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ZEITSCHRIFT
des
Vereins für Volkskunde.
Begründet von Karl Weinhold.
Unter Mitwirkung von Johannes Bolte
herausgegeben
von
Fritz Boehm.
28. Jahrgang.
Mit 3 Tafeln Al.bildnngen.
BERLIN.
BEHREXD & CO.
11) IS.
1918.
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Inhalt.
Abhandlungen und grössere Mitteilungen.
Seile
Der Ursprung des Martinsfestes. Von Carl Giemen . 1 — 14
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung 2. Kind vmd Sprachspiel
(Fortsetzung). Von Georg Schläger 15—25
Das Fangsteinclienspiel in den Rheinlanden. Von .Josef JlUller . . . . 2C— 41
Die Entstehung eines dienstbaren Kobolds aus einem Ei. Von Georg
Polivka 41-56
Die Garnweife oder Garnhaspel. Von Karl Rrunner mit vier Abbildungen
auf Tafel 1) 56-G3
Schmuckgegenstände aus Menschenhaaren. Von Franz Weinitz mit
drei Abbildunsen auf Tafel 2^ (14 - 65
Kleine Mitteilungen.
Zum deutschen Volksliede, 50. Die Vei'suchung. 51. Das Baurenlob.
52. Steirisches Bauernleben. Von Johannes Bolte 65 - 7S
Ein Schifflein sah ich fahren, Kapitän und Leutenant. \'on Wilhelm
Lücke 70—88
Der Rauernjunge in der Landshuter Vesper, ein Handwerksburschenlied
aus dem Anfange des 19. Jahrhunderts. Von Paul Emil Richter. —
Nachtrag. Von J. Bolte 88-91
Volkslieder aus dem Odenwald, 1-4. Von Lina Clauss-Mangler. An-
merkungen von J. Bolte 92-95
Zu dem Spruch: Hätfs Gott nicht erschaffen oben 5, 355\ Von Anton
Englert und J. Bolte 95-96
Lieben kein Verbrechen. Von Arthur Kop)) y 97—98
Das Ringlein sprang entzwei. Von Otto .Stückrath. Nachschrift von
.1. Bolte gg , f|ff
Kunstlieder im Volksmunde, 1 — 8. Von Otto Stückrath 99-110'
Wurstreime aus Baden. Von Ottomar Meisinger 111-113
Drei deutsche Hausspriiche und ihr Ursprung. Von Johannes Bolte . . 113-120
Steirische Volksmärchen. 1. Der goldige Hirsch. 2 Der tapfere Soldat.
3. Spielmannsmärl. Von Victor von Geramb 120-124
Der Gesundheitsbrunnen, ein Märchen aus Pommern. Von Otto Knoop 124-126
Der Schwank vom Zeichendisput. Von Heinrich Loewe 126 — 129
Zu Bürgers Münchhausen, 1. Eine neue Quelle Bürgers 2. Münchhausens
Jagdabenteuer in slawischen Volksschwänken. Von Johannes Bolte
und Georg Polivka 129 — 1.")2
Hessische Volksschwänke aus dem Jahre 1811, 1-5. Von Johannes Bolto 132—135
Die Scheune brennt!' oder die sonderbaren Namen. Von Wilhelm Wisser
und J. Bolte 135 137
Scliwiiiiko aus Hinteipoiniuern, l - o. Von Otlo Knoop 137 - UlS
Das Drt'izehnerfest in Windhagen bei CTiimnieisbach. Von Otto Schell 138— l-lü
Ein studentischer Brauch. Von Hermann l'ischer 1-10
Eine Warnung vor dem Meineid. Von 0.skar Ebermann ,mit einer Ab-
bildung auf Tafel :; 11U~]4.')
Das angebliche Berliner Weihnaehtspiel von }!)'.<!. Von .Tohannes Bolte 14.')— 147
Berichte und Bücheranzeigen.
F. O.lirt, Danmarks TrylU'foniiU'r 1: liiledning og Text i >. Ebermann . 147 — 14S
Notizen (A. Aarne, W. Ahrens, J. H. Albers, Berichte, .1. Bolte und
G. Polivka, A. de Cock, A. Christensen, Deutsche Volksspielo des
Mittelalters, M. Eberle, Flämisches Liederbüchlein, M. Gmür, M. .1. bin
(lorion, A. Haiiffen, W. Keller, F. v. Luschan, R. Meissner, W. Meyer
und W. Bousset, A. Hilka, W. Liidtke, P. Mitzschke, E. Norden,
A. Ülrik, E. Otto, .1. Pesch, J. Polivka, J. Reimers, M. Hothbarth,
Rubohn, H. Schneider, H. Spies, F. Teutscli, .1. Turi 14S— 1Ö7
Willieliii Wissers 75 Geburtstag l.')7
Krurister l.-),S-li;0
Der Krsprimg des Martiiisfestes.
Von Carl Giemen.
Der heilige Martin, dessen Gedächtnis der 11. November geweiht ist,
war zuerst, von seinem 15. bis "20. Jahre, Soldat und soll als solcher
am Stadttor von Amiens jene bekannteste und oft abgebildete fromme
Tat vollbracht, d. h. seinen Mantel mit einem Armen geteilt haben. Schon
als Knabe war er mit dem Christentum bekannt geworden, wollte auch
bereits mit 12 Jahren Klausner werden, liess sich mit 18 taufen und
lebte, nachdem er aus dem Militärdienst ausgeschieden und eine Zeitlang
herumgereist war, als Anachoret auf der sog. Hühnerinsel an der genuesi-
schen Küste. Um 370 gründete er bei Poitiers einen Mönchsverband,
vielleicht die erste klösterliche Organisation des Abendlandes, aber schon
ein oder zwei Jahre später wählte ihn die Stadt Tours zu ihrem Bischof.
So errichtete er auf dem andern Ufer der Loire ein zweites Kloster, das
heutige Marmoutiers, in dem er selbst lebte; doch gab er sich nicht der
stillen Betrachtung hin, sondern betätigte sich ungemein eifrig als Mönchs-
vater, Heidenmissionar und Volksarzt. Zwischen 397 und 401 starb er
eines Sonntags um Mitternacht und wurde an einem 11. November bei-
gesetzt'); aber die Art, wie dieser Tag jetit gefeiert wird, wird sich mit
alledem noch in keiner Weise erklären lassen. Vielmehr sind auf ihn
mancherlei wohl uralte Gebräuche verlegt worden, die mit dem Heiligen
ursprünglich gar nichts zu tun hatten; sie lassen sich fast sämtlich um
die beiden bekanntesten, von denen daher hier in erster Linie die Rede
sein soll, gruppieren: das Essen der Martinsgans und das Anzünden des
Martinsfeuers oder der Martinslichter.
L
Von einer Martinsgans hören wir zuerst im 12. Jahrhundert: nach
den Korveier Annalen, die zwar erst im 15. entstanden sind, aber auf
gute Quellen zurückgehen werden, schenkte im Jahre 1171 Othelricus
von Svalenberg den Mönchen des Klosters am Feste des heiligen Martin
eine silberne Gans^). Schon früher wird also eine wirkliche Gans ver-
1) Vgl. zuletzt Bernoulli, Martin von Tours, Realencyclopädie für protestantische
Theologie und Kirche n2, 3891 (1903).
2) Vgl. Leibniz, Scriptores Brunsvicensia illustrantes 2, 308 (1710). Noch andere
ältere Nachrichten führen an J. W. Wolf, Beiträge zur deutschen Mythologie 1, 47 (1852)
und U. Jahn, Die deutschen Opfergebräuche bei Ackerbau und Viehzucht 1884 S. 232.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1918. 1
Giemen :
speist worden sein, wie das seit dem 14. .laliiiiuuilcrt aiicli in eigenen
Martinsgansliedern geschildert wird. Sie sind in grösserer Anzahl und
zusammen mit anderen, nachher noch zu erwähnenden Liedern zuerst von
Sirarock gesammelt und anonym herausgegeben worden unter dem Titel:
„Martinslieder, hin und wieder in Deutschland gesungen von Alten und
von Jungen zu Ehren des bescheidenen Manns (bei einer wohlgebratnen
Gans), mit zweien Vorberichten, die manches Dupkel lichten, in Druck
gegeben säuberlich durch Auserinum Gänserich. Bonn gedruckt in diesem
Jahr, da der Wein geraten war."^) Und in einigen von diesen Martins-
gansliedern wird die Sitte nun auch aus dem Leben des Heiligen erklärt,
am eingehendsten in folgendem:
Der ward also jung erwählet,
Dass er sollte Bischof sein.
Aber das hat erst gefehlct,
Denn er willigt selbst nicht drein;
Und wie man ihn zwingen will.
Da entgeht er in der Still
Und entwischt Gewalt zu meiden,
Will den Bischofhut nicht leiden.
Aber wie er endlich schauet,
Dass die Flucht verraten war,
Siehet er ein Haus gebauet,
Voll von Gänsen ganz und gar.
Das erreicht er ganz erschreckt
Und von Zagen angesteckt,
Sprach: 'Hier will ich mich verkriechen;
Wer wird mich bei Gänsen riechen?'
Aber ach, du bist betrogen.
Mein Martinus, kurz hernach:
Ach die Gans hat nur gelogen.
Da sie dir Geleit versprach.
Denn sobald der Feind nur kömmt
Und dies Haus in Acht nicht nimmt.
Kehrt er durch der Gänse Schreien
Wieder, suchet da von Neuem.
Also wird der Mann gefunden.
Der berühmte Martinsmann,
Kommt zurück zur Stadt gebunden.
Zieht die Bischofskappe an;
Doch dass auch gerochen sei
Dieser Gänse Büberei,
Schlachtet er sie allzusanimen,
Brät sie dann an heissen Flammen.
Daher ist der Brauch gekommen,
Dass man noch die Gänse isst,
So oft diese Tage kommen,
Dass es Martinsabend ist.
Also dass oft Schaden bringt.
Wer zuviel schwätzt oder singt:
Weil die Gänse Schweigen hassen,
Müssen sie sich braten lassen.'-)
Aber das ist offenbar nur eine nachträgliche Kechtfcrtiguug der Sitte;
unsere alten Quellen wissen wohl davon, dass sich Martinus der Wahl
zum Biscliof habe entziehen wollen, aber nicht, dass er von Gänsen ver-
raten worden sei. Und noch weniger ist daran zu denken, dass sie des-
halb ihm zu Ehren gegessen würden, weil er selbst sie besonders ge-
1) Weitere Martinslieder veröffentlichten Keusch, Das Martinsfest, Neue preuss.
Provinrialblätter ISöO, 179ff., Wolf 1, 41ff., Pfannenschniid, Germanisclie Erntefeste
1878 S. 469ff., Jürgensen, Martinslieder (Wort und Brauch G) 1910, bes. S. "8ff.,
Ostheide, Zum Martinsfeste, Zeitschr. für rhein. Volkskunde 1911, 2g4ff.
2) Vgl. Simrock S. 22ff., sowie ausserdem Jürgensen S. Hbf. 149f.
Der Ursprung des Martinsfestes. 3
schätzt hätte und au Unmässigkeit in ihrem Genuss gestorben sei; Martinus
war Tielmehr sehr massig und starb nach dem Briefe des Sulpicius
Severus ad Bassulam an plötzlichem Ki'äfteverfall auf einer Reise *).
Vollends wenn in einem andern Martinsliede die Sitte der Martinsgans
damit begründet wird, dass auf den Rat des heiligen Martin einmal eine
von einem Wolf gefangene Gans diesen betrogen habe, so kann aus einer
solchen Fabel eine Volkssitte noch weniger entstanden sein, ja sie wird
in dem Liede schon vorausgesetzt, sofern die Gans zum Wolf sagt:
Der mir von dir, wolf, half auss not
und mir auch gab den trewen rat,
des bin ich nit vergessen;
der heilige sant Herten hat
mein leib auch helfen essen-).
Indessen vielleicht lösen unsere Lieder doch das Rätsel, dadurch
nämlich, dass sie auch von sonstigen Speisen und Getränken, die man bei
derselben Gelegenheit zu sich nahm, reden. Ja das war schon früher,
bereits gegen Ende des 6. Jahrhunderts üblich — vorausgesetzt, dass sich
der 5. Kauon der Synode von Auxerre im Jahre 590: 'etiam pervigiliae,
qiias in honorem domni Martini observant, omnimode prohibentur") auf
solche Schwelgereien bezieht. Und das ist deshalb wahrscheinlich, weil
der heilige Martin auch bei Gregor von Tours, der 594 starb, schon als
Spender des Weins gilt*). Jedenfalls hören wir von solchen Schwelge-
reien am Martinstag gegen Ende des 12. Jahrhunderts; ja wenu im Jahre
1179 die Kreuzfahrer vor Joppe das Martinsfest in dieser Weise begangen
und dadurch die Stadt verloren haben sollen^), so wird es in ihrer Heimat
schon viel früher üblich gewesen sein. Wie verbreitet die Sitte nament-
lich in Prankreich, der Heimat des Martinskultus, war, geht ja auch
daraus hervor, dass 'faire la Saint Martin' oder 'martiner' gut essen und
1) Vgl. Janssen, Over den oorsprong der St. Maartensganzen (Werken van de
maatschappij van nederlandsche letterkunde, N. R. VI, 174 f. 1S50.)
2) Vgl. Jürgensen S. 137 ff. — Noch andere Erklärungen s. bei Eeichhardt,
Die deutschen Feste in Sitte und Brauch ' 1911 S. 23. Dass die Martinsgans
nichts mit den Gänsen der Juno zu tun hat, braucht wohl, obgleich es von manchen
behauptet worden ist (vgl. darüber Treuer, Untersuchung des Ursprungs und der
Bedeutung des Martinsmannes 1733 S. 77 und auch Pfannenschmid S. 230) nicht
erst bewiesen zu werden; aber auch ihre Zurüekführung auf den heiligen Vogel des
Mars durch Jürgensen S. 69 ff. erscheint mir ganz unmöglich.
3) Vgl. Hefele, Conciliengeschichte 3, 38. -176 (1877:.
4) Vgl. Jürgensen S. 57 f.
5) Vgl. Pfannenschmid S. 499, der weiterhin, ebenso wie Jürgensen S. 53 ff.,
auch andere solche Zeugnisse beibringt. Dagegen ist die Erzählung von Olaf
Trygweson, auf die sich Treuer S. 74, Wolf 1, 441 und Jürgensen S. 59. 61 berufen,
wie letzterer selbst zugibt, wohl nicht mit Sicherheit so zu deuten. Um so mehr
könnten die sog. Martinshörner (vgl. darüber Pfannenschmid S. 216. 495, sowie
Höfler, Sankt Martini-Gebäck, Schweiz. Archiv für Volkskunde 1902, 22ff.) auf diese
Sitte zurückgehen.
1*
4 Giemen:
trinken bedeutet, 'mal de Saint Martin' dagegen Trunkenheit und ver-
dorbenen Magen ^).
Der Grund für diese Feier des Martinstags ist manchmal in griechi-
schen oder römischen Festen gesucht worden, die doch weder zur gloiclien
Zeit gefeiert wurden, noch einem derartigen Volksfest überhaupt zugrunde
liegen können*). Auch zur Vorbereitung auf und Entschädigung für die
Adventsfasten kann das Martinsfest nicht gedient haben'); denn dieses
Fasten, das allerdings mit dem 11. November begann, ist, wenigstens im
Abendlande, nur von den Dienern der Kirche, nicht dem Volke, gehalten
worden*). So wird das Martinsfest vielmehr ein altes Erntefest sein,
wozu ja auch passt, dass an ihm früher die Dienstboten wechselten und
der Pachtzins entrichtet wurde^). Daran erinnern vielleicht zugleich die
Gaben, die am Martinstag von den Kindern eingesammelt werden; aber
davon kann erst nachher eingehender die Rede sein. Hier fragt es sich
noch, ob sich auf diese Weise nun auch die Sitte, am Martinstage gerade
eine Gans zu essen, genügend erklärt.
Allerdings wird die Gans auch zu anderen Zeiten dos Jahres gern
gegessen'), und wenn das doch vor allem zu Martini geschi(»lit (und daher
das Einläuten des Festes in Erfurt geradezu das Gansläuten hiess)'), so
iässt sich auch das mit Leibniz^) und anderen*) ganz einfach daraus er-
klären, dass die Gänse um diese Zeit am fettesten sind. Spricht man doch
auf dem Eichsfelde, wie von dem Gänsemarton, auch von dem Hasen-
barthel (Bartholomäus, 24. August) und Schwienethonimes (Thomas,
21. Dezember), d. h. bringt man doch auch andere Tiere mit Heiligen zu-
sammen, weil sie an deren Festsagen besonders schmackhaft sind'").
1) Vgl. Jürgensen S. 59.
2) Vgl. Treuer S. 76 f., Janssen S. 176, 1 und Alburs, Das Jahr und seine Feste'
1917 S. 2ö8.
3) Gegen Janssen S. 177 f. und die von ihm angeführten GewUhrsmäuner.
4) Vgl. Caspari, Advent, Uealencyclopädie für protest. Thoologio und Kirche '
1, 189 f. (1896, auch gegen RernouUi, Die Heiligen der Merowingerzeit 1900 S. 208.
5) Vgl. Pfaunensclunid S. 237. — Sartori, Sitte u. Brauch :>, 2G6 (1914\ be-
merkt dazu noch: „Es sieht so aus als ob man durch eine Art von Anfangszauber
das künftige Jahr recht günstig beeinflussen wolle, indem man es in Wohlleben
und Oberfluss beginnt. Je mehr man trinkt, desto mehr Schönheit und Stärke
trinkt man sich an."
6) Vgl. Pfannenschmid S. 228.
7) Vgl. ebd. S. 507.
8) Introd. S. 28.
9) Vgl. Treuer S. 78, H. D. bei Simrock S. XXI, Janssen S. 179 und die bei
Pfannenschmid S. 5i>,'tf. angeführten, auch Jahn S. 228, BernouUi, Die Heiligen S. 208,
Nilsson, Die volkstümlichen Feste des Jahres 1914 S. 40, Fehrle, Deutsche Feste
und Volksbriluche 1916 S. 5.
10) Vgl. Pfannenschmid S. 506, auch das von Hildebrand in Cirimms Wörter-
buch IV, 1,1, 1262 ,;i878 angeführte Zitat aus Henisch S. 1497: 'Vögel vor Michaelis
und Giinse nacli Martini seiud nicht am gesundesten zu essen'.
Der Ursprung des Martinsfestes. 5
Gleichwohl liegt die Sache vielleicht noch etwas anders und hat die
Sitte, zu Martini gerade Gänse zu essen, noch einen besonderen Grund.
Um ihn zu entdecken, müssen wir freilich erst einen kleinen Umweg
machen.
Wie die verschiedensten anderen Volker, so haben auch unsere Vor-
fahren angenommen, dass in dem Getreide eine unpersönliche Kraft oder
ein Geist wohne, der, wenn die letzte Garbe geschnitten oder eingebracht
wird, damit er nicht an Altersschwäche stirbt, sondern rechtzeitig durch
einen andern, noch kräftigen Geist ersetzt werden könne, oder damit er
seine Fruchtbarkeit anderen mitteile, getötet und wohl auch gegessen
werden müsse. Das ist freilich nur möglich, wenn dieser Korndämon in
Tiergestalt gedacht wird, sei es als Pferd, Rind, Schwein, Bock, Hase,
Wolf, Fuchs, Hund, Katze oder auch als Hahu^). So wird z. B. in
Fürstenwalde in Brandenburg, wenn die letzte Garbe geschnitten werden
soll, ein Hahn losgelassen und von den Schnittern gefangen. In anderen
Gegenden Deutschlands oder Frankreichs wird er an eine Stange ge-
bunden, mit dem letzten Fuder nach Haus gebracht und dort manchmal
gegessen. Wenn dagegen ein Knecht mit einem Erntewagen umgeworfen
hat, dann heisst es: er hat den Erntehahn verscherzt, d. h. ursprünglich:
er bekommt nichts von ihm zu essen. Zumeist allerdings wird nur ein
künstlicher Hahn dem letzten Erntewagen vorangetragen oder auf das
letzte Fuder gesetzt, die letzte Garbe wird in die Form eines Hahnes
gebracht oder heisst wenigstens so, und ebenso derjenige, der sie ab-
schneidet und nun wie ein Hahn krähen muss. Aber alles das ist offenbar
nur verständlich, wenn ursprünglich und zu dem angegebenen Zweck ein
wirklicher Hahn getötet worden ist*).
Nun sagt man in der englischen Grafschaft Shropshire, wenn ein
Knecht mit dem Erntewagen umgeworfen hat, vielmehr: er hat die Gans
verscherzt, und nennt in anderen Gegenden Englands das Erntemahl aus-
drücklich 'Harvest Gosling' oder 'Inuing Goose'^), wie im Elsass Ernte-
gans*). In Shropshire hiess früher auch die letzte Garbe selbst, nach der
die Schnitter aus einer Entfernung von 10 bis 20 Schritt ihre Sicheln
warfen — und schon das deutete natürlich auf eine besondere Schätzung
hin — , der Gäuserichhals, wie bei Trier der Ziegenbockhals und bei
Aurich der Hasen-, in manchen Gegenden Frankreichs der Katzen- oder
1) Vgl. Mannhardt, Roggenwolf und Roggenhund - 1866 S. 6, Die Korndämonen
1868 S. 13 ff. und noch ausführlicher Frazer, The Golden Bough » 5, 1, 131 ff. (1912).
2) Vgl. Mannhardt, Korndämonen S. 13 ff., Pfannenschmid S. 111. 232, Frazer«
5, 1, 276ff., auch Müller, Den Hahn fangen, Zeitschr. für rhein. Volkskunde 1913,
228, Der Stoppelhahn, ebd. 1914, 297.
3) Vgl. Frazer 5, 1, 277, 3.
4) Vgl. Kassel, Mäßti u. Kirwe, Jahrbuch für Geschichte, Sprache u. Literatur
Elsass-Lothringens 1907, 217 ff.
(•; ■ Cleineu ;
Fuchsschwanz'). So wird also der Korndänion, wie als Fuchs, Katze,
Hase, Ziegenbock, Hahn, so auch als Gans gedacht worden sein").
Und daas sich daraus mindestens zum Teil die Sitte der Martinsgans
erklärt, das lässt sich nun aucli noch auf andere Weise nachweisen. Schon
wenn in manchen Martinslioilern die Gans mit allerlei Epitlietis ornantihus
bedacht (als die feiste Gaus, die beste Gans, die frömbste Gans, die
schönste Gans, die weisse Gans, die bunte Gans, die graue Gans, ja unsre
Gans, die gute Gans, die liebe Gans, die Schnadergans, die Bladergans,
der beste Yogel in der Schüssel gefeiert) wird, so könnte das darauf
gedeutet werden, dass die Gans ein Opfertier wai-, das man auch sonst
loht, damit es sich willig töten lässt und so ein wohlgefälliges Opfer
bildet'). Mehr noch weist auf ein solches hin, dass in Grez-Doiceau im
wallonischen Brabaiit am zweiten Kirmestag eine lebende Gans für alles
Missgeschick, das die Gemeinde im letzten Jahre betroifen hat. verant-
wortlich gemacht, deshalb zum Tode verurteilt und nun von den jungen
Leuten mit Papierpfi-opfen erschossen wird; denn wenn hier auch speziell
an ein Sflhnopfer gedacht wird, so war das doch nur möglich, weil die
Gans früher sciion als Opfer anderer Art galt^). Diesen Sinn wird
ursprünglich aucli das Gansreissen, -reiten oder -schlagen gehabt haben,
das vielfach zu Martini üblich ist und auch in den Martinsliedern voraus-
gesetzt wird*) — wenn andere Gänsespiele auch zu anderen Zeiten ge-
spielt werden, so haben sie das mit dem Hahnschlagen gemein, das ur-
sprünglich auch zur Zeit der Ernte stattfand, und zwar zu dem an-
gegebenen Zwecke, d. h. um den Vegetationsgeist rechtzeitig zu töten.
Denn wenn in Klauseuburg in Siebenbürgen der Bursche, der den bis
zum Hals auf dem abgeernteten Felde eingegrabenen Hahn mit einem
Sichelhieb köpfen soll, daneben schlägt, so glaubt man, wird die nächste
Ernte schlecht. Und auch sonst wurde der Tötung eines Hahnes be
der Ernte offenbar ursprünglich ein ähnlicher Sinn zugeschrieben: deshalb
nagelt man ihn noch jetzt vielfach an die Haus- oder Stalltür und belässt
ihn da bis zur nächsten Ernte — offenbar weil in ihm besondere Kräfte
wohnen, die man den Menschen oder dem Yieh zuwenden will. Ja bei
Udvarhely (auch in Siebenbürgen, nur nicht im sächsischen, sondern im
Szekler Sprachgebiet) wird in die letzte Garbe ein Hahn gebunden, ge-
tötet und wieder, wenigstens was Balg und Federn betrifft, bis zum
nächsten Jahr aufgehoben; dann werden die Federn unter den Samen von
der letzten Garbe gemischt und mit ihm ausgesät, so dass man deutlich
sieht, wie in jener, so wohnen auch in dem llahn besondere Kräfte').
1) Vgl. Frazer ' .'), 1, 2G8.
2) Vgl. auch Pfannenschmid S. 231 ff., Sartori 3, 267, IS.
3) Vgl. Jürgensen S. G4. 150. — 4) Vgl. ebd. S. 65.
5) Vgl. Pfannenschmid S. 510, Jahn S. 108. 234, Jürgensen S. G4.
r,) Vgl. Frazer ' .5, 1, 277 ff.
Der Ursprung des Martinsfestes. 7
Endlich iu Shropshire wird wenigstens jener sog. Gänserichhals, die letzte
Garbe, bis zum nächsten Jahre aufgehoben, weil er oder sie Glück bringen
solP). Die Gans ist also ursprünglich ebenso wie der Hahn aufgefasst
worden, und darauf deutet nun auch noch hin, dass man der Martinsgaus
auch sonst übernatürliche Heilkräfte zuschreibt. „Schriftsteller des 17.
und 18. Jahrhunderts zählen ganze Reihen von Krankheiten auf, gegen
welche die verschiedenen Teile der (ians helfen sollen, und selbst heute
noch sagt man in Niederdeutschland, Mark aus dem Grossbein eines
Gänseflügels vertreibe die Flecken im Auge'^)." Nach ungarischem Volk-
glauben ist ihr Fett gut gegen Gicht, ihr Blut gegen Fieber; „eine Feder
ihres linken Flügels soll man zu Pulver brennen und in Wein gemengt
Epileptischen eingeben"*). Endlich „die Schuppen oder Häutchen von
den Gänsefüssen legt man in Böhmen häufig in den Schuh, um sich gegen
Schweissfüsse zu schützen, oder zwischen die Zehen, um keine Hühner-
augen zu bekommen"^). Die Sitte, zu Martini eine Gans zu schlachten
und zu verzehren, gehört also in der Tat ursprünglich zu jenen weit ver-
breiteten, aus primitiver Zeit stammenden Gebräuchen, die man als Töten
des Vegetationsgeistes und Gottessen zu bezeichnen pflegt^).
1) Vgl. ebd. 8 5, 1, --'(SS.
2) Jahn S. 234f.
3) Vgl. Herrmann, Der volkstümliche Kalender in Ungarn, oben 4, 40f.
4) Vgl. Reinsberg-Düringsfeld, Festkalender aus Böhmen, Neue Ausg. 1861 S. 504.
5) Vgl. darüber am ausführlichsten Frazer ''5, 2, 48 f f . 169ff., auch Crawley,
Eating the God, Encyclopaedia of Religion and Ethics 5, 136 ff. (1912). — Nicht
als Bestätigung für diese Deutung der Martinsgans möchte ich es bezeichnen, wenn
man aus ihrem Brustbein wahrsagen zu können meint (vgl. darüber Pfannenschmid
S. 233ff. 507 ff. u. Jahn S. 235 ff.); denn dass sich das auch anders erklären lässt,
zeigt Petronius, Sat. 137: 'recluso pectore (anseris) extraxit fortissimum iecur, et
inde mihi futura praedixit'. Auch dass die Gans bei den Briten und Norwegern
tabu war (vgl. Cäsar, B.Gall. V, 12, 6, VitaBedae 36, auch Thomas, Animals: Ency-
clopaedia of Religion and Ethics 1, 518 [1908]), kann natürlich andre Gründe haben,
wenngleich es ebenso mit der in Rede stehenden Theorie vereinbar wäre. Und mehr
noch, woran Nilsson S. 40 erinnert, dass man in England am 29. September, in
Italien am 1. November eine Gans isst, während deutsche Nachrichten vom Beginn
des 17. Jahrhunderts melden, dass gemeine Leute am Burkhardtstag (13. Oktober)
gemästete Gänse zu essen und ein grosses Gelage zu halten pflegten. Denn, wie
Nilsson bemerkt, zu Michaelis traten bis vor einem Jahrhundert auch die Dienst-
boten in Schweden und andern Ländern ihre neue Stellung an; es zeigt sich also
'dasselbe Verhältnis, wie so oft, dass eine Volkssitte, deren Zeit durch die natür-
lichen Bedingungen nur im allgemeinen bestimmt ist, kalendarisch verschieden
fixiert wird'. Selbst der Truthahn, den man in Amerika am Thanksgiving-day,
dem alten Erntefest (jetzt in der Regel am letzten Donnerstag im November ge-
feiert) isst. könnte denselben Ursprung wie die Martinsgans haben. Dagegen be-
darf ihre Zurückführung auf die Walküren, die Reusch S. 189 ff. versucht, wohl
nicht erst der Widerlegung, und auch die Theorie von Hildebrand, dass der heilige
Martin an die Stelle eines Gottes getreten sei, dem die Gänse heilig waren, scheint
mir nicht bewiesen zu sein. Auf des Heiligen tatsächliche Beziehungen zu Wodan
gehe ich hier nicht ein, da sie für die Erklärung seines Festes ohne Bedeutung sein
dürften.
8 ("lernen:
II.
Das Anzünden iler .Martinsfeuer hat man ebenfalls aus dem Lebeu
des Heilij^en erklären wollen, und in der Tat berichtet sein ältester
Biograph, Sulpicius Severus (Vita c. 11), dass er einmal in einen heidnischen
Tempel Feuer geworfen, es aber von einem benaclibarten Hausp abge-
wehrt habe, und an einer andern Stolle (ep. ad Eusebium), dass er in
seiner Zelle beinahe das Opfer einer Feuersbrunst geworden wäre. Aber
diese Züge treten, wie Sinirock^) sagt, doch zu wenig hervor, als dass sie
eine so weit verbreitete Volkssitte erklären könnten. Auch wenn man
früher in Belgien und Ilollaud sang:
stockt vyer, maeckt vyer:
Sinte Martcn komt hier
Met syne bloote armen;
Hy soude hem geerne warmen') —
so handelt es sich gewiss wieder nur um eine nachträgliche Beziehung,
die zwischen den Martinsfeuorn, und zwar nicht jener bereits erwähnten
Erzählung von der Mantelteilung, wohl aber einer andern Geschichte her-
gestellt wurde, nach der der Heilige auf dem Wege zum Gottesdienst
seine Bischofstunika an einen Armen verschenkte und, da ihm sein Archi-
diakonus statt derselben nur ein zu kurzes Gewand verschaffen konnte,
mit blossen Armen vor den Altar treten musste.') Die Martinsfeuer sind
vielmehr zweifellos mit anderen Feuern zusammenzunehmen, die zu Fast-
nacht, Johanni und Weihnachten angezündet wurden und werden, und sie
haben bekanntlich ursprünglich den Sinn, das Ijicht und die Kraft der
Sonne zu verstärken. Das geht noch besonders aus einer Sitte hervor,
die sich, wie anderwärts zu Johanni, so in der Eifel auch zu Martini
fand: in Fleringeu im Kreise Prüm wurde ein Korb, mit Stroh und Reisig
umwickelt, angezümlet und so den Berg hinnntergerollt: ebenso ein
brennendes Rad von der Falkenburg bei Bertrich und vom Hodberge bei
Münstereifel.*) Denn weshalb das geschah, das wusste ein mittel-
alterlicher Schriftsteller noch ganz gut, wenn er von dem Radtreiben zu
Johanni sagte: 'rota involvitur ad significandum, quod sol tunc ascendit
ad altiora sui circuli et statim regreditur";^) nur sollte dieses Zurückgehen
eben durch das Radtreiben, wie auch das Feneranzünden verhütet
werden. Deshalb faud es zur Zeit der Sommer- und ebenso der Winter-
sonnenwende, aber auch zur Zeit der Frühlings- und Herbst-Tag- und
1) S.X.
2j Vgl. Simrock S. VI, Reusch S. 181, Wolf 1, -11, Pfannenschmid S. 211 nach
Voötius, Selectae disputationes theologicae 1(>59 S. 4-JS. Weiten' iihnliolie Lieder teilt
.lürgensen S. 83 f. 85 ff. mit.
3) Vgl. Jürgensen S. 28.
4 Vgl. Schmitz, Sitten und Sagen des Eiflor Volkes 1. 15 f. (18.'>6), auch
Pfannenschmid S. 211, Sartori 3, 271.
ö) Vgl. Mannhardt, Wald- und Feldkulte' 1, 5ü'.) VMi-lj.
Der Ursprung des Martinsfestes. 9
Nachtgleiche oder zu Anfang des Sommers und Winters statt, damit die
Soane keine Kraft einbüsse oder wieder an Kraft gewinne. Und den
Winter Hess man mit dem IJ. November beginnen; man sagt: St. Martin
tut Feuer in den Kamin, oder:
Sankt Martinus setzt sich mit Dank
Schon auf die warme Ofenbank ')
oder, wieder in der Eifel:
Nach der Allerheiligenmisse
Sind wir des Winters gewisse.
Wenn er da nicht kommen mag,
Dauert es nur bis Martinstag*).
Dass das zu dem Martinsfeuer nötige Holz, wenn nicht gestohlen
oder, wie der Kunstausdruck lautet, 'ehrlich geklemmt"'), dann zusammen-
gebettelt wird, geschieht wohl deshalb, weil das mit jenen anderen Gaben,
von denen ich schon sprach und die ursprünglich Abgaben waren, oder
auch mit den Bestandteilen der Martinsmahlzeit, soweit sie von den
fahrenden Klerikern, den A'aganten oder Goliarden gefeiert wurde, üblich
war. So erklärt es eich vielleicht auch, dass in Fleringen, wie wir eben
sahen, ein brennender Korb den Berg heruntergerollt und anderwärts
Körbe im Feuer verbrannt werden; in ihnen sind eben vorher jene Gaben
gewesen. Ja in Dordrecht und Leiden wurde früher ein mit Äpfeln,
Birnen, Nüssen, Kastanien und Kuchen gefüllter Korb aufs Feuer gesetzt
und, sobald er zu brennen anfing, umgestossen*); so wird er auch ander-
wärts ursprünglich solche Dinge enthalten haben, ohne sich doch deshalb
überall so zu erklären. Was die Kinder, die die Gaben einsammeln,
sonst noch gern hätten und was sie denen, die ihnen etwas geben oder
auch nichts geben, wünschen, das wird in den Martinsliedern weiter aus-
1) Vgl. Albers S. 293.
2) Vgl. Ostheide S. 104f., im allgemeinen auch Tille, Die Geschichte der
deutschen Weihnacht 1893 S. 23 f. und Yule and Christmas 1899 S. 41 f., womit
Nilsson, Studien zur Vorgeschichte des Weihnachtsfestes (Archiv f. Religionswissen-
schaft 1918, 99 f.) zu vergleichen ist. Wenn dieser, Feste S. 38 gegen jene Deutung
der Feuer geltend macht, dass zur Zeit der Wintersonnenwende kein Feuer ange-
zündet würde und dass auch im Frühling und Herbst die Jahresfeuer nicht mit den
Tag- und Nachtgleichen zusammenfielen, so sagt er S. 48 doch selbst, die Wirkungen,
die den Kohlen des Christblockes zuijeschrieben würden, erinnerten an die .Jahresfeuer
und man könnte geneigt sein, im Christblock den Vertreter des im Winter fehlenden
Jahresfeuers zu sehen; was aber das Fastnachts- und Martinsfeuer angeht, so sahen wir
ja oben, dass der 11. November als Wintersanfang gilt, und müssen ebenso aus
manchen Fastnachtsgebräuchen (vgl. darüber meinen Artikel 'Der Ursprung des
Karnevals', Archiv für Religionswissenschaft 1914, 144ff.) schliessen, dass man zu
dieser Zeit den Sommer beginnen liess.
3) Vgl. Wimmert, Das Martinsfeuer in Coblenz-Lützel, Zeitschrift für rhein.
Volkskunde 1909, 276 und dazu vielleicht noch Sartori, Diebstahl als Zauber.
Schweiz. Archiv für Volkskunde 1916, 380.
4) Vgl. Jürgensen S. 39.
10 Clemen:
geführt, ohne dass es erst der Erklärung bedürfte; wohl aber gilt das
von einigen Zügen, die nicht bloss Ausschaiüekungeu sind, sondern dar-
auf hinweisen, dass mit dem Anzünden des Martinsfeuers, wenigstens
stellenweise, ursprünglich noch andere Gebräuche verbunden waren.
Das Koblenzer Martinslied beginnt jetzt mit den Worten:
Heiliger Sankt Melirtcs
Met de siwe Kehrze,
Met de siwe Rohte,
Die Nas' soll blohtc:
ursjirünglich aber hat der heilige Martin — das verlangen der Eeim und
der Zusammenhang — statt der sieben Kerzen sieben Gerten gehabt.')
Und diese Martinsgerten haben nun anderwärts noch eine andere Bedeu-
tung, in Niederbayern und Niederösterreich, wo die Kühe am Martins-
tage zum letztenmal ausgetrieben werden, kommt der Hirt abends zu den
Bauern „als der heilige St. Märten" und überreicht ihnen eine oder zwei
Gerten, die aus einem mit Eichenlaub und Wacholderzweigen umwundenen
Birkenreis bestehen. Dabei sagt er altertümliche Sprüche auf, die für
das nächste Jahr Fruchtbarkeit der Herde, der Wiese und des Ackers
wünschen; ursprünglich sollen die Gerten das bewirken oder jetzt schon
vor Unglück und Zauberei schützen; deshalb werden sie hinter die Kaufe,
über die Tür oder auf das Dach des Stalles gesteckt. In der Oberpfalz
behält der Hirt die Mirtesgard'n für sich, lässt sie am Dreikönigstag
kirchlich weihen und dann erst am Walbernabend, d. h. am 1. Mai, durch
sein Weib in die Häuser tragen, damit am Tage darauf (wie auch sonst)
das Vieh mit ihnen zum erstenmal auf die Weide getrieben wird. Das
geschieht ebenso in Bayern und Osterreich, wie anderwärts mit frischen
Gerten;^) ja wahrscheinlich hat man mit ihnen, wie sonst zu Fastnacht,')
zu Martini auch die Frauen und Mädchen geschlagen, um ihnen ebenfalls
die Kräfte des Baumes mitzuteilen. Nur so wüsste ich es nämlicli zu er-
klären, dass es iu dem alten Düsseldorfer Martiusliede heisst:
Zin't Mäte, zin't Mute,
Die Kälver hant lang' State;
Die Jongens sind Rabaue,
Die Weiter well' mer haue*)
1) Vgl. Simrock S. 30, l'sener, Heilige Handlung, Archiv für Religions-
wissenschaft 1904, 807, Wimmert S. 277, Wehrlian, Die Martinsfeuer in Coblcnz,
Zeitschr. für rhpin. Volksk. 1910,245, Ostheide, ebd. 1911, 1G9.
2) Mannhardt, Wald- und FeldkuUeM, 2ü9 f f., Pfannenschmid S. 219 f . 49C., Jahn
S.298f., Usener S. 307 u. .Vnm. 3, Jürgensen S. 31. 80, Wehrhan S. 246. Albers S. 294.
Die beiden erstgenannten machen auch nach Kuhn, Die Herabkunft des Feuers und
des Göttertranks 1859 S. 148. 180 ff. auf eine ähnliche indische Sitte aufmerksam.
3) Vgl. Mannhardt, Wald- u. Feldkulte «1, 253 ff.
4) Vgl. Simrock S. 34, auch Clement, Ein Martinsabend in Düsseldorf, Zeitschr.
für rhein. Volkskunde 1904, 134 u. Jürgensen S. 34. 104.
Der Ursprung des Martinsfestes. H
und in dem Antlernacher: ■
Hei Sante Merte',
Dat war en braver Mann,
Der schlog sing Frau niet Gerte' ')
— denn wie sollte der heilige Martin sonst zu einer Frau und dazu ge-
kommen sein, sie auch noch zu prügeln?
Audi wenn es in dem Koblenzer Martinsliede nach den vorhin schon
angeführten ersten Zeilen jetzt weiter heisst:
Bloht laift en't Bäckershaus,
Schmeiss mer e halwe Weck eraus.
Mir aine, dir aine,
Annere Kenner gar kaine,
so erinnert das an die Sitte, dass sich die Frauen und Mädchen zu Fast-
nacht, um nicht geschlagen zu werden, unter andern mit einem Weck
loskaufen müssen,-) passt also zu der vorhin vorgetragenen Deutung des
Schiagens. Und ebenso erklärt es sich vielleicht aus dieser Sitte, wenn
es danach heisst:
Stievele, Stievele, Stang,
Vuhr da Weissergasser (oder Kastorgasser) hammer kai Bang,
Komm giet er mei en't Gässche,
Dann haue mer eich dat Schässche.')
Die Weisser- und Kastorgasse sind ja zwei Strassen des ältesten Koblenz,
offenbar die Mittelpunkte zweier Stadtteile, deren Jugend sich bei dieser
Gelegenheit bekämpfte. Auch in anderen Gegenden, z. B. in Dollendorf
bei Königswinter und in Troisdorf im Kreise Bei'gheim fanden solche
Kämpfe einzelner Dörfer oder Honschaften gegeneinander statt*} — und
doch wird das nun noch einen andern Grund auch als ähnliche Kämpfe
bei der Einholung des Maibaumes und dergl.^) gehabt haben, d. h. nicht
nur den Grund, dass bei derartigen Gelegenheiten zwischen den ver-
schiedenen Gruppeu leicht Streit entsteht. Mit anderen Worten: Usener
hatte wohl recht, wenn er darauf hinwies, dass z. B. in Poppeisdorf bei
1) Vgl. Simrock S. 28, auch Keusch S. 183, der aber eine andere, m. M. un-
genügende Erklärung dieses Zuges gibt; immerhin wird das oben im Text folgende
zeigen, dass andre Martinslieder so zu deuten sein dürften. Umgekehrt findet
vielleicht Dieterich, Volksglaube u. Volksbrauch im Altertum u. Gegenwart, .Jahr-
buch des freien deutschen Hochstifts 1903, 129, in manchen Martinsliedern den
hier angenommenen Sinn. Die von Jürgensen S. 35, 3 geäusserten Bedenken
scheinen mir unbegründet zu sein.
2) Vgl. Mannhardt, Wald- und Feldkulte ^ 1, 253. 263.
3) Vgl. Wehrhan S. 245, sowie die oben in Anm. 1 auf S. 10 angeführten,
zu dem letzten Ausdruck Usener S. 308, 1.
4) Vergl. Ostheide, Zum Martinsfeste, Archiv für Religionswissenschaft 1907,
154 ff., Zeitschrift für rhein. Volkskunde 1911, 1701, Jürgensen S. 36; doch handelt
es sich bei dem aus Ahrweiler angeführten Beispiel nicht um zwei, sondern um
vier Parteien. Richtiger also Sartori, Sitte u. Brauch 3, 270 f.
5) Vgl. Mannhardt, Wald- u. Feldkulte" 1, 1G2 f. 323.
12 Clemen:
Bonn beim Gabensainincln ein Junge mit Degen und Papierhelm mit
lierumzog, der den Winter darstellte, und daraus scliloss, dass es sich
ursprünglich um einen Kampf dieses gegen den Sommer gehandelt habe,
der den Wechsel der Jahreszeiten bewirken sollte.') Der andere Junge,
dessen Arme und Beine mit Stroh umwunden sind, wird ja in der Tat
hier wie sonst den Sommer haben abbilden sollen; und dass anderwärts
ursprünglich eine Puppe, von der dasselbe galt, verbrannt wurde, das ist
wohl daraus zu entnehmen, dass im katholischen Rheinland vielfach
die Anschauung besteht, im Martinsfeuer würde Martin Luther (dem zu
Ehren man es, da er ja am 10. November geboren ist, in evangelischen
Gegenden häufig beibehalten hat) verbrannt — eine Anschauung, die nur
verständlich ist, wenn in der Tat eine Strohpuppe in das Feuer geworfen
wurde. Ja vielleicht erklären sich nun auch die Körbe, die gern ver-
brannt werden, noch auf eine andere Weise, als oben angegeben wurde:
auch der zu Pfingsten eingeholte Fruchtbarkeitsdämon wird ja manchmal
durch ein Korbgefleeht repräsentiert, und dass ein solches, mit Menschen
angefüllt, bei den Galliern verbrannt wurde (gewiss um den Vegetations-
geist zu töten), das wissen wir aus der bekannten, auf Poseidonios zu-
rückgehenden Schilderung Gäsars, Bell. Gall. VI, 16, 4.*) Ja in llombeck
singt man am Martinsfeuer:
Sinte Merten den niewe.
De ole is verterd,')
was nur verständlich ist, wenn in ihm ursprünglich ein Geistwesen ver-
brannt wurde, um einem andern Platz zu machen, und in Marsch in der
1) S. 307 ff. — Dass dieser Junge, wie Müllenbach in seiner Novelle Brumaire
(Aphrodite u. andere Novellen 1902 S. 203) angibt, als 'Major" bezeichnet wurde,
spricht nicht gegen das höhere i\lter der von Usener angeführten Deutung; dieselbe
wird vielmehr noch durch folgende Notiz Ostheidcs (Zeitschr. für rhein. Volks-
kunde 1911, 172) bestätigt: „In Neuwerk bei M.-Gladbach zünden die Junggesellen
einzelner Honschaften ein Martinsfeuer an. Hierbei nimmt nun die Herrlichkeit
des drei Wochen vor der Frühkirmess gewählten Königs (der bekanntlich bei den
'Prenck' den Königsvogel von der Stange schiesst) ein plötzliches Ende. An seine
Stelle tritt der 'Hiier' Herr). Wahrscheinlich ist auch hier dieser Übergang der
Herrschaft nicht immer so friedlich verlaufen wie heute Wir haben in dem
König, der den Sommer über herrscht und dem 'häer', der den Winter über herrscht
und für die Fastnachtslustbarkeiten zu sorgen hat, die alten Vertreter des Sommers
und des AVinters". Wenn, wie Jürgensen S. 14. 44 f. und Sartori, Sitte u. Brauch 3, 269
erwähnt, manchmal auch der heil. Martin selbst auftritt, so ist das ebenfalls später.
2) Vgl. Mannhardt, Wald- u. Feldkulte» 1, 322. öl4. ü25 ff. Wenn in der rue aus
ours in Paris bis 17 13 alljährlich ein sog. 'mannei|uin d'osier', eine 6 Meter hohe,
aus Weiden geflochtene Figur, um deren Reste sich das Volk dann riss, verbrannt
wurde, und diese Strasse nach Jürgensen S. 02, weil sich in ilir die nach St. Martin
aus ("hamps ziehenden Pilger mit Gänsen versahen, eigentlich rue aux oües hiess,
so könnte auch jenes Fest sogar ursprünglich am Martinstag gefeiert worden sein —
obwohl das später vielmehr am 3. Juli geschah. Und war nicht ebenso vielleicht
der am 5. Nov. in England verbrannte Guy Fawkes eigentlich der Sommer oder
Vegetationsgeist?
3) Vgl. Jürgensen S. 31.
Der Ursprung des Martinsfestes. 13
Eifel hiess das Martinsfeuer (das da allerdings in der Küche angezündet
wurde) geradezu das Verbrennen des Sommers. *) Am Martinstag wird
also ursprünglich auch in dieser Form das Töten des Vegetationsgeistes
stattgefunden haben;''') ja wenn das richtig ist, so wird dadurch auch die
oben vorgetragene Deutung der Martinsgans noch um einen Grad wahr-
scheinlicher.
Doch wir müssen noch einmal zum Martinsfeuer zurückkehren. Es
sollte nicht nur die Kraft der Sonne verstärken, sondern, da es das kann,
auch direkt die animalische und vegetative Fruchtbarkeit befördern. Des-
halb bitten in der Eifel die Kinder um Brennmaterial mit der Begründung:
Dat der wonk net n' jagt,
Dat der hagel net n' schlagt,
Dat oses herregots blömchen
Op der hede net verkaalt;')
ja deshalb musste nach primitiver Anschauung auch die Kraft des Feuers
selbst erst möglichst gestärkt werden. So dürfte es sich nämlich erklären,
dass, wie anderwärts das Johannisfeuer,*) so an der Ahr und sonst das
Martinsfeuer von dem Jüngstvermählten in Brand gesetzt werden musste:*)
er mochte aus dem angedeuteten Grunde dazu am geeignetsten erscheinen.
Dass man ferner, um nun umgekehrt sich selbst die Kraft des Feuers
direkt anzueignen, ehemals, wie durch oder über das Joliannis-, so über
das Martinsfeuer gesprungen sein wird, das geht daraus hervor, dass auch
über jenes in Marsch in der Küche angezündete Feuer die Frau des
Hauses springen musste, und dass mau ebenso nocli jetzt über die Kerzen
springt, die vielfach an die Stelle des Feuers getreten sind und so auch
in Martinsliedern erscheinen.*) Ferner streut man die Asche des aus-
gebrannten Feuers über die Wintersaat, um sie vor Schneckenfrass zu
schützen; ja man glaubte, das Feld würde im nächsten Jahre nur soweit
fruchtbar, als das Feuer seinen Schein warf oder der Rauch getrieben
wurde.') Auch die Fackeln, Laternen (namentlich die sog. Märtesköppe,
ausgehöhlte Kürbisse, denen man ein Gesicht geschnitzt und in die man
ein Licht hineingesetzt hat), die neumodischen Lampions, die die Kinder
1) Vgl. Sartori, Sitte u. Brauch 3, 272, 42.
2) Vgl. Mannhardt, Wald- und Feldkulte M, 406 ff . 548 ff., Frazer ' .3, 220 ff.
254 ff. (1911), 6, 255 ff. (1913), Usener S. 297 ff., Dieterich, Sommertag, Archiv für
Religionswissenschaft 1905 BeihLft S. 83, auch meinen oben angeführten Artikel
S. 144 ff.
3) Vgl. Jürgensen S. 29. 82.
4) Vgl. Sartori 3, 228.
5) Vgl. ebd. 3, 271. 272, 42. Auch das wird mit dieser Anschauung zusammen-
hängen, dass, wie Jürgensen S. 22 bemerkt, in den anhaltischen Dörfern Mühlsteat,
Rodleben und Streetz der jüngste Ehemann den Jlartinsschmaus geben muss.
6) Vgl. Pfannenschmid S. 2131, Jahn S. 242, Sartori 3, 272 nebst Anm. 42.
7) Vgl. Jahn S. 240 f., Jürgensen S. 29 f.
14 Giemen: Der Ursprung des Martinsfestes.
beim Gabeusammeln mit sicii führen, die Lichter, mit deneu in Nord-
hauseu am Abend des Martinstages illuminiert wird oder die in Nuss-
schalen in Heiligenstadt die Geislede hinunterschwiramen,') sollen Frucht-
barkeit verbreiten oder böse Einflüsse vertreiben,") daher ausserdem nicht
nur möglichst viel Lärm gemacht, sondern namentlich mit Peitschen ge-
knallt und mit Glocken geläutet wird,') was ja ursprünglich den ange-
sehenen Zweck hat. In Ostfriesland und in Tirol laufen ausserdem
maskierte und vermummte Gestalten auf den Strassen herum, hier mit
langen Hälsen und llöniern auf dem Kopfe,*) die wohl jene bösen Geister
darstellen, die jetzt umgehen und deren man sich vielmehr erwehren will.
So beziehen sich alle am Jlartiusfost üblichen Gebräuche, wenigstens
soweit sie hier besprochen werden konnten, auf den Wechsel von Sommer
und Winter, und das sollte also wohl auch noch zum Ausdruck kommen,
wenn man sie oder wenigstens einige von ihnen zeitgemäss umzugestalten
und in dieser Form zu konservieren sucht. Wie mit anderen derartigen
uralten Naturfesten, dem Karneval und Johannisfest, ist das ja auch ge-
rade mit der Martinsfeier, genauer dem Lichterumzug der Kinder, schon
mehrfach geschehen: in Bocholt, Düsseldorf und Koblenz ist er von eigens
zu diesem Zweck gebildeten Bflrgerausschüssen vorbereitet und geleitet
worden.^) Aber ob er sich in dieser Form wirklich auf die Dauer halten
wird — in den letzten Jahren hat er ja selbstverständlich nicht stattge-
funden — , das kann mau vielleicht deshalb bezweifeln, weil die Feier
auch in dieser Gestalt noch keinen rechten, geschweige denn wieder ihren
alten Sinu bekommen hat. Und doch könnte man wohl, wenn auch die-
jenigen einzelnen Gebräuche, von denen ja schon jetzt nur noch Spuren
vorhanden sind, mit der Zeit vollständig verschwinden werden, doch im
allgemeinen, wie den Karneval als Frühlings-, die Johannisfeier als
Sommer-, so das Martinsfest wieder als Winterfeier auffassen und aus-
o-estalten. Ja täte man das und erhielte dadurch diese Volksgebräuche
am Leben, so würde das vielleicht auch auf diejenigen Volksanschauungen
und -Sitten eine entsprechende belebende Wirkung ausüben, auf die tat-
sächlich etwas ankommt, ja auf denen die Kraft und Herrlichkeit unseres
Volkes beruht. So befriedigt eine Beschäftigung mit deutschen Volks-
gebräuchen nicht nur ein antiquarisches Interesse, sondern zeigt zugleich,
wie man sich zu ihnen verhalten sollte und wie man dadurch zu der Er-
haltung und Stärkung unseres Volkes beitragen kann.
Bonn.
1) Vgl. Sartori, Sitte u. Brauch 3, 269. 272 f.
2) Vgl. Wolf 1, 42.
3) Vgl. Sartori 3, 270. 272 f., Jürgensen S. 33.
4) Vgl. Sartori 3, 270.
5) Vgl. ebd. 3, 269, 22.
Schläger: Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 15
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung.
Von Georg Schläger.
(Vgl. oben 27, 106-121. 19'.t-215.)
II. Kind und Sprachspiel.')
(Fortsetzung.)
6. Verlassen wir nunmehr das Gebiet des Reims und wenden wir
uns einigen anderen Spielformen des Kinderliedes zu, die ihre W'urzel
gleichfalls im Bereiche der ersten Sprachvorübungen haben könnten.
Schon oben ist mehrfach die eigenartige Erscheinung gestreift worden,
dass zwischen die Reimwörter, freilich auch zwischen nicht reimende
Spielwortgeschwister, ein unbetontes Einschiebsel von einer oder
mehreren Silben tritt. Zu den bereits angeführten Abzählformeln und
Rätselnamen stellen sich da besonders Namenverdrehungen wie Erna —
ka—tenia, Anna — wide—icanna, Hannes — tra — wannes, Renner — schra- —
wenjier, und wenn in kindlichen Heilsprüchen gegen den Schlucken der
Eingang Schlicke — ba — licke, Schlickse — ba — bickse, Schlückse — fawe — rückse
lautet, so gehört das wohl ebendahin; es felilt aber auch nicht an Spiel-
wörtern, die den Interjektionen nahe stehen und auf die Sprache der
Erwachsenen übergreifen können, wie eia — po— peia neben eie—beie, hopp —
di — wopp, hoher — di — polter, rurns — di—bums oAex runi — pedi — bum (z. B. im
Volkslied: Das Mädchen dreht sich mm di dum; sie tragen mich dreimal
rum di duvi — Deutsches Volkslied - Archiv A 8. 9), hei—didel — dei;
ja, man wird auch die Fälle nicht ausscheiden dürfen, wo das
Einschiebsel für sich oder mit einem der benachbarten Wörter Sinnträger
wird, wie Hermen — sin — dermeji, Fritze— Stigelitze, Karel van Varel. Und
wie in den Abzahlformeln das Einschiebsel aus dem Reim in die an-
schliessenden Umbildungen hinübergreift, wie etwa neben einfachem ene
1) [Ich benutze die Gelegenheit zu ein paar kleinen Nachträgen. Zu 27, 204
Anm., Z. 4 v. u. statt 'Anm. 4' lies S. 2091 Anm. 1. — S- 205, Z. 17 statt ö-r, lies
ü— 5. — S. 207, Anm. Z. 4 1. compote. — S. 210 Anm. 1, Z. 7 v. u. statt Zeist lies
Leist. — S. 211 Z. 5 v. u. statt Gross lies Groos. — S. 215 Z. 18 statt 'nur lies
'mir'. — S. 215 Anm., Z. 5 v. u. statt 'des' lies 'der'. — Ebd. Z. 1 v. u. ergänze 'in
Abzählreimen'. — Zu S. 211 f. 215: Schlagreime wie die Mozarts und Lindeners
zeigt z. B. eine Fassung von Lewalter und Schläger Nr. 240 in der Schlussformel
'Das ist eine Maus laus bans — Du bist aus' (Koblenz, Deutsches Volksliedarchiv
A 48 973). — Zu S. 215 Tschurimuri: in einem anderen Liede 'Es war ein alter Mann,
der nahm ein junges Weib' lautet der Versteckname im Lötschental Rutschi-
putschi, im Königreich Sachsen Ruschel-Buschel — letzteres ein echter
Rätselname nach Art der 27, 208 behandelten (D VA. A 18198. 31335). — Es ist auch
bezeichnend, dass Mephistopheles in Auerbachs Keller zu seiner Beschwörung ein
Stück aus einem sinnlos weitergeführten Kinderreime verwendet. — Ein weiterer
Nachtrag unten S. 17 Anm.]
1(5 Schläger:
metie viiyo oder ene metie viing mang rhythmisch gescliärftes ene demene
demige demi steht, neben eller zeller zippel zappel ebenso ella bezella heziehele
öezabele, wie im Rätsel die Namenformen Krüseldenki-uU, Wi-ickeldiicrackel,
Tolitertolüter, PoUckerpolwker, Knickerdcknackrr, Gewickelgewackel u. ä.
(Petsch S. 71. 76 f.), im Spiele Ablautformelii wie ijuinkk—de - quankle
begegueii. im Reime vom gefundenen Kind der Scherzname Inne de ge-
itww<;rfeGm.s<;(Yolksliedarchiv A 10 492) neben dem gewöhnlicheren /«rÄen
binchen Geisxen. so finden wir auch das Empfindungswort hei -didel—dum
neben und wohl nach Im—didel—dei}) Handelt es sich dabei wirklich
1) Auch hier muB man sich mit dem Vorkommen derselben oder ähnlicher
Verbindungen im Munde Erwachsener auseinandersetzen. Neben den Rätselnamen,
über die ich nicht mehr zu sprechen brauche, bietet ein sehr merkwürdiges Beispiel
der studentische Kehrreim 'Hode— wide— wode' usw., der in sehr ähnlichem Wort-
laut und mit erkennbar gleiclier Weise — es ist wesentlich die des Kinderliedes
'Eia popeia, was raschelt im .Sti'oh' in einer Form, die dem alten 'Resonet in laudibus
recht nahe steht, vgl. oben 21, 372 — schon in dem Liederbuche des Leipziger Studenten
Clodius um 1GC9 bezeugt ist; der Herausgeber W. Nießen, Vierteljahrsschrift für
Musikwissenschaft 7, 586. 625. 648, hat bereits auf heutige Nachfahren in Wortlaut
und Weise hingewiesen. Ich stelle eine heutige und die alte Fassimg nebeneinander,
die erstere wie sie mir um 1880 als 'Kameruner Nationalhymne" vorgestellt worden
ist ^etwas anders J. Meyer. Anstichlioder ', Lcipzig-Reudnitz 1913, Nr. 118):
Hode wide wode Hey kade wiede wade
wideweia kasseia hä! wiede wanne nefanne (s?) hey
hode widewode siede niede fide
widewitsch watsch witsch ä ! wiede witz.
Der Zusammenhang mit Namenscherzen, wie sie unter unseren Kindern gäng und
gäbe sind, liegt auf der Hand, vgl. besonders Böhme I Nr. 1309. 1311b. 1314, Lewalter
und Schläger Nr. 392, ebenso das scherzhafte Bestreben, eine Fremdsprache vorzu-
täuschen — bei Meyer erscheint das Gesätz als Anhängsel an das Lied 'Reicht mir das
Weib vom Stamme der Tscherkessen'. Weniger einfach sind die Abweichungen des
heutigen Wortlautesvon dem des Clodius zubeurtoilen. Die heutigen Fassungen, studen-
tische wie kindliche, sind geschlossener als die alte, sie klingen darum glaubhafter als
diese und dürfen kaum gradlinig daraus abgeleitet werden. Auch die Grundlage ist bei
jenen klarer; spielerisch erweitert einerseits der Name, anderseits das Empfindungs-
wort hode, verstärktes ho (dies bei Meyer), ganz wie wir die Formel hode wide-
wode in dem altertümlichen Keplied Erk und Böhme Nr. 122 nach H. Zurmühlen,
Niederrheinische Volkslieder, Leipzig 1879, Nr. 10 wiederfinden. Was aber ist kade
das im Verlauf so unerwartet durch siede mit seinen schlagreimartigen Abwandlimgen
(ob nicht etwa niede für wiede verschrieben ist!) abgelöst wird? Vielleicht darf
man die Vermutung äußern, daß die verbreiteten Namen Kade und Siede gemeint
sind; dann hätte das Scherzliedchen damals dieselbe Grundlage gehabt wie heut
im Kindermund, und Clodius hätte wohl zwei Formeln, wie sie beim geselligen
Trinkspit'l umlaufen mochten, zu einer verschmolzen. — Übrigens will ich noch be-
merken, dass eine schweizerische Form des hevitigen Kinderspruches -itz als stän-
dige Spielendung aufweist: Anna videwanna videvitz und key Stamma, Fritz vide-
witz, videwitz und kän Stitz (Werdenberg, DVA. A 28 734).
Ob aber der Kindorreim vom Studentenscherz abstammt oder umgekehrt das
Studentenlied sich aus Kindermunde bereichert hat, ist mit voller Sicherheit nicht
zu entscheiden. Kennen wir Fälle der ersteren Art — ich vorweise besonders auf
den Narrenspruch Böhme I Nr. 409, dazu oben 18, 28 f., so wissen wir doch auch,
daß Trinklieder mit besonderer Vorliebe aus Wiegenliedern geflossen sind, s. oben
21. 'ITA.
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 17
um rhythmische Scliärfuug, worau ich nicht zweiÜe, so scheint das eine
gewisse Höhe des rhythmischen Gefühls vorauszusetzen, und möchte es
zunächst nicht einleuchten, die Wurzeln dazu schon im Lallspiele zu
suchen. Aber vielleicht dürfen wir annehmen, dass sich, ebenso wie das
Oefühl für den Reim (oben 27, 207), so auch das für deu Rhythmus im
und am Spiel entwickelt. Jedenfalls sind von einzelnen Beobachtern
Silbengruppen anfgezeichnet worden, die ich mir schwer anders deuten
kann, z. B. Idelberger S. 435 f. (heulüNdä) didüeidedeiderlei, leideleide-
leidelei, von einem anderen Kinde randerand, reidereid, (adadeita,) leidelei;
auch wenn Lindner S. 332 von seinem Töchterchen erzählt, dass es beim
'Zeitunglesen' stets nur degattegattegatte unzählige Male wiederholte, so
sollte das offenbar den rhythmischen Wechsel betonter und unbetonter
Silben ausdrücken, wie ihn das Ohr des Kindes aus dem Lesen der Er-
wachsenen aufgefasst, aber sicherlich schon in seinen eigenen Lallübungen
vorempfunden hatte.')
7. Das starke Wiederholungsbedürfnis, das bei den behandelten Er-
scheinungen in erster Reihe beteiligt ist, könnte auch die empfundene
und beabsichtigte Herrschaft desselben Aulautes, den Stabreim vorbe-
reitet und hervorgerufen haben. Auch diese Erscheinung ist im kindlichen
Sprachspiele weit verbreitet: ganz abgesehen von deu überall geläufigen
Sätzen aus gleichanlautenden Worten (Wir Westerwälder Waschweiber . . .
und dgl.) brauch ich nur auf Eingangszeilen wie Tross tross trill,
Ringel Ringel Rose, Lirum lamm Löffehtiel, Ene mene ming mang hinzu-
weisen, bei denen der einmal gewonnene Anlaut spielerisch zu ganz
anderen Lautungen weitergeführt wird. Indes fehlt mir noch die Möglich-
keit, in der Lallsprache die nötigen Zwischenglieder in grösserer Zahl
aufzuweisen, so dass ich diesen Punkt lieber auf sich beruhen lasse; vsl.
jedoch unten Abschn. 9.
Mag man jedoch eine in ihrer Art so geistvolle und formsichere Lautspielerei,
wie sie die genannten Kinderreime zeigen, nicht dem Kind allein zutrauen, so ist
doch die Machart zweifellos kindlich und in einfacheren Ausprägungen dem Kinde
sehr wohl angemessen. Der Erwachsene verfügt nicht mehr über die unbefangen
waltende Sprachmeisterschaft, er hat viel zu viel sprachliches Gewissen, um wahr-
haft schöpferisch mit dem Sprachstoff umspringen zu können: er muß beim Kind
als dem wahren Sprachgenie in die Schule gehen und in Wechselwirkung mit ihm
treten. Man braucht nur zu betrachten, wie es Dichtern vom Range R. Wagners
und Dehmels ergangen ist, wenn sie nach 'expressiver' Wortschöpfung strebten
(^vgl. darüber R. M. Meyer, Idg. Forsch. 12, 92. 254.)
1) Es ist bezeichnend und vergleicht sich der oben 27, 207. 213 besprochenen
Anreimung, wenn echte Namen im Kindermunde zu solchen Silbengruppen um-
gestaltet werden. So erscheint Antonius van Paddewaddewat in Dorsten (Zeitschrift
für rhein. und westf. Volksk. 14, 118; zu Böhme I Nr. 310 usw.). — [Wie sich jene
Anreimung unwillkürlich auch bei Erwachsenen einstellt, zeigt eine von O. Stück-
rath beobachtete Umgestaltung: aus Edite bibite wird neben Edita pipdada auch
Elide belide und Edita sehdita, DVA. Soldatenlieder 495 a. 23.]
Zeitschr. d. Vereins £. Volkskunde. 1918. 9
18 Schläger:
8. Die soeben angeführten Formeln zeigen mit dem Wiederliolungs-
trieb eng verschwistert tlen entgegengesetzten Drang nach Abwandlung;
sie geben ein entwickelteres Seitenstück zu den Lalltypen ö—^ö und /a—rfä'
und sind recht bezeichnend für die kindliche Art des geistigen Fort-
schritts: erst ein behutsames Sichern des Besitzes, dann keckes (ireifen
nach neuem Gewinn, wobei doch etwas mit herübergenommen wird zur
leichteren Aneignung.
Hierbei fühlt man sich sofort an den Vokalwechsel erinnert, an all
die Ablautspielc wie "nmig—marKj kling — klang, P^ff—pcff—pufi] die im
Kiuderreim so unendlich häufig sind. Es ist sehr verführerisch, dergleichen
mit dem auch im Lallspiel vorhandenen Vokalwechsel in Zusammenhang
zu bringen — besonders für den Anhänger der Vererbungslehre, der die
Erbschaft von Jahrtausenden hier wiederfinden möchte. Das Vorkommen
im Munde der l<]rwachsenen, zumal in ümgangsprache und Volkslied
(Da flimmert's und flammert's von fern, Jede Ki — Ka — Kugel trifft ja nicht.
Hör ich ein Sichlein ri — ra— rauschen usw.: G. Keller an Marie von Frisch
4. Juli 1876, Bächtold-Ermatinger Kr. 303 „um seinem keramischen
Krikel— Krakel — Krukel — Sinn zu frönen", an Storm 13. August 1878,
ebenda Nr. 366 ^Sie sind etwas streng im Punkte der Lyrum — larum —
Sachen" usw.: ob nicht auch die heilige Kaku(ka)killa. die nach E. Heurici,
Sprachmischung in älterer Dichtung Deutschlands, Berlin 1913 S. 14 in
einem alten Zauberspruch erscheint, hier unterzubringen ist? wenn es
auch ein entstellter Name ist, siehe oben 8, 341 f.) braucht da nicht zu
stören, dergleichen kann ebensowohl dem Kindermund abgelauscht sein,
als wenn Keller in der Zeit der Schwärmerei für Betty Tendering
unter anderen Federproben auch den Reim leistet 'Rheinländerin —
Ting tang Tendering' (Bächtold-Ermatinger I S. 242; vgl. dazu Böhme I
Nr. 1163, H Nr. 137—140 usw.).
Freilich haben die frühesten Beispiele des Vokalwechsels im Kinder-
munde, soweit ich die Aufzeichnungen übersehe, wenig Ähnlichkeit mit
dem, was wir Ablaut nennen. Es handelt sich da einfach um ein Streben
nach Neuem, ohne dass sich gesetzmässiger Wechsel iu bestimmten Laut-
stufen erkennen Hesse. Am meisten find ich bei Idelberger: es ist be-
merkenswert, wie dessen Söhnchen noch im ersten T^ebensjahre durch
Nachahmung gewonnenes wauwau in mannigfaltiger Art abwandelt zu
wauwa wauwö icauwe wowo wowö (S. 259 f.). Solcherlei wäre noch viel an-
zuführen; aber es ist, wie gesagt, recht zweifelliaft, ob wir es mit den
später auftretenden wirklichen Ablautspielen verknüpfen dürfen. Preyer
verzeichnet didl-dadl, memania nii via mö ma erst am Ende des 2. Jahres
(S. 10:^), Ament freilich dadidu, gegigo u. dgl. schon im 10. Monat (S. 52);
mein eigener Junge vergnügte sich im 19. Monat lange mit bibabii. Das
alles kann schon unter starker Einwirkung der Umwelt stehen und bleibt
besser aus dem Spiele, bis ausgiebigere Beobachtungen vorliegen.
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 19
9. Bei den zuletzt behandelten Erscheinungen ist es autiällig, wie
gross die Verschiedenheiten unter den einzelnen Kindern sind; sie ent-
o
hüllen sich freilich erst bei sorgfältigem Vergleichen. Die landläufige
Meinung, dass in diesem Alter ein Kind sich ungefähr ebenso verhalte
wie jedes andere, ist durchaus irrig. Nun wird es sich gewiss empfehlen,
für unsere Zwecke vor allem die typischen, bei der Mehrzahl der Kinder
wiederkehrenden Erscheinungen ins Auge zu fassen; jedoch dürfen wir
nicht ganz vergessen, dass bei der Entstehung bestimmter Formen auch in
dieser kleinen Welt einzelne Kinder mit besonderen Neigungen und An-
lagen die Führung haben können. So ist es unter Umständen erlaubt
oder geboten, gewisse Eigenheiten der Kinderdichtung mit solchen Spiel-
äusserungen der Lallzeit zu verknüpfen, die nur ganz vereinzelt berichtet
werden. Dieser Fall scheint mir vorzulieo;en bei einer sehr merkwürdigen
Lallformel, die Meringer S. 145 gleich nach dem 3. Monat, also zweifel-
los vor jeder Nachahmung verzeichnet: sie lautet grli yiii (juch und nimmt
ganz auffällig mehrere im Kinderreim verbreitete Typen voraus. Einmal
entspreclien ihr in sinnloser Lautfolge Zeilen wie giri. giri gix Böhme I
Nr. 499, tross tross troll, in halb oder ganz sinnvoller Storch Storch Steiner,
Schnecke Schnecke Scliniere, Ringel Ringel Rose, Müller Müller Maler, Saft
Saft siede, auch hohle hohle Wiede, backe backe Kuchen, wenn man auf den
durchgehenden Stabreim kein Gewicht legt; dann aber erinnert sie an den
verbreiteten Abzähltypus, der auf zwei Reiniwörter eine deutlich ab-
schliessende Silbe folgen lässt, wie ea dea do, itta fitta futt, ohne bohne
dtist, eiu iveia weg, reppel peppel knall, kurle murle puff. Das klingt vielleicht
abenteuerlich; auch ich würde an einen Zufall glauben, wenn es sich um
eine vereinzelte und allenfalls ein paarmal hintereinander wiederholte
Silbenfolge handelte. Wenn aber Meringer, ein sehr kühler Beobachter,
ausdrücklich bemerkt, sie sei im Verlauf eines langen 'Lallmonologes" so
oft wiedergekommen, dass die Eltern diesen als die 'Geschichte von gi-li
grli gucK bezeichnet hätten, so wird man kaum um die Annahme herum-
kommen, dass sich hier ein ganz bestimmter Formwille äussert. Wir
wissen ja von diesen Dingen noch blutwenig und dürfen nicht ohne
weiteres verwerfen, was uns seltsam und unwahrscheinlich dünkt. Hier,
wie auf dem ganzen Gebiete, können wir Licht erst von hundertfältig
wiederholten Beobachtungen erwarten.
Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, wie sich im Ver-
laufe der Lallzeit der Einfluss der Umgebung immer mehr geltend macht
So führen allmählich erwachendes Verständnis einzelner Lautgruppen
einerseits, Nachahmung anderseits gegen Ende des ersten Jahres die
eigentliche Spracherlernung herauf: ein gewaltiger Sprung, der sich nicht
nur durch sichtbare Anspannung, sondern bei manchen Kindern sogar
2*
20 Schläger;
durch eine nahezu stumme Zwischenzeit anzeijjt. ') Audi da spricht
spielerische Gewohnheit stark mit: echoartiges M'iederholeu der zuletzt
gehörten Lautgruppen, zuerst rein triebmässiges Nachplappern, verbindet
sich langsam mit Vorstiindnis und Wahl. Die Schwierigkeit der Nach-
ahmung aber erhöht den Eifer und gibt den Laut- und Wortübungeii ein
neues, schärferes Gepräge, immer mehr lassen sich bestimmte Ziele wahr-
nehmen.") Damit steigert sich aucli noch mehr die Lust an Gleichklang
und spielender Abänderung, also an Reim, Stabreim und Ablaut; ja selbst
das Unverstandene reizt den Wetteifer und führt zu kindlichem Kauder-
welsch. Ein hübsches Beispiel bietet das oben S. 17 erwähnte degdtte-
gattegatte beim 'Zeitunglesen'; noch deutlicher zeichnet sich die gegen-
seitige Durchdringung von Lalltrieb und Nachahmung, reiner l^aut-
schwelgerei und beginnendem Sprachverständnis ab, wenn eine Reihe von
sinnlosen Silbengruppen plötzlich durch ein verständliches Wort oder
deren mehrere abgeschlossen wird — ganz wie wir es in Abzählreimen
so häufig finden (Ene, done Tintenfass usw.; Stern, Kspr. S. 91, sieht in
jener Erscheinung eine Nachahmung der Sprache der Erwachsenen).
So bringt das Kind, wenn es mit einiger Sprachbeherrschung in die
Spielgemeinschaft eintritt, schon vielerlei mit, was ihm die Eingewöhnung
in diese neue Welt erleichtert; die Spiele, an denen es nunmehr teilnimmt,
müssen ihm sofort lieb und vertraut werden, sie sind eben in vielem die
gradlinige Fortsetzung dessen, was das Kind aus sich selber bereits ent-
wickelt und geübt hatte. Dazu kommt als weitere Förderung, dass auch
das Gefühl für den Rhvthmus inzwischen weit stärker geworden ist.')
1) Völkerpsych." I S.270f. 299; Preyer S. '264; Stern, Kspr. S. 15, Psych. S. 49
(auffällig frühe Nachahmung!); Meringer S.237; Meumann S. 163 ff.
2) Sp.d. M. S.371..'580; 'Echolalie' Preyer S. 258, Völkerpsych.M S. 270; vgl.
Sievers' Keobachtung bei Meringer 8. 116. — Zu der echoartigen Wiederholung
einzelner Lautgruppen ohne Rücksicht auf den Sinn lassen sich Kinderverse ver-
gleichen wie das schon oben 27, 210 behandelte 'iMoine Mu — meine Mu — meine
Mutter schickt mich her, das aber auch mit dem Ablautspiel verbunden erscheint:
Meine Mi — meine Ma — meine Mutter schickt mich her usw. (Deutsches Volkslied
archiv A9696). — Nach Preyer verbindet sich die Silbenwiederholung vereinzelt
mit dem Einschub unzugehöriger Silben ('Embolophrasie'}, etv/a. ich-icli-effbin-in-eff:
es ist der Erwägung wert, ob darin nicht eine Vorstufe der Seherz- und Goheim-
sprachen zu erkennen ist.
3 Wie weit schon die Spieläußerungon der Lallzeit durch das rhythmische
Gefühl mitbestimmt werden, ist noch wenig klargestellt, jedenfalls vermögen sie
es zu entwickeln, s. oben S. 17 und Völkerpsych. I S. 270. Die triebmäßigen 'Mit-
bewegungen' beim Musikhören, Preyer S. 127, lassen sich schwer anders als aus dem
rhythmischen Heiz erklären. Die ersten Tanzversuche sind freilich nicht rhythmisch,
ebenda S. 167, aber es fragt sich, ob das nicht mehr im Vollbringen denn im Wollen
liegt; jedenfalls vermerkt Preyer schon für das Ende des zweiten Jahres takt-
mässiges Tanzen nach der Musik und selbst leidliches Taktschlagen, Idelberger
aber berichtet S. '243 über taktierende Handbewegungen zum Schlagen der Wanduhr
bereits vor Ablauf des ersten Jahres. Von Sprechäusserungen dürfen ffiii (/ili guch und
das regelmässige Einschieben unbetonter Silben (oben S.löf. 19) stark insGewicht fallen.
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 21
Auch weiterhin hört das Kind nicht auf, die erstarkten Seelenkräfte
an dem immer reichlicher von aussen zufliessenden Sprachstoffe zu üben.
Aber naturgemäss wird nun die Entscheidung immer schwerer, was eigner
Anlage, was der Nachahmung zu verdanken ist. Das gilt besonders für
das grosse Gebiet des kindlichen Kauderwelsch, von dem schon oben
gelegentlich die Rede gewesen ist. Wo dieses bereits in der Lallzeit als
Nachahmung der unverstandenen Sprache der Erwachsenen auftritt (s. o.
27, 202, Stern Kspr. S. 91), kann mau doch nur von einer Nachahmung
des allgemeinen Klangeindrucks sprechen, während die Lautgebung selbst
aus dem Eigenbesitze des Kindes bestritten wird. Mit der Zeit muss
jedoch die Nachalimung immer zielbewusster und bestimmter werden.
So, wenn kleinere Kinder den fremdsprachlichen Übungen ihrer älteren
Geschwister zuhören: sie bilden sofort die geheimnisvollen Klänge nach
und sind dabei oft genug in dem Glauben, wirklich in einer fremden
Sprache zu reden, aucli gehen sie wohl daran, eine Geheimsprache für
ihren eigenen Gebrauch zu schaffen,') wobei im einzelnen Falle das Spiel
zu ernsteren Ergebnissen führen kann, als man gewöhnlich annimmt
(vgl. Kspr. S. 345 ff., Sp. d. M. S. 442).
Solche Eigenleistungen der Kinder haben sicherlich einen Nieder-
schlag hinterlassen in dem Kauderwelsch, wie es besonders in den Ab-
zählreimen in üppiger Blüte steht. Aber es ist sehr schwer, das echte
Kindergut herauszusondern. Am ehesten wird mau dem Kinde zuweisen
dürfen, was in dem Gleise der oben behandelten, aus der Lallsprache
ableitbaren Wortprägungen verläuft oder doch aus ihnen weitergebildet
scheint, etwa Lewalter und Schläger Nr. 176 Eller zeller zibbel zabbel Eebbel
bebbel knoll, 178 Enter tenter tiramenter Enter tenter weg, 188 Ohne
dohne dante rohne Itta titta futt, 189 Eene meene ming mang kling klang
Use buse packe dich Eier weier weg, 190 Annchen dannchen diddchen
daddchen Ewerde bewerde bittchen de battchen Ewerde bewerde bu. Ab
bist du, 211 Eene meene dunke funke rabe schabe dippe dappe Kaiser
läppe (sonst: Käsenappe) diele puffe aus, 228 Äppelchen bäppelchen
bierchen beichen puff usw., wobei denn freilich die Frage offen bleiben
muss, ob und wie weit bei der versartigen Ausgestaltung Erwachsene be-
hilflich gewesen sind. Auf der anderen Seite stehen vereinzelte Beispiele,
die bei aller Sinnlosigkeit wirklich auf eine fremde Sprache hinweisen,
bei denen also Nachahmung im vollsten Sinn anzunehmen ist; das ver-
breitetste Stück dieser Art ist wohl Böhme I Nr. 1861 Un deux trois quatre
mit seinen vielen Entstellungen,, die doch immer einen französischen
1) Es ist bemerkenswert, dass ein Kind sich einbilden kann, in derartig
spielerischen, anscheinend ganz willkürlichen Wortschöpfungen müsse ein Sinn
liegen (Meringer S. 120 ; Blümmls Quellen und Forschungen ü, 24\ Darin spricht
sich wohl dieselbe Hochachtung vor dem Worte, zumal dem geheimnisvoll klin-
genden, aus, die im Volke so viel abergläubischen Gebrauch hervorgerufen hat.
