auf  dem  Plüsch  zu 
gehen  und  wurde  zurückgewiesen.  Da  bat  die  Prinzessin  um  den  dritten  Sohn 
und  drohte,  sie  würde  die  Stadt  einschiessen  lassen,  wenn  sie  nicht  den  rechten 
Prinzen  bekäme. 

Bei  dem  Kaiser  war  aber  der  Zorn  schon  verraucht,  und  er  fragte  den  Jäger, 
ob  er  den  Prinzen  getötet  habe.  Als  dieser  sagte,  er  hätte  den  Prinzen  gehen 
lassen  und  er  wäre  in  die  weite  Welt  gewandert,  da  liess  der  Kaiser  in  allen 
Zeitungen  bekannt  machen  und  in  allen  Städten  ausrufen,  Prinz  Karl  solle  zurück- 
kehren. Dies  hörte  auch  der  Kaufmannslehrling.  Weil  er  von  nun  an  so  betrübt 
war,  fragte  ihn  der  Raufherr,  was  ihm  wäre.  Da  bekannte  er  ihm,  dass  er  Prinz 
Karl  sei.  Auf  das  freundliche  Zureden  seines  Herrn  machte  er  sich  auf  und  kam 
zu  seinem  Vater,  der  ihn  freudig  aufnahm  und  die  Brüder  bestrafte. 

Der  Kaiser  sandte  ihn  eilends  auf  das  Schiff  zur  Prinzessin.  Voll  Freude,  sie 
wiederzusehen,  achtete  er  gar  nicht  auf  den  Plüsch,  sondern  eilte  schnell  darüber 
hinweg  in  die  Arme  der  Prinzessin,    die  scherzend  sagte:    „Ich  wusste  es  ja,    du 


l'J6  Knoop,  I.oewe: 

hast  mich  nicht  geschont,  du  würdest  auch  den  Plüsch  nicht  schonen."  Nun  wurde 
eine  grosse  Hochzeit  gehalten,  und  die  beiden  lebten  a:lücl;iich  lange  Jahre,  und 
wenn  sie  nicht  gestorben  wären,  so  lebten  sie  heute  jioch.'J 

Rogasen.  Otto  Knoop. 


Der  Schwank  vom  Zeichcndispat. 

Im  Jahrgang  24,  S.  88  berichtet  Wilhelm  Caland  aus  Utrecht  über  den 
Zeichendisput  zwischen  einem  Gelehrten  und  einem  l'nwissenden  in  Holland  und 
in  Litauen,  bei  dem  der  Gelehrte  unterliegt.  Er  fragt  zum  Schlüsse,  ob  einer  der 
Leser  dazu  beitragen  könnte,  den  Zusammenhang  zwischen  der  litauischen  und 
der  holländischen  Erzählung  anzugeben.  Es  ist  dies  an  Ort  und  Stelle  von 
Johannes  Holte  geschehen,  und  J.  Hertel  hat  S.  317  eine  indische  Varianic  hin- 
zugefügt.    [Vgl.  Cesky  Lid  l'2,  25L     Peck  nr.  6'.).     V.   Hopelka  nr.  8a— b.] 

Aus  der  mündlichen  jüdischen  Volksüberlieferung  ist  mir  eine  solche  Er- 
zählung bekannt,  die  zwar  kein  Zwischenglied  sein  kann,  einem  solchen  aber 
nahesteht.  Jedenfalls  sind  ja  die  Juden  zu  allen  Zeiten  sehr  wichtige  Weiter- 
träger solcher  Volkserzählungen  gewesen.  Auch  räumlich  liegt  in  diesem  Falle 
der  Ursprungsort  der  Erzählung  zwischen  den  beiden  Ländern,  aus  denen  der 
Zeichendisput  hier  berichtet  worden  ist.  Eine  Stadt  Mecklenburgs  ist 
nämlich  der  Ort,  wo  die  jüdische  Volksüberliefcrung  diesen  Disput  lokalisiert, 
■und  der  Erzähler,  mein  Vater,  hat  den  Schwank  aus  seiner  Heimat  Strelitz  mit- 
gebracht. 

In  der  Zeit  des  späteren  Mittelalters,  als  die  Juden  verfolgt  und  die  Rabbiner 
mmer  häufiger  zu  Religioiisdisputationen  gezwungen  wurden,  kam  eines  Tages 
auch  die  Reihe  an  die  mecklenl)urgischen  Juden,  die  von  dem  Zwange  dieser 
Religionsdisputation  nicht  verschont  bleiben  sollten.  Damals  lebte  in  der  Stadt 
Stern  berg  ein  glaubensoifriger  katholischer  Geistlicher,  der  es  sich  in  den  Kopf 
gesetzt  hatte,  die  Juden  entweder  zum  {^hristontume  zu  bekehren,  oder  aber  ihre 
Landesverweisung  durchzusetzen.  Er  wusste  bei  dem  Landesherrn  den  Erlass 
einer  Verfügung  zu  erreichen,  dnss  die  Juden  sich  bis  zu  einem  bestimmten  Tage 
zum  Christentum  bekehren  sollten  oder  aber  das  Land  verlassen  müssten.  Die 
Juden  waren  aufs  tiefste  bestürzt.  Ihre  Verzweiflung  wurde  nicht  geringer,  als 
der  Geistliche  sich  erbitten  liess,  statt  dessen  in  eine  Glaubensdiskussion  ein- 
zutreten, wenn  sich  ein  Rabbi  fände,  der  mit  ihm  disputieren  wolle.  Jedoch  solle 
die  ganze  Disputation  in  einer  Pantomime  vor  sich  gehen.  Würde  der  Rabbi 
ihn  darin  überwinden,  nun  gut,  so  sollten  die  Juden  bleiben  dürfen;  wo  nicht,  so 
müsse  sofortige  Bekehrung  oder  Auswanderung  folgen.  Die  Juden  waren 
hoffnungslos,  sandten  aber  Boten  bis  nach  Spanien  hinunter,  um  einen  ihrer 
Glaubenshelden  für  diesen  merkwürdigen  Glaubenskampf  zu  gewinnen.  Ver- 
geblich! Das  wagte  keiner.  So  bereiteten  sie  sich  verzweifelnd  auf  die  allgemeine 
Auswanderung  vor.  Aber  wenige  Tage  vorher  setzten  sie  noch  einen  allgemeinen  Buss- 
und Bettag  fest,  um  vielleicht  die  göttliche  Gnade  zu  erlangen.  Sie  sassen  barfass, 

1)  Das  Märchen  ist  aufgezeichnet  von  Herrn  Lehrer  A.smiis  in  Zwilipp.  Vergl. 
dazu  das  Mürchon  vom  'Dreierlei  Wasser  bei  0.  Knoop,  Volkssagen  aus  dem  öst- 
lichen Hinterpommern  i88ö  S.  236  und  Bolte-Polivka,  .Anmerkungen  zu  Grimms 
Märchen  2,  394  nr.  97  'Das  Wasser  des  Lebens'. 


Kleine  Mitteiluugen.  127 

in  Sack  und  Asche,  auf  dem  Fussboden  ihrer  Synagoge,  lasen  ihre  Bussgebete  und 
sangen  weinend  die  uralten  Klagelieder,  als  von  ungefähr  ein  polnischer  Schnorrer*) 
ins  Städtchen  kam  und  seine  Stammesgenossen  suchte.  Erstaunt  sah  er  die 
Häuser  leer,  bis  er  endlich  in  der  Synagoge  die  ganze  Gemeinde  in  tiefer  Zer- 
knirschung fand.  Als  er  auf  seine  verwunderten  Fragen  nach  der  Ursache  des 
Fastens  und  ßetens  erfahren  hatte,  um  was  es  sich  handle,  da  sagte  er:  'Und 
darum  so  viel  Aufhebens?  Das  ist  dnch  i;rade  meine  Sache.  Das  verstehe  ich 
doch  wie  keiner.  Schickt  nur  mich,  und  ihr  werdet  sehen,  mit  welchem  Erfolge 
ich  dem  Gallach  (Geistlichen)  antworten  und  wie  ich  ihn  widerlegen  werde.' 
Diese  selbstsichere  Zuversicht  übertrug  sich  auf  die  eben  noch  verzweifelte  Ge- 
meinde, und  sie  Hessen  dem  geistlichen  Herausforderer  sagen,  dass  sich  ein  Mann 
gefunden  habe,  ein  berühmter  Rabbi  aus  fernem  Lande,  der  mit  ihm  die  Dis- 
putation in  vorgeschriebener  Form  aufnehmen   werde. 

Auf  Anordnung  des  Geistlichen  versauunelten  sich  am  nächsten  Sonntage  alle 
Stadtbewohner  in  der  Kirche.  Auf  der  einen  Seite  stand  der  katholische  Priester. 
Sich  gegenüber  hatte  er  dem  Schnorrer-Rabbi  den  Platz  angewiesen.  Hinter 
jedem  standen  seine  Gläubigen  in  die  Kirche  hinein,  während  die  Disputatoren 
am  Altare  ihren  Platz  hatten. 

Der  Geistliche  begann  mit  der  Uiskussion,  indem  er  drei  Finger  hochhob. 
Der  Jude  schwenkte  den  rechten  Arm  empor.  Dann  zeigte  der  Geistliche  einen 
Finger,  der  Jude  ballte  zur  Erwiderung  beide  Fäuste  ihm  entgegen.  Der 
Geistliche  hob  beide  Hände  mit  gespreizten  Fingern,  der  Jude  erwiderte  mit  er- 
hobener flacher,  aber  geschlossener  Hand.  Da  nahm  der  Geistliche  einen  grösseren 
Beutel,  den  er  zu  diesem  Zwecke  mitgebracht  hatte,  und  streute  aus  ihm  "Wal- 
nüsse über  die  ganze  Kirche.  Der  Jude  wartete,  bis  dass  jener  fertig  war.  Dann 
ging  er  hin  und  sammelte  die  Nüsse  ein,  zuerst  in  die  Taschen  seines  weiten 
Kaftans;  und  als  diese  voll  waren,  in  den  Busen  seines  Gewandes,  bis  er  auch 
die  letzte  Nuss  eingesammelt  hatte.  Dann  stellte  er  sich  wieder  am  Altar  auf, 
um  zu  warten,  was  der  Geistliche  weiter  zu  bemerken  habe.  Der  aber  winkte 
ab:  er  sei  besiegt,  der  Rabbi  habe  ihn  überwunden,  die  Juden  sollten  nur  nach 
Hause  gehen,  er  werde  sie  immerdar  ungeschoren  lassen.  Als  die  Juden  die  Kirche 
verlassen  hatten,  bestieg  er  die  Kanzel  und  wandte  sich  an  seine  Gemeinde,  um 
ihr  über  seine  Handlungsweise  Rechenschaft  abzulegen. 

Zuerst  habe  er  drei  Pinger  emporgehoben,  um  zu  zeigen,  dass  es  drei  Per- 
sonen in  Gott  gäbe.  Der  Jude  habe  einen  Arm  erhoben,  um  zu  zeigen,  es  sei 
nur  ein  Gott.  Dann  habe  er  dem  Juden  einen  Finger  gezeigt,  um  ihm  zu  sagen, 
dass  also  die  Juden  und  Christen  nur  einen  Gott  anerkennen.  Da  habe  der 
Jude  die  Fäuste  erhoben,  um  ihm  zu  erwidern,  der  Gott  der  Juden  sei  ein  starker, 
ein  gewaltiger  Gott.  Mit  gespreizten  Händen  habe  er  darauf  hingewiesen,  dass 
die  Juden  zerstreut  seien,  aber  der  Rabbi  habe  die  geschlossene  Hand  erhoben 
und  ihm  damit  gesagt,  dass  sie  gleichwohl  noch  immer  ein  einziges  ungeteiltes 
Volk  seien.  Da  habe  er  endlich  die  Nüsse  ausgestreut,  um  darzutun,  dass  sie 
aber  doch  von  Gott  Verstössen  sein  müssten,  denn  er'  habe  sie  von  Jerusalem  aus, 
das  durch  den  Altar  angedeutet  sei,  über  die  ganze  Welt  verstreut.  Die  Kirche 
aber  sei  das  Bild  der  Welt.  Der  Rabbi  habe  die  Nüsse  aber  alsbald  wieder  auf- 
gelesen und  gesammelt,  habe  sie  in  seinem  Gewände  und  an  seinem  Busen  ge- 
borgen, um  zu  zeigen,  dass  Gott,  der  die  Juden  zerstreut  habe,  sich  auch  ihrer 
erbarme,  er  hüte  sie,  wie  der  Hirt  seine  Herde  und  sammele  sie  sorgsam  ein,  von 
den  vier  Enden  der  Erde    bis    gen  Jerusalem    und    berge  sie  väterlich  an  seinem 


1)  Wanderbettler. 


l-JS  Loewe,  Holtc-Polivka: 

Herzen.  Nur  ein  göltliches  Wunder  liabe  den  Rabbi  die  Fragen  verstehen  lassen 
und  ihm  die  richtigen  Antworten  an  die  Hand  pegeben.  Dann  entliess  er  die  Ge- 
meinde.    Hillfort  licss   er  die  Juden  ungeschoren. 

Es  war  nur  natürlich,  dass  die  Juden  dem  gelehrten  Rabbi,  der  sie  so 
wunderbar  errettet  hatte,  ein  grosses  Festessen  gaben,  ehe  sie  ihn  mit  Ehren- 
geschenken reich  beladen  weiter  wandern  Hessen.  Hei  dem  F'cstmahie  fragten  sie 
ihn,  was  denn  die  Pantomime  bedeute,  und  wie  er  sie  habe  verstehen  und  gar 
pantomimisch  beantworten  können. 

'Das  ist  doch  aber  sehr  einfach',  sagte  er.  'Zuerst  hat  er  die  krummen  Finger 
gezeigt,  hat  er  mich  wollen  packen,  hab'  ich  ihn  wollen  schlagen.  Dann  hat  er 
mich  gewollt  stechen,  hab'  ich  ihn  wollen  bumßen,  da  hat  er  mich  wollen  kratzen, 
hab'  ich  ihn  wollen  patschen').     Und  warum  sollen  die  Nüss'  da  liegen ?"  — 

Ein  Disput  mit  gleichem  Motive  und  ähnlichem  Ausgange  wurde  mir  von 
litauischen  Juden  an  der  Grenze  in  der  Nähe  Memels  erzählt.  Hier  fehlt  aber 
der  Zeich endispiit: 

Vormals  hat  es  hier  zu  Lande  viele  kleine  Fürsten  gegeben,  Dukesse'),  die 
ganz  unabhängig  waren.  Ein  solcher  Dukes  hatte  nun  in  seinem  Lande  einen 
beinahe  zu  mächtig  gewordenen  Erzbischof,  der  durchaus  die  Juden  bekehren 
wollte.  Er  glaubte  das  leicht  zu  können,  weil  er  in  hebräischer  Sprache  und 
allem  jüdischem  Schrifttume  grundgelehrt  war.  Er  wussteesnun  beim  Dukes,  sehr 
gegendessen  eigentliche  Absichten,  durchzusetzen,  dass  dieser  die  Genehmigung  zu 
folgender  Anordnung  erteilte.  An  einem  bestimmten  Tage  sollton  die  Juden  mit 
dem  Erzbischofe  über  die  Grundwahrheiten  des  Judentums  und  Christentums 
disputieren.  Wären  sie  nicht  imstande,  ihn  zu  widerlegen,  so  sollten  sie  alsbald 
alle  das  Land  vorlassen.  Es  sollte  dabei  immer  abwechselnd  gefragt  wx'iden. 
Wer  von  den  Disputatoren  zuerst  bekennen  müsse  'ich  weiss  nicht',  sei  als 
besiegt  zu  erachten.  Die  Juden  hatten  aber  eine  doppelte  Furcht,  erstlich  weil 
der  Bischof  wirklich  auch  in  allen  jüdischen  Wissenschafton  so  gelehrt  war,  wie 
nur  irgend  ein  Rabbi,  und  dann  weil  sie  fürchten  mussten,  es  möchte  ihnen  an 
das  Leben  gehen,  wenn  sie  irgend  etwas  gegen  das  Christentum  sagten.  Kein 
noch  so  gelehrter  Rabbi  hatte  den  Mut  zu  diesem  Disput.  In  dieser  Not  erbot 
sich  eines  Tages  ein  armer  Flickschneider,  er  wolle  mit  dem  grundgelehrten 
Manne  diskutieren.  Und  wie  der  Teufel  in  der  Not  Fliegen  fiisst,  so  hielten 
sich  die  Juden  an  diesen  Schneider. 

Der  Tag  kam  heran.  'Der  Angegrilfene  soll  zuerst  fragen!'  entschied  der 
Dukes.  Und  so  wurde  bestimmt,  dass  der  Jude  die  erste  Frage  an  den  Bischof 
zu  richten  habe.  'Was  heisst  öni  jcdea?'  fragte  Jisrol  Schneider.  'Ich  weiss 
nicht',  antwortete  der  Bischof.  'Er  weiss  nicht,  er  weiss  nicht'  schrie  der  Schneider. 
und  alle  Anwesenden  fielen  im  Chorus  mit  ein:  'er  weiss  nicht'.  Der  Erzbischof 
will  erklären,  dass  hier  ein  Missverständnis  vorliege,  dass  nv  ''J^S  (eni  jöde'a) 
auf  deutsch  hiesse  'ich  weiss  nicht!'  Aber  der  Dukes,  sehr  erfreut,  seine  Juden 
unangefochten  zu  behalten,  hat  schon  das  Glaubensturnier  aufgehoben,  und  die 
Juden  sind  die  Sieger. 

Bei  dem  Festbankett  zu  Ehren  des  Siegers  fragen  ihn  die  Juden,  wie  er  denn 
auf  den  glänzenden  Einfall  gekommen  sei,  so  schlau  zu  fragen.  Er  sei  doch 
sonst  so  harmlos,  und  tue  doch  geradezu  immer  einfältig.  Da  erwiderte  der  wackere 
."Schneider:    RabboL'ai  (meine  Herren),    Jhr    wisst    doch,   ich  lene  (sage   ab)    alle 

l,  Jüd.-deutscli  für  'ohrfeigen'. 

2)  Jüd. -deutsch  Herzüge,  von  'dux'. 


Kleine  Mitteilungen.  129 

Schabbes  die  heilige  Zennerenne^).  Da  steht,  bei  eni  jedea,  Rabbenu  Bechäje 
sagt:  'ich  weiss  nicht'.  Wenn  der  heilige  Rabbenu  Bechäje-)  es  nit  gewusst  hat, 
weiss  es  doch  der  Goj  (NichtJude)  awadde  (ganz  gewiss)  nit.' 

Für  den  Schneider  waren  die  hebräischen  Wörter,  die  er  mit  so  grossem 
Glücke  anwendete,  eben  doch  nichts  weiter  als  unverstandene  Zeichen.  Jedenfalls 
dürften  hier  Zwischenglieder  eines  Nebenarms  zu  dieser  Geschichte  vom  Zeichen- 
disput vorliegen.  — 

In  dem  anonymen  Werke,  dessen  Autor  ich  nicht  nachzuweisen  vermag:  "Des 
Frantzösischen  Rriegs-Simplicissirai  Hoch-verwunderlicher  Lebens-Lauö"  (Th.  1 — ö. 
Freyburg,  J.  J.  Fillion  1G.S.3;  enthält  das  XL\".  Capitel  (Th.  1  S.  513-520)  die 
Geschichte  vom  Zeichendisput  zwischen  Christen  und  Juden.  Nur  gewinnt,  da 
hier  ein  Bericht  von  christlicher  Seite  vorliegt,  der  Christ:  „Simplex  eizehlet,  wie 
die  Christen  den  Juden,  eine  Stadt  in  Kärndten,  mit  Deutungsfragen  abgewonnen 
haben".  Mir  liegt  das  der  Berliner  Universitäts-Bibliothek  gehörige  Handexemplar 
Jacob  Grimms  vor,  der  die  handschriftliche  Bemerkung  gemacht  hat:  „Die  Ge- 
schichte mit  den  drei  Fragen  von  Griechen  und  Römern  auf  Juden  und  Christen 
(Rärnthen)  angewendet." 

Berlin.  Heinrich  Loewe. 


Zu  Bürgers  Münchhausen. 
1.    Eine  neue  Quelle  Bürgers. 

Das  historische  Urbild  des  berühmten  Jagdgeschichtenerzählers  war  be- 
kanntlich der  Freiherr  F.  K.  Hieronymus  von  Münchhausen,  geb.  1720,  der 
als  russischer  Kavallerieoffizier  mehrere  Feldzüge  gegen  die  Türken  mitmachte, 
sich  1750  auf  dem  ererbten  Gute  Bodenwerder  an  der  Weser  niederliess  und  dort 
1797  starb.  Seine  Erzählungen  von  erstaunlichen  eigenen  Erlebnissen  erfreuten 
sich  einer  gewissen  Berühmtheit  und  gelangten  1781  in  die  Literatur  durch  einen 
Berliner  Anonymus,  der  im  8.  Teile  des  'Yademecum  für  lustige  Leute'  den 
Helden  mit  leichter  Verschleierung  als  Herrn  vor.  M — h — s — n  im  H — sehen  be- 
zeichnet. Die  17  im  Jahre  1786  von  Raspe  ins  Englische  übertragenen  Geschichten 
aus  dem  8.  und  9.  Bande  des  Vademecnm  bilden  den  Grundstock  zu  Bürgers 
noch  im  selben  Jahre  erschienener  Bearbeitung  des  Raspeschen  Büchleins,  die  er 
aber  durch  einige  neue  Geschichten  vermehrt  hat. 

Zu  diesen  1890  durch  E.  Grisebach  in  seiner  Ausgabe  von  Bürgers  'Reisen 
des  Freiherrn  von  Münchhausen'  scharfsinnig  dargelegten  Tatsachen  glaube  ich 
eine  neue  hinzufügen  zu  können.  Schon  1761  scheint  sich  der  Ruf  der  Münch- 
hausenschen  Schnurren  so  verbreitet  zu  haben,  dass  ihnen  ein  Standesgenosse,  der 
Graf  Rochus  Friedrich  zu  Lynar  (1708 — 1783)  einen  Platz  in  seiner  anonym  er- 
schienen Satire  'Der  Sonderling'  (Hannover  1761)  anwies,  allerdings  ohne  den  Er- 
zähler mit  Namen  anzuführen.  Doch  äussert  er  kein  unbefangenes  Wohlgefallen 
an   jenen  Erzählungen,    die    der  Berliner  Anonymus  von  1781    'voll  der  unglaub- 


1)  ^e'ena  ü-re'enä.  Eine  volkstümliche  Paraphrase  biblischer  Erzählungen  mit 
kurzen  Erklärungen  aus  haggadischen  und  rabbinischen  Werken.  Verfasser  ist 
Jaakob  ben  Jizchak  aus  Janow  in  Polen.  Er  lebte  in  der  zweiten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts. 

2)  Bechaj  Jbn  Pakuda,  jüd.  Religionaphilosoph. 

Ztiltschr.  d.  Vereins  1.  Vollcskuliae.    1913.  9 


130  Bolte-Polivka: 

liebsten  Übertreibungen,  dabei  aber  so  komisch  und  launigt"  nennt,  'dass  man 
ohne  sich  um  die  Möglichkeit  zu  bekümmern,  von  ganzem  Herzen  lachen  muss', 
sondern  mürrisch  tadelt  er  S.  33  die  Eitelkeit  der  Erzähler  von  Lügengeschichten, 
'deren  Mund  von  lauter  Ebontheuern  und  Wunder-Dingen  überdiesst',  und  um  ein 
Beispiel  dafür  zu  liefern,  fährt  er  fort: 

Dio  löbliche  Jägerey  ist  darin  besonders  fruchtbar.  Ein  gewisser  Liebhaber 
derselben  versicherte,  und  schwohr  dazu,  daß  in  dem  brabantischen  Kriege*)  er, 
weil  es  bey  Tage  zu  gefährlich  gewesen,  des  Nachts  auf  die  Rebhühner-Jagd 
gegangen,  seinem  Hunde  eine  Laterne  an  den  Schwanz  gebunden,  und  ihn  solcher- 
[34]gestalt  vor  sich  revieren  lassen,  bis  er  gestanden;  da  er  sich  dann  hinan- 
geschlichen, und,  bey  dem  Scheine  der  Laterne,  die  auffliegenden  Hühner  bev 
Dutzenden  herunter  geschossen. 

Aus  Versehen  war  einmal  der  Lade-Stock  in  der  Flinte  stecken  geblieben; 
Nichtsdestoweniger  lief  der  Scluiß  so  glücklich  ab,  daß  zwanzig  Crammets-Vögel, 
welche  in  einer  Reyhe  auf  dem  Aste  eines  Baumes  sassen,  dadurch  gespiesst 
wurden,  und  sämtlich  herunter  fielen. 

Ein  andermal  hetzte  er  mit  einem  trächtigen  Windspiele  einen  Satz-Haasen. 
Durch  die  Bewegung  ward  die  Gebührt  befördert;  die  Hündin  warf,  die  Häsin 
setzte,  beide  in  vollem  Laufe,  und  zum  Beweise,  wie  den  [35]  Thiercn  dergleichen 
in  die  Natur  gepflanzt  sey,  so  verfolgten  in  dem  Augenblicke  die  jungen  Hunde  die 
jungen  Haasen,  und  die  Jagd  ward  allgemein. 

