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Zeitschrift
für
WISSENSCHAFTLICHE ZOOLOGIE
begründet
Carl Theodor v. Siebold und Albert v. Kölliker
herausgegeben von
Albert v. Kölliker und Ernst Ehlers
Professor a, d. Universität zu Würzburg Professor a. d. Universität zu Göttingen
Neunundsechzigster Band
Mit 45 Tafeln und 55 Figuren im Text
LEIPZIG
Verlag von Wilhelm Engelmann
LI0AE
,040.543
247
Inhalt des neunundsechzigsten Bandes.
nınnnnnNnnNnDZ
Erstes Heft.
Ausgegeben den 5. Februar 1901.
Seite
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. Von Joh. Meisen-
Bene. (Mit Tat, I XI und 18 Bie. ım Text). . 2... ... 1
Zweites Heft.
Ausgegeben den 15. Februar 1901.
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren, zugleich ein Beitrag zur
Amitosenfrage. Von Julius Gross. (Mit Taf. XIV—XVI und
Lone exe, a ner. a ae 139
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationserscheinungen bei den Ophiuren.
Von C. Dawydoff. (Mit Taf, XVII-XVIIL und 3 Fig. im Text.) 202
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. Von
O. Bütschli. (Mit Taf. XIX—XXI und 2 Fig. im Text)... .. 235
Drittes Heft.
Ausgegeben den 19. März 1901.
Studien über das Nervensystem der Lucernariden, nebst sonstigen histo-
logischen Beobachtungen über diese Gruppe. Von N. Kassianow.
(DE Ra OCIHE ROY und 11 Fig. im Text)... ........ 2
Zur Morphologie der Antennen- und Schalendrüse der Crustaceen. Von
F. Vejdovsky. (Mit Taf. XXVI u. XXVII und 1 Fig. im Text.) . 378
Untersuchungen über Hämosporidien. I. Ein Beitrag zur Kenntnis des Genus
Haemogregarina Danilewsky. Von Carl Börner. (Mit Taf. XXVIIL) 398
Die Entwicklung von Herz, Perikard, Niere und Genitalzellen bei Cyclas
im Verhältnis zu den übrigen Mollusken. Von Johannes Meisen-
Deinen (MitTatfı RUE und 9PERig. im Text) . . .. . . neun]? Ne
Fr, nganen Inss,
N Nr, /
ronai Mused__
IV
Die Innervation des harten Gaumens der Säugethiere. Von Eugen Botezat.
(Mit Taf. XXX u. XXXI und 1 Eig. im Text). . . > Fer
Kleinere histologische Mittheilungen. Von R. S. Bergh. (Mit Taf. XXXII
und XXXIL). 2 0. Non ee Beake c P
Viertes Heft.
Ausgegeben den 28. Mai 1901.
Über die erste Entwicklung der Krähe (Corvus frugilegus).. Von Paul
Mitrophanow. (Mit Taf. XXXIV und XXXV und 3 Fig. im Text.)
Untersuchungen über die Entstehung der Geschlechtsorgane bei den Üteno-
phoren. Von August Garbe. (Mit Taf. XXXVI und XXXVIL)...
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte, besonders der vordersten
Halswirbel.e Von Armin Weiß. (Mit Taf. XXXVIII und XXXIX
und 2. Eig. im Text.) u... 2. wc. 22. pe
Über die Kiemen der Fische. Von A. Goette. (Mit Taf. XL—XLIH und
einer Eig, im Text.) . 3... nn. 0 nn in a re
Der Bau der weiblichen Geschlechtsorgane bei Culex und Anopheles. Von
N. Kulagin. : (Mit Taf. XEV). 27. Bam ar. ee
Über eine neue Holothuriengattung von Neuseeland. Von Adolf Reiffen.
(Mit Par. ZLV). genialer 2 me ar
Seite
444
598
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia' polymorpha Pall.
Von
Dr. Johannes Meisenheimer.
(Aus dem zoologischen Institut der Universität Marburg.)
Mit Tafel I—XII und 18 Figuren im Text.
Unter unseren Süßwassermuscheln nimmt Dreissensia polymorpha
eine bemerkenswerthe Sonderstellung ein, in so fern sie in Bau und
Entwicklung noch aufs deutlichste ihren Charakter als ursprünglicher
Meeresbewohner gewahrt hat. Schon unmittelbar vor der Eiszeit in
ganz Norddeutschland weit verbreitet, wurde sie mit Eintritt der-
selben nach dem Südosten Europas zurückgedrängt, bis sie endlich
in historischer Zeit wiederum eine Rückwanderung antrat, deren
aktive Bethätigung durch die sich stetig vervollkommnenden Ver-
kehrsmittel und -Wege des Menschen bedeutend erleichtert und unter-
stützt wurde. Gerade unser Jahrhundert mit seinem ins Enorme
gesteigerten Wechselverkehr hat in wenigen Jahrzehnten das erreicht,
was Jahrtausende vorher nicht vermochten. Einige Zahlen, die ich
der Zusammenstellung E. v. MARTEN’s entnehme, mögen dies be-
stätigen.
Dreissensia tratim Ural zuerst 1768 auf, 1824 im Donaugebiet, 1825
im deutschen Ostseegebiet, 1826 im Rhein, 1828 im Elbegebiet, etwas
früher (1824) in England und endlich Anfang der sechziger Jahre im
Loire- und Seinegebiet, so dass sie jetzt über den größten Theil von
Europa nördlich der Alpen und Pyrenäen verbreitet sein dürfte.
1 Ich schreibe hier, dem Beispiele einiger anderer Autoren folgend, »Dreis-
sensia« und nicht »Dreissena«, wie der Name von VAN BENEDEN zuerst gebildet
wurde. Der Name wurde gegeben nach einem belgischen Apotheker Namens
DREISSENS, »Dreissena« ist demnach entschieden falsch gebildet, und nach $ 5
des »Dritten Entwurfes von Regeln für die wissenschaftliche Benennung der
Thiere im Auftrage der Deutschen Zoologischen Gesellschaft« ist die Änderung
in den Namen »Dreissensia« wohl berechtigt. |
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Ba. 1
> Johannes Meisenheimer,
Im reinen Seewasser vermag sie kaum noch zu leben, höchstens
noch in Brackwasser, so dass sie also ihrer Lebensweise nach völlig
als Süßwassermuschel zu betrachten ist. Wenn aber auch neuere
Untersuchungen sie ihrem anatomischen Bau nach eher als Verwandte
der Unioniden betrachten möchten und so die früher angenommene
Zugehörigkeit zur Familie der marinen Mytiliden in Frage stellen,
so zeigt Dreissensia doch in ihrer Entwicklung noch völlig den Typus
der marinen Formen. KORSCHELT wurde zuerst auf die Vermuthung
gebracht, dass Dreissensia noch eine frei schwärmende Larve besitzen
müsse, und es gelang ihm bald, diese Vermuthung durch direkte
Beobachtung zur Gewissheit zu erheben, eine Entdeckung, die kurz
nachher eine Bestätigung durch BLOCHMANN erhielt. Während Cyclas
und Pisidium die ursprüngliche Larvenform äußerst stark rückgebil-
det haben, die Unioniden dieselbe sogar gänzlich unterdrückt und
durch eine Neubildung, die Glochidiumlarve, ersetzt haben, besitzt
Dreissensia noch eine typische Trochophoralarve, die durch ihren
Aufenthalt im süßen Wasser noch nichts von ihren Charakteren ein-
gebüßt, sondern bis in die weitgehendsten Einzelheiten ihren ursprüng-
lichen Typus bewahrt hat.
Bevor ich an mein eigentliches Thema herantrete, erfülle ich
eine angenehme Pflicht, wenn ich zunächst Herrn Prof. KORSCHELT
auch an dieser Stelle für die gütige Überlassung dieses zwar schwie-
rigen, aber auch so sehr dankbaren Objektes meinen herzlichsten
Dank ausspreche, wenn ich ferner der Gesellschaft zur Beförderung
der gesammten Naturwissenschaften zu Marburg für ihre Unter-
stützung, welche mir den mehrmonatlichen Aufenthalt auf der bio-
logischen Station zu Plön erleichterte, ehrerbietigst danke, und wenn
ich endlich hervorhebe, wie sehr ich Herrn Dr. OÖ. ZACHARIAS, dem
Leiter der biologischen Station zu Plön, für die liebenswürdige Unter-
stützung mit allen Hilfsmitteln der Station bei der z. Th. schwierigen
Beschaffung des Materials verpflichtet bin.
Wie ich bereits in einem vorläufigen, kurzen Aufsatze berichtet
habe, wurde das Material zu der vorliegenden Untersuchung in den
Plöner Seeen gesammelt. Der Fang der Larven geschah mittels des
Planktonnetzes, die fast stets reichlich in dem Plankton enthaltenen
Larven wurden von den übrigen Bestandtheilen derselben getrennt
und konservirt. Eine nähere Schilderung der Laichzeit, die Anfang
Juni einsetzt und bis zum Herbste dauert, glaube ich unter Hinweis
auf den oben erwähnten Artikel in den vorjährigen Plöner Forschungs-
berichten an dieser Stelle übergehen zu dürfen.
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 3
Nur über die Art der Konservirung will ich das Nothwendigste
anführen. Für die Furchungsstadien genügten Sublimat und Pikrin-
schwefelsäure völlig, zum Studium der Organbildung reichten mir
diese Konservirungsflüssigkeiten nicht völlig aus, wesshalb ich ein
Osmiumgemisch anwandte, die Hermann’sche Lösung, die sich mir
bereits bei Limax maximus so vorzüglich bewährt hatte und mir
auch jetzt die weitaus besten Bilder lieferte. Für die ältesten Stadien
wandte ich mit gleich günstigem Erfolge die ZENKER’sche Lösung an.
Eine andere Schwierigkeit als die Fixirung war ungleich schwerer
zu überwinden. Sowie nämlich die junge Larve Schale und Schalen-
muskel entwickelt hat, ist sie äußerst kontraktil, sie zieht sich bei
dem geringsten Reize auf einen unentwirrbaren Klumpen innerhalb
der Schale zurück und ist so dem Studium nur schwer zugänglich.
Durch vorsichtigen Zusatz von Cocain gelang es mir schließlich die
Larven zu lähmen und in diesem Zustande ausgestreckt zu konser-
viren. Freilich ist es recht schwierig, dabei genau die Zeit abzu-
passen, wo die Lähmung gerade vollendet ist und eine Auflösung
der histologischen Elemente noch nicht einzutreten beginnt. So kommt
es, dass eine ganz untadelhafte Konservirung nur verhältnismäßig
selten erreicht, aber bei der kolossalen Menge des vorhandenen Ma-
terials genügten diese wenigen Fälle, um mir eine nach vielen Tausen-
den zählende Menge von Larven aller Altersstadien zu gewähren,
deren Konservirung selbst hohen Anforderungen genügen dürften.
I. Furchung.
Die Eier von Dreissensia polymorpha werden, wie die der meisten
marinen Lamellibranchier, frei ins Wasser abgelegt, indem sie in klei-
nen Bällchen, als weißliche Schleimklümpchen erscheinend, von der
Muschel ausgestoßen werden, ich kann also die diesbezüglichen An-
gaben KOoRSCHELT’S voll und ganz bestätigen. Die Eier besitzen
keine Hüllen, höchstens- sind sie von einem weiblichen Schleim um-
hüllt, der aber die Eier nur so schwach zusammenhält, dass eine
geringe sprudelnde Bewegung sie aus einander stieben lässt. Selbst
eine Dottermembran vermag ich an dem abgelegten Eie nicht mehr
wahrzunehmen. Wofern es überhaupt eine solche besessen hat, so
wurde sie wahrscheinlich sofort beim Ausstoßen aus dem Ovarium
abgestoßen, wenigstens lassen ähnliche Angaben von anderen Formen
mich Derartiges vermuthen. Yoldia besitzt nach Drew an ihren frisch
gelegten Eiern wie Dreissensia keine Spur irgend einer Hülle, La-
mellaria perspieua weist nach GIArD zwar am Ovarialei eine Dotter-
1%
4 Johannes Meisenheimer,
membran auf, nach der Ablage fehlt dieselbe jedoch, in ähnlicher
Weise beschreibt BARROIS eine Dottermembran (coque) von Mytilus
edulis, die sofort beim Ausstoßen des Eies im Wasser verloren geht.
HATSCHER beobachtete noch am ungefurchten Eie eine Membran,
konnte dieselbe aber bereits auf dem zweizelligen Stadium nicht mehr
nachweisen, wie er meint, in Folge einer Resorption desselben von
seiten des Eiplasmas. Endlich beschreibt auch LovEn eine Dotter-
membran für die Eier von Modiolaria und Cardium exiguum. Letzteres
besitzt sogar außerdem noch eine deutliche weit abstehende Hülle.
Die Süßwassermuscheln besitzen durchgehends eine deutliche
Dottermembran, so Cyclas nach ZIEGLER und STAUFFACHER und
Pisidium nach Ray LANKESTER Während sie bei ersterer schon
frühzeitig verloren geht, hält sie sich bei letzterem bis zur Gastru-
lation. Eine besondere Modifikation der Eihülle weist Unio auf. Die-
selbe trägt eine wohl entwickelte Mikropyle, die übrigens auch Cyclas
aufweist, und umgiebt das sonst völlig nackte Ei in weitem Abstand,
eine eiweißartige Flüssigkeit, in welcher das Ei schwimmt, um-
schließend. Wenn diese Hülle, wie LILLIE annimmt, mit der Dotter-
membran identisch ist, so bleibt jedenfalls das Auftreten der eiweiß-
artigen Flüssigkeit sehr auffallend, da deren Vorhandensein bei den
Mollusken in der Regel an sekundäre Hüllen gebunden ist.
Befruchtung und Richtungskörperbildung finden im freien Wasser
statt. Abgeschnürt werden normalerweise zwei Richtungskörper,
hierauf verschmelzen männlicher und weiblicher Vorkern (Taf. I,
Fig. 1), um sich zur ersten Furchungsspindel auszubilden. Das un-
segmentirte Ei hat in der Regel einen Durchmesser von S0—60 u
und diese Größe behält der Keim bis zur Ausbildung der Larve bei,
ja oftmals sinkt dieselbe, wohl in Folge des Dotterverbrauchs, noch
unter 50 u. Im Allgemeinen sind also die Größenverhältnisse etwas
schwankend und dieses Schwanken wird noch verstärkt durch die Wir-
kung der verschiedenen Reagentien, je nachdem dieselben Schrum-
pfungen oder Quellungen zum Gefolge haben. Auf diese Weise können
die Unterschiede recht bedeutende werden.
Doch kehren wir zurück zu dem unsegmentirten Ei, das in sich
die Spindel zur ersten Theilung trägt (Taf. I, Fig. 2.) Dieselbe führt
zu einem Zerfalle des Eies in zwei ungleich große Hälften, einer
kleineren Zelle (AB) und einer größeren (CD) (Taf. I, Fig. 5)!. Über
1 Ich folge in der Nomenklatur der Furchung möglichst der von WILSON
und LILLIE angenommenen, da dieselbe für den eigenthümlich unregelmäßigen
Verlauf der Furchung von Dreissensia ungleich übersichtlicher ist als das System
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 5
die Richtung dieser ersten Spindel kann das zweizellige Stadium an
sich keine Auskunft geben, wenden wir uns desshalb sofort dem
vierzelligen zu. Beim Übergang zu demselben sehen wir in Fig. 4
auf Taf. I zwei schief gerichtete Spindeln in je einer Zelle liegen,
beide auf nahezu gleicher Ausbildungsstufe.. Vom Standpunkte eines
in die Mittelachse des Eies gestellten Beobachters aus sind die Spin-
deln von links unten nach rechts oben gerichtet, wir bezeichnen nach
LitLıE eine derartige Richtung als dexiotrop. Die Richtung der
ersten Furchungsspindel lag in rechtem Winkel zu der zweiten, sie
‘war demnach von rechts unten nach links oben gerichtet, oder,
kurz gesagt, leiotrop. Ich habe dies in der Stellung der Fig. 4 aus-
gedrückt.
Das Resultat dieser beiden Theilungen ist also ein vierzelliges
Stadium, bestehend aus drei etwa gleich großen, kleineren Zellen
(A, B, €) und einer einzigen größeren (D) (Taf. I, Fig. 5). Zuweilen
nähern sich alle Zellen in ihrer Größe sehr stark, so dass ein fast
regelmäßiges vierzelliges Stadium zu Stande kommt, wie es ähnlich
LitLıe für Unio vom achtzelligen Stadium erwähnt. Es ist schwer
zu sagen, in wie weit ein derartiges Verhalten als pathologisch zu
deuten ist, und ob es überhaupt fähig ist, eine normale Larve zu liefern.
Auffallend ist die gleichzeitige Theilung der Makromere und
Mikromere des zweizelligen Stadiums, in der Regel finden sich bei
den Lamellibranchiern in der Theilung beider Zellen größere oder
geringere Zeitdifferenzen. Dies äußert sich auch hier. In vielen
Fällen eilt die größere Zelle der kleineren etwas voraus, derart, dass,
wenn erstere sich im Stadium der Tochterplatten befindet, letztere
gerade die Äquatorialplatte ausgebildet hat. Auch in Fig. 4 ist eine
geringe Differenz in dem Auseinanderweichen der Tochterplatten
beider Zellen wohl zu erkennen, CD ist deutlich etwas voran. Auch
‚bei Unio theilt sich die größere Zelle schneller als die kleinere, um-
gekehrt ist es bei Teredo, Cyclas, Nereis und anderen.
Aber nochmals müssen wir die beiden Theilungen genauer ins
Auge fassen. Die Richtung der ersten Spindel von Dreissensia war
leiotrop, die zweite dexiotrop, bei allen übrigen bisher untersuchten
Formen, die nicht dem umgekehrten spiraligen Typus angehören
wie beispielsweise Physa, ist umgekehrt die erste dexiotrop, die
zweite leiotrop. Und Dreissensia gehört dabei durchaus nicht etwa
diesem umgekehrten spiraligen Typus an, wie die späteren Theilungen
Koroıp’s, und dann dadurch die mancherlei Vergleichspunkte mit den Unioni-
den und Anneliden sich einfacher darstellen lassen.
6 Johannes Meisenheimer,
zeigen werden. Zwar wird bei Beginn der nächsten Theilung dieser
Eindruck zunächst noch hervorgerufen, in so fern die Spindel der-
selben dem Gesetze der abwechselnden Lagerung folgend sich etwas
nach links hin wendet (Taf. I, Fig. 8), aber noch ehe die völlige
Theilung sich vollzogen hat, erfährt sie eine Drehung nach rechts oben
hin (beide Mal vom Standpunkte eines im Centrum stehenden Beob-
achters aus gerechnet), und nach der Theilung ist die dexiotrope Rich-
tung deutlich ausgeprägt (Taf. I, Fig. 10). Es ist dies ein höchst eigen-
thümliches Verhalten, in so fern zwei auf einander folgende Spindeln
direkt über einander liegen, von nun an nimmt die Furchung regelmäßig
denselben Verlauf, als sei die zweite Furchung leiotrop verlaufen, d. h.
die dritte ist dexiotrop, die vierte leiotrop u. 8. f. Die eben geschilderten
Vorgänge sind von Bedeutung für die Art der Benennung, denn es liegt
nun naturgemäß C als Theilungsprodukt von CD auf der linken Seite,
A als Theilungsprodukt von AB auf der rechten, während bei den an-
deren Formen, wie Unio, Nereis ete. das Umgekehrte der Fall ist. Es ist
dies später stets im Auge zu behalten. Vielleicht hat diese Erscheinung
Beziehung zu Beobachtungen, wie sie bei einigen Formen, so namentlich
bei Crepidula von COnKLIn gemacht wurden, dass das eine oder andere
Quartett plötzlich eine entgegengesetzte Spindelrichtung bei der Thei-
lung zeigte. Doch geschieht dies bei jenen Formen stets erst auf
älteren Stadien (bei Crepidula ist a,.1.. bis d,.,.. ein solches Quartett).
Doch wir griffen der Entwicklung mit der Darstellung dieser
Vorgänge etwas vor. Die Ausbildung der eben besprochenen Spindel
ist nämlich von höchst eigenthümlichen Erscheinungen, die sich am
Eiplasma abspielen, begleitet. Genau am animalen Pole beginnt
nämlich ein Plasmahöcker sich vorzuwölben (Taf. I, Fig. 6), der zu-
nächst in kleinen Tropfen vorquellend, allmählich beträchtlich an-
schwillt (Taf. I, Figg. 7, 8). Ursprünglich steht er ohne jeden Zusam-
menhang mit der Kernspindel; dieselbe bildet sich in der vegetativen
Hälfte von D aus, rückt aber bald animalwärts und tritt schließlich
mit ihrer einen Hälfte oder sogar noch weiter in den Plasmahöcker
ein (Taf. I, Fig. 7). Es erfolgt sodann die Theilung des Kernes (Taf. I,
Fig. 9), und damit verbunden eine Rückwanderung oder Verschiebung
der Theilprodukte ins Innere. Der Plasmahöcker verstreicht gleich-
zeitig mit diesen Erscheinungen (Taf. I, Fig. 9. Wenn sodann die
eigentliche Zelltheilung stattgefunden hat, liegt die neu entstandene
Zelle rechts von der Mutterzelle am animalen Pole, immer wieder zu-
nächst nur vom Standpunkte eines im Centrum stehenden Beobachters
aus gerechnet, in Bezug auf den Embryo selbst liegt sie links, wie
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 7
‘wir bald aus einander setzen werden. Die Vorwölbung hat sich wie-
der völlig ausgeglichen und nichts ist mehr von diesem sonderbaren
Vorgange zu bemerken.
Unwillkürlich erinnert derselbe an die Erscheinung, die genauer
zuerst von BOBRETZKY bei Nassa beschrieben wurde und dann von
Ilyanassa durch CrAmpron bestätigt wurde. Und doch ist ein Ver-
gleich beider kaum durchzuführen. Dort — ich diskutire hier nur
das vierzellige Stadium, da bei Dreissensia auf dem zweizelligen
Stadium nichts Derartiges zu bemerken ist — ist die Theilung der
größeren Zelle nur eine scheinbare, indem sich einfach die größere
Masse des Dotters als »Dottersack« von der kleineren des eigentlichen
Protoplasmas abschnürt, um bald wieder mit ihr zu verschmelzen,
hier ist die Theilung eine wirkliche, und während demnach hier
nach diesem Vorgang direkt das fünfzellige Stadium fertig ausgebildet
auftritt, bleibt dort das vierzellige Stadium noch bestehen. Außer-
lich sehen sich beide Vorgänge außerordentlich ähnlich, man ver-
gleiche beispielsweise die Fig. 7 auf Taf. VIII in BoBrErzky’s Ab-
handlung mit meiner Fig. 7. Eine völlige Abschnürung ist freilich
wohl nicht anzunehmen — darin muss ich CArazzı Recht geben —
sondern es ist nur eine tiefsehende Sonderung des dotterhaltigen und
dotterarmen Plasmas, eine Verbindungsbrücke wird stets erhalten
bleiben, und so mögen Bilder, wie die Fig. 3 BOBRETZKY’s wohl patho-
logisch sein, im Übrigen bleibt die Erscheinung jedoch bestehen.
Ähnliche Vorgänge, wie bei Nassa, scheinen aber trotzdem bei
Muscheln ebenfalls vorzukommen, wenigstens lässt die Schilderung
der Furchung von Modiolaria durch Lovsn auf ein ähnliches Ver-
halten schließen, eben so diejenige BRoor’s von Ostrea. Weiter ver-
breitet sind diese Vorgänge endlich noch bei den Anneliden, so bei
Myzostoma nach KosTtAneckı, bei Chaetopterus nach MEAD, stets
unter denselben Erscheinungen (vorzugsweise auf dem zweizelligen
Stadium) auftretend und wieder verschwindend. MeAD glaubte zu-
erst, eine Abstoßung dieses »Dottersackes« nachgewiesen zu haben,
erklärte diese Beobachtung jedoch später selbst für einen Irrthum.
Eine Erklärung dieser Vorgänge zu geben, dürfte augenblicklich noch
recht schwierig sein, nicht weniger schwer als diejenige des Ver-
haltens von Dreissensia. Nur ein reichhaltigeres Beobachtungsmaterial
als das bisher in der Litteratur vorliegende vermag hier wohl Aus-
kunft zu geben.
Doch kehren wir zur eigentlichen Furchung zurück. Die Thei-
lung der größeren Zelle D lieferte als ihr erstes Theilprodukt die
8 Johannes Meisenheimer,
Zelle d,, und unmittelbar ihrer Theilung schließen sich die übrigen
drei kleineren an, ohne dieselben komplieirten Verschiebungen durch-
zumachen. Die Richtung der Spindeln ist von vorn herein dexiotrop,
verläuft also völlig normal (Taf. I, Figg. 9, 30). Stets theilen sich
alle drei Zellen völlig gleichmäßig, nicht in unregelmäßiger Folge,
wie es LILLIE von Unio angiebt. Die neuen Theilprodukte nennen wir
a, d,, €, ihre Lage ergiebt sich aus der Lage ihrer Mutterzellen. Dass
der Quadrant D stets vorauseilt, ist eine bemerkenswerthe Thatsache,
die sich auch auf späteren Stadien stets wiederholt. Gleich ausgeprägt
findet sich diese Erscheinung bei den Unioniden und bei Anneliden.
Das Ergebnis dieses Theilungseyklus ist also ein achtzelliges Sta-
dium von regelmäßigem Bau, vier größere Zellen bilden die untere
Seite, und zwischen diesen gelagert vier kleinere die obere Hälfte.
Kreuzfurchen, oder wie CONKLIN sie nennt, Polfurchen sind nur un-
deutlich entwickelt, selbst auf dem vierzelligen Stadium traf ich sie
nie so stark ausgebildet, wie sie LILLIE für Unio darstellt, wenn sie
auch immerhin vorhanden sind. Bei der Orientirung leisten sie nur
sehr geringe Dienste.
Betreffs der Orientirung dieses Stadiums will ich hier voraus-
sreifend bemerken, dass die große Zelle D die Hinterseite, die spä-
tere Schalendrüsenseite, darstellt, 3 die Vorderseite, € und A links
und rechts. Wir werden noch des öftern darauf zurückzukommen
haben, nur auf einen Punkt will ich jetzt
Ja noch die Aufmerksamkeit lenken. Die ge-:
waltige Ausdehnung der hinteren Zelle D
v>: hat eine starke Verschiebung des animalen
Poles nach vorn zur Folge, so dass eine in
der Ebene der vegetativen Zellen in deren
Berührungspunkte errichtete Normale mit der
/») in gleicher Weise durch den animalen Pol
gezogenen einen schiefen Winkel bildet
I (Textfig. 1. Wir werden diese Verschie-
K 2 denya,. ung bald noch weiter zunehmen sehen und
ten Seite, die Verschiebung von Später ihre direkten Beziehungen mit der
Me her "oe ausgebildeten Larvenform kennen lernen.
al Doch fahren wir in der Furchung selbst
weiter fort. Der nächste Theilungscyklus führt uns über zu dem
16zelligen Stadium, freilich nieht direkt, sondern in einer Reihe ein-
zelner Stufen, deren sämmtliche Spindeln leiotrop gerichtet sind;
d. h. also von rechts unten nach links oben. Die erste dieser Stufen
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 9)
führt zum neunzelligen Stadium, dessen Bildung wir in Fig. 12 auf
Taf.-I vor uns sehen. Eine kleinere vegetative Zelle wird in dem
hinteren Quadranten von einer größeren animalen getrennt, erstere
bildet den Rest der großen Zelle D, letztere stellt das zweite Deri-
vat derselben dar, also d,. Diese Zelle ist ven größter Bedeutung
für den weiteren Verlauf der Furchung und den späteren Aufbau
der Larve, wir wollen sie nach dem von den Anneliden übertragenen
Ausdruck als ersten Somatoblasten und abgekürzt mit dem Zeichen X
im Anschluss an Wırson und LirLıE bezeichnen.
Sehr große Schwierigkeiten bereitet die Darlegung der Thei-
lungen der übrigen Zellen, da diese in ihrer Reihenfolge außerordent-
lich variiren. Festliegend ist nur das Endziel, das 16zellige Stadium,
im Übrigen folgen die Theilungen völlig regellos auf einander, theils
im unteren, theils im oberen Quartett. Als Beispiele wollen wir die
Figg. 12—14 auf Taf. I und II betrachten. In Fig. 12 sehen wir
in A und B die Kerne sich zur Theilung auflösen, C ist in Ruhe,
und eine Betrachtung des animalen Poles ergiebt gleichfalls einen
ruhenden Kern und drei Spindeln. In Fig. 15 dagegen ist d, den
übrigen etwas voraus, es folgt dann a,, d, und cs. A—( am vege-
tativen Pole weisen Spindeln auf. In Fig. 14 endlich ist am anima-
len Pole wiederum d, den übrigen etwas voraus, während die vege-
tativen Zellen A, B und C ungefähr die gleiche Ausbildung der
Spindel zeigen. Eigenthümlicherweise zeigt dieses Stadium in A
einen Triaster, ohne dass im Übrigen die normale Lage der Zellen
im geringsten gestört erscheint. Was ich bei diesen Theilungen aber
wieder hervorheben möchte, ist das Vorauseilen des Quadranten d,
am animalen Pole, entsprechend D am vegetativen Pole, mag die
Differenz dort auch weniger auffallend sein und mag es auch nicht
die absolute Regel bilden. Denn einzelne Stadien habe ich ange-
troffen, wo außer D sämmtliche übrigen Zellen genau das gleiche
Theilungsstadium aufwiesen. Dies ist der seltenste Fall, häufiger ist
schon wenigstens die gleichzeitige Theilung von A—C. Die Ver-
schiebung des animalen Poles nach vorn ist deutlich wahrzunehmen, sie
hat sich sogar noch verstärkt, man vergleiche nur Fig. 14 mit Fig. 11.
Etwas näher betrachten müssen wir uns wieder das 16zellige
Stadium, wie ich es in Fig. 15 und 16 auf Taf. II vom animalen und
vegetativen Pole dargestellt habe. Nach dem unregelmäßigen Verlaufe
der Theilungen selbst ist die jetzt wiedergewonnene Regelmäßigkeit
ganz überraschend. Dieselbe entspricht streng dem spiraligen Typus.
Zu oberst liegt das Quartett a,, d,, ca, dı, es folgt sodann zwischen
10 Johannes Meisenheimer,
denselben das Quartett @., d4-.1, c.ı und dı.,, sodann a, da, ©, da
und endlich A, B, C, D. Störungen verursacht an der hinteren
Seite nur die excessive Entwicklung von d,, wo die Zelle a,., auf
der rechten Seite etwas aus ihrer Lage gedrängt erscheint.
Weit umfangreicher sind jedoch die Störungen am vegetativen
Pole. Gehen wir von den vier Zellen am animalen Pole aus (a, —d,),
so ist die vegetative Zellenscheibe, bestehend aus A, B, C und D,
nunmehr ganz beträchtlich zu ersteren seitlich verschoben, oder mit
anderen Worten, eine durch B und D
7 gezogene Linie wird mit der durch b,
und d, gezogenen einen beträchtlichen
Winkel bilden (Textfig. 2). Dieses Ver-
halten, das schon jetzt scharf ausge-
prägt ist, erhält sich bis auf späte
Stadien, ich kann auf seine Bedeutung
erst später eingehen. Ich will hier nur,
wiederum vorausgreifend, bemerken,
dass ich der leichteren Übersicht hal-
| ber, wie vorher die Zelle D, so jetzt
Textfig. 2. ihren weitaus größten Bestandtheil,
Sechzehnzelliges Stadium vom animalenPole, nämlich X, konsequentermaßen "als
die Verschiebung beider Pole gegen R
einander zeigend. hinten annehmen muss, während sich
die übrigen Zellen um sie in der be-
reits angedeuteten Weise gruppiren. Die oben erwähnte Symmetrie-
ebene des animalen Poles fällt sodann ziemlich genau mit der Hal-
birungslinie des ersten Somatoblasten zusammen, die des vegetativen
Poles dagegen nicht.
Dieses 16zellige Stadium bildete den letzten, wenn ich so sagen
darf, Ruhepunkt in der Furchung, von nun an folgen die Theilungen
ununterbrochen auf einander. Bei Unio scheint dieses 16zellige
Stadium nur ganz vorübergehend ausgebildet zu sein, da LiLLıe direkt
das 17zellige Stadium an das 13zellige anschließt.
Die neuen Theilungen heben wiederum an mit dem hinteren
(Juadranten, indem die Zelle X (d,) eine Tochterzelle abgiebt, und
zwar nach rechts unten, auf dem Wege einer dexiotropen Theilung
(Taf. II, Fig. 17%). Die neugebildete Zelle, welche wir als erstes
Derivat von X mit dem Zeichen z; versehen wollen, schließt sich
ihrer Lage nach unmittelbar an D an, dieselbe in Gemeinschaft mit
A, B, C und c, umschließend.
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 21:
Die untere Hälfte des Eies verlassend müssen wir nun unsere
Aufmerksamkeit dem animalen Pole zuwenden, an dem sich eine An-
zahl wichtiger Theilungen vollzieht, eingeleitet durch die Theilung
von dı., (Taf. II, Fig. 24), der sich bald die von a,., d,., und c,.ı
anschließen. Die Richtung der Spindeln verläuft von links unten
nach rechts oben, ist also dexiotrop. In diesen Theilungseyklus schiebt
sich zeitlich ein zweiter ein, nämlich derjenige des direkt den animalen
Pol bildenden Quartetts. Derselbe beginnt mit d,, es folgen a, und
c, und schließlich d, (Taf. III, Fig. 25). Bei allen diesen Theilungen
ist der zeitlich frühere Eintritt der Theilung in dem hinteren Qua-
dranten offenbar, es folgen sodann rechte und linke Seite, wobei erstere
in der Regel ein wenig vor der letzteren voraus ist, und endlich voll-
endet der vordere Quadrant den Cyklus. Dies ist wenigstens das
Verhalten in der Mehrzahl der Fälle, eine Variation innerhalb ge-
wisser Grenzen kann ich jedoch nicht in Abrede stellen. Es standen
mir beliebige Mengen aller dieser Stadien zur Verfügung, ich habe
stets eine größere Zahl genau untersucht und aufgezeichnet, aber es
würde von nur geringem Interesse sein, sich hier noch weiter in
einzelnen Beispielen zu verbreiten. Es genügt mir, nochmals hervor-
zuheben, dass die oben gegebene Reihenfolge der einzelnen Qua-
dranten nicht durchaus unveränderlich fixirt ist, so kann z. B. der
vordere Quadrant den rechten oder linken überholen, am häufigsten
wiederum den letzteren, nie aber erstreckt sich die Variation so weit,
dass der hintere Quadrant vor den übrigen zurückbliebe.
Diese Theilungen haben die Zahl der ersten Ektodermgeneration
auf 16 erhöht, ihr stehen neun andere Zellen gegenüber, von denen
nur vier dem eigentlichen vegetativen Pole angehören, so dass noch
fünf Zellen zurückbleiben, die ausschließlich der zweiten Ektoderm-
generation angehören, einschließlich der des ersten Somatoblasten und
dessen erstem Derivate z,. Hierzu treten nun noch zwei neue Zellen,
die während der eben beschriebenen Vorgänge am animalen Pole
sich am vegetativen Pole ausgebildet haben. Die eine derselben wird
dargestellt durch d, (Taf. II, Figg. 18, 20), die erste Zelle der dritten
Ektodermgeneration bildend. Die Richtung der Theilungsspindel ent-
spricht derjenigen von z,, ist also dexiotrop. Die zweite Zelle, um
welche es sich hier handelt, wird wiederum von X abgeschnürt, aber
nun nach der z, gegenüberliegenden Seite, d. h. also nach links unten,
auf dem Wege einer leiotropen Theilung. Ihrer Lage nach schließt
sie sich dicht an das kurz vor ihr gebildete d, an, so dass die Zeile
D nunmehr von einem Kranze kleinerer Zellen umgeben ist, der nur
1 Johannes Meisenheimer,
noch eine kurze Berührungsstrecke mit X frei lässt. Es sind diese
Zellen, rechts beginnend, &, A, B, ©, ca, d, und endlich 22.
Ohne sich völlige Ruhe zu gönnen, setzt der Keim seine Theilungen
fort, zunächst einige weniger wichtige vollziehend, welche zum Zerfall
von & in ©., und c9., führen und z, in z..; und z,., zerlegen. Von
dem Quartett der zweiten Ektodermgeneration hatte sich bis jetzt nur
d, = X wiederholt getheilt, es folgt also nunmehr c, (Taf. I, Fig. 21),
während a, und d, noch in Ruhe verharren, ein Zustand, der sich
erst auf einem weit älteren Stadium ändern wird. Die Theilung von
x, (Taf. II, Fig. 22) bietet kein besonderes Interesse dar. |
Die eben erwähnte Theilung hat sich noch nicht völlig vollzogen,
so folgen die vegetativen Zellen nunmehr dem Beispiele von D zur
Vollendung der dritten Ektodermgeneration durch Abgabe je einer
neuen Zelle, a,, 3, c.. A ist in der Regel den übrigen etwas voraus,
es folgen sodann 3 und endlich C (Taf. I, Figg. 22, 25). Diese
Regel gilt wiederum nicht unbedingt, zuweilen sind B und C der
Zelle A voraus, oder auch wieder B allein den beiden anderen.
Den unteren Pol verlassend kehren wir zum animalen Pole
zurück, an dem sich jetzt eine Anzahl der bedeutungsvollsten Thei-
lungen abspielt. Vorweg nehmen wir zunächst die erneute Theilung
von z, welche ein drittes Derivat dieser mächtigen Zelle, x;, liefert
(Taf. III, Fig. 26). Dieselbe wird nahezu in der Medianebene nach
dem animalen Pole hin abgegeben, später ist jedoch deutlich zu er-
kennen, dass die betreffende Zelle sich etwas nach rechts verschiebt
und diese Lage konstant beibehält (Taf. III, Figg. 27, 28).
Von größerer Wichtigkeit aber sind für uns augenblicklich die
Zellen des animalen Poles. Dieselben erfahren eine plötzliche, be-
deutende Vermehrung von 16 auf 25 Zellen, hervorgerufen durch die
Theilung von d,, sowie die T'heilungen des ganzen Quartetts 1.1.
und ,.1.„. Eingeleitet werden dieselben durch d,, dessen Spindel
nahezu äquatorial liegt und zur Bildung von dı.; führt (Taf. II,
Figg. 26, 27). Es folgt sodann zunächst wieder der hintere Qua-
drant der beiden übrigen Quartetts, und sodann der Rest (Taf. II,
Figg. 26—28). Im Einzelnen ist noch zu bemerken, dass in der
Regel das Quartett ....„. dem näher am animalen Pole gelegenen ;.ı-ı
etwas voraus eilt, während andererseits vordere und rechte Seite der
linken voraus sind. Auch diese Regel bedarf der Einschränkung
einer Variation innerhalb gewisser Grenzen. Am größten ist die-
selbe innerhalb der einzelnen Quartetts in Rücksicht auf die ein-
zelnen Quadranten, sehr gering dagegen nur im Verhältnis der bei-
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 13
den Quartetts zu einander, ,.,.„ pflegt sich in den weitaus meisten
Fällen zuerst zu theilen. Auf die Bedeutung dieser starken
Zellvermehrung am animalen Pole müssen wir später ausführlich
zurückkommen.
Etwa gleichzeitig oder kurz auf diese Theilungen folgen einige
weitere näher am unteren Pole. Von hohem Interesse sind zunächst
die Theilungen von 5, und a,. Diese zweite Ektodermgeneration
zeigt die größte zeitliche Differenz hinsichtlich der Theilung ihrer
einzelnen Quadranten. Die erste Theilung fand nach dem 16zelligen
Stadium statt unter Bildung von x, oder da... Es folgte sodann &
nach dem 27zelligen Stadium unter Bildung von c,.;, und c,... Jetzt
erst nach dem 42zelligen Stadium erfolgt die Theilung der beiden
noch übrigen Quadranten a, und db, in ay.,, ag.9, bezw. dy.; und by...
Die Richtung der Spindel ist in allen vier Quadranten deutlich er-
kennbar dieselbe (Taf. III, Fig. 29), nämlich dexiotrop.
Von größerer Wichtigkeit für die Differenzirung des Keimes ist
jedoch eine nahezu gleichzeitig sich vollziehende Theilung direkt am
vegetativen Pole, ich meine diejenige von D zur Abgabe einer vierten
Generation. D zerfällt durch diese Theilung in eine vordere kleinere
und eine hintere größere Zelle, welch letztere gegen erstere etwas nach
rechts verschoben erscheint (Taf. III, Figg. 30, 29). Die neugebildete
Zelle d, nimmt gegenüber allen anderen eine ähnliche Sonderstellung
ein, wie schon vorher der erste Somatoblast, wir wollen diese Zelle
vorläufig als zweiten Somatoblasten bezeichnen, wiederum die Nomen-
klatur der Anneliden zu Rathe ziehend, abgekürzt —= M.
Eine weitere Theilung, auf die ich besondere Aufmerksamkeit
lenken möchte, spielt sich wiederum an X ab. Dieselbe giebt vor
ihrer ersten Bilateraltheilung noch eine letzte Zelle ab, z,, deren
Theilungsspindel höchst eigenthümliche Lageverschiebungen durch-
zumachen hat. Dieselbe liegt nämlich zumeist völlig horizontal, in
ihrer Äquatorialplatte genau die spätere Symmetrieebene kennzeich-
nend, so dass wir hier scheinbar die Spindel zur ersten Bilateral-
theilung vor uns haben (Taf. III, Fig. 30), aber eben nur scheinbar,
denn mit der Ausbildung der Tochterplatten erfährt die Spindelachse
eine Drehung, so dass sie schließlich schräg von rechts hinten und
oben nach links vorn und unten gerichtet ist (Taf. III, Fig. 31). Dem
entsprechend liegt das neu entstandene Produkt von X als x, in der
Lücke zwischen 23 und z,, so dass X und M, die beiden Somato-
blasten, nunmehr gänzlich durch eine Zellenreihe von einander ge-
trennt sind.
14 Johannes Meisenheimer,
Ehe wir uns den erneuten Theilungen beider Somatoblasten zu-
wenden, die zur scharfen Ausprägung der bilateralen Symmetrie des
Keimes führen, will ich erst noch einige untergeordnete Theilungen
anführen, um das Gesammtbild zu ergänzen. Die eine dieser Thei-
lungen bezieht sich auf c,.,, dieselbe entspricht innerhalb ihres Quartetts
derjenigen von z,, in welcher Zelle wir ja den Repräsentanten von
d,., vor uns haben. Die erwähnte Theilung führt zur Bildung von
9.2.1, und c9.9.2 (Taf. III, Figg. 32 und 35). Die Theilung der übrigen
zu diesem Quartett gehörigen Quadranten habe ich nicht mehr zu
verfolgen vermocht. |
Die zweite, noch anzuführende Theilung ist diejenige von 2,.,
(Taf. II, Figg. 35, 34). Sie ist zeitlich bereits nicht mehr völlig scharf
präeisirt, so sehen wir sie in Fig. 33 sich vor der bilateralen Theilung
von x vollziehen, in Fig. 34 nach derselben. z,.,.„ schiebt sich dabei
allmählich an z,., vorbei, bis es schließlich M erreicht und nun an der
Umgrenzung derselben Theil nimmt, seinerseits umschlossen von z;.,
274.1 UA. Tara).
Etwas vorgreifend muss ich endlich hier zunächst noch einige
weitere Veränderungen am animalen Pole anführen, welche die Zellen
der ersten Ektodermgeneration wiederum um vier vermehren, so dass
dieselben alsdann die Zahl 29 erreichen. Wir hatten oben gesehen,
dass die Quartetts ,.,., und ..... Sich völlig getheilt hatten, dass ferner
d, eine erneute Theilung unter Bildung von d,., erfahren hatte, jetzt
vollendet das letztere Quartett seine Theilung unter Bildung von a,.;,
bi:3, €ı.3 (Taf. IV, Fig. 5%). Gleichzeitig beginnt auch das letzte der
vier ursprünglichen Quartetts in die Theilung einzutreten, wiederum
ist es der hintere Quadrant d,.., welcher den übrigen vorauseilt, die
beiden neuen Zellen d,...; und d,.9., bildend. Die Spindel liegt genau
eben so wie vorher diejenige von d, gelegen hat, d. h. nahezu äqua-
torial (Taf. IV, Fig. 37). Die Theilung der drei noch übrigen Zellen
des betreffenden Quartetts zu verfolgen, scheiterte an der immer
unsicherer werdenden Diagnostieirung der einzelnen Zellen, da jede
Orientirungsmarke am animalen Pole verloren geht. Bereits auf dem
abgebildeten Stadium von Fig. 37 habe ich auf eine genaue Be-
zeichnung der meisten Zellen verzichtet. Ohne dass es zur Ausbildung
regelmäßig angeordneter Zellkomplexe käme, wie beispielsweise bei
den Anneliden und Prosobranchiern, treten sich stets steigernde Ver-
schiebungen auf, so dass wir schließlich nur noch zwei Komplexe
innerhalb der ersten Ektodermgeneration festzuhalten vermögen, eine
centrale Zellenplatte direkt am animalen Pole und einen dieselbe um-
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 15
gebenden Ring von Zellen, im Wesentlichen bestehend aus den Quartetts
Br und \,.1.9- |
Doch kehren wir zum unteren Pole zurück. Zwei Theilungen
sind es vor Allem, die jetzt unsere Aufmerksamkeit auf sich lenken,
die ersten Bilateraltheilungen der beiden Somatoblasten. Fassen wir
zunächst Fig. 33 und 34 auf Taf. III ins Auge. In ersterer Figur tritt
eine Spindel in X auf, während z.., sich eben in Theilung befindet,
alles Übrige ist in Ruhe. Diese Theilung zerlegt X in zwei bilaterale
Hälften, wie Fig. 34 zeigt. Unmittelbar auf diese Theilung des ersten
Somatoblasten folgt diejenige des zweiten (Taf. III, Fig. 34) und zer-
legt auch M in zwei bilaterale Hälften, wie beispielsweise Fig. 38
auf Taf. IV zeigt.
Diese eben geschilderte Zeitfolge der beiden Spindeln auf ein-
ander scheint der normale Gang der Entwicklung zu sein, daneben
liegt mir aber eine zweite Serie von Präparaten vor, welche den-
selben etwas anders darstellen, ohne dass ich Grund hätte, den einen
oder anderen beider Typen für anormal zu halten. Nämlich in Fig. 35
auf Taf. III tritt eine bilateral gerichtete Spindel in M vor der Theilung
von X auf und in Fig. 36 erfolgt thatsächlich die Theilung von X
erst nach der Theilung von M. Der Komplex der Derivate von X
erscheint auf dieser Fig. 36 sehr stark ausgedehnt, in Folge einer
bedeutenden Abflachung, welche die Zellen durch innere vorüber-
gehende Vorgänge erlitten haben, auf die ich weiter unten kurz im
Zusammenhange zu sprechen komme.
Ein derartiges schwankendes Verhalten, wie wir es eben in dem
Auftreten der beiden ersten Bilateraltheilungen wahrgenommen haben,
nöthigst uns, eine immer größer werdende Variation der Zellfolge
innerhalb der bisher ziemlich fest umschriebenen Grenzen anzunehmen,
zumal uns eine Betrachtung anderer Zellkomplexe Ähnliches lehrt.
In Fig. 35 hat die Zelle z,., die Theilung der Tochterplatten bereits
vollzogen, während X sich erst zur Theilung anschickt, in Fig. 35
ist sie bereits völlig getheilt, während M die Spindel zur Bilateral-
theilung angelegt hat, und in Fig. 34 endlich befindet sie sich erst
in Vorbereitung zur Theilung, während X schon völlig bilateral ge-
theilt ist und M sich eben theilt.
Aber trotz aller dieser Differenzen wird dureh diese Theilungen
stets ein Endstadium erreicht, welches an dem Keime zwei Paare
bilateral getheilter Zellen erkennen lässt, welche durch einen Zellen-
streifen, die Derivate von X, getrennt erscheinen. In Fig. 36 habe
ich versucht, dieselben noch möglichst ungezwungen auf ihre ur-
16 Johannes Meisenheimer,
sprüngliche Lage zurückzuführen, später ist dies in Folge starker
Verschiebungen kaum mehr möglich. Aber festzuhalten ist, dass jetzt
an dem Keime die bilaterale Symmetrieebene scharf ausgeprägt ist,
sie wird genau durch die Scheidungslinie je zweier der bilateral ge-
legenen Zellen gekennzeichnet. |
Von hier wird es jetzt wohl an der Zeit sein, einen kurzen Blick
rückwärts zu werfen, um die Beziehungen der so eben gewonnenen
Symmetrieebene zu den jüngeren Stadien zu erläutern. Als Fixpunkt
dienen uns die bilateral gelegenen Zellen von X. Entsprechend ihrem
späteren Schicksal als Schalendrüsenzellen, ein Faktum, das ich hier
vorausgreifend als bewiesen annehme, liegen sie an der hinteren,
oberen Seite des Keimes, und demgemäß müssen wir auch der ein-
fachen ungetheilten Zelle X diese Lage zuweisen. Meine sämmt-
lichen Figuren sind nach dieser Auffassung orientirt. Von diesem
Fixpunkte ausgehend müssen wir nun versuchen, die übrigen
Zellkomplexe um denselben zu gruppiren. Zunächst der animale
Pol. Derselbe weist eine gewisse Asymmetrie darin auf, dass ein
Derivat von X, z,, sich dem Zellenkomplexe der ersten Ekto-
dermgeneration auf der rechten Seite angeschlossen hat. Es ist dies
eben dieselbe Stelle, wo sich X bei seiner Bildung eindrängte und
a,.;, etwas nach rechts hin verschob. Die übrigen Verlagerungen des
animalen Poles gegenüber der Symmetrieebene sind nur ganz geringe.
Betreffs einzelner Figuren will ich hier hinzufügen, dass die schein-
bar starke Verschiebung (z. B. auf Figg. 27 und 28) nur darauf be-
ruht, dass der Keim zur klareren Übersicht etwas nach rechts über-
gerollt ist. Auf jüngeren Stadien (Figg. 15, 15, 24) ist die fast genau
in Kreuzform geordnete Lage von a,—d, sofort in die Augen sprin-
gend, auf späteren aber erleiden sie eine bestimmte, ganz konstante
Verschiebung, in so fern nun nicht mehr d, hinten, a, und c, zu
beiden Seiten, 5, vorn liegt, sondern vielmehr d, + «a, hinten, 5, + ec,
vorn (Figg. 27, 28), also etwa derselben Lage entsprechend, wie sie
auf dem achtzelligen Stadium ausgesprägt war. Ich lege diesen Ver-
schiebungen keine große Bedeutung bei, mehr dagegen denen des
vegetativen Poles. Wir sahen, wie hier von Anfang an das vegetative
Zellenquartett gegenüber dem animalen eine Drehung erfuhr, so dass
die durch D/B geführte Linie schräg zu einer solchen durch «,/b,
gezogen lag. Von X aus gerechnet lag D also sodann schräg nach
links unten (Fig. 16). Dieses Verhältnis der gegenseitigen Lage er-
hält sich sehr prägnant durch eine ganze Reihe von Stadien (Figg. 20
bis 23 und andere). Eine Änderung erleidet dasselbe jedoch durch
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 17
die Bildung von M, welche von der Zelle D nur einen kleinen Rest
zurücklässt. Die Spindel dieser Theilung ist, wenn man den Keim
außerhalb stehend von hinten betrachtet, von links vorn nach rechts
hinten gerichtet. Auf diese Weise wird also M wieder von der Ver-
schiebung, die D nach links erlitten hatte, in die Symmetrieebene
zurück verlagert, und so erklärt es sich, dass die erste bilaterale
Theilung von X und M dieselbe bilaterale Symmetrieebene zu mar-
kiren vermag. Leichter ist der Vorgang zu verstehen, wenn man
von X als der Mutterzelle ausgeht, dieselbe Zelle als in der bilate-
ralen Symmetrie liegend angenommen. Dann giebt X zunächst die
Zelle D nach der linken Seite ab, welche Zelle demnach ganz ent-
sprechend der obigen Schilderung auf die Seite zu liegen kommt.
Jetzt bei der Bildung von M wird diese seitliche Verlagerung wieder
aufgehoben, indem nun der größere Theil von D wieder nach rechts
hinüber in die Symmetrieebene als 7 geschoben wird. Nur die schon
früher gebildete Zelle d, und D selbst bleiben außerhalb derselben
liegen. M und X zusammengenommen bilden den weitaus größten
Theil der ursprünglichen großen Zelle D, und nimmt eben diese
Hauptmasse jetzt den hinteren Bezirk des Körpers ein, so ist es
naturgemäß, auch in der noch ungetheilten großen Zelle des acht-
zelligen Stadiums und weiterhin des vierzelligen Stadiums den hin-
teren Theil des Keimes zu erblicken. Nimmt aber D auf dem vier-
zelligen Stadium den hinteren Pol ein, so muss D den vorderen Theil
des Keimes, A und C die seitlichen Hälften bilden. Die beiden
ersten Furchungsebenen müssen demnach schräg zur Symmetrieebene
geneigt sein. Vom vierzelligen Stadium aus uns rückwärts wendend,
erkennen wir nun, dass das zweizellige Stadium, in den späteren
Furchungskeim einbeschrieben, eine schräge Richtung annehmen muss,
die größere Zelle nach links hinten, die kleinere nach rechts vorn
gerichtet. Nur so wenigstens lässt sich aus ihm das vierzellige Sta-
dium mit den schräg gerichteten Furchungsebenen ableiten, und damit
sind die späteren Bezirke des Keimes gegeben von dem Augenblicke
an, wo die erste Furchungsspindel sich in der Richtung von links
hinten nach rechts vorn im noch ungefurchten Keime eingestellt hat.
Diese Deduktionen lassen sich noch weiter ausführen durch einen
Vergleich mit anderen Formen. Ich greife Nereis heraus. Nach
Wıuson ist das vierzellige Stadium bei diesem Anneliden derart
orientirt, dass D und C hinten, A und BD vorn liegen, die beiden
ersten Furchungsebenen also mit der späteren Median- und Querebene
zusammenfallen. Dieser Gegensatz beider Formen lässt sich sofort
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 2
18 Johannes Meisenheimer,
erklären, wenn wir obige Ausführungen zu Hilfe nehmen. Als Fix-
punkt haben wir in beiden Fällen die Lage von X auf der Hinter-
seite des Keimes, mag dieselbe nun sofort vollendet ausgeprägt sein,
wie bei Dreissensia, oder mag sie zunächst noch eine kleine seitliche
Verlagerung aufweisen, wie bei Nereis. Nun ist bei Nereis der erste
Somatoblast weit kleiner als die zurückbleibende Makromere D, nur
ein kleiner Theil der Zelle D des vierzelligen Stadiums wird also
an dem Aufbau der späteren Hinterseite der Larve Theil haben,
der größere wird seitlich liegen bleiben, daher die oben angegebene
Orientirung des vierzelligen Stadiums. Umgekehrt ist es bei Dreissen-
sia, hier liefert der weitaus größere Theil der Zelle D die Hinter-
seite, also ist die andere ÖOrientirung am Platze. Die Textfigg. 3
und 4 werden diese Ausführungen noch deutlicher machen. Wir
INES
Textfig. 3. Textfig. 4.
Fig. 3. Übergang zum neunzelligen Stadium von Dreissensia. Vom vegetativen Pole gesehen.
Fig 4. Neunzelliges Stadium von Nereis im Übergang zum 16zelligen Stadium. Nach einer
Figur Wırson’s. Vom vegetativen Pole gesehen.
sehen dieselben außerdem noch an anderen Anneliden bestätigt. Bei
Amphitrite sind die Makromeren weniger umfangreich als der erste
Somatoblast und sofort giebt MEAnD dem vierzelligen Stadium dieselbe
Orientirung, wie ich sie für Dreissensia angegeben habe. Die Lage
der vier vegetativen Zellen auf späteren Stadien wird durch die ver-
schiedene Orientirung des vierzelligen Stadiums nur wenig beein-
flusst, dieselbe ist schon auf dem 16zelligen Stadium bei Dreissensia
ganz dieselbe wie bei Nereis, in Folge der Verschiebungen, die mit
der Bildung des ersten Somatoblasten zusammenhängen und die oben
eingehend geschildert sind.
Eine tiefere allgemeine Bedeutung der beiden ersten Furchungs-
ebenen für die späteren Organisationsverhältnisse der Larve ist also
wohl kaum anzunehmen, das beweisen schon die außerordentlich
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 19
verschiedenen Angaben. Wie eng ihre Orientirung mit den Eigen-
thümlichkeiten des Furchungskeimes in jedem einzelnen Falle zu-
sammenhängt, das glaube ich gerade durch die obigen Ausführungen
am besten bewiesen zu haben. Übrigens schreiben auch WıLson und
ConkLin der Lage der ersten Furchungsebenen eine nur untergeord-
nete Rolle zu.
Nach dieser längeren Abschweifung kehren wir nun zur weiteren
Furchung des Keimes zurück. Wir verließen dieselbe unmittelbar
nach der Ausbildung der bilateralen Symmetrie von X und M. Es
wird nunmehr unsere Hauptaufgabe sein, das Schicksal der beiden
Somatoblasten weiter zu verfolgen, da dieselben zwei wichtigen Organ-
komplexen den Ursprung geben. Die nächste Theilung vollzieht sich
an X, indem beide bilateral gelegene Zellen gleichzeitig ein kleineres
Derivat nach derselben Seite hin abgeben, und zwar nach rechts,
wir nennen beide z,. Auffallend ist, dass jetzt plötzlich die Bilateral-
theilung wiederum von einer spiraligen unterbrochen wird, wie Fig. 38
auf Taf. IV deutlich zeigt.
Eine ganz ähnliche Theilung macht auch der zweite Somatoblast,
M, durch, er giebt je eine kleinere Zelle nach vorn und auf die
linke Seite ab, ebenfalls noch einmal den spiraligen Theilungsmodus
aufweisend (Taf. IV, Fig. 39 m). Nach Abgabe dieser kleinen Ele-
mente enthalten beide Somatoblasten nunmehr je eine geschlossene
Organanlage in sich, und zwar, um es kurz zu sagen, X/X die
Anlage der Schalendrüse, M/M Theile des Mesenchymmuskel-
gsewebes. Die weitere Vermehrung beider äußert sich nun in einer
Anzahl auf einander folgender Bilateraltheilungen, so zunächst in X
auf Fig. 40, wobei stets die eine Seite der anderen in der Thei-
lung voraus eilt, ein Verhalten, das auch LiLLıe bei Unio zu kon-
statiren vermochte, dann in M (Fig. 42), sodann wiederum in X
(Fig. 45), auch jetzt mit größeren Zeitdifferenzen der beiden sym-
metrisch gelagerten Zellen. Später folgt sodann wieder M, bis die
Theilungen durch die Formveränderungen des betreffenden Organs
oder Organkomplexes sich wieder unregelmäßiger gestalten.
Es wird jetzt an der Zeit sein, etwas genauer das Schicksal der
einzelnen bisher besprochenen Zellenkomplexe ins Auge zu fassen,
und den Antheil klar zu legen, welchen dieselben am Aufbau der
Larve nehmen. Ich verweise bei dieser Betrachtung vor Allem auf
die beigegebene Skizze von Fig. 48 auf Taf. IV, welche uns den
Keim, so weit wir ihn bis jetzt etwa verfolgt haben, in seinen ein-
zelnen Regionen gesondert darstellt. Ich habe hierzu direkt das
Ix*
20 Johannes Meisenheimer,
Stadium von Fig. 42 mit ganz geringfügigen Modifikationen gewählt.
Vermag ich auch nicht mehr von jeder einzelnen Zelle mit absoluter
Sicherheit ihre Zugehörigkeit anzugeben, die einzelnen Komplexe
bestehen sicherlich in dieser Anordnung, mag die eine oder andere
Zelle immerhin auch vielleicht eine etwas andere Stelle beanspruchen.
Wir zählen im Ganzen neun verschiedene Komplexe, die wir nun in
ihrer weiteren Ausbildung begleiten wollen.
Die erste Ektodermgeneration (in der Figur gelbgrün gehalten)
hat bis zu dem zuletzt geschilderten Stadium die bei Weitem größte
Zahl von Zellen erreicht. Aus ihr leiten sich Scheitelplatte und
Velum ab, und zwar wird letzteres dem Hauptantheile nach gebildet
von der Randzone (auf der Figur dunkler gehalten), also den Zellen-
komplexen ,., nebst deren Derivaten, während die Scheitelplatte aus
den direkt den animalen Pol bildenden Zellen ihren Ursprung nehmen
muss. Besonders beachtenswerth ist die schiefe Lage des ganzen
Komplexes. Dieselbe besteht bereits seit dem achtzelligen Stadium,
und wir werden später sehen, wie das Velum genau dieselbe Lage
in der Organisation der ausgebildeten Larve besitzt.
Auf die erste Ektodermgeneration erfolgt die Abschnürung einer
zweiten und dritten (blau und grün gehalten auf der Figur), und
nichts hindert uns daran, noch eine vierte oder selbst fünfte anzu-
nehmen (auf der Figur hellbraun gehalten), deren Bildung wir in
Fig. 59 vor uns sehen, während eine vierte ihre Entstehung unmittelbar
nach den ersten Bilateraltheilungen nahm. LitLıe will zwar für
Unio nur drei Ektodermgenerationen gelten lassen, ich vermag bei
diesen dotterarmen Eiern eine derartige strenge Sonderung nicht
durchzuführen, es könnte allein die Rücksicht auf andere Formen
mit dotterreichen Eiern bestimmend wirken, da hier in der That eine
solche Scheidung auftritt. Ich muss diese Worte CARAZzzIı gegenüber
unbedingt aufrecht erhalten, denn nichts würde der Forschung ver-
derblicher sein als die Anwendung reiner Analogieschlüsse. Wird
der Beweis der drei Ektodermgenerationen für die in Frage kom-
menden Formen, wie er LILLIE sowohl wie mir unmöglich war, er-
bracht — gut, bis dahin dürfen wir aber den Zweifel nicht unter-
drücken. Die Mangelhaftigkeit der Beweisführung FusrrAa’s gebe ich
dagegen CArAZzzI vollkommen zu. In neuester Zeit giebt übrigens
VIGUIER für Thetys ebenfalls vier Ektodermgenerationen an, aber
leider fehlt auch hier das allein beweisende Spindelstadium. Jeden-
falls liefern aber die nun folgenden Ektodermgenerationen die vor-
deren und seitlichen Regionen des Körpers, wenn wir von dem ersten
47
Zu 5.20.
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Lith.Anst. Julius Klimkhardt, Leipzig.
Zeitschrift Kıviss.Zoologie bd. LXVL. Zw 5.20.
Übersicht der Furchung von Dreissensia polymorpha.
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Lith.Anst. Julius Alinkhardt, Leipzig
Verlag v.Wilhelm Engelmann in Leipzig,
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 31
Somatoblasten, welcher ja auch der zweiten Generation angehört,
sanz absehen und hinzufügen, dass die oberen Randpartien der
zweiten Generation wahrscheinlich ebenfalls mit einigen Zellen an
der Bildung des Velum Theil nehmen, indem sie die Lücken zwischen
den einzelnen Quadranten der ersten Generation völlig ausfüllen, und
wenn wir ferner hinzufügen, dass die eine oder andere Zelle der
zweiten wie dritten Generation zur Bildung von Mesenchym ins In-
nere rückt, wie wir später sehen werden.
Einen weiteren gesonderten Komplex stellen dann endlich die
Zellen des vegetativen Poles dar (auf der Figur dunkelbraun punk-
tirt), sie werden durch eine Einstülpung nach innen verlagert zur
Bildung des Mitteldarmes nebst dessen Anhangsdrüsen.
Schließlich bleiben noch die beiden Somatoblasten zu betrachten
übrig. Der zweite Somatoblast, welcher der vierten Generation ent-
stammt (auf der Figur roth gehalten), wird später in einem besonderen
Kapitel ausführlich behandelt werden, näher eingehen müssen wir
dagegen auf den ersten Somatoblast (gelb gehalten auf der Figur).
Derselbe zerfällt in drei gesonderte Partien. Eine mittlere Partie
(auf der Figur punktirt) zeichnet sich vor Allem durch die Größe der
Zellen und die längere Zeit anhaltenden Bilateraltheilungen aus,
durch Einstülpung geht aus ihr die Schalendrüse (sd) hervor. Mit
ihrer Einstülpung rückt zugleich der Velarkranz an der Hinterseite,
wo er zunächst noch offen war, mit seinen beiden Enden an einander,
um so schließlich einen geschlossenen Ring zu bilden, unter beson-
derer Theilnahme von d..».