22 Schiäser:
Wortlaut ahiiöu lassen.') Zwischeu boidoii (jru()pen findet man aber eine
dritte, die im ganzen der ersten näher steht, indem sie unzusammen-
hängende, nur äusserlich leicht gebundene Spielwörter häuft, im einzelnen
aber neben offenbaren Neubildungen mit dem Klangoharakter einer be-
stimmten Sprache auch verständliche Wörter fremdartigen Klanges aufweist:
Lewalter und Schläger Nr. 191 Ong drong dreoka Lembo lembo seoka
Seoka di tschipperie Tschipperie di Kolibri..., anderwärts mit der
'Eindeutschung" Kohlebrieh; 193 Eene meene mieno Galleredde sieno
Galleredde ispusedde ... — hier dürfte Espersette, wie es eine andere
Fassung bietet, die Herkunft anzeigen, in solchen Bildungen lassen sich
wohl die kindlichen Versuche wiedererkennen, eine fremde Sprache nach-
zuahmen,') nur lässt die hoffnungslos verworrene Überlieferung fast nie
ein halbwegs sicheres Urteil zu. Hier muss uns erst vielseitige Be-
obachtung und vergleichende Behandlung einzelner Stücke einen Weg ins
Dickicht bahnen.
Wenn man gegen die Wanderung einzelner fremdsprachlicher Stücke
nichts einwenden wird, so liegt es doch für die meisten Fälle näher, die
Schule verantwortlich zu machen. Hier erlebt in der Tat das Sprach-
spiel in geselligem Wetteifer eine zweite Blüte. Ganz besonders worden
im Schulverkehr die kindlichen Geheimsprachen gepflegt. Bei diesen
denkt man wohl durchweg an reine Nachahmung der Yerstecksprachen
Erwachsener, zumal da die geschichtliche Betrachtung letzten Endes auf
Klosterüberlieferung hinzuführen scheint: die verbreitetste Kindergeheim-
sprache, die sogenannte b- oder p-Sprache, ist auch die ältestbezeugte,
sie erscheint, wie in einer Helmstedter Handschrift der Bibliothek zu
Wolfenbüttel, so auch schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts
bei Bruder Gallus Kemly in Sankt Gallen (E. Henrici, Sprachmischung
1) Das ist natürlich nicht auf den Abzählreim beschi-änkt. Wir haben einen
sehr merkwürdigen Fall in dem Kinderreif,'en 'Seht den Kranken scheiden' . . . .,
den wir nahezu sicher auf ein französisches Vorbild 'C" est .oder J ai un grand
chäteau' zurückführen können, nur dass dieser aus rein französischem Gebiete noch
nicht nachgewiesen ist, s. Lewalter und Schläger '2G0. — Ein anderer französischer
Reigentext mit zweifacher Umgestaltung im Munde der kleineren Mädchen und der
Bürgerschüler zeigt, wie schwierig das Urteil über den Wortlaut sein kann, wenn
wir nicht zufällig die Grundlage kennen: M. Adler, Volks- und Kinderlieder,
Programm Halle 1901, S. 26.
2 Sprachliche Grenzgebiete werden für dergleichen den günstigsten Boden
abgeben, es fehlt aber noch an ausgiebigen Beobachtungen hierüber. Aus Schlesien
kenn ich einen Abzählreim, der unter' dem Xamen 'Polnisch zählen geht, aber
offenbar nur ganz unbestimmte Anklänge aufweist: Enns wenns drenns fiba faba
hunka puuka dricka polla päpst (DVA. A 50 775). Wirkliche Mehrsprachigkeit findet
sich aber in manchen der von Piger mitgeteilten Reime aus dem südösterrcichischen
Mischgebiete, Zeitschr. f. öst. Volksk.. Supplementheft 1 zu Jahrg. 6 S. 26 ff., und in
Gottschee, Hauffen S. 161 f.; so auch in einem schlesischen Namenreim (DVA.
A. 51 349).: Hans, Podry Gans, Krotki wogön, Dlugi Schwanz (= H., Untergerupfte G.,
Kurzer Schwanz, Langer Schw.).
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 23
in älterer Dichtung Deutschlands S. 53; J. J. Schneider, Über zwei Hand-
schriften der Stadtbibliothek iu Zürich, Züricher Dissertation 1904,
S. 163, Schweizer Volkskunde 4 Heft 3 S. '22). Trotzdem ist angesichts
der vielen einwandfreien Beobachtungen an Kindern und besonders auch
der von Preyer so genannten Embolophrasie (oben S. 20 Anm. 2) die Mög-
lichkeit vorhanden, dass die b-Sprache Kindern oder wenigstens Halb-
wüchsigen zu verdanken ist; die Klosterüberlieferung braucht ja nicht aus
der Schulstube hinauszuführen. Von mehr als Möglichkeit darf man
selbstverständlich nicht sprechen.')
Eine alte Schulspielerei ist ferner der Rücklauf, die Umkehrung
von Wörtern und ganzen Sätzen. Einer der frühesten Scherze, die ein
ABC-Schütze von etwas älteren Leidensgenossen lernt, ist die Umkehrung
seines Namens, z. B. Regälsch Gnagflow, was in mitteldeutscher Aus-
sprache ganz verfänglich klingt; dazu gehört dann die Spiegelschrift, die
alles wieder in Ordnung bringt. Es liegt nun sehr nahe, Jagd auf Wörter
und ganze Sätze zu machen, die rückwärts und vorwärts gelesen völlig
gleich lauten: Otto, Anna, Reliefpfeiler, Ein Neger mit Gazelle zagt im
Regen nie (Lewalter und Schläger Nr. 389. 545 f.); hierher gehören auch
die sicherlich in Klosterschulen gepflegten 'versus recurrentes' (vgl. Hessische
Blätter für Volkskunde 13, 154; G. Gröber, Grundriss der romanischen
Philologie H, 1, 392 Anm. "2). Hier könnte man freilich Tiefsinn wittern.
Ein beliebter Gegenzauber besteht darin, die Zauberformel rückwärts zu
lesen und dadurch ihre Kraft aufzuheben; infolgedessen ist die schützende
Rückläufigkeit vielen Zauberformeln eigen, vom griechischen aßXava&av-
alßu zum mittelalterlichen und heutigen sator arepo tenet opera rotas
(A. Dieterich, Kl. Sehr. S. 264f.; Hess. Bl. 13, 154; oben 25,245. 27,269).
Aus solchem Ernstgebrauche kann man sich gewiss das Scherzspiel er-
wachsen denken, wenn man einmal den Glauben dazu hat. Mir scheint
jedoch der Umweg so wenig nötig wie beim Kauderwelsch der Abzähl-
reime (oben 27, 215). Wir haben überdies auch in der Dichtung etwas
Gleichartiges, wofür meines Wissens noch niemand den Zauberbrauch
bemüht hat: ich meine die symmetrische Wiederholung der Zeilen einer
Strophe, wie wir sie aus dem mittelhochdeutschen Lied und Spruch ins
neuere Volkslied und iu allerlei Scherzformen verfolgen können (Carm.
1) über die Schülergeheimsprachen vgl. F. Kluge, Rotwelsch I, 111 f.; Unser
Deutsch 3, Leipzig 1914, S. 81f.; H.Schröder, Streckformen, Heidelberg 1906, S. 256 f.—
Es sei angemerkt, dass Einschubsilben ganz ähnlicher Art wie in manchen kindlichen
Geheimsprachen sich in durchaus ernsthaftem Gebrauch in Gottschee finden: dort
sind in manchen Liedern, besonders dem geistlichen Osterlied Hauffen Nr. 43, viele
Wörter dem melodischen Rhythmus zuliebe durch die Silbe d^h zerdehnt, z. B. troada-
hoascht = Trost, guardahuarta = Garten, ublosboidahöchan = Äblasswocheu. Es ver-
dient Beachtuns, dass hierdurch wieder Silbengruppen der oben S. 15f. behandelten
Art entstehen. — Eine eigenartige Geheimsprachbildung im kindlichen Schnell-
sprechscherz wird verzeichnet Schweiz. Arch. f. Volksk. G, 151.
24 Schläger:
Bur. Nr. 136a Chume cliuin, geselle min; \Valther Nr. 87 Nienian k;ui mit
gerten; Erk und Böhme Nr. 1491 Schäfer, sag, wo willst du weiden: Musen-
klänge aus Deutschlands Leierkasten " S. 147 ff., Lewalter und Schläger
Xr. 401 Eduard und Kunigunde: das Lammerstratenlied und die Schwellkehr-
reime vieler Zälilgesehichteu). Es läge nicht fern, die ganze Art auf
tiedächtnisverse zurückzuführen, wie es S. Singer, Schweizer Archiv für
Volkskunde 19, ]'I2 mit den Kettenreimen tut; das würde auf Walthers
lehrhaftes Gedicht passen, aber ganz und gar nicht auf die anderen
lyrischen Stücke, und so dürfte R. "Wustmann (Walther von der Vogel-
weide, Strassburg 1913, S. 65) recht haben, wenn er meint. Walther
habe „einen künstlerischen Scherz, mit dem die Spielleute manchmal
tändelten", als Lernhilfe Terwendet. Es ist eine Spielform und in der
Wurzel von den kindlichen Umkehrungen nicht zu trennen. Schliesslich
ist es nicht ganz ausgeschlossen, auch diese Spielform bis in die Lallzeit
lies Kindes zurückzuverlegen. Preyer bemerkt S. 299 ausdrücklich, dem
Kinde liege neben der Doppelung wie papa, veinei auch die Umkehrung
wie ot—to, en — ne, an — na sehr günstig. Indes erscheint es inii' nicht
sicher, ob Preyer, im ganzen ein trefflicher Beobachter, auch seine laut-
lichen Begriffe ausreichend geschult hatte, um die herkömmliche Doppel-
schreibung des Konsonanten zur Bezeichnung der Vokalkürze von der
wirklichen Verdoppelung unterscheiden zu können. Dieser Ausblick
bleibt also besser aus dem Spiele.
Endlich wurzelt im Schulleben noch ein anderer, ausserordentlich be-
liebter Scherz: Deutsch mit einer fremden Sprache, meist Latein oder
Eranzösisch, zu mischen, sei es nun, dass wirkliche fremde Wörter zu-
sammenhängend unter die deutschen eingeschaltet werden, oder dass man
deutschen Wörtern auf irgend eine Art den Anschein fremdsprachlicher
gibt — letzteres zugleich eine Art des Rätsels. Auch das lässt sich ins
Mittelalter hinein verfolgen; ich will nur erwähnen, dass selbst das an-
spruchsloseste (iewächs ähnlicher Art, die sinnlose Wortübertragung (etwa
Lewalter und Schläger Nr. 510: Josephus pulex po.st Aegyptum et multura
in plus) ihre Vorbilder in der Klosterüberlieferung findet, wie mau in dem
öfter erwähnten Buche von Henrici ergötzlich nachlesen kann. Ob nun
Kinder aus sich heraus solche Spässe erfinden können, darüber lässt sich
vorläufig nichts sagen, und so will ich bei diesem Punkte nicht verweilen.
Soviel sei indes angemerkt, dass in sprachlichen Mischgebieten die Kinder
wohl Wörter verschiedener Herkunft durcheinandermengen (s. o. S. 22
Anm. 2), aber, wie es scheint, nicht zur eignen sprachmischenden Wort-
bildung neigen, worin sich ein selbständiger Trieb doch wohl kundgeben
müsste. Rzesnitzek, der einzige, der meines Wissens hierauf geachtet
hat, kennt einen Fall (S. 33 'das podobeien mir" = das gefällt mir. nach
polnisch podobac), bei dem es noch dazu zweifelhaft erscheint, ob er nicht
doch aus der Sprache der l^rwachseuen stammt.
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 25
Vieles andere muss hier noch aus dem Spiele bleiben, weil sich für
einen selbständigen Anteil des Kindes zu wenig Anhalt ergibt. So will
ich nur darauf hinweisen, dass auch die Sprechfehler, wie sie naturgemäss
beim lernenden Kinde besonders häufig auftreten, vom Spieltrieb ausge-
beutet werden. Das gilt vor allem von der 'Metathese', der Laut-, Silben-
und Wortvertauschung (Meringer S. 10 ff., Kspr. S. 296 f.): aus ihr ist
eine grosse Reihe von Sprachscherzen erwachsen, vgl. Lewalter und
Schläger Nr. 493 a, nur lässt sich nicht behaupten, dass das Kind einen
wesentlichen Anteil an ihrer Entstehung habe, da auch die Sprache der
Erwachsenen von dieser Neigung aufs stärkste betroffen wird (s. bes.
Meringer und Mayer, Versprechen und Verlesen, Stuttgart 1895, und
Meringer S. 1 ff.). Ebenso Hesse sich den überraschenden Ähnlichkeiten
zwischen Kinder- und Studentenscherzen noch weiter nachgeben. Allge-
mein bekannt ist z. B. der Fidulitätsscherz, eine Strophe, etwa 'Der Papst
lebt herrlich in der Welt' usw., durch die verschiedenen Vokale hindurch-
zusingen: Dar Papst . . . , Der Pepst . . . , Dir Pipst . . . usw. — wobei
sich denn auch ein gewisser Ausblick auf Walthers Vokalspiel 'Diu werlt
was gelf, rot unde bliV erofTnet; ähnliches im Kindermunde Schweiz. Arch.
f. Volksk. 6, '291 Nr. 88. Dagegen ist noch wenig bekannt, aber ein-
wandfrei bezeugt, was R. M. Meyer (Indogerm. Forschungen 12, 61)
von seinem offenbar noch kleinen Sohn erzählt: dieser fand Vergnügen
daran, statt 'gib mir den Schlüssel' zu sagen 'gab mar dan Sclilassal', und
ein so gewiegter Beobachter hätte es gewiss vermerkt, wenn hier an den
Einfluss Erwachsener zu denken wäre.
Jedoch wir müssen uns bescheiden. Auf einem noch so wenig durch-
forschten Gebiete muss das Unsichere und Rätselhafte überwiegen; und
ich möchte zum Schluss noch einmal aussprechen, dass auch meine Aus-
führungen keinen Anspruch darauf erheben. Feststehendes und Unzwei-
deutiges zu bringen. Hab ich aber dartun können, dass unermüdliche
Beobachtung und eindringliche Betrachtung uns mit der Zeit wohl dazu
führen mögen, den Anteil des Kindes mit einiger Sicherheit festzustellen,
und dass sich das auch lohnen mag, so ist der erste Zweck dieses Auf-
satzes erreicht.
Freiburg i. B.
26 Müller:
Das Fangsteinchenspiel in den Rheiulanden.
Von Josef Müller.
In (ier reichhaltigen Abhandlung von Elisabeth Lemke') über das
Fangsteinchenspiel, in der die Verfasserin das alte Spiel durch alle Zeiten
und Lilnder verfolgt, seine Bezeichnungen sammelt und die mannigfachen
Spielregeln beschreibt, sind die Uheinlande nur mit wenigen Belegen ohne
Angabe des Spielverlaufs aus Horaberg bei Düsseldorf und Wevelinghoven,
Kreis Neuss") vertreten. Auch sonst ist in der rheinischen Literatur^)
nicht allzuoft über das verbreitete Spiel gehandelt. Doshalb halte ich es
nicht für unzweckmässig, eingehender, wenn auch nicht erschöpfend,*)
dies auch in den Rheinlandeu früher mehr als heute geübte Spiel hin-
sichtlich seiner Bezeichnungen und Spielregeln darzustellen. Es ist vor-
züglich ein Mädchenspiel; doch auch wir Jungen übten es mit gleicher
Fertigkeit und Unverdrossenheit.
Wie der griechische Name des Spieles {nevxEXL&iCeiv) andeutet, wurden
Steine oder Kiesel vorzüglich verwandt. Und so sind aucli noch heute
abgerundete Steine (Schnapp-, Gappsteine im rhein. genannt) aus Basalt,
Quarz (Wacken), Tonschiefer bei uns im Gebrauch. Aber neben Blei-
stücken, Bohnenringen, Borkenstückchen, Entenhalswirbeln, Fischknoehen,
Haselnüssen, Holzwürfeln, Kastanien, Kernen verschieilener Früchte u. s. f.^),
wie sie in den verschiedensten Strichen verwandt werden, dienen dem
Spiele Knöchel aus dem Gelenk der Hinterbeine von Schafen, Ziegen,
Kälbern mit den vier im Aussehen verschiedenen Flächen, die Astra-
o-alep der Alten. Freilich galt der Besitzer solcher Golenkknöchelchen
bei uns in der Jugend als ein beneidenswerter Glücklicher, so selten
waren sie; sie vererbten sich von Mutter auf Tochter. So auf dem Lande.
In der Stadt freilich waren sie leichter bei den Metzgern zu erlangen.
So konnten die Mädchen in Düsseldorf in den 70er Jahren 4 Knöchel
für 8 Ff. erstehn.
Diese Knöchel führen landschaftlich verschiedene Namen; mancherorts
ist auf sie die Bezeichnung der Schnappsteine (s.u.Bickel,Brickel) übertragen.
1) Oben 16, 46-66 (1906). 21, 271-27(; (lOll).
2) Obon IC). 51. .')!. 59.
3) Der Nioderrhein 1879, S. 23. 39; la^l. S. 136. Niedenh. Geschichtfr. 1879,
S. 66. .lahrbuch d. Vor. f. nd. Sprachf. 32, 71 f. ^190G : oben 10, 2G0; Zs. des Aacli.
Geschichtsv. lO, 14.'i; Zs. f. rhein. Volkskunde 15, 122 (1918\
4) Dies ist bei den von Ort zu Ort wechselnden Spielabstufungen eine unlös-
bare Aufgabe. Auch dem rheinischen Wörterbuche wird diese Aufgabe trotz reichsten
Stoffes kaum Kolingi^"! «'»* freilich bei den mundartlich so verschiedenen und
sprachlich merkwürdigen Kinzelbezeichnungen nur zu bedauern ist.
5) Lemke oben IG. 4t> f.
Das FanKsteinchenspiel in den Rheinlanden. 27
Im Niederfränkischen ist gebräuchlich köat (Ruhr), kot (niederrh.
Cleve), küat (Heinsberg), kötala und kötolbögala (Düsseldorf), kotel-
knökska (Elberfeld), kütsa (Brenig), d^balkfiat (Heinsb.-Kirchhoven), ein
im nd., ufr., ndl. verbreitetes Wort; vgl. nmd. köte, 'Huf, Klaue, Knöchel,
SpielknöcheF; mnl. cöte; nihd. kcete; ndl. koot; fläm. keute; mit Ablaut:
ofries. käte, eine aus der idg. Wurzel gud entwickelte Bildung, die wie
kütal (null, cötel, cotel) ndl. keutel bedeutete 'dickes, rundliches Ding'.
Im ufr. (Xanten) bedeutet köt (f.) noch den Fussknöchel des Rindes und
des Pferdes, dort auch die Redensart: ower da köt sita. Im Ripuarischen
bedeutet dasselbe küt (f) 'Hornschuh des Rindviehs'. — Dazu das Zeit-
wort kotalan 'mit Hammelknochen, Schnappsteinen spielen.' In Düssel-
dorf hiess der dicke Spielstein, der in die Höhe geklitscht wurde, kötal-
dots (m.).
Verbreiteter jedoch ist der bekal, begaU). So in Emmerich, Moers
(Felden), Neuss, M.-Gladbach (begaltor). Schon Kilian überliefert: bickel,
pickel 1. 'talus, talus lusorius'; 2. 'bickel, bickelsteenken 'Petrae mica,
petrae fragmentum quod scalpendo desilit, assula, segmen, segmentum.'
Abgeleitet ist das Wort von einem Zeitwort bikken 'hauen' (ahd.
bicchen, mhd. bicken (becken), mnd. bicken), wozu die Subst. mnl. bicke,
bickel (= nhd. Pickel), mnd. bicke, ags. becca 'Werkzeug zum Bicken'
gebildet sind, ursprünglich bedeutet also bickelstein ein abgehauenes
Stück von einem Steine, dem die gerundete Form zu einem Spielsteine
gegeben wurde; so dass schliesslich mhd. bickelstein 'dobbelstein' bedeuten
konnte. Auch bickel allein hat schon mnd. diese Bedeutung. Für Spiel-
schüsser, Klicker kommt das Wort bekal in einem grossen Teil des nfr.
vor. Entweder sind also in den oben genannten Gebieten zu diesem
Fangsteinspiele eigens geformte Steinstücke verwandt worden, oder auf
die Hanimelknöchelchen ist das Wort bickel, das in nächstfolgender
Bedeutungsentwicklung 'Steinschüsser' besagte, übertragen worden. In
Barmen sagt man auch: pikalkncjakan. (Der Ersatz des anlautenden b durch
p ist sclion alt. In Keldenich (Bonn) heissen sie pekola auch mit an-
lautendem p.) Der aufspringende Ball heisst in Kempen bekalbal. Das
Spiel wird verbal bezeichnet mit bekaln, begala.
In Adenau (Antweiler), Euskirchen gilt brekal (m.), plur.: brekala;
in Randerath (Geilenk.) brek-knyts (plur.). Auch bei diesem Worte ist
wohl ein ähnlicher Bedeutungswandel anzunehmen, brik (aus frz. brique
'gebackener Stein, Ziegelstein vgl. briquette) bedeutet im altndl., südndl.,
rechtsrip. noch 'Ziegelstein'. Wenn nun zu diesem Spiele geformte Ziegel-
steinstücke verwandt wurden, so war sprachlich die verbale Bezeichnung
des Spieles durch brikala (brekala) leicht gegeben, wie es noch heute
dort heisst. Aus dem Zeitwort brickeln ergab sich dann leicht das Subst.
1) DWb. 1, 1809 unter Bickeleinspiel, Bickelstein.
28 Müller:
brickel für den Spielstein und schliesslich für den Knöchel. Doch ist es
auch möglich, dass das nordripuarische preke -mit dem Fangball spielen'
(prekbal) von Einfluss gewesen ist, wenn auch das anlautende br- nicht
uhne weiteres mit pr- gleichgesetzt werden darf. In Kcldenich (Bonn),
wo man die Spielsteine prekeiten nennt, liegt das oben angeführte prekan
zugrunde. (Zu mhd. pfreckeu, nind. pricken 'stechen'; zum Bedeutungs-
wandel vgl. das nhd. 'Stich' beim Kartenspiel; pricken galt vorzüglich
für das Stechen von Fischen (vgl. mnd. pricke 'scharfes Gerät zum Aal-
fang'). Aus diesem Vorgange erschliesst sich leicht die Bedeutung 'fangen',
und da der zu schnappende Stein oder Ball ja auch wie ein vorbei-
huschender Fisch gestochen oder gefangen werden muss, so ist die Be-
deutung vom pricken, 'Ball schnappen', 'Steinchen auffangen' leicht ver-
ständlich. Aus diesem so inhaltlich bestimmten pricken wurde das Subst.
prekbal, prekasten abgeleitet. Doch vielleicht geben die italienischen
Bezeichnungen für brekel einen andern, nicht uninteressanten Hinweis:
giocare a breccia, a brecola, brezelle, briccelete, brizzele, giuoco di
vrecelle, Wörter, die mit breccia 'Mauerbruch", briciola 'Krümel" verglichen
werden.^) Lautlich ist die Entlehnung aus dieser romanischen Sippe durchaus
möglich (etwa aus bricola), zu einer Zeit, da bric noch nicht zu brez
sich entwickelt hatte. Dazu kommt, dass im rip. eine der Flächenseiten
bretsal genannt wird, eine Form, die wohl auch aus der rom. Bezeichnung
der Knöchel selber stammt, freilich ein frühes Nebeneinandergehen von
brik- und brez-Formen voraussetzt. Stimmt diese Gleichsetzung. dann
dürfte der Schluss nicht fem liegen, diese rip. Namen auf die alte Be-
rührung der linksrheinischen Franken mit den Eömern zurückzuführen.
Im Geldrischen ("Weeze, Nieukerk, Kevelaer) und Clevischen heissen
die Gelenkknochen hilto (helta), angrenzend an das benachbarte hell,
hiltik.") Im Kempener Lande bezeichnet man den Spielknöchel mit jelt
(möt jeltan Spilan), ein "Wort, das trotz des verschiedenen Anlautes mit
hilte verwandt zu sein scheint. In der Aach. Gegend ist knots, plur.
knöts gebräuchlich, das dem ndl. knots (Ableitung zu Knoten) entspricht:
möt kn9ts preka (Mariadorf-Aach.), brekknyts (Randerath). dobalknots
(Erkelenz). Im Kreise Schieiden führt der Spielknöchel den Namen
mekelsten (verbal: mekala), wohl zu mek 'Ziege' gebildet. Einigen
Mundarten ist ein besonderes Wort für diese Wirbelknöchelchen verloren
1) Lemke oben 1(1, 49 f. Aus Euskirchen ist auch rekdl neben brek.il über-
liefert, das wohl eine verstümmelte Form aus brekal darstellt.
2) Vgl. Junius, Nomenciator omnium rerum 1567 p. 319b: HiUokensspel, koten-
spel, illud ovillis talis, hoc lusus genus bubulis constat. — Die mnl. Formen sind
hiltike, hyltinge mnl. Handwb. -Jöl a). — Auch Fischart in seinem Spielverzeichnis
(Geschichtklitterung Kap. 25, S. 26S ed. Alslebcn) führt an: Hiltekens, Wirten. —
Die Etymologie steht nicht fest; doch vgl. die Versuche im Niederrhein 1ST9, S. '23.
39; 1881, S. 13G; Niederrh. Geschichtsfr. 1879, S. GG und Steinmeyer, Ahd. Glossen 4,
.3228 (s. Hilte\ — Lemke oben 16, .54. 60.
Das Fangsteinchenspiel in den Rheinlanden. 29
o-eo-ano-en- sie beo-niio-en sich mit der einfachen Bezeichnung: kngüchalcha
{Rhöndorf), knechalcha (Niederprüm), oder sie setzen ein bezeichnendes
Bestimmungswort davor: tetsknyuch (pl.: -knijüch) (Raeren, Aachen), tets-
knöük (Kettenis-Eupen), so genannt, weil die Knöchelchen auf der Stein-
platte auftitschen, aufspringen. Das Spiel selber verbal: tetsan.^) In
Cronenberg (s. Wb. der Cronenb. Mda. S. 106) heissen sie sipsupknökan,
nach der mit einer Vertiefung versehenen sup- (tsup-) Seite genannt, wie
auch in Werden die Bezeichnung jätar (plur. Jäters) auf die gat- (Loch-)
Seite zurückführt. In Linirich nennt man sie d^kknyks, das Spiel verbal:
dokon, im Gummersbachschen wib8lku9k8n, wim8lkn9akan; mit den wimal-
kn9aken spielen heisst wimein, in Kempen-Boisheim humenknöchel, in
Cröv (Mosel) sulersingken (Schulterknochen).
Der seit alter Zeit für den Spielwürfel gebräuchliche Name d9b9l
(m.) wird im rip. und ufr. hier und da auch auf den Spielknöchel bei
unserm Spiel angewandt;^) erweitert zu dybelsten (verbreitet im Kreise
Aachen, Eupen, Schieiden. Bergheim, Köln, Mülheim, Sieg, Mettmann vgl.
Eup. Wb. S. 33, Cronenb. Wb. S. 21) und zu d9balkn9ts (Kreis Erkelenz),
und zu dnbalkflat (Heinsberg) (s. u. köt). In denselben Gegenden wird das
Spiel verbal hezeiclinet mit doboln (mnl. dobbeln, mnd. dob(b)eln (döpeln,
doffeln), afries. dobbeln, doblia, anord. dubia, dufla, mhd. top(p)elen).
Die zum Spiel verwandten Basalt-, Quarz-, Tonschiefersteine heissen
gapstenche (moselfr.), wekelcher (ebd.), höwaken, Hochwacken (Büschfeld-
Merzig), knipsten (Diesdorf), glekarsti^nche (Waldhölzbaeh-Saar), sülarJten
(Ayl-Saar),pobastencha (Niederfischbach- Westerw.), k]itssteii(Aegidienberg),
snapsten (rip. allgem.), tupchanstenchan (Leuscheid-Sieg), doch werden
diese Namen auch sämtlich auf die Gelenkknöchelchen übertragen. Das
Auffangen verbal: gapen (moselfr.), srapan (Ehlenz), ratsan (Ellern), hikan
(Barmen).
Die vier im Aussehen verschiedenen Fallflächen der Knöchel (Astra-
galeii) führen ihre bestimmten Namen. Im griechischen Altertum hiessen
diese: ylov, vmiov, jrgave;, y.(5o)'^). Sie besassen ihren festen Zahlenwert
(1, 3, 4, 6), so dass man sie zum Würfelspiel verwenden konnte, ohne
eine Ziffer darauf zu schreiben.'') In den Rheinlandeu sind folgende
Flächenbezeichnungen gebräuchlich:
1) Eupener Wb. S. 102; Schollen, Zs. d. Aach. Gesch. 10, 145. Auch in Mulartzhütte.
2) Franck, Etymol. Wb. 2, 120 leitet das Wort ab von afranz. doble ;franz. double,
lat. duplum). Dabei steht aber die Bedeutungsentwieklung nicht fest; vielleicht
•um einen doppelten Einsatz spielen' ^lat. duplo ludere). Doch muss darauf hin-
gewiesen werden, dass die rem. Sippe dobl- in der frk. Mundart zu dubel sich ent-
wickelt, während unser Wort dgbel offenes y aufweist. Möglich, dass dgp 'Spiel-
kreiser eingewirkt hat.
3) Oben 16, 47 f. mit Zeichnung.
4) L. BoUe, Das Knöchelspiel der Alten 1886 S. 10. Tafel 2. R. Andree, Eth-
nologische Parallelen und Vergleiche, Neue Folge 1889, S. 104. 10r>.
30 Müller:
1. Die mit einer länfflichen, gewundenen Verliefung versehene Seite (jrjoi',
tortuosum) bretsoi (Sieg-Rliönclorf), döbal (Schieid.-Wollcnberg), dyp (Hückeswagen,
Boisheira), dubal (Eusk.-Dirmcrsheim), fengas (Kup.-Keitenis), gfttar, götort (Rees,
Geldern; zu got 'Gosse'), petol Jirenig), plönoko (Neuss), püp (Remscheid), stt'rn
(Moers-Peiden), stenkart (Kupferdreh), tlts (Aach.), tulap (Bonn), isin (Solingen),
tsüp (Eusk.), tsüpko (Düsseid.), tsup (Niedcrprüm) und rip. allgom.
2. Die untere glatte Seite {^'.nrmv, planum) gndar (Geld.-Nieukerk), semp
(Rhöndorf), ts^-m (Mülh.), sein (Hückesw.), Isi/mal (Wollenberg), tsemp') (Eusk.),
tserapka (Düsseldorf, neben plctche), ston, stönoka, stundar, styndar (nfr.), stangk
(Aach.), vvöp (Kettenis), antalowep (Breinig), wepche (Aach.).
3. Die Lochseite {-/.wov, pronum) loch, louch, lökska. lök (allgem.), Mkarts
(Werden), löuscha (Aach.), kulchar (Eschweiler), külder (Geld., Rees) zu "Kaule',
gat (Moers), gatart (Kupferdreh).
4. Die gebogene Seite (.toujtc, supinum): blotar, blötarka, blödar (Kreis
Geldern), buch (rip.), bükor (nfr.) 'Bauch', pukai (Solingen), rök, rögal (Eupen,
Montjoie) 'Rücken', rökacho (Aach), Ypsilon (Krefeld).
A. Das Knöchelspiel.
K. Caro schildert uns den Verlauf des Bickelns, wie es zumeist am Nieder-
rhein geübt wird, im Jahrbuch des Ver. f. nd. Sprachforschung 32, 71 f. (190G)
also: Das Spiel wird an einem Tische ausgeführt. Die vier Bickeln werden auf
den Tisch geworfen, und zwar regellos. Dann wird von dem Mädchen, das an
der Reihe ist. der Ball mit leichtem Nachdruck auf den Tisch geworfen. Er
wird natürlich wieder in die Höhe fliegen, er 'steuzt'. Während der Ball sich
noch in der Luft befindet, muss das Mädchen den ersten Bickel mit derselben
Hand, mit der es den Ball geworfen hat, auf die Seite, wo die Vertiefung (külekan)
ist, zu bringen versuchen. Gelingt es ihm, so bringt es die andere Bickel in der-
selben Weise auf dieselbe Seite. Man sagt: Da bikal lejan op dat külokan. Das-
selbe wiederholt sich, jedoch mit der Veränderung, dass die Knöchelchen auf den
Rücken, wo die Erhöhung ist, zu liegen kommen. Man sagt dann: Da bikal lejan
op dan rögan. Dann folgt dasselbe, aber so, dass die Bickel auf der schmalen
Hochseite stehen: Da bikal st9n. Damit ist der erste Teil zu Ende. Beim
zweiten Teile müssen sofort zwei Bickel statt eines Bickels gewendet werden.
Beim dritten Teile müssen sofort drei und beim vierten Teile immer vier Bickel
sofort gewendet werden. Auch bei diesem Spiele kann der Erfindergeist der Mit-
spieler tätig sein, indem verschiedene Stellungen und Korabinationen vorgenommen
werden. Wer zuerst aus ist, hat gewonnen =).
In Essen^) wurde das Schüfein oder Bickeln also geübt: Man warf einen
Bickel, d. h. einen steinernen Ball oder auch einen Hartgummiball in die Luft,
und während der Ball in der Luft war, iiiusste man die Schüfel in eine bestimmte
Lage bringen und zwischenoin erst einen, dann zwei, dann drei und zuletzt vier
aufnehmen. Man unterschied danach vier Abteilungen des Spiels: tiktak, wenn
alle Schüfel in beliebiger Stellung dalagen; stönart. wenn alle aufrecht standen;
gatart, wenn die hohle Seite nach oben gerichtet war, und bükort oder bükskan,
1) Eine etymologische Erklärung dieser Fliichenbezeieluning ist kaum möglich
doch scheint somb-tsomp aus frz. simple zu stammen; romanischen Ursprungs ist
das Wort sicher, wie schon ts für s beweist.
2) In Aachen, wo vier tetsknöuchalcha und ein Ball gebraucht werden, ent-
stehen so 16 Einzelwürfe (Zs. des Aach. Gesch. 10, 145).
3) Zs. f. rhein. Vk. 10, 2ßOf.
Das Fangsteinchenspiel in den Rheinlanden. 3
wenn dies mit der gewölbten Seite der Fall war, und je nachdem man wieder je
einen, je zwei, je drei und je vier aufnahm, bei jeder dieser Abteilungen wieder
vier Unterabteilungen.
In Düsseldorf wurde zunächst die Reihenfolge beim Spiel bestimmt.
Aans' (Anfang) hatte das Mädchen, welches beim Aufwerfen der 'Böggele' die
meisten gleichartigen Flächen nach oben erzielte. Nach der Zahl der gleichen
Flächen richtete sich dann die weitere Reihenfolge. Das Spiel begann, indem
der 'Kotheldotz' in die Höhe geworfen wurde, so dass er auf dem 'Dörpel
'opknitschte' (aufprallte). Dann musste er mit der rechten Hand (nur der
'Lenkspoht' durfte die linke Hand gebrauchen!) aufgefangen werden. Während
der Zeit aber galt es, geschwind einen 'Böggel' herumzudrehen. Das vfiederholte
sich viermal, bis alle 'Kothele' auf derselben Seite lagen. Nachdem so alle
Flächen einmal nach oben gelegen hatten, mussten zum Schluss die vier Knöchel-
chen auf einmal zwischen die Pinger gefasst und herumgedreht werden. Wer
einmal fehlgriff, war 'ab', und nun traf die Reihe die folgende Mitspielerin.
In Dinslaken: 4 bekala und 1 Ball. Während der Ball aufhüpft, hatte der
Spieler die Bickeln nach der verlangten Seite umzulegen, zunächst immer je einen;
dann je 2 zugleich nach derselben Seite (st(,>nd8r nannte man diesen Gang), dann
3 zugleich und zuletzt den 4. (Gatar), zuletzt alle 4 Bickeln auf dieselbe Fläche
(Bok).
In Sieglar (Sieg) sind folgende Gänge bei dem Herumlegen der pekab
üblich: 1. am l^uch, 2. am buch, 3. am tsimcha, 4. am tsfmcha, 5. am opsats,
6. tösa Gnom, 7. tösa tsweia, 8. tös3 dreia, 9. tösa fiara (6 — 9 entsprechen den
oben bei Dinslaken angeführten st^ndar, gatar, bok, während 1 — 4 die Aufgabe
stellen, nur je 1 Pickel jedesmal auf die geforderte Seite zu legen, was 4 mal mit
je einem Pickel jedesmal wiederholt wird.)
In Euskirchen-Dirmerzheim nimmt das pekala folgenden Verlauf:
Während der Ball in der Luft schwebt, werden die Pickeln in bestimmter Ord-
nung gedreht: 1. Gang: einche, tsweiche, dreiche, viarche; die auf der Erde
liegenden Pickeln werden der Reihe nach aufgehoben, bis sie alle 4 in der Hand
sind. — 2. Gang: elguch, tsvveil^uch, dreil(^uch, viarlnuch. Alle P. werden so ge-
dreht, dass die Lochseite oben liegt. — 3. ebach, tsweibuch ... 4. etsgmp, tswei-
tsfmp ... 5. tdubbi, tsweidubal . . . Vor jedem Gang müssen die P. wieder
alle vier aufgehoben und aufs neue hingeworfen werden. Dieses Aufheben voll-
zieht sich durch Zusammenscharren (das Leichtere) oder durch sog. tika, d. h.
Aufgreifen der 4 P. an ihrem Platze.
In Schleiden-Wallenberg wird das mekala ähnlich gespielt. 1. Während
der Ball in die Höhe ('/.j— 1 m) fliegt, greift das spielende Mädchen zunächst die
4 mekalstGn zu je 1 hintereinander; dann 2 und 2, dann 1 und 3, zuletzt alle 4.
Jedesmal muss gleichzeitig der Ball geschnappt werden. Dann folgt während des
Ballfliegens das Legen der M. mit Rücksicht auf die vier Flächen: kül dön, rögan
diin, dgbal dön, ts^mal dön. Dann folgt dat iarts-chen: ein mekelstCn wird dpbel,
der 2. tsgmal, der 3. wieder d^bal, der 4. wieder tsgmal gelegt. Darauf das
tsw^tchan: die so liegenden M. werden von Zeige- und Mittelfinger umfasst und
herumgelegt. Dann das drytchan: das Kind muss zwischen Zeige-, Mittel- und
Goldfinger zweimal je einen Knochen nehmen und herumdrehen. Dann das
Viartchan: es muss zwischen Zeige-, Mittel-, Goldfinger und kleinen Finger drei
Knochen nehmen, den vierten dann allein zwischen Gold- und Zeigefinger und
umdrehen. Bei jedesmaligem Greifen muss der Ball geworfen und wieder ge-
schnappt werden.
3-2 Müller:
In Raeren galt es während des Tetsens einen oder nielirere tets-knöüch in
° c.
die Höhe zu werfen und in der Flugzeit die noch auf dem Tiseh liegenden in
bestimmter Art zu Kif;uron zu verschieben, etwa
In Trier, wo die Mädchen Mnglcalchos spielten, waren "2 Knöchelchen rer-
schieden gefärbt und zwei ohne Farben. Doch konnte ich bis jetzt Genaueres
über die Trierer Spielart nicht erfahren.
U. Das eigentliche Fangsteiiichenspiel.
Es wird entweder mit vier Steinen und einem Klicker, der bei jedem Fange
aufgeworfen wird, gespielt, oder mit fünf Steinen, von denen je nach der Reihen-
folge einer aufgeworfen wird. Wie reichhaltig hierbei die Erfindungsgabe der
Kinder in der Behandlung der auf dem Boden ruhenden Steine während des Auf-
hüpfens des einen Steines oder Klickers sich auswirkt, zeigen die folgenden Spiel-
besehreibungen. Immer neue Aufgaben treten vor unsere Augen, immer neue
Bezeichnungen werden gefunden, und wenn diese auch oft an manchen Orten
übereinstimmen, so sind doch oft die Regeln andere. Nach dem Gebotenen ist
es klar, dass es unmöglich ist, das Spiel von Ort zu Ort zu beschreiben und zu
verfolgen. Der Raum würde nicht hinreichen.
B 1 . Mit vier Steinen und einem K 1 i c k e r.
Wekalchas sbilon in Enkirch (Mosel): i) 6 W^kolsar (glatte Steine), ein
Klicker. Meist zwei Spieler, selten drei oder vier. Gespielt wird auf einer Stein-
platte (Treppentritt, steinerner Flur, Türschwelle). Der Klicker wird bei jedem
Gang mit der rechten Hand in die Höhe geworfen, und während er einmal von
der Steinplatte aufspringt, muss mit derselben Hand ein oder mehrere Steinchen
aufgerafft und der Klicker aufgefangen werden (mit derselben Hand). Geschieht
das nicht, dann ist das betreffende Kind ab, und das folgende fängt an. Ebenso
ist ein Kind ab, solange bis die Reihe wieder an es kommt, wenn es im Spiele
beim Aufnehmen ein anderes Steinchen berührt. Die aufgenommenen Steine
dürfen nach dem Aufnehmen aus der auffangenden Hand in die andere genommen
und aufbewahrt werden. Während jedes Einzelganges wird je ein Vers folgender
Strophe in singendem Tone gesprochen:
en de pli'n (Plan., siwa da goldajs stiwalchar.
tswü da flu (Floh), acht da wacht,
drei da brei, nein da pein,
f«"r da 8mer (Buttorschmiere), tsr-n da r^n i Regen i,
fönef da wölaf. rlaf da fijar .Eier)
süks da sleks (Schlicks) tswHlaf da tseijar.
1. Gang: Der Klicker springt; während das Kind singt: 'en do plen', wird ein
Steinchen genommen und der Klicker mit derselben Hand gefangen. Der Klicker
springt zum 2. Male; während das Kind singt: tswü da flu', wird das zweite
Steinchen genommen und der Klicker aufgefangen. So geht es weiter, bis alle
6 Steinchen aufgenommen sind, also bis der Vers 's<"ks do sloks' gesprochen ist.
Nun werden die Steinchen wieder hingeworfen, und das Aufrappen beginnt in der-
selben Reihenfolge und in derselben Weise, nur dass bei den folgenden G Würfen
jedesmal ein Vers von Vers 7 bis 12 gesungen wird. - 2. Gang: Die Steinchen
werden hingeworfen: jedoch müssen bei jedem Vers und Springen des Klickers
1, Mitgeteilt von Herrn Hauptlehrer Speth-Eukirch.
Das Fangsteinchenspiel in den Rheinlanden. 33
je zwei Steinchen auf einmal genommen werden. Die Steinchen müssen also bei
diesem Gange im ganzen viermal hingeworfen werden, bis Vers 1 bis 12 ab-
gesungen ist. — 3. Gang: Bei jedem Wurf des Rlickers werden 3 Steinchen ge-
nommen. Die Steinchen werden also 6 mal geworfen. — 4. Gang: Bei jedem
Verse und jedem Sprung des Klickers werden einmal 4 und einmal 2 Steinchen
genommen (oder zuerst 2, zuletzt 4). Sechsmaliges Hinwerfen der Steinchen,
bis alle Verse abgesungen sind. — 5. Gang: j und ein Steinchen werden ge-
nommen (oder 1 und 5), sechsmaliges Wiederholen. — 6. Gang: Alle 6 Steinchen
auf einmal genommen. Zwölfmaliges Wiederholen. — Dem Verschen scheint die
Uhr zugrunde zu liegen. Die Versenden sind des Reimes wegen auf die Zahl
gewühlt.
In Püscheid (Westerwald) spielen die Mädchen mit einem Ball und
4 snapsteinen. Die Reihenfolge der Einzelspiele ist folgende:
1. üstchan. — 2. tsweitchan. — 3. drötchan. — 4. flertchan, wie in Laubach
1 — 4, nur mit dem Unterschied, dass die aufgegriffenen Steincheu über die linke
Hand gelegt werden. — 5. niraklopan: wiihrend der Ball in die Höhe springt,
werden die Steinchen der Reihe nach aufgegrifl'en, hingelegt und jedesmal dabei
geklopft. — 6. bok: die aufgegriffenen Steinchen bleiben in der rechten Hand. —
7. uswürfal: ein Steinchen und der Ball werden in die Höhe geworfen und mit
der anderen Hand wird das Steinchen aufgefangen. — 8. eimyl klnpan. Beim
Nehmen eines Steinchens wird einmal geklopft. — 9. tsweimpl klypan. —
10. eiarlen: Alle Steinchen und der Ball kommen in die rechte Hand. Dc-r Ball
wird in die Höhe geworfen und jedesmal ein Steinchen behutsam hingelegt. Wenn
alle Steine auf dem Tische liegen, wird der Ball in die Höhe geworfen, alle
Steinihen werden zusammengerafft und sofort alles fallen gelassen. — 11, flpch
(Fliege), wie bei 1, 2, 3, 4, nur wird der Ball von oben gegriffen.
Aus Dahmen (Prüm): 4 Kieselsteine, ein Klicker (jik). Wahrend der jik
aufgeworfen wird und auf dem Steine aufspringt, sind vor dem Auffangen mit den
4 Steinen folgende Lageänderungen vorzunehmen:
1. et (erst): Ein Stein wird in der Zwischenzeit unter die linke gewölbte, auf
dem Boden ruhende Hand geschoben. — 2. tswC-: der 2. Stein wird unter-
geschoben. — 3. dröü: dasselbe mit dem dritten Steine. — 4. giarchan: Die
linke Hand über den 3 Steinen wird gehoben und der 4. Stein hineingelegt. —
5. seiarchan: die linke Hand legt die 4 Steine auf den Stein, die rechte Hand
schiebt sie unter die linke, die wieder gewölbt auf dem Steine ruht. — 6. klenga
(kleine) hiböni (Hebbaum); die linke Hand wirft alle 4 Steine in die Höhe und
fängt sie mit dem jik zusammen alle wieder. — 7. Gruse hib^m: die rechte Hand
tut dasselbe. — 8. Mentchas: Alle 4 Steine werden in der Zwischenzeit zum
Munde geführt und wieder zurückgelegt. — 9. Alle 4 Steine zurück ins Viereck.
— Folgende Spielregeln in Versform gelten;
1. De jik jet jafangen,
won \\'i net ka langan,
don as blakach, bläkach.
2. De steng duorfan net ryuskukan,
da hant duorf sich net farjukan (^verrücken)
de ipilar duorf sich net fardukan ifuschen).
Die Gewinnerin ist kinagin (Königin); in Bettingen, wo die Mädchen mit
•5 dakasan (dakes, dikas, 'Klicker') spielen, heisst sie Gölegötskan 'Goldenguts-
kind'. In Ehienz (Bitburgj, wo mit einem Klicker und 4 Schweinfussknöchelchen
gespielt wird und wo auch das srapan mit der rechten Hand im Bogen von oben
ZeitüChr. d. Vereins f. Volkskunde. 191S. 3
34 Müller:
um den aufgeworfenen Stein vorkommt, heisst das Spie! fuport (zu fupan 'hüpfen").
Einen gelungenen Gang nennt man eine srap; wer alle Unterspiele glücklich
durchgeführt hat, hat einen dop (Büschfeld)'). Die Mitspielerinnen suchen
freilich oft die glücklich F'ortschreitende zu verwirren und verwenden einen alten.
Zauberspruch:
lifks, hfks, henofös,
mäch, datsta d? ft}lan mos. (Laubach-Eifel.)
B-2. Mit fünf Steinen.
'Dad gabssden-sbir in Laubach (Hunsrück)^). Zum Spiel sind 5 rundliche-
Steine von Mirabellengrösse erforderlich, die sog. gäbs-sden = (Jabssteine: gabsa =
auffangen. Es können 2 oder 3, oder auch noch mehr Spieler sein. Das Spiet
vollzieht sich in 18 aufsteigenden und ebenso vielen absteigenden Stufen:
1. Grsder = Erster: Die erste Bewegung ist ed werfe, indem man alle 5 Steine
in die Innenhand fasst und sie aus dieser mit einem Wurf zu Boden wirft. Mit
der rechten Hand rafft man einen Stein auf: mor düd öna hiiio, wCroft en in di
he und hilt on änore, worauf man, den zweiten Stein in der Hand haltend, den
ersten hochgeworfenen Stein auffangt. Man hat also dann 2 Steine (Nr. 1 u. 2)
in der Hand, wovon man den einen weglegt: da erst werd wechgednn. Hierauf
wiederholt sich das Spiel mit dem 2. und 3., dann mit dem 3. und 4. und
schliesslich mit dem 4. und 5. — 2. tswöder = Zweiter: Zunächst erfolgt 'dad
hmwerfe' sämtlicher Steine. Hierauf rafft man einen und wirft ihn hoch,
tswe fun da änara wöra ufgerof un da Grsd gogabsl, ehe er zur Erde fällt. Von
den 3 nun in der Hand befindlichen Steinen were tswc wcchgeh'ight. Dann
wiederholt sich das Ganze mit den Steinen 3 (der hochgeworfen wird), 4 und 5,
die zu ralTen sind. — 3. drider = Dritter: Entspricht Nr. 2 Ein Stein wird
hochgeworfen; dann nimmt man 3 Steine, also 2 bis 4, vom Boden auf und fiini;t
den hoehgeworfenen Stein Nr. 1. In der Hand sind nun 4 Steine, wovon man
3 vfeglegt. Den 4. wirft man hoch, rafft den letzten (Nr. 5) vom Boden auf und
fängt Nr. 4. — 4. ff-rder = Vierter: Einen wirft man hoch, rafft die 4 anderen
zugleich, d. h. mit einem Griff vom Boden auf und fängt Nr. 1. — 5. finafder:
Von dem Spiel Nr. 4 her hat man alle 5 Steine in der Hand. Nun wirft man
einen in die Höhe, legt schnell die 4 übrigen hin und 'gabst' den ersten. Dann
wird dieser wieder in die Höhe geworfen; hierauf rafft man die 4 am Boden
liegenden mit einem Griff auf, ehe der emporgeworfene fällt, und fängt diesen
schnell auf. — G. hand-haltchos: Man wirft alle 5 Steine hin, wirft einen davon
empor, rafft schnell einen 2. und fängt den ersten auf. Nun wird kein Stein weg-
gelegt. Von den beiden in der Hand wirft man einen hoch, rafft einen anderen
(den 3.) auf und fängt den emporgcschleudertcn auf und hat nun 3 Steine in der
Hand. Hiervon wieder einer hoch; der 4. wird gerafft und der emporgeworfene
gagabst, so dass man alsdann 4 Steine in der Hand hat. Ebenso verlahrt man mit dem
letzten Stein und hat dann alle 5 in der Hand. Diese Abteilung 6 entspricht der
Nr. 1; nur behält man die gerafften Steine in der Hand. — 7. bouarches: Man
wirft alle '> Steine hoch und sucht sie mit dem Hand-Ilückon aufzufangen.
Mindestens muss einer auf dem Handrücken liegen bleiben, da man sonst 'ab'
wäre. Soviel nun auf dum Handrücken liegen bleiben, wirft man empor und fänirt
1) Ebenso hat in Siebenbürgen der Spieler dob gemacht, der im piziknocbenspiel
die Knöchelchen in ein Erdloch warf und somit gewann. Siebenbürg. Wtb. 2, o'2.
2) Beschrieben von E. Proisch. Frankfurt. Vgl. auch Zs. für rheinische
Volksk. .1,5, 122f.
Das Fangsteinchenspiel in den Eheinlanden. 35
sie mit der Innenhand auf. Den Rest, der daneben 6el, nimmt man wie bei
Nr. 6 auf. Hatte man alle 5 auf dem Handrücken, so niuss man sie natürlich beim
Hochwerfeii auch alle 5 zugleich mit der Innenhand auffangen. — 8. elatsich-tub
(einmaliges Tupfen): Dieser Teil verläuft wie Nr. 1; nur wird zwischen dem Auf-
raffen des jeweilig nächsten Steines und dem 'gabsen' des in die Höhe geworfenen
jedesmal einmal mit der geschlossenen Hand aufgetupft, 'ufgetubt". — 9. döbal-
tnb (Doppel-Tupfen): entspricht Nr. 2 mit dem tube zwischen dem Aufraffen von
2 und dem Fangen des emporgeworfenen Steines. Statt des 'tuba' ist es bei
Nr. .S und !• auch gestattet, mit der geschlossenen Hand schnell auf dem Boden
hin- und herzureiben (wlsa) und dann den hochgeworfenen Stein aufzufangen. —
10. eiar-le3 (Eierlegen): Man nimmt die 5 Steine in die Hand und wirft einen
empor. Ehe man diesen fängt, muss man einen 2. aus der Hand hinlegen oder
fallen lassen; hierauf wiederholt sich der Vorgang so oft, bis man nur noch den
in der Hand hat, den man zuletzt in die Höhe geworfen und wieder aufgefangen
hatte. Dann verfährt man nach Nr. 2. — 11. grumbera-zetsa (Kartoffelsetzen):
Dies erfolgt in drei Unterabteilungen: a) ad zetsa verläuft wie der 1. Teil von
Nr. 10; nur werden die Steine so hingelegt, dass zwischen grosse Lücken vor-
handen sind. Es liegen also vier grumbera (Steine), während man den 5. in der
Haud hat. b) ad heifa (Häufeln): Den letzten Stein wirft man empor, fährt
hierauf schnell mit der Hand vor dem 1. liegenden Stein vorbei und fängt dann
den fallenden Stein. Dann wiederholt sich der Vorgang, wobei man aber nun
vor dem Auffangen des geworfenen Steines durch die 1. Lücke, d. h. zwischen
dem 1. und 2. liegenden Stein dörich fert. Bei den weiteren Wiederholungen
fährt man durch die 2., dann durch die 3. Lücke, hierauf hinter den 4 grum-
bera, dann vou den sämtlichen Steinen herunar da Aden (unter den Steinen) und
schliesslich hinler sämtlichen her: iwar da sden (über den Steinen). Die 4 grum-
bera kann man aber auch, statt sie in eine Reihe zu setzen, so legen, dass sich 1
und 2 nebeneinander, o und 4 dagegen vor diesen beiden, aber von ihnen ebenfalls
durch eine Lücke getrennt, belinden. Das Durchstreichen mit der Hand oder dad
helfe erfolgt dann :J mal von hinten nach vorn und 3 mal von links nach rechts,
c) ad pusdün (Austun): ist die Umkehrung des Setzens, also genau wie Nr. 1 —
12. elatsich-kles-esa (Einfaches Klos-Essen): Man wirft zunächst alle Steine
auf den Boden, ergreift einen und wirft ihn empor: den 2. hult (holt = rafft) man
und gabst den 1. Von den beiden in der Hand nimmt man ena int moul (einen
in den Mund), wirft den anderen hoch, nimmt den 1. pusam moul und gabst
uieder den anderen. Hierauf wird der eine dieser 2 Steine weggelegt, und das
das Spiel wiederholt sich mit dem andern und dem 3., dann mit dem 4, und
endlich mit dem 6. Stein. — 13. dobal-kles-esa: Alle 5 hinlegen, 1. empor,
den 2. hiile und den 1. gabsa Von den zweien ena int moul, den 2. in die Höhe
werfen, den 3. vom Boden und zugleich den 1. pus am mpul n§ma, worauf man
den emporgeworfenen auffängt, so dass man ö Steine in der Hand hat. Von
diesen legt man einen weg, nimmt den 2. in den Mund, wirft den 3. hoch, nimmt
den 4. vom Boden und zugleich den 2. aus dem Mund und gabst den in die
Höhe geworfenen Stein. Hierauf wiederholt sich das Spiel mit dem 5. Stein. —
14. knickches: Dieses verläuft wie Nr. 1; man muss dabei aber dafür sorgen,
dass der emporgeworfene Stein den aufgerafften, also in der Hand befindlichen
Stein beim gabsa trifft, so dass es einen 'knick' macht, d h. klingt (di sden misa
knTksa). — 15. nid-knikchos (od. rerchas) verläuft auch wie Nr. 1; doch darf
hierbei der fallende Stein beim Auffangen den in der Hand befindlichen nicht
treffen, weshalb man letzteren mit den 2 vorderen Fingern fasst und den hoch-
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3(5 Müller:
geworfenen in der hohlen Hand auffangt.— 16. geld wechsala (Geldwechseln):
Alle 5 hinlegen, einen raffen und hoch werfen, den 2. raffen und den 1. fangen:
von diesen einen hoch, den .'5. raffen und zugleich den 2. aus der Hand hin-
legen und den ersten zu fan};en.
Nun sind 3 u. 1 in der Hand: 1 hoch, 2 raffen und zugleich 3 hinlegen, dann 1 fangen;
Dann „ 2 u. 1 ,. ,. , 2 „ 3 „ , „ 1 „ und 2 „
'> 3
Hierauf wiederholt sich das Spiel mit dem 3., 4. und 5. Stein. Dann hat man
noch 4 und .") in der Hand; hiervon wirft man 5 empor, legt 4 zu den 3 ersten
und bereits liegenden Steinen und fängt 5 auf. .Msdann wirft man f) wieder in
die Höhe, nimmt alle 4 liegenden Steine einmal auf und fängt ■') auf. —
17. knudola-seisa: alle •') hinlegen, den 1. raffen und emporwerfen, den 2.
raffen und den 1. fangen; diese beiden zugleich hochwerfen, den 3. raffen und
die 2 hochgeworfeneii auffangen, und zwar den einen mit der rechten und den
anderen mit der linken Hand, so dass man in der linken Hand i'inen Stein und
in der rechten Hand 2 Steine hat. — Die 2 in der rechten werden aufwärts ge-
worfen, der 4. rechts gerafft und die 2 liochsjeworfenen aufgefangen, und zwar der
eine mit der rechten Hand und' der andere mit der linken Hand, so dass man
in jeder Hand 2 Steine hat. Die beiden in der reihten Hand hochwerfen, den
5. raffen und die 2 geworfenen Steine auffangen und zwar einen mit der rechten
und den anderen mit der linken Hand. Nun sind in der rechten Hand 2 und in
und in der linken Hand 'i Steine. — 18. breiorchos: Alle ö hinlegen, den 1.
raffen und emporwerfen, den 2. raffen und 1. fangen; diese 2 hochwerfen, den 3.
raffen und die 2 emporgeworfenen fangen, so dass man 3 Steine in der Hand
hat. Diese 3 zugleich emporwerfen, den 4. raffen und die 3 hochgeworfenen
fangen, so dass man 4 Stück in der Hand hat. Diese 4 hochwerfen, den .').
raffen und die 4 emporgeworfenen auffangen, so dass man alle ö Steine in der
Hand hat. — 19 — 3(i: Nun folgen wieder diese sämtlichen IS Spiele, aber in
der umgekehrten Reihenfolge, also mit breiarehos anfangend und mit ersder
endigend.
Es rersteht sich von selbst, dass ein Spieler, sobald ihm eine der geschilderten
Bewegungen nicht glückt, alsdann 'ab' ist. d. h. er darf nicht mehr weiter spielen.
Der 2. Spieler fängt dann das Spiel von vorn an, bis er ';ib' wird, d. h. an
irgend einer Stelle verunglückt, worauf der 3. Spieler an die Reihe kommt usw.
Waren alle Spieler 'drfin' (daran), so fährt wieder der 1. Spieler fort, und zwar
mit der Bewegung, mit der er vorher missglückt war. Das Spiel wird so lange
fortgesetzt, bis einer zuerst alle Arten durchgemacht hat; dieser ist dann '^us'
und hat das Spiel gewonnen. In der Regel werden vor Beginn des Spieles noch
besondere Regeln vereinbart oder '9usgdm;igh'. Gewöhnlich wird die Frage auf-
geworfen: 'wad zül gTla?' Solche Regeln sind nun u. a. folgende: ad gilt älas,
d. h. kleine Uuregelmässigkeiten werden nicht in Rechnung gezogen, z. B. das
Berühren von Steinen beim Aufraffen mit dem Finger, ed gilt neist = nichts, in
diesem Fall werden die Spielregeln ganz genau eingehalten. Durch jeden Verstoss
ist der Spieler 'iib'. Da es beim Aufraffen der Steine viel darauf ankommt, wie
diese zueinander liegen, so wird oft vor Beginn des Spiels yiisgehal (aufgehalten),
ob bei einem ungünstigen Wurf die Steine noch ein zweites oder gar ein drittes
Mal hmgewurfen werden durften oder nicht. Es wurde alsdann gefragt: uad zai
gila: ^mgl öra tswempl öra dreimal w^rfe? — Andere solcher Abmachungen be-
Das Fangstoinchenspiel in den Rheinlanden. 3(
zogen sich darauf, ob etwaige Hindernisse weggeräumt werden durften (r9nma)
oder nicht, und anderes mehr.
Das 'Höwakan-sbil' in Haustadt (Saar)'): 5 Rieselsteine mit leichtem Wurf
ausgestreut. In der kurzen Zeitpause, während nun mit der rechten Hand — auch
linkshändiges Spiel ist zulässig — ein Steinchen etwa >'>'■) cm hoch geworfen und
wieder aufgefangen wird, müssen die auf dem Boden liegenden Steinchen mit der-
selben Hand rasch aufgegriffen werden, ohne dass dabei benachbarte Steine be-
rührt werden. 1. estar: je ein Steinchen wird in der Zwischenpause aufgegriffen,
2. tsweatar: je 2 Steinchen werden aufgegriffen, 3. dreatar: 3 und 1 Steinchen,
4. feiartar: 4 Steinchen, 5. fenftar: je 1 Steinchen (wie 1). 6. brestchar: In der
Zwischenzeit muss mit den einzeln aufgenommenen Steinchen an die Brust ge-
klopft werden (4 maliges Wiederholen). — 7. kt-rfchar (Körbchen): In der Zwischen-
zeit wird die Hand flach über je einen der liegenden Steine gehalten, ohne sie zu
berühren. — 8. tipchar: Mit den aufgenommenen Steinen wird auf den Boden ge-
klopft, getippt — 9. rudalchar: Mit den einzelnen Steinchen wird geruddelt (ge-
rüttelt), d. h. ein paarmal über dem Boden hin und hergerieben. — 10. kneichar:
Mit den Steinchen wird an die Knie geklopft. — 11. hentchor: Die rechte Hand
schlägt gegen die linke. — 12. meilchar: Die rechte Hand berührt mit dem aul-
genommenen Stein den Mund. — 13. scherchar: Die Steinchen werden einzeln
mit Zeige- uml Mittelfinger wie mit einer Schere aufgerafft. — 14. 15. 16. krom-
baresetsa-, heifan-, ousdein. S. Laubach Habe. — 17. aiarlen: Man bat 2
Steinchen in der Hand, wirft eins hoch, legt in der Zwischenzeit das andere hin
und nimmt gleichzeitig ein drittes auf. — 18. aiar ofholan: Das Aufheben der
Eier wird nachgeahmt, indem die zusammengelegten Steine mit einem Grifle
wieder aufgenommen werden. — 19. snoakan; Die in die Höhe geworfenen Steine
werden wie Schnaken gehascht. — 20. spanan: Die Steine werden in Spannen-
weite hingelegt und paarweise aufgegriffen. — 21. seiar: Auf den Boden wird ein
kleines Viereck (Scheuer) gezeichnet und die Steine werden hineingeworfen. In
der Wurfzeit des einen Wacken werden je 2 Steinchen aus der Scheuer heraus-
geschoben und hernach ebenso wieder hinein, ohne dass die Umfassungslinien
mit der Hand berührt werden.
Das 'knipstenipil' in Dierdorf (Westerw.): 4 Würfel (Rückenwirbel von
Stockfisch oder eckige Kieselsteine) und ein Klicker, der aufgeworfen wird
1. ersdans, 2. tswaidans, 3. dredans, 4. verdans, wie in Laubach 1 — 4. — 5. hant-
hftla: Die 4 Steinchen und der Klicker werden in die rechte Hand genommen,
und der Klicker in die Höhe geschnellt und nach dem Aufhüpfen mit derselben
Hand gefangen. — 3. eiarlen: s. Laubach 10. — 4. isara; Liegen die Steine, so
werden sie während des Aufhüpfens des Rlickers ein Stück weggescharrt. —
5. kleftgas: Während des AufhUpfens des Klickers wird ein Stein aufgenommen:
dann wirft man diesen Stein in die Höhe (der Klicker bleibt nun aus dem Spiel)
und nimmt unterdes den 2. Stein auf und fängt den herabkommenden ersten Stein
auf. Nun werden beide Steine hochgeworfen und der 3. wird aufgerafft, dann '^
hochgeworfen und der 4. aufgerafft.
Aus Mehren (Westerw.): 5 Steinchen. 1. istarchen. — 2. tsweitarchan. —
3. drötarchan (wie in Aegidienberg 1 — 3). — 4. bok: 1 Steinchen in die Höhe,
4 zugleich aufgerafft und wieder hingelegt, das niederfallende Steinchen mit der-
selben Hand schnappen. — 5. knip: 1 Steinchen in die Höhe, eins gegriffen und
in der Hand behalten, bis alle Steine nacheinander aufgegriffen sind. — 6. klöftchan:
1 1 Mitgeteilt von Herrn Seminarlebrer Konz-Trier.
38 Müller:
1 Steinchen in die Höhe, 1 aufgerafft, 2 in die Höhe geworfen, dann 3, bis alle
sind. — 7. einiol klopan: wie 1., doch vor dem Ergreifen des springenden
Steinchens wird einmal auf die Spielplatte geklopft. — 8. tsweim^l klypan: Wie
"., doch zweimal wird geklopft. — 9. föngar.^trechan. Bevor man nach dem Auf-
werfen des einen Steinchens ein anderes Steinchen aufgreift, streicht man mit
dem Zeigefinger über die Platte. — 10. stufknron: Mit der ganzen Hand fährt
man über die Platte. — 11. riwasbaka: Während des Aufhüpfens des einen
Steinchens greift man mit Zeige- und Mittelfinger einen Stein. — 12. Ilech (Fliege):
Der aufgeworfene Stein wird von oben aufgefangen. — 13. i;iorii;n: gleich 1..
am Schlüsse werden alle 4 wieder hingelegten Steinchen zusammengerafft.
Das 'Gappspiel' in Büschfeld, Kreis Merzig: ."> Kieselsteine'). 1. hampas:
Der 1. Stein geworfen, der 2. genommen und der 1. aufgefischt; der folgende
genommen und der 2. aufgefischt u. s. f., bis alle Steine in der rechten Hand
sind. — 2. doplarst: Dasselbe. — 3. d9psweit: Ein Stein geworfen, 2 Steine ge-
nommen, der 1. aufgefischt; ein "2. Stein geworfen, die beiden letzten genommen
und der _'. aufgefischt. Die Steine sind zuletzt alle in der rechten Hand. —
4. dypdrei: Ein Stein geworfen, 3 genommen, der 1. aufgefischt, der 2. geworfen,
der letzte genommen, der 2. aufgefischt. — 5. dopfiarstat: Der 1. Stein geworfen. 4
genommen, der 1. aufgefischt. — 6. douwoliarstchos: Wie 1. — 7. douwelzweiter:
Wie bei 3. — 8. hant.seichas: Die linke Hand liegt auf dem Boden, bildet eine
Höhlung mit ausgebreitetem Daumen und Zeigefinger. Der 1. Stein wird ge-
worfen, der 2. Stein in die Höhlung eingeschoben, der 1. Stein aufgefischt; der
1. Stein wird geworfen, der 2. eingeschoben, der 1. aufgefischt u. s. f.; nachdem
4 Steine unter der linken Hand liegen, wird der 1. Stein wieder geworfen, die
linke Hand weggenommen, alle 4 Steine mit der rechten Hand gegriffen und der
1. aufgefischt. — 9. durch da brek: Wie bei s, nur dass die linke Hand eine
Brücke bildet, unter die jedesmal ein Stein geschoben wird. — 10. brostchas:
s. bei Haustadt ti. — 11. oierlän: s. bei Haustadt 17. — 12. ean da korf: die
linke Hand bildet einen Korb; 1. Stein geworfen, der 2. in die linke Hand ge-
legt, der 1. aufgefangen; 1. Stein geworfen, 2. Stein in die linke Hand, 1. Stein
aufgefangen u. s. f., bis alle ^ Steine im Korbe liegen. — 13. aus dam korf:
4 Steine in der linken Hand, ein Stein in der rechten Hand; dieser geworfen, ein
Stein mit der rechten Hand aus der linken Hand herausgelegt, der 1. Stein auf-
gefangen u. s. f., bis die linke Hand entleert ist; 1. Stein wieder geworfen, alle
4 Steine aufgegriffen, 1. aufgefangen. — 14. blöch (Pflug): 1. Stein geworfen,
2. Stein berührt, 1. Stein aufgefischt; 1. Stein geworfen, 3. zum 2. Stein ge-
schoben, 1. aufgefischt, 4. zu 2. und o. geschoben, 1. aufgefischt; 1. geworfen,
alle 3 gleichzeitig aufgegriffen. 1. aufgefischt. — 15. sfir: der 1. Stein geworfen,
die Hand macht über den 4 zusammenliegenden Steinen die Bewegung wie eine
Pflugschar, viermal wiederholt; alle 4 liegen, der 1. geworfen, 4 zugleich auf-
gegriffen, der 1. aufgefangen. — 17. bolts: Alle 5 Steine in der rechten Hand;
1. geworfen, 2. wiedergelegt, 1. aufgefangen u. s. f., bis ulle 4 liegen. Am Schlüsse
wie bei l.i. lii. — 18. drestchas: 1. geworfen, 2. genommen, 1. aufgefischt. 2. mit
rechter Hand geworfen, 3. genommen, 1. und 2. je einer mit der rechten und
linken Hand aufgefischt, 2 Steine in die rechte Hand geworfen, 4. genommen,
2. und 3. geworfen, je einer von rechter und linker Hand aufgefischt u. s. f. —
19. himolwvrfchas: 1. geworfen, 2. genommen, 1. aufgefischt, 1. und 2. gleich-
aeitig geworfen, 3. genommen, 1. und 2. aufgefischt; 1., 2. und 3. gleichzeitig
1 Berichtet von Herrn Hauptlehrcr Pontenberg, Büschfeld.
Das Fangsteinchenspiel in den Rheinlanden. ;-{9
geworfen, 4. genommen, 1., 2. und 3. gleichzeitig aufgefischt u. s. f. — 20. judgas:
1. geworfen, 2. genommen, 1. und 2. aufgefischt, einen in die linlie Hand gelegt
u. s. f. bis alle Steine an der Reihe waren.
Spiel mit wakaldar in Üdersdorf (Daun): 1. rstenchas: Wie Aegid. 1. —
2. tsweistenchas: Wie Aegid. 2. — 3. hefelches: Wie Aegid. 4. — 4. hü.str'nch9s:
Wie 1, doch der springende Stein muss möglichst hochgeworfen werden. —
5. h^Ttsklopches: Vor dem Schnappen wird an die Brust geklopft. — 6. dlldgp-
•chas: 2 bis o mal wird vor dem Schnappen auf dem Boden getippt. — 7. §i8r-
lejalchas: Wahrend des Aufhüpfens des einen Steinchens wird ein Stein unter
den kleinen Finger genommen und leise niedergelegt, während gleichzeitig ein
anderer Stein aufgehoben wird.
Das snapan mit 5 snapsten in Aegidienberg (Sieg).
A. st klen spil: 1. at Ontcha: 5 Steine hingeworfen; 1. St. in die Höhe, 2. St.
aufgenommen, ohne die anderen zu berühren, 1. St. aufgefangen, 1. St. in die
andere Hand. Dies wiederholt sich, bis alle 4 St. in gleicher Weise aufgenommen
sind. — 2. at tsw^^tcha: Wie 1; nur werden 2mal je 2 St. aufgenommen. —
3. at dritcha: Wie 1; zuerst 1 St., dann 3 St. aufgenommen. — 4. at flartcha:
Alle 5 St. in der Hand, 1 St. in die Höhe, unterdessen die anderen 4 St. hin-
gelegt; 1 St. aufgefangen, nochmals hochgeworfen, die 4 St. zusammen aufgerafft,
1 St. aufgefangen. — 5. at fönafcha: 1. St. in die Höhe, 2. St. in die Hand, die
nun den 1. St. auffängt, so dass 2 St. in der Hand sind. Einen St. wirft man
-wieder in die Höhe und nimmt den 3. St., fängt den andern auf, so dass nun
3 St. in der Hand sind, u. s. f. bis alle b St. in der Hand liegen. — 6. at sekscha;
1. St. in die Höhe, 2. St. in die Hand, 1. St. aufgefangen; 1. + 2. St. in die Höhe,
3. aufgenommen, 1. + 2. St. aufgefangen; 1. + 2. + 3. in die Höhe, 4. aufgenommen,
1 . + 2. + 3. aufgefangen (also nun 4 in der Hand); 1. + 2. + 3. + 4. St. in die Höhe,
5. St. aufgenommen, 1. + 2. + 3. + 4. St. aufgefischt, so dass nun alle 5 St. in der
rechten Hand sind. — 7. dubalhou: 1. St. in die Höhe, 2. St. aufgenommen, der
1. St. von oben im Bogen aufgefangen u. s. f., bis alle 4 St. an der Reihe waren.
— 8 a. es-dobal: Alle 5 St. in der Hand, alle in die Höhe und auf der Hand-
oberfläche aufgefangen. Nun werden sie von hier aus wieder hochgeworfen und
in der inneren Handfläche aufgefangen. — 8b. tswgtd9bal: Da dies selten gelingt,
so wird derselbe Vorgang zum zweiten Male gestattet. Für A 1 — 6 ist es ge-
stattet, vor dem Hinwerfen der Steine sie schon in der Hand so zu ordnen und
sie so behutsam hinzuwerfen, dass sie in gehöriger Gruppierung zum leichten
Aufnehmen daliegen. Wird dies nicht vereinbart, so müssen die Steine hin-
gestürzt werden (jastiöts), so dass sie weit auseinanderfliegen. Das Aufnehmen
zu 2, 3, 4 ist nun sehr schwer und erfordert rasches Haschen; es entstehen so
die Spiele iströts-entcha, ströts-tswetcha, ströts-fiartcha.
B. at jrüsa spil (nur die Geschickteren leisten sich diese Fortsetzung).
— 9. es-langks-klets: 1. St. in die Höhe, 2. St. aufgenommen, 1. St. aufgefangen;
1.-1-2. St. in die Höhe, 3. St. aufgenommen, 1. St. mit der linken Hand, 2. St.
mit der rechten Hand aufgefangen, u. s. f. bis man 4 St. in der linken Hand hat.
— 10. dubal-langks-klets: 1. St. in die Höhe, 2. St. aufgenommen, 1. St. auf-
gefangen; 1. -I- 2. St. in der rechten Hand, 1. St. in die Höhe, 3. St. in die rechte
Hand zum 2. St. genommen, 1. St. aufgefangen; 1.-I-2. -)-3. St. in die Höhe,
4. St. genommen, 1. + 2. mit der linken Hand gefangen, 3. St. mit der rechten
zum 4.; 1. -|- 2. -|- 3. -f 4, in der rechten Hand in die Höhe, 5. St. genommen,
1. +2. St. mit linker Hand, 3. + 4. St. mit der rechten Hand zum 5. gefangen. —
IIa. tipcha miit-es-pOrts und dubolpvrts: 1. St. in die Höhe, mit dem Zeigefinger
40 Müller: Das Fangsteinchenspiel in den Rheinlanden.
viermal auf die Erde getippt, 1. St. aufgefangen; 1. St. in die Höhe, viermal mit
der Handoberfläche auf die Erde geklopft. 1. St. aufgefangen; 1. St. in die Höhe,
viermal mit den Fingern über die Erde streichen, 1. St. aufgefangen; 1. St. in die
Höhe, Tiermal in die Hände klatschen, 1. Stein aufgefangen. Daumen und Zeige-
finger der linken Hand werden auf die Erde gestellt, 1. St. in die Höhe, 2. St.
durch diese Öffnung der linken Hand gestrichen, 1. St. aufgefangen u. s. f. bis
alle 4 St. durch die ()ffnung sind. — IIb. Bei ('er dubolports werden '2 und 2 St.
hindurchgestrichen. — lüa. beisats: 1. St. in die Höhe, 2. St. aufgenommen, 1. St.
geschnappt; von den beiden in der Hand ruhenden Steinen wirft man den 1. hoch,
den "2. eben geschnappten legt man hin und fängt den 1. auf, u. s. f. bis man alle
4 St. fest beieinander liegen hat. Jetzt wird der 5. St. hochgoworfen, und bevor
man ihn auffängt, werden die 4 ruhenden St. aufgehoben. — 12b. dubal-beisats:
Wie a, nur werden 2 und 2 Steine aufgenommen. (1. hoch, 2. 3. in die Hand,
1. geschnappt, 3 St. also in der Hand; 1. hoch, 2. 3. hingelegt, 1. geschnappt;
1. hoch, 4. .3. genommen, 1. geschnappt; 1. hoch, 2. 3. 4. 5. genommen. 1. ge-
schnappt.) — 13 a. t;iorlnjd: l. St. in die Höhe, 2. St. genommen, 1. geschnappt
(1. 2. in der Hand); 1. in die Höhe, 2. hingelegt, 3. genommen, 1. geschnappt
US. f. bis man alle 4 hat. — 13b. dubal-(,MOr löja: 1. St hoch, 2 St. aufgehoben
und hochgevvorfen, 3. St. genommen, 1. 2. St. .geschnappt (•* St. in der Hand);
1. St. hoch, 2. 3. St. hingelegt, 4. St. genommen, 1. St. geschnappt u. s. f. —
14a. pekmOs mijt es-jefalche: 1. St. hoch, viermal mit der rechten Hand auf die
linke Paust geschlagen, 1. St. geschnappt. 1. St. hoch, zwischen Zeige- und
Mittelfinger 2. St. aufgenommen, 1. St. geschnappt, bleibt mit 2. Stein in der
Hand u s.f. — 14b. pekmOs myt dubalj^-felcha: Ebenso werden 2 und 2 St. auf-
genommen. — 15. möntcha, derb auch drosfresa, driß-(Scheiss-)fressen: 1. St. in
den Mund, 2. St. in die Höhe, 1. St. aus dem Munde, 2. St. geschnappt, viermal
wiederholt. Zum Schluss 3. 4. b. St. aufgenommen wie bei 1.
Das 'snapon' in Berrenrath') mit .snapknöüchalcha: 1. do keras: Ehe der in
die Höhe geworfene Ball wieder geschnappt wird, muss der Spieler die auf der
Erde liegenden Knöchelchen ergritfen und dann auf dem Boden eine Bewegung
wie srubon oder köran gemacht haben. 2. da nedanedacha (plur.) 'Niederniederchen.'
Der Wurfknochen darf nicht über die Nase herauskommen. 3. da noma hü: Der
Wurfknochon muss über den Kopf hinauskommen. 4. et klypat hits-chan: s.
Brüstchen (Haustadt G).
Das 'snapan' in Keldenich: 1. 2. 3. enchö. zwcitcho, dretcha. 4. virtcha oder
küpcho: Alle 4 Steine müssen zusammen geschnappt werden. 5. strölcho (Strahl):
Die Steine werden weit auseinander hingeworfen und müssen mit einem Male zu-
sammengegriffen werden.
Nach all den Beispielen, die ich ausführlicher gegeben, seien nur die Spiel-
bezeichnungen angeführt, die nach den übrigen Darstellungen ihre Erklärung finden.
Alle Abweichungen zu vermerken, ist eben unmöglich:
Aus Wirscheid (Westerwald): irstar, zweitar, dritar, fiarter, dibara, fartpuse»
zweirffor, müra, rr-wa, snufa, smota, huwolo, liar, kafi, wasar, drein/fol, kloft,
fiarrefar. (IS Einzelspiele.)
Aus Koenigsfeld (bei Sinzig): einchas, tsweitchas, dritchos, fiartchas. al in
einer hant, hemarchas, dipara, geisobok, iM^rlöjan, dingolo-dingala op dar haut,
dingala-dingala um dar hant, cindüpara, tzsveidüpara, tsweiletsdüparo, fenga. hü.
(16 Einzelspiele.)
1) Berichtet von Heim Pfarrer Klütsch.
Polivka: Die Entstehung eines dienstbaren Kobolds aus einem Ei. 4J
In Ayl (Saar): snap, mestar, kesal, püf.
Aus Kettig (Cobl.): ensnopas, tsweisnopas, dreisnopas, alassnopes, enlejas,
tsweilejas, dreilejas.
Aus Ernzen (Bitb.): en Istchan, tswe istchan, drei istchan, fer istchan; en-
fer tswetchan; en srouf, tswü srouf, drei srouf, fr-r srouf; en dubadup bis fer dubadup;
en hertsknup bis ferhertsknup; e kne, tswi kne bis fer kne: en dam (2x), en aloch
(2x), en sir (2 x), en hywa (2 x), en emölgnt (?) (2 x), et heis-chan (2 x). (36
Einzelspiele).
Aus Limbach (Westerwald): ain ofhewan, tswei on tswei, drei on ains. al
ofhgwan, eialen, kelwaplfts, al en da hö, of dan hen (Hunden).
Aus Pünderich (Mosel): eiarlüjcs, dipartchas, brestchas, epalches on birchas,
rouchas, hür9uchos, lekas, spanchas, pertclias.
Aus dem Siegerland: erster, tsweidor, dreiar. viortar, knip, dup, >'\, ihend-
chas, ush^ndchas, eiarlödchas, Imr, .swert, klöporchas, pletchas, holakrensar.
Bonn.
Die Entstehung eines dienstbaren Kobolds
aus einem Ei/'
Von Georg Polivka
(mit Beiträgen von Johannes Bolte.
Oben 25, 225 hat Norliml eiuen schwedischen Volksglauben aus
Uppland mitgeteilt, nach welchem man einen Spiritus familiaris') bekommt,
1) Vgl. meinen kürzeren Artikel im Närodopisny Vestnik 10, 73.
2) Zur Literatur des Spiritus familiaris (oben 25, 226"i seien hier noch
einige Nachweise nachgetragen. Universitätsschriften 'de spiritibus familiaribus'
führt Grässe, Bibliotheca magica 1843 S. 22 an von Musselins (Wittenberg 1G23),
Chr. Blauschmidt CL. 1666), J. Clodius (Witob. 1674), .1. Stoekhardt (Lips. 1679),
Chph. Schultz (Regiomonti 1694), G. Chr. Wagner (Lips. 1715). Den Namen sollen
nach Bodin (De magorum daemonomania, deutsch von J. Fischart l.')91 Sp. 67 a.