Von  diesen  drei  Geschichten  wird  nur  die  letzte  auch  im  Vademecum  S.  99 
nr.  175,  10  berichtet  und  kehrt  demzufolge  bei  Raspe  und  Bürger  (Grisebach 
S.  28)  wieder.  Die  beiden  ersten  aber  gehören  zu  den  Zusätzen,  die  Bürger  1788 
in  seiner  zweiten  Ausgabe  anbrachte  (Grisebach  S.  25  und  17  f.).  Nur  sind  es 
hier  nicht  zwanzig  Krammetsvügel,  sondern  sieben  Rebhühner,  die  durch  den  ab- 
geschossenen Ladestock  aufgespiesst  werden-.)  Mithin  darf  man  vermuten,  erstens 
dass  Graf  Lynar  unter  dem  'gewissen  Liebhaber'  von  Lügengeschichten  den  Herrn 
von  Münchhausen  verstanden  hat,  und  ferner,  dass  Bürgef  nach  dem  Erscheinen 
seiner  ersten  Auflage  auf  jene  Stelle  des  'Sonderlings'  aufmerksam  wurde  und  sie  bei 
nächster  Gelegenheit  verwertete.  Dass  die  Jagd  mit  der  Laterne  nach  Grisebach 
S.  XXXVU  schon  in  einem  Schwankbuche  von  1707  begegnet  und  dass  die  Ge- 
schichte von  der  trächtigen  Häsin  und  Hündin  schon  1579  bei  Philippe  d'Alcripe 
(Nouvelle  fabrique  1853  p.  7)  berichtet  wird,  tut  meiner  Vermutung  keinen 
Abbruch. 

Nebenbei  bemerke  ich,  dass  die  Erzählung  des  angeführten  Vademecum  für 
lustige  Leute  9,  95  nr.  129  (1783),  welche  Bürger  für  das  5.  und  6.  Seeabenteuer 
Münchhausens  (Grisebach  S.  58.  XXVI.  XXXIX)  ausnutzte,  neu  abgedruckt  ist 
bei  Bolte-Polivka,  Anmerkungen  zu  Grimms  RHM.  2.80  (1915). 

2.    Münchhausens  Jugdabeuteuer  iu  sla'Nvischeu  ^'olksschwüuken. 

1,  Oben  24,  81  wurde  die  seit  dem  IG.  Jahrhundert  in  Deutschland  und 
Prankreich  verbreitete  Jägergeschichte  von  den  listig  gefangenen  Wildgänsen, 
Enten  oder  Kranichen  besprochen,  welche  sich  unvermutet  erheben  und  den  Er- 
zähler mit  sich  durch  die  Luft  davontragen".)     Auch  im  Osten  Europas  ist  dieser 


1>  Gemeint  ist  wohl  der  österreichische  Erbfolgekrieg  (1741—1748). 

2)  Sieben  Enten  sind  es  im  dänischen  Schwanke  bei  E.  T.  Kristonsen, 
Molbo-  og  Aggerbohistorier  2,  29  nr.  94  (1903). 

3)  Wildgänse  sind  es  in  der  vlämischen  Fassung  bei  A.  Joos,  Vertelsels  van 
het  vlaamsche  volk  3,  60  nr.  17  'Van  den  man  met  ganzen  geladen'  (Gent  1891);  ein 
Luftballon  ebd.  2, 134  nr.  38,  3. 


Kleine  Mitteilungen.  131 

Schwank  wohlbekannt.  In  einer  polnischen  Erzählung  aus  Oberschlesien 
(Malinowski  2,  41)  kommen  die  geschossenen  Wildenten  und  Gänse  wieder  zu 
sich  und  heben  den  Jäger  empor,  bis  dieser  in  einen  Sumpf  fällt  und  sich  heraus- 
arbeitet. In  einem  kaschubischen  Schwanke  (Gryf  1,  260)  tragen  die  Gänse 
den  Erzähler  ins  Wasser,  ein  Fuchs  zieht  ihn  heraus.  Ein  cechisches  Märchen 
aus  Mähren  (Mensik,  Jemnic.  S.  126  nr.  39)  verrät  seinen  Zusammenhang  mit 
Bürgers  Münchhausen  durch  den  Eingang:  der  Held  bindet  bei  Schneeweiter  sein 
Pferd  an  seinen  Pfahl,  der  sich  nachher  als  die  Spitze  des  Kirchturms  erweist: 
dann  fängt  er  durch  ein  Stück  Speck  viele  Enten,  wird  von  ihnen  in  die  Höhe 
getragen,  fällt  auf  einen  Haufen  Häckerling,  aus  dem  er  einen  Strick  dreht  usw. 
Ebenso  beginnt  ein  kleinrussisches  Märchen  aus  Galizien  (Etnograf.  Zbirnyk  6,  315 
nr.  641)  mit  dem  an  dem  Glockenturm  angebundenen  Pferde;  die  Wildenten  fängt 
der  Held  aber  mittels  einer  Wagendecke,  bindet  sie  an  seinen  Gürtel  und  lässt  sich  so 
nach  Hause  tragen.  Bei  Tarasevskyj  1,  5ö  nr.  83  (aus  der  ükraina)  fängt  der  Jäger,  wie 
schon  oben  24,  83  bemerkt,  die  Wildgänse  mittels  eines  Stückes  Brot,  das  er  an 
einen  Faden  gebunden  hat.  In  einer  andern  galizischen  Erzählung  (Etnograf. 
Zbirnyk  8,  54  nr.  20)  wird  der  Held  von  betrunkenen  Kranichen  emporgehoben; 
ähnlich  ukrainisch  bei  Hrincenko  1,  221  nr.  177  und  Jastrebov,  Materialy  S.  69. 
Kraniche,  die  vom  Branntwein  getrunken  hatten  und  gefangen  wurden,  spielen  auch  in 
zwei  Weissrussischen  Märchen  (Federowski  3,  122  nr.  216.  Romanov  3,  417 
nr.  20b  aus  dem  Gouv.  Mogilev)  die  gleiche  Rolle.  Bei  Federowski  3,  119  nr.  214 
erholen  sich  die  angeschossenen  Wildenten  und  tragen  den  Schützen  zum  Himmel 
empor;  er  flicht  sich  einen  Strick  aus  Leinsamen,  fällt  in  den  Sumpf  und  gräbt 
sich  aus.  Endlich  ist  ein  grossrussisches  Märchen  bei  Afanasjev' 2,  375  nr.  231 
zu  erwähnen,  in  welchem  die  Kraniche  einen  ganzen  Wagen  emporheben. 

Auch  andere  Geschichten  aus  Raspe-Bürgers  Münchhausen  sind  über  die 
Grenzen  Deutschlands  in  den  Volksraund  der  Nachbarländer  übergangen,  sei  es 
durch  gedruckte  Übersetzungen  des  Büchleins'),  sei  es  durch  mündliche  Fort- 
pflanzung. 

2.  Das  Abenteuer  mit  dem  im  Schneewetter  an  der  Kirchturmspitze  an- 
gebundenen Pferde  (Vade  Mecum  für  lustige  Leute  8,  93  nr.  175,  2.  Berlin 
1781  =  Grisebach  S.  10,  das  uns  schon  in  einem  kleinrussischen  Schwanke  aus 
Galizien  und  in  Mähren  bei  Mensik  nr.  39  entgegentrat,  kehrt  auch  in  einem  andern 
cechischen  Märchen  aus  Glatz  (Kubi'n  1,  72  nr.  3«)  wieder;  dänisch  bei 
E.  T.  Kristensen,  Molbohistorier  2,  29  nr.  9:-t  (1903).  Eine  entfernte  Ähnlichkeit 
hat  der  lateinische  Schwank  vom  Elsässer  Weigger,  den  Martin.  Zs.  f.  dt.  Alt. 
13,  578  aus  einer  Hs.  des  14.  Jahrhunderts  mitteilt. 

3.  Der  Wolf,  der  sich  in  Münchhausens  Schlittenpferd  hinein frisst  und  nun 
im  Geschirre  ziehen  muss  (Vademecum  8,  94  nr.  3  =  Grisebach  S.  11)  erscheint 
im  Weissrussischen  Schwanke  bei  Federowski  3,  123  nr.  217.  Ein  Bär  ist  es 
ebd.  3,  1J2  nr.  216  und  im  grossrussischen  Märchen  bei  Afanasjev^  2,  375 
nr.  231.  So  nötigt  schon  in  der  Legende  der  h.  Corbinianus  den  Bären,  die  Last 
des  von  ihm  zerrissenen  Pferdes  zu  tragen  (Acta  Sanctorum  Soptembris  3,  285. 
Abraham  a  S.  Clara,  Judas  1752,  1,  350  =  Werke  2,  224  ed.  Passau.  Etwas  für 
alle  1699  1,  nr.  53  =  Werke  14,  299),  •  und  dem  h.  Martinus  muss  der  Bär,  der 
seinen  Esel  gefressen,  als  Reittier  dienen  (Abraham  a  S.  Clara,  Judas  1,  350). 


1)  Grisebach  führt  in  seiner  Ausgabe  der  'Wunderbaren  Reisen  des  Freyherrn 
von  Münchhausen'  ^Stuttgart  1890)  S.  LV  einige  Übersetzungen  ins  Dänische,  Fran- 
zösische, Italienische,  Niederländische,  Portugiesische,  Russische,  Spanische  und 
Ungarische  an. 

9* 


13-.'  Bolte-l'olivka,  Holte: 

4.  Wenn  Münchhausen  im  Vadcmecum  8.  94  nr.  17.'),  4  =  Grisebach  S.  15  in 
Ermangelung  eines  Flintensteins  das  Pulver  auf  der  Gewehrpfanne  durch  einen 
Schlag  auf  sein  Auge  entzündet,  so  ist  das  eine  Weiterbildung  des  schon  von 
Hans  Sachs  (Fabeln  2,  615  nr.  379.  -i,  299  nr.  146)  erziihlton  Schwankes  vom 
.\ugenfeucr,  der  auch  bei  Abraham  a  S.  Clara  (Gehab  dich  wohl  1729,  5.  Discurs 
=  11,  86.  Narren-Nest  1,  nr.  7  c=  Werke  13,  28)  und  in  Anekdotenbüchern  (ü.  S., 
Der  lustige  und  possierliche  Historienschreiber,  um  1750  8.7  nr.  4.  Semper 
Lustig,  Allzeit  fertiger  Lustigraachcr  1762  S.  3)  variiert  wird.  Dem  Lugitriltli 
zugeschrieben  im  Schweizer  .4rchiv  für  Volkskunde  2'>,  ;'>10  nr.  12.  Danisch  bei 
E.  T.  Krisionsen,  Molbohistorier  2,  29  nr.  94  (190.'i).  Üechisch  bei  Kubi'n  1,72 
nr.  38.     Grossrussisch  bei  Afanasjev' 2,  379  nr.  231g. 

5.  Münchhausen  schiesst  mit  einem  Nagel  einen  Fuchs  an  einen  Baum  fest 
(Vademt'cum  .S,  95  nr.  175,  5=  Grisebach  S.  18).  Im  vliimischen  Lügenschwank 
bei  Teirlinck,  Contes  llamands  1896  p  102  ist  es  ein  Hase,  der  ebenso  fest- 
genagelt wird.  Zu  dem  ebenda  durch  tien  Hirschfänger  halbierten  Hunde, 
der  zwei  Hasen  packt,  erzählt  Groonie  (Gypsy  folk  tales  1899  p.  130  nr.  36) 
ein  Seitenstück  aus  dem  Munde  englischer  Zigeuner;  das  Münchhausensche  Jagd- 
stück von  der  trächtigen  Hündin  und  der  trächtigen  Häsin  (oben  S.  13(i)  ist 
anderer  Art. 

(J.  Aus  den  Kirschkernen,  mit  denen  Münchhausen  einen  Hirsch  schiesst, 
wächst  ein  Kirschbaum  zwischen  dem  Geweih  (Vademecum  8,  96  nr.  175,  7  = 
Grisebach  S.  20  und  XXXIV).  Öechisch  bei  Kubin  1,72  nr.  38.  Französisch 
von  einem  Fuchs  bei  Carnoy,  Litt,  orale  de  la  Picardie  18i^3  p.  195  'Pierre  Ber- 
zille'  =  Blümml,  Schnurren  des  franzüs.  Bauernvolks  1906  S.  2u8. 

7.  Das  Pferd,  dessen  hintere  Hälfte  durch  ein  Schutzgatter  abgeschnitten  ist, 
galoppiert  weiter  (Vademecum  8,  96  nr.  175,  8  =  Grisebach  S.  32;  vgl.  Holte  zu 
Frey,  Gartengesellschait  Nr.  121).  Öechisch  bei  Kubin  1,  78  nr.  38.  An  die 
Fortsetzung  von  den  mit  Lorbeerzweigen  zusammengehelteten  Pferdehälften 
(Grisebach  S.  34)  gemahnt  ein  kleinrussisches  Märchen  bei  Oubinskij  2,  83 
nr.  2t),  wo  ein  Knabe  auf  einem  Hasen  reitet  und,  als  seine  hinten  in  den  Gürtel 
gesteckte  Hacke  den  Hasen  durchschneidet,  mit  einem  Eichenzweige  die  beiden 
Hälften  wieder  zusammenflickt. 

8.  Münchhausen  greift  einem  Wolf  in  den  Rachen  und  krempelt  ihn  um 
(\'ademecum  8,98  nr.  175,  13  =  Grisebach  S.  21;  vgl.  Wesselski  zu  Bebeis 
Schwänken  3  nr.  115.  1907).  Ebenso  das  Lugitriltli  im  Schweizer.  Archiv  f.  Volks- 
kunde 25,  518  nr.  5. 

9.  Münchhausen,  der  vor  einem  Bären  auf  einen  Baum  geflüchtet  ist,  macht 
einen  sinnreichen  Gebrauch  von  Wasser  und  Kälte  (Grisebach  S.  2-2  und 
S.  XXXVJI).     Ebenso  das  Lugitriltli  im  Schweizer.  Archiv  25,  519  nr.  13. 

10.  Der  Bär  wird  durch  eine  mit  Honig  bestrichene  Wagendeichsel  ge- 
fangen (Grisebach  S.  39),  wie  schon  H.  Sachs  1548  in  einem  Schwanke  'Das 
abenteurisch  Weidwerk'  (Fabeln  1,302  nr.  105.  4,  381  nr.  497)  berichtet.  Klein- 
russisch  bei  Hrincenko  2,  339  nr.  244. 

11.  Das  dritte  Seeabenteuer  (Grisebach  S.  53)  ist  kleinrussisch  m 
Galizien  aufgezeichnet  im  Etnograf.  Zbirnyk  6,  313  nr.  642. 

Berlin  und  Prag.  Johannes  Holte  und  Georg  Polivka. 


I 


Kleine  Mitteilungen.  133 

Hessische  Volksschwänke  aus  dem  Jahre  1811. 

Zu  den  Gewährsmännern  Her  Grimmschen  Märchen  gehört  der  alte  hessische 
Dragonerwachtmeister  Friedrich  Krause,  der  1812  den  Brüdern  Grimm  in  Kassel 
Fassungen  zu  den  Märchen  von  den  drei  Schlangenbiättern,  vom  alten  Sultan, 
vom  Ranzen,  Hütlein  und  Hörnlein,  von  der  Bienenkönigin,  vom  Wolf  und  Fuchs 
und  vom  gelernten  Jäger  mitteilte.  Von  ihm  rühren  drei  im  Grimmschen  Niicli- 
lasse  befindliche  Hefte  mit  der  Aufschrift  'Aufnahme  der  Gespräche  auf  denen 
Spinnstuben  der  Gemeinde  Hoff  im  Jahr  1811'  her,  denn  der  "Wachtmeister 
stammte  aus  Hof  am  Habichtswald  (vgl.  oben  2ö,  oi').  Sie  enthalten  ausser 
mehreren  der  genannten  Märchen  auch  eine  Reihe  Volksschwänke,  die  freilich 
grossenteils  alte  Wanderanekdoten  ohne  besondere  Eigenart  des  Vortrages  sind.') 
Nur  ein  paar  Geschichten  scheinen  mir  zur  Kennzeichnung  der  Spinnstubenunter- 
haltung in  jenem  hessischen  Dorfe  einen  Abdruck  zu  verdienen;  die  Überschriften 
sind  erst  von  mir  hinzugefügt. 

1.  Frage  und  Gegenfrage. 

Ein  Dorfprediger  katechisierte  einmal  in  der  Kirche  und  kam  an  eine  Magd 
und  fragte  dieselbe,  wieviel  .Götter  wären.  Da  wusste  sie  nicht  zu  antworten. 
Die  Magd  fragte  den  Prediger,  ob  er  wüsste,  wieviel  Leinwand  man  aus  einem 
Kloben  Flachs  machen  könnte.  Der  Herr  Pfarrherr  sagte:  'Da  musst  du  deine 
Mutter  um  fragen.'  Da  sagte  sie:  'So  könnt  Ihr  auch  unsern  Schulmeister  fragen, 
der  wird  Euch  auch  sagen,  wieviel  Götter  sind.' 

2.  Der  unrechte  Doktor. 

Es  war  hier  in  unsern  Gegendon  ein  Bauer,  der  hatte  an  seinem  linken 
Schenkel  einen  langwierigen  alten  Schaden.  Derselbe  ging  nach  der  Stadt  und 
fragte  eine  Magd,  wo  ein  Doktor  wohnte.  Die  Magd  sagte:  'Hier  gegenüber.  Was 
will  Er  von  dem  Herrn  Doktor?'  Der  Bauer  gab  zur  Antwort,  er  verlange  eine 
Blutreinigung  von  demselben.  Die  Magd  hatte  den  Bauer  aber  zu  einem  Advokat 
gewiesen.  Der  Bauer  klopfte  an;  auf  das  Herrn  Reinrufen  ging  derselbe  in  die 
Stube;  der  Herr  Doktor  fragte  den  Bauer,  was  sein  Begehren  wäre.  Erzählte  er 
von  seinem  bösen  linken  Schenkel  und  bittet  um  guten  Rat.  Der  Doktor  ant- 
wortete: 'Ja,  mein  guter  Freund,  ich  höre  wohl,  was  Euch  fehlet;  aber  ich  bin 
ein  Doktor  im  Rechten.'  —  'Ja  so',  sagte  der  Bauer,  'dann  komm  ich  doch  un- 
recht an:  mein  Schaden  ist  am  linken  Bein.' 

3.  Der  Bauer  und  der  Amtmann. 

Es  war  ein  Bauer,  der  hatte  hier  beim  Amte  eine  Rechtssache,  welche  ihm 
ziemlich  viel  gekostet.  Als  sie  nun  zum  Ende  kommen  war,  bat  er  um  die  Akten 
bei  dem  Gerichtshalter,  welcher  ihm  auch  solche  gab.  Da  sähe  der  Bauer,  dass 
die  Schrift  sehr  weit  geschrieben  war  und  der  dritte  Teil  des  Papiers  nicht  be- 
schrieben. Fragte  der  Bauer,  woher  das  käme,  dass  soviel  Platz  gelassen  wäre, 
und  er  hätte  das  Papier  doch  teuer  bezahlen  müssen.     Der  Gerichtsherr  antwortet: 

1)  Z.  B.  der  Köpfemacher  (Wickram,  Werke  3,  386  zu  nr.  791,  der  viele  Wiegen 
kaufende  Ehemann  (Bebel,  Facetiae  3,  nr.  139  mit  Wesselskis  Nachweisen),  das  beim 
Raube,  aber  nicht  beim  Verlust  der  Ehre  schreiende  Mädchen  (Pauli,  Schimpf  und 
Ernst  c.  15\  das  Verzeichnis  der  Pflichten  (ebd.  139),  die  Fliegen  auf  des  Richters 
Nase  (ebd.  673),  der  träumende  Bauer  (J.  P.  de  Memel,  Lustige  Gesellschaft  16G0 
nr.  41.  A.  v.  Weilen,  Shakespeares  Vorspiel  1884\  Mohr  als  Teufel  (Memel  nr.  ;^)4  , 
des  Esels  Verwandte  (ebd.  Sl.f),  Affe  als  Sohn  des  Ministers  (ebd.  993). 


134  Bolte,  Wisser: 

'Ei  Bauer,, das  verstehst  du  nicht;  das  heisstActa  geschrieben.'  Der  Bauer  merkte 
solches,  und  weil  er  nicht  bei  Geld  war,  erfbot  er]  sich,  die  Belohnung'  dem 
Gerichtshalter  mit  Arbeit  abzuverdienen;  welches  auch  der  Gerichtshaher  zufrieden 
war,  gab  ihm  die  Acta  und  liess  ihn  gehen.  —  Nach  einer  Zeit  wurde  der  Bauer 
bestellt,  dem  Amtmann  in  seiner  Scheure  zu  dreschen.  Der  Bauer  ging  auf  die 
Scheure  und  legte  die  Garben  ziemlich  weit  voneinander,  schlug  oben  gar  leicht 
darauf  herum  und  licss  das  halbe  Korn  in  den  Ahrcn.  Der  Gcrichtsherr  l;am 
endlich  gegangen  und  siebet  solches  und  fing  heftig  an  zu  schelten,  sagte:  'Du 
loser  Vogel,  was  machst  du?  Das  ist  nicht  gut  gedroschen,  das  halbe  Korn  ist 
noch  in  den  Ähren.'  Der  Bauer  gedachte,  er  wollte  ihn  mit  gleicher  Münze  be- 
zahlen, und  sagte:  'Ei  Herr  Amtmann,  das  verstehet  Ihr  nicht:  das  heisst  Acta  ge- 
droschen', und  lief  aus  der  Scheuren  hinaus  und  lachte  den  Beamten  sehr  heftig 
aus,  dass  der  mit  gleicher  Münze  bezahlt  war. 

4.  Die  Alte  vor  dem  Spiegel. 

Ein  altes  "Weib  ging  auf  der  Messe,  allwo  viele  Spiegel  feil  waren,  in  welchen 
sie  sich  besähe.  Und  als  sie  gewahr  wurde,  dass  sie  so  verschrumpelt  und  ver- 
altert aussähe,  sprach  sie:  'So  wahr  ich  lebe,  ist  solches  eine  Schande,  dass  man 
heutiges  Tages  so  unnütze  und  hässliche  Spiegel  macht!  Vor  diesem,  da  ich  noch 
jung  war,  da  wurden  weit  schönere  Spiegel  gemacht.' 

ö.  Du  musst  die  Pfanne  wegtragen. 

Im  siebenjährigen  Krieg  war  in  einem  hier  gelegenen  Landstädtchen  ein 
Schuhmacher,  und  [der]  hatte  eine  sehr  schone  Frau.  Es  war  beider  Eheleute 
ihre  liebste  und  beste  Kost  Pfannkuchen  zu  essen,  und  hatten  keine  eigene  Pfanne 
und  mussten  jedesmal  eine  Pfanne  borgen  bei  den  Benachbarten.  Nun  war  jedes- 
mal unter  den  beiden  Eheleuten  ein  Dispodakt  (Disput),  welches  die  Pfanne 
sollte  wieder  wegtragen.  Also  wurde  ein  sehr  harter  Entschluss  darauf  gemacht, 
wer  unter  ihnen  beiden  zum  ersten  schwätzte,  der  sollte  ohne  weitere  Entschuldigung 
die  Pfanne  wegtragen. 

Nun  war  es  der  F'all,  dass  zu  der  Zeit  Einquartierung  da  war,  die  schon 
wirklich  Order  zu  marschieren  hatten.  Ein  Oflizicr  schickte  seinen  Bedienten  hin, 
der  Schuhmacher  möchte  seinem  Herrn  die  Stiefeln  eilend  besohlen.  Der  Schuh- 
macher blieb  seine  Antwort  schuldig.  Des  Morgens  kam  der  Bediente,  um  die 
Stiefeln  zu  holen,  und  fragte:  'Meister,  sein  meines  Herrn  Stiefeln  fertig?'  Nun 
durfte  der  Schuhmacher  nicht  sprechen,  weil  die  Pfanne  noch  nicht  weggetragen 
war,  und  die  Frau  auch  nicht.  Der  Mann  sah  die  Frau  an,  und  die  Frau  den 
Mann.  Der  Bediente  fragte  nochmals.  Der  Meister  zog  das  Pechdraht  fleissig  aus 
und  fing  an  zu  singen: 


:^=^ 


1 


'IIa  -  di  -  da       Ra  -  di  -  da       Ha  -  di  -  da       Ra  -  di  -  da  -  dum.' 

Der  Bediente  fragte:  'Meistersche,  kann  Euer  Mann  nicht  sprechen?'  Sie  stimmte 
das  Nämliche  an  und  Tcrfehlte  keinen  Takt.  Der  Bediente  konnte  also  keines  von 
den  beiden  Antwort  darbringen  als  den  Gesang  von  beiden. 

Der  Herr  Hauptmann  sagte:  'Kerl,  bist  du  toll  oder  der  Meister?'  und  lief 
eilend  selbst  hin,  fragt  also  den  Meister  um  seine  Stiefeln.  Der  Schuhmacher 
fängt  wieder  an  zu  singen,  die  Schuhmacherin  sieht  den  Herrn  sehr  verliebt  an. 
Der  Herr  Hauptmann  fragt:  'Hört,  Meisterin,  kann  Euer  Mann  nicht  sprechen?' 
Sie    fängt    das  Nämliche  an    zu  singen.     'Nun',  denkt  der  Hauptmaim,    'könnt    ihr 


Kleine  ilitteilungen.  135 

alle  beide  nicht  sprechen,  dann  kann  auch  keines  das  andere  verraten'  und  fasst 
die  liebe  Frau  und  macht  sich  mit  derselben  auf  das  Bett  hinterm  Vorhang. 
Der  Schuhmacher  fasst  wütend  den  Hammer  und  drohet;  [aber]  diese  beiden 
wussten  wohl,  dass  derselbe  nicht  sprechen  durfte,  sonsten  hätte  er  müssen  die 
Pfanne  wegtragen.  Er  wirft  den  Hammer  wütend  auf  die  Pritsche  und  packt  ein 
Schuhleist  und  drohet  denen  wiederum. 