Als zweiten Bestandtheil des ersten Somatoblasten müssen wir
das kleine Derivat x, ansehen, welches in den umliegenden Ekto-
dermzellen verschwindet und zu keinem besonderen Organe zu ver-
folgen ist.
Die dritte Partie endlich besteht aus einer Reihe kleinerer Deri-
vate, welche successive von X nach unten hin abgegeben wurden
(gelb auf der Figur und ohne Punkte). Sie bewirken hauptsächlich
die Umwachsung des zweiten Somatoblasten, dehnen sich später ge-
waltig aus und spielen in dem Aufbau der Larve als sog. Ventral-
platte (Vp) eine bedeutende Rolle. Wir werden desshalb später auf
sie zurückzukommen haben.
Es ist eine weit verbreitete Erscheinung unter Mollusken wie
manchen anderen Thiergruppen, dass bei der Furchung in bestimmten
Zwischenräumen nach einer Theilung weite Hohlräume zwischen den
22 Johannes Meisenheimer,
getheilten Zellen auftreten. Dieselben wurden in letzterer Zeit na-
mentlich durch STAUFFACHER von Cyelas, durch Koroıp von Limax
agrestis und durch mich von Limax maximus genau beschrieben.
Dreissensia weist dieselben in ganz der gleichen, eben so starken Aus-
bildung auf, wie die eben genannten Formen. Ich beabsichtige jedoch
durchaus nicht, mich nochmals hier bis in die Einzelheiten hinein
über dieselben zu verbreiten, nur einige wenige Stadien will ich als
Beispiele herausgreifen und zum Belege in einigen Abbildungen vor-
legen. Fig. 60 auf Taf. VI zeigt uns ein zweizelliges Stadium mit
weitem, zwischen beiden Zellen gelegenem Flüssigkeitsraume, weiter
Fig. 61 einen eben solchen vom achtzelligen Stadium, Fig. 62 von
einem 16zelligen und endlich Fig. 65 von einem noch älteren Stadium.
Man beachte, wie weit auch hier die Vacuolisirung vordringen Kann,
bis zu welch dünner Plasmaschicht sich die einzelnen Zellen unter
dem anwachsenden Drucke abzuplatten vermögen, alles Verhältnisse,
die durchaus an Limax maximus erinnern. Nur ein Unterschied
macht sich zwischen beiden geltend, und dieser hängt eng mit dem
verschiedenen Furchungsmodus zusammen. Bei Limax maximus ver-
lief die Furehung sehr regelmäßig, in so fern die einzelnen Quartetts
fast stets gleichzeitig die Theilung vollzogen, so dass zwischen den
Theilungsphasen geometrisch regelmäßig gestaltete Ruhestadien lagen,
auf denen sodann die erwähnten Erscheinungen sich abspielten. Hier
liegen die Verhältnisse anders. Der unregelmäßige Verlauf der Fur-
chung, der fast eine Zelle nach der anderen sich theilen lässt, ver-
wischt nahezu völlig eine derartige Regelmäßigkeit, sie lässt sich nur
von dem zweizelligen bis zum sechzehnzelligen Stadium verfolgen, so-
dann treten die Erscheinungen ganz unregelmäßig an den verschie-
densten Stellen des Keimes auf, erhalten sich aber bis in die Gastru-
lation hinein.
Die Bedeutung dieser Flüssigkeitsräume ist ganz dieselbe wie
bei Limax maximus, es sind Exkreträume, welche verbrauchte Stoffe
nach außen befördern. Deutlich lässt sich am lebenden Objekt im
freien Wasser das Kollabiren der Furchungskugeln nach dem Aus-
stoßen der Flüssigkeit beobachten, und mein konservirtes Material
lässt alle Übergänge von einer extrem ausgedehnten Furchungskugel bis
zu einem völligen massiven Zellenhaufen erkennen. Wenn ich hier
eine weitere Darstellung unterlasse, so geschieht es nur desshalb,
weil es nichts weiter wäre, als eine direkte Wiederholung meiner
Schilderung von Limax maximus.
Was die specielle Verbreitung dieser Exkreträume innerhalb der
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 23
Lamellibranchiatengruppe betrifft, so muss ich hier zunächst an die
Beobachtungen Lov&n’s erinnern, dessen für ihre Zeit außerordent-
lieh exakten Beobachtungen jetzt einen allzu tiefgehenden Vergleich
nicht mehr gestatten, aber doch auf ähnliche Vorgänge schließen
lassen. Er erwähnt nämlich während der Furchung (von Modiolaria
und Cardium) ein abwechselndes Hervortreten und Wiederverschmelzen
der Furchungskugeln, verbunden zugleich mit einem Verschwinden
und Wiedersichtbarwerden der Kerne. Die Worte, mit denen er
diese Vorgänge beschreibt, lassen sich sehr wohl darauf anwenden,
dass in Folge der mächtigen Exkreträume die Grenzen der vorher
sich deutlich abhebenden Zellkugeln schwerer sichtbar werden und
so plötzlich wieder ein Stadium mit scheinbar geringerer Zellenzahl
darstellen. Nur so wenigstens erscheint mir die Darstellung Lovkn's
völlig verständlich.
Sehr stark entwickelt sind diese Exkreträume auch bei Oyclas
nach STAUFFACHER’S Darstellung. Er schildert diese Processe der-
art, als ob der helle Raum kontinuirlich in das Plasma ohne tren-
nende Membran überginge. Sowohl KoroIp wie ich haben ein der-
artiges Verhalten als durchaus unwahrscheinlich hingestellt, und jetzt
durch das erneute Studium dieser Vorgänge bei Dreissensia bin ich
in diesem Urtheil nur noch bestärkt worden.
Auffallenderweise scheinen diese Vorgänge bei den Unioniden
völlig zu fehlen, LiLLıe erwähnt dieselben nirgends, höchstens spricht
er zuweilen (vom zwei- und achtzehnzelligen Stadium) von einer Ab-
flachung der Zellen. Dagegen scheinen mir die Abbildungen früherer
Beobachter entschieden für ihr Vorhandensein zu sprechen (FLEMMING).
Auf einen Punkt muss ich sehließlich noch genauer eingehen,
er betrifft Koroıp's Erklärung dieser Exkreträume. Koroıp nimmt
an, dass Süßwasser und vor Allem Eiweißhüllen hemmend auf die
Exosmose der Abfallstoffe einwirken, und dass in Folge dieser ver-
langsamten Exosmose die inneren Exkreträume zu Stande kämen.
Vergleichen wir zunächst Dreissensia mit Limax, so müssten die
Eiweißhüllen bei letzterer einen ungleich stärkeren, steigernden Ein-
‚Huss auf Umfang und Häufigkeit der Exkreträume ausüben. Dies
ist jedoch durchaus nicht der Fall, Dreissensia übertrifft eher noch
Limax maximus.
Dass erstere in der relativ kurzen Zeit ihres Aufenhaltes im
Süßwasser dieselben erst erworben haben soll, ist wohl kaum anzu-
nehmen, zumal sie in ihrer übrigen Entwicklung sich bis in die ge-
ringsten Einzelheiten hinein den marinen Lamellibranchiern anschließt,
24 Johannes Meisenheimer,
so weit sich dies eben aus der bisherigen Litteratur herauslesen
lässt. Zudem besitzen wir noch keine genaue Darstellung der Fur-
chung der marinen Formen, bei welchen dieselben Exkreträume mög-
licherweise ebenfalls auftreten.
Als sicher kann ich jedenfalls in Folge des Vergleiches von
Dreissensia und Limax hinstellen, dass die kompakte Umhüllung des
Eies von Eiweiß und Gallertschale keinen Einfluss auf etwaige Ver-
stärkung dieser Processe ausübt, und würde bewiesen werden, dass
auch marine Formen sie wohl ausgebildet besitzen, so würde auch
ein Einfluss des Süßwassers nicht anzunehmen sein. Nicht die physio-
logischen, äußeren Bedingungen, unter welche das Ei gesetzt ist,
würden dann die Abscheidung der Exkretprodukte nach innen be-
dingen, sondern die Ursachen müssten in inneren, uns freilich noch
kaum bekannten Vorgängen zu suchen sein. Die Rolle, welche der
Kern bei der Abscheidung dieser Stoffe spielt, ist vielleicht ein der-
artiger Faktor.
Koroıp suchte seine Ansicht auch experimentell zu bestätigen,
indem er Eier von Physa in Salzlösungen verschiedener Koncentra-
tion brachte. Er fand dann, dass dieselben einen mehr oder
weniger großen retardirenden und abschwächenden Einfluss auf die
Ausbildung der Exkreträume ausübten. So einleuchtend dieses Ex-
periment auch zunächst erscheinen mag, man möge dabei wohl be-
denken, dass ein derart abnormes Medium, in welchem sich die Eier
befinden, den ganzen Organismus des Eies unbedingt schwächen und
seine Lebensthätigkeit herabsetzen muss, wenn die Furchung dabei
auch noch normal verläuft. Verlangsamung und Abschwächung dieser
Processe würden hierdurch schon eine genügende Erklärung finden,
zumal stärkere Lösungen die Lebensthätigkeit völlig sistirten.
Il. Die Umbildung des Furchungskeimes in die junge
Trochophoralarve.
Eine ganze Reihe tiefgreifender Umwandlungen sind es, welche
aus dem Keime, den wir als länglich ovale Blastula verlassen haben,
die Trochophoralarve in ihren Grundzügen hervorgehen lassen. Der.
erste dieser Processe ist die Bildung des Mitteldarmes, hervorgehend
aus einer Einstülpung am vegetativen Pole, der zweite besteht in der
Ausbildung der Schalendrüse, die sich noch tiefer einsenkt als die
Mitteldarmanlage. Weiter haben wir dann die Ausbildung des Me-
senchymmuskelgewebes ins Auge zu fassen, und endlich noch die
definitive Anordnung der Velarzellen nebst Scheitelplatte.
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 25
Beginnen wir mit der Bildung des Mitteldarmes, der Gastrulation
also. Die ersten Anfänge einer Einsenkung der vegetativen Zellen,
zu denen sich, wie wir oben sahen, noch zwei kleinere Derivate von
M zugesellten, machen sich schon sehr frühzeitig bemerkbar (vgl.
Figg. 41 und 42 auf Taf. IV). Auf dem nächsten Stadium, Fig. 44
ist die Einsenkung bereits etwas tiefer geworden, wir erkennen sie
deutlich auf einem Schnitt von einem etwa gleichaltrigen Stadium
(Fig. 64 auf Taf. VI. Je mehr sich diese Anlage nach innen drängt,
desto mehr verengt sich auch der ursprünglich weit ausgedehnte
Blastoporus zu einem in der Symmetrieebene gelegenen, kurzen
Schlitz (Fig. 65 auf Taf. VI), um auch diese Gestalt bald mit der-
jenigen einer fast kreisrunden Öffnung zu vertauschen (Fig. 44 auf
Taf. IV und Fig. 66 auf Taf. VI). Bei Beginn der Einstülpung nehmen
die Entodermzellen in Folge des seitlichen Druckes eine längliche,
förmlich gestielte Gestalt an (Figg. 64, 65), später verlagern sie sich
als regelmäßige Begrenzung des Mitteldarmsäckchens völlig ins Innere
des Keimes.
Ehe wir aber ihr weiteres Schicksal verfolgen, müssen wir die
sich gleichzeitig abspielende Bildung der Schalendrüse nachholen.
Wir verließen den aus dem umfangreichsten, mittleren Theile des
ersten Somatoblasten hervorgegangenen Zellenkomplex auf dem Sta-
dium von sechs Zellen (Fig. 43 auf Taf. IV). Bei seitlicher Ansicht
ist schon jetzt eine deutliche, flache Einsenkung dieser Zellen zu
bemerken, man vergleiche den Schnitt von Fig. 64 auf Taf. VI, der
ein etwa gleichaltriges Stadium darstellt. Die einzelnen Zellen ragen
tief in das Innere der Furchungshöhle hinein, unter reger Zellver-
mehrung wird die Einstülpung tiefer (Fig. 65) und endlich bildet die
ganze Anlage ein auf den ersten Blick der Darmanlage zum Ver-
wechseln ähnliches Säckchen. Die Einstülpungsöffnung, welche ur-
sprünglich ebenfalls einen weiten, unscharf begrenzten Umfang dar-
bot, verengt sich sehr bald zu einem Schlitz, dessen Umfang weit
größer als derjenige des Blastoporus ist, und der senkrecht zur Sym-
metrieebene gestellt ist (Fig. 44, Taf. IV).
Das Bild, welches ein Sagittalschnitt durch ein derartiges, eben
beschriebenes Stadium gewährt, ist ein sehr eigenthümliches. Wir
sehen in Fig. 66 auf Taf. VI fast den ganzen Raum des äußerlich
abgerundeten, ovalen Keimes von zwei tiefen Einstülpungen einge-
nommen, von denen die eine die Mitteldarmanlage, die andere die
Schalendrüsenanlage darstellt. Namentlich letztere nimmt einen sehr
weiten Raum ein, da sie sich seitlich sehr stark verbreitert und so die
26 Johannes Meisenheimer,
Mitteldarmanlage auf der Hinterseite ganz umschließt. Ein kleiner
Theil des Innenraumes wird ferner noch eingenommen von den
Mutterzellen des Mesenchymmuskelgewebes, im Wesentlichen darge-
stellt durch Abkömmlinge des zweiten Somatoblasten; ich will hier
auf diesen Organkomplex im Einzelnen nicht eingehen, da ich später
in einem besonderen Kapitel ihn und seine Bildung ausführlich be-
handeln werde.
Die weitere Ausbildung von Mitteldarm und Schalendrüse ist es
vorzugsweise, welche im Folgenden von Einfluss auf die Gestaltung
des Keimes ist. Der Mitteldarm wird unter Verschiebung des Blasto-
porus nach vorn durch Verschluss desselben nach außen abgeschlossen,
die Schalendrüseneinstülpung beginnt einen rückläufigen Ausstülpungs-
process durchzumachen. Beide Vorgänge vollziehen sich gleichzeitig.
In demselben Maße, wie die Schalendrüse ihren Raum im Inneren der
Furchungshöhle aufgiebt, nimmt das Darmsäckchen von demselben
Besitz. Äußerlich am bemerkenswerthesten ist die Verschiebung des
Blastoporus. Dieselbe hat zwei Ursachen, einmal die eben erwähnte
Ausstülpung der Schalendrüse und dann das immense Wachsthum des
oben als Derivate des ersten Somatoblasten (x) beschriebenen Zell-
komplexes. Um uns dasselbe zu veranschaulichen mache ich auf die
Figg. 58, 39, 41, 43 und 44 auf Taf. IV aufmerksam. Klar prägt
sich in dieser Serie aus, wie das Umwachsen des zweiten Somato-
blasten in erster Linie das Werk dieses Zellkomplexes ist, wie ferner
die Ausdehnung eben desselben Komplexes den Zwischenraum zwischen
dem oberen Rand der Schalendrüse und dem Blastoporus stetig ver-
srößern muss (Fig. 41, 43), wie ferner, da die Lage dieses oberen
Schalendrüsenrandes an der hinteren, oberen Körperwandung, un-
mittelbar unter dem Velum scharf fixirt ist, diese Verschiebung in
der Richtung von hinten nach vorn fortschreiten muss. Von einem
Verschlusse einer Rinne kann man hierbei nicht eigentlich reden, da
eine solche höchstens in den ersten Phasen in schwacher Ausbildung
besteht, es ist vielmehr ein wirkliches Vorwärtsschieben, und dieses
wird nun noch von einem wesentlichen Faktor unterstützt, der Aus-
stülpung der Schalendrüse. Dieselbe beginnt auf dem Stadium von
Fig. 67 auf Taf. VI und besteht im Wesentlichen zunächst aus dem
Ausrollen der ventralen Seite der Schalendrüseneinstülpung, wobei
dann immer mehr die dorsale Wandung in Mitleidenschaft gezogen
und nach außen vorgestülpt wird (Fig. 68), bis endlich nur noch an
der dorsalwärts am höchsten gelegenen Stelle, ebenda wo früher der
erste Somatoblast lag (Figg. 14, 42) und wo etwas später die eigent-
Entwieklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 27
liche Einstülpung erfolgte (Figg. 64, 65), eine schwache Vertiefung
erhalten bleibt (Fig. 69). Dieselbe bietet, von der Oberfläche aus
betrachtet, eine eigenthümlich geschweifte Randlinie dar, über welcher
unmittelbar die Velarzellen gelegen sind (Fig. 45). Diese eigenthüm-
liche Linie kommt dadurch zu Stande, dass die beiden seitlichen,
oberen Partien der Schalendrüse bei der Ausstülpung hinter den
mittleren Partien zurückbleiben, so dass daraus eine nach beiden
Seiten hin eingebuchtete Fläche entstehen muss. Mit dem weiteren
Vorwärtsschreiten der Ausstülpung verschwinden natürlich diese Ver-
hältnisse wieder, die Schalendrüse besitzt nun eine nach außen
schwach vorgewölbte Oberfläche, deren Epithel sich unter Ausschei-
dung eines feinen Schalenhäutchens abzuflachen beginnt (Fig. 70).
Wir verlassen hiermit die Schalendrüse, um in der Organbildung bei
der Entwicklung der Schale an diese Verhältnisse wieder anzuknüpfen.
Kehren wir also zu unserem Ausgangspunkte zurück, zur Ver-
schiebung des Blastoporus. Dieselbe macht erst Halt, nachdem nahezu
die Stelle unmittelbar unter dem vorderen Velarrande erreicht ist,
d. h. also etwa in dem Bezirke der zweiten Ektodermgeneration.
Gleichzeitig haben sich aber auch an der Mitteldarmeinstülpung selbst
wichtige Umwandlungen vollzogen, die wir jetzt näher berücksich-
tigen müssen. Betrachten wir ein Stadium, wie es etwa Fig. 66 dar-
stellt, d. h. also ein Stadium, das uns eine typische Gastrula reprä-
sentirt, so bemerken wir, dass wir bereits jetzt keine indifferenten,
vegetativen Zellen mehr vor uns haben, sondern dass innerhalb der-
selben eine Sonderung in die beiden Hauptbestandtheile des späteren
Mitteldarmtractus eingetreten ist, nämlich in Magen und Darm einer-
seits und in die Leber andererseits. Die der vorderen Körperwand
angelagerten Zellen des Mitteldarmsäckchens zeigen nämlich eine von
den hinteren Zellen deutlich unterschiedene Struktur. Das Chromatin
ist in feineren Körnehen angehäuft, der Kern erscheint demnach
heller und besitzt außerdem meist noch einen großen Nucleolus.
Dieser Gegensatz bildet sich immer prägnanter aus (Fig. 67), selbst
auf Totalpräparaten sind die fraglichen Zellen mit Leichtigkeit zu
erkennen, und haben mich öfter veranlasst, sie fälschlich als an
dieser Stelle eingeschobene Mesodermelemente zu deuten. ' In Fig. 67
liegen sie noch direkt an der Vorderseite des Mitteldarmsäckchens,
bald aber erfolgt eine Verschiebung nach beiden Seiten, so dass sie
auf den Sagittalschnitten in der Medianebene nur noch selten anzu-
treffen sind (Fig. 69), auf Quer- oder Frontalschnitten dagegen nun
in deutlich bilateraler Anordnung hervortreten, genau die Stellen an-
28 Johannes Meisenheimer,
gebend, wo später die mächtigen Lebersäckchen ausgestülpt werden
(Fig. 73 auf Taf. VII). Der hintere und seitliche Theil des Mittel-
darmsäckchens lässt aus sich Magen und Dünndarm hervorgehen,
auch hier werden wir bei der Organogenese wieder anzuknüpfen haben.
Nachzuholen sind endlich noch die ersten Anlagen von Vorder-
und Enddarm, da dieselben eng mit der weiteren Ausbildung der
Larve verknüpft sind. Wir müssen zu diesem Zwecke nochmals auf
die Verhältnisse von Fig. 66 zurückkommen. Die Mitteldarmeinstül-
pung führt durch einen rundlichen Blastoporus deutlich nach außen.
In Fig. 67 haben sich die Ränder des Säckchens bereits eng an
einander gelegt, und in Fig. 68, einem etwas weiter vorgeschrittenen
Stadium, endlich sind sie gänzlich verschmolzen, ohne dass jedoch
hierbei eine schwache Grube als letzter Rest gänzlich verloren ginge.
Auch bei Unio kommt es nach LiLLIE nie zu einer direkten Ver-
schmelzung des ektodermalen Randes, so dass die Einstülpungsstelle
stets scharf markirt bleibt. Hier, bei Dreissensia, wird dieses Ver-
halten dadurch noch verschärft, dass sich eine neue Anlage genau
an der Stelle des früheren Blastoporus ausbildet, nämlich diejenige
des Stomodäums. Ektodermzellen drängen sich, eine regelrechte Ver-
tiefung bildend, gegen das geschlossene Säckchen vor (Fig. 69), aus
denen später das Schlundrohr hervorgeht (Fig. 70). Des Genaueren
werde ich wieder erst später auf diese Verhältnisse eingehen können,
eben so wie auf die Bildung des Enddarmes, der als eine zweite
Einstülpung mit dem Mitteldarm in Verbindung tritt. Ich will hier
nur so viel davon hervorheben, dass derselbe aus einer zunächst nur
schwachen, allmählich aber sich vertiefenden Einstülpung des Ekto-
derms hervorgeht, die sich eng an den Mitteldarm anlegt und schließ-
lich mit ihm verschmilzt.
Wir haben jetzt successive den größten Theil des Larvenkörpers
sich aufbauen sehen, von den äußeren Organkomplexen fehlt uns nur
noch ein einziger, bestehend aus Velum und Scheitelplatte. Scharf
umgrenzen lässt sich das Velarfeld erst auf verhältnismäßig späten
Stadien, aber immer noch früh genug, um Beziehungen zu jüngeren
Furchungsstadien aufstellen zu können. Fig. 65 auf Taf. VI zeigt
uns das Stadium, wo einzelne stärkere Cilien sowohl den Verlauf des
Velarrandes wie die Lage der Scheitelplatte schärfer markiren. Das
Auftreten der Cilien giebt uns eine Bestätigung der früheren Orien-
tirung des Keimes, wie bereits auf dem achtzelligen Stadium, so ist
auch jetzt der ganze Komplex schief geneigt, am Vorderrande von
dem späteren Munde, am Hinterrande von der sich ausstülpenden
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 29
Schalendrüse begrenzt. Die Figg. 66—X0 erläutern die Ausbildung
dieser Verhältnisse, nur die beiden Figg. 66 und 67 erscheinen in ihrer
Stellung etwas unsicher und willkürlicher. Diese findet jedoch ihre
Begründung einmal in der fest fixirten Lage des oberen Schalen-
drüsenrandes, und sodann in dem Vergleich mit den sich unmittelbar
anschließenden Stadien von Fig. 68 und 69. Auf letzterer hat das
Velum bereits Fortschritte in seiner Ausbildung in so fern gemacht,
als die Zahl der Wimpern zugenommen hat, ein Process, der in
Fig. 70 bedeutend weiter vorgeschritten ist. Auch differenziren sich
die Velarzellen jetzt in ihrer inneren Struktur von den übrigen Zellen,
in so fern sie an Größe zunehmen und einen vacuoligen Bau erhal-
ten. In dem von den Velarzellen umschriebenen Bezirke macht sich
außerdem in der Mitte eine Verdickung bemerkbar, welche einen
starken Wimperschopf trägt, die Scheitelplatte (Fig. 70 sp), doch davon
später mehr.
Um endlich die junge Larve in den Grundzügen ihrer Ausbil-
dung zu vollenden, so sei hier noch darauf hingewiesen, dass ein
weiterer starker Wimperschopf unmittelbar hinter der Enddarmanlage
auftritt, der postanale Wimperschopf (pa), ferner unter dem ventralen
Mundrande eine schwach entwickelte Wimperzone, der postorale
Wimperschopf (po) im Gegensatz zu dem als präoraler Wimperkranz
zu bezeichnenden eigentlichen Velum. Wir müssen auf diese Ver-
hältnisse später nochmals des Genaueren zurückkommen, ich kenn-
zeichne sie hier nur in ihren gröberen Zügen.
Ein ungefähres Bild der Larve auf diesem Stadium giebt uns
schließlich noch die Totalansicht von Fig. 46 auf Taf. IV. Wir sehen
in der Mitte der länglich kegelförmigen Larve den Mund gelegen,
oberhalb desselben den dieken Wulst des Velums, und inmitten des-
selben die Scheitelplatte mit dem Wimperschopf. Die untere Spitze
des Körpers’ endlich läuft aus in den postanalen Wimperschopf.
Die weitere Ausbildung der äußeren Form vollzieht sich unter
starker, seitlicher Kompression der ganzen Larve, hervorgerufen
durch eine Umwachsung von Seiten des ursprünglich als kleines,
dünnes Plättehen der Hinterseite anliegenden Schalenhäutchens, was
nunmehr der Larve das typische Aussehen der Molluskentrochophora
verleiht (Fig. 47 auf Taf. IV).
Ill. Die Ausbildung des Mesenchymmuskelgewebes.
In unserer Schilderung des Aufbaues der Larve haben wir die
Entstehung der im Inneren zerstreuten Muskel- und Bindegewebszellen
30 | Johannes Meisenheimer,
bisher noch kaum berührt, wir wollen dies jetzt in einem besonderen
Kapitel nachholen, entsprechend der Wichtigkeit des Gegenstandes.
Wir hatten den zweiten Somatoblasten verlassen, als er, aus ins-
sesammt vier Zellen bestehend sich in die Tiefe zu verlagern be-
gann. Sie stellen einen der wesentlichsten Bestandtheile des späteren
Muskelbindegewebes dar.
Doch ehe wir ihre Bedeutung weiter erörtern, müssen wir einen
Punkt aus ihrer früheren Entwicklung herausgreifen und wegen
seiner besonderen Bedeutung ausführlicher behandeln. Es handelt
sich um das Schicksal der beiden kleinen Zellen, welche von M nach
der ersten Bilateraltheilung abgegeben wurden. Von Unio, wo die
Verhältnisse ganz ähnlich liegen, vermuthet LıLLıE, dass diese Zellen
nachträglich ebenfalls in die Furchungshöhle einwandern, um Mesen-
chym zu liefern. Ich habe bei Dreissensia nicht den geringsten An-
haltspunkt für eine derartige Annahme gefunden, die fraglichen Zellen
schieben sich mitten zwischen die vegetativen Zellen hinein und gehen
in ihnen auf, ohne dass sie später noch zu unterscheiden wären.
Diese Ansicht findet eine Stütze in den Beobachtungen STAUFFACHER’S
an Cyclas. Hier bleibt bei der Abstoßung der beiden Urmesoderm-
zellen die eine Hälfte der Mutterzellen an der Außenseite liegen und
liefert Entoderm. Diese außen liegenden Zellen entsprechen genau
den kleinen Derivaten » von M, nur sind sie bei Uyclas bedeutend
mächtiger entwickelt. Dass sie freilich nicht allein das gesammte
Material zum Aufbau des Mitteldarmes liefern werden, in dieser An-
nahme muss ich LitLıe beistimmen.
LirLıe stützt sich bei seiner Vermuthung über das Schicksal der
beiden kleinen Zellen vor Allem auf die Beobachtungen WıLson’s an
Nereis, wonach eine ganze Anzahl derartiger kleiner Derivate von
M in das Innere verlagert werden, sich mit Pigment erfüllen und
einen Theil des splanchnischen Blattes liefern sollen. In einer neue-
ren Publikation erklärt jedoch Wırson selbst diese Darstellung für
irrthümlich, die betreffenden Pigmentzellen liefern vielmehr den hin-
teren Theil der Archenteronwand, an ihrer Bildung haben neben dem
zweiten Somatoblasten auch noch die Entoblasten Theil.
Im Übrigen sind diese Verhältnisse bei den Anneliden noch
durchaus nicht völlig aufgeklärt, zumal starke Variationen aufzutreten
scheinen. Einer der ältesten Beobachter dieser Vorgänge, v. WISTING-
HAUSEN, leitete aus den fraglichen Zellen als »unteren Urzellen des
Rumpfes« den vorderen Theil der Ventralseite ab. Die neueren
Beobachter sind in den meisten Fällen nicht völlig über sie ins Klare
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 31
gekommen, zumal diese Elemente häufig einen ausgesprochenen rudi-
mentären Charakter aufweisen, so bei Aricia foetida nach WILsoN
oder bei Amphitrite nach MEap. Wieder bei anderen (Polymnia) fehlen
sie gänzlich oder erreichen die gleiche Größe wie der zweite Somato-
blast selbst (Clymenella torquata).
Dass aber zweifellos der zweite Somatoblast nach seiner Bildung
durchaus noch nicht reines »Mesoderm« enthält, das tritt wohl nir-
sends klarer hervor als in den Beobachtungen CoNKLIx’s an Ürepi-
dula. Zweimal werden nach der ersten Bilateraltheilung von 47
größere Partien in Gestalt umfangreicher Zellen (primary and se-
condary Enteroblast) an das Entoderm abgegeben, erst dann ist die
völlige Sonderung vollzogen. Wie weit wir hier die Homologien
ziehen dürfen, ist bis jetzt schwer zu entscheiden, aber so viel ist
mit Sicherheit aus Allem zu entnehmen, dass der zweite Somato-
blast nach seiner Bildung noch fremde Bestandtheile zu enthalten
vermag.
Nach der Deutung der Befunde BLOCHMANN’s von Seiten CoN-
KLIN’s scheinen bei Neritina ähnliche Enteroblasten sich zu finden,
eben so bei Umbrella (CAarazzı), wenn auch Hrymons sie als Meso-
dermzellen in Anspruch nimmt. Bei Aplysia hat schließlich CArazzı
in neuester Zeit thatsächlich Enteroblasten nachgewiesen, die in Form
kleiner Zellen vom Mesoblast abgestoßen werden.
Ähnliche Vorgänge scheinen selbst bei Pulmonaten noch vorzu-
kommen. Während Koroı und ich bei Limax keine Spur von
derartigen Erscheinungen zu konstatiren vermochten, beschreibt HoL-
MES bei Planorbis die Bildung je einer kleineren Zelle von Seiten
der beiden Urmesodermzellen. Freilich erfolgt ihre Abschnürung erst
nach der Verlagerung ins Innere, ihr Schicksal ist unbekannt.
Was nun den zweiten Somatoblasten als reine Organanlage be-
trachtet angeht, so ist sein Auftreten außerordentlich weit verbreitet,
sowohl unter Mollusken wie Anneliden. Man hat diese Zellen des
zweiten Somatoblasten in der Regel als die »Urmesodermzellen« be-
schrieben und in ihnen die Anlage eines mittleren Blattes gesehen.
Verglichen mit dem ersten Somatoblasten ist die Übereinstimmung
beider in dem Modus ihrer Ausbildung ganz überraschend. Beide
leiten sich von dem Quadranten D ab, beide erleiden eine Bilateral-
theilung, geben sodann einige kleinere Derivate ab und theilen sich
wieder bilateral. Zwei Schemata werden die außerordentliche Über-
einstimmung beider noch schärfer hervortreten lassen:
392 Johannes Meisenheimer,
I. Somatoblast:
5 I;
> NE A NG
- NL Be 8%, &
RUND RE:
RG \y
II. Somatoblast: |
m m
M. De VG M
r DS VE Yan Ve
BMI H—M EL yM
Selbst die eigenthümliche Erscheinung, die wir bei späteren
Theilungen des ersten Somatoblasten beobachten, dass nämlich beide
Hälften in ihrer Theilung zeitlich etwas differiren, findet sich auch
bei dem zweiten Somatoblasten. HEyMons erwähnt es von Umbrella
und WIERZEJSKI von Physa.
Die Sonderung des zweiten Somatoblasten, d. h. also der »Ur-
mesodermzellen«, steht demnach in ihrer Eigenart durchaus nicht
ohne Parallele in anderen Zellkomplexen da, nichts berechtigt dazu,
sie als ein besonderes Keimblatt den übrigen Furchungszellen ent-
segenzusetzen. Beide Somatoblasten sind Organanlagen, beide bergen
in sich nach ihrer völligen Sonderung ganz bestimmte Organkomplexe,
die sie nun zur Entfaltung bringen. Und wie der erste Somatoblast
sich, um eben seine organbildende Leistung zu erfüllen, zu einer
sackförmigen Einstülpung umformt und sodann, sich wieder ausstül-
pend, die Schale abscheidet, so drängt sich der zweite Somatoblast
in das Innere des Keimes, um daselbst sich auflösend und überall
vertheilend zunächst eine Art Stützgewebe zu liefern, dann aber nach
den Erfordernissen der Larvenorganisation einerseits Muskeln, anderer-
seits Bindegewebe auszubilden.
Eine bedeutende Stütze würde diese soeben ausgesprochene An-
nahme erhalten, wenn es gelingen sollte, die bisher als typisch meso-
dermal aufgefassten Organe, Herz, Niere und Geschlechtsorgane
nämlich, auf gesonderte Anlagen, unabhängig von dem zweiten So-
matoblasten, zurückzuführen. Wir werden später sehen, dass dies
thatsächlich möglich ist, dass also die »Urmesodermzellen« nur Muskel-
und Bindegewebe liefern. |
Doch kehren wir von unseren theoretischen Erörterungen noch-
mals zur Beobachtung zurück. Der zweite Somatoblast ist nicht der
alleinige Bildner von Muskel- und Bindegewebe, noch andere Zellen
betheiligen sich am Aufbau derselben. Wir müssen, um sie kennen
zu lernen, auf ziemlich junge Stadien zurückgehen. Ein genaues
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 33
Studium einzelner dieser Stadien ergab, dass hier und da kleine
Zellen im Inneren des Furchungskeimes auftraten, deren Herkunft
leider nicht genau festzustellen war, die aber sicherlich ebenfalls
Muskel- und Bindegewebe lieferten. Auf einem noch recht jungen
Stadium, wie ich es in Fig. 36 dargestellt habe, fand sich im Inneren
des Furchungskeimes eine kleine Zelle (m,) vor, die ihrer Lage nach
nur von einer Ektodermzelle abgeleitet werden kann. Was sicher über
ihre Herkunft zu sagen ist, besteht in dem negativen Resultate, dass
sie nicht aus dem zweiten Somatoblasten durch Theilung hervor-
segangen sein kann, da eine solche mir kaum hätte entgehen
können, und da ferner die fragliche Zelle unpaar auf der einen Seite
liegt. Was jedoch das Auffallendste ist, diese kleine Zelle scheint
durchaus keine konstante Bildung zu sein; auf einer Reihe älterer
Stadien ist durchaus nichts von ihr wahrzunehmen, bis plötzlich auf
dem in Fig. 40 dargestellten Stadium eine ganz ähnliche Zelle wie-
derum aufzufinden war, von deren Herkunft ganz das oben Gesagte
gilt. Ganz ausgeschlossen ist nach ihrer Lage, dass etwa eines
der kleinen Theilprodukte von M dieselbe darstelle, sie muss viel-
mehr Theilen der älteren Ektodermgenerationen entstammen.
Ähnliche Erscheinungen wiederholen sich auf dem Stadium der
Gastrulation. So liegt auf dem Sagittalschnitt von Fig. 64 auf Taf. VI
über den Entodermzellen eine größere Zelle, die nicht den beiden,
paarweise an den Seiten des Keimes gelegenen Zellen des zweiten
Somatoblasten angehört, sondern anderer Entstehung sein muss. Ich
muss zu ihrer Erklärung noch ein anderes Stadium heranziehen, näm-
lich das von Fig. 42. Wir sehen hier an der seitlichen Wand des
Keimes eine größere Zelle (»n,) liegen, welche zum großen Theile von
den umgebenden Zellen überwachsen ist und beträchtlich ins Innere
der Furchungshöhle hineinragt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die
in Fig. 64 im Inneren angetroffene Zelle einer derartigen Zelle ent-
spricht oder mit ihr identisch ist. Ein Blick auf das Übersichtsbild
von Fig. 48 zeigt außerdem, dass die fragliche Zelle der zweiten
Ektodermgeneration angehören würde.
Ihr Auftreten im Inneren des Furchungskeimes scheint konstanter
zu sein als dasjenige der vorher erwähnten kleineren Zellen. Ich
sage »scheint«, und dieses hinzuzufügen, dazu zwingt mich die außer-
ordentliche Schwierigkeit, ja fast Unmöglichkeit einer völlig sicheren
Deutung der betreffenden Zellelemente auf vielen der gewonnenen
Präparate, seien es Schnittserien oder Totalansichten. Wir müssen
uns vergegenwärtigen, dass das Innere der Stadien, um die es sich
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 3
34 Johannes Meisenheimer,
hier handelt, fast völlig von Zellen der verschiedensten Bedeutung
und Herkunft angefüllt ist. Da haben wir zunächst die großen Zellen
der Schalendrüsenanlage, welche fast die gegenüberliegende Wan-
dung erreichen, sodann die Mitteldarmzellen, deren vordere Elemente
durch ihre frühzeitige Speeialisirung in Leberzellen scharf von den
übrigen abgehoben erscheinen, und endlich die Zellreihen des zweiten
Somatoblasten; man wird so verstehen, wie schwer in vielen Fällen
die Zugehörigkeit jeder einzelnen Zelle zu einem der betreffenden
Komplexe zu bestimmen ist. Dazu kommt noch, dass das Ektoderm zu-
weilen stark abgeflacht ist, zuweilen aber auch in Folge der sich immer
noch abspielenden, intracellulären Exkretionsprocesse ganz zerfetzt
und zerschlissen erscheint. Dies zur Begründung des obigen »scheint«.
Aber auch hiermit ist die Auswanderung einzelner Zellen aus
dem Epithelverbande zur Bildung von Muskel- und Bindegewebe noch
nicht erschöpft. Wenn auch vereinzelt, so finden sich doch selbst auf
späteren Stadien noch einzelne Hinweise für ähnliche Vorgänge. Ein
derartiges Beispiel führe ich in Fig. 72 auf Taf. VH an. Auf der
einen Seite sieht man deutlich eine dunkler gefärbte Zelle (mz) aus
dem Ektoderm sich ins Innere verlagern, und rings herum liegen ein-
zelne Zellen, die noch dicht an das Ektoderm angelagert sind. Die
Zellreihen des zweiten Somatoblasten sind bereits völlig aufgelöst.
Ehe wir über alle diese mannigfachen Erscheinungen ein zu-
sammenfassendes Urtheil abzugeben versuchen, wollen wir dieselben
oder ähnliche Vorgänge bei anderen, bisher genauer untersuchten
Formen näher betrachten, um in unserem Urtheile einen allgemeineren
Standpunkt zu gewinnen.
Alle diese Bildungen wurden in der Regel als »larvaler Meso-
blast« dem eigentlichen Mesoblast (M) entgegengesetzt. Am auffallend-
sten ausgeprägt erscheint derselbe bei Unio. Er leitet sich nach
LiLLıEe ab von «a.,, sinkt nach Abstoßung mehrerer kleinerer Ele-
mente in die Tiefe und theilt sich sodann bilateral.
Sehen wir uns bei anderen Formen um, so finden wir für Cyelas
zunächst etwas unsichere Angaben von ZIEGLER, der es nicht für
unwahrscheinlich hält, dass an bestimmten Stellen Mesenchymzellen
aus dem Ektoderm austreten können. Etwas ausführlicher sind die
Angaben STAUFFACHER’S für dieselbe Muschel. Die von ihm beobach
teten kleineren Zellen im Inneren der Furchungshöhle ähneln außer-
ordentlich den kleinen Elementen, die ich auf etwa gleichen Stadien
bei Dreissensia fand. Weiter will ich noch bemerken, dass STAUF-
FACHER außer diesen kleinen Zellen auf einem älteren Stadium (seiner
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 35
Fig. 32 auf Taf. XV) eine sich in die Furchungshöhle vordrängende
Ektodermzelle beschreibt, ohne diesem vereinzelten Vorkommen be-
sondere Bedeutung beizulegen. Sollten wir hier nicht einen der Vor-
sänge vor uns haben, die ich auch bei Dreissensia auf älteren Stadien
beobachtete? Auch Ray LANKESTER glaubt von Pisidium annehmen
zu müssen, dass auswandernde Zellen des Ektoderms Mesoblast liefern.
Endlich finde ich in einer mir nicht zugänglichen Arbeit von
SIGERFOOS (nach dem Referate in den Berichten der Station zu Neapel)
eine Angabe, wonach bei Pholas zu den Mesoblasten noch ein anderes
mesodermales Element vom Ektoblasten kommt.
Auch bei anderen Molluskengruppen ist ein »larvaler Mesoblast«
bereits nachgewiesen. Nachdem schon früher PArren von Patella
behauptet hatte, dass zur Zeit der Bildung der Urmesodermzellen
kleinere Zellen im Inneren der Furchungshöhle auftreten, deren Her-
kunft und Schicksal ihm unbekannt blieben und die unregelmäßig
aufzutreten schienen, hat ConkLın ganz neuerdings dieselben bei
Crepidula schärfer zu präecisiren vermocht. Er leitet den »larvalen
Mesoblast< aus einer radiären Anlage ab, nämlich aus drei der
zweiten Ektodermgeneration angehörenden Quadranten, a, ba, ©.
Sie bilden zerstreute Mesodermzellen und sollen die Myocyten von
Fuß, Kopfblase und Velum liefern. Ferner ist es WIERZEJSKI bei
Physa gelungen, einen ähnlichen »sekundären Mesoblasten« bis auf
das 24zellige Stadium zurückzuverfolgen; es entstammt jedoch hier
nicht der zweiten Generation, sondern der dritten, und zwar den
Quadranten d, und c,. Dieselben verlagern sich nach der Abgabe
von je drei Ektodermzellen ins Innere, um den vorderen Theil der
Mesodermstreifen zu bilden. Über ihre Beziehungen zu späteren Or-
sanen ließ sich nichts feststellen.
Diese Erscheinung, dass mehrere Ektodermgenerationen an der
Bildung des »Mesoblasten« betheiligt sind, findet sich jedoch nicht
ausschließlich bei den Mollusken, sondern auch bei Anneliden. Neuer-
dings gelang es WıLson, eine derartige, vom zweiten Somatoblasten un-
abhängige Anlage für Aricia wahrscheinlich zu machen. Ganz eigenthüm-
lich liegen jedoch die Verhältnisse des Mesoblasts bei Capitella nach
EısıG. Der eigentliche Mesoblast, der später zur Bildung der Mesoderm-
streifen verwandt wird, entsteht hier nicht aus dem zweiten Somato-
qlasten, sondern aus den Zellen c;.,; und d;.,, also aus der dritten Gene-
ration (Cölomseoblastanlagen), der zweite Somatoblast liefert dagegen
nur zum kleineren Theil larvalen Mesoblast (Pädomesoblastanlagen),
während seine Hauptmasse in der Bildung der Bauchplatte aufgeht.
B%
36 Johannes Meisenheimer,
Was lehren uns nun alle diese Erscheinungen? Sie zeigen uns,
dass neben dem zweiten Somatoblasten (d. h. also der »Urmesoderm-
zelle«) entschieden noch andere Elemente an dem Aufbau des Mesen-
chymmuskelgewebes betheiligt sind. Ausnahmslos entstammen die-
selben der zweiten oder dritten Ektodermgeneration. Nun wissen wir
aus den Beobachtungen Lang’s und Wırson’s an Polycladen, dass
dort die zweite und dritte Generation neben Theilen des Ektoderms
allein das Mesoderm liefern, während ein dem zweiten Somatoblasten
entsprechendes Gebilde völlig fehlt. Es liegt nahe, diese Verhältnisse
direkt mit denen der Mollusken und Anneliden in Beziehung zu
bringen, wie es Wırson bereits gethan hat. Es würden demnach
die obigen Erscheinungen als die letzten Spuren eines den Turbel-
larien sich nähernden Entwicklungsmodus anzusehen sein, der da-
durch verdrängt wurde, dass ein anderer Zellenkomplex, eben die
hintere Zelle der vierten Generation (d,), die Aufgabe der zweiten
und dritten übernahm, immer mehr dabei das Bestreben zeigend, die
ganze Anlage in sich zu vereinigen. Bei Limax scheint dies that-
sächlich erreicht zu sein, denn weder KoroIp noch ich vermochten
eine andere Mesenchymanlage neben dem zweiten Somatoblasten
aufzufinden, und ähnlich verhalten sich die Opisthobranchier.
Im Gegensatz hierzu zeigen die niederen Mollusken die Erschei-
nung, dass der zweite Somatoblast noch eine weniger scharfe oder
"doch wenigstens verhältnismäßig späte Sonderung erlangt hat. Das
erstere Verhalten finden wir, wenigstens nach den bisherigen Unter-
suchungen bei Patella und Dentalium, das letzte bei Chiton, für den
HEATH erst in neuester Zeit den Beweis erbracht hat, dass die
Makromere D auch hier in ihrer vierten Generation eine Urmesoderm-
zelle liefert, aber erst auf dem 72zelligen Stadium. Die erste Bilate-
raltheilung erfolgt auf dem 133- bis 149zelligen Stadium.
Endlich sei noch auf die eigenthümliche Sonderstellung hinge-
wiesen, die Paludina nach den Beobachtungen von TÖNNIGES einnimmt.
Das Mesoderm entsteht hier durch eine Auswanderung von Ektoderm-
zellen längs der Verschlussstelle des Blastoporus und löst sich bald
in eine lose Masse auf. Auch bei anderen Formen scheinen derartige
Vorgänge aufzutreten, ich erwähne nur Fusus, Natica und Vermetus.
Es ist recht schwierig zur Zeit anzugeben, ob dieser Process ein
primitives Verhalten darstellt, d. h. ob der zweite Somatoblast über-
haupt noch nicht ausgebildet worden ist, oder ob er eine sekundäre
Erscheinung ist, indem wieder eine Auflösung derselben stattgefun-
den hat. Die Angriffe Carazzı's gegenüber den Beobachtungen von
a
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 37
TönnıGzs halte ich durch die angeführten Gründe durchaus nicht für
genügend gerechtfertigt.
IV. Der Aufbau der Larve von Dreissensia im Vergleich mit der Ent-
wieklung der übrigen Mollusken, der Anneliden, Turbellarien und
Räderthiere.
Wir haben im Vorhergehenden geschildert, wie aus dem ein-
fachen, ungefurchten Ei durch eine Reihe mannigfacher Processe der
komplieirte Organismus der jungen Trochophoralarve hervorgegangen
ist. Alle diese Processe verliefen in einer ganz bestimmten Regel-
mäßigkeit, unsere weitere Frage ist nun die, in wie weit sich ver-
wandte Formen eben diesem gefundenen Schema anfügen, und in
wie weit entferntere und immer entferntere Gruppen dasselbe in ihrer
Entwicklung modifieirt erscheinen lassen. Mit den marinen Lamelli-
branchiaten also beginnend, werden wir von diesen auf unsere Süß-
wassermuscheln übergehen, an diese die Gastropoden und die primi-
tiven Molluskenformen anschließen. Weiter entfernen wir uns schon,
wenn wir sodann den Anneliden uns zuwenden, wo die Verbindungs-
fäden noch immer zahlreich hinüber und herüber laufen, fast ins
Dunkle hinein begeben wir uns aber, wenn wir die Turbellarien in
Angriff nehmen, und mit den Rotatorien dürften wir die äußerste
Zulässigkeit und Möglichkeit eines Vergleiches erreicht haben.
1. Mollusken.
Unter den Mollusken haben wir zunächst als die nächsten Ver-
wandten die marinen Lamellibranchier anzusehen, und demgemäß
beginnen wir mit ihnen unsere Betrachtung. Leider lassen alle bis-
herigen Untersuchungen einen allzu tief gehenden Vergleich, wenig-
stens betreffs der Zellfolge, noch nicht zu, theils sind die Beobach-
tungen unzureichend, theils auf irrthümlichen Deutungen der einzelnen
Zellen basirt.
Von den älteren Untersuchungen, die ich zum Theil völlig
übergehe, wie diejenige von BARROIS über Mytilus edulis und andere,
sind unstreitig die weitaus werthvollsten diejenigen Lovin’s. Aber
auch für sie gilt das oben Gesagte, ein näherer Vergleich würde
fruchtlos sein, nur einzelne markante Stadien lassen sich herauslesen.
Die ganz jungen Stadien lassen sich leicht identificiren, eben so tritt
auf vielen der älteren Stadien der erste Somatoblast deutlich hervor,
hier und da lässt sich auch die Abschnürung des einen oder anderen
seiner kleineren Derivate erkennen.
98 Johannes Meisenheimer,
Einen etwas schärferen Vergleich lässt erst die Entwicklung von
Teredo, wie sie von HATscHEk geschildert wurde, zu. Aber schon
von den allerersten Stadien an befindet sich Teredo nach HATSCHER’s
Darstellung im Widerspruch mit Dreissensia. So soll das zweizellige
Stadium mit seiner Längsachse genau in der späteren Sagittalebene
liegen, während es bei Dreissensia in schiefem Winkel dazu geneigt ist.
Sodann soll die größere Zelle successive eine ganze Reihe von Mikro-
meren abschnüren. Mit Rücksicht auf die immer wieder hervor-
tretende Ähnlichkeit einzelner Stadien mit den entsprechenden von
Dreissensia muss ich annehmen, dass die Furchung hier ganz dem-
selben Typus folgt, wie er von LILLIE für Unio zuerst genau präeisirt
wurde, und wie ich ihn bei Dreissensia wiederfand. Ich halte mich
desshalb für berechtigt, in der Deutung der Beobachtungen HATScHER’s,
die für ihre Zeit durchaus auf der Höhe standen, einige Berichti-
sungen vornehmen zu dürfen, wie sie der Fortschritt der Wissen-
schaften stets im Gefolge haben wird. Die große Zelle ist keine
Entodermzelle, sondern der I. Somatoblast, die Umwachsung von Seiten
der Ektodermzellen nur eine scheinbare. Was seine beiden Urmeso-
dermzellen betrifft, so mögen sie auf den späteren Stadien wohl
den entsprechenden Gebilden des zweiten Somatoblasten von Dreis-
sensia gleich zu setzen sein, auf den jüngeren haben sich sicherlich
öfter Verwechslungen mit anliegenden Zellen eingeschlichen. Auch
die Achsen des Kernes sind, auf Obigem basirend, falsch gezogen,
die Verschiebungen zwischen animalem und vegetativem Pole sind HAT-
SCHER entgangen, seine »ventrale Seite« ist die hintere, und umge-
kehrt die hintere in Wirklichkeit die ventrale, seine »dorsale Seite«
ist die vordere, und umgekehrt wieder letztere die dorsale. Die Bil-
dung des Mitteldarmes durch die Gastraleinstülpung wird von ihm
überhaupt nicht geschildert, das junge Stadium seiner Fig. 14 stellt
wahrscheinlich die Gastrula dar, die große »Entodermzelle« im Inneren
muss dann mit der Schalendrüseneinstülpung in Verbindung stehen,
oder stellt dieselbe selbst zum größten Theile dar. Auf Fig. 16 und 17
scheint mir eher der Process der Wiederausstülpung der Schalendrüse
dargestellt zu sein als ihre Einstülpung. Das in Fig. 18 erreichte
Stadium gleicht dann im Wesentlichen dem entsprechenden von
Dreissensia, nur die Darstellung der Mesodermverhältnisse erscheint
mir etwas stark schematisirt. Bei Dreissensia ist von einer derartigen
regelmäßigen Anordnung der Derivate des zweiten Somatoblasten nichts
mehr wahrzunehmen, sondern Muskel- und Mesenchymgewebe beginnt
sich bereits zu sondern.
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 39
Ich breche hier den Vergleich mit Teredo ab, um an dieser Stelle
bei der Organbildung wieder anzuknüpfen. Die mancherlei Ver-
schiedenheiten, die ich oben hervorgehoben habe, glaube ich direkt
auf irrthümliche Beobachtung und Deutung zurückführen zu müssen,
und so eine weitgehende Übereinstimmung beider Formen annehmen
zu dürfen, zumal die Ähnlichkeit auf einzelnen Stadien stets wieder
‚durehblickt und namentlich auch das Endprodukt ein so außerordent-
lich ähnliches ist. Und endlich giebt SIGERFOOS auch von Pholas
truncata an, dass das 16- und 1’7zellige Stadium völlig dem von
Lituıe bei Unio beschriebenen gleiche.
In dieser kritischen Beurtheilung der Befunde HATScHEXR’s werde
ich noch bestärkt durch die frappante Ähnlichkeit, welche Ostrea aut
gewissen Stadien mit Dreissensia aufweist. Es handelt sich um die
Untersuchungen von Horst. Von der Furchung freilich ist auch hier
nur wenig zu sagen, er bildet deutlich den ersten Somatoblast ab,
hält ihn freilich ebenfalls irrthümlich für die Mutterzelle von Ento-
derm und Mesoderm. Sehr genau sind dagegen von ihm die Aus-
bildung von Mitteldarm und Schalendrüse dargestellt worden. Seine
Abbildungen lassen unverkennbar eine weitgehende Übereinstimmung
mit Dreissensia hervortreten, wofern an denselben wieder einige
Korrekturen vorgenommen werden. Es handelt sich diesmal um eine
direkte Verwechslung von Mitteldarm- und Schalendrüsenanlage. Ent-
schieden ist auf seiner Fig. 8 die mit o bezeichnete Einstülpung nicht
die Gastraleinstülpung, sondern die Schalendrüsenanlage, und das
Umgekehrte gilt von der durch s% gekennzeichneten Vertiefung. Die
Schalendrüsenanlage ist durch ihre großen Zellen ganz unverkennbar,
und nach dieser Korrektur ist die erwähnte Zeichnung völlig identisch
mit meiner Fig. 64 auf Taf. VI. Schwieriger ist auf seinen Figg. 10
und 12 zu entscheiden, was wirklich Mitteldarm- und was Schalen-
drüsenanlage ist, da die histologischen Details nicht hervorgeho-
ben sind, trotzdem glaube ich in Fig. 12 wieder d (Darm) mit s%
(Schalendrüse) vertauschen zu müssen, in Folge des bedeutenderen
Umfanges der Schalendrüse auf diesen Stadien. Eine Reihe von
Zwischenstufen fehlt endlich, bis das in Fig. 15 dargestellte Stadium
erreicht wird, demgemäß lässt Horsr direkt aus dem Blastoporus
den Mund hervorgehen, ohne dass es vorher zu einem Verschlusse
käme. Wir haben hiermit das gleiche Stadium erreicht, bei dem wir
bei Teredo abbrachen, wir werden also ebenfalls an dasselbe später
wieder anknüpfen.
Weit mehr ins Einzelne hinein, als es bei den marinen Lamelli-
40 Johannes Meisenheimer,
branchiern der Fall war, lässt sich ein Vergleich mit den Unioniden
durchführen, Dank der genauen Untersuchungen LiLLir’s. Da seine
Arbeit alle früheren zusammenfassend berichtigt und endlich völlige
Klarheit in diese so oft untersuchten Vorgänge gebracht hatte, so
brauche ich mich in eine Diskussion der früheren diesbezüglichen
Abhandlungen nicht mehr einzulassen, wenigstens was die jüngeren
Entwicklungsstadien angeht, bei der Organbildung werden wir auch
sie in weitgehendem Maße zu berücksichtigen haben.
Dreissensia gleicht Unio völlig darin, dass die Furchung außer-
ordentlich unregelmäßig verläuft, in keinem Quartett theilen sich
sämmtliche Quadranten gleichzeitig. Bei Dreissensia hat die Fur-
chung noch nicht ganz das Extrem erreicht, welches Unio aufweist,
so theilt sich das zweizellige Stadium in der Regel noch gleichzeitig,
oder auf dem Übergang vom fünf- zu dem achtzelligen Stadium A,
B und C ebenfalls gleichzeitig. Im Übrigen gilt aber als Regel,
dass D vorauseilt, sodann die beiden Seiten sich anschließen und
endlich B als letzte Zelle in der Theilung folgt. Der Typus der
Furchung lässt also bei beiden Formen ein durchaus gleiches Ver-
halten erkennen, völlig verschieden bei beiden ist aber die Art und
Weise, wie derselbe in der zeitlichen Aufeinanderfolge der Bildung
einzelner Komplexe verfährt.
Um kurz den Hauptunterschied in der Entwicklung beider For-
men hervorzuheben, so handelt es sich um ein starkes Überwiegen
der ersten Ektodermgeneration bei Dreissensia gegenüber einem
gleichen Verhalten der zweiten Generation bei Unio. Diese Ver-
schiedenheit ist zurückzuführen auf die tiefgreifenden Veränderungen,
welche die Larve von Unio gegenüber der Trochophoralarve erlitten
hat, sie ist eine direkte Folge dieser ursprünglich auf weit späteren
Stadien vollzogenen Veränderungen. Begründen wir diesen Satz nun
im Einzelnen.
Schon auf dem Übergange vom neun- zum sechzehnzelligen Sta-
dium tritt ein Überwiegen des unteren Poles gegenüber dem oberen
bei Unio hervor, indem die vegetativen Zellen sich zuerst theilen,
bei Dreissensia verhalten sie sich, zum wenigsten in der Mehrzahl
der Fälle, umgekehrt. Noch mehr tritt dieses verschiedene Verhalten
auf den nächsten Stadien: hervor. Bis zum 26zelligen Stadium sehen
wir bei Dreissensia die acht Zellen der ersten Ektodermgeneration
bereits vollständig wieder getheilt, bei Unio beginnen dieselben ihre
neue Theilung nach dem 27zelligen Stadium und vollenden dieselbe
erst auf dem 4özelligen Stadium, wo bei Dreissensia sich ihre Zahl
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 4]
bereits auf 25 vermehrt hat. Zum Ausgleiche besitzen dagegen die Zellen
der zweiten Ektodermgeneration bei Unio ein Übergewicht gegenüber
Dreissensia. Dieselben bestehen bei ersterer Muschel auf dem 38zelli-
sen Stadium bereits aus zwölf Zellen, einschließlich des larvalen
Mesoblasts und ausschließlich des ersten Somatoblasten, bei Dreissensia
dagegen erst aus vier Zellen, ebenfalls ausschließlich des ersten So-
matoblasten. Die Theilungen dieser zweiten Generation erfolgen bei
Unio verhältnismäßig regelmäßig auf einander, bei Dreissensia weisen
sie den unregelmäßigsten Verlauf aller Theilungskomplexe auf. Die
erste Neutheilung (von c,) findet statt nach dem 27zelligen Stadium,
die zweite und dritte («, und d,) erst nach dem 42zelligen Stadium,
bei Unio theilen sie sich gleichmäßig nach dem 18zelligen Stadium.
Eine einfache Tabelle mag uns das eben Erläuterte nochmals klar
vor Augen führen. Es besitzen auf dem 46zelligen Stadium von der:
| Dreissensia Unio
I. Ektodermgeneration 25 16
(II. Ektodermgeneration | 6 10-2 (larv. Mesobl.)
\I Somatoblast | 6 7
II. Ektodermgeneration | 4 5
II. Somatoblast 1 2
Vegetative Zellen | 4 4
6
oa 4
Dieses verschiedene Verhalten der beiden ersten Ektodermgene-
rationen übt naturgemäß seinen Einfluss auch auf die zeitliche Folge
der übrigen Theilungskomplexe aus, derart, dass z. B. die erste Bi-
lateraltheilung des ersten Somatoblasten bei Unio auf weit jüngeren
Stadien sich vollzieht als bei Dreissensia, oder dass der zweite So-
matoblast M bei Unio sich bereits nach dem 27zelligen Stadium aus-
bildet, bei Dreissensia erst nach dem 42zelligen. Diese Unterschiede
haben an sich keine Bedeutung, es sind nur die unmittelbaren Folgen
des verschiedenen Verhaltens der Ektodermgenerationen. Denn im
Übrigen stimmen die Theilungen der beiden Somatoblasten völlig bei
beiden Formen mit einander überein, hier wie dort erfolgt vom ersten
Somatoblast zunächst das Abstoßen vier kleinerer Derivate in ganz
entsprechenden Richtungen, dann die Bilateraltheilung, und nach der-
selben die erneute Abschnürung von z;, worauf wieder Bilateralthei-
lungen folgen. Und selbst die Eigenthümlichkeit, dass bei der zweiten
Bilateraltheilung rechte und linke Seite sich nicht ganz gleichzeitig
theilen, findet sich bei Unio, wiederholt sich aber bei Dreissensia auch
noch bei der dritten Bilateraltheilung. Das Schema der Theilungen des
42 Johannes Meisenheimer,
ersten Somatoblasten, welches LILLiE für Unio angegeben hat, gilt
völlig auch für Dreissensia.
X3
N, BR
Se
x VAN X
TESTEN
3 L5XaX5
Auch das Verhalten des zweiten Somatoblasten zeigt volle Überein-
stimmung bei beiden Formen, er ist in einem besonderen Kapitel
bereits früher behandelt worden.
Bildung von Mitteldarm und Schalendrüse vollziehen sich bei
Unio in ähnlicher Weise wie bei Dreissensia. Mit der mächtigen
Ausbildung der Schalendrüse kontrastirt bei Unio scharf die wenig
umfangreiche Anlage des Darmes. Der ursprünglich weite Blasto-
porus verschließt sich ebenfalls unter einer Verschiebung von hinten
nach vorn. LitLLıe führt diese Verschiebung allein auf eine starke
Ausdehnung der Ventralplatte zurück, ich habe oben dargelegt, dass
die Ausstülpung der Schalendrüse diese Verschiebungen nicht un-
wesentlich unterstützt.
Wiederum brechen wir hier mit dem Vergleiche ab, um später
an diese Stelle wieder anzuknüpfen.
Unter den Lamellibranchiern bleiben uns endlich noch die Cyela-
diden zu betrachten übrig. Von Pisidium ist aus den älteren Arbeiten
betreffs Einzelheiten wenig oder nichts zu ersehen, genauer untersucht
ist dagegen Uyelas. Die älteren Arbeiten über diese Muschel kann
ich übergehen, von den neueren hat ZIEGLER mehr der Organogenese
seine Aufmerksamkeit zugewandt, STAUFFACHER dagegen die Furchung
ins Einzelne hinein verfolgt. Sehr auffallend ist, dass hier nach
seiner Darstellung ein anderer Furchungstypus auftritt, als bei sämmt-
lichen bisher betrachteten und auch noch zu betrachtenden Mollusken.
Bisher verlief bei aller Unregelmäßigkeit der Furchungsmodus stets
derart, dass die Vermehrung der Furchungskugeln sich nach der
Reihe 2...4...8...16...32 ete. vollzog. Vier vegetätive Zellen
bildeten stets die Grundlage der späteren Mitteldarmeinstülpung, hier
vertritt ihre Stelle nur eine einzige, sehr große Zelle, welche succes-
sive eine Reihe von Mikromeren abgiebt, die sich sodann nach ihrer
Abschnürung von Neuem theilen. Ein erster Somatoblast ist nicht
entwickelt, also eine ganze Anzahl tiefgreifender Unterschiede. Diese
Unterschiede lassen sich kurz in zwei Schemata bringen, wobei die
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 43
stärker gezogenen Linien die vegetativen Zellen bezeichnen, die
schwächeren die Ektodermzellen.
Dreissensia:
Fa
ve ARE
a
SU ae
= : \
nen:
N %
S N
ee
I a
N
Cyelas:
„ ur/
el S
= W <
N ES >
ar S
N a
ARE "
EINE % x
Bildung von Schalendrüse und Mitteldarm gewinnen auf späteren
Stadien wieder mehr Ähnlichkeit mit den entsprechenden Stadien der
übrigen Lamellibranchiaten. Der langgestreckte Blastoporus verengt
sich nach ZIEGLER und schnürt sich schließlich völlig ab, ähnlich wie bei
Pisidium nach Ray LANKESTER, immer bleibt aber die Darmanlage
eng dem Ektoderm anliegend.
Als zweite, weil am genauesten untersuchte Klasse, wählen wir
zum Vergleiche die Gastropoden und unter diesen speciell zunächst
die Prosobranchier.
Um den Vergleich möglichst übersichtlich durchführen zu können,
greife ich die am genauesten untersuchte Form heraus, Crepidula
(Con&kLin), die älteren Arbeiten nur gelegentlich vergleichsweise
heranziehend.