B. 2, cap. 1) die Araber Avicenna und Algazel erfunden haben S. Meigerius.
De panurgia lamiarum 1587 Bl. Ccc 3a geht bis ins klassische Altertum zurück und
zieht auch das Saiuvnoy des Sokrates hierher, über dessen verschiedene Auffassungen
man bei Zeller, Die Philosophie der Griechen' 2, 1, 69 nachlesen mag. Melanchthon,
Initia doctrinae physicae 1555 Bl. 120a berichtet von einem Teufel 'in crystallo",
der 1530 einem Nürnberger Priester einen verborgenen Schatz anzeigte; .J. Manlius,
Locorum communium collectanea 1565 p. 34 von einem Arzte, der in zweifelhaften
Fällen seinen Teufel in der Flasche (diabolum in vitrum inclusum) befragte, wie
das auch von Paracelsus und andern Ärzten erzählt wird (Bolte-Polivka, Anmer-
kungen 2, 415). Schon Frauenlob ^MSH 3, 146 a = EttmüUer S. 247) erwähnt einen
wahrsagenden Geist, der in seinem Schwerte sitzt. Herzog Maximilian von Bayern
verbot 1611 das Wahrsagen 'per Spiritus familiäres' (Oberbayer. Archiv 52, 2, 164).
Schölte, Probleme der Grimmeishausenforschung 1, 184 (1912). PauUini, Zeit-
kürtzende Lust 3, 114 nr. 13 (1697). Auch Fouques Novelle vom Galgenmännlein
(1810. Werke ed. Ziesemer 1, 221) gehört trotz des irreführenden Titels hierher.
Bürger (Briefe hsg. von Strodtniann 1, 383. 1874) schreibt 1776: 'Mein Kobolt
Spiritus I ist von den derben Knollen, | die Dich zerknuten sollen.'
42 Pülivka:
wenn man ein llalinenei nimmt, es in seiner linken Achselhöhle trägt
uad an drei Donnerstagsabendeu damit auf den Kirchhof geht. Diese
Vorstellung ist auch anderwärts verbreitet, wie icli im folgenden nachzu-
weisen gedenke.
Aus dem Nordosten Nieder-österreichs ist bei Vei-naleken, Mythen
S. 207 nr. 58 folgender Aberglaube aufgezeichnet: Wenn ein Mann das
siebente von einer ganz schwarzen Henne gelegte Ei sieben Tage lang un-
unterbrochen unter der linken Achsel trägt, kriecht ein kleines Teufelchen
heraus, welches seinem Herrn zu Diensten ist, freilich unter der Bedin-
gung, dass ihm des Herrn Seele verfällt. In Oberösterreich erhillt man
einen solchen Diener, wenn man das erste Ei einer ganz schwarzen Henne
7 oder 9 Tage und Nächte unter der linken Achsel trägt, ohne die Kirche
zu besuchen, ein Kreuz zu sehlagen, zu beten oder sich zu waschen; dann
kriecht ein scliwar/.es Männlein heraus, das iniiii in ein Fläschchen sperrt
und auf .">, 10 oder mehr Jahre in Dienst nimmt, ohne dass der Teufel
nach Ablauf der Frist Anspruch auf die Seele hat; man kann ihn auch
verschenken oder für 3 Pfennige verkaufen (Zs. f. österr. Yolksk. 2, lll).
Ähnlich in der deutschen Sprachinsel Landskron in Ostböhmen, wo er
Spiritus heisst (ebd. 2, 191. F. Knothe, Wtb. der schles. Mundart in Nord-
bühmen S.512) und im Bohmerwalde (ebd. 8, 224). In einer Kügenschen
Sage (Haas, Rügen. SM^ S. 33 nr. 30) schafft sich auf diese Weise ein armer
Mann einen Puk an; doch muss er ein von einer schwarzen Henne um
Mitternacht gelegtes Ei nehmen und sich mit diesem acht Tage lang an
einer Stelle, wohin weder Sonne noch Mond scheint, verbergen; nach
sieben Tagen kriecht aus dem Ei ein kleines Männlein mit einer Mütze
auf dem Kopfe hervor, aber seine Füsse sind noch nicht ganz entwickelt,
erst nachdem ihn der Mann noch einen Tag in seiner Achselhöhle ge-
tragen, wird er vollständig. Dieser Puk, den man sich auch auf andere
Weise anschaffen kann, hat, wenn er auf Raub (für seinen Herrn) aus-
geht, die Gestalt einer Katze, oder er fliegt als Feuerdrache zum Schorn-
stein hinaus (ebd. S. 33 nr. 29). 1840 hatte sich ein Mann bei Garz auf
Rügen in eine Höhle zurückgezogen, um dort vier Wochen lang, ohne zu
sprechen, zwei Hühnereier zu bewachen, aus denen ein Puk heraus-
kommen sollte (Haas, Schnurren 1899 S. 77 nr. 70). Ein anderer packte
ein Sparei in warmen Dünger; als aber nach drei Tagen ein rotes Käppcheu
daraus hervdrluuclitete, zertrat er es (ebd. nr.(j9). Auch nach pommerschem
Glaubeu kann man einen Kobold ausbrüten: man logt sich mit einem sog.
Windei (vom Huhu, Gans oder Ente) unter dem linken Arm zu Bett und liegt
80 27 Tage lang ganz ruhig und still, und nach der Zeit ist der Kobold aus-
gebrütet (Bl. f. i)umm. Vk. 10, 168 nr. 100). In der französischen Schweiz
heisst der Kobold, der aus dem unter der Achsel ausgebrüteten Ei eines
Hahns oder einer schwarzen Henne hervorgeht, 'coqwergi". Hahnzwerg
(Ceresole, Legendes des Alpes vaudoises 1885 p. 33 = Sebillot, FL. de
s
Die Entstehung eines dienstbaren Kobolds aus einem Ei. 43
France 3, '231). In Schwaben dagegen glaubt man, wenn man ein Ei,
das eine schwarze Henne am Gründonnerstag gelegt, unterm Arm aus-
brüte, so komme eine Schlange heraus, mit der man hexen könne (Bir-
linger, Volkstümliches aus Schwaben 1, 123).
Diese schwäbische Variante, in welcher der hilfreiche Dämon in
Schlangengestalt auftritt, vermag uns vielleicht auf den Ursprung des
ganzen Volksglaubens hiuzuleiten. Denn die Vorstellung von dem aus
einem Ei gewonnenen Kobold scheint auf die ältere und weitaus ver-
breitetere Sage vom Basilisken zurückzugehen, der freilich kein dienst-
barer Geist ist, sondern als ein überaus giftiges Untier von kleiner,
schlangenähnlicher Gestalt geschildert wird, dessen Entstehung aber die-
selben Züge trägt. Bevor wir daher auf die slawischen Seitenstücke ein-
gehen, sei es verstattet, einen raschen Blick auf die Entwicklung der
Basiliskensage zu werfen. Von der 'Königsschlange' (ßaadiaxog, regulus)
erzählt Plinius (Nat. bist. 8, 78), dass sie in Nordafrika in der Cyrenaica
lebe, kenntlich durch einen weissen Fleck am Kopfe, dass sie durch ihr
Zischen alle anderen Schlangen verjage und durch ihren giftigen Hauch
und Blick die Pflanzen versenge und die Menschen töte; man vertilge
sie nur durch den Geruch des Wiesels, das man in ihr Loch lasse^). Von
der Entstehung der Basilisken berichtet weder Plinius noch andere antike
Autoren (Pauly-Wissowa, Realencyclopädie des klassisclieu Altert. 3, 100;
E. Rohde, Kl. Schriften 1, 397) etwas'); erst Cassianus hält es in seinem
um 430 zu Marseille gesciiriebenen Werke 'De incarnatione Christi' 7, i>
(Mignes Patrologia lat. 50, 210) für unzweifelhaft, dass die Basilisken aus
den Eiern der ägyptischen Ibisvögel hervorkriechen, was 200 Jahre später
Theophylaktos Simokattes (Quaestiones physicae c. 14. Aldrovandus, Orni-
thologia 1. 20, 3. Savigny, Histoire de Tibis 1805 p. 121. 199) durch das
Gift der von den Vögeln verzehrten Schlangen erklärt, das sich in ihrem
Leibe ansammle. Da der Name Basilisk oder regulus mehrfach in der grie-
chischen, lateinischen, deutschen und cechischen Bibel (Jes. 11, 8. 14, 29. 59, 5.
Jer. 8, 17. Ps. 90, 13. Spr. 23, 32) zur Wiedergabe der hebräischen Schlan-
genbezeichnuug 1*E^ oder ^irs^i erscheint, so kehrt die Beschreibung des
1) Nach Aelian {De natura aniraaliuni 3, 31. 5, 50. 8, 28) fürchtet der Basilisk
ebenso wie der Löwe den Hahn. — Dass der Basilisk mit der von den Ägyptern
verehrten und zum Kopfsehmuck der Pharaonen gehörenden Uräosschlange (uara
bedeutet sowohl Natter als König' identisch sei, gibt Horapollo 1, 1 i^J. Pierius,
Hieroglyphica 15.56 Bl. 105a) an. Büdinger (SB. der Wiener Akademie 72, 451) leitet
auch den hebräischen Namen der von Mose errichteten ehernen Schlange
Nechuschtän (l^l^'H? 1- Kon. 18, 4) aus dem Ägyptischen inechusetan = Kron-
schutz) ab.
2) Nach einem griechischen Paradoxographen verzehren, wenn man mehrere
Schlangen zusammen einsperrt, die stärkeren die schwächeren, und die letzte
heisst Basilisk (E. Piccolomini, CoUectanea di Massimo Planude 1873 p. 2Ü, au.s
Rivista di filologia classica 2\
44 Polivka:
Plinius öfter in geistlichen Seliriften wieder. Gregor der Grosse (Moralia
15, 15. 33, 37 = Migne 75, 1090. 76, 713) bezieht den regulus bei Jesaia
auf den Antichrist; Bruno von Würzburg (Kxpositio psalmorum 90, 13 =
Migne 142, 340) den basiliscus auf den Teufel; Konrad von Würzburg
(Goldene Schmiede v. 157. 172), der wohl auf llrabanus Maurus ''De uni-
verso 8, 3 = Migne 111, 231) zurückgeht, tituliert den Teufel -hellebäsi-
liscus' und vergleicht Christus, den 'höhen himelharm', mit dem Wiesel,
das jenen in seiner Höhle aufsucht und zu Tode beisst.
Dagegen hat der Basilisk im Physiologus, der verbreitetsten Natur-
geschichte des früheren Mittelalters, keine Stelle gefunden; erst eine mittel-
griechische metrische Bearbeitung des 15. — 16. Jahrh. (Physiologus publ.
par Legrand 1873 p. 52 c. 4—5 = Pitra, Spicilegium Solesmense 3, 372
nr. 60 — 61) und eine lateinische Fassung des 14. Jahrh. (Ms. Sloane 278)
fügen einen Abschnitt über ihn hinzu'). Noch aus dem 13. Jahrh. stammt
ein in den französischen 'Bestiaire' des Pierre le Picard eingeschobenes
Zusatzkapitel 'Basile coc"*), aus welchem wir erkennen, dass damals das
Bild des geheimnisvollen Untiers bereits durch die fabulierende Phantasie
ausgemalt uud um neue Züge bereichert war. Denn in der beigegebenen
Miniatur erscheint der Basilisk nicht mehr wie ehedem') als eine ge-
krönte Schlange mit aufgerichtetem Yorderleibe. sondern als ein Hahn,
dessen Leib hinten in eine Schlange endet. Diese Gestalt erklärt der
Text durch eine neue Erzählung: Wenn ein siebenjähriger Hahn ein Ei
in den Mist legt und eine Kröte es ausbrütet, so kriecht aus dem Ei eiu
Tier, dessen Kopf, Hals uud Brust dem Hahn gleicht, der Hinterleib aber
ist der einer Schlange. Offenbar hängt diese Fabel zusammen mit einem
alchy mistischen Rezept zur Verwandlung von Kupfer in Gold, das um
1100 bei dem durch Lessing bekannt gewordenen Theophilus prosbyter*)
1) Vgl. Carus, Geschichte der Zoologie 1872 S. 137. Lauchert, Geschichte des
Physiologus 1889 S. 101. 143. Mann, Paul-Braunes Beiträge 11, 317. Ein tosko-
venetianischer Bestiarius hsg. von Goldstaub und Wendriner 1897 S. 86 und 119. —
In den slawischen Bearbeitungen des Physiologus wird der Aspis als geflügelter
Drache mit Vogelsclmabel und zwei Schwänzen dargestellt: nach einem südslawischen
Text wirkt der Blick des Aspis tödlich TCamäjev, Fiziolog p. 297. Archiv, f. slav.
Phil. 15, 248). Eine serbische Bearbeitung eines mit Leonardo da Vinci zusammen-
hängenden Physiologus aus dem 17. Jh. erwähnt den Basilisken, der mit seinen Bück
den Menschen tötet (Archiv 15, 2G5V dies griechische Werk Mröo,- nör yanhmr wurde
auch ins Rumäni.sche und Kleinrussische übertragen ^Archiv 15, 272).
2) Cahier et Martin, Mölanges d'archeologie 2, 213 nr. :^4 (1851); vgl. auch pl. 21, AI.,.
3'i Vgl. T'auly-WissDwa, Kealencyclopädie 3, 100. Ebenso noch bei A. Pareus,
iJe venenis 1.20, c. 19 (Opera 1582 p. 597), Aldrovandi, Serpentum historia lG40p.3(i6
und Bibl. de las trad. pop. esp. 3, 67. Kolloff, Historisches Taschenbuch 4. F. 8, 259.
4) Theophilus, Diversarum artium schedula 1. 3, c. 47 'de auro hispanico"
(ed. Ilg 1874) = Lessing, Schriften 14, 98 ed. Lachmann -Muncker = 13, 2, 521 ed.
Hempel. — Angeführt von dem Wiener Karmeliter Matthias Farinatoris, Lumen
animae (Augsburg 1477) Tit. 34, E. Dass der Basilisk goldgelbe Farbe halio, berichten
schon Nicandcr (Theriaca v. 396) und Galen ^14, 233;. Thomas Cantimi>rateusis (s. u.)
erzählt: 'Dicitur quidem argentum eius cinere delinitum colorem aureum imitari'.
Die Entstehung eines dienstbaren Kobolds aus einem Ei. 45
begegnet: die Heiden hätten zwei Hähne in einem wohlverwahrten Keller
gesperrt, bis sie Eier legten; ans diesen durch Kröten') ausgebrüteten
Eiern seien Hähne mit Schlangenschwanz ausgekrochen, die man vor-
sichtig grosszog, um sie dann zu verbrennen und die Asche vermischt
mit getrocknetem Menschenblut und I^jssig auf das zu verwandelnde
Kupferblech zu streichen. Nach dem angeführten mittelgriechischen
Physiologus gewann Alexander der Grosse auf solche Weise Gold,
während er nach einer anderen Sage einem Basilisken, der auf der Stadt-
mauer sitzend viele seiner Soldaten durch seinen Blick getötet hatte, einen
Spiegel vorhielt, so dass das Untier vor seinem eigenen Blicke starb '').
Auch Konrad von Megenberg (Buch der Xatur ed. Pfeiffer 18ßl S. 264)
hängt seinem um 1340 aus Thomas Cantimpratensis übersetzten Kapitel
über den Basilisken jene abenteuerliche Fabel von seiner Entstehung an:
„Ez ist auch ainerlai unk, die auz dem ai werdent, daz ain han legt, der
neun jär alt ist, als die alten weisen sagent. ich weiz auch einen guoten
freund, der daz sach mit seinen au"eu, daz ain s-elerter man ainen unk
macht auz lautern totem, diu er in gezoch, daz er wart als ain klainz
hüenl, do liez er oben in daz glas spinnen und rauten" . . . Diese Fabel
wird in den grossen naturgeschichtlichen Sammelwerken des 13. Jahrhun-
1 Auch die h. Hildegard (Physica 8, 12 = Migne 197, 134:^) um 1150 schreibt
die Ausbrütung des von Teufelswürmern (de quibusdam vermibus, qui aliquid de
dyabolicis artibus in se habent) gelegten Basiliskeneies einem giftigen Frosche
(rubota) zu.
2) Gesta Romanorum c. 139, Vincentius Bellovacensis, Speculnm hist. 4, 1 und
Johannes Gallensis, Communiloquium s. summa coUationum, Arg. 1489 pars 3, 2, 5.
Diese Tötung durch den vorgehaltenen Spiegel kehrt in deutschen, wendischen,
friesischen, dänischen, französischen und böhmischen Volkssagen wieder .Kohlrusch
1854 S. 347. Grässe, Preuss. SB. 1, 300. 2, 103. L. Haupt 1,75 = Kühnau 2, 3S2f.
Meiche nr. 522. Schönwerth 1, 211, 220. Schulenburg, Volkssagen S. 20. 101.
Müllenhoff S. 137. Dykstra 2, 200 = Volkskunde 23, 81. Thiele 2, 300. Oben 11,
317. Revue des trad. pop. 7,592. 23,30(3; vgl. Aldrovandi, Serpentum historia 1610
p. 372. ::i74; Clouston, Populär tales 1, 102; Seligmann, Der böse Blick 1, 148. 178. 2,
276. Grohmann S. 243. Krolmus 1, .351). Aimeric de Pregulhan ;Bartsch, Chresto-
matie proven^ale 1904 Sp. 178) vergleicht sich in einem Liebesliede mit dem Basi-
lisken, dem ein Spiegel, hier der Anblick der geliebten Dame, den Tod bringt.
J. M. V. d. Ketten , Apelles symbolicus 1, 748 (1699). So soll ein Spiegel auch das
Gewitter (oben 15, 79. Sebillot, FL. de France 1, 108) oder die Feuersbrunst
(Ratzel, Völkerkunde 2, 474: Malaien) verscheuchen. — Bei Brunetto Latini
'Tresor 1, c. 141, ed. Chabaille 1863 p. 192) und in dem italienischen 'Trattato
delle virtü degli animali' i,c. 51 'badalischio'. 14. Jh. Goldstaub und Wendriner,
Bestiarius 1892 S. 119) dagegen steckt Alexander seine Krieger in grosse Glas-
flaschen, so dass sie die Basilisken sehen, ehe diese sie wahrnehmen; und so
berichtet auch Jacobus Aconensis (Vitry) bei Thomas Cantimpratensis: 'Serpentem
si homo primo viderit, serpens extinguitur' ; desgleichen der mittelgriechische Phy-
siologus und Hugo von Trimberg (Renner v. 14 359 ed Ehrismann). Ein Mann mit
einer Glasglocke (?) ist schon auf einem Säulenkapitell des 12. Jahrh. aus Vezelai
gegenüber einem Basilisken dargestellt (Cahier, Melanges d'arch. 1, 153 pl. 25 bis.
1849.) — Vom Mordblick des Basilisken redet noch Schüler iMaria Stuart HI, 4
V. 2442); vgl. über den tötenden Schlangenblick Melusine 4, 571. 5, 16; Seligmann 1, 141.
46 l'olivka:
derts meist ignoriert. Der fälschlich dem Mugo von St. Victor zuge-
schriebene Bestiarius (8, 41 = Migne 177, 100), Alexander }yeckam (De
naturis rerum iih. 2, c. ll'Ü p. 198 ed. Wright 1863), Bartliolomaeus Angli-
cus (De proprietatibus rerum lib. 18, 15. Argentine löOü) und Thomas
Cantinipratensis (De naturis rerum 1.8,4. Berliner Ms. Hamilton 114,
Bl. 118a), den Jacob van Maerlant, Der naturen bloeme 3, v. 1982 über-
setzt, beschränken sich (huauf. l'liiiius und daneben Solinus, Isidor, Avi-
eenna und Jacobus de Vitriaco auszuzielicn: auch das 9. Buch des 'Roman
d'Alexandre' (Berger de Xivrey, Traditions teratologiques 1836 p. 540)
bringt nichts Neues. Nur Vincentius Bellovacensis (Speculurn naturale
lib. 20, 24. Yenetiis 1494) reiht seinen Kapiteln 22 und 23 (vgl. 41) noch
weitere Traditionen über den Basilisken an:
Hasilisciis interdum ex gallo nascitur, quod gallus in otate decrepita facit ovum
C'X se, unde basiliscus procreatur. Sed in genoratione hac oportet, ut niulta i'on-
currant; in fimo nuniquc Cidido et multo ponil ovum, ibicjue l'ovetur vice patris et
post multum teiuporis oxit pulliis et invaloscit, sicut solent anutum pulli; habet
autem caudam ut coluber, residuum vero corporis ut gallus. Dicunt auteni hi,
qui creationem eius se vidisse testantur, quod nulla est ovi tesla, sed validissiina
pellis, intantum ut rcsistere possit ictibus validissirais. Opinio quoque quurundani
est, quod ovum illud galli coluber aut bufo foveat, sed hoc incertum est. Hoc
tarnen in antiquorum (!) scriptis habemus, quod basilisci quoddam genus ex ovo
galli decrepiti gcneratur.
Alle Züge, die der sammeleifrige Dominikaner hier zusammenträgt,
begegnen uns wieder in den späteren Basiliskensagen: das Hahnenei mit
der elastischen Haut, die Ausbrütung im Mist oder durch eine Kröte,
eiidlicli die Ilahnengestalt mit Schlangenschwanz. Es half nichts, dass
Albertus Magnus, der Zeit- und Ordensgenosse des Vincentius, in seinem
Buche 'De animalibus' üb. 25 'de basilisco' und lib. 23 'de gallo' diesem
Aberglauben kritisch zu Leibe ging*), oliue sich vor der Autorität des
Hermes Trismegistus zu beugen*). 1474 wurde in Basel ein Hahn, der
ein Ei gelegt, vom Henker enthauptet uiui uchst dem Ei verbrannt (Basler
('hroiiiken 2. 102. 1880); ebenso wurden im niederländischen Zierikzee
zwei Hähne erwürgt und die von ihnen gelegten Eier zermalmt (J. Horst,
Von den wunderbarlichen Geheimnissen der Natur 1588 B. 7, 3 = Mitt. f.
1) Alberti Magni Opera Kiöl 0, tj67a: 'Dicunt etiani quidam, iiuod [basilisci]
generantur de ovo galli, sed hoc verissime falsum est et impossibile", 6, 639b:
'Quod autem dicunt decrepitum gallum ovum ex se generare et hoc in fimo ponere
et hoc testa carere, sed adeo durae pellis esse, ((uod ictibus fortissimis resistat, et
iluod hoc ovum fimi calore focciindetur in basiliscum, nui est serpens in omnibus
sicut gallus, sed caudam longam serpentis habet, ego non puto esse verum. Tarnen
llermetis dictum est et a multis acceptum propter dicentis auctoritatcm'. — Vgl.
Alberti Magni Thierbuch durch W. Kyff verteutscht 1545 Bl. YGb und OGa.
2) Welche Schrift Albertus meint, ist ungewiss. In llermetis Trismcgisti
Poemander od. Parthey 1854 (vgl. Pauly-Wissowa 8, 792) ist von Basilisken nichts
zu finden. — Einen seltsamen Ursprung aus dem Blute menstruierender Frauen
schreibt dem Basilisken Paracelsus (Opera 1658 '2, 8(>a. 47:ta) zu.
Die Entstehung eines dienstbaren Kobolds aus einem Ei. 47
Sachs. Volkskuude 3, 182); Christoph Entzelt (De re metallica 1551 p. 244)
sah einen angeblich aus einem Hühnerei geschlüpften Basilisken, den ein
Hirt bei Luckenwalde erschlagen hatte; in Zwickau wurde ein solcher
Basilisk in einem Keller eingemauert, naclidem er dort mehrere Menseben
getötet hatte (G. Agricola, De animantibus subterraneis 1549 = lfil4 p. 68;
Meiche, Sagenbuch von Sachsen nr. 519); in Warschau entdeckte man
1587 ebenfalls in einem Keller einen Basilisken in Gestalt eines Hahnes
mit seclis Beinen und grossem Schwanz (J. Pincierus, Aenigmata 1605
p. 306). 1) In der Form eines zweibeinigen Hahnes mit Drachenflügelu
und Schwanz hat Dürer den Basilisken abgebildet*); ebenso erscheint
dieser auf einem Nürnberger Fastnachtsumzuge von 1505 (Schönbartbuch
ed. Drescher 1908 S. 14), auf Holzschnitten in Alberti Magni Thierbuch
1545 ßl. Y 5b, Erasmus Alberus Schrift Vom Basilisken zu Magdeburg
1552, Titel (Schnorr, E. Alberus 1893 S. 137) und Lonicerus Kreuterbuch
1557 Bl. XXIX a, auf einem Kelief an einem Trierer Turm (Grässe,
Preuss. Sagenbuch 2, 103) und noch in der Beschreibung bei E. Müller,
Wendentum 1894 S. 157, während er bei Seb. Münster, Cosniographey 1564
5. 1444, Aldrovandi Serpentum historia 1640 p. 363, Sebillot, Folklore
de France 3, 169, Schulenburg, Volkssagen S. 100 einer Eidechse^) gleicht;
in Memmingen wird das Relief eines Greifen auf ihn gedeutet {Reiser,
Allgäu 1, 269) Als Raritäten zeigte man Basiliskeueier und getrocknete
Basilisken, z. T. Fälschungen aus Rochenhäuten (Gesner, Historia anima-
lium 5, 33a. 1587. Aldrovandi, Serpentum historia p. 364. 368. Zedlers
Universallexikon 3, 599. Lambecius, Connn. de bibliotheca Vindobonensi
6, 309. 7, 200. Grässe, Preuss. Sagenbuch 1, 300).
Die Sage von dem Ei, das ein siebenjähriger Hahn legt und aus dem
ein giftiger Frosch einen Basilisken ausbrütet, erzählt Rud. Zach. Becker
1788 im 'Noth- und Hülfs-Büchlein oder lehrreiche Freuden- und Trauer-
geschichte der Einwohner zu Mildheim' S. 343. Sie kehrt in verschiedenen
neueren Sagensammlungen mannigfach variiert wieder. So heilest es in
der sächsischen Lausitz (Meiche nr. 522 = Kühnau 2, 382 nr. 992), dass
der Basilisk aus einem Ei entsteht, welches ein zwanzigjähriger Hahn in
den Dünger legt. Ähnlich in Tirol und Thüringen, dass aus dem von
einem vierjährigen Hahne gelegten Ei ein Drache herauskriecht, der hun-
dert Jahre alt wird und fortwährend wächst (Alpenburg, Mythen S. 376.
Zingerle, Sagen ^ nr. 306; Seligmann, Böser Blick 1, 14.3), ähnlich in der
Schweiz (Kohlrusch, Sagenbuch S. 346; Lütolf S. 353 nr. 307, S. 577;
1) Anderes bei Grässe, Bibliotheca magica 184:) S. 7 (G C. Kirchmaier, J. Made-
wisius, L. Strauss, E. Gockel) und Beitr. zur Lit. und Sage des Mittelalters 1850 S. 50
bis 60. A. de Cook, Volkskunde 23, 79-82. Seifart, Sagen aus Hildesheim 2, 62 (1860).
2) Und zwar nach Horapollo 1, 1 als Sinnbild der Zeit. Vgl. Giehlow, Jahr-
buch der kunsthist. Sammlungen des österr. Kaiserhauses 32, 1 und 174 (1915).
3) Mit der Kroneidechse der modernen Zoologie (Basiliscus Laur. Brehm, Tier-
leben, Lurche ' 2, 76) hat unser Fabeltier nichts zu tun.
4N Polivka:
Schweiz. Archiv f. Vüliiskuiiiie l(i, ÜiS). Nach sieben oder neun Jahren
legt nacii einer anderen Sage aus der Schweiz der Hahn ein Ei; bedeckt
man es mit Pferdedünger, so kriecht ein Drache hervor, der alles mit
seinem Blicke tötet (Zs. f. deutsche Mythologie!, 140). Nach einer kärnt-
nischen Sage (Graber S. 68 iir. 74) schlüpft aus einem von einem sieben-
jährigen liaushahu in einen Düngerhaufen gelegten Ei nach drei Jahren
ein Lindwurm, der rasch zu einem liieseutier heranwächst und viele
Menschen und Kinder verschlingt. Nach einer anderen Sage (ebda. S. 71
nr. 7U) tut eine Sennerin das vom Hahne gelegte kleine Ei in den Butter-
kübel, und als es mit schrecklicher Schnelligkeit zu wachsen beginnt,
wirft sie den Kübel samt dem Ei in den Bach; dort erwächst aus dem
Ei ein mächtiger Lindwurm. In Tirol wird die Sage noch etwas ab-
geändert erzählt: wenn der Hahn sein Ei auf einen feuchten oder nassen
Ort legt, kriecht ein Drache aus; wenn auf einen trockenen Ort, kriecht
ein Basilisk heraus; der sieht einem Hahn gleich, nur hat er einen
Drachenschwanz. Nach einem in der Oberpfalz aufgezeichneten Glauben
(Schönwerth 1, 348) legt ein siebenjähriger Hahn ein I*]i, und aus diesem
entsteht ein Ungeheuer, welches Yieh und Menschen umbringt; nach
anderen ist es ein zehn Jahr alter roter Hahn, der sein Ei im Miste aus-
brüten lässt; daraus entsteht ein Vogel, der die Leute vergiftet. Nach
einem sonst in Norddeutschland verbreiteten Glauben entsteht der Basilisk
aus einem von einem sieben, zwölf oder zwauzig; Jahre alten Hahn ge-
legtet! Ki (Mülleiihoff S. 237 nr. 325; Strackerjau 2, 97 = 2. Aufl. 2, 15G;
Jahn, Yolkssagen nr.]ö4; Bl. f. ponun. Vk. 10, 168 nr.98. 99; Wuttko' S.d2;
Leoprechting, Lechrain S. 78: Lindwurm. Zs. f. d. Myth. 2, 421). Hiermit
hängt eiue andere in der Schweiz (in Graubünden) im Jahre 1730 erzählte
Sage (Jecklin 3, 84 = 191lj S. 451) zusammeu: ein grosser schwarzer Hahn
sass lange auf einem l*ii und wehrte sich wütend, wenn die Leute ihn
vertreiben wollten, bis das Ei sprang und einen fürchterlichen Gestank
verbreitete; wie man daun das Ei zerschlug, fand man darin ein schwarzes
Würmchen und hieb es in Stücke. Der Bauer drehte dem Hahn den Hals
um, denn aus dem von einem schwarzen, siebenjährigen Hahn gelegten
Ei kriecht der Basilisk hervor.
Gleiches wird in Dänemark vom Basilisken überliefert (Thiele, Dan-
marks folkesagn 2, 300. Kristensen, Jyske folkeminder 3, 81. 4. Gl. Feil-
berg, oben 11, 317. Kevue des trad. pop. 7, 592 nr. 2(i). In der oben an-
geführten schwedischen Erzählung von Uppland wird ileni Manne noch
die Bedingung auferlegt, Donnerstag abends auf den Friedhof zu gehn.
In Islaud führt das Untier den Namen Skoffin (.\rnason 1, 613), in
England heisst es Cockatrice (Hazlitt, Faiths and folklore 1, 133. 1905),
entsprechend dem französischen Cocadrille oder Codrille (Melusine 5, 21),
bei den spanischen Zigeunern Bcngoji, bei den Arabern Sif (Niebuhr,
Beschr. von Arabien 1772 S. XXXIX), bei den Chinesen Kiäo (Schott,
Die Entstehung eines dienstbaren Kobolds aus einem Ei. 49
Archiv f. wissensch. Kunde von Russlaud 1, 636. 1841). Entzelt, De re
jnetallica 1551 p. 244 nennt den aus dem Ei eines [iiännlichen Haselhuhns
entstandenen Waldbasilisken Haselwurm (vgl. oben 11,12 und RoUen-
hagens Froschnieuseler 1, 2, cap. 19).
Auch im französischen Teil der Schweizer Alpen und in Frankreich
selbst ist dieser Glaube verbreitet und schon seit dem Ende des 16. Jh.
belegt (Rolland, Faune pop. 3, 41. (i, 89. Revue des trad. pop. 23, 305.
Sebillot, Folklore de France 3, 231): ein 7, 9 oder 14 Jahre alter Hahn
legt in den wärmsten Sommermonaten ein Ei, und aus dem geht der
Basilisk liervor. Dagegen braucht das französische Volk verschiedene
Mittel (Sebillot 3, 268). Gleiches glaubt das italienische Volk von einem
siebenjährigen Hahne; daher schlachtet man die Hähne, bevor sie alt
werden (Pitre, Usi del popolo siciliano 3, 376. 4, 471. Archivio 4, 74).
In dem Märchen bei P. Heyse 1914 S. 124 kriecht aus dem schwarzen
Ei, das die Königin 22 Tage im Busen getragen, ein Hähnchen aus, das
schliesslich zum Menschen wird. Ebenso kriecht nach spanischer Volks-
meinung der Basilisk nach sieben Jahren aus dem Ei eines alten Hahnes
hervor (F. Wolf, SB. der Wiener Akad. 31, 192 Anm. Bibl. de las trad.
pop. esp. 1, 220. 3, 14f.). Ähnlich in Portugal (Ebd. 3, 16. Leite de
Vasconcellos, Trad. p. 148). — Ferner begegnen wir der Sage vom Ur-
sprünge des Basilisken bei den Wenden des Spreewalds (Schulenburg,
Volkssagen 1880 S. 100) und bei den Cechen Böhmens wie auch Mährens.
Aus dem von einem schwarzen Hahn in den Dünger gelegten Ei entsteht ein
Hiüin, bazilicek genannt; es wird von Sumlork (1, 350) ausführlich, kaum
ganz treu nach der Volksüberlieferung geschildert').
Aber sonst (und damit kehren wir von dem Basiliskenglauben, dem
vermutlichen Keime der in der Überschrift bezeichneten abergläubischen
Vorstellung, zu ihrer Verbreitung zurück) wird in den böhmischen
Ländern nur erzählt, dass auf diese Weise aus dem Ei einer schwarzen
Henne der Hausgeist ausgebrütet wird.''') Solche Sagen wurden schon
von Krolmus (1, 348 — 352) und aus Südböhnien von A'ernaleken (Mythen
S. 262) mitgeteilt. Wer einen solchen Hausgeist haben will, muss ein
solches Ei neun Tage oder drei, auch neun Wochen, sogar bis sieben
Monate unter der linken Achselhöhle tragen. Das ausgebrütete Huhn,
'sotek' genannt, hält neun Jahre ohne Essen und Trinken aus. Nach
einer neueren Aufzeichnung aus Südböhmen (Charvdt S. 147) darf so ein
Mensch sich während der Zeit nicht waschen, noch kämmen, noch Nägel
abschneiden, ebenso wie in dem bekannten Grimmschen Märchen vom
1) Bei den Ungarn, in deren Sprachdenkmälern und Märclien Röna-Sklarek 2,
297) der Basiliskus oder Basilikus als eine Schlange seit dem IG. Jahrh. erscheint,
.ist von seiner Entstehung, wie Prof. Dr. R. Gragger mitteilt, nichts bekannt.
2) Ein belgisches Sprichwort lautet: 'Coq qui pond, amene le diable dans
la maison' (Volkskunde 23, 153).
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 191S. 4
50 Poh'vka:
Bärciiluiutor uiiil in audereu Sagen (Boltf-l'olivka, Anmurkungen "_', 434).
Neuere Aufzeiclinungen gibts auch aus dem westlichen, mittleren und öst-
lichen Böhmen, (Ö. Lide, 134. -23, 35'2. Adämek, Lid na lllinecku S. 345),
wo der Hausgeist 'radäsok' heisst, und aus der Unigelning von Podi'-brad
(Cecetka S. 110), wo noch bemerkt ist, dass ein solches Ei in derPhiii])ii-
.Tacobi-Nacht gelegt sein niuss.
In Ostmühren muss sich der Mann derselben Bedingung unterziehen,
wie in der südböhmischen Sago (Kulda "2, 254; Cas. Mat. mor. 1870. 123),
ähnlich noch anderwärts in Mäliren (Bartos, Deset rozprav lidojiisnych S. 49)
in der ersteren wird der Geist 'Spiritus', in der zweiten 'Kubicek' (etwa
Jakobchen) genannt. Im südöstlichen Mähren (Aug. Sebestova, Lidsko
dokumenty S. 252) finden wir eine Bemerkung, die uns an deutsche
Volksüberlieferuugen erinnert: Das ausgebrütete Huhn verwandelt sich in
einen feurigen Drachen oder Vogel, der alles Gewünschte herbeiholt und
sich dann wieder in ein Huhn verwandelt. Eine ähnliche Sage aus der
Hanä wurde von mir in der unlängst erschienenen Sammlung von Er-
zählungen aus dem Troppauer Lande und aus der Hana S. 118 nr. 46d
veröffentlicht. Der Geist heisst wie im südöstlichen Mähren und im wesr-
lichon Bülimcu 'rarach'. In dieser Sage sollte er seiner Herrin von einem
Schatze sagen, und als sie diesen gehoben, musste sie sich dem Teufel mit
ihrem Blute verschreiben und bekam weiter von ihm Pulverchen, so dass
sie viel Milch und Butter hatte. In einer andern Erzählung (Zähorskä
Kronika 3, 47) ziehen die Leute den brütenden Mann vom Ofen herunter
und zerschlagen das Ei. Auch bei den Slowaken Kordungarns
(C. Lid 6, 380) bekommt man, wenn man das erste Ei einer schwarzen
Henne zwei Wochen in der Achselhöhle trägt, einen 'skriatok' oder
'zmok', der wie ein nasses Hühnchen aussieht und, wenn er ins Haus
fliegt, einen feurigen Stridfen hinter sich herzieht; man kann ihn los-
werden, wenn man ihn in ein rotes Tüchlein gebunden in einen Graben
am Wege legt.
Ähnliche Sagen sind weiter bei den Polen aufgezeichnet, sind aber
nicht so ausführlich wie die deutschen und böhmischen. Nach einem
im Posenscheu aufgezeichneten Glauben wird der 'skrzat' aus einem
eigens gestalteten Ei ausgebrütet, welches die Hexe längere Zeit unter
der Achsel trägt (Knoop, Sagen aus der Prov. Posen S. 111), ähnlich in
Poleu (Kolberg, Lud 15, 2G). In Galizien meint man, mau könne den
Teufel aus dem Ei einer schwarzen 'singenden Henne' ausbrüten, das man
neun Tage und Nächte, ohne zu sprechen, in der Achselhöhle trage
(Lud 12,220. l'.)06). Bei den Posener Polen (Knoop, Sagen S. 115 nr. 37)
glaubt man noch an den Ursprung des Basilisken aus dem von einem
schwarzen Hahn in Pferdemist gelegten FA. und zwar wird er von einer
Kröte ausgebrütet. Auf dieselbe Weise soll man in Galizien den 'inkluz',
das immer wieder zurückkehrende Geldstück er\Yerben können (Lud 2, 252-
Die Entstehung eines dienstbaren Kobolds aus einem Ei. 51
Mater, antropol. 10, 48; anders Ziv. Starina 7, 106). Auch weiter nach Osten
ist dieser Glauben verbreitet. So bei den Weissrussen im Gouv. Grodno
(Wisla 13, 399): ein fünf, sieben bis neun Jahre alter Hahn legt ein Ei,
welches manchmal so gross wie ein Huhn ist, manchmal kleiner als ein
Taubenei. Wenn es ein Mann unter der linken Achsel trägt — die Zeit
ist nicht bestimmt — so wird ein Kater geboren, und das ist der Teufel
selbst. Der trägt seinem Herrn alles zusammen, was er sich nur wünscht,
er spricht mit ihm in menschlicher Sprache. Es wird von einem
Mädcheu erzählt, das sich auf diese Weise diesen Geist verschaffte, den
Kater mit Milch nährte und von ihm alles bekam, was es nur wollte.
Mit verschiedenen Abweichungen ist dieser Glaube bei der klein-
russischen Bevölkerung Ost-Galiziens verbreitet. So wird der 'didko" aus
dem unter derSchwellevergrabenen, nicht ausgetragenem Ei nach neun Jahren
ausgebrütet (Vernaleken, Mythen S. 239. Machal, Näkres S. 97). Anderwärts
wird ein solclies Ei, vordem mit mancherlei Zauber zubereitet, unter
der Achsel getragen, bis der 'Antypko-chovanec lierauskriecht (Etnograf.
Zbirnyk 5, 210 nr. 1; 1.'), üt; nr. 171—174,- 105 nr. 184; 23, 156 nr. 401.
40-2). Sonst wird auch eine vom Markt gekaufte Taube unter dem Arm
getragen (ebda. 15, 104 nr. 183). Bei den Huzulen (Suchevyc 5, 197
nr. 4) muss der Mann, der das Ei neun Tage unter der linken Achsel-
höhle trägt, dieselben Bedingungen erfüllen wie in der südböhmischen
Fassung; dann kriecht daraus ein Teufelchen 'scezby' hervor. Solch ein
Ei hat eutweiler zwei Dotter oder keinen, die Henne kräht wie ein
Hahn usw. Man trägt es neun Tage uml neun Nächte unter der Achsel,
geht am Ostertage in die Kirche und sagt bei den Worten des Priesters
Christus ist erstanden dreimal lieinilich: 'Auch der meine ist erstanden'
(Ziv. Starina 7, 105; vgl. Kaindl, Die Huzulen 1894 S. 83). Nach anderen
kriecht der 'antypko' aus einem Ei heraus, auf dem die Henne sieben
Tage sitzt, oder der Teufel springt aus dem letzten Ei hervor, wenn es
über das Dach geworfen wird (Etnograf. Zbirnyk 33, 157 nr. 403; vgl.
Kolberg, Pokucie 3, 86 Anm. 2). Weiter herrscht in Ostgalizien noch der
Glaube, dass aus jedem Ei, welches auf Maria Verkündigung gelegt wordeu,
derTeufpl 'osynavec" herauskriecht, wenn es neun Tage und Nächte unter der
linken Achselhöhle getragen wird; deswegen wird ein solches Ei in den Fluss
geworfen (Mater, ukrain. etuolog. 15, 33). Weiter nach Osten scheint dieser
Glaube nicht besonders verbreitet zu sein. Aus dem Gouv. Podolien ver-
zeichnet Cubinskij (1, 192) folgende Meinung: wenn die Henne vom
Wind unterblasen ist, legt sie einen 'znosok' d. i. ihr letztes Ei, und wer
den 'domovyk" haben will, trägt es neun Tage unter der linken Achsel-
höhle. Ähnliches teilt noch Dragomaiiov mit (Malorus. nar. predanija S. 57
nr. 28). — Die Grossrussen glauben nach K. Awdejewa (Archiv f. wissen-
schaftl. Kunde von Russland 1, 6,:S5. 1841. Dalj, Tolkovyj slovar 1, 410),
dass ein Mann, der ein Hahnenei sechs Wochen im Busen trägt oder eben-
4*
5'2 Polivka:
solange in den Dünger legt, eine feurige Schlange daraus erhält, die ihm
Reichtum ins Haus trägt.
Sonst habe ich im nordöstlichen Euro]):! diesen Glauben nur noch
bei den Letten Livlands gefunden (Zbiör 15, '251): Dieser Geist wird
hier 'pyiicz' genannt (wohl nach dem Puk), und entsteht auf die gewöhn-
liche Weise aus einem von einem \'2 Jahre alten oder noch älteren Hahn
gelegten Ei, es kann aber auch unter das Kuheuter angebunden oder einer
Henne untergelegt werden. Dieser pyiicz ist einem Hahn etwas ähnlich,
lang wie eine Haspel, dick wie der Daumen, rot wie das Feuer, er hat ein
Schlangenköpfchen, weiter hinten hat er etwas wie eine Blase oder Sack,
in welchem er eine grosse Menge Getreide bringen kann; abends vor
Sonnenuntergang fliegt er aus und bringt Cietreide und Geld. Wer sich
dem Teufel verschrieb, konnte ihn auch in Riga kaufen.
Weit mehr ist der Glaube an einen solchen Hausgeist bei den südwest-
lichen slawischen Völkerstämmen vei'broitet. Die Slowenen der südlichen
Steiermark glauben, dass einen 'skratec' bekommt, wer ein von einer
schwarzen Henne gelegtes l'ji neun Tage unter der Achsel trägt, fort-
während an den Teufel denkt und Gott verflucht. Er muss ihm ein Glied
seines Körpers verschreiben. Wenn er Geld trägt, ist in der Luft ein
brennender Besen zu sehen, zu Hause sieht er wie ein grosser zottigrer
Hund aus (Pajek S. 228). Im westlichen Kroatien erzählt man: wer
ein von einem dreizelin oder neun Jahre alten Hahn gelegtes Ei dreizehn
(oder neun) Jahre unter der Achsel trägt, bekommt den Drachen 'pozof.
Der ist beflügelt, und wenn er fliegt, entsteht ein Sturm, dass Bäume ge-
brochen werden.
Auf der Insel Veglia (Zbornik jslav. 1, 228) wird der Hausgeist
'malic' oder 'malik' genannt. Der Mann trägt neun Monate ein von einem
siebenjährigen Hahn gelegtes Ei; der Hausgeist hat ein rotes Käppchen
und bringt aus dem Meero viel Reichtum, aber er niuss gut gefüttert
werden. Aiinlich wird von der Insel Pago gemeldet (ebda. 17, l'.H), hier
heisst er 'vtaljalc oder auch ^macic\ da er sich in einen Kater verwandeln
kann; er kriecht aus einem von einem neunjährigen Hahn gelegten und
vierzig Tage unter der Achsel getragenen Ei. In Dalmatien heisst er
'■macii-' oder '■maciklü' (ebd. 10, 265): der Mann trägt unter der linken
Achsel ein von einer ganz schwarzen Henne gelegtes Ei, spricht nicht,
betet nicht durch die ganze Zeit; oder er trägt ein von einem neunjährigen
Hahn gelegtes Ei an der Brust, bis ein Geschöpf wie ein Kätzchen oder
schwarzes Hündchen ausgebrütet wird. Der Mann darf weder Glocken-
geläute noch Gesang hören. Auf der Insel Lesina (Hvar) jedocli ist der
'macic' dm Seele eines ungetauften Kindes, auf Brazzo ein meist böser
Geist, der auf dem Festlande weilt; eiu anderer Geist vom Meere bringt
Geld (Glasnik muz. bos.-lierceg. 9, 486). Anderwärts heisst er noch '■cikavac'
und wird von Hexen erworben, welche ein Ei in ihr Kleid unter der Achsel
Die Entstehung eines dienstbaren Kobolds aus einem Ei. 53
einnähen und es so 40 Tage und Nächte tragen, ohne sich während der Zeit
zu waschen, zu kämmen, die Nägel zu beschneiden, sich zu bekreuzen, bis
ein Teufel wie ein 'mjescic' (Beutelchen) ausgebrütet wird (Srbsko-dalmat.
ma". 1867, 26, 55). Ganz gleich wird dasselbe Wesen, welches als ein
geflügeltes Tierchen vorgestellt wird, in Bosnien genannt; der Mann niuss
sich derselben Bedingung unterwerfen und ausserdem von einer Zauberin
dazu vorbereitet sein (Glasnik muz. bos. herceg. 12, 348). Nach einer
anderen Überlieferung wird der Teufel ('vrag') aus einem Ei eines neun-
jährigen Hahnes unter der gleichen Bedingung ausgebrütet (ebda. 20, 452).
Bei den Mohammedanern in Bosnien und Herzegovina heisst es, wenn
man ein von einem zwanzigjährigen Hahne gelegtes Ei vierzig Tage unter
der linken Achsel trage, könne man den Teufel 'huddam' ausbeuten, der
jeden Wunsch erfülle (ebda. 10, 511). Aus der Herzegovina wurde
dieser Glaube ausführlich von GrO'ic-Bjelokosic beschrieben (2, 53 f. Glasnik
mus. bos. herc. 8, 533): Wenn ein ganze schwarze Henne alle ihre Eier
gelegt hat, legt sie noch ein kleines Ei, 'iznosak' (d. i. das letzte Ei,
welclies die Henne trägt), das trägt eine Frau oder ein Mädchen 40 Tage,
bis der 'cikavac ausgebrütet ist, und sie ist während der Zeit der ge-
wöhnlichen Bedingung unterworfen. Der ausgebrütete cikavac sieht wie
ein Beutelchen aus und wird von der Frau in die Nachbarschaft geschickt,
dort isst er sich satt an Käse, Topfen, Butter oder saugt an fremden Ziegen,
Kühen u. a. Zurückgekehrt speit er alles aus, wie wenn ein Beutel ge-
öffnet wird. In Montenegro heisst dieses Wesen maä'' und wird auf die
gleiche Weise erworben, aber zur Zeit des strengen Fastens (Rovinskij,
Oernogorija 2, 2, 515): hier wird stellenweise vorgeschrieben, dass der
Mann die ganze Zeit fastet und nichts Schlechtes tut. Vgl. Wissensch.
Mitt. aus Bosnien und der Herzegowina 1, 440.
Aus anderen östlicheren südslawischen Ländern oder sonst aus den
Balkanländern habe ich keine Belege, obgleich wahrscheinlich auch da
dieser Glaube verbreitet ist, um so mehr, da ihn auch die Rumänen
kennen. So wird in Siebenbürgen (Am Urquell 6, 144) wieder ein von
einer schwarzen Henne gelegtes Ei unter der Achsel getragen, und am
neunten Tage kriecht das Teufelchen in tler Gestalt eines räudigen Huhnes
heraus, welches dann die Gestalt verscliiedener Tiere annehmen kann,
alle Wünsche seines Herrn erfüllt, sogar Häuser anzündet, mordet u. a.
Ahnlich in der Bukowina (Globus 92, 287. Am Urquell 1, 107); hier ist
so ein Ei sehr hart und mit schwarzen Flecken gekennzeichnet. Ebenso
auch in Rumänien (Am Urquell 4, 125).
Noch auf andere Weise wird dieser Hauskobold erworben. Nach
einer sächsischen Sage (Meiche S. 312 nr. 411) brachte ein Bauer ein
ganz vom Regöu durchnässtes Huhn nach Hause und fand von der
Zeit an täglich einen grossen Haufen Weizen; als er hörte, dass dies der
Böse (der Drache) sei, begoss er es mit geweihtem Wasser, warf den
54 Polivka:
Weizen auseiiiamler und wurde es so los. Ähnlich wird noch anderwärts
in Sachsen (ebda. S. 310 nr. 405), Schlesien (Firnienicii '2, 309; J. \V.
Wolf, Beiträge 2, 342), Nordböhnien (Taubniann S. 78 nr. 12; Külinau 2.
40 nr. G'.lö) und in Niederösterreich (Vernaleken, Mythen S. 2(J0 nr. 61)
erzählt. Bei den Lansitzcr Wenden (C'erny, Myth. liytcisce 22 f. Silnilon-
burg, Yolkssagen S. lO.'if. Veckenstedt S. 3iS7. H. Müller, Wendentum
S. 164) wird ein vor dem Haus sitzendes Huhn aufgehoben oder auch ein
Kapaun, dieser legt ein buntes Ei, und daraus erkennt man, dass es ein
'Kubolt', 'Kubu.scik" ist; ausserdem wird so ein Kobold auch aus einem
gefangenen Schmetterling oder T)ret'kkäfer, der in eine Schachtel gesteckt
wurde (vgl. Schulenburg S. 106). Gleichfalls in Thüringen (Witzschel 2, 270
nr. 55) und Schlesien (Kühnau 2, 26 nr. 680. 682. 683): dieses Huhn flog
in der Nacht wie ein feuriger Drache und warf fortwährend Weizen aus.
Nach einem in Brandenburg verbreiteten Glauben verwamlelt sich ein
schwarzes Huhn in der Neujahrsnacht am Kreuzweg in einen Drachen
(oben 2, 78. Veckenstedt S. 393). Vergleiche eine andere branden-
burgische Sage (W. Schwartz, Sagen der Mark Brandenb." S. 100 nr. 60),
nach der ein Schuhmacher den von einem anderen am Kreuzweg weg-
gelegten Kobold in der Gestalt eines Vogels fand: er war gross wie
eine Elster und mit roten und schwarzen Federn und rief immer: „Ich bin
herrenlos!" So wurde der Schuhmacher reich. Nach einem in Osterr -
Schlesien verbreiteten Glauben (oben 2, 33 nr. 688. Grimm, Myth. 3,
454 nr. 583) legen die Hennen zn Ende ihrer Zeit ein bis zwei um die
Hälfte wie gewöhnlich kleinere Eier, aus denen werden Drachenhühner
ausgebrütet; sie machen grossen Schaden in den Scheunen und fliegen
schliesslich wie Drachen weg; um sie unschädlich zu machen, muss
man solche Eier über das Dach werfen. Ebenso aus Thüringen bei
Witzschel, Kl. Beiträge 2, 281 nr. 59 und 65 und in Veckenstedts Zs. f.
Volkskunde 4, 390.
Diesen (Uauben finden wir noch bei den oberschlesischen Polen
(Kühnau 2, 31 nr. 685), in Posen (Kolberg, Lud 15, 25—27; Knoop,
Sagen der Prov. Posen S. 111): ein Bauer brachte ein durchnässtes und vor
Kälte zitterndes Huhn nach Haus, .setzte es hinter den Ofen, und alsbald
begann das Huhn ihm Getreide zu bringen. So auch bei den Masuren
(Toppen S. 17), in Böhmen (Erben, C. poh. S. 23, Cecetka S. 110. C.Lid
16, 251), bei den Slovaken Nordungarns (Dobsinsky, Obycaje 117) und
bei den Litauern im Gouv. Suwalk (Ziv. Star. 4, 488).
Stellenweise werden noch ähnliche Sagen erzählt von solchen Kobolden,
die als Hühner, Hennen erscheinen, ohne dass ihr Ursprung, ihre l'jUtstehung
.angegeben wird; als roter Hahn (Kuhn -Schwartz, Nonldeutsche Sagen
nr. 48, Kuhn, Westf Sagen 1, 370 nr. 416, Friedr. Ranke S. 152, Meiche
S. 298 nr. 388), oder als roter und schwarzer Vogel (Kulm, Mark.
Sagen S. 192 nr. 180, 181). Es fliessen da vielfach Sagen vom feurigen
Die Entstehung eines dienstbaren Kobolds aus einem Ei. 55
Drachen, der Getreide, Geld u. a. seinem Herrn zuträgt (oben 2, 78.
*21, 286. Grimm, Myth. * 2, 851 f., Ranke S. 158, Meiche nr. 387. 388,
Schulenburg S. 101), zusammen.
Nocli anders berichten verschiedene Sagen von der Entstehung und
der Erwerbung eines solchen Hausgeistes. Nach wendischem Glauben
(Veckenstedt S 341) muss man am ersten April einen schwarzen
Hahn in den Stall einschliessen, dann findet man am nächsten Morgen
dort einen Drachen. In der Mitte des 19. Jh. zeichnete J. V. Houska
in Böhmen folgendes auf (Gas. Ges. Musea 1855, 327): unter beson-
derem geheimnisvollem Zeremoniell und Zaubersprüchen wird eine
schwarze Henne, die noch kein Ei gelegt, in zwei Hälften zerhauen, darauf
erscheint ein Geist in einem blutigen mit Gold durchwobenen Gewand mit
zwei Hörnern am Kopfe und Pferdehufen und bringt eine schwarze Henne,
die täglich ein goldenes Ei legt. In Grusien am Kaukasus wickelt man
das von einem Hahn gelegte Ei in Watte und vergräbt es bei der Tür in
die Erde, dann verwandelt es sich in Gold (Sbornik Kavkaz. 19, 2, 91).
Die Imeritiner glauben, in dem von einem Hahn gelegten Ei finde man,
wenn man es zerschlage, entweder einen Adler, eine Schlange oder ein
Eamni: das erste und zweite bedeute Unglück, das dritte Wohlergehen
(ebd. 19, 2, 100).
In dem westlichen Brandenburg bekommt den Kobold derjenige,
welcher zuJohannis mittags zwischen 12—1 in den Wald zu einem Ameisen-
haufen geht, dort einen Vogel findet und den nach Zaubersprüchen in
«in Knäbchen verwandelten in dem vorbereiteten Sack fängt (Kuhn, Nord-
deutsche Sagen S. 393 ur. 92; vgl. Lemke l,r58 'Der Alf). In einer Sage
aus dem westlichen Mähren (Dufek, Horäcko S. 312) findet ein Müller
in der Tasche des vom . Jahrmarkt gekauften Lederhoson ein Schächtelchen
und darin einen Vogel — den Kobold. Ähnlich in Böhmen (G. Lid 23,
352). In einer mährischen Sage wird eine im Tuch gefangene und im
Stall aufgehängte Fliege zum Kobold (rardSek), der Milch verschafi't
(Zahorska Kronika 3, 13). In einer Rügener Erzählung (Haas, Schnurren
S. 78 nr. 71) verwandelt sich ein auf der Landstrasse gefundenes Bündel
in einen Puk.
Stellenweise wurde so ein Kobold künstlich aus verschiedenen Sachen
Terfertigt, so in Schweden, auf Island, bei den Estheu (Grimm, Myth.* 2,
912; 3, 148), oder wie im Mittelalter in Deutschland aus Holz, besonders
Buchsbaum, geschnitzt oder aus Wachs geknetet (ebda. 1, 414 f).
Dieselben Dienste wie der Kobold leistete auch das Alraunmännchen,
Ton welchem Sagen in älteren deutschen Druckwerken vorkommen (Grimm,
DS. nr. 83; Meiche nr. 391 und 814). Es bringt seinem Herrn Glück, be-
sonders Geld. Der Herr muss sich freilich dem Teufel verschreiben, aber
es wird dem kein besonderes Gewicht mehr beigelegt, es ist offenbar alles
Dämonische verblasst oder verloren (Strackerjan 1, 396 = 2. Aufl. 1, 487);
50 Polivka: Die Entstehung oines dienstbaren Kobolds aus einem Ei.
etwas mehr erhalten in Unter-Österreich (Vernaleken, Mythen S. "iöS
nr. 59). Auch in Böhmen wurde so eine Sago aufgezeiclinet (C'as. Ces.
Musea 1855 S. 181): das Männchen bringt seinem Herrn Geld und Nährun«-,
sagt ihm auch von dem ihm zugefügten Schaden u. a. m. (Vgl. Grimm,
Myth. * 2. 1005 f.: Wuttke, Volksaberglauben' S. 102; Seligmauu, Der
böse Blick 2. 76.)
Die Sagen von der Entstehung des Kobokles aus dem Im einer
schwarzen Henne erinnern an verschiedenen Aberglauben, der mit den
schwarzen Hennen und deren Eiern verbunden ist. So ein Ei hilft
z. B. die Hexe erkennen, welche dem Vieh die Milch abzaubert u. ä.
(Schönwerth 1, 346), oder in der Kirche die Hexen erkennen (15artsch 2,
267, nr. 1391; Wuttke S. 256 ; oben 8, 340. 11,423.25,222). W^uttke (S. 118)
führt zahlreiche Belege für die Zauberkraft der schwarzen Henne, ihrer
Eier und Excremente an. Sie sind in Böhmen aus dem 16. .lalirh. be-
legt in einem aus dem Polnischen übersetzten Schauspiel, daher wohl auch
für Polen in einer etwas älteren Zeit (Zi'brt, Vyrocni obyceje S. 99). In
Schwaben kann dem Feuer durch ein auf Karfreitag gelegtes Ei der
schwarzen Henne Einhalt geboten werden (Birlinger 2, 78: oben 8, 340),
ebenso bei den Slowaken (C. Lid 6, 380). In Gottschee helfen drei solche
Eier gegen Hagelschlag (Hauffen S. 73), sonst auch gegen Blitz (oben
8, 340). In Ungarn schützt es vor Krankheit, wenn es am Gregorstag
gelegt ist (oben 4, 323). Besondere Zauberkraft hat ein Ei, welches .im
Gründonnerstag oder Karfreitag gelegt wird (oben 8, 399; 23. 133). Aber
hier kommen wir in ein anderes Gebiet, zu dem mit dem VA überliaupt
verbundenen Glauben, und so brechen wir ab.
Prag.
Die Garnweife oder Garnhaspel/)
Von Karl Brunner.
(Mit vier Abbildungen auf Tafel 1.)
Das Bild des vou Dr. Georg Minden gestifteten 'Dankzeichens für
Verdienste um die Volkskunde' (Abb. 1) stellt in Anlehnung ;ui eine
Bauernstube des sehlesischen Kiesengebirges, wie sie in der lygl. Samm-
lung für deutsche Volkskunde zu Berlin aufgestellt ist, eine kleine
Versammlung spinnender Mädchen und Frauen dar. denen eine Alte
Volksüberlieferungen aus dem Gebiete der Sage oder des Märchens zum
besten gibt. Zwischen ilineu steht ein Bauer, beschäftigt mit einem
1) Dieser Aufsatz und der folgende erscheint f;leiehzeitig in den Mitteilungen
aus dem Verein der Kgl. Sammlung für deutsche Volkskunde, ]5erlin. Bil. .'>, Heft 2.
Zeilschrift des Vereins für Volkskunde. 1918.
Tafol I. Zu Rrunner: Garnweife oder Garnliaspel.
!r^'":'!^'*'^;^^'iJ^di^ü'Ki'?^f"'j'!i'i^'v"'""
Abb. 1. Dankzeichen für Verdienste um die \ uikskuude,
gestiftet von Dr. Georg Minden,
modelliert von Prof. Hugo Kaufmann.
Vio Hat. Grösse.
3
^ a.
Abb. ~. Si-hlesische Weifen in der Kgl. Sannnlunj;
für deutsche Volkskunde zu Berlin.
Abb. 3. Wefelk,
^Ischergerät aus Klein-
horst in Pommei'n.
'/s uat. Grösse.
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Abb. 4. Weifspille
aus Poischwitz,
Kl'. Jaue:-.
I
I
Briinner: Die Gatnweile oder Garnhaspel. 57
eigentümlichen Holzgerät, das zum Aufwickeln des fertig gesponnenen
Fadens dient und in Schlesien Weife heisst. Der Künstler, Prof. Hugo
Kaufmann in Westend bei Berlin, hat die einfache Holz.stube mit den
kleinen Fenstern, den niedrigen Deckenbalken, dem heimeligen Ofen und
der Ofenbank darum, die bekannte Bunzlauer Kaffeekanne auf «leni Tische,
sowie das übrige Gerät recht naturgetreu nachgebildet, so dass uns das
Bild erwärmt und den Geist nachdenklich in jene alte Zeit lenkt, da
Sprache und Mundart, Lied und Sage, Recht und Brauch, Glaube und
Sitte wesentlich durch die mündliche Volksüberlieferuug sich vererbten.
Ist es nicht der Ausklang ferner vorgeschichtlicher Zeiten, der Väter alte
Art, deren letzte Spuren in der neuen, so anders gearteten und sturm-
durchtobten Welt die Volkskunde sammelt und birgt für kommende Ge-
schlechter, die das grosse Weh der Zeit überwunden haben werden und
wieder der Erinnerung und Erforschung deutsclien Altertums leben wollen!
Die gesprächige Alte hält in der Linken einen der hohen, reich mit
Schnitzwerk und Malerei verzierten Spinnrocken, noch ein Überbleibsel
aus jener Zeit, da man das Spinnrad noch nicht kannte und den Faden
mit Hand und Spindel drehte. Aber nicht diese Geräte, die der Volks-
kunst in den verschiedenen Gebieten reiche Gelegenheit gaben, sich zu
zeigen und mannigfaltig bezeichnende Liebesgaben der Burschen für ihre
Mädchen hervorzubringen, sondern die Weife, die der neben den Frauen
stehende Mann in Händen hält, soll hier ausführlicher besprochen werden,
weil dieses Gerät bei uns nur noch wenig bekannt ist und bald vüUio-
verschwunden sein dürfte, soweit es nicht in Museen gerettet wird.
Die Abb. '2 zeigt uns einige solche Geräte mit grösserer Deutlichkeit.
Es sind geschnitzte oder auch gedrechselte Stäbe von etwa Ö7 cm Länge
mit zwei End-Querbalken, welche letzteren nicht parallel, sondern senk-
recht zueinander stehen und leicht gebogen sind. Man fasst das Gerät
in der Mitte des Achsenstabes, und der aufzuwickelnde fertige Faden
wird in Zickzacklinien um die Endsprossen herumgewunden. Der Faden
kommt von der Spule und wird auf diese oder andere Weise zu Strähnen
oder grösseren Gebinden vereinigt, die in Niedersachsen Löppe. Fitzen
(ahd. fizza). Binden, Stücke, in Hessen Geblätze, Zaspel, Zahlen,
in Obersachsen Weifen heissen. So können die Garne besser gewaschen,
gebleicht oder gefärbt werden. Sie werden bei dieser Gelegenheit auch
abgemessen in so und soviel Umwindungen, so dass sie für den Webstuhl
und Vertrieb in dieser Form handlicher werden.
Herr Oskar Scholz in Herzogswaldau, Kreis Jauer in Schlesien
schreibt mir über das Weifen, dass dabei bekanntlich von 1 — "JO gezählt
wird; 20 Fäden von je 4 Ellen zu je iäVa Zoll bilden ein Gebind. 20 Gebind
heissen eine Haspel, 3 Haspeln bilden 'eine Strähne und 4 Strähnen ein
Stück Garn. Vermutlich ist hier Haspel mit dem sonst üblichen Zaspel
vertauscht.
58 BniniRT:
Über die Gerätbezeichnung Weife wäre noch zu bemerken, dass das
Wort aus dem gemeingermanischen Zeitwort wifan, weifen gefolgert ist und
nach (iriinnis Deutschem Wörterliuoli 14, 1, ü3ö seit Anfang des 15. Jahrh.
im üstfränkischeu und Üstmitteldeutschen in den Formen weyphe,
weyffe, weyfe, weiffe, weyf, wayff, waiff als Verdeutschung von
mittellat. alabruni, gagia, girgillus, sagia, sihibra und tradulus
begegnet. Im Mittelhochdeutschen bedeutet das Zeitwort weifen soviel
wie 'schwiugenmachen' oder 'haspeln". Im 18. Jahrh. erlebt das Wort
seine Blütezeit; Goethe braucht es öfter. In nid. Mundarten lebt es noch,
als wäfe in Oberhessen und Kurhessen, waifn im Eichsfeld, in Thüringen
und im Mansfeldischcn, weefe in Obersachsen und Schlesien, wef im
Preussischen. Von der gleichen germ. Wurzel 'wip" sind noch abzuleiten
Weife in der Bedeutung von "Grenzmarke' in der oberdeutschen Gesetzes-
sprache, erklärbar aus dem niederdeutschen wip = gewundenes Stroli
oder Strohwisch, engl, wipe, und das niedersächsische Weiffe = Peitsche,
engl. whip. Das Zeitwort weifein im Schwäbischen = 'taumeln,
wanken" ist eine Verkleinerungsform von weifen und wird in Thüringen
auch für 'im Kreise drehen' gebraucht, am Niederrhein für 'sich um je-
mand bemühen" oder 'schmeicheln". Ob das von Schmeller im Baye-
rischen Wörterbuch " 2, 863 angeführte Wifft = Faden oder Zwirn feinster
Art gleicher Wurzel entstammt, bleibe dahingestellt.
Die niühsatne Armbeweguug beim Weifen des Garns führte daini
wohl zur Erfindung des Gerätes, das wir gewöhnlich Haspel nenuen,
worüber auch bereits Herrn. Sökeland in den Mitteilungen aus dem
Museum für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes 1,
30 ff. ausführlich gehandelt hat. Diese Entwickelung hat sich, wie wir
weiter unten sehen werden, schon in früher Zeit, wenn auch nicht überall,
vollzogen, so dass bei detn Fortleben der alten Weife neben dem ent-
wickelten Haspel und bei demselben Gebrauchszwecke bereits im Mittel-
hochdeutschen die Xamen Weife und Haspel miteinander verschmelzen.
Ganz vereinzelt begeguet auch die Bezeichnung Schrägen (Lexer, Mhd.
Wtb. 2, 784; Grimm, Wtb. 9, 1624).
Wir erblicken also in der Weife unserer oben dargestellten Form
ein Urgerät im eigentlichsten Sinne, studieren seine Verbreitung heute
und verfolgen seine Nachweise in alter Zeit.
In Deutschland sehen wir es nocli bis in die neuere Zeit in Schlesien
im Gebrauch. Auch im benachbarten Bomster Kreise der I'rovinz Posen
wurde es unter demselben Namen nach verlässlicher mündlicher Mitteilung
bis um 1890 noch benutzt. In Thüringen scheint es auch noch bekannt
zu sein, denn es findet sich auf einer Postkarte mit der Darstellung einer
Finsterberger Spinnstube (Thüringer Kunstverlag, Gotha Nr. II). Ausser-
dem ist das Gerät vereinzelt nachweisbar aus der Kassubei im Stettiner
Museimi und aus Litauen im Museum in Tilsit. Ausserhalb Deutschlands
Die Gainweife oder Garnhaspel. 59
kommen verschiedene, z. T. recht urwüchsige Formen des Gerätes vor in
Ungarn'), bei den Huzulen und (Toralen-), im österreichischen Küsten-
land, in Bulgarien, Frankreich, Italien, Portugal und bei den Malaien').
In einer sehr reich mit Abbildungen ausgestatteten Schrift hat
H. Schuchardt in Graz (s. Anm. 3) solche Geräte besprochen, die er
nur als den oder die Haspel (ital. aspa, nidl auch aspa) bezeichnet. Er
unterscheidet sie als Ilandhaspel von den Drehhaspeln, die bei uns ein-
fach nur als Haspel bezeichnet zu werden pflegen. Man kann aus den
beigegebeneu Abbildungen sehen, wie sich dieses Gerät in der Weltweite
aus der einfachsten Vorrichtung zur Bewältigung der Fadenmasse bis zu
der oben abgebildeten Form entwickelt hat.
Der Name Weife für unser schlesisclies Werkzeug scheint demnach
ausserhalb dieser Provinz und Posens nicht bekannt zu sein. Überhaupt
ist er ebenso wie das Zeitwort 'weifen' in Niederdeutschland anscheinend
im Aussterben begriffen, während beide in Obersachsen*) in einer ge-
wis.«en oben erwähnten Verbindung und in Schlesien vielleicht nur durch
unser bisher noch gebrauchtes Gerät davor bewahrt geblieben sind.
Gehen wir nun weiter in die Vergangenheit zurück, so finden wir
dasselbe Gerät auf einem Kupferstiche von J. E. Nilson (1721 — 88) in
Koburg abgebildet^), welcher ein Kalenderblatt für den Monat Dezember
ist. Es entspricht in der Form durchaus der schlesischen Weife, aber es
ist aus der Abbildung nicht klar zu sehen, ob die Stellung der End-
sprossen senkrecht oder parallel zueinander ist. Derselbe Maugel ist
wiederholt, auch an älteren Bildern festzustellen, wobei es dahingestellt
bleiben niuss, ob immer ein Missverständnis oder die perspektivische
Schwierigkeit Ursache war. Auch in der Art der Garnaufwicklung zeigten
die Künstler wohl bei ihren Darstellungen nicht immer das rechte Ver-
ständnis. Wiederholt sieht man den Faden kreuzförmig statt im Zickzack
aufgewickelt, was nicht zweckmässig erscheint und jedenfalls der uns be-
kannten Art in neuerer Zeit widerspricht.
Auf einem bei H. Schuchardt a. a. 0. abgebildeten Kupferstiche von
Bonnart, Die drei Parzen, aus dem Ende des 17. Jahrh. sehen wir
wiederum ein entsprechendes Gerät in der Hand der mittleren Parze,
welches die richtige gekreuzte Stellung der Endsprosseu und auch die
Aufwickelung des Fadens in der zickzackigen Form zeigt. Nur eins fällt
als abweichend von unserem schlesischen Geräte auf, das ist der Hand-
griff' unter dem Werkzeuge. Weil solche wiederholt auftreten, stellt
Schuchardt die Unterscheidung der Haudhaspel als niittelgriffige, wie
1) Anzeiger der Ethnogr. .\bt. des Ungar. Nat.-Museums 4, 187 (1908). ü, 25.
2> Ztschr. f. Österreich. Volksk. 11. 132 f.
3) Hugo Schuchardt an Ad. Mussafia, Graz 1905. Festschrift.
4) Ersch u. Gruber, Allgem. Encyklop. d. Wissensch. u. Künste II, 3, 87 (1828).
5) Ad. Bartels, Der Bauer in der deutschen Vergangenheit 1900. Abb. 149.
(;0 Brunner:
unsere schlesischen Weifen, und als untergriffige, wie eben auf dem er-
wähnten Bonnartschen Kupferstiche auf. Da unserer Sammlung bisher
eine solche Handliaspcl noch fehlt, möchte ich hier zur Verdeutlicliung
eine Abbildung eines kleinen Gerätes zum Fadendrehen wiederholen
(Abb. 3), das dieser untergriffigen Handhaspel in der äusseren Form etwa
entspricht und das z. B. an der pommersclien Ostseeküste auch AVefelk,
d. h. kleine Weife genannt wird. Weiteres über dieses kleine Fischerei-
gerät ist andernorts') gesagt worden. Hier soll nur darauf hingewiesen
sein, dass es im Gegensätze zu den Handhaspeln eine bewegliche
Achse hat.
Aus dem 1(5. Jahrh. finden wir dann wiederum eine Abbildung eines
untergriffigen Handhaspels bei Sebastian Münster, Cosmographei, Basel
1561 S. 812. Auch bei dem älteren Brueghel (1530—69) kommt die
Form der schlesischen Weife vor.
liu 15. Jahrh. sehen wir auch beide Formen, die untergriffige und
niittelgriffige, vertreten in einem Stiche von Israel von Meckenem,'')
ferner in einem Holzschnitt (um 1490) des Berliner Kupferstichkabinetts
(Sehr. 1990) (E. Diederichs, Deutsches Leben der Vergangenheit in
Bildern 1, 123), einem weiteren des Münchener Kupferstichkabinetts
(Alwin Schultz, Deutsches Leben im 1-1. und Ib. Jahrh., Wien 1892,
Fig. 151) und bei Fr. Hottenroth, Altfrankfurter Trachten, Fig. 7, 6,
einem Bilde der Tracht von 1405.
Schliesslich zeigen die Konstanzer Fresken aus dem Anfange des
14. Jahrh. (Mitt. d. antiquar. Ges. i. Zürich 15, 6. II) im Bilde 7 eine
untergriffige Handhaspel.
Bis in diese Zeit geht der Gebrauch unserer Handhaspeln also sicher
zurück. Isidorus von Sevilla um 600 n. Chr. (Origines 19, 29. Du
Gange, Glossarium mediae et infimae latinitatis 1, 156 s. Alabrum) kennt
allerdings ein Gerät, das unserem Haspel entsprochen haben mag, und
nennt es alibrum. Hierzu machten spätere Erklärer folgende Bemer-
kungen. Der Lexikograi)h Galepinus sagt, dass der Faden vom Spinn-
Rocken auf eine Spindel, von da auf das Alabrum, dann auf die Garn-
winde und schliesslich auf ein Knäuel gebracht werde (filum a colo in
fusum, de fuso in alabrum, hinc in girgillum, deinde in glomicellum etc.).
M. Martiuius (Lexicon philologicum 1623) leitet den Namen 'alabrum'
von den Flügeln (alae) des Gerätes ab. Das würde also auf eine
Form wie unsere Drehhaspeln schliessen lassen. Isidors Erklärung be-
zieht sich indessen nur auf die Auflösung, Teilung der Fäden (alibrum,
(|Uod in eo liberentur fibi, id est solvantur), gibt also keinen Anhalt
für die Form des Gerätes. Das klassische Altertum hat uns kein Zeug-
1) Mitteil. a. d. Vor. der Kgl. Sanimhmg f. d. Volk.skunde z. Berlin l', llö.
2) Van Heurck et lioekenoogeu. l/imagerie populaire flaniando V.HO S. 218.
Die Garn weife oder Garnhaspel. 61
nisüber den Gebrauch eines Zwischengerätes zwischen Spinnen und
Weben hinterlassen, wie es die Weife oder der Haspel ist. J. Mar-
quardt (Das Privatleben der Römer 2. Aufl. 2, 518 — 519. 188G) in seiner
Schilderung römischen Lebens sowohl wie Hugo Blümner (Karl Fr.
Hermann, Lehrbuch der griech. Privataltertümer, 3. Aufl lierausgeg. vou
H. Blümner 1882) bei der Beschreibung, griechischer Frauenarbeit gehen
vom Spinnen unmittelbar zum Weben über.
Wie wir oben gesehen haben, sind in der mittelhochdeutschen Sprache
•die Zeitworte weifen und haspeln gleichbedeutend; im Althochdeutschen
ist auch liaspil, mhd. haspel, schon belegt. Daraus darf man aber keines-
wegs den Schluss ziehen, dass das Gerät, welches wir jetzt meistens dar-
unter verstehen, d. i. der kreuzförmige Drehhaspel, älter als die Weife
ist. Im allgemeinen gilt wohl, was Schmeller (Bayerisches Wörterbuch
'2. Aufl. 2, 863) nach Adelung angibt, dass Weife und weifen hochdeutsche,
Haspel und haspeln aber niederdeutsche Wörter sind.
Über das Alter des Drehhaspels kann mit Sicherheit nur soviel gesagt
werden, dass er im 16. Jahrh. bereits in der bekannten ausgebildeten
Form erscheint, wie auü einem Holzsclinitte des Berliner Kupferstich-
kabiuetts (E. Diederichs, Deutsches Leben der Vergangenheit in Bildern,
Jena 1908. 1,344) ersichtlich ist. Dass er aber vielleicht viel älter ist,
geht aus der oben angeführten Bemerkung des Martinius hervor.
Nach allen entwickelungsgeschichtliclien Wahrscheinlichkeiten ist an-
zunehmen, dass der Drehhaspel sich aus der Vervielfachung der ursprüng-
lichen Weifenstäbe in späterer Zeit als die Weife gebildet hat, dass also
der Drehhasp«l aus der Weife abgeleitet ist.
Betrachtet man unsere oben Abb. 2 dargestellten Weifen oder Haud-
haspeln genauer, so bemerkt man an einem von ihnen links dort, wo
Achse und Quersprossen zusammengefügt wurden, einen eingebrannten
Adlerstempel, d. i. eine Eichung. Die Weife mit dem gegabelten Achsen-
stab trägt ausserdem den Stempel „Steinau" eingebrannt. Die Benutzung
als Längenmaß war also amtlich gewährleistet. Welch grosse Not schon
immer die Behörden hatten, rechtes Maß und Gewicht auch auf diesem
Gebiet aufrechtzuerhalten, geht daraus hervor, dass die vorgeschriebene
Haspellänge früher vielfach neben andern amtlichen Maßen, wie Elle, Klafter,
Metze, Brod usw. an den Kirchenmauern augebracht wurde. Ed. Schoneweg^)
hat in einem sehr ausführlichen Aufsatze über 'Flachsbau und Garn-
spinnerei i. d. Sitte, Sprache und Anschauung des Raveusbergers' auch ein
solches Wahrzeichen an der Kirche von Enger abgebildet. Falschhaspeler
wurden im 18. Jahrh. beim dritten Male sogar mit Landesverweisung bedroht.
Weifen oder Handhaspeln, ebenso wie Drehhaspeln dienten dazu, den
fertigen Faden von den Spulen des Spinnrades abzuwickeln und zu messen.
1) 2>'j. Jahresbericht d. Histor. Vereins f. d. Grafschaft Ravensberg zu Bielefeld. 1911.
fi2 Branner: Die Garnweife oder Garnhaspel. '
Dann pllogte man das so hergestellte Gebinde abzunehmen und falls es
nun zu irgendeinem Gebrauch wie Weben, Wirken, Stricken. Sticken
oder Nähen dienen soll, auf ein anileres ähnliches Gerät wie der Dreh-
haspel zu legen, näniiicli die (! arn winde. Die einfachste Art der Garn-
winde sind die ausgestreckten Arme eines Gehilfen, die das Garubündel
aufnehmen; aber es gibt unzählige Formen dieses unentbehrlichen Gerätes
aus Holz, die sich meistüus von dem oft verwechselten Drehhaspel dadurch
unterscheiden, dass ihre Achse senkrecht stellt, während die des Dreh-
haspels gewöhnlich wagerecht liegt. Der Haspel ilient dazu, die Fäden
auf sich zu nehmen und zu voreinigen, die Garnwinde dazu, den Faden
wieder abzunehmen und zunächst wieder zu vereinzeln, zu verzetteln,
d. h. für den sogen. Zettel oder die Kette eines Gewebes vorzubereiten.
Die Haspeln als unvollständige Räder ohne Felgen werden bekannt-
lich in der Technik viel verwendet; unsere Geräte sind als Garnhaspel
von ihnen zu unterscheiden. Aus dem so weit verbreiteten Gebrauche
des Haspels sind allgemein gebräuchliche und verstandene Ausdrücke er-
wachsen, wie sich abhas])eln, verhaspeln, in übertragener Bedeutung von
hastig oder stosswoise sprechen, stottern, lebhaft gestikulieren, überstürzt
laufen oder arbeiten.
Zum Schluss noch eine kurze Bemerkung über die Garnweife im
Volksbrauch der Sclilosier. Unser Freund Oskar Scholz in Herzogs-
waldau hat her(nts liSD'.i in einem kleinen Aufsatz über den schlesischen
liichtenabeud*) einige Weifsprflche mitgeteilt, die beim Aufwickeln des
eben fertig gesponnenen Garns von einzelnen hergesagt wurden. „Wenn
gute Reden sie be"leitcn, so fliesst die Arbeit munter fort." So wurden
statt der einfachen Abzahlung der 20 zu einem 'Gebind' nötigen Fäden
statt der Zahlen jedesmal ein kurzes, meist neckisches Sprüchlein oder
Einzelworte zum besten gegeben. Auf xinfrage hatte Herr Scholz die
Freundlichkeit, noch einige seither gesammelte derartige Sprüche, zum
Teil in schlesischer Mundart, mitzuteilen und ihre Verötientlichung an
dieser Stelle zu gestatten.
Aus Herzoi;s\vald;ui, Kr. Jauer:
Eins ;1), Zwei (2), Drei (:!■, Heisa (4), Juchhei (5\ drehe (6i mir (7) das (8) Räd-
lein (9) tüchtig (10 , zähle (11) stets (12) beim i Ki) Weifen (14) richtig (15), zwanzig (16^
Faden (17) ein ^18) gut (,!'.)) Gebind v20). Fitze zu mein liebes Kind!