Nun  schlägt  der  Tambur,  der  Offizier  gehet  also  fort,  und  die  Meisterin 
schüttelt  sich  zurecht  und  setzt  sich  bei  ihren  Hanftwocken  und  spinnt  ihrem 
Manne  seinen  Hanft.  Endlich  siehet  dieselbe  ihren  Mann  an,  dass  der  sehr  un- 
zufrieden ist.  so  fängt  sie  an:  'Mein  lieber  Mann,  wie  war  dir  zu  Mute,  wie  mich 
der  Offizier  auf  dem  Bette  hatte?'  Er  sprang  eilend  auf:  'Und  du  musst  die 
Pfanne  wegtragen.'') 

Berlin.  Johannes  Bolte. 


'üie  Scheune  brennt!'  oder  die  sonderbaren  Namen. 

Von  dem  oben  2G,  S.  370  und  '27,  l.ij  besprochenen  Schwanke  habe  ich  in 
Ostholstein  und  auf  der  Insel  Pehmarn   folgende  Fassungen  gefunden: 

1.  Tagelöhner  Frank  in  Lensahn  (1899). 

(Dar  is  mal  'n)  Prester,  (de)  med't  sik  'n  Knech  .  .  het  Hans.  Un  as  he  em 
meden  deit,  do  secht  he  denn  je,  wat  he  to  'n  iJur'n  seggen  deit.  Dar  secht  he 
'n  Bur'n  tö.  Ne,  dat  het  ken  Bur'n,  dat  het  'n  Dörpshund.  Un  wat  he  to  'n 
Katt  segg'n  deit.  Dar  secht  he  'n  Katt  tö  .  .  dat  het  Samee  .  .  to  'n  Lieh  .  . 
(dat  het)  Gefährlikeit  .  .  wat  he  to  'n  Schün  segg'n  deit.  Dar  secht  he  'n 
Schün  tö  .  .  dal  het  Stockhus.  Dar  is  dat  je  mit  göt.  Nu,  na  verlopen  Tit 
is  den  Prester  sin  Katt  mit  'n  brenn'  Lieh  na  de  Schün  lopen,  un  do  kümmt  de 
Schün  je  in  Brand.     Nu  mutt  je  he  Lärm  maken. 

Do  röppt  Hans  denn  je:  Herut,  herut,  ji  Dörpshunn',  meines  Herrn  Samee  ist 
gelaufen  mit  der  Gefährlikeit  nach  meines  Herrn  Stockhaus.  Und  dat  künnt  se 
je  ne  verstahn.  Do  mäkt  de  Prester  dat  Finster  apcn  un  nippt  denn  je:  Hans, 
Hans,  rop  din  gewöhnli'n  Wör! 

2.  Hufner  Haltermann    in  Bojendorf   auf  Fehmarn    (1900    nachgeschrieben  und 

mir     zugeschickt     von     dem     Landwirtschaftslehrer    Dr.    Matthiessen     in 
Lensahn). 
Der  Pastor  fragt  den  Knecht,  wie  der  bei  seiner  Grütze  zu  essen  ist:  Krischan, 
wat  is    n  Bur?  'n  Bur  is  'n  Bur.    Ne,  'n  Bur  is    n  Dörphund.   Wat  is  'n  Bett?.  . 


V  Einen  belanglosen  Schluss  lasse  ich  fort;  die  Musiknoten  habe  ich  aus  dem 
Diskantschlüssel  transponiert.  —  Die  Wette  des  schweigenden  Ehepaares 
über  das  Türzumachen  oder  das  Wegtragen  der  Pfanne  ist  ein  weitverbreiteter 
Stoff;  vgl.  R.  Köhler,  Kl.  Schriften  2,  ÖTG.  A.  de  Cock,  Volkskunde  16,  203.  239. 
Wesselski,  Nasreddin  1,  nr.  237.  Chauvin,  Bibl.  arabe  8,  132.  Reuter,  Läuschen 
und  Rimels  2,  nr.  37  'Du  dröggst  de  Pann  weg'.  Ferner  oben  16,  136.  Revue 
des  trad.  pop.  15,  283.  29,  66.  Wallonia  15,  176.  Dampierre,  L'ecole  poui 
rire  1679  p.  76.  Xieuwe  Snakeryen  p.  195.  Kristensen,  Skjämtesagn  1900  p.  17. 
Guadagnoli  bei  P.  Heyse,  Italienische  Dichter  3,  290  (1889).  Balladoro,  Novelline 
veronesi  1900  p.  209.  Hnatjuk,  Geschlechtleben  1,  163.  A^äclavek  1897  S.  32.  Vräna 
1888  nr.  7,  IV.  Nemcovä  nr.  55.  Schmidt-Kahle,  Palästina  nr.  30.  Swynnerton,  Raja 
Rasalu  18S4  p.  179.  Parker,  Village  tales  of  Ceylon  2,  60  nr.  87.  Hahn,  Kols  1906 
nr.  6.     Enderling,  Japanische  Novellen  nr.  6. 


136  Wisser,  Knoop: 

Ne,  'n  Bett  is  'n  Sandfieem  (oder  Siinnlleem)  .  .  Katt  is  'n  Sollmce  .  .  Licht 
ig  'n  Gcfiihrlikeit .  .  Schiin  is  'n  Stockhus.  Do  löppt  de  Katt  mit  'n  Lieh  na 
Schün  rin,  und  de  Schiin  fangt  an  to  brenn'n  .  .  Krischan  schall  de  Bur'n  ropcn  .  . 
löppt  to  Dörp  un  röppt:  Ji  Dörphunn',  kamt  ut  'n  Sandfieem!  Meines  Herrn 
Soilmee  is  lopen  mit  de  Gefährlikeit  in  meines  Herrn  Stockhaus.  Och  wat,  drün 
nich,  seggt  de  Bur'n  und  slapt  wider.  Do  küramt  de  Paster  sülb'n  und  röppt: 
Für,  Für! 

3.  Tagelöhner    Li  dem  an  n    in   Sulsdorf    auf   Fehraarn,    gebürtig    aus    Pommern 

(i!to;i). 

.  .  'n  Paster  .  .  Knrch  .  .  wat  sechs  to  'n  Bur?  .  .  seggt  wi  Bur  .  .  bi  mi  to 
Hus  seggt  wi  Dörphund  to  'n  Bur  .  .  to  'n  'Bett  .  .  seggt  wie  Bett  .  .  bi  mi  to 
Hus  seggt  wi  Sandflecken  .  .  to  'a  Katt  .  .  sewwi  (seggt  wi)  Katt  .  .  bi  mi  to 
Hus  Salomo  to  'n  Katt  .  .  to  Für  .  .  sewwi  Für  .  .  Gefährlikeit  .  .  Schün  .  . 
Stockwark  .  .  de  Fru  is  bi  't  Etenkaken  .  .  de  Katt  licht  up'n  Fürherd, 
brenn't  an  und  löppt  na  de  Schün  hen.  üa  de  Schün  fangt  an  to  brenn'n.  Un 
Hans  schall  denn  je  to  Durp  und  schall  Hölp  hal'n.  Do  röppt  he  :  Herui,  ji 
Dörphunn'  ut  ju  Sandflocken!  Salomo  is  mit  de  Gefährlikeit  in  uns'  Herrn  Stock- 
haus gelaufen.  Herut,  berut!  Nu  wet  de  Lud'  je  ne,  wat  dar  los  is.  Do  kümnn 
he  wa'  to  Hus.  Hans,  kamt  ken?  Nc,  secht  he.  Ja,  secht  he,  denn  rop  man  na 
diu  ol  Wis':  Für,  Für!    Do  kamt  de  Lud'  je  mit  Notommers  an,   to  löschen. 

4.  Schuster  Rießen  in  Neujellingsdorf  auf  Fehmarn  (1908). 

.  .  Paster  .  .  gizi  .  .  Arbeitsmann  .  .  heß  Luß,  bi  mi  to  den'n?  .  .  awer  up 
söben  Jahr!  Un  schaß  all'  behol'n,  wat  ik  di  segg'n  dö  .  .  ken  'Für'  segg'n,  .  .  . 
süss  kricht  he  ken  Lohn  .  .  will  t'  öwernehm'n  .  .  wo  nenn't  Se  mi?  Herr  Paster. 
Ne,  hoher  Gott!  .  .  Fru  .  .  reine  Süße  .  .  Un  de  Pastor  is  to  Stadt  vel  reden  .  . 
Reitstiefel  .  .  sporne  Füße  .  .  und  to  de  Bettstell:  bretlerner  Himmel  .  .  to 
'n  Peerd:  Weitsprung  .  .  to  den  Säwel  (Studentendegen):  Pcchtling  .  •  to  den 
Hund:  Bauchrunks  (der  auf  dem  Bauch  liegend  runkst  d.  h.  sich  räkelt)  .  .  to 
de  Katt:  Rauhreif  .  .  to  de  Schün:  hohe  Wonne  .  .  to  'n  Aben  (Ofen)  warme 
Liebe.  De  Tit  vergeiht  .  .  de  söb'n  Jahr  gabt  hen  . .  he  is  ne  enmal  rinfull'n  .  . 
de  Kncch  hett  in  de  Schün  slapen  .  .  (do  denkt  de  Paster:)  du  sticks  em  de 
Schün  in  Brand,  denn  schall  he  wul  'Für'  ropen  .  .  stickt  de  Schün  an  (ist  natürlich 
falsch)  und  löppt  gau  we'r  to  Bett  .  .  de  Knech  hört  dat  .  .  wakt  up  .  .  Hoher 
Gott,  wecke  deine  reine  Süße,  zieh  an  deine  spornen  Füße,  hänge  um  deinen 
F'echtling,  setz  dich  auf  deinen  Weitsprung,  denn  der  Bauchrunks  und  der  Rauh- 
reif haben  getragen  aus  der  warmen  Liebe  in  die  hohe  Wonne,  daß  es  scheint 
wie  die  liebe  Sonne.     Das  Bett  fehlt  hiqr. 

Oldenburg  i.  Gr.  Wilhelm  Wisser. 

Der  oben  26,  13  angeführten,  mecklenburgischen  Fassung  stellt  sich  noch  eine 
Lübecker  bei  G.  Schumann,  Volks-  und  Kinderreime  aus  Lübeck  189!)  S  lOs 
nr.  68:!  an  die  Seite: 

Herr  Oberverwalter, 

Ihr  schöne  Gestalte  (Frau), 

Zuckersüß,  Barfuß, 

Der  Kattenmeister    Katze)  ist  gekommen. 

Hat  mir  meine  Strauchel  (Bürste)  genommen, 

Ist  damit  in  die  Glut  gesprungen, 

Ist  in  die  Füllung  (^Scheune)  gelaufen, 

Hat  die  Füllung  in  Brand  gesteckt. 


Kleine  Mitteilungen.  137 

Laß  den  Moorteufel  (Schornsteinfeger)  kommen, 

Laß  den  Plumperjan  (Spritze)  holen, 

Damit  die  höllische  Glut  kann  gedämpft  werden! 

Aus  Posen  bei  Konrad,  Samotschiner  Zeitung  1906,  Beilage  'Aus  der  Heimat' 
S.  18:  'Der  kluge  Bauer'  (Der  schöne  Glanz  fiel  dem  Rattenbeisser  auf  den 
Schwanz,  der  R.  lief  in  den  Lämmertanz,  und  der  L.  steht  im  schönen  Glanz). 
Polnisch  bei  Knoop,  Rogasener  Farailienblatt  litl3,  11  (Pan  Stielelinski  aus 
Torbowo,  Pan  Speklinski  aus  Topfowo).  Cechisch  ähnlich:  Vyhiidal  1800  nr.  lil. 
Väclavek  1S97  S.  ÜU.  Tille  nr.  4.3.  Vnina  nr.  21.  V.  Popelka  nr.  U. 

.1.  Bolte. 


Schwanke  aus  Hiutorponimern. 

1.  Ackersiuann  Klackersmann. 

Sitzt  da  an  einem  rauhen,  regnerischen  Tage  ein  Besenbinder  auf  der  Birke 
und  schneidet  Ruten.  Da  führt  ein  Bauer  vorüber,  der  ein  Fuder  Dung  auf  das 
Feld  bringt.  Infolge  des  vielen  Regens  ist  der  Weg  breiig  geworden,  und  bei 
den  Stössen  fällt  hier  ein  Klacks  und  da  ein  Klacks  vom  Wagen  herunter.  Die 
Wagen  breiter  und  die  Räder  sind  von  oben  bis  unten  beschmutzt,  und  auch  der 
Bauer  sieht  nicht  sauber  aus.  Der  Besenbiniier  fühlt  sich  in  seiner  Stellung  viel 
behaglicher  und  glücklicher  und  ruft  bedauernd:  „E  Ackersmann  is  e  Klackers- 
mann.    Woll  dem,  dei  e  Handwark  lehrt  hett!"' 

2.  Die  Schulzeiiprüfiing. 

In  einem  Dorfe  sollte  ein  Schulze  gewählt  werden.  Da  aber  ein  solches  .Amt 
Verstand  und  Bildung  erfordert,  sollten  sich  die  Bewerber  beim  Landrat  einer 
Prüfung  unterziehen.  Siebon  Bauern  wollten  Schulze  werden,  doch  konnten  nur 
sechs  von  ihnen  in  Betracht  kommen,  da  der  siebente  für  dumm  galt.  Zunächst 
musste  jeder  der  sechs  Bauern  eine  Schriftprobe  bestehen.  Sie  machten  ihre 
Zeichen,  die  hier  folgen: 


A  U  TT 


/  /    :- 


\  \ 


Der  Lundrat  war  befriedigt.  Jetzt  sollte  das  Ganze  vorgelesen  werden,  aber  das 
konnte  niemand.  Der  Landrat  liess  nun  den  dummen  Bauer  rufen,  damit  der 
seine  Kunst  zeige.  Ohne  sich  zu  besinnen  las  dieser:  „L)at  erseht  is  eie  Dack, 
dat  zweit  is  eie  Sack,  dat  dridd  is  eie  Disch,  dat  veiert  is  eie  Fisch,  dat  füfd  is 
eie  Boom  mit  Nät,  un  dat  seßt  is  eie  grot  Schät."!)  Der  Landrat  und  die  sechs 
Kandidaten  waren  überrascht,  solche  Gelehrsamkeit  zu  sehen,  und  so  wurde  der 
dumme  Bauer  Schulze. 


1)  Diese  gereimten  Deutungen  der  Hausmarken  bieten  ein  Seitenstück  zu  den 
Reimen  von  der  Hobelbank  oder  Lichtputzschere  (Böhme,  Kinderlied  1897  S.  666. 
C.  Schumann,  Lübeckisches  Spiel-  und  Rätselbuch  190.3  S.  114—119.  Frischbier, 
Volksreime  nr.  860.  Lewalter,  Kinderlied  1914  nr.  976.  F.  van  Duyse,  Het  oude 
nederlandsch  lied  2,  1168  nr.  3'23:..  Vgl.  auch  die  Deutungen  der  Zahlbuch- 
staben oben  10,  188. 


138  Knoop,  Schell: 

3.  Des  Bilrjrerineisters  Traiini. 

Wieder  einmal  sasscn  Zanows  Bürger  traulich  im  Ratskeller  zusammen  und 
stritten  mit  dem  Wirt  über  die  schlechten  Getränke.  Als  letzter  kehrte  der 
Bürgermeister  ein  und  hörte  zu.  „Denkt  euch  einmal",  redete  er  dann  dazwischen, 
_was  mir  letzte  Nacht  geträumt  hat."  Alle  scharten  sich  gespannt  um  den 
Sprechenden,  der  pinkepinke  mit  seinem  Feuerstein  machte  und  dann  anfing:  „Mir 
träumte,  ich  wäre  tot  und  machte  meine  Himraclsreise.  Unterwegs  bekomme  ich 
Leibweh,  und  da  ich  keinen  von  des  Nachbarn  Modderow  —  er  zeigte  auf  den 
schmunzelnd  hinter  dem  Schenktisch  stehenden  Wirt  —  Nordhäuser  mit  Pfeffer 
bei  mir  hatte,  so  blieb  mir  weiter  nichts  übrig,  als  mich  seitwärts  in  die  Büsche 
zu  schlagen  und  etwas  zu  tun,  was  die  andern  auf  dem  IJimmelswege  Pilgernden 
nicht  gerade  zu  sehen  brauchten.  Aber  o  Schreck,  was  hatte  ich  angerichtet! 
Wie  ich  hinter  den  andern  her  zu  Petrus  an  die  Himmelstür  komme,  kann  ich 
nicht  anders,  als  Petrus  mein  Missgeschick  erzählen.  Denke  dir  nur,  Petrus,  sage 
ich,  unterwegs  konnte  ich  nicht  anders,  als  mich  hinter  einen  Busch  setzen.  Der 
Menschen  Gewohnheit,  sagte  Petrus  und  schmunzelte.  Ja  aber,  sag  ich,  das  Gold 
klackerte  durch  die  Wolken  hindurch  und  unserm  alten  Ratswirt  Modderow,  — 
wer  lacht  da?  —  der  sich  gerade  das  Wetter  ansah,  mitten  ins  Gesicht.  0, 
meinte  Petrus,  das  ist  weiter  nicht  schlimm.  Er  hat  dich  oft  genug  mit  seinem 
Bier  besch  . . . .  n,  und  da  kann  er  es  gar  nicht  übel  nehmen,  wenn  du  ihn  auch 
einmal  besch  ....  t.'"') 

Rogasen.  Otto  Knoop. 


Das  Dreizehnerfest  in  VVindhageu  bei  Gummersbach. 

Unter  der  Bezeichnung  'Dreizehnerfest'  wurde  bis  in  die  70er  Jahre  des 
vorigen  Jahrhunderts  in  Windhagen  bei  Gummersbach  der  Dreikönigstag 
(Epiphaniastag)  mit  dem  Dreizehnerball  (letzterer  wurde  noch  1914  gefeiert)  festlich 
begangen.  Zu  beachten  ist,  dass  Windhagen  durchweg  evangelisch  und  in  seiner 
alteingesessenen  Bevölkerung  streng  evangelisch  ist.  Nur  in  Windhagen  kennt 
man  den  Brauch  noch,  sonst  nirgend  in  der  ganzen  Umgegend.  Der  Verlauf  des 
Festes  war  in  den  Grundzügen  folgender.  Am  Neujahrstag,  und  zwar  nachmittags, 
zogen  die  jungen  Burschen  mit  Musikbegleitung  über  die  Höfe.  In  den  Stuben 
wurde  dann  getanzt,  Nüsse  wurden  ausgeteilt  und  durch  die  Stube  geworfen.  Auch 
das  allgemein  übliche  Neujahrschiessen  fehlte  dabei  nicht.  Am  folgenden  Sonntag 
wurden  diese  Umzüge  wiederholt,  und  es  wurde  noch  lebhafter  getollt.  Jeder 
Hof  musste  dann  eine  Bratwurst  spenden.  Diese  Würste  wurden  an  einem  Stecken 
aufgereiht,  später  gebacken  und  gemeinschaftlich  verzehrt.  Am  Abend  dieses 
Tages  wurde  dann  der  Dreizehnerball  abgehalten.-) 

Wenden  wir  uns  zunächst  dem  Namen  'Dreizehnerfest'  zu;  er  setzt  das  Drei- 
königsfest mit  dem  Weihnacbtsfest  in  unmittelbare  Beziehung,  während  ver- 
schiedene festliche  Handlungen  auch  das  Neujahrsfest   in   seine  Festesfreude    ein- 

1  Vgl.  die  Simmentaler  Erzählung  vom  Lugitrittli  im  Schweizer  Archiv  für 
Volkskunde  '22,  llö  nr.  8. 

2)  Im  .Talire  186G  ging  ein  Fremder  durch  Windhagen.  An  einem  Hause  fand 
er  die  Zahl  ISGü  angesehrieben.  Als  er  sich  nach  der  Bedeutung  dieser  Inschrift  er- 
kundigte, wurde  ihm  gesagt,  dass  die  jungen  Burschen  Neujahr  keine  Bratwurst 
dort  empfangen  hätten,  aber  gewiss  wären,   im   folgenden  .lahre  zwei   zu   erhalten. 


Kleine  ilitteiiungen.  13i> 

beziehen.  Der  Name  scheint,  wenn  auch  in  etwas  anderer  Form,  in  weiteren 
Strichen  des  Bergischen  bekannt  gewesen  zu  sein.  So  schreibt  Montanus  (Volks- 
feste 18.')4,  S.  18):  „Den  Schluss  des  Dreizuhnnächtefestes  macht  der  Dreiliönigtag, 
auch  der  Dreizehntetag  genannt."  A.Kuhn,  Sagen  aus  Westfalen  2,  117,  schreibt: 
„In  der  Umgegend  von  Recklinghausen,  z.  B.  zu  Lcmbeck  und  an  anderen  Orten 
ist  der  Name  driitteijenten  gebrauchlich;  eine  Bezeichnung,  die  sich  auch  in  den 
Marken  findet;  vgl.  Norddeutsche  Gebräuche  Nr.  149."')  Auch  in  Flandern  hat  sich 
die  Bezeichnung  'Dertiendag'  bis  heute  gut  erhalten  (A.  de  Cock,  Spreekwoorden 
en  Zegsw^ijzen  1905  S.  172).  Die  'dreizehnte  Nacht'  ist  auch  auf  den  Pasröer- 
Inseln  bekannt  (oben  2,  15). 

Die  Zahl  13  scheint  im  Volksglauben  nicht  allgemein  als  Unglückszahl  zu 
gelten.  Peilberg  dürfte  kaum  Recht  haben,  wenn  er  (oben  2,  382)  sagt:  „All- 
gemein wird  l.'l  als  eine  gefahrliche  Zahl  angesehen,  doch  vielleicht  besonders, 
wenn  ich  mich  nicht  irre,  unter  den  Gebildeten,  wonig  oder  gar  nicht  unter  dem 
Volke.  Ob  der  Aberglaube  christlichen  Ursprungs  sei,  lasse  ich  dahingestellt." 
Es  dürften  nur  unscheinbare  Spuren  für  das  Gegenteil  dieser  Anschauung  sprechen 
(z.  B.  oben  24,  62.  25,  400  ff.).  Einen  F''ingerzeig  gibt  für  das  Bergische  die 
Redensart:  'Twölf  Handwerker  —  drüttien  Onglöcker',  welche  etwas  humorroll 
klingt. 

Suchen  wir  den  oben  geschilderten  Zug  des  Dreizehnerfestes  von  Windhagen 
in  das  allgemeine  Volksfüstleben  einzureihen.  Kück-Sohnrcy  (Feste  und  Spiele  des 
deutscheu  Landvolkes  1909,  S.-41f.)  ziehen  Bräuche  aus  Österreich  und  der 
Schweiz  für  diesen  Tag  heran,  namentlich  das  Umherlaufen  zu  Ehren  der  Frau 
Berchta  oder  Brechtel.  Dazu  halte  man  das  Sternsingen  im  Bergischen 
(0.  Schell,  oben  9,  '90  f.;  A.  Kuhn,  Westf.  Sagen  2,  116  f.),  einen  Rest  des  alten 
Herodes-  oder  Dreikönigsspiels'.-) 

Noch  deutlicher  tritt  unser  Windhagener  Brauch  in  seiner  tiefen  Bedeutung 
hervor,  wenn  wir  aus  Sartori  (Sitte  und  Brauch  3,  72),  einige  Sätze  anführen: 
„Das  Epiphaniasfest  gilt  einerseits  als  der  Abschluss  der  weihnachtlichen  Pest- 
feier, andererseits  als  der  wirkliche  Beginn  des  neuen  Jahres.  Der  Weihnachtsbaum 
wird  zum  letztenmal  angezündet  und  abgeplündert,  Glückwünsche  weiden  aus- 
getauscht, es  wird  viel  geschossen,  die  Wirtshausgäste  haben  freie  Zeche,  und  noch 
einmal  finden  fröhliche  Vereinigungen  und  Schmausereien  statt  mit  vorgeschriebenen 
Gerichten.'' 

Dem  Windhagener  Brauch  des  Dreizehnerfestes  nahe  steht,  was  A.  Kuhn  (Sagen 
aus  Westfalen  2,    115)  bemerkt:    „Im   Siegener   Lande    heissen    die  Zwölften    die 
heiligen  Tage,  da  wird  keine  Arbeit  getan,    sondern    nur    gesungen,    getanzt   und 
gespielt."     „An  der  oberen  Wupper  und  an  der  Sieg  gibt  es  Hofstellen,  wo  während, 
der  zwölf  Tage    kein    eisernes  Werkzeug   in    den  Kuhstall    gebracht  werden    darf 


1)  Über  die  Bezeichnungen  des  Dreikönigstages  hat  Sartori,  Sitte  und  Brauch 
3,  73  die  Literatur  zusammengestellt. 