Die Furchung der Prosobranchier unterscheidet sich von derjeni-
44 Johannes Meisenheimer,
gen der Lamellibranchiaten vor Allem durch ihre Regelmäßigkeit,
jedes Quartett lässt seine Quadranten völlig oder nahezu völlig gleich-
zeitig theilen. Alle vier Makromeren, die sich meist durch besondere
Größe und Dotterreichthum auszeichnen, sind gleich groß, im Übrigen
entsprechen sich zunächst 4, 8 und 16zelliges Stadium völlig. Ein
wichtiger Unterschied tritt aber doch schon auf diesen Stadien
auf, die Bildung des ersten Somatoblasten unterbleibt, die entspre-
chende Zelle zeigt nichts Außergewöhnliches, weder in Lage noch in
Größe. Höchstens lassen sich einzelne Derivate von d, mit denen des
ersten Somatoblasten vergleichen, wie es CONKLIN versucht, später
finden sich an der entsprechenden Stelle einige mehr oder weniger
regelmäßige Zellreihen, die Fuß und Schalendrüse den Ursprung
geben. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass alle drei Ekto-
dermgenerationen sich ziemlich gleichmäßig weiter theilen, ohne zu-
nächst die eine oder die andere besonders zu bevorzugen. Ein Ver-
gleich des 52zelligen Stadiums von Crepidula mit dem S4zelligen von
Dreissensia wird uns dies klar zeigen.
| Crepidula Dreissensia
I. Ektodermgeneration | 15 I)
II. Ektodermgeneration | 16 7 +8 (l. Somatoblast)
III. Ektodermgeneration 8 | 4
IV. Generation (Mesobl. + Ent.) 9 | 2
Vegetative Zellen 4 4
| 52 | 54
Aber bald macht sich sehr stark ein Überwiegen der zweiten Ekto-
dermgeneration geltend. So besitzt auf dem 88zelligen Stadium Cre-
pidula nur 25 Zellen der ersten Ektodermgeneration, dagegen 32 der
zweiten Ektodermgeneration, und dies hat seinen Grund darin, dass
bei Crepidula der Hauptbestandtheil des Velums von der zweiten
Generation geliefert wird. Von der ersten treten nur die turret-cells
in die Bildung des Velums ein, oder doch wenigstens zum Theil, es
sind die Zellen «,., bis d,.,, die Hauptmasse aber liefert die zweite
(Generation und möglicherweise selbst noch Theile der dritten. Hier-
durch ist ein charakteristischer Unterschied gegen Dreissensia ge-
wonnen, wo gerade die Zellengenerationen, denen auch die turret-cells
der Prosobranchier angehören, die Hauptmasse des Velums bilden. Die
weiteren Theilungen der Zellen des animalen Poles mit denen von
Dreissensia vergleichen zu wollen, würde ein fruchtloses Unternehmen
sein, da die eigenthümlichen regelmäßigen Bildungen, zu denen sich
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 45
die Zellen der ersten Generationen anordnen, bei Dreissensia nicht
hervortreten. Diese sog. Kreuzarme finden sich bei fast allen Gastro-
poden, bei Chiton, bei Prosobranchiern, Opisthobranchiern und Pul-
monaten, und weiterhin auch bei den Anneliden, ohne dass jedoch
die ähnlichen Bildungen überall und in allen Gruppen einander völlig
homolog wären. ER
Die Furchung der Opisthobranchier, bei denen ich mich im
Wesentlichen an die Umbrella-Entwicklung von HEYMoNns und die
Aplysia-Entwicklung von Carazzı halte, schließt sich außerordentlich
eng an die der Prosobranchier an. Sie zeichnet sich ebenfalls durch
eine sehr weitgehende Regelmäßigkeit aus, die drei Ektodermgene-
rationen folgen unmittelbar in ihrer Bildung (bei Aplysia und Thetys
fimbriata greift die Theilung der zweiten Generation in die Bildung
der dritten hinein) auf einander, um sich dann eben so gleichmäßig
weiter zu ‚theilen, bis dann bei der zweiten Theilung die zweite das
Übergewicht gewinnt und den übrigen vorauseilt, ganz wie bei Crepi-
dula. Eine Tabelle wird uns dieses wieder erläutern, indem ich das
5özellige Stadium von Umbrella und Aplysia mit dem S4zelligen von
Dreissensia vergleiche.
| Dreissensia | Umbrella Aplysia
I. Ektodermgeneration | 29 12 12
II. Ektodermgeneration ı 1507 +98 24 24
III. Ektodermgeneration | 4 10 10
IV. Generation (Mesobl. + Ent.) | 2 a pe)
Vegetative Zellen | 4 + 4
NR 55 55
Der erste Somatoblast fehlt ebenfalls, die Zelle d, ist in nichts
von dem übrigen Quadranten der zweiten Generation verschieden.
Dass auch hier am animalen Pole regelmäßig geformte Felder auf-
treten, erwähnte ich schon, sie näher zu diskutiren, ist für uns be-
deutungslos.
Es bleiben uns endlich von den Gastropoden noch die Pulmo-
naten zu betrachten übrig. Am eingehendsten sind wir über diese
Gruppe in einem vorläufigen Berichte von HorLmes über Planorbis
trivolvis unterrichtet. Enger Anschluss an die Prosobranchier lässt sich
auch hier sofort wahrnehmen, bestehend in sehr gleichmäßiger, regel-
mäßiger Theilung aller drei Ektodermgenerationen. Ein bemerkens-
46 Johannes Meisenheimer,
werther Charakterzug der Furchung von Planorbis ist das frühe Her-
vortreten der Trochoblasten a,., bis d,.,, also der turret-cells von
Crepidula. In der Theilung eilt sodann die zweite Generation der
ersten etwas voraus, wird jedoch bald von der ersten im Wesentlichen
in Folge der frühen Theilung der turret-cells wieder eingeholt, so
dass so große Differenzen, wie bei Crepidula, nicht auftreten. Trotzdem
liefert aber auch hier die zweite Ektodermgeneration, bis auf die
oben erwähnten Trochoblasten ,.,, vollständig das Velum. Die dritte
Generation bleibt von seiner Bildung ganz ausgeschlossen. Auch
Planorbis lässt auf späteren Stadien am animalen Pol die Kreuzarme
hervortreten und zeigt darin wiederum ihre Übereinstimmung mit den
Prosobranchiern, welche am klarsten in einer Tabelle ihren Ausdruck
finden:
| Planorbis Crepidula | Dreissensia
I. Ektodermgeneration ln 15 25
II. Ektodermgeneration to 16 15
Ill. Ektodermgeneration | fe) 6) 4
IV. Generation (Mesobl. + Ent.) | 3+2(M.) 6 1(M.)
Vegetative Zellen er rt Se
| 49 | 49 | 49
Ein erster Somatoblast fehlt ebenfalls.
Eng an Planorbis schließt sich Limax an, die völlige Unter-
drückung des Velums hat hier die Gleichmäßigkeit der Furchung
nicht beeinträchtigt, das 48zellige Stadium setzt sich aus genau den
gleichen Zellen zusammen wie bei Planorbis.
Kurz erwähnen will ich schließlich von den Gastropoden noch
die Pteropoden und Heteropoden. Die Untersuchungen sind hier
entsprechend den Anforderungen der Jetztzeit noch wenig vorge-
schritten, so dass ein ins Einzelne gehender Vergleich zunächst noch
unmöglich ist. Neben den älteren Arbeiten FoL’s haben wir eine
neuere Untersuchung von Kxipowirsch über Clione, dieselbe be-
schränkt sich aber fast ganz auf Gastrulation und Mesodermbildung.
In neuester Zeit endlich hat Carazzı einige kurze Mittheilungen über
die Entwicklung von Pneumodermon gegeben, wonach sich die Fur-
chung der Pteropoden sehr stark derjenigen der Opisthobranchier an-
schließt.
Indem wir uns nun den primitiveren Mollusken zuwenden, wollen
wir zunächst Chiton ins Auge fassen. Die ältere Darstellung von
' Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 47
KOWALEWSKY ist zu einem näheren Vergleiche nicht ausreichend, es
scheint nur so viel daraus hervorzugehen, dass der Prototroch aus
der zweiten Hälfte der ersten Ektodermgeneration seine Entstehung
nimmt. Genauer sind die Untersuchungen MErcALr’s, es kommt nach
demselben ebenfalls zur Ausbildung der charakteristischen Rosetten
und Kreuze, doch ist auch von ihm Herkunft und Schicksal der ein-
zelnen Komplexe noch nicht genügend festgestellt. Erst HEATH ver-
danken wir in neuester Zeit eine genaue Feststellung der Zellfolge
von Ischnochiton. Im Großen und Ganzen spricht sich darin eine be-
deutende Übereinstimmung mit den Prosobranchiern aus. Das Velum
wird zum größeren Theile aus Zellen der ersten Ektodermgeneration
(a. und a...) geliefert, dazu treten aber noch einzelne Komplexe
der zweiten Generation. Der erste Somatoblast tritt eben so wenig
wie bei den Prosobranchiern schärfer abgegrenzt hervor, sehr scharf
dagegen die Kreuzbildungen des animalen Poles.
Nähert sich Chiton mehr dem Gastropodentypus, so zeigen die
Solenogastren (Dondersia) nach den Untersuchungen Pruvor’s mehr
den Furchungstypus der Lamellibranchiaten, wenigstens auf den jün-
geren Stadien. Das vierzellige Stadium besteht aus einer großen und
drei kleineren Zellen, das achtzellige geht aus der Theilung dieser
vier hervor und besteht also aus sieben kleinen und einer großen
Zelle. So weit reicht die Übereinstimmung, nun soll sich die große
Zelle in zwei gleich große Hälften theilen und das Entoderm dar-
stellen, während die übrigen Zellen sich normal weiter theilen. Eine
Invaginationsgastrula führt sodann den Furchungskeim in die Larve
über, von der später noch die Rede sein wird.
Nieht minder dürftig sind die Angaben über die Furchung von
Dentalium. Ein vierzelliges Stadium tritt auf, welches dem der La-
mellibranchiaten gleicht, auch einzelne spätere Stadien erinnern an
dieselben, aber im Einzelnen ist das Schicksal der verschiedenen Zell-
komplexe noch viel zu wenig aufgeklärt.
2. Anneliden,
Gegenüber dem abweichenden Verhalten von Gastropoden und
Lamellibranchiaten sind um so auffallender die Beziehungen zwischen
letzteren und den Anneliden. Der Gefahr einer Überschätzung von
Ähnlichkeiten in Rücksicht auf phylogenetische Spekulationen wohl
bewusst, ist es mir dennoch ganz undenkbar, in den gegenseitigen
Beziehungen beider Gruppen, die im Folgenden aus einander zu setzen
sind, nichts weiter als Konvergenzerscheinungen zu sehen, zumal die-
48 Johannes Meisenheimer,
selben sich bis in die minutiösesten Einzelheiten hinein verfolgen
lassen, auf der anderen Seite freilich auch wieder Sonderheiten zei-
sen, die auf eine in späteren Stadien allmählich immer schroffer
werdende Divergenz zurückzuführen sind. Als Grundlage für einen
Vergleich wählen wir die Nereis-Entwicklung von WıLson, ohne
dabei die neueren Arbeiten auf diesem Gebiete zu vergessen.
Auch bei den Anneliden ist in der Mehrzahl der Fälle der Typus
der Furchung ein durchaus regelmäßiger, ein 4-, 8-, 16- ete. zelliges
Stadium folgen mehr oder minder genau auf einander. Das Extrem
in dieser Hinsicht erreichen nach MEeAD Amphitrite und Clymenella,
wo die nahezu mathematische Regelmäßigkeit sich bis zum 64zelligen
Stadium fortsetzt, noch übertroffen von Lepidonotus, dessen 64zelliges
Stadium völlig radiären Bau aufweist. Daneben kommen jedoch
auch Formen von zeitlich sehr unregelmäßigem Typus vor, wie Ca-
pitella nach Eiısıc.
Betreffs der zeitlichen Folge der einzelnen Ektodermgenerationen
herrscht eine außerordentliche Übereinstimmung zwischen Nereis und
Dreissensia. Die erste Ektodermgeneration eilt ebenfalls den übrigen
voraus, es drückt sich dies schon auf jüngeren Stadien aus, von
denen wir einige zum Vergleiche neben einander stellen wollen.
| Nereis Dreissensia | Unio
JE ne | 16
II. Ektodermgeneration 3 :
\ I. Somatoblast 2 4
III. Ektodermgeneration 4 4
Vegetative Zellen 4 h | 4
| 27
| 29 29
Noch mehr ausgeprägt ist dieses Verhalten auf späteren Stadien,
wir brauchen nur die drei Ektodermgenerationen auf dem 58zelligen
Stadium von Nereis dem S’zelligen von Dreissensia gegenüberzu-
stellen.
| Nereis | Dreissensia
I. Ektodermgeneration | 36
II. Ektodermgeneration 12
III. Ektodermgeneration 4 |
Dieses Verhalten gewinnt dadurch eine tiefere Bedeutung, dass bei
Nereis ganz wie bei Dreissensia die Zellen der ersten Ektoderm-
generation im Wesentlichen den Prototroch liefern. Wir sahen, dass
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 49
bei Dreissensia die Velarzellen sich im Wesentlichen aus den Zell-
generationen ;.ı.ı und ,...„ herleiteten, wobei freilich eine geringe
Antheilnahme von Zellen der zweiten Generation nicht ausgeschlossen
erschien. Bei Nereis leitet Wırsow den primären Prototroch aus
den gleichen Zellgenerationen ab, wobei er nur die Zellen 1.1.2.2 ZU-
nächst von seiner Bildung ausschließt; vermuthungsweise äußert er,
dass auch ,..., und ,.9., (intermediate girdle cells) daran Theil hätten,
‘indem sie in der Bildung einer zweiten, schmäleren Zellenreihe auf-
sehen. Ergänzende Untersuchungen von MEAD an Anneliden haben
indessen dargethan, dass dennoch die ganze Generation .., an der
Bildung des Prototrochs Theil hat, dass ferner bestimmt einige Zell-
komplexe der zweiten Ektodermgeneration, nämlich a—.cy.,., und
d—Cy.].9 dabei betheiligt sind, indem sie die Lücken zwischen den
Quadranten der ersten Generation ausfüllen. Dessgleichen gehen bei
Capitella nach EısıgG wenigstens alle Zellen der Generation ,., in den
Prototroch über.
Interessant ist es, dass wir analoge Fälle von der Unterdrückung
des Prototrochs und mithin verlangsamte Theilung der Ektoderm-
generationen auch unter den Anneliden antreffen. Bei Chaetopterus,
dessen Prototroch nicht ausgebildet ist, theilen sich nach MEAD die
Prototrochzellen anormal und fehlen die charakteristischen Bildungen
am animalen Pole völlig.
Die weiteren Bildungen am animalen Pole in Form der Rosetten-
zellen und der Kreuzarme, die bei den meisten Anneliden auftreten,
fehlen, wie gesagt, bei Dreissensia, und hierin liegt ein starker
Gegensatz zu den ersteren. Direkt nach dem 32zelligen Stadium er-
folgt die Bildung der Rosette-cells bei Nereis. Bei Dreissensia gehen
die entsprechenden Theilungen erst auf dem 42zelligen Stadium
(dı.;) und auf dem S4zelligen Stadium {a,.3, d4.3, €.) vor sich, auch
ist Richtung der Abspaltung, sowie definitive Lagerung der Tochter-
zellen eine völlig verschiedene. Auch auf späteren Stadien war keine
Spur ähnlicher Gebilde aufzufinden.
Wir kommen nun zu der Besprechung des ersten Somatoblasten.
Bei Nereis macht derselbe, wenn auch von etwas geringerem Umfange,
zunächst ganz dieselben Theilungen durch, d. h. er giebt drei klei-
nere Derivate, zwei nach rechts und links unten und eins nach oben,
ab. Sodann erfolgt die erste Bilateraltheilung. Unio und Dreissensia
weisen dagegen vor derselben noch eine vierte spiralige Theilung auf,
und zwar nach unten zwischen x, und z,. Eine höchst eigenthüm-
liche Beziehung zeigt nun Dreissensia zu Nereis in so fern, als die
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 4
50 Johannes Meisenheimer,
Spindel zu x, sich völlig bilateral zunächst einstellt und dann erst
eine Drehung in der Richtung der späteren Abschnürung von x, er-
fährt. Sollte dies ein Hinweis darauf sein, dass ursprünglich auch
bei den Lamellibranchiern nur drei Derivate vor der Bilateraltheilung
abgestoßen wurden? Die Antwort ist für diesen einzelnen Fall
schwer zu geben.
Im Übrigen entspricht jedoch die nächste Theilung von X bei
Nereis, welche zur Abschnürung von x, führt, der Lage nach durch-
aus z, von Dreissensia und Unio, wie das neben-
23 stehende Schema zeigt. Die nächste Theilung weicht
N Ale — x in ihrer Richtung jedoch bereits von Dreissensia ab,
4 X und diese Abweichung prägt sich auf den späteren
amt Stadien immer mehr aus, indem nunmehr die spä-
teren Organe, die aus diesen Zellkomplexen sich
herleiten, deutlicher ihren Einfluss geltend machen. Bei Nereis
folgen noch zahlreiche Theilungen, welche den Somatoblasten in die
umfangreiche Ventralplatte überführen, bei Dreissensia erfolgt eine
scharfe Scheidung in die Schalendrüse auf der einen Seite, welche
nach Abschnürung von z; den ganzen Rest des ersten Somatoblasten
für sich beansprucht, und in die Ventralplatte andererseits, welche
nun ebenfalls eine starke Vergrößerung erfährt.
Während x, bei Dreissensia in der Masse der anliegenden Ekto-
dermzellen verschwindet, ohne dass eine besondere Bildung aus ihr
abzuleiten wäre, soll bei Nereis z, (im Vereine mit z,?) die dorsale,
mittlere Region des Körpers liefern, während die beiden Theile der
eigentlichen Ventralplatte aus einander und ventralwärts rücken.
Außerdem sollen noch aa.,, da. und ca.;, Antheil an der Bildung der
seitlichen dorsalen Körpertheile haben. In einer neueren Unter-
suchung weist MEAp jedoch diese Darstellung als einen Irrthum zu-
rück, die ganze dorsale Körperhälfte wird vom ersten Somatoblasten
geliefert. Im Übrigen verhält sich der Somatoblast von Amphitrite,
um welchen Anneliden es sich hier handelt, in Bezug auf Anordnung und
Reihenfolge der Theilungen des ersten Somatoblasten recht verschieden
von Nereis, auf sie einzugehen, ist hier nicht unsere Aufgabe. Ca-
pitella dagegen zeigt nach Eısıg im Wesentlichen eine Übereinstim-
mung mit Nereis, wenn auch im Einzelnen Besonderheiten auftreten,
so vor Allem in der außerordentlich frühen Differenzirung des ersten
Somatoblasten. Beziehungen mit den übrigen Annelidengruppen (Oligo-
chäten und Hirudineen) sind überhaupt nicht mehr vorhanden, da diese
aus den Polychäten hervorgegangen, sich weit von dem ursprüng-
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 51
lichen Typus entfernt haben, die fortschreitende Entwicklung nament-
lieh in der außerordentlich hohen Differenzirung der Ventralplatte
bekundend.
3. Turbellarien.
Da viele Andeutungen vorhanden sind, dass wir in diesen For-
men den gemeinsamen Ursprung von Anneliden und Mollusken zu
suchen haben, so liegt es nahe, auch sie zu einem Vergleiche heran-
zuziehen. Die erste ausführliche Abhandlung über die Entwicklungs-
geschichte der Turbellarien ist diejenige von LanG. Außerlich gleicht
die Furchung durchaus dem spiraligen Typus von Anneliden und
Mollusken. Es werden von einem vierzelligen Stadium drei Genera-
tionen abwechselnd dexiotrop und leiotrop abgeschnürt, aber das
Schicksal und die Bedeutung ist ein völlig verschiedenes. Denn nur
die erste abgeschnürte Generation stellt Ektodermzellen dar, die zweite
und dritte dagegen Mesodermzellen, und die vier Makromeren endlich
das Entoderm.
In neuerer Zeit hat man versucht, dieses abweichende Verhalten
theils auf einfache Beobachtungsfehler zurückzuführen (MrAD), theils
aber auch, durch erneute Beobachtungen weitere Anhaltspunkte und
Aufschluss zu erhalten. Das letztere hat WıLson versucht und er
fand bei Leptoplana, dass nur die zweite Generation Mesoderm liefere,
und zwar erst nach Abgabe je dreier Ektodermelemente. Betreffs
der dritten Generation ist höchstens ein kleiner Bruchtheil an der
Bildung des Mesoderms betheiligt. Die Schwierigkeit eines Vergleiches
ist hierdurch stark vermindert, alle drei Generationen liefern so
wenigstens mehr oder weniger große Partien des Ektoderms, und die
Bildung des Mesoderms findet ihr Homologon in dem larvalen Meso-
blast, und weiter in entsprechenden Bildungen bei Capitella, Physa
und anderen, Verhältnisse, auf die ich oben bereits ausführlicher ein-
gegangen bin.
4. Rotatorien.
Schließlich sei noch eine letzte Thiergruppe erwähnt, die stets
in enge phylogenetische Beziehungen zu Mollusken und Anneliden ge-
bracht wurde, die Rotatorien. Von neueren Arbeiten über dieselben
erwähne ich die von ZELINKA, JEnnIngs und Car. AÄußerlich ver-
läuft die Furchung zunächst überraschend ähnlich. Wir sehen einen
Zerfall in eine größere und eine kleinere Hälfte und eine Theilung
derselben in ein vierzelliges Stadium, welches aus einer größeren
4*
52 Johannes Meisenheimer,
und drei kleineren Zellen besteht, genau demjenigen der Lamelli-
branchiaten gleichend.. Sodann theilt sich zunächst die größere,
hintere Makromere und dann die drei kleineren, vorderen Zellen.
Das so entstandene achtzellige Stadium gleicht wiederum in vielen
Punkten dem entsprechenden der Lamellibranchier, wir haben sogar
dieselbe Neigung des animalen zu dem vegetativen Quartett. Diese
Verschiebung schreitet bei den Rotatorien jedoch weiter fort, bis das
Vorderende direkt erreicht ist, und so gewinnen im weiteren Verlaufe
die einzelnen Furchungsstadien ein immer fremderes Aussehen gegen-
über den Lamellibranchiaten, wie dies namentlich in der Ausbildung
langer Zellenreihen hervortritt.
Aber auch die Ähnlichkeit der jüngeren Stadien hält einem
direkten, morphologischen Vergleiche nicht Stand. Die Vertheilung
von Ekto- und Entoderm auf dem vier- und achtzelligen Stadium ist
in beiden Gruppen durchaus verschieden. Bei den Rotatorien liegt
das Entoderm allein in der hinteren, großen Makromere enthalten,
durch Umwachsung wird sie ins Innere verlagert. Auf dem acht-
zelligen Stadium sind also die sieben Mikromeren rein ektodermal,
bei den Mollusken enthalten sie noch wichtige andere Bestandtheile.
Selbst die leisen Beziehungen, welche ZELINKA mit Anodonta und
Teredo zu finden glaubt, sind hinfällig, ganz zu schweigen davon,
dass keiner der beiden Somatoblasten ausgebildet wird, ein eigent-
licher Mesoblast also völlig fehlt.
Um alles Bisherige zusammenzufassen, will ich endlich kurz die
Prineipien andeuten, welche die Furchung im Allgemeinen beherr-
schen. Wir verdanken eine außerordentliche Förderung dieses Gegen-
standes namentlich den amerikanischen Forschern (WıLson, LILLIE,
CoNKLin), wesshalb ich vor Allem auf sie verweisen kann. Mir kam
es bei dem genauen Studium der Furchung vor Allem darauf an, eine
sichere Grundlage für die Organbildung zu erlangen; wir werden
später sehen, dass die Differenzirung der Larve mit der Furchung
noch durchaus nicht beendet ist, dass ähnliche Gesetze, wie sie die
Furchung aufweist, auch später noch ihre Gültigkeit bewahren.
Der sowohl Mollusken wie Anneliden zu Grunde liegende Fur-
chungstypus ist unstreitig derjenige einer successive auf einander fol-
senden Theilung von 1 zu 2, zu4...8...16...32...64 Zellen.
Dieser Typus erleidet nun die mannigfachsten Variationen, sei es in
der zeitlichen Aufeinanderfolge der Theilungen, sei es in der Hervor-
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 53
hebung einzelner Zellen durch besondere Größe, sei es durch das
Auftreten besonders gerichteter Theilungen, von Bilateraltheilungen.
Stets lässt sich der specielle Modus im Einzelnen zurückführen auf
die Organisation der späteren Larve. Eine Gegenüberstellung der
uns hier am meisten interessirenden Formen, von Dreissensia und
Unio, wird uns diesen Satz sehr klar beleuchten. Beiden gemeinsam
ist eine stark entwickelte Schale, beide besitzen desshalb auch gleich
mächtig entwickelt einen ersten Somatoblasten. Aber weiter — dort
haben wir eine typische Trochophoralarve mit mächtig entwickeltem
Velum, die erste Ektodermgeneration eilt in ihrer Ausbildung und
Mächtigkeit allen anderen voraus, hier bei Unio tritt eine stark redu-
eirte Larvenform, die Glochidiumlarve, auf, deren auffallendstes
Charakteristikum die beiden seitlichen larvalen. Mantelfalten bilden,
die zweite Ektodermgeneration, welche denselben ihre Entstehung
giebt, besitzt ein bedeutendes Übergewicht an Größe wie Zellenzahl,
die erste Generation bleibt dagegen zurück, da das Velum unterdrückt
ist. Auf äußerst jungen Stadien macht sich bereits der Unterschied
in der Ausbildung beider Larvenformen bemerkbar, der Keim von
20 bis 30 Zellen enthält bereits die ersten Anzeichen der immer
stärker werdenden Divergenz. Ein weiteres wichtiges Merkmal der
Glochidiumlarve ist der larvale Adductormuskel. Er koncentrirt
seine ganze Anlage in dem »larvalen Mesoblast«, d. h. in Mesenchym-
zellen der zweiten Generation, die durch den zweiten Somatoblast
allmählich unterdrückt und ersetzt wurden. Jetzt gewinnen sie plötz-
lich wieder eine erhöhte Bedeutung, sie übertreffen an Ausdehnung
fast wieder den zweiten Somatoblasten. So erklärt sich die schwache
Ausbildung des »larvalen Mesoblasts« bei der Trochophoralarve, erst
sekundäre Vorgänge vermochten seine starke Ausbildung herbeizuführen.
Wohin wir uns also wenden mögen, stets tritt als das die Fur-
chung beherrschende Prineip die spätere Organisation der Larve her-
vor, ein Organ, das auf späteren Stadien des Entwicklungsganges
seine Entstehung genommen haben muss, vermag je nach seiner Be-
deutung mehr oder minder tief in den ursprünglichen Furchungs-
modus modifieirend einzugreifen, indem es auf immer jüngere Stadien
seine Anlage zurückverlegt, den einen oder anderen Zellenkomplex
möglichst für sich in Anspruch nehmend und möglichst früh von
fremden Bestandtheilen scheidend. So findet die Sonderung des ersten
Somatoblasten als Anlage von Schalendrüse und Ventralplatte, so das
Überwiegen der ersten Ektodermgeneration bei Dreissensia als
Anlage von Velum und Scheitelplatte, so das Hervortreten der zweiten
54 Johannes Meisenheimer,
Ektodermgeneration bei Unio als Anlage des larvalen Mantels, so
endlich die Ausbildung eines mächtigen »laryalen Mesoblasts« als
Anlage des Adductormuskels seine volle Erklärung und Begründung.
V. Die Ausbildung der fertigen Trochophoralarve und ihre Umwandlung
in die spätere Muschel.
Wir verließen die junge Larve als einen winzigen Organismus,
ausgestattet mit einem funktionsfähigen Darmkanal, einem Loko-
motionsorgan in Gestalt des Velums und einem Schutzorsan in Form
der Schale. Die nun folgende Entwicklungsperiode zeichnet sich
dadurch aus, dass sie diese immer noch auf sehr unfertigem Zustande
verharrenden Organe zu einer vollendeteren Thätigskeit entfaltet und
zugleich sämmtliche der späteren Muschel angehörigen Organe anlegt
und zu einer mehr oder minder vollkommenen Funktionsfähigkeit
bringt. AÄuszunehmen sind hiervon nur die Geschlechtsorgane, da
dieselben erst nach der Festheftung der Larve sich differenziren.
Daneben treten besondere Larvenorgane auf, welche, wie Urniere und
bestimmte Muskelsysteme, nur eine beschränkte Dauer ihrer Thätig-
keit besitzen, mit der Umgestaltung der Larve überflüssig werden
und somit der Resorption anheimfallen, abgelöst durch andere, den
neuen Bedürfnissen des veränderten Organismus in besserem Maße
entsprechende Organe.
Ehe ich nun auf die Einzelschilderung der Anlagen der verschie-
denen Organe eingehe, will ich kurz den allgemeinen Gang der Ge-
staltsveränderungen schildern, um so das Verständnis der zum Theil
recht komplieirten Umlagerungsverhältnisse in Beziehung zu den ein-
zelnen Organanlagen zu erleichtern. Zugleich werden wir hierdurch
zu einer konsequenten Bezeichnung der einzelnen Körperregionen ge-
langen. Dieselben erleiden im Laufe der Entwicklung mannigfache
Verschiebungen, so dass wir als einheitliche Bezeichnungen durchaus
nur diejenigen des fertigen Organismus zu Grunde legen wollen.
Die junge Trochophoralarve besitzt also eine seitlich kompri-
mirte Gestalt, die von den beiden Schalenklappen umschlossen wird,
während über den Vorderrand das Velum als ein ringförmiger Wulst
hervorragt. In der Mitte des Velums liegt die verdickte Scheitel-
platte mit einem Büschel langer Cilien. Der Darmkanal besteht aus
Vorderdarm, einem erweiterten Mitteldarm, der seitlich die Anlage
der Lebersäckchen enthält, und einem einfachen Dünn- und Enddarm.
So stellt sich uns etwa Fig. 47 auf Taf. IV dar. Das nächste direkt
anschließende Stadium zeigt uns Fig. 49 auf Taf. V. Zwei neue
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 55
Organkomplexe sind aufgetreten, Urniere und Muskelsystem. Erstere,
aus einer Ektodermwucherung hervorgegangen, liegt als einfaches,
mit einer Wimperzelle abschließendes Rohr zu beiden Seiten des
Körpers, das Muskelsystem besteht aus zwei scharf zu scheidenden
Komplexen, einem rein larvalen und einem zweiten, der sich auch in
der späteren Organisation der Muschel wiederfindet. Letzterer stellt
den vorderen Schließmuskel dar, unmittelbar hinter dem hinteren
Velarrand gelegen (vs) und einen einfachen Querstrang von Mesoderm-
zellen bildend, die larvalen zerfallen in drei Systeme, die wir als
dorsales, mediales und ventrales Retractorsystem (dr, mr und or) be-
zeichnen wollen. Sie verlaufen in der Längsrichtung zu beiden Seiten
und dienen dazu, Velum und Körper in die Schalenklappen zurück-
zuziehen. Weiter hat das Velum eine Differenzirung in zwei Cilien-
kränze erfahren, von denen der obere mit langen Cilien ausgestattet ist,
der untere dagegen sehr zahlreiche kurze Flimmerhaare trägt. Zu-
gleich beginnt an der Oberseite des Velums sich ein roth- bis dunkel-
braunes Pigment abzulagern, welches auf den folgenden Stadien an
Ausdehnung immer mehr zunimmt und mit Ausnahme der Scheitelplatte
die Vorderseite völlig bedeckt.
Successive beginnt nun die Larve an Umfang zuzunehmen. Die
ersten Veränderungen betreffen den Darmkanal. Zu beiden Seiten
des Mitteldarmes treten die Lebersäckchen schärfer als zwei Ausbuch-
tungen hervor (Fig. 50 /s), weiter macht sich an seiner hinteren,
rechten Seite eine Aussackung bemerkbar, die zur Bildung des
Krystallstielblindsackes führt (Fig. 50 kb). Endlich beginnt der Dünn-
darm sich in eine nach hinten gerichtete Schlinge auszuziehen. Neue
Pigmentablagerungen treten hinter dem After auf, sich weit an der
Dorsalseite hin nach vorn und oben ausdehnend.
Fig. 51 zeigt uns im Wesentlichen noch das gleiche Verhalten,
eine neue Pigmentansammlung ist hinter dem Munde in unmittelbarer
Nähe des postoralen Wimperbüschels aufgetreten. Aufmerksam machen
will ich ferner auf die zunehmende Verdickung der Körperwand an
der Ventralseite, über welche uns erst das folgende Stadium von
Fig. 52 völlige Klarheit verschafft. Alle bis jetzt erwähnten Organe
zeigen uns nichts Neues, abgesehen von einer stetigen Größenzunahme
und schärferen Differenzirung. Ventralwärts bemerken wir dagegen
nun von vorn nach hinten fortschreitend drei Verdiekungen. Die erste
derselben, nach innen von der Ausmündungsstelle der Urniere gelegen,
stellt uns das Pedalganglion (pg) dar, die zweite, noch vor dem End-
darme gelegene, das Visceralganglion (vg), und die dritte endlich,
56 Johannes Meisenheimer,
welche sich von den beiden ersten dadurch unterscheidet, dass sie
hinter dem Enddarme, also auf der Dorsalseite liegt, die Anlage von
Herz, Nieren und Genitalorganen (hr). Die letztere ist zwar bereits
auf dem Stadium von Fig. 49 vorhanden, tritt aber erst jetzt nach
ihrer Loslösung vom Ektoderm schärfer hervor. |
Der Fortschritt des Stadiums von Fig. 53 prägt sich darin aus,
dass die beiden Ganglienanlagen sich schärfer abgehoben haben, dass
ferner die Herz-Nierenanlage eine Sonderung in zwei Bestandtheile
erfahren hat, in ein nach vorn hin gelegenes rundes Knötchen zu
beiden Seiten des Darmes, die Niere (2), und einen nach hinten ge-
legenen, noch undifferenzirten Zellenhaufen, der Herz, Perikard und
Genitalorgane enthält (7p). Auf Fig. 54 endlich ist auch die Diffe-
renzirung von Herz und Perikard vollzogen; als ein doppelter, hinter
dem Nierenschlauche (z) gelegener Ring (hp) umgiebt die Anlage den
Enddarm.
Weitere wichtige Veränderungen haben sich inzwischen an der
Ventralseite vollzogen. Pedal- und Visceralganglion sind völlig los-
gelöst, die Otolithenblase (ot), aus einer Ektodermeinstülpung hervor-
gegangen, liegt seitlich dem Pedalganglion an. Unterhalb des Pedal-
sanglions schiebt sich eine Einstülpung zwischen die beiden Hälften
derselben ein, die Fußdrüse (fd), während vor den Pedalganglien eine
neue Ektodermwucherung (mf) auftritt, die Anlage des Mesenchym-
Muskelgewebes innerhalb des Fußes.
Die Entstehung des Fußes ist das wichtigste Ereignis, welches
sich an der Umformung der äußeren Gestalt auf diesen und den fol-
genden Stadien vollzieht. Diese Ausbildung des Fußes beruht im
Wesentlichen darauf, dass die mittlere Partie der Ventralseite ringsum
von tiefen Furchen gegen den übrigen Körper abgegrenzt wird. Zu-
nächst sind es die beiden Seitenfalten, welehe sich beiderseits dicht
unterhalb der Schale immer tiefer einsenken und so zugleich die
Bildung des Mantels veranlassen. Sie treten bereits auf sehr jungen
Stadien hervor, Fig. 47 auf Taf. IV etwa zeigt sie in allererster An-
deutung, deutlicher erscheinen sie auf Querschnitten (Figg. 111, 112
auf Taf. IX sm). Auf dem Stadium von Fig. 54 tritt nun zu diesen
beiden Seitenfalten noch eine hintere Falte (7), an deren innersten
Winkel zugleich eine neue Pigmentanhäufung auftritt. Diese Falte
vertieft sich bald bedeutend und bringt dadurch aufs schärfste die
keilförmige Gestalt des Fußes zum Ausdruck. Endlich tritt auch
noch eine vordere Fußfalte auf (Fig. 56 v7), und hiermit ist die ty-
pische Gestalt des Fußes erreicht, bestehend aus einem massiveren,
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 57
hinteren Theile und einer frei beweglichen, kontraktilen Spitze, welche
nun auch selbständiges Längenwachsthum aufweist.
Fig. 55 zeigt uns nochmals das Stadium von Fig. 54 von vorn
gesehen, wir erkennen hier namentlich die charakteristische Form des
Velums und seinen Übergang in den die Mundöffnung tragenden
lappenförmigen Vorsprung des Körpers. Im Einzelnen werden wir
bei der genaueren Besprechung des Velums auf diese Verhältnisse
zurückzukommen haben. |
Neben der völligen Ausbildung des Fußes zeigt uns Fig. 56 als
besonders bemerkenswerth einmal die Loslösung des Cerebralganglions
von der Scheitelplatte, weiter die Ausbildung zweier neuen Muskel-
systeme, des hinteren Schließmuskels (As), der unmittelbar neben das
Visceralganglion zu liegen kommt, und dann des Fußretraktors (rf), der
schräg von der äußeren Körperwand nach innen über den innersten
Winkel der hinteren Fußfalte hinweg in den Fuß verläuft. Endlich
treten auch die ersten Kiemenfalten zu beiden Seiten des Fußes,
zwischen letzterem und dem Mantel, auf (kf). Das Nierenbläschen
hat sich etwas in die Länge gestreckt.
Auf diesem Stadium hat die Trochophoralarve ihren Höhepunkt
bereits überschritten, Spuren des Verfalls der Larvenorganisation treten
bereits hervor, einmal im Verluste der Urniere, in der beginnenden
Reduktion der larvalen Muskelsysteme und dem Schwunde des Ve-
lums. Die Umwandlung in die junge Muschel erfolgt sehr plötzlich,
indem das Velum zusammengezogen und in Fetzen abgeworfen wird,
zugleich schwinden auch die letzten Spuren des larvalen Muskel-
systems (Fig. 57). Mit der Reduktion des Velums rücken dann
Mundöffnung und vorderer Schließmuskel dicht an einander (Fig. 58),
nnd diese plötzliche Zusammenziehung ist der wichtigste Faktor, der
aus der typischen Gestalt der Trochophoralarve die Gestalt der
Muschel hervorgehen lässt. Diese vordere Seite erleidet also die
stärksten Veränderungen in Form einer sehr starken Verkürzung, die
ventrale Seite bleibt im Wesentlichen so erhalten, wie ich sie bereits
geschildert habe, nur dass der Fuß sich in ein langes, retraktiles
Organ auszieht, und zugleich die Byssusdrüse starke Byssusfäden
zum Anheften der jungen Muschel entwickelt hat. An der Hinter-
seite haben wieder stärkere Verschiebungen stattgefunden, bestehend
in einem Auswachsen des ganzen Komplexes nach hinten und oben,
wie sich dies am deutlichsten im Verhalten der Darmschlingen aus-
prägt. Ich erwähnte eingangs, dass der Dünndarm sich frühzeitig
nach hinten in eine Schlinge auszog. Dieselbe vertiefte sich immer
58 Johannes Meisenheimer,
mehr und schob sich dorsalwärts weit nach vorn (Figg. 50—56 da).
Diese Schlinge wird nun durch die Ausdehnung des hinteren Körper-
theiles aus einander gezogen (Fig. 58), der Endschenkel folgt der
Dorsalseite, der innere Schenkel dagegen bleibt in engerer Beziehung
zu dem Krystallstielblindsack und verlagert sich allmählich in den
Fuß, wie es sehr deutlich ausgeprägt Fig. 59 aufweist. Die übrigen
Veränderungen am Darmkanale sind nur gering, die Leber schiebt
sich weit nach vorn und zeigt Neigung zur Lappenbildung (Fig. 59 /s);
vor und seitlich vom Munde treten die Mundlappen (m/) hervor, ent-
standen aus Resten der sich auflösenden Scheitelplatte; sämmtliche
Ganglien haben ihre typische Lagerung erhalten. Die Üerebral-
ganglien liegen über dem Ösophagus, die Pedalganglien haben sich
in den Fuß verlagert, die Visceralganglien liegen dicht der Vorder-
seite des hinteren Schließmuskels auf. Der Fußretraktor (rf) ist sehr
mächtig entwickelt, vor ihm liegt Perikard (p) und Herz (7), nach
außen und quer über ihn hinwegziehend die jetzt recht komplieirt
gebaute Niere (z). Auf der Unterseite des Perikards liegen endlich
auf Fig. 59 auch die aus seiner Wandung hervorgegangenen Genital-
zellen (g2).
Die Kiemenpapillen haben weitgehende Umwandlungen durch-
gemacht, sie verlängern sich zunächst sehr stark, erhalten einen
dichten Cilienbesatz und werden in ihrer Gesammtheit als Kiemen-
blatt mit den Verschiebungen des hinteren Körpertheiles aus der ur-
sprünglichen Querrichtung (Fig. 56) allmählich in eine schiefe Längs-
richtung zum ganzen Körper gebracht (Figg. 57, 58), bis sie endlich
in Fig. 59 vielfach gefaltet mit der Längsrichtung des Körpers zu-
sammenfallen. Die Kiemen sind das einzige Organ, welches ich in
seiner Ausbildung nicht ins Einzelne hinein verfolgt habe, da seine
weitere Differenzirung für die Aufgaben, welche ich mir gestellt
hatte, nur von untergeordneterem Interesse sind. Bei der immer noch
herrschenden Unsicherheit über ihre Ausbildung im Einzelnen dürfte
eine Specialuntersuchung ihrer Entwicklung von nicht geringem Er-
folge begleitet sein.
Hand in Hand mit diesen Umgestaltungen hat sich auch die
typische Form der Dreissensia-Schale ausgeprägt. In Fig. 57 ist im
Wesentlichen noch die larvale Gestalt der Schale erhalten, ein ziem-
lich regelmäßig gerundetes Plättehen darstellend. Schon auf Fig. 58,
also einem bereits definitiv festgehefteten Stadium, ist diese Form
nicht mehr rein erhalten, gestört im Wesentlichen durch ein stärkeres
Wachsthum an der Vorderseite und an der unteren Hinterseite. Noch
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 59
deutlicher treten diese Veränderungen in Fig. 59 hervor, die vordere
Wachsthumszone hat sich in eine längliche Spitze ausgezogen, die
hintere hat eine weite, schräg nach hinten und unten gerichtete Aus-
_ buchtung hervorgerufen. Wenn ich endlich noch hervorhebe, dass
auch das Ligament (?) als eine fein gestreifte Masse auf der vorderen
‘ dorsalen Partie der Schale sich bemerkbar macht, so haben wir im
Wesentlichen die fertige Organisation der Muschel erreicht.
Dass das Wachsthum inzwischen ganz bedeutend fortgeschritten
ist, brauche ich wohl kaum besonders hervorzuheben. Das Stadium
von Fig. 49 ist winzig klein, es misst in seinem größten Durchmesser
75 u, ist also kaum größer als das frisch abgelegte Ei, es folgt sodann
eine regelmäßige Größenzunahme bis zum Stadium von Fig. 56,
welches bei der gleichen Vergrößerung wie Fig. 49 gezeichnet ist,
es misst 187,5 u. Die drei letzten Figuren sind bei schwächerer
Vergrößerung gezeichnet, Figg. 57 und 58 wieder bei der gleichen,
sie messen 228 u und 272 u, Fig. 59 dagegen bei weit schwächerer
Vergrößerung, es misst bereits 1100 u, also etwas über 1 mm. Eine
Größenangabe für eine Trochophoralarve finde ich bei WıLson von
Mytilus edulis. Das größte, frei schwärmend aufgefundene Exem-
plar maß danach 188 u, eine ganz außerordentliche Übereinstimmung
mit der von mir gefundenen Zahl von 187,5 u für das älteste frei
schwärmende Stadium.
Ich glaubte diese kurze allgemeine Schilderung vorausschicken
zu müssen, um nun im Einzelnen die theilweise recht komplieirten
Vorgänge bei der Ausbildung der Organe leichter verständlich machen
zu können, namentlich aber, um sichere Anhaltungspunkte zur Beur-
theilung und Benennung der einzelnen Regionen der Larve zu ge-
winnen. Es ist das Naturgemäßeste, bei derselben auf die spätere
fertige Muschel vorauszugreifen, da die wechselnde Gestalt der Larve
einen steten Wechsel der Bezeichnung zur Folge hätte. Ich orientire
die Larve desshalb streng nach den Organisationsverhältnissen der
Muschel, also etwa nach dem Stadium von Fig. 59. Ventral nenne
ich die Strecke von der Mundöffnung bis zur Afteröffnung. Dieselbe
nimmt auf dem Stadium von Fig. 49 noch einen sehr kleinen kaum
ein, gewinnt aber sehr bald außerordentlich an Ausdehnung, im
Wesentlichen eben durch die Entfaltung des Fußes. Dorsal würde
dann die Strecke heißen, die von dem Bogen oberhalb von Mund-
und Afteröffnung gebildet wird. Sie zerfällt aber in einen vorderen,
mittleren und hinteren Theil. Der mittlere Theil bildet die eigent-
liche Dorsalseite als Gegensatz zur Ventralseite; die vordere Partie
60 Johannes Meisenheimer,
bildet die Vorderseite, sie ist bei der Larve völlig von dem enormen
Velum eingenommen und wird später, wie wir sahen, stark reducirt;
die Hinterseite endlich ist weniger scharf ausgeprägt, sie geht un-
merklich in die eigentliche Dorsalseite über.
Auf diese Weise glaube ich die naturgemäßesten Beziehungen zwi-
schen Larve und fertig ausgebildeter Muschel gewonnen zu haben. Wenn
auch auf einzelnen Stadien die Bezeichnungen etwas gezwungen klingen
mögen, auf jeden Fall werden sie uns vor Irrthum und Missverständnissen
bewahren, namentlich in Bezug auf die Dorsal- und Ventralseite, deren
Trennungsmarken also stets durch Mund und After gegeben sind. Die
Bezeichnung der seitlichen Regionen ergiebt sich von selbst, da alle
Phasen der Entwicklung streng bilateral symmetrisch gebaut sind.
VI. Organbildung.
1. Velum.
Wir bginnen unsere Schilderung der einzelnen Organe mit dem
Velum, als einem der charakteristischsten Bestandtheile der Larve.
Das Studium der Furchung ergab uns bereits, dass dasselbe in seinen
wesentlichsten Bestandtheilen aus der ersten Ektodermgeneration ab-
zuleiten ist. Außerlich macht es sich zuerst durch einen Kranz langer
Cilien bemerkbar (Fig. 45 auf Taf. IV), die bald an Zahl beträchtlich
zunehmen (Fig. 46). Erst dann tritt auch in der Struktur des Zell-
plasmas der Velarzellen eine Änderung auf, dieselben nehmen einen
deutlichen vacuoligen Bau an (Fig. 7O auf Taf. VI). Bis jetzt lagen
die Zellen der verschiedenen Organe dicht an einander, nunmehr
heben sich dieselben weit von einander ab, und hiermit im Zusammen-
hange dehnt sich die ganze vordere Körperwand der Larve weit aus,
wodurch das Velum erst seine spätere typische Gestalt erhält. Zu-
gleich wulstet sich sein Rand über die Schale, die den Körper in-
zwischen immer mehr umwachsen hat, weit vor und zwar namentlich
zu beiden Seiten, so dass die Zweilappigkeit des Velums hierdurch
scharf ausgeprägt wird. Das Innere des Velums ist also nichts weiter
als ein stark vorgebauschter Theil der Leibeshöhle, der zwischen
den beiden Schalenklappen hindurch in direkter Kommunikation mit
der allgemeinen Leibeshöhle steht (Fig. 74).
Inzwischen hat auch der histologische Bau des Velums weit-
sehende Modifikationen erlitten. In seiner vorderen Hälfte bildete
sich die Scheitelplatte aus, ein Sinnesorgan, auf das wir in einem
späteren Kapitel zurückkommen werden. Die übrigen Zellen haben
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 61
sich scharf in zwei Regionen geschieden, einen Komplex, der, aus sehr
stark abgeplatteten Zellen bestehend, das Dach des Velums bildet,
und einen zweiten, der ringförmig das Velum umzieht und mit Cilien
besetzt ist. Die Abplattung des oberen oder vorderen Theiles des
Velums ist sehr beträchtlich (Fig. 74), sein Gesammtumfang ist von
länglich ovaler Gestalt. In seiner ganzen Ausdehnung findet sich
eine starke Pigmentablagerung von gelbbrauner bis schwarzbrauner
Farbe, von der nur die Scheitelplatte völlig frei ist (Taf. V), wie
KorSCHELT bereits richtig angegeben hat.
Am meisten jedoch nimmt unsere Aufmerksamkeit der eigent-
liche Lokomotionsapparat, eben der Wimperkranz, in Anspruch. Der-
selbe besteht aus zwei verschiedenen Zellreihen, die zwei mit einander
völlig parallel verlaufende, geschlossene Ringe bilden (s. Taf. V).
Der obere Ring (Fig. 76 0.02) setzt sich aus zwei Zellreihen zusammen,
bestehend aus größeren, helleren Zellen mit mächtigem Kern und
Kernkörper. Von jeder dieser ganz regelmäßig angeordneten Zell-
reihen geht je ein Cilienbündel aus, die ihrerseits wiederum zwei
durch eine kleine Lücke getrennte Cilienringe darstellen. Auf dem
Querschnitt des Velarrandes (Figg. 74, 75) erscheinen sie als zwei
über einander gelegene Wimperbüschel, deren Cilien an ihrer Fest-
heftungsstelle sich etwas in das Zellplasma fortzusetzen scheinen
(0.02). Unter diesen beiden Zellreihen liegen nun noch einige wei-
tere, die ebenfalls in ihrer Gesammtheit einen den beiden vorigen
völlig parallel verlaufenden Ring bilden (Fig. 76 «.vz). Sie unter-
scheiden sich aber von ihnen darin, dass die einzelnen Zellen, resp.
deren Kerne, von weit geringerer Größe und unregelmäßig angeordnet
sind, dass ihr Plasma dunkler gefärbt erscheint, weil weniger va-
cuolenhaltig, und endlich, dass ihre bedeutend kürzeren Cilien einen
dichten Besatz bilden (Fig. 75 w.vz). Zwischen dem oberen, aus län-
geren Cilien bestehenden, doppelten Wimperkranze und dem unteren
liegt ein deutlicher, eilienfreier Zwischenraum (Figg. 74, 75).
Diese Darstellung vom Bau des Velums unterscheidet sich in
einigen wesentlichen Punkten von derjenigen, welche HATSCHER für
Teredo gegeben hat. Es ist dies die genaueste Darstellung, welche
wir bisher von diesen Verhältnissen hatten, da Horsr bei Ostrea nur
die beiden oberen Zellreihen mit voller Deutlichkeit beschrieben hat.
In der Anordnung der den Wimperkranz zusammensetzenden Zellen
stimme ich mit HATSCHER ziemlich überein, nicht aber in derjenigen
der Cilien. HATSCHER unterscheidet nämlich einen präoralen und
einen postoralen Wimperkranz, zwischen denen eine adorale Wimper-
62 Johannes Meisenheimer,
zone liegt. Was den ersteren betrifft, so weicht Dreissensia hier nur
in so fern von Teredo und Ostrea ab, als jede der sie zusammen-
setzenden Wimperreihen nicht aus einer einfachen Reihe dicker
Cilien besteht, sondern aus einem aus vielen sehr zarten Cilien zu-
sammengesetzten Wimperbande. Betreffs des adoralen und postoralen
Wimperkranzes sind die Differenzen weit größer. Eine Trennung
zweier solcher Systeme muss ich für Dreissensia entschieden in Ab-
rede stellen, in nichts unterscheiden sich die untersten Cilien des
unteren Wimperkranzes von den weiter nach oben gelegenen, weder
durch Länge noch durch Dieke. Auch die als Basis eben dieser
untersten Cilien dienende Zellreihe habe ich nie besonders aus-
gezeichnet gefunden, wie es beispielsweise HATSCHEK auf seiner
Taf. II in Fig. 31 B andeutete. Aber selbst wenn dieser untere,
selbständigere Ring sich abgegrenzt hätte, so würde er desshalb noch
nicht postoral verlaufen. Ich betonte bereits wiederholt, dass beide
Cilienkränze durchaus parallel verlaufende geschlossene Ringe bil-
den, dass also nicht Theile des unteren Kranzes divergirend nach
hinten und ventralwärts ziehen, um sich erst hinter der Mundöff-
nung zu vereinigen (vgl. hierzu Figg. 49—56). Besonders deutlich
zeigt dieses Verhalten die Ventralansicht von Fig. 55. Unterhalb des
Velums liegt nun freilich ein Wimperbüschel (po), dasselbe ist jedoch
völlig unabhängig von dem Velarkranze und besteht aus einem Bü-
schel langer Cilien, ganz ähnlich dem hinter dem After gelegenen
Wimperfelde (pa). Die von HATSCHEK als bewimpert bezeichnete
Verbindungslinie beider Systeme stellt nichts Anderes dar, als den
ventralwärts ziehenden Außenrand des vor dem Velum gelegenen
Mundkegels. Der eigentliche Wimperkranz zieht unabhängig von
demselben nach vorn, um sich vor dem Munde zu einem Ringe zu
schließen.
Auch für die Gastropodenlarven wurde wiederholt das Vor-
kommen eines prä- und postoralen Wimperkranzes beschrieben. So
findet von älteren Autoren J. P. M’MurricH bei einigen Prosobran-
chiern wie Opisthobranchiern neben präoralem Wimperkranze sowohl
den postoralen wie auch eine adorale Wimperzone, weniger klar ist
die Darstellung HApvon’s für die Nudibranchiaten, wo ebenfalls ein
prä- und postoraler Wimperkranz vorhanden sein soll. Eine genauere
Darstellung dieser Verhältnisse haben wir in neuester Zeit durch
CONKLIN von einem Prosobranchier, Crepidula, erhalten. Der präorale
Wimperkranz setzt sich hier ebenfalls aus einer Reihe stärkerer
Cilien und einem darunter gelegenen Kranze kleinerer Wimpern zu-
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 63
sammen. Dagen können selbst Conkuin’s Bilder mich nicht völlig
von der Anwesenheit eines postoralen Wimperkranzes überzeugen.
Die von ihm als solcher in Anspruch genommene Zellenreihe mag
vielleicht in ähnlicher Weise zur Bildung eines, wenn auch schwach
entwickelten Mundkegels, beitragen, wie bei Dreissensia (man vgl.
seine Figg. 81 und 82 mit meiner Fig. 55). Das ventralwärts vom
Munde gelegene Wimperbüschel ist dagegen ganz eben so ausgebildet
wie bei Dreissensia. Die charakteristische Lappenbildung der Proso-
branchierlarve kommt durch sekundäre Umbildung des Velarrandes
zu Stande.
Den genannten Autoren steht übrigens eine Anzahl anderer
gegenüber, die entweder einen postoralen Wimperkranz in Abrede
stellen oder deren Abbildungen wenigstens keinen solchen erkennen
lassen. So beschreibt For eine ganz ähnliche Zusammensetzung der
Wimperringe von Pteropoden und Heteropoden, wie ich sie für
Dreissensia gegeben habe, und auf Vıcvıer’s Abbildungen der Larve
von Tethys fimbriata ist ebenfalls nur ein präoraler Wimperkranz zu
erkennen, so dass wir diese Frage für die Veliger-Larve der Gastro-
poden bis jetzt noch als eine offene bezeichnen müssen.
Sehr starke Modifikationen hat das Velum bei den Sübwasser-
muscheln erlitten. Bei Cyelas (ZiEGLER) findet sich ventral und
seitlich vom Munde ein starkes Flimmerfeld, deren Homologien nicht
leicht zu ziehen sind. Da aus ihm die Mundlappen hervorgehen, so
verschieben wir die nähere Besprechung vortheilhafter bis zu der
Betrachtung dieser Organe (p. 82 ff.). Der Velarregion entspricht da-
gegen unzweifelhaft die Kopfblase, denn was stellt das Velum auch
bei Dreissensia Anderes dar als eine Auftreibung des vorderen
Körpertheiles. Nur bildete sich hier ein Wimperapparat als Loko-
motionsorgan in sehr vollkommener Weise aus, dort bei Cyclas erlitt
er eine weitgehende Reduktion, weil der Organismus seiner Dienste
nicht mehr bedurfte.
Noch weit stärker reduecirt ist das Velum bei den Unioniden. Nur
einige wenige Zellen deuten noch die Kopfblase an, aus deren Be-
standtheilen sich ein neues Larvenorgan herausbildet, die Fadendrüse
(LILLIE).
Um nochmals auf das Velum von Dreissensia zurückzukommen,
so bedarf der Übergang des Velarrandes in den übrigen Körper noch
einiger Erläuterungen. An den Seiten sahen wir das Velum sich
weit vorbuchten (Fig. 55), an der Dorsalseite ist die Vorwölbung nur
gering und geht mit leicht eingebuchteter Rundung direkt in dieselbe
64 Johannes Meisenheimer,
über (Figg. 49—54, 56), an der Ventralseite dagegen liegen die Ver-
hältnisse etwas komplicirter. Der hier gelegene Vorderrand zieht
sich nämlich unterhalb der Cilienreihen in einen dreieckigen vor-
springenden Lappen aus, den oben bereits erwähnten Mundkegel, in
dessen Mitte die Mundöffnung gelegen ist, und der an seiner Spitze
das postorale Wimperbüschel trägt (Figg. 54, 55). An seiner nach
hinten gerichteten Seite weist er außerdem eine dichte Pigmentanhäu-
fung auf (Fig. 51—54), auf welche in ihrer charakteristischen Anord-
nung KORSCHELT bereits aufmerksam gemacht hat.
Das Innere des Velums ist außer der Scheitelplatte noch von
zahlreichen Muskelfasern durchzogen, die sich sowohl an die Scheitel-
platte, wie an die Seitenränder des Velums festheften (Fig. 74 mu).
Sie bilden die Ausläufer besonderer Retraktormuskeln des Velums,
auf die wir später in einem besonderen Kapitel eingehen werden.
HATSCHEK will außerdem bei Teredo im Inneren des Velums Nerven-
fäden beobachtet haben, die an den Seitenrändern der Scheitel-
platte entspringen und sich unter starker Verästelung an der Peri-
pherie des Scheitelfeldes verbreiten sollen. Schon Horst konnte bei
Ostrea nichts von derartigen Nervenfäden auffinden, und ich muss
gestehen, dass es auch mir nicht gelang, eine Spur von denselben
zu entdecken. Weder geben die Zellen der Scheitelplatte selbst
irgend welche Fasern ab, noch sind selbständige Ganglienzellen im
Inneren des Velarraumes wahrzunehmen. Dagegen liegen typische
Bindegewebszellen mit langen Fortsätzen in spärlicher Anzahl im
Inneren zerstreut (Fig. 74 mz), sie mögen wohl leicht Nervenfasern
vortäuschen.
3. Schale und Mantel.
Die Schicksale der Schalendrüse habe ich bereits im zweiten
Kapitel eingehend geschildert, wir knüpfen hier an dem Zeit-
punkte von Neuem an, wo die Ausstülpung sich soeben vollzogen
hat. Unmittelbar nach derselben beginnt die Abscheidung des Schalen-
häutchens. Dasselbe stellt ein einfaches, unpaares Plättchen dar,
welches seiner Unterlage fest anliegt. Durch die Konservirung wird
es in der Regel von derselben abgehoben (Fig. 77). Zwei sich un-
sefähr gleichzeitig abspielende Vorgänge führen sodann dieses Schalen-
häutchen in seine spätere Form über. Diese beiden Vorgänge be-
stehen einmal in dem seitlichen Umwachsen des Körpers von Seiten
der Schale, wie es uns in einem mittleren Stadium Fig. 78 darstellt,
und dann in der Herausbildung der zweiklappigen Form. Dieselbe
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 65
kommt dadurch zu Stande, dass das unpaare Schalenhäutchen genau
in der Dorsallinie einen innigeren Zusammenhang mit dem darunter
gelegenen Epithel eingeht, ja völlig mit demselben verschmilzt, wäh-
rend es sich zu beiden Seiten leicht von demselben abhebt. Zugleich
bleibt das Epithel hier in der Mittellinie stark verdickt im Gegensatz
zu den beiden Seiten, wo es sich außerordentlich abflacht. Ein
mittleres Stadium dieser Vorgänge zeigt wiederum Fig. 78, während
Fig. 79 uns schon ein weit in der Entwicklung vorgeschrittenes, aber
für diese und die folgenden Stadien typisches Bild gewährt. Die
beiden Schalenhälften sind in der Mittellinie völlig mit der verdickten
Epithelleiste verschmolzen, hier ist die Stelle, in welcher die beiden
Schalenhälften leicht gegen einander bewegbar sind. Die Abschei-
dung von Kalksubstanz scheint erst ziemlich spät zu erfolgen, es ist
mir nicht möglich gewesen, den ersten Anfang derselben festzu-
stellen, da die feine Vertheilung der Kalktheilchen eine Unterschei-
dung von dem Conchiolin im Mikroskop nicht zulässt. Während der
Larvenperiode von blassgelblicher Farbe beginnt die Schale nach
dem Festheften allmählich eine immer dunklere Färbung durch Ein-
lagerung von Pigment anzunehmen.
Etwas anders scheint sich bei der Ausbildung der zweiklappigen
Schale Cyelas zu verhalten. Nach ZIEGLER bleibt bei dieser Form
das ursprüngliche Häutchen stets unpaar, die Zweiklappigkeit der
Schale wird dadurch hervorgerufen — und dies behauptete schon
früher RAY LANKESTER von Pisidium — dass Kalkablagerungen
symmetrisch zu beiden Seiten auftreten und unter allmählicher Ver-
srößerung schließlich zwei harte Schalenklappen bilden. Bei Dreissensia
erfolgt die Abscheidung des Kalkes dagegen ganz gleichmäßig unter
dem schon vorgebildeten, zweiklappigen Oonchiolin-Häutchen, und
dasselbe scheint mir aus den Darstellungen HArscHer’s für Teredo
hervorzugehen.
Auf die Umwandlungen der äußeren Gestaltsverhältnisse der
Schale bis zur definitiven Form brauche ich hier nicht mehr einzu-
sehen, da dieselben schon bei der allgemeinen Charakterisirung der
Larve und ihrer Metamorphose zur Genüge berücksichtigt wurden.
Hervorheben will ich nur, dass die larvale Schalenform, wie ich sie
von Dreissensia schilderte, sich ganz allgemein zu finden scheint. Stets
machen sich erst auf älteren Stadien die Veränderungen bemerkbar,
welche die so außerordentlich mannigfachen Formen der Muschel-
schalen bedingen. Am auffallendsten sind diese Veränderungen. bei
den festgewachsenen Formen mit ungleichklappiger Schale, ich er-
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 5
66 Johannes Meisenheimer,
innere nur an Östrea, bei welcher Form. diese Erscheinungen des
öftern eingehend geschildert wurden.
An die Ausbildung der Schale schließen wir direkt die des Man-
tels an. Zu der Zeit, wo die beiden Schalenhälften der ventralen
Mittellinie bei ihrer Umwachsung nahe gekommen sind, beginnt sich
die Körperwand beiderseits einzufalten, wie es uns auf einem etwas
vorgerückten Stadium Fig. 111 auf Taf. IX zeigt. Ich erwähnte be-
reits oben, dass diese seitliche Faltenbildung einen der wesentlichsten
Faktoren bei der Bildung des Fußes darstellt, indem sie eine mitt-
lere Partie wie einen Keil aus der Ventralseite herausschält. Sich
immer mehr vertiefend bilden die Falten schließlich zu beiden Seiten
des Fußes, zwischen demselben und der inneren Zellenlage der Mantel-
falte, jederseits einen längs verlaufenden, schmalen Hohlraum aus,
der an der Ventralseite des Fußes zusammenfließt, eben den Mantel-
raum. An seiner Wandung legen sich später die Kiemenfalten an,
um dann ebenfalls frei in denselben hineinzuragen. Fig. 112 zeigt
uns noch ein jüngeres Stadium dieser Verhältnisse, in Fig. 121 (auf
Taf. X) können wir uns einen Begriff von der weiten Ausdehnung
machen, welche der Mantelraum (sm) später gewinnt. Auf die Um-
wandlungen und Verwachsungen des Mantels zur Bildung der Siphonen
sedenke ich hier nicht weiter einzugehen, als sekundäre Erschei-
nungen sind sie nur von untergeordneter Bedeutung.
Bei Formen, die eine reducirte Trochophora aufweisen, wie Cy-
clas, treten nach ZIEGLER Verschiebungen in dem zeitlichen und
örtlichen Verhältnis der Anlage von Mantel und Schale auf. Noch
ehe das Schalenhäutchen den Körper umwachsen hat, beginnt bereits
an den hinteren Seitentheilen ein selbständiger Mantelwulst, der erst
später von der Schale überwachsen wird, wodurch dann schließlich
ein ähnliches Verhalten zu Stande kommt, wie es Dreissensia auf-
weist.