Es (1), de Sunne schien höß (2\ se schien (3) eis Striiuclila grün (4), wu stond
dar Strauch? (5). Oni Summerhaus (6\ Woas koam gofloin? (7). Zwe Vögel (8).
Woas bruchta sc? (!)). Wull, Hulz und Hei 10,. Woas m;lclita se?ill\ A rundes
Nast (12). Woas liäta se nei? (13\ A scheckig E (14). War britt's denn aus? (15).
Olle UDdc (16). Woas kruch do aus? ^17). A sihiuiuT Vogel (18). Wie song der
Vogel? l'.l. Kuckuck 20).
1) Milteihmgcn aus dem Museum für doiitsche Volkstracliten 1.4, 1G3 f. [Vgl. über
solche Zählgesänge Holte, Z. f. Volkskunde 11, Inj f. 13, öS; ferner C. 8cliumann,
Volksreime aus Lübeck 1899 S. 142. Rabe, Von haniburgischen Speichern 19i3 S. 28.]
Brunner; Die Garn weife oder Garnhaspel. (53
Aus Lomnitz, Kr. Hirschberg'): *
Es oam Tenne (1). Zwe ei der Schüssel (2). Dreier eim Beutel (3). Vier oam
Tische (4). Stumpf oa der Weide (b). Seger oam Hulz (6). Sieben ei der Scheune
(7). Acht eim Kaller (8). Neun überm Hofe (9). Schare oa der Wand (10). Elf
eim Sand (11). Schellen Karte eim Kratschen (12\ Heffla oam Weige (13). Vertel
uff der Bühne (14). Fufza Floada (15). Säckla oam Stengla (1G>. Miezla eim Stolle
(17). Stachel eim Flachs (18). Wachtel eim Kurn (19;. Grünstock (20).
Enner üff'm Taller (1) Zwe ei der Schüssel (2). Dreier eim Beutel (3). Vier
oam Tische (4). Fünfe eim Kaller (5). Sechs an Heller (6). Sieben Näller (Nägel)
(7). Über a Hof (8). De Schoal anöch (9). Kind eim Stillen (10). Liegt in der
Wiege (11). Dreckla oam Waige (12). Hemd oa der Stange (13). Löffel oam
Golgen (Löffelholz) (14). Teg uff der Beute (15). Brut uff der Schuffe (16). Miez
ei der Stube (17). Hölzl eim Busche (18). Prille uff der Noase (19). Grünspoahn (20).
Ähnlich wurde in Niederdeutsclii<ancl die Haspelarbeit, wie Moser in
den Patriotischen Phantasien 1, 4ö berichtet, munter belebt: „Die Mutter
erzählte ihnen auch wohl eine lehrreiche und lustige Geschichte, wenn
sie haspelte."
Herr 0. Scholz sandte weiterhin nachträglich ein eigentümliches
Gerät ein, das Weif spille (Weifspindel) genannt wird (Abb. 4). Es wird
dazu benutzt, um mit ihm von der voljgesponnenen Spule das Garn auf
die Weife zu bringen. Dieses bisher hier nicht bekannte Gerät ist kunst-
voll von einem Schäfer geschnitzt, hat eine Länge von 28 e?« und besteht
ganz aus weissem Holz. Der untere Teil ist reich mit Kerbschnitt und
einem aus demselben Holzstück heraus ohne Unterbrechung herabhängen-
den korbförniigen Anhänger verziert. Dieser Teil ist der Griff des Ge-
rätes, während der obere stabförmige eine Spule vom Spinürade mit
einem Reste des Garnes trägt. Sie kann sich leicht um diese Achse
drehen. Im Kreise Bomst benutzte man zu demselben Zwecke einen ein-
fachen Holzgrift", in den ein längerer Draht als Achse für die Garnspule
eingesetzt war.
Berlin.
1; Zur Erklärung der mundartlichen Ausdrücke sei bemerkt: 1. Eins auf der
Tenne (dem lehmbedeckten Platz in der Mitte der Scheune, auf dem gedroschen
wird). — 10. Schere an der Wand. — 12. Schellenkarte im Wirtshaus. — 13. Häuf-
lein am Wege. — 14. Viertelmaß auf der Bühne (einer Galerie an der Hofseite des
Bauernhause.«!). — 15. Fünfzehn Fladen (Kuchen).
9. Dem Schall nach. — 15. Teig auf der Beute (dem Deckel des Backtroges). —
16. Brot auf dem Schieber.
(54 Weinilz:
Schiiuickgegenstände aus Mensclienliaiireii.
Von Franz Weinitz.
(Mit drei' Abbildungen auf Tafel 2.
Als Erzeugnisse, die dem (ieschinacke der Biedermeierzeit besonders
entsprachen, sind jene eigenartigen Schmuckarbeiten zu betrachten, die um
die Mitte des vorigen Jahrhunderts aus geflochtenen Menschenhaaren her-
gestellt wurden. Sie fanden hauptsächlich Würdigung in den Gefühls-
regungen besonders unterworfenen kleinbürgerlichen, auch bäuerlichen
Kreisen. Man empfand es dort offenbar als Tröstliches, vou einem teueren
Verstorbenen etwas mit sich zu führen, was im Ijeben mit ihm eng ver-
bunden gewesen war. Da war denn das Haupthaar ein geeigneter Gegen-
stand, im besonderen das weibliche Haar, aus dem man vor allem Uhr-
ketten und Armbänder, aber auch Halsketten, Kreuze, Ohrgehänge durch
Flechten herstellen konnte. Vergoldete Schliessen, Schieber, Petschafte ver-
vollständigten die Stücke nach der künstlerischen und kunstgewerblichen
Seite hin (Abb. 1). Diese Zieraten zeigen zumeist den damaligen modernen
Barockstil, der aus dem Frankreich jener Tage gekommen, bei uns Auf-
nahme gefunden hatte. Auch Vorsteck- und Busennadeln finden sich, die
ninter der schützenden Glasplatte Darstellungen, zumeist Blumensträusse,
aufweisen, die aber aus zusammen- und aufgeklebten Haarteilen hergestellt
■sind und somit nicht zu den Haarflechtarbeiten gezählt werden können,
die als Haararbeiten im höheren Sinne angesehen werden müssen (Abb. 2).
Handelt es sich um eine flach aufliegende Haararbeit, so ist das eine
gewöhnliche Flechtarbeit (Klöppeln), die keiner weiteren Erklärung bedarf.
Etwas anderes ist es, wenn die Haare so zusammengeflochten werden sollen,
dass dadurch ein Gebilde entsteht, das einen Schlauch, eine Röhre darstellt,
also einen hohlen Raum umschliesst. Da tritt die Klöppelmaschine (Haar-
flecht-Drehmaschine) in Tätigkeit. Unsere Abb. 3 zeigt eine solche Vorrich-
tung, die einem Nürnberger Haarkräusler gehört und die ich in diesem Som-
mer bei ihm besichtigen konnte. Leider konnte sie, ein altes Ding, nicht in
Tätigkeit gesetzt werden, weil es an Schmiermitteln gebrach. Soll sie
arbeiten, so muss vor allem ein runder eiserner Stab in die Röhre in der
Mitte — sie sieht aus wie ein kleines Kanonenrohr — eingesetzt werden,
um dessen herausragenden Teil sich die Haarsträhnen zu schlingen haben.
Das tun sie, die, von dem Querarme herabhängend, mit den durch Ge-
wichte beschwerten Fäden der Spulen verknüpft wurden, wenn durch
Drehung des Handgriffes die Klöppel (Simlen, Fudenrollen) in kreisende,
sich kreuzende Bewegung kommen. Um das den eiserneu Stab fest um-
schliessende Haargellecht loszulösen, muss er in heisses Wasser getaucht
TTerden; dann lässt sich der Haarschlauch leicht abstreifen. Ein besonders
Zeitsclirift des Vereins für \'olkslain(le. 1f)1S.
Tafel 2. Zu Weinitz: ScliniuckijeoeiistiiiKie aus MeMsdienliaareii.
Abb. 1.
Haararbeiteu (Hannover).
.\bb. 2.
Haarblumenslrauss (Frov. hirandenburg).
Abb. 3.
Haarflei-htniaschine (Nürnberg).
Schmuckgegenstände aus Menschenhaaren.
65
gutes Beispiel eines solchen Erzeugnisses einer Klöppelmaschine sieht
man in dem etwas wuchtigen oberen Armbande auf unserer Abb. 1. Auch
die beiden unteren Uhrketten gehören zu dieser Gattung von Haar-
arbeiten. Die Yorstecknadel und der Blumenkorb sind geklebte Arbeiten,
bei letzterem scheint auch die Häkelnadel in Anwendung gekommen zu
sein. Ganz erloschen ist diese Handfertigkeit auch in unserer Zeit nicht:
das Aufkleben von Haaren um Lichtbilder Verstorbener (im Kriege Ge-
fiillener) ist noch hier und da üblich. Aber Armbänder, Uhrketten und
ähnliche Dinge sind aus der Mode gekommen. Sie gehören, wie die
Haarflechtmaschinen selbst, in die öffentlichen Sammlungen.
Nachtrag: In J. P. de Memels 'Lustiger Gesellschaft' 1660 (Kgl. Bibl.
Berlin Yt 8881), findet sich in dem Poetischen Scherzgedicht (S. 278,
Nr. 688), das die Modetorheiten der Zeit verspottet'), folgende Stelle: 'und
von Haare Brasiletten' (also Armbänder). In Eniilie Berrins Gründlicher
Anweisung für Frauen Haargeflechte zu fertigen (um 1818) wird diese
Kunstfertigkeit eingehend beschrieben. Danach ist also die Herstellung
von Schmucksachen aus Haaren durch einfaches Klöppeln (ohne Benutzung
einer Maschine) in noch früheren Zeiten geübt worden.
Berlin.
Kleine Mitteilungen.
Zum deutsciuMi »olksliede.
,Vgl. oben 12, 101. 215. 343. 13, 219. 14, 217. IG, 181. IS, TG.
50. Die Versuchung.
21, 74. 2G, 178.)
1. Es wollt ein Jäger jagen,
So sagt' er,
Es wollt ein Jäger jagen
Drei Stunden vor dem Tagen
Im Walde hin und her:
4. 'Ich kann vor meinen Hunden nicht.
So sagt' er,
'Ich kann vor meinen Hunden nicht,
Bleib Sie nur, Schönste, wer Sie ist,
Wohl in dem Walde frühl'
2. EinenHirsch, einen Hasen und ein Reh, 5. "Laß Er die Hunde laufen,"
So sagt' er.
Er grüßt das Mädchen feine ;
'Was thut Sie so alleine
Wohl in dem Wald so früh?'
"Ich will mir pflücken Rosen,"
So sagt' sie,
"Ich will hier pflücken Rosen;
Wir wollen beide kosen
Wohl in dem Walde früh."
So sagt' sie,
"Laß Er die Hunde laufen.
Wir wollen sie verkaufen
Wohl in dem Walde früh."
G. 'Ich kann vor meinen Hasen nicht',
So sagt' er,
'Ich kann vor meinen Hasen nicht;
Bleib Sie nur. Schönste, wer Sie ist,
Wohl in dem Walde früh!'
1) F. Gerhard, J. P. de Memels Lustige Gesellschaft 1893 S. 85 führt auch einen.
Einzeldruck dieses Gedichtes an, dem nur leider die Jahreszahl fehlt.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1918. 5
66. ^ol'e:
7. "Laß, Er die H^sen schmausen," .10. 'Ich kann vor meinep Sporen nicht.'
[ So sagt'.si^, ^ ' So .sagt' er,
' "tafl Er die Hasen schmausen! 'Icli kann vor meinen Sporen nicht;
■Es sind ja mehr als tausend Bleib Sie nur, Schönste, wer Sie ist.
Wohl in dein Walde früh." Wolil in dem Walde fiüh!'
8.- 'Ich kann vor nieinem Tferde nicht.' 11. •'Laß Er die Sporen klingen "
So- sagt' er, ,, ,,.; So sagt' sie, •
'Ich kann \or meinem Pferde nicht; Laß Er die Sporen klingen!
Bleib Sie nur, Schönste, wer Sie ist. Wir wollen beide singen
Wohl in dem Walde früh!' Wohl in dem Walde früh."
0. "Laß Er das Pferd doch stehen," 12. 'Ach Mädchen, bist du rasend blind?"
So sagt' sie, So sagt' er,
. "Laß Er das Pferd doch stehen! -Ich bin dein Vater, du mein Kind.
Wir beide wollen gehen .^ch Mädchen, bist du rasend blind
Wohl in dem Walde früh." Wohl in dem AValde früh?'
Aufo-ezeichnet auf der Insel Rügen von E. M. Arndt und unter dem Titel
•Jägerlicd' veröffentlicht in der Wünschelruthe, hsg. von H. Straube und J. P.
V. Hornthal, Göttingen 1818 S. 203, sowie aus K. Bouterwelis Nachlass in Birlingcrs
Alemannia 11, üö (1883). — Diese in Erk-Böhmes Liederliort fehlende Hallade liegt
noch in mehreren jüngeren Auf/eichnungen voi-: aus Ost- und Westpreussen bei
Frischbier, Hundert ostpreussische Volkslieder 1893 nr. 17 = Neue Preuß. Pro-
vinzialbl. 3, 385 (l.s47. 'Gott grüß dich, Reiter hübsch und fein', 1 1 Str.) und Treichel,
VülUslieder aus Westpreußen ISü,") nr. 7 ('Ach Mädchen, du bist schöne", 12 Str.),
aus dem Schwarzwald (?) bei Hansjakob, Ausgewählte Erzählungen 1, 222 (11 Str.),
aus Südungarn in den Ethnologischen Mitteilungen aus Ungarn 1, 356 (1887.
'Wo reit der rote Ritter hin', Iti Str.) und aus der Bukowina (oben 15, 263.
'Es ritt ein Jäger jagen', 13 Str.). Meist macht eine Erwiderung des Mädchens-
don Schluss; so in den prßussischen Passungen:
"Ach, hättst mir das zuvor gesagt".
So sprach sie,
"Ach, hättst mir das zuvor gesagt,
Eh ich die Lieb so weit gebracht
In diesem Wald allhie!"
Die hier geschilderte Begegnung von Jäger und Mädchen verläuft in ungewöhn-
licher Weise; nicht jener wirbt um die Schöne, sondern diese sucht in der Morgen-
dämmerung den Fremden zum Verweilen zu locken, bis er sich zu ihrer Be-
schämung als ihren Vater zu erkennen gibt. Statt des Vaters tritt in einem
dänischen Seitenstücke hei Grundtvig-Olrik. Danraarks gamle Folkcviser 7, 4(14
nr. 435 'Hr. Peder og hans Suster' der Bruder des leichtfertigen Mädchens auf;
als er von der ihn nicht Erkennenden unverblümt aufgefordert wird, bei ihr zu schlafen,
sagt er: 'Ich kann vor meinem Pferde nicht.' Sie erwidert: 'So bind es doch im Stall
an!' — Ich kann vor meinem Sattel nicht. — 'So häng ihn an einen Nagel!' —
Ich kann vor meinem Hute nicht. - 'Häng ihn doch auf einen Pllock!' — Ich
kann vor meinen Handschuhen nicht. — 'Leg. sie doch in deinen Hut!' — Ich
kann vor meinem Mantel nicht. — 'So leg ihn auf die Bank!' Da warf Herr
Peter den weissen Mantel ab und stand im schonen Hemde da. 'Hör an, wer
nähte dir dein Hemd so fein'?' — Das tat Chrislinchen, die Schwester mein. —
'Und ist Christinchen die Schwester dein, so bist du gewiß der Bruder mein.' —
Nun geschieht etwas Unerwartetes, Herr Peter zieht sein blankes Messer und er-
sticht Christinchen. Dieser blutige Schluss, in den Strophen aus einer anderen
Kleine Mitteilungen. 67
Ballade (6, 266 nr. 357) eingeflochten simi. fällt aus dem Tone der übrigen
Strophen heraus und ist schwerlich ursprünglich. Auch sonst weist ja der 1S(>2
in Fünen aus dem Munde einer alten Fr;ui aufijozeichnete Text Verderbnisse auf;
denn wenn in Str. 1 und 13 das Mädchen den noch nicht erkannten Bruder mit
seinen Namen 'Herr Peter' anredet, so ist das ein offenkundiges Versehen. Uarin
aber stimmt die dänische Fassung zu den noch zu erwähnenden romanischen
Liedern, dass die Personen in der Handlung ein Geschwisterpaar sind.
In einer französischen Ballade, welche nicht das 'V'''aldesdunkel oder das
Bauerngehöft, sondern eine sonnenbeschienene Wiese zum Schauplatz hat, geht
die Versuchung des lebenslustigen Mädchens von dem nach j:ihrelanger Abwesenheit
heimkehrenden Bruder aus. Der Jüngling fragt die Mutter nach seiner jungen
Schwester und äussert gemäss seiner Welterfahrung die Besorgnis, sie könne,
wenn sie draussen einsam ihre Schafe weide, von Fremden verführt werden. Die
Mutter ist ihrer Tochter sicher, allein er wettet, dass er sie verlocken werde. In
der Gestalt eines vornehmen Reiters naht er ihr, bietet ihr eine volle Börse oder
einen Ring, und sie folgt ihm willig. Da gibt er sich als ihren Bruder zu er-
kennen, und der Tiefbeschämten bleibt nichts übrig, als ihn um Schweigen gegen-
über den Eltern zu bitten oder, wie eine Metzer Fassung berichtet, im Fluss einen
freiwilligen Tod zu suchen. Unter den zahlreichen Aufzeichnungen aus ver-
schiedenen Gegenden Frankreichs^; wähle ich die erste der beiden von Puymaigre
mitgeteilten zum Abdrucke aus:
L'epreave.
1. Ma mere, oii est ma soeurV ti. Que Dieu te garde, belle bergere,
— Mon fils, eile est aux champs Bergere, en gardant tes moutons,
Garder ses moutons blancs. Ensemble, si tu veux, nous causerons.
2. Ma mere, n'avez-vous pas peur d'elle? 7. Ma bergere, jolie bergere,
Les soldats y sont si frequents j'ai cent ecus a vous donner,
Qu'il y en a parmi les champs. La belle, s'il vous plait de m'aimer!
3 — Mon fils, quand il y en aurait o n ^ ■ ■ i ■
.,, •' 8. — De vos Cent ecus le n en ai que
mille, •" '
Dix mille, aussi dix millions,
Jamals votre soeur n'y auront.
faire,
Je n'ai point de bourse pour les
serrer :
i. Ma mere, voulez-vous parier La, vous pouvez vous retirer.
Cent pistoles, et qu'elle ne m' recon-
naisse point. '''■ '^"^^ "°® ^®^^® bourse, jolie bergere,
Pf ,-o ,-..,„0 „...^.,,„*„ „ ;„ r„ ■ J'ai une belle bourse ä vous donner,
tt je vous proniets ([ue je lemme- '
nerai bien — ^^ belle, s'il vous plait de m aimer.
5. A pris son cheval par la bride; 10. La belle a plante sa houlette:
S'en va, riant, tout falottant, — Gardera nies moutons qui voudra,
Trouver la bergere aux champs: Avec mon amant je lu'en vas.
1) E. Legrand, Romania 10, 368 nr. ö 'Un garpon revenant de guerre' (15 Str.,
Normandie). Puymaigre, Chants populaires du pays Messin 1881 1, 97 'Ma mere,
oü est ma soeur' (12 Str.). 1, 98 'Bonjour, ma mere, oü est ma soeur.' C. Lecocq,
Revue des trad. pop. 6, SüB 'Bonjour, ma mere, oü est allee ma soeur' (l» Str.).
Guillon, Chansons pop. de l'.Ain IS83 p. 63. Millien, Litterature orale du Nivernais 2, 194
(1908) 'Bonjour, maman, ma eher' maman' il2, 19, 15 Str.). Arbaud, Chants pop. de
la Provence 2, 113 (186-1, 'Bonjour pero, mero bonjour' (13 >tr.). Tiersot, Chansons
pop. des Alpes franfaises lÜO.S p 113. 374. Servettaz, Chants de la Savoie 1910 p. 29
nr. 11 'Mere, oü est allee ma soeur' (10 Str.).
68 Boltc:
11. Tenez, ma luire, voilä ma soeur, 12. La belle a pris si grande honte,
Elle est i\ moi si je voulais, Dans la riviere eile va se jeter.
Mais c'est ma soeur, je n'oserais. — La pauvre fille eile s'a noyöe.
Aus PVaiikrcich ist die n.illade nach Oboritalien gewandert; allein wenn auch
das Metrum der dreizeiligen Stroplie in die italienischen Fassungen^) übernommen
wurde, so hat doch derSchluss eine bemerkenswerte Änderung erfahren: standhaft
weist die Schäferin alle GaSien des Fremden, Ring, weisse Schuhe, Hut und Geld
«urück: 'Sieben Jahre war ich Hirtin und trug keinen Goldrinf;, so will ich auch
jetzt keinen tragen.' Da sitzt der Reiter wieder auf, zieht seinen Hut und ruft:
'Schöne Hirtin, ich bin dein Bruder.' Doch eremprängt eine verächtliche Antwort:
'Dein Gesicht ist nicht das eines Bruders, sondern eines Verräters.' Er hat also
seine Wette verloren*). — Wieder eine andere Wendung nimmt die bretonischc
Ballade vom Bruder und von der Schwester'). Daheim findet der nach vielen
Jahren zurückkehrende Soldat eine Stiefmutter vor, die auf die Frage nach seiner
kleinen Schwester Marianne diese eine Strassendirne schmäht. Er geht zum Teiche,
wo sie wäscht, und spricht sie an. Entrüstet erwidert sie: 'Ich bin kein käuf-
liches Mädchen; hörte mein lieber Bruder in der Ferne Eure Rede, so würde er
Euch alle Knochen zermalmen.' Da merkt er, dass die Stiefmutter eine boshafte
Verleumderin ist, und gibt sich zu erkennen; weinend fallen die Geschwister ein-
ander in die Arme. — Ähnlich stellt in der portugiesischen Xacara (Pastourelle)
von der schönen Schäferin^) der aus Brasilien heimgekehrte Bruder die Schwester,
von deren Lebenswandel Verleumder ihm Schlimmes berichtet hatten, durch einen
Liebesantrag auf die Probe und erfährt zu seiner Freude eine Abweisung.
Blicken wir einen Augenblick zurück! Sowohl die zuletzt genannte breto-
nische und portugiesische Ballade als die französisch-italienische Gruppe liefert uns
das klare Bild einer zusammenhängenden Handlung. Absichtlich prüft der nach jahre-
langer Abwesenheit heimgekehrte Bruder die Keuschheit seiner jungen Schwester
durch einen Liebesantrag und slösst entweder auf williges Entgegenkommen oder zu
seiner Freude auf eine stolze Abweisung. Dagegen mangelt es dem deutschen
und dem naheverwandten dänischen Liede, die sich beide auf ein Gespräch des
1) Nigra, Canti popolari del Piemonte 1882 p. 403 nr. 78 'Tentazione': 'Gentil
galant ariva d' an guera' UO Str.). — Marcoaldi, Canti pop. inediti 18öü p. KU 'Che
bei giüdizi d' ün padre e niadre' (,12 Str. Alessandria). — Ferraro, Canti pop. mon-
ferrini 1870 p. 'JO nr. (j7 'Dijme an p6, o pare e mare' [12 Str) = Ulrich nr. 77. —
Ferraro, Canti del basso Monferrato 1888 p. 55. — Archivio delle tradizioni pop. 9,
272 (Monferrato. 13 Str.). 18, 229 (Mantua. 17 Str'. — Righi, C. pop. veronesi
18fi3 p 34. — Ferrari, Canti di Ferrara 1877 p. 74. — Bernoni, C. pop. veneziani XI, 1
= Ulrich. Ital. Volksronianzen nr. 141. — Giannini, Canti pop. della montagua
lucchese 1889 p. 179 'Vi do '1 buon giorno, o padre, o madre' (.16 Str.) und 182
'Dove V hai mandata la figlia" (13 Str.). - Archivio 3, 45 'Oh, ben troati, nii' pa',
mi' madre' (15 Str. Pistoja) 8, 283 'Che vergogna de padre e madre' (12 Str. Massa
Lunense'.
2) Denselben Schluss hat eine bei Arbaud 2. 116 erwähnte Fassung aus Nizza.
Nur in einer Version aus Genua (Nigra p. 405 1 und in einer aus Pistoja (Archivio 3,
4t>) willigt das Mädchen endlich ein, mit in den Schatten zu gehen; vgl auch Gian-
nini p. 179.
3) Luzel, Gweiziou Breiz-lzel 1868 1, 203 und '207 'Le fröre et la soeur.'
4. Hardung, Romanceiro portuguez 1S77 2, 71 'A linda pastoriuha' teilt vier
Fassungen nach Almeida-Garrett, Braga und Estacio da Veiga mit; zwei weitere bei
Azevedo, Romanceiro do archipelago da Madeira 1880 p. '25 f. 260 Bellermann,
Portugiesische Volkslieder 1Ö64 S. 196 'A pastorinha' (mit anderem Schluss).
Kleine Mitteilungen. 69
Mädchens mit dem fremden Reiter ohne epische Einleitung beschränken und in
denen die Verlockung auffälligerweise von dem Mädchen ausgeht, an völliger
Klarheit. Haben wir hier nur die Trümmer einer älteren, vollständigeren Fassung
vor uns? Undhingdie.se mit der romanischen Gruppe zusammen? Diese Fragen
mit Sicherheit zu beantworten, reicht das bis jetzt bekannte Material nicht aus.
Doch scheint mir in dem allen deutschen Fassungen gemeinsamen Zuge, wonach
der fremde Reiter nicht der Bruder (wie in der dänischen Ballade), sondern der
Vater des Mädchens ist, eine spätere Abwandlung des Stoffes vorzuliegen.
Es gibt aber auch lialladen von dem Liebesgespräch eines unerkannten
Bruders mit der eigenen Schwester, in denen dieser nicht eine Prüfung ihrer an-
gezweifelten oder verdächtigten Sittsamkeit, sondern eine ernstgemeinte Wer-
bung um das ihm völlig fremde Mädchen im Sinne hat und erst durch die
Erkundigung nach ihren Schicksalen erfährt, dass die Schwester vor ihm steht. In
einer spanischen Romanze') reitet Don Bueso eines Morgens ins Maurenland,
ein Liebchen zu suchen, und gewahrt am Quoll eine Wäscherin. 'Höre, Mauren-
mädchen, Judentochter,' ruft er, 'gib meinem Pferde zu trinken!" "Ich will dem
Pferde und dem Reiter zu trinken geben; doch bin ich keine Maurin oder Jüdin,
ich bin ein gefangenes Christenmädchen." 'Bist du eine Christin, so komm mit
mir!' Sie willigt ein und steigt zu ihm aufs Ross. Als sie in die Nähe von
Sevilla kommen, jubelt sie: "Ich sehe das Land, wo ich geboren wurde; als mein
Vater der König diesen Ölbaum pflanzte, da bekam ich ihn zu eigen." Erstaunt
erwidert er: 'So bist du meine Schwester Rosalinda. Öffne die Tür, Mutter! Statt
einer Schwiegertochter bring ich dir eine Tochter.'*) — Auch in einer seit dem
17. Jahrhundert bezeugten dänischen Ballade^), die noch in schwedischen, nor-
wegischen und isländischen Niederschriften vorliegt, begegnet uns das Gespräch
zwischen Ritter und Wäscherin am Bach; die Erkennung vollzieht sich freilich
weniger dramatisch:
'Schön Jungfrau, schön Jungfrau, verlob dich mir,
Ein breites Goldband geb ich dir.'
— Was soll ich sagen der Pflegmutter mein.
Sieht sie mich tragen das Goldband dein?
'So sag, du wärst gegangen am Strand
Und hättest gefunden das Goldband im Sand.'
— Was soll ich sägen meiner Pflegmutter dann.
Wenn sie schaut meine bleiche Wang?
'Schaut sie deine Wange bleich so sehr,
Sag ihr, ich wollte dich halten in Ehr!
1) Duran, Romanceru general 1, LXV (1849). A. de los Rios, Jahrbuch f.
romanische Literatur 3, 283 (1861. Asturien). In der Variante ebd. 3, 28'2 befreit
Don Bueso seine Tochter. — Katalanisch: Briz, Cansons de la terra '2, 155 'Las
dos germanas'. 5, 91 'La cativa,' Milä, Roraancerillo 1882 nr. '250 'Los dos her-
manos.'
2) Eine gleiche Erkennung zweier Geschwister bildet den Schluss der portu-
giesischen Romanze von der Behexten (Hardung 1, 49 'A infeiti(;'ada". Azevedo
p. 340. Bellermann S. 128). Die Jungfrau, die der Ritter einsam auf der Land-
strasse antrifft und zu sich aufs Pferd hebt, weiss sich klug seiner Zudringlichkeit
zu erwehren, indem sie ihm Krankheit oder Behexung vorspiegelt, ganz wie die
Königstochter aus Frankreich in der spanischen Romanze (Wolf-Hofmann, Prima-
vera 2, 82. Geibel-Schack, Romanzero 1860 S. 388. Eichendorf f, Werke 1, 788). Die
Verschmelzung dieser beiden Motive zeugt aber nicht gerade von gutem Geschmack.
3) Grundtvig-Olrik, Danmarks gamle Folkeviser 6, 449 nr. 381 'Svend og bans
Soater'. W. Grimm, Altdänische Heldenlieder 1811 S. 117 nr. 15.
70 Bolce:
Doch willst du dich nicht verloben mir,
So setz dich nieder und red mit mir!
Setz dich nieder auf den breiten Stein
Und sag mir von den Eltern dein!"
— Ich war gcboron zur Abendzeit,
Meine Mutter war tot vor Hahnenschrei.
Die Zeit, wo sie legten meine Mutter ins Grab,
Läutets für den Vater mein in der Stadt.
Und allzumal nun sind sie tot.
Die mir geben sollten Kleid und Brot.
Nur nicht Herr Svend, mein jüngster Bruder,
Der bracht mich zu meiner Pflegemutter.
Meine Pflegemutter hat mich gesaugt und erniihrt,
Fremde Jungfrauu haben mich das Nähen gelehrt.
Fremde .Jungfraun haben mich das Nähen gelehrt,
Ich selber lehrte mich Zucht und Ehr.
'Das hör ich an der Kede dein,
Du bist die liebe Schwester mein.
Wohlan, meine Schwester, trau du mir.
Einen feinen Kitter gcb ich dir.
Kiimm, Schwester, kämm dein Haar von Gold,
Einen reichen Kitter du empfangen sollt.
Freu dich, die Hochzeit soll geschehn,
Die Märe soll weit über Dänemark gehn."
Das Lied iässt es im unklaren, oh dem Ritter bei dem .Anblick der Jungfrau
ein Gedanke an die lange nicht gesehene Schwester aufsteigt. Man kann daher
zweifeln, ob die schwedische Fassung') von den Herausgebern mit Recht
Prüfung' betitelt wurde. Eine einzige Aufzeichnung deutet durch einen Zusatz darauf
hin, dass der Ritter durch seine Werbung die Scliwester auf die Probe steilen wollte:
'Hab Dank für dies Wort, o Schwester mein!
Meine Schwester bist du, ich dein Brüderlein.
Und hättst du vorhin auf mein Wort gehört,
Dich hätte zu Boden geschlagen mein Schwert.'
In diesem Zweifel werden wir bestärkt, wenn wir den Blick auf die deutsche
Ballade von der wiedergefundenen Schwester-) richten, die leider nur in jungen,
verwilderten Aufzeichnungen vorliegt, aber doch, wie Axel Olrik dargetan hat, bis
ins 15. Jahrhundert zurückzureichen scheint. Eine Königstochter wird als Rind
von einem Krämer geraul)t und einer Schenkwirtin übergeben. Nach sieben Jahren
(der in diesem Liederkreise typischen Zahl) reitet ihr l^ruder aus und kehrt in
einem Wirtshaus ein. Er sieht die schöne Küchenmagd (das Südeli) mit VVohl-
1) Geijer och Afzelius, Svenska Folkvisor 1880 nr. 8 'Pröfningen". Arwidsson,
Svenska Fornsanger 2, 2;i4 ur. 126 'Jungfrun i gröna lund' U837). Deutsch bei
Mohnike, Volkslieder der Schweden 1830 S. 51 und Warrens, Schwedische Volks-
lieder 18,J7 S. IGT.
2) Erk-Böhme, Liederhort nr. 178 (= Uhland nr. 121 aus einem Schweizer Lieder-
drucke) und ISla - c (= Hoffmann, Schles. Volkslieder nr. 14. Parisius nr. 6b. Reiffer-
scheid S. 109); ferner Parisius ur. Ca (Altmark), E. Meier nr. 215 (Schwaben) und
Dunger 1915 S. 16 (Vogtland). Dagegen ist Erk-Böhme nr. 179 von Brentano veri
fasst (Bode, Vorlagen in des Knaben Wunderliorn 1909 S. 721 ; Brentano, Märchen
1879 1, 272), nr. 180 von Zuccalmaglio, und beide sind ebenso wie Luise Brach-
manns Bearbeitung (Dichtungen 1834 2, 42) für unsere Untersuchung nicht zu ver-
werten.
Kleine Mitteilungen. tl
gefallen; und die' Wirtin ist soi'ort bereit, sie ihm für die Xaclit zu verkupiieln.
Als er, durch die Tränen des Mädchens gerührt, nach ihren Eltern und Geschwistern
fragt, erfährt er, dass er seine verlorene Schwester vorsieh hat'), hebt sie auf Sein
Pferd'und reitet heim. Die Muttei- fragt: 'Ach Sohn', bringst du ein Schntireiein?'
'Es ist ja'nicht ein Schnürelein,' antwortet er, 'es ist euer einziges Töchterlein.' —
Mit dieser Ballade stehn verschiedene niederländische, skandinavische und slawische
A-Qlkslieder in enger Verwandtschaft. In dem niederländischen Liede bei
F. van Duyse, Het oude nederlandsche Lied 1, 97 nr. 16 ist es der Kaiser von
Schweden, in einem anderen (Hoffmann v. Fallersleben 185l> nr. 73) ein Sohn des
Herzogs von Traveerne, der in der Schonkmagd seine Schwester erkennt. Die
dänischen Balladen von der wiedergefundenen Schwester (Grundtvig-Olrik 6, 42tl
nr. 37S) zerfallen in zwei Gruppen, eine jütländische aus dem 17. bis 19. Jahr-
hundert (378 E— H), welche durch abenteuerliche Züge. die zu roh erscheinende
Handlung zu verfeinern und auszuschmücken trachtet, und eine aus den jütischen
und schonischen Adelsfamilien des 16. Jahrhunderts stammende (378 A— D), in
der die Vorgeschichte und der Loskauf der Jungfrau breit ausgemalt wird. In
jener ersten Gruppe reitet Ritter Medelfar (Guldbrand, Feder) durch sieben König-
reiche, seine Schwester zu suchen; er kommt in ein Schloss und bewundert die
Schönheit der Burgherrin; als sie erwidert, viel schöner sei ihre Magd, bietet er
ihr zwölf Mark Goldes, um diese sehen zu dürfen. Die Magd, die sieben Jahre
die. Sonne nicht sah, wird gerufen, dem Gaste einen Berber zu reichen; sie kleidet
sich prächtig, und wie sie eintritt, ist's als ob die Sonne leuchtete. Der Ritter
ladet die Jungfrau ein niederzusitzen und fragt nach ihrem Geschlecht; als er die
Schwester in ihr erkennt, hebt er sie alsbald aufs Ross und reitet davon, während
die Königin ihm nachruft: 'Wäre König Hagen hier, du hättest die Schwester
nicht bekommen.' Noch abenteuerlicher wird in einer schwedischen Ballade^),
die auch nach Norwegen und Dänemark gedrungen ist, die boshafte Schenkwirtin
zu einer Meerfrau umgewandelt. — Die slawischen Lieder') entfernen sich nicht
so weit von dem deutschen Vorbilde. Die Jungfrau ist die Tochter des Herrn
von Babor in Spanien (i^echisch), des Königs Dindesch (slovakisch), des Kain-
faler (wendisch), Bawolski (polnisch) oder Karpij (kleinrussisch) und von Zigeu-
1) In mehreren Fassungen (Erk-Böhme nr. 181b. c und Dunger S. 16) zieht er
ergrimmt sein Schwert und schlägt der Schenkwirtin das Haupt ab.
2) Geijer och Afzelius nr. 77 'Hafsfrun' = Mohnike, Volkslieder 1830 S. 110.
Arwidsson 2, 320 nr. 150. Landstad nr. 55. Grundtvig-Olrik 6, 448 nr. 380. — Eine
weitere Veränderung zeigt die dänische Ballade 'Hr. Vilmer genfinder sin Fsestemö'
(Grundtvig-Olrik nr. 379 ; hier tritt statt des Bruders der Bräutigam als Befreier auf.
;5) Öechisch: K. J. Erben, Pisne närodni v Öechäch 2 (1843), 39 nr. 161. 162;
verdeutscht im Deutschen Museum 1854, 2, 289, bei Waldau, Bölimische Granaten 1, 218
1858) undida von Düringsfeld, Böhmische Rosen 1851 S. 182; vgl. KrejCi, oben 1,417.
— Mährisch: Susil, Moravske narodni pisne 1859 S. 177 nr. 175. Bartos, Mährische
Volkslieder 1890 nr. 50. — Slovakisch: J. Kollär, Närodnie zpievanky 2, 5 (1835);
verdeutscht bei Haupt-Schmaler 1, 329. Ethnolog. Äütt. aus Ungarn 1, 359 (1889). —
Wendisch: Haupt-Schmaler, Volkslieder der Wenden 1841 1,33 nr. 5 'Die wieder-
gefundene Schwester". — Polnisch: Roger, Piesni ludu polskiego 1863 nr. 132.
Böckel, Mitt. der schlesischen Ges. f. Volkskunde 6, 47. — Kleinrussisch: Z. Pauli,
Piesni ludu Ruskiego 2, 24 nr. 21; verdeutscht bei Haupt-Schmaler 1, 329. Bei Staufe-
Simiginowicz, Kleinrussische Volkslieder 1888 S. 116 kauft der Jüngling das Mädchen
einem Tataren ab; verkürzt Antonovic i Drahomanov, Istor. pesni malorusskago
naroda 1, 277 = Chodzko, Chants historiques de l'Ukraine 1879 p. 86. — Bulgaris ch:
Miladinovci 1861 nr. 87 = Rosen 1879 S. 198.
72 Bolte:
nern (cechisch), oder Fuhrleuten (wendisch) gestohlen und einer Schenkwirtin in
Kolin (cechisch), Niedergurig (wendisch) oder Lemberg (kleinrussisch) verkauft.
Ihr Bruder hat sie sieben Jahre ^'esucht und viele Pferde (oOO cechisch, 7 wen-
disch) zuschanden geritten; er erhält die schone Magd auf sein Verlangen zur
Schlafgesellin '). entdeckt im Gespräch ihre Verwandtschaft und führt sie zu seiner
Mutter, welche die wiedergefundene Tochter freudig begrüsst (Techisch, wendisch).
Die Enthiiu[)tung der Wirtin wird im cechischen Liede erziihlt, im wendischen
indes von der Jungfrau verhindert.
[Nachtniglicli übersendet mir Herr Prof. Dr. .7. Horäk in Prag freundliclist
folgende liemerkungen: Die südsl avischen Volkslieder von der Geschwisterehe
zerlegt J. Mächal, 0 boliatyiskeni epose slovanskem S. 82 in drei Gruppen: 1. Die
Schwester des Zaren legt diesem schwierige Aufgaben auf; der Zar lässt den Diakon,
der die Ehe nicht einsegnen will, verbrennen, gibt aber sein Vorhaben auf, als jener
unversehrt bleibt; 2. der Bruder heiratet die unerkannte Schwester; :!. der Bruder
kennt seine Schwester nicht, doch kommt es nicht zur Vollziehung der Ehe. Bei
den übrigen Slaven unterscheidet Mächal S. i*31 eine wendisch-öechische Lieder-
gruppe, die zu den deutschen Balladen stimmt, und eine kleinrussisch-weissrussische.
Zur ersteren gehören: Wendisch: Haupt-Schmaler 1, 33 nr. 5. 2, 33 nr. 22. Öasopis
Mac. serbs. 1882, 135. 1883, 35. Markus, Delnje serbs. ludowe p6s. 1882 S. 20. —
Öechisch aus Böhmen: Erl)en, Pisnä närodni v Öechäch 1843 2, 3i) nr. IGl. 162 =
1^864 S. 483 nr. IS» = 3. Aufl. S. 541 nr. 19. C. Holas, Ceske när. pisnc 4, 8 nr. öa-b =
Cesk^ Lid 9, 277 nr. G. Aus Mähren: Susil, Moravske när. pisnS * S. 177 nr. 175.
Bartos, Närod. pfsne moravske 1889 S. 39 nr. 50a— e = 1901 S. 95 nr. 116a-c. —
Slovakisch: KoUär 2,5 nr. 3 (Tochter des Königs Dindes). Jlisik, Piesne zo Spisa
S. 137 nr. 380 (drei englische Könige finden ihre Schwester). — Polnisch: Roger
S. 73 nr. 132. Kolberg, Piesni ludu polskiego 18.57 S. 217 nr. 20a -h ^in den Fa.ssungen
abdh kommt es zum Incest, in andern erkennen sich die Geschwister vorher.
Kolberg, Lud 12, 215 nr. 417. Kolberg, Majowszc 3, 281 nr. 400. 5, nr. 330. Lud IG,
292 nr. 477. Wisla 2, 134 nr. 4. 18, 393. Durchweg fehlt im Polnischen der Hin-
weis, dass die Schwester als kleines Kind von Zigeunern gestohlen wurde: nach
vollbrachter Sünde will sich der Bruder töten. — In der ukrainisch-wei.'isrussischen
Gruppe sind drei Typen zu unterscheiden: 1. Xachklänge des westslavi.'ichen Typus.
Ukrainisch: Pauli 2, 24 nr. 21 nach vollzogener Ehe unternimmt der Bruder eine
Wallfahrt . Holovackyj, Narod. pesni galic. i ugors. Kusi 1, 73 nr. 28 ähnlich '. 2, 577
nr. 6. 8, 27 nr. IG. Uubinsky, Trudy 5, 201 nr. 407 :^das sündige Paar wird in eine
Blume, Viola tricolor, die das Volk 'Bruder samt Schwester' nennt, verwandelt.
Kostomarov, (..:esammelte Werke 1906 Buch 8, Bd. 21, 518). 5, 917 nr. 485. Etnograf.
Zbimyk 9, 132 nr. 25. Weissrussisch: Zbiör wiadom. 17, 163 nr. 73. Gross-
russisch: Sobolenskij, Velikorus. narod. pi'Sni 1, 379 nr. 292— 293. — 2. Ein Tatar
(Türke) verkauft eine Sklavin einem Herrn, der sie daheim nach ihrer Abstamm um,'
fragt und in ihr seine Schwester erkennt. Tkrainisch: Pauli 1, 168 nr. 3. Holo-
vaökyj 1,45 nr. (i = Antonoviö i Drahomanov 1, 275 nr. 63a. Hotovackyj 3, 15 nr. 1.
Ziei'ikiewicz, Piosenki grainne ludu pinskiego 1851 S. 194 = Antonoviö 1, 277. Kol-
berg, Pokucie 2, 27 nr. 29—31. Ausführlicher ist Antonoviö 1. 279. — 3. Der Bruder
ist Rüuber und überfällt seine Schwester, die er erst nach einigen Fragen erkennt.
Ukrainisch: Zbiör wiad. 8, 8 nr. 9. 8, lüG nr. 127. Weissrussisch: Komanov,
Belorus. Sbornik 1, 1, 49 nr. 9G. 1, 44 nr. 85. 1, 13 nr. 26. Zbior wiad. 13, 90 nr. 14.
Sumcov, Kazbar, etnograf. trudov E. H. Romanova S. 34. Lettisch: Zbiör 16, 110
nr. 5 (nach weissrussischem Vorbilde; Schluss verworren). Zu diesem Typus gehört
wohl das grossrussische Lied von den neun Brüdern, die Räuber werden, ihren
Schwager ermorden und die Schwester schünden (Sobolevskij, Velikorus. narod. pes.
1, 250 nr. 178 , das auch bei den Weissrussen i^Romanov 1, 379 nr. 121) und in der
Ukraina (Kolberg, Pokiicie 2, 30 nr. 33) begegnet.]
1) Nur im kleinrussischen Liede liisst er sich mit ihr in der Kirche trauen.
Kleine Mitteilungen. 73
Wenn es auch zu weit führen würde, alle Volkslieder durchzugehen, in denen
die Entdeckung und Befreiung eines verlorenen oder entführten Familienglicdes
dargestellt wird'), so müssen wir doch zum Schluss der berühmten deutschen
Ballade 'Es steht ein Lind in jenem Tal'^j gedenken, in der ein aus der Fremde
zurückkehrender Jüngling unerkannt seine Liebste (nicht die Schwester) einer
Prüfung ihrer Treue unterzieht. Die vermutlich älteste, schon im 15. Jahrh. an-
geführte Fassung beginnt mit dem Abschiede des Liebespaares unter der Linde;
übers Jahr verheisst der Reiter wiederzukehren. Zur festgesetzten Zeit erwartet
ihn die Jungfrau am selben Platze, erkennt aber den Fremden nicht, der sie an-
redet und ihr von der Vermählung des Liebsten berichtet. Als sie dem Ungetreuen
nicht flucht, sondern ihm alles Gute wünscht und den Ring, mit dem der Reiter
um ihre Liebe wirbt, weinend zurückweist, zieht er seinen Hut ab und gibt sich
der Treubefundenen zu erkennen. Die andere Fassung aus der zweiten Hälfte
des 16. Jahrh. beginnt: 'Es hat ein Megdlein ein Reutter holdt' und beschränkt
sich auf das zweite Zusammensein der Liebenden. Nicht ein Jahr, sondern sieben
hat das Mädchen des Buhlen geharrt, und der fremde Reiter sucht die darüber
Klagende, dass ihr Liebster sie ganz vergessen habe, durch das Geschenk eines
1) Vgl. Uhland, Schriften 4, 128—134. Nicht zugänglich ist mir A. l'rior, Ancient
danish ballads 3, 460 — 487, den Olrik 6, 4'Jl) erwähnt. Die Erkennung zwischen dem
ins Elternhaus zurückgekehrten Jüngling und seiner Schwester, welche die bei
Friedel-Mielke, Landeskunde von Brandenburg 3, 280 mitgeteilte Potsdamer Ballade
darstellt, stammt aus dem hier gekürzten tragischen Liede von den Mordeltern
(Erk-Böhme nr. 50).
' 2l Erk-Böhme 1, 236 nr. 67 und Kopp, Eupliorion 9, 27; vgl. zur Literatur Köhler-
Meier ]8!)6 nr. 117; Marria^'e l'.i02 nr. 4; Heeger 1909 nr. 20; Meisinger 1913 nr. 6
und Dun-er 1915 S. 20. 269; ferner Hannov. Geschichtsblätter 5, 124; Hess. Blätter
für Volksk. 9, 78; Batocki 1910 nr 10; Wolgakolonien 1914 nr. 25; Zs. f. österr.
yolksk. 21, 174 nr. 7 (Ungarn). Chamisso, Werke 1869 1, 183 'Liebesprobe'. —
Über die ausländischen verwandten Balladen vgl. Reifferscheid, Westfälische Volks-
lieder 1879 S. 155— 158. — Niederländisch: F. van Duyse nr. 32. — Dänisch:
Grundtvig4, 565 nr. 252 'Troskabpröven'. 253 'Junker Jakob'. '254 'Tro som Guld'
Kristensen, Gamle viser i folkemunde 4, 85. 251. '253. 306. 364. Übersetzt von W.
Grimm 1811 S. 212 und Kestner, oben 12, 6'2. — Schwedisch: Arwidsson 3, '229
'En riddare pä vär äng' (Kinderreigen). — Englisch: Percy, Reliques 1866 1, 211:
B. 2, nr. 18 'The friar of Orders gray' (Bürger, Bruder Graurock und die Pilgerin).
Pittmann & Brown, Songs of Scotland p. 120 'The soldier's return'. Beiden, 'The
returned lover' im Archiv f. neuere Sprachen 120, 62 (1908). — Französisch: Bu-
jeaud 1895 1, 302. Tarbe p. 219. '221. Millien 2, 178 'La bergere qui rencontre le
Soldat'; vgl. 2, 168. Servettaz p. 28 'L'amant soldat renie'. — Italienisch: Bolte,
oben 12, 58. Nigra nr. 54 'La prova'. Ulrich, Ital. Volksromanzen 1902 nr. 25.
Heyse 1861 S. 131. — Albanisch: Kaden, Italiens Wunderhorn 1878 S. 125 (ver-
bla.sst). — Wendisch: Haupt- Schmaler 1, 44. 72. 119. 158 nr. 1.5. 43. 87. 134. 2, 27
nr. 15. Casopis Mac. serbs. 1883, 5. Markus S. 11. Casopis musea kräl. öeskeho
1830, 388 nr. 4. 1840, 216 nr. 1. — Öechisch aus Böhmen: Erben» S. 493 nr. 31 =
3. Aufl. S. 552 nr. 31. K. M. Jiriüeks hsl. Sammlung im Böhm. Landesmuseum 3, .58.
Holas, Ceske när. pis. 5, 11 nr. 6a— b. Aus Mähren; Susil 1835 S. 71. 1840 1, 14 =
Haupt-Schmaler 1, 344. Wenzig, Westslawischer Märchenschatz 1858 S. 248. Wal-
dau 1, 60. Krejci oben 1, 418.; Hauffen, oben 4, 35. Susil 1860 S. 113 m'. 114.
Cernik, Zpgny moravs. Kopanicärü S. 150 nr. 219. Bartos, Närod. pis. moravs. 1901
S. 79 nr. 103a— f. — Slovakisch: Slovenske Speny 1, 125 nr. 336. 3, 26 nr. 63. 3,108
nr. 308. — Slovenisch: Korytko 1, 51; vgl. Haupt -Schmaler 1, 343. Vraz, Narodne
p6sni ilirske S. 60. — Rumänisch: Obedenaru, Texte macedo-romäne 1891 p. 94.
;74 B.ilte:
Schleiers und eines Rinsfes und erst, als sie beides von sich \yeist, durcii die Nach-
richt von der Verheiratung ihres Verlobten, für sich zu gewinnen:
Was zog er aus seiner Taschen?
Bin Schleirlein, was weiß gewaschen: .
'Schöne Jungfrau, den %vill ich euc.i schenlien,
Wollt ihr eures Huhlen nimmer gedenken."
"Und wäre der Schleir noch so lang,
Daß er Tom Himmel bis auf die Erden gelang,
Dennoch wollt ich ihn fahren lan;
Mein Keinslieb wollt ich wiederum han."
In der hsl. Fassung von 1574 (Euphorien 9, 28) dagegen will die Jungfrau, die
dem fernen Liebsten nicht zu schreiben weiss, ihm ihren Schieier senden, dariiit
er ihrer gedenke. Ühereinsiinimung mit der deutschen Ballade zeigen einige
niederländische, dänische, wendische, cechische Lieder, namentlich in dem Zuge,
dass das Mädchen dem Liebsten die ihr gemeldete Untreue verzeiht. In dem
cechischen Liede bei Waldau 1, CO flucht sie ihm, als ihr der Fremde von der
Hochzeit ihres Verlobten orziihU; da sieht sie den Fremden lächeln und erkennt
an semer Hand ihren Ring und ändert nun den Fluch in einen Segenswunsch')
Lasse ihn so zahlreich grüssen.
Als liier Gräserhalme spriessen.
Send so oft ihm neuen Segen,
Als es Tröpf lein gibt im Regen.
In dänischen, spanischen und italienischen Seitenstückon berichtet der Fremde der
Jungfrau, ihr Liebster sei gestorben; sie fällt in Ohnmacht, und als sie wieder
erwacht, erfolgt die freudige Erkennung. — Häufig aber spielt die Liebesprobe
sich nicht zwischen Verlobten, sondern Eheleuten ab, und der heimkehrende
Gatte, der bisweilen seine Frau durch die Bosheit der Schwiegermutter zur
Schweinehirtin erniedrigt findet, hat seinerseits eine Prüfung der noch zweifelnden
Frau zu bestehen, und sich als ihren rechtmässigen Gemahl auszuweisen-).
1) Neckisch erwidert im wendischen Liede bei Haupt-Schmaler 1, 141 nr. IIS:
vgl. 2,35 nr. 23, das Mädchen dem Burschen, sie habe einen andern Schatz; als er
aber diesen zu erschiessen droht, sagt sie eili;;, sie meine ihren jüngsten Bruder.
2) Vgl. Splettstösser, Der heimkehrende Gatte und sein Weib 1899 S. 45f. und
80f. — Jüdischdeutsch: Ginzburg - Marks 1901 nr. 271. 272. — Französisch:
Ulrich, Französ. Volkslieder 1899 nr. 2 'L'ppouse du croise'. Puyrnaigre 1881 1, 47
nr. 2—3 fmit Anm ). Champfleui-j- IStiO p. 195. Heauquier 1894 p. 259. Romania 1, 3G5.
Tiersot 18K9 p. IC. Bnjeaud 1895 2, 87. 90. 220. Melusine 2, 46. 8, 69. Doncieux
1904 p. 196 'La porcheronne" (mit Anm.). Tiersot 1903 p. 100. Millien 1, 195-212.
— Bretonisch: VillemarquO 1,248 'L'epouse du croise', deutsch bei Keller-Secken-
dorff S. 3G und Hartmann-Pfau S. 281. Luzel, Barzas Breiz-lzel 1, 195. 197. — Räto-
romanisch: Decurtins, in Gröbers Grundriss der roman. Philol. 2, 3, 224. —
Italienisch: Oben 12,60. Widter-Wolf nr. 31 'La moglie fedele'. Nigra nr. 55
'La sposa porcaja' (Anm.). TUrich nr. 20. 113. 138. 159. Archivio 12, 184. 18, 228.
— Spanisch: Wolf-Hofmann 2, 87 nr. 155. irrt!. Vicufia Cifuentes 1912 nr. 15-23.
F. Wolf, Proben S. 65. 145. Geibel-Schack S.375. — Katalanisch: Mihi. Roman-
cerillo 1882 nr. 202. 203. '234. Brii 1, 169. 2, 191. 5, 67. P. Lanj; 19tX) S. 20. 35. —
Portugicsiscli: Hardung 1, 71. Azevedo p. 202. Bellermann S. 100. Geibel-Schack
S. 371. — Griechisch: Passow 1860 nr. 441-447. Jeannarakis nr. 127. 261. 3»).
Chasiotis p. 89 nr. 28. Arabantinos nr. 348. Firmenich 2, 127. Kind, Anthologie
1861 S. 126. 130. LübkeS.227. 229. L. Garnett 1, 191. — Cechisch: Su.sil 1860 S. 131
nr.l35 (poln. Ursprungs). —Polnisch: Kolberg, Picsni S. 224 nr. 22a — p. Lud fi, 166
Kleine Mitteilungen. ' 7'5
Als Hauptmotive fanden wir somit in' den eben flüchtig gemusterten Volks-
balladen: A. ein Liebesgespräch zwischen einander nicht erkennenden Bluts-
verwandten, wobei die Werbung in der Regel (A^) vom Manne, seltener (A^) vom
Mädchen ausgeht; B' eine Prüfung der Schwester auf ihre Sittsamkeit oder
(B^; der Verlobten auf ihre Treue oder (B^) der Gattin durch den heimkehrenden,
unerkannten Mann; C Erkennung der Schwester oder (C) der Tochter, (C)
des Bruders, (C*) des Verlobten oder (C^) Gatten. Das Rügensche Lied, von
dem wir ausgingen, wäre also durch die Buchstaben A^C^ zu bezeichnen, das
dünische von Herrn Peter und seiner Schwester durch A^ C, die französische
'Epreuve' durch B^ C^ das deutsche 'Südeli' durch A^ C\ 'Unter der Linde' durch
B'-^ C\ den französischen 'Retour du mari' durch B^ C ' usw. Dass hier Motive
angeschlagen werden, die in der Kunstliteratur oft verfeinerter und reicher wieder-
klingen, sei durch einen Hinweis auf die Geschwisterliebe in Lessings 'Nathan',
Schillers 'Braut von Messina' und Goethes 'Geschwistern' angedeutet'). Und wenn
in den letzten Jahren die Erforschung unserer deutschen Volksballaden durch ver-
schiedene tüchtige Arbeiten (ich nenne nur Ankenbrand, Rosenmüller, Schewe,
Thietz, Vollschwitz) erwünschte Förderung erfahren hat, so darf man wohl zugleich
den Wunsch aussprechen, dass sie nach dem Vorgange Uhlands, R. Köhlers, Reiffer-
scheids die internationalen Beziehungen nicht ganz aus den Augen verlieren möge.
nr. 332-333. Roger S. 13 nr. -25-26. Zbiör 9, 183 nr. 33. Gloger, Pie.-;ni ludu S. 1G5
nr. 29. — Slovenisch: Strekelj, Slovenske nar. pesmi 1, 276 nr. 215— 218. — Ser-
bokroatisch und bulgarisch: M. Chalanskij, Juzno-slav. skazanija o KralevicS
Marke 1895 3, 636. Für die slavischen Lieder vom heimkehrenden Gatten verweist
Hr. Prof. Horäk auf J. Sozonovic, K voprosu o zapadnom vlijanii na slavjanskuju
i ruskuju poeziju S. 261-547; für die grossrussischen Bylinen von Dobrynja Nikitic
auf Sumcov, Etnograf. Obozr. 1893, 4, 14 und Sozonovic S. 511; für eine polnisch-
ukrainische Liedergruppe dieses Stoffkreiseslauf J. N. Ädanov, Pesni o Knjare Michajle
in ^ivaja Starina 1890 2, 14. — Chinesisch: Liebrecht, Zur Volkskunde 1879 S. 212.
1) In dem uralten Motiv der Geschwistcrliebe kann man etwa folgende
Fälle unterscheiden: A. der Bruder weist die unnatürliche Leidenschaft der Schwester
zurück; so Jama die Jami im Rig-Veda 10, 10 (Geldner-Kaegi, 70 Lieder des Rig-
Veda 1875 S. 142), oder Kaunos die Byblis (Rohde, Der griech. Roman 1879 S. 36. 94.
Röscher, Mytholog. Lexikon 1, 839. 2, 1006) oder der dänische Ritter seine Schwester
bei Grundtvig, DgF. nr. 437 ; umgekehrt ist das Verhältnis beider in dem litauischen
Liede oben 7, 182; — B. die Geschwisterehe wird vollzogen, aber durch langjährige
Busse gesühnt, wie in der Gregoriuslegende (R. Köhler 2, 173, 199), während ander-
wärts der bewusst oder in Übereilung begangenen Blutschande die Tötung des Mäd-
chens durch den Vater, Bruder oder durch eigene Hand folgt, wie in den Balladen
bei Grundtvig nr. 434. 438. 439 und Child nr. 50-52 oder in der Kulterwo-Episode
des Kalevala (.Schiefner 1852 S.213, 35. Rune); — C. die miteinander als Geschwister
Aufgewachsenen entdecken zu ihrer Freude, dass sie nicht blutsverwandt sind; vgl_
Goethes Geschwister oder Paul Heyses Weinhüter (Novellen '2, .301. 1872); — D. zwei
Liebende verzichten auf ihre Vereinigung, weil sie sich plötzlich als Geschwister
erkennen; vgl. Lessings Nathan (E. Schmidt, Lessing* 2, 361), das dänische Volks-
lied von Sverkel und seiner Schwester (Grundtvig nr. 4o6 = Talvj, Charakteristik
1840 S. 261. Andersens Singspiel 'Liden Kirsten' 1846) und unsre Ballade; auch eine
Novelle von Wilbrandt (Die Geschwister von Portovenere. Daheim 1870, 113) gehört
hierher; in Schillers Braut von Messina wird ein tragisches Ende dadurch herbei-
geführt, dass zwei Brüder zugleich in Leidenschaft zu ihrer unbekannten Schwester
entbrennen. Im 'Neuen Menoza' von Lenz (1774) flieht die Neuvermählte, als sie von
der Blutsverwandtschaft hört, kehrt aber, nachdem eine Kindervertauschung auf-
gedeckt ist, wieder zu ihrem Ehegatten zurück.
76 ' Bolte:
51. Das Haurenlob.
In der.paurenweis S(overin] Kriegsauer.
1.
Ey wie kompts doch, das man so vngeschlachte
Die arm elenden pauren gar verachte?
Kein dreüer volck ist nüt auff erdt.
Sie pflant/.en vns den wein, die edlen reben,
5 Der aler weit thutt freüd vnd labung geben;
Die pauren sünd mir lieb vnd werdt.
Die bauren reuten wol fünff pferd,
Das ander Icütt
Noch wol 7.H fues herdraben,
10 Weil durch die pauren alle gottesgaben
Gepflanzett württ, wein vnd gedreütt.
2.
Kein adel ist auff gantzer erden weiitte
So erlich als der pauren adel heütte;
Er ist von menschen nie geborn,
15 Dan in formierett selb der schöpffer weise,
Vnd war der erst mensch in dem baradeise.
Von dem wir al gezeigt sünd wom.
Fürsten, herren höh auserkom.
Arme vnd reich
20 Vnd was auff erd thutt leben,
Kompt als von bauren; so hoch sie sich erheben,
So giltts vor gott alles geleich.
3.
Darum kein mensch auff erd sol nit verachten
Die fromen bauren, sonder mehr bedrachten,
L'5 Das er von bauren komen ist.
Der baur mus vns erhaltten vnd auch nöhron,
Von seiner fuetterweid wür alle zören,
Wer in veracht, der ist kein Christ.
Kein mangel nitt so klein gebrist,
:!0 Man schickht darob.
Man mus ein bauren haben
Zum hacken, reütten, hauen, graben.
Darum sing ich des bauren lob.
Anno 1G15 jar geschriben den 15. dag hor[nung].
Anonymes Moistorlied aus dem Münchner Cod. gerni. .')-45ö, Bl. 175 nr. l.>9-
52. Steirisches Bauernleben.
1. Mi gfreut jo das bäurische Lobm,
Weil i holt Franzi hoaß, bleib i danöbm.
Bin i a Baur, so bleib is recht gcarn,
Tausch jo mit koanen kloanen Hearn.
2. Möcht wissn, wos d Hearn guats hobm.
Das oam mol hobms Daubm, s oam mol hobms Robm.
Nudl und Strudl des iß i reacht gearn,
Knüdl und hoarnarn Störz, lluabm und Mörn.
3. Die Hearn dö hobm grausliche Speien,
S graust oam wie em Ratzen und em Miiusn,
Schildkröttn, Schnegn und allerhond Dier;
Mir obr, mir Bauan. hobm Kropfn dafür.
Kleine Mitteilungen. . 77
4. Dö Hearn, wann die gean zun öaßn,
Soa tharns n Wein in Glasin ausmöaßn.
Bei uns Bauan do hots jo koa Zil,
Donach daß oan durscht, trinkt oana vil.
5. Dö Hearn thoarn Gsundheit trinken,
Mir obr Bauan thorn nur glei winken.
Do hoaßt na glei; Bruada, i bring das dir zue,
Odr geh, lock mi im M , do host in Kruag.
6. Und wann i i d Stadt liinein geh,
Do thuat maa stoarnane Pflasta so weh.
Bei uns in Dorf is so fai und öbm,
So dann a Graberl, so geht ma danöbni.
7. Die Bauan wern hiezt scho vil gscheida,
Hiez bauus öai-nari Häuser af freier Weide.
Do is es jo so fai und so lind.
Daß ma koan oanzigan Stoa nit wornimt.
Aus einem hsl. Liederbuche in der Veitsch von K. Weinhold um 1859 ab-
geschrieben. Die Gross- und die Kiein-Veitsch sind Gemeinden an der gegen
60W Fuss hohen Veitschalpe zwischen Allenz und Neuberg in Obersteier.
Andere Loblieder auf das Bauernleben habe ich 1890 in der Gclegenheits-
schrift 'Der Bauer im deutschen Liede' (Acta germanica 1, 3) S. 112 nr. 1—42
aufgezählt; dazu mögen hier ein paar Nachtrüge folgen.
Zu nr. 2. 'Ain ritter und ain pauman'. Erk-Böhme 3, 27 nr. 1079. — Ähnliche
Kampfgespräche ebd. nr. 1080. 1571. Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit
1877, 369 (Altercatio rusticorum et clericorum). St. Gallener Cod. 985, S. 41(.;.
V. Boltz, Weltspiegel 1550 v. 1714 (Bächtold, Schweizer. Schauspiele 2, 177). Zurflüe,
Bruder Klaus 1601 (Bächtold, Geschichte der Literatur in der Schweiz 1892 S. 389.
Ebd. Anm. S. 103 über C. Murer). Hartmann, Volksschauspiele 1880 S. 23. Bolte-
Polivka, Märchen-Anmerkungen 3, 311 f. — 5. 'Gesang das wil ich heben an'. Von
Peter Frey. Flugblätter in Zwickau und bei Maltzahn, Bücherschatz 1875 S. 319,
806; hsl. in Luzern (Bächtold, Gesch. der Lit. Anm. S. 125). W. Sarcerius, Geist-
licher Herbarius 1, 61 (1573) = Grässe, Des dt. Landmanns Practica 1859 S. VII. —
«. 'Ein Sach nehm ich zu Muth'. Grillenvertreiber 1, 96 (1670) = v. d. Hagen,
Narrenbuch 1811 S. 456 — 7. 'Nun merckend auff, ihr lieben Freund'. Erk-Böhme 3,
390 nr. 1548. — 8. 'Merket auf, ihr Christenleut'. Sztachovicz, Brautsprüche 1867
S. 143. Unser Egerland 2, 46. Puymaigre, Folklore 1885 S. 150. Sibylla Schuster,
Ophiletes 1685 S. 145. — II. 'So freue dich, lieber Bauersmann'. F. Günther, Die
schlesische Volksliedforschung 1916 S 125. — 13. 'Ihr frommen Bauern, kommt
heran'. Erks Nachlass 28, 467. — lö. 'Ihr Herren, schweigt ein wenig still'. Weinhold,
Mitt. des histor. V. f. Steiermark 1859 S. 11. Sztachovics 1867 S. 146. Kohl, Heitere
Volksgesänge 1908 S. 24. Schweiz. Archiv 5, 35 nr. 53. Amft 1911 nr. 1(!3. — 18. 'Ein
Bauer ist ein Ehrenmann'. Haltrich, Zur Volkskunde der Siebenbürger 1885 S. 118.
— 20. 'Wy boeren en boerinnen'. F. van Duyse, Het oude nederlandsche lied 1,
828 nr. 226. — 22. 'Mein Vatter ist kein Edelmann'. Des uhralten Leyer-Matzs
lustiger Correspondentz-Geist 1668 S. 117 nr 167a (12 Str. abweichend. Berlin
Yt 9376). Berliner Ms. gerra. oct. 429, Bl. IIa. Sztachovics S. 148. — 24. 'Bin ich
der lustige Bauer'. Kohl 1908 S. 25. — 28. 'S Baua sein das ist mein Leibm'.
Kohl 1908 S. 10. - 35. 'Die Buechiberger Bure'. Erk-Böhme 3, 390 nr. 1549. -
37. 'Nach dem Winter so kompt uns der Sommer herzue'. Flugblatt 1631 (10 Str.)
bei Maltzahn, Bücherschatz S. 319, 805. — 42. 'Was wollen wir singen und heben
' an?' Böhme nr. 588. Bäumker 2, 372 nr. 436. Haxthausen nr. 20. Erk-Böhme 3, 840
nr. 2144. Lerond, Lothringische Sammelmappe 1, 40 (1890). Flugblätter Berlin
Hymn. 5020. Erks Nachlass 29, 381.
TS" ..: Bolte, Lucki:
Ferner einige weitere Dichtungen:
'Leut uff dem land wil ich uch nemen her'. 3 Str. — Michel Beheim, Heidelberger
Cod. germ. 312 (Bartsch 147), Bl. 2S0b.
'Die lerch und auch die nachtigal'. 5 Str. — Hans Rosenplüt bei Keller,
Fastnachtspiele 3, 1113.
'So schweygt stil vnd hört auff leyse'. — Spruch von den baurn. Leyptzck 1521
(Weimar). Vgl. Weller, Annalen 1, 208 nr. -10.
'Ich pin ein armer pauersmon'. 13 V. — Hans Sachs 1569 (Werke ed. Keller-Goetze
23, 442).
Matthias Reichelt, Der selige vnd fröliche Ackerßniann. Leipzig 1602 (Berlin Yh
7071. In Reimpaaren .
Joachim Berlin, Der Bawren Haushaltung. Wittenberg IGOü, 4" (Berlin Yh 7061.
7082. In Reimpaaren) = Joh. Coler, Calendarium perpetuum, ander Teil 1607,
Bl. E 1 a (Berlin Ov 1696). Vgl. Weller, Annalen 1, 362.
'Zu Fasten da gehet der Sommer heran'. 6 Str. — Flugblatt des 17. Jahrh. bei
Weinhold, Mitt. des histor V. f. Steiermai-k 1859 S. 10.
'Als ich einmal ausritt hetzen'. 12 Str. — Ditfurth, Volks- und Gesellschaftslieder
1872 nr. 17.
'Als ich newlich ausspatzierte". 15 Str. — J. P. de Memel, Lustige Gesellschaft 1657
S. 239 = 1660 S. 203 zu nr. 501.
'Jedem Lappen gfalt sein Khapp'. 34 Str. — J. A. Poyssl 1683 im Archiv f. neuere
Sprachen 122, 241 (li)09:.
'Pasche uff. ihr chrischtlich Litt'. 7 Str. — Lerond 1, 3 (1890).
'Wann der Bauer wäre tot, wo hält dann der Bürger s Hrod'. 19 Str. — Hamburger
Drehorgcllieder 1, 322 (Bibl. des Vereins f. Hamburg. Geschichte\
'Wer hat den Namen gering reich? Der Bauer. 8 Str. — Ebd. 1, 6. 90. 153.
'Ich lebe als Landmann zufrieden. 3 Str. — Erk-Böhme 3, 391 nr. 1551. W^olfram
nr. 364. Schremmer nr. 199.
'Wie schön ist das ländliche Leben'. 5 Str. — Wolfram nr. 365.
'Mir Leit uffem Lande'. 6 Str. — Nach Gleim. Erk-Böhme 3, 392 nr. 1552. Marriage
nr 70. Meisinger 1913 nr. 223. Pfaff, Volkskunde im Breisgau 1906 S. 145.
'Fröhlich und nicht verzagt'. 5 Str. — Sztachovics S. 149.
'Lustig, mia Bauarn, mia hobms nur gräd fein'. 5 Str. — Kohl 1908 S. 26.
'Lustig, wir Bauern, wanns Wetter nit schlagt'. 7 Str. — E. Schnell, St. Nicolaus 4,
49 (1885).
'O Bauerstand, o Bauerstand'. 16 Str. — .M. v. Sehen kendorf 1813 (Gedichte 1878
■ S. 53).
'Wie es-ter de voor vant land?' 13 Str. — Firmenich 3, 662.
'Laet ons den landtnian loven'. 10 Str. — F. van Duyse, Het oude ndl. lied 1, 815
nr. 224 a.
'Als ic aenmercke al dat de werelt hout bevaen'. 9 Str. — F. van Duyse 1, 817
nr. 224 b.
'Als vader Adam spitten en moeder Eva span'. 12 Str. — F. van Duyse 1, '21
nr. 225 a.
'Den beer en lants-mau nioct ick altijt eeren'. 10 Str. — !•". van Duyse 1, ?23
nr. '225 b.
'Adam onzen vader'. 9 Str. — Het vermakelyke Haagse Bos 1773 S. 25 (^Berl n Zf
7561, 1).
Berlin. Johannes Bolto.
Kleine Mitteilungen. 79
Ein Schilfleiii sab ich fahren, Kapitän und Leuteuant.
In einem Aufsatz „Die Entwicklung des deutschen Soldatenliedes", den ich
im November 1915 in "Westeinianns Monatsheften veröffentlichte'), hatte ich auch
das Lied -Ein Schifflein sah ich fahren" erwähnt und dazu bemerkt, dass in ihm
wahrscheinlich die Erinnerung an die Überscefahrten deutscher, von England ge-
kaufter Truppen nachklinge. Ich ahnte damals noch nicht, dass sich diese Ver-
mutung-) zur Höhe einer Tatsache erheben liesse.
Da erhielt ich, genau ein Jahr nach dem Erscheinen meines Aufsatzes, ein
Schreiben des in Hannover im Ruhestande lebenden Wirklichen Geheimen Kriegs-
rats Jüngst, in dem mir dieser Herr mitteilte, dass er über Zeit, Ort und Ver-
anlassung der Entstehung des Liedes und sogar mit grosser Wahrscheinlichkeit
über die Person seines Verfassers etwas auszusagen vermöchte und mich für die
Einzelheiten auf eine dem Briefe beigefügte Niederschrift verwies, die er, ver-
anlasst durch meinen Aufsatz in Westernianns Monatsheften, angefertigt hatte und
mir zustellte, um „vielleicht auf diesem Wege zu verhüten, dass das Ergebnis
seiner Erinnerung mit ihm verlösche." Ich habe daraufhin den Absender auf-
gesuclit und fand in ihm einen damals Dljilhrigen Herren von erstaunlicher
geistiger Frische. Nur war er leider fast völlig taub, so dass die mündliche Ver-
ständigung mit ihm nicht unerhebliche Schwierigkeiten bot. Ich versuchte, ihn zu
veranlassen, das, was er zu dem Lieiie zu sagen hatte, von sich aus zu veröffent-
lichen und wiederholte diesen Versuch, nachdem mir John Meiers Beitrag zu dem
Liede^J bekannt geworden war, den ich ihm zur Einsicht übersandte. Herr Jüngst
schien auch, wie er mir unter dem 25. Januar 1917 mitteilte, geneigt, dem \ ollis-
liederarchiv seine Aufzeichnungen zu übergeben, ist aber dazu nicht mehr ge-
kommen. Am 19. März d. Js. hat ein Uniilücksfall seinem Leben ein Ende ge-
macht So darf ich mich als den Vollstrecker seines letzten Willens in bezug auf
sein Lieblingslied betrachten, wenn ich im folgenden, was er mir darüber mit-
geteilt, veröffentliche. Aber auch, was ich aus Eigenem dazugebe, gehört schliess-
lich dem Dahingeschiedenen, da ich nur den von ihm aufgedeckten Spuren weiter
nachgegangen bin.
1. Die ÜberHeferung über die Entstehung des Liedes nach Jüngst.
Das Lied „Ein Schifflein sah ich fahren" wurde in der althannoverschen
Artillerie, in welche ich im Sommer l>i4ü eingetreten war, mit Vorliebe gesungen,
auch wurde dort die Geschichte über seine Entstehung erzählt und im Wege der
Tradition festgehalten. Diese Traditionserzählung lautete:
Im vorigen Jahrhundert, als die Hannoverschen Kurfürsten zugleich als
Könige auf dem englischen Throne sassen, und zugleich in England und in
Hannover regierten, kam es häufig vor, dass Hannoversche Truppen zeitweilig in
englische hienste traten und Übersee verwendet wurden. So wnnlen auch einmal
einige Regimenter Infanterie naih Ostindien geschickt. Diese Trupprn wurden
bei unserer Festung Stade auf der Elbe eingeschifft. Von den zu diesem Trans-
port benutzten Schiffen hatte eins, auf welchem sich 3 Kompagnien befanden, eine
stürmische Fahrt und musste wegen schwerer Havarie nach der Elbe zurück.
Dort blieb dasselbe mehrere Monate liegen, bis es von Neuem ausfahren konnte.
r. Band 119, 412-42(\
2) Sie gründete sich auf die Anmerkungen zu Erk-Böhme, Deutscher Liederhort
Nr. 1324-1326
3) Schweizerisches Archiv für Volkskunde 20, 206-229 (1916).
80 I.ucke:
Während dieses Aufenthalts l)efand sich die Mannschaft in schlechten Verhält-
nissen, es entstanden Krankheiten und Missmut, und die Leute fingen an zu
desertieren.
Da kam der zufällig auf diesem Schiffe mit untergebrachte Regimentsarzt auf
den Gedanken, die Stimmung der Soldaten durch anregende Unterhaltung, Spiel
und Gesang zu heben, und fand in diesem Bestreben durch eine ihren Vater be-
gleitende, aufgeweckte Feldwobeltochtor lebhafte Unterstützung. Dabey entstand
das hier in Rede stehende Lied, welches, da es mit einer Tanzaufführung ver-
bunden wurde, richtiger als Singspiel zu bezeichnen ist. Der Vollständigkeit
halber will ich hier den Wortlaut, wie wir den.selben sangen, folgen lassen*). . . .
Dass der Schlussvers nicht so übel gemeint ist, gehl daraus hervor, dass die
üfficiere der Reihe nach selbst miltanzten.
Nicht allein dieses Wortlauts erinnere ich mich genau, sondern auch der
Weise der Aufführung und der Melodie. Letztere kann ich noch klar und be-
stimmt wiedergeben. Die Aulführung bei uns war die folgende: Wie bei unserem
Soldatensingen überhaupt, so wurde auch dieses Lied unter Leitung eines Vor-
sängers gesungen. Als solcher fungierte ein besonders musicalisch veranlagter
älterer Kanonier oder auch ünterofficier. Derselbe sang die erste Strophe jeden
Verses'') allein, intonierte und lactierte, das Folgende wurde im Chor gesungen.
Bei der ursprünglichen Aufführung trat, wenn das Lied gesungen werden sollte,
die Feldwebeltochter zum Tanze an und tanzte bei jedem Verse mit wechselndem
Tänzer auf dem Schiffsverdecke herum, zuerst mit dem Capitain, dann mit dem
Leutenant, und so weiter. Der Tanz war ein rascher Galopp, wurde mit Trommel-
schlag tactiert, die Schlussworte: Soldaten — Kameraden waren von verlaufendem
Trommelwirbel begleitet, welcher so lange anhielt, bis der Tanz herum war.
Unsere Melodie') passt sich durchaus dem Inhalt und dem Wesen des Liedes an,
und ist es sehr wahrscheinlich, dass dieselbe noch die ursprüngliche war. Ge-
tanzt wurde bei uns nicht, der Trommelschlag wurde mit Hülfe eines alten
Messers pp. auf der Tischplatte der Wachstube ausgeführt.
2. Jüngsts Nachprüfung der f'berlieferung.
Die Tradition wird durch einige Angaben der Geschichte der Königlich
Hannoverschen Armee von L v. Sichart bestätigt:
1. Im .■). Bande, erste Abteilung §24, S. 84 ff ist angegeben, dass im Jahre
1781 zwei Regimenter Infanterie nebst Rcgiments-Artillerie für den Ostindischen
Dienst neu errichtet wurden (Nr. 15 u. 16). Diese Regimenter waren eigentlich
nur Bataillone und bestanden aus je 10 Compagnien mit zusammen lOiö Köpfen.
■2. Daselbst S. 83 ist angegeben, dass das zuerst fertige Regiment Nr. 1.') im
Oktober 1781 bei Stade auf der Elbe auf 4 Transportschiffen nach England ein-
1) Es folKt der Text nebst Angaben über die Vortragsweise (s. unten) Der
Text weicht von dem bei Erk-Böhme 3, 209 gebrachten nur wenig ab: Str. 2, 3:
und Kressen, 4, 3: Bey ihrer Wehr und Waffen, 5, 3: Bey Stade auf der Sclianzen.
Ferner wird in dem Kehrreim der Halbvers „Nimm das Miidcl' zweimal wiederholt.
Endlich ist das Lied um eine auch sonst bekannte 7. Stroplic vermehrt:
Wie kommen unsre Herren Officiers in die Höllen?
Capitain und Leutenant.
Auf einem schwarzen Fohlen
Soll sie der Teufel holen:
Capitain, Leutenant usw.
2) Muss heissen: den 1. Vors jeder Strophe.
3) Siehe unten S. 87.
Kleine Mitteilungen. 81
geschifft wurde, dass 3 dieser Schiffe glücklich England erreichten, dass aber das
4. Schiff durch heftigen Sturm nach Ritzebüttcl, d. i. jetzt Cuxhaven, zurück-
getrieben wurde und erst im März 1782 nach einem unter sehr ungünstigen um-
ständen durchgebrachten Winter England erreichte. Während dieses Aufenthalts
und auf diesem Schiffe fanden die oben erzählten Vorgänge statt.
3. Ebendaselbst wird auf S. 84 der Namen des Regiments-Chirurgus des
Infanterie-Regiments 15 mit Schwarze angegeben.
Beide Regimenter kehrten 1791 bezw. 179i' zurück und wurden in Stade auf-
gelöset, wobei ein grosser Teil der Mannschaften bei Regimentern der Stader
Garnison wieder Dienste nahm. So kam unser Lied nach Stade und von da,
durch die mit Hannover in Verbindung stehende Artillerie-Abteilung, hierher.
Dass hier die Tradition eine so lebendige war, erklärt sich daraus, dass die
Geschützkanoniere der Hannoverschen Artillerie nicht aus eingestellter bald wech-
selnder Mannschaft, sondern aus freiwillig Angeworbenen bestanden, welche auf
längere Zeitabschnitte eapitulierten. Diese Capitulationen wurden meistens wieder-
holt, so . dass viele langgediente Leute da waren. So stand z. B. noch im Jahre
1841 bei unserer Batterie ein Kanonier William Dirks aus TuUamore in Irland,
welcher noch als Junge sich einer Legionsbatterie angeschlossen, die Kriege in
Spanien und 18 lö die Schlacht bei Waterloo mitgemacht halte und 1810 mit der
Legion nach Hannover gekommen war.