2)  [Wenn  in  dem  oben  9,  91  mitgeteilten  oberhessischen  Liede  die  Dreikönige 
ingen:  -Wir  zogen  daher  in  grosser  Eil,  in  dreissig  Tagen  vierhundert  Meil,'  so 
st  dies  eine  Entstellung  aus  der  alten  Fassung  'in  dreizehn  Tagen.'     Vgl.  Johannes 

von  Hildesheim,  Historia  trium  regum  c.  13  bei  Goethe,  Werke  29,  127  Hempel 
=  41,  1,  172  Weimar.  Luther,  Werke  10,  337  Erlangen  =  10,  1,  563  Weimar.  Wein- 
h  old,  Weihnachtepiele  aus  Süddeutschland  und  Schlesien  1853  S.  122.^  Bolte, 
Märkische  Forschungen  18,  168  zu  Lasius  v.  530  (1884).  Erk-Böhme,  Liederhort  3, 
4,2.  1198,4.  1955,4.  Hartmann,  Weihnachtlied  in  Oberbayern  1875  S.  91  (aus 
Oberbayer.   Archiv  34).     Oben  S.  92.] 


14Ü  Schell,  Fischer,  Ebermann: 

und  wo  an  Jen  Tagen  von  Neujahr  bis  Dreikönigenabend  niemand  arlieitct.  Be- 
sonders die  drei  ersten  Tage  des  Jahres  sind  der  Sclimauserei  geweiht.  Diese 
Gastereien  nennt  man  llerkeniei  oder  Herkelmei,  weichen  Namen  anderwärts  auch 
das  Erntefest  führt." 

Eiberfeld.  Otto  Schell. 


Ein  studentischer  Brauch. 

Studentische  Einrichtungen  und  Briiuche  sind  bisher  nicht  selten  mit  einer 
Art  von  freimaurerischem  Geheimnis  umgeben  gewesen,  und  manche  Züge  barocker, 
auch  wohl  zynischer  Art  haben  das  begreiflii'h  gemacht.  Heute  wünschen  wohl 
alle  Verbindungen  mit  manchem  in  ihrer  Vergangenheit  aufzuräumen,  und  so 
dürfte  es  auch  vielleicht  jetzt  leichter  sein,  über  dieses  und  jenes  der  früheren 
Zeit  Aufschhiss  zu  erhalten.  Wie  schwer  das  oft  schon  gehalten  hat,  dafür  mag 
die  Sitte  des  Salamanders  angeführt  werden;  ebenso  dafür,  dass  manches  nach 
Inhalt  oder  Namen  Auffallende  keineswegs  so  alt  zu  sein  braucht,  als  man  deshalb 
annehmen  möchte.  Wie  interessant  es  aber  wäre,  ein  möglichst  vollständiges, 
nach  Zeit  und  Ort  und  Charakter  der  Verbindungen  geschiedenes  und  geordnetes 
Inventar  über  solche  Dinge  zu  erhalten,  braucht  man  nicht  erst  zu  sagen.  Ein 
Beispiel  mag  genügen.  Eine  süddeutsche  Verbindung  besass  bis  zum  Krieg  das 
Institut  der  'Quartettmetzelsuppe'.  Einmal  jeden  Winter  ward  ein  Schwein 
geschlachtet  und  mit  den  üblichen  Zugaben  verzehrt,  wozu  gesteigerte  Leistungen 
des  Singquartetts  erwartet  wurden.  Der  Höhepunkt  des  Abends  war  das  Heraus- 
treten der  uneingeweihten  Füxe  zum  'Anschiss',  aber  nicht  wie  sonst  mit  dem 
Bierglas,  sondern  mit  einer  Leberwurst  in  der  Hand,  als  ob  sie  die  in  die  Wette 
zu  verschlucken  hätten.  Aber  es  erfolgte  kein  Kommando,  und  nach  längerem 
Harren  und  Hailoh  wurden  die  Füxe  wieder  mit  Hohn  auf  ihre  Stühle  geschickt, 
als  ob  sie  zu  dumm  wären,  die  Sache  zu  begreifen.  Woher  dieser  Blödsinn?  Es  liegt 
nahe,  in  diesem  'Anschiss'  die  Keimzelle  des  Ganzen  zu  sehen,  und  Konjekturen 
sind  möglich,  so  geistreich,  wie  die  Sache  selbst  geistlos  ist.  Die  Sache  liegt 
aber  historisch  ganz  anders.  Zu  Anfang  der  sechziger  Jahre  und  dann  wieder 
seit  etwa  1870  bestand  jene  Quartottmetzelsuppo  einfach  als  das,  was  sie  sich 
nannte,  ohne  den  'Anschiss';  wann  dieser  (um  1S90  schon  vorhandene)  Auswuchs 
entstanden  ist,  weiss  ich  nicht.  —  Ich  denke,  das  Beispiel  ist  typisch  und  kann 
zur  Warnung  dienen,  in  derartigen  Specificis,  weil  sie  absurd  sind,  den  Keim  und 
Kern  einer  Sitte  zu  suchen  —  und  gewiss  ist  das  in  der  Geschichte  der  Volks- 
kunde oft  genug  irrtümlich  geschehen. 

Tübingen.  Hermann  Fischer. 


Eine  Warnung  vor  dem  Meineid. 

(Mit  einer  Abbildung  auf  Tafel  :!.) 
Der  Freundlichkeit  des  Herrn  Prof.  Dr.  Eduard  Hahn  verdanke  ich  den  Besitz 
eines  kleinen  handgeschriebenen  Heftchens  mit  der  Aufschrift  „Außlegung  des 
Eid-Schwurs.  Allen  frommen  Christen  vor  Augen  gestellt  und  beschrieben."  Das 
Heft  ist  etwa  in  der  ersten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  sehr  sorgfältig  ge- 
schrieben.    Sein  Inhalt  gliedert  sich    in  drei  Abschnitte:    eine    geistliche  Deutung 


Kleine  Mitteilungen.  141 

der  Schwui'hand,  eine  Warnung  vor  dem  Meineid  und  einige  Beispiele  von  gött- 
licher Bestrafung  des  Meineides.  Die  Überlieferung  des  Textes  lässt  sich  durch 
mehrere  Jahrhunderte  verfolgen. 

Ans-Legung  des  Eid-Schwurs. 

Welchem  Menschen  ein  Eid  zu  thun  auferlegt  wirt,  der  (soll)  mit  aufgehobenem 
Finger  schwören;  bey  dem  ersten  Finger,  als  bey  dem  Daumen  wirt  verstanden 
Gott  der  Vatter,  bey  dem  andern  Finger  Gott  der  Sohn,  und  bey  dem  dritten  Finger 
Gott  der  Heilige  Geist.  Der  vierte  und  unter  sich  gelegte  Finger  bedeutet  die  Seele, 
der  fünft  und  kleinste  Finger  bedeutet  den  Menschlichen  Leib,  welcher  dann  viel 
kleiner  und  geringer  gegen  der  Seel  zu  achten  ist,  die  ganze  Hand  aber,  bedeutet 
das  ganze  göttliche  wesen,  durch  welches  Almacht,  Himel  und  Erden,  Son  und 
Mond  die  Schönen  lieblichen  Sternen,  Laub  und  Gras,  und  alles  was  lebt  auf  Erden, 
Erschaffen  worden  ist.  Der  Eid  hat  auch  folgeten  Verstand,  wie  hernach  zu  ver- 
nehmen ist,  und  lautet  also. 

Da  ich  falsch  oder  unrecht  schwöre,  so  soll  mich  Gott  der  Vatter  Sohn  und 
Heilige  Geist,  ausschliessen  und  absondern  von  der  ganzen  Christenheit. 

Zum  andern  da  ich  falsch  Schwöre  so  soll  mir  Gott  der  Vatter  mein  Erscliaffer 
Gott  der  Sohn  mein  Erlöser,  und  Gott  der  Heilige  Geist  mein  Seligmacher  nimmer- 
mehr zu  hilf  kommen,  wann  sich  mein  Leib  und  Seel  an  meinem  letzten  End  von- 
einander scheiden  werden. 

Zum  dritten  da  ich  falsch  schwöre  so  soll  das  Bittere  Leiden  und  sterben  Jesu 
Christy,  welches  er  am  Stamm  des  hl.  Kreuzes  für  der  ganzen  Welt  Sünden  bezalt 
und  genug  gethan,  an  mir  verlohren  sein,  und  ich  mich  dessen  in  Ewigkeit  nicht 
zu  getrösten  haben. 

Zum  vierten  da  ich  abormahl  falsch  schwöre,  so  helfe  mir  Gott  nimermehr, 
und  daiss  ich  Meineidiger  am  Jüngsten  Gericht  mit  schrecken,  Zittern  und  Traurig- 
keit auferstehen,  und  alda  mit  Leib  und  Seel  für  dem  Strengen  Richterstuhl  Gottes 
und  von  allen  aus-erwelten  Gottes  abscheiden,  und  ewiglich  verlohren  werden. 

Derowegen  Christenmensch!  bedenke,  imd  überlege  den  Eidschwur  recht,  lass 
dich  kein  Gewalt,  Lob,  Ehr,  Gelt  imd  Gut  bewegen,  dass  du  mit  dem  wenigsten 
falsch  schwörest;  dann  der  falsche  Eid  ist  ein  unerträglicher  Last,  dadurch  Gottes 
Huld  verlohren,  Leib  u.  Seel  verdamt  und  auf  diesem  Jamerthal  die  liebe  Obrigkeit 
und  der  Nächste  betrogen,  auch  Recht  und  Gerechtigkeit  dadurch  verdunkelt  wirt. 

Folget  hierauf  wahrhafte  [Beispiele]  Meineidiger  Persohnen,  welche  der  AI- 
mächtige  Gott  augenscheinlich  gestraft  hat,  allen  Gotlosen  zum  Spiegel  und  frommen 
Christen  zur  Wahrnung  anzuhören.  Zu  Lausanna,  am  Genver-See  liegend,  hat  vor 
diesem  ein  reicher  Wirt  mit  einem  seiner  Mitbürger,  [der]  doch  nicht  sonders  Ver- 
mögens gewest,  ein  Recht  gefürt,  antreffent  eine  grosse  Summa  Gelds,  da  aber 
solches  anderer  Gestalt  nicht  dann  durch  gewisse  Gezeugniss  hat  könen  zu  Recht 
erkent  werden,  ist  diese  Rechts-Sach  gemeltem  Wirt  auf  den  Eid  gegeben  worden, 
welchen  er  zu  leisten  ganz  vermessen  eingewilliget. 

Als  ihm  aber  der  Eid  vor  Gericht  zu  thun  auferlegt  worden,  und  er  solchen 
ihme  zum  Ewigen  verderben,  mit  aufgehobenem  finger  schwörte,  liess  der  liebe 
Gott  seine  gerechte  Straf  und  Zorn,  über  diesen  falschen  Meineidigen  Wirt  augen- 
scheinlich ergehet,  der  Gestalt,  dass  dieser  elende  Wirt  alsbald  niedersank,  und 
sein  ganzer  Leib  kohlschwarz  ward,  und  gleich  über  einanderhocke:  d  Tod  ist.  Bey 
diesem  Eid-Schwur  sind  viele  vornehme  Leut  gewesen,  die  dieses  alles  gesehen  und 
angehört  haben. 

Auch  zu  Lübek  begab  es  sich,  das  einem  Wirt,  welcher  doch  wohlhabend  war 
ein  freund  gestorben,  welcher  keine  Kinder  hinderliesse,  trachte  der  Wirt  seines 
verstorbenen  freunds  hinderlassene  Hab  alein  zu  Erben,  weil  sich  eine  frau  ein- 
fände, die  vermeint  auch  eine  erbin  zu  sein,  kam  es  endlich  dazu,  dass  diesem 
Wirt  ein  Eid  auferlegt  wurde,  welchen  er  fälschlich  geschworen,  so  bald  er  heim 
in  sein  Haus  [kam],    gienge    eine  grosse  feuersbrunst  auf,   und  verzerte  solches,    er 


142  Ebermann: 

flöhe  in  ein  anderes  Haus,  welches  ebenmnssen  auch  verbrante,  kam  also  jämmerlidi 
lim  sein  Leben. 

Geschehen  den  15.  Jener  1698. 

Auf  der  nächsten  Seite  die  Zeichnung  der  Schwurhand.     Darunter: 

Ausgefertigt  oder  übersetzt  von,  /  .Jakob  Göldjer. 

Eine  ähnliche  Niederschrift  auf  zwei  Blättern  vom  Anfang  des  18.  Jahr- 
hunderts bcsass  Anton  Birlingcr  (Alemannia  12,  1C5  f.  1884).  A'on  einzolnen  Worten 
abgesehen,  stimmen  die  beiden  Texte  gut  überein.  nur  in  den  angehängton  Bei- 
spielen göttlicher  Bestrafung  des  Meineides  ist  Birlingers  Text  ausführlicher.  Die 
Erzählung  von  dem  Tode  des  Wirtes  zu  Lausanne  (bei  Birlinger  Lißabona)  ent- 
noch  den  Zusatz:  ' 

Nach  verloffener  schröckhlicher  that  aber  ist  dem  andern  seinem  mitburger 
alß  dem  gerechten  vnd  in  dißer  Sach  wahrhaften  daß  gelt  eingeraumbt  vnd  vber- 
antworttet,  der  todte  Würth  aber,  alß  ein  meinaydigor  Verlaugner  vnd  Verachter 
der  AUerheyligisten  Dreifaltigfältigkeit  (so),  an  daß  orth  der  vbelthäter  geschleipft 
vnd  von  der  christlichon  gemeinde  abgesondert  worden. 

Die  Erzählung  von  dem  Lübeker  Wirt  fehlt  bei  Birlinger,  an  ihrer  Stelle 
sind  zwei  andere  Beispiele  vorhanden: 

(xleicher  gostalt  bat  sich  auch  in  der  Statt  Genff  begeben,  daß  Ein  falscher 
aydt  von  einer  vornemmen  hohen  Persohn  geschworen  worden,  welcher  meinaydiger 
aber  khürtzlich  hernach  stirbt  vnd  in  sein  eigens  begräbnuß  gelegt  wirdt.  Xuhn 
begibt  es  sich  vber  zwaintzig  Jhar,  daß  FJin  weibsbild  auss  derselben  (Familie)  ge- 
storben, da  nun  gemelt  ebegräbniiß  geöffnet,  befindt  sich  gleichwohl,  daß  der  gantze 
leichnamb  verzehrt,  biß  an  den  rechten  arm  vnd  band,  welche  zwar  ganz  ohn  ver- 
wesen, doch  aber  kohlschwartz  mit  aufgehebten  fingern  allda  gefunden  wirdt,  da- 
durch die  rechte  Wahrheit  an  tag  khommen,  worauff  alsbald  die  Ordnung  geschehen, 
daß  die  gcbein  des  ohnverwesenen  schwartzen  arms  von  diesem  meinaydigen 
falschen  Cörper  zur  zeitlichen  Straf,  weil  Er  (lott  so  freventlich  vorunehret,  dem 
heyligen  Geist  gelogen,  die  Obrighkeit  vnd  seinen  nächsten  betrogen  hatt,  an  daß 
orth  der  Vbelthäter  geschleipft  vnd  von  der  Christlichen  gemeindt  ausgesondert: 
denen  aber,  so  Er  mit  falschem  Aydt  vnrecht  gethon,  alles  vberantworttet  worden. 

Vorstehender  massen  hat  sich  auch  zu  l^ressburg  :uiß  dem  land  Hungarn  begeben, 
daß  ein  Messerschmid  wegen  vier  guldin  einen  falschen  Aydt  geschworen,  darauf 
Jhne  der  allmächtig  Gott  alßbald  gestrafft,  daß  .Ihme  die  halbe  band  kohlschwartz 
worden,  Vnd  er  am  dritten  tag  hernach  ein  sehr  trauriges  End  genommen. 

Die  beiden  Niederschriften  sind  augenscheinlich  wörtlich  von  einer  gedruckten 
Vorlage  abgeschrieben  worden,  und  zwar  scheint  diese  Warnung  vor  dem  Mein- 
eide in  der  Form  von  Einblattdrucken  verbreitet  gewesen  zusein.  Ein  solches 
Blatt  vom  Jahre  1604  befindet  sich  in  der  Einblattsammlung  der  Kgl.  Bibliothek 
zu  Berlin  (vgl.  die  Abbildung  auf  Taf.  o).  Allerdings  kann  dieses  Blatt  unseren 
Abschreibern  nicht  als  Vorlage  gedient  haben,  da  der  Wortlaut  an  mehreren  Stellen 
anders  ist.  Auch  die  Zahl  der  angefügten  Beispiele  ist  grösser.  Sämtliche  Er- 
zählungen von  göttlichen  Strafen  für  den  Meineid,  die  oben  erwähnt  wurden,  linden 
wir  auf  dem  Blatt  wieder,  und  zwar  in  folgender  Reihenfolge:  1.  Die  Erzählung 
aus  Lübeck,  2.  aus  Preßburg,  o.  aus  Lausanne,  4.  aus  Genff.  Dazu  ist  noch  ein 
weiteres  Beispiel  vorhanden: 

Noch  mehr:  König  Lotharius  hatte  eine  fromme  Gemahlin,  Dietberta  genannt, 
der  war  er  müde,  und  stieß  sie  von  sich,  mit  Vorwendung,  als  ob  sie  mit  ihrem 
Bruder  zugehalten  hätte;  wie  er  dann  auch  deßwegen  vor  Papst  Adriane  dem 
Anderen  einen  öffentlichen  Eyd  schwöre.  Und  damit  ja  seine  biVse  Sache  desto 
eher  Fortgang  haben  möchte,  hatte  er  seine  fürnehmate  Räthe  mit  Geld  bestochen, 
die  musten  ihm  das  Zeugnis    geben,    empfiengen  auch  darauf,  zu  mehrerer  Glaub- 


Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde.     1918. 
Tafel  3. 


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(t>rtttb«c>nifiiWauJ),  lamtitwi,  Bf^^^a'lm^  (aaialfsjiamitltdjaminn  ^injuiLLctTr  . 

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Zu  O.  Eber  mann:    Waniuns  vor  dem  Meineid. 


Kleine  Jlitteilungen.  '  I43 

Würdigkeit,  das  heilige  Sacrament.  Aber  der  gerechte  Richter,  vor  dem  nichts  ver- 
borgen bleibet,  strafte  auch  den  König  seines  Meyneydes  halber,  daß  er  stumm 
wurde,  und  zu  Placenz  elendiglich  sterben  muste,  wie  auch  seine  Räthe,  als  lügen- 
liaffte  Zeugen,  alle  ein  erchröckliches  Ende  genommen.') 

Über  die  Herkunft  des  Druckes  belehrt  uns  der  Schlussvennerk:  „Gedruckt 
und  zu  finden,  in  der  Schwabacher  Buchdruckerey."  — 

Unser  Text  ist  aber  nicht  nur  als  Privatdruck  im  Volke  verbreitet  worden, 
sondern  findet  sich  auch  im  Anhang  zu  der  Hofgerichtsordnung  des  Herzogs  Georg 
zu  Braunschweig  und  Lüneburg  (gedruckt  in  Hannover  1639  durch  Elias  Hohvein). 
Hier  fehlen  aber  die  Beispiele  der  göttlichen  Justiz  ganz,  dafür  wird  in  einer 
Einleitung  recht  ernsthaft  auf  die  Polgen  des  Meineides  hingewiesen.  Aus 
dieser  Einleitung  geht  hervor,  dass  unsere  Formel  vor  jeder  Eidesleistung  den 
Schwörenden  vorgelesen  und  vom  Richter  'recht  deutsch'  ausgelegt  werden  sollte. 
Der  Wortlaut  ist  im  einzehien  stark  von  den  erwähnten  Fassungen  verschieden: 

Warnung  an  alle,  so  vnrecht  Eid  schweren,  vnd  was  auf f hebend  der  Finger 
bedeutet. 

Schweren  oder  einen  Eid  thun  ist  nicht  anders  denn  Gott  anruffen.  daß  er  der 
Warheit  beystehe,  vnd  straffe  dene  der  vnrecht  berichtet,  Wer  nun  einen  falschen 
Eid  schweret,  der  bleibet  nicht  in  der  Warheit,  sondern  lästert  dem  allerhöchsten 
GOTT,  mißbrauchet  dessen  allerbeiligsten  Namen,  beraubet  sich  aller  Gnaden,  vnd 
ladet  auff  sich  alle  die  Straffe  vnd  Flüche,  die  GOTT  den  Verflucliten  in  seinem 
vntriegbaren  Wort  vfferleget  hat.  Ja  vermaledeyet  sich  selbsten,  daß  jhme  GOTT 
in  allen  seinen  Sachen  vnd  Nöthen  nimmer  zu  Hülffe  noch  zu  statten  kommen, 
sondern  daß  er  mit  Leib  vnd  Seel  ewig  vermaledeyet  seyn,  vnd  nimmermehr  Theil 
haben  sol  an  der  Versprechung,  die  GOTT  den  Christen  getlian  hat,  Daß  nun 
solches  verhütet  werde,  vnd  die  Hoheit  des  Wercks  die  schwerende  sich  recht  vor- 
stellen vnd  wol  erwögen,  haben  die  Alten  die  Eidsleistung  nicht  ohne  sonderbare 
Festiviteien  ergehen  lassen  wollen,  in  massen  dieselbe  noch  hin  vnd  wieder 
gebreuchlich  vnd  behalten  werden,  vnd  können  die  Verwarnung  zum  wenigsten 
nicht  zu  scharf f  geschehen. 

Alldieweil  nun  deßwegen  eini'  nachdenckliche  Formul  der  vorigen  Hoffgerichts- 
Ordrmng  einverleibt,  so  ist  dienlich  tTachtet,  dicselbige  anhero  zu  wiederholen,  vnd 
sol  sie,  ob  es  wol  sich  mit  vffhaltuug  der  Finger  in  etwas  gcendert,  nicht  allein 
bey  vorgehenden  Eidsleistungeu  vorhero  den  schwercnden  vorgelesen,  sondern  auch 
der  Richter,  oder  wer  an  dessen  statt  sonst  einen  Eid  einnimpt.  dieselbige  den 
schwerenden  mit  geblosten  Haupt  vnd  hohen  Ernst  recht  deutsch  außlegen  auch 
nach  befindung  scherffen. 

Zum  Ersten,  werden  auffgehabeu  drey  Finger,  nach  dem  ersten,  das  ist  der 
Daum,  ist  zu  verstehen  GOTT  der  Vater,  bey  dem  andern,  GOTT  der  Sohn,  bey 
dritten,  GOTT  der  H,  Geist,  die  letzten  zween  Finger  werden  vnter  sich  geneiget 
in  die  Hand,  der  erste  bedeutet  die  köstliche  Seele,  als  die  vnter  der  menschheit 
verborgen  ist,  der  fünffte  und  kleine  Finger  bedeutet  den  Leib,  als  der  da  klein  ist, 
zu  verstehen  gegen  der  Seelen,  vnd  bey  der  gantzen  Hand  wird  bedeutet  ein  GOTT, 
ein  Schöpffer,  der  alle  Creaturen  auff  Erden  geschaffen  liat. 

Weicher  Menscli  nun  verborgentlich,  und  fälschlich  oder  falschen  unwar- 
haftigen  Eid  schweret,  der  schweret  in  allermasse,  als  ob  er  spreche,  So  wahr  als 
ich  heute  falsch  schwere,  also  bitte  ich  GOTT  den  Vater,  GOTT  den  Sohn,  Gott  den 
Heiligen  Geist,  die  Heylige  Dreyfaltigkeit,  daß  ich  außgeschlossen  und  außgesetzet 
werde  aus  der  Gemeiuschafft  Gottes,  vnd  seiner  Heiligen,  sey  ein  Fluch  meines 
Leibes,  meines  Lebens,  vnd  meiner  Seelen. 

1)  Über  derartige  Strafen  des  Meineides  vgl.  R.  Lasch,  Der  Eid.  Seine  Ent- 
stehung und  Beziehung  zu  Glaube  und  Brauch  der  Naturvölker  (Stuttgart  1908) 
*•  91.   Die  Beispiele  Hessen  sich  leicht   vermehren. 


144  Ebermann,  Bolte: 

Zum  Audereu,  wo  ich  falsch  schwere,  so  sol  GOTT  der  Vater,  GOTT  der  Sohn 
GOTT  der  Heilige  Geist,  vnd  die  grundlose  Barmhertzigkeit  vnsers  lieben  HERRN 
und  Seligmachers  JESV  Christi,  mir  nicht  zu  Trost  vnd  zu  Hülffe  kommen,  an 
meinem  letzten  Ende,  vnd  in  der  Stunde,  wann  Leib  vnd  Seele  von  einander  sol 
vnd  muß  sich  scheiden. 

Zum  Dritten,  wo  ich  falsch  schwere,  so  bitte  ich  GOTT  den  Vater,  GOTT  den 
Sohn,  vnd  GOTT  den  Heiligen  Geist,  vud  köstbarlichen  Fronleichnam  vnsers  HERRN 
JEsu  Christi,  daß  seine  vnschöpffliche  Barmhertzigkeit,  sein  Angst,  sein  Noth,  sein 
bitter  Leyden  vnd  Schmerzen,  sein  strenger  harter  Todt  vnd  vnschuldige  Marter, 
an  :nir  armen  Sünder   entzogen  vnd  verlohren  werde. 