Bei den Unioniden sind die Verhältnisse durch die Zwischen-
stufe des Larvenmantels der Glochidiumlarve noch weit stärker
modifieirt, indem dieser sich bei Ausbildung des definitiven Mantels
in den sog. »pilzförmigen Körper« verwandelt. Für unsere Betrach-
tung besitzen diese an sich sehr interessanten speciellen Verhältnisse
keine weitere Bedeutung.
3. Fuß nebst Byssusdrüse.
Die Ausbildung des Fußes haben wir bereits im vorigen Kapitel
kennen gelernt, im Wesentlichen verdankt er seine Entstehung einem
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 67
System von Falten, die als die beiden seitlichen Mantelfalten, als
vordere und hintere Fußfalte zu bezeichnen sind. Zuerst treten von
diesen Falten die beiden Mantelfalten auf, sodann hintere und schließ-
lich vordere Fußfalte. Neben dieser Faltenbildung beginnt der auf
diese Weise herausmodellirte Körperabschnitt jedoch auch ein selb-
ständiges Längenwachsthum aufzuweisen, und zwar an seiner vor-
deren Spitze, wodurch dieser Theil des Fußes zu einem langen, sehr
kontraktilen Zapfen umgebildet wird, dessen außerordentliche Beweg-
lichkeit von KorscHELT bereits für Dreissensia, von LACAZE-DUTHIERS
für Mytilus, und von anderen Autoren für die verschiedensten Formen
beschrieben wurde. An seiner vorderen Fläche bedeckt er sich mit
einem feinen Cilienkleide (Figg. 85, 84 auf Taf. VID), und diese
Cilien dienen unzweifelhaft dem Tastsinne, da die sehr kontraktile
Spitze bald weit aus der Schale vorgestreckt, bald ganz zurückgezogen
erscheint, und so mit der Fortbewegung ein Abtasten der Unterlage
Hand in Hand geht. Die eigenthümliche beilförmige Gestalt des
Lamellibranchiatenfußes tritt in dem hinteren Theile sehr deutlich
hervor und macht sich auf den älteren Stadien in zunehmendem Maße
bemerkbar (vgl. Figg. 56—59).
Weit mehr als diese äußeren Vorgänge interessiren uns jedoch
diejenigen, welche sich im Inneren des Fußes abspielen. Absehen will
ich zunächst von Pedalganglien und Byssusdrüse, von denen erstere in
einem besonderen Kapitel zu besprechen sind, letztere am Schlusse
dieses Kapitels einer näheren Betrachtung unterzogen werden mag. Be-
trachten wir ein älteres Stadium, wie es uns etwa Fig. 84 auf Taf. VII
darstellt, so sehen wir den vorderen Theil des Fußes völlig erfüllt
von einer mächtigen Zellenmasse (mf), welche das gesammte Mesen-
chym-Muskelgewebe des Fußes zu liefern hat, indem sie sich später
auflöst und ein stark verästeltes und verzweigtes System von Binde-
sewebs- und Muskelfasern bildet. Auch frühere Beobachter haben
diese Zellenmasse schon sehr wohl beachtet, dieselbe aber stets
unbedenklich von den Urmesodermzellen abgeleitet. Meine Beob-
achtungen führten mich zu einem durchaus anderen Resultate.
Auf einem etwas jüngeren Stadium sieht man die scharfe Grenze
zwischen Körperepithel und dem fraglichen Zellenhaufen an einzelnen
Stellen unterbrochen (Fig. 83), der Zusammenhang beider Komplexe
ist ein innigerer. Dieses Verhalten steigert sich auf jüngeren Stadien
immer mehr, in Fig. 82 ist eine scharfe Grenze überhaupt nicht mehr
zu ziehen, mit einem Worte — wir haben hier eine Ektodermwuche-
rung vor uns. Sehen wir uns ein ganz junges: Stadium- an, wie es
5*
68 Johannes Meisenheimer,
uns Fig. 80 vorstellt (entsprechend etwa Fig. 52 auf Taf. V), so
sehen wir zunächst die medianen Theile der Pedalganglienanlage (29)
getroffen und weiter nach vorn einige wenige Mesenchymzellen (2).
Nach außen wird das Ganze begrenzt von einem einfachen, hohen
Epithel. Dieses Verhalten ändert sich recht beträchtlich auf dem
folgenden Stadium von Fig. 81 (entsprechend etwa einem zwischen
Fig. 53 und 54 gelegenen Stadium). Zunächst ist die auf Fig. 80
erst angedeutete hintere Fußfalte (7) nunmehr beträchtlich vertieft,
die Byssusdrüse (fd) als deutliche Einsenkung bereits wohl erkenn-
bar, das Pedalganglion fast völlig von seinem Mutterboden losgelöst.
Vor demselben bemerkt man deutlich an Stelle des bisher einfachen
Epithels eine lebhafte Zellwucherung (m/f), die sich in der Richtung
nach innen und vorn verschiebt. Diese Wucherung erreicht ihren
Höhepunkt auf dem Stadium von Fig. 82, einige ähnliche Stadien
geben noch die Figg. 85 und 86, die ich nur in dem betreffenden
Abschnitte dargestellt habe. Allmählich lässt diese Wucherung an
Intensität nach (Fig. 85), welches Stadium zwischen den Figg. 55
und 56 liegt, und hört endlich völlig auf (Fig. 54), worauf dann die
Auflösung und Differenzirung dieses neu entstandenen einheitlichen
Zellkomplexes eintritt.
Ohne hier bereits auf die theoretische Bedeutung dieser Erschei-
nungen, die wir in einem späteren Kapitel im Zusammenhange er-
örtern werden, einzugehen, will ich kurz die Angaben anderer Auto-
ren mit meiner Darstellung vergleichen. Am bedeutungsvollsten ist
die Schilderung HATSCcHEXR’s von der Fußentwicklung von Teredo.
Die Herausbildung der kielförmigen Bauchregion wird richtig be-
schrieben, eben so die hintere Fußfalte als Knickung wohl beobachtet.
Von größerem Interesse ist seine Darstellung der inneren Verhältnisse.
Deutlich beobachtete HArscHEK die enorme Massenzunahme des
»Mesoderms« im vorderen Theile des Fußes. Die durch seine Figg. 25
bis 27 auf Taf. III dargestellte Serie veranschaulicht sehr klar das
allmähliche Anwachsen dieser Anlage, und würde die scharfe Tren-
nungslinie zwischen beiden Schichten fehlen, so könnte man sich
keine bessere Serie für meine Auffassung wünschen. Der hintere
Abschnitt des Fußes wird ebenfalls von Mesodermzeilen eingenommen,
die sich nach hinten in die Mesodermstreifen fortsetzen sollen. Gewiss
liegen in dieser Region zerstreute Zellen des ursprünglichen larvalen
Mesenchyms, aber die Hauptmasse von HATSCHER’s »Mesodermstreifen«
besteht sicherlich aus dem Visceralganglion, dessen Lage genau mit
seinen »Urmesodermzellen« zusammenfällt, man vergleiche nur die
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 69
Lage der völlig richtig gezeichneten hinteren Fußfalte zu denselben.
Die Fußdrüse entzog sich seiner Beobachtung.
Im Übrigen findet meine Beobachtung in der bisherigen Litte-
ratur nur eine geringe Stütze Mit einiger Zurückhaltung äußert
Ray LANKESTER von Pisidium, dass die Primitivelemente des Fußes
wahrscheinlich von großen, dem Ektoderm entstammenden Zellen sich
ableiten. Einen sicheren Beweis hierfür kann er nicht erbringen, zu-
mal Verwechslungen mit Ganglienanlagen in seiner Darstellung nicht
ausgeschlossen sind. Eben so unsicher ist die Angabe v. IHERING’s
über Cyclas, wonach hier im Fuße zunächst ein Gegensatz zwischen
Ektoderm und Mesoderm überhaupt nicht besteht, sondern erst all-
mählich aus einer gemeinsamen Zellenmasse oberflächliches Epithel
und inneres Mesenchym sich scheidet. Hier anzuführen wären so-
dann die Beobachtungen P. Sarasın’s an Bythinia, wenn auch nach
diesen die Diagnostieirung einer bestimmten Wucherungszone nicht
möglich ist, und endlich will ich noch bemerken, dass ich auch bei
Limax maximus eine Betheiligung von Körperepithelzellen an der
Bildung des Mesenchymgewebes des Fußes anzunehmen geneigt bin,
ihr zerstreutes und vereinzeltes Auftreten lässt jedoch den Process
selbst nur schwer mit voller Sicherheit zur Darstellung bringen.
Einen Unterschied in der Ausbildung des Fußes der Süßwasser-
muscheln gegenüber Dreissensia möchte ich noch hervorheben. Bei
Cyclas (ZIEGLER) wie bei den Unioniden (F. Scaımipr) bildet sich
nämlich der Fuß wie bei den Gastropoden direkt durch eine stumpfe,
aktiv wachsende Vorwölbung, die Mantelfalten haben mit seiner Bil-
dung nichts zu thun, während bei Dreissensia das selbständige
Wachsthum der bereits differenzirten Ventralseite erst später eintritt,
nachdem der Fuß als solcher schon sehr wohl markirt erscheint.
Ehe wir den Fuß verlassen, müssen wir noch ein bereits mehr-
fach erwähntes Organ desselben näher betrachten, nämlich die Byssus-
drüse. Dieselbe entsteht als eine einfache, grubenförmige Einsen-
kung des Ektoderms, die genau in die Mittellinie des Fußes zu liegen
kommt und sich zwischen die beiden Hälften des Pedalganglions
einschiebt (Figg. 81, 82, 83 auf Taf. VIL, Figg. 114, 115 auf Taf. IX, fa).
Das Lumen der Einsenkung ist sehr eng, später legen sich die Wände
dicht an einander (Fig. 84 fd), das ganze Gebilde schiebt sich weit
nach innen und hinten und bildet so einen umfangreichen Schlauch.
Seine Aufgabe besteht darin, beim Festheften der Larve zahlreiche
Byssusfäden abzuscheiden, mit deren Hilfe die junge Muschel an ihrer
Unterlage festhaftet.
70 Johannes Meisenheimer,
Bei vielen Formen wird die Byssusdrüse wohl noch angelegt,
aber ohne völlig ausgebildet zu werden, bald wieder rückgebildet.
So bei Yoldia nach Drew oder bei Xylotrya nach SIGERFOOS, bei
letzterer funktionirt sie sogar noch einige Zeit. Bei Cyclas ist die
Anlage der Byssusdrüse nach allen Autoren (STEPANOFF, ZIEGLER}
eine paarige. Beide Ektodermeinsenkungen werden jedoch später
gemeinsam in die Tiefe versenkt, und so kommt ein einheitliches
Gebilde zu Stande, dessen beide Zipfel allein noch seine paarige
Anlage erkennen lassen. Später wird sie ebenfalls rückgebildet. Ein
ganz ähnliches Verhalten weisen nach F. ScHMIDT und SCHIERHOLZ
die Unioniden auf, nur ist die Reduktion noch ausgeprägter.
4. Urniere.
Ein bis jetzt recht unvollkommen bekanntes Organ der Muschel-
trochophora ist die Urniere. Bei der typischen Trochophora hat sie
nur HATSCHEK beobachtet; er fand nämlich bei Teredo im vorderen
Theile der Larve zu beiden Seiten einen länglichen Körper, der ein
feines Lumen aufwies und später eine Flimmerung zeigte. Während
er die äußere Öffnung sehr wohl beobachten konnte, gelang es ihm
nicht, über das innere Ende volle Klarheit zu erlangen, es schien sich
ihm mit einem Trichter in die Leibeshöhle zu öffnen.
Wir beginnen unsere Betrachtung am besten mit der Beschreibung
des ausgebildeten Organs, um hieran die Entwicklungsgeschichte
anzuschließen. Zur Zeit ihrer höchsten Ausbildung, die sich etwa
über die Stadien der Figg. 50—54 auf Taf. V erstreckt, besteht die
Urniere typisch aus zwei oder höchstens drei Zellen. Das eigentliche
Exkretionsrohr wird von einer einzigen Zelle gebildet (Figg. 92, 93),
das Plasma derselben stellt ein diekwandiges Rohr dar, welches ein
enges Lumen (Fig. 92 /«) besitzt, einen deutlichen Kern (Fig. 92 er)
und zahlreiche durch die Osmiumsäure geschwärzte Konkretionen auf-
weist. Das Innere des Lumens wird von einer im Querschnitte sehr
deutlichen Cuticula begrenzt (Fig. 97 cu). Abgeschlossen wird dieses
Rohr nach innen durch eine Flimmerzelle, indem das Anfangs dick-
wandige Rohr sich allmählich verjüngt und endlich in eine sehr zarte
Membran übergeht (Figg. 92, 93, 96 md), die ihrerseits an ihrem Ende
eine Flimmerzelle trägt. Diese letztere ist meist von kegelförmiger,
zugespitzter Form (Fig. 92, 95, 96 tz), zuweilen aber fächerförmig ver-
breitert (Fig. 95 tz). Sie besitzt einen deutlichen Kern, zuweilen noch
eine kleine Endvacuole (Fig. 95 ev), die aber meist fehlt, und endlich
an ihrer dem Rohre zugekehrten Seite eine starke Wimperflamme
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 71
(Figg. 92, 93, 95, 96 wf). Die einzelnen Cilien derselben sind sehr lang,
sie reichen weit in das eigentliche Exkretionsrohr hinein und sind an
der Wimperzelle durch feine, verdickte Knötchen befestigt (Fig. 96).
Diese beiden Zellelemente, Exkretions- und Wimperzelle, bilden die
stetigen Bestandtheile der Urniere, dazu mag vielleicht noch eine
dritte Zelle kommen, welche das Exkretionsrohr nach außen mit dem
Ektoderm verbindet und seine Befestigung unterstützt. Als geson-
derten Bestandtheil der Urniere habe ich sie jedoch nie scharf unter-
scheiden können, da sie ja völlig zwischen den Ektodermzellen liegen
muss, und besondere Merkmale zu einer Unterscheidung nicht vor-
handen sind. Was mich zur Annahme ihrer Existenz veranlasst, sind
weit mehr Gründe entwicklungsgeschichtlicher Natur als rein morpho-
logische.
Dieser Bau der Urniere ist als der durchaus typische und regu-
läre anzusehen. Daneben ist mir freilich in einem Falle ein Bild
untergelaufen, welches von demselben in recht auffallender Weise ab-
weicht. Ich meine das Bild von Fig. 94 auf Taf. VIIL. An Stelle
der einen abschließenden Wimperzelle treffen wir hier deren zwei.
Beide sind in einen rechten Winkel zu einander gestellt und senden
gleichmäßig eine starke Wimperflamme in das gemeinschaftliche Rohr,
welches in allem Übrigen den bisher beschriebenen Bau aufweist.
Wie weit dieses Verhalten auf Häufigkeit des Auftretens Anspruch
machen darf, vermag ich nicht zu sagen, Thatsache ist jedenfalls,
dass ich es nur ein einziges Mal auf meinen Schnittserien antraf, und
eben so sicher ist, dass auf vielen Serien das Fehlen der zweiten
Wimperzelle mit voller Klarheit festzustellen ist.
Was die Lage dieses Organs betrifft, so findet es sich regel-
mäßig zu beiden Seiten der Larve, dem abgeflachten Körperepithel
der Larve dicht anliegend. Der Frontalschnitt von Fig. 98 auf
Taf. VII, welcher genau den Längsverlauf der Urniere getroffen hat,
zeigt uns dies aufs deutlichste (ur). Topographisch zieht die Ur-
niere im Übrigen von der mittleren Ventralseite des Körpers, in dessen
Nähe ihre Ausmündungsöffnung liegt, schräg nach vorn und oben,
um hier etwas oberhalb des Ösophagus mit der Wimperzelle zu enden
(vgl. Figg. 50—54). Betreffs der Ausmündungsstelle will ich noch
bemerken, dass dieselbe einen äußerst feinen Porus darstellt, der
nur schwer zu beobachten ist und zu beiden Seiten der Pedalgan-
glienanlage nach außen von denselben zu suchen ist, von hier sich
in den Mantelraum öffnend.
Außer bei Teredo wurde eine Urniere bei den Muscheln auch
72 Johannes Meisenheimer,
noch bei Oyelas gefunden, zunächst durch ZIEGLER. Die zwei Haupt-
bestandtheile sind ein feiner, flimmernder Kanal, der ins Innere führt,
und ein sich daran ansetzender massiger Theil, der einen sehr großen
Kern und zahlreiche Körnchen enthält. Durch einen sehr feinen
Porus mündet dieser Theil nach außen. Diese Angaben lassen sich
völlig mit meinen Befunden vereinbaren, zumal auch die Lage der
Urniere bei Cyelas ungefähr mit derjenigen zusammenfällt, welche
das Organ bei Dreissensia einnimmt (man vergleiche ZıesLer’s Fig. 16
mit meinen Bildern). Nur ist die Exkretzelle bedeutend angeschwol-
len. Etwas schwieriger ist die Deutung des Endapparates. Der
flimmernde Kanal soll in einen kanalartigen Raum übergehen, der
keine Flimmerung trägt und an seinem inneren Ende einen deutlichen
Kern aufweist. Dieser Kern kann nur einer Endzelle angehören,
welche die Flimmern trägt. Unklar bleiben mir nur die seitlich
liegenden Klümpchen tingirbarer Substanz, die vielleicht Exkret-
produkte darstellen. Ob sich die Urniere nach innen öffnet, weiß
ZIEGLER nicht, entscheidet sich aber eher für das Gegentheil.
Auf diese Weise würde sich also Cyclas sehr wohl dem Typus
der Urniere von Dreissensia anschließen lassen. Nun besitzen wir
aber noch eine neuere Untersuchung über diesen Gegenstand, von
STAUFFACHER, und hierdurch wird die Sachlage ungleich erschwert.
Die Urniere von Cyclas ist hiernach ein sehr komplieirtes Gebilde,
öffnet sich in das primäre Schizocöl und ist unpaar (nur auf der
linken Seite). Alle Punkte widersprechen also dem Bau der Urniere,
wie er für die Trochophoralarve Gültigkeit hat, und wie ich ihn
in ähnlicher Weise für die Pulmonaten dargestellt habe. Auf Einzei-
heiten einzugehen, wäre zwecklos, da irgend welche tiefergehende
Vergleiche unmöglich zu ziehen sind, und Bedenken gegen STAUF-
FACHER’S Darstellung ohne eigene Kenntnis des betreffenden Objektes
nicht erhoben werden können.
Ohne auf die gesammte Litteratur betreffs der bei den Mollusken
als Urniere beschriebenen Gebilde nochmals einzugehen, wie ich es
in einigen früheren Publikationen bereits gethan habe, will ich hier
nur hervorheben, dass wir in der Urniere der Muscheltrochophora
ein Gebilde vor uns haben, wie ich es als Grundtypus und Aus-
sangspunkt der Urniere der Pulmonaten dargestellt habe, ein ein-
faches Rohr mit einer Wimperzelle an der Spitze, aus dem sich dann
einerseits die Urniere der Süißwasserpulmonaten, andererseits die der
Landpulmonaten durch noch unbekannte Zwischenstadien ausgebildet
hat. Ich verweise beireffs dieses Punktes auf meine diesbezüglichen
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 13
früheren Erörterungen (Litteraturverzeichnis Nr. 67). Einen kleinen
Nachtrag zur Litteratur will ich hier noch einfügen. In einer
neueren Abhandlung von VIGUIER über. Thetys fimbriata wird ein
zartes Organ mit feinem Kanal beschrieben und abgebildet, welches
seiner Lage nach wohl einer Urniere entsprechen könnte, so dass
also dann auch die Opisthobranchier dieses Organ aufweisen würden.
Um übrigens nochmals auf das von MAZZARELLI als Niere beschriebene
Gebilde der Opisthobranchier zurückzukommen, will ich bemerken,
dass auch Heymons nach einer persönlichen Mittheilung nicht durch-
aus auf seiner Deutung des Gebildes als Urniere bestehen will. Es
waren Gründe rein theoretischer Natur, die ihm zu dieser Deutung
Veranlassung gaben, nämlich die Unwahrscheinlichkeit einer ekto-
dermalen Herkunft der definitiven Niere. Die Differenzen betreffs
der Deutung dieses Gebildes dürften somit zu Gunsten der Beobach-
tungen MAZZARELLT’s beigelegt sein.
Wir kommen endlich zur Entwicklungsgeschichte der Urniere,
ein Punkt, dessen Aufklärung sich recht bedeutende Schwierigkeiten
in den Weg stellten. Denn es ist klar, dass ein so zartes Organ,
welches in wohldifferenzirtem Zustande nur aus zwei Zellen besteht
und hier oft noch recht schwer zu finden ist, in einem weniger oder
gar völlig undifferenzirten Zustande kaum der Beobachtung zugäng-
lich ist. Das jüngste mit aller Sicherheit von mir beobachtete Sta-
dium ist das auf Fig. 87 abgebildete. Wir sehen hier in engem
Zusammenhange mit dem Ektoderm drei Zellen mit ihren Kernen
in das Innere des Körpers vorragen, einen cylindrischen Strang bil-
dend. Beachtenswerth ist vor Allem, dass der eine Kern völlig ter-
minal liegt (tz), und dass unmittelbar unter ihm ein enges Lumen
(u) in dem Strang auftritt. Eine direkte Weiterbildung dieser An-
lage giebt uns Fig. 88. Der Strang hat sich weiter in die Länge
gestreckt, das Lumen (lu) ist bedeutend erweitert, der terminale Kern
(2) noch weiter von den übrigen nach innen verschoben. Noch weit
ausgeprägter ist dies auf dem Stadium von Fig. 89. Der terminale
Kern steht jetzt bereits nur noch durch ein engeres Plasmarohr mit
den übrigen Theilen in Verbindung, die ihrerseits stark verbreitert
erscheinen. In diesem Sinne geht die Entwicklung nun stetig weiter,
in Fig. WY hat sich das Rohr noch weiter ausgezogen, wobei zugleich
die bisher unregelmäßig vertheilten Hohlräume (?«) immer mehr die
Form eines das Ganze durchziehenden engen Kanals annehmen.
Wir haben schon längst erkannt, dass der untere verbreiterte Theil
nichts Anderes darstellt, als das spätere Exkretionsrohr, der sich in
14 Johannes Meisenheimer,
die Länge streckende mittlere Theil die sich verjüngende Membran
und die terminale Zelle die Wimperzelle, welche die ersten Anzeichen
ihrer späteren Bedeutung in Fig. 91 aufweist, wo die Ansatzstelle
der Cilien sich als ein scharfer, dunkler Strich markirt, und selbst
einige Cilien bereits bemerkbar sind. Der Übergang von Fig. 91
in den völlig ausgebildeten Zustand, wie ihn etwa Fig. 92 zeigt, voll-
zieht sich durch einfache Längsstreckung und Verschmälerung des
ganzen Gebildes.
Auf die Zahl der Kerne bei den jüngeren Stadien muss ich noch-
mals kurz zurückkommen. Auf den Stadien von Figg. 87 und 88
sehen wir deutlich drei Kerne in der ganzen Anlage vorhanden, von
denen der terminale der Wimperzelle entspricht und der mittlere der
eigentlichen Exkretionszelle angehört (ex). Zweifelhafter ist das
Schicksal des dritten Kernes. Er liegt in unmittelbarer Nähe des
Ektoderms und ist später von den übrigen Kernen des Körperepithels
nicht mehr zu unterscheiden (Figg. 89—91). Die Annahme einer
dritten der Urniere zugehörigen Zelle stützt sich mithin nur auf die
jüngsten Entwicklungsstadien.
Nach diesem Verlaufe der Entwicklung müssen wir in der Ur-
niere durchaus ein Organ sehen, welches sich direkt aus der den
Jungen Organismus umkleidenden Zellenlage ableitet, d. h. dem Ekto-
derm. Nicht nur spricht dafür, dass stets, auch auf den jüngsten
Stadien, ein inniger Zusammenhang der betreffenden Anlage mit dem-
selben konstatirt werden konnte, auch die Fortentwicklung deutet
aufs ungezwungenste eine derartige Entwicklung an. Es ist keine
reguläre Einstülpung vorhanden, wohl aber ein stetiges Wachsthum
von der Peripherie, dem Ort der Entstehung, nach innen gegen das
Centrum hin, ein Process, der sich aufs engste an eine wirkliche
Einstülpung anschließt und mit Leichtigkeit auf eine solche zurück-
zuführen ist. Auf noch jüngeren Stadien, als dem in Fig. 87 dar-
gestellten, ist die Deutung austretender Urnierenzellen eine so ge-
wagte, dass ihre Wiedergabe keine größere Beweiskraft in sich böte.
Sicher ist aber, dass ich nie einen Zellenkomplex beobachten konnte,
der sich etwa auf die Urnierenanlage beziehen ließe und der nicht
in engem Zusammenhang mit dem Ektoderm gestanden hätte. Die
Mesodermzellen sind auf diesen jüngsten Stadien so wenig zahlreich
und zum großen Theile in die Bildung von Muskeln übergegangen,
so dass ihre Kontrolle nur geringe Schwierigkeiten bietet.
Bei den übrigen Autoren finden wir meist eine direkte Ab-
leitung der Urniere aus Mesodermzellen, so bei HATSCHEK von
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 3
Teredo, oder aber eine theils mesodermale, theils ektodermale, so bei
STAUFFACHER von Üyclas. Ähnliche Gegensätze finden sich auch in
den Angaben der Entstehung der Pulmonaten-Urniere, die ohne er-
neute Untersuchungen nicht gelöst werden können. Auch in NE-
KRASsovV’s kurzer Mittheilung vermag ich keine Förderung dieser
Frage zu finden, da sich darin nicht erkennen lässt, wie weitgehend
die eigenen Studien des Verfassers betreffs dieser Verhältnisse sind.
Hervorheben möchte ich aber die Übereinstimmung in der Ent-
wieklung der Urniere der beiden von mir genau untersuchten Formen,
von Limax maximus und Dreissensia polymorpha, welche beide eine
wohl differenzirte, rein ektodermale Anlage aufweisen. Leider ver-
mochte ich dieser Frage bei den Süßwasserpulmonaten nicht die
gleiche Aufmerksamkeit zuzuwenden, so dass wir für diese zur völli-
sen Klärung erneute Untersuchungen abwarten müssen.
5. Muskelsystem.
Innerhalb des Muskelsystems haben wir streng zu scheiden ein
larvales von dem definitiven der ausgebildeten Muschel. In ihrer
zeitlichen Anlage sind beide nicht durchaus streng geschieden, sie
funktioniren sogar theilweise gleichzeitig neben einander. Ich be-
zeichne desshalb als rein larvale Muskeln nur solche, die allein
während der Larvenperiode thätig sind und mit der Umwandlung
der Larve in die Muschel ihre Thätigkeit einbüßen, mithin resorbirt
werden.
a. Larvales Muskelsystem.
Das larvale Muskelsystem besteht typisch aus drei Zügen jeder-
seits, die ich als dorsalen, medialen und ventralen Retraktormuskel
unterscheiden will. Ihre Anordnung ist die folgende (vgl. hierzu die
Figg. 49—54 auf Taf. V). Die Ursprungsstelle sämmtlicher drei
Muskelbündel liegt an der hinteren Dorsalseite, rechts und links an
das Schalenhäutchen sich festheftend. In ihrem Verlaufe nach vorn
divergiren sie stark, und so kommt es, dass ihre Insertionsstellen
weit aus einander liegen, ganz im Gegensatze zum Ursprunge. Der
dorsale Retraktormuskel (dr) verläuft jederseits längs der Dorsal-
linie des Körpers und sendet seine Faserbündel, die oft in mehrere
selbständige Bündel zerfallen, an die obere und hintere Velarregion.
Neben den Hauptmuskelbündeln ist namentlich ein fast stets vorhan-
dener kleiner, ganz dorsal gelegener Zweig zu beobachten, der dicht
unter dem vorderen Schließmuskel gleichfalls in das Velum zieht.
76 Jonannes Meisenheimer,
Innerhalb des Velums zerspleißen sich die einzelnen Muskelfasern in
feine Fibrillen, die sich an der Wand des Velums befestigen (Fig. 55).
Der mediale Retraktormuskel (mr) entspringt dicht neben dem
dorsalen, er zieht direkt nach vorn, die Schale ziemlich genau in
eine obere und untere Hälfte theilend, und inserirt in der vorderen
und unteren Velarregion. Auch er spaltet sich oft in mehrere Muskel-
bündel, von denen ein hinteres namentlich die Scheitelplatte umzieht
und sich in ihrer Umgebung festheftet, während die übrigen in der-
selben Weise sich im vorderen Theile des Velums verästeln. Während
diese beide Muskelsysteme eine etwa gleich starke Entwicklung zei-
gen, ist der dritte hierher gehörige Muskel, der ventrale Retraktor-
muskel (or), bedeutend schmächtiger von Ansehen. Seine Ursprungs-
stelle liegt wiederum derjenigen der beiden ersten sehr genähert,
sodann aber zieht er in schräger, stark geneigter Richtung nach unten
und vorn, um sich vor dem Enddarme jederseits an den Mantelfalten
festzuheften. Er besteht in der Regel nur aus einem einzigen Faserzuge.
Die Funktion dieser Muskelsysteme ergiebt sich unmittelbar aus
ihren Insertionsstellen. Wie ich durch den Namen schon andeutete,
dienen sie alle dazu, die einzelnen Körpertheile der Larve in die
schützende Schale zurückzuziehen, und zwar übernehmen diese Thätig-
keit dorsaler und medialer Retraktormuskel für das Velum, der ven-
trale dagegen für die um den After gelegenen Partien, die einen
Wimperbüschel tragen und oft weit über die Schale hinaus vorge-
streckt werden können. Dieses mächtig entwickelte Muskelsystem
erklärt zur Genüge die außerordentliche Kontraktilität der Larve.
Beim Einziehen des Velums werden stets zuerst die vorderen Partien
des Velums eingezogen, die medianen Theile mit der Scheitelplatte
voran, die seitlichen mit dem eigentlichen Wimperapparate in einer
Art von Umrollung nachfolgend (vgl. Fig. 98). Ein Erschlaffen der
Muskeln verursacht oder ermöglicht wenigstens mit dem Öffnen der
Schale ein erneutes Vortreiben des Velums, welches wohl im Wesent-
lichen durch einfaches Einströmen der Leibesflüssigkeit hervorge-
rufen wird.
Betreffs der Entwicklungsgeschichte dieser Muskeln kann ich
nich kurz fassen, sie entstehen aus den Elementen des zweiten So-
matoblasten und der übrigen Mesenchymgebilde. Auf recht jungen
Stadien sieht man die betreffenden Zellen bereits ihre charakteristische
Lagerung annehmen, entsprechend den drei Muskelsystemen (Fig. 49),
dieselben wachsen mit der Larve selbst schnell heran (Fig. 50) und
gehen endlich in ihre definitive Gestalt über (Figg. 51—94).
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 72
Wenn die freischwärmende Larve sich dem Zeitpunkte des Fest-
heftens nähert, beginnen die Retraktormuskeln sich zurückzubilden.
Zuerst verschwindet der stets schwächere, ventrale Retraktormuskel
(Fig. 56), sodann nehmen auch die beiden übrigen schnell an Umfang
ab, auf Fig. 57, einem Stadium, welches sich gerade festgeheftet hat
und im Begriff steht, das Velum abzuwerfen, ist keine Spur mehr
von ihnen vorhanden.
Von diesen so eben beschriebenen Retraktoren wurden bis jetzt
stets nur die beiden stärkeren beobachtet, so von LovEn, der sie
Levatores veli nannte, so von KoRSCHELT bei Dreissensia, weiter von
Horst bei Ostrea, der aber deutlich in seiner Fig. 16 den dritten
Muskel angiebt, und endlich von HATSCHER bei Teredo. Auf einige
Punkte der letzteren Darstellung muss ich etwas näher eingehen.
HATSCHEK giebt von den beiden Retraktormuskeln an, dass sie je in
zwei Partien zerfallen, von denen die eine die Retraktion des Ve-
lums besorgt, die zweite aber das Schließen der Schale. Ich muss
dagegen bemerken, dass mir nie eine Inserirung der Muskelfasern
an den Seitenrändern der Schale zu Gesichte gekommen ist, dass
vielmehr sämmtliche Fasern bis hinauf in das Velum zogen, wie ja
auch meine sämmtlichen Figuren darlegen. Der Verschluss der
Schale erfolgt stets durch den vorderen Schließmuskel, von dessen
früher Anlage freilich HATSCHER nichts erwähnt. Auf seinen Figuren
(Taf. II, Figg. 21, 22, 24) ist dagegen diese Muskelanlage sehr wohl
zu erkennen. une erwähnt HATSCHEK an einer Stelle einige
kurze, transversale Muskelfasern, »die vom Hinterende der Mesoderm-
streifen in die Gegend des Schlossrandes ziehen«, sie entsprechen
ohne Zweifel den von mir als ventral bezeichneten Retraktormuskeln.
Bei den Unioniden ist das larvale Muskelsystem in Folge der
durchaus abweichenden Glochidiumlarve ein völlig anderes. Ob die
Myocytenstränge LitLLıe’s (Strangzellen der Autoren) mit den Re-
traktormuskeln der Trochophoralarve verglichen werden können, ist
schwer zu entscheiden, sicher ist dagegen eine Neubildung der Glo-
chidiumlarve der larvale Adduetormuskel. Über sein Verhältnis zur
Trochophoralarve haben wir oben bereits eingehend gehandelt.
b. Definitives Muskelsystem.
In das so eben beschriebene larvale Muskelsystem schiebt sich
nun zeitlich wie örtlich ein zweites ein, welches der Organisation
der erwachsenen Muschel entspricht. Auch hier haben wir drei Sy-
steme zu unterscheiden, vorderen Schließmuskel, hinteren Schließ-
73 Johannes Meisenheimer,
muskel und Retraktor des Fußes. So weit sich ihr Ursprung schärfer
verfolgen lässt, leiten sie sich von zerstreuten Mesenchymzellen ab,
die sich an der betreffenden Stelle strangförmig anordnen, fibrillären
Bau annehmen und schließlich ein Muskelbündel bilden.
Der vordere Schließmuskel legt sich zeitlich zuerst an. Seine
Anlage fällt zusammen mit derjenigen der drei larvalen Muskeln.
Bereits auf Fig. 49 sehen wir ihn in etwas vorgeschrittener Entwick-
lung an seiner späteren Stelle, etwas hinter dem Dorsalrande des
Velums gelegen (vs). Später kommt er in der oben bereits geschil-
derten Weise in die Nähe des Mundes zu liegen, wobei er häufig in
mehrere Bündel zerfällt (Fig. 58 vs). Eine Anschauung von seinem
Faserverlaufe giebt der Frontalschnitt von Fig. 101. Seine Funktion
besteht natürlich im Öffnen und Schließen der beiden Schalenklappen.
Die frühe Anlage des vorderen Schließmuskels wird für die
meisten bisher beschriebenen Formen angegeben, selbst für die, bei
welchen er später wieder völlig zu Gunsten des hinteren unterdrückt
wird. Vor dem hinteren Schließmuskel findet die Anlage des vor-
deren statt bei verschiedenen Muscheln nach Loven, bei Ostrea nach
JACKSON und Horst, bei Dreissensia nach KORSCHELT, bei Yoldia
und Nucula nach Drew. Eine Ausnahme scheint Cyclas nach ZIEGLER
zu machen, wo umgekehrt der hintere Schließmuskel sich vor dem
vorderen anlegt. Die Unioniden verhalten sich nach F, ScHMmiDT
und Braun ähnlich, hier liegt an der Stelle des vorderen Schließ-
muskels zunächst noch der larvale Adductormuskel, und erst nach
dessen Zerfall kann sich an derselben Stelle der vordere Schließ-
muskel neu bilden.
Ganz dieselbe Funktion wie der vordere Schließmuskel erfüllt
auch der hintere, doch tritt er, wie schon erwähnt, erst viel später
auf, und zwar etwa zwischen dem Stadium von Fig. 54 und 56.
Auch er (As) stellt einen einfachen Strang von Muskelfasern dar, die
quer von einer Schalenklappe zur anderen ziehen, wie es etwa Fig. 99
auf Taf. VIII darstellt. Er liegt hinter dem Visceralganglion (Fig. 56),
vor und über dem Enddarme (Fig. 99), und kann später ebenfalls in
mehrere, etwas selbständigere Bündel zerfallen (Fig. 59).
Es bleibt uns endlich noch der Retraktormuskel des Fußes zu
betrachten übrig. Derselbe entsteht zuletzt von allen Systemen und
zwar dadurch, dass sich Muskelzellen an die hintere Schalenseite
jederseits festheften und von hier konvergirend den Enddarm um-
fassend nach der Basis des Fußes hinziehen (Fig. 100 rf). Diese
Fig. 100 entspricht etwa einem Stadium, wie es Fig. 56 darstellt, wo
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 79
wir die Muskelfasern (rf) in der in Fig. 100 längs getroffenen Rich-
tung verlaufen sehen. Bald nimmt dieses Muskelsystem an Mächtig-
keit ganz bedeutend zu (Figg. 57, 58), ja es übertrifft schließlich alle
anderen an Umfang (Fig. 59). Seine Funktion besteht in Vor- und
Zurückziehen des Fußes, seine Mächtigkeit erklärt die außerordent-
lich starke Beweglichkeit des Fußes, die freilich durch die Kontrak-
tilität der vorderen Fußspitze nicht unwesentlich erhöht wird.
Kaum ein anderes Organsystem als das Muskelsystem zeigt uns
deutlicher den Gegensatz von Larvenorganisation und erwachsenem
Thiere. Das eine System wird durch ein anderes mit dem Wechsel
von Gestalt, Bedürfnissen und Lebensweise ersetzt. Aber nur theil-
weise — Theile des einen Systems greifen nöthigenfalls unterstützend
in das andere ein. Die Thätigkeit der larvalen Retraktoren wird erst
vervollkommnet durch die korrespondirende Thätigkeit des vorderen
Schließmuskels, der die zurückgezogenen Organe erst völlig gegen
die schädliche Umgebung abzuschließen vermag. Eine derartige
Wechselwirkung hat naturgemäß starke Verschiebungen der zeit-
lichen Anlagen zur Folge, und daraus erklärt sich die so außer-
ordentlich frühe Anlage des vorderen Schließmuskels. Doch wir
wollen zunächst in unserer Schilderung der einzelnen Organe fort-
fahren, am Schlusse werde ich auf diese theoretischen Fragen im
Zusammenhange eingehen.
6. Nervensystem und Sinnesorgane.
In der Regel besitzen die Lamellibranchiaten drei Paare von
Ganglien, ein Cerebral-, Pedal- und Visceralganglion, die unter ein-
ander durch lange Kommissuren verbunden sind. Entwicklungsge-
schichtlich legen sie sich sämmtlich getrennt von einander an, nur
das Gemeinsame zeigend, dass sie alle dem Ektoderm entstammen,
während im Übrigen die Vorgänge bei ihrer Entwicklung recht ver-
schieden von einander sind.
Das Cerebralganglion, welches wir hier zuerst. betrachten wollen,
ist seiner Genese nach aufs engste mit einem larvalen Sinnesorgane,
der Scheitelplatte, verknüpft. Wir müssen desshalb zunächst etwas
genauer auf diese selbst eingehen. Sie liegt genau in der mittleren
Längslinie des Velums, etwas nach vorn und unten verschoben. Schon
sehr frühzeitig beginnt sich ihre Anwesenheit bemerkbar zu machen
durch das Auftreten eines zarten Cilienbündels (Figg. 68—70 sp), dem
bald auch eine starke Verdickung des Epithels gegenüber den sich
abflachenden Velarzellen folgt (Figg. 102, 130 sp). Die Zahl der
80 Johannes Meisenheimer,
Cilien ist auf den älteren Stadien stets eine recht beträchtliche, wie
sie auch von Mytilus durch Barroıs und von Yoldia durch Drew
beschrieben wurden. HATSCHEK giebt dagegen die Zahl der Scheitel-
cilien für Teredo auf drei an, zwei schwächere und eine stärkere,
die immerhin vielleicht ebenfalls aus Bündeln zarterer Cilien zu-
sammengesetzt sind. Horsr erwähnt sie von Ostrea überhaupt nicht.
Der Zellenhaufen der Scheitelplatte nimmt schnell an Umfang zu
(Fig. 103), an seiner Oberfläche ist er von dem Pigment, welches die
ganze obere Seite des Velums bedeckt, fast oder völlig frei. Der
Wimperbüschel liegt schon jetzt nicht mehr genau central, sondern
er verschiebt sich in die hintere Hälfte der Scheitelplatte. Mit dieser
Verschiebung des Wimperbüschels erfolgt zugleich eine Veränderung
des vorderen Theiles der Scheitelplatte. Die Kerne derselben ziehen
sich nämlich von der Oberfläche zurück und lassen so eine feinkörnige,
kernfreie, obere Schicht hervortreten, die sich bald zu einer Grube
vertieft (Fig. 104—106 sg). Weiterhin löst sich von dem Grunde
eben dieser zuletzt geschilderten Scheitelgrube eine mächtige Zellen-
schicht los, in welcher die erste Anlage des Cerebralganglions zu
sehen ist (Fig. 105 eg). Die einfache Scheitelplatte ist so zu einem
äußerst komplieirten Gebilde geworden (Figg. 104, 105), sich zu-
sammensetzend aus dem Reste des ceilientragenden, hinteren Theiles
(sp), aus der vorderen Scheitelgrube (sy) und aus dem sich abschnü-
renden Cerebralganglion (eg). Von diesen drei Theilen wird der
erstere völlig aufgelöst und abgeworfen, der feste Verband seiner
Zellen lockert sich sehr bald (Fig. 105), die Cilien verlieren an Um-
fang und fallen ab. Die beiden letzteren Theile sind bleibende Ge-
bilde, die in ihrer Entwieklung zunächst noch einen innigen Verband
zeigen, später aber völlig verschiedene Wege einschlagen. Eine Reihe
von Querschnitten auf einander folgender Stadien mag uns diese Ver-
hältnisse näher erläutern. Auf dem jüngeren Stadium von Fig. 107
ist die Scheitelgrube noch mäßig vertieft, ihre feinkörnige, pigment-
freie oberflächliche Schicht tritt klar hervor. An dieselbe schließt
sich eine mächtige Kernmasse an, die nach unten in zwei Zipfel aus-
gezogen ist und in ihrem Inneren ebenfalls eine kernfreie, fein-
faserige Substanz erkennen lassen. Wir haben hierin das spätere
Cerebralganglion mit seiner Fasersubstanz vor uns. Das nächstfol-
sende Stadium von Fig. 108 zeigt uns alle diese Theile bereits weit
schärfer differenzirt. Die oberflächliche Grube hat sich vertieft, sie
ist im Inneren von einem feinen Saume ausgekleidet, den ich für
einen Wimperbesatz halten möchte, wenn es mir auch selbst mit den
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 8
stärksten Vergrößerungen nicht gelang, denselben in seine Bestandtheile
aufzulösen. Die Kerne in der Umgebung dieser Grube ordnen sich
regelmäßig zu einem Epithele an, während die nach innen davon
liegende Kernmasse des Cerebralganglions deutlich durch eine Tren-
nungslinie, die übrigens auch schon auf Fig. 107 angedeutet ist, von
denselben geschieden ist. In der Cerebralganglienanlage (g) selbst zeigt
die Fasersubstanz eine beträchtliche Massenzunahme. In Fig. 109 ist
die Sonderung der beiden Theile bis auf die unterste Berührungs-
stelle vollzogen. Die Scheitelgrube hat sich sehr vertieft, ihr inneres
Lumen mit dem zarten Saume tritt deutlich hervor, ihr Epithel ist
regelmäßig einschichtig angeordnet. Die an den Seiten der Scheitel-
gsrube bisher noch fast an das Dach des Velums heranreichenden
Zellenmassen des Cerebralganglions haben sich weit ins Innere zu-
rückgezogen und in Fig. 110 endlich ist die Loslösung des Ganglions
vollendet. Schon während der Abschnürung legen sich die beiden
Hälften des Cerebralganglions allmählich immer dichter dem Öso-
phagus an, und nach derselben haben sie fast völlig ihre definitive
Lage auf der Dorsalseite desselben eingenommen. Das Cerebral-
ganglion ist somit fertig ausgebildet, es entsteht dadurch, dass es
sich in seiner @esammtheit, d. h. mit beiden Ganglienhälften wie Kom-
missur, einheitlich und in kontinuirlichem Zusammenhange von seinem
Mutterboden loslöst; ich hebe dies besonders hervor im Gegensatz zu
den übrigen Ganglien.
Die Beobachtungen über die Umbildung der Scheitelplatte in das
Cerebralganglion sind nur spärlich. HarscHer hat bei Teredo zwar
die Zweitheilung derselben in zwei nach innen verlaufende Zipfel be-
obachtet, dessgleichen die Loslösung des Ganglions selbst unter Ab-
spaltung einer an der Oberfläche verbleibenden Epithelplatte, giebt
jedoch keine weiteren Details dieser komplieirten Vorgänge. HorsTt
spricht bei Ostrea von einer Zweitheilung der Scheitelplatte durch
eine oberflächlich gelegene Grube (Scheitelgrube?), geht aber im Ein-
zelnen ebenfalls nicht näher darauf ein. Bei der so stark abweichenden
Larvenform von Yoldia limatula beschreibt Drew auf den jüngeren
Stadien einen weniger engen Zusammenhang von Scheitelplatte und
Cerebralganglienanlage. Erst später treten die zu beiden Seiten der
Scheitelplatte auswandernden Ganglienzellen mit derselben in Be-
rührung, vertiefen sich jederseits zu einer Grube, die nach außen in eine
gemeinsame Einsenkung übergehen, und bilden endlich ihre innere
Masse zu dem kompakten Ganglion um. Bei Nucula dagegen sind
nach demselben Autor Scheitelplatte und Ganglienanlage untrennbar
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Ba. 6
89 Johannes Meisenheimer,
vereinigt, die Ausbildung einer grubenförmigen Einsenkung unterbleibt
hier. Bei Cyclas ist nach ZIEGLER mit der Rückbildung des Velums
auch die Scheitelplatte redueirt, das Cerebralganglion geht einfach
aus einer paarigen Ektodermverdieckung über der Mundöffnung her-
vor. Ähnlich verhalten sich die Unioniden nach F. Scumipr.
Bei Proneomenia nimmt nach GIARD die Scheitelplatte gar keinen
Antheil an der Bildung des Cerebralganglions, dieses entsteht unab-
hängigs davon aus zwei seitlich vom larvalen Stomodäum sich ein-
senkenden Zellenhaufen, die freilich auch noch andere Theile der
Larve liefern sollen. Auf die Prosobranchier und Gastropoden komme
ich weiter unten zu sprechen.
Wir müssen nun nochmals zu dem Theile der Scheitelplatte zu-
rückkehren, den wir auf dem Stadium von Fig. 109 als eine tief ein-
sesenkte Grube (sg) verließen. Die weiteren Veränderungen derselben
sind zunächst noch gering, sie bestehen im Wesentlichen nur in einer
Verdiekung des Wandepithels, welches stark mehrschichtig wird
(Fig. 110 sg). Ihr inneres Lumen stellt einen kurzen, schmalen, in
die Längsrichtung des ganzen Velums gestellten Spalt dar, der je
nach dem Zustande des Velums bald frei an der Oberfläche liegt
(Figg. 108, 109), bald tief ins Innere versenkt erscheint (Fig. 110).
“Was die Bedeutung dieses Organs auf den jüngeren Stadien
anlangt, so kann es wohl kaum einem Zweifel unterliegen, dass das-
selbe ein Sinnesorgan darstellt, welches weit wirksamer sein muss
als der schon früh sich auflösende eilientragende Theil der Scheitel-
platte. Durch den engen Spalt ist die innere Fläche der Grube in
steter Berührung mit dem umgebenden Wasser, der zarte Saum mag
den Reiz übermitteln.
Höchst merkwürdig und interessant ist nun das weitere Schicksal
dieser Scheitelgrube. Dieselbe geht nicht zu Grunde, sondern wird
beim Aufbau des Körpers der erwachsenen Muschel verbraucht, sie
bildet sich um zu den Mundlappen. Es ist dies um so überraschender,
als man letzteren jetzt allgemein weniger die Funktion eines Sinnes-
organs als vielmehr eines Strudelapparates zum Herbeischaffen der
Nahrung zuschreibt. Die Umwandlungen, welche die Sinnesgrube in
die Mundlappen überführen, habe ich in den Figg. 168—173 auf
Taf. XII dargestellt, sie hängen eng zusammen mit der Reduktion
des Velums beim Festheften der Larve. Wenn nämlich das Velum
zusammenschrumpft und eine zerlappte Form annimmt (Fig. 168 o),
erweitert sich zunächst der Spalt der Scheitelgrube. Diese Erweite-
rung nimmt nach dem Abwerfen des Velums und nach dem Festheften
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 33
der Larve stark zu (Fig. 169), die seitlichen Partien der Scheitelgrube
verschieben sich nach den beiden Seiten und ventralwärts und kom-
men so zu beiden Seiten des Mundes zu liegen (Fig. 170 md).
Diese Veränderungen werden uns noch klarer werden durch die
Betrachtung einiger Totalfiguren. Mit dem Zusammenrücken von Mund
und vorderem Schließmuskel in Folge des Zusammenschrumpfens des
Velums erleidet auch die Scheitelgrube eine Verlagerung nach vorn
und unten, so dass sie unmittelbar über den Mund zu liegen kommt.
Fig. 57 auf Taf. V erläutert dies zur Genüge. Wir sehen zwischen
den Resten des Velums zu oberst eine zusammengeschrumpfte Zellen-
masse liegen, die hinteren Theile der ursprünglichen Scheitelplatte,
es folgt sodann nach unten hin das Cerebralganglion (eg), und end-
lich zu unterst eine kugelige Zellenmasse (sg), die nichts Anderes
darstellt als die nach vorn verschobene Scheitelgrube. Diese Ver-
schiebung schreitet nun weiter vorwärts, wobei die in Folge der oben
erwähnten Verbreiterung der Scheitelgrube nunmehr seitlich liegen-
den Zellplatten zapfenförmig auswachsen (Figg. 58, 171 mi), und so
der Gestalt der Mundlappen sich bereits sehr bedeutend nähern.
Während der ursprünglich zarte Saum der Scheitelgrube verloren zu
gehen scheint, bildet sich jetzt ein neuer, kräftiger Cilienbesatz aus
(Figg. 171, 173), weleher später beibehalten wird.
Noch weit mehr tritt die typische Gestalt des Mundlappens in
Fig. 59 auf Taf. V hervor, er hat sich jetzt bereits bis weit nach
hinten gegen die Kiemenblättchen ausgedehnt. Zwei Sagittalschnitte
mögen nochmals die Lagebeziehungen zwischen Scheitelgrube und
Mundlappen veranschaulichen. Auf dem Schnitt von Fig. 172 auf
Taf. XIII sehen wir den vorderen Theil einer sich eben festsetzenden
Larve im Medianschnitt dargestellt. Derselbe entspricht ziemlich
genau dem Stadium von Fig. 57 auf Taf. V. Wir sehen zunächst
allenthalben Theile des zerfallenden Velums (v), dessgleichen des sich
ebenfalls auflösenden vorderen Mundkegels. Über dem letzteren liegt
nun eine sehr dieke Zellenplatte (sg), welche nichts Anderes darstellt
als die ausgebreitete Scheitelgrube, sehr deutlich ist noch die ur-
sprüngliche Lage des Cerebralganglions zu seinem Mutterboden zu er-
kennen, und dieselbe lässt sich selbst noch auf einem weit späteren
Stadium erkennen (Fig. 175), der ganze Komplex hat hier nur die
volle Verschiebung nach vorn und unten bereits durchgemacht {vgl.
Figg. 57, 58 und 59). Diese Bildungen stellen natürlich zunächst nur
den äußeren Mundlappen dar. Wenn ich dann noch hinzufüge, dass
der innere Mundlappen durch ein Auswachsen an der hinteren und
6*
84 Johannes Meisenheimer,
inneren Seite des äußeren zu Stande kommt, so ist der ganze Apparat
hiermit im Wesentlichen ausgebildet, hervorgegangen in seiner Ge-
sammtheit aus einem larvalen Sinnesorgane. So verschieden beide
Gebilde zunächst auch erscheinen, der Process der Ausbreitung der
Scheitelgrube und der Verschiebung ihrer beiden Hälften nach den
Seiten und hinten genügt, um sie aufs engste zu verknüpfen. Mögen
also immerhin auch die morphologischen Verhältnisse einer Deutung
dieser Gebilde als Sinnesorgane weniger günstig sein, jedenfalls weist
ihre Entwicklungsgeschichte durchaus auf eine ursprüngliche derartige
Funktion hin, mag dieselbe auch im Laufe der phylogenetischen Ent-
wicklung verloren gegangen sein.
Von Interesse ist ein Vergleich dieser Gebilde mit ähnlichen Or-
ganen bei den Pulmonaten. Freilich sind die Verhältnisse hier sehr
stark modifieirt, aber trotzdem glaube ich, dass Vergleichspunkte sich
herausfinden lassen. Die Gebilde, welche bei den Pulmonaten in
Betracht kämen, wären Öerebralganglien, Cerebraltuben, Tentakel und
Mundlappen. Die Embryonalanlagen aller dieser Theile fassen P.
und F. Sarasın als Sinnespfannen zusammen und setzen sie dem
Velum homolog. Ich kann mich dieser Ansicht nicht völlig an-
schließen, und muss damit auch der Auffassung mancher anderer
Autoren entgegentreten. Denn auch Conktin leitet bei einem Proso-
branchier die Tentakel aus dem präoralen Velarrande ab. Wir dürfen
vielmehr diese Gebilde, und hierin neige ich eher der Auffassung
F. Schumipr’s zu, nur als Homologa der Scheitelplatte, resp. der den-
selben entsprechenden Körperpartien betrachten, nicht des Velums.
Denn dieses ist ein vergängliches Larvenorgan, welches abgeworfen
und nicht weiter zum Aufbau des Körpers verwandt wird. Wir können
uns sehr wohl denken, dass die Scheitelplatte bei Reduktion des Ve-
lums sich eng dem oberen Mundrande anlegte, ja selbst an den Seiten-
rändern desselben hinabzog, wir erhalten dann völlig die Verhältnisse
der Pulmonaten, wo aus den oberen Theilen Cerebralganglien und
Cerebraltuben hervorgehen, aus den unteren, die unmittelbar über
und seitlich vom Munde liegen, der Tentakelapparat. Im Einzelnen
freilich, in der speciellen Differenzirung, sind die Homologien noch
nicht mit Sicherheit zu ziehen, ob z. B. die Cerebraltuben vielleicht
Theilen der Scheitelgrube entsprechen. Sehr wahrscheinlich erscheint
es mir jedenfalls, dass die Höcker, aus denen bei den Pulmonaten
die Tentakel hervorgehen, zum mindesten Theilen der Scheitelgrube
homolog sind, nimmt doch letztere bei ihrer Umwandlung in die
Mundlappen ganz die gleiche Lage seitlich vom Munde ein. Es
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 85
würden also dann die Mundlappen der Lamellibranchiaten dem Ten-
takelapparat der Gastropoden gleichzusetzen sein, eine sicherere Be-
sründung freilich dieser Ansicht kann nur durch erneute Unter-
suchungen an Zwischenformen gewonnen werden.
Sehr stark modifieirt scheinen die Verhältnisse bei Cyelas zu
sein, von den Unioniden ganz zu schweigen. Hier, bei Cyclas, dehnen
sich nach den übereinstimmenden Beobachtungen von ZIEGLER und
F. Schmipr die Partien, welche die Mundlappen liefern, nicht nur
an den Seiten des Mundes aus, sondern sie verwachsen sogar auf der
Unterseite desselben in der Medianlinie, so dass eine Art bewimperter
Ring entsteht, aus dem sich dann direkt durch Spaltung die vier
Mundlappen differenziren. Ich muss diese Erscheinung für einen
sehr stark abgekürzten und direkten Entwicklungsgang halten.
Wir wollen nunmehr in der Betrachtung des Nervensystems weiter
fortfahren. Die Vorgänge, welche zur Bildung des Pedalganglions
führen, sind durchaus anderer Art. Schon wiederholt wurde die Um-
wandlung der Ventralseite in den Fuß eingehender erörtert. Die
‘ersten Anlagen des Pedalganglions treten auf dem, durch die beiden
Mantelfalten als länglichen Wulst hervorgehobenen, mittleren Körper-
theile der Ventralseite auf, etwa zur Zeit des Stadiums von Fig. 52
(2g) auf Taf. V. Sie bilden zunächst zwei schwache, symmetrisch
zur Mittellinie gelegene Ektodermverdickungen (Fig. 111 p9g), schwellen
aber bald an und bilden sodann zwei mächtige Wülste, die sich in
der Mittellinie berühren, aber nie zunächst verschmelzen (Fig. 112 p9).
Mit der weiteren Ausbildung dieser Verdiekung ist eine eigenthüm-
liche Erscheinung verknüpft, die unregelmäßige Wucherung geht in
eine Art Einstülpung über. Nicht nur, dass sich eine kleinere Ein-
senkung thatsächlich vorübergehend zeigt (Fig. 113), auch die Kerne
der ganzen Anlage ordnen sich völlig entsprechend einer Einstülpung
an. Ein tief einschneidendes Lumen kommt nie zu Stande, seine
Stelle nimmt feinkörniges, kernloses Plasma ein, das die spätere
Punktsubstanz des Ganglions liefert. Das Ganze stellt eine Zwischen-
stufe zwischen unregelmäßiger Wucherung und einer regelrechten Ein-
stülpung dar, am besten ist es wohl mit einer sich krümmenden,
dicken Platte zu vergleichen. In der Mittellinie legen sich beide
Hälften dicht an einander, immer noch ohne zunächst zu verschmelzen
(Fig. 113). Die weiteren Vorgänge führen endlich zur Absehnürung
der ganzen Anlage. Die einwärts gekrümmte Platte verengt sich sehr
stark an ihrer äußeren Ansatzstelle, die Falte wird dadurch bedeu-
tend erhöht, die Ansatzstelle immer mehr verdünnt (Fig. 114), bis sich
56 Johannes Meisenheimer,
dieselbe gänzlich loslöst, so dass alsdann zwei getrennte Ganglien-
haufen im Inneren des Fußes liegen, zusammengesetzt aus einer mehr-
schichtigen Zellenlage, die zu innerst die Fasersubstanz einschließt.
Erst dann beginnt die Verschmelzung der beiderseitigen Ganglien-
hälften einzutreten, die Fasersubstanz der einen Hälfte verbindet sich
direkt mit derjenigen der gegenüberliegenden, es entsteht auf diese
Weise die Querkommissur (Fig. 115). Während also bei dem Cere-
bralganglion das ganze Ganglion sammt Kommissur einheitlich sich
anlegte, entstehen hier die einzelnen Theile getrennt von einander und
vereinigen sich erst nachträglich.
Auffallenderweise leitet HATScHER bei Teredo das Pedalganglion
aus einer medianen, unpaaren Verdickung ab, die vielleicht sogar
einer Einstülpung entsprechen könnte, wie er aus einer in der Mitte
liegenden Linie schließen zu müssen glaubt. Diese Linie ist that-
sächlich vorhanden, sie hat aber nichts mit einer Einstülpung zu thun,
sondern stellt die mediane Trennungslinie beider Hälften dar (vgl.
Figg. 55 und 113). Die Loslösung der Anlage durch Einschiebung
von Mesodermzellen beschreibt er im Wesentlichen richtig, nur stellt
diese Zellenmasse, wie oben bereits ausgeführt, die Mesenchym-
Muskelanlage des Fußes nebst der Byssusdrüsenanlage dar, die that-
sächlich sehr stark das Ganglion nach innen drängen, abgesehen
natürlich von der in seiner Entwicklungstendenz liegenden Eigenbe-
wegung.
Die übrigen Angaben über andere Formen sind größtentheils
weniger bestimmt. Horsr bildet die Pedalganglionanlage für Ostrea
sehr klar ab, ist aber zweifelhaft, ob er sie wirklich in dem be-
schriebenen Gebilde vor sich habe, was sicherlich der Fall ist. Weni-
ger klar erscheint mir die Darstellung WoopDwarp’s, wenn sie auch
einige Punkte zweifelsohne richtig stellt.
Kurz beschrieben hat endlich KorscHeLrt die Pedalganglienan-
lage von Dreissensia auf einer einfachen Figur, und weiter DREW die-
selbe für Yoldia und Nucula aus einer Ektodermverdickung abgeleitet.
Ausführlicher sind wieder die Beobachtungen ZIEGLER’s an Cy-
clas. Hier soll die Entwicklung des Pedalganglions in enger Be-
ziehung zur Ausbildung der Byssusdrüse stehen. Das Wichtigste in
dieser Darstellung ist, dass wir auch hier eine paarige ektodermale
Wucherung vor uns haben, die Details derselben sind mir nicht völlig
klar geworden. Jedenfalls glaube ich kaum, dass die »großen Zellen
der Byssusdrüsenanlage« auch zugleich die Anlage des Ganglions
enthalten, dass es sich hier vielmehr, ganz wie bei Dreissensia, nur
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 87
um eine räumliche Anlagerung handelt, während die eigentliche
Wucherungsstelle entweder unmittelbar neben der Byssusdrüsenanlage
liegt, oder zeitlich vor ihr dieser Process an nahezu derselben Stelle
stattgefunden hat. Ein Vergleich der Figg. 15, 20 und 21 ZiEGLERr’s
‚rechtfertigt durchaus eine derartige Deutung, die ich in gleicher Weise
auf die Beobachtungen F. Scuumipr’s bei den Unioniden anwenden
muss, wo ebenfalls enge Beziehungen von Pedalganglion und Byssus-
drüse bestehen sollen. Auch hier wird es sich nur um dichte Anla-
gerung, keinen inneren Zusammenhang handeln.
Die Entstehung des Visceralganglions ist weitaus am schwierig-
sten zu beobachten, da der Ort der Entstehung fortwährenden Lage-
verschiebungen ausgesetzt ist. Die erste Anlage besitzt eine höchst
merkwürdige Beziehung zur Pedalganglienanlage, indem dieselbe näm-
lich direkt hinter der letzteren aus einer zweiten, ebenfalls paarigen
Wucherung der Ventralseite hervorgeht (Fig. 116 og). Es ist nicht
zu leugnen, dass die Ähnlichkeit dieses Stadiums mit einem sich von
‚der Ventralseite loslösenden »Bauchstrange« eine recht auffallende
ist, doch sehr bald beginnt dieselbe sich völlig zu verwischen, und
zwar durch Ausbildung der hinteren Fußfurche. Dieselbe schneidet
genau in der Trennungslinie zwischen Pedal- und Visceralganglion
‚ein und entfernt auf diese Weise beide Anlagen sehr schnell von
einander. Das Pedalganglion behält seine Lage im Großen und
Ganzen bei, das Visceralganglion dagegen wird nach hinten ge-
drängt und kommt so allmählich in den von dem Fuße durch die
tiefe hintere Fußfurche getrennten hinteren Körpertheil zu liegen
(Figg. 53, 54, 56 vg). Es liegt hier zunächst unmittelbar der Ven-
tralseite des Darmes an, später schiebt sich zwischen diese beiden
der hintere Schließmuskel ein, so dass alsdann das Ganglion direkt
auf den Muskel zu liegen kommt (Figg. 58, 59).
Inzwischen haben sich auch die histologischen Differenzirungen
innerhalb des Ganglions vollzogen. Die starken Zellwucherungen zu
beiden Seiten des Körpers wachsen auf einander zu (Fig. 116 vg)
und bilden so die Kommissur, die sich freilich zum Theil auch direkt
aus dem Ektoderm herauszubilden scheint. Auf gewissen, etwas älte-
ren Stadien (Fig. 117) ist wenigstens eine Trennung von Ektoderm
und Ganglion nicht festzustellen, während freilich die seitlichen
Wucherungen die weitaus stärksten sind. Die weitere Ausbildung
besteht nun in einer einfachen Loslösung dieser Zellenmassen und
der Differenzirung von Fasersubstanz im Inneren, wodurch wir dann
endlich das fertige Bild des Visceralganglions, wie es uns Fig. 118
88 Johannes Meisenheimer,
zeigt, erhalten. Das äußere Körperepithel (ep), dem das Ganglion
dicht anliegt, ist nun im Vergleiche mit Fig. 117 wieder deutlich
abgegrenzt.
Wo die Entstehung des Visceralganglions bisher deutlich verfolgt
wurde, da besteht kaum ein Zweifel über seine ektodermale Her-
kunft, ZIEGLER giebt dieselbe für Cyelas an, F. Schmipr für die
Unioniden, DREw für Yoldia und Nueula.