3. Weitere Untersuchung.
Die Angaben Sicharts, auf die sich Jüngst stützt, lassen sich nach einigen
Seiten hin ergänzen, da im Kgl. Archiv zu Hannover die Akten des 15. Regiments
erhalten sind*). Die Geschichte dieser Truppe gehört zu den traurigen Kapiteln,
denen man die Überschrift geben könnte: Wie mit deutschem Blut Englands Welt-
herrschaft begründet wurde^).
Das Regiment wurde 1781, ebenso wie das 16., auf Veranlassung der Ost-
indischen Kompanie, die damals einen Daseinskampf gegen die mit Frankreich
verbündeten Mahratten unter Hyder AU kämpfte, aufgestellt. Während das
Offizier- und Unteroffizierkorps aus Freiwilligen der cburhannoverschun Armee
zusammengesetzt wurde, sollten die Mannschaften soweit als möglich im deutschen
.,Auslande'' angeworben werden. So waren Werbestellen in Worms, Frunkfun a. M.
und Heilbronn eingerichtet: mit Hessen-Darmstadt, Württemberg und den Grafen
von Wertheim-Löwenstein fanden Verhandlungen über die Gewinnung von Leuten
statt. Es war also ein sehr buntscheckiges Gemisch deutscher Stämme, das sich
in den beiden Regimentern zusammenfand, ein buntes Gemisch auch in bezug auf
die frühere soziale Stellung der einzelnen Rekruten^).
Das 15. Regiment war im September 1781 fertig aufgestellt und wurde in der
letzten Oktoberwoche in der Festung Stade in die 4 Transportschiffe verladen.
1) Signatur : Hannover 38 C.
2) Vgl. dazu E. v. d. Knesebeck, Geschichte der churhannoverschen Truppen in
Gibraltar, Minorca und Ostindien. Hannover 1845. Ferner: Briefe auf einer Reise
von Stade nach Madras in Ostindien und aus Ostindien geschrieben nach Stade von
einem chuvhannöverschen Capitain der Infanterie. Bremen 1789. (Der Verfasser ist,
wie aus dem Inhalt hervorgeht, der Kapitän v. Scharnhorst, Herausgeber der
Konsistorialrat Watermeyer in Stade.)
3) Vgl. was Knesebeck S. 129 f. nach den handschriftlichen Aufzeichnungen
eines Teilnehmers der Expedition, des späteren Generals Best, zitiert.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1918. 6
go Lücke :
oder richtiger gesagt hineingestopft^), die die Ostindischc Konipiinie, um es abzu-
holen, herübergeschickt hatte, wahrend die Fregatte 'La belle Poule'^) den Schutz
des Geleitzuges übernehmen sollte. Am "27. Oktober erfolgte die Abfahrt. Aber
schon gleich nach dem Austritt aus der Elbe überfiel die Schiffe ein gewaltiger ■
Sturm, der die 'Polly' von den übrigen trennte. Während diese nach mehr als
zweiwöchiger Fahrt England erreichten, kehrte sie aus Furcht vor feindlichen
Kaperschiffen um und warf Anfang November vor Ritzebüttel Anker.
An Bord hatte die 'Polly' zwar nicht drei vollständige Kompanien, sondern
nur eine ganze (Schultze) und von zweien den grössten Teil. Von der des
Hauptmanns Best waren 14, von der des Hauptmanns v. Hörn 4'J Mann auf
anderen Schiffen untergebracht. Aber mit Ausnahme eines Leutnants und eines
Filhnrichs befanden sich sämtliche Offiziere der drei Kompanien auf dem Fahr-
zeug, ausserdem ein Kompaniechirurgus''). Weiterhin werden in den Rapporten
5 Frauen als Fahrgäste*) aufgeführt, so dass die spätere Erinnerung an die Feld-
webeltochter vielleicht eine tatsächliche Unterlage gehabt haben kann. Dagegen
machte der Regimentsarzt Schwarze die Überfahrt auf der 'Grand Dmhess of
Russia' mit
Vor Ritzebüttel sahen sich die auf der 'Polly' Eingeschifften bald in trauriger
Lage. Eine Reihe von Umständen traf zusammen, um die Leute, unter denen
ohnehin nicht die besten Elemente waren, zur Verzweiflung zu l)ringen. So kam
CS zu einem Vorfall, über den ein Bericht des Hauptmanns v. Hörn vom 13. De-
zember 1781 an den Generalmajor v. Scharnhorst in Stade selbst sprechen möge:
Da die Capitains durch die erhaltenen (relder von der Regierung in Stade im
.Stande waren, derer Leute Unzufriedenheit, in Ansehung des Hungers zu hemmen,
so wurde so viel möglich, an Brod und Gemüse, wie auch etwas Brantewein an-
geschafft. So lange dieses anhielt, so lange waren sie völlig ruhig, aber so wie
diese Provision zu Ende ging, so war das Verlangen nach Brod wieder da. Wir
waren ausser Stande ihnen zu helfen, und sprachen sie mit gutem Erfolg zur Ruhe.
Am 8. dieses erhielt unser Schiffs-Capitain die Nachricht von dem hiesigen
Conimandeur der Galliote, dass es wegen der Gefahr des starren Eisganges noth-
wendig sey, im Hafen zu legen, dies geschah am Abend. Zu meinem grossesten
Erstaunen bemerkte ich zur Zeit der Ebbe, dass das Schiff ganz trocken lag; um
zu vermiithende Desertion zu verhüten, mussten, ohne dass alles Tauwerk einge-
nommen wurde, auch die ganze Nacht ein Officier nebst 2 Unter-Officiers auf dem
Verdeck wachend seyn.
Da die Kälte zunahm, und das Kochen durch den verschiedentlich starken
Wind nicht gehörig bewerkstelligt werden konte, so dass zu Zeiten des Abends
kaum das Eßen gar ward, so vergrössertc dieses alles der Leute Unzufriedenheit,
wie nicht weniger der gar zu enge Raum dos Schiffes, welcher nach des Schifs-
Capitains Aussage für 140 Mann eingerichtet, und 240 Mann die Zahl derer sich
darauf befundenen ist, wie auch für 189 Mann Schifsdecken befindlich, folglich
60 Mann ohne Decken jede Nacht seyn mussten. Selbst der Kochkessel ist nach
1) Die Verteilung auf die Transportschiffe war folgendermassen geregelt: Grand
Duchess of Russia (308 t 222 Mann, Benjamin Anne (402 t) 284 M., Kingston (338 t)
240 M., Polly (,309 t) 230 M.; ausserdem übernalim die Fregatte noch 52.
2i Sie war den Franzosen im Kampfe abgenommen und hatte ihren Namen
behalten.
3) Er hiess Bennecke. Die Kompagniefeldscherer galten nicht als Offiziere,
wohl aber der Regimentsarzt.
4) Nach dem Vortrage zwi.schen der churfürstl. Regierung und der Ostindischen
Kompanie durfte jode Kompanie 2 Frauen mitnoluuen, dagegen waren Kinder von
der Überfahrt ausgeschlossen. Vgl. v. d. Knosobeck S. 179.
Kleine Mitteilungen. 1^3
des Capitains Aussage nur für 140 Mann eingerichtet, gleichwol musste die ganze
Anzahl ihre Portion daraus erhalten'). Den 9. und 10. schien alles ziemlich ruhig
und wir erwarteten mit Schmerzen den Convoy'). Am 11. des Morgens gegen ü Uhr
wurden die Leute unruhiger wie einraahl, allein durch die Absendung eines Unter-
Officiers mit einem Briefe an Ew. Excellence der bald Hülfe für sie würcken würde,
Hessen sie sich jedoch mit der grössten Mühe zur Ruhe bringen. Ich hofte sie
hierin diesen Tag zu erhalten, und brauchte zu dem Ende alle mögliche Vorsicht.
In dieser Meinung nun traf ich mit dem Schifs-Capitain heimlich diese Abrede,
da.ss wir die darauf folgende Nacht, weil es die Noth erforderte, in See stechen
wolten, welches dieser, jedoch auf eine Bescheinigung derer 3 Capitains an Bord,
zu thun versprach. Zu mehrerer Beruhigung lies ich denen Leuten doppelte
Portions Brod geben, da verschiedene weinend über Hunger und verfrohrene Füsse
klagten; selbst der Anführer des nachmaligen Aufstandes beruhigte die Leute
äusserst, folglich man nicht den geringsten Argwohn von dieses Menschen Bosheit
haben konnte. Allein um 12 Uhr zur Zeit der vollen Ebbe war der Aufstand unter
der Anführung des Corporals Reiche in einem Augenblick algemein und zum Theil
wütend. In einem Augenblick waren ein Haufen Leute auf dem Verdeck; dieser
Haufe sicherte die Person des Corporals, und dieser vertheidigte den Ausgang der
Leute mit dem Sübel in der Faust, und encouragirte sie mit den Worten: Er wolle
sie nach Stade führen, herauf zu kommen. Hier war alle Gewalt und Güte ver-
gebens, zudem die Leute mit Thriinen und mit Wuth versicherten sie wolten nur
an Land, und wer desertierte, den wolten sie selbst umbringen. Sie sagten auch
zugleich: Sie hätten alle Liebe für ihre Officiers, aber sie riethen, dass keiner Ge-
walt brauchte, wie denn auch der Corporal Reiche auf seinen Capitain der Com-
pagnie und seinen Sergeanten verschiedentlich gehauen.
Hier war also nichts anders thunlich. als hinterdrein zu gehen, um sie mit Güte
in Ritzebüttel durch Bestellung der Quartiere und E13en und 'Trinken aufzuhalten.
Alles war auch auf Zureden hieselbst, sogleich nach Erscheinimg der Quartierzettel
ruhig, ausser einer Anzahl von 40 Mann unter förmlicher Anführung des Corporals
Reiche, die grade durch auf Bremerlehe marschierten, jedoch sind schon verschie-
dene von diesen wieder zurückgekommen. Dahin ward sogleich Nachricht p. Estafette
von diesem Vorfall gegeben, dorten Anstalt zu ihrer Arretierung treffen zu können.
Da es unwahrscheinlich ist, diese Leute wieder an Bord zu bringen, so habe
auch die an Bord gebliebenen, deren 70 an der Zahl, allhie einlegen müßen. Der
hiesige Agent Lilienthal hat durch seine schleunige Hülfe viele Dienste gethan, und da
es denen Leuten an Strümpfen fehlet, so habe ich auch hiezu Anstalt treffen müssen.')
Übrigens sind sie jetzt ruhig, inzwischen wäre mein unmassgeblicher Rath, dass
man so bald als möglich, uns hier weglegte, zudem es äusserst kostbar, und täglich
1 Mgr. für den Mann bezahlt wird.
Ritzebüttel den 13*55 Dec. 1781. gez. F. v. Hom.*)
1) Zu den 240 Angehörigen des Regiments ist auch noch die Schiffsmannschaft
hinzuzurechnen.
2) Die zur Abholung der 'Polly' bestimmte englische Fregatte 'Ariadne'.
3) Über die traurigen Zustände nach der Ausschiffung berichtet noch eindring-
licher ein in den Akten befindliches Schreiben des Oberstleutnants Mutio in Ottenn-
dorf vom 18,19. 12. 1781: „. . . . Der Frost hat einem Theil der Mannschaft Hände
und Füsse unbrauchbar gemacht, und der Mangel an guter Nourriture hat ihre
Kräfte sehr mitgenommen . . . werden ersehen, dass die Schiffs-Kost, theils der
Witterung, theils der überhäuften Anzahl Menschen wegen mitunder schlecht ge-
kocht, so dass es wegen Härte nicht zu gemessen gewesen oder ganz und gar nicht
hat zu Feuer gebracht werden können und eben deswegen die Portion Zwieback
nicht hinreichend gewesen, den Mann sattsahm zu ernähren."
4) Knesebeck S. 131 f. bringt noch einige Einzelheiten, die sich in den Akten
nicht finden und wohl aus den Aufzeichnungen des späteren Generals Best ent-
6»
84 Lücke:
Es ist wohl anzunelniuMi. ila.ss dieser Bericht das Geschehnis in sehr ge-
diim|)flon Farben darstellt und vor allem das verschleiert, was die Offiziere be-
lasten liünnte. Das Verliältnis dieser zu ihren Mannschaften scheint keineswegs
mustergiltig gewesen zu sein').
Das Weitere ist kurz erzählt: Die Mannschaft wurde Ende Dezember nach
Stade gebracht, wo sie im Wach- und Garnisondienst beschäftigt wurde, während
die Deserteure, so weit sie crgrifTen wurden, ins Gefängnis wanderten-;. Die
'Polly' blieb den Winter über in Ritzebütlel, ebenso die noch im Dezember als
Geleitschiff eingetroffene Fregatte 'Ariadne'. Erst am 22. März 1782 stachen beide
Schiffe mit der v. Horn'schcn Division"), deren Ausfälle durch Mannschaften des
16. Regiments ersetzt waren, in See und erreichten schon am ib. Sheerness.
Wenn wir diese geschichtlichen Vorgänge in Zusammenhang mit dem Liede
bringen, erhebt sich sogleich die Frage: Hätte unter solchen Verhältnissen das
Lied als Sing- und Tanzspiel zur Belustigung und Ablenkung der aufgeregten
Leute auf der 'Polly' entstehen könnend Es )uag wohl sein, dass in der zweiten
Hälfte des Novembers 17.S1 einzelne üfliziere versucht haben, ihre Mannschaft
über die bösen Tage auf gute Art hinwegzubringen, aber von einem engeren
kameradschaftlichen Verhältnis, wie es die Jüngstsche Tradition von der Ent-
stehung des Liedes voraussetzt, kann keine Rede sein. Und doch sprechen eine
Reihe von Erwägungen dafür, dass das Lied in diesem Winter 17Sl/ü>2 ge-
schaffen ist.
Der Inhalt stimmt zu der Situation: Str. 1: Ein Schifflein, drei Kompanien
Soldaten. Str. "-' und 3: Wie die traurige Verpflegung die Sehnsucht nach schmack-
hafteren Speisen wecken musste, tritt aus den Quellen deutlich genug hervor, und
dass man statt des verzapften Branntweins lieber guten Wein gehabt hätte, ist
auch verständlich. Überdies ist zu beachten, dass zahlreiche Angehörige der
Division Hörn aus weinbautreibenden Gegenden Deutschlands herstammten';.
nommen sind. Dieser war als Fähnrich auf dem Schiffe. Über die iCxpeditinn,
insbesondere aber über die indischen Verhältnisse, schrieb er Heisebriefe, die unter
dem Titel : Briefe über Ost-Indieu, das Vorgebirge der guten Hoffnung und die Insel
St. Helene, geschrieben aus diesen Liinderu von C. C. Best, lirsg. v. K. G. Kiittnor,
Leipzig 1807, veröffentlicht wurden.
1) Vgl. V. d. Knesobeck 8.130. Wenn da \on der Nachlässigkeit des Kapitäns,
der die embarkirte Mannschaft befeldigte, die Rede ist, so dürfte allerdings damit
in erster Linie der Kapitain Schultze gemeint sein, der indes nicht den Befehl
über die ganze Division hatte. Diesen fühlte vielmehr v. Hörn. Über Schultze ur-
teilte der Kriegsrat v. Münchhausen in einem Schreiben vom 5. März 1782, dass er
„unfähig wäre 7,\i S. Majestät Dienst wegen Handlungen, die öffentlich von ihm
erzählt werden."
2} Von 37 Deserteuren wurden 29 wieder ergriffen und bestraft.
3) Der Befehl wurde 'bon gre, mal grcv v. Hörn wieder übertragen. Die übrigen
Hauptleute, denen er angeboten wurde. Best und zwei des ItJ. liegiments. wussten
sich davon zu drücken; v. Münchhausen schreibt an Genoralmajor v. d. Bussehe in
Hameln, Stade, d. 12.3.1782: „Die Polly liegt vor der Schwinge tbei Stade; und die
Division kann auf den ersten Wink an Bord gehen. Es herrscht hier einiges Mis.s-
vergnügen unter den Officiers, Sie scheuen sich für die Polly wie zaghafte Kinder
für Polter-Geister. Niemand will die 4. Division des 15 1>^'" Regimentes comnian-
dieren."
4) l'nter den Namen der Angehörigen der Hornschen Division deuten u. a. auf
Süd- oder mitteldeutsche Herkunft: Stadelmeyer, Baumeißel, Schwärtzel, Weinmüller,
Grimmingcr, Emmert, ferner die Vornamen Jakob, Zacharias, Kaspar zur Unter-
scheidung gleichnamiger Soldaten angeführl>.
Kleine Mitteilungen. 85
Sir. -i mit ihrem platten Inhalt kann ebenso gut ursprünglich wie spätere Zu-
dichlung sein, Str. 5 wird in der Form „Zu Stade auf der Schanzen", die Jüngsts
Aufzeichnung bietet, während des Garnisondienstes der Truppe vom Januar bis
bis März 1782 entstanden sein').
Etwas weiter auszuholen gilt es bei den beiden letzten Strophen.
Die 7. deutet zunächst wieder zweifellos auf das schlechte Verhältnis zwischen
Oflizieren und Mannschaften. Etwas seltsam mutet darin das Fohlen als Reittier
an. Eine spätere Fassung hat denn auch den Rappen dafür eingesetzt. Mir
scheint es naheliegend, dass darin ursprünglich eine Erinnerung an die 'Polly'
steckt, dass diese anfänglich genannt war.
Vor der Elbraündung hatte das Schilf einen furchtbaren Sturm erlebt, und
mancher seiner Insassen mochte da geglaubt haben, dass die Reise nach Ost-
indien vorzeitig zur Reise ins Jenseits werden würde. In solcher Gefahr mag
dem Munde der Soldaten nenugsam die Verwünschung entfahren sein: „Hole der
Teufel die ganze Wirtschaft, zumal das Schiff, in das man uns hilflos und willenlos
hineingepfercht, aber auch die Offiziere, die uns geworben und gedrillt und schi-
kaniert!"^) .,Mitsamt der schwarzen Polly, der Teufel komm und hol sie," so
oder so ähnlich, vermute ich, hat die Strophe ursprünglich gelautet.
Aber der drohende Untergang konnte auch noch andere Gedanken auslösen.
In solchen Lagen, wo der Mensch hilflos den Elementen gegenübersteht, werden
leicht Kindheitserinnerungen an Sagen von Gespenstern und Unholden wach. Eine
Hauptrolle spielt da auch der Teufel. In der Eibmündung hatte er nach der Erzäh-
lung des Volkes schon einmal sein Spiel mit einem Schiffe getrieben und war
überlistet in den Grund des Stroms gebannt''). Manchen der Soldaten waren auch
sicher aus der Heimat die Geschichten vom wilden Jäger und vom Schimmelreiter
geläufig*), Sagen von weissen Teufelpferden waren gerade auch an den Nordsee-
küsten im Schwange')- Jetzt mochte angstvolle Einbildungskraft in dem auf-
gewühlten Meer, in dem Gischt der weissen Wogen den Gottseibeiuns selbst
heranstürmen sehen.
So sind die Grundlagen der beiden Strophen ebenfalls völlig aus der Situation
heraus dargeboten, und erst in weiterer Folge hat wohl das dichterische Empfinden
der Wirkung des Gegensatzes die unschuldvollen Himmelsreiter und die vom
Teufel geholten Vorgesetzten geschaffen"). Es ist ja überhaupt anzunehmen, dass
das Lied, wie so viele andere Soldatenlieder, eine allmähliche Erweiterung des
Textes erfahren hat. Einen besonderen Anlass hierzu würde besonders der Vor-
trag als Singspiel mit eingefügtem Tanz geboten haben, von dem Jüngst berichtet
und wozu die nach seinen Angaben von mir aufgezeichnete Melodie passt.
John Meier hat nachzuweisen versucht, dass in unserm Liede drei verschiedene
Bestandteile zu einem neuen Ganzen zusammengeflossen seien: die Anfangsstrophe der
alten Ballade vom Grafen und der Nonne'), ein uragesungenes Schäferlied „Schäfer, sag
1) Vgl. zu den verschiedenen Ortsangaben J. Meier, Schweiz. Archiv 20, '221.
2) Über Prügelesekutionen bei der Ausbildung vgl. v. d. Knesebeck S. 130.
3) Vgl. K. MüUenliotf , Sagen von Schleswig -Holstein 1845 S. 264. Henniger u.
V. Harten, Niedersachsens Sagenborn 2, 130.
4i Vgl. u. a. J. Grimm, Deutsche Mythol. * 1, 129. Kuhn-Schwartz, Norddeutsche
Sagen 1.S48 S. 156. 228. 427 f. Niedersachsens Sagenborn 1, 192.
6) Müllenhof f S. 567f.
C) Dabei kann sehr wohl auch wieder eine mythologische Erinnerung mit-
gespielt haben. Vgl. J. Grimm, Mythologie * 2, 831.
7) Erk-ßöhme 1, Nr. 89. Vgl. Schweiz. Archiv 20, 221.
86 Lücke:
was willst du essen'?"') und der 167» in dem Liecle ..Ach Mutter, ^ib mir einen
Mann" erscheinende Kehrreim"). Der Verschmelzungsprozcss sei zu vollständiger
neuer Einheit gelungen, und nur der historischen und qnellenkritiscben Forschung
habe es gelingen können, die Einzelbestandtcile noch aufzuzeigen. Nach meiner
Überzeugung muss diese Auffassung stark eingeschränkt werden Wohl sind einige
Volksliedmotivo und der alte Kehrreim glücklich verwertet'), aber das Lied als
solches ist von vornherein als einheitliche Schöpfung anzusehen.
Es bleibt noch zu untersuchen, ob das, was wir sonst von der Überlieferung
des Liedes wissen, mit den bisherigen Feststollungen in Einklang zu bringen ist.
Die bisherige Forschung sieht in den Fassungen, welche die epische Eingaugs-
strophe nicht haben, sondern gleich mit der Frage beginnen ,Was sollen die Sol-
daten essenV" die ältere Form. Zeitlich an erster Stelle steht unter diesen eine
flämische Niederschrift, das Spottlied „Wat zullen ons Patrioljens eetenV" '), das
demgemäss auch als Grundlage unseres Liedes angesehen wurde. Der Urheber
dieser Auffassung ist Hofimann von Fallersieben, der zu dem Text des l'atrioten-
liedes folgendes bemerkte: ,, . . • aus Brüssel, aber doch in Holland entstanden,
es ist ein Spottlied auf die holländische Staatenpartei, die sogenannten Patrioten
die im J. 178.S den Einmarsch der preussischen Truppen nicht zu hindern ver-
mochten und erlagen. Es ist gewiss im preussischen Heere zuerst gesungen
worden, wie es denn auch wohl dort entstanden ist . . . Merkwürdig, dass dies
Lied in den Jahren 1813 — 15 an der Niederelbe wieder auftauchte; damals sang
es die englisch-deutsche Legion. Daher denn auch der wunderliche Anfang: Ein
Schifflein sah ich fahren usw."')
Bei näherer Prüfung lässt sich Hoffmanns Ansicht schwerlich halten. Wie
das Patriotenlied bei Büsching und v. d. Hagen"), woher es auch Holfmann ent-
nommen, nach der mündlichen Überlieferung von Marie Josephine t. d. Hagen, geb.
V. Reynack aus Brüssel um 1795 aufgezeichnet ist, so dürfte es nach den in der
genannten Sammlung gegebenen Bemerkungen auch dem flämischen Sprachgebiet
entstammen. Auch ein aus den geschichtlichen Verhältnissen herzuleitendes Be-
denken steht, was Hoffmann entgangen ist, dem nicht im Wege. Im Gegenteil:
Auch in Belgien spielte eine sogenannte Patriotenpartei eine Rolle, und zwar
einige Jahre nach den Vorgängen in Holland, an die Hoffmann denkt. Während
man ursprünglich nur die nach Frankreich geflüchteten Demokraten, die als eine
Art Krähwinkler Landsturm im Herbst 1789 einen Einfall nach Belgien unter-
nahmen, so bezeichnete, wurde der Name später von den Österreichern auf die
aufständischen Belgiern insgesamt übertragen"). Diese belgischen Wirren stehen
zunächst in Zusammenhang mit inneren Streitigkeiten in Holland, aber bald wird
1) Erk-Böhme 3, Nr. 1491. Vgl. Schweiz. Archiv 20, 2-22.
2) Schweiz. Archiv 20, 206ff.
3) So mag der Dichter auch den Anfang der Ballade vom Grafen und der
N:)nne (Erk-Böhme Nr. 89) wohl gekannt haben, wenn sich auch die epische Form
des Eingangs ohne weiteres aus der Situation erklären Hesse. Ein weiteres Motiv:
gebackene (gebratene) P'ische z.B. bei Erk-Biihme Nr. 107b, 110a u. ö. Im Zu-
sammenhang mit dieser Speise scheint doch wohl 'Krebse' statt 'Kresse' das Fr-
sprüngliche. Vgl. J. Meier, Archiv 20, 224 ff.
4) Erk-Böhme 3, Nr. 1324. [F. van Duyse, Het nude nederlandsche lied2, 1825
nr. 473. 3, 2485.]
5) Hoffmann von Fallersleben, Niederländische Volkslieder ]85(> 8. 298.
6) Büsching und v. d. Hagen, Sammluns; deutscher Volkslieder 1807. Anhang
Nr. 9. Vgl. dazu S. 420.
7) V^'l. N. G. van Kampen, Geschichte der Niederlande 2, 507 ff. ."))2ff.
Kleine Jritteilungen.
87
das niederländisch-belgische Gebiet einer der Hauptschauplätze des grossen Angriffs
kriegs der französischen Revolution, der 1793 fast ganz Europa in seine Kreise zog
Zu den englischen Hilfstruppen, die damals in Belgien fochten, gehörten in
erster Linie Hannoveraner, und Namen des heutigen flandrischen Kampfgelünde
tauchen schon damals in den Annalen der hannoverschen Regimenter auf: Menin,
Werwicli, Hondschoote, Ypern.
Zu dem von England aufgestellten deutschen Hilfskorps war im Jahre 1793
auch das Regiment getreten, das 17.S1/S2 als das 15. die Fahrt nach Ostindien
angetreten hatte. Bei einer 1785 erfolgten Neueinteilung der Armee hatte es die
Regimentsnummer 14 erhalten. 1791 und 1792 waren seine Überreste nebst denen
des 16., jetzt 15.. zurückgekehrt und in Stade neu formiert worden').
Sicher hat es auch seine Lieder mit auf den neuen Schauplatz seiner Taten
gebracht, vor allem sein Lied ,Ein Schifflein sah ich fahren." Und auf Grund-
lage dieses hannoverschen Soldatenliedes hat sich dann, so wird man nun ohn-
weiteres schliessen können, das Spottlied auf die Patrioten gebildet.
Damit sind die letzten Hindernisse beseitigt, die der Richtigkeil der Jüngst-
schen Tradition über die Entstehung von „Ein Schifflein sah ich fahren'' noch ent-
gegenzustehen schienen. In ihren Grundzügen darf diese als den Tatsachen ent-
sprechend angesehen werden. Das Lied ist im Winter 1781/82 im Zusammenhang
mit den Vorgängen auf dem englischen Transportschiffe 'Polly' bei der 4. Division
des 15. hannoverschen Regiments entstanden.
4. Notenbeilage.
A ist die von Jüngst mitgeteilte Melodie, die mit der bei Erk- Böhme 3,
Nr. 1326 verzeichneten manche übereinstimmenden Züge aufweist. Jüngst bemerkt
zu Z. 1: Vorsänger, Z. 2fr.: Chor-). Z. 5 ff.: Tanzbeginn, währt bis zu Ende. Z. 1
bis 4: Rezitativ, breiter, ruhiger Soldatengesang. Z. 5 — 7: lebhafte Gallopade,
Staccato mit kurzem Trommelschlag. Z. S: die Schlussworte lang gezogen, mit
verlaufendem Trommelwirbel.
Ein Schiff lein sali ich
m
if:=it:irti
Sife-g
fah-ren, Ka - pi -
-N H K-
nant, dar-
in-nen warn ge - la - den drei bra- ve Kompa-nien Sei - da - ten
m
^=1=^
:t=t
-:^— «i=i5=^r
tan,Leutnant,Fäh-ne- rieh, Sergeant, nimm das Mä-del, nimm das Mä-dol. nimm das
derHand. Sol - da - ten, Ka- me ■
In B füge ich eine mir sonst nicht aufgestossene Melodie bei, die mir von
meinem Bruder, Unteroffizier Joh. Lücke, im 5. Garde-Regt. z. F., Anfang 1917 mit-
geteilt wurde. Bei seinem Truppenteil war das Lied nach seiner Angabe sehr beliebt.
1) Vgl. T. d. Knesebeck S. 153. 162 f. 166 ff.
2) Vgl. oben S. 80.
88
Lufke. Kichtpr-Boltp
R.
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Ein Schifflein sah ich f:\li-ron, Ka- pi - tän und Leu-te - nant, dar-
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in-nen warn gc - hi - den drei bra-ve Kom-pa - nion Sol - da-ten, Ka - pi-
-M-iz=i^'
^m
■t._u — \:=ii—i
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tän,Leu-tenant,Fähnrich, Sergeant, nimm dasMä-deljnimm das Mä-del bei der
Hand. 8ol-da -ten,Kam-raden,ninimdasMä-del bei der Hand.
Hannover. Wilhelm Tuicke.
Der Bauernjunge in der Landshuter Vesper,
ein Handwerksburschenlied aus dem Anfange des 19. Jahrhunderts.
» — '-^ ^^^-P' K S-t — -P — • I h '• ^ — ^ ' N-i • — S is
4_,_-irr|,— ^=g;-f-3 F=[L^ ^—y, j' f_,-^=q!t=:q
ä - ne schö-ne Stadt, val - la - de - ri - dum - d;i, da
-±
1. Landshut is
— N IS N S • — f-a ^ — ^ • F — |— « ■]
»* ' iT— *—- ' 1^ — ^ '-->' üi— ' 1^--^
se nei-lich ä - ne Ves- per ge - hatt, val- la - de- ri - dum-dä, da
— K-r N K T S ■< 'S S — I
-^— f — »t r? R K »^-4 — js — H s~ s -N g-^
la - mus da - inus ge - sun - gen, val - la - de - ri - de - la - de-
-*f— li'— :^r — ^-
r 5 p
ri de - la - de - ri - de - la,denn an-ders hat das Ding ja gar nich ge- klun-gen
-_-_
-—X^ZL^--.
val - la - de - ri - dum ■ da.
2. Ä Kiistel hing da an der Wand, valladeridumdii,
bein l'feiflein dran von allerhand, valladeridumdii.
Da hat Äner mit Fingern drauf rumgegriffen, valladerideladeridoladcridela,
Da ha'n die Pfeiflcin juchhee gepfiffen, Talladeridumdü.
Kleine Mitteilungen.
89
Und Äner hat woll'n ä Schachtel
schneiden,
Der Andre hat gewunken, er sollt's
lassen bleiben,
Und Äner wollt' äu meßingen Dalmus
fressen,
Nee Vater, das Ding kann ich gar
nicht vergessen.
Da is Äner in an hölzern Butten
neingestieg'n,
Ä ganze Weil hat er still geschwieg'n.
Auf einmal reißt er sei Guschen auf
Und macht an Lärm, das war ä Graus.
5. Zuletzt da bring'ns an Pudelhund,
Den ha'n se mit'n Kopf in's Wasser
neigetunkt.
Da ha's se de Leute ja so bespritzt.
Dass Jeder hat sei Gusch'n ab-
gewischt.
6. Nee Vater, wenn Du das Ding hätfst
gesehn,
Ä halbe Bier hätt'st auch gegeb'n,
Ä halbe Bier, ;i Seidl Wein
Auf'n Sonntag wird's wohl wieder
sein.
Vorstehendes Lied ist aus dem Munde eines 1799 geborenen Handwerkers
niedergeschrieben.
Dresden. Paul Emil Richter.
Nachtrag.
Eine vollständigere Passung (B) steht in L. Erks hsl. Nachlass auf der König-
lichen Bibliothek zu Berlin Bd. 7, 16j:
Alle.gretto.
(d'O
Bayrische Vesper.
Aus Neunkirchen im Odenwald 1S4Ü.
i-t
Ef=ztr:f=zt^Eie=:rz=g=z
1. Zu Landshut in der ul - teStodt,
va - la - di - ra - drum- tra, hört
Tzr^ ^ — y/ — ^-i ^ — ^ — J.-.^ — J? — • — ^ — «-1 ■!■ w—'
was sich jüngst zu- tro - ge liot, va - la - di - ra-drumtra. Do bin i in
a.',
4=^=
-0 — ^
-P=|-
-^^
. — j:^»/ — ^ — • — ^,_p-B — I — K^— — K
-•>
i
Kirch ge-kum-me, va ■
la - di - ra ■
-5— -
dum - tra.
viel Wun- der- ding hob
^;l|3iEH^^iiEaEi
ver-numme, va - la - di - ra - dum - tra.
Do woren Männer groß un klan,
Stüoker vierzi, wie i man,
Hoben olle gsunge, hobn alle glese,
Sin gewolti stark im Handel gwese.
A jeder hot en Zettel gehet,
Druf woren Hoken krumm un grod.
Und wann der an hot angehobe,
Glei hot der andre nachgeschobe.
i. Un warm der dritt is ausgewischt,
Glei hot eich a der viert nei gemischt.
Viele wollten Schochteln schneide,
Aner hot gewunke, soUens losse bleibe.
5. Ebbes het i schier vergesse,
Zwa wollten messene Därme fresse.
Ans müßt ihr aber a no wisse,
Zwa hoben gar in Prügel bisse.
90 Kiclitor-Bolte :
(i. Aner hot en Bettstolle tröge, 10. Uf e nml war es mäuslistill.
Do is e geler Worm rauskroche, I hob nur schaut, wos gebe will.
Der Schweinpelz nahm den Worm Do hobens Lames-dames gesunge,
di Gosche Un aner is in e Butt nei gsprunge.
Hot di Hacke gwolti ufgeblose.
11. Hn wie er war in die Butt gestiege,
7. Aner hielt in linker Hand Hot er erst e Bissei still geschwiege,
En hole Bam mit Stricke drufgespannt, No leert er seine Gosche aus,
Di hot er mit em Holz gefidelt, Macht die Leut aus, de.-^ war e Graus.
Do wor e Gaulsschwanz dran geknittelt.
12. L'n wie des alles sor is gwese,
8. Aner hot e Trummle gehet, Hot er cbbes aus em Buch lier glese,
Uf die er gwolti geschloge hot, I sog dir, wann desDini: hattst gesehen.
Des hot dir brummet no so sehr, E Masle Biere hättst drum gegeben.
Als wenn e Wetter am Himmel war.
Vi. Zuletzt brochtens gor en Pudelhund,
9. Un e Kaste stand an der Wand. Den hobens mit der Gosche ins Wasser
Druf woren Hölzli allerhand, gedünkt;
Un wann mr do druf rum gegriffe, Do hob i aber hcrzli gelacht
Glei hoben alle Hölzli pfiffe. Un hob mi aus em .Staub gemacht.
Eine 183.S in Dreieichenhain bei Frankfurt a. M. aufgezeichnete Fassung (C)
in Erks Nachlass 7, 164 beginnt: 'Zu Langsdorf in der große Stadt, drala rala
ridum da, wo's immer was zu vespern hat' (G Str. mit Mel.). Auch Schmeller,
Die Mundarten Bayerns lb21 S. 253 führt einige Zeilen aus der 'Vesper von Lands-
hut' an. — In einer anderen Fassung (D^, die nach Erk (Deutsche Volks-
lieder 2, 1, 50 nr. 43. 1841) 1790 von den Mönchen der Abtei Erbach bei Mainz
gesungen wurde, geht eine Einleitung vorauf:
Vetter, loß dir Wunder soga, ,Chor:,i Hör mir zu!
Was sich neuli hot zugetroga. (Chor:) Bin i nit a braver Baa?
Es sind 41 zweizeilige Strophen mit anderer Melodie. Aus A. v. Arnims Xachlass
hat Erk (Nachlass 7, 1G6) eine weitere Aufzeichnung (E) von ISÜtJ (23 zweizeilige
Str. mit Mel.) kopiert: '0 Vota, lost euch Wunda soga, volotoro', mit der Über-
schrift 'Bairisch Kirchenlied', Der Name Landshut ist in DE fortgefallen, wäh-
rend er in C zu Langsdorf entstellt ist.
Das Lied auf die Landshuter Vesper ist aus einem nichtstrophischen Dialekt-
gedichte des 17. Jahrh, hervorgegangen:
Vatter, i mueß dir Wunder sagen.
Waß sy nachten zue hat tragen
Z Lanzol dinen in der Stadt ,130 Verse).
Eine um 1670 aufgezeichnete P^assung teilte Blümml (Zs, f, hochdeutsche Mund-
arten 6, 228. 1905) aus einer Tübinger, eine etwas jüngere A. Hartinann (Bayerns
Mundarten 1, 225. 1S91) aus einer Münchener Hs. mit. Drei spätere Bearbeitungen
lassen die Beziehung auf Landshut fallen: 1. A. Blumauer (f 179s), Der evan-
gelische Bauernjunge in der katholischen Kirche (Vater, hörts nur Wunder an.
182 V. Sämtliche Werke 1819 7, 41 = 1827 2, 12 = 1830 1, 90 ^ 1841 3. 133.
Gerning, Reise nach Österreich 1,86. 1802 = Radlof, Mustersaal aller Mund-
arien 1, 156. 1821). — 2, Ein Gedicht, welches ein evangelisch - schwäbischer
Bauernknabe seinem Vater erzählte, als er das erstemal in die Stadt, und allda in
eine katholische Kirche kam (16 S. o. 0. um 1800. Berlin Yd 7906, nr. 56: 'Vata,
höar nu Wunder an'; 301 V., dazu ein Lied: 'Als d' Juda unsarn Heara bald
gfanga habn ghabt', 10 Str.). — 3. Der Neuling in der Kirche, 176 V. aus dem
bayerischen Schwaben: 'Vater, heer niT Wonder a' (Schmeller, Die Mundarten
Bayerns 1821 S. 547; vgl. Hartmann 1, 235. 238).
Kleine Mitteilungen. 91
Dasselbe bayrische Gedicht des 17. Jahrh. liegt noch einem zweiten Liede
zugrunde, in welchem nicht ein Knabe, sondern ein erwachsener Bauer eine
Kirchenmusik beschreibt:
1. Ei denkt, mich arme Bauersmah, hum, hum.
Kam letzt das liebe Frummthun a, hum hum.
(22 Str. mit Mel. wie 'Es ritten drei Reiter zum Tore hinauB). Aus F. Nicolais hsl.
Sammlung in Erks Nachlass 30, 590. — 2. 'Denkt doch, mich armen Bauersmann'
(19 Str. in einem um 1800 gedruckten Flugblatte; Vier Lieder, Leipzig, Solbrig.
Berlin Yd 7907, nr. 38 und Yd 7925, nr. 45). — 3. 'Och denket mek oarmen Buers-
mann' (7 Str. aus Halberstadt. Firmenich, Germaniens Völkerstimmen 1, 171). —
4. 'Ach hört mi armen Buersmann an, hm hm' (22 Str. mit Mel. aus einer Hs. von
1791 in Erks Nachlass 5, 118). — ä. 'Ach hört mi armen Bursmann an" i'23 Str. aus
einem Berliner Liederbuch ebd. 5, 119). — 6. 'Ach hört mi armen Buersmann, hm
hm' (IG Str. aus dem hsl. Liederbuch eines Bauern in Nauen bei Berlin ebd. 5, 124).
— 7. 'Ach hört mich armen Bauer.smann' ^29 Str. mit Mel. John, Volkslieder aus
dem Sachs. Erzgebirge 1909 nr. 205). — 8. 'Mey, hiert mich orma Bauersmoun' 1 19 Str.
E. Hennig, Reisen in Schlesien 1799 S. 132). — 9. *Schlesische musikalische Blumen-
lese 3. Jahrg., 4. Heft. Breslau 1S05. — 10. 'Vernahmt mich orma Bauersmän' (18 Str.
mit Mel. aus Schlesien. Erk, Volkslieder 1,5, 38 nr. 33. 1840). — 11. 'Vernahmt mich
armen Bauersmann' (18 Str. mit Mel. aus Schlesien durch Hoffmann v. F. 1S42 in
Erks Nachlass 5, 123X — 12. 'Vernahmt mich ormen Pauersmohn, hebe' 17 Str. mit
Mel. von der Gräfin Reichenbach, Waltersdorf 1843. ebd. 7, 560). — 13. 'Mer (^uam
a mal das Fromthon an' (16 Str. Liederbuch eines Soldaten aus Seelow. ebd. 5, 125)
— 14. 'Enem Bua kem dat Frommsen an' (8 und 9 Str. Frischbier. Preussische Volks-
lieder in plattdeutscher Mundart 1877 nr. 25a— b). — 15. 'Es war einmal ein Bauers-
mann' ^9 Str. mit Mel. aus Berlin. Erk, Volkslieder 1, 3, 64 nr. 68. 1839). — 16. 'Et
war n mahl n Bueasmann' (9 Str. aus Halberstadt. Firmenich 1, 172). — 17. '0 Greete,
wat hebb ick esehn' (16 Str. aus Osnabrück Firmenich 1, 247). — 18. 'h-k on onser
Nopfers Mon' (8 Str. aus dem Kuhliindrhen. Zs. f. österr. Vk. 10, 111. 1904 = Unser
Kuhländchen 1, 277. 1911\ — Unzugänglich war mir Blümml. Der Bauer in der Kirche
(Deutsche Mundarten hsg. von Nagl 2, 169. 1906).
Das bayrische Diaiektgedicht hat endlich auch in Salzburg wiederholt das
Vorbild zu scherzhaften Beschreibungen eines Kirchenfestes abgegeben:
1. 'Loß, Riepel, i muß da was wunderliß sogen'. 1751 (33 Str. Bayerns Mda. 1, 229).
— 2. 'Gott gseng enckh Essn, das haist an Lenckhn hergsössn'. 1758 (14 u. 16 Str.
und Rezitative. ebd. 1, 295). — 3. J. M. Kagerer 1759: 'Gott gseng enks. olli Herrn,
und laßt enks brav schmöcka' (28 Str. ebd. 1, 231. Süss, Salzburger Volkslieder 1865
5. 99. Kohl, Heitere Volksgesänge 1908 nr. 78. Sehottkys Volksliedernachlass hsg.
von Blümml 1912 nr. 33). — 4. Die Duxer Messe: 'Ich gang amöel ge Zell dürchö'
(9 Str. Bayerns Mda. 1, 233. 239. Lutterotti, Gedichte im Tiroler Dialekt 1854 S. 44.
Frommanns Deutsche Mda. 5, 100. 1858. Süss 1865 S. 107. Die Heimat 1, 208;
Meran 1912-13).
Übrigens ist der die Kirchenmusik anstaunende Bauer ein altes komisches
Motiv. In Freys Gartengesellschaft c. 54 betet die Biiurin die Orgel im Strass-
burger Münster an; in den von Jellinghaus herausgegebenen niederdeutschen
Bauernkomödien 1880 S 154 und 2.15 erzählt ein Bauer, wie der taktschlagende
Kantor den Jungen winkte stillzuschweigen, diese aber immer lauter schrien; vgl.
J. P. de Memel, Lustige Gesellschaft 1656 nr. 2 und J. Leseberg, Jesus duodecennis
1610 Bl. E3b. Ebenso beliebt waren bäurische Schilderungen einer Theaterauf-
führung: Pirmenich 2, 176. 181. 188. 447. 3, 278. A. Pölz bei Blümml, Schottky
S. 145.
Berlin. Johannes Bolte.
;t-2
Clauss-Mangler:
ll^^^
Volkslieder aus dem Odenwald»).
1. Die heiljgen drei Könige.
^^^^^^^=^^^^^
'Ilir lieil - gen drei Kö - nig aus Mor - gen-land, wo wol - let ihr
1=
^ig^^^
hinV — „NachBeth - - le - hem."
2. „Nach Hetlilelieni steht unser Sinn, 7.
Wir wolln anbeten den Herrn Jesum
Christ.'-
3. 'Ihr lieben drei Herren, bleibet heute
bei mirl 8.
Iih will euch guten Wein und guts
Hier."
1. -Ach nein, ach nein, tlas kann ja U.
nicht sein,
In dreizehn Tagen vierhundert Meil."
ö. 'Ei warum ist denn der mittel so 10.
schwarz'?'
„Es ist der König aus Morgenland."
6. 'Rist du es der König aus Morgen- 11.
bind,
So reiche mir deine rechte Handl'
,,Meine rechte Hand die reich idi
dir nicht,
Denn du bist der Herodes, ich traue
dir nicht."
Sie gingen alle drei den Berg hinauf,
Da sahn sie den Stern wohl über dem
Haus.
Sie gingen alle drei ins lluus hinein,
Da fanden sie die Mutter und das
Kind allein.
Sie fanden das Kind ganz nacket und
bloß
Und legtens der Maria auf ihren Schoü.
Sie schenkten der Mutter eine goldene
Krön,
Bis übers Jahr einen neuen Sohn.
Die iilteslon Aufzeichnungen dieses Ansingliedes stammen aus dem IG. Jahr-
hundert (Wackernagei, Kirchenlied 2, nr. '.118— 9'21. Erk-Böhme, Liederhort 3, 10'.'
iir. ULM ff. Vogt, Die schlesischen Weihnachtspiele 1901 S. 300). Die drei Teile
desselben, das dramatisch wirkende Gespräch der Könige mit Herodes, die An-
betung des Christkindes und die Bettelreinic am Schluss, sind in unserer Fassung
trotz mancher Entstellung deutlich zu erkennen. Die erzählende Einleitung (Drei
König kamen in Herodes Land . . .) ist freilich bis auf einen in Str. 4 rer-
sprengten Rest (Sie ritten daher in schneller Eil, in dreizehn Tagen vierhundert
Mei!) verloren gegangen. 'Morgenland' in Str. 5 — 6 ist aus 'Mohrenland' entstellt.
I>er letzte Vers 'Bis übers Jahr einen neuen Sohn' stammt natürlich aus dem
Danke, mit dem die Sternsinger nach erhaltener Spende sich von der Gebern ver-
abschieden (Man hat uns ehrcntleichen geben, der liebe Gott laß euch mit Freuden
leben usw.). — Zur Verbreitung des Liedes vgl. Erk-Bühmc 3, Uli, Schweizer
Volkskunde 4, MÜ und fiewalter, Kinderlied 11)14 S. 394 zu Nr. 713. Ähnlich
niederländisch bei F. van Duyse 3, 2041 nr. 528; danisch bei Nyerup, Udvalg af
danske Viser 1, 278 nr. 5ö (1821).
Bei dieser Gelegenheit sei es verstattet, von einem um IsOO gedruckten
Nürnberger Kupferstiche (auf dem Germanischen Museum), der den Umzug dci
Sternsinger darstellt, die Melodie eines Sternsingerliedes mitzuteilen, zu dem
der Text leider nicld überliefert ist:
1) Vgl. oben 20. 401.
Kleine Mitteilungen.
93
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2. Marias Wanderung.
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1. Ma - ri - a woll-te wal
len, wollt al - le Land aus - 2:ehn,
wollt
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su-chen ih- ren .Sohn
den sie ver-lorn hat schon.
2. 'Wir haben ihn gesehen
|: Vor eines Juden Haus :|
Schaut er ganz traurig aus.'
3. „Was trug er auf seinem Haupte?"
\: 'Eine dörnerische Krön, :|
Das Kreuz trug Jesus schon.
4. 'Das Kreuz muli .lesus tragen
i: Von Jerusalem in die Statt. ;,
Wo Jesus gelitten hat.
5. 'Maria, du sollst nicht weinen.
: Sollst auch nicht traurig sein.
Das Himmelreich ist dein.
6. 'Das Himmelreich geht über,
1: Geht über Gut und Geld, ;
Geht über die ganze Welt.'
Vgl. Erk-Böhme 3, 756 nr. 2058—2062. Priedlaender, Hundert deutsche Volks-
lieder nr. 76 (Siebengebirge). Köhler-Meier nr. 1. Dunger-Reuschel 1915 S. 236.
Schlossar S. 0. Blümml, Beiträge zur dt. Volksdichtung 1908 S. 29. Hauffen,
Gottschee Nr. 4. Thirring-Waisbecker, Zs. f. öst. Volksk. il, 184 nr. 27 (Heunzen).
Wolgakolonien 1914 Nr. 10. — Ähnlich Waldau, Böhmische Granaten 2, 169.
3. Der ungeschickte Wildschütz.
;p
1. Der Salz-bur-ger Bau- er hat ein ein - zi - gen Sohn: wenns heisst im Wald
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schiessen, hängt ers Flintlein schon an: Ich schiess die Ha-sen und du schiesst die
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-1-
Reh, und i tausch mit keim Gra - fen und i tausch mit keim Fürst.
94
Clauss-Mangler, Englert:
Heut hats im Wald gscliosse,
Es hat mich sphr verdrösse:
I' hab gemeint, ich scliieS e
Hlrsclüein,
Und iiab e Kuli geschosse.
Die hat moineni Nachbar g'hört.
Der hat schrecklich lamentiert.
'Schweig still, mein lieber Naclibar,
Schieß e Hirschlein dafür."
Gestern abend bin i heinigange,
Käme Jäger zu mir,
Das weis i aber doch net,
Wams drei oder wams vier.
Die haben gschaut, was i trag
I'nter meinem Gwehr und meiner
Tasch;
Gsagt hab i's aber doch net,
Und gschmeckt habe sie's net.
Vgl. Seckendorfs Musenalmanach für das Jahr 1808, S. 57: 'Bin a Salzburga
Baua bei mein bestn Jahrn' (8 Str. zu 6 Zeilen). Eine andre Fassung aus dem
Odenwaide erhielt Erk (Naehlass 31, 807; 1858 von W. v. Plönnies in Darmstadt:
'Ich bin ein Salzburger Hauer" (4 Str.).
4. Der geschlagene Ehemann.
1. Ein Frau wnllt wall- fahr- tegehn, he juch- he, IhrMann wollt a mitgehn
ei dideldum dumdumdum, ihr Mann wollt a mitgehn, ei di-del - di-del-dum.
'Mann, du mußt zu Hause bleibe,
Mußt Messer und Gabel abreibe.
Messer und Gabel nicht allein.
Auch das kleine Schmalzgändelein.'
'Mann, wieviel Hühner habe glegt?"
S schwarz unds weiß habe gelegt.
S schwarz unds weiß nicht allein.
Auch das kleine Junghendelein.
'Mann, wieviel Eier hasch der ge-
backe?'
I hab mer keins gebacke.
7. Die Frau die hält (holt?) d' Ofegabel.
Schlägt den Mann, daß er zappelt.
8. Der Mann springt zu der Hintertür naus,
Springt in sein Nachbars Haus:
9. 'Herr Nachbar, was will i sage,
Mich hat mein Frau so gschlage'.
10. 'Mein hat mirs a so gmacht.
Morgn woUn mer früh aufstehn,
WoUn zum Herr Amtmann gehn.'
11. 'Herr Amtmann, vvas wolle mir sagn,
Uns habe unser Weiber so gschlagn."
12. 'Ihr seid halt Weiberknecht,
Euch gschiehts des Teufels recht.'
Variante zu Str. 3— G: Zu Hause bleib i net, Messer und Gabel reib i net.
Str. j lies Schmalzpfändelein?
Vgl. Erk-Böhme 2, 694 nr. 907—909. Süß, Salzburg 1865 S. 63. Kohl.
Tiroler Lieder 1899 nr. 181. Schottky, Volksliedernaohlass ed. Biümml 19l2
1, 80 nr. 22. Kirschner, Aussiger Gau 1898 S. 59. Heimat (Meran) 1912—13, 46.
Strackerjan, Oldenburg^ 2, 236. Wendisch: Haupt - Schmaler 2, 83 nr. 93. —
Verwandt ist das Lied 'Es war ein kleiner Wann' bei Krk-Uöhnie 2, 686 nr. 895.
Köhler-Meier nr ::1(». Marriage nr. 195. Bender nr. 130. E. John 1909 nr. 114.
Gassmann 1906 nr. 67. Amft nr. 519. Dunger 1915 S. 160. Schremmcr nr. 144,
Lewalter, Kindcrlied S. 362 und 425 zu nr. 321. Tobler 1903 S. 73. Zs. f. österr.
Volksk. 15, 135. Jungbauer, Bibliographie des Volksliedes in Böhmen 1913 S. 100
nr. 532— 534. — Ähnlich dänisch: Grundtvig, Minder 2, 288 = Berggreen, Felke-
Kleine Mitteilungen. 95
sänge' 1, 257 nr. 171. Kristensen, Skja»mteTiser lyOl S. 112 nr. 2.3 (Anmerkung).
Norwegisch: Bugge, Folkeviser fra Telemarken 18.59 S. 20 = Folke 1, 368.
Französisch: Ärnaudin, Grande-Lande 1, 254—279 (Frau spottet über ihren
kleinen Mann).
Bretten. Lina Clauss-Mangler.
(Anmerkungen von J. Bolte.)
Zu dem Spruch 'Hätt's Gott nicht erschaffen'.
(Oben 5, 355.)
Das Münchener Nationalmuseum besitzt ein ungefähr 18 x 12 cm grosses,
vermutlich aus einem Stammbuch herrührendes Blatt, auf dem die folgenden, von
alter Hand geschriebenen Verse stehen:
Hets Gott nit Erschaffenn
detens Nitt Nünen vnd paffen
Wers Vngesnd detens die Dökdor nit pflegen
dets weh lis man es gar Vnder Wegen.
Darunter befindet sich eine aquarellierte Handzeichnung. Ein vornehm ge-
kleidetes Liebespaar sitzt unter einem Birnbaum (Quittenbaum?) auf einem mit
Blumen bedeckten Hügel. Der Mann, in der erhobenen Linken eine goldene
Schale haltend, kehrt dem Beschauer den Rücken zu und hat das Gesicht nach
rechts zu der Frau gewendet, die sich zärtlich an ihn anschmiegt. Unten steht
in lateinischer Schrift lAPR (P aus Versehen für H?) und darunter 1601.
Vollständiger lautet diese Verteidigung der geschlechtlichen Liebe in einer
Eintragung von 1644 bei R. Reil, Ein denkwürdiges Gesellen-Stammbuch 1860
S. 45;
Wenns Vnrecht wer, so hets Gott nit erschaffen.
Wenn es Sund wer, so tlietens nicht die Pfaffen.
Wenn es vngesundt wer, so thetens die Doctor nit pflegen.
Wenn es nit woU thet, so Hessens die Weiber vnderwegen.
Ähnlich in einem Jenaer Studenten-Stammbuch von 1753 bei Keil, Die
deutschen Stammbücher 1893 S. 2.)8: 'Lieben ist nicht wider Gott.' Aus dem
Jahre 1772 stammt eine Aufzeichnung im Stammbuch der Seifensiedergesellen der
Stadt Punitz (Histor. Monatsblätter für die Provinz Posen 8, 61. 1907):
Das lieben ist nicht wieder Got, sonst hätte er es nicht erschaffen.
Keine synd kann es auch nicht seyn, sonst lissen es die Pfaffen.
Und wäre es sehr ungesundt, so würden es die Ärzte meiden.
Und gewisslich, thät es wehe, so würd es keine Jungfer leyden.
Fast ebenso in der oben 6, 603 von mir mitgeteilten hsl. Fassung nach
1768: 'Es ist nicht wider Gott''). Auf eine in Christian Weises 'Überflüssigen
1) Zu den ebd. 6, 303 nr. 6 abgedruckten lateinischen Spottversen auf die
Mönche kann ich nachtragen, dass sie in etwas andrer Fassung in der Aurifaber-
schen Sammlung von Luthers Tischreden {Eisleben 1566 BI. 617 = Ausgabe von
Förstemann 3, 301) begegnen: „Encomium Monachorum. Einer sagte ein Mal zu
Doctor Martin Luthern über Tisch diesen Vers von den Mönchen:
0 Monachi, ventres pigri estis, amphora Bacchi,
Vos estis, Dens est testis, turpissima pestis.
Das ist: Die Mönche sind faul und saufen sehr,
Sind böse Wurm, bezeugt Gott der Herr."
96 Englert, Kopp:
Gedanken' S. IOC enthaltene Verbreiterung des Spruches hat Erich Schmidt oben
."), 3.j.') nr. ■_' hingewiesen und bemerkt, dass der Volksreim noch heut in Österreich
fortlebe. Dies kann ich aus einem 1893 zu Ruma in Syrmien geschriebenen
Liederhefte bestätigen, das Herr Dr. A. Byhan in Hamburg dem Herausgeber
dieser Zeitschrift übersandte. In einem aus verschiedenen Bestandteilen zusammen-
geflickten Liede 'Die Mädchen sind wie der Wind' (oben 26, :J36) lautet hier Str. 7—8:
Und wenn das eine Schande war, so hiitts Gott niclit erschaffen;
Wenn das eine Schande war, so tätens nicht die Pfaften.
Und wenns der Gsundheit schädlich war, so täts der Doktor meiden,
Und wenns den Mädchen weh tat tun, so täten sics nicht leiden.
Der Spruch muss aber bereits im 16. Jahrhundert verbreitet gewesen sein;
denn die letzte Zeile, welche in der oben G, 303 erwähnten Aufzeichnung des
18. Jahrhunderts also klingt:
Und WRnn es wehe thätt, su thätts kein Mädl leiden,
finden wir schon in Hieronymus Bocks gereimter Satirc "Der rollen brüder
orden'') Bi. B4b in etwas abweichender Form angeführt:
Esel wein. (int Latin, hat nur zwo sylba.
Noch lindt man ander wein trollen, Darzu kreichen sie also sehr,
Wann sie des haben ein vollen. Hei jn gierten suiist nichts gelten mehr.
Rhümen .sich jrer lehr vnd kunst, Bald faliends an zu figurieren.
Was sie zu Dauender vnd sunst l>er graw esel will auch Ba.ssieron,
Zu Löuen lioch studiert haben Kan Solmisiiren Vt Ke FA l{e
Griechisch Latinisch buchstaben, Ita Vt Fa Re mi la Rc.
Kennen drei .J. im ABC, Der Text aber heist: Thet es wehe.
Vorn stehts A, in der mitt ein T, Die meidlin Hessen d knaben
Die machen ein Wort, heist Ita'), gehn°).
Da die durch Solmisationssilben bezeichneten Noten das Bruchstück einer
Melodie bilden, so ist anzunehmen, dass der von Bock angeführte Text einem
gesungenen Volksliede entnommen ist. Vielleicht vermag der eine oder der andere
Leser dieser Zeitschrift hierüber Aufschluss zu erteilen.
1) Erschienen vermutlicli zu Strassburg zwischen 154;; und 1550. Vgl. Strauch,
Vjschr. f. Litgesch. 1, 90—97. 2, 497.
2) Als klangmalende Bezeichnungen für das Eselgeschrei führt Grimms
DWb. 4, 2, 201(1 die Kornion ia. ya(h), chika, gigag, hika, ihUi'a und ika an. aber
nicht die obige Form.
3) Auf diese Stelle wurde ich durch den folgenden Hinweis in Fischarts
Praktik (Scheibles Kloster 8, 613) aufmerksam: „Es werden sich auch jhren viel
lieber frü niderlege.-i, dann frü auffstehen, nachdem ein Bachofen voll Lieb da
regiert; dann es heis., wie H. Bock reimet: Thet es wehe, die Meidlin Hessen die
Knaben gehn." — Den ähnlichen Gedanken, dass Frauen liebe mehr wert sei als
alle andern Vergnügungen, ver.sinnlicht ein öfter wiederholter Holzschnitt
des IG. .lalirhunderts, durch vier mit (iraben, Fischen. Falkenjagd und Feuer-
anblasen beschäftigte Männer und ein sie verlachendes Mädchen (Wickram. Werke
5, XCIII'. E. Fuchs, Die Frau in der Karikatur 190G S. 182. .1. v. d. Pleyden,
Speculum Cornelianum 1G18 nr. 34). — Einigermassen verwandt sind die Dar-
stellungen der vier Alter der Liebe (Wickram, W.5, CIX und S, 350. Diederichs,
Deutsches Leben der Vergangenheit 1, 150 nr. 488. De Bry, Emblemata 1611, Neu-
druck 1894 nr. 25. .L v. d. Heyden, Öpec. Cornelianum 1618 nr. ;!5. VgL Gassmann,
Das Volkslied im Luzerner Wiggertal 190G nr. 108 'Ist das Mädchen achtzehn .lahr").
München. Anton Englert (und J. Bolte).
Kleine Mitteilungen. yj
Lieben kein Verbrechen.
Das gellügelte Wort „Ist denn Lieben ein Verbrechen" wird bei Büch-
mann (20. Aull. 1900 S. 330 u. ö.) auf eine Ode von A. Pope (1708) zurück-
geführt und im Bereich der deutschen Dichtkunst mit Stellen aus Gellerts Lust-
spiel Die zärtlichen Schwestern' (174T), Lessings Trauerspiel 'Sara Sampsoii' (17.j5),
Wielands 'Grazien' (177(1), C. F. Weißes 'kleinen lyr. Gedichten' (1772) belegt,
worauf dann die bekannten Anfangsworte des nach Angabe von Erk-Böhmes Lieder-
hort (2, 4Ö4 Nr. 645) schon vor ISIO entstandenen Liedes angeführt werden. Dieses
findet man, meist vierstrophig, ausserdem noch in Bernhardis Liederlexikon (2, 234
Nr. ir.tl), in Härteis Liederlexikon ('S. 3:!1 Nr. 428), in Wustmanns Liederbuch
f.. altniod. Leute (" S. 4G4 vgl. 622), bei Köhler-Meier, Volkslieder von der Mosel
und Saar (S. 44 Nr. 3(1, hier 2 achtz. Str.), in der Liedersammlung des Studenten
F. Rolle 1S46/47 (v. O. Stückrath): Hess. Blätter f. Volkskde. 11, s2 u. ö. Vgl.
Hoffmann -Prahl, Unsere volkst. Lieder* S. 157. Prahl verweist auf eine Stelle
bei Kopp, Deutsches Volks- und Studenten-Lied (S. 285) aus der Handschrift eines
ungenannten Schlesiers „Ist Lieben ein so groß Verbrechen", was auch die
Herausgeber der späteren Auflagen von Büchnianns Geflügelten Worten (''^1903
S. 34^ usw.) sich zunutze gemacht haben. Abgesehn von einem Nachtrag im
Euphorion 13, 131 mögen hier zu den vorstehenden einige fernere Belegstellen
hinzugefügt werden.
Vor allem findet sich mehrere Jahrhunderte vor Popes „'t is no crime tolove"
in den Carmina Burana S. 171 'Non est crimen amor, quia, si scelus esset amare |
nollet amore deus etiam divina ligare'.') In der 1722 erschienenen Oper 'Das
eroberte Jerusalem' von Joh. Sam. Müller, 2. Handlung, 2. Auftritt kommt vor:
.„Ist Lieben ein Verbrechen?" Ahnliche Wendungen trifft man auch in der Lieder-
dichtung des 1>;. Jahrhunderts an. ohne dass ein unmittelbarer oder auch nur
irgendwie mittelbarer Einfluss Popes darum anzunehmen wäre. So bieten
Le Pansivs-) Poetische Grillen, Erfurt 1729 S. 33:
Ist denn mein Lieben ein Verbrechen,
Und meine nie gebrochne Treu?
So will ich selbst mein ürthel sprechen,
Dass ich des Todes würdig sey.
Vom bekannten Sperontes (Scholze) enthält 'Singender Muse an derPleisse Zweyte
Fortsetzung" (1743) ein Lied (Nr. 21), das beginnt „Mein Engel nimm zu Herz und
Ohren", das in sechs sechszeiligen Strophen verläuft, und wovon die vierte Strophe
lautet: „Ist redlich lieben eine Sünde? | So wirf den ersten Stein auf mich" . . .
Dieses Lied kommt auch in fliegenden Jahrmarktsheftchen vor, z. B. Berlin
Yd 7909 St. 43 Mein Engel, nimm zu Herz und Ohren . . . ü Str. 4: Ist
redlich lieben eine Sünde . . . Straßburg U und LB Sammelm. IV St. 50 Willst
Du mich nicht, mein Kind mehr lieben ... 9 Str. 3: Nimm dieses doch zu Herz
und Ohren ... 6: Ist redlich lieben eine Sünde . . .
1) [Ähnlich lautet Chr. Weises Beweisführung (Der grünenden Jugend über-
flüssige Gedanken 1668 = Neudruck 1914 S. 98. Oben 5, 355) :
Ihr Leute lasset euch in Liebessachen ein!
Dann wo die Liebe nicht auff Erden solte seyn,
So war das liebe Ding die Eva nit geschaffen . . .
Eine offenbar ältere Fassung ist oben 6, 303 mitgeteilt:
Es ist nicht wider Gott,
Sonst hätt' ers nicht ei'schaffen . . Ferner s. oben S. 95.]
2) Deckname für Joh. Carl Kell, geb. 1693 zu Zwochau (oben 23, 392).
Zeitschr d. Vereins f. Voltskunde. 1918. 7
98 Kopp, Stückrath:
Hierher gehören auch Stellen wie von Friedrich Müller in Könneckes
Literaturatlas -S. 257: „o wer wollt' auf Erden leben, ' wenn die Liebe Sünde
wiir" — oder in einem Plugheftehen Yd Tül'.t Stück 84 "Sechs schöne Neue Lieder'
an vierterstelle „Jenseits wart ich Dein, Zilinde" die zweite von acht (4 z.)
Strophen im ganzen: „Dort, wo Liebe kein Verbrechen | Gleich gestimmter
Seelen ist" — oder im Lie<le .Schön ist die Jugend- z. B. Erk-lrnier 1.S41 H. G,
S. 25 Nr. 2t> von 6 Strophen die vierte:) „Ist denn Lieben ein Verbrechen'" u. a. m.
Auch für das Lied, von dessen Anfangsworten die geilügelie Redensart
Schwungkraft und Hauptanstoss erhielt, lassen sich fliegende Drucke nennen —
mit etwas abweichendem Heginn „So ist lieben ein Verbrechen" Yd 'i'M)2. III und
Yd 7903: 'Vier sehr beliebte neue Lieder B. Z. (169) d. i. Berlin, Zürngibl —
Yd 7904, IV (196) — und wie sonst üblich beginnend „Ist denn Liebe(n) ein
Verbrechen" Yd 7903 (215), Yd 7908 (05), Yd 7918 St. 14, Yd 7932 St. 15 u. a. m.
Weiteres über Lied und geflügeltes Wort findet man schliesslich bei J. Meier,
Kunstlieder im Volksmunde S. 75 Nr. 480 und Einleitende Bemerkungen S. LX bis
LXll, sowie, neuerdings in dessen 1917 erschienenen Volksliedstudien S. o, o7— 42.
Wenn er in letzterem Buche (S. 37) aus Königs Gedichten (Hamburg u. Lpz. 171 ii,
Vorw. 1713) anführt „Ist Lieben ein so groli Verbrechen" (Arie, 7 Zeilen), so hat
er damit zugleich den Verfasser für das damit identische Gesangsstück, auf das
oben, bereits hingewiesen wurde, das bisher nur aus der Handschrift jenes unge-
nannten Schlesicrs mitgeteilt war, unzweifelhaft ermittelt.
Nicht nur durch die gleiche Strophenform, die zu den gebräuchlichsten und
volkläufigsten innerhalb der deutschen Dichtung gehört, eine blosse Verdopplung
der allgemein verbreiteten einfachen vierzeiligen Form (4 m 3 w 4 x ab . . . cd),
sondern auch durch Inhalt und Färbung, durch das ganze wehleidig empfindsame
Liebesgewinsel fühlt man sich gemahnt an das wegen seiner süsslich lüsternen,
katzenjämmerlich mauzenden Erapfindelei berüchtigte, wegen der einschmeichelnden,
schmelzenden Melodie jedoch unverwüstliche Lied vou gleichfalls unbekannter
Herkunft ..Guter Mond, du gehst so stille". In beiden Fällen handelt sich's
olTcnbar um hotlnungslose, sündhafte Liebe, sträflichen Umgang und verbotenen
Genuss, wenn auch nur in Gedanken, wodurch in dem einen Liede die sophistische
Frage veranlasst, im andern der gute Mond zum -Schluss aufgefordert wird, ins
Kämmerlein der Angebeteten zu schleichen und ihr zu sagen „daü ich sie liebe . . .
daß ich aber schon gebunden . . . und dal.1 ich nicht ohne Sünde lieben könne in
der Welt; lauf und sag's dem guten Kinde, ob ihr diese Lieb' gefällt'-. Wie
nahe liegt' hier die Frage, fast schwebt sie schon auf den Lippen: .Ist denn
Lieben ein Verbrechen'?*
Marburg in H. Arthur Kopp t-
l)as Itinglein sprang entzwei.
Bolte hat oben 20, 66 ff. über das Motiv des zerbrochenen Bingleins ge-
handelt. Es ist ihm entgangen, dass in dem vielgesungenen und weitverbreiteten,
auch jetzt noch nicht ganz vergessenen Modeliede des 18. Jahrhunderts ..Ich
liebte nur Ismencn, Ismene liebte mich," das von einem Grafen Putbus in Weimar
herrühren soll (gedruckt 1766), das Motiv des zerbrochenen Ringleins in prägnan-
tester Fassung auftaucht. Es heisst da:
Hier unter diesen Buchen
Gabst du mir Strauss und Band.
Kleine Mitteilungen. 99
Dort kamst du mich zu suchen,
Hier nahmst du meine Hand.
Dort gabst du mit Erröten
Den Ring, den Untreu bricht. —
Gedanken, die mich töten,
Ach straft Ismenen nicht!
Ct. Wustmann, Als der Grossvater die Grossmutter nahm. 4. Aufl. Leipzig
1905, S. aiSS. Friedlaender, Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert. 1902. 2, TS.
Bei der ausserordentlichen Beliebtheit, deren sich das Lied erfreute — man
denke nur an Goethes Brief an Herder 1771 (Aus Herders Nachlass, herausi;-. von
Heinrich Düntzer und Ferdinand Gottfried von Herder I, Prankfurt a. M. 1856,
S. 29): „Ich habe aus Elsass zwölf Lieder mitgebracht, die ich auf meinen Streife-
reien aus den Kehlen der ältesten Mütterchens aufgehascht habe. Ein Glück!
Denn ihre Enkel singen alle: „Ich liebte nur Ismenen." — ist es vielleicht be-
rechtigt anzunehmen, dass Eichendorlf aus ihm das Motiv des zerbrochenen
Ringieins entlehnte, es glücklich mit dem Mühlenradraotiv, das im Volksliede seit
dem IG Jahrhundert aul'taucht und in der Kunstdichtung immer wieder eine Rolle
spielt, verschmolz und so eine Einheit schuf, die in allen ihren Teilen volks-
miissig gedacht war, vom VoUie fast unverändert aufgenommen, aber auch weiter-
gebildet und zum Ausgangspunkte einer ganzen Reihe neuer Lieder gemacht wurde
und so eine ganz ausserordentlich liedbildende Wirkung ausübte.
Biebrich a. Rh. Otto Stückrath.
Nachschrift. Der obige Nachweis ist zweifellos wertvoll; allein wenn die
Worte 'den Ring, den Untreu bricht' bedeuten sollen: 'den Ring, der im Falle
der Untreue des Mädchens am Pinger des Jünglings zerspringt', so müssen sie
auf eine längst bekannte Vorstellung anspielen: sonst wäre der Ausdruck viel
zu knapp und undeutlich. Es ist mir daher wahrscheinlicher, dass EichendorfT
auf eine solche ältere Überlieferung zurückgreift als gerade auf dieses Lied.
Übrigens leitet sowohl O. v. Greyerz (Schw-eizer Archiv für Volkskunde IG, 205)
als der verstorbene Dr. Ludwig Krähe (nach brieflicher Mitteilung) Eichendorlfs
Ringmotiv direkt aus dem Wunderhornliede vom zerbrochenen Mühlrad ab. Zu
den Umwandlungen von Eichendorffs Gedicht im Volksmunde vgl. noch F. Günther,
Die schlesische Volksliedforschung 191G S. 177.
Johannes Bolte.
Kunstlieder im Volksmunde.i)
1. Gustav Pfarrius, Der Wein von 1857.
A. Originaldichtung.
1. Im Jahr achtzehnhundert fünfzig und Doch Eins und das Beste gerieth,
sieben Davon soll erzählen dies Lied.
Chor: Ja! Chor: Doch eins und das u. s. w.
Da verbrannten der Kappes und die
ßjjben 2. Zum Herrn hatte Petrus gerufen durch
Chor: Ja! des Himmels Spalten:
Da verbrannten die Braten, O Herr, hier außen ist es nicht mehr
Chor: Ja! auszuhalten!
Der Geldpotentaten, Das ist ein Gedusel
Chor: Ja! Von Bier und von Fusel!
1) Vgl. oben 23, 391. 24, 315.
100
Stückrath:
Laß wieder den Weinstock gedeih'n,
Sonst mag ich nicht Portier mehr sein !
Da sprach der Herr milde und gnädig.
Wozu denn gleich so wild und un-
fläthigV
Stopft zu an den Zinnen
Des Himmels die Rinnen!
Servaz und Pankraz bindet fest
Und Urban belegt mit Arrest!
Da tunkeltewie ein Demant die Sonne,
Und auf Erden verbreitete sichWonne;
Es quoll aus den Reben
Ein Jubel imd Leben,
Daß Noah der Alte thät schrei'n:
Ach, könnt' ich doch drunten jetztsein!
Da aber sprach Petrus zu \oah dem
Frommen :
Kannst du denn niemals genug be-
kommen?
Da drunten giebt's heute
So durstige Leute,
Daß ihnen der Schoppen zu klein,
Ging sechsmal so viel aucli hinein.
i"i. Da sind z. I!. die Männer der 'Namen-
losen',
Mit denen wünscht' ich selber einmal
anzustoßen;
Sie waren beim Sauern
Bisher zu bedauern;
Wie herrlich wird jetzt ihr Gedeih'n
Heim Siebenundfünfziger sein!
". Da schwieg Xoah, sich hüllend in seine
Tugend,
Und gedachte der schönen Zeiten
seiner Jugend,
Als im dauuiligen Weinjahr
Er der Trinker allein war;
Die zechen jetzt, dacht' er, drauf los,
Und ich sitz' in Abrahams Schooß!
S. Darum, ihr lieben Freunde und Fest-
geniissen,
Laßt uns wirken im Siebenundfünf-
zigor unverdrossen,
So lang' zum Geschäfte
Vorhalten die Kräfte;
Denn drüben in Abrahams Schooß
Macht Keiner den Pfropfen mehr los!
Gedichte von Gustav Fi'arrius, Neue Sammlung. Köln 1S60. S. 265— 2G7:
'Lied auf den Siebenundlüiirziger, nach der Melodie des Baierischen Himmels'.
Zur Melodie vgl. Erk-Böhme 3, ö.OO nr. 1764 'Nach Kreuz und ausgestandnen
Leiden'. Ein Einzeldruck (1904) o. 0. bringt geringe Abweichungen, die durch den
Charakter des Einzeldruckes, der als Tafellied bei einer Dampferfahrt irgendeiner
lustigen Gesellschaft gedient zu haben scheint, bedingt sind.'-}
2) Ein in Studentenkreisen verbreitetes Lied auf den Trojanischen Krieg (6 Str.'
ist entweder dem obigen Gedichte von Pfarrius nachgeahmt oder geht ebenfalls
auf den 'Bayrischen Himmel' zurück. Die Aufzeichnung der Melodie verdanke ich
meinem Kollegen Herrn Professor Dr. K. Knott. (J. Bolte.)
Solo.
Chor. Solo
1. Im Jah-re elf-hun-dcrt-achtundachtzig an - te Christum na-tiim, .la!
Da
woll-tc es das un- er - bitt-li-che Fa-tum, Ja!dassdieStadtTrojavomFeuerzer-
Chor. Solo.
stört \vard,.)a! Wie sowasbis dahin nochniemalser-hörtward. Ja! Wie dio-scs den
Kleine Mitteilungen.
101
B. Aus dem Volksmunde.
Es war im Jahre achtzehnhundert sechs-
und.siebzig und sieben,
Chor: Ja!
Da verfaulten die Kappes und die
Rüben.
Chor: Ja!
Da verfaulten die Trauben,
Chor: Ja!
Es ist kaum zu glauben!
Chor: Ja!
Dass derPetrus im Himmel tat schrei'n :
Jetzt mag ich kein Pförtner mehr sein !"
Chor: Dass der Petrus usw.
3. Drauf schien vom Himmel die Sonne
Und auf Erden verbreitet sich Wonne,
Und es reiften die Trauben,
Es ist kaum zu glauben,
Dass der Noah im Himmel tut schrei'n:
,Ach. könnt' ich dort unten jetzt sein!"
4. Drum, ihr Bretthiiuser, Steiner Boden-
losen,
Mit euch will ich jetzt einmal anstossen,
Denn ihr wart bei dem sauren
So sehr zu bedauren,
Euch ist jetzt jeder Schopjieu zu klein,
Ging zehnmal soviel noch hinein.
5. Drum,
2. Da sprach der Herr zu Petrus gnädig:
„Sei docli nicht immer so unflätig,
Verschliesse die Pforten,
Lass grünen die Borten,
Dass die Menschen auf Erden sich
freu'n,
Und lustig gedeihe der Wein!"
Mündlich aus Bretthausen und Stoin-Ncukirch (Obcrvveiterwaldkreis) 1905.
(Vgl. dazu: Der Westcrwalii, im Auftriige des Westerwaldklubs herausgegeben
von Leo Steruberg. Düsseldorf l'Jll. S. 122 1'.)
ihr lieben Freund \md Zech-
genossen,
Lasst uns arbeiten im Weinberg des
Herrn unverdrossen,
Lasst uns trinken,
Bis wir versinken!
Denn dort oben in Abrahams Öchoss,
Meeht kaaner en Stoppe mehr los.
2. Philipp Keim, Der
A. Originaldi
Als ich in Frankreich Posten stand.
Meine Augen nach der Heimath wandt',
Dacht' ich an's theure Vaterhaus,
Wie mag's doch drinnen sehen aus':"
Dort werden wohl die Lieben mein
Beisammen in dem Stübchen sein.
Und beten demuthsvoU zum Herrn,
Schütz' den Geliebten in der Fern'!
So stand ich manche lange Nacht
In Frankreich auf der stillen Wacht,
Und dacht mit Sehnsucht hin zurück,
Wo mein liebes Kind die Welt erblickt,
Mein liebes Kind von mir getrennt.
Laudwehrmaiiii.
chtung.
Das unbekannt sein Vater nennt.
Und das Licht der Welt im Heimath -
land
Erblickt, als ich vor StralJburg stand.
Als ich nun einst in dunkler Nacht
Treu wieder stand auf kalter Wacht,
Fiel Schuß auf Schuß, ich sank dahin,
Und schwer und dunkel ward mein
.Sinn.
Man trug zum Lazareth mich fort
Und pflegte mein am stillen Ort,
Man auch die Wunden mir verband
Mit treuer Hand in fremdem Land.
'■■ Chor.
Chor
wiederholt.
-K+r — • ' — ' —
::^=r:^-^t
— N S'
-» ■»■ -m-
Griechenge - lang. Ja, ja! das soll euch verkünden mein Sang. Ja, ja! Wie
' Schluss.
Sang .Ja, ja!
102
Stückrath:
Dann lag ich manche lange Nacht
Voll Schmerzen, wo mein Auge wacht,
Und betete zum lieben Gott:
Sei du mein Retter in der Noth,
O, schütze du mit deiner Hand
Die Lieben mein im Heimathland,
l'nd sende Frieden weit und breit
Du treuer Gott in Ewigkeit!
Gottlob I geheilt ist meine Wund'
l'nd laut erschallt die Friedenskund",
Das deutsche Reich ist neu erwacht
Durch Deutschlands Sieg in blut'ger
Schlacht,
Das deutsche Volk ist treu geeint,
Darnieder liegt der stolze Keind,
Der deutsche Krieger heimwärts zieht,
Wo er die Seinen wieder sieht.
Posd-s' grieh-dumm.
G. Der Kaiser Luis Napoleum,
Der krauchelt in dem Busch herum.
Mit 500,000 Mann.
In kann an Kutschke') doch net ran.
Lud wann der Feind das 'Aisik' gricht,
So fürchte mir uns Deutsche nicht.
Vivat Deutschland,
Du sollst leben Hoch I
Philipp und Lisbeth Keim aus Diedenbergen, ein nassauisches Dichter- und
Bardenpaar. Wiesbaden, herausgegeben von J. Chr. Glücklich. IV. .Aufl. 1905.
S. 178 f. nr. S".'. (Über den Verfasser IMülipp Keim vgl. a a. 0.)
B. Aus dem Volksmunde.
Als ich in Frankreicli Posten stand,
Mein Aug' ich oft zur Heimat wandt',
Und dacht' ans teure Vaterhaus
Und all die Lieben, die zuhaus.
So stand ich manche lange Nacht
In Frankreich auf der stillen Wacht,
Es fiel ein Schuss, ich sank dahin.
Und schwer und dunkel ward mein
Sinn.
.\I:in trug zum Lazarett micli fort
fnd pflegte mein am stillen Ort,
Auch meine Wunden man verband
Und pflegte mich mit treuer Hand.
Gottlob, geheilt ist meine Wund',
Und laut erschallt die Friedenskund',
Das deutsehe Reich ist neu erwacht
Durch Deutschlands Sieg in blut'ger
Schlacht.
Mündlich aus Bonseheuer (ünterlahnkreis) I'JIO. — Vgl. dazu John Meier,
Kunstlieder im Volksmunde 11)06 nr. 350 und Kühler-Meier, Volkslieder von der
Mosel isy<; nr. 315.
3. .1. F. Castelli, Das Waldweibchen.
A. Originaldichtung.
1. Ich bin ein armes Mädchen,
Hab' weder Geld noch Gut,
Doch dreh' ich flink mein Rädchen,
Und hab zur Aibeit Muth: ^
Mein alter Vater liegt d'rin in der Kammer,
Er kann nicht sehen, o Grauen und Jammer 1
Hurrah I mein Rädchen, geschwind, geschwind!
Mußt viel erspinnen.
Mußt viel gewinnen,
Denn Vater ist blind.