Zum  Vierdten,  wo  ich  falsch  schwere,  so  sol  meine  Seele,  die  da  bezeichnet 
ist  durch  den  vierdten  Finger,  vnd  mein  Leib,  den  bedeuten  ist  der  fünffte  Finger, 
mit  einander  verdampt  werden  am  Jüngsten  Gerichte,  do  ich  Maineidiger  Mensche 
für  dem  Gericlite  stehen  sol  vnd  muß,  wil  auch  abgeschieden  seyn  von  aller 
Gemeinscliafft  Gottes,  seines  heylsamen  Worts  vnd  aller  Außerwehlten,  wil  auch 
beraubet  seyn  de.';  begierlichen  Anschawens  des  Angesichts  Gottes  vnsers  lieben 
HErrn  Jesu  Christi. 

Hiemit  ein  jeder  frommer  Christe  für  falschem  vnwarhaftigem  Eide  fleissig  ge- 
warnet sey,  damit  er  nicht  zuletzt  dem  Teuffei,  vnd  seiner  Gesellschaft,  dem  er 
sich  durch  falschen  Eid  ergibt,  vnd  Gott  seinem  einigen  Schöpffer  vn  Seligmacher. 
die  köstliclie  Seele  entzeucht,  zugeeignet  werde.  Dafür  vns  (rott  der  Allmächtige 
gnädiglich  behüte,  durch  Christum  vnsern  HERRN,  Amen. 

Die  Formel  ist  unter  Weglassung-  der  Einleitung  noch  öfter  gedruckt  worden. 
Sie  steht  ohne  Angabe  des  Jahres  in:  Privilegia  der  Ueinrich-Stadt.  Auch  andere 
Fürstlich  Braunschweig-Lüneburgische  Wolffenbüttelschen  Theils  Landes-Consti- 
tutiones,  mandata  und  Verordnungen.  WolfTenbüttel  1731.  -  Jul.  Ed.  Müller 
kennt  den  Erlass  aus  dem  Jahre  1604  (Niedersachsen  19,  19). 

Bemerkenswert  ist,  dass  die  Formel  dem  Schwörenden  vorgelesen  werden 
sollte,  obgleich  es  sich  'mit  vffhaltung  der  Finger  in  etwas  geendert',  demnach 
musste  die  Warnung  schon  aus  früherer  Zeit  stammen.  Tatsiichiich  lässt  sich  denn 
auch  schon  im  IG.  Jahrhundert  eine  ähnliche  Deutung  der  Schwurhand  nach- 
weisen. Sie  steht  in  einem  Gerichtsbuche  des  Dorfes  Ermreuth  (1559  —  1581)), 
das  jetzt  im  Besitze  des  Germ.  Museums  zu  Nürnberg  ist.  Die  Auslegung  ist 
von  der  unserer  Texte  wesentlich  verschieden  und  lautet  nach  dem  Anzeiger 
f.  Kunde  d.  d.  Vorz.  I  (1854),  37  f.; 

Zur  Symbolik  der  Eidesabiegung. 

Von  der  symbolischen  Bedeutung  der  drei  aufgerichteten  und  zwei  geneigten 
Finger  der  Rechten  bei  Ablegung  eines  Eides  findet  sich  an  der  Spitze  eines,  dem 
Archive  des  Germ.  Museums  neuerdings,  durch  Schenkung  einverleibten  Gerichts- 
buches des  Dorfes  Ermereuth  aus  den  Jahren  1559— 158G  eine  eigenlümiiche, 
christliche  Auffassung,  die  uns  als  Beitrag  zu  den  Rechtsaltertümern  (vgl. 
J.  Grimms  deutsche  Rechtsaltert.  S.  141  u.  903)  des  Abdrucks  nicht  unwert 
erscheint. 

„Was  durch  aufreckung  der  finger  so  einer  aineu  die  (1.  cid)  schwerett,nt)edeutt 
wurdott." 

„Es  ist  zu  merckenn  ein  iedlicher  mensch  der  lugenschafftig  oder  vnwarhaftig 
.schwertt,  der  schwcrtt  auf  sich  selbst  vier  fluch  die  bezeuchuett  werdenn  durch 
seine  finger,  der  er  drei  aufrerkt,  viind  zwen  die  er  uider  naigt.  von  erst  durch  den 
daumen,  der  der  kurtze(s  t  ist,  wirdt  verstanden  das  gegenwertig  lebenn,  das  kurtz 
vnnd  zergencklich  ist  /  Wenn  er  also  den  Thaumen  auffreckt,  das  bedeutt  souill  als 
ob  er  Sprech  /  Ob  ich  nit  war  hab,  so  abkurtz  mir  gott  mein  lebenn  /  Der  ander 
finger  ist  lenger,  vnnd  bedeutt  das  kunfftig  lebenn,  vnnd  so  er  den  aufreckt  ist  so 


Kleine  Mimilimgen.  14.-, 

uil  gesprocheiiu.  Uii  ich  nit  \v;u'  hab,  so  soll  mein  seell  r.auh  dein  lelican,  jn  dein 
kunt'ttigenn  lebenn  keine  ralie  findenn,  bis  an  den  jimgsten  tag  Der  dritt  finger 
ist  der  lengst  vnnd  bedeiitt  das  ewig  lebenn,  das  angehn  wirdt  von  dem  jüngsten 
tag,  vnnd  bleibt  an  (=  olmei  endt  /  So  er  den  vfreckt,  das  ist  souil  bedeuttenn 
als  ob  er  Sprech,  Ob  ich  nicht  war  hab,  so  werde  mein  seel  und  leichnam,  an  dem 
jüngsten  tag,  geschaideu  vnnd  gethailt,  von  dem  ewigen  lebenn,  vnnd  vonn  der 
geselschaft  vnnd  gemeinschaft  aller  heiligenn  und  ausserwelten  /  Aber  die  andornn 
zween  abgegangene  vnnd  genaigle  finger,  bedeuten  die  in  der  hell  sindt,  vnnd  so  er 
dieselbigenn  zwen  finger  peugt  oder  abnaigt,  liedeut  souil,  als  ob  er  Sprech,  ob  ich 
nitt  war  hab,  so  werde  irli  mit  leib  vnnd  seel.  mit  denen  so  in  der  hell  sindt 
ewiglich  begrabenn  ete. 

iierlin-Halensee.  üskar  iCberina  n  n. 


Das  aU!;eblicho  Berliner  Weih  nach  tspiel  von  15{)7. 

Im  ■iiihro  1Ö.S9  wurde  am  lierliner  Hofe  von  den  Kindern  des  Kurlürslen 
Johann  (leorg-  eui  \Veilinaelns[iiel  aulgeluhrl.  dessen  n(jel)  erhaltener  i'cxt  uns 
einen  hübschen  Einl)lick  in  das  filrstliehe  Kaniilienlelien  der  Relürmationszolt 
gewährt.  Die  Jungfrau  Maria  wurde  durch  das  anmutige  sechzehnjährige  Fräulein 
Elisabeth  von  Mansfeld  dargestellt,  die  Rolle  des  Christkindes  fiel  dem  anderl- 
halbjährigen  Prinzen  F'riedrich  zu,  als  Englnin  gekleidet  trat  die  fünfjährige  Prin- 
zessin Agnes  mit  dem  Gesänge  des  Lutherliedes  'Vom  Himmel  hoch  da  komm 
ich  her'  vor  die  in  mürkiselier  Bauernmundarl  redenden  Hirten,  die  von  adligen 
Gespielen  ihrer  Brüder  dargestellt  wurden.  Kein  Wunder  also,  dass  dies  schlichte 
Denkmal  christlicher  Pestfeier,  nachdem  es  18'!!)  durch  den  Archivrat  Gotllieb  Fried- 
laeniler  der  Vergessenheit  entzogen  worden  war,  mehrfach  abgedruckt  und  aufgeführt 
wurde').  Ausser  dem  mehr  lokalhistorischen  Jnteresse  aber  knüpft  sich  noch  ein 
volksliundliches  an  den  Text,  der  zum  Teil  aus  älteren  Volksdramen,  zum  Teil 
aus  den  kurz  zuvor  (1582  und  1586)  im  Druck  erschienenen  Weihnachtspielen 
des  Ambrosius  Pape  und  des  Christoph  Lasius  abstammt-').  In  der  Geschichte 
unserer  Weihnachtspicie,  zu  der  Karl  Weinhold  vor  C4  Jahren  in  einem  trefl- 
lichen  Buche  den  Grund  gelegt  hat,  nimmt  das  Stück  keine  unwichtige  Stelle  ein. 

Dieser  Berliner  Weihnachtskomödie  nun  hat  sich  kürzlich  eine  Schwester  zur 
Seite  gestellt.  Die  bisher  den  Forschern  völlig  entgangene  Dichtung,  auf  die  eine 
im  Dezember  l'JKi  zu  Berlin  veranstaltete  Aufführung  mich  aufmerksam  machte, 
ist  ein  angeblich  am  24.  Dezember  15'.I7  wiederum  von  Kindern  des  Kurfürsten 
Johann  Georg  und  seiner  dritten  Gemahlin  Elisabeth  von  Anhalt,  sowie  deren 
Gespielen  und  (iespielinnen  'in  einem  kurfürstlichen  Schloss'  aufgeführtes  ge- 
reimtes   Drama,     das    bereits    1890    von    Johanna    Baltz     veröffentlicht    wurde'). 


1)  Eine  kurtze  Comödien  von  der  Geburt  des  Herrn  (  hristi  ....  158!»  in 
Berlin  aufgeführt,  nach  der  Handschrift  hsg.  Berlin  18.')!).  —  Übersetzt  [!]  von 
A.  Freybe,  Leipzig  1882.  Von  Gerstmann,  L.  1884.  —  Aufgeführt  z.  B.  1873  im  Verein 
zur  Geschichte  Rerlins.  18S4  und  1885  von  dem  Personal  des  Molkereibesitzers 
C.  Bolle  in  Berlin. 

2)  Vgl.  darüber  J.  Bolte,  Das  Berliner  Weihnachtspiel  von  1589  (.Jahrbuch  für 
niederdeutsche  .Sprachforschung  9,  94  —  101.  1884).  Dass  der  Domküster  Georg 
Pondo  das  Spiel  verfasst  habe,  ist  eine  bisher  unbewiesene  Vermutung  Wilkens. 

3)  J.  Baltz,  Rosen  am  Zollemstaium.  Skizzen  aus  den  Lebenstagen  der  Zollem- 
fürstinnen,  1.  Reihe  (Düsseldorf.  I-".  Bagel  o.  .1.)  S.  111  — 121,  dazu  Anmerkungen  auf 
S.  19Uf. 

Zcilsclir.  <]   Vereins  I    Votlcskunde     191S.  10 


14t;  Holle.    Kleine  Mitteilungen. 

Wieduruni  erscheinen  die  l'rinzessinen  Mu'jiialonu  unil  Agnes  in  tler  Rolle  von 
Engeln,  Prinz  Friedrieh  aher,  der  158!)  das  Christkind  darstellte,  luit  jetzt  einen 
der  Hiitt-n  übernommen,  und  die  Rolle  der  .lun^friiu  Maria  ist  sialt  der  inzwiselien 
vermählten  l"]lisal)eth  von  M.msfeld  einer  jün-^eren  Seinvester  fVj  Agnele  von  Mans- 
feld  zugefallen.  Trotz  ilieser  und  andrer  auiriilliger  Beziehungen  zu  dem  längst 
bekannt(>n,  um  acht  Jahn;  älteren  Spiele  weist  die  Herausgeberin  in  ihren  An- 
merkunuen  nirgends  auf  die.ses  hin.  I)ies  machte  mich  stutzig  und  führte  zu 
einer  genaueren  Untersuchung,  auf  Grund  deren  ich  mich  verpfliehtel  halle,  vor 
einer  Verwertung  des  nicht  ohne  Geschick  aufgebauten  und  durchgeführten  Werk- 
leins in  wissenschaftlichen  Kreisen  zu  warnen,  so  wenig  ich  irgend  jemandem  die 
Freude  daran  verkümmern  mochte.  Myslifikationeii  mit  allen  llandsehriflen  pflegt 
man  ja  Dichtern,  die  uns  Begebenheilen  vergangener  Zeiten  m  (teren  Spracii- 
charakter  lorführen  möchten,  nicht  zu  verargen;  und  für  eine  solche  Mystifikation 
halle  ich  die  in  Privatbesitz  befindliche  üriginalhandschrii't,  welche  die  Heraus- 
geberin nur  in   das  jetzt  gebräuchliche   Deutsch    übersetzt  haben   will. 

Zum   Beweise    betraehle    man    die    auf  S.  lün  worilieh   abgedruckten    .Vnfangs- 

zcilen : 

„Hir  hept  sich  an  eyn  Weynachtspil: 

Erstliehes  Ereygniili.     Uff  dem  feldt. 
Hirte:  Es  synkt  zw  tal  dy  steinennaht 
ir  bruedcr  halt  viel  giiete  waht." 

Vordächlig,  weil  dem  poetischen  .'^lile  des  IG.  .lahrh.  nicht  entsprechend,  er- 
scheinen hier  die  Ausdrücke  'Slernennachl'  und  'vielgute  Wacht',  unmöglich  aber 
dünken  mir  die  geschraubt  klingenden  und  erst  für  das  Ib.  Jahihunderl  belegten 
Worte  'erstliehes  Ereignis',  die  einem  lateinischen  'Actus  prinuis'  entsprechen 
sollen.  Gegen  die  Echtheit  spricht  ferner  das  mehrfach  verwendete  daktylische 
und  trochäische  Versmass  (aufS.  lUif,  lUif.,  12(1)  und  vor  allem  die  ein- 
gestreuten Liedertexte.  Diese  sind  nicht  etwa  aus  dem  geistlichen  Liederschätze 
der  evangelischen  Kirche  des  1(3.  Jahrh.  entlehnt,  sondern  entstammen  teils  dem 
1.')..  teils  dem  l>s. — 19.  Jahrhundert.  Auf  S.  11.')  stehen  zwei  Dichtungen  Heiniiehs 
von  Lau  feil  berg  'Ach  döcliterliii  min  sei  geinoit'  und  'In  einem  kripfly 
lag  ein  kind',  die  um  'ö\)l  sicherlich  längst  verschollen  waren;  erst  Fh.  Wacker- 
nagel hat  sie  aus  der  Strassburger  Handschrift  wieder  hervorgezogen').  'Kommt 
herab  ihr  Himmelsheere'  (S.  120)  ist  ein  neueres  katholisches  Kirchenlied,  das 
im  Strassburger  Gesangbuch  1789  nr.  ll.S  wohl  zum  ersten  Mal  gedruckt  wunle-'. 
Aus  den  um  1872  erschienenen  'Altbohmischen  Gesängen  lür  gemischten  Chor' 
von  Carl  Riedel,  Heft  2  herübergenommen  sind  'Freu  dich,  Erd  und  Sternen- 
zelt' (S.  113)  und  ■Lalll  alle  uns  Gott  loben'  (S.  120).  von  denen  das  erste 
zwar  schon  1.S44  im  Leitmeritzer  (Jesangbuche  begegnet,  das  zweite  aber  erst  von 
Riedel  den  Noten  untergelegt  worden  ist').  Ganz  moderne  Färbung  uiigt  die 
."^trophe   'Streuet  H  i  niniel  srosen'   (S.  117). 

ll  Wackernagel,  Das  deutsche  Kirchenlied  'J,  53j  nr.  708  und  70!).  Die  Melodien 
111  Arnolds  Ausgabe  des  Loeheinier  Liederbuches  (_Chrysanders  .(ahrbiichor  für 
riiiisikal.  Wissenschaft  2,  ;i9  1.S67),  bei  Höhme,  Altdeutsches  Liederbuch  nr.  (»97  und 
iVJO,  Erk-Höhme,  Liederhort  nr.  21.')7  und  Häumker,  Das  katholische  deutsehe 
Kirchenlied  1,   lO.'J 

2)  Danach  ,1.  Mohr,    l'siilterlein   1.S91   in.  l.'il.     Vgl.  Häumker   1.  ivS.")    zu    nr.  .iJ-l 
-1,  2B4  und  ;H,  los. 

o)  Vgl.  Kothe.  Kill  alles  Graf.schafter  Weibnae)itslied  (Vierteljahrsschrift  für 
Geschielite  clor  Gral'scbun  (ilalz   1,  90.     ISHl)  und  Bäuniker  4,  441   nr.  27. 


Bücher:)  nzeigen.  ]47 

Soll  ich  nun  noch  aufdon  weichlifhun,  lyrischen  Charakter  des  üiinzon,  auf  die 
von  dem  biblischen  Berichte  abweichende  Gliederung  der  Handlung-,  und  die  einem 
bequemen  Eirekt  dienende  Zusammenlegung  der  Anbetung  der  Hirten  und  der 
h  drei  Könige  eingehen?  Ich  meine,  das  A'orgetragene  «eniigt.  um  in  dem  an- 
geblichen Texte  von  I.'iilT  eine  moderne  Nachahmung  der  15-9  von  den  Prinzen 
und  Prinzessinnen  des  liurfiirsliichcn  Hofes  zu  Berlin  gespielten  'Comödie  von  der 
Geburt  des  Herrn  Christi'  erkennen  zu  lassen.  Auf  S.  190  beruft  sich  Johanna  Baltz 
auf  eine  genaue  Beschreibung  der  Aufführung  in  der  'P^änkischen  Chronik  .  Da  von 
einer  solchen  Chronik  verschiedene  Kenner  der  brandenburgischen  Geschichte, 
die  ich  befragte,  nichts  wussten,  möchte  ich  bis  auf  weiteres  auch  an  dieser  An- 
gabe zu  zweifeln   mir  erlauben. 

Berlin.  .lohannes   Holte. 


Bücheran  zeigen. 

F.  Ohrt,  Dainiiarks  Tryllet'oriuler,  J:  luledning  og  Tekst.  KöbiMiliavn  og 
Kristiania,  Gyldendalske  Boghandel  (Nordisk  Forlag).  li)17.  540  S.  8". 
(Folklore  Fellows  Publications,   Northern  Series   Nr.  H.) 

Während  die  grossangelegte  Sammlung  deuts(her  Segensfoinieln  durch  die 
l'ngunst  der  Zeit  verzögert  wird,  tritt  jetzt  neben  die  norwegische  Sammlung 
Chr.  Bangs  (s.  oben  H,  "2;)'2)  der  Texlliand  dir  dänischen  Formeln.  In  der  Ein- 
leitung führt  der  Versuch,  das  StotTgt^biet  theoretisch  abzugrenzen,  zu  keinem  be- 
friedigenden Ergebnis,  so  dass  der  mehr  äusseilieh  |iiaktische  (jrundsatz  aufgestellt 
wird,  nur  solche  Formeln  in  die  Sammlung  aufzunehmen,  die  in  den  Heil-  und 
Zauberbüchern  enthalten  sind  und  von  den  mündlich  überlieferten  im  wesent- 
lichen nur  solche,  die  den  ersteren  nach  Form  und  Inhalt  verwandt  sind.  So  sind 
auch  eine  Anzahl  von  formelhaften  Gebeten  mit  aufgenommen  worden,  wie  das  ja 
auch  in  deutschen  Sammlungen  geschehen  ist  (vgl.  M.  Müller,  Über  die  Stilform 
der  alld.  Zaubersprüche,  Diss.  Kiel  1901,  S.  7fj.  Zum  Hauptprinzip  der  An- 
ordnung hat  Verf  nach  gründlichen  Erwägungen  den  Zweck  der  Formeln  gewühlt, 
wodurch  die  vergleiclu'nde  Benutzung  mit  der  norwegischen  Summlun;^  ersehwert 
wird.  Es  ist  lebhaft  zu  bedauern,  dass  über  diese  wichtige  Frage  der  Anordnung 
keine  Einigung  erreicht  worden  ist.  Mir  scheint  das  Verfahren  Bungs,  die  .*-'egen 
nach  literarischen  Typen  zu  ordnen,  deshalb  den  Vorzug  zu  verdienen,  weil  damit 
die  Stücke  ziisamnienkonimen,  die  organisch  zusammengehören,  v^ährend  die  Zweck- 
setzung etwas  mehr  Äusserliches,  oft  vom  Zufall  Abhängiges  ist.  So  wird  z.  B. 
der  Longinussegen,  wie  aus  seinem  Inhalt  hervorgeht,  ursprünglich  zum  Stillen 
einer  Blutung  gebraucht,  später  aber  wird  er  auch  angewendet,  um  Schlangen  oder 
eine  Feuersbrunst  zum  Stehen  zu  bringen.  Der  Segen  von  den  drei  Engeln 
müsste  in  einer  Sammlung  deutscher  Segen  über  2U  Krankheiten  und  einige 
weitere  Kapitel  verstreut  werden  (s.  oben  "2G,  129;.  Mit  Recht  misst  Verf.  für  die 
Übersichtlichkeit  einer  so  umfangreichen  Sammlung  dem  Register  einen  grossen 
Wert  bei,  aber  auch  das  scheint  mir  für  eine  Anordnung  nach  der  Form  der  Segen 

10" 


■14H  Bücherrtnzpißen. 

zu  sprijchcn;  donn  ein  Ref;istcr  kann  wohl  einen  khiri-n  Überblick  über  die  ver- 
schiedenen Zwecke  bieten,  indem  es  die  Namen  der  Krankheiten  usw.  verzeichnet, 
gegen  welche  die  Formeln  iin^ewendet  werden,  aber  es  gibt  keine  Schlagwörter, 
die  es  eniiöglichlen,  eine  bestimmte  Segensform  mit  8icberheit  aufziifinden. 

Im  zweiten  Kapitel  wird  eine  g-eschicbtliche  Übersicht  über  die  älteren 
dänischen  Arbeiten  auf  dem  Gebiet  der  Zauberformeln  gegeben.  Während  im 
Ifi.  und  17.  Jh.  ausschliesslich  eine  theologische  Betrachtungsweise  der  Forimln 
herrscht,  setzt  mit  Pcder  Syv  um  170(1  das  volkskundliche  Interesse  an  diei^en 
Dingen  ein.  Der  Dichter  Ludwig  Holberg  erüllnet  die  Reihe  der  rationalistischen 
Hetrachter,  die  mit  Verachtung  auf  diese  abergläubischen  Gebräuche  sehen  Die- 
Zeit  der  Romantik  bringt  in  J.  M.  Thiele  den  ersten  systematischen  Samiu'ler 
volkstümlicher  (beiliefcrungcn,  dem  im  llt.  Jh  eine  Reihe  bekannlcr  Namen  sich 
anschliesst.  —  Auf  die  Beschreibung  der  Quellen,  aus  denen  das  Material  geschöiift 
ist  —  es  sind  etwas  mehr  als  hundert  —  folgen  dann  die  Texte.  Ihre  Zahj 
(1101  einschliesslich  der  lateinischen  und  einiger  deutscher)  ist  nicht  allzu  gross 
zu  nennen,  wenn  man  sicli  erinnert,  dass  allein  A.  Schonbach  schon  i.  .1.  iMif.t, 
d.h.  l!S  Jahre  vor  seinem  Tode,  eine  grössere  Zahl  aus  älteren  theologischen 
Handschriften  ausgezogen  hatte  und  dass  H.  Losch  397  Nummern  aus  volkstüm- 
lichen Segenbüchern  /.usammengestellt  hat.  Was  die  Form  d(T  einzelnen  Segen 
angeht,  so  ist  der  Unterschied  von  den  deutschen  g'össer.  als  man  von  vornherein 
annehmen  sollte.  Zwar  der  Typus  des  zweiten  Merseburgcr  Spruches  ist  mit  -l'J  christ- 
lichen [jcsarten  reichlich  vertreten,  aber  die  in  Deutschland  schon  in  früher  Zeit  so 
häufigen  Segen,  die  sich  auf  die  Bibel  oder  die  liegende  gründen,  sind  aulTällig 
selten  und  in  sehr  zerrütteter  Form  vorhanden.  Der  Segen  von  den  drei  guten 
Brüdern  findet  sich  nun  in  einer  (lateinischen)  Fassung.  Der  Jordansegen  ist 
auf  wenige  Zeilen  zusammengeschitiolzen,  und  der  ebenfalls  sehr  gekürzte  Longinus- 
segen  weist  beinahe  in  jeder  Variante  eine  andere  Form  des  Namens  Longinus 
auf.  Die  Blutstillung  von  den  drei  Bluiiien  findet  sich  nur  einmal,  die  von  den 
drei  Frauen  überhaupt  nicht.  Selbst  der  in  Deutschland  zu  allen  Zeilen  so  häufige 
Hiob-Wundsegen  ist  nur  in  ganz  wenigen  P''assungcn   vorhanden. 

Line  gekürzte  Inhaltsangabe  des  1.  und  "J.  Kapitels  und  ein  Inhaltsverzeichnis 
in  englischer  Sprache  sowie  ein  ausführliches  zweisprachiges  Register  bcschliessen 
den  stattlichen  Hand.  Der  zweite  Band  soll  diejenigen  Formeln  bringen,  die  aus 
sinnlosen  Worten  oder  Buchstabenreihen  bestehen,  ferner  eine  vergleichende  Studie 
über  die' Segensformeln.  Wir  sehen  seinem  Erscheinen  mit  lebhaftem  Interesse 
entgegen. 

Berl  i  n- Haien  See.  Oskar  Ebermann. 


Notizen. 