Diese drei Ganglienpaare bauen normalerweise das: gesammte
Nervensystem der Lamellibranchiaten auf. Vergleichend-anatomisch
hat man diese Ganglien als aus einer größeren Zahl hervorgegangen
anzusehen, das Üerebralganglion aus Cerebral- + Pleuralganglion,
das Visceralganglion aus Visceral- — Abdominalganglion. Bei den
primitivsten Lamellibranchiaten (Nucula) ist nun thatsächlich noch
ein Pleuralganglion erhalten, und dasselbe glaube ich entwicklungs-
geschichtlich wenigstens auch für Dreissensia nachweisen zu können,
in ähnlicher Weise, wie es bereits SIGERFOOS an einer Pholadide
(Xylotrya fimbriata) beobachtete. Dort liegt nämlich auf einem ge-
wissen Stadium seitlich vom Cerebralganglion und durch eine kurze
Kommissur mit ihm verbunden ein wohl geschiedenes Pleuralganglion,
das später mit dem ÜCerebralganglion verschmilzt. Dreissensia ver-
hält sich ähnlich. Zu dem Zeitpunkte, wann das Cerebralganglion
sich von der Scheitelplatte loszulösen beginnt, sieht man an der
seitlichen Körperwandung etwa in der Mitte zwischen Cerebral- und
Pedalganglion ein kleines Zellenhäufchen liegen (Fig. 121 plgj, wel-
ches aus einer Wucherung des Ektoderms seinen Ursprung nimmt
(Fig. 119 plg), sich abrundet, im Inneren Fasersubstanz entwickelt
(Fig. 120 p/g) und dabei immer enger mit einer vom Cerebralgan-
glion ausgehenden Längskommissur in Beziehung tritt (Fig. 120). Auf
älteren Stadien als Fig. 121 rückt es ganz dicht bis an das Üere-
bralganglion heran (Fig. 109 plg), verbleibt in dieser Lagerung ziem-
lich lange, z. B. noch auf dem Stadium der Fig. 169 (plg), bis es
dann spurlos mit demselben verschmilzt.
In unmittelbarem Zusammenhange mit dem Pleuralganglion nach
hinten zu legt sich auch die Cerebrovisceralkommissur an, theils
durch direkte Loslösung vom Ektoderm, wie es schon ZIEGLER für
Cyclas beschrieben hat, theils wohl auch durch Auswachsen von den
Ganglien aus, letzteres namentlich von Seiten des Cerebralganglions.
Ob auch das Visceralganglion ontogenetisch noch eine Zusammen-
setzung aus mehreren Theilen aufweist, vermag ich nicht sicher zu
entscheiden, da an der betreffenden Stelle eine so komplieirte und
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 89
wechselnde Anhäufung von Zellelementen statt hat, dass ein kleinerer,
wenig oder gar nicht differenzirter Zellkomplex sich sehr leicht der
Beobachtung entziehen kann, wahrscheinlich ist mir jedoch seine
Gegenwart nicht.
In neuerer Zeit wurde von BABoR für Dreissensia außerdem
noch ein Parietalganglion nachgewiesen. Man könnte nun auf die
Vermuthung kommen, dasselbe sei mit dem soeben beschriebenen
Pleuralganglion identisch. Mehrere Gründe sprechen jedoch durch-
aus gegen diese Annahme. Was zunächst die Lage seiner Entstehung
anlangt, so könnte hier eine Entscheidung zweifelhaft erscheinen,
man betrachte beispielsweise die Fig. 121. Seine spätere Entwicklung
jedoch lässt keinen Zweifel über seine Natur mehr zu, sein Heran-
rücken an das Üerebralganglion und Verschmelzung mit demselben
spricht durchaus für seine Deutung als Pleuralganglion. Freilich
habe ich das Parietalganglion BABor’s auf meinen Schnittserien nicht
auffinden können, trotzdem ich recht alte Stadien auf dasselbe hin
untersucht habe. Sollte dasselbe aber späterhin doch noch auftreten,
so hätten wir in Dreissensia eine Form vor uns, die in recht weit-
gehendem Maße auf eine Urform mit ausgebildetem Gangliensystem
hinwiese, wie es uns bei den Prosobranchiern völlig erhalten ge-
blieben ist.
Was die Sinnesorgane anlangt, so sind dieselben sehr bald er-
ledigt, da dieselben bei den Lamellibranchiaten nur eine untergeord-
nete Rolle spielen. Die Scheitelplatte wurde bereits oben eingehend
behandelt, Augen oder augenähnliche Gebilde, wie sie z. B. LovEn
bei verschiedenen Muschellarven in mannigfacher Ausbildung beob-
achtet hat, fehlen Dreissensia völlig, es bleiben also nur die Otocysten
zu betrachten übrig.
Die Otoeysten entstehen aus einer regulären Ektodermeinstül-
pung jederseits, die im inneren Winkel der beiden Mantelfalten sich
in das Innere des Fußes einsenken (Fig. 122 o:) und bald zu einem
regelmäßigen, aus kubischen Zellen zusammengesetzten Bläschen
abschnüren (Fig. 123 ot). Eine ganz ähnliche Entstehung nimmt die
Ötocyste bei allen bisher beobachteten Muscheln, bei Teredo nach
HATSCHER, bei Yoldia und Nucula nach Drew, bei Oyclas nach
ZIEGLER, bei den Unioniden nach F. ScHMiDr.
Das Bläschen legt sich sehr bald dem Pedalganglion dicht an,
seine Zellen flachen sich sehr bedeutend ab und scheiden einen
Ötolithen ab. Den Zustand, auf welchem die Otocyste bis zu den
90 Johannes Meisenheimer,
von mir untersuchten Stadien verharrte, stellt uns Fig. 124 dar.
Wir sehen das mächtige, bereits fertig ausgebildete Pedalganglion
und seinen beiden Hälften seitlich tief eingelagert die Otocysten (of).
Ihr Epithel ist sehr stark abgeflacht, in der Mitte liegt der Otolith
(od), der durch einige sehr zarte Cilien im Inneren schwebend erhal-
ten wird. Diese Cilien sind in konservirtem Zustande nur schwer
zu erhalten, im Leben macht sich ihre Gegenwart dadurch bemerk-
bar, dass der Otolith innerhalb des hellen Bläschens in stetig zittern-
der Bewegung begriffen erscheint. Einzelne Cilien, wie sie HATSCHEK
für Teredo in größerer Zahl angiebt, habe ich in Folge der starken
Flimmerung überhaupt nicht scharf geschieden erkennen können.
7. Darmkanal.
Die Entwicklung des Darmkanals wurde bereits in früheren
Kapiteln des öÖftern gestreift, namentlich in seinen jüngeren und
jüngsten Stadien. Wir sahen, wie derselbe sich aus drei verschie-
denen Abschnitten zusammensetzte, aus dem eigentlich verdauenden
Theile, dem Mitteldarme, aus dem Vorderdarme, der einer sekun-
dären Einstülpung an Stelle des geschlossenen Blastoporus seinen
Ursprung verdankte, und endlich aus dem Enddarme, der ebenfalls
aus einer sekundären Ektodermeinstülpung hervorgeht. Dieses Prokto-
däum ist jedoch weitaus nicht so mächtig ausgebildet wie das Stomo-
däum. Eine erste Andeutung seiner Anlage sehen wir in Fig. 70
auf Taf. VI (pr), wo einige wenige Zellen sich etwas gegen das
Innere vordrängen. In Fig. 126 auf Taf. X macht sich jedoch be-
reits eine schwache Einsenkung (pr) bemerkbar, dieselbe nimmt in
Fig. 127 bedeutend zu, verschmilzt endlich mit dem dicht anliegen-
den Theile des Dünndarmes (Fig. 128), worauf sodann der Durch-
bruch erfolgt zur Bildung des Afters (Fig. 129 af).
Ein Proktodäum wurde bei Muscheln bisher von HATSCHER bei
Teredo beobachtet, dessgleichen giebt Lov£n eine vertiefte Einsenkung
an der Stelle des späteren Afters an, völlig zu fehlen scheint es da-
gegen Uyclas nach ZIEGLER, wie auch den Unioniden nach F. SCHMIDT
und SCHIERHOLZ. Ein Stomodäum dagegen ist stets vorhanden,
selbst bei der so sehr stark abgeänderten Glochidiumlarve der Unio-
niden, wo eine besondere Bildung (Mittelschild der Autoren — oral
plate LitLıe’s) diese Anlage darstellt.
Diese drei verschiedenen Bestandtheile bauen den ganzen Darm-
kanal auf, sie erleiden mannigfache Modifikationen und Umwandlungen,
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 91
bis sie ihre endgültige Gestalt erhalten. Wir werden dieselben jetzt
der Reihe nach betrachten.
Der Vorderdarm ist wohl der Theil, welcher die geringsten
Veränderungen durchzumachen hat. Das früher bereits eingehend
beschriebene Stomodäum drängt die Mitteldarmanlage weit nach innen
zurück und dehnt sich dabei selbst zu einem nach innen verengten
Rohre aus (Fig. 130 auf Taf. X). Seine Zellen nehmen allmählich
einen stark vacuolisirten Bau an und senden einen außerordentlich
mächtigen Wimperapparat in den Schlund hinein (Fig. 130). Diese
Wimpern füllen den Ösophagus völlig aus, sie ragen vorn weit aus
demselben hervor und befördern durch ihre Strudelbewegung die
Nahrungskörper in den sich unmittelbar anschließenden Magen. Auf
Querschnitten ist außerdem noch deutlich als Abgrenzung der Schlund-
zellen gegen den Schlund eine starke Cuticula zu beobachten
Nee, 120. auf Taf. X, cu).
Eigenthümlich ist es, dass an dem Ösophagus selbst entwick-
lungsgeschichtlich keine Spur des charakteristischen Molluskenorgans,
der Radulatasche, aufzufinden ist. Bei primitiven Muscheln (Nucu-
liden) hat man rudimentäre Gebilde am Ösophagus aufzufinden ver-
mocht, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der Radulatasche der übrigen
Mollusken nicht verkennen lassen, entwicklungsgeschichtlich hat sich
nicht die allergeringste Andeutung einer solchen erhalten. Zwar
‚erwähnt Lov£x bei Cardium an der hinteren Wand des Ösophagus
einen kleinen Zapfen, lässt es aber selbst unentschieden, ob er hier
wirklich ein Homologon der Zunge vor sich habe.
Die stärksten Umgestaltungen erleidet der Theil, welcher als
Mitteldarm sich aus den eingestülpten, vegetativen Zellen ableitete.
Derselbe zerfällt zunächst in zwei scharf zu scheidende Abschnitte,
in den vorzugsweise verdauenden Theil, der Magen, Leber und
Krystallstielblindsack umfasst, und in den Dünndarm, der mit dem
kurzen Proktodäum zu einer Einheit verschmilzt und in seinem End-
abschnitt den Enddarm darstellt. Schon in Fig. 69 und noch mehr
in Fig. 70 auf Taf. VI lassen sich die beiden Hauptabschnitte aus
einander halten, weit schärfer heben sie sich aber in den darauf folgen-
den Stadien ab, man vergleiche neben der Fig. 132 auf Taf. X die
Totalansichten von Figg. 49 ff. auf Taf. V.
Betrachten wir zunächst den Magen nebst dessen Anhangs-
gebilden. Der eigentliche Magen ist in seiner Entwicklungsgeschichte
aufs engste mit der Leber verknüpft, wesshalb wir sie beide zu-
sammen betrachten müssen. Schon auf dem Stadium der Gastrula
92 Johannes Meisenheimer,
erwähnte ich die in dem vorderen Theile der Mitteldarmeinstülpung
gelegenen Leberzellen, deren Kerne sich durch ein feines Chromatin-
netz und deutlichen Nucleolus vor den übrigen auszeichnen (Figg. 66,
67 Iz auf Taf. VI. Weiter wurde auch bereits ausgeführt, wie im
Laufe der Entwicklung sich diese Zellen etwas seitlich und rück-
wärts verschieben (Figg. 69, 7O), bis sie endlich zwei deutliche kleine
Ausbuchtungen zu beiden Seiten bilden (Fig. 73 /z auf Taf. VII).
An dieses Stadium knüpfen wir jetzt wieder an. Weit schärfer
markirt sind die seitlichen Ausbuchtungen bereits in Fig. 78 auf
Taf. VII, die Wandung besteht noch aus ganz den gleichen hellen,
bläschenförmigen Kernen. Das Lumen, sowohl von Magen wie Leber-
säckchen, ist bis zu diesem Stadium noch sehr gering, nun aber
— es geschieht dies etwa auf dem Stadium von Fig. 49 auf Taf. V —
beginnen sämmtliche Zellen, Magen- wie Leberzellen, stark zu
vacuolisiren, wie es Fig. 131 auf Taf. X zeigt, ein Schnitt quer durch
den ganzen Komplex. Der nun folgende Vorgang scheint sich der-
art abzuspielen, dass die Vacuolen zum mindesten theilweise zu-
sammenfließen und so plötzlich im Inneren ein mächtiges Lumen
entsteht (Fig. 132), während die Zellen in Magen und Leber ihre
specifische histologische Struktur annehmen. Die Magenzellen bilden
bis auf einen weiter unten zu behandelnden Abschnitt ein einfaches
abgeplattetes Epithel (Fig. 132 ma), welches sich später mit einer
deutlichen, dieken Cuticula bedeckt (Fig. 153 ma). Merkwürdiger-
weise geben fast alle Autoren eine Bewimperung des Magenepithels
an, so LovEn, so HoRST, so HATSCHER und ZIEGLER. Ich kann eine
solche Bewimperung auf meinen Schnitten, die sonst alle Details aufs
schärfste erhalten zeigen, durchaus nicht auffinden. Sollte nicht
wenigstens theilweise bei diesen Angaben eine Verwechslung mit den
Cilien des Ösophagus, die in den Magen hineinschlagen, oder mit
denen des Krystallstielblindsackes vorliegen ?
Seitlich sitzen also dem Magen als zwei Aussackungen die Leber-
säcke an, die nun ebenfalls ein deutliches Lumen entwickelt haben.
Ihre Einmündungsstelle (Fig. 134) liegt dicht hinter dem Ösophagus,
sie gewinnen schnell bedeutend an Umfang und liegen in der Regel
etwas asymmetrisch zu beiden Seiten, der rechte Leberlappen weiter
nach vorn gegen das Velum verschoben. Man vergleiche hierzu
neben der Fig. 134 auf Taf. X die Totalfiguren von Figg. 50—56
auf Taf. V. Auch bei Mytilus edulis liegt nach LACAZE-DUTHIERS
der rechte Lebersack mehr nach vorn hin, während der umfang-
reichere linke sich nach hinten hin ausdehnt, und ein Gleiches
Entwieklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 95
beobachtete Drew an Yoldia limatula. Die äußeren Gestaltsverände-
rungen, wie Lappenbildung (Fig. 59), sowie die einzelnen Lagever-
schiebungen sind bereits bei der allgemeinen Schilderung der Larve
erwähnt worden, nur die histologische Beschaffenheit der Leber be-
darf noch einiger Worte. Ich erwähnte schon, dass auch bei ihnen
sich eine starke Vacuolisirung bemerkbar macht. Dieser vacuolige
Bau bleibt ihnen erhalten. Innerhalb des vacuolisirten Plasmas der
Zellen, wie es uns in streifiger Anordnung Fig. 134 (/s) zeigt, liegen
die einzelnen Kerne zerstreut. Neben freien Kernen treten solche
auf, die mit einem Hofe sehr dunklen Plasmas umgeben sind, und
diese letzteren sind es, welche die Leber stets sofort auf den Schnit-
ten hervortreten lassen.
Doch ohne weiter auf diese histologischen Details einzugehen,
muss ich nun noch einen besonderen Abschnitt des Magens behan-
deln, der sich schon frühzeitig als eine besondere Vorwölbung des-
selben auf der rechten Seite bemerkbar macht. Schon Lovknx be-
obachtete diesen Abschnitt und unterschied ihn als Pars pylorica von
der vorderen Pars cardiaca, HoRST nennt sie partie inferieure et
superieure. Er besitzt ein ganz ähnliches Epithel wie der Magen
selbst, scheidet aber schon frühzeitig an seiner Innenfläche neben einer
deutlichen, sich tief dunkel färbenden Cuticula 'einen Flimmersaum
ab (Fig. 152 Ab). Die ursprünglich flach napfförmige Gestalt geht
bald in einen tiefen Blindsack über, der sich auf der rechten Seite
der Larve weit nach hinten erstreckt (vgl. neben Figg. 135 und 154
auf Taf. X die Serie der Figg. 49—56 auf Taf. V), und endlich dem
Magen an Umfang fast gleich kommt (Figg. 58, 59 kb). Der Flimmer-
saum hat mit dem Wachsthum des ganzen Gebildes an Umfang stetig
zugenommen, im Leben bemerkt man eine ununterbrochene wellen-
förmige Bewegung über ihn hinlaufen. Die Cilien stehen sehr dicht
und sind eng mit einander verbunden, so dass sie fast wie ein von
feinen Poren durchsetzter Saum erscheinen. Eine ähnliche Bildung
beschreibt SIGERFOoS von Xylotrya fimbriata.
Doch hiermit haben wir die Zusammensetzung dieses Gebildes
noch nicht in allen seinen Theilen erschöpft. Nach innen scheidet
nämlich die Wandung des Blindsackes eine eigenthümliche, stark
lichtbreehende, nicht tingirbare Masse ab, welche das Lumen des
Blindsackes völlig erfüllt und sogar noch in den Magen hineinragt,
um hier mit undeutlichen, verschwimmenden Kontouren zu enden
(Figg. 133, 134 A). Dieses Gebilde ist der unter den Lamellibran-
chiaten sehr weit verbreitete Krystallstiel, die ihn umgebende Scheide
94 Johannes Meisenheimer,
der Krystallstielblindsack. Die physiologische Funktion dieses Kry-
stallstieles besteht nach BARROIS und PELSENEER darin, durch sein
zähes Sekret harte Gegenstände zu umhüllen und so die Magenwand
gegen eine Verletzung zu schützen. Die Nahrung der Larve besteht
im Wesentlichen aus Plankton, man findet demgemäß in ihrem Magen
und Darm oft große Mengen der harten Überreste von Kieselalgen
und ähnlichen Organismen, und ein derartiger Schutz erscheint dess-
halb sehr plausibel.
Alle bisher betrachteten Theile des Darmkarals erläutert noch-
mals in klar zusammenfassender Weise der Frontalschnitt von Fig. 132.
Die Nahrung gelangt zunächst aus dem Ösophagus, von dem der
innerste Zipfel mit einem Flimmerbesatz noch eben getroffen ist (oes),
in den weiten Magen (ma). Hier werden die Nahrungspartikeln in
stetig rotirender Bewegung erhalten, im Wesentlichen wohl durch die
in den Magen hineinschlagenden Cilien des Ösophagus, da dem Magen
selbst solche fehlen. Bei dieser heftigen Rotirung gelangen die
Nahrungsstoffe in innige Berührung sowohl mit den verdauenden
Sekreten der Lebersäcke (/s), die vorn am Ösophagus ausmünden, wie
auch mit der zähen Masse des Krystallstiels (%), dessen seitlich mit
einer Rinne versehene Scheide (45) an der rechten, hinteren Seite
sich in den Magen öffnet. Die Verdauungsprodukte gelangen sodann
in den Dünndarm, zu dem wir jetzt in unserer Betrachtung übergehen
wollen.
Wir verließen den Dünndarm, wie er als einfaches Rohr vom
Magen aus ventralwärts ziehend in den Enddarm überging und mit
dem Ektoderm verschmolz (Fig. 49 auf Taf. V). Dieses Verhalten
komplieirt sich aber sehr bald. Die Einmündungsstelle in den Magen,
die ursprünglich genau in der Mittellinie lag, erfährt eine Verschie-
bung nach rechts. Diese Verschiebung dauert so lange an, bis die
Einmündungsstelle gänzlich auf der rechten Seite liegt. Mit der Aus-
bildung des Krystallstielblindsackes kommt sie außerdem genau auf
die Grenze zwischen diesem und dem eigentlichen Magen zu liegen (vel.
hierzu Fig. 55 auf Taf. V). Der After bleibt stets in der Mittellinie
liegen, am Übergange von der Ventral- in die Hinterseite. Zwischen
diesen beiden Endpunkten beginnt nun ein ausgedehntes Längen-
wachsthum des Dünndarmes, welches naturgemäß eine Schlingen-
bildung zur Folge hat. Diese Schlinge entsteht dadurch, dass der
Dünndarm mit seinem innersten Drittel eine Schleife bildet (Fig. 50),
welche am Magen beginnend von rechts nach links hinten, sodann
dorsalwärts zieht, hier scharf umbiegt und dem ersten Schenkel zu-
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 95
nächst dicht anliegend in gerader Richtung nach unten ventralwärts
zieht. Diese Richtungsänderungen sind zunächst noch schwächer an-
gedeutet, prägen sich aber bald scharf aus durch ein starkes Wachs-
thum der Schleife nach der Dorsalseite hin, womit zugleich ein Um-
biegen des vorderen Zipfels der Schlinge nach vorn verbunden ist
(Fig. 51). In dieser Tendenz schreitet nun die Entwicklung weiter
vorwärts bis etwa zu dem Stadium von Fig. 56. Der Verlauf des
Darmes ist jetzt folgender. Von rechts vorn zieht er zunächst nach
links hinten, biegt dorsalwärts und nach vorn um, erfährt sodann
eine scharfe Knickung nach hinten und verläuft in dieser Richtung
wieder zurück, um endlich scharf nach der Ventralseite umzubiegen
und von hier in schräger Richtung von der linken Seite aus in die
Medianebene zum After zu gelangen. Der Zipfel der Schlinge liegt
ganz auf der linken Seite, wie es Fig. 55 deutlich veranschaulicht,
daher verläuft ein großer Theil des Enddarmes selbst ebenfalls außer-
halb der Medianlinie, und zwar, wie schon gesagt, von links nach
rechts, nur der letzte Abschnitt fällt genau in die Medianebene.
Die Umwandlung in die erwachsene Muschel hat wieder bedeu-
tende Veränderungen im Verlaufe des Darmes zur Folge. Mit der
Ausdehnung des hinteren Körperabschnittes der Larve wird die
Schlinge gleichsam aus einander gezogen (Fig. 58), ihr hinterer Ab-
schnitt läuft ungefähr den entsprechenden Umrissen der Dorsalseite
parallel (Fig. 59), behält also so ziemlich seine larvale Lage bei, der
vordere Abschnitt dagegen wird immer mehr in den sich mächtig
ausdehnenden Fuß einbezogen (Fig. 59). Die ursprüngliche scharfe
Knickungsstelle wird dabei bedeutend ausgeglichen, sie scheint sich
sogar allmählich etwas nach hinten zu verschieben, wofür ihr Lage-
verhältnis zu Herz, Niere und Fußretraktor spricht.
Betreffs der histologischen Struktur von Dünn- wie Enddarm ist
nur wenig zu sagen. Der Dünndarm besitzt ein einfaches Epithel,
welches stark abgeflacht erscheint und nach innen einen dichten
Flimmerbesatz trägt, der sich bis auf den Enddarm ausdehnt und so-
gar aus dem After als Wimperbüschel vortreten kann (Fig. 125).
Überhaupt besitzt der Enddarm ganz dieselbe Struktur wie der Dünn-
darm, eine Grenze ist zwischen beiden unmöglich anzugeben. Nur
der letzte Abschnitt des Enddarmes — er dürfte etwa dem Prokto-
däum entsprechen — weist einige Besonderheiten auf. Seine Zellen
sind nämlich zuweilen stark vacuolisirt, ihre Kerne hell bläschenförmig
und von einem feinen Chromatinnetz erfüllt (Fig. 125 und besonders
Fig. 129).
96 Johannes Meisenheimer,
Was die Funktion dieses Darmabschnittes anlangt, so nimmt er
die Verdauungsprodukte des Magens auf; die brauchbaren Stoffe re-
sorbirt der Dünndarm, die unverdaulichen werden als Exkremente
nach außen befördert. Häufig sieht man in Folge dessen den End-
darm prall angefüllt mit Diatomeenschalen und ähnlichen Überresten
der verschlungenen Protozoen.
S. Gemeinsame Anlage von Herz, Niere und Genitalorganen.
Als ich bei der Entwicklung von Limax maximus den Ursprung
von Herz und Niere aus einer besonderen, ektodermalen Anlage ab-
zuleiten genöthigt war, sprach ich dies bei aller Sicherheit der Be-
weisführung mit einer gewissen Zurückhaltung aus, da ich mir wohl
bewusst war, wie sehr dieses Verhalten unseren bisherigen An-
schauungen widersprach. Seitdem hat nunmehr auch TönnIgeEs für
Paludina eine ähnliche Entwicklung in Anspruch genommen, und hier
bei Dreissensia hoffe ich jetzt diese Verhältnisse noch schärfer prä-
eisiren und in ihrer Bedeutung klarer legen zu können.
Auch bei Dreissensia entstehen Herz und Niere aus einer ge-
meinsamen Anlage, die völlig unabhängig von den Mesenchymgebilden
ist und eine specifische Organanlage darstellt. Freilich umfasst diese
Anlage hier auch noch die Genitalorgane, deren Ursprung ich bei
Limax maximus noch nicht aufzufinden vermochte, stimmt also darin
mit Paludina überein. Auf sehr jungen Stadien noch, wenn gerade
das Proktodäum sich anzulegen beginnt, bemerkt man hinter dieser
Stelle, die nach hinten durch den postanalen Wimperbüschel abge-
grenzt ist, eine starke Zellwucherung (Fig. 7O Ar auf Taf. VD. Ein-
zelne Zellen drängen sich aus dem Verbande des Ektoderms heraus
und schieben sich bis dicht an den Darm heran. Noch schärfer aus-
geprägt ist dies Verhalten in den Figg. 126 und 127 auf Taf. X.
Deutlich erkennt man hinter dem sich allmählich vertiefenden Prokto-
däum die massige Zellwucherung (Ar), die also verhältnismäßig lange
in derartig innigem Kontakt mit dem Ektoderm verbleibt. Allmählich
freilich lockert sich dieser Zusammenhang, die ausgetretenen Zellen
runden sich zu einem kugeligen Häufchen ab, welches hinter dem
inzwischen mit dem Proktodäum verschmolzenen Darme liegt, bald
sich freier abhebend (Fig. 128), bald eng dem von Darm und äußerer
Köperwand gebildeten Winkel sich anschmiegend (Fig. 129). In
diesem Zustande bleibt es wiederum längere Zeit unverändert liegen,
man vergleiche hierzu nur das bedeutend ältere Stadium von Fig. 130
(hn), bis Differenzirungen in seinem Inneren aufzutreten beginnen,
m
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 97
welche dazu bestimmt sind, die in dieser Anlage enthaltenen Organe
zur Entfaltung zu bringen.
Gemäß dem Orte ihrer Entstehung liegt die ganze Anlage streng
bilateral symmetrisch, in so fern das Zellenhäufchen genau in der
Medianebene des Körpers gelegen ist. Diese bilaterale Symmetrie
erhält einen noch viel deutlicheren Ausdruck im Verlaufe der weiteren
Entwicklung. Dieselbe führt zunächst zur Ausbildung zweier in
engem Konnexe stehenden Organe, von Herz und Niere. Eingeleitet
wird diese Differenzirung dadurch, dass das bisher völlig kompakte
Zellhäufchen sich zu lockern beginnt, und ein Theil seiner Zellen
sich symmetrisch zu beiden Seiten des Darmes ausbreitet, während
der Rest seine Lage unmittelbar unter und hinter dem Darme bei-
behält. Wir sehen dieses Verhalten klar ausgeprägt in Fig. 155 (Ar)
auf Taf. XI, welche einen Querschnitt im der Ebene des Enddarm-
verlaufes darstellt, und in welehe die unter dem Darm liegenden
Restzellen von den folgenden Schnitten eingetragen sind. Die am
weitesten nach der seitlichen Körperwandung hingeschobenen Zellen
beginnen sich wieder zusammenzuballen, zunächst noch in unregel-
mäßiger Form (Fig. 136 »), dann sich mehr und mehr abrundend
(Fig. 1357 »), und endlich durch kreisförmige Anordnung der Zellen
ein kleines Bläschen bildend, welches in seinem Inneren ein bald
spaltförmiges, bald rundliches Lumen zeigt (Fig. 158 x) — das rechte
und linke Nierenbläschen hat sich differenzirt.
Ein beträchtlicher Theil des Zellenmaterials der ursprünglichen
Anlage ist hiermit verbraucht, ein Rest nur ist davon zurückgeblieben
und dieser hat inzwischen nach einer anderen Richtung hin Verwen-
dung gefunden. Ursprünglich lag derselbe nur unter und hinter dem
Darme, bald jedoch schieben sich seine Zellen nach vorn hin eben-
falls gegen ihn vor, umwachsen den Darm von beiden Seiten und
bilden endlich einen förmlichen Zellenring um denselben. Das ur-
sprüngliche Verhalten zeigen uns noch die Figg. 135 und 156 (Ay),
seitlich zu verschieben beginnen sie sich bereits in Fig. 157 (hp), wo
sie bereits zwischen Nierenbläschen und Darm, sowie auf der ent-
gegengesetzten Seite des letzteren aufzutreten beginnen. Ein ähn-
liches Stadium weist Fig. 155 auf, und in Fig. 139 endlich ist ein
Zellenring um den Darm im Zusammenhange hergestellt (p). Dieser
Zellenring enthält in sich die Anlage von Herz und Perikard, sowie
der Geschlechtsorgane, wie wir im Folgenden noch sehen werden.
Er umschließt den Enddarm und wird seitlich von on ihm unmittel-
bar anliegenden Nierensäckchen begrenzt.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd.
1
98 Johannes Meisenheimer,
Hiermit hat sich die erste wichtige Sonderung dieses Anlage-
komplexes vollzogen, an jedem der Sondertheile schreitet nun die
Differenzirung weiter fort, die einzelnen Organe immer mehr ihrem
speciellen Bau und ihrer specifischen Funktion zuführend.
Ehe wir uns aber diesen Erscheinungen zuwenden, wird es vor-
theilhaft sein, einen kurzen Blick rückwärts auf die Totalansichten
zu werfen, welche auf Taf. V dargestellt sind, um die Anlagen, um
die es sich hier handelt, in ihrem Zusammenhange mit dem übrigen
Larvenkörper noch etwas schärfer zu charakterisiren. Auf Figg. 49
und 50 macht sich die noch undifferenzirte Anlage nur durch einen
dunkleren Fleck hinter dem After bemerkbar, deutlicher tritt derselbe
bereits in Fig. 51 (An) hervor, und noch mehr in Fig. 52, wo die
seitliche Verschiebung nach vorn bereits begonnen hat. In Fig. 53
endlich hat sich das Nierenbläschen (2) jederseits gesondert, nach
hinten schließt sich an sie der noch undifferenzirte Rest an. Zu-
gleich mit diesen Vorgängen hat sich der ganze Komplex aber auch
den Darm entlang vom After weg dorsalwärts verschoben, wie es
sich in Fig. 52 zuerst bemerkbar macht, stärker in Fig. 55 ausprägt
und auf den folgenden Stadien noch mehr zunimmt. Doch ehe wir
diese älteren Stadien verstehen können, müssen wir das Studium der
Schnittserien weiter fortgesetzt haben, und dies soll in den drei fol-
genden Kapiteln geschehen.
Es ist äußerst interessant, dass ich gerade in einer der ältesten
Untersuchungen über die Muschelentwicklung, in derjenigen LovEn’s
nämlich, die Existenz dieser Organanlage voll und ganz bestätigt
sehe. Hier findet sich nämlich eine Angabe für die Larven von
Cardium und Montacuta, wonach hinter dem Enddarme ein Lappen
hervortritt, der später deutlich als rundlicher, heller Körper (z) an
der gleichen Stelle liegt. Zwar blieb Lov&x sein weiteres Schicksal
völlig unbekannt, doch geht aus den außerordentlich klaren Abbil-
dungen unzweifelhaft hervor, dass dieser helle Körper x völlig iden-
tisch mit dieser von mir soeben beschriebenen Anlage ist.
Ähnliche, zum Vergleiche heranzuziehende Angaben vermag ich
im Übrigen in der Litteratur über die Muschelentwicklung nicht aufzu-
finden, auf die Litteratur über die Entwicklung der einzelnen Organe
werde ich in den besonderen Kapiteln einzugehen haben. Dagegen
sind von den übrigen Mollusken noch zwei Formen bekannt, welche
ähnliche Verhältnisse aufweisen, sie wurden zuerst von mir bei Limax
maximus klar gelegt, und dann auch von TönnIgEs bei Paludina
aufgefunden. Betreffs der. übrigen zweifelhaften Fälle verweise ich
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 99
auf die Litteraturbesprechung an der betreffenden Stelle meiner »Ent-
wicklung von Limax maximuss«.
In dem Verhalten dieser drei Formen, einer Muschel A eines
Prosobranchiers und eines Pulmonaten, zeigt dieser durchaus einhäil.
liche Entwicklungsgang aber nun doch einige Differenzen, die direkt
auf die verschiedene Organisation der einzelnen Formen zurückzu-
führen sind. Es handelt sich um den Ort der Entstehung. Bei
Dreissensia liegt derselbe dorsal vom Darme, bei Paludina scheint
er auf der Ventralseite, also vor dem After zu liegen, und bei Limax
liegt er asymmetrisch auf der rechten Seite. Diese Lage entspricht
völlig der Ausbildung der fertigen Organe. Bei den Muscheln müssen
wir als ursprüngliches Verhalten ein dorsal vom Darme gelegenes
Herz annehmen (Nucula, Arca), welches sich erst später an beiden
Seiten des Darmes hinabzog und schließlich von ihm durchbohrt wurde.
Ganz denselben Weg schlägt die Ontogenie ein, die ursprüngliche
Anlage liegt dorsal. Bei Paludina ist die ursprünglich in der Median-
ebene gelegene Anlage paarig geworden und hat außerdem die Ver-
schiebung auf die Ventralseite erlitten. Die Verhältnisse liegen hier
in Folge der Aufwindung des Eingeweidesackes weit komplicirter.
Auf jüngeren Stadien sieht man jedenfalls das Perikard deutlich ven-
tral unter dem Darme liegen, und diese Beziehung der beiden Or-
sane bleibt auch später erhalten, wenn freilich in modifieirter Form
in Folge einseitigen Überwiegens der einen Hälfte. Bei Limax
endlich ist die ganze Anlage unpaar, sie liegt völlig auf der rechten
Seite, ganz entsprechend der asymmetrischen, nach rechts geneigten
Lage des betreffenden Komplexes, dem sie den Ursprung giebt. Der
Ort der Entstehung kann also bei einer Beurtheilung der allgemeinen
Bedeutung dieser Vorgänge nur eine untergeordnete Rolle spielen,
in so fern er sich stets den sekundär aufgetretenen Organverlage-
rungen in jedem einzelnen Falle aufs engste anschließt. Wir kom-
men später im Zusammenhange nochmals hierauf zurück.
9. Herz und Perikard.
Wir hatten diesen Zellenkomplex als einen um den Enddarm
gelegenen Zellenring verlassen (Fig. 139 Ap). Die nun folgenden
Vorgänge der Differenzirung von Herz und Perikard bieten der Beob-
achtung außerordentlich große Schwierigkeiten dar, da es recht müh-
sam ist, mit Sicherheit die fraglichen Zellgruppen aus ihrer Umgebung
loszulösen und rein zur Darstellung zu bringen. Auf den jüngeren
Stadien sind es vor Allem die Zellenstränge des sich fast gleichzeitig
78
100 Johannes Meisenheimer,
ausbildenden Visceralganglions, welche verwirrend eingreifen und zu-
weilen jede sichere Beobachtung unmöglich machen, später kommen
noch hinzu die Zellen des hinteren Schließmuskels und vor Allem
des Fußretraktors, so dass das Ganze ein Gewirr sich kreuzender
Zellenstränge bildet. Nur die genaueste Kenntnis der Topographie
dieser Stelle, sowie die strengste Kritisirung jeder einzelnen Zelle
vermag hier zum Ziele zu führen. Die Reihenfolge der eben ange-
führten Zellengruppen ist stets die folgende, wobei man die Figg. 54
und 56 auf Taf. V betrachten möge. Unmittelbar vor dem After
liegt der hintere Schließmuskel (As), es folgen sodann nach innen und
oben Visceralganglion (vg) und Fußretraktor (rf). Zwischen Gan-
slion und Fußretraktor liegt die Niere (z), dieselbe erstreckt sich
nach hinten bis über den Fußretraktor hin. An die Niere schließt
sich nach innen unmittelbar das Perikard an, welches das Herz um-
hüllt, es liegt theilweise zwischen den Fasern des sich ausbildenden
Fußretraktors, schiebt sich aber später ganz vor denselben (Fig. 98 2).
Ich habe mit dieser Schilderung etwas vorausgegriffen, aber im
ausgebildeten Zustande ist die Topographie leichter zu verstehen als
im Stadium der Entwicklung. Zum Theil haben wir die einzelnen
Lageverschiebungen bereits im vorigen Kapitel erörtert, in Fig. 53 be-
gsannen die Nierenbläschen nach den beiden Seiten des Darmes hin zu
wandern, unmittelbar dahinter lag die Herz-Perikardanlage, zunächst
noch im Wesentlichen auf die hintere oder untere Seite des Darmes
beschränkt. Das Stadium von Fig. 54 zeigt uns dagegen bereits ein
durchaus anderes Verhalten. Die Niere (n) liegt zwar noch genau
zu beiden Seiten des Darmes, die Herz- und Perikardanlage hat sich
dagegen vorgeschoben und umgiebt ringförmig den Darm (hp), wo-
durch wir nunmehr die Beziehungen zu den älteren Stadien gewon-
nen haben. So viel musste ich über den Ort vorausschicken, an dem
sich die im Folgenden zu schildernden Vorgänge abspielen.
Wir gehen wieder aus von dem Zellenring von Fig. 139 (hp). Eine
derartige regelmäßige Lagerung ist nicht sehr häufig anzutreffen, meist
ist die Anordnung eine weit lockerere und beginnt bald eine mehr-
schichtige Zellenlagerung aufzuweisen. Diese zunächst scheinbar
ganz ungeordnete Regellosigkeit geht allmählich in ein nach Form
und Umfang bestimmteres Gebilde über, wir vermögen bald zwei
Schichten zu unterscheiden, die nunmehr in doppeltem Ringe den
Enddarm umgeben, oben und unten dichter demselben anliegend nach
den beiden Seiten hin in einen längeren Zipfel sich ausziehend. Diese
beiden Zellschiehten stellen nichts Anderes dar als Perikard und
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 101
Herz, ersteres aus der äußeren Schicht, letzteres aus der inneren
bestehend. Freilich spielt sich dieser Vorgang nicht in dieser sche-
matischen, eben geschilderten Weise ab, sondern langsam und durch
scheinbar völlig unregelmäßig gestaltete Zwischenstufen hindurch wird
das Endziel erreicht. Erhöht wird diese scheinbare Unregelmäßigkeit
noch durch die Zartheit des ganzen Gebildes, die Kerne liegen bei
der starken Ausdehnung der zarten @ewebshäutchen so sehr zerstreut,
dass nur in seltenen Fällen auf den ca. 4 u dicken Schnitten ge-
nügend viel Kerne für sämmtliche vier Schichten getroffen sind. Wir
müssen diese Vorgänge nunmehr im Einzelnen an der Hand von
Figuren etwas genauer verfolgen.
Die Stelle des einfachen Zellenringes von Fig. 139 (Rp) sehen
wir auf den Figg. 140 und 141 von einer mehr unregelmäßigen Zellen-
masse (p) eingenommen, die durchaus nicht mehr streng die Ein-
schichtigkeit wahrt. Eine deutliche Spaltung in zwei Schichten jedoch
bemerken wir zum ersten Male auf Fig. 142, in der oberen Hälfte
hebt sich eine äußere Schicht (p) klar von einer unteren (2) ab. So
regelmäßige Bilder der Spaltung treten nur selten auf, doch scheint
der Process sich ziemlich gleichmäßig im Bezirke der ganzen Anlage
abzuspielen, ein Stadium unmittelbar nach der Spaltung stellt z. B.
Fig. 143 dar, wo wenigstens die eine Seite deutlich die vier Schich-
ten erkennen lässt. In Figg. 144 und 145 sind diese vier Schichten
mit zunehmender Deutlichkeit zu unterscheiden, vier Zellenstränge
ziehen langgestreckt von der einen Seite zur anderen, den Darm um-
schließend. Die beiden äußeren stellen das Perikard dar, die beiden
inneren das Herz. Zwischen dem Stadium von Fig. 145 und den
folgenden haben sich ferner die bedeutsamen Verschiebungen voll-
zogen, welche zwischen den Stadien von Figg. 55—56 liegen. Denn
während bisher auf den Frontalschnitten (bis Fig. 145) stets die Niere
wenigstens mit ihren Endzipfeln noch seitlich von der Herzanlage
getroffen wurde, ist dieselbe jetzt völlig von denselben verschwunden.
Herz und Perikard ist weiter dorsalwärts gerückt und kommt so
nahe an den innersten Zipfel der hinteren Fußfalte zu liegen, welche
demgemäß auf den Schnitten von Figg. 144—147 deutlich zu er-
kennen ist (A) (vgl. hierzu Fig. 56 auf Taf. V).
Die Zellenstränge von Herz und Perikard gewinnen nun in der
Folgezeit einen immer festeren Zusammenhang, der Herzschlauch (7)
umgiebt den Darm als ein weiter Schlauch und wird seinerseits von
dem noch weiter ausgedehnten Perikard (p) umschlossen (Fig. 146).
Auf letzterer Figur machen sich zudem auch bereits die ersten
102 Johannes Meisenheimer,
Andeutungen einer Differenzirung in Kammer und Vorhöfe bemerkbar.
Die Kammer bildet den erweiterten Theil um den Darm, die Vor-
höfe sind zunächst nur durch eine leichte Einziehung jederseits zu
erkennen, und dieses Verhalten erhält sich noch längere Zeit. Wenig-
stens treffen wir ganz dieselbe Erscheinung auch noch auf dem weit
älteren Stadium von Fig. 147, welcher Schnitt einer bereits festge-
hefteten jungen Muschel angehört, wo die meisten Organe schon fertig
angelegt sind. Das Perikard (p) ist mächtig ausgedehnt, nur wenige
Zellkerne nebst einer dünnen Membran deuten seine Umgrenzung an,
und eben so diejenige des Herzens, wenn auch hier die Zellen stellen-
weise dichter gedrängt erscheinen, wohl weil die Vorhöfe sich gerade
in theilweiser Systole befinden. Völlig klar geschieden jedoch sind
Kammer und Vorhöfe erst auf dem letzten hier zu betrachtenden Sta-
dium, in Fig. 167 auf Taf. XIIL und zwar durch Ausbildung der
Herzklappen. Die Herz- wie Perikardialwand sind bedeutend mäch-
tiger geworden, namentlich stellt erstere jetzt eine mehrschichtige
Zellenlage dar, deren innere Elemente sich zu fibrillären Muskelfasern
umzubilden scheinen. Zwischen Kammer und Vorhöfen jedoch ist
die Wandung wulstförmig nach innen vorgedrängt, und dieser nach
innen gerichtete Wulst umschließt mit seinen freien Rändern eine
Öffnung, die bei einer Systole der Kammer geschlossen werden muss,
bei einer Diastole jedoch unter gleichzeitiger Systole der Vorhöfe
dem Blut freien Durchlass aus dem Vorhof in die Kammer gewährt.
Um die Entwicklung dieses Organkomplexes völlig abzuschließen,
muss ich endlich noch der Perikardialdrüsenzellen Erwähnung thun.
Dieseiben liegen bei Dreissensia einmal an den Vorhöfen, und dann
vor Allem in sehr mächtiger Entwicklung im vorderen Theile des
Perikards (GROBBEN). Sie entwickeln sich erst ziemlich spät, und zwar
direkt aus Zellen, die in der Wandung von Vorhof und Perikard
liegen. Diese Zellen schwellen mächtig an, nehmen sehr intensiv Farb-
stoffe, wie Eosin z. B., auf und fallen sofort durch ihre abgerundete
Form auf (Figg. 161, 162, 164 »pdz).
Überschauen wir nochmals den ganzen bisher zurückgelegten Weg
von einem einfachen Zellenring um den Enddarm bis zu dem hoch
komplieirten Organkomplex von Fig. 167, so fällt uns namentlich auf
den jüngeren Stadien von Figg. 139—146 der allmähliche Übergang
des unfertigen in den fertigen Zustand auf. Kaum ist eine Grenze
auf irgend einem Stadium zu ziehen, es ist sehr schwierig zu sagen,
wo die Differenzirung völlig vollendet ist, in kontinuirlichem Flusse
gleitet der eine Zustand in den anderen über.
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 103
Ehe ich dieses Kapitel abschließe, muss ich noch auf ein beson-
deres Gebilde aufmerksam machen, welches, wie ich offen gestehe,
mir außerordentliche Schwierigkeiten bereitet hat, und über welches
ich nicht völlig ins Klare gekommen bin. Schon auf jungen Stadien,
wenn das Nierenbläschen sich gerade ausgebildet hat, und Herz und
Perikard sich zu sondern beginnen, sieht man zuweilen nach außen
von beiden Anlagen bläschenartige Gebilde liegen, die unwillkürlich
zunächst an die bisher öfter beschriebenen Perikardialbläschen denken
lassen. In ihrer vollendetsten Ausbildung sind sie auf dem Stadium
von Fig. 142 (x) zu sehen, wo sie nach innen dicht dem Nierenbläs-
chen anliegen. Was ich mit aller Sicherheit glaube von ihnen be-
haupten zu dürfen, ist das, dass sie mit Niere, Herz und Perikard
unter keinen Umständen etwas zu thun haben können. Denn ganz
abgesehen davon, dass die wirkliche Anlage dieser Komplexe in den
meisten Fällen scharf von ihnen zu scheiden ist, ist ihr Auftreten
kein konstantes, wobei diese Inkonstanz so weit gehen kann, dass
es auf der einen Seite sehr wohl ausgebildet ist, auf der anderen
dagegen völlig fehlt. Ferner, und dies ist ein noch weit wichtigeres
Moment, stehen die fraglichen Gebilde in direkter Kommunikation
mit den Lakunenräumen des Körpers. Gewöhnlich ist nämlich ihre
innere Wand etwas verdickt, die äußere dagegen sehr dünnhäutig,
und letztere ist es, die sich weit in die unter dem Schalenepithel
gelegenen Lakunenräume öffnet. Auch die in Fig. 146 (z) darge-
stellten Bläschen öffnen sich einige Schnitte weiter in derartige
Räume. Irgend eine Beziehung zu Niere oder Perikard erscheint allein
durch dieses Verhalten schon als hinfällig erwiesen, dagegen giebt eben
diese Erscheinung vielleicht zugleich einen Fingerzeig für die eigent-
liche Bedeutung dieser Bläschen. Ich halte sie für Blutgefäßanlagen,
speciell der Kiemengefäße, da eben die Lakunenräume, mit welchen
sie kommunieciren, direkt zu den Kiemen verlaufen. Vielleicht kommt
ihnen auf jüngeren Stadien noch eine Art pulsatorischer Thätigkeit
zu, wenn auch direkt daraufhin am lebenden Objekte angestellte
Untersuchungen keine Stütze für diese Annahme lieferten. Jeden-
falls brauchen sie später, ganz im Einklange mit ihrer Lage, nur in
den nach innen an sie grenzenden Herzschlauch sich zu öffnen (vgl.
Fig. 142), um sofort den Zusammenhang der Blutgefäßbahnen zwi-
schen Herz und Kiemen herzustellen. |
Ich bin hier so ausführlich auf diese Details eingegangen, um
eine sicherere Grundlage zur Beurtheilung der Befunde ZIEGLER’s
an Cyclas zu gewinnen. ZIEGLER glaubt nämlich, Herz und Perikard
104 Johannes Meisenheimer,
bei Cyclas aus zwei symmetrisch gelegenen Bläschen ableiten zu
müssen, die dem Mesoderm ihren Ursprung verdanken. Dieselben
verlängern sich zunächst, erfahren in der Mitte eine Einschnürung
und verwachsen dorsal wie ventral vom Darme in der Medianebene.
Aus dem sich einstülpenden Theile geht Kammer und Vorhof her-
vor, aus den übrigen Theilen das Perikard. Die Schemata von.
Texfig. 5 a—d erläutern diesen Vorgang, wie er sich nach ZIEGLER’S
ad
WANNE
ER Re
Textfig. 9 a—d.
Schema der Herz- und Perikardentwicklung von Cyclas nach Zıester. Modificirt nach KorscHELT-
HEIDER. Erklärung der Buchstaben siehe hinten in der allgemeinen Figurenerklärung.
Beschreibung abspielen würde. Ich muss hier erwähnen, dass bei
der Darstellung, die in KORSCHELT-HEIDERr’s Lehrbuch von diesen Ver-
hältnissen gegeben wurde, in Folge einer missverständlichen Deutung
eine Zellenschicht als Peritonealepithel eingezeichnet ist, welches in
Wirklichkeit nicht vorhanden ist, sondern das Herzinnere ist in un-
mittelbarer Berührung mit der Darmwandung. Die obige Serie von
Textfig. 5 giebt die Verhältnisse wohl richtiger an, wie sie auch be-
reits in LanG’s Lehrbuch der vergl. Anatomie dargestellt wurden.
Eine zweite Reihe von Schematen (Texfig. 6 a«—c) zeigt dagegen nun
7? DAS
Or
Textfig. 6 a—.
Schema der Herz- und Perikardentwicklung von Dreissensia nach meiner Darstellung. Erklärung der
Buchstaben siehe hinten.
meine Darstellung von Dreissensia, sie ist weit einfacher, die Spal-
tung eines nach zwei Seiten hin offenen Ringes genügt, um den glei-
chen komplieirten Organkomplex hervorzubringen. Eine weitere
Diskussion dieser beiden Schemata ist nach allem bisher Gesagten wohl
überflüssig, hervorheben muss ich nur nochmals, dass ich trotz der
srößten Sorgfalt und trotzdem mir viele Hunderte von Serien zur
Verfügung standen, keine Spur der Vorgänge, wie sie sich bei Cyelas
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 105
abspielen, bei Dreissensia aufzufinden vermochte, die Grundlage des
sanzen Komplexes bilden nicht zwei seitlich gelegene Bläschen,
sondern ein einfacher Zellenring um den Enddarm. Natürlich kann
ich damit nicht direkt ZiEGLER’s Befunde widerlegen, wenn es auch
sehr wünschenswerth wäre, dass diese so schwer zu beobachtenden
Vorgänge durch mehr Übergänge gestützt wären. Namentlich er-
scheint mir der Übergang der frühesten Perikardialbläschenanlage zu
den späteren Stadien etwas unsicherer Natur und fast nicht weniger
die Ausbildung der Herzeinstülpung, also gerade die wichtigsten
Punkte, auf die es hier ankommen muss.
Die Angaben der älteren Autoren über diese Verhältnisse bei
COyelas sind kaum zu verwerthen. STEPANOFF’sS Angabe ließe sich
wohl mit der meinigen in Einklang bringen, er schildert die erste
Anlage des Herzens als einen Zellhaufen, der den Darmkanal um-
siebt. GAnın dagegen lässt das Herz aus einer soliden Verdiekung
der Rückenseite des Perikardialbläschens entstehen. RAY LANKESTER
endlich nimmt als Herz- oder Perikardialanlage bei Pisidium ein
kleines unter den Umbonen auftretendes Bläschen in Anspruch.
Nur wenig mehr wissen wir über die Entwicklung des Herzens
bei den Unioniden. Nach F. Schmipr tritt hier das Herz am Ende
der parasitischen Larvenperiode, also erst sehr spät, als ein um den
Enddarm liegendes Bläschen auf. Höchst eigenthümlich ist die Schil-
derung, welche SCHIERHOLZ von diesen Verhältnissen entwirft. Er
spricht zunächst von einem Perikardialraum, der hufeisenförmig den
oberen Abschnitt des Enddarmes umgiebt, und dessen seitliche Aus-
läufer nach hinten bis zur hintersten Kiemenpapille verlaufen, um
hier zu enden. Das Herz soll unabhängig davon als ein den End-
darm umgebender Zellenkranz entstehen. Es ist kaum möglich, sich
aus der Darstellung von SCHIERHOLZ eine Vorstellung zu machen,
wie wohl Herz und Perikard ihre spätere definitive Lagerung er-
halten, sollte nicht der »Herzstrang« auch hier noch die Elemente
des Perikards enthalten? Vorausgesetzt ist dabei freilich, dass das
als Entwicklungsstadium aufgefasste Stadium nicht schon einen fertig
ausgebildeten Zustand darstellt, was immerhin ebenfalls möglich wäre.
Und könnte der »Perikardialraum«, der doch kaum in Wirklichkeit
demselben entspricht, da er ja direkt in die Kiemenpapillen hinein-
zieht, nicht mit den von mir oben als Gefäßanlagen gedeuteten Bläs-
chen identisch sein? Alle diese Fragen können nur durch eine er-
neute, eingehende Untersuchung gelöst werden.
Auf die diesbezüglichen Verhältnisse bei den übrigen Mollusken
106 Johannes Meisenheimer.
brauche ich hier nicht weiter einzugehen, da ich eine ausführliche
Diskussion derselben bereits in meiner Limax-Entwicklung gegeben
habe. Hervorheben will ich hier nur nochmals den Gegensatz, in
welchem Paludina (v. ERLANGER, TÖNNIGES) in der Herz-Perikardial-
entwieklung auch gegenüber Dreissensia steht, und die Übereinstim-
mung, welche diese letztere mit Limax maximus zeigt, wo ebenfalls
das Perikard aus einer Spaltung des zuerst auftretenden Herz-
schlauches entsteht, mögen auch im Einzelnen manche Verschieden-
heiten bei so weit entfernten Formen auftreten.
10. Niere.
Schon wiederholt wurde im Vorhergehenden die Entwicklung der
Niere berührt, ihre erste Differenzirung haben wir bereits genau
kennen gelernt und bis zur Ausbildung eines jederseits vom Enddarm
selegenen Bläschens verfolgt (Fig. 141 x, Textfig. 7). Die weiteren
Entwieklungsvorgänge sind nun recht komplieirter Natur, ihr Ver-
ständnis habe ich durch eine Reihe von Schemata zu erleichtern ver-
sucht (Textfigg. ”—12). Zunächst streckt sich das Bläschen etwas
in die Länge und beginnt sich dabei gleichzeig zu krümmen, derart,
dass deutlich ein äußerer und ein innerer Schenkel zu unterscheiden
sind (Textfig. 8, Fig. 149, Taf. XII). Diese Krümmung verschärft
sich immer mehr unter gleichzeitigem beträchtlichem Längenwachs-
thum des nunmehr schlauchförmigen Gebildes (Fig. 150 » auf Taf. XII),
an dessen beiden Enden sich nun im Wesentlichen die folgenden
Veränderungen abspielen. Der ursprünglich äußere Schenkel beginnt
sich nach innen gegen die Mittellinie hin über den anderen hinweg-
zuschieben (Textfig. 9 png), der innere Schenkel dagegen wächst unter
starker Abflachung des Epithels an seinem äußersten Zipfel gegen
die Mittellinie hin, um sich ventral vom Darme mit dem entsprechen-
den Theile der anderen Seite zu vereinigen (Texfigg. 9, 10). Die ein-
zelnen Phasen dieses Vorganges zeigen uns die Figg. 151 auf Taf. XII
und 148 auf Taf. XI. In ersterer Figur sind die beiden zur Ver-
einigung strebenden Zipfel (vst) noch weiter von einander entfernt,
ihre Wachsthumsrichtung gegen den Enddarm hin ist jedoch bereits
deutlich ausgeprägt, und in Fig. 148 hat sich die Vereinigung bei
ost völlig vollzogen. Dieser Schnitt entspricht mithin etwa dem vor-
deren Theile des in Textfig. 10 dargestellten Stadiums. Inzwischen
ist auch der hintere oder äußere Schenkel in seiner Entwicklung
nicht zurückgeblieben, die Verschiebung nach der Medianlinie machte
plötzlich Halt und das vordere Ende drängte direkt nach vorn, so
Entwieklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 107
Textfig. 7.
1 ng
SS { Se
Ve: RU m
Textfig. 10.
/
or
Textfig. 11. Textfig. 12.
Fig. 7—11. Schematische Darstellung der Nierenentwicklung von Dreissensia in auf einander folgenden
Stadien. Erklärung im Texte.
Fig. 12. Schematische Darstellung der ausgebildeten Niere von Dreissensia. Seitenansicht von Text-
figur 11. Erklärung der Buchstaben siehe hinten in der allgemeinen Figurenerklärung, eben so wie für
die vorhergehenden Figuren.
dass es ventralwärts zu beiden Seiten der eben erwähnten Vereini-
sungsstelle hervortritt (»rg). Diese beiden Zipfel stoßen direkt an
die hintere Wand des Perikards, welches ja unmittelbar vor der Niere
gelegen ist, sie ölfnen sich in dasselbe und stellen somit die Verbin-
108 Johannes Meisenheimer.
dung von Perikard und Niere her. Hand in Hand mit diesen Ver-
änderungen vollzogen sich andere wiederum an der Vereinigungsstelle
beider Nieren, die zur Bildung des Nierenausführganges führen. Die-
selben sind in einem Zwischenstadium auf Fig. 154 dargestellt. Die
äußeren Partien der breiten Querverbindung beider Nierenhälften
beginnen sich zipfelförmig auszuziehen, dicht an den ventralwärts
selegenen Perikardialnierengang (prg) angeschmiegt. Diese zunächst
nach außen gerichteten Zipfel wenden sich bald direkt ventralwärts
und stoßen nun auf die seitlichen Mantelfalten, mit denen sie als-
bald unter Bildung der äußeren Nierenöffnung verschmelzen. Zwar
seschieht dies nicht direkt, sondern unter Vermittelung einer kleinen
Einstülpung, welche die Mantelfalte dem Nierenzipfel jederseits ent-
segensendet, aber immerhin ist diese Betheiligung des Körperepithels
an der Bildung des Nierenausführganges nur eine geringe In
Fig. 155 tritt dies sehr deutlich hervor, der Nierenausführgang (4)
ist zu seinem weitaus größten Theile noch aus den typischen, va-
cuolenreichen Elementen des Nierenepithels zusammengesetzt und nur
sein alleräußerstes Ende weist bedeutend dunkler gefärbte, dicht
gedrängte Zellkerne auf, deren Ähnlichkeit mit dem Mantelepithel
unverkennbar ist. Von weiteren inzwischen vollzogenen Verände-
rungen ist zunächst zu erwähnen, dass sich der ganze mittlere Theil
des Nierenschlauches sehr mächtig ausgedehnt hat, namentlich in der
Richtung nach hinten, dass ferner der Perikardialnierengang in sei-
nem Inneren eine mächtige Wimperflamme entwickelt hat, die auf
den Querschnitten als feine Streifung innerhalb des engen Ganges her-
vortritt (Figg. 154, 155 png), auf den Längsschnitten dagegen deutlich
die langen Cilien unterscheiden lässt. An der Einmündungsstelle in das
Perikard liegt stets am oberen Ende des Ganges eine sehr große,
vacuolenreiche Zelle mit mächtigem Kerne, welche in die Pericard-
höhle vorragt (Fig. 156, 157 ne), und diese Bildung verleiht der be-
treffenden Stelle ein sehr charakteristisches Ansehen, sie erinnert
unwillkürlich an die freie Triehteröffnung der Nephridien mancher
Anneliden und bildet wohl einen stärkeren Ansatzpunkt der Cilien.
Hiermit sind alle Theile der Niere fertig ausgebildet. Sie ähnelt
in ihrem Bau recht bedeutend der Beschreibung Rankın’s von Ano-
donta ceygnea. Der Ausführgang (ng) führt zunächst schräg nach
vorn und innen (vgl. hierzu wie dem Folgenden die Textfigg. 11
und 12), und spaltet sich sodann schon im Bereiche des sekretori-
schen Nierenepithels, indem ein breiter Ast sich mit der gegenüber-
liegenden Seite verbindet und ein zweiter direkt dorsalwärts zieht, um
Entwieklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 109
hier in die eigentliche stark erweiterte Niere überzugehen (Fig. 155).
Dieser weite Nierensack zieht nun nach hinten bis in die Gegend
des Visceralganglions und hinteren Schließmuskels (Fig. 58, 59 n),
biegt scharf um und zieht, sich sehr stark verengend, wieder in umge-
kehrter Richtung nach vorn. Den Unterschied des Umfangs beider
Schenkel im hinteren Drittel zeigt sehr klar ein Querschnitt (Fig. 153),
der Querdurchmesser des stark vacuolisirten Nierensackes (x) über-
trifft sehr bedeutend den engen Perikardialnierengang (png). Dieser
selbst zieht also wieder weit nach vorn, ventral unter der Verbin-
dungsbrücke beider Nierensäcke hindurch und mündet endlich als
am weitesten nach vorn vorgeschobener Theil der Niere in das Perikard.
Was den histologischen Bau der Niere betrifft, so habe ich kaum
dem Gesagten noch etwas hinzuzufügen, die Hauptmasse des ganzen
Organs wird von dem blassen, stark vacuolisirten Nierenepithel mit
einzelnen, zerstreut liegenden Kernen eingenommen (Figg. 154, 155),
wir vermissen dasselbe nur an einer ganz kurzen Strecke bei der
Ausmündung in die Mantelhöhle und an dem Perikardialnierengang.
Letzterer besitzt ein einfaches kubisches Epithel, und in seinem In-
neren eine mächtige Wimperflamme. Er endet mit der bereits er-
wähnten großen Endzelle.
Während Loven an seinen Muschellarven nur das Auftreten des
Nierenbläschens mit seinem Ausführgang zu konstatiren vermochte
ohne nähere Angaben über die Art seiner Entstehung, und HATSCHEK
die Nierenanlage bei Teredo überhaupt nicht aufzufinden vermochte,
giebt ZIEGLER eine genauere Beschreibung dieser Verhältnisse bei
Cyclas. Er leitet die Nieren aus Mesodermzellen ab, die sich hinter
dem »Perikardialbläschen« zu einem Kanale anordnen, der später
mit dem Ektoderm einerseits und dem Perikard andererseits in Ver-
bindung tritt. Leider kann ich auch hier, ganz wie bei der Perikard-
entwicklung, einige Zweifel nicht unterdrücken, ob dem beobachteten
jüngsten Stadium des Mesodermhaufens nicht noch andere voraus-
gehen, die erste Differenzirung also seiner Beobachtung entgangen
sei. Die weitere Ausbildung der Niere weicht natürlich in mancherlei
Punkten von derjenigen der Dreissensia ab, wie es der verschiedene
Bau der betreffenden Organe nicht anders erwarten lässt.
Ältere Autoren, wie Ganin und Ray LAnk&ster, leiten die Niere
bei Cyclas und Pisidium aus einer Einstülpung oder einer Wucherung
des Ektoderms ab, doch ist es unmöglich, diese Angaben hier mit
besonderem Vortheile zu verwerthen, da Verwechslungen mit anderen
Organanlagen (Ganglien) sehr leicht untergelaufen sein können.
110 Johannes Meisenheimer,
F. ScHmipr endlich glaubt bei Unioniden die Niere aus meso-
dermalen Zellgruppen in der hinteren Körperregion ableiten zu
müssen. Sie ordnen sich jederseits zu Bläschen an, die bald zu
kurzen Schläuchen auswachsen. Noch unbestimmter sind die An-
gaben von SCHIERHOLZ über denselben Gegenstand, er leitet die Niere
ebenfalls vom Mesoderm ab.
Die übrige Molluskenlitteratur betreffs der Nierenentwicklung
brauche ich hier nicht weiter zu diskutiren, da ich dieselbe einmal
in meiner Limax-Entwicklung bereits eingehend besprochen habe,
und dann die späteren Entwieklungsstadien, auf die es hier allein
noch ankommt, kaum noch viele Vergleichspunkte darbieten; dazu
machen sich die speciellen Organisationsverhältnisse der einzelnen
Gruppen im Gange der Entwicklung bereits allzu sehr bemerkbar.