2. Es ist so kalt im Zimmer,
Kein Holz ist mehr im Haus,
Nein, frieren darf er nimmer,
Fort, in den Wald hinaus!
Und muß aus dem Schnee ich das Reisig graben.
Er muß ja ein warmes Kämmerlein haben.
I) Über das Kutschkelied vgl. oben 1.'), 174. 22, 288.
Kleine Mitteilungen. 103
Und wenn der Athem zu Eise wird.
Die weißen Flocken
Mir nässen die Locken,
Fort, Väterchen friert! —
3. Und als sie in dem Walde
Am Kreuzweg Reisig nahm,
Da sah sie eine Alte.
Die ihr entgegen kam;
Das Mütterchen wankt" aus dem Dickicht am Stabe,
Es beugte ihr Leib sich schon näher zum Grabe,
Doch rüstig noch trippelte vorwärts ihr Fuß,
Mit freundlicher Stirne
Bot sie der Dirne
Den höflichsten Gruß.
i. 'Was suchst du denn so fleißig,'
Frug sie, — "mein liebes Kind?'
„Ich suche dürres Reisig
Für Väterchen, das blind — ."'
'Da muß ich dich armes Ding wohl beklagen!'
„Bin reich, kann die heiligste Schuld abtragen!"
Und immer emsiger sammelt sie fort.
Die Alte, die braune.
Setzt sich auf dem Zaune,
Und führt nun das Wort:
5. 'Dein Schicksal soll .sich wenden.
Das nun dich drückt so schwer,
Dein Elend soll sich enden.
Thust du, was ich begehr;
Es will jetzt das Glück sich deiner erbarmen.
Es kömmt dir entgegen mit offenen Armen.
0 stoß' es nicht von dir, und hasch' es mein Kind!' —
„Ich kann mit dem Segen
Den Vater dann pflegen,
O rede geschwind!"
6. 'Ein Herr von hohem Range
Hat neulich dich gesehn,
Seitdem nun ist ihm bange,
Will fast vor Lieb' vergehn.
Er bietet dir Kleider und Güter und Gold.
Bist du ihm in Zukunft ein wenig nur liold,
Sollst seyn seines Schlosses herrlichste Zier,
Auf seidenen Kissen
Des Lebens genießen,
Und Vater mit dir!'
7. Betroffen steht die Arme
Und mit sich selbst im Streit;
Sie war' von allem Harme
Auf einmahl nun befreyt; — —
Und Väterchen könnte im Überfluß leben! —
Doch plötzlich fühlt sie ein innerlich Beben,
Und ihres geliebten Wilhelms Gestalt
Tritt ihr vor die Seele,
L'nd was sie hier wähle.
Klar wird es ihr bald.
104 Stückrath:
8. „Nein, nein, das thu' ich nimmer!'
Rief sie mit bitterm Schmerz,
„Ha! trügerischer .Schimmer,
Du blendest niolit mein IlerzI
Verzeih mir, alter, rhrwiirdiger Greis!
Kann dich nicht beglücken um solchen Preis,
Will spinnen für dich, wenn Niemand mehr wacht.
Will drehen am Rädchen
Die feinsten Fädchen
Bis spät in die Nacht.
9. Doch meine Hand verschenken
Um schnöden Goldes Roth,
Den armen Wilhelm kränken
Durch Treuebrucli z\i Tod",
Das kann ich nicht leisten, du wirst's nicht begehren.
Durch Sünde kann man den Vater nicht ehren ü'^
Und hastig huckt sie den Holzbündel auf,
Beflügelt die Schritte
Zu Vaters Hütte
Im Schnellesten Lauf.
1(1. Was schauen ihre J51icke '
Starr, sprachlos blieb sie stehn,
Sie traut nicht diesem Glücke,
Ein Wunder war geschehn,
Von seinem Leiden gelieilt war der Blinde,
Er stand an der Tliür' ohne .Stock, ohne Binde
Und in unnennbar seliger Lust
Sanken sich beyde
Mit Thränen der Freude,
Doch stumm an die Brust.
J. F. Castelli, Poetische Kleinigkeiten, 2tes Bändchen. Wien lölo. S. li'O
bis 126: 'Das Waldweibchcn, Ein Märchen'.
B. Aus dem Volksmunde.
1. 'Ach, ach, ich armes Mädchen, 3. Und als sie nun im Walde
Hab" weder Geld noch Gut, Ein wenig Reisig nahm,
Doch dreh' ich flink mein Rädchen Da sah sie eine Alte,
Und hab" zur Arbeit Mut. Die ihr entgegen kam;
Mein alter Vater, der liegt in der Die Alte, sie wankt aus dorn Walde
Kammer, am Stabe,
Er ist ja doch blind, o Jammer, .\ls käme sie eben aus finsterem
o Jammer! Grabe.
2. Es ist so kalt im Zimmer, 4. „Was suchst du so fleissig,
Es ist kein Holz im Haus, Was suchst du. mein Kind?"
Doch frieren darf er nimmer, 'Ich suclie dürres Reisig.
Ich muss zum Wald hinaus! Ich suche, was ich find.'
Und mü.sst aus dem .Schnee ich das ,Da muss ich ditli armes Mädchen
Holz horausgraben, bfklagen,
Er muss ja ein warmes Kämmerlein Konmi her, ich will dir was Heimliches
haben' sagen.
Kleine Mitteilungen.
105
„Dein Schicksal muss sich wenden.
Das dich nun drückt so schwer,
Dein Kummer muss sich enden,
Tu, was ich jetzt begehr'!
Es will sich das Glück jetzt deiner
erbarmen.
Es kommt dir entgegen mit offenen
Armen.
„Ein Herr von hohem Range
Hat neulich dich gesehn,
Seitdem hat er dich gerne,
Möcht' fast vor Lieb" vergelm.
Er bietet dir Kleider und Güter und
Gold,
Bist du ihm ein wenig, ein wenig
nur hold."
7. 'Nein, meine Hand verschenken
Um schnöden Goldes Wert,
Den armen Wilhelm kränken,
Dies nie von mir begehrt!
Das kann ich nicht leisten, du wirst's nicht begehren,
Durch Sünde da kann man den Vater nicht ehren!'
Mündlich aus Ohren (Kreis Limburg a. L.) 191.'> durch Vermittlung
Frl. Lenz-Ohren. Ähnlich aus Camberg (1907) und Oberauroff (190S) aus
mündlichen Überlielerung in meinem Besitz.
von
iler
4. K. W. Schultz. Der Bergmann.
A. Originaldichtung.
Der Bergmann fährt zu Schacht hinab, S. Der Bergmann fordert au den Tag.
Wie in ein tiefes dunkles Grab; Was in der Tiefe heimlich lag;
Bei seines Grubenlichtes Schein Doch hat er reichen Fund gethan.
Schlägt Fäustel er und Schlägel ein. Was wird dafür dem Grubeumann?
2. Glück auf! Erschlügt die Ader an,
Die reiche Beute geben kann.
Im festen Mutterstein versteckt
Hat Edelerz er aufgedeckt.
;■). Denn in der Berge dunkelm Schacht
Liegt aller Reichtum unbewacht.
In Kelsenklüfte tief versenkt,
Von wildem Steingeröll umschränkt.
4. Versprengt in schlechten Kieselstein
Liegt hier Juwel und Edelstein;
Hier springt ein Quell, der silbern
flieBt,
Die Ader dort, die Gold ergießt.
9. Sein Tagewerk ist ^lüh und Last,
Sein Feierabend späte Rast,
Sein Lohn ein armes Stückchen Brod.
Sein Loos stets neue Todesnoth.
10. Denn ihm zur Seite gelit und droht
Auf jedem Schritt ein Schauertod.
Ein Fehltritt, und er stürzt hinab
Zerschmettert in sein l-'elsengrab.
11. Wie hier das wilde Wasser braust!
Wie dort das böse Wetter saust!
Zu seinen Füßen ohne Grund
Gähnt heimlich auf ein finstrer
Schlund.
ö. Die Krone auf des Königs Haupt 12. Und über seinen Häui^ten droht
Hat hier des Bergmanns Hand geraubt; Ein Felsensturz ihm jähen Tod;
Den Goldring an der Bräute Hand Weh, wenn der wie im engen Sarg
Hat aus dem Abgrund er entwandt. Ihn lebend hinter Schutt verbarg!
6. Den Schmuck, worin die Fürstin Ki.
strahlt.
Hat er mit Todesnoth bezahlt;
Der Edelherren rothes Gold
Hat er mit seinem Schweiß verzollt.
7. Auf Ritterbrust den goldnen Stern 14.
Schlug er aus harten Quarzes Kern,
Und seiner armen Hand entsank
Der reiche Schatz der Wechselbank.
Sieh da, ein bleichendes Gebein!
Ein Felsenhang sein Leichenstein.
Hier starb ein Knapp den Hungertod.
Jetzt schafft ein Knapp hier um sein
Brod.
Glück auf! Der Steiger ruft die Schicht;
Der Knapp fährt auf zu Tageslicht ;
Was er erbeutet, läßt er gern
Dem überreichen Grubenherrn.
10(5
Stückrath :
15. Der Grubenherr empfängt das (iold, 16. ündhastdu,Christ,demHerrnget"rohnt,
Der Knappe schlechten Kupfersold, Wirst du mit Kupfer abgelohntV
Und damit ist er abgelohnt. Ein Schacht ist diese Erdenwelt,
Wie viel er aui-h dem Herrn erfrohnt. Der einen Schatz verborgen hält.
17. Von festem Mutterstoin umschrilnkt
Liegt Hininielsgold liier eingesenkt.
Du bist der Bergmann, schlage einl
Was du erbeutest, bleibet dein.
Deutscher Musenalmanach für das Jahr lisöl, herausgegeben von 0. F. Gruppe,
Berlin, S. 31t>— ;!19: „Der Bergmann", von Karl Wilhelm Schultz.
B. Aus dem Volksmunde.
1. Glückauf: Der Bergmann führt liiuab i. Er iorJert fleissig an den Tag
Zur Teufe in sein dunkles Grab,
Wo in der Berge dunklem Schacht
Ruht aller Reichtum unbewacht.
Bei seines Grulienlichtes Schein
Schlägt Fäustel er und Schlägel ein.
Glück auf! Er schlägt die .\der an.
Die reiche Beute geben kann.
Was in der Tiefe heimlich lag;
Und hat er reichen Fund getan,
Ist fröhlich dann der Grubenmann.
Und ist sein Tagwerk Müh und Last,
Sein Feierabend späte Rast,
Sein Lohn ein armes Stückchen Brot.
Er steigt drum doch in Todesnot.
Die Krone in des Königs Hand
Der Bergmann hält sie in der Hand,
Der Ring von mancher jungen Braut
Hat Hergmannsarbeit hier geraubt.
Glück auf! Verstiegen ist die Schicht;
Der Knappe fährt zum Tageslicht,
Legt ab das Leder und dankt gern
Dem Grubenkönig, Gott dem Herrn.
Mündlich ans Allendorf (Unterlahnkreis) 1005. Eine schriftliche Aufzeichnung
aus Oberndorf a. L. (ünterlahnkreis) vom Jahre 1885 entspricht bis auf die
15. un<l IG. Strophe unserem Originalliedc, fügt aber unsere Strophe 6 in unserer
Fassung aus dem Volksmuiule als Schlussstropiie ein. Nur dieseui Umstände ver-
danke ich es. dass mir bei Durchsicht des Musenalmanachs das Lied auffiel und
als Vorlage zu der aus mündlicher Überlieferung geschöpften obigen Fassung an-
gesprochen wurde.
5. Alois liluuiauer. Stutzerlied.
1. Närrchen. sey nicht sprudc
Komm, und küsse michl
Jünger, warst du blöde,
Aelter, zierst du dich.
2. Wisse, nur ein Weilchen
Sind die Mädchen schön,
Müssen, wie die Veilchen,
Welken und verirehn.
3. Itzt nur sind, wie Seide.
Deine Händchen weich;
Aber bald sind beide
Deinem Handschuh gleich.
4. Itzt nur zeigt dein Schmunzeln
Holde (irübchen mir,
Bald umziehen Runzeln
Mund und Wange dir.
Originaldichtung.
."■. Uzt nur, kleines Xärrclion,
Ist dein Busen voll.
Und in wenig Jährchen
Ist er schlaff und hohl.
6. Itzt nur sieht dein Leibchen
Zirkolförmig aus;
Bist du einst ein Weibchen,
Wird ein Viereck draus.
7. Deine Augen funkeln
Itzt nur, weißt du das'/
Wisse, bald verdunkeln
Sie, wie trübes Glas.
8. Itzt nur dir zu Füßen
Siehst du Herrchen flehn;
Aelter, wirst du müssen
Liebebetteln gehn.
Kleine Mitteilungen.
107
S.
9. Itzo gieb. und labe 10.
Freundlich jeden Gast,
Spare nicht dein' Habe,
Bis du nichts mehr hast.
Aloys Blumauer's siimratliche Werke.
174 — 17ä. „Stutzeriied."
Küsse, weil dein Mündchen
Roth und küßlich ist;
Denk', es kommt ein Stündchen,
Wo dir's Niemand küßt.
Zvveyter Theil. Königsberg 18"27.
B. Aus dem Volksmunde.
, Xärrchen, sei nicht spröde.
Komm und küsse mich,
.Jünger warst du blöde.
Älter zierst du dich:
Wisse, nur ein Weilchen
Sein die Mädchen schön.
Müssen wie die Veilchen
Welken und yergehn.
Drum, mein Mädchen, labe.
Freundlich jeden Gast,
Spar nicht deine Habe,
Bis du nichts mehr hast;
Küsse, weil dein Mündchen
Rot und küßlich ist.
Denn es kommt ein Stündchen,
Wo dirs niemand küsst.
2. Jetzt noch sind wie Seide
Deine Hände weich.
Wisse, liald sie beide
Einem Handschuh gleich;
.letzt noch siehst du Herren
Dir zu Füssen flehn.
Älter wirst du müssen
Liebe betteln gehn.
Liederbuch des Karl Enders, Oberlibbach (um 1840). Das achte Lied
4. Deine Augen funkeln
Jetzt noch, weißt du das?
Wisse, bald verdunkeln
Sie wie trübes Glas;
Jetzt noch zeigt dein Schmunzeln
Holde Grübchen mir.
Bald umziehen Runzeln
Mund und Wangen dir.
1. Liebchen, sei nicht blöde,
Komm, und küsse mich!
Jung, da bist du spröde.
Älter, zierst du dich,
Wisse, nur ein Weilchen
Sind die Mädchen schön,
Müssen wie die Veilchen
Welken und vergehn.
•2. Jetzt sind noch wie Seide
Deine Hände weich,
Aber bald sie beide
Einern Handschuh gleich.
Jetzt zeigt noch dein Mündchen
Zarte Grübchen mir.
Bald umziehen Schrunzeln
Mund und Wangen dir.
Daun i. d. Eifel 19 13 mündlich Vgl.
3. Küsse, weil dein Mündchen
Rot und reizend ist,
Denn es kommt ein Stündchen,
Wo dich niemand küsst.
Lass die Augen funkeln
Heller als zwei Stern,
LTnsre Liebe dauert,
Hab' mein Liebchen gern.
4. Komm an meinen Busen, •
An mein liebend Herz,
Lass dich herzen, küssen,
Lass uns treiben Scherz.
Liebchen, sei nicht spröde.
Komm und küsse mich,
Ich bin auch nicht blöde.
Und ich küsse dich.
dazu Nassovia 199, S. 144 Nr. 1.
L. Willi, Das Fräulein an der Hininielsthür.
A. Originaldichtung.
Ein Fräulein stand an der Hinimelsthür:
,Sanct Peter, Sanct Peter, öffne mir!"
Sanet Peter darauf: „Und das thu ich nicht !"
'Wodurch verdien ich solch Gericht?'
'Weil du so dumm gewesen bist.
Dein Lebtag keinen Mann geküßt!'
1(18 Stiickrath:
2. Da sprang sie nach Sanct Peter hin
Und faßt den Alten flugs beim Kinn
l'nd sab ihm solch einen süßen Kuß,
Daß er ihr endlich öffnen muß.
Drob lachten alle Heiligen sehr.
Der heil'ge Petrus docli noch mehr. I.. Wihl.
Der LSpassvogel | oder | Witz über Witz ] in Wort und Bild | Ein Buch zum
Totlachen und zum Wiederlebendigwerden | für } lachlustige Leute. | Lustige Ge-
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Mildern. | Sechste, vermehrte, gesalzene und gepfefferte Auflage, j Herausgegeben
von Jakob aus den Bergen. | Mülheim a. d. Ruhr, i Kommissions-Verlag von Julius
Bagel. I 0. J. (um ]n50;. 8". S. «H.
B. Umgestaltung von R. Genee.
Ein Fräulein stand vor der lliinmelsthiir, ein Fräulein, ein Fräulein.
Und sprach: 'Sanct Petrus öffne mir, ach öffne mir, ach öffne 1'
Sanct Petrus d'rauf: 'Und das thu ich nicht, nein das thu ich nicht.
Nein, das thu' ich nicht!' — 'Wodurch verdien" ich solch Gericht'/'
'Weil du so dumm gewesen bist, weil du so dumm gewesen bist,
Dein Lebtag keinen Mann geküßt, weil du so dumm gewesen bist, so
ungeheuer dumm!'
Da sprang sie zu St. Peter hin, und nahm den Alten flugs beim Kinn,
Un<l gab ihm einen so herzlichen Kuß, daß er ihr endlich, endlicli öffnen muß.
Da lachten all die Englein sehr, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha. ha, ha.
Doch Petrus lachte ndch weit mehr, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha.
Album. I Sammlung j ausgewählter Gesänge | vorgetragen | von | Wiih. Brandt |
Sänger aus Hamburg. | Siebente verbesserte Auflage. | Mainz, | bei Josef Auniüller.
I 8*. o. J. (R. Genee komponierte das Lied, und in der von ihm aus musikalischen
Gründen vorgenommenen Umgestaltung wurde es 18.^7 von dem Sänger Wilhelm
Brandt in Mainzer Wirtschaften vorgetragen. W^ähreiul Genees Komposition
keinen Einüuss auf die im Volksniunde übliche Weise ausübte, sind seine Text-
änderungen für die Umbildung des Liedes sehr wichtig geworden.)
C. Aus dem Volksmunde.
Ohor: Es stand ein Fräulein an der Ilimmelsthür,
Die wollte dort herein.
Es stand ein Fräulein an der Himmelsthür,
Die wollte dort herein.
Fistelstimme: 'Ach Petrus, lieber Peterus,
Ach lasse mich herein !'
Bassstimme: 'Du hast noch keinen Mann geküsst,
Du darfst auch nicht herein,'
Chor: Sie hat noch keinen Mann geküsst.
Drum darf sie nicht herein.
Fistelstimme: 'Ach Petrus, lieber Peterus,
Ach, lasse mich herein!"
Hassstimrae: 'Du hast noch keinen Mann geküsst.
Nein, nein, du darist nicht rein.
Der die Pisteistimme singende junge Mann geht auf Petrus, d. h den Bass-
sänger, zu und gibt ihm einen Kuss.
Kleine Mitteilungen.
lOit
Bassstimme:
Chor :
Bassstimme :
'Jetzt hast du einen Mann geküsst,
Jetzt darfst du auch herein!'
Sie hat jetzt einen Mann geküsst,
Drum darf sie auch herein.
'Da lachen Ja die Engelein,
Sie lachen:
Chor mit hohen Stimmen): "Ha, ha, ha— a!'
Fistelstimme: 'Da lacht der alte Peterus,
Er lacht:
Chor (mit tiefen Stimmen : Ho, ho, ho. ho— o!'
Das Lied wird szenisch aufgeführt. Von Männern gesungen bietet es viel
Reizvolles. Aus Bach (Westerwald) mündlich 11)05.
D. Aus dem Volksmunde.
Es stand eine Fräulein vor der Himmelstür
Und wollte gern herein,
Es stand eine Fräulein vor der Himmelstür
Und wollte gern herein.
Da sprach zu ihr der Peterus:
'Du darfst noch nicht herein!'
'Weil du noch keinen Mann geküsst.
Darfst du noch nicht herein.'
Da lief sie schnell zum Flachspapa
Und gab ihm einen Kuss.
Da lachten all die Engelein :
'Hi, hi, hi, hi, hi, hl'.
Da lachte auch der Peterus:
'Ho, ho, ho, ho, ho, ho.
Die Kinder bilden einen Kreis, in dessen Mitte Petrus, der Flachspapa und
einige Engel stehen, während ein Kind als Fräulein vor der Himmelstür, ausser-
halb des Kreises steht. Die weitere Entwicklung ergibt sich aus dem Text.
(Kinderspiel mündlich aus Breithardt i. T. lülO.)
7. L. F. G. V. Goeckingk. Unmöglicher Besuch.
A. Originaldichtung.
Könnt' ich mich zum Raben machen:
Über Flüsse, Berg und Thal
Flog ich täglich zwanzigmal.
Rief an deinem Fenster leise:
Mache auf, mein Amarant!
Und von meiner schnellen Reise
Ruht' ich aus in deiner Hand.
Könnt' ich mich zum Rehe machen:
Durch die Saaten, durch den "Wald,
Lief ich täglich, ach! wie bald!
Ueber deine Garten-Hecken
Sprang' ich hops! mit einem Sprung,
Und wie wollt' ich dann dich necken
Unter der Verwandelung!
Könnt ich mich zum Karpfen machen:
Mit der Elbe») flöß ich dann
Täglich hin zu dir, o Mann!
Aus dem "Wasser, sprang' am Ende
Meiner Fahrt ich hoch herauf.
Und mich fischten deine Hände
An dem Ufer glücklich auf!
Aber, wünsch' ich armes Mädchen
Noch so viel mich hin zu dir:
Dennoch bleib ich immer hier.
Nicht zehn Schritte kann ich gehen,
Dass nicht jeder fragt: Wohin?
Wohl! dass man nicht auch kann sehen.
Wo ich mit dem Geiste bin.
Nantchen (d.i. Goekingk).
1) Statt eines anderen Flusses.
110 Stückrath, Miisinger:
Poetische Blumenlesp ;iuf das Jahr 1777. Göttingen bey Johann Christian
Dioterich. S. Ißii— 167. „Unmöglicher Besuch. An Aniaranth." = Goeckinirk. Lieder
zweier Liebenden 1779 S. 54.
B. Eine Fassung aus dem Volksmunde,
welche oben 22, 406 niitgetoili wurde, stimmt genau mit dem Originalliede
überein. Eine Fassung von 3 Strophen, beginnend mit der zweiten, die erste als
Schlussstrophe bringend, mit geringen Abweichungen, aus Rheinböllen iHunsrück)
in meinem Besitz.
8. J. M. Firmeilich. Steckbrief.
A. Originaldichtung.
Es wird hiermit bekannt gemacht, Sie ist nicht groß, doch auch nicht klein,
Daß auf dem Balle gestern Nacht Gar schlank von Wuchs und zait und fein,
Ein Mädchen hier aus dieser Stadt IhrBusen schwellend, weiß wie Schnee, —
Gar manches Herz gestohlen hat. Kürzung ein Engel, eine Fee.
Sie schlich damit sich plötzlich fort, Ein sondres Merkmal ist noch dies:
Man kennt nicht ihren Zufluchtsort; Wenn's Diebchen lächelt zauberisch süß.
Woran man sie erkennen kann, So bilden sich, Toll Reiz und Zier.
Zeigt dies Signalement hier an. Zwei Grüblcin in den Wangen ihr.
Ihr Lockenköpfchen blond wie Gold, Jedwedem leuchtet's nun wohl ein.
Die Äuglein blau und wunderhold, Wie höchst gefährlich sie kann sein
Das Mündchen küßlich, rosig, klein. Für eines jeden Jünglings Ruh"
Die Zähne blank wie Elfenbein. l'nd für die Männer noch dazu.
Die Wänglein roth auf Liliengruud, Wir bitten derowegen all",
Das Schwanenhälschen blendend, rund, Daß jeder im Betretungsfall
Ihr Füßchen leicht, von kaum acht Zoll, Sie fesselt und sie baldig.st schafft
Das Händchen seidensanft und voll. In treuer Liebe enge Haft,
AVir ordneten dies also an.
Daß man darnach sich richten kann,
Wir grüßen höflich allesammt.
Und unterzeichnen: Liebesamt, J. M. Firmenich,
Deutscher Musenalmanach für das Jahr 1851, Herausgegeben von P, 0. Gruppe
Berlin S. ^<5 — 86: 'Steckbrief. Dabei noch die Anmerkung: 'Mit diesem Liede, in
Musik gesetzt von Kücken, errang der Kölner Männer-Gesang-Verein l)ei dem
Düsseldorfer Sängerfest im Jahre 1850 den Preis.'
B. Aus dem Volksmunde.
Es wird hiermit bekannt gemacht. Die Backen sind wie Liliengruud,
Dass auf dem Balle diese Nacht Das Schwabenhälschen !) blendend r\md,
Ein Mädchen hier aus dieser Stadt Die Füsschen leicht und kaum acht Zoll
So manches Herz gestohlen hat. Das Händchen seidenweich und voll,
Ihr Lockenköpfchen ist wie Gold, Nun leuchtet's Jedermann wohl ein.
Die Äuglein blau und wunderhold, Dass sie kann sehr gefährlich sein
Die Zähne sind wie Elfenbein, Für eines Jünglings sanfte Ruh'
Der Mund ist rosenrot und klein. Und für die Männer auch dazu.
Drum bitten wir in diesem Fall,
Dass jeder im Betretungsfall
Sie fesselt und sie baldigst schafft
In treuer laebe enge Haft.
Mündlich aus Stein-Neukirch und Bretthausen 1915. Ähnlich aus Nieder-
libbach. Als 'Vereinslied' gesungen in Oberauroff (1907).
Riebrieh a. Rhein. Otto Stückruth.
Kleine Mitteilungen. 111
Wurstreime aus Badeu.
Gurt Müller teilte oben 27, 55—67 Wurstlieder aus Sachsen mit Ich möchte
im folgenden eine Reihe von badischen Gebräuchen und Liedern als Ergänzung
hruin-en. Auch bei uns Süddeutschen spielt das Schlachtfest eine grosse Rolle;
kein Geringerer als Ludwig LThland hat ein Metzelsuppenlied gesungen.
Auch in Baden gehen verkleidete Burschen in das Haus, in dorn geschlachtet
worden ist, und erbetteln das Wurstle. In Büchenbronn bei Pforzheim
ziehen sie als Pfannenllicker oder Scherenschleifer herum. In Bruchsal singen
sie den Spruch : 'Wurstle raus, Wurstle raus, 's isch e brave Frau im Haus'
(E. H. Meyer, Badischos Volksleben im U». Jahrhundert S. 334). In meiner
Heimat Rappen au war dieser Brauch früher auch bekannt, man nannte es
'scharren' (vgl. mein Wörterbuch der Rappenauer Mundart, unter sara S. 160a}.
In Waldprechtsweier bei Rastatt lautet der Spruch, den Meyer mitteilt:
Es stehen drei Scheite hinter dem Herd, Es ist ein seidner Faden ums Haus.
Die Frau im Haus ist aller Ehren wert, X. giebs Würstel raus.
Dem Hausherrn (N.), Ich stehe auf einem kalten Stein,
Er trinkt keinen AVein, er ist gut (?), Gebt mir ein Würstel, dann geh ich heim.
In Metten berg, Amt Bonndorf, wird ein Lied gesungen, das seiner Form
wegen wichtig ist:
Wa esset er z' Obet, w^a esset er z' Nacht? Dönt is doch au g'höre.
Wa hänt er mit eurem Süüli g'macht? 's Süüli hätt au krumme Baim),
De Metzger hat e Zipfelkappe, Gömmer au, so chumm i hai(m).
I hanen g'seh ums Eck umegnappe. Nu kaini sure Rabe
Leer isch wore de Süüstall Suscht du ni dra verderbe,
's Süüli hat en hoche Burscht, 's Süüli hätt e Niere,
Gönnt is (gebt unsi au e Leberwurscht. Löni mi .lasst mich) nit verfriere.
Aber nur ka kleine, 's Süüli hätt e Rigeli,
Lieber zwo für eine. Bioset mir is (ins) Fideli.
■s Süüli hätt e Schnorre, (E.H.Meyer, Badisches Volksleben S.3Ö.3.I
Aus dem Wolfacher und Harm ersbacher Tal erwähnt Meyer das 'Säckle-
oder Häfelestrecken'. Ein Nachbar befestigt ein Säcklein, Korb oder Gefäss an
eine lange Stange, legt einen Zettel hinein und streckt im Dunkeln die Stange
zum Fenster des Hauses hinein, in dem geschlachtet wird. Ähnlichen Brauch
fand ich in Hüsingen bei Schöpfheim im Wiesental. Dort verkleiden sich junge
Burschen und machen sich unkenntlich. Dann gehen sie mit einem Zuber, in
dem sie mit einem Kochlöffel trommeln, vor das Haus, in dem Schlachtfest ge-
feiert wird, und reichen den Zuber zum Fenster hinein. Sie singen dabei:
Raus, raus, Würstli raus, Gent mer nit e chlaini,
's isch e bravi Fruu im Haus. Gent mer zwoo für aini.
's Süüli het e Niere, Stieget ufe bis an First,
Lönt (lasst) mer's nit verfriere. Hauet abe Speck un Wurst.
's Süüli het e hochi Burst, Lönt das Messer dura (durch) goh.
Gent (gebt) mer au e Leberwurst, Und saget doeh,derMetzgerheig's (.habe;do.
Aus Riedlingen bei Rändern kenne ich folgende zwei Sprüche:
1. Süüle, Süüle, Chrumbai(n), Gent mer au e Leberwurscht.
Gimmer (gieb mir) e Wurst, so chum 's Süüle het e grosse Niere,
i hai(m), Lönt (lasst) mi doch nit gar verfriere,
"s Süüle het e grosse Mage, 2. Gueten Oobe,
Gent (gebt) mer, was i cha vertrage. Gott g'segn ich euri Goobe.
's Süüle het e grosse Burscht, Gott g'segn ich euer Esse und Trinke,
]1'_) Meisinger, Bolte:
Euer Siiiile tuet nümme linke. "s Siiüli het e Niere,
Euer Siiiile het e chrumm Bai(n), Liint mi nit verfriere.
Gent mer e Wurscht, so chumm i 's Siiüli het e hohle Sehueh,
hai'm). Gent mer e Schoppe Wii(n) derzue.
Gent nit e cliliiini. Der Metzger sitzt im Ecke,
Gent mer zwoo für aini. Er losst sichs gar wohl schmecke.
Euer Siiüli het e grosse Mage, Schöni Fruu un gueto Maa
Gent mer, was i chaa vertrage, Luege einander liebli aa.
"s Siiüli hat e chrumme Hals, Mer danken sit viel dausig mool,
Gent mer d' Site un ung"schächt alls. Metzget wieder, aber hol (bald).
In der Neujahrsnacht ziehen die Kinder in Kappelrodccl; von Uaus zu
Haus und singen das Schnitzlied:
Als hinischt {heule Naeht) ist es die kälteste Nacht,
Das Kindlein Jesu geboren war.
Im Kehrreim wünschen sie zum neuen Jahre Glück:
Wir wünschen euch all ein neues, guts Jahr,
Ein neues, guts Jahr und auch viel Glück.
So beten wir an Herrn Jesum Christ.
(Vgl. meine Volkslieder aus dem badischen Oberlandc S. 226 f.) Am Schlüsse
sprechen die Kinder Verse, die sich vielfach mit denen des Würstlelicdes docken:
Hausvater, steig ins Dach,
Hol herunter e Rippach ■ Speckseite),
Nimm eins von den langen
Und lass die kurzen hangen.
Gen (gebt"' ihr uns e brennti Supp,
So gehn mir zuen ich in d" Stub.
Gen ihr uns e Maß Wii^n:,
So gehn mir zuen ich uii.
Gen ihr uns e Blatt voll Schnitz und Speck,
So gehn mir sit vor der Tür eweg.
Oder gen is e Sester Nuss,
So bliwe mir 's ganz Johr duss.
Hausvater, lass dich den Gang nit verdriesse
Und lass die rostige Taler aus dem Beutel rausschiesse,
Nit z' klein und nit z' gross,
Dass "s uns den Beutel nit verstosst.
Hausmutter, steig nauf in de First,
Droben hängen c paar Dutzend Wurst.
Nimm nur von den lange,
Und lass die kurzen hange,
Dreimal um de Kachelofe rum.
Zum Fensterli naus und zum Küchetürli nei(n\
Df'S muss e grosse Bratwurst sei n).
Nach Empfang der Gabe singen sie ein Uanklied:
1. Man hat uns redlich und ehrlich gegeben,
Gott lässt euch das Jahr in Frieden erleben,
In Freuden erleben, und das ist wahr.
Wir wünschen euch all ein neues, guts Jahr usw.
2. Wir wünschen den Bauern einen goldenen Wagen,
Darauf soll er ins Himmelreich fahren,
Ins Paradies, ins Himmelreich,
Kleine Mitteilungen. 113
Da sind wir alle den Engeln gleich.
Den Engeln gleich, und das ist wahr,
Wir wünschen usw.
3. Wir wünschen der ßiiurin eine goldne Krön,
Gott gebe ihr auch den ewigen Lohn.
Den ewigen Lohn und auch viel Glück,
So beten wir an Herrn Jesum Christ.
Hat man ihnen nichts gegeben, so singen sie:
Man hat uns ehrlich und redlich nix gebe,
Der Teufel soll euch der Hals ra säge.
Bemerkenswert ist, dass alle diese Heischelieder eine feste Form haben, in
der Urform eine erzählende Einleitung, dann eine Aufz<ihlung der gewünschten
Gaben, zum Schlüsse einen Segenswunsch oder eine Verwünschung. Im Sommertag-
lied in der Pfalz (Heidelberg) heisst es:
Stri, Stra, Stroh,
Der Summerdag isch doo,
Der Summer und der Winter,
Die sin Geschwisterkinder usw.
Gibt man ihnen keine Gabe, so singen sie:
( ) du alter Stockfisch,
Wammer kummt, doo hosch nix.
Von Gaben erwähnen sie Wein und Bretzeln.
Genau denselben Bau wie diese Bettellieder hat das griechische Frühlings-
lied, das uns bei Athenaeus 8, .160 B überliefert ist: ^li-&' rß&e j^tiiöcör. Dort wün-
schen sich die Kinder .Ta/.äi7a>'-Marmolade, rvoxov dwOTgor, xajrvQwra und '/.ey.tiyiray.
Sie drohen, wenn sie nichts erhalten:
^l fxh' xi ()o)a£t-; ■ f( ^f fit'/, ovx edaoftFv.
i) rav -dvQar c/fQWfies >'j dnv:isQdvi>or
ij rdv vvraTxa Tay soo) xai)}]jdvar.
faxf)ä fiEV Fozij uadftoc fur ol'aoasv.
äv dij <f'iotji x(,
/IFJ'ft (h'/ T( q^FOOK.
(Vgl. A. Dieterich, Kleine Schriften S. 'M2.)
Es wäre eine lohnende Aufgabe, alle deutschen Heischelieder zu sammeln. —
Zu der Weise, die Gurt Müller 27, 64 mitteilt, möchte ich bemerken, dass sie
aus Konradin Kreutzers Oper 'Das Nachtlager von Granada' stammt. Sie fand in
einem Parademarsch im Galopp unseres Heeres Verwendung und ist dadurch
volksläuflg geworden.
Karlsruhe. Othmar Meisinger.
Drei deutsche Uaussprüche iiud ihr Ursprung.
Vor einigen Wochen stand ich in Mölln vor dem jetzt in die Kirchenmauer
eingelassenen Grabsteine des unsterblichen Schelmen Eulenspiegel. Als ich darauf,
zum Markte des anmutigen Städtchens hinabsteigend, das zum volkskundlichen
Museum eingerichtete Fachwerkhaus aus dem Jahre 1582 betrachtete, las ich auf
einem Balken der schmuck wiederhergestellten Vorderseite die Worte:
VAURE VND WEIS WOL WOR HIN • MICH WVNDERT •
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1918. 8
1 l.| Holte;
Anfang und Ende der Inschiil't fehlten, da die Xachbarbalken schadhaft geworden
und durch glattes Holz ersetzt waren. Aber mir fiel sofort eine Stelle aus Heinrich
von Kleists Briefen") ein, der 1802 vom Thuner See an den in Bern weilenden
Heinricli Zschokkc schrieb: 'Wenn Sie mir einmal mit Gessner die Freude Ihres
Besuches schenken werden, so geben Sie wohl acht auf ein Haus an der Strasse,
an dem folgender Vers steht: ■
Ich komme, icli weiss nicht von wo,
Ich bin, ich weiss nicht was,
Ich fahre, ich weiss nicht wohin.
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.
Der Vers gefällt mir ungemein, und ich kann ihn nicht ohne Freude denken,
wenn ich spazieren gehe'. — Freilich weicht der noch vorhandene Rest der
Möllncr Inschrift-) bedeutsam von diesem schweizerischen Spruch ab. der für das
Rätsel des Lebens und Sterbens einen so ergreifenden Ausdruck gefunden hat.
Es liegt offenbar die Umkehrung zugrunde, die der glaubensmutige Reformator
Luther, durch die müde Ergebung des wohl im 14. Jahrhundert geprägten
Spruches gereizt, ihm 15-'hS gab^):
Ich lebe und weiss wol wie lang,
Ich sterbe und weiss wol wie und wenn.
Ich fare und weiss wol wohin:
Mich wundert, dass ich noch traurig bin.
Dem Ursprünge der unendlich oft wiederholten mittelalterlichen Verse sind
R. Köhler (Kl. Schriften 3, 421—452) und Euling (Das Priamel l!tOö S. 408 bis
414) eifrig nachgegangen^), so dass ich mich auf wenige Bemerkungen beschränken
kann. Wir treffen dieselbe Dreizahl der zur Selbstbesinnung mahnenden Dinge
auch bei dem Minnesänger Süsskind von Trimberg (MSH. 2, 2.i8b):
Swenne ich gedenke, waz ich w;is ald wn/. ich bin,
Aid waz ich werden muoz, so is al min vröude lün
und bei Freidank (22, 12):
Swer driu dinc bedsehte,
Der vermite gotes sehte:
Waz er was, unt waz ei- ist,
Unt waz er wirt in kurzer frist.
Das älteste Vorbild dieser Trias aber ist wohl ein Satz, den die im tj. Jahr-
hundert durch den Diakon Felagius aus dem Griechischen übersetzten 'Verba
1") Kleist, Werke hsg. von E. Schmidt ü, 280. Wie K. Köhler, Kl. Schriften 3,
424 nachgewiesen hat, benutzte Kleist später den Spruch für die Fragen des Varus
an die cheruskische Alraune im letzten Akte der Hermannsschlacht: 'Wo komm
ich her? Wo bin ich? Wohin wandr ich?'
2) Vgl. Bestmann und Lueder, Corpusculum inscriptionum Jlolnonsiuin. 1390.
— Zur Literatur der Hausinschriften vgl. oben 1."), 430.
3) R. Köhler :'., 4'23. 430 f. In der Weimarischen Ausgabe von Luthers Werken
45, 401; vgl. ebd. 14, 194. 705. 17, 1, 345. ÖOG. 19, Kil. 28, 493. 34, 2, 274. CIO.
4) Vgl. ferner J. Eberlin, Schriften hsg. von Enders 2, li4. 3, 300. S. Schwab
1ÖG8 bei Wackernagel, Kirchenlied 4, 557 nr. 759. Joh. Hauser in der Wiener Hs.
41'20, Hl. 116b. Ich wil HauBhalten, Magdeburg o. J. Bl. B6a (Berlin No 5125).
Biinngier 1G19 in der Tübinger Hs. Md 458 nr. 166. Dreselly, Grabschriften 1900
nr. 1711. 804. G. Reicke, Der eigene Ton 1907 S. 486 f. — W. Hertz, Dichtungen
1900 S. 480 (altengl. um 1300). Anglia 42, 1.55. Joh. Junior, Scala,celi 1480 s. v.Divicie.
R. Hakius, Commentarius in Psalterium 1664 1, 493 b y.u U. Köhler 3, 445). Moer-
kerken. De satire in de nedcrlandsche kunst 1904 S. 173. Koddige Opschriftcn 3,
118 (1685). — Recueil von allerhand CoUectaneis 9, 39 1719. lu R. Köhler".. 448).
Kleine Jlitteilungen. IIb
seniorum' 3, 4 dem in der ägyptischen Thebais lohenden Abt Elias beilegen:
'Ego tres res timeo: unam, quando egressura est anima niea de corpore; aliani,
quando occursurus sura Deo; tertiam. quando adversum nie proferenda est sen-
tentia''). In dieser Sentenz des alten Mönches, die auch verschiedentlich in
metrische Form umgegossen wurde und in der deutschen Dichtung Widerhall
fand, möchte ich die Wurzel erkennen, aus der nach mehreren Jahrhunderten
unsere Verse hervorgesprosst sind.
Noch weiterer Verbreitung als dieser Spruch erfreut sich in Deutschland die
sinnschwere Hausinschrift:
Wir bauen Häuser gross und fest,
Darin wir sein nur fremde Gast;
Und da wir sollen ewig sein.
Da bauen wir gar wenig ein.
So oder ähnlich steht in der Schweiz, im Elsass, in Siebenbürgen wie in
Böhmen, Sachsen, Hannover und anderv^ärts an vielen Häusern zu lesen-). Eine
erweiterte elsässische Fassung aus Buchsweiler') verrät durch das Alexandriner-
mass ihre Entstehung im 17. oder is. Jahrhundert:
1) Im ö. Buch der Vitae patruni (Migne, Patrologia lat. 73, 861 B). In einer
anderen, ursprünglich ebenfalls griechischen geistlichen Apophthegmen.sammlung
(Migne 74, .392 nr. 97) ohne den Namen des Elias. Über den letzteren s. Acta
Sanctorum Sept. 3, 745 = Migne 21, 4:!2.
2) Schweiz: Sutermeister, Haussprüehe 1860 S. G5. — Elsass: Kassel, Jahr-
buch f. Gesch. Elsass-Lothr. 21, 305 nr. 151a— d. — Schwaben: Alemannia 8, 294
= Draheim, Deutsche Reime 1883 nr. 263. Keiser, Sagen des AUgäus 2, 677. —
Tirol: W. O. [Zingerle], Haussprüche 1871 S. 21. Hörmann, Haussprüche IS93 S. 124.
Oben 9, 203. Deutsche Inschriften ^ 1875 S. 13. Dreselly, Grabschriften ^ 1900
S. 205 nr. 723. Padberg, Haussprüche 1895 S. 38 = 189S S. 95. Lipperheide, Spruch-
wörterbuch 1906 S. 45. — Bayern: Das Bayerland 1, 1:32 1890). 2,156. 3.35.
5, 264. 8, 540. 10, 118. — Steiermark: oben 3, 280. — Siebenbürgen; Haltrich,
Zur Volkskunde der Siebenbürger Sachsen 1885 S. 434 nr. 145—150. 180. — Alten-
burg: Lobe, Hausinschriften 1867 S. 18. — Erzgebirge: E. John, Aberglaube 1909
8.20. — Sachsen: Zinck, Wohnhausin.schriften im Königreich Sachsen 1913 nr. 38.
550-561 und Mitt. f. sächs. Volkskunde 6, 340-348 1^1916). — Westböhmen:
A. John, Sitte 1905 S 2-15. — Rheinland: Picks Mtschr. f. rhein. Geschichts-
forschung 3, 132. 1877. Mtschr. des Berg. GV. 23, 150. — Harz: Draheim nr.l39. Blätter f.
Hymnologie 1885, 63. Zs. des Harzvereins 24, 446. Oben 15, 432f. (1577. 1717. 1630. 1636).
— Hannover: Mithoff, Kunstdenkmale :!, 17. 181 (Alfeld. Hildesheim). 6, 135
(Osnabrück 1579). — Danzig: j\litteilung von Prof. G. Markull. — Wie A. ü.
V. Granach 1561 in einer Leichenpredigt auf den Fürsten Carl von Anhalt erzählt
(Blätter f. Hymnologie 1886, 31), standen in einem Fürstensaal unter einem gemalten
Engel die Reime:
Uns Engel wundert alle gleich, Und seid doch nichts denn frembde Geste ;
Das ir Menschen uff Erdreich Da ir Gott ewig solt anschawen.
Bawet Schlösser und grosse Feste Da wil doch gar niemandt hin bawen.
Ahnlich beginnt eine Hausinschrift von 1827 in Siebenbürgen Haltrich S. 435
nr. 1.50) : 'Wie wundern sich die Engel im Himmelreich | über das Erdreich, | dass
die Leute bauen Häuser fest'. . .
3) Mündel, Haussprüche 1883 S. 35. Offenbare Fehler des Holzschnitzers oder
des Druckers sind in V. 2 im (für ein), 3 nur (für doch), 4 im (für in\
118 Holte:
Die Menschen bauen sich oft Häuser und Paläste,
Die gleich als wie ein Thurn zu Babel prächtig stehn,
Und sind doch auf der Welt nur Pilgrim und nur Gäste,
Die durch das Jammertal in Himmel sollen gehn.
Wer fragt nach Haus und Hof auf dieser schnüden Erde,
Wenn ich nur dermahleinst ein Hinunelsbürger werde!
IJbrigens begegnen uns die Verse nicht bloss als Hausinschrifteii: wir finden
sie um 1400 in einer nd. Spruchsammlung') in folgender Form:
Wy sint hyr vromde geste
I'nde tymmeren grote veste;
My lieft wunder, dat wi nicht muren,
Dar wi ewieh moten duren.
Ähnlich hochdeutsch in Mones Anzeiger 1833, 48 ^ Wackernagel, Dt. Lese-
buch 1, .S3Ü (1839). Ferner lö'JO in Michael Neanders Ethica vetus S. 30, 1605
bei F. Petri, Der Teutschen Weissheit Bl. G 8 b, um 1605 in der Hs. des Kieler
Studenten Petrus Fabricius (Alemannia 17, 2,')0), Kio.') in einem Ingolstüdter Licder-
blatt mit eigner Melodie (Biiumkcr, Das katholische Kirchenlied 2, oOl nr. 328.
Blätter f. Hymnologie 1885, 48), l(i47 in Schneubers Teutschem Stammbuch (Hoff-
mann V. F., Spenden zur Litgesch. 1, 31. 1844 = Findlinge 1, 448. 1861),
1664 bei R. Bakius (Commentarius in Psalterium Davidis 1, .')94b. 3, 257a),
1665 bei Moscherosch (Gesichte Philanders von Sitiewald, Strassburg 1()65, 2, 158),
1672 in einer Predigt von Johann Fabricius (Blätter f. Uymnologie 18S5, oO).
Auch Fischart scheint darauf in seinen Altersstufen (oben 15, 403) anzuspielen.
Eng vorwandt scheint mir nun ein Satz des h. Hieronymus im 128. Briefe
(Migne, Patrol. lat. 22, 1099): 'Vivimus quasi altera die morituri, et aedificamus
quasi semper in hoc saeculo victuri.' Denn wenn hier auch dem unbekümmerten
Errichten dauerhafter Häuser nicht die vergessene Vorbereitung auf das Jensens
gegenüber, sondern das hastige Geniessen irdischer Lust zur Seite gestellt wird,
so dürfen wir doch darin mit grosser Wahrscheinlichkeit die Quelle des deutschen
Hausspruches erkennen, in den sich nur nebenher noch eine Erinnerung an das
Psalmwort (119, 19) 'Ich bin ein Gast auf Erden' eingemischt hat. Aber auch
Hieronymus hat diese Fassung der Mahnung an den Tod") nicht selber gepräf;t,
sondern die wirksame Antithese einem heidnischen Vorgänger entlehnt. Denn
kurz vorher, im 12.{. Briefe (Migne 22, 1057), bezeichnet er sie geradezu als
Zitat: 'Et illud, (juod de Megarensibus dicitur, iure miseris coaptari potesi:
Aedificant quasi semper victuri, vivunt quasi altera die morituri'. Vermutlich
schwebt ihm eine Stelle aus Tertullians Apologeticus ad versus gentes c. 39
(Migne 1, 52(i) vor: 'Do nobis scilicet Diogenis dictum est: 'Megarenses obso-
nant quasi crastina die morituri, aedißcant vero quasi nunquam morituri.' Freilich
wird diese Äusserung des Kynikers Diogenes von älteren Schriftstellern nicht be-
zeugt, und es könnte eine Verwechselung mit seiner von Aelian (Varia bist. 12, 56)
angeführten Äusserung vorliegen, er wolle lieber der Widder eines Megarers sein
als sein Sohn, womit er auf die bekannte plumpe und materielle Gesinnung der
Megarer') zielt. Jedenfalls ist der Satz nicht das geistige Eigentum des Diogenes,
1) Lübben, Mitteilungen aus nd. Hss. 1874 S. 1. Zs. f. dt. Alt. 27, 43. — Ähn-
lich im Rimbökclin ed. Seelmann 18!-5 v. 2397.
2; Bei Freybe, Das Memento mori in deutscher Sitte 11909) ist der deutsche
Hausspruch merkwürdigerweise nicht berücksichtigt.
3) Vgl. dazu Pauly, Realencyclopädie des klass. Altertums 4, 1719.
Kleine Mitteilungen. 117
sondern gehört einem noch älteren griechischen Philosophen an, dem Agrigentiner
Bmpedokles, welcher von der Genussucht seiner Landsleute die bittere Schilde-
rung entwarf: 'Die Agrigentiner schwelgen, als ob sie morgen sterben sollten,
und bauen sich Häuser, als ob sie allzeit leben sollten''). Auf Empedokles also
in letzter Instanz geht unser Hausspruch zurück. Dass sein Satz von Aristoteles
und Lukian mit etwas veränderter Spitze aufgenommen wurde, sei nebenher er-
wähnt").
* *
Als ein merkwürdiges Seitenstück möchte ich schliesslich noch einen dritten
deutschen Hausspruch heranziehen, der ebenfalls weithin bekannt ist.') Von der-
selben Anschauung ausgehend, dass das Haus seinen Erbauer überlebe und des-
halb im Laufe der Jahre oft den Besitzer wechsle, zieht er die Folgerung, dass
der gegenwärtige Inhaber gar kein dauerndes und wirkliches Eigentumsrecht bean-
spruchen könne:
Das Haus ist mein und doch nicht mein;
Beim Nächsten wird es auch so sein,
Dem Dritten wird es übergeben,
Der Vierte wird nicht ewig leben.
Den Fünften trägt man auch hinaus.
Nun frag ich: wem gehört dies Haus?
Dieser Gedanke wird nun verdeutlicht und zu einem epischen Gebilde entfaltet in
einer orientalischen Erzählung, in der ein wandernder Derwisch eine handgreifliche
Nutzanwendung von der Lehre des Spruches macht. ^) Aus einem ungenannten
persischen Werke gibt der französische Reisende Chardin'') in einer Beschrei-
1) Diogenes Laertius 8, 2, 63 = Diels, Fragmente der Vorsokratiker 1, 151 :
Ay.QayavTivoi TQV(pi7>oi ftkv wg ai'Qiov anodavoinitroi, oixiuf ds xnraay.eva'Corrm </ic .tmito
rw xsömv ßicoao^iiei'oi. — Chr. Lehmann, Florilegium pnliticum 1662, 3, 391 nr. 4G
schreibt diesen Ausspruch dem Plato zu.
2) Aristoteles äusserte nach Diogenes Laertius 5, 1, 11, manche Menschen
darbten so jämmerlich, als ob sie immer leben würden, andere aber prassten, als
ob sie sofort sterben müssten. Lukian malmt in einem Epigramm (3, 4ßl ed.
Jacobitz; vgl. 1, 219 Charon c. 20):
' Üg reüriiSö/isvog tujv möv dyaDwv caioXave,
' Qg (5f ßuoaöfierog (/Jti'deo acov xxsdrcov.
3) Er erscheint seit 1715 in verschiedenen Abwandlungen im Elsaß, Baden
Schwaben, Oberbayern, Tirol, Salzburg, Hessen, Altenbnrg, Wcstböhmen. Waldeck,
Magdeburg u. a. (Kassel, .lahrbuch f. Gesch. Elsaß-Lothr. 21, :W8 nr. 170 a— d.
Dt. Inschriften M87Ö S. 11. Draheim 1883 nr. 405. Alemannia 8, 247. Reiser, All-
gäu 2, 675. Dreselly 1900 nr. 670-672. 679. W. 0. [Zingerle] 1870 S. 23. Hörmann 1893
S. 124 — 128. Krackowizer, Inschriften im Lande ob der Enns 1901 S.o. Das
d.eutsche Volkslied 18, 125. Padberg 1895 S. 38 = 1898 S. S8. Oben 3, 282. Lucae,
Aus dt. Sprach- und Litgeschichte 1889 S. 2:36. Lobe 1867 S. 18. A. John 1905
S. 245. Curtze, Waldeck 1860 S. 443. AVander, Sprichwörterlexikon 2,399.)
4) Auf diese Erzählung wurde ich aufmerksam durch eine dankenswerte Zu-
sammenstellung von J. K. Brechenmacher im Magazin für Pädagogik 81, 180 iJ918)
'Der Pilger. Die Stelle bei Chardin wies mir Geheimrat Prof. Dr. Th. Zachariae
in Halle freundlichst nach; seiner Vermittlung verdanke ich auch die wertvolle
Auskunft von Herrn Professor Dr. C. Brockelmann über den persischen Autor
Ferideddin Attär und die Verdeutschung seines Textes.
5) Chardin, Voyages en Perse 1, '207 (Amsterdam 1711 und 1735. 4") = 2.148 eJ.
Langles 1811. In der ersten Ausgabe (Londres 1686 p. 249) fehlt dieser Abschnitt.
]18 Bolte:
bung der morgeiiländischeu Fremdenherbergen, die er 1711 in sein Tagebuch vom
1. März 1673 einschaltet, folgendes Gcschichtchen wieder:
Je nie Boliviens d'un conte que j"ai lu dans un Auteur Peisan, d'iin Derviche,
ou Religieiix Mahometan, qui voyageoit en Tartarie. Etant arrive dans la Ville
de Halk, il s'en alla loger dans le Palais Royal, le prenant pour un Caravanserai.
II y entre, et ayant regarde de tons cötcs, il se va placer .sous une belle galeric.
met bas son petit sac et son petit tapis, qu'il etend, et s'assit dessus. Des Gardes
l'ayant apper(,u en cette posture, lui crierenl de se lever, lui demandant en colere,
qu'est-ce (^u'il prötendoit faire? II repondit, (jiril pretendoit passer la nuit dans
ce Caravanserai. Les Gardes se niirent ä crier plus fort, qu'il s'en allät, et que ce
n'etoit. pas ici un Caravanserai, mais le Palais du Roi. Le Roi, qui se nommoit
Ibrahim, etant venu k passer lä-dessus, il se mit fort ä rire de la bevue du Derviche,
et l'ayant fait apeller, lui denianda coinment il avoit si peu de discernement, de
ne reconnoitre pas un Palais d'avec un Caravanserai? — Sire. se mit ä dire
le Derviche, que V. M. daigne souffrir que je lui demande une chose. Qui a löge
premieiement dans cet edifice-ei, apres qu'il a ete fini? — Ce sont mes Anci-tres,
repondit le Roi. — Apres eus, Sire, qui est-ce qui y a löge? reprend le bon hemme.
— C'est mon Pere, repondit le Roi. — Et apres lui, qui en a ete le maitre? — Moi,
repliqua le Roi. — Et de grace, Sire. qui en sera le maitre apres vous? — Ce sera
mon fils, repond lo Prince. — Ah! Sire, reprit le bon Derviche, un edifice (jui
chango si souvent dhabitans, est une hötellerie, et n'est pas un Palais.
Chardins unmittelbare Quelle bleibt noch zu ermitteln;') doch teilte mir Herr
Professor ßrockelmann in Halle dieselbe Geschichte aus der Biographie des be-
rühmten My.stikers Ibrfihira ihn Adham, vormals Fürsten von Balkh, mit, welche
der persische Dichter und Geschichtsschreiber des Sufismus Ferideddin 'Aüfir
(geb. 1119, gest. 1230) in seinem 'Leben der Heiligen' überliefert: =)
Als der Tag heraufkam, ging er in die Halle hinaus und setzte sich auf den
Thron, nachdenklich, versonnen und sorgenvoll. Die Stützen des Reiches standen
jeder an seinem Platz, die Diener bildeten eine Reihe, und sie hielten öffentliche
Audienz. Plötzlich trat ein Jlann von ehrfurchtgebietendem Aussehen zur Tür her-
ein, so dass keiner von dem Gefolge und der Dienerschaft den Mut hatte zu sagen :
Wer bist du ? Allen blieb die Zunge in der Kehle stecken. So ging er bis vor den
Thron. Ibrahim sprach; -Was willst du?' Er antwortete: 'Ich will in diesem Gast-
haus absteigen.' Er antwortete: 'Dies ist kein Gasthaus, es ist mein Palast, du bist
verrückt.' Er erwiderte: 'Wem gehörte dieser Palast vorher?' Er antwortete:
'Meinem Vater.' Er sagte: 'Vorher?' Er antwortete: 'Meinem Grossvater." Er
sagte: 'Vorher?" Er antwortete: 'Dem und dem.' Er sagte: 'Vorher?' Er antwortete:
'Dem Vater des und des.' Er sagte: 'Wohin sind sie alle gegangen?' Er antwortete:
'Sie sind fortgegangen und gestorben." Er sagte: 'Ist es dann nicht ein Gasthaus,
wo der eine kommt und der andre durchgeht?' — So sprach er und verschwand,
und das war Chidr^i, über ihm sei Heil! Der Brand und das Feuer in der Seele
Ibrahims nahm zu. und sein Schmerz wuchs . . .
1) Poll, Pfeffels Fabeln 188S S. (i5 führt zwar »Sadi, Gulistan, Paris 1737 p. 277
an; doch finde ich in den Übersetzungen von Oloarius (IGGOj und Graf iJfSlii) nichts
Hergehöriges.
2) Part I of the Fadhkiratu '1-Awliyä (Memoirs of the Saint«) of Muhammad ihn
Ibrahim Faridu"ddin 'Attär, edited in the original Persian by R. A. Nicholson.
I>ondon l'.)Ü5 p. 8G, 10-21 Persian historiclil texts, vol. 3\ — Vgl. über 'Att.-ir P. Hörn,
Geschichte der pcisischen Literatur 1901 S. 158.
3) Über den wandernden muhammedanischen Propheten Chi dr vgl. W. Hertz,
fiesamrnelte Abhandlungen 1905 S. 50f. und I. Friedlaender, Die Chadhirsage und
der Alexanderroman 1913.
Kleine ilitteilimgen. 119
Diese Biographie des um 7T7 verstorbenen heiligen Scheichs IbrühTm ist aber,
■^vie GoldziherM bemerkt hat, dem Leben Buddhas nachgebildet. Es wäre also
nicht unmöglich, dass unsre Geschichte vom König und Derwisch ursprünglich
buddhistisch ist und sich schon irgendwo in der indischen Literatur findet.
In Europa machte jedenfalls die Fabel, gleichviel ob muhammedanischen oder
buddhistischen Ursprunges, Eindruck"). Addison nahm sie alsbald in seinen
Spectator (nr. 289. 31. Januar 1712) auf; in Deutschland und Frankreich ver-
breiteten sie ferner das Yademecum für lustige Leute o, 4 nr. 5 (1767), das Diction-
naire d'anecdotes (1777 1.399 = 1778 2,3ßb 'Image de la via'; deutsch als 'Anek-
doten oder Sammlung kleiner Begebenheiten' 177.S 2, 12), der Abbe Champion
de Nilon in seiner Ausgabe von B. Giraudeaus Parables (1786 nr. 71), Clemens
Brentano in seiner anonymen Verdeutschung der Parabeln des Vaters Bonaventura
(Sulzbach ISSd S. 305 = 1851 S. 286 'Der Derwisch'), Christoph von Schmid
(Gesammelte Schriften, Augsburg 1861 16,227 = Sämtliche Erzählungen, Ravens-
burg? 5, 99 'Der Pilger") u. a. In gereimte Form wurde sie eingekleidet durch
La Fermiere (Pables et contes 1775 p. öd 'Le caravanserail'), Nivernois (Fables
1796 2.6 'Le derviche et le calife'), Barrucand (Mercure de France 1804 18,292
'Le derviche et le roi'), Pfetfel (Poetische Versuche 9, 155 -Der Derwisch und der
Ohan'. 1805) und Adolf Böttger (Gesammelte Werke 1865 1,209 'Memento mori').
Sieht nun nicht unser deutscher Hausspruch, der in zweizeiliger Form bereits
1715 zu Weissenburg im Elsaß erscheint, der persischen Parabel ausserordentlich
ähnlich? Man wird dies unbedenklich zugeben können, ohne jedoch daraus sofort
auf ein Abhängigkeitsverhältnis zu schiiessen; vielmehr sind Spruch und Erzählung
aus einer uralten und allgemein verbreiteten Vorstellung entsprungen. Nicht nur
der Derwisch nennt das Leben eine Reise, wie Kleists Prinz von Homburg (IV, 3)
mit sichtlicher Bezugnahme auf die persische Parabel sagt,'') sondern schon im
Alten wie im Neuen Testament und in der kirchlichen Dichtung tritt uns dieser
Ausdruck für die kurze Dauer des Erdenlebens im Vergleich mit der Ewigkeit
des jenseitigen entgegen. 'Ich bin ein Gast auf Erden', heisst es im Psalm 119, 19;
'Wir haben hier keine bleibende Statt, sondern die zukünftige suchen wir', sagt
der Ebräerbrief 13, 14. In seinem ergreifenden Liede 'Ich wölt, das ich doheime
•wer' mahnt Heinrich von Laufenberg:*)
Woluf, min herz und all min müt.
Und such das gut ob allem gut!
Du hast doch hie kein bliben nüt.
Es si morn oder es si liüt.
Aus dem 16. Jahrhundert ertönt es bei Friedrich Widebram:»)
1) I. Goldziher, Vorlesungen über den Islam i;)10 S. 163. — Es liegt also ein
ähnlicher Fall vor wie bei der Lebensbeschreibung des h. Josaphat; vgl. Lieb-
recht. Zur Volkskunde 1S79 S. 441 und E. Kuhn, Barlaam und .Toasaph (Abh. der
Münchner Akademie 1893.
2) Die folgenden Nachweise entstammen zumeist dem angeführten Aufsatze
Brechenmachers und der Dissertation von PolL Pfeffels Fabeln, Straßburg 1888 S. 65.
0^ Immermann kennzeichnet im llünchhausen (5. Buch, 6. Kap. Werke 3, 48 ed.
Boxberger' die Beschränktheit des Küsters dadurch, dass ihm dieser Vergleich im
Munde des Schirrmeisters als eine ganz neue Weisheit vorkommt.
4"i Wackernagel, Kirchenlied 2, 540 nr. 715 = Erk-Böhme, Liederhort 3, 869 nr. 2175.
5MVackernagel5,323nr. 512; vgl. Blätter für Hymnologie 1886, 92, auch 1885,24.
183. Dazu etwa Luther, Kirchenpostille 1544 2, Bl. N5 (über 1. Petri 2) und Schriften,
Eisleben 1565 2,137 b. Goethe, Hermann und Dorothea 9, v. 269: 'Nur ein Fremdling,
sagt man mit Recht, ist der Mensch hier auf Erden'.
l-'O Bolte, V. Geramb:
Wir lol)en wie oin Wandersmann,
aus dem 18. bei F. A. Lampe (1731):
Mein Leben ist ein Pilgrimstand,
Ich reise nach dem Vaterland,
und ein Ilausspruch zu Wcrmetschwil v. J. 1743 versichert mit einem Hinweise
auf die irdische Wuhnstätte:')
Hier bleiben wir nicht lange,
Gehen immer aus und ein;
Unßer Wohnung ist im Himmel,
Da wir worden ewig sein.
''•erlin. Johannes Bolte.
Steirische Volksniürfhen.
l. Der goldige Hirsch.-)
Es war einmal ein armes Keuschlerraandl, der hatte zwei Kinder von seiner
ersten Frau. Nun wollte er wieder gern heiraten, aber jede, um die er anhielt,
wies ihn ab, weil er eben zwei Kinder habe. Als er wieder einmal auf Braut-
schau auszog, begegnete ihm ein hässliches altes Soldatcnweibl, und um nur über-
haupt wieder ein Weib ins Haus zu kriegen, fragte er sie, ob sie ihn zum Manne
nehmen wolle. Aber auch ihre erste Frage war, ob er wohl ja keine Kinder
hätte. Weil er sichs nun aber einmal in den Kopf gesetzt hatte, eine Frau heim-
zubringen, log er sie an und sagte: nein, er habe keine Kinder. Da willigte sie
ein, und sie heirateten sogleich.
Als sie aber heimkamen, liefen ihnen schon von weitem die Kinder entgegen
und riefen: „Vater, ist das unsere Mutter':"' Da wurde das Weib sehr zornig,
stiess die Kinder von sich und überhäufte den Mann mit Vorwürfen, dass er sie
belogen habe. Er aber sagte nur immer: .,Lass nur gut sein" und hoffte bei sich.
1) Sutermeister, Hausspriiche 1860 S. G5. Vgl. Curtze, Waldeck 1860 S. -143: 'Dies
Haus ist mein und doch nicht mein, nach mir kommt ein anderer drein: im Hininiol
wird unsere Wohnung sein.'
2) Märchen aus Steiermark sind bisher meines 'Wissens nicht bekannt gewesen.
Die vorliegenden drei erzählte mir am 3. und 15. September 191G der alte Berg-
arbeiter Heinrich Freidl in Zeltweg bei Judenburg (Obersteier . Dieser ist 00 Jahre
alt, kann weder lesen noch schreiben, besitzt aber eine gute Erzählergabe und ein
prächtiges Gedächtnis. Er selbst hatte die Märchen als Kind in einem Gebirgs-
bauernhof ober Obdach "l^an der steirisch-kärntnischen Grenze}, wo er aufwuchs,
von seiner 83jährigen 'Züglmutter' (Ziehmutter) erzählen gehört. Die alte Trau
wusste viele ähnliche Märchen, an die er sieh aber nicht alle mehr genau erinnert.
Sie erzählte besonders gern beim Spinnen am Abend. Auch sie hatte nie lesen
und schreiben gelernt und die Märchen wohl auch schon aus ihrer Kindheit mit-
gebracht. Wir können daher das Alter der Märchen auf sicher 120 — 1.J0 Jahre in
der hier vorliegenden Form ansetzen. Ich gebe sie mit Ausnahme einiger besonders
charakteristischer Sätze hochdeutsch wieder, folge dabei aber möglichst wörtlich
der von mir während des Erzählens mitstenographierten Aufzeichnung. — Xr. 1 ist
eine Variante zu Grimms 'Brüderchen und Schwesterchen' Bolte-l'olivka,
Anmerkungen zu den KHM. 1, 79 nr. IL, die durch den Namen Verasin und den
-Mangel der Verse bei dem nächtlichen Besuch der ertränkten Mutter nicht sehr
altertümlich wirkt.
Kleine Mitteilungen. '[•Jl
sie würde sich mit der Zeit doch dareinfinden. Doch bald musste er einsehen,
dass es nicht gehe. Eines Tages nahm er daher 'ein Labl Brot und ein Maßl
Zwetschken'') und ging mit den Kindern in den Wald. Dort gab er ihnen das
Brot und die Zwetschken und sagte: „Da essts, dawais-) wos hobbs, und wann's
araol nix mehr hobbs, bittats den, der ober enker is! Hoam kema deafts neama!"
Die Kinder machten sich daraus nicht viel und gingen allein ganz getrost im
Waid weiter. Als sie müde und hungrig waren, setzten sie sich nieder und jaus-
neten. Nach dem Essen fühlten sie Durst und gingen daher suchen, ob nirgends
ein Wasser wäre. Richtig, nach einer Weile kamen sie zu einem Wassertrog.
Zuerst trank das Dirnlein. Kaum aber hatte sie getrunken, so schaute sie der
Bub verwundert an und rief: „Ja, bist du aber gross!" Denn sie stand plötzlich
erwachsen und in grosser Schönheit vor ihm. Da riet ihm das Miidchen: „So
trink du auch, dann wirst du auch ein grosser Mann." Er aber meinte: „Nein,
ich möcht bald lieber was anders sein, wie ein Mensch." „Ja, was müchtst denn
dann sein?" fragte die Schwester. Antwortete er: „Ich möcht ein guldiger Hirsch
sein!" „Nun so trink, vielleicht wirst einer!'' Der Bub trinkt und ist sofort ein
goldiger Hirsch.
Wie sie sich nun so eine Weile voll Verwunderung anstaunen, kommt eine
grosse Jagd daher. Der Graf will sofort auf den Hirsch schiessen, aber einer
seiner Geführten ruft ihm zu: „Halt, es steht ein Mensch auch dabei!" —
Da kamen sie nun alle herzu und sahen das wunderschöne Frauenzimmer,
und der Graf fragte sie, wie sie mit dem Hirschen daherkäme, und sie rausste
ihm alles erzählen. Sie gefiel aber dem Grafen so sehr, dass er sie bat, ihn zu
heiraten. Allein sie meinte, das sei unmöglich, denn sie sei ja viel zu arm. Doch
der Graf liess nicht ab zu bitten, so dass sie endlich einwilligte. Der Graf
schickte sofort heim und liess 'Ross und KogI wagen ^) und Spielleut' holen. Als
sie dann heimfuhren, banden sie den Hirsch hinten am Wagen an, und er lief
lustig mit. Im Schloss wurde sogleich die Hochzeit gefeiert, und sie lebten zu-
sammen in Freude und Glück, und nach einem Jahr schenkte die Gräfin ihrem
Manne ein Knäblein.
Da biach ein Krieg aus, und der Graf musste zu Felde ziehen. Beim Ab-
schied trug er seinen Leuten auf das strengste auf, alles genau zu erfüllen, was
die junge Gräfin befehlen werde. Inzwischen hatte die böse Stiefmutter den
neuen Aufenthalt und die Verwandlung der Kinder erfahren, und eines Tages
meldete sie sich im Schlosse, sie wolle ihre Stieftochter besuchen. Diese empfing
sie sogleich voll Güte, führte sie im Schloss herum und zeigte ihr alles, auch ihr
Kindlein, welches Verasin hiess. Wie sie so in den Gärten des Schlosses lust-
wandelten, kamen sie auch zu einem grossen Teich. Dort nahm die Alte den
kleinen Verasin in die Arme, als ob sie ihn liebkosen wollte, und plötzlich ver-
setzte sie der jungen Gräfin von hinten einen Stoss, so dass diese in den Teich
stürzte und ertrank. Dann zog sie der Toten ihre Kleider aus, legte diese selbst
an und kehrte mit dem Knäblein am Arm ins Schloss zurück. Zu den Dienern
stellte sie sich so, als ob sie die junge Gräfin sei. Die Diener und Mägde er-
schraken alle über die plötzliche Veränderung ihrer Herrin, die auf einmal so
hässlich geworden war, und zitterten bei dem Gedanken an die Rückkehr ihres
Herrn. Nach drei Tagen befahl die Alte, man solle den goldigen Hirsch schiachten,
sie wolle von ihm ein Stück Braten essen. „Das wird doch nicht sein," riefen
1) Fin Leibchen Brot und ein Maßlein Pflaumen.
2) Derweil.
3) Prunkwagen mit 'Kogl' = Baldachin (oder Zierkugeln?).
122 ^'- Geraiiil);
die Diener, „dass sie von ihrem eigcnon Bruder ein Stück Fleisch will haben!"
und keiner wagte es, den Uefohl auszuführen. Aber am nächsten Tajj wiederholte
sie ihren Befehl und am dritten Tage nochmals. Da musslen sie endlich ge-
horchen; denn der Graf hatte ihnen ja befohlen, ihr alles zu geben, was sie ver-
lange. So führten sie den Hirsch zur Schlachtbank.
Aber gerade als sie ihn niederschlagen wollten, kam der Graf aus dem Krieg
zurück. Erzürnt herrschte er die Diener an, was sie da machten. Da erzählten
sie ihm, dass die Frau es so wolle. Er aber befahl, den Hirsch sogleich zurück-
zuführen und sagte: „Ich werde ihr schon andere Freuden bringen.'" Als er nun
die Frau sah, erschrak er so, dass er fast umgefallen wäre. Allein er ermannte
sich und dachte bei sich: „Nun ja, sie ist so schnell gross und sauber worden
und ebenso schnell alt." So ersah er darin eine Strafe Gottes und bcschloss, es
ruhig zu ertragen. Abends legten sie sich zu Bette, und der Graf plauschte mit
der Frau, aber er berührte sie nicht. Der Graf aber konnte nicht einschlafen.
Um Mitternacht kam plötzlich etwas vor's Fenster, und der Graf hörte deutlich,
wie draussen eine Stimme sprach: „Was macht mein lieber Verasin?" Darauf
antwortete das Kind: „Er liegt in der Wiege und weint geschwind.*^ Und wieder
fragte die Stimme: „Was macht die alte Frau'?"' Und das Kind antwortete: „Sie
liegt im Bett wie eine Sau > — Ua dachte sich der Graf: „Was ist das?" und
die Stimme kam ihm vor wie die seiner Frau. Darüber dachte er hin und her
die ganze Nacht und den ganzen folgenden Tag. Am Abend gingen sie wieder
schlafen, und wieder kam die Erscheinung und sprach wieder genau so mit dem
Kinde. Da ging der Graf am nächsten Morgen zum Pfarrer und fragte ihn, was
denn das sein könne. Dieser sagte ihm, er müsse sich nun in der nächsten
Nacht vorm Fenster hinstellen und, wenn die Erscheinung wieder käme, sie
augenblicklich fest anpacken und an sich drücken. Das werde sehr schwierig
sein, allein er dürfe unter keiner Bedingung früher auslassen, bis die Gestalt
nicht selbst sage: „Jetzt bleibe ich schon da." Diesen Hat befolgte der Graf.
In der Nacht richtete er sich vorm Fenster zurecht, und wirklich kam die Er-
scheinung wieder. Mit aller Kraft fasste sie nun der Graf geschwind und riss
sie an sich. Allein die Gestalt wehrte sich so heftig, dass er sie fast nicht fest-
lialten konnte. Endlich, als er schon beinahe den Mut verlor, sagte sie: „Lass
mich' nur aus, jetzt bleibe ich schon da, aber zweimal sterben ist hart!"
Darauf nahm er sie, trug sie ins Schloss, aber in ein anderes Zimmer und
sagte der Alten gar nichts davon. Nur das kleine Kind nahm er ihr, indem er
ihr sagte: „Spin^) hast du so keine mehr, also gebe ich das Kind einer Amme."
— Am andern Tag fragte er die Alte: „Was verdient eine Frau, die eine andere
umbringt?"' Da erwiderte, sie: „So eine verdient, dass man ein Fass machen
lasse, in das man inwendig kreuzweis Messer und Gabeln einschlägt; in das muss
die Mörderin hineinkriechen und dann über eine hohe Leiten hinabgelassen
werden.'" Da ging der Graf zum Binder, der hoch oben am Berg wohnte, und
bestellte ein solches Fass. Wenn es fertig sei, sollten die Binderbuben pfeifen.
In drei Tagen war das Fass fertig, und es war gerade 1 Uhr mittag, da bliesen
die Binderbuben oben am Berg. Da ging der Graf zur alten Frau und sagte:
„So, jetzt wollen wir ein bischen spazieren gehen.'" Sie aber sagte: „Nein, ich
habe Kopfweh;" denn sie ahnti- schon etwas Böses. Der Graf aber befahl ihr
streng, ihm zu folgen, und so musste sie mit. Schon vom Weg aus sah sie das
Fass und fiel vor Schreck sogleich in Ohnmacht. Die Binderbuben aber packten
IJ Spin = Alutterniilch; daher abspänen.
Kleine Mitteilungen. 123
sie, schleppten sie hinauf, steckten sie ins Pass und Hessen sie über die Leiten
hinab. „Und i bin aft a gang- ban Loch, gehts hürts ma auf, wanns a so zua-
geht!"')
2. Der tapfere .Soldat.-)
Es war einmal ein altes Schloss. bei dem es nicht geheuer war. Unter
diesem Schloss war ein Wirtshaus. Einmal kam ein abgedankter Soldat, der bat
beim Wirt um Herberge. Der Wirt hatte keinen Platz frei, sagte aber: „Wann
du in oltn Schloss wüllst schlofn, obn is Platz gnua, aber obn loabs halt neamd'),
wirst halt obn net bleibn kinn." Allein der Soldat sagte: „Das macht mir nichts;
was gellt mich als alten Soldaten das an, wann ich nur über Nacht bleiben kann!"
Da füiirten sie ihn hinauf, Hessen ihn ins Schloss hinein und sperrten ab. Er
legte sich oben in ein Bett. Als er eine Zeitlang gelegen hatte, begann es herum-
zurunioren. Aber da.s machte ihm nichts. Als es aber zu arg wurde, stand er
auf und machte Licht. Da warf es durch den Kamin einen Menschenfuss herab.
Rief der Soldat: „Weil schon ein Fuss da ist, nur den andern auch her!" Sofort
kam auch dieser durch den Kamin herabgesaust. „Nur noch ocha!"^) rief der
Soldat. Da warf es auch das 'Mittergstell' herab. „Nur noch ocha!" rief er
wieder, da kam die lechte Hand, dann die linke. „Jetzt noch den Kopf auch
her!" Da warf es auch den Kopf herunter. Der Soldat setzte die Teile alle
schön zusammen, und wie er auch den Kopf dazu passte, sagte er: „Jetzt steh
nur auf, dass ich einen Kameraden auch hab! Bin so ganz allein da." Da stand
der ganze Mensch auf, und der Soldat gab ihm zu essen von seinem Essen. Der
andere langte auch lleissig zu, und wie er fertig war, winkte er dem Soldaten, er
solle mit ihm gehen. Der Soldat folgte ihm. Schon bei der ersten Tür befahl
ihm der Fremde, aufzusperren. Allein der Soldat sagte: „Ich habe nicht zu-
gesperrt, ich sperre auf auch nicht. Sperr selber auf, wenn du willst drinnen
sein!" Da sperrte der andere auf. Bei der zweiten Tür war es wieder so, aber
der Soldat weigerte sich wieder, und es sperrte wieder der andere auf. Bei der
dritten Tür aber wollte der Fremde durchaus nicht selbst aufsperren. Da sagte
der Soldat: „No, no, so lassen wir's halt sein; ich hab nichts zu tun drinnen;
gehn wir halt zurück." Da musste der andere auch die dritte Tür aufsperren,
und es standen drei Truhen drin, alle voll Geld: Kupfergeld, Silbergeld und in
einer Dukaten. „Das gehört jetzt alles dir," sagte der Fremde, wurde schnee-
weiss und war dahin.
3. ■Spielniannsiufirr^).
Auf einem Berg stand einmal ein altes Schloss, in dem es niemanden litt.
Herunten am Fuss des Berges war ein Wirtshaus. Dahin kam eines Tages ein
Reisender, der wollte dort übernachten. Aber der Wirt hatte keinen Platz und
schickte ihn ins Schloss hinauf, sagte ihm aber, dass es dort nicht geheuer sei.
Doch der Reisende fürchtete sich nicht und wars zufrieden, nur eine Unterkunft
zu bekommen. Oben legte er sich in ein Bett; doch als er sich's gerade recht
1 Der letzte Satz wurde vom Erzähler, der das übrige alles sehr ernst vor-
gebracht hatte, rasch und lustig hergesagt.
2) Vgl. Grimm, KILM. nr. 4 'Von einem, der auszog, das Fürchten zu
lernen' (Bolte-Polivka, Anmerkungen 1, 22. 'i, 537).
3) Leidet es halt niemanden.
4) Nur noch weiteres herab.
ö) So lautete die Bezeiclmung, die der Erzähler gebrauchte, also 'Spielmanns-
Märlein'.
24 "^- Gcramb, Knoop:
wohl sein liess, begann es hinter dem Retl zu schlagen. ^Niir Rubel" rief er,
„was ist denn das!"^ Allein das Schlagen hörte nicht auf, und so stand er endlich
auf und ging hinters Bett schauen. —
„Hm! Markwürdil Hiaz hobn zwoa Flöch am Strohalm Brettl ghuisciu.*'
Graz. Victor v. Geranib.
Der Gesaudheitsbrnnnen.
Ein Märchen aus Pommern.
Ein Kaiser von Russland hatte drei Söhne, von denen der jüngste Karl hiess.
Einmal horte der Kaiser, der immer l;rank war, dass im fernen England ein
(üesundheitsbrunnen sei; wer daraus Wasser trinke, werde sogleich gesund. Des-
halb sandte der Vater zuerst den ältesten Sohn hin, um das Wasser zu holen.
Derselbe bestieg ein Schiff, fuhr nach England und stieg an einem grossen Walde
ans Land. Dort setzte er sich hin, um zu essen. Sogleich näherte sich ihm ein
kleines graues Männchen und bat ihn; .,Gib mir auch ein wenig Brot, ich habe
in sieben Wochen nichts gegessen.'- „Wenn du sieben Wochen gehungert hast."
sagte der Prinz, „dann kannst du auch noch länger hungern " Und er gab ihm
nichts. Da sagte das Männchen: „Ich weiss, was du willst. Du sollst aber nicht
hinkommen, wohin du willst." Damit verschwand es, und der Prinz mit ihm.
Als der erste Sohn nicht wiederkam, sandte der Kaiser den zweiten aus.
Auch dieser kam in den Wald, und auch ihm erschien das Männchen und bat mit
denselben Worten um ein Stückchen Brot. Aber wieder wurde es abgewiesen,
und der zweite Prinz hatte infolgedessen dasselbe Schicksal wie sein Bruder: auch
er verschwand.