A.  .\arne.  Schwanke  über  scbwerliftrige  Menschen,  eine  vergleichende  I'ntpr- 
sueliunp.  Hamina  1!U4.  '.II  .S.  (FF  Conimimications  20—21).  —  Der  M.inn  aus  dem 
Paradiese  in  der  Literatur  und  im  Volksmunde.  eine  vergleichende  ."sc  bwankunler- 
sucliung.  Hamina  191ö.  Itl  S.  (FF  Communications  22).  —  Der  reiclie  iMann  und 
sein  Schwiegersohn,  vergleichende  Mäichenfor.schungen.  Hamina  li)Iü.  195  S. 
(FF  (Jominunieations  23).  —  Er.st  jetzt,  nachdem  der  durch  den  Weltkrieg  jahrelang 
aufgehobene  Vorkehr  mit  Finnland  wieder  eröffnet  worden  ist.  gelangen  diese  neuen 
l'ntersuclnmgen  des  ausgezeichneten  Forsclieis  zu  uns.  Hatte  er  in  den  oben  24,  330 
angezeigten  Studien  allgemeinere  Fragen  der  Mäicheni'orschung  von  grosser  Trag- 
weite beliandelt,  so  wendet  er  sieh  in  den  vorliegenden  drei  Heften  wieder  dem 
Ursprünge  und  der  Verbreitung  einzelner  F.rziihlungsstoffe  zu.     Überall  in  der  Welt 


Notizen.  14y 

und  seit  uudenkiichen  Zeiten  entstelieii  aus  dem  Bestreben  schweiliöriger 
Menschen,  ihre  Taubheit  zu  verbergen  und  auf  halb  oder  gar  nieht  verstandene 
Fragen  Antwort  zu  geben,  spasshafte  Missverständnisse,  die  zu  kleinen  Schwänken 
zusammengefasst  und  so  weiter  erzählt  werden.  Aarne  führt  nicht  weniger  als 
26  Gruppen  an,  von  denen  die  meisten  ein  Gespräch  zwischen  einem  gut  Hörenden 
und  einem  Schwerhörigen  vorfüliren,  der  an  einei'  Hriickc  arbeitet,  ein  Vogelnest 
ausnimmt  (Luther  ,  einen  Axtstiel  schnitzt  (Nordeuropa),  Fische  feil  hat  usw.  Vor- 
zugsweise im  Orient  verbreitet,  ist  das  Zusammentreffen  mehrerer  Schwerhörigen, 
die  in  Streit  geraten  und  einen  Richter  auf-uchen,  der  ebenfalls  halbtaub  ist;  doch 
auch  ein  griechisches  Epigramm  des  NikarcUos  behandelt  diesen  Stoff  Inwieweit 
im  einzelnen  Fall  die  Ähnliclikeit  zweier  Scliwänke  aus  gleichen  Vorbedingungen 
oder  aus  der  Wandeiung  des  Motivs  entstanden,  und  wie  sich  die  volkstümlichen 
P"assungen  zu  den  literarischen  verhalten,  darüber  lesen  wir  wohlüberlegte  Bemer- 
kungen. —  Zweitens  lockte  der  Schwank  vom  Mann  aus  dem  Paradiese,  von  dem 
der  Vf.  allein  aus  Finnland  122  Versionen  kannte,  ilin  zu  einer  Vergleichung 
der  in  ganz  Europa  und  auch  in  Asien  umlaufenden  Volkserzahlungcn  mit  den 
älteren  literarischen  Gestalten,  einem  gewandt  aufgebauten  lateinischen  Gedichte 
des  15.  Jahrh.,  einem  trefflichen  Fastnachtspiele  des  Hans  Sachs  -Der  fahrend 
Schüler  ins  Paradeis'  u.  a.  Die  abendländische  Urform  ist  vermutlich  auf  Grund 
eines  wirklichen  Vorfalles  im  Mittelalter  entstanden;  in  den  Volkserzählimgen  ist 
das  Missverständnis  Paris  -  Paradies  oft  durch  andoe  Ortsnamen  (im  Dänischen 
Kingerige-Himmerige,  im  Finnischen  Taivas.salo  —  taivaansali)  ersetzt,  oder  der 
listige  Bettler  singt  'Vom  Himmel  hoch,  da  komm  ich  her',  oder  er  fällt  der  törichten 
Frau  durch  seinen  beständig  nach  oben  gerichteten  Blick  auf.  Ferner  sind  auch 
undere  Züge  abgeändert  oder  neue  Diebesstreiche  angehängt.  —  Umfänglicher  ist 
die  dritte  Untersuchung  ausgefallen,  die  dem  Grimmschen  Märchen  vom  Teufel  mit 
den  drei  goldenen  Haaren  gewidmet  ist:  ein  reicher  Mann  hört  die  Prophezeiung,  dass 
ein  eben  geborner  armer  Knabe  zu  seinem  Schwiegersohn  und  Erben  bestimmt  ist, 
und  sucht  vergeblich  das  Kind  durch  Au.ssetzung  und  später  den  Jüngling  durch 
einen  ihm  übergebenen  Todesbrief  und  durch  die  (an  Schillers  Gang  nach  dem 
Eisenhammer  gemahnende i  Sendung  zum  Hochofen  zu  verderben;  der  letzte  Mord- 
versuch schlägt  zu  seines  Sohnes  oder  seinem  eigenen  Unheil  aus,  sein  Kampf  wider 
das  Schicksal  ist  umsonst.  So  lautete  nach  Aarne  die  indische  Grundform  des 
Märchens,  für  die  schon  Zeugnisse  aus  dem  3.  Jahrh.  vorliegen;  in  Europa  erscheint 
es  im  12.  Jahrh.  auf  den  Kaiser  Heinrich  III.  oder  Constantin  übertragen  und  klingt 
in  Saxos  Bericht  über  Hamlet  wieder  In  verschiedenen  europäischen  Fassungen 
des  Märchens  wird  damit  ein  andres  indisclies  Märchen  von  den  Fragen  verbunden, 
die  dem  zu  Gott  oder  dem  Schicksale  wandernden  Helden  unterwegs  aufgetragen 
werden;  er  soll  ermitteln,  weshalb  ein  Baum  verdorrt,  wie  lange  ein  Tier  den  Wan- 
derern als  Brücke  dienen  muss,  wie  das  kranke  Mädchen  gesund  wird,  kehrt  mit 
der  erlangten  Auskunft  heim  und  wird  reich  An  diese  Erzählung  haben  sich  dann 
noch  manclK'  Motive  aus  andern  Märchen  und  aus  dem  Aberglauben  des  Volkes 
angehängt.  Man  darf  daher  nicht  von  einem  Märchen,  das  Anschauungen  und 
Sitten  aus  der  Urzeit  enthält,  ohne  weiteres  behaupten,  es  sei  uralt,  oder  es  als 
Hiltsmittel  für  mythologische  Forschungen  benutzen,  bevor  man  durch  vergleichende 
Forschung  seine  Geschichte  festgestellt  und  die  ursprüngliche  Gestalt  von  den 
späteren  Zusätzen  geschieden  hat.  Dass  wir  somit  allgemein  wichtige  Ergebnisse  den 
sorgsamen  Untersuchungen  Aarnes  verdanken,  dürfte  si^hon  aus  diesem  flüchtigen 
Referat  hervorle\ichten.  —  (J.  B.) 

W.  Ahrens,  Mathematische  Unterhaltungen  und  Spiele,  2.  vermehrte  und  ver- 
besserte Aufl.  2.  Band.  Leipzig,  Teubner  1918.  X,  455  S.  —  Der  gelehrte  Vf., 
dessen  umfassende  Studien  über  die  magischen  Quadrate  oben  27,  173.  2t>9  Er- 
wähnung fanden,  behandelt  hier  auf  S.  1  -  54  denselben  Gegenstand  vom  Stand- 
punkt des  Mathematikers;  die  zahlreichen  Beziehungen  zum  Aberglauben  und 
andern  Gebieten  hat. er  einer  besondem  Monographie  vorbehalten.   Von  den  übrigen 


150  Notizen. 

Kapiteln  ilürfte  manchen  nnsicr  I^cser  anzielien  S.  118  das  verbreitete  Josephspiel, 
hei  dem  man  :!()  Personen  so  aufstellt,  daß  l)eim  Abzählen  die  lö  %'orher  bestimmten 
ausscheiden;  S.  226  das  Boss  Puzzle-Spiel,  S.  2G1  das  l)oniiiuiS]iiel,  S.  227  Zeit  und 
Kalender,  S.  298  seltsame  Verwandtschaften.  —  (J.  li.) 

,1.  H.  Albers,  Das  Jahr  und  seine  Feste.  3.  unveränderte  Aufl.  Stuttgart, 
J.  E.  G.  Wegner  l'.llT.     VIII,  3(18  .'J.  gr.  8".     4,80  Mk.  Das  Duch    ist   eine  unver- 

änderte Neuausgabe  der  unter  dem  Titel  'Festpostille  und  Festchronik'  1907  er- 
schienenen 2.  Auflage.  Es  erübrigt  sich  daher,  noch  einmal  näher  darauf  einzu- 
gehen, und  genügt,  auf  das  oben  20,  1 18  Gesagte  zu  verweisen.  Besonders  übel 
beraten  ist  der  Verfasser  auf  dem  Gebiet  des  klassischen  Altertums;  erwähnt  seien 
hier  nur  die  gänzlirh  unbegründete  Herleitung  der  Vogelschiessenfeste  aus  dem 
Feste  des  Mars  extra  portam  Capenam  am  I.Juni  (.S.  22(i  ,  die  verwirrte  Darstellung 
der  -Abraxasfrage  fS.  2Ö4)  und  die  unhistorische  Behandlung  der  Saturnalien  ^S.  3Hi), 
unerfreulich  ist  auch  der  Doppelschnitzer  Kytheiron  (S.  315).  Nach  dem  Erscheinen 
der  zwar  weniger  umfangreichen,  aber  wissenschaftlich  einwandfreien  volkstümlichen 
Behandlungen  der  Feste  von  Fehrle  und  Nilsson  hat  eine  Kompilation  wie  die  vor- 
liegende kaum  noch  Daseinsberechtigung.  —    F.  B." 

Bericht  über  die  Sammlung  der  Glockensprüchc,  Glockensagen  und  Glocken- 
bräuche, April  1917  bis  April  1918.  erstattet  vom  Verband  deutscher  Vereine  für 
Volkskunde.  Freiburg  i.  B.  1918.  8  S  —  Bericht  über  die  Sammlung  soldatischer 
Volkskunde,  erstattet  vom  Verband  deutscher  Vereine  für  Volkskunde.  Freibuig 
i.  B.  1918.     IG  S. 

J.  Bolte  und  G.  Polivka,  Anmerkungen  zu  den  Kinder-  und  Hausmärchen 
der  Brüder  Grimm,  neu  bearbeitet.  3.  Band  (nr.  121  — 225\  Leipzig,  Dieterichsche 
Verlagsbuchhandlung  1918.  VIII,  624  8.  13  Mk.  —  Der  3.  Band  des  oben  24,  425 
angezeigten  Werkes  bringt  die  eigentliche  Erklärung  der  Grimmschen  Märchen  zu 
Ende.  Sein  Umfang  (gegenüber  70  Seiten  der  3.  Auflage)  erklärt  sich  durch  die 
ausführlichere  Besprechung  einzelner  Stoffe,  wie  Ferenand  getrü,  der  Kisenhans, 
das  Hirtenbüblein,  der  Hase  und  der  Igel,  die  ungleichen  Kinder  Kvas,  der  Meister- 
dieb, die  Kristallkugel,  und  durch  die  Hinzufügung  der  lateinischen  Gedichttexte, 
die  dem  Eselein  und  der  Rübe  zugrunde  liegen.  Es  sind  aber  auch  neun  neue 
Märchen  aus  dem  hsl.  Nachlass  der  Brüder  Grimm  aufgenommen,  die  bereits  den 
Lesern  dieser  Zeitschrift  zum  Teil  vorgelegt  wurden,  darunter  der  dankbare  Tote 
und  die  treue  Frau.  .\ngehängt  ist  ein  al)ihabetisches  Verzeichnis  der  angeführten 
Märchonsammlungen,  das  die  Benutzung  der  Nachweise  erleichtern  wird.  Der  noch 
ausstehende  4.  Band  soll  eine  kurze  Geschichte  der  Grimmschen  Sammlung  und 
eine  Cbersichl  über  den  Märcheiivorrat  der  andern  Völker  enthalten. 

Alfons  de  Cock,  Volkssage,  Volksgeloof  eu  Volksgebruik.  Versierd  met  77  Platen. 
.■Vntwer)ien,  G.  Janssens  1918.  224  S.  4".  1:',Ö0  Fr.  —  Der  um  die  vlämische  Volks- 
kunde so  hoch  verdiente  Forscher,  dem  wir  eine  Reihe  trefflicher  grundlegender 
Werke  verdanken,  wendet  sich  hier  mit  einer  Reihe  grösstenteils  neuer  Aufsätze  an 
einen  grösseren  Leserkreis,  dem  er  in  anmutigem  Plauderton  die  Ziele  und  Methoden 
unsrer  Wissen.schaft  schmackhaft  zu  machen  weiss.  Wenn  er  dabei  absichtlich  in 
der  Zahl  der  Parallelen  und  Literaturnachweise  Maß  hält,  so  gibt  er  doch  aus- 
reicliende  Belege  für  den  nach  weiterer  Aufklärung  begierigen  Leser.  Die  einzelnen 
-Arbeiten  sind  betitelt;  1.  Soviel  Kinder  als  Tage  im  Jahr  Grimm,  DS.  nr.  Ö21). 
2.  Der  japanische  Steinhauer  bei  Multatuli  (R.  Köhler,  Kl.  Sehr.  2,  54  .  3.  Teufels- 
glaube. 4.  Menschenfresser  im  Kongogebiet  und  im  Märchen.  5.  Grausame  Strafe^n 
der  Vorzeit.  6.  Fabelhafte  Menschen.  7.  Merkwürdige  Urteile  in  der  Sagenwelt. 
8.  Der  h.  Eligius  in  der  Volkssage.  9.  Weihnachtsglocken.  10.  Sagen  von  der  Er- 
schaffung des  Weibes.  11.  Harnbeschauer.  12.  Sagenbildung  in  der  Gegenwart, 
auch  im  Weltkriege.  13.  Weltkrieg  und  Aberglaube  (von  A.  IloUwigs  Schrift  aus- 
gehend). 14.  Die  Freimaurer  im  Volksgla\iben.  15.  Die  Fabel  vom  Esel  in  der 
Löwenhaut.     1(5.    Niederländische    Pflanzennainen.      Überall    weist    der  Vf.    die    Zu- 


Notizen.  151 

saiiimenlKingo  zwischen  den  Überlieferungen  der  verschiedenen  Völker  nacli.  Einen 
besonderen  Schmuck  des  Buches  bilden  die  zahlreichen  Illustrationen.  —   (J.  B.) 

A.  de  Cook,  Natuurverklarende  Sprookjes,  1.  deel:  Hui.sdieren,  zoogdieren. 
Gent,  Ad.  Hoste  [1911].  111  S  4"  mit  Zeichnungen  von  E.  van  Offel.  —  2.  deel: 
Vogels,  lagere  diersoorten,  boomen  en  kruiden,  levenlooze  natuur.  Ebd.  1912. 
111  S.  -1".  -  Von  demselben  Plane  wie  Dähnhardt  in  seinen  Naturgeschichtlichen 
Volksmärclieu  ausgehend,  aber  im  einzelnen  selbständig,  stellt  der  vlämische  Ge- 
lehrte hier  eine  grosse  Zahl  von  europäischen  und  aussereuropäischen  Märchen  zu- 
sammen, welche  die  Entstehung  auffälliger  Eigenschaften  und  Merkmale  der  Tiere 
und  Pflanzen,  sowie  der  Gestirne  mit  Hilfe  der  Phantasie  zu  erklären  suchen.  Das 
seinen  Enkelkindern  gewidmete  Werk  ist  für  die  Schuljugend  bestimmt,  wiid  aber, 
da  überall  sorgfältig  die  Quellen  vermerkt  sind,  auch  der  wissenschaftlichen  For- 
schung gute  Dienste  leisten    —  ^J.  B  ) 

Arthur  Christensen,  Contes  persans  en  langue  populaire,  publies  avec  une 
traduction  et  des  notes  (Det  kgl  danske  Videnskabernes  Selskab,  historisk-filologiske 
Meddelelser  1,  3  .  Kcibenhavn,  Host  &  Sön  1918.  130  S.  2,90  Kr.  —  Die  53  hier 
mitgeteilten  Schwanke  hat  C.  1914  in  Teheran  aus  dem  Munde  seines  persischen 
Lehrers  aufgezeichnet,  der  sie  seinerseits  (bis  auf  die  aus  einem  englischen  Buche 
entlehnte  nr  3(i'  auf  seinen  Wanderungen  im  Volke  vernommen  hatte.  Es  sind 
Narrenstreichc  des  Nasreddin  Hodscha,  witzige  Antworten,  Frauenlisten,  Stichel- 
schwänke.  auch  Tierfabeln;  für  Märchen  hatte  C.s  Gewährsmann  nur  Verachtung. 
Wenn  nun  nuch  das  Milieu  durchaus  persisch  ist,  so  sind  die  Stoffe,  wie  C.  durch 
gute  Nachweise  dartut,  zumeist  international.  Vgl.  z.  B.  nr.  18  das  Testament  des 
Hundes,  19  das  Urteil  des  Schemjäka,  4S  der  Streit  der  drei  Frauen  um  den  ge- 
fundenen Ring,  39  den  allgemeinen  Frieden  (Kirchhot,  Wendunmut  3,  nr.  128. 
Lancaster  in  Publications  of  the  Modern  language  association  of  America  22,  33j. 
Schon  im  Mesnewi  des  Dschelaleddin  Rumi  begegnen  nr.  7,  der  witzige  Papagei 
(oben  1-3,  94  und  nr.  9,  der  seiner  Kleider  beraubte  Baiier  (Bolte-Polivka,  Anmer- 
kungen zu  Grimm  KHM  3,  ;)92'  Zu  37  der  Aufschneider)  sei  nocli  verwiesen  auf 
Wisser,  Plattdeutsche  Vm.  S.  71;  zu  4()  (Feigen  als  Gift)  auf  Bolte-Polivka  3,  337; 
zu  49  (Wem  galt  der  Grussi  ebd.  3,  212;  zu  ,ö2  Doktor  AUwi.'^send)  ebd.  2, 401.  -  (J.  B.) 
Deutsche  Volksspiele  des  Mittelalters.  1.  Spiel  vom  Sündenfall. 
Paradoisspiel  aus  Oberufer  bei  T'reßburg,  14.[!|.Jaluh..  mitgeteilt  von  K.  J  Schröer. 
Leipzig.  Breitkopf  &  Härtel  1917.  19  S.  -  2.  Totentanz.  Bilderszenen  nach  Drucken 
des  15.  Jahrb.,  zusammengestellt  und  für  die  Kühne  eingerichtet  von  G.  Haaß- 
Berkow  und  M.  Gümbel-Seiliug  ebd.  1918.  24  S.  —  3.  Ghristgeburtsspiel  aus 
Oberufer  bei  Preßburg,  mitgeteilt  von  K  J  Schröer  ebd.  1918  71  S.  —  «.  Theo- 
philus,  der  Faust  des  Mittelalters,  Übertragung  von  M.  G  um  bel-Seiling.  ebd.  1918. 
64  S.  -  7.  Das  Niederdeutsche  Osterspiel  aus  Redentin  v.  J.  1464,  Übertragung  von 
M  Gümbel-Seiling  ebd.  1918.  9ö  S.  —  10.  Ein  hübsch  Spiel  von  St.  Georg  und 
des  Königs  von  Lybia  Tochter  und  wie  sie  erlöst  ward,  übertragen  von  M.  Gümbel- 
Seiling.  ebd  1918.  64  S.  je  0,50  M.  —  Unsere  älteren  Dramen  weiteren  Kreisen 
näher  zu  bringen  ist  der  löbliche  Wunsch  des  künstlerischen  Volkstheaters  in 
München  Es  bietet  neben  Bearbeitungen  mittelalterlicher  Stücke  auch  einige 
neuerdings  aus  dem  Volksmunde  aufgezeichnete  Schauspiele.  Zu  diesen  gehört  das 
aus  Schröers  Deutschen  Weihnachtspielen  aus  Ungarn  (1858)  abgedruckte  Ober- 
uferer  Adam-  und  Evaspiel,  das,  wie  noch  Klimke  (Das  Paradiesspiel  1902)  aus- 
führlich darlegte,  fast  ganz  auf  H.  Sachsens  Tiagedia  von  der  Schöpfung  beruht, 
und  das  Oberuferer  Weihnachtspiel.  Beide  Spiele  sind  um  I611O  von  österreichi- 
schen Bauern  nach  Ungarn  gebracht  und  bis  ins  19.  Jahrhundert  fortgepflanzt 
worden.  —  Der  'Totentanz'  ist  ein  Versuch,  die  dramatische  Grundlage  der  alten 
Bilder  und  Texte  zu  rekonstruieren;  er  ist  bei  dem  Bestreben,  die  Eintönigkeit  in 
den  Reden  der  elf  zum  Reigen  aufgerufenen  Personen  ^König  bis  Amme)  zu  ver- 
meiden, reichlich  modern  ausgefallen.  So  lauten  die  Schlusszeilen:  'Ich  rufe  euch 
alle  zum  Tanz  heraus:    das  ist  ein  Sterben  und  ein  Säen,    ein  Ernten  und  ein  Auf- 


]i)-2  Notizen. 

oretolien'.  —  Dagcsicn  lii-gt  im  ■'rhi-ojihiliis'  imik-  wlrkliilii'  ('Iumm^Izuhs  aus  tler 
Tricror  iinrl  Hfilmstiidtor  Fassung  des  mnd.  Dramas  vor,  die  allerdings  eine  Lücke  in 
der  Mitte  aufweist,  aber  mit  einigen  Kürzungen  in  Münehen  zur  Aufführung  ge- 
langt ist.  —  Auch  das  eigenartige  grosse  Mecklenburger  Osterspiel  ist  dort  I91H  dar- 
gestellt worden;  an  dem  'allseitigen  Krfolgo'  haben  wohl  die  di-r  ernsten  Handlung 
folgenden  drastischen  Teufelsszenen  starken  Anteil,  in  denen  ilie  Vertreter  der  ver- 
schiedenen Stünde  von  Liieifers  Hiihterstuhl  ihre  Sünden  bekennen  müssen.  In 
die  nieht  immer  glatte  Cl)ersetzung  sind  Choräle  eingeschaltet.  —  Das  ziileizl  von 
Keller  in  den  I-'astnachtspielen  4,  130  herausgegebene  Legendendrama  vom  hl.  Georg 
entliiilt  trotz  mancher  Längen  hübsche  Züge.  —  (J.  H.) 

Mathilde  Kberle.  Die  Bacqueville-Legende.  t^iicllen-  und  Stoffge-schiehie 
Hern.  A.  Francke  11)17.  104  S.  4,50  Fr.  Sprache  und  Dichtung.  Heft  20).  —  Die 
französische  Ortssage  vom  Herrn  von  Racqueville  in  der  Xormandie  ist  zuerst  im 
IT).  .lalirh.  von  dem  V'iel.schreiber  Belleforest  in  seinen  no^  h  nicht  wieder  aufge- 
fundenen) Voyages  de  Hongrio  und  liiOl  von  dem  Jesuiten  L.  Kicheome  in  die 
Literatur  eingeführt  worden.  Wie  In  der  Thomaslegende  bei  Caesarius  von  Heister- 
bach und  in  der  Ballade  vom  Möringer  wird  der  in  türkischer  Gefangenschaft 
schmachtende  Held  an  dem  'läge,  wo  seine  Gattin  eine  neue  Ehe  schliessen  wdl. 
durch  ein  Wunder  dos  h.  Julian  in  die  Heimal  zurückversetzt.  In  Deutschland 
wurde  die  Legende  durch  eine  lateinische  Übersetzung  von  Kicheomes  Buch,  durcii 
kürzere  Xacherzählungen  von  G.  Stengel,  Martin  von  Cochem,  Abraham  a  Ü.  Clara, 
durch  eine  auf  Cochem  fussende  Ballade  und  durch  mehrere  dramatische  Bearbei- 
tungen verbreitet.  Die  beiden  interessantesten  unter  diesen  Schauspielen  ent- 
stammen der  Schweiz  und  waren  bisher  nur  "mangelhaft  bekannt;  ein  unförndiches 
gereimtes  Stück  des  Schwyzcrs  Caspar  .Abyberg  vom  Jaiire  1643  und  ein  i.m  IS(X» 
im  Wallis  von  Lukas  Deschallen  verfasstes  Alexandrinerdrama.  Frl.  Eberle  hat 
beide  hsl.  Schauspiele  zum  Abdruck  vorbereitet  und  bietet  uns  in  der  vorliegenden 
fleissigen  Berner  Doktorschrift  eine  ausführliche  übersieht  über  die  Entwicklung 
der  Legende  und  ihre  verschiedenen  Fassungen,  Zu  der  S.  81  besprochenen  Sage 
vom  Grafen  im  Pfluge,  die  der  Walliser  Dramatiker  einflicht,  verweise  ich  auf  die 
Ausführungen  oben  2t>,  2(>.  —  (J.  B.) 

Flämisches  Liederbüchlein,  eine  Wiihiiachtsgabe  für  die  Flanu-n  in 
Deutschland.  Als  Manuskript  gedruckt.  Münster  i  \\".  I'JIT.  IV,  S2  S.  (Schriften 
der  Deutsch-flämischen  Gesellschaft  1).  —  Für  die  in  den  deutschen  Gefangenen- 
lagern befindlichen  Flamen  hat  Prof.  Jostes  eine  Lese  von  71  beliebten  flämischen 
Liedern  samt  den  Melodien  zusammengestellt,  die  gewiss  mit  herzlichem  Danke 
begrüsst  worden  ist.  Neben  bekannten  Volksliedern  enthält  sie  Dichtungen  von 
Rene  de  t^lercq,  Rodenbach,  (Tozelle,  Hiel  u.  a. 