11. Genitalorgane.
Ein letzter Organkomplex endlich bleibt uns noch zu betrachten
übrig, die Genitalorgane. Auffallenderweise und im Gegensatze zu
manchen anderen Thiergruppen differenziren sich dieselben erst auf
sehr späten Stadien, nachdem die Muschellarve schon längst zur fest-
sitzenden Lebensweise übergegangen ist. Zurückzuleiten sind dagegen
ihre Elemente bis zu dem vom Ektoderm sich loslösenden Zellen-
häufchen, von dem wir bereits erfuhren, dass es Perikard, Herz und
Niere ihren Ursprung gab, und in dem nun also auch noch die Geni-
talanlage enthalten ist. Eigenthümlich dabei ist nur, dass ein so
langer Zeitraum dazwischen liegt, bis die sichtbare Differenzirung
vor sich geht, und dazu noch aus Zellelementen, die scheinbar
schon einer speciellen Funktion sich angepasst haben, nämlich aus
Perikardzellen. Vor dem Beginn der eigentlichen Differenzirung
nämlich ist an der Perikardwandung nicht im geringsten irgend eine
Verschiedenheit innerhalb der sie zusammensetzenden Zellen zu er-
kennen, plötzlich auf einem ganz scharf bestimmten Altersstadium
an einer ganz bestimmten Stelle ändern einige Zellen ihr Aussehen,
die länglich gestalteten, kleinen Kerne, wie sie für die Perikardzellen
typisch sind, nehmen an Umfang zu, ihr gleichmäßig vertheiltes
Chromatin zieht sich hauptsächlich an die Wandung des Zellkernes
zurück, ein mächtiger Nucleolus tritt im Inneren auf, Habitus und
Aussehen der Kerne ist hierdurch total verändert. Diesen so eben
geschilderten Process stellen uns die Figg. 158—160 auf Taf. X
dar. In Fig. 158 sehen wir in der Perikardwand (pw) an einer be-
stimmten Stelle, die ich sogleich noch schärfer fixiren werde, einzelne
Entwiceklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 111
Zellkerne (gz) sich vor den übrigen durch eine hellere Struktur und
eine, wenn auch geringe Größenzunahme auszeichnen. Auf dem sich
unmittelbar anschließenden Stadium von Fig. 159 (gz) ist dieses Ver-
halten noch weit stärker ausgeprägt und eben so auf Fig. 160, wo
auch die inzwischen mächtig entwickelten Nucleolen deutlich her-
vortreten.
Doch ehe wir weiter gehen, müssen wir etwas genauer den Ort
dieser Anlage uns betrachten. Wie schon erwähnt, ist dieser Ort außer-
ordentlich genau festgelegt, er findet sich im hinteren, ventralen Theile
der Perikardwand, in einem mittleren Streifen derselben, der zwischen
den beiden Perikardialnierengängen gelegen ist (vgl. Figg. 158 und 159
auf Taf. XII. Im Verhältnis zur Niere liegt die Anlage genau da,
wo die Perikardwand von vorn kommend nach oben umbiegt, um
sich an die unmittelbar dahinter gelegene Verbindungsstelle beider
Nieren anzulegen (Figg. 165, 166 auf Taf. XII pw und g2). Es ist
desshalb auch stets auf den Schnitten, welche die Genitalanlage dar-
stellen, unmittelbar über der Perikardwand der äußerste vorderste
Zipfel der Vereinigungsstelle beider Nieren getroffen (Figg. 158—160 n).
Eine weitere Erläuterung für die Lagebeziehung dieser einzelnen
Komplexe unter einander giebt uns Fig. 99 auf Taf. V, wo wir das
Genitalhäufchen (gz) deutlich als kleines Knötchen an der Ventral-
seite des Perikards und vor der Niere gelegen antreffen. Außerst
interessant ist, dass dies genau die Stelle ist, wo bei den primitiven
Muscheln die Geschlechtsprodukte in das Perikard gelangen, nämlich
an der Mündung des Renoperikardialganges. Hier behält die Geni-
talanlage freilich diese Lage nicht bei, sondern beginnt später etwas
weiter nach vorn zu rücken, unter gleichzeitiger Loslösung vom Peri-
kard. Diese Loslösung erfolgt sehr früh, die ersten Andeutungen der-
selben treten in Fig. 160 auf Taf. XII hervor, wo einzelne Zellen (gz)
sich bereits weit über die Perikardwandung vorgebuchtet haben.
Ein etwas weiter vorgeschrittenes Stadium der Loslösung giebt uns
Fig. 161, wo nur die eine Hälfte noch in innigem Zusammenhange
mit dem Perikard steht, und auf Fig. 162 endlich ist die Genital-
anlage (gz) völlig frei geworden, sie liegt als ein kleiner, länglicher
Zellenstreifen ventral vom Perikard. Noch deutlicher zeigt die völlige
Loslösung vom Perikard der Querschnitt der Genitalanlage von einem
etwas älteren Stadium (Fig. 166 gz). Nun tritt auch eine sehr rege
Kernvermehrung innerhalb der Anlage selbst auf, dieselbe wächst
schnell zu einem mächtigen Zellhaufen heran (Figg. 165, 164, 167 ga),
der zweierlei Elemente in sich enthält, einmal die eigentlichen
a2 Johannes Meisenheimer,
Genitalzellen von dem bereits oben beschriebenen Bau, und dann die
Follikelzellen, welche sich in nichts von den übrigen Körperzellen
unterscheiden. Während betreffs der Entstehung der Genitalzellen
kein Zweifel dagegen erhoben werden kann, dass sie alle der Peri-
kardwand entstammen, so ist diese Frage in Hinsicht auf die Follikel-
zellen nicht ohne Weiteres mit Sicherheit zu lösen. Zwar glaube
ich nach alle dem, was ich von diesen Stadien gesehen habe, dass
sie ebenfalls gleichzeitig mit den eigentlichen Genitalzellen sich vom
Perikard loslösen, wie es uns zweifelsohne für einige derselben
Figg. 161 und 162 zeigen. Doch darf ich andererseits nicht ver-
schweigen, dass die Möglichkeit eines Zutritts von Mesenchymzellen
im Hinblick auf Stadien, wie Fig. 160 beispielsweise eines darstellt,
nicht direkt von der Hand zu weisen ist. Immerhin sehr stark kann
diese Betheiligung unter keinen Umständen sein, denn die Zahl der
hier zerstreut umherliegenden Mesenchymzellen ist eine so geringe,
dass eine regere Antheilnahme an diesen Vorgängen sich dem
Auge nicht entziehen könnte, namentlich in Rücksicht auf die rege
Vermehrung der Elemente innerhalb des Genitalhäufchens selbst.
Die ältesten Stadien, bis zu welchen ich die Genitalanlage verfolgt
habe, werden durch die Figg. 164, 166, 167 auf Taf. XIII dargestellt,
auf Fig. 164 im Längsdurchmesser der ganzen Anlage, auf Fig. 166
im Querschnitte. Die Anfangs ziemlich genau nur in der Medianebene
gelegene Genitalplatte (Fig. 164 gz), beginnt sich bald nach den beiden
Seiten und zugleich in der Richtung nach vorn hin auszudehnen. Sie
tritt auf diese Weise schließlich sehr nahe bis an die Mantelfalten
heran, die sie m Fig. 167 fast berührt. Dieses Auseinanderweichen
nach beiden Seiten hat eine Spaltung der ursprünglich durchaus un-
paaren Platte zur Folge, und statt derselben liegen nun zwei ge-
trennte Genitalhaufen zu beiden Seiten der Muschel. Auf dem Stadium
von Fig. 167 ist diese Trennung nahezu erfolgt, da (auf einem anderen
Schnitte) nur noch eine ganz schmale Verbindungsbrücke zu konsta-
stiren ist, auf etwas älteren Stadien jedoch ist die Trennung in zwei
Hälften völlig vollzogen.
Ob und wie weit ein besonderer Ausführgang von Seiten der
beiden Mantelfalten als Einstülpung derselben noch geliefert wird,
vermag ich nicht zu sagen, da auf den ältesten von mir untersuchten
Stadien noch nichts von einem solchen mit Sicherheit festzustellen
war. Sehr groß und umfangreich kann derselbe jedoch unter keinen Um-
ständen sein, wie ja die Geschlechtsausführgänge überhaupt bei vielen
Muscheln von recht untergeordneter Bedeutung sind, ganz im Gegen-
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 113
satze zu den Gastropoden, wo sie eine so bedeutsame Rolle spielen.
Von Xylotrya fimbriata wird eine kleine Ektodermeinstülpung an der
Genitalpapille angegeben, während der größere Theil des Geschlechts-
sanges von der Genitalanlage selbst geliefert wird, und diese An-
gaben lassen sich völlig mit dem vereinigen, was ich bei Dreissensia
sesehen habe.
Für die wenigen bisher auf ihre Genitalanlage untersuchten
Muscheln finden wir stets eine Ableitung derselben aus dem Meso-
derm. Aus Mesodermzellen entstehen die Genitalorgane bei Xylo-
trya fimbriata nach SIGERFOoS, aus den Mesodermstreifen differen-
ziren sie sich bei Cyclas nach ZIEGLER. Eingehender sind nur die
Untersuchungen ZIEGLER’ s. Die Genitalzellen ziehen auf älteren
Stadien als ein Zellenstrang quer von einer Seite des Körpers zur
anderen, unmittelbar unter dem Perikard, wodurch die Ähnlichkeit
der betreffenden Stadien von Cyclas mit denen von Dreissensia sehr
stark hervortritt. Auf den jüngeren Stadien gehen unsere Befunde
' dagegen weit aus einander, ZIEGLER leitet die Genitalzellen direkt
aus zerstreut liegenden Zellen seiner Mesodermstreifen ab, wogegen
ich nur bemerken kann, dass mir der Abstand zwischen diesen Sta-
dien und den nächstfolgenden, wo bereits der Genitalstrang ausgebildet
ist, ein zu großer zu sein scheint, als dass sich nicht ein Irrthum in
ihre Deutung hätte einschleichen können, so dass die Möglichkeit
einer anderen Ableitung immerhin auch für Cyelas noch offen steht.
Und in dieser Annahme werde ich noch bestärkt durch die Über-
einstimmung, welche in dieser Frage ein Prosobranchier (Paludina) mit
Dreissensia zeigt. Nach v. ERLANGER und diese Beobachtungen
wurden von TÖNNIGES in einer vorläufigen Mittheilung bestätigt — tritt
die Genitaldrüse hier als eine Einstülpung des Perikards auf, die sich zu
einem Bläschen abschnürt und mit einem umfangreichen, aus einer
Einstülpung der Mantelhöhle hervorgegangenen Ausführgang vereinigt,
wobei sie jedoch selbst auch noch ein kurzes Stück der Leitungs-
wege zu bilden scheint. Die weiteren Differenzirungen interessiren
uns hier nicht, sie stehen in engem Zusammenhange mit den beson-
deren Organisationsverhältnissen der Prosobranchier überhaupt, so vor
Allem mit dem unpaaren, einseitigen Auftreten der Keimdrüse und
den komplieirten Leitungswegen. Nochmals hervorzuheben ist dagegen
die fundamentale Übereinstimmung von Lamellibranchiaten und Proso-
branchiern in der direkten Ableitung der Genitaldrüse aus der Peri-
kardwand, sei es nun durch einen sich loslösenden Zellenhaufen oder
durch eine regelrechte, sich abschnürende Einstülpung.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 8
114 Johannes Meisenheimer,
Auf die übrigen Untersuchungen über Gastropoden einzugehen
verlohnt sich kaum der Mühe, da ein sicherer Vergleich nach den
bisherigen, sich direkt widersprechenden Angaben kaum durchzu-
führen ist. Mesodermal ist die Bildung der Genitaldrüse nach Eısıg
und Krorz bei Limnaeus, nach Brock bei Limax; entodermal ist sie
nach For bei den Pteropoden und nach GIArD bei Lamellaria; ekto-
dermal endlich ist sie nach GAnin und Rouzaun bei den Basomma-
tophoren, nach JOYEUX-LAFFUIE bei Oncidium celticum. Nicht minder
widersprechend sind die Angaben über die Entstehung der Leitungs-
wege. Da wir dieselben hier erst recht nicht weiter verwerthen
können, so verweise ich betreffs dieses Punktes auf die Zusammen-
stellungen von SCHIEMENZ und v. ERLANGER, wo alle bisherigen
Angaben übersichtlich zusammengestellt sind.
vil. Die „‚Keimblätter‘“ der Mollusken und die phyletische Stellung
der Trochophoralarve.
Die Entwicklung von Dreissensia stellt sich als eine fortlaufende
Entfaltung von Organen dar. Diese Entfaltung beginnt mit der Bil-
dung der ersten Furchungsebene, sie schreitet successive fort und
findet ihren Abschluss mit der Differenzirung der Geschlechtsorgane.
Als die am frühesten sich scharf sondernden Organanlagen lernten
wir Schalendrüse, larvales Mesenchymmuskelgewebe, sowie Mittel-
darmanlage kennen. Es folgte die gemeinsame Anlage von Herz,
Niere und Genitalorganen, sodann die einzelnen Gangliensysteme,
Mesenchymmuskelgewebe des Fußes u. 8. fe Die weitaus meisten
aller dieser einzelnen Organsysteme ließen sich direkt auf eine
specifische Sonderanlage zurückführen, als deren Mutterboden stets
eine einfache Zellenschicht anzusehen war, welche auf den jüngsten
Stadien die Furchungskugeln darstellte, auf älteren als Blastula-
zellen einen einfachen Hohlraum umschloss und später als Ektoderm
den Körper der Larve außen umzog. Eine einzige Anlage enthielt
nach bereits vollzogener Sonderung noch mehrere Organkomplexe
untrennbar in sich vereinigt, die Anlage von Herz, Niere und Geni-
talorganen. In gewissem Sinne können wir dasselbe von der Scheitel-
platte sagen, die ebenfalls drei verschiedene Organe in sich enthielt,
das eigentliche larvale Sinnesorgan, die Cerebralganglien, und end-
lich die Mundlappen. Am unsichersten zu deuten nach ihrer speei-
fischen organbildenden Leistung waren die Zellen des larvalen Me-
senchymmuskelgewebes, sie liefern neben den larvalen Muskelsystemen
auch diejenigen der erwachsenen Muschel, eine schärfere Präeisirung
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 115
ist innerhalb dieses, sich sehr frühzeitig auflösenden Zellkomplexes
nicht möglich.
Die Art der Differenzirung und Loslösung erfolgte theils durch
Einstülpung, theils durch Einwucherung, die beiden gewöhnlichen
Vorgänge in der Entwicklung eines Thieres, wobei jedoch durchaus
ein Überwiegen des Modus der Einwucherung von Zellelementen zu
konstatiren war. Durch Einstülpung entstanden nur Schalendrüse,
sämmtliche Bestandtheile des Darmes und Otoeyste, alles Übrige
durch Einwucherung. Das Pedalganglion bot uns eine interessante
Zwischenstellung beider Modi dar.
Wir sehen also im Laufe der Entwicklung von Dreissensia eine
Reihe scharf geschiedener Organanlagen auftreten, die sich der Reihe
nach, bald früher, bald später, aus einer indifferenten Zellmasse, als
deren Ausgangspunkt die Eizelle und die Furchungskugeln anzusehen
sind, herausdifferenziren. Diese einzelnen Organanlagen bilden für
sich je ein besonderes System, welches im Wesentlichen der Ein-
wirkung zweier Faktoren unterworfen ist, einmal der Nachwirkung
früherer Zustände längst vergangener Ahnengeschlechter und so-
dann der Beeinflussung von Seiten neu erworbener Eigenschaften
der Mollusken überhaupt und sogar der Lamellibranchiaten im Spe-
ciellen. Aus diesen beiden Faktoren können wir die Geschichte jedes
einzelnen dieser Komplexe für sich feststellen, um so zu einem sicheren
Verständnis des Entwicklungsplanes zu kommen.
Direkte Neubildungen der Mollusken finden wir in Schalendrüse
und Fuß, erstere hervorgegangen aus dem Bedürfnisse eines Schutz-
organs, letzterer aus der Umbildung der Ventralseite zu einer mus-
kulösen Kriechsohle. Wir werden also betreffs dieser Anlagen bei
ihren Vorfahren kaum nachzuforschen brauchen, da wir daselbst
nichts direkt Vergleichbares finden werden, nur werden eben diese
Anlagen natürlich embryonale Zellbezirke der Vorfahren in Besitz
nehmen müssen, die ursprünglich zu durchaus anderen Zwecken
dienten, indem die Organe, welche zunächst erst auf erwachsenen
Stadien ihre Ausbildung und Vervollkommnung erfahren haben, in
Folge vorzeitiger Sonderung mit ihren Anlagen in jüngere Stadien
modifieirend eingriffen. Wir sehen im vorliegenden Falle Schalen-
drüse und Fuß im Wesentlichen die Abkömmlinge des ersten Somato-
blasten der Annelidentrochophora in Besitz nehmen. Neubildungen
sind natürlich auch die speciellen Muskelsysteme, ihre Bedeutung ist
hier für uns nur eine untergeordnete.
Beziehungen zu Ahnengeschlechtern finden wir dagegen sicher
teici
116 Johannes Meisenheimer,
bei der Mitteldarmanlage, gewöhnlich als Entoderm bezeichnet. Ich
vermag nicht einzusehen, wesshalb wir in dieser Anlage etwas Be-
sonderes sehen sollen, das in Gegensatz zu den übrigen gesetzt zu
werden verdiente, prägt sich doch ihre nichts weniger als indifferente
Natur, wie sie ein Keimblatt doch wohl besitzen müsste, nirgends
deutlicher aus, als in der frühen Differenzirung der Leberzellen noch
während des Vollzugs der Einstülpung selbst. Die Homologie des
Entoderms ist nichts weiter als die phyletische Entwicklungsreihe
eines einzelnen Organs, eben des Darmkanals, welche in anderen
Thiergruppen beträchtliche Komplikationen durch Einschaltung se-
kundärer, ursprünglich fremder Zellenkomplexe erleiden kann, in der
phyletischen Reihe aber, von der ich hier allein spreche — der-
jenigen, welche von den Cölenteraten über die Würmer zu den
Mollusken führt — sich sehr rein erhalten hat. Bei Würmern wie
Mollusken gehen die vegetativen Zellen des Keimes in der Bildung
des Darmes auf, woran sich sodann als Neubildungen Stomodäum
und Proktodäum anschließen. Sehr interessant sind nun die Verschie-
bungen, welche diese drei Bestandtheile nach ihrem organbildenden
Werthe innerhalb des Phylums der Mollusken selbst erfahren. Bei
Dreissensia war die Mitteldarmanlage die weitaus mächtigste, um-
fangreich war auch noch das Stomodäum, das Proktodäum dagegen
nur klein. Bei den Prosobranchiern wird nun dieses Proktodäum
ganz unterdrückt, die Mitteldarmanlage hat ihre höchste Ausbildung
erreicht, indem sie auch den ganzen Enddarm liefert. Das Entgegen-
gesetzte findet bei den Pulmonaten (Limax) statt, hier dringt das
ursprüngliche Proktodäum weit nach innen vor, drängt die Mittel-
darmanlage zurück und bildet selbst den ganzen Dünn- und Enddarm,
die vegetative Mitteldarmanlage hat ihren niedrigsten Stand in Bezug
auf ihre organbildenden Leistungen erreicht, indem ihr nur Leber-
säcke und Magen zufallen. Auch nicht entfernt können wir daran
denken, uns jetzt schon eine Vorstellung davon machen zu können,
welches die wirklichen Ursachen dieser Verschiedenheiten sind, wir
müssen uns zunächst mit den reinen Thatsachen begnügen. Schein-
bar ist es der Natur völlig gleich, auf welchem Wege sie verfährt,
denn, um ein anderes Beispiel herauszugreifen, wenn wir oben die
mächtige Entwicklung von X auf den Erwerb und die frühzeitige
Sonderung einer Schale zurückführten, es braucht dies nicht durch-
aus der Fall zu sein, bei den Prosobranchiern fehlt X, die Furchung
ist nicht im geringsten beeinflusst und erst eine spätere regere Thei-
lung kündet die Schalenanlage an
7
Entwicklungsgeschiehte von Dreissensia polymorpha Pall. 387
Die larvale Mesenchymmuskelanlage ist bereits eingehend gele-
sentlich der Furchung besprochen worden, ihre Geschichte konnte
man bis weit zu den Turbellarien-ähnlichen Vorfahren zurück verfolgen
und die Verschiebungen feststellen, durch welche sie zu ihrer jetzigen
Ausbildung gelangten. Hier scheint bei den Mollusken außerdem
eine Verschiebung der Funktion stattgefunden zu haben, der Funktion
‘der Anlage in Rücksicht auf ihre spätere organbildende Leistung.
Denn bei den Würmern scheinen die entsprechenden Komplexe den
wichtigsten Gebilden der inneren Organisation, Muskulatur, Leibes-
‚höhle, Nephridien und Geschlechtsorganen den Ursprung zu geben,
hier. spielen sie eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle, sie liefern
hauptsächlich Muskelsysteme und einen kleinen Theil des Binde-
gewebes. Dagegen tritt für die Organe, welche den oben genannten
wenigstens zum Theil wohl entsprechen, eine besondere Anlage auf,
eben diejenige, welche Herz, Perikard, Niere und Genitalorgane lie-
fert. Über die Beziehungen dieser Organe in beiden Gruppen ver-
mag ich, wie ich gestehen muss, keine sichere Antwort zu geben,
-wir müssten uns denn auf das Gebiet der reinen Hypothese, der
‚bloßen Möglichkeit begeben. Ist in dieser Anlage in ihrer Gesammt-
heit nur ein abgespaltener Theil der »Urmesodermzellen« zu sehen,
die ja zweifellos bei Anneliden und Mollusken ihrer Entstehung nach
identisch sind, oder ist dies vielleicht nur theilweise der Fall und
‚stehen wir dann hier ebenfalls nur Neubildungen? Einen phyleti-
schen Zusammenhang der Genitalorgane in dieser Thierreihe, und
wohl auch in dem ganzen Thierreiche, müssen wir doch wohl annehmen,
für die Genitalorgane muss also eine Verschiebung der Anlage aus
der hinteren Zelle D der vierten Generation bei den Anneliden in
die erst später erfolgende Sonderanlage der Mollusken erfolgt sein
— Zwischenstufen irgend welcher Art fehlen bis jetzt völlig. Schwie-
riger sind die Beziehungen der übrigen Organe, von Herz, Perikard
und Niere, aufzudecken. Ein pulsatorisches Organ des Gefäßsystems
kann sehr wohl unabhängig als Neubildung auftreten, diese Annahme
ist für das Herz der Mollusken nicht unwahrscheinlich und würde
‚mit seiner besonderen Anlage durchaus im Einklang stehen. Noch
schwieriger liegen die Dinge bei Niere und Perikard. Die herrschende
Auffassung erleichtert sich die Sache ziemlieh, wir finden ein Organ,
oder besser einen Theil eines Organs, in welchem Geschlechtspro-
‘dukte entstehen können, in welchen ein Exkretionsorgan mündet,
wir suchen ein Gebilde mit ähnlichen Eigenschaften bei den Anne-
liden und treffen auf das Cölom, also ist das Perikard identisch mit
118 Johannes Meisenheimer,
einem reducirten Cölom. Bau, Funktion und Entstehung beider Or-
gane sind dabei im Übrigen grundverschieden von einander. Ob die
Niere mit den Segmentalorganen zu vergleichen ist, ist nicht minder
zweifelhaft, die anatomischen Verhältnisse der niederen Mollusken
scheinen jedenfalls weit eher direkt auf das Wassergefäßsystem der
Plattwürmer zurückzuweisen. Auf alle diese Schwierigkeiten kann
ich leider nur hinweisen, sie nicht beseitigen, die Aufstellung einer
Theorie ohne weitere Beweismittel ist völlig überflüssig, die Lösung
wird nur in weiter ausgedehnten Untersuchungen zu finden sein.
Rein theoretischen Werth haben desshalb bis jetzt auch nur Ver-
muthungen, wie sie unter Anderen in neuerer Zeit z. B. von P. und
F. Sarasın geäußert wurden, wonach Niere und Perikard als eine
ursprüngliche Hautdrüse aufzufassen sei, aus deren Wandung sich
später das Herz differenzirte, im Übrigen aber die Homologie mit
Segmentalorganen und Cölom der Anneliden beibehalten werden müsse.
Von den übrigen Organen ist die Urniere als larvales Exkretions-
organ bei Anneliden wie Mollusken sicherlich identisch, mögen auch
bei den Anneliden manche Punkte über Entstehung wie histologi-
schen Bau noch der genaueren Aufklärung bedürfen, als letztes Or-
gansystem von Bedeutung bleibt uns desshalb nur noch das Nerven-
system zu betrachten übrig. Unstreitig haben wir hier zwei getrennte
Anlagen vor uns, von denen die eine der Scheitelplatte entstammt,
die zweite im Wesentlichen sich von der Ventralseite der Larve los-
löst. Hierdurch bieten sich enge Beziehungen zu den Würmern dar,
ja die Art der Entstehung von Pedal- und Visceralganglion bei
Dreissensia spricht sogar zunächst für eine mit den Anneliden über-
einstimmende Segmentirung. Doch nur äußerlich. Wenn wir sehen,
wie die ganze übrige Organisation keine Spur einer derartigen Seg-
mentirung erkennen lässt, wenn wir ferner den Einfluss bereits voll-
zogener Differenzirung auf jüngere Entwicklungsstadien nicht unter-
schätzen dürfen, wie uns bereits so manches Beispiel lehrte, so muss
uns dies zur Vorsicht mahnen. Nehmen wir als Ausgangspunkt für
beide Gruppen etwa die Verhältnisse eines Plattwurmes, so schlugen
beide in ihrer Weiterentwicklung durchaus verschiedene Wege ein.
Bei den Anneliden erfuhren die ventral gelegenen Nervenstränge eine
Segmentirung, die Mollusken behielten die einfachen Stränge zunächst
noch bei, derart wie sie jetzt noch Chiton aufweist, es erfolgte dann
die Koncentration zu einzelnen Ganglien nach völlig von den Anne-
liden unabhängigem Modus, demselben, wie ihn jetzt in höchster
Vollendung die Prosobranchier aufweisen. Dieser Process der Son-
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 119
derung einzelner Ganglienknoten griff nun auf immer jüngere Stadien
zurück, an Stelle der sich vom Ektoderm loslösenden Nervenstränge
traten einzelne, den Ganglien entsprechende Knoten, die ihre Lage
natürlich beibehielten, und dies ist Alles, was von dem primitiveren
Verhalten, wie es noch Chiton aufweist, bei den Lamellibranchiaten
übrig blieb. Alle übrigen Erscheinungen sind nichts als specielle
Anpassungen an den höher ausgebildeten Molluskentypus, zu deren
Erklärung wir einer Segmentirung nicht bedürfen.
An Stelle der Keimblätter haben wir also eine Reihe von Organ-
anlagen gesetzt, Primitivanlagen, wie man sie auch genannt hat. In
denselben sind entweder nur die Anlagen eines einzigen Organs
enthalten, wir haben einen durchaus direkten Entwicklungsgang vor
uns, dieselben können jedoch auch als ein selbständiger Komplex
noch vor einer Organdifferenzirung auftreten und alsdann mehrere
Organanlagen in sich enthalten, wir haben eine zusammengesetzte Pri-
mitivanlage vor uns. Beide Begriffe können morphologisch und
physiologisch hier und da mit dem zusammenfallen, was man bis jetzt
als das eine oder andere Keimblatt bezeichnet, brauchen es aber
nicht zu thun. Jede dieser Primitivanlagen muss auf ihren organ-
bildenden Werth aufs schärfste geprüft werden, ihre Wandlungen in
dieser Beziehung sowie örtlicher und zeitlicher Verschiebung müssen
nach Möglichkeit festgestellt werden, um so zu einer Art Geschichte
nicht nur jedes einzelnen Organs, sondern auch seiner Anlage zu
gelangen, und erst dann tiefer in das Verständnis des speciellen
Entwicklungsganges einzudringen. Die vergleichende Entwicklungs-
geschichte wird dann zu einer wirklichen »Phylogenie der Ontogenien«
(SamAssAa) werden, und in deren Ausbau fallen ihr noch große Auf-
gaben zu.
Es bleibt uns endlich noch die phyletische Stellung der Trocho-
phoralarve zu erörtern übrig. Dass dieselbe innerhalb des Mollusken-
phylums nach einem durchaus einheitlichen Plane gebaut ist, dass
sie, mit Ausnahme der Cephalopoden natürlich, als die Grundform
aller Molluskenlarven aufzufassen ist, darüber besteht wohl kaum ein
Zweifel mehr. Gewisse Modifikationen werden sich natürlich stets
innerhalb der einzelnen Ordnungen finden, hervorgerufen theils durch
Weiterbildungen, theils durch Reduktionen. Wir wollen diese Ver-
hältnisse zum Schlusse noch einer kurzen Betrachtung unterwerfen,
Verhältnisse, wie sie im Allgemeinen schon lange als feststehend an-
genommen werden.
120 Johannes Meisenheimer,
Bei den weitaus meisten Muscheln, so weit deren Entwicklungs-
geschichte bis jetzt bekannt ist, kommt eine typische Trochophora-
larve von dem gleichen Bau vor, wie ich ihn für Dreissensia be-
schrieben habe. Von den Süßwassermuscheln (Cyeladiden und Unio-
niden) abgesehen, deren Entwicklung einfach aus einer starken
Rückbildung der Trochophoralarve zu erklären ist, finden wir unter
den Muscheln nur noch eine einzige abweichende Gruppe, und zwar
eigenthümlicherweise gerade diejenigen, welche ihrem anatomischen
Bau nach als die ursprünglichsten Formen gelten, nämlich die Proto-
branchier. Yoldia und Nucula besitzen nach DREw eine Larvenform,
die auf den ersten Blick recht bedeutend von einer echten Trocho-
phora abweicht. Wimperkränze umgeben gürtelförmig einen walzigen,
tonnenartigen Körper, der an seinem einen Pole einen langen Wimper-
schopf trägt. Sehen wir uns dagegen die innere Organisation an,
wie sie uns in Textfig. 13 entgegentritt, so erkennen wir sofort die
Textfig. 13.
Medianschnitt durch die Larve von Yoldia limatula. Kopie nach Drew. Erklärung der Abkürzungen
siehe am Schlusse.
außerordentliche Übereinstimmung in der inneren Organisation, ohne
Berücksichtigung zunächst des äußeren larvalen Mantels. Ein langer
Ösophagus führt über in den Magen und letzterer durch den Darm
zum Enddarm und After. Zwischen Mund und After liegt ventralwärts
eine mächtige Verdiekung, die dem Fuße, den Pedalganglien etc.
den Ursprung geben muss. Die Dorsalseite wird von einem stark
abgeflachten Epithel eingenommen, welches später die Schale trägt,
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. ot
‚die Vorderseite ist durch den Besitz der Scheitelplatte und des vor-
‚deren Schließmuskels ausgezeichnet. Sehr interessant ist vor Allem
das Verhalten der Scheitelplatie, wir sehen eine ähnliche Theilung
‚in mehrere Bezirke vollzogen, wie bei Dreissensia. Mehr nach vorn
hin liegt eine tiefe Grube, die mit der Bildung des Cerebralganglions
in engem Zusammenhange steht, weiter nach hinten liegt der eigent-
liche larvale Theil der Scheitelplatte, der später zu Grunde geht.
Leider sind die Beziehungen der Scheitelgrube zu der Bildung der
Cerebralganglien nicht völlig klargestellt, vor Allem, ob sie ganz in
ihrer Bildung aufgeht oder abgeworfen wird, oder ebenfalls Beziehun-
gen mit den Mundlappen gewinnt. Dass vorderer und hinterer Schließ-
muskel ganz die gleiche entsprechende Lage einnehmen, brauche ich
kaum besonders zu erwähnen, die einzige Schwierigkeit beim Ver-
gleiche bildet die larvale Hülle, welche den ganzen Körper umhüllt
und später abgeworfen wird. Dass diese Hülle in irgend einen Zu-
sammenhang mit dem Velum zu bringen ist, darüber besteht wohl
kaum ein Zweifel. Die Frage ist nur die, welche Form als die
Ausgangsform anzusehen ist. Die Nuculiden haben in dieser letzteren
Hinsicht für sich ihren unzweifelhaft recht primitiven anatomischen
Bau voraus, und demnach nimmt auch Drew an, dass das Velum erst
sekundär durch eine Zusammenziehung dieser Hülle entstanden sei. Ich
muss gestehen, dass ich mich dieser Anschauungsweise nur schwer
anzupassen vermag, namentlich, wenn wir die vielen Vergleichs-
punkte mit der Annelidentrochophora heranziehen, weit ungezwun-
gsener erscheint es mir, derartige komplieirte Metamorphosen als das
Resultat sekundärer Erscheinungen anzusehen, indem die Velarränder
allseits den Körper zu umwachsen begannen und unter Verschmel-
zung der Ränder schließlich einen vollständigen Mantel bildeten.
Ganz ähnliche Umgestaltungen scheinen die Solenogastren er-
fahren zu haben, es kommt auch hier zur Ausbildung eines larvalen
äußeren Mantels, der später abgeworfen wird, während im Inneren
eine Neubildung aller bleibenden Organe stattfindet. Die in drei
Segmente zerfallenden Larven von Dondersia wie Proneomenia weisen
nach Pruvor dieses Verhalten auf. Leider sind die inneren Ver-
hältnisse, namentlich die näheren Beziehungen der Organe zum
Larvenmantel noch nicht genügend bekannt, um mit Erfolg einen
Vergleich durchführen zu können.
Weit engere Beziehungen finden wir dagegen mit der Larve von
Chiton (Textfig. 14). Sehen wir von speciellen Modifikationen, wie
Komplikation des Darmkanals, Ausbildung der Schalenplatten ete.
122 Johannes Meisenheimer,
ab, so haben wir hier ganz dieselben Verhältnisse, wie bei der typi-
schen Trochophora vor uns. Am vorderen Pole liegt die cilientragende
Scheitelplatte und ein ringförmiger Velarkranz, die Ventralseite liefert
den Fuß, die Dorsalseite
die Schale. Im Gan-
zen freilich prägt sich
die eigenthümliche Ge-
stalt von Chiton in dem
Gesammtcharakter der
Larve schon recht früh-
zeitig aus.
Dass sich auch
die Larven der Soleno-
conchen, so weit deren
Entwicklung überhaupt
bekannt ist, durchaus
diesem Typus anschlie-
kin ßen, das zeigt ein
Su Blick auf Textfig. 15.
Medianschnitt durch die Larve von Chiton Polii. Kopie nach h
KowALEvsky. Erklärung der Abkürzungen siehe am Schlusse. . Scheitelplatte, Velar-
kranz, Ventralplatte,
Schalendrüse, Darm-
kanal, Alles weist ganz
die gleiche Lagerung
auf. Am variabelsten
ist noch die Anordnung
der Cilien des Velar-
kranzes. DBei Chiton
bildeten sie einen ein-
fachen,mächtigenWim-
pergürtel, bei Denta-
Textlig. 15. lium zerfällt er in drei
Medianschnitt durch die Larve von Dentalium. Kopie nach
KowALevsky. Erklärung der Abkürzungen siehe am Schlusse. parallel verlaufende
Ringe, und ähnlich stellt
er sich bei Patella dar, nur dass hier der mittlere Ring die weitaus
mächtigste Ausdehnung erreicht hat.
Im Übrigen weisen auch die Prosobranchier eine außerordentlich
große Übereinstimmung mit der Muscheltrochophora auf (Textfig. 16),
wieder von speciellen Verhältnissen, wie z. B. der Radulatasche, ab-
gesehen. Der Gegensatz zwischen der mächtigen Ventralplatte, welche
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 123
den Fuß zu liefern hat, und der schalentragenden Dorsalseite ist auch
hier scharf ausgeprägt, die Vorderseite nimmt wieder Velum und
Scheitelplatte ein. Hier bei
Patella zeigt das Velum noch
ganz die ursprüngliche Grund-
form, bei anderen, wie z. B.
Crepidula (CoxkLin), fallen
die hinteren Theile derselben
einer Reduktion anheim, und
nur der vordere Theil wird
zur Ausbildung der für die
Veligerlarve typischen beiden
Velarlappen verwandt. In der
gleichen Richtung haben sich
die Larven der Opisthobran-
chier, Pteropoden und Hetero-
poden entwickelt, während bei
den Pulmonaten im Zusam-
menhange mit den veränder-
ten Lebensbedingungen eine
starke Reduktion der Larven-
form stattgefunden hat, die
sich namentlich in der fort-
laufenden Unterdrückung des
Velums bemerkbar macht.
Mit diesen Formen haben
wir die extremsten und spe-
eialisirtesten Vertreter des
Phylums der Mollusken er-
reicht, wenn wir von dem
selbständigen Zweige der Ce-
phalopoden ganz absehen, wir
müssen seinen Stamm nun
nach der umgekehrten Rich-
tung, nach seiner Wurzel und
seinem Ausgangspunkte hin
verfolgen. Einen näheren Ver-
NL 0;
x 2
Textfig. 16.
Medianschnitt durch die Larve von Patella. Kopie nach
Parren. Erklärungen der Abkürzungen siehe am Schlusse.
Dextiie. 17.
Medianschnitt durch eine jüngere Larve von Eupomatus
uneinatus. Kopie nach HarscHuer. Erklärung der Abkür-
zungen siehe am Schlusse.
gleich lassen hier fast nur die Anneliden zu, da wir hier auf eine ganz
ähnliche Larvenform treffen.
Die noch entfernter stehenden Thier-
gruppen, wie beispielsweise die Turbellarien, weisen zwar ebenfalls
124 Johannes Meisenheimer,
noch einige wichtige Vergleichspunkte auf, wie sie unter Anderen im
Verhältnis der Urniere zu dem Wassergefäßsystem so überraschend
hervortreten, eine Weiterführung der Larvenform und deren Organi-
sation, als Ganzes betrachtet, ist, wenn auch sicherlich möglich, so
doch zur Zeit ohne weiteres entwicklungsgeschichtliches Material
noch nicht auf vollgültige Thatsachen zu gründen. Desto zahlreicher
sind dagegen, wie schon gesagt, die Vergleichspunkte zwischen An-
neliden- und Molluskentrochophora. Schon im Verlaufe der Furchung
konnten wir eine ganze Anzahl übereinstimmender Punkte feststellen,
dieselben finden sich nicht minder, wenn wir nun an einer jungen
Trochophoralarve die Vergleiche weiter ziehen (Textfig. 17). AÄußer-
lich treffen wir hier wie dort auf ein Velum mit ringförmig angeord-
neten Cilien, eine Scheitelplatte in der Mitte des Velarfeldes, besetzt
mit starken Cilien, im Inneren einen durchaus gleichartig gelagerten
Darmkanal, der aus sich völlig entsprechenden Anlagen hervorge-
gangen ist, zu beiden Seiten desselben einige größere Zellen, die von
M abstammen. Und nehmen wir ein älteres Stadium, eine ganze
Reihe neuer Parallelen tritt hinzu (Textfig. 18). Außer der gleichen
1
/
T EN
Meood.zellen \
Textfig. 18.
Medianschnitt durch eine ältere Annelidenlarve. Kopie nach HarscHer. Erklärung der Abkürzungen
siehe am Schlusse.
Lagerung der eben erwähnten Organe finden wir nun noch ein Ex-
kretionsorgan, welches nahezu die gleiche Lagerung aufweist, bildet
sich eine Otolithenblase an ganz entsprechender Stelle aus, treten
Muskelfasern auf, die fast in der gleichen Richtung ziehen. Die
Verschiedenheiten treten dem gegenüber recht sehr zurück. Es fehlen
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 125
der Trochophora von Dreissensia die Ringnerven und Ringmuskeln
des Velums, es fehlt ein postoraler Wimperkranz, der so thätigen
Antheil am Aufbau des Velums der älteren Annelidentrochophora
hat. Sie besitzt dagegen als Besonderheit vor Allem die Schalen-
drüse, ein specifisches Molluskenorgan, und einige gleichfalls specia-
lisirte Muskelsysteme. Diese Anfangs so geringen Abweichungen
nehmen nunmehr im Verlaufe der weiteren Entwicklung stets an
Umfang zu, immer mehr machen sich die Erscheinungen bemerkbar,
welche beide ihrer so grundverschiedenen inneren wie äußeren Or-
ganisation entgegenführen. Bei den Anneliden handelt es sich im
Wesentlichen um ein Auswachsen des hinteren Körpertheiles, und
damit im Zusammenhange um die Ausbildung äußerer wie innerer
Segmentirung, letztere im Wesentlichen verursacht durch die Diffe-
renzirung der Mesodermstreifen. Bei den Mollusken unterbleibt ein
derartiges Auswachsen in einer Richtung, der gesammte Larvenkörper,
mit Ausnahme allein der Velarregion, giebt durch gleichmäßiges
Wachsthum nach allen Richtungen hin dem Körper der erwachsenen
Muschel den Ursprung, wobei die Differenzirungen an der Ventral-
seite, sowie die Ausbildung der Sonderanlage von Herz, Niere und
Genitalorganen die Hauptrolle spielen. Hier liegt also die Stelle, wo
der Typus der Anneliden von demjenigen der Mollusken sich schied,
erstere haben nichts gemein mit irgend einem speeifischen Zuge der
Molluskenorganisation, letztere sind nie mit dem Processe der Seg-
mentirung in Berührung gekommen, die Mollusken sind ungegliederte
Thiere und sind es stets gewesen. Gemeinsam ist beiden nur
der Ursprung, als Zeuge hierfür ist uns die 'Trochophoralarve er-
halten geblieben, durch ein ähnliches Ahnenstadium, dessen weiter
zurückliegende Geschichte wir wahrscheinlich in der Turbellarien-
organisation suchen müssen, sind beide hindurchgegangen.
Wie so manchem anderen Autor, so ist es auch mir ergangen.
Durchaus skeptisch trat ich an die alte 'Trochophoratheorie heran,
jetzt muss ich gestehen, dass die Untersuchung der Entwicklung von
Dreissensia mich völlig zu ihr zurückgeführt hat, der enge Zusammen-
hang von Anneliden und Mollusken durch das Bindeglied der Trocho-
phoralarve muss als eine durchaus bewiesene Thatsache der ver-
gleichenden Entwicklungsgeschichte betrachtet werden.
Marburg i. H., Mai 1900.
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Erklärung der Abbildungen.
Allgemein durchgehende Abkürzungen:
af, After; da, Darm;
bl, Blastoporus; diat, Diatomee;
c, Cuticula; dr, dorsaler Retraktormuskel;
cg, Cerebralganglion; dx, Darmzellen;
ed, Enddarm;
ep, Körperepithel;
er, Endvacuole der Urniere;
ex, Exkretionszelle der Urniere;
J Fuß;
fd, Fußdrüse;
‚f, Flimmerhaare der Fußspitze;
g2, Genitalzellen ;
h, Herz;
hf, hintere Fußfalte;
hn, Anlage von Herz, Niere und Geni-
talorganen;
hp, Anlage von Herz und Perikard;
hs, hinterer Schließmuskel;
A, Kıystallstiel;
kb, Krystallstielblindsack ;
kf, Kiemenfalte;
l, Ligament;
Is, Lebersäckchen ;
/u, inneres Lumen der Urniere;
!z, Leberzellen;
ma, Magen;
mb, Membran der Urniere;
md, Mund;
mf, Mesenchym - Muskelanlage des
Fußes;
ml, Mundlappen;
mr, medialer Retraktormuskel;
ms, Mesenchymzellen;
mu, Muskelfaser ;
n, Niere;
ne, Endzelle des Nierenperikardial-
ganges;
ng, Nierenausführgang;;
oes, Osophagus;
ol, Otolith;
Entwicrlungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall.
131
ot, Otocyste;
ovz, oberer Velarzellenkranz;
p, Perikard;
pa, postanales Wimperbüschel;
pdz, Perikardialdrüsenzellen ;
pg, Pedalganglion;
pi, Pigment;
plg, Pleuralganglion;
png, Perikardialnierengang;
po, postorales Wimperbüschel;
pr, Proktodäum ;
pw, Perikardialwand;
rf, Retraktormuskel des Fußes;
rk, Richtungskörperchen ;
s, Schale;
sd, Schalendrüse;
sq, Scheitelgrube;
sm, seitliche Mantelfalte;
sp, Scheitelplatte;
sto, Stomodäum;;
tz, Terminalzelle der Urniere;
un, Urniere;
uvz, unterer Velarzellenkranz;;
v, Velum;
«ff, vordere Fußfalte;
vg, Visceralganglion;
ch, Vorhof;
vp, Ventralplatte;
vr, ventraler Retraktormuskel;
vs, vorderer Schließmuskel ;
vst, Vereinigungsstelle der beiderseiti-
gen Nieren;
wf, Wimperflamme der Urmiere;
x, bläschenförmiges Gebilde,
scheinlich Geräßanlage.
wahr-
Tafel I.
Fig. 1.
Bio?!
Fig. 3.
Fig. 4.
vierzelligen Stadium. Vergr. 800.
Fig. 5. Vierzelliges Stadium, vom animalen Pole gesehen.
Ungefurchtes, frisch abgelegtes Ei.
Erste Furchungsspindel, von der rechten Seite gesehen. Vergr. 800.
Zweizelliges Stadium, von der rechten Seite gesehen.
Zweizelliges Stadium, vom animalen Pole gesehen. Übergang zum
Vergr. 800.
Vergr. 800.
Vergr. 800.
Figg. 6—8. Übergang zum fünfzelligen Stadium, Fig. 6 und 7 von der Seite
gesehen, Fig. 8 vom animalen Pole. Vorbereitung der Spindeln zum achtzelli-
gen Stadium. Vergr. 800.
Figg. 9—10. Übergang zum achtzelligen Stadium. Vergr. 800.
Fig. 11. Achtzelliges Stadium, von der rechten Seite gesehen. Vergr. 800.
9*
192 Johannes Meisenheimer,
Fig. 12. Achtzelliges Stadium, vom ventralen Pole gesehen. Übergang
zum neunzelligen Stadium. Vergr. 800.
Tafel II.
Fig. 13. Übergang zum 16zelligen Stadium, vom animalen Pole aus ge-
sehen. Vergr. 800.
Fig. 14. Übergang zum 16zelligen Stadium, von der linken Seite aus ge-
sehen. Vergr. 800.
Fig. 15. 16zelliges Stadium, vom animalen Pole aus gesehen. Vergr. 800.
Fig. 16. 16zelliges Stadium, vom vegetativen Pole aus gesehen. Vergr. 800.
Fig. 17. Übergang zum 17zelligen Stadium, vom vegetativen Pole aus
gesehen. Vergr. 800.
Fig. 18. Übergang zum 23zelligen Stadium, vom vegetativen Pole aus
gesehen. Vergr. 800.
Fig. 19. Übergang zum 23zelligen Stadium, von der rechten Seite aus
sesehen. Vergr. 800.
Fig. 20. Übergang zum 27zelligen Stadium, vom vegetativen Pole aus
gesehen. Vergr. 800.
Fig. 21. Übergang zum 28zelligen Stadium, von der linken Seite aus ge-
sehen. Vergr. 800.
Fig. 22. Übergang zum 29—31zelligen Stadium, vom vegetativen Pole aus
gesehen. Vergr. 800.
Fig. 23. Übergang zum 32zelligen Stadium, vom vegetativen Pole aus
gesehen. Vergr. 800.
Fig. 24. Übergang zum 27zelligen Stadium, vom animalen Pole aus ge-
sehen. Vergr. 800.
Tafel III.
Fig. 25. Übergang zum 28zelligen Stadium, vom animalen Pole aus ge-
sehen. Vergr. 800.
Fig. 26. Übergang zum 34zelligen Stadium, von der Hinterseite aus ge-
sehen. Vergr. 800.
Fig. 27. Übergang zum 42zelligen Stadium, vom animalen Pole aus
sesehen. Vergr. 800.
Fig. 28. Übergang zum 42zelligen Stadium, vom animalen Pole aus
gesehen. Etwas älter als das vorhergehende Stadium. Vergr. 800.
Fig. 29. Übergang zum 4özelligen Stadium, vom vegetativen Pole aus
gesehen. Vergr. 800.
Fig. 30. Übergang zum 46zelligen Stadium, vom vegetativen Pole aus
gesehen. Vergr. 800.
Fig. 31. Übergang zum 46zelligen Stadium, vom vegetativen Pole aus
gesehen. Etwas älter als das vorhergehende Stadium. Vergr. 800.
Fig. 32. Übergang zum 47zelligen Stadium, vom vegetativen Pole aus
gesehen. Vergr. 800.
Fig. 33. Übergang zum 48- und 49zelligen Stadium, vom vegetativen Pole
aus gesehen. Vergr. 800.
Fig. 34. Erste Bilateraltheilung von M. Übergang zum 54zelligen Stadium,
vom vegetativen Pole aus gesehen. Vergr. 800.
Figg. 35—836. Mund X erleiden in umgekehrter zeitlicher Reihenfolge als
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 133
in Fig. 33—34 die erste Bilateraltheilung. Vom vegetativen Pole aus gesehen.
Vergr. 800.
Tafel IV.
Fig. 37. Übergang zum 54zelligen Stadium, vom animalen Pole aus ge-
sehen. Vergr. 800.
Fig. 38. Bildung von xz;. Von der Hinterseite gesehen. Vergr. 800.
Fig. 39. Bildung von »n und vierte Theilung von B und ©. Vom vege-
tativen Pole aus gesehen. Vergr. 800.
Fig. 40. Zweite Bilateraltheilung von X. Von der Hinterseite gesehen.
Vergr. 800.
Fig. 41. Zweite Bilateraltheilung von X vollzogen. Zweite Bilateralthei-
lung von M, welches in die Tiefe sinkt, von der Hinterseite gesehen. Vergr. 800.
Fig. 42. Dasselbe Stadium, von der linken Seite gesehen. Vergr. 800.
Fig. 43. Dritte Bilateraltheilung von X. Erste Andeutung des sich ein-
senkenden Blastoporus. Von der Hinterseite gesehen. Vergr. 800.
Fig. 44. Älteres Stadium mit tief eingesenkter Schalendrüse und stark
verengtem Blastoporus. Von der Hinterseite aus gesehen. Vergr. 800.
Fig. 45. Stadium der Wiederausstülpung der Schalendrüse, von oben
gesehen. Erste Andeutung des Velums. Vergr. 750.
Fig. 46. Junge Larve mit eben ausgebildetem Velum, Scheitelplatte und
Mund. Von der Vorder- und Ventralseite gesehen. Vergr. 800.
Fig. 47. Etwas älteres Stadium. Die Umwachsung der Schale ist schon
ziemlich vorgeschritten. Von der Vorder- und Ventralseite gesehen. Vergr. SO0.
Fig. 48. Schema der einzelnen Zellregionen, aus denen sich die Larve
aufbaut. Von der linken Seite gesehen. Erklärung siehe im Texte, p. 19 ff.
Tafel V.
Fig. 49—54, 56. Trochophoralarve von 75 u bis zu 187,5 u Länge allmählich
heranwachsend. Alle von der linken Seite gesehen. Das Nähere siehe im Texte,
p. 54 ff. Vergr. 400.
Fig. 55. Stadium von Fig. 54, aber von der Ventralseite gesehen. Vergr. 400.
Fig. 56. Ältestes freischwimmendes Stadium mit beginnender Reduktion
der Larvencharaktere. Von der linken Seite gesehen. Vergr. 400.
Fig. 57. Sich eben festsetzende Larve, die im Begriffe steht das Velum
abzuwerfen. Von der linken Seite gesehen. Vergr. 250.
Fig. 58. Älteres festsitzendes Stadium. Von der linken Seite gesehen.
Vergr. 250.
Fig. 59. Junge, festgeheftete Muschel, deren sämmtliche Organe bereits
angelegt sind. Von der linken Seite gesehen. Vergr. 9.
Tafel VI.
Fig. 60. Zweizelliges Stadium im Längsschnitte. Vergr. 900.
Fig. 61. Schnitt durch ein achtzelliges Stadium. Vergr. 900.
Fig. 62. Schnitt durch ein 16zelliges Stadium. Vergr. 900.
Fig. 65. Schnitt durch ein älteres Furchungsstadium. Vergr. 900.
Fig. 64. Sagittalschnitt durch eine ganz junge Gastrula. Vergr. 800.
Fig. 65. Sagittalschnitt durch eine etwas ältere Gastrula. Vergr. 800.
Fig. 66. Sagittalschnitt durch eine Gastrula mit dem Maximum der Ein-
stülpung von Schalendrüse und Mitteldarmanlage. Vergr. 1000,
or)
154 Johannes Meisenheimer,
Fig. 67. Sagittalschnitt durch eine Gastrula, deren Schalendrüse sich wie-
der auszustülpen beginnt. Vergr. 800.
Fig. 68. Sagittalschnitt durch die sich eben ausbildende Trochophoralarve.
Schalendrüse noch weiter zurückgestülpt, Blastoporus geschlossen. Vergr. 800.
Fig. 69. Sagittalschnitt durch ein etwas älteres Stadium mit sich anlegen-
dem Stomodäum. Vergr. 800.
Fig. 70. Sagittalschnitt durch die junge Trochophoralarve. Vergr. 800.
Fig. 71. Frontalschnitt durch eine Gastrula, die streifenförmige Anordnung
der Derivate von M (Mesodermstreifen) zeigend. Vergr. 1000.
Tafel VII.
Fig. 72. Schnitt durch eine Gastrula, die Auswanderung einzelner Ekto-
dermzellen zeigend. Vergr. 800.
Fig. 73. Frontalschnitt durch das Stadium von Fig. 69 etwa. Vergr. 800.
Fig. 74. Frontalschnitt durch den vorderen Theil einer Trochophoralarve,
das weit ausgestreckte Velum zeigend. Vergr. 530.
Fig. 75. Schnitt durch den Velarzellenrand. Vergr. 1150.
Fig. 76. Flächenschnitt der Wimperzellen des Velarrandes. Vergr. 800.
Fig. 77. Schnitt durch die Schalendrüse mit eben abgeschiedenem Chitin-
häutchen. Vergr. 800.
Fig. 78. Querschnitt der jungen Trochophoralarve, durch Vorderdarm und
Leberanlage gehend. Beginn der Ausbildung einer zweiklappigen Schale. Vergr. 800.
Fig. 79. Schnitt durch die dorsalwärts gelegene Epithelleiste, an welcher
beide Schalenhälften befestigt sind. Vergr. 800.
Fig. 80. Sagittalschnitt durch die Ventralseite einer jungen Trochophora-
larve. Vergr. 800.
Fig. 81. Dessgleichen durch die Ventralseite einer etwas älteren Larve.
Vergr. 800.
Figg. 82—84. Dessgleichen durch immer älter werdende Stadien, die Aus-
bildung des Mesenchymmuskelgewebes des Fußes demonstrirend. Vergr. Fig. 82
— 800, Fig. 83 und 84 = 750.
Figg. 85—86. Sagittalschnitt durch den vorderen Theil der Ventralseite,
die Auswanderung der Mesenchymmuskelzellen des Fußes zeigend. Vergr. 800.
Tafel VIII.
Fig. 87. Erste Anlage der Urniere. Vergr. 1150.
Fig. 88. Etwas älteres Stadium der Urnierenanlage. Vergr. 1150.
Figg. 89—91. Successive auf einander folgende Stadien in der Ausbildung
der Urniere. Vergr. 1150.
Figg. 92 u. 93. Längsschnitte durch die ausgebildete Urniere. Vergr. 1150.
Fig. 9. Schnitt durch eine verzweigte Urniere. Vergr. 1150.
Fig. 9. Schnitt durch den Wimperapparat der Urniere, auf jüngerem Sta-
dium. Vergr. ca. 1700.
Fig. 96. Schnitt durch den Wimperapparat der Urniere. Vergr. ca. 1700.
Fig. 97. Querschnitt des Urnierenrohres in der Gegend der Exkretzelle.
Vergr. 1150.
Fig. 98. Schräger Frontalschnitt durch eine ausgebildete Trochophoralarve,
die Lage der Urnieren zeigend. Vergr. 750.
Fig. 99. Schnitt durch den hinteren Schließmuskel. Vergr. 620.
.
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 135
Fig. 100. Schnitt in der Richtung des sich anlegenden Fußretraktors.
Vergr. 620.
Fig. 101. Schnitt durch den vorderen Schließmuskel. Vergr. 620.
Fig. 102. Frontalschnitt durch den vorderen Theil einer jungen Trocho-
phoralarve, die Anlage der Scheitelplatte zeigend. Vergr. 800.
Fig. 105. Frontalschnitt durch den vorderen Theil einer etwas älteren
Larve. Velum und Scheitelplatte bereits wohl entwickelt. Vergr. 800.
Fig. 104. Längsschnitt durch die Scheitelplatte auf jüngerem Stadium.
Vergr. 530.
Fig. 105. Längsschnitt durch die Scheitelplatte auf älterem Stadium. Ver-
srößerung 530.
Fig. 106. Querschnitt durch den vorderen Theil der Scheitelplatte. Vergr. 750.
Tafel. IX.
Fig. 107. Frontalschnitt durch den vorderen Theil der Larve, den Beginn
der Differenzirung des Cerebralganglions zeigend. Vergr. 750.
Fig. 108. Dessgl., Cerebralganglienanlage weiter vorgeschritten. Vergr. 530.
Fig. 109. Dessgl., Cerebralganglion nahezu losgelöst. Vergr. 530.
Fig. 110. Dessgl., Cerebralganglion und Scheitelgrube völlig getrennt.
Vergr. 530.
Fig. 111. Querschnitt der Ventralseite der Larve. Erste Anlage des Pedal-
ganglions. Vergr. 800.
Fig. 112. Dessgl., Pedalganglienanlage weiter vorgeschritten. Vergr. 800.
Fig. 113. Dessgl., Pedalganglienanlage noch weiter nach innen verschoben.
Vergr. 800.
Fig. 114. Die eine Hälfte eines Querschnittes der Ventralseite. Pedal-
ganglion im Abschnüren begriffen. Vergr. SO.
Fig. 115. Schräger Querschnitt der Ventralseite. Pedalganglion fertig aus-
gebildet. Vergr. 750.
Fig. 116. Frontalschnitt der Ventralseite. Pedal- und Visceralganglien-
anlage sichtbar. Vergr. 800.
Fig. 117. Schnitt durch eine etwas ältere Anlage des Visceralganglions.
Vergr. 800.
Fig. 118. Schnitt durch ein ausgebildetes Visceralganglion. Vergr. 750.
Tafel X.
Fig. 119. Theil eines Frontalschnittes, die Wucherungsstelle zur Bildung
des Pleuralganglions zeigend. Vergr. 800.
Fig. 120. Dessgl. Älteres Stadium der Pleuralganglienanlage. Vergr. 750.
Fig. 121. Frontalschnitt einer älteren Larve, die Lagebeziehungen sämmt-
licher Ganglien aufweisend. Aus einigen Schnitten kombinirt. Vergr. 400.
Fig. 122. Theil eines Querschnittes mit der Otocystenanlage. Vergr. 1150.
Fig. 123. Dessgl., mit bereits abgeschnürter Otocyste. Vergr. 1150.
Fig. 124. Schnitt durch das Pedalganglion, beiderseits die Otocysten auf-
weisend. Vergr. 1150.
Fig. 125. Stück eines Sagittalschnittes der Ventralseite, die histologische
Beschaffenheit des Enddarmes und sein Verhältnis zur Herz-Nieren-Genitalanlage
darstellend. Vergr. 800.
Figg. 126—129. Stellen die hinteren Hälften von Sagittalschnitten durch
136 Johannes Meisenheimer,
junge Trochophoralarven dar. Die allmähliche Ausbildung des Enddarmes wie
der Herz-Nieren-Genitalanlage zeigend. Vergr. 1150.
Fig. 130. Sagittalschnitt durch eine junge Trochophoralarve. Vergr. 750.
Fig. 131. Schnitt durch die Anlage von Magen und Leber. Vergr. 800.
Fig. 132. Sagittalschnitt durch Magen, Krystallstielblindsackanlage und
Dünndarm. Vergr. 800.
Fig. 135. Längsschnitt durch den Krystallstielblindsack. Vergr. 750.
Fig. 134. Frontalschnitt einer älteren Larve, die Verhältnisse des Mittel-
darmes darstellend. Vergr. 430.
Tafel XI.
Fig. 135. Querschnitt der jungen Trochophoralarve, den Enddarm in der
Längsrichtung treffend und die gesammte Anlage von Herz, Niere und Genital-
organen zeigend. Vergr. 1150.
Fig. 136. Theil des Frontalschnittes einer jungen Larve. Erste Differen-
zirung von Herz und Niere. Vergr. 1150.
Fig. 1357. Dessgl. Etwas älteres Stadium. Vergr. 1150.
Fig. 138. Dessgl. Differenzirung der Nierenbläschen vollzogen. Aus zwei
Schnitten kombiirt. Vergr. 1150.
Figg. 139—141. Dessgl. Ringförmige Anordnung der Anlage von Herz und
Perikard um den Enddarm. Vergr. 1150.
Fig. 142. Dessgl. Beginn der Abspaltung des Perikards. Vergr. 1150.
Fig. 145. Dessgl. Differenzirung von Herz und Perikard auf etwas älterem
Stadium. Vergr. 1150.
Figg. 144—146. Dessgl. Verschiedene Stadien der eben vollendeten Diffe-
renzirung von Herz und Perikard. Fig. 144 aus zwei auf einander folgenden
Schnitten kombinirt. Vergr. 1150.
Fig. 147. Theil eines Querschnittes durch eine bereits festsitzende Muschel.
Herz und Perikard wohl ausgebildet. Vergr. 1150.
Fig. 148. Theil eines Frontalschnittes einer frei schwärmenden Larve mitt-
leren Alters, die Verschmelzung der beiderseitigen Nierenbläschen zeigend. Aus
zwei Schnitten kombinirt. Vergr. 1150.
Tafel XII.
Fig. 149. Theil des Frontalschnittes einer jüngeren Larve. Entstehung
zweier Schenkel des Nierenbläschens. Vergr. 1150.
Fig. 150. Dessgl. Bedeutende Größenzunahme dieser beiden Schenkel.
Aus zwei Schnitten kombinirt. Vergr. 1150.
Fig. 151. Dessgl., von einer älteren Larve. Die Nierenbläschen schieben
ihren einen Schenkel ventral unter den Darm, um sich hier zu vereinigen. Vergr. 1150.
Fig. 152. Schnitt durch den mittleren Theil der Niere. Vergr. 1150.
Fig. 153. Schnitt durch Niere und Perikardialnierengang im hinteren Drittel
ihres Verlaufes.
Fig. 154. Querschnitt durch ein bereits festgeheftetes Stadium, die Ver-
einigungsstelle der beiderseitigen Nierenhälften zeigend. Vergr. 750.
Fig. 155. Querschnitt eines weit älteren Stadiums. Nierenausführgang
völlig ausgebildet. Vergr. 200.
Figg. 156, 157. Längsschnitte durch die Mündung des Perikardialnieren-
ganges in das Perikard. Vergr. 800.
5
%
Per
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. 137
Fig. 158. Querschnitt einer bereits festsitzenden Muschel, die erste Diffe-
renzirung der Genitalzellen in der Perikardwand zeigend. Vergr. 800.
Figg. 159, 160. Theile eines ebensolchen Querschnittes, die Genitalanlage
etwas weiter vorgeschritten zeigend. Vergr. 800.
Fig. 161. Dessgl., die Genitalanlage beginnt sich vom Perikard loszu-
lösen. Vergr. 800.
Fig. 162. Dessgl., Genitalanlage vom Perikard losgelöst. Vergr. 800.
Tafel XIII.
Fig. 163. Kleiner T'heil eines Querschnittes einer älteren Muschel, die
(Genitaldrüse im Längsschnitte zeigend. Vergr. 530.
Fig. 164. Querschnitt eines noch älteren Stadiums, mit wohlentwickelter
Keimdrüse. Vergr. 250.
Fig. 165. Theil eines Sagittalschnittes aus der Gegend der Genitalanlage
(vgl. hierzu Fig. 59 auf Taf. V). Vergr. 800.
Fig. 166. Dessgl., älteres Stadium mit bereits losgelöster Keimdrüse.
Vergr. 800.
Fig. 167. Querschnitt eines sehr alten Stadiums. die Spaltung der Keim-
drüse in zwei Hälften zeigend. Vergr. 200.
Fig. 168. Frontalschnitt durch den vorderen Körpertheil, die Reduktion des
Velums und das beginnende seitliche Auseinanderweichen der Scheitelgrube
zeigend. Vergr. 400.
Fig. 169. Querschnitt durch den vordersten Körpertheil eines bereits fest-
sitzenden Stadiums. Beginnende Umwandlung der Scheitelgrube. Vergr. 400.
Fig. 170, 171. Querschnitte durch den vordersten Körpertheil noch älterer
Stadien, die Umwandlung der Scheitelgrube in die Mundlappen darstellend.
Vergr. 400.
Fig. 172. Theil eines Sagittalschnittes durch das Vorderende einer sich
eben festsetzenden Larve, die Lage der Scheitelgrube und das Abwerfen des
Velums darstellend. Vergr. 400.