Als der Vater eine lange Zeit gewartet hatte und keiner von den beiden
Prinzen zurückkehrte, die Krankheit aber immer zunahm, da sandte er den dritten
Sohn aus. Auch dieser fuhr über das Meer und traf in dem Walde mit dem
Männchen zusammen. Dieses klagte: „Ach, gib mir doch ein wenig Brotl Mich
hungert so sehr, denn ich habe in sieben Wochen nichts gegessen." „Wenn du
in sieben Wochen nichts gegessen hast,' sagte Prinz Karl, ,,so komm her: es
wird wohl für uns beide reichen." Darauf sagte das Männchen: ,.Ich weiss, was
du willst: Du sollst für deinen Vater einen Krug voll Wasser vom Gesundheits-
brunnen holen. Ich will dir dabei behilflich sein. Reise nur getrost fort, du
sollst den Brunnen finden. Doch zwei gute Ratschlage gebe ich dir. Du wirst
auf deiner Reise an dem Schloss des Königs von England vorbeikommen. Gehe
aber bei der Hinreise nicht hinein, sonst kommst du nie zum Gesundheitsbrunnen.
Zweitens aber hüte dich vorm Galgenfleisch." Der Prinz versprach zu folgen und
reiste weiter. .41s er das Schloss des Königs von England erblickte, liess er sich
das nicht gross anfechten, sondern wanderte weiter, bis er auf einem hohen, steilen
Berge den Gesundheitsbrunnen auffand. Er nahm einen Krug voll Wasser und
machte sich auf den Rückweg.
Wie er wieder an dem Schlosse vorüberkam, beschloss er, Einkehi' zuhalten.
Er fand in dem Palaste alles schlafend. In einem Zimmer lag eine wunderscixlne
Prinzessin. Er legte sich zu ihr und schlief bei ihr. Darauf schrieb er auf die
Unterseite der Tischplatte seinen Namen 'Prinz Karl von Russland' und verliess
I) Auf der Wijipe gescliauki'lt.
Kleine Mitteilungen. 125
dann das Schloss. In dem Walde traf er das graue Männchen wieder und bat es,
ihm zu sagen, wo seine Brüder wären. Das Männchen aber warnte ihn und
sagte; „Hüte dich vor ihnen, denn sie sind Galgenfleisch. Sie müssten erhängt
werden, denn sie werden viel Unglück über dich bringen." Aber der Prinz bat
so dringend, dass der Graue sie herausgab. Alle drei bestiegen nun das Schiff
und fuhren der Heimat zu.
Die beiden ältesten Brüder aber beneideten Karl um den Besitz des Gesundheits-
wassers und beschlossen, es sich zu verschaffen und den Bruder zu verderben.
Als Prinz Karl einmal schlief, nahmen sie heimlich seine Krulio, gössen das
Wasser in die ihrige und füllten seine mit Seewasser. Als sie nach Hause kamen,
freute sich der Kaiser sehr über seinen jüngsten Sohn und trank von dem Wasser
aus seinem Kruge. Aber statt gesund zu werden, wurde er nur noch kränker.
Da brachten die beiden Brüder das rechte Wasser, und siehe da, er wurde so-
gleich gesund. Nun logen sie ihm vor, Prinz Karl habe ihn mit dem Wasser
töten wollen. Da wurde der Kaiser sehr zornig und befahl, man solle seinen jüngsten
Sohn erschiessen; die Kleider und die Zunge des Erschossenen solle man ihm als
Beweis bringen. Prinz Karl aber bat den Jäger so ilehenllich und versprach fort-
zugehen und nie wiederzukommen, dass der Jäger gerührt wurde, ihm andre
Kleider besorgte und ihn gehen Hess. Dem Kaiser überbrachte er die Zunge
eines Rehes.
Auf seiner Wanderung erging es dem Kaisersohn zuerst herzlich schlecht,
bis er sich endlich in einer grossen Stadt bei einem Kaufmann als Lehrling ver-
dingte.
Inzwischen bekam die Königstochter von England einen sehr hübschen Prinzen.
Als dieser grosser war und schon lesen konnte, spielte er einmal unter dem Tisch
und sah dort die Inschrift: Prinz Karl von Russland. Dies zeigte er der Mutter.
Sie las die Worte auch und wusste nun, wer der Vater ihres Sohnes war. So
beschloss sie, nach Russland zu reisen, um sich den Prinzen Karl vom Kaiser
als Gemahl zu erbitten. Sie nahm ein ganzes Regiment Soldaten und fuhr mit
vielen Schiffen bis an die russische Küste vor der Haupstadt des Landes. Dort
liess sie von ihrem Schiffe aus eine lange Brücke bis ans Land bauen und die
Mitte derselben mit Plüsch belegen. Dann liess sie den Kaiser um den Prinzen
Karl bitten. Es kam aber zuerst der erste Sohn. Dieser wagte nicht, das hübsche
Tuch auf der Brücke zu betreten und ging nebenan. Daraufsagte die Prinzessin:
,.l)ies ist nicht der rechte Prinz: den will ich nicht zum Gemahl haben." Da
sandte der Kaiser den zweiten hin. Auch dieser wagte nicht auf dem Plüsch zu
gehen und wurde zurückgewiesen. Da bat die Prinzessin um den dritten Sohn
und drohte, sie würde die Stadt einschiessen lassen, wenn sie nicht den rechten
Prinzen bekäme.
Bei dem Kaiser war aber der Zorn schon verraucht, und er fragte den Jäger,
ob er den Prinzen getötet habe. Als dieser sagte, er hätte den Prinzen gehen
lassen und er wäre in die weite Welt gewandert, da liess der Kaiser in allen
Zeitungen bekannt machen und in allen Städten ausrufen, Prinz Karl solle zurück-
kehren. Dies hörte auch der Kaufmannslehrling. Weil er von nun an so betrübt
war, fragte ihn der Raufherr, was ihm wäre. Da bekannte er ihm, dass er Prinz
Karl sei. Auf das freundliche Zureden seines Herrn machte er sich auf und kam
zu seinem Vater, der ihn freudig aufnahm und die Brüder bestrafte.
Der Kaiser sandte ihn eilends auf das Schiff zur Prinzessin. Voll Freude, sie
wiederzusehen, achtete er gar nicht auf den Plüsch, sondern eilte schnell darüber
hinweg in die Arme der Prinzessin, die scherzend sagte: „Ich wusste es ja, du
l'J6 Knoop, I.oewe:
hast mich nicht geschont, du würdest auch den Plüsch nicht schonen." Nun wurde
eine grosse Hochzeit gehalten, und die beiden lebten a:lücl;iich lange Jahre, und
wenn sie nicht gestorben wären, so lebten sie heute jioch.'J
Rogasen. Otto Knoop.
Der Schwank vom Zeichcndispat.
Im Jahrgang 24, S. 88 berichtet Wilhelm Caland aus Utrecht über den
Zeichendisput zwischen einem Gelehrten und einem l'nwissenden in Holland und
in Litauen, bei dem der Gelehrte unterliegt. Er fragt zum Schlüsse, ob einer der
Leser dazu beitragen könnte, den Zusammenhang zwischen der litauischen und
der holländischen Erzählung anzugeben. Es ist dies an Ort und Stelle von
Johannes Holte geschehen, und J. Hertel hat S. 317 eine indische Varianic hin-
zugefügt. [Vgl. Cesky Lid l'2, 25L Peck nr. 6'.). V. Hopelka nr. 8a— b.]
Aus der mündlichen jüdischen Volksüberlieferung ist mir eine solche Er-
zählung bekannt, die zwar kein Zwischenglied sein kann, einem solchen aber
nahesteht. Jedenfalls sind ja die Juden zu allen Zeiten sehr wichtige Weiter-
träger solcher Volkserzählungen gewesen. Auch räumlich liegt in diesem Falle
der Ursprungsort der Erzählung zwischen den beiden Ländern, aus denen der
Zeichendisput hier berichtet worden ist. Eine Stadt Mecklenburgs ist
nämlich der Ort, wo die jüdische Volksüberliefcrung diesen Disput lokalisiert,
■und der Erzähler, mein Vater, hat den Schwank aus seiner Heimat Strelitz mit-
gebracht.
In der Zeit des späteren Mittelalters, als die Juden verfolgt und die Rabbiner
mmer häufiger zu Religioiisdisputationen gezwungen wurden, kam eines Tages
auch die Reihe an die mecklenl)urgischen Juden, die von dem Zwange dieser
Religionsdisputation nicht verschont bleiben sollten. Damals lebte in der Stadt
Stern berg ein glaubensoifriger katholischer Geistlicher, der es sich in den Kopf
gesetzt hatte, die Juden entweder zum {^hristontume zu bekehren, oder aber ihre
Landesverweisung durchzusetzen. Er wusste bei dem Landesherrn den Erlass
einer Verfügung zu erreichen, dnss die Juden sich bis zu einem bestimmten Tage
zum Christentum bekehren sollten oder aber das Land verlassen müssten. Die
Juden waren aufs tiefste bestürzt. Ihre Verzweiflung wurde nicht geringer, als
der Geistliche sich erbitten liess, statt dessen in eine Glaubensdiskussion ein-
zutreten, wenn sich ein Rabbi fände, der mit ihm disputieren wolle. Jedoch solle
die ganze Disputation in einer Pantomime vor sich gehen. Würde der Rabbi
ihn darin überwinden, nun gut, so sollten die Juden bleiben dürfen; wo nicht, so
müsse sofortige Bekehrung oder Auswanderung folgen. Die Juden waren
hoffnungslos, sandten aber Boten bis nach Spanien hinunter, um einen ihrer
Glaubenshelden für diesen merkwürdigen Glaubenskampf zu gewinnen. Ver-
geblich! Das wagte keiner. So bereiteten sie sich verzweifelnd auf die allgemeine
Auswanderung vor. Aber wenige Tage vorher setzten sie noch einen allgemeinen Buss-
und Bettag fest, um vielleicht die göttliche Gnade zu erlangen. Sie sassen barfass,
1) Das Märchen ist aufgezeichnet von Herrn Lehrer A.smiis in Zwilipp. Vergl.
dazu das Mürchon vom 'Dreierlei Wasser bei 0. Knoop, Volkssagen aus dem öst-
lichen Hinterpommern i88ö S. 236 und Bolte-Polivka, .Anmerkungen zu Grimms
Märchen 2, 394 nr. 97 'Das Wasser des Lebens'.
Kleine Mitteiluugen. 127
in Sack und Asche, auf dem Fussboden ihrer Synagoge, lasen ihre Bussgebete und
sangen weinend die uralten Klagelieder, als von ungefähr ein polnischer Schnorrer*)
ins Städtchen kam und seine Stammesgenossen suchte. Erstaunt sah er die
Häuser leer, bis er endlich in der Synagoge die ganze Gemeinde in tiefer Zer-
knirschung fand. Als er auf seine verwunderten Fragen nach der Ursache des
Fastens und ßetens erfahren hatte, um was es sich handle, da sagte er: 'Und
darum so viel Aufhebens? Das ist dnch i;rade meine Sache. Das verstehe ich
doch wie keiner. Schickt nur mich, und ihr werdet sehen, mit welchem Erfolge
ich dem Gallach (Geistlichen) antworten und wie ich ihn widerlegen werde.'
Diese selbstsichere Zuversicht übertrug sich auf die eben noch verzweifelte Ge-
meinde, und sie Hessen dem geistlichen Herausforderer sagen, dass sich ein Mann
gefunden habe, ein berühmter Rabbi aus fernem Lande, der mit ihm die Dis-
putation in vorgeschriebener Form aufnehmen werde.
Auf Anordnung des Geistlichen versauunelten sich am nächsten Sonntage alle
Stadtbewohner in der Kirche. Auf der einen Seite stand der katholische Priester.
Sich gegenüber hatte er dem Schnorrer-Rabbi den Platz angewiesen. Hinter
jedem standen seine Gläubigen in die Kirche hinein, während die Disputatoren
am Altare ihren Platz hatten.
Der Geistliche begann mit der Uiskussion, indem er drei Finger hochhob.
Der Jude schwenkte den rechten Arm empor. Dann zeigte der Geistliche einen
Finger, der Jude ballte zur Erwiderung beide Fäuste ihm entgegen. Der
Geistliche hob beide Hände mit gespreizten Fingern, der Jude erwiderte mit er-
hobener flacher, aber geschlossener Hand. Da nahm der Geistliche einen grösseren
Beutel, den er zu diesem Zwecke mitgebracht hatte, und streute aus ihm "Wal-
nüsse über die ganze Kirche. Der Jude wartete, bis dass jener fertig war. Dann
ging er hin und sammelte die Nüsse ein, zuerst in die Taschen seines weiten
Kaftans; und als diese voll waren, in den Busen seines Gewandes, bis er auch
die letzte Nuss eingesammelt hatte. Dann stellte er sich wieder am Altar auf,
um zu warten, was der Geistliche weiter zu bemerken habe. Der aber winkte
ab: er sei besiegt, der Rabbi habe ihn überwunden, die Juden sollten nur nach
Hause gehen, er werde sie immerdar ungeschoren lassen. Als die Juden die Kirche
verlassen hatten, bestieg er die Kanzel und wandte sich an seine Gemeinde, um
ihr über seine Handlungsweise Rechenschaft abzulegen.
Zuerst habe er drei Pinger emporgehoben, um zu zeigen, dass es drei Per-
sonen in Gott gäbe. Der Jude habe einen Arm erhoben, um zu zeigen, es sei
nur ein Gott. Dann habe er dem Juden einen Finger gezeigt, um ihm zu sagen,
dass also die Juden und Christen nur einen Gott anerkennen. Da habe der
Jude die Fäuste erhoben, um ihm zu erwidern, der Gott der Juden sei ein starker,
ein gewaltiger Gott. Mit gespreizten Händen habe er darauf hingewiesen, dass
die Juden zerstreut seien, aber der Rabbi habe die geschlossene Hand erhoben
und ihm damit gesagt, dass sie gleichwohl noch immer ein einziges ungeteiltes
Volk seien. Da habe er endlich die Nüsse ausgestreut, um darzutun, dass sie
aber doch von Gott Verstössen sein müssten, denn er' habe sie von Jerusalem aus,
das durch den Altar angedeutet sei, über die ganze Welt verstreut. Die Kirche
aber sei das Bild der Welt. Der Rabbi habe die Nüsse aber alsbald wieder auf-
gelesen und gesammelt, habe sie in seinem Gewände und an seinem Busen ge-
borgen, um zu zeigen, dass Gott, der die Juden zerstreut habe, sich auch ihrer
erbarme, er hüte sie, wie der Hirt seine Herde und sammele sie sorgsam ein, von
den vier Enden der Erde bis gen Jerusalem und berge sie väterlich an seinem
1) Wanderbettler.
l-JS Loewe, Holtc-Polivka:
Herzen. Nur ein göltliches Wunder liabe den Rabbi die Fragen verstehen lassen
und ihm die richtigen Antworten an die Hand pegeben. Dann entliess er die Ge-
meinde. Hillfort licss er die Juden ungeschoren.
Es war nur natürlich, dass die Juden dem gelehrten Rabbi, der sie so
wunderbar errettet hatte, ein grosses Festessen gaben, ehe sie ihn mit Ehren-
geschenken reich beladen weiter wandern Hessen. Hei dem F'cstmahie fragten sie
ihn, was denn die Pantomime bedeute, und wie er sie habe verstehen und gar
pantomimisch beantworten können.
'Das ist doch aber sehr einfach', sagte er. 'Zuerst hat er die krummen Finger
gezeigt, hat er mich wollen packen, hab' ich ihn wollen schlagen. Dann hat er
mich gewollt stechen, hab' ich ihn wollen bumßen, da hat er mich wollen kratzen,
hab' ich ihn wollen patschen'). Und warum sollen die Nüss' da liegen ?" —
Ein Disput mit gleichem Motive und ähnlichem Ausgange wurde mir von
litauischen Juden an der Grenze in der Nähe Memels erzählt. Hier fehlt aber
der Zeich endispiit:
Vormals hat es hier zu Lande viele kleine Fürsten gegeben, Dukesse'), die
ganz unabhängig waren. Ein solcher Dukes hatte nun in seinem Lande einen
beinahe zu mächtig gewordenen Erzbischof, der durchaus die Juden bekehren
wollte. Er glaubte das leicht zu können, weil er in hebräischer Sprache und
allem jüdischem Schrifttume grundgelehrt war. Er wussteesnun beim Dukes, sehr
gegendessen eigentliche Absichten, durchzusetzen, dass dieser die Genehmigung zu
folgender Anordnung erteilte. An einem bestimmten Tage sollton die Juden mit
dem Erzbischofe über die Grundwahrheiten des Judentums und Christentums
disputieren. Wären sie nicht imstande, ihn zu widerlegen, so sollten sie alsbald
alle das Land vorlassen. Es sollte dabei immer abwechselnd gefragt wx'iden.
Wer von den Disputatoren zuerst bekennen müsse 'ich weiss nicht', sei als
besiegt zu erachten. Die Juden hatten aber eine doppelte Furcht, erstlich weil
der Bischof wirklich auch in allen jüdischen Wissenschafton so gelehrt war, wie
nur irgend ein Rabbi, und dann weil sie fürchten mussten, es möchte ihnen an
das Leben gehen, wenn sie irgend etwas gegen das Christentum sagten. Kein
noch so gelehrter Rabbi hatte den Mut zu diesem Disput. In dieser Not erbot
sich eines Tages ein armer Flickschneider, er wolle mit dem grundgelehrten
Manne diskutieren. Und wie der Teufel in der Not Fliegen fiisst, so hielten
sich die Juden an diesen Schneider.
Der Tag kam heran. 'Der Angegrilfene soll zuerst fragen!' entschied der
Dukes. Und so wurde bestimmt, dass der Jude die erste Frage an den Bischof
zu richten habe. 'Was heisst öni jcdea?' fragte Jisrol Schneider. 'Ich weiss
nicht', antwortete der Bischof. 'Er weiss nicht, er weiss nicht' schrie der Schneider.
und alle Anwesenden fielen im Chorus mit ein: 'er weiss nicht'. Der Erzbischof
will erklären, dass hier ein Missverständnis vorliege, dass nv ''J^S (eni jöde'a)
auf deutsch hiesse 'ich weiss nicht!' Aber der Dukes, sehr erfreut, seine Juden
unangefochten zu behalten, hat schon das Glaubensturnier aufgehoben, und die
Juden sind die Sieger.
Bei dem Festbankett zu Ehren des Siegers fragen ihn die Juden, wie er denn
auf den glänzenden Einfall gekommen sei, so schlau zu fragen. Er sei doch
sonst so harmlos, und tue doch geradezu immer einfältig. Da erwiderte der wackere
."Schneider: RabboL'ai (meine Herren), Jhr wisst doch, ich lene (sage ab) alle
l, Jüd.-deutscli für 'ohrfeigen'.
2) Jüd. -deutsch Herzüge, von 'dux'.
Kleine Mitteilungen. 129
Schabbes die heilige Zennerenne^). Da steht, bei eni jedea, Rabbenu Bechäje
sagt: 'ich weiss nicht'. Wenn der heilige Rabbenu Bechäje-) es nit gewusst hat,
weiss es doch der Goj (NichtJude) awadde (ganz gewiss) nit.'
Für den Schneider waren die hebräischen Wörter, die er mit so grossem
Glücke anwendete, eben doch nichts weiter als unverstandene Zeichen. Jedenfalls
dürften hier Zwischenglieder eines Nebenarms zu dieser Geschichte vom Zeichen-
disput vorliegen. —
In dem anonymen Werke, dessen Autor ich nicht nachzuweisen vermag: "Des
Frantzösischen Rriegs-Simplicissirai Hoch-verwunderlicher Lebens-Lauö" (Th. 1 — ö.
Freyburg, J. J. Fillion 1G.S.3; enthält das XL\". Capitel (Th. 1 S. 513-520) die
Geschichte vom Zeichendisput zwischen Christen und Juden. Nur gewinnt, da
hier ein Bericht von christlicher Seite vorliegt, der Christ: „Simplex eizehlet, wie
die Christen den Juden, eine Stadt in Kärndten, mit Deutungsfragen abgewonnen
haben". Mir liegt das der Berliner Universitäts-Bibliothek gehörige Handexemplar
Jacob Grimms vor, der die handschriftliche Bemerkung gemacht hat: „Die Ge-
schichte mit den drei Fragen von Griechen und Römern auf Juden und Christen
(Rärnthen) angewendet."
Berlin. Heinrich Loewe.
Zu Bürgers Münchhausen.
1. Eine neue Quelle Bürgers.
Das historische Urbild des berühmten Jagdgeschichtenerzählers war be-
kanntlich der Freiherr F. K. Hieronymus von Münchhausen, geb. 1720, der
als russischer Kavallerieoffizier mehrere Feldzüge gegen die Türken mitmachte,
sich 1750 auf dem ererbten Gute Bodenwerder an der Weser niederliess und dort
1797 starb. Seine Erzählungen von erstaunlichen eigenen Erlebnissen erfreuten
sich einer gewissen Berühmtheit und gelangten 1781 in die Literatur durch einen
Berliner Anonymus, der im 8. Teile des 'Yademecum für lustige Leute' den
Helden mit leichter Verschleierung als Herrn vor. M — h — s — n im H — sehen be-
zeichnet. Die 17 im Jahre 1786 von Raspe ins Englische übertragenen Geschichten
aus dem 8. und 9. Bande des Vademecnm bilden den Grundstock zu Bürgers
noch im selben Jahre erschienener Bearbeitung des Raspeschen Büchleins, die er
aber durch einige neue Geschichten vermehrt hat.
Zu diesen 1890 durch E. Grisebach in seiner Ausgabe von Bürgers 'Reisen
des Freiherrn von Münchhausen' scharfsinnig dargelegten Tatsachen glaube ich
eine neue hinzufügen zu können. Schon 1761 scheint sich der Ruf der Münch-
hausenschen Schnurren so verbreitet zu haben, dass ihnen ein Standesgenosse, der
Graf Rochus Friedrich zu Lynar (1708 — 1783) einen Platz in seiner anonym er-
schienen Satire 'Der Sonderling' (Hannover 1761) anwies, allerdings ohne den Er-
zähler mit Namen anzuführen. Doch äussert er kein unbefangenes Wohlgefallen
an jenen Erzählungen, die der Berliner Anonymus von 1781 'voll der unglaub-
1) ^e'ena ü-re'enä. Eine volkstümliche Paraphrase biblischer Erzählungen mit
kurzen Erklärungen aus haggadischen und rabbinischen Werken. Verfasser ist
Jaakob ben Jizchak aus Janow in Polen. Er lebte in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts.
2) Bechaj Jbn Pakuda, jüd. Religionaphilosoph.
Ztiltschr. d. Vereins 1. Vollcskuliae. 1913. 9
130 Bolte-Polivka:
liebsten Übertreibungen, dabei aber so komisch und launigt" nennt, 'dass man
ohne sich um die Möglichkeit zu bekümmern, von ganzem Herzen lachen muss',
sondern mürrisch tadelt er S. 33 die Eitelkeit der Erzähler von Lügengeschichten,
'deren Mund von lauter Ebontheuern und Wunder-Dingen überdiesst', und um ein
Beispiel dafür zu liefern, fährt er fort:
Dio löbliche Jägerey ist darin besonders fruchtbar. Ein gewisser Liebhaber
derselben versicherte, und schwohr dazu, daß in dem brabantischen Kriege*) er,
weil es bey Tage zu gefährlich gewesen, des Nachts auf die Rebhühner-Jagd
gegangen, seinem Hunde eine Laterne an den Schwanz gebunden, und ihn solcher-
[34]gestalt vor sich revieren lassen, bis er gestanden; da er sich dann hinan-
geschlichen, und, bey dem Scheine der Laterne, die auffliegenden Hühner bev
Dutzenden herunter geschossen.
Aus Versehen war einmal der Lade-Stock in der Flinte stecken geblieben;
Nichtsdestoweniger lief der Scluiß so glücklich ab, daß zwanzig Crammets-Vögel,
welche in einer Reyhe auf dem Aste eines Baumes sassen, dadurch gespiesst
wurden, und sämtlich herunter fielen.
Ein andermal hetzte er mit einem trächtigen Windspiele einen Satz-Haasen.
Durch die Bewegung ward die Gebührt befördert; die Hündin warf, die Häsin
setzte, beide in vollem Laufe, und zum Beweise, wie den [35] Thiercn dergleichen
in die Natur gepflanzt sey, so verfolgten in dem Augenblicke die jungen Hunde die
jungen Haasen, und die Jagd ward allgemein.
Von diesen drei Geschichten wird nur die letzte auch im Vademecum S. 99
nr. 175, 10 berichtet und kehrt demzufolge bei Raspe und Bürger (Grisebach
S. 28) wieder. Die beiden ersten aber gehören zu den Zusätzen, die Bürger 1788
in seiner zweiten Ausgabe anbrachte (Grisebach S. 25 und 17 f.). Nur sind es
hier nicht zwanzig Krammetsvügel, sondern sieben Rebhühner, die durch den ab-
geschossenen Ladestock aufgespiesst werden-.) Mithin darf man vermuten, erstens
dass Graf Lynar unter dem 'gewissen Liebhaber' von Lügengeschichten den Herrn
von Münchhausen verstanden hat, und ferner, dass Bürgef nach dem Erscheinen
seiner ersten Auflage auf jene Stelle des 'Sonderlings' aufmerksam wurde und sie bei
nächster Gelegenheit verwertete. Dass die Jagd mit der Laterne nach Grisebach
S. XXXVU schon in einem Schwankbuche von 1707 begegnet und dass die Ge-
schichte von der trächtigen Häsin und Hündin schon 1579 bei Philippe d'Alcripe
(Nouvelle fabrique 1853 p. 7) berichtet wird, tut meiner Vermutung keinen
Abbruch.
Nebenbei bemerke ich, dass die Erzählung des angeführten Vademecum für
lustige Leute 9, 95 nr. 129 (1783), welche Bürger für das 5. und 6. Seeabenteuer
Münchhausens (Grisebach S. 58. XXVI. XXXIX) ausnutzte, neu abgedruckt ist
bei Bolte-Polivka, Anmerkungen zu Grimms RHM. 2.80 (1915).
2. Münchhausens Jugdabeuteuer iu sla'Nvischeu ^'olksschwüuken.
1, Oben 24, 81 wurde die seit dem IG. Jahrhundert in Deutschland und
Prankreich verbreitete Jägergeschichte von den listig gefangenen Wildgänsen,
Enten oder Kranichen besprochen, welche sich unvermutet erheben und den Er-
zähler mit sich durch die Luft davontragen".) Auch im Osten Europas ist dieser
1> Gemeint ist wohl der österreichische Erbfolgekrieg (1741—1748).
2) Sieben Enten sind es im dänischen Schwanke bei E. T. Kristonsen,
Molbo- og Aggerbohistorier 2, 29 nr. 94 (1903).
3) Wildgänse sind es in der vlämischen Fassung bei A. Joos, Vertelsels van
het vlaamsche volk 3, 60 nr. 17 'Van den man met ganzen geladen' (Gent 1891); ein
Luftballon ebd. 2, 134 nr. 38, 3.
Kleine Mitteilungen. 131
Schwank wohlbekannt. In einer polnischen Erzählung aus Oberschlesien
(Malinowski 2, 41) kommen die geschossenen Wildenten und Gänse wieder zu
sich und heben den Jäger empor, bis dieser in einen Sumpf fällt und sich heraus-
arbeitet. In einem kaschubischen Schwanke (Gryf 1, 260) tragen die Gänse
den Erzähler ins Wasser, ein Fuchs zieht ihn heraus. Ein cechisches Märchen
aus Mähren (Mensik, Jemnic. S. 126 nr. 39) verrät seinen Zusammenhang mit
Bürgers Münchhausen durch den Eingang: der Held bindet bei Schneeweiter sein
Pferd an seinen Pfahl, der sich nachher als die Spitze des Kirchturms erweist:
dann fängt er durch ein Stück Speck viele Enten, wird von ihnen in die Höhe
getragen, fällt auf einen Haufen Häckerling, aus dem er einen Strick dreht usw.
Ebenso beginnt ein kleinrussisches Märchen aus Galizien (Etnograf. Zbirnyk 6, 315
nr. 641) mit dem an dem Glockenturm angebundenen Pferde; die Wildenten fängt
der Held aber mittels einer Wagendecke, bindet sie an seinen Gürtel und lässt sich so
nach Hause tragen. Bei Tarasevskyj 1, 5ö nr. 83 (aus der ükraina) fängt der Jäger, wie
schon oben 24, 83 bemerkt, die Wildgänse mittels eines Stückes Brot, das er an
einen Faden gebunden hat. In einer andern galizischen Erzählung (Etnograf.
Zbirnyk 8, 54 nr. 20) wird der Held von betrunkenen Kranichen emporgehoben;
ähnlich ukrainisch bei Hrincenko 1, 221 nr. 177 und Jastrebov, Materialy S. 69.
Kraniche, die vom Branntwein getrunken hatten und gefangen wurden, spielen auch in
zwei Weissrussischen Märchen (Federowski 3, 122 nr. 216. Romanov 3, 417
nr. 20b aus dem Gouv. Mogilev) die gleiche Rolle. Bei Federowski 3, 119 nr. 214
erholen sich die angeschossenen Wildenten und tragen den Schützen zum Himmel
empor; er flicht sich einen Strick aus Leinsamen, fällt in den Sumpf und gräbt
sich aus. Endlich ist ein grossrussisches Märchen bei Afanasjev' 2, 375 nr. 231
zu erwähnen, in welchem die Kraniche einen ganzen Wagen emporheben.
Auch andere Geschichten aus Raspe-Bürgers Münchhausen sind über die
Grenzen Deutschlands in den Volksraund der Nachbarländer übergangen, sei es
durch gedruckte Übersetzungen des Büchleins'), sei es durch mündliche Fort-
pflanzung.
2. Das Abenteuer mit dem im Schneewetter an der Kirchturmspitze an-
gebundenen Pferde (Vade Mecum für lustige Leute 8, 93 nr. 175, 2. Berlin
1781 = Grisebach S. 10, das uns schon in einem kleinrussischen Schwanke aus
Galizien und in Mähren bei Mensik nr. 39 entgegentrat, kehrt auch in einem andern
cechischen Märchen aus Glatz (Kubi'n 1, 72 nr. 3«) wieder; dänisch bei
E. T. Kristensen, Molbohistorier 2, 29 nr. 9:-t (1903). Eine entfernte Ähnlichkeit
hat der lateinische Schwank vom Elsässer Weigger, den Martin. Zs. f. dt. Alt.
13, 578 aus einer Hs. des 14. Jahrhunderts mitteilt.
3. Der Wolf, der sich in Münchhausens Schlittenpferd hinein frisst und nun
im Geschirre ziehen muss (Vademecum 8, 94 nr. 3 = Grisebach S. 11) erscheint
im Weissrussischen Schwanke bei Federowski 3, 123 nr. 217. Ein Bär ist es
ebd. 3, 1J2 nr. 216 und im grossrussischen Märchen bei Afanasjev^ 2, 375
nr. 231. So nötigt schon in der Legende der h. Corbinianus den Bären, die Last
des von ihm zerrissenen Pferdes zu tragen (Acta Sanctorum Soptembris 3, 285.
Abraham a S. Clara, Judas 1752, 1, 350 = Werke 2, 224 ed. Passau. Etwas für
alle 1699 1, nr. 53 = Werke 14, 299), • und dem h. Martinus muss der Bär, der
seinen Esel gefressen, als Reittier dienen (Abraham a S. Clara, Judas 1, 350).
1) Grisebach führt in seiner Ausgabe der 'Wunderbaren Reisen des Freyherrn
von Münchhausen' ^Stuttgart 1890) S. LV einige Übersetzungen ins Dänische, Fran-
zösische, Italienische, Niederländische, Portugiesische, Russische, Spanische und
Ungarische an.
9*
13-.' Bolte-l'olivka, Holte:
4. Wenn Münchhausen im Vadcmecum 8. 94 nr. 17.'), 4 = Grisebach S. 15 in
Ermangelung eines Flintensteins das Pulver auf der Gewehrpfanne durch einen
Schlag auf sein Auge entzündet, so ist das eine Weiterbildung des schon von
Hans Sachs (Fabeln 2, 615 nr. 379. -i, 299 nr. 146) erziihlton Schwankes vom
.\ugenfeucr, der auch bei Abraham a S. Clara (Gehab dich wohl 1729, 5. Discurs
= 11, 86. Narren-Nest 1, nr. 7 c= Werke 13, 28) und in Anekdotenbüchern (ü. S.,
Der lustige und possierliche Historienschreiber, um 1750 8.7 nr. 4. Semper
Lustig, Allzeit fertiger Lustigraachcr 1762 S. 3) variiert wird. Dem Lugitriltli
zugeschrieben im Schweizer .4rchiv für Volkskunde 2'>, ;'>10 nr. 12. Danisch bei
E. T. Krisionsen, Molbohistorier 2, 29 nr. 94 (190.'i). Üechisch bei Kubi'n 1,72
nr. 38. Grossrussisch bei Afanasjev' 2, 379 nr. 231g.
5. Münchhausen schiesst mit einem Nagel einen Fuchs an einen Baum fest
(Vademt'cum .S, 95 nr. 175, 5= Grisebach S. 18). Im vliimischen Lügenschwank
bei Teirlinck, Contes llamands 1896 p 102 ist es ein Hase, der ebenso fest-
genagelt wird. Zu dem ebenda durch tien Hirschfänger halbierten Hunde,
der zwei Hasen packt, erzählt Groonie (Gypsy folk tales 1899 p. 130 nr. 36)
ein Seitenstück aus dem Munde englischer Zigeuner; das Münchhausensche Jagd-
stück von der trächtigen Hündin und der trächtigen Häsin (oben S. 13(i) ist
anderer Art.
(J. Aus den Kirschkernen, mit denen Münchhausen einen Hirsch schiesst,
wächst ein Kirschbaum zwischen dem Geweih (Vademecum 8, 96 nr. 175, 7 =
Grisebach S. 20 und XXXIV). Öechisch bei Kubin 1,72 nr. 38. Französisch
von einem Fuchs bei Carnoy, Litt, orale de la Picardie 18i^3 p. 195 'Pierre Ber-
zille' = Blümml, Schnurren des franzüs. Bauernvolks 1906 S. 2u8.
7. Das Pferd, dessen hintere Hälfte durch ein Schutzgatter abgeschnitten ist,
galoppiert weiter (Vademecum 8, 96 nr. 175, 8 = Grisebach S. 32; vgl. Holte zu
Frey, Gartengesellschait Nr. 121). Öechisch bei Kubin 1, 78 nr. 38. An die
Fortsetzung von den mit Lorbeerzweigen zusammengehelteten Pferdehälften
(Grisebach S. 34) gemahnt ein kleinrussisches Märchen bei Oubinskij 2, 83
nr. 2t), wo ein Knabe auf einem Hasen reitet und, als seine hinten in den Gürtel
gesteckte Hacke den Hasen durchschneidet, mit einem Eichenzweige die beiden
Hälften wieder zusammenflickt.
8. Münchhausen greift einem Wolf in den Rachen und krempelt ihn um
(\'ademecum 8,98 nr. 175, 13 = Grisebach S. 21; vgl. Wesselski zu Bebeis
Schwänken 3 nr. 115. 1907). Ebenso das Lugitriltli im Schweizer. Archiv f. Volks-
kunde 25, 518 nr. 5.
9. Münchhausen, der vor einem Bären auf einen Baum geflüchtet ist, macht
einen sinnreichen Gebrauch von Wasser und Kälte (Grisebach S. 2-2 und
S. XXXVJI). Ebenso das Lugitriltli im Schweizer. Archiv 25, 519 nr. 13.
10. Der Bär wird durch eine mit Honig bestrichene Wagendeichsel ge-
fangen (Grisebach S. 39), wie schon H. Sachs 1548 in einem Schwanke 'Das
abenteurisch Weidwerk' (Fabeln 1,302 nr. 105. 4, 381 nr. 497) berichtet. Klein-
russisch bei Hrincenko 2, 339 nr. 244.
11. Das dritte Seeabenteuer (Grisebach S. 53) ist kleinrussisch m
Galizien aufgezeichnet im Etnograf. Zbirnyk 6, 313 nr. 642.
Berlin und Prag. Johannes Holte und Georg Polivka.
I
Kleine Mitteilungen. 133
Hessische Volksschwänke aus dem Jahre 1811.
Zu den Gewährsmännern Her Grimmschen Märchen gehört der alte hessische
Dragonerwachtmeister Friedrich Krause, der 1812 den Brüdern Grimm in Kassel
Fassungen zu den Märchen von den drei Schlangenbiättern, vom alten Sultan,
vom Ranzen, Hütlein und Hörnlein, von der Bienenkönigin, vom Wolf und Fuchs
und vom gelernten Jäger mitteilte. Von ihm rühren drei im Grimmschen Niicli-
lasse befindliche Hefte mit der Aufschrift 'Aufnahme der Gespräche auf denen
Spinnstuben der Gemeinde Hoff im Jahr 1811' her, denn der "Wachtmeister
stammte aus Hof am Habichtswald (vgl. oben 2ö, oi'). Sie enthalten ausser
mehreren der genannten Märchen auch eine Reihe Volksschwänke, die freilich
grossenteils alte Wanderanekdoten ohne besondere Eigenart des Vortrages sind.')
Nur ein paar Geschichten scheinen mir zur Kennzeichnung der Spinnstubenunter-
haltung in jenem hessischen Dorfe einen Abdruck zu verdienen; die Überschriften
sind erst von mir hinzugefügt.
1. Frage und Gegenfrage.
Ein Dorfprediger katechisierte einmal in der Kirche und kam an eine Magd
und fragte dieselbe, wieviel .Götter wären. Da wusste sie nicht zu antworten.
Die Magd fragte den Prediger, ob er wüsste, wieviel Leinwand man aus einem
Kloben Flachs machen könnte. Der Herr Pfarrherr sagte: 'Da musst du deine
Mutter um fragen.' Da sagte sie: 'So könnt Ihr auch unsern Schulmeister fragen,
der wird Euch auch sagen, wieviel Götter sind.'
2. Der unrechte Doktor.
Es war hier in unsern Gegendon ein Bauer, der hatte an seinem linken
Schenkel einen langwierigen alten Schaden. Derselbe ging nach der Stadt und
fragte eine Magd, wo ein Doktor wohnte. Die Magd sagte: 'Hier gegenüber. Was
will Er von dem Herrn Doktor?' Der Bauer gab zur Antwort, er verlange eine
Blutreinigung von demselben. Die Magd hatte den Bauer aber zu einem Advokat
gewiesen. Der Bauer klopfte an; auf das Herrn Reinrufen ging derselbe in die
Stube; der Herr Doktor fragte den Bauer, was sein Begehren wäre. Erzählte er
von seinem bösen linken Schenkel und bittet um guten Rat. Der Doktor ant-
wortete: 'Ja, mein guter Freund, ich höre wohl, was Euch fehlet; aber ich bin
ein Doktor im Rechten.' — 'Ja so', sagte der Bauer, 'dann komm ich doch un-
recht an: mein Schaden ist am linken Bein.'
3. Der Bauer und der Amtmann.
Es war ein Bauer, der hatte hier beim Amte eine Rechtssache, welche ihm
ziemlich viel gekostet. Als sie nun zum Ende kommen war, bat er um die Akten
bei dem Gerichtshalter, welcher ihm auch solche gab. Da sähe der Bauer, dass
die Schrift sehr weit geschrieben war und der dritte Teil des Papiers nicht be-
schrieben. Fragte der Bauer, woher das käme, dass soviel Platz gelassen wäre,
und er hätte das Papier doch teuer bezahlen müssen. Der Gerichtsherr antwortet:
1) Z. B. der Köpfemacher (Wickram, Werke 3, 386 zu nr. 791, der viele Wiegen
kaufende Ehemann (Bebel, Facetiae 3, nr. 139 mit Wesselskis Nachweisen), das beim
Raube, aber nicht beim Verlust der Ehre schreiende Mädchen (Pauli, Schimpf und
Ernst c. 15\ das Verzeichnis der Pflichten (ebd. 139), die Fliegen auf des Richters
Nase (ebd. 673), der träumende Bauer (J. P. de Memel, Lustige Gesellschaft 16G0
nr. 41. A. v. Weilen, Shakespeares Vorspiel 1884\ Mohr als Teufel (Memel nr. ;^)4 ,
des Esels Verwandte (ebd. Sl.f), Affe als Sohn des Ministers (ebd. 993).
134 Bolte, Wisser:
'Ei Bauer,, das verstehst du nicht; das heisstActa geschrieben.' Der Bauer merkte
solches, und weil er nicht bei Geld war, erfbot er] sich, die Belohnung' dem
Gerichtshalter mit Arbeit abzuverdienen; welches auch der Gerichtshaher zufrieden
war, gab ihm die Acta und liess ihn gehen. — Nach einer Zeit wurde der Bauer
bestellt, dem Amtmann in seiner Scheure zu dreschen. Der Bauer ging auf die
Scheure und legte die Garben ziemlich weit voneinander, schlug oben gar leicht
darauf herum und licss das halbe Korn in den Ahrcn. Der Gcrichtsherr l;am
endlich gegangen und siebet solches und fing heftig an zu schelten, sagte: 'Du
loser Vogel, was machst du? Das ist nicht gut gedroschen, das halbe Korn ist
noch in den Ähren.' Der Bauer gedachte, er wollte ihn mit gleicher Münze be-
zahlen, und sagte: 'Ei Herr Amtmann, das verstehet Ihr nicht: das heisst Acta ge-
droschen', und lief aus der Scheuren hinaus und lachte den Beamten sehr heftig
aus, dass der mit gleicher Münze bezahlt war.
4. Die Alte vor dem Spiegel.
Ein altes "Weib ging auf der Messe, allwo viele Spiegel feil waren, in welchen
sie sich besähe. Und als sie gewahr wurde, dass sie so verschrumpelt und ver-
altert aussähe, sprach sie: 'So wahr ich lebe, ist solches eine Schande, dass man
heutiges Tages so unnütze und hässliche Spiegel macht! Vor diesem, da ich noch
jung war, da wurden weit schönere Spiegel gemacht.'
ö. Du musst die Pfanne wegtragen.
Im siebenjährigen Krieg war in einem hier gelegenen Landstädtchen ein
Schuhmacher, und [der] hatte eine sehr schone Frau. Es war beider Eheleute
ihre liebste und beste Kost Pfannkuchen zu essen, und hatten keine eigene Pfanne
und mussten jedesmal eine Pfanne borgen bei den Benachbarten. Nun war jedes-
mal unter den beiden Eheleuten ein Dispodakt (Disput), welches die Pfanne
sollte wieder wegtragen. Also wurde ein sehr harter Entschluss darauf gemacht,
wer unter ihnen beiden zum ersten schwätzte, der sollte ohne weitere Entschuldigung
die Pfanne wegtragen.
Nun war es der F'all, dass zu der Zeit Einquartierung da war, die schon
wirklich Order zu marschieren hatten. Ein Oflizicr schickte seinen Bedienten hin,
der Schuhmacher möchte seinem Herrn die Stiefeln eilend besohlen. Der Schuh-
macher blieb seine Antwort schuldig. Des Morgens kam der Bediente, um die
Stiefeln zu holen, und fragte: 'Meister, sein meines Herrn Stiefeln fertig?' Nun
durfte der Schuhmacher nicht sprechen, weil die Pfanne noch nicht weggetragen
war, und die Frau auch nicht. Der Mann sah die Frau an, und die Frau den
Mann. Der Bediente fragte nochmals. Der Meister zog das Pechdraht fleissig aus
und fing an zu singen:
:^=^
1
'IIa - di - da Ra - di - da Ha - di - da Ra - di - da - dum.'
Der Bediente fragte: 'Meistersche, kann Euer Mann nicht sprechen?' Sie stimmte
das Nämliche an und Tcrfehlte keinen Takt. Der Bediente konnte also keines von
den beiden Antwort darbringen als den Gesang von beiden.
Der Herr Hauptmann sagte: 'Kerl, bist du toll oder der Meister?' und lief
eilend selbst hin, fragt also den Meister um seine Stiefeln. Der Schuhmacher
fängt wieder an zu singen, die Schuhmacherin sieht den Herrn sehr verliebt an.
Der Herr Hauptmann fragt: 'Hört, Meisterin, kann Euer Mann nicht sprechen?'
Sie fängt das Nämliche an zu singen. 'Nun', denkt der Hauptmaim, 'könnt ihr
Kleine ilitteilungen. 135
alle beide nicht sprechen, dann kann auch keines das andere verraten' und fasst
die liebe Frau und macht sich mit derselben auf das Bett hinterm Vorhang.
Der Schuhmacher fasst wütend den Hammer und drohet; [aber] diese beiden
wussten wohl, dass derselbe nicht sprechen durfte, sonsten hätte er müssen die
Pfanne wegtragen. Er wirft den Hammer wütend auf die Pritsche und packt ein
Schuhleist und drohet denen wiederum.
Nun schlägt der Tambur, der Offizier gehet also fort, und die Meisterin
schüttelt sich zurecht und setzt sich bei ihren Hanftwocken und spinnt ihrem
Manne seinen Hanft. Endlich siehet dieselbe ihren Mann an, dass der sehr un-
zufrieden ist. so fängt sie an: 'Mein lieber Mann, wie war dir zu Mute, wie mich
der Offizier auf dem Bette hatte?' Er sprang eilend auf: 'Und du musst die
Pfanne wegtragen.'')
Berlin. Johannes Bolte.
'üie Scheune brennt!' oder die sonderbaren Namen.
Von dem oben 2G, S. 370 und '27, l.ij besprochenen Schwanke habe ich in
Ostholstein und auf der Insel Pehmarn folgende Fassungen gefunden:
1. Tagelöhner Frank in Lensahn (1899).
(Dar is mal 'n) Prester, (de) med't sik 'n Knech . . het Hans. Un as he em
meden deit, do secht he denn je, wat he to 'n iJur'n seggen deit. Dar secht he
'n Bur'n tö. Ne, dat het ken Bur'n, dat het 'n Dörpshund. Un wat he to 'n
Katt segg'n deit. Dar secht he 'n Katt tö . . dat het Samee . . to 'n Lieh . .
(dat het) Gefährlikeit . . wat he to 'n Schün segg'n deit. Dar secht he 'n
Schün tö . . dal het Stockhus. Dar is dat je mit göt. Nu, na verlopen Tit
is den Prester sin Katt mit 'n brenn' Lieh na de Schün lopen, un do kümmt de
Schün je in Brand. Nu mutt je he Lärm maken.
Do röppt Hans denn je: Herut, herut, ji Dörpshunn', meines Herrn Samee ist
gelaufen mit der Gefährlikeit nach meines Herrn Stockhaus. Und dat künnt se
je ne verstahn. Do mäkt de Prester dat Finster apcn un nippt denn je: Hans,
Hans, rop din gewöhnli'n Wör!
2. Hufner Haltermann in Bojendorf auf Fehmarn (1900 nachgeschrieben und
mir zugeschickt von dem Landwirtschaftslehrer Dr. Matthiessen in
Lensahn).
Der Pastor fragt den Knecht, wie der bei seiner Grütze zu essen ist: Krischan,
wat is n Bur? 'n Bur is 'n Bur. Ne, 'n Bur is n Dörphund. Wat is 'n Bett?. .
V Einen belanglosen Schluss lasse ich fort; die Musiknoten habe ich aus dem
Diskantschlüssel transponiert. — Die Wette des schweigenden Ehepaares
über das Türzumachen oder das Wegtragen der Pfanne ist ein weitverbreiteter
Stoff; vgl. R. Köhler, Kl. Schriften 2, ÖTG. A. de Cock, Volkskunde 16, 203. 239.
Wesselski, Nasreddin 1, nr. 237. Chauvin, Bibl. arabe 8, 132. Reuter, Läuschen
und Rimels 2, nr. 37 'Du dröggst de Pann weg'. Ferner oben 16, 136. Revue
des trad. pop. 15, 283. 29, 66. Wallonia 15, 176. Dampierre, L'ecole poui
rire 1679 p. 76. Xieuwe Snakeryen p. 195. Kristensen, Skjämtesagn 1900 p. 17.
Guadagnoli bei P. Heyse, Italienische Dichter 3, 290 (1889). Balladoro, Novelline
veronesi 1900 p. 209. Hnatjuk, Geschlechtleben 1, 163. A^äclavek 1897 S. 32. Vräna
1888 nr. 7, IV. Nemcovä nr. 55. Schmidt-Kahle, Palästina nr. 30. Swynnerton, Raja
Rasalu 18S4 p. 179. Parker, Village tales of Ceylon 2, 60 nr. 87. Hahn, Kols 1906
nr. 6. Enderling, Japanische Novellen nr. 6.
136 Wisser, Knoop:
Ne, 'n Bett is 'n Sandfieem (oder Siinnlleem) . . Katt is 'n Sollmce . . Licht
ig 'n Gcfiihrlikeit . . Schiin is 'n Stockhus. Do löppt de Katt mit 'n Lieh na
Schün rin, und de Schiin fangt an to brenn'n . . Krischan schall de Bur'n ropcn . .
löppt to Dörp un röppt: Ji Dörphunn', kamt ut 'n Sandfieem! Meines Herrn
Soilmee is lopen mit de Gefährlikeit in meines Herrn Stockhaus. Och wat, drün
nich, seggt de Bur'n und slapt wider. Do küramt de Paster sülb'n und röppt:
Für, Für!
3. Tagelöhner Li dem an n in Sulsdorf auf Fehraarn, gebürtig aus Pommern
(i!to;i).
. . 'n Paster . . Knrch . . wat sechs to 'n Bur? . . seggt wi Bur . . bi mi to
Hus seggt wi Dörphund to 'n Bur . . to 'n 'Bett . . seggt wie Bett . . bi mi to
Hus seggt wi Sandflecken . . to 'a Katt . . sewwi (seggt wi) Katt . . bi mi to
Hus Salomo to 'n Katt . . to Für . . sewwi Für . . Gefährlikeit . . Schün . .
Stockwark . . de Fru is bi 't Etenkaken . . de Katt licht up'n Fürherd,
brenn't an und löppt na de Schün hen. üa de Schün fangt an to brenn'n. Un
Hans schall denn je to Durp und schall Hölp hal'n. Do röppt he : Herui, ji
Dörphunn' ut ju Sandflocken! Salomo is mit de Gefährlikeit in uns' Herrn Stock-
haus gelaufen. Herut, berut! Nu wet de Lud' je ne, wat dar los is. Do kümnn
he wa' to Hus. Hans, kamt ken? Nc, secht he. Ja, secht he, denn rop man na
diu ol Wis': Für, Für! Do kamt de Lud' je mit Notommers an, to löschen.
4. Schuster Rießen in Neujellingsdorf auf Fehmarn (1908).
. . Paster . . gizi . . Arbeitsmann . . heß Luß, bi mi to den'n? . . awer up
söben Jahr! Un schaß all' behol'n, wat ik di segg'n dö . . ken 'Für' segg'n, . . .
süss kricht he ken Lohn . . will t' öwernehm'n . . wo nenn't Se mi? Herr Paster.
Ne, hoher Gott! . . Fru . . reine Süße . . Un de Pastor is to Stadt vel reden . .
Reitstiefel . . sporne Füße . . und to de Bettstell: bretlerner Himmel . . to
'n Peerd: Weitsprung . . to den Säwel (Studentendegen): Pcchtling . • to den
Hund: Bauchrunks (der auf dem Bauch liegend runkst d. h. sich räkelt) . . to
de Katt: Rauhreif . . to de Schün: hohe Wonne . . to 'n Aben (Ofen) warme
Liebe. De Tit vergeiht . . de söb'n Jahr gabt hen . . he is ne enmal rinfull'n . .
de Kncch hett in de Schün slapen . . (do denkt de Paster:) du sticks em de
Schün in Brand, denn schall he wul 'Für' ropen . . stickt de Schün an (ist natürlich
falsch) und löppt gau we'r to Bett . . de Knech hört dat . . wakt up . . Hoher
Gott, wecke deine reine Süße, zieh an deine spornen Füße, hänge um deinen
F'echtling, setz dich auf deinen Weitsprung, denn der Bauchrunks und der Rauh-
reif haben getragen aus der warmen Liebe in die hohe Wonne, daß es scheint
wie die liebe Sonne. Das Bett fehlt hiqr.
Oldenburg i. Gr. Wilhelm Wisser.
Der oben 26, 13 angeführten, mecklenburgischen Fassung stellt sich noch eine
Lübecker bei G. Schumann, Volks- und Kinderreime aus Lübeck 189!) S lOs
nr. 68:! an die Seite:
Herr Oberverwalter,
Ihr schöne Gestalte (Frau),
Zuckersüß, Barfuß,
Der Kattenmeister Katze) ist gekommen.
Hat mir meine Strauchel (Bürste) genommen,
Ist damit in die Glut gesprungen,
Ist in die Füllung (^Scheune) gelaufen,
Hat die Füllung in Brand gesteckt.
Kleine Mitteilungen. 137
Laß den Moorteufel (Schornsteinfeger) kommen,
Laß den Plumperjan (Spritze) holen,
Damit die höllische Glut kann gedämpft werden!
Aus Posen bei Konrad, Samotschiner Zeitung 1906, Beilage 'Aus der Heimat'
S. 18: 'Der kluge Bauer' (Der schöne Glanz fiel dem Rattenbeisser auf den
Schwanz, der R. lief in den Lämmertanz, und der L. steht im schönen Glanz).
Polnisch bei Knoop, Rogasener Farailienblatt litl3, 11 (Pan Stielelinski aus
Torbowo, Pan Speklinski aus Topfowo). Cechisch ähnlich: Vyhiidal 1800 nr. lil.
Väclavek 1S97 S. ÜU. Tille nr. 4.3. Vnina nr. 21. V. Popelka nr. U.
.1. Bolte.
Schwanke aus Hiutorponimern.
1. Ackersiuann Klackersmann.
Sitzt da an einem rauhen, regnerischen Tage ein Besenbinder auf der Birke
und schneidet Ruten. Da führt ein Bauer vorüber, der ein Fuder Dung auf das
Feld bringt. Infolge des vielen Regens ist der Weg breiig geworden, und bei
den Stössen fällt hier ein Klacks und da ein Klacks vom Wagen herunter. Die
Wagen breiter und die Räder sind von oben bis unten beschmutzt, und auch der
Bauer sieht nicht sauber aus. Der Besenbiniier fühlt sich in seiner Stellung viel
behaglicher und glücklicher und ruft bedauernd: „E Ackersmann is e Klackers-
mann. Woll dem, dei e Handwark lehrt hett!"'
2. Die Schulzeiiprüfiing.
In einem Dorfe sollte ein Schulze gewählt werden. Da aber ein solches .Amt
Verstand und Bildung erfordert, sollten sich die Bewerber beim Landrat einer
Prüfung unterziehen. Siebon Bauern wollten Schulze werden, doch konnten nur
sechs von ihnen in Betracht kommen, da der siebente für dumm galt. Zunächst
musste jeder der sechs Bauern eine Schriftprobe bestehen. Sie machten ihre
Zeichen, die hier folgen:
A U TT
/ / :-
\ \
Der Lundrat war befriedigt. Jetzt sollte das Ganze vorgelesen werden, aber das
konnte niemand. Der Landrat liess nun den dummen Bauer rufen, damit der
seine Kunst zeige. Ohne sich zu besinnen las dieser: „L)at erseht is eie Dack,
dat zweit is eie Sack, dat dridd is eie Disch, dat veiert is eie Fisch, dat füfd is
eie Boom mit Nät, un dat seßt is eie grot Schät."!) Der Landrat und die sechs
Kandidaten waren überrascht, solche Gelehrsamkeit zu sehen, und so wurde der
dumme Bauer Schulze.
1) Diese gereimten Deutungen der Hausmarken bieten ein Seitenstück zu den
Reimen von der Hobelbank oder Lichtputzschere (Böhme, Kinderlied 1897 S. 666.
C. Schumann, Lübeckisches Spiel- und Rätselbuch 190.3 S. 114—119. Frischbier,
Volksreime nr. 860. Lewalter, Kinderlied 1914 nr. 976. F. van Duyse, Het oude
nederlandsch lied 2, 1168 nr. 3'23:.. Vgl. auch die Deutungen der Zahlbuch-
staben oben 10, 188.
138 Knoop, Schell:
3. Des Bilrjrerineisters Traiini.
Wieder einmal sasscn Zanows Bürger traulich im Ratskeller zusammen und
stritten mit dem Wirt über die schlechten Getränke. Als letzter kehrte der
Bürgermeister ein und hörte zu. „Denkt euch einmal", redete er dann dazwischen,
_was mir letzte Nacht geträumt hat." Alle scharten sich gespannt um den
Sprechenden, der pinkepinke mit seinem Feuerstein machte und dann anfing: „Mir
träumte, ich wäre tot und machte meine Himraclsreise. Unterwegs bekomme ich
Leibweh, und da ich keinen von des Nachbarn Modderow — er zeigte auf den
schmunzelnd hinter dem Schenktisch stehenden Wirt — Nordhäuser mit Pfeffer
bei mir hatte, so blieb mir weiter nichts übrig, als mich seitwärts in die Büsche
zu schlagen und etwas zu tun, was die andern auf dem IJimmelswege Pilgernden
nicht gerade zu sehen brauchten. Aber o Schreck, was hatte ich angerichtet!
Wie ich hinter den andern her zu Petrus an die Himmelstür komme, kann ich
nicht anders, als Petrus mein Missgeschick erzählen. Denke dir nur, Petrus, sage
ich, unterwegs konnte ich nicht anders, als mich hinter einen Busch setzen. Der
Menschen Gewohnheit, sagte Petrus und schmunzelte. Ja aber, sag ich, das Gold
klackerte durch die Wolken hindurch und unserm alten Ratswirt Modderow, —
wer lacht da? — der sich gerade das Wetter ansah, mitten ins Gesicht. 0,
meinte Petrus, das ist weiter nicht schlimm. Er hat dich oft genug mit seinem
Bier besch . . . . n, und da kann er es gar nicht übel nehmen, wenn du ihn auch
einmal besch .... t.'"')
Rogasen. Otto Knoop.
Das Dreizehnerfest in VVindhageu bei Gummersbach.
Unter der Bezeichnung 'Dreizehnerfest' wurde bis in die 70er Jahre des
vorigen Jahrhunderts in Windhagen bei Gummersbach der Dreikönigstag
(Epiphaniastag) mit dem Dreizehnerball (letzterer wurde noch 1914 gefeiert) festlich
begangen. Zu beachten ist, dass Windhagen durchweg evangelisch und in seiner
alteingesessenen Bevölkerung streng evangelisch ist. Nur in Windhagen kennt
man den Brauch noch, sonst nirgend in der ganzen Umgegend. Der Verlauf des
Festes war in den Grundzügen folgender. Am Neujahrstag, und zwar nachmittags,
zogen die jungen Burschen mit Musikbegleitung über die Höfe. In den Stuben
wurde dann getanzt, Nüsse wurden ausgeteilt und durch die Stube geworfen. Auch
das allgemein übliche Neujahrschiessen fehlte dabei nicht. Am folgenden Sonntag
wurden diese Umzüge wiederholt, und es wurde noch lebhafter getollt. Jeder
Hof musste dann eine Bratwurst spenden. Diese Würste wurden an einem Stecken
aufgereiht, später gebacken und gemeinschaftlich verzehrt. Am Abend dieses
Tages wurde dann der Dreizehnerball abgehalten.-)
Wenden wir uns zunächst dem Namen 'Dreizehnerfest' zu; er setzt das Drei-
königsfest mit dem Weihnacbtsfest in unmittelbare Beziehung, während ver-
schiedene festliche Handlungen auch das Neujahrsfest in seine Festesfreude ein-
1 Vgl. die Simmentaler Erzählung vom Lugitrittli im Schweizer Archiv für
Volkskunde '22, llö nr. 8.
2) Im .Talire 186G ging ein Fremder durch Windhagen. An einem Hause fand
er die Zahl ISGü angesehrieben. Als er sich nach der Bedeutung dieser Inschrift er-
kundigte, wurde ihm gesagt, dass die jungen Burschen Neujahr keine Bratwurst
dort empfangen hätten, aber gewiss wären, im folgenden .lahre zwei zu erhalten.
Kleine ilitteiiungen. 13i>
beziehen. Der Name scheint, wenn auch in etwas anderer Form, in weiteren
Strichen des Bergischen bekannt gewesen zu sein. So schreibt Montanus (Volks-
feste 18.')4, S. 18): „Den Schluss des Dreizuhnnächtefestes macht der Dreiliönigtag,
auch der Dreizehntetag genannt." A.Kuhn, Sagen aus Westfalen 2, 117, schreibt:
„In der Umgegend von Recklinghausen, z. B. zu Lcmbeck und an anderen Orten
ist der Name driitteijenten gebrauchlich; eine Bezeichnung, die sich auch in den
Marken findet; vgl. Norddeutsche Gebräuche Nr. 149."') Auch in Flandern hat sich
die Bezeichnung 'Dertiendag' bis heute gut erhalten (A. de Cock, Spreekwoorden
en Zegsw^ijzen 1905 S. 172). Die 'dreizehnte Nacht' ist auch auf den Pasröer-
Inseln bekannt (oben 2, 15).
Die Zahl 13 scheint im Volksglauben nicht allgemein als Unglückszahl zu
gelten. Peilberg dürfte kaum Recht haben, wenn er (oben 2, 382) sagt: „All-
gemein wird l.'l als eine gefahrliche Zahl angesehen, doch vielleicht besonders,
wenn ich mich nicht irre, unter den Gebildeten, wonig oder gar nicht unter dem
Volke. Ob der Aberglaube christlichen Ursprungs sei, lasse ich dahingestellt."
Es dürften nur unscheinbare Spuren für das Gegenteil dieser Anschauung sprechen
(z. B. oben 24, 62. 25, 400 ff.). Einen F''ingerzeig gibt für das Bergische die
Redensart: 'Twölf Handwerker — drüttien Onglöcker', welche etwas humorroll
klingt.
Suchen wir den oben geschilderten Zug des Dreizehnerfestes von Windhagen
in das allgemeine Volksfüstleben einzureihen. Kück-Sohnrcy (Feste und Spiele des
deutscheu Landvolkes 1909, S.-41f.) ziehen Bräuche aus Österreich und der
Schweiz für diesen Tag heran, namentlich das Umherlaufen zu Ehren der Frau
Berchta oder Brechtel. Dazu halte man das Sternsingen im Bergischen
(0. Schell, oben 9, '90 f.; A. Kuhn, Westf. Sagen 2, 116 f.), einen Rest des alten
Herodes- oder Dreikönigsspiels'.-)
Noch deutlicher tritt unser Windhagener Brauch in seiner tiefen Bedeutung
hervor, wenn wir aus Sartori (Sitte und Brauch 3, 72), einige Sätze anführen:
„Das Epiphaniasfest gilt einerseits als der Abschluss der weihnachtlichen Pest-
feier, andererseits als der wirkliche Beginn des neuen Jahres. Der Weihnachtsbaum
wird zum letztenmal angezündet und abgeplündert, Glückwünsche weiden aus-
getauscht, es wird viel geschossen, die Wirtshausgäste haben freie Zeche, und noch
einmal finden fröhliche Vereinigungen und Schmausereien statt mit vorgeschriebenen
Gerichten.''
Dem Windhagener Brauch des Dreizehnerfestes nahe steht, was A. Kuhn (Sagen
aus Westfalen 2, 115) bemerkt: „Im Siegener Lande heissen die Zwölften die
heiligen Tage, da wird keine Arbeit getan, sondern nur gesungen, getanzt und
gespielt." „An der oberen Wupper und an der Sieg gibt es Hofstellen, wo während,
der zwölf Tage kein eisernes Werkzeug in den Kuhstall gebracht werden darf
1) Über die Bezeichnungen des Dreikönigstages hat Sartori, Sitte und Brauch
3, 73 die Literatur zusammengestellt.
2) [Wenn in dem oben 9, 91 mitgeteilten oberhessischen Liede die Dreikönige
ingen: -Wir zogen daher in grosser Eil, in dreissig Tagen vierhundert Meil,' so
st dies eine Entstellung aus der alten Fassung 'in dreizehn Tagen.' Vgl. Johannes
von Hildesheim, Historia trium regum c. 13 bei Goethe, Werke 29, 127 Hempel
= 41, 1, 172 Weimar. Luther, Werke 10, 337 Erlangen = 10, 1, 563 Weimar. Wein-
h old, Weihnachtepiele aus Süddeutschland und Schlesien 1853 S. 122.^ Bolte,
Märkische Forschungen 18, 168 zu Lasius v. 530 (1884). Erk-Böhme, Liederhort 3,
4,2. 1198,4. 1955,4. Hartmann, Weihnachtlied in Oberbayern 1875 S. 91 (aus
Oberbayer. Archiv 34). Oben S. 92.]
14Ü Schell, Fischer, Ebermann:
und wo an Jen Tagen von Neujahr bis Dreikönigenabend niemand arlieitct. Be-
sonders die drei ersten Tage des Jahres sind der Sclimauserei geweiht. Diese
Gastereien nennt man llerkeniei oder Herkelmei, weichen Namen anderwärts auch
das Erntefest führt."
Eiberfeld. Otto Schell.
Ein studentischer Brauch.
Studentische Einrichtungen und Briiuche sind bisher nicht selten mit einer
Art von freimaurerischem Geheimnis umgeben gewesen, und manche Züge barocker,
auch wohl zynischer Art haben das begreiflii'h gemacht. Heute wünschen wohl
alle Verbindungen mit manchem in ihrer Vergangenheit aufzuräumen, und so
dürfte es auch vielleicht jetzt leichter sein, über dieses und jenes der früheren
Zeit Aufschhiss zu erhalten. Wie schwer das oft schon gehalten hat, dafür mag
die Sitte des Salamanders angeführt werden; ebenso dafür, dass manches nach
Inhalt oder Namen Auffallende keineswegs so alt zu sein braucht, als man deshalb
annehmen möchte. Wie interessant es aber wäre, ein möglichst vollständiges,
nach Zeit und Ort und Charakter der Verbindungen geschiedenes und geordnetes
Inventar über solche Dinge zu erhalten, braucht man nicht erst zu sagen. Ein
Beispiel mag genügen. Eine süddeutsche Verbindung besass bis zum Krieg das
Institut der 'Quartettmetzelsuppe'. Einmal jeden Winter ward ein Schwein
geschlachtet und mit den üblichen Zugaben verzehrt, wozu gesteigerte Leistungen
des Singquartetts erwartet wurden. Der Höhepunkt des Abends war das Heraus-
treten der uneingeweihten Füxe zum 'Anschiss', aber nicht wie sonst mit dem
Bierglas, sondern mit einer Leberwurst in der Hand, als ob sie die in die Wette
zu verschlucken hätten. Aber es erfolgte kein Kommando, und nach längerem
Harren und Hailoh wurden die Füxe wieder mit Hohn auf ihre Stühle geschickt,
als ob sie zu dumm wären, die Sache zu begreifen. Woher dieser Blödsinn? Es liegt
nahe, in diesem 'Anschiss' die Keimzelle des Ganzen zu sehen, und Konjekturen
sind möglich, so geistreich, wie die Sache selbst geistlos ist. Die Sache liegt
aber historisch ganz anders. Zu Anfang der sechziger Jahre und dann wieder
seit etwa 1870 bestand jene Quartottmetzelsuppo einfach als das, was sie sich
nannte, ohne den 'Anschiss'; wann dieser (um 1S90 schon vorhandene) Auswuchs
entstanden ist, weiss ich nicht. — Ich denke, das Beispiel ist typisch und kann
zur Warnung dienen, in derartigen Specificis, weil sie absurd sind, den Keim und
Kern einer Sitte zu suchen — und gewiss ist das in der Geschichte der Volks-
kunde oft genug irrtümlich geschehen.
Tübingen. Hermann Fischer.
Eine Warnung vor dem Meineid.
(Mit einer Abbildung auf Tafel :!.)
Der Freundlichkeit des Herrn Prof. Dr. Eduard Hahn verdanke ich den Besitz
eines kleinen handgeschriebenen Heftchens mit der Aufschrift „Außlegung des
Eid-Schwurs. Allen frommen Christen vor Augen gestellt und beschrieben." Das
Heft ist etwa in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sehr sorgfältig ge-
schrieben. Sein Inhalt gliedert sich in drei Abschnitte: eine geistliche Deutung
Kleine Mitteilungen. 141
der Schwui'hand, eine Warnung vor dem Meineid und einige Beispiele von gött-
licher Bestrafung des Meineides. Die Überlieferung des Textes lässt sich durch
mehrere Jahrhunderte verfolgen.
Ans-Legung des Eid-Schwurs.
Welchem Menschen ein Eid zu thun auferlegt wirt, der (soll) mit aufgehobenem
Finger schwören; bey dem ersten Finger, als bey dem Daumen wirt verstanden
Gott der Vatter, bey dem andern Finger Gott der Sohn, und bey dem dritten Finger
Gott der Heilige Geist. Der vierte und unter sich gelegte Finger bedeutet die Seele,
der fünft und kleinste Finger bedeutet den Menschlichen Leib, welcher dann viel
kleiner und geringer gegen der Seel zu achten ist, die ganze Hand aber, bedeutet
das ganze göttliche wesen, durch welches Almacht, Himel und Erden, Son und
Mond die Schönen lieblichen Sternen, Laub und Gras, und alles was lebt auf Erden,
Erschaffen worden ist. Der Eid hat auch folgeten Verstand, wie hernach zu ver-
nehmen ist, und lautet also.
Da ich falsch oder unrecht schwöre, so soll mich Gott der Vatter Sohn und
Heilige Geist, ausschliessen und absondern von der ganzen Christenheit.
Zum andern da ich falsch Schwöre so soll mir Gott der Vatter mein Erscliaffer
Gott der Sohn mein Erlöser, und Gott der Heilige Geist mein Seligmacher nimmer-
mehr zu hilf kommen, wann sich mein Leib und Seel an meinem letzten End von-
einander scheiden werden.
Zum dritten da ich falsch schwöre so soll das Bittere Leiden und sterben Jesu
Christy, welches er am Stamm des hl. Kreuzes für der ganzen Welt Sünden bezalt
und genug gethan, an mir verlohren sein, und ich mich dessen in Ewigkeit nicht
zu getrösten haben.
Zum vierten da ich abormahl falsch schwöre, so helfe mir Gott nimermehr,
und daiss ich Meineidiger am Jüngsten Gericht mit schrecken, Zittern und Traurig-
keit auferstehen, und alda mit Leib und Seel für dem Strengen Richterstuhl Gottes
und von allen aus-erwelten Gottes abscheiden, und ewiglich verlohren werden.
Derowegen Christenmensch! bedenke, imd überlege den Eidschwur recht, lass
dich kein Gewalt, Lob, Ehr, Gelt imd Gut bewegen, dass du mit dem wenigsten
falsch schwörest; dann der falsche Eid ist ein unerträglicher Last, dadurch Gottes
Huld verlohren, Leib u. Seel verdamt und auf diesem Jamerthal die liebe Obrigkeit
und der Nächste betrogen, auch Recht und Gerechtigkeit dadurch verdunkelt wirt.
Folget hierauf wahrhafte [Beispiele] Meineidiger Persohnen, welche der AI-
mächtige Gott augenscheinlich gestraft hat, allen Gotlosen zum Spiegel und frommen
Christen zur Wahrnung anzuhören. Zu Lausanna, am Genver-See liegend, hat vor
diesem ein reicher Wirt mit einem seiner Mitbürger, [der] doch nicht sonders Ver-
mögens gewest, ein Recht gefürt, antreffent eine grosse Summa Gelds, da aber
solches anderer Gestalt nicht dann durch gewisse Gezeugniss hat könen zu Recht
erkent werden, ist diese Rechts-Sach gemeltem Wirt auf den Eid gegeben worden,
welchen er zu leisten ganz vermessen eingewilliget.
Als ihm aber der Eid vor Gericht zu thun auferlegt worden, und er solchen
ihme zum Ewigen verderben, mit aufgehobenem finger schwörte, liess der liebe
Gott seine gerechte Straf und Zorn, über diesen falschen Meineidigen Wirt augen-
scheinlich ergehet, der Gestalt, dass dieser elende Wirt alsbald niedersank, und
sein ganzer Leib kohlschwarz ward, und gleich über einanderhocke: d Tod ist. Bey
diesem Eid-Schwur sind viele vornehme Leut gewesen, die dieses alles gesehen und
angehört haben.
Auch zu Lübek begab es sich, das einem Wirt, welcher doch wohlhabend war
ein freund gestorben, welcher keine Kinder hinderliesse, trachte der Wirt seines
verstorbenen freunds hinderlassene Hab alein zu Erben, weil sich eine frau ein-
fände, die vermeint auch eine erbin zu sein, kam es endlich dazu, dass diesem
Wirt ein Eid auferlegt wurde, welchen er fälschlich geschworen, so bald er heim
in sein Haus [kam], gienge eine grosse feuersbrunst auf, und verzerte solches, er
142 Ebermann:
flöhe in ein anderes Haus, welches ebenmnssen auch verbrante, kam also jämmerlidi
lim sein Leben.
Geschehen den 15. Jener 1698.
Auf der nächsten Seite die Zeichnung der Schwurhand. Darunter:
Ausgefertigt oder übersetzt von, / .Jakob Göldjer.
Eine ähnliche Niederschrift auf zwei Blättern vom Anfang des 18. Jahr-
hunderts bcsass Anton Birlingcr (Alemannia 12, 1C5 f. 1884). A'on einzolnen Worten
abgesehen, stimmen die beiden Texte gut überein. nur in den angehängton Bei-
spielen göttlicher Bestrafung des Meineides ist Birlingers Text ausführlicher. Die
Erzählung von dem Tode des Wirtes zu Lausanne (bei Birlinger Lißabona) ent-
noch den Zusatz: '
Nach verloffener schröckhlicher that aber ist dem andern seinem mitburger
alß dem gerechten vnd in dißer Sach wahrhaften daß gelt eingeraumbt vnd vber-
antworttet, der todte Würth aber, alß ein meinaydigor Verlaugner vnd Verachter
der AUerheyligisten Dreifaltigfältigkeit (so), an daß orth der vbelthäter geschleipft
vnd von der christlichon gemeinde abgesondert worden.
Die Erzählung von dem Lübeker Wirt fehlt bei Birlinger, an ihrer Stelle
sind zwei andere Beispiele vorhanden:
(xleicher gostalt bat sich auch in der Statt Genff begeben, daß Ein falscher
aydt von einer vornemmen hohen Persohn geschworen worden, welcher meinaydiger
aber khürtzlich hernach stirbt vnd in sein eigens begräbnuß gelegt wirdt. Xuhn
begibt es sich vber zwaintzig Jhar, daß FJin weibsbild auss derselben (Familie) ge-
storben, da nun gemelt ebegräbniiß geöffnet, befindt sich gleichwohl, daß der gantze
leichnamb verzehrt, biß an den rechten arm vnd band, welche zwar ganz ohn ver-
wesen, doch aber kohlschwartz mit aufgehebten fingern allda gefunden wirdt, da-
durch die rechte Wahrheit an tag khommen, worauff alsbald die Ordnung geschehen,
daß die gcbein des ohnverwesenen schwartzen arms von diesem meinaydigen
falschen Cörper zur zeitlichen Straf, weil Er (lott so freventlich vorunehret, dem
heyligen Geist gelogen, die Obrighkeit vnd seinen nächsten betrogen hatt, an daß
orth der Vbelthäter geschleipft vnd von der Christlichen gemeindt ausgesondert:
denen aber, so Er mit falschem Aydt vnrecht gethon, alles vberantworttet worden.
Vorstehender massen hat sich auch zu l^ressburg :uiß dem land Hungarn begeben,
daß ein Messerschmid wegen vier guldin einen falschen Aydt geschworen, darauf
Jhne der allmächtig Gott alßbald gestrafft, daß .Ihme die halbe band kohlschwartz
worden, Vnd er am dritten tag hernach ein sehr trauriges End genommen.
Die beiden Niederschriften sind augenscheinlich wörtlich von einer gedruckten
Vorlage abgeschrieben worden, und zwar scheint diese Warnung vor dem Mein-
eide in der Form von Einblattdrucken verbreitet gewesen zusein. Ein solches
Blatt vom Jahre 1604 befindet sich in der Einblattsammlung der Kgl. Bibliothek
zu Berlin (vgl. die Abbildung auf Taf. o). Allerdings kann dieses Blatt unseren
Abschreibern nicht als Vorlage gedient haben, da der Wortlaut an mehreren Stellen
anders ist. Auch die Zahl der angefügten Beispiele ist grösser. Sämtliche Er-
zählungen von göttlichen Strafen für den Meineid, die oben erwähnt wurden, linden
wir auf dem Blatt wieder, und zwar in folgender Reihenfolge: 1. Die Erzählung
aus Lübeck, 2. aus Preßburg, o. aus Lausanne, 4. aus Genff. Dazu ist noch ein
weiteres Beispiel vorhanden:
Noch mehr: König Lotharius hatte eine fromme Gemahlin, Dietberta genannt,
der war er müde, und stieß sie von sich, mit Vorwendung, als ob sie mit ihrem
Bruder zugehalten hätte; wie er dann auch deßwegen vor Papst Adriane dem
Anderen einen öffentlichen Eyd schwöre. Und damit ja seine biVse Sache desto
eher Fortgang haben möchte, hatte er seine fürnehmate Räthe mit Geld bestochen,
die musten ihm das Zeugnis geben, empfiengen auch darauf, zu mehrerer Glaub-
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. 1918.
Tafel 3.
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«nitiaistr. *9iMlaktrHtSi)SWte«nt)tiuniinanl<rlrjiitnMlH]i, (^^t«H^llwt,v•
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^fcl.V
Zu O. Eber mann: Waniuns vor dem Meineid.
Kleine Jlitteilungen. ' I43
Würdigkeit, das heilige Sacrament. Aber der gerechte Richter, vor dem nichts ver-
borgen bleibet, strafte auch den König seines Meyneydes halber, daß er stumm
wurde, und zu Placenz elendiglich sterben muste, wie auch seine Räthe, als lügen-
liaffte Zeugen, alle ein erchröckliches Ende genommen.')
Über die Herkunft des Druckes belehrt uns der Schlussvennerk: „Gedruckt
und zu finden, in der Schwabacher Buchdruckerey." —
Unser Text ist aber nicht nur als Privatdruck im Volke verbreitet worden,
sondern findet sich auch im Anhang zu der Hofgerichtsordnung des Herzogs Georg
zu Braunschweig und Lüneburg (gedruckt in Hannover 1639 durch Elias Hohvein).
Hier fehlen aber die Beispiele der göttlichen Justiz ganz, dafür wird in einer
Einleitung recht ernsthaft auf die Polgen des Meineides hingewiesen. Aus
dieser Einleitung geht hervor, dass unsere Formel vor jeder Eidesleistung den
Schwörenden vorgelesen und vom Richter 'recht deutsch' ausgelegt werden sollte.
Der Wortlaut ist im einzehien stark von den erwähnten Fassungen verschieden:
Warnung an alle, so vnrecht Eid schweren, vnd was auf f hebend der Finger
bedeutet.
Schweren oder einen Eid thun ist nicht anders denn Gott anruffen. daß er der
Warheit beystehe, vnd straffe dene der vnrecht berichtet, Wer nun einen falschen
Eid schweret, der bleibet nicht in der Warheit, sondern lästert dem allerhöchsten
GOTT, mißbrauchet dessen allerbeiligsten Namen, beraubet sich aller Gnaden, vnd
ladet auff sich alle die Straffe vnd Flüche, die GOTT den Verflucliten in seinem
vntriegbaren Wort vfferleget hat. Ja vermaledeyet sich selbsten, daß jhme GOTT
in allen seinen Sachen vnd Nöthen nimmer zu Hülffe noch zu statten kommen,
sondern daß er mit Leib vnd Seel ewig vermaledeyet seyn, vnd nimmermehr Theil
haben sol an der Versprechung, die GOTT den Christen getlian hat, Daß nun
solches verhütet werde, vnd die Hoheit des Wercks die schwerende sich recht vor-
stellen vnd wol erwögen, haben die Alten die Eidsleistung nicht ohne sonderbare
Festiviteien ergehen lassen wollen, in massen dieselbe noch hin vnd wieder
gebreuchlich vnd behalten werden, vnd können die Verwarnung zum wenigsten
nicht zu scharf f geschehen.
Alldieweil nun deßwegen eini' nachdenckliche Formul der vorigen Hoffgerichts-
Ordrmng einverleibt, so ist dienlich tTachtet, dicselbige anhero zu wiederholen, vnd
sol sie, ob es wol sich mit vffhaltuug der Finger in etwas gcendert, nicht allein
bey vorgehenden Eidsleistungeu vorhero den schwercnden vorgelesen, sondern auch
der Richter, oder wer an dessen statt sonst einen Eid einnimpt. dieselbige den
schwerenden mit geblosten Haupt vnd hohen Ernst recht deutsch außlegen auch
nach befindung scherffen.
Zum Ersten, werden auffgehabeu drey Finger, nach dem ersten, das ist der
Daum, ist zu verstehen GOTT der Vater, bey dem andern, GOTT der Sohn, bey
dritten, GOTT der H, Geist, die letzten zween Finger werden vnter sich geneiget
in die Hand, der erste bedeutet die köstliche Seele, als die vnter der menschheit
verborgen ist, der fünffte und kleine Finger bedeutet den Leib, als der da klein ist,
zu verstehen gegen der Seelen, vnd bey der gantzen Hand wird bedeutet ein GOTT,
ein Schöpffer, der alle Creaturen auff Erden geschaffen liat.
Weicher Menscli nun verborgentlich, und fälschlich oder falschen unwar-
haftigen Eid schweret, der schweret in allermasse, als ob er spreche, So wahr als
ich heute falsch schwere, also bitte ich GOTT den Vater, GOTT den Sohn, Gott den
Heiligen Geist, die Heylige Dreyfaltigkeit, daß ich außgeschlossen und außgesetzet
werde aus der Gemeiuschafft Gottes, vnd seiner Heiligen, sey ein Fluch meines
Leibes, meines Lebens, vnd meiner Seelen.
1) Über derartige Strafen des Meineides vgl. R. Lasch, Der Eid. Seine Ent-
stehung und Beziehung zu Glaube und Brauch der Naturvölker (Stuttgart 1908)
*• 91. Die Beispiele Hessen sich leicht vermehren.