Max  Gniür,  Schweizerische  Bauernmarken  und  lldlzurkumlen.  Bern.  Siänipfli 
Ä  Cie  IW7.  3  Bl.,  UiO  S.  mit  3  Tafeln.  10  Fr.  Abhandlungen  zum  schweizerischen 
Recht  77).  —  Seitdem  durch  Homeyers  grundlegende  Untersuchung  über  die  Haus- 
und Hofmarken  '1870)  die  Aufmerksamkeit  der  Gelehrten  auf  diese  für  die  Rechts- 
geschichte und  Volkskunde  bedeutsame  Erscheinung  gelenkt  war,  ist  die  Vermeh- 
rung und  Beleuchtung  dos  Materials  von  vielen  Seiten  in  .Angriff  genommen  worden 
(so  oben  4,279.  KJ,  22Ü.  22,348).  Eine  treffliche,  vieles  Neue  enthaltende  fbersicht 
über  das  reiche  und  vielgestaltige  Material  der  Schweiz  liefert  uns  der  Berner 
Kechtslehrer  Gmür  in  dem  vorliegenden  Buche,  das  wir  besonders  willkommen 
heissen,  weil  der  Gebrauch  auch  hier  im  Schwinden  begriffen  ist  und  die  altertüm- 
lichen Hausmarken  wohl  in  wenigen  Jahrzehnten  durch  die  Schrift  verdrängt  sein 
werden.  Der  Verfasser  bespricht  zunächst  kurz  Begriff,  Geschichte  und  Verbreitung 
der  Hausmarken  in  Mittel-  und  Xordeurojja,  die  er  bis  in  die  prähistorische  Zeit 
zurückfidirt,  um  sich  dann  ihrer  Vorwendung  und  rechtlichen  Bedeutung  in  der 
Schweiz  zuzuwenden.  Die  auf  geschlagenem  Holz,  l'rkundenstäben,  (Jeräten, 
Vieh  usw.  eingebrannten  oder  eingeritzten  Hauszeichen  müssen  im  Gegensatz  zu 
den  farbigen  Wappen   natürlich    eine    einfache    lineare  Gestalt    haben;    si>'    ähneln 


Notizen.  1 53 

meist  einem  Kreuz,  Tisch,  Geissfuss.  l'.undhalven  u.  dgl.  und  dienen  in  Ersetzung 
der  Schrift  als  Vermögens-  oder  Personalzeichen  Sehr  zweifelliaft  bleibt  der  8.  ;U 
erwälinte  Zusammenhang  mit  dem  Runenalphabet  Genauer  besprochen  werden 
dann  die  Viehzeii-hen,  die  nicht  nur  aus  umgehängten  Holz-  oder  Ledertäfelchen 
(Belgien)  bestehen,  sondern  häufiger  als  aus  Kerben  und  Löchern  zusammengesetzte 
Ohrmarken  den  Schafen  und  Ziegen  eingeschnitten  werden.  Den  Kindern  brennt 
man  das  Zeichen  ins  Hörn  oder  in  den  Fuss,  schneidet  es  aus  dem  Rückenhaar 
aus  oder  tätowiert  es  ein ;  über  diese  Marken  existieren  in  den  einzelnen  (Tcmeinden 
natürlich  amtliehe  Register.  Interessante  Ausführungen  erhalten  wir  S  52  über  die 
Bauernzahlen  auf  Kerbhölzern,  zu  denen  auf  unsre  Zeitschrift  10,  ISfi  und  die 
Schweizer  Volkskunde  7,33.  Sl.  8,13  verwiesen  sei.  In  den  §§  7-20  geht  der  Vf. 
dann  auf  die  vielen  Gestalten  imd  Verwendungen  der  Kerbhölzer  ein.  auf  denen 
Kostanecki  (Der  wirtschaftliche  AVert.  IWO,  ein  ganzes,  schwerverständliches  national- 
ökonomisches System  aufgebaut  hat.  Sie  führen  in  der  Schweiz  meist  den  Namen 
Tessel  'lat.  tessera)  oder  Beigle,  Beile,  den  E.  Hoffmann-Krayer  Schweizer  Volks- 
kunde 8,49;  einleuchtend  a\is  lat.  pagella,  afrz.  paielle  Holzmassl  ableitet  Nach 
ihrem  Zweck  und  Inhalt  unterscheidet  G.  acht  Gruppen:  Loshölzer,  die  bei  der 
losmässigen  Zuteilung  von  Pflichten  und  Rechten  benutzt  werden,  Zählstöcke  und 
einfache  Notizhölzer,  Kehrtesseln  oder  Pflichthölzer  ;z  B.  bei  Viehhut,  Feuerwehr- 
dienst, Hackhausbenutzungi,  einfache,  mehrfaclie  und  gespaltene  Abrechnungshölzer 
ibeim  .Milchablausch  und  bei  der  Kontrolle  andrer  Kaufgeschäfte",  (^uittunas-  und 
Forderungshölzer,  endlich  Rechtsamehölzer  der  Wasser-  \md  Aljikorporationen. 
Wesentlich  juristischer  Natur  sind  die  Darlegungen  in  §  17—20  über  das  Verhältnis 
des  Kerbholzes  zur  festuca,  die  einst  bei  den  Franken  und  Alemannen  von  der 
einen  Partei  der  andern  als  Zahlungsversprechen  zugeworfen  und  später  durch  die 
Urkunde  ersetzt  wurde,  zur  Urkunde,  zur  Buchführung  und  zum  Wertpapier.  An- 
schaulich gemacht  werden  die  Ausführungen  des  17.  durch  eine  grosse  Reihe 
schöner  Abbildungen,  die  zumeist  aus  seiner  eignen  Saninilnni;  von  Holzurkunden 
entnommen  sind.  —  (J.  R.' 

M.  ,1.  bin  Goriun,  Die  ersten  Menschen  und  Tiere.  .Tüdische  Sagen  von  der 
Urzeit.  —  Abraham,  Isaak  und  Jakob.  Jüdische  Patriarchengeschichten  —  Joseph 
und  seine  Brüder.  Ein  altjüdischer  Roman.  Frankfurt  a.  M.,  Rütten  &  Loening 
l'.tl7.  HS,  99  und  ICK)  S.  8  '.  kart.  je  2,00  Mk.  —  Die  ersten  beiden  Bändchen  ent- 
halten eine  Auswahl  aus  dem  oben  24,  97  und  332  eingehend  besprochenen  Werke 
Herdyczewskis  über  die  Sagen  der  Juden.  Das  dritte  ist  eine  Probe  des  von  dem 
Verfasser  vorbereiteten  3.  Bandes  der  grossen  Ausgabe,  das  imter  dem  Titel  'Die 
zwölf  Stämme'  erscheinen  wird.  Es  handelt  sich  um  die  weitverbreitete  Erzählung 
aus  dem  'Sefer  hajasar',  über  deren  Geschichte  und  Ausgaben  der  Anhang  eine 
kurze  Zusammenstellung  gibt.  —  (F.  B.i 

A.  Häuf  f  en,  Geschichte  des  deutschen  Michel.  Herausgegeben  vom  Deutschen 
Verein  zur  Verbreitung  gemeinnütziger  Kenntnisse  in  Prag.  Prag  1918.  91)  S.  — 
Weit  älter  als  die  Bezeichnungen  des  englischen  und  amerikanischen  Volkes  durch 
die  Tj'pen  John  Bull  und  Bruder  Jonathan  ist  der  Name  des  deutschen  .Michels, 
unter  dem  sclion  Seb.  Frank  1541  einen  groben  und  dummen  Menschen  versteht. 
Streitig  ist,  ob  der  häufige  Bauernnaine  Michael  zuerst  von  den  Humanisten  zu 
einer  Schelte  der  Ungelehrten  verwendet  wurde,  oder  ob  schon  die  Franzosen  im 
15.  Jahrh.  die  frommen  Wallfahrer,  die  aus  Deutschland  nach  dem  Mont  Saint- 
Michel  in  der  Normandie  zogen,  als  einfältige  Micbelsbrüder  verspotteten  Im 
17.  Jahrh.  belebte  der  glänzende  Kriegsheld  Michael  Obentraut  die  Erinnerung  an  die 
Abstammung  von  dem  streitbaren  Erzengel,  dessen  Bild  einst  auf  der  Reichssturm- 
fahne dem  Heere  voranwehte.  Als  arbeitsamer,  verträumter  Bauernknecht  erscheint 
Michel  1757  in  einem  Lustspiele  Krügers.  Eine  politische  Persönlichkeit  wurde  der 
<teutsche  Michel  erst  nach  1830,  als  die  gutmütige,  aber  weltunläufige,  schläfrige 
Art  des  Volkes  von  Heim-,  Hoffmann  von  Fallersleben  und  anderen  politischen 
leichtern    gegeißelt   wurde      Ausführlich    hat  H.    nicht    nur    diese   Entwicklung    des 


];')rt  Noti/.en. 

■dass  uin  Stamm-  oder  i'eison»>iinamc  iiin  so  undiirchsiclitiger  zu  sein  pt'letje.  je 
echter  und  iilter  er  sei.  In  graniniatischer  Hinsicht  stellt  er  fest,  dass  der  Name 
(iermani  ein  lanjes  a  habe  und  mit  dem  lateinischen  Adjektivum  ;;ernianus  {=■  echt, 
unvorfiilscht)  nur  den  Lauton  nach  iiberoinslimme;  ethnolnuische  Tatsachen  von 
Interesse  sind  die  von  Plinius  erwähnten  Oretani  Germani  in  Spanien  und  die  von 
Orosius  und  Livius  bezeugten  Galli  (Jermani  sowie  die  Somigermanae  gentes  in  den 
Westalpeu.  —  (.1.  H.) 

A.  Olrik,  Gudefromstillingor  pii  guldhoinene  og  andre  ;vldre  nnndesmii'rker 
(Danske  Studier  1918.  1  -  3.')  mit  8  Bildertafeln\  -  Die  nachgelassene  Abhandlung 
weist  die  drei  urnordischen  Hauptgötter  Odin.  Thor  und  Fröj  in  Denkmälern  der 
Völkerwanderung«-  und  der  Wikingerzeit  nach.  Ausser  diesen  erkennt  Olrik  auf 
den  beiden  Goldhörnern  von  Tondern  imd  auf  den  Bronzeplatten  aus  Öland  die 
Haddingo  als  ein  Kriegerpaar.  Alf  als  einen  Mann  mit  zwei  Dolchen.  Tiu  einen 
Menschen  opfernd  und  den  wolfsköpfigen  Tyr.  Inter  den  zwölf  Göttern  des 
Gundestruper  Kessels  zeigt  Odin  den  Typus  des  gallischen  Kemunnos  und  Thor 
den  des  gallischen  .Juiiiter.  Ferner  bespricht  der  Vf..  der  in  seinen  Deutungen 
mehrfach  Worsaae  folgt,  Darstellungen  Odins  zu  Pferde  und  Tyrs  mit  dem  Fenris- 
wolt  und  die  verschiedenen  Göttersymbole.  Nebenher  ergibt  sich,  das«  Odins  Ver- 
-ehrung  nicht  erst  in  der  Wikingorzeit  aufgekommen  ist.  —  (J.  B.  i 

Ed.  Otto,  Deutsches  Krauenleben  im  Wandel  der  .lahrliumlerte.  ?>.  Aufl. 
Leipzig,  Teubner  1918.  IV,  IS.'i  S.,  geb.  1,.')0  M.  (Aus  Natur  und  (ieisteswelt  -1.')).  — 
Das  Büchlein  stellt  einen  wohlgelungcnen  Versuch  dar,  das  deutsche  Frauenleben 
von  der  Urzeit  bis  zum  Beginn  des  19.  Jahrh.  im  I'mriss  zu  zeichnen.  O.  weiss  die 
■wesentlichen  Züge  der  acht  Perioden,  in  die  er  diesen  Zeitraum  zerlegt,  rechtliche 
Stellung,  Heschäftigung,  Tracht,  Bildung,  sittlichen  Charakter,  kurz  und  fasslich 
darzulegen  und  belebt  die  Darstellung  durch  Einzelbilder  hervorragender  Frauen 
•wie  Uadegunde.  Charitas  Pirkheinior,  Klisabeth  Charlotte  von  der  Pfalz,  die  Gott- 
schedin, Elisa  V.  d.  Kecke,  Bettina  v.  Arnim.  Wenn  auch  der  Kundige  die  einge- 
streuten Hinweise  auf  die  benutzten  Quellen  zu  deuten  weiss,  so  wären  vielleicht 
für  manche  Leser  genauere  Literaturangaben  erwünscht  i.T.  B  ) 

.Johannes  Pesch,  Die  Glocke  in  Geschichte,  Sage,  Volksglaube.  Volksbrauch 
und  Dichtung.  Dülmen  i.  W.,  A.  Laumann  (19181  192  S  kl  8".  kart.  1.8(1  M.  — 
Weiteren  Kreiseiv  wird  das  Büchlein  willkommen  sein,  das  ohne  gelehrte  Ansiirüche 
allerlei  Wissenswertes  über  die  Glocken  zusammenträgt.  Der  Korscher  freilich 
wird  genauere  Literalurangaben  und  ein  Zurückgehen  auf  die  älteren  Quellen  ver- 
missen. Das  Ritual  der  katholischen  Glockenweihe  teilt  1'.  in  Verdeutschung  mit, 
zahlreiche  Glockensagen  erscheinen  in  novellistischer  .Aussehniückung  oder  in 
metrischer  Bearbeitung.  \'on  den  Gloekenopfern,  die  der  Weltkrieg  erfordert,  und 
von  dem  Glockenghuilien  der  letzten  Jahre  handelt  S.  MO— 140.  Auch  die  den 
Schluss  bildenden  Proben  der  Glockenlyrik  sind  zumeist  jüngsten  Datums.  —  (.T.  B.) 

J.  I'olivka,  The  life-tokens  in  folk-tales,  custom  and  belief  (Cechisch  aus; 
Närodopisny  VJstnik  öeskoslovansk^  12).  Prag  1917.  96  S.  8°.  -  .Vusführlicher  als 
E.  S.  Hartland  in  seiner  "Legend  of  Perseu.s'  2.  1-54  bespricht  P.  die  Lebenszeichen 
und  Todesahnungen  in  Volksüberlieferung,  Aberglauben  und  Uraiuh.  namentlich 
»lavisches  Material  neu  verwertend.  Ein  welkender  Haum  bedeutet  eine  Krankheit 
■oder  den  Tod  des  Helden,  aus  dem  Sieden  oder  der  Veränderung  von  Blut,  Milch. 
Wein,  Wasser  oder  eines  Tieres  ergibt  sich  ein  gleiches  Vorzeichen.  Ein  im  Baum 
steckendes  Messer  wird  rostig,  ein  Kingstein  trübt  sich,  ein  Kleid  verändert  die 
Farbe  usw.  Besonders  behandelt  werden  die  abergläubischen  Vorstellungen,  die 
sich  an  Kerzen,  Spiegel  und  Bilder  knüpfen.  —  (J.  Horiik. 

Jakobus  Reimers,  Das  Adlerwappen  bei  den  Friesen.  Oldenburg,  (terh.Stalling 
1914.  210  S.  8°.  —  Von  den  Geschlechterwappen  der  Friesen  zeigt  etwa  die  Hälfte  neben 
•den  unterscheidenden  Familienzeichen  als  gemeinsames  Wajipenbild  im  Schilde  den 
halben  Adler,    der    im    übrigen    Deutschland    nicht    entfernt    so    häutig    vorkommt 


Notizen.  1,")7 

Diese  auffällige  Tatsache  sucht  die  Studie  zu  erklären  Uer  Adler,  seit  Karl  dent 
tirossen  das  Reichshoheitszeichen,  durfte  von  den  Inhabern  eines  kaisci liehen 
Amtes,  z.  ß.  den  Richtern,  im  Wappen  geführt  werden.  Während  im  Reiche  die  Anz;ihl 
der  Schöffenbarfreien,  welche  das  Recht  zum  Richteramt  besassen,  unter  dem  Einfluss- 
des  Lelinswesens  immer  geringer  geworden  war,  blieb  in  l-'riesland  der  freie  i-ruts- 
besitzerstand,  der  durch  seine  Güter  zum  Richteramt  berechtigt  war,  bestehen.  Die 
Bemerkungen  über  Wappen  und  Hausmarke  sowie  die  ausführlichen  Darlegungen 
über  die  friesischen  Bevölkerungsgruppen  sind  auch  für  die  Volkskunde  von 
Interesse.  —   (O.  E.) 

M.  Rothbarth.  Volkskunde  und  Nibelungenlied  (Zs.  f.  den  deutschen  l'nter- 
richt  32,  266-276)  —  Wie  Samter  (N.  Jahrb.  f.  das  klass.  Altertum  34,  n08;  im 
Homerunterricht  den  augenscheinlichen  Nutzen  einer  Heranziehung  der  Volkskunde 
erwiesen  hat,  so  zeigt  Fräulein  R.,  wie  das  Verständnis  des  Nibelungenliedes  durch 
Heranziehung  der  Etymologie,  der  Sagen  und  Märchen,  der  niederen  Mythologie, 
des  Aberglaubens  und  der  Volksbräuche  gefördert  werden  kann.  —  'J.  B.) 

Rubelin,  Über  Hauszeichen  im  Oderbrueh  (18(15;  hsg.  von  P.  Hoffmaiin.  Zs. 
f.  Ethnologie  1918,  64     K)). 

H  Schneider,  lihlaiid  und  du-  cIiuIncIm-  Heldensage.  (.\l)h.  der  Herliner 
Akadernie,  phil.-hist.  Kl.  1918,  nr.  9).     91  S.  4". 

H.  Spies,  Englischer  Kriegsaberglaube  in  Volk  und  Heer  'Neue  l'reussische  ■ 
Zeitung  1918,  4    und  11.  August,  nr.  :i9:i  und  4061 

F.  Teutsch,    Von  unsern  Glocken  (Kbl.  f.  .«iebenbg.  Landeskunde  41,  21-23\ 

J.  Turi,  Das  Buch  des  Lappen  Johan  Turi.  Erzählung  von  dem  Leben  der 
Lappen.  Herausg.  von  Eniilie  Demant ,  übers  von  Mathilde  Mann.  Frankfurt  a  M.. 
Rütten  &  Loening  1913.  XIX,  262  S.  14  Tafeln.  8".  Geh.  .')  Mk.,  geb.  6,.50  Mk.  — 
Das  eigenartige  Buch,  verfasst  von  einem  beredten  Gliede  des  absterbenden  Volkes 
in  Europas  hohem  Norden,  schildert  das  Nomadenleben  der  Lappen,  ihre  Sitten, 
Gebräuche,  Sagen  und  Märclren.  Das  Bild,  das  wir  auf  diese  Weise  vom  heutigen. 
Volksleben  der  Lappen  erhalten,  weicht  in  manchen  Zügen  wesentlich  von  den 
früheren,  wissenschaftlich'en  Darstellungen,  besonders  von  I.  A.  Friis,  ab  und  zeigt 
ein  allmähliches  Verblassen  der  ursprünglichen  Farben  und  Eindringen  fremder 
Bestandteile,  ist  aber  immer  noch  äusserst  fesselnd  und  eigenartig.  Die  Heraus- 
geberin, die  über  ein  Jahr  lang  mit  Turi  zusammen  gelebt  und  ihn  bei  der  unge- 
wohnten Arbeit  des  Schreibens  unterstützt  hat,  war  bemüht,  in  der  von  ihr  ver- 
fassten  dänischen  Übersetzung  das  Sprunghafte  und  zum  Teil  Ungelenke  der  Dar- 
stellung beizubehalten,  worin  ihr  die  deutsche  Übersetzerin  folgt.  Vielleicht  ist  sie 
in  dieser  Ueziehung  bisweilen  zu  weit  gegangen,  so  dass  manches  unverständlich 
bleibt  Besonderes  Interesse  verdienen  die  beigegebenen  Zeichnungen  Turis.  Die 
Ausstattung  des  Buches  ist  sehr  geschmackvoll.  —  (F.  B.) 


Wilhelm  Wisser, 

unser  verehrter  Mitarbeiter,  feierte  am  27.  August  seinen  75  Geburtstag.  1843 
zu  Klenzau  bei  Eutin  geboren,  studierte  er  in  Leipzig  klassische  Philologie  und 
wirkte  als  Oberlehrer  lange  Zeit  am  Gj^ranasium  zu  Eutin.  Hier  begann  er  die 
plattdeutschen  Märchen  seiner  holsteinischen  Heimat,  die  dort  noch  in  reicher 
h'ülle  leben,  zu  sammeln  und  in  wissenschaftlichem  Geist  und  mit  feinem  Stil- 
gefühl ausgewählte  Stücke  zu  veröffentlichen.  Seinen  drei  Bändchen  'Wat  Grot- 
moder  verteilt'  (1904—1909)  und  seinen  Plattdeutschen  Volksmärchen'  (1914) 
soll  noch  eine  grosse  Ausgabe  mit  Varianten  und  Anmerkungen  folgen,  zu  deren 
Vollendung  wir  ihm  von  ganzem  Herzen  Gedeihen  wünschen.  J.  B. 


1  fit!  Notizen. 

•dass  ein  Stainin-  oder  l'i'rsoncimainc  iiiii  so  iindiirchsichtispr  zu  sein  pflege,  je 
echter  und  älter  er  sei.  In  sriii'unatischcr  Hinsicht  stellt  er  fest,  dass  der  Name 
<}ermani  ein  langes  a  habe  und  mit  dem  lateinischen  Adjektivum  gertnanus  (=  echt, 
unverfälscht)  nur  den  Lauten  nach  übereinstimme;  ethnologische  Tatsachen  von 
Interesse  sind  die  von  Plinius  erwähnten  Orotani  Germani  in  Spanien  und  die  von 
Drosius  und  Livius  bezeugten  Galli  (Jerniani  sowie  die  S<'migfrmanao  genfos  in  den 
Westalpen.  —  (,I.  B.) 

A.  Olrik,  UudefremstillingLr  p:i  guldhoinene  og  andre  a-ldre  niindesiniirker 
(Danske  Studier  1918,  1  -  35  mit  8  Bildertafeln").  -  Die  nachgelassene  Abhandlung 
weist  die  drei  urnordischen  Hauptgötter  Odin.  Thor  und  Fröj  in  Denkmälern  der 
Völkerwanderungs-  und  der  Wikingerzeit  nach.  Ausser  diesen  erkennt  Olrik  auf 
den  beiden  (Toldhörnern  von  Tondern  und  auf  den  Bronzeplatten  aus  Öland  die 
Haddinge  als  ein  Kriegerpaar.  .\lf  als  einen  Mann  mit  zwei  Dolchen.  Tiu  einen 
Men.schen  opfernd  und  den  woUVköpfigen  'I'vr  Inter  den  zwölf  (TÖttern  des 
Gundestruper  Kessels  zeigt  Odin  den  Typus  des  gallischen  Kemunnos  und  Thor 
den  des  gallischen  Jupiter.  Ferner  bespricht  der  Vf.,  der  in  seinen  Deutungen 
mehrfach  Worsaae  folgt,  Darstellungen  Odins  zu  Pferde  und  Tyrs  mit  dem  Fenris- 
wolf  und  die  verschiedenen  Göttersymbole.  Nebenher  ergibt  sich,  dass  Odins  Ver- 
ehrung nicht  erst  in  der  Wikingerzeit  aufgekommen  ist.  —    .1.  R. 

Kd.  Otto,  Deutsches  l-'rauenleben  im  Wandel  der  .lalirhunderte.  .">.  .\ufl. 
Leipzig,  Teubner  1918.  IV,  12S  S.,  geb.  l.fjO  M.  lAus  Natur  und  Geisteswelt  -l.'i).  — 
Das  Büchlein  stellt  einen  wohlgelungenen  Versuch  dar,  das  deutsche  Fraueuleben 
von  der  Urzeit  bis  zum  Heginn  des  19.  Jahrh.  im  T'mriss  /m  zeichnen.  O.  weiss  die 
■wesentlichen  Züge  der  acht  Perioden,  in  die  er  diesen  Zeitraum  zerlegt,  rechlliclie 
Stellung,  Beschäftigung,  Tracht,  Bildung,  sittlichen  t'harakter,  kurz  und  fasslich 
darzulegen  und  belebt  die  Darstellung  durch  Kinzell)ilder  hervorragender  Frauen 
■wie  Radegunde,  Charitas  Pirkhcimer,  Elisabeth  Charlotte  von  der  Pfalz,  die  Gott- 
schedin, Eli-sa  v.  d.  Recke,  Bettina  v.  Arnim.  Wenn  auch  der  Kundige  die  einge- 
streuten Hinweise  auf  die  benutzten  Quellen  zu  deuten  weiss,  so  wären  vielleiclit 
für  manche  Leser  genauere  I-iteraturangaben  erwünscht  i.I.  B  ) 

•Johannes  Pesch,  Die  Glocke  in  Geschichte,  Sage,  Volksglaube.  V'olksbrauch 
und  Dichtung.  Dülmen  i.  W.,  A.  Laumann  [1918]  192  S  kl  8".  kart.  l,vS()  M.  — 
Weiteren  Kreisen  wird  das  Büchlein  willkommen  sein,  das  ohne  gelehrte  Ansprüche 
allerlei  Wissenswertes  über  die  Glocken  zusammenträgt.  Der  Forscher  freilich 
wird  genauere  Literaturangabon  und  ein  Zurückgehen  auf  die  älteren  Quellen  ver- 
missen. Das  Ritual  der  katholischen  Glockenweihe  teilt  P.  in  Verdeutschung  mit. 
zahlreiche  Glockensagen  erscheinen  in  novellistischer  .Ausschmückung  oder  in 
metrischer  Bearbeitung.  \'on  den  Glockenopfern,  die  der  Weltkrieg  erfordert,  und 
von  dem  Glockenglauben  der  letzten  Jahre  handelt  S.  140-14G.  Auch  die  den 
Schlu.ss  bildenden  Proben  der  Glockenlyrik  sind  zumeist  jüngsten  Datums.  —  (J.  B.) 
J.  Polivka,  The  life-tokens  in  tolktales,  custom  and  belief  (Oecliisch  aus: 
Närodopisnj'  V&tnik  ceskoslovansk^  12).  Prag  1917.  96  S.  8".  -  Ausführlicher  als 
E.  S.  Hartland  in  seiner  "Legend  of  Perseu.s'  2,  1-54  bespricht  P.  die  Lebenszeichen 
und  Todesahnungen  in  Volksüberlieferung,  Aberglauben  und  Hrauch,  namentlich 
slavisches  Material  neu  verwertend.  Ein  welkender  Baum  bedeutet  eine  Krankheit 
oder  den  Tod  des  Helden,  aus  dem  Sieden  oder  der  Veränderung  von  Blut,  Milch, 
Wein,  Wasser  oder  eines  Tieres  ergibt  sich  ein  gleiches  Vorzeichen,  Ein  im  Baum 
steckendes  Messer  wird  rostig,  ein  Kingstein  trübt  sich,  ein  Kleid  vi'rändert  die 
Farbe  usw.  Besonders  behandelt  werden  die  abergläubischen  Vorstellungen,  die 
sich  an  Kerzen,  Spiegel  und  Bilder  knüpfen.  —  (J.  Horak. 