Fig. 173. Theil eines Sagittalschnittes durch das Vorderende einer bereits
festsitzenden Muschel, mit bereits wohlentwickelten Mundlappen. Vergr. 400.
iR 5 | u . An
nu - i : i WIR ARM
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren,
zugleich ein Beitrag zur Amitosenfrage.
Von
Julius Grofs
aus Riga.
.
Mit Tafel XTIV—XVI und 4 Figuren im Text.
Im Jahre 1895 erschien eine Arbeit von F. PrEusse£, »Über die
amitotische Kerntheilung im Ovarıum der Hemipteren«
(34). In dieser Schrift kommt der Verfasser zu dem Schluss, dass
im Ovarium der Hemipteren der amitotischen Kerntheilung eine her-
vorragende regeneratorische Bedeutung zuerkannt werden müsse.
Mein hochverehrter Lehrer, Herr Professor H. E. ZIEGLER, ersuchte
mich nun im Wintersemester 1898/1899, diese Befunde einer Nach-
prüfung zu unterziehen. Ich kam dieser Aufforderung sehr gern nach
und untersuchte eine größere Anzahl von Wanzen. Gelegentlich dieser
Untersuchungen fand ich, abgesehen von der mich in erster Linie inter-
essirenden Frage nach der Bedeutung der amitotischen Kerntheilung, auch
sonst manches Neue oder von den bisherigen Ansichten Abweichende,
das mir der Veröffentlichung werth schien. So kam ich dazu, meine
vorliegende Arbeit in drei Theile zu zerlegen. Im ersten werden die
einzelnen im Ovarium vertretenen Zellarten nach ihrer Herkunft, ihrer
physiologischen Bedeutung und ihrem endlichen Schicksal besprochen ;
der zweite behandelt die Bildung der Eischale und ihrer Anhangs-
gebilde; der dritte endlich ist der Amitosenfrage gewidmet.
Material und Methode.
Meine Untersuchungen erstrecken sich auf folgende, während
des Frühlings und Sommers 1899 gesammelte Arten:
1. Pentatoma baccarum L. 4. Pentatoma fuscipinumBoh.
2. - nigricorneL. 5. Graphosoma nigrolinea-
3. - dissimile Fabr. tum Fabr.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 10
140 Julius Groß,
6. Eurygaster maurus L. 10. Alydus calcaratus L.
7. Aelia pallida Küster. 11. Corizus hyoscyami L.
8. Asopus bidens L. 12. Pyrrhocoris apterus L.
9. Syromastes marginatusL. 13. HarpactorsubapterusDeG.
Am eingehendsten konnte ich die Verhältnisse studiren bei Pen-
tatoma baccarum, nigrieorne, dissimile, Syromastes marginatus, Pyrrho-
coris apterus. Denn von diesen Arten hatte ich eine größere Zahl
Exemplare aus verschiedenen Altersperioden zur Verfügung, von voll-
kommen erwachsenen angefangen, die augenscheinlich bereits mit
der Eiablage begonnen hatten, bis zu ganz jungen, im Spätsommer
und Herbst eingefangenen Thieren, bei denen immer erst ein Eifach
gebildet war. Von Pyrrhocoris apterus konnte ich auch noch zwei
Larven untersuchen. Bei den übrigen Arten musste ich leider darauf
verzichten, weil- es mir unmöglich gewesen wäre, die Larven sicher
zu bestimmen. Von Graphosoma nigrolineatum hatte ich ein ziemlich
weit entwickeltes und ein ganz junges Exemplar, von Corizus hyos-
cyami neben mehreren jungen ein älteres. Eurygaster maurus, Aelia
pallida und Pentatoma fusecipinum habe ich nur in jungen Exem-
plaren erbeutet, Alydus calcaratus und Asopus bidens dagegen in
mehreren, aber durchweg älteren Stadien. Von Harpaetor subapterus
konnte ich nur ein Exemplar untersuchen; dieses befand sich in einem
mittleren Stadium der Eientwieklung.
Den gefangenen Thieren wurden die Ovarien herauspräparirt
und dann möglichst schnell in die Fixirungsflüssigkeit gebracht. Als
solche wurde nach einigen Versuchen mit koncentrirtem Sublimat,
das starke Quellungen in den Geweben hervorrief, und FLEMMINnG’scher
Chromosmiumessigsäure, welche den Dotter und gewisse Theile der
Endkammer sehr stark schwärzte, durchgängig die vom RArTH’sche
Pikrinplatinchloridessigsäure angewendet, die sich vortrefflich be-
währte. Nach erfolgter Härtung wurden die Objekte in Paraffin ein-
gebettet und geschnitten. Die Schnittdieke betrug 10 und 5 u. Letz-
tere Dicke genügte vollkommen für alle Untersuchungen. 10 u dicke
Schnitte erwiesen sich dagegen für kleinzellige Partien der Eiröhre
als ungünstig, da man leicht zwei über einander liegende Zellen auf
einen Schnitt bekommt. Nothwendig war dagegen die größere Dicke
der Schnitte für alte Eier mit bereits starker Chitinschale, die natür-
lich dem Schneiden große Schwierigkeiten bereitet, leicht in Stücke
bricht und dabei das ;darüber liegende Follikelepithel mit zerreißt.
Alle Versuche, das Chitin mit Eau de Javelle oder Eau de Labar-
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 141
raque aufzuweichen, misslangen vollständig. Die Ovarien wurden
entweder in toto, oder die einzelnen Eiröhren für sich geschnitten.
Ich habe fast ausschließlich Längsschnittserien und nur einige Quer-
schnittserien angefertigt, da erstere bei Weitem übersichtlichere und
instruktivere Bilder geben.
Sämmtliche Schnitte wurden auf dem Objektträger gefärbt. Von
Tinktionsmitteln habe ich mehrere mit verschiedenem Erfolge ange-
wandt. Hämatoxylin kombinirt mit Eosin (Lee-PAUL MAYER p. 205)
färbte den Dotter hellroth. Das Zellplasma nahm einen mehr vio-
letten Ton an. Das Kernplasma dagegen wurde hellblau, während
das Chromatin sich ganz dunkelblau tingirte.
Ähnliche Resultate ergab die Doppelfärbung mit Hämatoxylin
und Safranin (LEE-PAUL-MAYER p. 20%), nur färbte sich bei dieser
Methode das Chromatin sehr intensiv dunkelroth. Bei Anwendung
des HEIDENHAIN’schen Eisenhämatoxylin (Zeitschr. f. wiss. Mikr. 13. Bd.
p. 186) tingirte sich der Dotter recht stark, während das Zellplasma
heller blieb. Das Kernplasma blieb bei dieser Färbung ganz farblos,
das Chromatin dagegen wurde sehr dunkel, fast schwarz. Sehr in-
tensiv schwarz färbte sich das Chromatin auch mit Kernsehwarz (LE£-
PAauL MAyER p. 202), das den übrigen Zellbestandtheilen einen gelb-
lichgrauen bis braunen Ton verlieh. Als am wenigsten geeignet
erwies sich im Allgemeinen die von manchen Autoren gerühmte
Kombination von Kernschwarz mit Safranin. Doch hatte diese
Färbung den Vorzug, dass sie die Zellgrenzen sehr deutlich her-
vorhob.
Neben der Untersuchung auf Schnittserien, habe ich einige Mal
für das Follikelepithel älterer Keimfächer auch die von PrEUSSE (34)
angegebene Methode des Abpinselns angewandt. Doch kann ich
nicht sagen, dass sie sich sehr bewährte. Denn erstens ist das
Epithel für feinere Untersuchungen zu dick. Dann aber kann man,
wie es PREUSSE auch passirt zu sein scheint, leicht dadurch getäuscht
werden, dass zwei Kerne über einander liegen und desshalb eine ein-
kernige Zelle vortäuschen. Die Untersuchung an Schnittserien ergiebt
jedenfalls sicherere Resultate. Schließlich habe ich noch einige reife,
dem Oviduct entnommene Eier in toto untersucht.
I. Über die Differenzirung der einzelnen Elemente der Endkammer
und ihre physiologische Bedeutung.
Das Ovarium der Hemipteren ist bereits so oft und so eingehend
beschrieben worden, dass ich das Allgemeine wohl als bekannt vor-
10*
142 Julius Groß,
aussetzen kann. Ich will mich daher auf die Mittheilung dessen be-
schränken, was mir neu erschien oder, worin ich von der Ansicht
der bisherigen Autoren abweiche. Bei allen von mir untersuchten
Arten besteht jedes Ovarium aus 7 Eiröhren. Die Zahl 7 scheint
überhaupt bei den Wanzen sehr häufig zu sein, wenn auch zuweilen
andere Zahlen vorkommen. So haben außer den von mir genannten
Arten nach L£on Durour auch Coreus, Scutellera, Lygaeus, Cimex,
Reduvius, Pelogonus, Corixa, Naucoris eimicoides 7 Eiröhren in jedem
Ovarium, Notoneeta nach Frey und Leuckarr (13) 6 oder 7. Bei
Nepa, Ranatra und Naucoris finden sich nach den übereinstimmenden
Angaben der Autoren 5 Eiröhren. Für Hydrometra geben Frey und
LEUCKART, für Aradus und Gerris LEoN Durour 4 Eiröhren an.
Stimmen also alle von mir untersuchten Wanzen in der Zahl der
Eiröhren überein, so zeigen sich in einer anderen Hinsicht große
Verschiedenheiten. Bei Syromastes marginatus (Fig. 1) enthalten die
Eiröhren älterer Thiere immer nur je ein in der Entwicklung weiter
vorgeschrittenes Ei; das vor diesem gelegene ist noch ganz jung und
augenscheinlich erst eben aus dem Keimlager in die eigentliche
Eiröhre hinabgeglitten. Es ist klar, dass zur Zeit aus jeder Eiröhre
in größeren Zwischenräumen immer nur ein Ei abgelegt werden kann.
Ähnlich verhält es sich bei der Gattung Pentatoma (Fig. 2), bei Grapho-
soma nigrolineatum und bei Alydus calcaratus. Doch steht bei diesen
Wanzen das zweite Ei in seiner Entwicklung nicht so weit hinter
dem ersten zurück. Und während das erste noch in der Eiröhre
verweilt, ist oft bereits ein drittes aus dem Keimlager ausgetreten.
Noch größer ist die Zahl der gleichzeitig in einer Eiröhre befindlichen
Eier bei Asopus bidens (Fig. 3). Hier liegen eine ganze Anzahl Eikam-
mern hinter einander. Es findet dabei ein ganz allmählicher Über-
gang zwischen den auf einander folgenden Eiern statt. Das letzte kann
schon vollständig reif und bereits mit Dotterhaut und Chorion versehen
sein, während das vorderste erst eben begonnen hat, sich vom Keim-
lager abzuschnüren. Hier geschieht also die Eiablage zur Zeit der
Geschlechtsreife wohl ziemlich kontinuirlich eine längere Zeit hindurch.
Bei Pyrrhocoris apterus (Fig. 4) endlich enthält jede Eiröhre ebenfalls
immer eine größere Zahl von hinter einander liegenden Eikammern.
Aber die meisten derselben zeigen ganz dieselbe Stufe der Entwick-
lung. Bei ganz alten Thieren fand ich fünf oder sechs Eier mit be-
reits fertig gebildetem Chorion in einer Eiröhre und nur die vordersten
Eier waren wesentlich jünger. Bei der Feuerwanze bleiben also die
Eier wahrscheinlich im Ovarium liegen, bis alle reif geworden sind
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 143
und werden dann auf einmal abgelegt. Die Textfiguren 1—4 sollen
das durch dieses verschiedene Verhalten bedingte Aussehen der
Eiröhren bei den einzelnen Wanzenarten verdeutlichen.
LE
Hdarhehhien
RN
Zwecks Orientirung über die einzelnen Theile der Eiröhre ist
in Fig. 1 auf Tafel XIV eine solche von Asopus bidens bei stärkerer
Vergrößerung abgebildet. Wenn wir von vorn beginnen, sehen wir
zuerst den Endfaden (ef). An diesen stößt die Endkammer (ek).
Innerhalb derselben haben wir drei Bezirke zu unterscheiden. An
der Spitze liegt eine Ansammlung kleiner Kerne (a). Auf diese folgt
144 Julius Groß,
der Bezirk der Nährzellen (2). In der Mitte weist er einen von
Kernen freien protoplasmatischen Raum auf, der eine eigenthümliche
fibrilläre Struktur erkennen lässt. Den dritten Abschnitt der End-
kammer bildet das Keimlager (c). Es besteht aus kleinen Zellen,
in deren Mitte die jungen Keimbläschen liegen. Die größeren der-
selben stehen durch Stränge mit dem protoplasmatischen Raum des
Nährzellenbezirkes in Verbindung. Auf das Keimlager folgen die
einzelnen Eikammern. Am hinteren Ende der Eiröhre ist auch
noch ein entleerter Follikel abgebildet.
Ich wende mich nun zur Besprechung der interessanten und von
verschiedenen Forschern sehr verschieden beurtheilten Frage nach
der Herkunft und der morphologischen und physiologischen Bedeu-
tung der verschiedenen in der Endkammer vereinigten histologischen
Elemente. Bevor ich jedoch näher auf dieselbe eingehe, muss ich
noch einen Theil des Insektenovariums einer gesonderten Betrach-
tung unterziehen, nämlich den Endfaden. Diese Trennung empfiehlt
sich, weil, wie wir sehen werden, letzteres Gebilde bei meinem Ma-
terial eine große Selbständigkeit gegenüber der Endkammer be-
hauptet, eine größere, als bisher für irgend ein Insekt sicher be-
sründet worden ist.
Die ersten Untersuchungen über die Endfäden des Insektenova-
rıums verdanken wir JOHANNES MÜLLER (32). Er fand, dass die
Endfäden bei den von ihm untersuchten Insekten sich an das Rücken-
gefäß anheften und hielt sie desshalb für Gefäße, welche eine di-
rekte Blutverbindung zwischen Ovarium und Rückengefäß herstellen.
Diese Ansicht wurde später von Srem (40) und namentlich von
Leyvıs (24) widerlegt, welche nachwiesen, dass die eigentlichen
Endfäden innerhalb ihrer Peritonealhülle endigen, bevor sie das
Rückengefäß erreichen, und dass sie also nur als Aufhängebänder
der Ovarien zu betrachten sind. Das Historische über den Endfaden
hat Korscneur (16) sehr eingehend dargelegt. Ich kann mich daher
darauf beschränken, nur die für meine Untersuchung wichtigen Ar-
beiten zu besprechen, besonders so weit sie nach der KORSCHELT-
schen Schrift erschienen sind. Große Meinungsverschiedenheiten be-
stehen noch über die Beziehungen 'zwischen dem Endfaden und dem
eigentlichen Ovarium, und es ist wohl mehr als wahrscheinlich, dass
sich diese Beziehungen in den verschiedenen Insektenklassen auch
verschieden gestalten.
Über die Hemipteren hat KorscHerr die eingehendsten Unter-
suchungen angestellt. Er findet, dass bei Notonecta glauca, Nepa
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren ete. 145
cinerea und Reduvius personatus die Kerne des Endfadens kontinuir-
lich in die der Endkammer übergehen. Bei Pyrrhocoris apterus sah
KoRSCHELT allerdings, dass sich die Tunica propria zwischen Endfaden
und Endkammer hinzieht. Trotzdem nimmt er an, dass auch bei der
Feuerwanze die beiden Theile von gleichem Ursprung seien. Schon
ein Jahr vor KorscHELT hatte WırL (45) für Nepa und Notonecta
angegeben, dass die Kerne des Endfadens als die jüngsten eibil-
denden Elemente zu betrachten seien, welche in die Endkammer
hinabwandern sollen. Auch SABATIER (37) meint, Endkammer und
Endfaden hätten, wenigstens bei jungen Nymphen von Nepa, dieselbe
Beschaffenheit. Nach Lanpors (21) sind auch bei der Bettwanze die
Zellen der Endfäden gleichwerthig den Zellen der Endkammern.
Diesen im Wesentlichen mit einander übereinstimmenden Angaben
steht in der gesammten Litteratur, so weit sie mir zugänglich war,
nur eine Behauptung von J. PEREZ (35) gegenüber. Er hält den
Endfaden für einen atrophirten Abschnitt der Eiröhre, der
mit der Eibildung nichts zu thun hat, und findet bei verschie-
denen Hemipteren, dass Endfaden und Endkammer durch eine »trans-
versale Scheidewand« von einander getrennt sind.
Meine Beobachtungen über diesen Gegenstand ergaben mir fol-
sendes Resultat: Bei sämmtlichen von mir untersuchten Wanzen
bezeichnet die Tunica propria der Eiröhre eine scharfe Grenze
zwischen Endfaden und Endkammer. Sie ist an keiner Stelle durch-
brochen, sondern bildet eine durchaus kontinuirliche Scheidewand
zwischen den beiden genannten Theilen der Eiröhre. Ist schon da-
durch ein direkter Übergang zwischen den Kernen des Endfadens
und der Endkammer ausgeschlossen, so ist ein solcher auch noch
desswegen nicht denkbar, weil die Elemente dieser beiden Partien
des Ovariums sich sehr wesentlich von einander unterscheiden. Der
Endfaden ist zum größten Theil erfüllt von großen, blasigen Zellen,
deren Plasma sich gegen alle von mir angewandten Farbstoffe gänz-
lich indifferent verhält und daher vollkommen wasserhell erscheint.
Die Zellen enthalten, im Verhältnis zum Plasmakörper, recht kleine
Kerne, die sich nur schwach mit Kernfärbemitteln tingiren und einen
kleinen, punktförmigen Nucleolus umschließen. Der Endfaden ge-
währt also ein ganz anderes histologisches Bild als die ihm benach-
barte Spitze der Endkammer, welche von Kernen erfüllt ist, die
an Größe und Färbbarkeit die Kerne des Endfadens weit übertreffen.
Die Kerne der Endkammer stehen zudem dicht gedrängt und lassen
das zugehörige Zellplasma stark zurücktreten. Sie sollen weiter unten
146 Julius Groß,
genauer beschrieben werden, hier nur so viel, dass sie mit den Kernen
des Endfadens gar nicht zu verwechseln sind, sondern sich auf den
ersten Blick deutlich von ihnen unterscheiden. Doch nicht genug
hiermit, zeigt der Endfaden gerade an seinem hinteren, an die End-
kammer grenzenden Ende eine auffällig veränderte Partie, deren
eigenthümliche Struktur den Gegensatz zwischen Endfaden und End-
kammer noch schärfer hervortreten lässt und jeden Gedanken eines
allmählichen Überganges zwischen beiden vollends ausschließt. Hier
zeigt sich bei allen von mir untersuchten Arten, mit einer einzigen,
später zu besprechenden Ausnahme, zwischen der Endkammer und
den oben beschriebenen blasigen Zellen des Endfadens eine Partie
von ganz anderem histologischem Charakter. Dieser Anfangstheil
des Endfadens besteht aus schmalen, spindelförmigen Zellen, die quer
zur Achse der Eiröhre gestellt sind und sich scharf gegen die vorhin
erwähnten blasigen Zellen abheben (Figg. 2, 3, 4). Gegen Farbstoffe
verhalten sie sich eben so indifferent wie die übrigen Zellen des
Endfadens. Ihre blassen Kerne sind, wie die zugehörigen Zellen,
quer verlängert. Die Tunica propria des Endfadens ist an dem An-
fangstheil des Endfadens besonders stark und erscheint quergeringelt,
wie dieses KorscHELT (16) auch für Reduvius personatus angiebt.
Die beschriebene Partie mit den spindelförmigen Zellen stößt nach
hinten an die Tunica propria der Endkammer, nach vorn folgen auf
sie, gänzlich unvermittelt, die blasigen Zellen des Endfadens. Bei
sieben meiner Arten, nämlich bei den vier untersuchten Vertretern
der Gattung Pentatoma, bei Eurygaster maurus, Aelia pallida und
Corizus hyoseyami, ist der Anfangstheil des Endfadens von einer An-
häufung von Zellen umgeben, welche den Raum zwischen Peritoneal-
überzug und Endkammerspitze ausfüllen und letzterer in Gestalt
einer Kappe aufsitzen. Bei geschlechtsreifen Thieren färben sich diese
Zellen nur sehr schwach und erscheinen etwas blasig aufgetrieben
(k in Fig. 5). Sie sind also den Zellen des Endfadens sehr ähnlich.
Bei ganz jungen Thieren gleicht diese Kappe dagegen in ihrem histo-
logischen Charakter auffallend der Spitze der Endkammer, wie ein
Blick auf Fig. 4 zeigt. Höchstens färben sie sich etwas schwächer.
Bei alten Thieren ist die Kappe viel flacher als bei jungen Exem-
plaren. Den Arten Syromastes marginatus, Pyrrhocoris apterus, Aso-
pus bidens und Alydus calcaratus fehlt diese Zellenanhäufung um
den Endfaden, eben so bei erwachsenen Exemplaren von Graphosoma
nigrolineatum. Bei jungen Thieren letzterer Art ist sie dagegen inter-
essanter Weise ganz besonders deutlich ausgebildet (Fig. 4). Ich
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 147
muss sie nach ihrem ganzen histologischen Bau unbedingt für einen
Theil der Endkammer selbst ansprechen, welcher bei der Bildung
der Tunica propria abgekapselt wird, also außerhalb der eigentlichen
Eiröhre zu liegen kommt. Sie kann sich daher auch nicht an den
sich in letzterer abspielenden histologischen Vorgängen betheiligen
und geht zu Grunde, wie bei Graphosoma, oder verliert wenigstens,
wie bei Pentatoma und den anderen genannten Arten, ihren ursprüng-
lichen Charakter. Ob diese Zellanhäufung oder Zellenkappe auf
der Spitze der Endkammer bei Syromastes und den andern sich
eben so verhaltenden Arten überhaupt fehlt, oder ob sie in noch jün-
seren als in den von mir untersuchten Thieren vorhanden ist, wage
ich nicht zu entscheiden. Bei Pyrrhocoris war jedenfalls auch bei
einer noch recht jungen Larve nichts Derartiges zu bemerken. Bei
Harpactor subapterus fehlt sowohl die Zellenkappe, als auch der von
ihr umschlossene charakteristische Anfangstheil des Endfadens. Fig. 5
lässt erkennen, wie die blasigen Zellen des Endfadens direkt an die
Tunica propria der Endkammer stoßen, welche auch hier eine scharfe
Scheidewand zwischen Endfaden und eigentlicher Eiröhre bildet.
Leider stand mir nur ein Exemplar dieser in der Umgebung von
Jena seltenen Wanze zu Gebote. Harpactor subapterus zeichnet sich
ferner dadurch aus, dass die Endkammer sich sehr allmählich nach
vorn verjüngt. Ro:
Die eigenthümliche Beschaffenheit des Endfadens, wie ich sie
bei zwölf Wanzenarten fand, ist bisher für keine Hemiptere genau
beschrieben worden. Ich weiß daher nicht, wie weit ich meine Be-
funde verallgemeinern darf. Immerhin sprechen einige Andeutungen
in der Litteratur dafür, dass auch bei anderen Wanzen der Anfang
des Endfadens besonders charakterisirt ist. So beschreibt KORSCHELT
(16) Querfasern an der Basis des Endfadens von Notonecta glauca,
Nepa cinerea und Ranatra linearis. Auch WıLr (45) giebt ganz kurz
an, dass der Endfaden bei Nepa und Notonecta an seiner Basis eine
etwas andere Struktur zeigt. Sollten diese »queren Faserzüge«
und diese »andere Struktur« nicht vielleicht dasselbe sein, wie
die quergestellten spindelförmigen Zellen meiner Darstellung? Nehme
ich dazu, dass KoRSCHELT die eigenthümliche Bildung des Anfangs-
theiles bei Pyrrhocoris, wo sie allerdings nicht sehr deutlich ist,
jedenfalls übersehen hat, so scheint es mir sehr wahrscheinlich, dass
sie auch bei den von ihm und WırL beschriebenen Wasserwanzen
vorhanden ist.
Datür, dass auch bei anderen Insekten die Basis des Endfadens
148 Julius Groß,
eine besondere und der von mir beschriebenen ähnliche Beschaffen-
heit aufweist, habe ich zwei interessante Belege in der Litteratur
gefunden. So meint Heymons (14) für Phyllodromia germanica, es
sei unwahrscheinlich, dass der Endfaden an der Produktion von
Eizellen oder Epithelzellen der Eiröhre Theil nimmt, »weil seine un-
tersten Zellen immer ihren queren Charakter behalten«.
Noch besser passt zu meiner Darstellung folgende Mittheilung Ley-
pıG’s (25) über den Endfaden von Dytiscus marginalis: »Vor der
Endkammer richteten sich die Kerne quer, standen dicht
sedrängt und die dazu gehörige Zellsubstanz hatte leichte
Abgrenzungen angenommen, wodurch zellige Bezirke ent-
standen. Diese Partie hob sich scharf gegen die End-
kammer ab.« Welche physiologische Bedeutung der Anfangstheil
des Endfadens hat, muss ich dahin gestellt sein lassen. Sichere Aus-
kunft darüber können wohl nur Beobachtungen am frischen Material
geben. Da ich aber beim Beginn meiner Arbeit mein Hauptaugen-
merk auf die Kerntheilung richtete, fielen mir die geschilderten Ver-
hältnisse erst beim Durchmustern meiner Schnittserien im Winter auf,
als es mir nicht mehr möglich war, frisches Material zu beschaffen.
Ich möchte nur darauf hinweisen, dass die spindelförmigen Zellen
sich bei jungen Thieren über einen größeren Bezirk des Endfadens
erstrecken als bei geschlechtsreifen. Sollten wir es also vielleicht
mit einem embryonalen oder wenigstens larvalen Charakter zu thun
haben, der im Laufe der Entwicklung schwindet?
Über die verschiedenen Elemente des Insektenovariums ist im
Laufe der Jahre eine umfangreiche Litteratur entstanden, seitdem
STEIN (40) im Jahre 1847 die ersten genaueren Angaben veröffent-
licht hat. Das Ergebnis der Sreıiw’schen Arbeit lässt sich kurz dahin
zusammenfassen, dass nach seiner Ansicht aus einer gleichartigen
Zellenmasse, sowohl Eier, als auch Dotterbildungs- oder Nährzellen
hervorgehen. Diese von Stein bei Käfern gefundenen Resultate
bestätigte später LuUBBock (26) auch für die Hemipteren. Ihm schloss
sich CLaus (4) an und erweiterte die LugBock’schen Angaben noch
dahin, dass auch die Zellen, welche später das Epithel der Eifollikel
bilden, denselben Ursprung haben wie die Ei- und Dotterzellen. Auch
WEISMANN (45) kam auf Grund embryologischer Thatsachen zu dem-
selben Resultat. LEyviG (24) trat dieser Anschauung mit Entschieden-
heit entgegen und nahm für die Epithelzellen eine &esonderte Ent-
stehung in Anspruch. Ungefähr gleichzeitig mit ihm hatte auch
METSCHNIKOFF (30) als Resultat einer embryologischen Arbeit mit-
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 149
getheilt, dass bei Cecidomyia die Epithelzellen anderen Ursprungs
seien als die Nährzellen und Eizellen. Eine ganz neue Auffassung
über die Eibildung bei den Insekten brachte dann Wırr’s Arbeit über
»Bildungsgeschichte und morphologischen Werth des Eies
von Nepa cinerea L. und Notonecta glauca L.« (45). WıLL
nimmt an, dass sowohl Nähr- als Epithelzellen innerhalb großer Kerne,
die die Endkammern jugendlicher Thiere erfüllen, und die er »0o-
blasten« nennt, entständen und dann durch Ruptur der Membran
aus dem Kern austräten. Der zurückbleibende Theil des Ooblasten
bilde dann eine neue Membran und werde zum Keimbläschen. Ganz
ähnliche Vorgänge beschrieb dann SABATIER (37) für eine große Zahl
von Insekten. Auch PEREz (35) erklärte sich für die Entstehung
der verschiedenen Elemente durch endogene Zellbildung. Doch weicht
er von WILL und SABATIER darin ab, dass er alle drei Arten von
Kernen, also auch die Keimbläschen, als Schwesterzeilen in einer
gemeinsamen Mutterzelle entstehen lässt. Die Membran dieser Zelle
reißt dann und alle drei Kernarten werden frei. Die Ooblasten-
theorie WıLr’s, die einen im ganzen Thierreich einzig dastehenden
Modus der Zellbildung behauptete, wurde sofort von WIELOWIEJSKI (44)
scharf angegriffen und dann von KorscHeErr (16), der die Herkunft
der die Endkammer zusammensetzenden Zellen sehr sorgfältig an
vielen Insektenarten studirte, definitiv widerlegt. Seit den Unter-
suchungen KorRscHELT’s kann die ältere, wie wir gesehen haben,
zuerst von CLAus vertretene Ansicht, dass die verschiedenen Elemente
der Eiröhren: Eier, Nährzellen und Epithel aus gleichartigen indiffe-
renten Zellen hervorgehen, welche den Inhalt jugendlicher Eikammern
bilden, als allgemein angenommen betrachtet werden. Selbst LEyYDiIg,
der Anfangs den Epithelzellen eine besondere Entstehung zuerkannte,
hat in einer späteren Arbeit diese Einschränkung aufgegeben. Da-
gegen hat in neuerer Zeit Hrymons (14) auf Grund embryologischer
Studien über Phyllodromia germanica mitgetheilt, dass die Urgenital-
zellen nur den Ei- und Nährzellen den Ursprung geben, während die
Epithelzellen unabhängig von ihnen aus der Dorsalwand der Cölom-
säckchen entstehen. Er hat also die alte Levypıc’sche Ansicht wieder
zur Geltung gebracht. Doch will er selbst seine Befunde nicht ver-
allgemeinern und meint, bei höheren Insekten könnte immerhin die
Differenzirung ursprünglich gleichartiger Mesodermzellen zu Ei-, Nähr-
und Epithelzellen erst in sehr späten Entwicklungsstadien vor sich
gehen.
Da ich nun unter meinem Material eine ganze Anzahl von Thieren
150 Julius Groß,
mit sehr jugendlichen Eiröhren und von Pyrrhocoris auch einige Larven
besitze, so habe ich auch diese Frage in den Kreis meiner Unter-
suchungen gezogen. Ältere Ovarien sind für diese Beobachtungen
ganz ungeeignet und können sehr leicht falsche Resultate veranlassen.
In ganz jungen Eiröhren, die eigentlich nur aus der Endkammer be-
stehen, fällt vor allen Dingen auf, dass die kleinen Kerne an der
Spitze einen viel größeren Bezirk einnehmen, als in den Endkammern
geschlechtsreifer Thiere. Doch folgt auf sie schon eine beträchtliche
Zahl vergrößerter, also bereits in Nährzellkerne umgewandelter Kerne.
Auch der protoplasmatische Raum ist schon vorhanden; und in ihm
trifft man bereits in Auflösung begriffene Nährzellkerne. Auch war
schon bei der jüngsten untersuchten Larve ein allerdings noch im
Keimlager befindliches Ei zu ansehnlicher Größe herangewachsen und
durch einen dieken Dotterstrang mit dem centralen Raum der End-
kammer verbunden. Zwischen den Nährzellen liegen hier und da
junge Keimbläschen; ihre Zahl nimmt gegen das Keimlager hin zu.
Sie heben sich scharf von den Nährzellkernen ab. Ihr Kernplasma
erscheint wasserhell; das gesammte Chromatin ist im Centrum des
Kernes zusammengeballt. Unter sehr starken Linsen erscheint dieser
Chromatinballen als eine Anhäufung durch einander gewirrter, sehr
dunkel gefärbter Fäden. Dass die beschriebenen Kerne wirklich
Keimbläschen sind, geht hervor aus der Vergleichung mit den im
Keimlager gelegenen Eikernen. Hier lassen sich von vorn nach hinten
alle Übergänge finden von den kleinen Kernen mit sehr stark tingirtem
Chromatin bis zu ansehnlichen, bereits von deutlichen Plasmahöfen
umgebenen Kernen mit den blassen Chromatinschleifen, wie sie für
die reifenden Eikerne der Arthropoden charakteristisch sind. Im
Keimlager bilden die jüngsten Keimbläschen eine Lage am vorderen
Ende (Fig. 6) direkt hinter den Nährzellen, so dass sie bloß hinten
von den kleinen Zellen des Keimlagers begrenzt werden. Weiter
nach hinten, eingebettet in das Keimlager, finden sich etwas ältere
Stadien, die bereits von einem kleinen Plasmahof umgeben sind.
Diese Höfe, wie auch die von ihnen umschlossenen Kerne selbst,
nehmen an Größe rasch zu, je weiter sie von den Nährzellen ent-
fernt liegen. Sehr bald treten sie auch durch Dotterstränge in Ver-
bindung mit dem centralen, protoplasmatischen Raum der Endkammer.
Die im vorderen Abschnitt der Endkammer gelegenen Keimbläschen
sind zweifellos, wie die meisten Autoren annehmen, gleichen Ursprungs
wie die Nährzellkerne. Das ist ja bereits durch embryologische Be-
funde direkt festgestellt. Dagegen glaube ich, dass die im Keimlager
befindlichen Eikerne nicht an ihrer Ursprungsstelle liegen. Ich nehme
vielmehr an, dass auch sie sich im vorderen Theil der Endkammer
aus indifferenten Kernen herausdifferenzirt haben und erst nachträg-
lich in das Keimlager hinabgewandert sind. Denn die jüngsten Ei-
kerne im Keimlager liegen jedes Mal an der Spitze derselben, oder
richtiger an der Grenze zwischen Keimlager und Nährzellen
(Fig. 6). Die bereits rings von den kleinen Zellen des Keimlagers
umgebenen Keimbläschen besitzen dagegen immer schon einen deut-
lichen Protoplasmahof, erweisen sich also als weiter entwickelt. Be-
säßen nun die kleinen Kerne des Keimlagers eben so wie die Nähr-
zellkerne die Fähigkeit, sich in Keimbläschen umzuwandeln, so müsste
man doch annehmen, dass auch hier und da im Keimlager ganz junge
Eikerne anzutreffen sind. Dieses ist aber, wie gesagt, nicht der Fall,
sondern je weiter nach hinten die Keimbläschen gelegen sind, um
so größer und weiter vorgeschritten in der Entwicklung sind sie.
Ich glaube daher, dass die kleinen Zellen des Keimlagers lediglich
das Epithel der Follikel zu liefern haben. Ich schließe mich also
der älteren Levpıg’schen Ansicht an, dass die Epithelzellen anderen
Ursprungs sind, wie die Ei- und Nährzellen. Ich bin desshalb auch
nicht ganz mit Hevmons (14) einverstanden, wenn er die Ergebnisse
Seiner Untersuchungen über die Embryonalentwicklung von Phyllo-
dromia auf die Orthopteren beschränkt und meint, dass für höhere
Insekten ein gleichartiger Ursprung der drei Zellarten angenommen
werden müsse. Auch hat ja bereits METSCHNIKOFF (30) gezeigt, dass
bei Cecidomyia, also einer Diptere, den Epithelzellen eine besondere
Entstehung zukommt. Mit KorscHELr (16) kann ich ebenfalls nur
in so fern übereinstimmen, dass Nähr- und Eizellen einerlei Ursprungs
sind, dagegen muss ich ihm, wie gesagt, widersprechen, wenn er
meint, dass die Eikerne bei den Wanzen aus den am Grunde der
Endkammer angehäuften kleinen Kernen hervorgehen. KORSCHELT
ist zu diesem Ergebnis wohl nur gekommen, weil er keine genügend
Jungen Stadien besaß, und desshalb die Keimbläschen immer nur im
Keimlager und nie im vorderen Abschnitt der Endkammer antraf.
Mit der Ausbildung der drei mehrfach genannten Zellarten ist
aber die Differenzirung der verschiedenen das Ovarium zusammen-
setzenden Elemente noch nicht vollendet. Sowohl unter den Nähr-
zellen, als auch unter den Follikelzellen macht sich noch eine weitere
Arbeitstheilung geltend. Nicht alle Nährzellen machen die charak-
teristischen Veränderungen durch, welche in dem Abschnitt über Ami-
tose genauer besprochen werden sollen, und welche die schließliche
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 151
152 Julius Groß,
Auflösung derselben zu Nährsubstanzen für die reifenden Eier her-
beiführen. Ein Theil derselben, und zwar die an der Peripherie ge-
legenen, erleiden dagegen eine ganz andere Umwandlung, und haben
auch eine wesentlich andere Funktion als ihre Schwesterzellen. Sie
ordnen sich nämlich zu einem den vorderen Abschnitt der Endkammer
umgebenden Epithel an. Ein solches ist zuerst von Huxrey (15) für
die kleine Nährkammer der Aphiden beschrieben worden. Nach
SCHNEIDER (38), den ich nach KoRSCHELT eitire, soll die Endkammer
verschiedener Insekten aus einer dünnen Epithellage und den Dotter-
zellen bestehen. Korschenr (16) findet bei den von ihm untersuchten
Hemipteren, dass die Wand der ganzen Endkammer mit flachen,
jugendlichen Kernen besetzt ist, die unmittelbar unter der Tunica
propria liegen. Bei Ranatra lagern sich diese Kerne an der Spitze
der Endkammer in Art eines zweischichtigen Epithels, das sich nach
unten zu in eine einfache Lage weiter aus einander liegender Kerne
fortsetzt. Jedenfalls aber beschreibt und zeichnet KoRSCHELT immer
nur Lagen von Kernen ohne Zellgrenzen und kein eigentliches Epi-
thel. So wie KoRSCHELT es darstellt, liegen die Verhältnisse bei den
von mir untersuchten Hemipteren nur in ganz jungen Stadien. Fig. 4
zum Beispiel stimmt in dieser Beziehung vollkommen mit den Kor-
SCHELT’schen Abbildungen überein. Später aber ändert sich das Bild
wesentlich. Die Kerne haben sich mit distinkten Plasmahöfen um-
geben, die durch deutliche Zellgrenzen von einander geschieden sind.
Die Außenwand der Endkammer wird jetzt also durch ein sehr deut-
liches, ganz dünnes Plattenepithel gebildet. Dieses Epithel gleicht
vollkommen dem von Huxrey (15) Taf. 36, Fig. 1 abgebildeten von
Aphis Pelargonii. Nur am Gipfel der Endkammer, also dort, wo sie
an den Endfaden stößt, besteht das Epithel aus hohen Cylinderzellen.
Hier liegen die Zellen also viel dichter. Gleichzeitig mit der defini-
tiven Ausbildung des Epithels ist noch eine andere Veränderung an
den wandständigen Kernen aufgetreten. Sie haben ihre Färbbarkeit
stark eingebüßt und tingiren sich nur noch ganz schwach; ihr Zell-
plasma ist sogar ganz wasserhell geworden. Solche Epithelzellen
sind auf Figg. 36 und 37 und für die Spitze der Endkammer auf
Fig. 5 dargestellt. Bei noch älteren Ovarien macht sich dann noch
cine interessante Veränderung geltend. In dem größten Theil der
Eikammer verschwindet das Epithel wieder, und nur an der Spitze
bleiben die Cylinderzellen erhalten (Fig. 2 und 3). Solche Stadien
haben offenbar Wırr (45) vorgelegen, wie aus folgender Stelle her-
vorgeht: »Die der Insertionsstelle des Endfadens benach-
A i
ne
barten Kerne haben um sich einen Zellleib von eben so
slashellem Protoplasma abgegrenzt und lagern sich an
der Oberfläche des spitzen Endfachendes in der Art eines
Epithels an einander.< Man könnte nun vielleicht auf den Ge-
danken kommen, die Kerne und das Plasma der Epithelzellen hätten
wieder ihre frühere Beschaffenheit angenommen und die Zellgrenzen
seien wieder verschwunden. Doch glaube ich vielmehr, dass die
Epithelzellen wirklich zu Grunde gegangen sind. Jedenfalls hatte
ich auf meinen Präparaten oft den Eindruck, als ob zwischen der
Tunica propria und den Nährzellkernen noch die leeren Räume zu
bemerken wären, in denen früher die Epithelzellen lagen. Letztere
haben eben ihre Pflicht erfüllt und sind zu Grunde gegangen. Damit
komme ich auf die physiologische Bedeutung dieses Epithels. Ich
glaube nämlich, dass es die Matrix der Tunica propria darstellt.
Dafür spricht besonders Folgendes. Auf meinen Schnitten ist es mir
oft passirt, dass die Tunica propria sich von der Endkammer loslöst.
In allen solchen Fällen aber ist ohne Ausnahme das Epithel an der
Tunica propria hängen geblieben. Es wird hier also eine Arbeits-
theilung eingetreten sein, indem einige Nährzellen die eben genannte
Funktion übernommen und bei deren Ausübung ihren histologischen
Charakter vollkommen verändert haben. Merkwürdig bleibt es, dass
an der Spitze der Endkammer die Epithelzellen so viel länger er-
halten bleiben. Vielleicht ist hier die Tunica propria besonders stark
und dauert daher ihre vollkommene Ausbildung länger. Hier bethei-
ligen sich ja auch auf demselben Raum mehr Zellen an diesem Ge-
schäft als in der übrigen Endkammer.
Auch von den Zellen des Keimlagers nimmt ein Theil frühzeitig
eine besondere Beschaffenheit an. Zwischen den einzelnen hinter
einander liegenden Keimbläschen liegen Gruppen von Zellen, welche
durch langgestreckte spindelförmige Gestalt auffallen. Durch diese
Zellgruppen hindurch treten die Dotterstränge an die Keimbläschen
heran. Wenn das junge Ei in die eigentliche Eiröhre hinabrückt,
umgeben von einer mehrschichtigen Zelllage, die seinen Follikel zu
bilden hat, werden die spindelförmigen Zellen mitgenommen und
bilden die von KorscHeur (18) beschriebenen Scheidewände zwischen
je zwei Eikammern. Die Zellen strecken sich dabei immer mehr in
die Länge und nehmen schließlich einen bindegewebigen Charakter
an. Ein Vergleich der Figg. 7, 8 und 9, welche die Scheidewände
an drei verschieden alten Eikammern von Syromastes marginatus
darstellen, zeigt die Veränderungen, die diese Gewebstheile im Laufe
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 153
154 Julius Groß,
der Entwicklung erleiden. Anfangs sind die Scheidewände noch vom
Dotterstrang des nächstfolgenden Eies durchbohrt (Fig. 7). Nach
dem Obliteriren der Dotterstränge lassen sich an den Scheidewänden
noch ihre früheren Durchgangswege erkennen, indem hier das Ge-
webe eine lockerere Beschaffenheit zeigt. Die Scheidewände sind
bei meinen Arten nur kurz, am längsten noch bei Syromastes mar-
ginatus; sie erreichen nie die bedeutende Länge, welche ihnen bei
einigen von KORSCHELT untersuchten Wanzen zukommt.
Wie die Entstehung, so ist auch die physiologische Bedeutung
und das spätere Schicksal der Nährzellen und Follikelzellen ver-
schieden. Die Nährzellen verfallen einer vollständigen Auflösung,
und ihre Zerfallsprodukte bilden den protoplasmatischen Raum der
Endkammer. Dieser zeigt eine schon oft beschriebene eigenthümlich
streifige, oder fibrilläre Struktur, über deren Aussehen v. WIELOWIEJSKI
ganz treffend bemerkt: »Man könnte dieselben bisweilen mit
den Faserzügen der Insektenganglien verwechseln.« Aus
dem centralen Raum der Endkammer treten die Dotterstränge an die
jungen Keimbläschen. Diese Stränge durchsetzen auch noch das
Epithel jüngerer Eikammern; besonders weit in die Eiröhre hinab
reichen sie bei Pyrrhocoris apterus. Auch auf die Dotterstränge
setzen sich die fibrillären Züge des centralen Theiles der Endkam-
mer fort. Ich denke mir die Entstehung der eigenthümlichen streifigen
Struktur folgendermaßen: Wir haben uns die Endkammer vorzustellen
als erfüllt mit einer halbflüssigen, aus den zerfallenen Nährzellen ge-
bildeten Substanz, welche dazu bestimmt ist, den jungen Eiern als:
Nährmaterial zu dienen, und ihnen die für die Bildung des Nahrungs-
dotters nöthigen Stoffe zu liefern. Die Substanz ist daher in einer
regen Strömung gegen das Keimlager hin begriffen. In dieser fließen-
den Masse mögen nun aber auch Partikel von zäherer Konsistenz vor-
handen sein, die noch nicht völlig verflüssigt sind. Diese Partikel
werden, von der Strömung ergriffen, zu ganz langen Fäden ausgezogen
und erzeugen so das fibrilläre Aussehen, das sich auch auf die Dot-
terstränge erstreckt und erst aufhört, wo letztere in die zugehörigen
Eier eintreten, also wo die fließende Bewegung zur Ruhe kommt.
Verfehlt scheint mir die Auffassung v. WIELOWIEJSKTS. Dieser Autor
meint (44), die jungen Eizellen trieben Ausläufer nach oben in die.
Endkammer, »wo sie die beschriebene helle faserige Substanz
ausmachen, welche somit gar nichts Anderes darstellt, als
einen Komplex dieser Ausläufer einzelner Eizellen — die-
ser sonst bei Aphiden bekannten Dottergänge —, derem
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 155
jeder an seinem dem Ei entgegengesetzten Ende pinsel-
förmig zerfasert wird und auf diese Weise zwischen den
Elementen der Endkammer Wurzel schlägt«. Dieser Ansicht
widersprechen vollkommen die Verhältnisse bei jungen Eiröhren.
Denn man findet auch bei Larven schon den fibrillär gestreiften cen-
tralen Raum in größerer Ausdehnung, wenn erst ganz wenige Keim-
bläschen Dotterstränge "besitzen, und auch diese nur ganz dünne.
Diese schwachen Stränge können aber unmöglich in der von v. WIE-
LOWIEJSKI angegebenen Weise die umfangreichen Faserzüge des cen-
tralen Raumes gebildet haben. Eigenthümlich ist es, dass in der
Endkammer von Notonecta glauca nach KorschHeErr (16) die fibrilläre
Struktur fehlt; vielleicht ist bei dieser Wasserwanze die Nährsubstanz
im protoplasmatischen Raum besonders dünnflüssig.
Während also die Nährzellen einer vollkommenen Auflösung
verfallen und ihr gesammtes Material an die reifenden Eizellen ab-
geben, fällt den Follikelzellen vielmehr vornehmlich die Aufgabe zu,
die Eischale zu bilden. Vor der Bildung des Chorions betheiligt sich
aber auch das Follikelepithel an der Produktion von Dotter; nur
geschieht dieses im Gegensatz zu den Nährzellen auf sekretorischem
Wege. Diese Thätigkeit jüngerer Follikelzellen ist schon von STEIN
(40) richtig erkannt worden, und durch die Untersuchungen BRANDT’s
(3), KorscHeur’s (19) und DE Bruyxe’s (8) gegen jeden Zweifel sicher-
gestellt. Meine Ergebnisse stimmen in dieser Hinsicht vollkommen
mit denen der KorscHEnT’schen Arbeit überein: Auch glaube ich,
wie KoRScHELT, dass der Eikern selbst bei der Umwandlung der
von den Nähr- und Epithelzellen gelieferten Substanz in Dotter
eine wichtige Rolle spielt. Dagegen möchte ich ihm doch nicht eine
so große Aktivität zuschreiben, wie es DE Bruyne thut. Nach die-
sem Forscher soll der Dotter des jungen Eies. Pseudopodien — gros-
siers lobopodes — nach der Richtung der Endkammer aussenden
und wie eine Amöbe die Nährzellen umfassen. Die Eizelle verhält
sich also, wie DE BRUYNE erklärt, wie eine echte Phagocyte. An
dem Ausstrecken der Pseudopodien betheiligt sich auch das Keim-
bläschen und umfasst seinerseits die Kerne der Nährzellen. De
BruynE macht ferner darauf aufmerksam, dass die jungen Keimbläs-
chen durch ihren geringen Gehalt an Chromatin auffallen. Später
sollen sie sich damit bis zum Überfluss bereichern und zwar durch
Absorption des Chromatins der Nährzellkerne. Auch Follikelzellen
sollen sich auflösen und dem Ei zur Nahrung dienen. Sie fließen
nach DE Bruyxe in das Ei; ihr Cytoplasma verschmilzt schnell mit
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. ul
156 Julius Groß,
dem Dotter, während die Kerne noch lange erkennbar bleiben, schließ-
lich aber von dem amöboiden Keimbläschen umfasst und in das In-
nere desselben aufgenommen werden. Ganz klar ausgeprägt fand
DE BRUYNE diese eigenthümlichen Vorgänge unter den vielen von
ihm untersuchten Insekten nur selten, siebenmal bei Dytiscus und ein-
- mal bei einem Carabus. Meist bemerkte er, dass eine Anzahl Kerne in
das Ei eintreten und sich dort langsam auflösen, wobei ihr Chromatin
in den Dotter diffundirt und ganz fein vertheilt in das Keimbläschen
gelangt. De BruynE nennt die beschriebene Thätigkeit des Keim-
bläschens »Caryophagie« und bezeichnet den Eikern selbst in Folge
dessen als »Phagocaryon«.
Nun sind ja die Kerne der Insekteneier, wie die Beobachtungen
Branpr’s (3), Leypig’s (25) und KorscHEur’s (19) beweisen, allerdings
amöboid beweglich. Auch auf Schnittserien lässt sich dieses aus
ihrer wechselnden Lage, bald im Centrum, bald an der Peripherie
des Eies, schließen. Eben so sprechen die oft undeutlichen, wie auf-
gelöst erscheinenden Kontouren der Keimbläschen dafür. Doch glaube
ich, dass die von DE BruynE beobachteten Fälle eine abnorm ge-
steigerte Thätigkeit des Eikernes anzeigen. Die großen gegen die
Endkammer gerichteten Pseudopodien des Eiplasmas scheinen mir
dagegen nichts Anderes zu sein als die Dotterstränge, die, wie wir
gesehen haben, aus den zerfallenden Nährzellen entstehen. Was mir
aber am meisten an der Auffassung DE Bruyxe’s missfällt, ist die
scharfe Sonderung zwischen Kern und Plasma, also die Annahme,
dass das Keimbläschen nur das Chromatin zerfallender Kerne auf-
nehme. Mir erscheint diese Sonderung zu schematisch, als dass ich
sie für natürlich halten könnte. Wir müssen uns doch das Keim-
bläschen als lebendigen, mit einem Stoffwechsel begabten
Organismus vorstellen und ihm daher auch die Fähigkeit zu-
sprechen, die für seine Erhaltung wichtigen Baustoffe durch che-
mische Umwandlung aus verschiedenartigem Material seiner Umge-
bung zu gewinnen, wie es doch auch die Kerne aller Gewebszellen
thun. Dass ab und zu, wie es DE BRUYNE angiebt, auch eine Epi-
thelzelle ihren gesammten Inhalt an das Ei abgiebt, halte ich für
sehr wahrscheinlich. Zwar habe ich den Vorgang nie direkt beobach-
ten können. Ich fand aber oft im Epithel einzelne verkümmerte
Zellen, die ganz schmal geworden waren und sich stark und diffus
färbten. Ganz ähnliche Zellen bildet BLocHMmAnN (2) aus dem Fol-
likelepithel von Ameisen und Wespen ab. Die Hauptmasse der Epi-
thelzellen aber bleibt erhalten und bildet später die Eischale.
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Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. ar
Über das Austreten der reifen Eier aus der Eiröhre habe ich
auch einige Beobachtungen machen können. Dieses verläuft bei allen
von mir darauf untersuchten Arten sehr übereinstimmend. Bei jungen
Eiröhren ist das unterste Ende durch eine auch von KoRSCHELT be-
obachtete, vom Eiröhrenstiel gebildete Kuppel abgeschlossen. Diese
Kuppel ist bei Pyrrhocoris apterus sehr voluminös, bei allen anderen
Wanzen bildet sie nur eine einschichtige Zelllage. Wenn das erste
reife Ei in die Leitungswege übertritt, wird dieser Abschluss natür-
lieh durchbrochen. Dass er sich später, wie KORSCHELT (18) und
PREUSSE (34) angeben, regenerirt, ist bei meinem Material sicher
nicht der Fall. Der Verschluss älterer Eiröhren wird sicher nur durch
die entleerten Follikel der ausgetretenen Eier gebildet. Bevor das
Ei seinen Follikel verlässt, durchbricht es natürlich auch seine
Scheidewand. Nach dem Austritt des Eies fällt der Follikel zusam-
men, und sehr bald machen sich an ihm Degenerationserscheinungen
geltend. Auf Fig. 9 ist ein noch sehr frischer Follikel dargestellt,
der eben erst vom Ei verlassen worden ist. Hinter ihm bemerkt
man aber auch noch die zerfallenden, aber noch deutlich erkenn-
baren Reste des nächst älteren Eifollikels. An diesem ist auch noch
die Scheidewand zu sehen, während sie an dem jüngeren auf die-
sem Schnitt fehlt. Die Serie, welcher die Fig. 9 entnommen ist, ist
auch für eine weitere Frage entscheidend. KORSCHELT fand es näm-
lich sonderbar, dass im untersten Theil der Eiröhre, da wo der Aus-
tritt der Eier aus der eigentlichen Eiröhre stattgefunden hat, nicht
zwischen je zwei ausgetretenen Eiern eine entleerte Eikammer läge.
Er glaubt daher annehmen zu müssen, dass das austretende Ei an
der nächst älteren, bereits entleerten Eikammer vorbeigleitet. Fig. 9
und die dazu gehörige Schnittserie, die ich einem besonders glück-
lichen Zufall verdanke, zeigen deutlich, dass sich die Sache etwas
anders verhält. Das austretende Ei gleitet nicht an dem nächst äl-
teren Follikel vorbei, sondern es durchbricht ihn und drängt seine
Reste nach den Seiten aus einander, so dass sie einen Ring um den
hinteren Theil des jüngeren leeren Follikels bilden. Wenn auch in
diesem die Auflösung beginnt, verschmelzen beide Follikel zu einem
umfangreichen Corpus luteum, wie es schon KORSCHELT beschrieben
"hat. Die Darstellung des Schicksals der leeren Eikammern gilt für
alle von mir untersuchten Arten, mit einziger Ausnahme von Pyrrho-
coris apterus, bei welcher, wie im nächsten Abschnitt gezeigt werden
wird, von einem leeren Follikel überhaupt nicht die Rede sein
kann.
1
158 Julius Groß,
Die Ergebnisse meiner Untersuchungen über Entste-
hung, physiologische Bedeutung und spätere Schicksale
der einzelnen Zellelemente des Ovariums von dreizehn He-
mipteren lassen sich in folgenden Sätzen zusammenfassen:
Der Endfadenist von Anfang an von der eigentlichen Eiröhre
getrennt und hat einen anderen histologischen Charakter
als die Endkammer. Sein Anfangstheil zeichnet sich (mit
Ausnahme von Harpactor subapterus) durch quer gestellte
spindelförmige Zellen aus. |
Ei- und Nährzellen entstehen gemeinsam aus gleich-
artigen indifferenten Zellen des vorderen Theiles der End-
kammer. Ein Theil dieser Zellen wandelt sich zu einem
flachen Plattenepithel um, welches die Tunica propria der
Endkammer ausscheidet.
Die Follikelzellen entstehen im hinteren Theil der
Endkammer, dem Keimlager; ein Theil von ihnen nimmt
bindegewebigen Charakter an und bildet die Scheidewände
der Eikammern.
Die Nährzellen unterliegen vollständiger Auflösung.
Aus ihren Zerfallsprodukten geht der centrale protoplas-
matische Raum der Endkammer mit seiner durch Strömung
bedingten fibrillären Struktur hervor, dessen Inhalt ver-
mittels der Dotterstränge in die Eier übertritt und ihnen
so Nährmittel zuführt.
Bevor die Follikelzellen ihre eigentliche Thätigkeit,
die Bildung der Eischale beginnen, liefern auch sie Dotter-
substanz für die reifenden Eier, aber durch Sekretion, wobei
die Zelle in ihrem Bestande erhalten bleibt, wenn auch
einige wenige Follikelzellen zu degeneriren und ihr ge-
sammtes Material an die Eizelle abzugeben scheinen.
Die junge Eiröhre wird hinten durch einen kuppelför-
migen Abschluss des Eiröhrenstieles begrenzt. Das austre-
tende Ei durchbricht die Scheidewand seines Follikels
und den kuppelförmigen Abschluss. Letzterer regenerirt
sich nicht wieder.
Das reife Ei gleitet an dem nächstälteren Follikel nicht
vorbei, sondern durchbrichtihn. Die sich auflösenden Fol-
likel verschmelzen zu einem gemeinsamen Corpus luteum.
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 159
Il. Die Bildung der Eihüllen.
Nachdem das junge Ei das Keimlager verlassen hat und in die
Eiröhre hinabgewandert ist, beginnt allmählich die Bildung der
Eihüllen. Als erste entsteht bei den meisten Insekten die Dotterhaut.
Das Vorhandensein einer solchen ist zuerst ziemlich gleichzeitig von
LeuckArr (23) und MEISSNER (29) sicher erkannt worden. WeEIS-
MANN (43) hat dann als Erster auch ihre Entstehung beobachtet und
gefunden, dass sie eine erhärtete Rindenschicht des Dotters selbst
ist. Diese Angabe WEISMANN’s ist später von Lupwig (27) und Kor-
SCHELT (17) für eine große Zahl von Insekten bestätigt worden. Ich
habe die Bildung der Dotterhaut bei folgenden Arten beobachten
können: Pentatoma baccarum, nigricorne und dissimile, Syromastes
marginatus, Alydus calcaratus, Asopus bidens, Graphosoma nigro-
lineatum. Sie geht lange vor Beginn der Chorionbildung vor
sich, und zwar bei allen genannten Thieren in übereinstimmender
Weise, als Erhärtung der Rindenschicht des Dotters. Doch scheint
es mir keineswegs ausgeschlossen zu sein, dass bei diesem Process
auch die Follikelzellen eine Rolle spielen. Jedenfalls ist gerade zu
Beginn der Dotterhautbildung der Kontakt zwischen Dotter und Epi-
thel ein äußerst inniger. Dieses geht daraus hervor, dass auf meinen
Präparaten, wenn der Dotter durch die Konservirung etwas ge-
schrumpft erschien, die Membranen der Follikelzellen stets von ihren
Zellen abgerissen und am Dotter hängen geblieben waren.
Bei Pyrrhocoris apterus geschieht die Bildung der Dotterhaut
sehr spät, erst nachdem das Chorion gebildet worden ist. Diese Be-
obachtung hat bereits KorscHerrt (17) gemacht, und ich kann sie
vollkommen bestätigen. An den ältesten mir zur Verfügung stehenden
Eiröhren der Feuerwanze, die schon ein stark entwickeltes Chorion
aufwiesen, konnte ich noch keine Andeutung für den Beginn der
Dotterhautbildung wahrnehmen. Eine ähnlich späte Entstehung der
Dotterhaut hat KorscHELT noch bei Vespa germanica, Musca vomi-
toria und Gomphocerus dorsatus beobachtet. Jedenfalls ist sie aber
eine seltene Erscheinung und bei der Mehrzahl der Insekten ist die
Dotterhaut bereits fertig, wenn sich die ersten Anzeichen der Cho-
rionbildung geltend machen.
Die Bildung des Chorions ist schon von verschiedenen Autoren
für eine große Zahl von Insekten untersucht worden. Meine Beobach-
tungen über diesen Gegenstand erstrecken sich auf Pentatoma bacea-
160 Julius Groß,
rum, nigricorne, dissimile, Asopus bidens, Alydus calcaratus und
Pyrrhocoris apterus. Mit Ausnahme der Feuerwanze, die desshalb
besonders abgehandelt werden soll, zeigt sich bei den von mir unter-
suchten Arten große Übereinstimmung. Das Chorion entsteht als
euticulare Absonderung an der Innenfläche der Follikelzellen. Es weist
deutlich zwei Schichten auf. Die innere ist porös, die äußere, die
später abgeschieden wird, dagegen ganz homogen. Die innere Schicht,
das Endochorion der Autoren, behält ihre Tinktionsfähigkeit noch,
wenn das Exochorion sie schon längst verloren hat und glänzend
gelb erscheint. Bei Asopus bidens zeigt das Endochorion noch eine
größere Zahl besonders großer Poren. Diese wölben die Schale et-
was nach innen vor. Sie sind theils gerade (Fig. “1), theils gebogen
(Fig. 72) und verlaufen dann eine kleine Strecke parallel zur Ober-
fläche des Endochorions. Manchmal treten an einem Punkte der Ober-
fläche mehrere solcher Kanäle (Fig. 73) in das Innere des Endocho-
rions ein. Eine innere Mündung habe ich trotz eifrigen Suchens nie
entdecken können. Das Exochorion zieht später lückenlos über diese
Vertiefungen der inneren Schalenschicht hinweg. Sie stehen also
mit der Außenluft nicht in Berührung, mögen aber innere Luft-
räume des Chorions bilden, wie sie KoRScHELT (17) für verschiedene
Insekten beschrieben hat. Die Bildung des Chorions beginnt zuerst
am hinteren Eipol und an einer den vorderen Pol des Eies um-
gebenden Zone. Diese beiden Stellen zeigen auch später eine starke
Verdicekung des Endochorions. Die vordere verdiekte Zone gehört am
fertigen Ei dem Deckel desselben an. Da die Verdiekung aber nicht
das ganze vordere Ende der Eischale betrifft, sondern am Eipole selbst
ausbleibt, so hat hier der Deckel eine dünnere Stelle. Vielleicht
liegen hier die Mikropylen. Das Exochorion wird, wie erwähnt, erst
später abgeschieden. Am frühesten zeigt es sich am Hinterrande des
Deckels. Hier ist die äußere Schicht des Chorions schon gebildet,
während am ganzen übrigen Ei erst das Endochorion zu bemerken
ist. Durch die frühe Bildung des Exochorions bleibt an dieser Stelle
das Endochorion natürlich sehr dünn. Es wird so rings um den
Deckel eine Art Falz gebildet. Diese Einrichtung erleichtert jeden-
falls das Aufklappen des Deckels beim Ausschlüpfen der jungen
Larve. Die Figg. 11, 12 und 13 sollen diese Verhältnisse erläutern.
Bei Pentatoma (Fig. 11) sieht man den bereits mit seinem Exochorion
versehenen Falz nach vorn und hinten an das Endochorion der übrigen
Eischale stoßen. Bei Asopus (Fig. 12) schieben sich von dem Falz
aus Fortsätze homogenen Chitins in das Endochorion der benach-
td
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren ete. 161
barten Theile der Eischale hinein. Wenn auch an den übrigen
Theilen des Eies das Exochorion gebildet worden ist, verschmilzt es
mit dem des Falzes. Doch bildet dieser noch immer eine dünne
Zone, da hier ja durch die frühzeitige Ausbildung der äußeren Schicht
das Endochorion sehr dünn geblieben ist (Fig. 15). Einen ähnlichen
Falz am Hinterrande des Deckels hat auch LEUCKART (25) für ver-
schiedene Wanzeneier beschrieben. Doch scheinen mir seine Angaben
über die Bildung des Deckelfalzes irrig. Er sagt nämlich: »Der
Deckel entsteht nach meinen Beobachtungen erst dadurch,
dass in bestimmter Entfernung von dem vorderen Eipole
eine ringförmige Furche auftritt, die immer mehr in die
Tiefe greift und endlich fast vollkommen bis auf die Dot-
terhaut durchschneidet.«
Die Schale der meisten Insekteneier ist bekanntlich durch mannig-
fache Skulpturen ausgezeichnet. Einem weit verbreiteten Typus ge-
hören die Chorionverzierungen von Alydus calcaratus an. Sie bestehen
in leistenförmigen Erhebungen, die mit einander polygonale, sechs-
eckige Felder umgrenzen. Die Leisten entstehen einfach dadurch,
dass die Chitinabsonderung nicht auf die Innenflächen der Epithel-
zellen beschränkt bleibt, sondern sich auch auf die Seitenflächen er-
streckt (Fig. 14). Auf diese Weise lassen die von den Leisten um-
srenzten Felder auch auf der fertigen Eischale noch die Formen der
Zellen erkennen, welche die Schale abgeschieden haben. An der
Bildung der Leisten betheilist sich das Endochorion nicht. Ganz
ähnliche leistenförmige Erhebungen des Chorions bildet KORSCHELT
zum Beispiel für Bombus terrestris, Bombus lapidarius und einen
Käfer Lycus aurora (17, Taf. XXXV, Figg. 55, 56, 42) ab.
Bei Asopus bidens zeigt die Eischale statt der Leisten Erhebungen
in Gestalt von rundlichen Buckeln (Fig. 10). Diese werden erst sehr
spät gebildet. Ich habe sie immer erst an der Schale fertiger, bereits
in die Leitungswege hinabgeglittener Eier angetroffen.