144 Ebermann, Bolte:
Zum Audereu, wo ich falsch schwere, so sol GOTT der Vater, GOTT der Sohn
GOTT der Heilige Geist, vnd die grundlose Barmhertzigkeit vnsers lieben HERRN
und Seligmachers JESV Christi, mir nicht zu Trost vnd zu Hülffe kommen, an
meinem letzten Ende, vnd in der Stunde, wann Leib vnd Seele von einander sol
vnd muß sich scheiden.
Zum Dritten, wo ich falsch schwere, so bitte ich GOTT den Vater, GOTT den
Sohn, vnd GOTT den Heiligen Geist, vud köstbarlichen Fronleichnam vnsers HERRN
JEsu Christi, daß seine vnschöpffliche Barmhertzigkeit, sein Angst, sein Noth, sein
bitter Leyden vnd Schmerzen, sein strenger harter Todt vnd vnschuldige Marter,
an :nir armen Sünder entzogen vnd verlohren werde.
Zum Vierdten, wo ich falsch schwere, so sol meine Seele, die da bezeichnet
ist durch den vierdten Finger, vnd mein Leib, den bedeuten ist der fünffte Finger,
mit einander verdampt werden am Jüngsten Gerichte, do ich Maineidiger Mensche
für dem Gericlite stehen sol vnd muß, wil auch abgeschieden seyn von aller
Gemeinscliafft Gottes, seines heylsamen Worts vnd aller Außerwehlten, wil auch
beraubet seyn de.'; begierlichen Anschawens des Angesichts Gottes vnsers lieben
HErrn Jesu Christi.
Hiemit ein jeder frommer Christe für falschem vnwarhaftigem Eide fleissig ge-
warnet sey, damit er nicht zuletzt dem Teuffei, vnd seiner Gesellschaft, dem er
sich durch falschen Eid ergibt, vnd Gott seinem einigen Schöpffer vn Seligmacher.
die köstliclie Seele entzeucht, zugeeignet werde. Dafür vns (rott der Allmächtige
gnädiglich behüte, durch Christum vnsern HERRN, Amen.
Die Formel ist unter Weglassung- der Einleitung noch öfter gedruckt worden.
Sie steht ohne Angabe des Jahres in: Privilegia der Ueinrich-Stadt. Auch andere
Fürstlich Braunschweig-Lüneburgische Wolffenbüttelschen Theils Landes-Consti-
tutiones, mandata und Verordnungen. WolfTenbüttel 1731. - Jul. Ed. Müller
kennt den Erlass aus dem Jahre 1604 (Niedersachsen 19, 19).
Bemerkenswert ist, dass die Formel dem Schwörenden vorgelesen werden
sollte, obgleich es sich 'mit vffhaltung der Finger in etwas geendert', demnach
musste die Warnung schon aus früherer Zeit stammen. Tatsiichiich lässt sich denn
auch schon im IG. Jahrhundert eine ähnliche Deutung der Schwurhand nach-
weisen. Sie steht in einem Gerichtsbuche des Dorfes Ermreuth (1559 — 1581)),
das jetzt im Besitze des Germ. Museums zu Nürnberg ist. Die Auslegung ist
von der unserer Texte wesentlich verschieden und lautet nach dem Anzeiger
f. Kunde d. d. Vorz. I (1854), 37 f.;
Zur Symbolik der Eidesabiegung.
Von der symbolischen Bedeutung der drei aufgerichteten und zwei geneigten
Finger der Rechten bei Ablegung eines Eides findet sich an der Spitze eines, dem
Archive des Germ. Museums neuerdings, durch Schenkung einverleibten Gerichts-
buches des Dorfes Ermereuth aus den Jahren 1559— 158G eine eigenlümiiche,
christliche Auffassung, die uns als Beitrag zu den Rechtsaltertümern (vgl.
J. Grimms deutsche Rechtsaltert. S. 141 u. 903) des Abdrucks nicht unwert
erscheint.
„Was durch aufreckung der finger so einer aineu die (1. cid) schwerett,nt)edeutt
wurdott."
„Es ist zu merckenn ein iedlicher mensch der lugenschafftig oder vnwarhaftig
.schwertt, der schwcrtt auf sich selbst vier fluch die bezeuchuett werdenn durch
seine finger, der er drei aufrerkt, viind zwen die er uider naigt. von erst durch den
daumen, der der kurtze(s t ist, wirdt verstanden das gegenwertig lebenn, das kurtz
vnnd zergencklich ist / Wenn er also den Thaumen auffreckt, das bedeutt souill als
ob er Sprech / Ob ich nit war hab, so abkurtz mir gott mein lebenn / Der ander
finger ist lenger, vnnd bedeutt das kunfftig lebenn, vnnd so er den aufreckt ist so
Kleine Mimilimgen. 14.-,
uil gesprocheiiu. Uii ich nit \v;u' hab, so soll mein seell r.auh dein lelican, jn dein
kunt'ttigenn lebenn keine ralie findenn, bis an den jimgsten tag Der dritt finger
ist der lengst vnnd bedeiitt das ewig lebenn, das angehn wirdt von dem jüngsten
tag, vnnd bleibt an (= olmei endt / So er den vfreckt, das ist souil bedeuttenn
als ob er Sprech, Ob ich nicht war hab, so werde mein seel und leichnam, an dem
jüngsten tag, geschaideu vnnd gethailt, von dem ewigen lebenn, vnnd vonn der
geselschaft vnnd gemeinschaft aller heiligenn und ausserwelten / Aber die andornn
zween abgegangene vnnd genaigle finger, bedeuten die in der hell sindt, vnnd so er
dieselbigenn zwen finger peugt oder abnaigt, liedeut souil, als ob er Sprech, ob ich
nitt war hab, so werde irli mit leib vnnd seel. mit denen so in der hell sindt
ewiglich begrabenn ete.
iierlin-Halensee. üskar iCberina n n.
Das aU!;eblicho Berliner Weih nach tspiel von 15{)7.
Im ■iiihro 1Ö.S9 wurde am lierliner Hofe von den Kindern des Kurlürslen
Johann (leorg- eui \Veilinaelns[iiel aulgeluhrl. dessen n(jel) erhaltener i'cxt uns
einen hübschen Einl)lick in das filrstliehe Kaniilienlelien der Relürmationszolt
gewährt. Die Jungfrau Maria wurde durch das anmutige sechzehnjährige Fräulein
Elisabeth von Mansfeld dargestellt, die Rolle des Christkindes fiel dem anderl-
halbjährigen Prinzen F'riedrich zu, als Englnin gekleidet trat die fünfjährige Prin-
zessin Agnes mit dem Gesänge des Lutherliedes 'Vom Himmel hoch da komm
ich her' vor die in mürkiselier Bauernmundarl redenden Hirten, die von adligen
Gespielen ihrer Brüder dargestellt wurden. Kein Wunder also, dass dies schlichte
Denkmal christlicher Pestfeier, nachdem es 18'!!) durch den Archivrat Gotllieb Fried-
laeniler der Vergessenheit entzogen worden war, mehrfach abgedruckt und aufgeführt
wurde'). Ausser dem mehr lokalhistorischen Jnteresse aber knüpft sich noch ein
volksliundliches an den Text, der zum Teil aus älteren Volksdramen, zum Teil
aus den kurz zuvor (1582 und 1586) im Druck erschienenen Weihnachtspielen
des Ambrosius Pape und des Christoph Lasius abstammt-'). In der Geschichte
unserer Weihnachtspicie, zu der Karl Weinhold vor C4 Jahren in einem trefl-
lichen Buche den Grund gelegt hat, nimmt das Stück keine unwichtige Stelle ein.
Dieser Berliner Weihnachtskomödie nun hat sich kürzlich eine Schwester zur
Seite gestellt. Die bisher den Forschern völlig entgangene Dichtung, auf die eine
im Dezember l'JKi zu Berlin veranstaltete Aufführung mich aufmerksam machte,
ist ein angeblich am 24. Dezember 15'.I7 wiederum von Kindern des Kurfürsten
Johann Georg und seiner dritten Gemahlin Elisabeth von Anhalt, sowie deren
Gespielen und (iespielinnen 'in einem kurfürstlichen Schloss' aufgeführtes ge-
reimtes Drama, das bereits 1890 von Johanna Baltz veröffentlicht wurde').
1) Eine kurtze Comödien von der Geburt des Herrn ( hristi .... 158!» in
Berlin aufgeführt, nach der Handschrift hsg. Berlin 18.')!). — Übersetzt [!] von
A. Freybe, Leipzig 1882. Von Gerstmann, L. 1884. — Aufgeführt z. B. 1873 im Verein
zur Geschichte Rerlins. 18S4 und 1885 von dem Personal des Molkereibesitzers
C. Bolle in Berlin.
2) Vgl. darüber J. Bolte, Das Berliner Weihnachtspiel von 1589 (.Jahrbuch für
niederdeutsche .Sprachforschung 9, 94 — 101. 1884). Dass der Domküster Georg
Pondo das Spiel verfasst habe, ist eine bisher unbewiesene Vermutung Wilkens.
3) J. Baltz, Rosen am Zollemstaium. Skizzen aus den Lebenstagen der Zollem-
fürstinnen, 1. Reihe (Düsseldorf. I-". Bagel o. .1.) S. 111 — 121, dazu Anmerkungen auf
S. 19Uf.
Zcilsclir. <] Vereins I Votlcskunde 191S. 10
14t; Holle. Kleine Mitteilungen.
Wieduruni erscheinen die l'rinzessinen Mu'jiialonu unil Agnes in tler Rolle von
Engeln, Prinz Friedrieh aher, der 158!) das Christkind darstellte, luit jetzt einen
der Hiitt-n übernommen, und die Rolle der .lun^friiu Maria ist sialt der inzwiselien
vermählten l"]lisal)eth von M.msfeld einer jün-^eren Seinvester fVj Agnele von Mans-
feld zugefallen. Trotz ilieser und andrer auiriilliger Beziehungen zu dem längst
bekannt(>n, um acht Jahn; älteren Spiele weist die Herausgeberin in ihren An-
merkunuen nirgends auf die.ses hin. I)ies machte mich stutzig und führte zu
einer genaueren Untersuchung, auf Grund deren ich mich verpfliehtel halle, vor
einer Verwertung des nicht ohne Geschick aufgebauten und durchgeführten Werk-
leins in wissenschaftlichen Kreisen zu warnen, so wenig ich irgend jemandem die
Freude daran verkümmern mochte. Myslifikationeii mit allen llandsehriflen pflegt
man ja Dichtern, die uns Begebenheilen vergangener Zeiten m (teren Spracii-
charakter lorführen möchten, nicht zu verargen; und für eine solche Mystifikation
halle ich die in Privatbesitz befindliche üriginalhandschrii't, welche die Heraus-
geberin nur in das jetzt gebräuchliche Deutsch übersetzt haben will.
Zum Beweise betraehle man die auf S. lün worilieh abgedruckten .Vnfangs-
zcilen :
„Hir hept sich an eyn Weynachtspil:
Erstliehes Ereygniili. Uff dem feldt.
Hirte: Es synkt zw tal dy steinennaht
ir bruedcr halt viel giiete waht."
Vordächlig, weil dem poetischen .'^lile des IG. .lahrh. nicht entsprechend, er-
scheinen hier die Ausdrücke 'Slernennachl' und 'vielgute Wacht', unmöglich aber
dünken mir die geschraubt klingenden und erst für das Ib. Jahihunderl belegten
Worte 'erstliehes Ereignis', die einem lateinischen 'Actus prinuis' entsprechen
sollen. Gegen die Echtheit spricht ferner das mehrfach verwendete daktylische
und trochäische Versmass (aufS. lUif, lUif., 12(1) und vor allem die ein-
gestreuten Liedertexte. Diese sind nicht etwa aus dem geistlichen Liederschätze
der evangelischen Kirche des 1(3. Jahrh. entlehnt, sondern entstammen teils dem
1.').. teils dem l>s. — 19. Jahrhundert. Auf S. 11.') stehen zwei Dichtungen Heiniiehs
von Lau feil berg 'Ach döcliterliii min sei geinoit' und 'In einem kripfly
lag ein kind', die um 'ö\)l sicherlich längst verschollen waren; erst Fh. Wacker-
nagel hat sie aus der Strassburger Handschrift wieder hervorgezogen'). 'Kommt
herab ihr Himmelsheere' (S. 120) ist ein neueres katholisches Kirchenlied, das
im Strassburger Gesangbuch 1789 nr. ll.S wohl zum ersten Mal gedruckt wunle-'.
Aus den um 1872 erschienenen 'Altbohmischen Gesängen lür gemischten Chor'
von Carl Riedel, Heft 2 herübergenommen sind 'Freu dich, Erd und Sternen-
zelt' (S. 113) und ■Lalll alle uns Gott loben' (S. 120). von denen das erste
zwar schon 1.S44 im Leitmeritzer (Jesangbuche begegnet, das zweite aber erst von
Riedel den Noten untergelegt worden ist'). Ganz moderne Färbung uiigt die
."^trophe 'Streuet H i niniel srosen' (S. 117).
ll Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied 'J, 53j nr. 708 und 70!). Die Melodien
111 Arnolds Ausgabe des Loeheinier Liederbuches (_Chrysanders .(ahrbiichor für
riiiisikal. Wissenschaft 2, ;i9 1.S67), bei Höhme, Altdeutsches Liederbuch nr. (»97 und
iVJO, Erk-Höhme, Liederhort nr. 21.')7 und Häumker, Das katholische deutsehe
Kirchenlied 1, lO.'J
2) Danach ,1. Mohr, l'siilterlein 1.S91 in. l.'il. Vgl. Häumker 1. ivS.") zu nr. .iJ-l
-1, 2B4 und ;H, los.
o) Vgl. Kothe. Kill alles Graf.schafter Weibnae)itslied (Vierteljahrsschrift für
Geschielite clor Gral'scbun (ilalz 1, 90. ISHl) und Bäuniker 4, 441 nr. 27.
Bücher:) nzeigen. ]47
Soll ich nun noch aufdon weichlifhun, lyrischen Charakter des üiinzon, auf die
von dem biblischen Berichte abweichende Gliederung der Handlung-, und die einem
bequemen Eirekt dienende Zusammenlegung der Anbetung der Hirten und der
h drei Könige eingehen? Ich meine, das A'orgetragene «eniigt. um in dem an-
geblichen Texte von I.'iilT eine moderne Nachahmung der 15-9 von den Prinzen
und Prinzessinnen des liurfiirsliichcn Hofes zu Berlin gespielten 'Comödie von der
Geburt des Herrn Christi' erkennen zu lassen. Auf S. 190 beruft sich Johanna Baltz
auf eine genaue Beschreibung der Aufführung in der 'P^änkischen Chronik . Da von
einer solchen Chronik verschiedene Kenner der brandenburgischen Geschichte,
die ich befragte, nichts wussten, möchte ich bis auf weiteres auch an dieser An-
gabe zu zweifeln mir erlauben.
Berlin. .lohannes Holte.
Bücheran zeigen.
F. Ohrt, Dainiiarks Tryllet'oriuler, J: luledning og Tekst. KöbiMiliavn og
Kristiania, Gyldendalske Boghandel (Nordisk Forlag). li)17. 540 S. 8".
(Folklore Fellows Publications, Northern Series Nr. H.)
Während die grossangelegte Sammlung deuts(her Segensfoinieln durch die
l'ngunst der Zeit verzögert wird, tritt jetzt neben die norwegische Sammlung
Chr. Bangs (s. oben H, "2;)'2) der Texlliand dir dänischen Formeln. In der Ein-
leitung führt der Versuch, das StotTgt^biet theoretisch abzugrenzen, zu keinem be-
friedigenden Ergebnis, so dass der mehr äusseilieh |iiaktische (jrundsatz aufgestellt
wird, nur solche Formeln in die Sammlung aufzunehmen, die in den Heil- und
Zauberbüchern enthalten sind und von den mündlich überlieferten im wesent-
lichen nur solche, die den ersteren nach Form und Inhalt verwandt sind. So sind
auch eine Anzahl von formelhaften Gebeten mit aufgenommen worden, wie das ja
auch in deutschen Sammlungen geschehen ist (vgl. M. Müller, Über die Stilform
der alld. Zaubersprüche, Diss. Kiel 1901, S. 7fj. Zum Hauptprinzip der An-
ordnung hat Verf nach gründlichen Erwägungen den Zweck der Formeln gewühlt,
wodurch die vergleiclu'nde Benutzung mit der norwegischen Summlun;^ ersehwert
wird. Es ist lebhaft zu bedauern, dass über diese wichtige Frage der Anordnung
keine Einigung erreicht worden ist. Mir scheint das Verfahren Bungs, die .*-'egen
nach literarischen Typen zu ordnen, deshalb den Vorzug zu verdienen, weil damit
die Stücke ziisamnienkonimen, die organisch zusammengehören, v^ährend die Zweck-
setzung etwas mehr Äusserliches, oft vom Zufall Abhängiges ist. So wird z. B.
der Longinussegen, wie aus seinem Inhalt hervorgeht, ursprünglich zum Stillen
einer Blutung gebraucht, später aber wird er auch angewendet, um Schlangen oder
eine Feuersbrunst zum Stehen zu bringen. Der Segen von den drei Engeln
müsste in einer Sammlung deutscher Segen über 2U Krankheiten und einige
weitere Kapitel verstreut werden (s. oben "2G, 129;. Mit Recht misst Verf. für die
Übersichtlichkeit einer so umfangreichen Sammlung dem Register einen grossen
Wert bei, aber auch das scheint mir für eine Anordnung nach der Form der Segen
10"
■14H Bücherrtnzpißen.
zu sprijchcn; donn ein Ref;istcr kann wohl einen khiri-n Überblick über die ver-
schiedenen Zwecke bieten, indem es die Namen der Krankheiten usw. verzeichnet,
gegen welche die Formeln iin^ewendet werden, aber es gibt keine Schlagwörter,
die es eniiöglichlen, eine bestimmte Segensform mit 8icberheit aufziifinden.
Im zweiten Kapitel wird eine g-eschicbtliche Übersicht über die älteren
dänischen Arbeiten auf dem Gebiet der Zauberformeln gegeben. Während im
Ifi. und 17. Jh. ausschliesslich eine theologische Betrachtungsweise der Forimln
herrscht, setzt mit Pcder Syv um 170(1 das volkskundliche Interesse an diei^en
Dingen ein. Der Dichter Ludwig Holberg erüllnet die Reihe der rationalistischen
Hetrachter, die mit Verachtung auf diese abergläubischen Gebräuche sehen Die-
Zeit der Romantik bringt in J. M. Thiele den ersten systematischen Samiu'ler
volkstümlicher (beiliefcrungcn, dem im llt. Jh eine Reihe bekannlcr Namen sich
anschliesst. — Auf die Beschreibung der Quellen, aus denen das Material geschöiift
ist — es sind etwas mehr als hundert — folgen dann die Texte. Ihre Zahj
(1101 einschliesslich der lateinischen und einiger deutscher) ist nicht allzu gross
zu nennen, wenn man sicli erinnert, dass allein A. Schonbach schon i. .1. iMif.t,
d.h. l!S Jahre vor seinem Tode, eine grössere Zahl aus älteren theologischen
Handschriften ausgezogen hatte und dass H. Losch 397 Nummern aus volkstüm-
lichen Segenbüchern /.usammengestellt hat. Was die Form d(T einzelnen Segen
angeht, so ist der Unterschied von den deutschen g'össer. als man von vornherein
annehmen sollte. Zwar der Typus des zweiten Merseburgcr Spruches ist mit -l'J christ-
lichen [jcsarten reichlich vertreten, aber die in Deutschland schon in früher Zeit so
häufigen Segen, die sich auf die Bibel oder die liegende gründen, sind aulTällig
selten und in sehr zerrütteter Form vorhanden. Der Segen von den drei guten
Brüdern findet sich nun in einer (lateinischen) Fassung. Der Jordansegen ist
auf wenige Zeilen zusammengeschitiolzen, und der ebenfalls sehr gekürzte Longinus-
segen weist beinahe in jeder Variante eine andere Form des Namens Longinus
auf. Die Blutstillung von den drei Bluiiien findet sich nur einmal, die von den
drei Frauen überhaupt nicht. Selbst der in Deutschland zu allen Zeilen so häufige
Hiob-Wundsegen ist nur in ganz wenigen P''assungcn vorhanden.
Line gekürzte Inhaltsangabe des 1. und "J. Kapitels und ein Inhaltsverzeichnis
in englischer Sprache sowie ein ausführliches zweisprachiges Register bcschliessen
den stattlichen Hand. Der zweite Band soll diejenigen Formeln bringen, die aus
sinnlosen Worten oder Buchstabenreihen bestehen, ferner eine vergleichende Studie
über die' Segensformeln. Wir sehen seinem Erscheinen mit lebhaftem Interesse
entgegen.
Berl i n- Haien See. Oskar Ebermann.
Notizen.
A. .\arne. Schwanke über scbwerliftrige Menschen, eine vergleichende I'ntpr-
sueliunp. Hamina 1!U4. '.II .S. (FF Conimimications 20—21). — Der M.inn aus dem
Paradiese in der Literatur und im Volksmunde. eine vergleichende ."sc bwankunler-
sucliung. Hamina 191ö. Itl S. (FF Communications 22). — Der reiclie iMann und
sein Schwiegersohn, vergleichende Mäichenfor.schungen. Hamina li)Iü. 195 S.
(FF (Jominunieations 23). — Er.st jetzt, nachdem der durch den Weltkrieg jahrelang
aufgehobene Vorkehr mit Finnland wieder eröffnet worden ist. gelangen diese neuen
l'ntersuclnmgen des ausgezeichneten Forsclieis zu uns. Hatte er in den oben 24, 330
angezeigten Studien allgemeinere Fragen der Mäicheni'orschung von grosser Trag-
weite beliandelt, so wendet er sieh in den vorliegenden drei Heften wieder dem
Ursprünge und der Verbreitung einzelner F.rziihlungsstoffe zu. Überall in der Welt
Notizen. 14y
und seit uudenkiichen Zeiten entstelieii aus dem Bestreben schweiliöriger
Menschen, ihre Taubheit zu verbergen und auf halb oder gar nieht verstandene
Fragen Antwort zu geben, spasshafte Missverständnisse, die zu kleinen Schwänken
zusammengefasst und so weiter erzählt werden. Aarne führt nicht weniger als
26 Gruppen an, von denen die meisten ein Gespräch zwischen einem gut Hörenden
und einem Schwerhörigen vorfüliren, der an einei' Hriickc arbeitet, ein Vogelnest
ausnimmt (Luther , einen Axtstiel schnitzt (Nordeuropa), Fische feil hat usw. Vor-
zugsweise im Orient verbreitet, ist das Zusammentreffen mehrerer Schwerhörigen,
die in Streit geraten und einen Richter auf-uchen, der ebenfalls halbtaub ist; doch
auch ein griechisches Epigramm des NikarcUos behandelt diesen Stoff Inwieweit
im einzelnen Fall die Ähnliclikeit zweier Scliwänke aus gleichen Vorbedingungen
oder aus der Wandeiung des Motivs entstanden, und wie sich die volkstümlichen
P"assungen zu den literarischen verhalten, darüber lesen wir wohlüberlegte Bemer-
kungen. — Zweitens lockte der Schwank vom Mann aus dem Paradiese, von dem
der Vf. allein aus Finnland 122 Versionen kannte, ilin zu einer Vergleichung
der in ganz Europa und auch in Asien umlaufenden Volkserzahlungcn mit den
älteren literarischen Gestalten, einem gewandt aufgebauten lateinischen Gedichte
des 15. Jahrh., einem trefflichen Fastnachtspiele des Hans Sachs -Der fahrend
Schüler ins Paradeis' u. a. Die abendländische Urform ist vermutlich auf Grund
eines wirklichen Vorfalles im Mittelalter entstanden; in den Volkserzählimgen ist
das Missverständnis Paris - Paradies oft durch andoe Ortsnamen (im Dänischen
Kingerige-Himmerige, im Finnischen Taivas.salo — taivaansali) ersetzt, oder der
listige Bettler singt 'Vom Himmel hoch, da komm ich her', oder er fällt der törichten
Frau durch seinen beständig nach oben gerichteten Blick auf. Ferner sind auch
undere Züge abgeändert oder neue Diebesstreiche angehängt. — Umfänglicher ist
die dritte Untersuchung ausgefallen, die dem Grimmschen Märchen vom Teufel mit
den drei goldenen Haaren gewidmet ist: ein reicher Mann hört die Prophezeiung, dass
ein eben geborner armer Knabe zu seinem Schwiegersohn und Erben bestimmt ist,
und sucht vergeblich das Kind durch Au.ssetzung und später den Jüngling durch
einen ihm übergebenen Todesbrief und durch die (an Schillers Gang nach dem
Eisenhammer gemahnende i Sendung zum Hochofen zu verderben; der letzte Mord-
versuch schlägt zu seines Sohnes oder seinem eigenen Unheil aus, sein Kampf wider
das Schicksal ist umsonst. So lautete nach Aarne die indische Grundform des
Märchens, für die schon Zeugnisse aus dem 3. Jahrh. vorliegen; in Europa erscheint
es im 12. Jahrh. auf den Kaiser Heinrich III. oder Constantin übertragen und klingt
in Saxos Bericht über Hamlet wieder In verschiedenen europäischen Fassungen
des Märchens wird damit ein andres indisclies Märchen von den Fragen verbunden,
die dem zu Gott oder dem Schicksale wandernden Helden unterwegs aufgetragen
werden; er soll ermitteln, weshalb ein Baum verdorrt, wie lange ein Tier den Wan-
derern als Brücke dienen muss, wie das kranke Mädchen gesund wird, kehrt mit
der erlangten Auskunft heim und wird reich An diese Erzählung haben sich dann
noch manclK' Motive aus andern Märchen und aus dem Aberglauben des Volkes
angehängt. Man darf daher nicht von einem Märchen, das Anschauungen und
Sitten aus der Urzeit enthält, ohne weiteres behaupten, es sei uralt, oder es als
Hiltsmittel für mythologische Forschungen benutzen, bevor man durch vergleichende
Forschung seine Geschichte festgestellt und die ursprüngliche Gestalt von den
späteren Zusätzen geschieden hat. Dass wir somit allgemein wichtige Ergebnisse den
sorgsamen Untersuchungen Aarnes verdanken, dürfte si^hon aus diesem flüchtigen
Referat hervorle\ichten. — (J. B.)
W. Ahrens, Mathematische Unterhaltungen und Spiele, 2. vermehrte und ver-
besserte Aufl. 2. Band. Leipzig, Teubner 1918. X, 455 S. — Der gelehrte Vf.,
dessen umfassende Studien über die magischen Quadrate oben 27, 173. 2t>9 Er-
wähnung fanden, behandelt hier auf S. 1 - 54 denselben Gegenstand vom Stand-
punkt des Mathematikers; die zahlreichen Beziehungen zum Aberglauben und
andern Gebieten hat. er einer besondem Monographie vorbehalten. Von den übrigen
150 Notizen.
Kapiteln ilürfte manchen nnsicr I^cser anzielien S. 118 das verbreitete Josephspiel,
hei dem man :!() Personen so aufstellt, daß l)eim Abzählen die lö %'orher bestimmten
ausscheiden; S. 226 das Boss Puzzle-Spiel, S. 2G1 das l)oniiiuiS]iiel, S. 227 Zeit und
Kalender, S. 298 seltsame Verwandtschaften. — (J. li.)
,1. H. Albers, Das Jahr und seine Feste. 3. unveränderte Aufl. Stuttgart,
J. E. G. Wegner l'.llT. VIII, 3(18 .'J. gr. 8". 4,80 Mk. Das Duch ist eine unver-
änderte Neuausgabe der unter dem Titel 'Festpostille und Festchronik' 1907 er-
schienenen 2. Auflage. Es erübrigt sich daher, noch einmal näher darauf einzu-
gehen, und genügt, auf das oben 20, 1 18 Gesagte zu verweisen. Besonders übel
beraten ist der Verfasser auf dem Gebiet des klassischen Altertums; erwähnt seien
hier nur die gänzlirh unbegründete Herleitung der Vogelschiessenfeste aus dem
Feste des Mars extra portam Capenam am I.Juni (.S. 22(i , die verwirrte Darstellung
der -Abraxasfrage fS. 2Ö4) und die unhistorische Behandlung der Saturnalien ^S. 3Hi),
unerfreulich ist auch der Doppelschnitzer Kytheiron (S. 315). Nach dem Erscheinen
der zwar weniger umfangreichen, aber wissenschaftlich einwandfreien volkstümlichen
Behandlungen der Feste von Fehrle und Nilsson hat eine Kompilation wie die vor-
liegende kaum noch Daseinsberechtigung. — F. B."
Bericht über die Sammlung der Glockensprüchc, Glockensagen und Glocken-
bräuche, April 1917 bis April 1918. erstattet vom Verband deutscher Vereine für
Volkskunde. Freiburg i. B. 1918. 8 S — Bericht über die Sammlung soldatischer
Volkskunde, erstattet vom Verband deutscher Vereine für Volkskunde. Freibuig
i. B. 1918. IG S.
J. Bolte und G. Polivka, Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen
der Brüder Grimm, neu bearbeitet. 3. Band (nr. 121 — 225\ Leipzig, Dieterichsche
Verlagsbuchhandlung 1918. VIII, 624 8. 13 Mk. — Der 3. Band des oben 24, 425
angezeigten Werkes bringt die eigentliche Erklärung der Grimmschen Märchen zu
Ende. Sein Umfang (gegenüber 70 Seiten der 3. Auflage) erklärt sich durch die
ausführlichere Besprechung einzelner Stoffe, wie Ferenand getrü, der Kisenhans,
das Hirtenbüblein, der Hase und der Igel, die ungleichen Kinder Kvas, der Meister-
dieb, die Kristallkugel, und durch die Hinzufügung der lateinischen Gedichttexte,
die dem Eselein und der Rübe zugrunde liegen. Es sind aber auch neun neue
Märchen aus dem hsl. Nachlass der Brüder Grimm aufgenommen, die bereits den
Lesern dieser Zeitschrift zum Teil vorgelegt wurden, darunter der dankbare Tote
und die treue Frau. .\ngehängt ist ein al)ihabetisches Verzeichnis der angeführten
Märchonsammlungen, das die Benutzung der Nachweise erleichtern wird. Der noch
ausstehende 4. Band soll eine kurze Geschichte der Grimmschen Sammlung und
eine Cbersichl über den Märcheiivorrat der andern Völker enthalten.
Alfons de Cock, Volkssage, Volksgeloof eu Volksgebruik. Versierd met 77 Platen.
.■Vntwer)ien, G. Janssens 1918. 224 S. 4". 1:',Ö0 Fr. — Der um die vlämische Volks-
kunde so hoch verdiente Forscher, dem wir eine Reihe trefflicher grundlegender
Werke verdanken, wendet sich hier mit einer Reihe grösstenteils neuer Aufsätze an
einen grösseren Leserkreis, dem er in anmutigem Plauderton die Ziele und Methoden
unsrer Wissen.schaft schmackhaft zu machen weiss. Wenn er dabei absichtlich in
der Zahl der Parallelen und Literaturnachweise Maß hält, so gibt er doch aus-
reicliende Belege für den nach weiterer Aufklärung begierigen Leser. Die einzelnen
-Arbeiten sind betitelt; 1. Soviel Kinder als Tage im Jahr Grimm, DS. nr. Ö21).
2. Der japanische Steinhauer bei Multatuli (R. Köhler, Kl. Sehr. 2, 54 . 3. Teufels-
glaube. 4. Menschenfresser im Kongogebiet und im Märchen. 5. Grausame Strafe^n
der Vorzeit. 6. Fabelhafte Menschen. 7. Merkwürdige Urteile in der Sagenwelt.
8. Der h. Eligius in der Volkssage. 9. Weihnachtsglocken. 10. Sagen von der Er-
schaffung des Weibes. 11. Harnbeschauer. 12. Sagenbildung in der Gegenwart,
auch im Weltkriege. 13. Weltkrieg und Aberglaube (von A. IloUwigs Schrift aus-
gehend). 14. Die Freimaurer im Volksgla\iben. 15. Die Fabel vom Esel in der
Löwenhaut. 1(5. Niederländische Pflanzennainen. Überall weist der Vf. die Zu-
Notizen. 151
saiiimenlKingo zwischen den Überlieferungen der verschiedenen Völker nacli. Einen
besonderen Schmuck des Buches bilden die zahlreichen Illustrationen. — (J. B.)
A. de Cook, Natuurverklarende Sprookjes, 1. deel: Hui.sdieren, zoogdieren.
Gent, Ad. Hoste [1911]. 111 S 4" mit Zeichnungen von E. van Offel. — 2. deel:
Vogels, lagere diersoorten, boomen en kruiden, levenlooze natuur. Ebd. 1912.
111 S. -1". - Von demselben Plane wie Dähnhardt in seinen Naturgeschichtlichen
Volksmärclieu ausgehend, aber im einzelnen selbständig, stellt der vlämische Ge-
lehrte hier eine grosse Zahl von europäischen und aussereuropäischen Märchen zu-
sammen, welche die Entstehung auffälliger Eigenschaften und Merkmale der Tiere
und Pflanzen, sowie der Gestirne mit Hilfe der Phantasie zu erklären suchen. Das
seinen Enkelkindern gewidmete Werk ist für die Schuljugend bestimmt, wiid aber,
da überall sorgfältig die Quellen vermerkt sind, auch der wissenschaftlichen For-
schung gute Dienste leisten — ^J. B )
Arthur Christensen, Contes persans en langue populaire, publies avec une
traduction et des notes (Det kgl danske Videnskabernes Selskab, historisk-filologiske
Meddelelser 1, 3 . Kcibenhavn, Host & Sön 1918. 130 S. 2,90 Kr. — Die 53 hier
mitgeteilten Schwanke hat C. 1914 in Teheran aus dem Munde seines persischen
Lehrers aufgezeichnet, der sie seinerseits (bis auf die aus einem englischen Buche
entlehnte nr 3(i' auf seinen Wanderungen im Volke vernommen hatte. Es sind
Narrenstreichc des Nasreddin Hodscha, witzige Antworten, Frauenlisten, Stichel-
schwänke. auch Tierfabeln; für Märchen hatte C.s Gewährsmann nur Verachtung.
Wenn nun nuch das Milieu durchaus persisch ist, so sind die Stoffe, wie C. durch
gute Nachweise dartut, zumeist international. Vgl. z. B. nr. 18 das Testament des
Hundes, 19 das Urteil des Schemjäka, 4S der Streit der drei Frauen um den ge-
fundenen Ring, 39 den allgemeinen Frieden (Kirchhot, Wendunmut 3, nr. 128.
Lancaster in Publications of the Modern language association of America 22, 33j.
Schon im Mesnewi des Dschelaleddin Rumi begegnen nr. 7, der witzige Papagei
(oben 1-3, 94 und nr. 9, der seiner Kleider beraubte Baiier (Bolte-Polivka, Anmer-
kungen zu Grimm KHM 3, ;)92' Zu 37 der Aufschneider) sei nocli verwiesen auf
Wisser, Plattdeutsche Vm. S. 71; zu 4() (Feigen als Gift) auf Bolte-Polivka 3, 337;
zu 49 (Wem galt der Grussi ebd. 3, 212; zu ,ö2 Doktor AUwi.'^send) ebd. 2, 401. - (J. B.)
Deutsche Volksspiele des Mittelalters. 1. Spiel vom Sündenfall.
Paradoisspiel aus Oberufer bei T'reßburg, 14.[!|.Jaluh.. mitgeteilt von K. J Schröer.
Leipzig. Breitkopf & Härtel 1917. 19 S. - 2. Totentanz. Bilderszenen nach Drucken
des 15. Jahrb., zusammengestellt und für die Kühne eingerichtet von G. Haaß-
Berkow und M. Gümbel-Seiliug ebd. 1918. 24 S. — 3. Ghristgeburtsspiel aus
Oberufer bei Preßburg, mitgeteilt von K J Schröer ebd. 1918 71 S. — «. Theo-
philus, der Faust des Mittelalters, Übertragung von M. G um bel-Seiling. ebd. 1918.
64 S. - 7. Das Niederdeutsche Osterspiel aus Redentin v. J. 1464, Übertragung von
M Gümbel-Seiling ebd. 1918. 9ö S. — 10. Ein hübsch Spiel von St. Georg und
des Königs von Lybia Tochter und wie sie erlöst ward, übertragen von M. Gümbel-
Seiling. ebd 1918. 64 S. je 0,50 M. — Unsere älteren Dramen weiteren Kreisen
näher zu bringen ist der löbliche Wunsch des künstlerischen Volkstheaters in
München Es bietet neben Bearbeitungen mittelalterlicher Stücke auch einige
neuerdings aus dem Volksmunde aufgezeichnete Schauspiele. Zu diesen gehört das
aus Schröers Deutschen Weihnachtspielen aus Ungarn (1858) abgedruckte Ober-
uferer Adam- und Evaspiel, das, wie noch Klimke (Das Paradiesspiel 1902) aus-
führlich darlegte, fast ganz auf H. Sachsens Tiagedia von der Schöpfung beruht,
und das Oberuferer Weihnachtspiel. Beide Spiele sind um I611O von österreichi-
schen Bauern nach Ungarn gebracht und bis ins 19. Jahrhundert fortgepflanzt
worden. — Der 'Totentanz' ist ein Versuch, die dramatische Grundlage der alten
Bilder und Texte zu rekonstruieren; er ist bei dem Bestreben, die Eintönigkeit in
den Reden der elf zum Reigen aufgerufenen Personen ^König bis Amme) zu ver-
meiden, reichlich modern ausgefallen. So lauten die Schlusszeilen: 'Ich rufe euch
alle zum Tanz heraus: das ist ein Sterben und ein Säen, ein Ernten und ein Auf-
]i)-2 Notizen.
oretolien'. — Dagcsicn lii-gt im ■'rhi-ojihiliis' imik- wlrkliilii' ('Iumm^Izuhs aus tler
Tricror iinrl Hfilmstiidtor Fassung des mnd. Dramas vor, die allerdings eine Lücke in
der Mitte aufweist, aber mit einigen Kürzungen in Münehen zur Aufführung ge-
langt ist. — Auch das eigenartige grosse Mecklenburger Osterspiel ist dort I91H dar-
gestellt worden; an dem 'allseitigen Krfolgo' haben wohl die di-r ernsten Handlung
folgenden drastischen Teufelsszenen starken Anteil, in denen ilie Vertreter der ver-
schiedenen Stünde von Liieifers Hiihterstuhl ihre Sünden bekennen müssen. In
die nieht immer glatte Cl)ersetzung sind Choräle eingeschaltet. — Das ziileizl von
Keller in den I-'astnachtspielen 4, 130 herausgegebene Legendendrama vom hl. Georg
entliiilt trotz mancher Längen hübsche Züge. — (J. H.)
Mathilde Kberle. Die Bacqueville-Legende. t^iicllen- und Stoffge-schiehie
Hern. A. Francke 11)17. 104 S. 4,50 Fr. Sprache und Dichtung. Heft 20). — Die
französische Ortssage vom Herrn von Racqueville in der Xormandie ist zuerst im
IT). .lalirh. von dem V'iel.schreiber Belleforest in seinen no^ h nicht wieder aufge-
fundenen) Voyages de Hongrio und liiOl von dem Jesuiten L. Kicheome in die
Literatur eingeführt worden. Wie In der Thomaslegende bei Caesarius von Heister-
bach und in der Ballade vom Möringer wird der in türkischer Gefangenschaft
schmachtende Held an dem 'läge, wo seine Gattin eine neue Ehe schliessen wdl.
durch ein Wunder dos h. Julian in die Heimal zurückversetzt. In Deutschland
wurde die Legende durch eine lateinische Übersetzung von Kicheomes Buch, durcii
kürzere Xacherzählungen von G. Stengel, Martin von Cochem, Abraham a Ü. Clara,
durch eine auf Cochem fussende Ballade und durch mehrere dramatische Bearbei-
tungen verbreitet. Die beiden interessantesten unter diesen Schauspielen ent-
stammen der Schweiz und waren bisher nur "mangelhaft bekannt; ein unförndiches
gereimtes Stück des Schwyzcrs Caspar .Abyberg vom Jaiire 1643 und ein i.m IS(X»
im Wallis von Lukas Deschallen verfasstes Alexandrinerdrama. Frl. Eberle hat
beide hsl. Schauspiele zum Abdruck vorbereitet und bietet uns in der vorliegenden
fleissigen Berner Doktorschrift eine ausführliche übersieht über die Entwicklung
der Legende und ihre verschiedenen Fassungen, Zu der S. 81 besprochenen Sage
vom Grafen im Pfluge, die der Walliser Dramatiker einflicht, verweise ich auf die
Ausführungen oben 2t>, 2(>. — (J. B.)
Flämisches Liederbüchlein, eine Wiihiiachtsgabe für die Flanu-n in
Deutschland. Als Manuskript gedruckt. Münster i \\". I'JIT. IV, S2 S. (Schriften
der Deutsch-flämischen Gesellschaft 1). — Für die in den deutschen Gefangenen-
lagern befindlichen Flamen hat Prof. Jostes eine Lese von 71 beliebten flämischen
Liedern samt den Melodien zusammengestellt, die gewiss mit herzlichem Danke
begrüsst worden ist. Neben bekannten Volksliedern enthält sie Dichtungen von
Rene de t^lercq, Rodenbach, (Tozelle, Hiel u. a.
Max Gniür, Schweizerische Bauernmarken und lldlzurkumlen. Bern. Siänipfli
Ä Cie IW7. 3 Bl., UiO S. mit 3 Tafeln. 10 Fr. Abhandlungen zum schweizerischen
Recht 77). — Seitdem durch Homeyers grundlegende Untersuchung über die Haus-
und Hofmarken '1870) die Aufmerksamkeit der Gelehrten auf diese für die Rechts-
geschichte und Volkskunde bedeutsame Erscheinung gelenkt war, ist die Vermeh-
rung und Beleuchtung dos Materials von vielen Seiten in .Angriff genommen worden
(so oben 4,279. KJ, 22Ü. 22,348). Eine treffliche, vieles Neue enthaltende fbersicht
über das reiche und vielgestaltige Material der Schweiz liefert uns der Berner
Kechtslehrer Gmür in dem vorliegenden Buche, das wir besonders willkommen
heissen, weil der Gebrauch auch hier im Schwinden begriffen ist und die altertüm-
lichen Hausmarken wohl in wenigen Jahrzehnten durch die Schrift verdrängt sein
werden. Der Verfasser bespricht zunächst kurz Begriff, Geschichte und Verbreitung
der Hausmarken in Mittel- und Xordeurojja, die er bis in die prähistorische Zeit
zurückfidirt, um sich dann ihrer Vorwendung und rechtlichen Bedeutung in der
Schweiz zuzuwenden. Die auf geschlagenem Holz, l'rkundenstäben, (Jeräten,
Vieh usw. eingebrannten oder eingeritzten Hauszeichen müssen im Gegensatz zu
den farbigen Wappen natürlich eine einfache lineare Gestalt haben; si>' ähneln
Notizen. 1 53
meist einem Kreuz, Tisch, Geissfuss. l'.undhalven u. dgl. und dienen in Ersetzung
der Schrift als Vermögens- oder Personalzeichen Sehr zweifelliaft bleibt der 8. ;U
erwälinte Zusammenhang mit dem Runenalphabet Genauer besprochen werden
dann die Viehzeii-hen, die nicht nur aus umgehängten Holz- oder Ledertäfelchen
(Belgien) bestehen, sondern häufiger als aus Kerben und Löchern zusammengesetzte
Ohrmarken den Schafen und Ziegen eingeschnitten werden. Den Kindern brennt
man das Zeichen ins Hörn oder in den Fuss, schneidet es aus dem Rückenhaar
aus oder tätowiert es ein ; über diese Marken existieren in den einzelnen (Tcmeinden
natürlich amtliehe Register. Interessante Ausführungen erhalten wir S 52 über die
Bauernzahlen auf Kerbhölzern, zu denen auf unsre Zeitschrift 10, ISfi und die
Schweizer Volkskunde 7,33. Sl. 8,13 verwiesen sei. In den §§ 7-20 geht der Vf.
dann auf die vielen Gestalten imd Verwendungen der Kerbhölzer ein. auf denen
Kostanecki (Der wirtschaftliche AVert. IWO, ein ganzes, schwerverständliches national-
ökonomisches System aufgebaut hat. Sie führen in der Schweiz meist den Namen
Tessel 'lat. tessera) oder Beigle, Beile, den E. Hoffmann-Krayer Schweizer Volks-
kunde 8,49; einleuchtend a\is lat. pagella, afrz. paielle Holzmassl ableitet Nach
ihrem Zweck und Inhalt unterscheidet G. acht Gruppen: Loshölzer, die bei der
losmässigen Zuteilung von Pflichten und Rechten benutzt werden, Zählstöcke und
einfache Notizhölzer, Kehrtesseln oder Pflichthölzer ;z B. bei Viehhut, Feuerwehr-
dienst, Hackhausbenutzungi, einfache, mehrfaclie und gespaltene Abrechnungshölzer
ibeim .Milchablausch und bei der Kontrolle andrer Kaufgeschäfte", (^uittunas- und
Forderungshölzer, endlich Rechtsamehölzer der Wasser- \md Aljikorporationen.
Wesentlich juristischer Natur sind die Darlegungen in § 17—20 über das Verhältnis
des Kerbholzes zur festuca, die einst bei den Franken und Alemannen von der
einen Partei der andern als Zahlungsversprechen zugeworfen und später durch die
Urkunde ersetzt wurde, zur Urkunde, zur Buchführung und zum Wertpapier. An-
schaulich gemacht werden die Ausführungen des 17. durch eine grosse Reihe
schöner Abbildungen, die zumeist aus seiner eignen Saninilnni; von Holzurkunden
entnommen sind. — (J. R.'
M. ,1. bin Goriun, Die ersten Menschen und Tiere. .Tüdische Sagen von der
Urzeit. — Abraham, Isaak und Jakob. Jüdische Patriarchengeschichten — Joseph
und seine Brüder. Ein altjüdischer Roman. Frankfurt a. M., Rütten & Loening
l'.tl7. HS, 99 und ICK) S. 8 '. kart. je 2,00 Mk. — Die ersten beiden Bändchen ent-
halten eine Auswahl aus dem oben 24, 97 und 332 eingehend besprochenen Werke
Herdyczewskis über die Sagen der Juden. Das dritte ist eine Probe des von dem
Verfasser vorbereiteten 3. Bandes der grossen Ausgabe, das imter dem Titel 'Die
zwölf Stämme' erscheinen wird. Es handelt sich um die weitverbreitete Erzählung
aus dem 'Sefer hajasar', über deren Geschichte und Ausgaben der Anhang eine
kurze Zusammenstellung gibt. — (F. B.i
A. Häuf f en, Geschichte des deutschen Michel. Herausgegeben vom Deutschen
Verein zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse in Prag. Prag 1918. 91) S. —
Weit älter als die Bezeichnungen des englischen und amerikanischen Volkes durch
die Tj'pen John Bull und Bruder Jonathan ist der Name des deutschen .Michels,
unter dem sclion Seb. Frank 1541 einen groben und dummen Menschen versteht.
Streitig ist, ob der häufige Bauernnaine Michael zuerst von den Humanisten zu
einer Schelte der Ungelehrten verwendet wurde, oder ob schon die Franzosen im
15. Jahrh. die frommen Wallfahrer, die aus Deutschland nach dem Mont Saint-
Michel in der Normandie zogen, als einfältige Micbelsbrüder verspotteten Im
17. Jahrh. belebte der glänzende Kriegsheld Michael Obentraut die Erinnerung an die
Abstammung von dem streitbaren Erzengel, dessen Bild einst auf der Reichssturm-
fahne dem Heere voranwehte. Als arbeitsamer, verträumter Bauernknecht erscheint
Michel 1757 in einem Lustspiele Krügers. Eine politische Persönlichkeit wurde der
<teutsche Michel erst nach 1830, als die gutmütige, aber weltunläufige, schläfrige
Art des Volkes von Heim-, Hoffmann von Fallersleben und anderen politischen
leichtern gegeißelt wurde Ausführlich hat H. nicht nur diese Entwicklung des
];')rt Noti/.en.
■dass uin Stamm- oder i'eison»>iinamc iiin so undiirchsiclitiger zu sein pt'letje. je
echter und iilter er sei. In graniniatischer Hinsicht stellt er fest, dass der Name
(iermani ein lanjes a habe und mit dem lateinischen Adjektivum ;;ernianus {=■ echt,
unvorfiilscht) nur den Lauton nach iiberoinslimme; ethnolnuische Tatsachen von
Interesse sind die von Plinius erwähnten Oretani Germani in Spanien und die von
Orosius und Livius bezeugten Galli (Jermani sowie die Somigermanae gentes in den
Westalpeu. — (.1. H.)
A. Olrik, Gudefromstillingor pii guldhoinene og andre ;vldre nnndesmii'rker
(Danske Studier 1918. 1 - 3.') mit 8 Bildertafeln\ - Die nachgelassene Abhandlung
weist die drei urnordischen Hauptgötter Odin. Thor und Fröj in Denkmälern der
Völkerwanderung«- und der Wikingerzeit nach. Ausser diesen erkennt Olrik auf
den beiden Goldhörnern von Tondern imd auf den Bronzeplatten aus Öland die
Haddingo als ein Kriegerpaar. Alf als einen Mann mit zwei Dolchen. Tiu einen
Menschen opfernd und den wolfsköpfigen Tyr. Inter den zwölf Göttern des
Gundestruper Kessels zeigt Odin den Typus des gallischen Kemunnos und Thor
den des gallischen .Juiiiter. Ferner bespricht der Vf.. der in seinen Deutungen
mehrfach Worsaae folgt, Darstellungen Odins zu Pferde und Tyrs mit dem Fenris-
wolt und die verschiedenen Göttersymbole. Nebenher ergibt sich, das« Odins Ver-
-ehrung nicht erst in der Wikingorzeit aufgekommen ist. — (J. B. i
Ed. Otto, Deutsches Krauenleben im Wandel der .lahrliumlerte. ?>. Aufl.
Leipzig, Teubner 1918. IV, IS.'i S., geb. 1,.')0 M. (Aus Natur und (ieisteswelt -1.')). —
Das Büchlein stellt einen wohlgelungcnen Versuch dar, das deutsche Frauenleben
von der Urzeit bis zum Beginn des 19. Jahrh. im I'mriss zu zeichnen. O. weiss die
■wesentlichen Züge der acht Perioden, in die er diesen Zeitraum zerlegt, rechtliche
Stellung, Heschäftigung, Tracht, Bildung, sittlichen Charakter, kurz und fasslich
darzulegen und belebt die Darstellung durch Einzelbilder hervorragender Frauen
•wie Uadegunde. Charitas Pirkheinior, Klisabeth Charlotte von der Pfalz, die Gott-
schedin, Elisa V. d. Kecke, Bettina v. Arnim. Wenn auch der Kundige die einge-
streuten Hinweise auf die benutzten Quellen zu deuten weiss, so wären vielleicht
für manche Leser genauere Literaturangaben erwünscht i.T. B )
.Johannes Pesch, Die Glocke in Geschichte, Sage, Volksglaube. Volksbrauch
und Dichtung. Dülmen i. W., A. Laumann (19181 192 S kl 8". kart. 1.8(1 M. —
Weiteren Kreiseiv wird das Büchlein willkommen sein, das ohne gelehrte Ansiirüche
allerlei Wissenswertes über die Glocken zusammenträgt. Der Korscher freilich
wird genauere Literalurangaben und ein Zurückgehen auf die älteren Quellen ver-
missen. Das Ritual der katholischen Glockenweihe teilt 1'. in Verdeutschung mit,
zahlreiche Glockensagen erscheinen in novellistischer .Aussehniückung oder in
metrischer Bearbeitung. \'on den Gloekenopfern, die der Weltkrieg erfordert, und
von dem Glockenghuilien der letzten Jahre handelt S. MO— 140. Auch die den
Schluss bildenden Proben der Glockenlyrik sind zumeist jüngsten Datums. — (.T. B.)
J. I'olivka, The life-tokens in folk-tales, custom and belief (Cechisch aus;
Närodopisny VJstnik öeskoslovansk^ 12). Prag 1917. 96 S. 8°. - .Vusführlicher als
E. S. Hartland in seiner "Legend of Perseu.s' 2. 1-54 bespricht P. die Lebenszeichen
und Todesahnungen in Volksüberlieferung, Aberglauben und Uraiuh. namentlich
»lavisches Material neu verwertend. Ein welkender Haum bedeutet eine Krankheit
■oder den Tod des Helden, aus dem Sieden oder der Veränderung von Blut, Milch.
Wein, Wasser oder eines Tieres ergibt sich ein gleiches Vorzeichen. Ein im Baum
steckendes Messer wird rostig, ein Kingstein trübt sich, ein Kleid verändert die
Farbe usw. Besonders behandelt werden die abergläubischen Vorstellungen, die
sich an Kerzen, Spiegel und Bilder knüpfen. — (J. Horiik.
Jakobus Reimers, Das Adlerwappen bei den Friesen. Oldenburg, (terh.Stalling
1914. 210 S. 8°. — Von den Geschlechterwappen der Friesen zeigt etwa die Hälfte neben
•den unterscheidenden Familienzeichen als gemeinsames Wajipenbild im Schilde den
halben Adler, der im übrigen Deutschland nicht entfernt so häutig vorkommt
Notizen. 1,")7
Diese auffällige Tatsache sucht die Studie zu erklären Uer Adler, seit Karl dent
tirossen das Reichshoheitszeichen, durfte von den Inhabern eines kaisci liehen
Amtes, z. ß. den Richtern, im Wappen geführt werden. Während im Reiche die Anz;ihl
der Schöffenbarfreien, welche das Recht zum Richteramt besassen, unter dem Einfluss-
des Lelinswesens immer geringer geworden war, blieb in l-'riesland der freie i-ruts-
besitzerstand, der durch seine Güter zum Richteramt berechtigt war, bestehen. Die
Bemerkungen über Wappen und Hausmarke sowie die ausführlichen Darlegungen
über die friesischen Bevölkerungsgruppen sind auch für die Volkskunde von
Interesse. — (O. E.)
M. Rothbarth. Volkskunde und Nibelungenlied (Zs. f. den deutschen l'nter-
richt 32, 266-276) — Wie Samter (N. Jahrb. f. das klass. Altertum 34, n08; im
Homerunterricht den augenscheinlichen Nutzen einer Heranziehung der Volkskunde
erwiesen hat, so zeigt Fräulein R., wie das Verständnis des Nibelungenliedes durch
Heranziehung der Etymologie, der Sagen und Märchen, der niederen Mythologie,
des Aberglaubens und der Volksbräuche gefördert werden kann. — 'J. B.)
Rubelin, Über Hauszeichen im Oderbrueh (18(15; hsg. von P. Hoffmaiin. Zs.
f. Ethnologie 1918, 64 K)).
H Schneider, lihlaiid und du- cIiuIncIm- Heldensage. (.\l)h. der Herliner
Akadernie, phil.-hist. Kl. 1918, nr. 9). 91 S. 4".
H. Spies, Englischer Kriegsaberglaube in Volk und Heer 'Neue l'reussische ■
Zeitung 1918, 4 und 11. August, nr. :i9:i und 4061
F. Teutsch, Von unsern Glocken (Kbl. f. .«iebenbg. Landeskunde 41, 21-23\
J. Turi, Das Buch des Lappen Johan Turi. Erzählung von dem Leben der
Lappen. Herausg. von Eniilie Demant , übers von Mathilde Mann. Frankfurt a M..
Rütten & Loening 1913. XIX, 262 S. 14 Tafeln. 8". Geh. .') Mk., geb. 6,.50 Mk. —
Das eigenartige Buch, verfasst von einem beredten Gliede des absterbenden Volkes
in Europas hohem Norden, schildert das Nomadenleben der Lappen, ihre Sitten,
Gebräuche, Sagen und Märclren. Das Bild, das wir auf diese Weise vom heutigen.
Volksleben der Lappen erhalten, weicht in manchen Zügen wesentlich von den
früheren, wissenschaftlich'en Darstellungen, besonders von I. A. Friis, ab und zeigt
ein allmähliches Verblassen der ursprünglichen Farben und Eindringen fremder
Bestandteile, ist aber immer noch äusserst fesselnd und eigenartig. Die Heraus-
geberin, die über ein Jahr lang mit Turi zusammen gelebt und ihn bei der unge-
wohnten Arbeit des Schreibens unterstützt hat, war bemüht, in der von ihr ver-
fassten dänischen Übersetzung das Sprunghafte und zum Teil Ungelenke der Dar-
stellung beizubehalten, worin ihr die deutsche Übersetzerin folgt. Vielleicht ist sie
in dieser Ueziehung bisweilen zu weit gegangen, so dass manches unverständlich
bleibt Besonderes Interesse verdienen die beigegebenen Zeichnungen Turis. Die
Ausstattung des Buches ist sehr geschmackvoll. — (F. B.)
Wilhelm Wisser,
unser verehrter Mitarbeiter, feierte am 27. August seinen 75 Geburtstag. 1843
zu Klenzau bei Eutin geboren, studierte er in Leipzig klassische Philologie und
wirkte als Oberlehrer lange Zeit am Gj^ranasium zu Eutin. Hier begann er die
plattdeutschen Märchen seiner holsteinischen Heimat, die dort noch in reicher
h'ülle leben, zu sammeln und in wissenschaftlichem Geist und mit feinem Stil-
gefühl ausgewählte Stücke zu veröffentlichen. Seinen drei Bändchen 'Wat Grot-
moder verteilt' (1904—1909) und seinen Plattdeutschen Volksmärchen' (1914)
soll noch eine grosse Ausgabe mit Varianten und Anmerkungen folgen, zu deren
Vollendung wir ihm von ganzem Herzen Gedeihen wünschen. J. B.
1 fit! Notizen.
•dass ein Stainin- oder l'i'rsoncimainc iiiii so iindiirchsichtispr zu sein pflege, je
echter und älter er sei. In sriii'unatischcr Hinsicht stellt er fest, dass der Name
<}ermani ein langes a habe und mit dem lateinischen Adjektivum gertnanus (= echt,
unverfälscht) nur den Lauten nach übereinstimme; ethnologische Tatsachen von
Interesse sind die von Plinius erwähnten Orotani Germani in Spanien und die von
Drosius und Livius bezeugten Galli (Jerniani sowie die S<'migfrmanao genfos in den
Westalpen. — (,I. B.)
A. Olrik, UudefremstillingLr p:i guldhoinene og andre a-ldre niindesiniirker
(Danske Studier 1918, 1 - 35 mit 8 Bildertafeln"). - Die nachgelassene Abhandlung
weist die drei urnordischen Hauptgötter Odin. Thor und Fröj in Denkmälern der
Völkerwanderungs- und der Wikingerzeit nach. Ausser diesen erkennt Olrik auf
den beiden (Toldhörnern von Tondern und auf den Bronzeplatten aus Öland die
Haddinge als ein Kriegerpaar. .\lf als einen Mann mit zwei Dolchen. Tiu einen
Men.schen opfernd und den woUVköpfigen 'I'vr Inter den zwölf (TÖttern des
Gundestruper Kessels zeigt Odin den Typus des gallischen Kemunnos und Thor
den des gallischen Jupiter. Ferner bespricht der Vf., der in seinen Deutungen
mehrfach Worsaae folgt, Darstellungen Odins zu Pferde und Tyrs mit dem Fenris-
wolf und die verschiedenen Göttersymbole. Nebenher ergibt sich, dass Odins Ver-
ehrung nicht erst in der Wikingerzeit aufgekommen ist. — .1. R.
Kd. Otto, Deutsches l-'rauenleben im Wandel der .lalirhunderte. .">. .\ufl.
Leipzig, Teubner 1918. IV, 12S S., geb. l.fjO M. lAus Natur und Geisteswelt -l.'i). —
Das Büchlein stellt einen wohlgelungenen Versuch dar, das deutsche Fraueuleben
von der Urzeit bis zum Heginn des 19. Jahrh. im T'mriss /m zeichnen. O. weiss die
■wesentlichen Züge der acht Perioden, in die er diesen Zeitraum zerlegt, rechlliclie
Stellung, Beschäftigung, Tracht, Bildung, sittlichen t'harakter, kurz und fasslich
darzulegen und belebt die Darstellung durch Kinzell)ilder hervorragender Frauen
■wie Radegunde, Charitas Pirkhcimer, Elisabeth Charlotte von der Pfalz, die Gott-
schedin, Eli-sa v. d. Recke, Bettina v. Arnim. Wenn auch der Kundige die einge-
streuten Hinweise auf die benutzten Quellen zu deuten weiss, so wären vielleiclit
für manche Leser genauere I-iteraturangaben erwünscht i.I. B )
•Johannes Pesch, Die Glocke in Geschichte, Sage, Volksglaube. V'olksbrauch
und Dichtung. Dülmen i. W., A. Laumann [1918] 192 S kl 8". kart. l,vS() M. —
Weiteren Kreisen wird das Büchlein willkommen sein, das ohne gelehrte Ansprüche
allerlei Wissenswertes über die Glocken zusammenträgt. Der Forscher freilich
wird genauere Literaturangabon und ein Zurückgehen auf die älteren Quellen ver-
missen. Das Ritual der katholischen Glockenweihe teilt P. in Verdeutschung mit.
zahlreiche Glockensagen erscheinen in novellistischer .Ausschmückung oder in
metrischer Bearbeitung. \'on den Glockenopfern, die der Weltkrieg erfordert, und
von dem Glockenglauben der letzten Jahre handelt S. 140-14G. Auch die den
Schlu.ss bildenden Proben der Glockenlyrik sind zumeist jüngsten Datums. — (J. B.)
J. Polivka, The life-tokens in tolktales, custom and belief (Oecliisch aus:
Närodopisnj' V&tnik ceskoslovansk^ 12). Prag 1917. 96 S. 8". - Ausführlicher als
E. S. Hartland in seiner "Legend of Perseu.s' 2, 1-54 bespricht P. die Lebenszeichen
und Todesahnungen in Volksüberlieferung, Aberglauben und Hrauch, namentlich
slavisches Material neu verwertend. Ein welkender Baum bedeutet eine Krankheit
oder den Tod des Helden, aus dem Sieden oder der Veränderung von Blut, Milch,
Wein, Wasser oder eines Tieres ergibt sich ein gleiches Vorzeichen, Ein im Baum
steckendes Messer wird rostig, ein Kingstein trübt sich, ein Kleid vi'rändert die
Farbe usw. Besonders behandelt werden die abergläubischen Vorstellungen, die
sich an Kerzen, Spiegel und Bilder knüpfen. — (J. Horak.
Jakobus Reimers, Das Adlerwappen bei den Friesen. Oldenburg, ( ierh. Stalling
1914. 210 S. 8°. — Von den Geschlechterwappen der Friesen zeigt etwa die Hälfte neben
•den unterscheidenden Familienzeichen als gemeinsames Wappenbild im Schilde den
halben Adler, der im übrigen Deutschland nicht entfernt .so häutig vork(Miinit
Notizen. 1,')7
Diese auffällige Tatsacfie sucht die Studie zu erklären Der Adler, seit Karl dent
Grossen das Reichsholicitszeichen, durfte von den Inliabern eines kaiserlichen
Amtes, z. ß. den Richtern, im Wappen geführt werden. Während im Reiche die Anzuhl
der Schöffenbarfreien, welche das Recht zum Richteramt besassen. unter dem Eintlusa
des Lehnswesens immer geringer geworden war, blieb in t'riesland der freie liuts-
besitzerstand, der durch seine Güter zum Richteramt berechtigt war, bestehen. Die
Bemerkungen über Wappen und Hausmarke sowie die ausführlichen Darlegungen
über die friesischen Bevölkerungsgruppen .sind aucfi für die Volkskunde von
Interesse. — (O. E.)
M. Rothbarth. Volkskunde und Nibelungenlied (Zs. f. den deutschen Unter-
richt 32, 266-276) — Wie Samter (N. Jahrb. f. das klass. Altertum 34. .008; im
Homerunterricht den augenscheinlichen Nutzen einer Heranziehung der Volkskimde
erwiesen hat, so zeigt Fräulein R., wie das Verständnis des Nibelungenliedes durch
Heranziehung der Etymologie, der Sagen und Märchen, der niederen Mythologie,
des Aberglaubens und der Volksbräuche gefördert werden kann. — ',J. B.)
Rubehn, Über Hauszeiclien im Oderbruch (1865; hsg. von P. Hoft'mann. Zs.
f. Ethnologie 1918, 64 69).
H Schneider. I'hlaud und dir diMil.wche Heldensage. (Abh. der Berliner
Akademie, phil.-hist. Kl. 1918, nr. 9). 91 S. 4".
H. Spies, Englischer Kriegsuberglaube in Volk und Heer Neue Preussische ■
Zeitung 1918, 4 und 11. August, nr. :i9:i und 406)
F. Teutsch, Von unsern Glocken (Kbl. f. siebenbg. Landeskunde 41, 21-23).
J. Turi, Das Buch des Lappen Johan Turi. Erzählung von dem Leben der
Lappen. Herausg. von Emilie Demant, übers von Mathilde Mann. Frankfurt a M.,
Rütten & Loening 1913. XIX, 262 S. 14 Tafeln. 8". Geh. .ö Mk., geb. 6,.50 Mk. —
Das eigenartige Buch, verfasst von einem beredten Gliede des absterbenden Volkes
in Europas hohem Norden, schildert das Nomadenleben der Lappen, ihre Sitten,
Gebräuche, Sagen und Märchen. Das Bild, das wir auf diese Weise vom heutigen
Volksleben der Lappen erhalten, weicht in manchen Zügen wesentlich von den
früheren, wissenschaftlichen Darstellungen, besonders von I. A. Friis, ab und zeigt
ein allmähliches Verblassen der ursprünglichen Farben und Eindringen fremder
Bestandteile, ist aber immer noch äusserst fesselnd und eigenartig. Die Heraus-
geberin, die über ein Jahr lang mit Turi zusammen gelebt und ihn bei der unge-
wohnten Arbeit des Schreibens unterstützt hat. war bemüht, in der von ihr vor-
fassteu dänischen Übersetzung das Sprunghafte und zum Teil Ungelenke der Dar-
stellung beizubehalten, worin ihr die deutsche Übersetzerin folgt. Viellei<ht ist sie
in dieser Hezieliung bisweilen zu weit gegangen, so dass manches unverständlich
bleibt. Besonderes Interesse verdienen die beigegebenen Zeichnungen Turis. Die
Ausstattung des Buches ist sehr geschmackvoll. — (F. B.)
Wilhelm Wisser,
unser verehrter Mitarbeiter, feierte am 27. August setnen 75 Geburtstag. 1843
zu Kienzau bei Eutin geboren, studierte er in Leipzig klassische Philologie und
wirkte als Oberlehrer lange Zeit am Gymnasium zu Eutin. Hier begann er die
plaltdeutschen Miirchen seiner holsteinischen Heimat, die dort noch in reicher
Fülle leben, zu sammeln und in wissenschaftlichem Geist und mit feinem Stil-
gefühl ausgewühlte Stücke zu veröffentlichen. Seinen drei Bändchen 'Wat Grot-
moder verteilt' (1904—1909) und seinen -Plattdeutschen Volksmärchen' (1914)
soll noch eine grosse Ausgabe mit Varianten und Anmerkungen folgen, zu deren
Vollendung wir ihm von ganzem Herzen Gedeihen wünschen. J B.
I^eo-ister.
Dil' Xaincn di-r Mitarbeiter sind kursiv i;ednu-kt
Aarne, A. 1-lS
Aberglaube: Hasiiisk-l;> ^9.
Gans 7. Kobold 41— fili.
Krieg 1Ö7.
Abraham a S. Clara 132
Abzählroimo 15. 21.
Adlerwappeu löö.
ÄKvpteii i'.i.
AhVens, W. 149.
Albanien 7."}
Albers, J. II. löO.
Albertus Magnus 47.
Alexander der Grobe -1.')
Alraun öö
Ameisen öö
Arabien 48.
Ha den 111.
Hallz. J. 145.
Basilisk 4;i-49.
Hauer in der Kirche 88-91
-leben 7()— 78. -marken l,j2.
Bayern: Lied 90f.
Berdyuzewski, M. l.>i.
Berlin: Weihnachtspiel 14')
Bickel 27.
Blick, biiser 4.i.
HUmiauer, A. 90 lut;.
Bock. H. 9i;.
BOli-, /•', Notizen löo. 1");!.
157.
Böhmen: Aberglaube 49.
Lied 7 I f. 73. Schwank 1 :! 1 f
B'dif, J. 41. ICK). 150 Zum
deutschen Volksliede (iö
bis 78 Der Kauernjunge
in der Landslmter \ esper
89 91. Volkslieder aus
dem Odenwald, Aum. 92
Ijis 9ö. Hiitts Gott nicht
erschaffen 9öf. Das King-
lein sprang entzwei 99
Kunstlieder lOO. Drei
deutscheHaussprüche und
ihr Ursprung 113—121)
Zu Bürgers Miinchhauseu
129 f. I-Ie.ssische Volks-
schwänko vom Jahre ISI 1
132 — 13.^. Hie Siheiine
brennt 137. Das angeb-
liche Berliner Weihnacht-
spiel von 1Ö97 14Ö — 147.
Notizen 148-157. i
Bonnart 57.
Bosnien 53.
Bousset, W. 154.
Hrechenmacher, .1. K. 117
Brekel 27.
Bietague GS. 74.
Brockelmann, ('. 117.
Brunner, K. Die Garn weife
oder Garnhaspel 50 — 03.
Buddha 119.
Bukowina 53.
Bulgarien: Lied 71. 75.
Bürger, J. G. 129.
Caland. W. 120
Castelli, J. F. 102.
Chaidin 117.
Chidr 118.
China 48. 75
Christensen, .\. 151.
Clauss - Mangler, I, Volks-
lieder aus dem Odenwalde
92 - 95.
Clfineii, C. Der Ursprung des
Martinsfestes 1 — 14.
de Cock, A. 150. 151.
Cechisch: s. Böhmen.
I aluiatien 52.
Dütiemark: Aberglaube 48.
Lied 00.73.75.94 Schwank
Liiif Segen 147.
Dankzeichen für Volks-
kunde 50.
Demant, E. 157.
Drache 54 f.
Dreikönigstag 138.
Dreizehnerfest 138.
Dürer, A. 47.
Dux 91.
Kberle, M 152.
Ebeiniaini. (>. Kine Warnung
vordem .\Ieinoid 140 -145.
Bespr. 147. Notiz 15t')
Ei 41 50.
V. Eichendorff, ,1. 99.
Einschiebsel in Namen 15
Elias, Abt 115.
Ernjicdokles 117
England: Aberglaube 48 55.
157. Fest 5. Lied 73.
/•Jiii/Icit, A. Hätts Gott nicht
erschaffen 95 - 96.
Erfurt 4.
Erk. I. .s;if
Krutebräuche 4 f.
Ferideddin Attar 118.
Feste des Jahres 1,50. Ernte 4.
Martins 1 - 14.
Finnland: Kalewala 75.
Firmenich, J. M. 110.
Fischart, J. 90.
Fischir, II. Ein studentischer
Brauch 110.
Flämisch: Glaube u. Brauch
150. Lie<ler 152 Schwank
130.
Fliege ,55
Frankreich : Aberglaube 48 f.
Lied 07 73f. 95. Martins-
tag 5. Schwank 132.
Frauenleben 1,5G.
Fliesen 150.
(lians 1 — 14. Gansreiten (i.
Heilkraft 7.
Garbe 5.
Garnweife 50 63 -winde 02
l Gonee. K. lüS.
1 Georg, der hl. 151.
)• Oeramb, V. Steirische
Volksmärchen 120-124.
' Germani 1,')5.
(Jeschwisterliebe 75.
Glocken 15t). 150. 157.
Gmür, M 1,52.
V. Goeckingk, L. 109.
I Goethe, J. W. 75. 99. 1 19 139.
; Gorion, M. J. bin 1.5:v
Gregor der Große 44.
I G. von Tours 3.
Gregoriuslegende 75
Griechenland 74. 113.
Grimm, ,1. 129. .1. u. W. liW.
Grisebach, E. 129.
Gümbel-Seiling, M. 151.
II aararbeiten 04.
Haaß-Berkow, G. 151
Hahn 5. roter ,54. legt Ei 44 f.
Hannover 79.
Nasehvurm 49.
Haspel 58.
llauffen, A. 1.53.
Haus-geist49,53. -Inschriften
111- 119. -zeichen 152. 1Ö7.
Heldensage 157.
Register.
159
Henne, schwarze .Mi '
Hessen: Volksschwiinke 1.'!.?.
Hieronymus lUi. I
Hilka, A. lf)4
Hüte 28. _ I
Hinterpommern 137 '
Hobelbank iReime) 137
Hof am Habichtswald 133.
Hol'fmann v. Falleralebeu,
A. H 8H.
Hoft'iiiann, J. l.')7.
Holstein 130
HoTfik, J. 72. 7ü. Notiz 1Ö6.
HorapoUo 43. 47.
Ibis 4:;
Iminerniaiin, K 1111
Indien 7."). 11 lt.
Iringswei; 1.Ö4.
Island: .-Vberglaube 48
Italien: Aberfjlaube 4'.).
Lied (58. 73 f. Novelle 154.
Joste.><. F. lö"i.
Juden: .Sagen l.")3. Schwank
IL'G.
.Jiidiselideut.sch: Lied 71.
Jüngst 7i» - Hl.
Jiirgensen, W. 2
Hagerer, J. M. '.U
Kalewala 7ö
Kampfgespräche 77.
Katalonien: Lied 6!l 74.
Kaufmann, H 57.
Keim, Ph lül.
Keller, W. 154.
Kind: Sprachspiel 15 — 25.
V. Kleist, H. 114. 119.
K Ucker 32.
Kloppelniasclrine 64.
Knöchel 26 -spiel 30
Kiioop, (>. Der Gesiindhcits-
brimuen 124 — 126.
Sehwanke aus Hinter-
pommern 137 f.
Konrad von Würzburg 44.
Konvergenz 154
Kopp, A Lieben kein Ver-
brechen H7f.
Korb verbrannt 9
Kote (Knöchel) 27.
Krause, F. 1.33.
I,andshut .SS.
Lappen 157.
Lebenszeichen 156.
Legende 152 154.
Lemke, E 26.
Lessing, G. E. 75.
Letten 52.
Liebe 95-07.
Lied: bretonisch 68 dänisch
66. 69. 71. deutsch 65 bis
113. flämisch 152. fran-
zösisch 67. italienisch 68.
niederländisch 71. 86 por-
tugiesisch 68. schwedisch
70f. slawisch 71. spanisch
69. Kinderlieder 111-113.
Kunstl. 99 - 1 lo. Bauern-
lebcn 76. Der geschlagene
l'.hcmann 94. Ein Schiff-
lein sah ich fahren 79
Graf u. Nonne 85, Guter
Mond 98. Heil, drei Könige
92.139. Heimkehr des Ge-
liebten oder Gatten 73f.
Landshuter Vesper 88.
Lieben kein Verbrechen
97. Marias Wandrung 93.
Mordeltorn 73. Schwester
wiedergefunden 7U Ver-
suchung ()5 Weihnacht
146 Wildschütz m.
Loetre, 11. Der Schwank vom
Zeichendisput 126-129.
Lübeck 136.
Lücke, If. Ein Schifflein sah
ich fahren, Kapitän und
Leutenant 79 — 88
Lüdtke, W. 153
V. Luschan, F. 153
Luther, M. 12. 95. 114. 119.
139.
Lynar, Graf H. F. 129.
Mann, M. 155
Märchen: deutsch 120-126.
persisch 151 pommerisch
124. steirisch 120 Brüder
Grimm 150. Bärenhaut 50
Brüderchen u Schwester-
chen 120. Der reiche Mann
und sein Schwiegersohn
148. Fürchten lernen 123.
Naturgeschichtlich 151.
Wasser des Lebens 124.
Martin, der h. 1. Fest 1 - 1-1.
Feuer 8f Gans If
Mecklenburg 126.
Megenberg, K. v. 45.
Meier, J. 79.
Meineid 140.
Meisingei; 0. Wurstreime aus
Baden 111-113.
Meissner, R 154.
Meistersinger 76.
Memel, J. P. de 65.
Meyer, W 154.
Michel, der deutsche 153
Milchstraße 154.
Minden, G. 56.
Mitzschke, P. 1.5.5.
Mölln 113.
Montenegro 53.
Müller, C. 111. J. S. 97.
Müller, Jos. Das Fangstein-
chenspiel in den Rhein-
landen 26—41.
V. Miinchhausen. K. F. H.
129
Vamen, sonderbare 135.
Nibelungenlied 154. 157.
Niederlande: Lied 8. 71. 73.
86:«. .
Nilson, J. E. 59.
Norden, E. 155.
Norwegen: Lied
1. 95.
Odenwald. Lied 92-9.5.
Gdin 156.
Ohrt F. 147.
Ulrik, A. 70 l.j6
Opfer (!.
Orakel: Gans 7. Lebens-
zeichen 155.
Osterreich 42.
Osterspiel 151.
Otto, E. 1.56
j l'ansiv, Le (Kell) 97.
' Persien 117. i51.
I Pesch, J. 1.56
Petrus 107
Pfarrius, G. 99.
Physiologus 44.
I'lacidas-Fhistachius 154.
l'linius 43.
Polen: Aberglaube .50. Lied
71 f 74 Schwank 131. 137.
l'oHrku, G. 1.50. 156. Die
Entstehung eines dienst-
baren Kobolds aus einem
Ei 41-56.
Pope, A. 97.
'Portugal: Aberglaube 49.
I Lied 68. 74.
! Posen 137.
; Puk 42.
I Quadrate, magische 149.
1 Quartettmutzelsuppe 140.
JJad, brennendes 8.
; Raspe, R E 129
Redentin 151.
Reimers, .7. 1.56
Reimspiel 15 f.
Rheinland 12. 26-4! 138.
Richeome. L. 152.
Richlei; 1'. K Der Bauern-
junge in der Land-huter
Vesper 88 f
Rothbarth, M 15,.
Rubehn 157.
Rücklauf von Wörtern 23
Rügen 42.
Rumänien 73.
Russland: Aberglaube 51.
Lied 71 f. Schwank 131 f.
Sachs, H. 132. 151.
Sagen: Alexander 45. Bac-
queville 152. flämisch 150.
jüdisch 153.
Salzburg 91.
Schauspiel: s Osterspiel,
Volksspiele, Weihnacht-
spiel
Schell. O. Das Dreizehnerfest
in Windhagen bei Gum-
mersbach 138-140.
Scheune brennt 135.
1 Schiller, F. 45. 75.
1W>
Repister.
Schlag";
fragen
,lr-i
linigo Griinil-
Kinder.siiii'l-
l'orschunj; 1")
Schlange -üif.
Schlesien: Siiiiinstiibe .')(>
Schneider, li. l.'iT.
Scholz, (). :ü. ti2f.
Schrägen 58.
Schroer, K. .1. 151.
Schuchardt, H. ö'.l.
Schultz, K. \V. KJö.
Schwank; hessisch VA'A - VMv
persisch l.")l. pommerisch
137 f. Mann aus dem Para-
diese 148. Müuchhausen
129 — i;i2. Scheune brenn!
135. Schulzenpriifung 137.
Schwerhihige 148. Spiel-
mann.sniilrlein 123. Wette
des schweigenden Ehe-
paars 135. Zeichendisput
12G.
Schweden: Aberglaube 41.
48. I.ied 70 73.
Schweiz: Aberglaube 42. 49.
Bauernniarken 1Ö2.
Segensfornieln 147.
Serbokroaten 75.
Siebenbürgen 53.
Sinirock, K. 2.
Skandinavien: Götterdar-
^tellungen 15ü.
Slovaken: AVjerglauben öo.
Lied 71 f.
Slovenen: Aberglauben 52.
Lied 721 75
Sökeland, H. 58.
Soldaten 1.50
Spanien: Aberglauben 49.
Lied ti9. 74.
Sperontes (Scholz) 97.
Spiegel 45. 131.
.Spiel: Fangsteineheu 2(> 41.
Gesellschafts- 150. Kin-
der- 15 — 25. Heim- 32 I.
Sprach- 15—25.
Spies, H. 157.
Spiritus familiaris II.
Sprache: (Teheini- 22.
Mischung 24.
Spriclnvorl 9 151.
Spruch: DasHiiigleiu sprim;;
entzwei 9S. Halts Goli
nicht erschalfen 95. Haus-
sprüche 113. Lieben kein
Verbrechen 97.
Stabreim 17.
Stade 79.
Steiermark: Lic(l 7ii. Mär-
chen 120.
."^ternsinger ' 2.
Stüch-rath. 0 Das Hiuglein
sprang entzwei98f. Kunst-
lieder im Volksuiuiuie 99
bis 110
Studenten: Braui h 14(». I.ied
95. 9;.
Stilpicius Severus 8.
Tertullian IIG.
'reufei 51.
'l'eulsch, F. 157.
Thcophilus 151. Th. pres-
byter 44
Totentanz 151.
Turi, .1. 157.
thland. T-. 157.
Ungarn: Aberglaube 7. 49.
Vegetationsgeist getötet 7.
Vincentius fiellovacensis 46
Vokalwechsel 18.
Volksspiele 151
Weife 58.
Weifspille (53.
Weihnachtspiel 145- IL.
I 151.
i Weimar 151.
Weinitz, F. Schmnckgegen-
stäcde aus Menschen-
haaren (>4 f.
Weise, t'hr. 95. 97
Wenden: Lied 71 f.
Wihl, L 107.
Windhagen 138.
Winterfeier 14
Hasser, \i'. 157. Die Scheune
brennt! oder die sonder-
baren Namen 135f.
Witz 155.
Wolf 3.
Wurstreime 111.
/achariae, Th 1 17.
Zählsprüche (12.
Zahlbuchstaben gedeutet
137.
Zauberformeln 23.
Thomas Cantiuipratensis4(i. j Zeichendisput 12()
'l'hor 16(). ' Zigeuner 48.
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l>rurk TOI» (Jebr. Untrer m Berliu. BerBlturRer SlrnsR* 'Mi.
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1
Z4
Jg. 28
Zeitschrift für Volkskunde
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