Jakobus  Reimers,  Das  Adlerwappen  bei  den  Friesen.  Oldenburg,  ( ierh.  Stalling 
1914.  210  S.  8°.  —  Von  den  Geschlechterwappen  der  Friesen  zeigt  etwa  die  Hälfte  neben 
•den  unterscheidenden  Familienzeichen  als  gemeinsames  Wappenbild  im  Schilde  den 
halben  Adler,    der    im    übrigen    Deutschland    nicht    entfernt    .so    häutig    vork(Miinit 


Notizen.  1,')7 

Diese  auffällige  Tatsacfie  sucht  die  Studie  zu  erklären  Der  Adler,  seit  Karl  dent 
Grossen  das  Reichsholicitszeichen,  durfte  von  den  Inliabern  eines  kaiserlichen 
Amtes,  z.  ß.  den  Richtern,  im  Wappen  geführt  werden.  Während  im  Reiche  die  Anzuhl 
der  Schöffenbarfreien,  welche  das  Recht  zum  Richteramt  besassen.  unter  dem  Eintlusa 
des  Lehnswesens  immer  geringer  geworden  war,  blieb  in  t'riesland  der  freie  liuts- 
besitzerstand,  der  durch  seine  Güter  zum  Richteramt  berechtigt  war,  bestehen.  Die 
Bemerkungen  über  Wappen  und  Hausmarke  sowie  die  ausführlichen  Darlegungen 
über  die  friesischen  Bevölkerungsgruppen  .sind  aucfi  für  die  Volkskunde  von 
Interesse.  —   (O.  E.) 

M.  Rothbarth.  Volkskunde  und  Nibelungenlied  (Zs.  f.  den  deutschen  Unter- 
richt 32,  266-276)  —  Wie  Samter  (N.  Jahrb.  f.  das  klass.  Altertum  34.  .008;  im 
Homerunterricht  den  augenscheinlichen  Nutzen  einer  Heranziehung  der  Volkskimde 
erwiesen  hat,  so  zeigt  Fräulein  R.,  wie  das  Verständnis  des  Nibelungenliedes  durch 
Heranziehung  der  Etymologie,  der  Sagen  und  Märchen,  der  niederen  Mythologie, 
des  Aberglaubens  und  der  Volksbräuche  gefördert  werden  kann.  —  ',J.  B.) 

Rubehn,  Über  Hauszeiclien  im  Oderbruch  (1865;  hsg.  von  P.  Hoft'mann.  Zs. 
f.  Ethnologie  1918,  64     69). 

H  Schneider.  I'hlaud  und  dir  diMil.wche  Heldensage.  (Abh.  der  Berliner 
Akademie,  phil.-hist.  Kl.  1918,  nr.  9).     91  S.  4". 

H.  Spies,  Englischer  Kriegsuberglaube  in  Volk  und  Heer  Neue  Preussische  ■ 
Zeitung  1918,  4    und  11.  August,  nr.  :i9:i  und  406) 

F.  Teutsch,    Von  unsern  Glocken  (Kbl.  f.  siebenbg.  Landeskunde  41,  21-23). 

J.  Turi,  Das  Buch  des  Lappen  Johan  Turi.  Erzählung  von  dem  Leben  der 
Lappen.  Herausg.  von  Emilie  Demant,  übers  von  Mathilde  Mann.  Frankfurt  a  M., 
Rütten  &  Loening  1913.  XIX,  262  S.  14  Tafeln.  8".  Geh.  .ö  Mk.,  geb.  6,.50  Mk.  — 
Das  eigenartige  Buch,  verfasst  von  einem  beredten  Gliede  des  absterbenden  Volkes 
in  Europas  hohem  Norden,  schildert  das  Nomadenleben  der  Lappen,  ihre  Sitten, 
Gebräuche,  Sagen  und  Märchen.  Das  Bild,  das  wir  auf  diese  Weise  vom  heutigen 
Volksleben  der  Lappen  erhalten,  weicht  in  manchen  Zügen  wesentlich  von  den 
früheren,  wissenschaftlichen  Darstellungen,  besonders  von  I.  A.  Friis,  ab  und  zeigt 
ein  allmähliches  Verblassen  der  ursprünglichen  Farben  und  Eindringen  fremder 
Bestandteile,  ist  aber  immer  noch  äusserst  fesselnd  und  eigenartig.  Die  Heraus- 
geberin, die  über  ein  Jahr  lang  mit  Turi  zusammen  gelebt  und  ihn  bei  der  unge- 
wohnten Arbeit  des  Schreibens  unterstützt  hat.  war  bemüht,  in  der  von  ihr  vor- 
fassteu  dänischen  Übersetzung  das  Sprunghafte  und  zum  Teil  Ungelenke  der  Dar- 
stellung beizubehalten,  worin  ihr  die  deutsche  Übersetzerin  folgt.  Viellei<ht  ist  sie 
in  dieser  Hezieliung  bisweilen  zu  weit  gegangen,  so  dass  manches  unverständlich 
bleibt.  Besonderes  Interesse  verdienen  die  beigegebenen  Zeichnungen  Turis.  Die 
Ausstattung  des  Buches  ist  sehr  geschmackvoll.  —  (F.  B.) 


Wilhelm  Wisser, 

unser  verehrter  Mitarbeiter,  feierte  am  27.  August  setnen  75  Geburtstag.  1843 
zu  Kienzau  bei  Eutin  geboren,  studierte  er  in  Leipzig  klassische  Philologie  und 
wirkte  als  Oberlehrer  lange  Zeit  am  Gymnasium  zu  Eutin.  Hier  begann  er  die 
plaltdeutschen  Miirchen  seiner  holsteinischen  Heimat,  die  dort  noch  in  reicher 
Fülle  leben,  zu  sammeln  und  in  wissenschaftlichem  Geist  und  mit  feinem  Stil- 
gefühl ausgewühlte  Stücke  zu  veröffentlichen.  Seinen  drei  Bändchen  'Wat  Grot- 
moder  verteilt'  (1904—1909)  und  seinen  -Plattdeutschen  Volksmärchen'  (1914) 
soll  noch  eine  grosse  Ausgabe  mit  Varianten  und  Anmerkungen  folgen,  zu  deren 
Vollendung  wir  ihm  von  ganzem  Herzen  Gedeihen  wünschen.  J    B. 


I^eo-ister. 


Dil'  Xaincn  di-r   Mitarbeiter  sind   kursiv  i;ednu-kt 


Aarne,  A.  1-lS 
Aberglaube:  Hasiiisk-l;>     ^9. 

Gans  7.      Kobold   41— fili. 

Krieg  1Ö7. 
Abraham  a  S.   Clara  132 
Abzählroimo  15.  21. 
Adlerwappeu  löö. 
ÄKvpteii  i'.i. 
AhVens,  W.  149. 
Albanien  7."} 
Albers,  J.  II.   löO. 
Albertus  Magnus  47. 
Alexander  der  Grobe  -1.') 
Alraun  öö 
Ameisen  öö 
Arabien  48. 

Ha  den  111. 

Hallz.  J.  145. 

Basilisk  4;i-49. 

Hauer  in  der  Kirche  88-91 
-leben  7()— 78.  -marken  l,j2. 

Bayern:  Lied  90f. 

Berdyuzewski,  M.  l.>i. 

Berlin:   Weihnachtspiel  14') 

Bickel  27. 

Blick,  biiser  4.i. 

HUmiauer,  A.  90    lut;. 

Bock.  H.  9i;. 

BOli-,  /•',  Notizen  löo.  1");!. 
157. 

Böhmen:    Aberglaube  49. 
Lied  7  I  f.  73.  Schwank  1 :!  1  f 

B'dif,  J.  41.  ICK).  150  Zum 
deutschen  Volksliede  (iö 
bis  78  Der  Kauernjunge 
in  der  Landslmter  \  esper 
89  91.  Volkslieder  aus 
dem  Odenwald,  Aum.  92 
Ijis  9ö.  Hiitts  Gott  nicht 
erschaffen  9öf.  Das  King- 
lein sprang  entzwei  99 
Kunstlieder  lOO.  Drei 
deutscheHaussprüche  und 
ihr  Ursprung  113—121) 
Zu  Bürgers  Miinchhauseu 
129  f.  I-Ie.ssische  Volks- 
schwänko  vom  Jahre  ISI 1 
132  —  13.^.  Hie  Siheiine 
brennt  137.  Das  angeb- 
liche Berliner  Weihnacht- 
spiel von  1Ö97  14Ö  — 147. 
Notizen  148-157.  i 

Bonnart  57. 


Bosnien  53. 
Bousset,  W.  154. 
Hrechenmacher,    .1.  K.    117 
Brekel  27. 
Bietague  GS.  74. 
Brockelmann,  ('.   117. 
Brunner,  K.     Die  Garn  weife 
oder   Garnhaspel    50  — 03. 
Buddha  119. 
Bukowina  53. 
Bulgarien:  Lied  71.  75. 
Bürger,  J.  G.   129. 

Caland.  W.  120 

Castelli,  J.  F.  102. 

Chaidin  117. 

Chidr  118. 

China  48.  75 

Christensen,  .\.    151. 

Clauss  -  Mangler,  I,  Volks- 
lieder aus  dem  Odenwalde 
92  -  95. 

Clfineii,  C.  Der  Ursprung  des 
Martinsfestes  1  —  14. 

de  Cock,  A.   150.  151. 

Cechisch:  s.  Böhmen. 

I  aluiatien  52. 

Dütiemark:  Aberglaube  48. 
Lied  00.73.75.94  Schwank 
Liiif    Segen  147. 

Dankzeichen  für  Volks- 
kunde 50. 

Demant,  E.  157. 

Drache  54  f. 

Dreikönigstag  138. 

Dreizehnerfest  138. 

Dürer,  A.  47. 

Dux  91. 

Kberle,  M    152. 

Ebeiniaini.  (>.  Kine  Warnung 

vordem  .\Ieinoid  140  -145. 

Bespr.  147.     Notiz  15t') 
Ei  41     50. 

V.  Eichendorff,  ,1.  99. 
Einschiebsel  in  Namen    15 
Elias,  Abt  115. 
Ernjicdokles  117 
England:  Aberglaube  48  55. 

157.    Fest  5.    Lied  73. 
/•Jiii/Icit,  A.  Hätts  Gott  nicht 

erschaffen  95  -  96. 
Erfurt  4. 


Erk.  I.   .s;if 
Krutebräuche  4  f. 

Ferideddin    Attar  118. 

Feste  des  Jahres  1,50.  Ernte  4. 
Martins  1  -  14. 

Finnland:  Kalewala  75. 

Firmenich,  J.  M.   110. 

Fischart,  J.  90. 

Fischir,  II.  Ein  studentischer 
Brauch   110. 

Flämisch:  Glaube  u.  Brauch 
150.  Lie<ler  152  Schwank 
130. 

Fliege  ,55 

Frankreich  :  Aberglaube 48 f. 
Lied  07  73f.  95.  Martins- 
tag 5.     Schwank  132. 

Frauenleben  1,5G. 

Fliesen  150. 

(lians  1  —  14.  Gansreiten  (i. 
Heilkraft  7. 

Garbe  5. 

Garnweife  50     63  -winde  02 
l  Gonee.  K.  lüS. 
1  Georg,  der  hl.  151. 

)•   Oeramb,  V.     Steirische 

Volksmärchen  120-124. 
'  Germani  1,')5. 

(Jeschwisterliebe  75. 

Glocken   15t).  150.  157. 

Gmür,  M    1,52. 

V.  Goeckingk,  L.  109. 
I  Goethe,  J.  W.  75.  99.  1 19  139. 
;  Gorion,  M.  J.  bin  1.5:v 

Gregor  der  Große  44. 
I      G.  von  Tours  3. 

Gregoriuslegende  75 

Griechenland  74.  113. 

Grimm,  ,1.  129.  .1.  u.  W.   liW. 

Grisebach,  E.  129. 

Gümbel-Seiling,  M.  151. 

II aararbeiten  04. 
Haaß-Berkow,  G.  151 
Hahn  5.  roter  ,54.  legt  Ei  44  f. 
Hannover  79. 
Nasehvurm  49. 
Haspel  58. 
llauffen,  A.  1.53. 
Haus-geist49,53.  -Inschriften 
111- 119. -zeichen  152.  1Ö7. 
Heldensage  157. 


Register. 


159 


Henne,  schwarze  .Mi  ' 

Hessen:  Volksschwiinke  1.'!.?. 
Hieronymus  lUi.  I 

Hilka,  A.  lf)4 

Hüte  28.  _  I 

Hinterpommern  137  ' 

Hobelbank  iReime)  137 
Hof  am   Habichtswald    133. 
Hol'fmann    v.    Falleralebeu, 

A.  H    8H. 
Hoft'iiiann,  J.  l.')7. 
Holstein  130 

HoTfik,  J.  72.  7ü.   Notiz  1Ö6. 
HorapoUo  43.  47. 

Ibis  4:; 

Iminerniaiin,   K     1111 
Indien  7.").   11  lt. 
Iringswei;   1.Ö4. 
Island:  .-Vberglaube  48 
Italien:  Aberfjlaube  4'.). 
Lied  (58.  73 f.    Novelle  154. 

Joste.><.  F.   lö"i. 

Juden:  .Sagen  l.")3.  Schwank 

IL'G. 

.Jiidiselideut.sch:   Lied  71. 
Jüngst  7i»  -  Hl. 
Jiirgensen,  W.  2 

Hagerer,  J.  M.  '.U 

Kalewala  7ö 

Kampfgespräche  77. 

Katalonien:  Lied  6!l    74. 

Kaufmann,  H   57. 

Keim,  Ph    lül. 

Keller,  W.  154. 

Kind:  Sprachspiel  15  —  25. 

V.  Kleist,  H.  114.  119. 

K  Ucker  32. 

Kloppelniasclrine  64. 

Knöchel  26      -spiel  30 

Kiioop,  (>.  Der  Gesiindhcits- 
brimuen  124 — 126. 
Sehwanke  aus  Hinter- 
pommern 137  f. 

Konrad  von  Würzburg  44. 

Konvergenz  154 

Kopp,  A  Lieben  kein  Ver- 
brechen H7f. 

Korb  verbrannt  9 

Kote  (Knöchel)  27. 

Krause,  F.  1.33. 

I,andshut  .SS. 

Lappen  157. 

Lebenszeichen  156. 

Legende  152    154. 

Lemke,  E   26. 

Lessing,  G.  E.  75. 

Letten  52. 

Liebe  95-07. 

Lied:  bretonisch 68  dänisch 
66.  69.  71.  deutsch  65  bis 
113.  flämisch  152.  fran- 
zösisch 67.  italienisch  68. 
niederländisch  71.  86  por- 
tugiesisch 68.  schwedisch 
70f.  slawisch  71.  spanisch 


69.  Kinderlieder  111-113. 
Kunstl.  99  - 1  lo.  Bauern- 
lebcn  76.  Der  geschlagene 
l'.hcmann  94.  Ein  Schiff- 
lein sah  ich  fahren  79 
Graf  u.  Nonne  85,  Guter 
Mond  98.  Heil,  drei  Könige 
92.139.  Heimkehr  des  Ge- 
liebten oder  Gatten  73f. 
Landshuter  Vesper  88. 
Lieben  kein  Verbrechen 
97.  Marias  Wandrung  93. 
Mordeltorn  73.  Schwester 
wiedergefunden  7U  Ver- 
suchung ()5  Weihnacht 
146    Wildschütz  m. 

Loetre,  11.  Der  Schwank  vom 
Zeichendisput  126-129. 

Lübeck  136. 

Lücke,  If.  Ein  Schifflein  sah 
ich  fahren,  Kapitän  und 
Leutenant  79  —  88 

Lüdtke,  W.  153 

V.  Luschan,  F.  153 

Luther,  M.  12.  95.  114.  119. 
139. 

Lynar,  Graf  H.  F.   129. 

Mann,  M.   155 

Märchen:  deutsch  120-126. 
persisch  151  pommerisch 
124.  steirisch  120  Brüder 
Grimm  150.  Bärenhaut  50 
Brüderchen  u  Schwester- 
chen 120.  Der  reiche  Mann 
und  sein  Schwiegersohn 
148.  Fürchten  lernen  123. 
Naturgeschichtlich  151. 
Wasser    des  Lebens    124. 

Martin,  der  h.  1.  Fest  1  -  1-1. 
Feuer  8f    Gans  If 

Mecklenburg  126. 

Megenberg,  K.  v.  45. 

Meier,  J.  79. 

Meineid  140. 

Meisingei;  0.  Wurstreime  aus 
Baden  111-113. 

Meissner,  R    154. 

Meistersinger  76. 

Memel,  J.  P.  de  65. 

Meyer,  W    154. 

Michel,  der  deutsche  153 

Milchstraße  154. 

Minden,  G.  56. 

Mitzschke,  P.   1.5.5. 

Mölln  113. 

Montenegro  53. 

Müller,  C.  111.    J.  S.  97. 

Müller,  Jos.  Das  Fangstein- 
chenspiel in  den  Rhein- 
landen 26—41. 

V.   Miinchhausen.   K.  F.  H. 
129 

Vamen,  sonderbare  135. 
Nibelungenlied  154.  157. 
Niederlande:  Lied  8.  71.  73. 

86:«.  . 
Nilson,  J.  E.  59. 


Norden,  E.  155. 
Norwegen:  Lied 


1.  95. 


Odenwald.   Lied  92-9.5. 
Gdin  156. 
Ohrt    F.  147. 
Ulrik,  A.  70    l.j6 
Opfer  (!. 

Orakel:    Gans   7.      Lebens- 
zeichen 155. 
Osterreich  42. 
Osterspiel  151. 
Otto,  E.    1.56 

j  l'ansiv,  Le  (Kell)  97. 
'  Persien  117.   i51. 
I  Pesch,  J.  1.56 
Petrus  107 
Pfarrius,  G.  99. 
Physiologus  44. 
I'lacidas-Fhistachius  154. 
l'linius  43. 

Polen:  Aberglaube  .50.  Lied 
71  f  74    Schwank  131.  137. 
l'oHrku,    G.     1.50.    156.     Die 
Entstehung  eines   dienst- 
baren Kobolds  aus  einem 
Ei  41-56. 
Pope,  A.  97. 
'Portugal:  Aberglaube  49. 
I      Lied  68.  74. 
!  Posen  137. 
;  Puk  42. 

I  Quadrate,  magische  149. 
1  Quartettmutzelsuppe   140. 

JJad,  brennendes  8. 
;  Raspe,  R   E    129 

Redentin  151. 

Reimers,  .7.  1.56 

Reimspiel  15  f. 

Rheinland    12.  26-4!      138. 

Richeome.  L.  152. 

Richlei;  1'.  K  Der  Bauern- 
junge in  der  Land-huter 
Vesper  88 f 

Rothbarth,  M     15,. 

Rubehn   157. 

Rücklauf  von  Wörtern  23 

Rügen  42. 

Rumänien  73. 

Russland:  Aberglaube  51. 
Lied  71  f.     Schwank  131  f. 

Sachs,  H.  132.  151. 

Sagen:  Alexander  45.  Bac- 
queville  152.  flämisch  150. 
jüdisch  153. 

Salzburg  91. 

Schauspiel:  s  Osterspiel, 
Volksspiele,  Weihnacht- 
spiel 

Schell.  O.  Das  Dreizehnerfest 
in  Windhagen  bei  Gum- 
mersbach 138-140. 

Scheune  brennt  135. 
1  Schiller,  F.  45.  75. 


1W> 


Repister. 


Schlag"; 
fragen 


,lr-i 


linigo  Griinil- 
Kinder.siiii'l- 


l'orschunj;  1") 

Schlange  -üif. 

Schlesien:  Siiiiinstiibe  .')(> 

Schneider,  li.  l.'iT. 

Scholz,  ().  :ü.  ti2f. 

Schrägen  58. 

Schroer,  K.  .1.  151. 

Schuchardt,  H.  ö'.l. 

Schultz,  K.  \V.   KJö. 

Schwank;  hessisch  VA'A  -  VMv 
persisch  l.")l.  pommerisch 
137  f.  Mann  aus  dem  Para- 
diese 148.  Müuchhausen 
129  — i;i2.  Scheune  brenn! 
135.  Schulzenpriifung  137. 
Schwerhihige  148.  Spiel- 
mann.sniilrlein  123.  Wette 
des  schweigenden  Ehe- 
paars 135.  Zeichendisput 
12G. 

Schweden:  Aberglaube  41. 
48.     I.ied  70   73. 

Schweiz:  Aberglaube  42.  49. 
Bauernniarken  1Ö2. 

Segensfornieln   147. 

Serbokroaten  75. 

Siebenbürgen  53. 

Sinirock,  K.  2. 

Skandinavien:  Götterdar- 
^tellungen  15ü. 

Slovaken:  AVjerglauben  öo. 
Lied  71  f. 

Slovenen:  Aberglauben  52. 
Lied  721  75 

Sökeland,  H.  58. 

Soldaten   1.50 


Spanien:  Aberglauben  49. 
Lied  ti9.  74. 

Sperontes  (Scholz)  97. 

Spiegel  45.   131. 

.Spiel:  Fangsteineheu  2(>  41. 
Gesellschafts-  150.  Kin- 
der- 15  —  25.  Heim-  32  I. 
Sprach-  15—25. 

Spies,  H.  157. 

Spiritus  familiaris    II. 

Sprache:  (Teheini-  22. 
Mischung  24. 

Spriclnvorl  9    151. 

Spruch:  DasHiiigleiu  sprim;; 
entzwei  9S.  Halts  Goli 
nicht  erschalfen  95.  Haus- 
sprüche 113.  Lieben  kein 
Verbrechen  97. 

Stabreim   17. 

Stade  79. 

Steiermark:  Lic(l  7ii.  Mär- 
chen  120. 

."^ternsinger  '  2. 

Stüch-rath.  0  Das  Hiuglein 
sprang  entzwei98f.  Kunst- 
lieder im  Volksuiuiuie  99 
bis  110 

Studenten:  Braui  h  14(».  I.ied 
95.  9;. 

Stilpicius  Severus  8. 

Tertullian  IIG. 
'reufei  51. 
'l'eulsch,  F.  157. 
Thcophilus   151.     Th.   pres- 
byter  44 


Totentanz  151. 
Turi,  .1.  157. 

thland.  T-.  157. 

Ungarn:    Aberglaube  7.   49. 

Vegetationsgeist  getötet  7. 
Vincentius  fiellovacensis  46 
Vokalwechsel   18. 
Volksspiele   151 

Weife  58. 

Weifspille  (53. 

Weihnachtspiel   145-  IL. 
I      151. 
i  Weimar  151. 

Weinitz,  F.  Schmnckgegen- 
stäcde  aus  Menschen- 
haaren (>4  f. 

Weise,  t'hr.  95.  97 

Wenden:  Lied  71  f. 

Wihl,  L    107. 

Windhagen  138. 

Winterfeier   14 

Hasser,  \i'.  157.  Die  Scheune 
brennt!  oder  die  sonder- 
baren Namen  135f. 

Witz  155. 

Wolf  3. 

Wurstreime  111. 

/achariae,  Th    1 17. 
Zählsprüche  (12. 
Zahlbuchstaben  gedeutet 

137. 
Zauberformeln  23. 


Thomas  Cantiuipratensis4(i.  j  Zeichendisput  12() 
'l'hor  16().  '  Zigeuner  48. 


-.-^<f.'—  **  >♦ 


l>rurk  TOI»  (Jebr.   Untrer  m   Berliu.  BerBlturRer  SlrnsR*  'Mi. 


GR 
1 

Z4 
Jg.  28 


Zeitschrift  für  Volkskunde 


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