Wieder anders sind die Verzierungen der Eischale in der Gattung
Pentatoma gestaltet. Bei Pentatoma dissimile und baccarum ist das
ganze Chorion besetzt mit haarförmigen Fortsätzen. Diese haben
recht mannigfache Formen. Theils endigen sie spitz, oder verjüngen
sich wenigstens nach dem oberen Ende. Theils sind sie oben dagegen
verdickt. Auch ihre Größe ist recht verschieden, wie die Figg. 15
und 16 zeigen. An ihrem unteren Ende sind sie meist etwas ver-
breitert. Auch die Eier von Pentatoma nigricorne tragen einen ähn-
lichen Besatz von Fortsätzen des Exochorions (Fig. 17). Nur sind
162 Julius Groß,
sie bei dieser Art viel größer. Es lassen sich besonders zwei Typen
unterscheiden, schlanke, haarförmige Fortsätze, die am oberen Ende
nur wenig verdickt sind, und gedrungene, viel dickere Zapfen, die
oben stark keulenförmig anschwellen. Das verdiekte Ende sämmt-
licher Fortsätze hat eine rauhe, höckerige Oberfläche, die bei den
dieken Zapfen noch kleine leistenförmige Erhebungen tragen kann.
Hier und da gabelt sich auch ein Haar an seinem oberen Ende. Die
Zapfen und Haare stehen viel weiter von einander entfernt als die
entsprechenden Gebilde von Pentatoma bacearum und dissimile. Die
Zwischenräume sind ausgefüllt von sehr kleinen, spitzen, dicht ge-
drängt stehenden Haaren. Das untere Ende aller dieser Zapfen und
Haare der Pentatoma-Eier ist etwas verbreitert. Ganz ähnliche Zapfen
und Haare beschreibt LAnvoıs (21) von den Eiern der Bettwanze.
Er sagt von ihnen, sie seien »spitz, zitzenförmig, mitunter
mit kernartigem Punkt in der Mitte oder kleinen Neben-
höckerchen am freien Rande«. Doch fehlen sie bei Acanthias
lectularia auf dem Deckel, während sie bei Pentatoma die ganze Ei-
schale bedecken. Während nun die Leisten auf dem Chorion von
Alydus calcaratus und vielen anderen Insekten vollkommen mit dem
übrigen Chorion verschmolzen sind, zeigen die erwähnten Haare und
Zapfen immer einen deutlichen Kontour gegen die Eischale selbst.
Sie entstehen in größerer Zahl an den seitlichen Berührungsflächen
zweier benachbarter Zellen. Von der Fläche betrachtet sieht man
sie daher in Reihen stehen, welche mit einander polygonale, meist
sechseckige Felder einschließen. Es ist also auch hier die Form der
Zellen des Follikelepithels am fertigen Ei noch deutlich zu erkennen.
Die Bildung der Schalenverzierungen ist also bei Alydus und Penta-
toma im Grunde eine ähnliche. Der Unterschied besteht nur darin,
dass bei Alydus die Absonderung von Chitinsubstanz an der gesammten
Berührungsfläche benachbarter Zellen vor sich geht, bei Pentatoma
dagegen auf bestimmte, in ziemlich regelmäßigen Abständen liegende
Stellen beschränkt bleibt. Außerdem entstehen die Haare nicht gleich-
zeitig mit dem Chorion, wie die Leisten von Alydus, sondern sie
werden erst später gebildet und sitzen daher der Eischale als selb-
ständige Gebilde auf, ohne mit ihr zu verschmelzen.
Wenn das Chorion fertig ist, erhält das Ei noch eine schleim-
oder eiweißartige Hülle. Uber ihre Herkunft hat Lupwıe (27) die
ersten Angaben gemacht. Er meint, Tunica propria und Follikel-
epithel lösen sich auf und bilden den eiweißartigen Überzug über
das Ei. Nach ihm hat sich Ayers (1) dafür ausgesprochen, dass
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren ete. 163
das Ei der Orthopteren seine Schleimhülle erst in der Vagina erhalte.
Für Pentatoma kann ich mit vollster Sicherheit angeben, dass
auch diese letzte Schutzhülle vom Follikel, und zwar bereits vor dem
Austritt des Eies aus demselben geliefert wird. Bei allen drei Arten
war deutlich zu erkennen, dass das noch im Follikel liegende Ei
bereits von der schleim- oder eiweißartigen Hülle bedeckt wird (Fig. 16).
Auch für Asopus bidens scheint mir die Entstehung dieselbe zu sein.
An einem Ei, das, wie die Gestalt und der Erhaltungszustand des
Follikels zeigen, eben erst in den Eiröhrenstiel übergetreten war, war
die Schleimhülle schon in voller Ausbildung vorhanden (Fig. 9). Ob
die Substanz der Hülle Schleim oder Eiweiß ist, lässt sich unter dem
Mikroskop natürlich nicht entscheiden. Sie färbt sich, besonders bei
Asopus, sehr stark mit Hämatoxylin. |
Eine wesentlich andere Bildung des Chorions als die bisher be-
sprochenen Arten, weist Pyrrhocoris apterus auf. In einem gewissen
Stadium platten sich die Epithelzellen stark ab. Die Kerne, die
früher (Figg. 65 und 66) eine mehr oder weniger rundliche Gestalt
hatten, werden ebenfalls viel flacher und zeigen jetzt gestreckte,
lanzettliche Querschnitte (Fig. 18). Man kann jetzt nur selten beide
Kerne einer Zelle auf einem Schnitt erhalten. Denn während die
Kerne früher hinter einander lagen, liegen sie jetzt oft neben ein-
ander. Daher kann es leicht kommen, dass das Messer zwischen
beiden hindurchgeht oder nur einen trifft. Doch zeigen die Figg. 18
und 19, dass auch jetzt noch die Zellen zwei Kerne haben. Gleich-
zeitig mit der Abplattung ändern die Epithelzellen auch ihre Farbe.
Während sie bisher fast farblos waren und nur die Kerne sich etwas
stärker färbten, erscheinen die Zellen jetzt braun und die Kerne
dunkelblau. Auf dem in Fig. 19 dargestellten Stadium sind die
Zellen noch flacher geworden, und die Kerne sind noch dunkler
tingirt. Die braune Farbe des Zellplasmas ist an der Außenwand
des Epithels heller, mehr gelblich. Die Zellgrenzen sind sehr un-
deutlich. Ganz verschwunden sind sie bei den ältesten von mir
untersuchten Eiern. Bei diesen ist das Epithel zu einer ganz platten
Lage geworden. Die Kerne sind in spitze Enden ausgezogen, die
sich fast berühren (Fig. 20). Der nach innen von den Kernen gelegene
Theil der Zelle hat noch den früheren braunen Farbton, der äußere
dagegen ist hellgelb, gleicht in der Farbe also dem Chitin des Exo-
chorions der übrigen Wanzen. Jetzt finden sich nie mehr zwei Kerne
in einer Zelle. Sie sind offenbar zu einem verschmolzen. Wie diese
Verschmelzung vor sich geht, kann man sehr schön auf Flächen-
164 Julius Groß,
bildern sehen (Fig. 21). Wenn das Epithel auf der letzten beschrie-
benen Entwicklungsstufe angelangt ist, bricht es beim Schneiden ganz
wie Chitin. Dieses Verhalten, wie auch die Farbe schließen jeden
Zweifel darüber aus, dass das gesammte Protoplasma eine
Umwandlung in Chitin erlitten hat. Das Chorion von Pyrrho-
coris apterus entsteht also nicht wie bei den übrigen Wanzen und
vielen anderen Insekten als ceuticulare Abscheidung, sondern die
Zellen verschmelzen mit einander und bilden selbst das Chorion, in-
dem sie zu Chitin erhärten. Meine Präparate lassen keinen anderen
Schluss zu, obgleich ich mich hierin in striktem Widerspruch zu
KorscHertr’s (17) Beobachtungen befinde. Dieser Forscher, der die
Bildung der Eihüllen bei einer großen Anzahl von Insekten unter-
sucht hat, beschreibt nämlich die Entstehung des Chorions der Feuer-
wanze folgendermaßen: »Die erste Anlage des Chorions er-
scheint als heller Saum an den noch gewölbten Epithelzellen.
Später wird deren Oberfläche eben; das Chorion nimmt
durch weitere Ablagerung von Cuticularsubstanz an Dicke
zu.< »Eine Abplattung des Epithels findet auch hier statt,
doch ist dieselbe nicht so bedeutend, wie wir sie zum Bei-
spiel bei Ephemera, Phryganea, Perla beobachteten. Das
Plasma des abgeplatteten Epithels, welches das reife Ei
umgiebt, ist nur sehr schwach tinktionsfähig, während
sich das junge Eiepithel sehr stark färbt.< KORSCHELT
nimmt also für die Feuerwanze dieselbe Entstehung des Chorions
durch eutieulare Absonderung an, wie sie für so viele andere Insekten
bekannt geworden ist. Dem gegenüber muss ich mit Bestimmtheit
daran festhalten, dass, wenigstens bei meinen Exemplaren, die Epithel-
zellen mit einander verschmelzen, ihr gesammtes Plasma in Chitin
umwandeln und so selbst zum Chorion werden. Zur Stütze meiner
Auffassung möchte ich noch Folgendes anführen. Ich habe bei Pyr-
rhocoris nie leere Follikel am Hinterende der Eiröhre auffinden können,
wie bei den anderen von mir untersuchten Wanzen, obgleich ich unter
meinem Material ein Exemplar hatte, bei dem eine Anzahl reifer Eier
im Oviduct lagen, die Eiablage also sicher schon begonnen hatte.
Wohl hängt in alten Ovarien von Pyrrhocoris am hinteren Ende der
Eiröhre ein Pfropf von Zellen, die in starker Auflösung begriffen
sind, und der also auf den ersten Blick dem leeren Follikel anderer
Wanzen sehr ähnlich sieht. Dieser Zellpfropf findet sich aber auch
bei Eiröhren jüngerer Thiere, die überhaupt noch keine reifen Eier
enthalten. Bei sorgfältiger Vergleichung verschiedener Stadien er-
ee |
d m
t Be;
Fr.
u
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 165
giebt sich denn auch, dass dieses in Auflösung begriffene Gewebe
nur die vom Epithel des Eiröhrenstieles gebildete Zellen-
kuppel ist, die die Eiröhre von unten verschließt. Bei Pyrrhocoris
ist sie besonders stark entwickelt und verfällt frühzeitig der Degene-
ration. Das Chorion der Feuerwanze ist vollkommen glatt und zeigt
keinerlei Verzierungen. Dieses hängt auch mit seiner abweichenden
Entstehung zusammen. Da das Epithel selbst durch Veränderung
seiner Substanz zum Chorion wird, kann es natürlich nicht, wie bei
den anderen Wanzen, noch nachträglich irgend welche Verzierungen
auf der Eischale bilden.
Über die Bildung des Chorions bei den verschiedenen Insekten-
eiern haben früher lebhafte Kontroversen bestanden. Der erste
Forscher, der diesen Gegenstand behandelt, STEIN (40), entschied sich
dafür, dass das Chorion direkt durch Verschmelzung der Epithel-
zellen entstehe. Ihm schlossen sich MEISSNER (29) und andere Autoren
an. Die ersten Zweifel iiber die Richtigkeit dieser Ansicht finden
wir bei LEuckarr (23). Später haben dann LugBock (26), WEISMANN
(43) und namentlich Leyvıc 24) gezeigt, dass bei einer großen An-
zahl von Insekten das Chorion jedenfalls eine Cuticularbildung des
Follikelepithels ist. Diese Ansicht hat dann allmählich allgemeine
Geltung gewonnen und ist noch besonders durch die, sich auf mehrere
Vertreter der verschiedensten Insektenklassen erstreckenden Unter-
suchungen KorscHeur’s (17) bestätigt worden. Die ältere Ansicht
ist also völlig aufgegeben worden. Immerhin hat noch v. SIEBOLD
(39), obgleich ihm die maßgebende Arbeit Levpiıs’s bekannt war, für
Pollistes gallica angegeben, dass das Chorion durch Verschmelzung
der Epithelzellen entstehe. Nach meinem Befunde an Pyrrhocoris
apterus muss ich mich daher dahin aussprechen, dass die Bildung
des Chorions durch eutieulare Abscheidung allerdings der bei Weitem
häufigere Modus ist, dass aber bei einigen Insekten auch die andere
Entstehungsart der Eischale vorkommt.
Außer den verschiedenen Haaren, Zapfen, Leisten und Buckeln
habe ich bei einigen Wanzen noch eigenthümliche’ größere Cho-
rionanhänge beobachtet, die mir einer gesonderten Betrachtung
werth erscheinen. Sie finden sich, so weit meine Untersuchungen
reichen, bei Pentatoma nigricorne, bacearum und dissimile und bei
Asopus bidens. Für die Gattung Pentatoma und viele andere Wanzen
sind diese Anhänge der Eischale schon lange bekannt und besonders
genau von LEUCKART (23) beschrieben. Dagegen sind sie noch nie
166 Julius Groß,
auf Schnittserien untersucht worden. Es sind schlanke, becherförmige
Gebilde, deren Form LEUCKART mit der eines Champagnerglases ver-
gleicht (Figg. 22, 25, 24). Der Becher verjüngt sich nach unten zu
einem schmalen Stiel, der mit ihm einen stumpfen Winkel bildet.
Die Anhänge stimmen also in ihrer Gestalt ganz mit den von LEUCKART
für Pentatoma perla und rufipes abgebildeten überein. Sie erheben
sich auf dem hinteren Rande des weiter oben beschriebenen, zwischen
dem Deckel und dem hinteren Theile der Eischale gelegenen Falzes
und bilden hier einen Kranz um das Ei. Über ihre Zahl kann ich
keine sicheren Angaben machen. Denn da das Chorion beim Schnei-
den sehr leicht zerreißt, so konnte ich nicht mit Bestimmtheit wissen,
ob ich alle Becher eines Eies auf einer Serie zusammen hatte. Auch
in Kanadabalsam eingelegte ganze Eier lassen wegen ihrer Undurch-
sichtigkeit kein sicheres Zählen zu. Doch glaube ich wenigstens so
viel sicher aussprechen zu können, dass die von LEUCKART ange-
sebene Zahl, 20—26, im Großen und Ganzen auch für meine Arten
zutrifft. LEUCKART giebt ferner an, dass jeder Becher von einem
Kanale durchbohrt sei. Diesen Eindruck gewinnt man auch, so lange
man die Eier nur in toto untersucht. Das Studium derselben auf
Schnittserien ergiebt dagegen ein ganz anderes Bild von ihrer feineren
Beschaffenheit. Sie sind durchaus solid und bestehen aus zwei ver-
schiedenen Chorionschichten. Die äußere ist vollkommen homogen
und stark chitinisirt. Sie gleicht vollkommen dem Exochorion des
Eies. Die innere Schicht dagegen hat eine eigenthümliche schwam-
mige, sehr fein poröse Beschaffenheit. Eben so wie das Endochorion
behält sie ihre Färbbarkeit, wenn die Außenschicht schon lange
gegen alle Farbstoffe unempfindlich geworden ist. Am Vorderende
findet sich eine kleine rundliche Durehbrechung der Außenschicht.
Hier liegt also die schwammige Innenschicht unbedeckt und frei zu
Tage. Der Becher ist mit seinem Stiele in eine kuppelförmige Er-
hebung des Exochorions eingesenkt, welche er durchbohrt. Die innere
poröse Schicht tritt auch in das Endochorion hinein. Die Außen-
schicht dagegen hört an der Innenfläche des Exochorions plötzlich
auf, nur bei Pentatoma nigricorne (Fig. 24) lässt auch sie sich eine
kleine Strecke weit in das Endochorion verfolgen. Bei einem Exem-
plar der letztgenannten Art waren die Becher sonderbarer Weise recht
abweichend gestaltet. Der Winkel, den der erweiterte obere Theil
mit dem Stiel bildet, war viel spitzer; auch war die Gestalt des
sanzen Bechers gedrungener. Vor allen Dingen trug er aber an
seinem oberen Ende noch einen merkwürdigen Aufsatz (Fig. 25).
2 2
ns
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 167
Dieser hat ungefähr die Form eines plattgedrückten Balles. Er trägt
oben eine breite Öffnung. Während außerdem bei den übrigen Exem-
plaren die Außenschicht des Bechers am oberen Ende nur eine kleine
Durchbrechung zeigt, fehlt sie hier am Grunde des Aufsatzes ganz,
so dass die Innenschicht hier in ihrer ganzen Breite frei liegt. Eine
weitere Besonderheit betrifft den Stiel. Die Außenschicht desselben
setzt sich vorn kontinuirlich in das Exochorion fort. An der hin-
teren Seite tritt sie in das Endochorion hinein, biegt hier um und
verläuft eine Strecke weit nach hinten. Die kuppelförmige Erhebung
des Exochorions fehlt. Da diese bedeutenden Abweichungen vom
Typus der Art sich bei allen Bechern des ganzen Ovariums zeigten,
kam mir der Gedanke, dass mir ein Versehen in der Bestimmung
des Thieres passirt sein könnte. Doch giebt es nur eine Wanze,
die man allenfalls mit Pentatoma nigricorne verwechseln könnte, näm-
lich Pentatoma fuscipinum. Aber auch diese unterscheidet sich von
der genannten Art durch kleine, aber charakteristische Unterschiede,
auf die ich zudem bei der Bestimmung, eben wegen der Ähnlichkeit
der beiden Arten, stets noch besonders geachtet habe.
Sehr ähnlich, wie bei der einen abweichenden Pentatoma, sind
die Chorionanhänge bei Asopus bidens (26) gestaltet. Nur weisen
sie viel bedeutendere Dimensionen auf. Der Stiel ist viel länger,
und auch der Becher mit seinem Aufsatz übertrifft an Größe den der
Pentatoma bei Weitem. Sonst ist der Bau im Wesentlichen der gleiche.
Nur erhebt sich bei Asopus das Endochorion um den Stiel zu einem
kegelförmigen Fortsatz, während bei Pentatoma an dieser Stelle das
Exochorion eine kuppelförmige Erhebung bildet. Dieser Unterschied
ist darauf zurückzuführen, dass das Exochorion bei Asopus, abgesehen
von dem Falz des Deckels sehr spät gebildet wird. Der vom Endo-
chorion gebildete Kegel erhält im Lauf der Eireife natürlich auch
einen vom Exochorion gelieferten Belag. Im Inneren des Kegels ist
die homogene Außenschicht des Stieles stark verdickt. Die Vorder-
wand des Stieles setzt sich bei Asopus in das Exochorion des Falzes
fort, wie bei der einen abweichenden Pentatoma.
Die Bildung der becherförmigen Chorionanhänge habe ich am
senauesten bei Asopus bidens verfolgen können. Die ersten Anzeichen
bemerkt man schon an ziemlich jungen Follikeln. Hier fallen an
einer rings um den vorderen Theil des Follikels verlaufenden Zone
in regelmäßigen Abständen eigenthümliche Gruppen von je drei Zellen
auf, die sich durch etwas kleinere und rundlichere Kerne von ihren
Nachbarn unterscheiden. Auch ist ihr Zellplasma homogen und nicht
168 Julius Groß,
so stark granulirt, wie das der übrigen Zellen (Fig. 27). Die mittlere
dieser drei Zellen, die von den beiden anderen rings umfasst wird,
ist noch besonders durch auffallend helle Kerne, mit farblosem Kern-
plasma und spärlichem Chromatin gekennzeichnet. Außerdem er-
scheinen ihre Kerne etwas nach der Außenwand des Follikels ver-
lagert.
Das nächstfolgende Stadium ist auf Fig. 28 dargestellt. Die
hellen Kerne der mittleren Zelle liegen jetzt hart an der äußeren
Peripherie des Epithels. Auch der Zellleib hat sich an die Außen-
wand des Follikels zurückgezogen und hat nur einen dünnen Fort-
satz zwischen seinen Nachbarzellen zurückgelassen. Auch in letzteren
sind die Kerne jetzt peripheriewärts verlagert.
Noch weiter sind diese Vorgänge auf dem in Fig. 29 abgebildeten
Stadium vorgeschritten. Die mittlere, helle Zelle ist stark abgeplattet.
Die beiden anderen Zellen erreichen noch die Innenwand des Epithels.
Allmählich ziehen sie sich aber auch an die Wand des Epithels zu-
rück und liegen schließlich ebenfalls stark abgeplattet unter der hellen,
früher von ihnen rings umfassten Zelle. An der betreffenden Stelle
zeigt das Epithel jetzt eine deutliche Ausbuchtung, die durch den
Andrang der aus ihrer ursprünglichen Lage verschobenen Zellen
bedingt ist.
Diese drei Zellen sind es nun, welche den Becher sammt seinem
Aufsatz bilden. Und zwar ist unter ihnen eine Arbeitstheilung ein-
getreten. Die beiden dunkleren Zellen lassen zwischen sich als euti-
culare Abscheidung die äußere homogene Chitinschicht des Bechers
und den Aufsatz entstehen. Die helle Zelle bildet dagegen allein
das schwammige Chitin der Innenschicht des Bechers. Dieses ge-
schieht wohl auch durch cuticulare Absonderung von Seiten der in
das Innere des Bechers hineinreichenden Theile der Zelle (Figg. 30
und 31). Die spongiöse Innenschicht des Becherstieles wird wohl
durch den oben erwähnten, auf den Figg. 28 und 29 sichtbaren dünnen
Fortsatz der hellen Zelle gebildet. Doch gaben mir meine Präparate
leider keine völlige Sicherheit über diesen Punkt. Immerhin hatte
ich mehrfach Bilder unter dem Mikroskop, die mit großer Wahr-
scheinlichkeit für diesen Modus sprachen. Die homogene Außen-
1 Auf Fig. 27 und den folgenden Figuren enthalten einige der drei
veränderten Zellen nur einen Kern. Das liegt aber immer daran, dass der an-
dere vom Messer nicht getroffen ist. In Wirklichkeit haben auch diese Zellen
immer ihre regulären zwei Kerne, wie sich durch Betrachtung der in der Serie
benachbarten Schnitte ergiebt.
TE
Dur “
‚schicht des Becherstiels wird aber jedenfalls von den Zellen gebildet,
welehe unterhalb der drei an die Außenwand des Follikels gewan-
derten zurückblieben. Auch sie zeichnen sich zuweilen durch hellere
Färbung aus. Wenn der CÖhorionanhang fertig gebildet ist, zeigen
die drei Becherbildungszellen bald Degenerationserscheinungen. Vor
allen Dingen verschwinden die Zellgrenzen. Ist das Ei endlich aus-
gestoßen, so sieht man die Bildungszellen der einzelnen Becher, so
lange die Auflösung des leeren Follikels noch nicht zu weit vorge-
schritten ist, in Form von kleinen Säckchen, welche je sechs Kerne
enthalten, an der Follikelwand hängen (Fig. 32). Offenbar sind die
Zellen, die ja schon vorher eine Vorwölbung am Epithel bildeten,
und deren Verband mit den anderen Epithelzellen nur locker ist,
durch den starken Druck, dem der entleerte und zusammengefaltete
Follikel unterliegt, aus der Fläche der Follikelwand hinausgedrängt
worden. Auch jetzt noch, wo von Zellgrenzen nichts mehr zu ent-
decken ist, lassen sich die beiden Kerne der Zelle, welche die Innen-
schicht des Bechers zu bilden hatte, leicht von ihren Nachbarn unter-
scheiden durch ihre viel schwächere Tinktionsfähigkeit.
Bei den Pentatoma-Arten, wo die Chorionanhänge ja viel kleiner
sind, konnte ich ihre Bildung nicht so genau durch alle Stadien ver-
folgen, wie bei Asopus. Doch ist der Vorgang jedenfalls ein ganz
ähnlicher, wie die in Figg. 33, 34, 35 dargestellten Bilder beweisen.
Auch hier nehmen drei Zellen an der Bildung des Bechers Theil.
Diese drei Zellen wandern auch bei Pentatoma an die Außenwand
des Follikels. Die Kerne der einen von ihnen, welche diese Wan-
derung zuerst beginnt, zeichnen sich ebenfalls durch ihre viel
schwächere Färbbarkeit aus. Die beiden anderen enthalten dagegen
Kerne mit dunklerem, eigenthümlich homogenem Kernplasma, das
deutlich gegen die dicht und grob granulirten Kerne der übrigen
Epithelzellen absticht. Ich nehme an, dass auch bei Pentatoma die
eine helle Zelle die Innenschicht des Bechers liefert, während die
beiden dunkleren die Außenschicht bilden. Auf Fig. 55 sieht es
allerdings so aus, als ob sich die helle Zelle überhaupt nicht an der
Bildung des Bechers betheilige.e Doch ist in dem dargestellten
Falle der ganze Chorionanhang schon fertig, und es könnte die helle
Zelle sich daher nachträglich vollständig an die Peripherie zurück-
gezogen haben. Der Stiel des Bechers, oder wenigstens seine Außen-
schicht, wird wohl eben so wie bei Asopus von den benachbarten in
ihrer alten Lage verbliebenen Zellen gebildet. Da die Becher bei
_ Pentatoma viel kleiner sind, kommt es hier nicht zu einer solchen
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren ete. 169
170 Julius Groß,
Vorwölbung der Follikelwand wie bei Asopus. Daher vermisst man
hier auch die den leeren Follikeln anhängenden Säckchen, welche
die Becherbildungszellen enthalten.
Bemerken möchte ich noch, dass höchst wahrscheinlich auch die
Eier von Syromastes marginatus und Alydus calcaratus ähnliche
Chorionanhänge haben. Zwar konnte ich von den genannten Arten
keine Eier mit völlig ausgebildetem Chorion untersuchen. Doch
zeigten sich im Follikelepithel älterer Thiere, bei denen die Chorion-
bildung bereits begonnen hatte, eigenthümliche Gruppen von je drei
Zellen mit kleinen Kernen, die eine frappante Ähnlichkeit mit den
für Asopus und Pentatoma beschriebenen Bildern zeigen. Auch war
die Lage dieser Zellgruppen stets eine solche, wie man sie nach
Analogie von Asopus und Pentatoma erwarten muss. Sie bilden eben
auch hier einen Kranz um das Ei in einer Höhe, die dem später ent-
stehenden Deckelfalz entspricht.
Welche physiologische Bedeutung haben nun die beschriebenen
Chorionanhänge? Von vorn herein liegt es nahe an Mikropylenapparate
zu denken, und für solche sind sie auch meist gehalten worden.
LEUCKART nennt sie geradezu Samenbecher. Nun ergiebt ja aber,
wie wir gesehen haben, die Untersuchung nach der Schnittmethode,
dass die Becher gar keinen Kanal enthalten, wie man ihn bei einem
Mikropylenapparat doch voraussetzen sollte. Ich halte daher die
LEeuckArrT'sche Erklärung für verfehlt. Vielleicht könnte man mir
aber entgegenhalten, dass die schwammige, fein poröse Beschaffen-
heit der Innenschicht des Bechers genüge, um den Spermatozoen den
Zutritt zu gestatten. Ich habe desshalb die mir zugängliche Litteratur
nach Beobachtungen über das Eindringen von Samenfäden in Insekten-
eier durchsucht, um zu sehen, ob irgendwo für Wanzen oder andere
Insekten mit ähnlichen Apparaten der direkte Nachweis für die
Funktion derselben als Mikropylen erbracht worden ist. Es ist nicht
eben viel, was ich gefunden habe. Neben kurzen Angaben von
Huxey (15) und Lanpoıs (22) enthalten eingehende Untersuchungen
über diesen Gegenstand nur die Arbeiten von LEUCKART (23) und
MEISSNER (29). Das Eindringen von Samenfäden, oder wenigstens
das Anhaften einer größeren Menge derselben an einer besonders
ausgezeichneten Stelle der Eischale haben die genannten vier Autoren
feststellen können für mehrere Dipteren und Aphanipteren, für einige
Ephemeriden und andere Neuropteren, für Aphiden, für manche
Schmetterlinge und unter den Käfern für Lampyris splendidula. Eine
senaue Aufzählung und Beschreibung aller einzelnen Fälle würde
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 171
mich viel zu weit führen, und ich verweise daher auf die eitirten
Originalarbeiten. Ich will das Resultat meiner diesbezüglichen Litte-
raturstudien nur so weit mittheilen, als es für die zu erörternde
Frage nach der Funktion der oben beschriebenen Chorionanhänge
von Wichtigkeit ist. Was uns hier vornehmlich interessirt, ist fol-
gendes übereinstimmende Ergebnis aus den zahlreichen Einzelbeobach-
tungen der genannten vier Autoren. Alle Insekten, bei denen das
Eindringen von Samenfäden in die Mikropyle des Eies beobachtet
werden konnte, haben entweder nur kleine, knopf- oder
warzenförmige Mikropylaufsätze, oder die Mikropylen
liegen sogar in einer Vertiefung der Eischale. Die becher-
förmigen Anhänge des Chorions von Pentatoma aber, wie überhaupt
alle ähnlichen größeren Apparate der Eischale, die in den verschie-
densten Insektenordnungen weit verbreitet sind und von LEUCKART
in großer Zahl untersucht wurden, haben niemals auch nur eine
Andeutung davon gezeigt, dasssiezur Aufnahme
der Spermatozoen dienten. Auch dieses negative Er-
sebnis früherer Untersuchungen spricht also zum mindesten nicht
dafür, dass wir es hier mit Mikropylapparaten zu thun haben. Nun
haben diese zum Theil recht komplieirten Gebilde aber doch sicher
irgend eine Funktion. Diese scheint mir verständlich zu werden,
wenn man sie vergleicht mit den Eistrahlen von Nepa und Ranatra,
welche zuerst von LEUCKART (23) genau beschrieben und dann in
jüngerer Zeit von KorscHeLt (17 und 18) auch auf Schnittserien
sorgfältig untersucht worden sind. Diese Eistrahlen, deren Nepa
sieben, Ranatra dagegen nur zwei besitzt, scheinen, abgesehen von
ihrer enormen Größe und ihrer Lage am vorderen Eipol, große Ähn-
lichkeit mit den becherförmigen Chorionanhängen von Pentatoma zu
besitzen. Sie bestehen eben so aus einer homogenen Außenschicht,
die eine schwammige, fein poröse Innenschicht umschließt. Am Vor-
derende fehlt die Außenschicht bei Nepa, so dass hier also das innere
spongiöse Chitin frei zu Tage tritt. Bei Ranatra umschließt die äußere
homogene Chitinlage die Innenschicht dagegen auch am Vorderende,
ist hier aber selbst von vielen feinen Poren durchbohrt. Die Eistrahlen
von Nepa und Ranatra besitzen allerdings nicht die charakteristische
Becherform der Chorionanhänge von Pentatoma und Asopus, sondern
sie sind vorn bloß schwach verdickt. Doch ist dieser Unterschied
sicher kein wesentlicher. Außerdem fehlt den sehr großen Chorion-
anhängen von Pentatoma juniperinum nach LEUCKART (23) ebenfalls
die becherförmige Gestalt. Sie sind lange, schlanke Gebilde, die nur
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 12
172 Julius Groß,
an der Spitze ein wenig verdickt sind. Bei dieser, den von mir
untersuchten Arten sehr nahe stehenden Species gleichen die Chorion-
anhänge also auch äußerlich den Eistrahlen der beiden genannten
Wasserwanzen. Lassen sich also die von mir beschriebenen becher-
förmigen Apparate in ausgebildetem Zustande ohne große Schwierig-
keit mit den Eistrahlen von Nepa und Ranatra vergleichen, so scheint
dagegen ihre Entstehungsweise eine verschiedene zu sein. Denn an
der Bildung der Eistrahlen betheiligen sich ja bekanntlich die eigen-
thümlichen Doppelzellen, welche KorscHerr (17, 18) durch Ver-
schmelzung zweier besonders vergrößerter Epithelzellen entstehen
lässt. Doch ist diese Angabe KoRSCHELT’s in neuester Zeit ange-
fochten worden. DE Bruyne (6) verneint nämlich mit großer Be-
stimmtheit, dass die Doppelzellen in der von KORSCHELT ange-
sebenen Weise entständen. Sie sollen nach seinen Untersuchungen
vielmehr weiter nichts sein, als riesig vergrößerte Epithelzellen, deren
Kern auf dem Wege direkter Theilung in zwei Stücke zerfallen ist.
Diese Theilung des Kernes hat DE BRUYNE durch alle Stadien ver-
folgen können. Nun war KORSCHELT, als er seine Untersuchungen
anstellte, noch nicht bekannt, welche wichtige Rolle die amitotische
Kerntheilung im gesammten Follikelepithel der Wanzeneier spielt.
Diese wurde erst durch die neueren Arbeiten von PREUSSE (34) und
DE BRUYNE (6) in ihrem ganzen Umfange bekannt. Ich werde dar-
über noch im dritten Theil der vorliegenden Arbeit zu berichten
haben. KORSCHELT wusste noch nicht, dass der Kern jeder einzelnen
Follikelzelle ohne Ausnahme sich amitotisch in zwei Kerne zertheilt.
Ihm fiel nur an den riesig großen Zellen, welche die Eistrahlen zu
bilden haben, auf, dass sie zwei Kerne haben. Für sie nahm er
daher auch einen besonderen Entstehungsmodus in Anspruch. Dazu
kommt, dass es DE BRUYNE durch Anwendung der neuen im Lauf
der Jahre vervollkommneten Färbungsmethoden gelungen ist, die
Zellgrenzen auf allen seinen Präparaten aufs schärfste sichtbar zu
machen, was für die Entscheidung der Frage nach der Natur der
Doppelzellen von großer Bedeutung ist. Ich glaube daher, dass die
DE Brurne’sche Ansicht die richtigere ist, und dass die Doppelzellen
nur enorm vergrößerte Epithelzellen sind. Ds Bruyne’s Unter-
suchungen erstrecken sich allerdings nur auf Nepa; aber die ganz
analogen Gebilde haben bei der nahe verwandten Ranatra doch sicher
dieselbe Entstehung. Die vergrößerte Zelle bildet nach KORSCHELT
(17, 15) bei Nepa und Ranatra nur die innere spongiöse Schicht des
Eistrahles. Sie würde also, wenn man eine Übereinstimmung in der
{ Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 175
Bildung der Chorionanhänge von Pentatoma und Asopus mit der der
Eistrahlen der beiden Wasserwanzen annimmt, der hellen Zelle ent-
sprechen, welche die Innenschicht des Bechers bildet. Nun haben
die beiden in Rede stehenden Zellarten aber ein völlig verschiedenes
Aussehen. Bei meinen Arten handelt es sich um eine helle Zelle,
welche hinter den anderen Epithelzellen an Größe nicht unbeträcht-
lich zurücksteht, mit ziemlich flachen, durchaus ganzrandigen Kernen.
Die sogenannte Doppelzelle ist dagegen ganz enorm vergrößert. Sie
kann bei Ranatra eine Größe von 1,8 mm erreichen, gehört also,
abgesehen von Eizellen, wohl zu den größten Zellen, die wir über-
haupt kennen. Außerdem zeichnen sich ihre stark gefärbten Kerne
durch die auffallende Fähigkeit aus, starke pseudopodienähnliche
Fortsätze in das zwischen ihnen gelegene Zellplasma zu treiben.
Ferner geschieht auch die Bildung der porösen Innenschicht selbst
in beiden Fällen in wesentlich verschiedener Weise. Bei Pentatoma
und Asopus scheidet die helle Zelle höchst wahrscheinlich eine
euticulare Absonderung ab. Das Chitin entsteht also hier in der-
selben Weise, wie auch bei der Bildung des Chorions durch das Fol-
likelepithe. Bei Nepa und Ranatra dagegen wird das Chitin der
Innenschicht des Eistrahles innerhalb der vergrößerten Zelle selbst
gebildet, wie Text und Abbildungen der Korscueur’schen Arbeiten
(17, 18) auf das Überzeugendste darthun. Der einzige Einwand gegen
diese Entstehungsweise, den KorscHELT allenfalls gelten lassen will,
dass nämlich die Doppelzelle ja aus zwei Zellen entstanden ist, und
man daher sagen könne, das Chitin bilde sich als euticulare Abson-
derung an der Grenze der beiden verschmolzenen Zellen, fällt zudem
in sich zusammen, nachdem ps BRUYNE, wie erwähnt, gezeigt hat,
dass die Doppelzelle gar nicht aus der Vereinigung zweier Zellen
hervorgegangen ist. Es bestehen also ganz erhebliche Unterschiede
zwischen den von mir untersuchten Arten und den beiden Wasser-
wanzen, in Bezug sowohl auf die Bildung der Chorionanhänge, als
auch auf Größe und Beschaffenheit der dabei hauptsächlich betheilig-
ten Zellen. Doch lassen sich diese Abweichungen, wie ich glaube,
sehr leicht erklären durch die Größenunterschiede der in Rede ste-
henden Gebilde. Die Becher von Pentatoma und Asopus lassen sich
erst mit stärkeren Linsen deutlich erkennen und liegen einfach in
das Epithel eingebettet. Die Eistrahlen von Nepa und Ranatra er-
reichen das Ei selbst an Länge oder übertreffen es sogar; daher
muss der Follikel einen besonderen hohen Aufsatz zur Aufnahme der
in Bildung begriffenen Strahlen bilden. Gleichzeitig mit dieser Ver-
12%
174 Julius Groß,
größerung des Eistrahles musste natürlich im Laufe der phylogene-
tischen Entwicklung auch die Zelle, welche bei der Entstehung des Ge-
bildes die Hauptrolle spielt, eben so zu ganz auffallenden Dimensionen
heranwachsen. Ferner ist die Annahme wohl berechtigt, dass so riesige
Gebilde, wie die Eistrahlen der beiden Wasserwanzen, zu ihrer Entste-
hung viel mehr Zeit brauchen müssen, als die kleinen Chorionanhänge
von Pentatoma und Asopus. Ihre Entwicklung konnte daher nur dann
mit der Eireife Schritt halten, wenn sie bedeutend beschleunigt wurde.
Darin sehe ich den Grund für die eigenthümliche Bildung des Chi-
tins im Innern der Zelle. Dass die Bildung des Strahles, wenigstens
in seinem oberen Ende, besonders schnell von statten geht, hebt zu-
dem KorscHELr (18) ausdrücklich hervor. Diese Beschleunigung in
der Thätigkeit der Zelle hat aber offenbar wieder eine ganz beson-
ders starke Betheiligung des Kernes an diesen Vorgängen hervor-
gerufen, die sich in den erwähnten pseudopodienähnlichen, oder, um
mit KORSCHELT zu sprechen, »rhizopodoiden« Fortsätzen derselben
äußert. So kann die starke Vergrößerung der Eistrahlen der Grund
gewesen sein für alle übrigen Verschiedenheiten gegenüber den Cho-
rionanhängen der anderen Wanzen. Doch eine Besonderheit von
Pentatoma und Asopus muss ich noch kurz behandeln. Wie wir oben
gesehen haben, nehmen bei diesen Arten an der Bildung des Bechers
außer der mehrfach erwähnten Zelle, die die Innenschicht zu lie-
fern hat, noch zwei Zellen von besonderer Beschaffenheit Theil. Für
diese fehlt aber bei Nepa und Ranatra das Äquivalent. Bei den
Wasserwanzen vermissen wir ja aber auch den verdickten und be-
sonders ausgebildeten oberen Theil, der die Chorionanhänge von
Pentatoma und Asopus auszeichnet. Dessen Außenschicht ist es aber
serade, die von den beiden besonders beschaffenen Zellen gebildet
wird. Bei Nepa und Ranatra wird die Außenschicht des ganzen
Strahles von den gewöhnlichen den Aufsatz zusammensetzenden Epi-
thelzellen geliefert, eben so wie die entsprechenden Zellen bei Pen-
tatoma und Asopus die Außenschicht des Stieles bilden.
Es ergiebt sich also eine ähnliche Struktur und Bildungsweise
für die Chorionanhänge von Pentatoma und Asopus einerseits und
Nepa und Ranatra andererseits. Es liegt daher nahe, auch an eine
ähnliche Funktion der betreffenden Gebilde zu denken. Nun ist uns
die biologische Bedeutung der Eistrahlen der besprochenen Wasser-
wanzen durch die Arbeiten LeuckArr’s (23) und KorscHELT’s (17,
18) genau bekannt. KorscHerr (18) bespricht dieselbe mit folgenden
Worten: »Das Thier versenkt seine Eier bei der Ablage in
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 75
fleischige Blattstiele von Wasserpflanzen, und zwar wer-
den dazu solche Blattstiele gewählt, die bereits abgestor-
ben sind und auf dem Wasser schwimmen. In solchen
fleischigen Pflanzentheilen findet man die Eier gruppen-
weise oder reihenweise angeordnet. Die Eier selbst sind
nicht sichtbar, da sie ganz in dem Gewebe des Blattstieles
verborgen sind; nur die Eistrahlen ragen über die Ober-
fläche des Wassers hervor.« »Die mit Eiern besetzten
Pflanzentheile, welche ich auffand, schwammen so auf
dem Wasser, dass die Eistrahlen nach oben gerichtet waren
und also in die Luft ragten. Das Pflanzengewebe selbst
war wie einSchwamm ganz von Wasser durchtränkt. Eine
andere Kommunikation des Eies mit der Luft als durch die
Eistrahlen war also unmöglich. Die ganze Einrichtung der
Eistrahlen deutet nun darauf hin, dass sie die Funktion
haben, dem sich entwickelnden Ei Luft zuzuführen. Wie
wir gesehen haben, sind sie an ihrem oberen Ende völlig
porös. Ihr unterer größerer Abschnitt ist nun zwar von
einer undurchlässigen Chitinlage umgeben, da aber das
ganze Innere pneumatisch ist, so kann die am oberen po-
rösen Abschnitt eingedrungene Luft bis zum Grunde der
Strahlen vordringen. Hier aber stehen sie, wie ich oben
beschrieb, mit dem ebenfalls pneumatischen Endochorion
in direkter Verbindung, so dass die Luft weiter in das
letztere, sowie in die Porenkanäle des Exochorions vor-
dringen kann. Auf diese Weise ist also das Ei von einer
Luftschicht umgeben, welche sich bei Verbrauch von
Sauerstoff von oben her wieder erneuern kann, auch wenn
das Ei von dem wasserdurchtränkten Gewebe des Blatt-
stieles eng umschlossen ist.«
En, Die Eistrahlen von Nepa und Ranatra dienen also ohne Zweifel
der Durchlüftung des sich entwickelnden Eies. Dieselbe Funktion
möchte ich auch den Chorionanhängen der von mir untersuchten vier
‚Wanzenarten zuschreiben. Wie im vorigen Abschnitt gezeigt wurde,
ist das Chorion derselben noch von einer schleimigen, oder eiweiß-
artigen Hülle umgeben, die für Luft wohl völlig undurchlässig ist
und das Ei gegen zu große Austrocknung zu schützen hat. Inter-
essanter Weise machte ich nun bei Pentatoma baecarum und nigri-
corne, von welchen beiden Arten ich völlig reife, dem Oviduct ent-
nommene Eier untersuchen konnte, folgende sehr für meine Auffas-
176 Julius Groß,
sung von der Funktion der Chorionanhänge sprechende Beobachtung.
Die Schleimhülle umgiebt das ganze Ei und überzieht ausnahmslos
alle auf dem Chorion stehenden größeren und kleineren Zapfen und
Haare. Nur die becherförmigen Chorionanhänge sind von
dieser Umhüllung frei geblieben und ragen aus der Schleim-
hülle hervor. Sie allein stehen also nach Ablage des Eies mit der
atmosphärischen Luft in direkter Berührung. Auch auf Schnittserien
lässt sich für alle drei Pentatoma-Arten an Eiern, die bereits in den
Eiröhrenstiel hinabgewandert sind, dasselbe Verhalten leicht erkennen,
wie Fig. 15 deutlich zeigt. Wie es zu Stande kommt, dass die Be-
cher allein frei bleiben von der Umhüllung durch die Schleimschicht,
ist leicht erklärlich; auch konnte ich auf einigen Präparaten von
Pentatoma bacearum und dissimile den Vorgang direkt beobachten.
Nachdem die Haare des Chorions fertig gebildet sind, hebt sich das
Follikelepithel etwas von der Eischale ab, so dass zwischen beiden
ein freier Raum entsteht. Jetzt secernirt das Epithel an seiner Innen-
wand noch um das ganze Ei die Schleimhülle, die in Folge dessen
natürlich auch alle Haare überzieht (Fig. 16). Während dieser Vor-
sänge bleiben aber die Becher noch im Epithel liegen und ziehen
sich aus diesem erst bei der AusstoßBung des Eies heraus. So kommt
es auf ganz einfache Weise zu Stande, dass die Becher frei von dem
schleimigen Überzug, und also nach der Eiablage mit der atmo-
sphärischen Luft in direkter Berührung bleiben. So ist durch die
Schleimhülle das Ei gegen allzugroße Verdunstung und Austrocknung
geschützt, während der für die während der Entwicklung sich ab-
spielenden Lebensprocesse nöthige Sauerstoff ihm durch die Chorion-
anhänge zugeführt wird. Bei Asopus liegen die Verhältnisse jeden-
falls ganz eben so; auch hier überzieht eine dicke Schleimhülle die
sanze Eischale und lässt nur die Chorionanhänge frei. Ist meine
Auffassung die richtige, so wird auch die Bedeutung des eigenthüm-
lichen Aufsatzes, den die Becher bei Asopus und der einen Penta-
toma zeigen, leicht verständlich. Wie wir gesehen haben, hat bei
den übrigen Pentatoma-Arten die Außenschicht des Bechers nur eine
kleine Öffnung, durch welche der Zutritt des Sauerstoffs der atmo-
sphärischen Luft zu der pneumatischen Innenschicht ermöglicht wird.
Offenbar soll durch diese Einrichtung das zartere, im Inneren des
Bechers gelegene Chitin vor Verletzungen geschützt werden. Bei
Asopus und der einen Pentatoma hat diesen Schutz der Aufsatz des
Bechers übernommen. In Folge dessen liest am Grunde des Auf-
satzes die Innenschicht des Bechers in ihrer ganzen Ausdehnung frei
|
|
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 177
und bietet also der Luft eine viel breitere Berührungsfläche dar. Der
Aufsatz erweist sich also ganz klar als Vervollkommnung des pneu-
matischen Apparates. Etwas Ähnliches zeigt sich auch bei den
Eistrahlen von Nepa und Ranatra. Bei Nepa fehlt an der Spitze des
Strahles die homogene Außenschicht. Bei Ranatra umgiebt sie ihn
in seiner ganzen Ausdehnung, ist aber am oberen Ende von zahl-
reichen feinen Poren durchbohrt, so dass also auch hier die spon-
giöse Innenschicht vor Verletzungen geschützt ist und der Zutritt von
Sauerstoff doch gewahrt bleibt. Aus allen mitgetheilten Gründen
glaube ich nicht fehl zu gehen, wenn ich den Ohorionanhängen der
von mir untersuchten Arten von Pentatoma und Asopus dieselbe Funk-
tion zuschreibe, wie den Eistrahlen von Nepa und Ranatra. Die
gleiche biologische Funktion haben aber sicher auch die ganz ähn-
lichen Apparate vieler anderer Wanzen, die uns besonders durch die
Untersuchungen LEuckArT’s (23) bekannt geworden sind. Sie scheinen
weit verbreitet zu sein in der Familie der Scutata, zu welcher ja
auch die von mir beschriebenen Arten gehören. Sie haben meist die
charakteristische Becherform. Nur bei Pentatoma juniperinum und
Tethyra maura (Erygaster maurus) fehlt die Erweiterung am oberen
Ende, so dass die Chorionanhänge hier einfach borstenförmig er-
scheinen. Auch bei einer großen Anzahl von Vertretern anderer
Rhynchotenfamilien hat LEUCKART die geschilderten Becher gefunden.
Doch findet sich bei diesen meist eine eigenthümliche Neuerwerbung.
Die Becher stehen hier nicht frei auf der Eischale, wie bei den Seu-
taten, sondern sie liegen an der Innenwand einer chitinösen Lamelle,
in welche sich die äußere Lippe des Deckelfalzes verlängert. Die
Lamelle umgiebt also den vorderen Theil des Eies wie ein Schirm,
dessen Rippen die Becher bilden. Die Bedeutung dieses Schirmes
ist wohl darin zu suchen, dass er ein Abbrechen der Becher verhin-
dert. Diese eigenthümliche Vervollkommnung des gesammten luft-
führenden Apparates fand LEUCKART bei Reduvius personatus, Acan-
thias lectularia, Harpactor eruentus, Nabis brachyptera und vier zu
der Familie der Capsinen gehörigen Arten. Wesentlich anders ge-
staltete Anhänge, als die beschriebenen, fand ich auf der glatten
Schale der Eier von Pyrrhocoris apterus. Es sind rundliche, knopf-
förmige Erhebungen in der Nähe des vorderen Eipoles. Sie sind
bereits von LEUCKART (23) und PauL Mayer (28) abgebildet und
genau beschrieben. Ich habe ihrer Darstellung daher nichts hinzuzu-
fügen. Ob sie, wie die genannten Forscher wollen, Mikropylaufsätze
sind, oder ebenfalls der Durchlüftung des Eies dienen, kann ich nicht
178 Julius Groß,
entscheiden, denn ich habe sie auf meinen Schnittserien nie auffinden
können. Und am in toto eingelesten Ei ließ sich nicht mit Sicherheit
erkennen, ob sie von einem Kanal durchbohrt, oder etwa auch solid
und nur von einem porösen Chitin erfüllt sind, wie die Chorion-
anhänge der anderen Wanzen. Was ihre Zahl betrifft, so stimme
ich ebenfalls mit PAuL MAYER überein. Von vier untersuchten Eiern
hatten drei fünf, eines sechs der geschilderten Anhänge.
Meine Resultate über die Bildung der Eihüllen lassen
sich in Kürze folgendermaßen aussprechen:
Die Dotterhaut entsteht durch Erhärtung der Rinden-
schicht des Dotters, meist vor Bildung der Eischale; nur
bei Pyrrhocoris apterus wird sie erst nach dem Chorion
gebildet.
Das Chorion der meisten von mir untersuchten Wanzen
ist eine cuticulare Absonderung des Follikelepithels. Es
besteht aus zwei Schichten, einem homogenen Exochorion
und einem porösen Endochorion, das bei Asopus bidens
noch besondere größere Lufträume birgt.
Das Exochorion weist mannigfaltige Verzierungen auf,
Leisten, die polygonale Felder umschließen, bei Alydus
calcaratus, Buckel bei Asopus bidens, Haare und Zapfen
bei den Pentatoma-Arten.
Bei letzteren und bei Asopus hat das Chorion noch
besondere größere Anhänge. Diese sind becherförmig und
bestehen aus einer homogenen Außenschicht und einer
schwammigen, porösen Innenschicht. Die Becher werden
von je drei veränderten Epithelzellen gebildet. Eine der-
selben liefert die Innenschicht, die beiden anderen die
Außenschicht. Die Außenschicht des Becherstieles wird
von den benachbarten Epithelzellen gebildet.
Die becherförmigen Chorionanhänge sind keine Mikro-
pylapparate, sondern Vorrichtungen zur Durchlüftung des
Eies, wie die Eistrahlen von Nepa und Ranatra. Die
Schleimhülle wird ebenfalls schon vom Follikel ausge-
schieden.
Das Chorion der Eier von Pyrrhocoris apterus entsteht
durch Verschmelzung der Follikelzellen. Es ist glatt und
trägt nur am Vorderende sechs rundliche Aufsätze.
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren ete. 179
Ill. Die Amitose im Ovarium der Hemipteren und ihre physiologische
Bedeutung.
Die erste Andeutung über Kerntheilungen im Ovarıum der In-
sekten findet sich in PauL Marver’s monographischer Arbeit über
“Pyrrhocoris apterus aus dem Jahre 1874 (28). Er sagt über das Fol-
likelepithel dieser Wanze: »Alle Zellen sind mit verschiedener
Lebhaftigkeit in der Theilung begriffen, was sich an Kar-
minpräparaten oft nur dadurch zu erkennen giebt, dass
zwei dunklere Randpartien der Zelle durch eine mittlere
helle Zone von einander geschieden sind.« Vier Jahre später
findet ALEXANDER BRANDT (3), dass im Follikelepithel von Lucanus
cervus »nicht selten ein Kern in zwei zerfällt«, und dass ferner
bei zwei anderen Käfergattungen, Leptura und Baötis, in der Nähr-
kammer häufig »biskuitförmige Kerne auftreten, die auf Thei-
lungen hindeuten<. WırrL (45) bespricht dann ausführlicher die
Theilung der Nährzellkerne von Nepa und Notoneeta und verwerthet
diese Erscheinungen für seine Ooblastentheorie.
Nachdem unterdessen durch die Arbeiten von VAN BENEDEN (41)
und FLemmine (9, 10) der Unterschied zwischen direkter und indi-
rekter Kerntheilung schärfer hervorgehoben worden war, machte
KorscHeEur (17) zum ersten Male die ausdrückliche Angabe, dass
die Theilungen im Follikelepithel nicht unter dem Bilde der Karyo-
kinese verlaufen. Er sagt über Hydrometra lacustris: »Jede Zelle
enthält merkwürdiger Weise zwei Kerne, was auf Thei-
lungsszustände der Zelle hindeutet, und doch macht das
Ganze nicht einen solchen Eindruck. Wirkliche Theilungs-
figuren konnte ich nie auffinden.«
Im letzten Jahrzehnt ist nun ein lebhafter Streit entbrannt über
die biologische Bedeutung der Amitose. Auf der einen Seite sprechen
sich FLEMMInG, MEvES und Andere dafür aus, dass sowohl die Mitose,
wie die Amitose Veranlassung zu einer regen Zellvermehrung geben
können, und dass also in dieser Beziehung kein wesentlicher Unter-
schied zwischen direkter und indirekter Kerntheilung besteht. Aufs
entschiedenste widersprechen dieser Ansicht besonders H. E. ZIEGLER
und OÖ. vom Rarn. Beide Autoren zeigen an einer großen Reihe von
Fällen aus den verschiedensten Thierklassen, besonders auch von
Arthropoden, dass der Amitose bei Metazoen nie eine wirk-
lich regeneratorische Bedeutung zukommt. Sie erklären da-
her in mehreren Arbeiten (35, 36, 46, 47), dass die Amitose bei
180 Julius Groß,
Metazoen stets am Ende einer Reihe von Zelltheilungen und nur bei
solchen Zellen auftritt, welche entweder in Folge besonderer Speecia-
lisirung einer intensiven Assimilation, Sekretion oder Exkretion vor-
stehen oder in alternden abgenutzten Geweben und folglich auch da,
wo Zellen nur eine vorübergehende Bedeutung haben. Dabei ist die
Zahl der auf einander folgenden direkten Kerntheilungen nach An-
sicht der beiden genannten Forscher stets eine geringe und die Zahl
der durch sie veranlassten Zelltheilungen, wenn solche überhaupt vor-
kommen, noch beschränkter.
Die vorhin erwähnten Kerntheilungen im Ovarium der Hemipteren
hat nun Preusse (34) auf Anregung KOoRSCHELT's zum Gegenstande
einer Specialuntersuchung gemacht. Seine Beobachtungen erstrecken
sich auf folgende Arten: Nepa cinerea, Notonecta glauca, Hydro-
metra lacustris, Ranatra linearis, Reduvius personatus und Pyrrho-
coris apterus. Der Verfasser gelangt zu folgenden, der Theorie von
ZIEGLER und voM RATH direkt widersprechenden Resultaten. Der
Amitose im Ovarium der Hemipteren kommt eine wichtige
Rolle bei der Vermehrung der Zellen zu. Eine ganze Reihe
amitotischer Kerntheilungen folgen aufeinander und geben
Anlass zu fortgesetzten Theilungen von Zellen. Bei einem
sroßen Theile der sich direkt theilenden Kerne kann von
einem degenerativen Oharakter nicht gesprochen werden.
Die von PrEusse mitgetheilten Befunde sind für Nepa und Noto-
necta nachgeprüft worden von DE BRUYNE (6). Dieser Autor zieht aus
seinen Untersuchungen Schlüsse, die zu den von PrEussE mitgetheilten
im schärfsten Gegensatz stehen. De BruyYneE schließt sich voll-
kommen dem Standpunkt von ZIEGLER und VOM RATH an
und erklärt mit großer Bestimmtheit, dass die Amitose
in den von ihm beobachteten Fällen einen hervorragend
degenerativen Charakter trage und niemalsbeiRegenera-
tionserscheinungen auftrete.
Meine Untersuchungen haben, wie sich im Laufe der Darstellung
zeigen wird, im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen geführt, welche
DE BRuYNE mittheilt. Doch hielt ich es nicht für zwecklos sie hier
genauer zu besprechen. Denn da ich an anderem Material gearbeitet
habe, konnte ich immerhin einige Besonderheiten konstatiren, dann
aber schien es mir wichtig, dass die aufgeworfene Frage an möglichst
zahlreichen Arten geprüft werde. |
Im Gegensatz zu Prevusse habe ich amitotische Kerntheilungen
nur in zwei Regionen der Eiröhre gefunden, in der Nährkam-
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. LS
mer und im Follikelepithel. PrEUSsSsE beschreibt Amitosen auch
aus dem Endfaden, der Peritonealhülle und dem Epithel des Eiröhren-
stieles.. Ich habe in den genannten Gewebstheilen trotz eifrigen
Suchens überhaupt keine sicheren Anzeichen für Kerntheilungen
irgend welcher Art finden können. Wohl finden sich oft Kerne mit
zwei Nucleolen, ferner bemerkte ich zuweilen an einigen Kernen
leichte Einschnürungen, auch finden sich in den Eiröhrenstielen älterer
Thiere manchmal Zellen, die scheinbar zwei Kerne enthalten; doch
ist in solchen Fällen das Gewebe schon in starker Degeneration be-
sriffen: das Plasma ist blasig aufgequollen, die Kerne haben ihre
frühere Tinktionsfähigkeit eingebüßt, und die Zellgrenzen sind sehr
undeutlich geworden, so dass es schwer zu entscheiden ist, ob zwei
nahe bei einander liegende Kerne zu einer oder zwei Zellen gehören.
Ich will es desshalb nicht als ganz unmöglich hinstellen, dass in den
Eiröhrenstielen älterer Thiere ab und zu ein Kern sich amitotisch
theilt, doch ist dieses in den genannten Geweben jedenfalls eine
seltene und mehr zufällige Erscheinung. DE BRUYNE scheint eben-
falls nur in der Endkammer und dem Follikelepithel direkte Kern-
theilungen angetroffen zu haben. Denn in seiner der Amitose gewid-
meten Arbeit (6) erwähnt er die übrigen Theile des Ovariums mit
keinem Wort.
a. Amitose in der Endkammer.
Wie vorhin erwähnt, zerfällt die Endkammer der Hemipteren in
drei deutlich gesonderte, von vorn nach hinten auf einander folgende
Regionen (Fig. 1). An der Spitze liegt eine Partie kleiner jugend-
licher Kerne. Deutliche Zellgrenzen zwischen diesen Kernen habe
ich nur auf einigen wenigen Präparaten, die mit Kernschwarz und
Safranin behandelt waren, erkennen können. Meist macht es den
Eindruck, als ob die Kerne in einer gemeinsamen Protoplasmamasse
lägen. PrEussE ist es eben so gegangen. Er hat Zellgrenzen nur
einmal bei Nepa cinerea und einige Mal bei Pyrrhocoris apterus ge-
funden. DE BruynE dagegen giebt an, dass er auf allen seinen
Präparaten die Zellgrenzen mit prägnantester Schärfe hervortreten
sah. Es ist demnach wohl kein Zweifel, dass die Spitze der End-
kammer nicht, wie die älteren Autoren meinten, von einem Syney-
tium eingenommen wird, sondern dass ihre Kerne in distinkten Zell-
territorien liegen, deren Grenzen nur nicht immer deutlich sichtbar
sind. Das Chromatin ist in vielen rundlichen Brocken hauptsächlich
an der Peripherie des Kernes vertheilt (Fig. 2—5). Bei sämmtlichen
182 Julius Groß,
von mir untersuchten Arten fand ich unter diesen Kernen niemals
Amitosen, oder auch nur Andeutungen direkter Kerntheilung. Als
einziger Kerntheilungsmodus imponirt vielmehr die Mitose. Interes-
santer Weise finden sich karyokinetische Figuren bei alten Thieren,
die bereits mehrere Eikammern gebildet haben, nur spärlich. In großer
Häufigkeit erscheinen sie dagegen bei jungen Thieren und bei Larven.
Hier kann man kaum einen Schnitt auffinden, der nicht mehrere Mi-
tosen und Vorbereitungsstadien zur indirekten Kerntheilung enthält.
Ich befinde mich hier in erfreulichster Übereinstimmung mit DE BRUYNE.
Auch er hat in keinem einzigen Falle Amitosen unter den kleinen
Kernen an der Spitze der Endkammer gefunden. Im schärfsten Gegen-
satz zu meinen und den Ausführungen DE Bruyne’s befindet sich
PrREUSSE. Er giebt an, dass bei Nepa Amitose und Mitose sich un-
sefähr das Gleichgewicht halten und sagt später über die übrigen
von ihm untersuchten Hemipteren, dass sich auch bei ihnen die Kerne
an der Spitze der Endkammer nach beiden Typen theilen. Genauer
bespricht er diese Verhältnisse nur bei Nepa. Das Vorkommen von
Amitosen lässt sich, wie er meint, aus dem Vorkommen zweier Kerne
in einer Zelle entnehmen. Nun hat er aber ja, wie bereits erwähnt
wurde, von Nepa nur ein Präparat gehabt, auf dem die Zellgrenzen
erkennbar waren, so dass eine Täuschung keineswegs ausgeschlossen
erscheint. Ferner sollen zuweilen einzelne Kerne Einkerbungen auf-
weisen, was nach PREUSSE ebenfalls für Amitose spricht. Auf der
einzigen, der Endkammerspitze entnommenen Abbildung (Fig. 26), die
seine Arbeit enthält, ist nichts Derartiges zu erkennen. Endlich führt
der genannte Autor zur Stütze seiner Ansicht noch an, dass einzelne
Kerne »einen in Durchschnürung begriffenen Nucleolus, oder
das Produkt davon, zwei Nucleolen« besitzen. Die Mehrzahl
der Kerne enthalte dagegen nur einen stark gefärbten und verschie-
den gestalteten Nucleolus. Diese Angabe ist desswegen interessant,
weil nach DE BrRUYNE’s Untersuchungen, deren Ergebnisse ich auch
in diesem Punkte vollkommen bestätigen kann, die Kerne in der be-
sprochenen Partie der Endkammer im Allgemeinen überhaupt gar
keinen Nucleolus besitzen. Einen solchen erhalten sie erst weiter
nach hinten, wo die kleinen Kerne sich allmählich in die großen
Kerne der Nährzellen verwandeln. Aus dieser Gegend stammen also
wohl die Kerne mit ein oder zwei Kernkörpern und mit den Ein-
kerbungen, wie PREUSSE sie beschreibt. Dazu kommt, dass PREUSSE,
wie auch aus anderen Stellen seiner Arbeit hervorgeht, höchst wahr-
scheinlich nur Eiröhren von älteren Thieren untersucht hat, bei
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 183
denen die Zellvermehrung auch am Gipfel der Endkammer bereits
nachgelassen hat und daher nur wenige Kerne vorhanden sind, an
denen die Umwandlung zu den großen Nährzellkernen, wie sie die
Mitte der Endkammer erfüllen, noch nicht begonnen hat. Jedenfalls
habe ich gefunden, dass bei alten Thieren das kleinzellige Lager an
der Spitze der Endkammer nur geringe Ausdehnung hat. KORSCHELT
(16) theilt sogar mit, dass bei einigen im Frühling, also zur Zeit der
Eiablage, gefangenen Exemplaren von Notonecta glauca die kleinen
Kerne an der Spitze der Endkammer gänzlich fehlten.
Die allmähliche Umwandlung der kleinen Kerne zu den großen
Nährzellkernen der mittleren, und bei älteren Thieren umfangreichsten
Region der Endkammer ist bereits von KORSCHELT (16) und DE BRUYNE
(6) auf das sorgfältigste untersucht worden. Ich habe daher den An-
saben dieser Forscher nichts hinzuzufügen. Die fertigen Nährzell-
kerne zeigen, wie es bereits mehrfach beschrieben worden ist, eine
fächerförmige Anordnung, das heißt, sie liegen in schräg gerichteten
Reihen, welche nach hinten und gegen den die Mitte erfüllenden
protoplasmatischen Raum konvergiren. Die Nährzellkerne selbst haben
bei Pyrrhocoris apterus, Corizus hyoseyami und Graphosoma nigro-
lineatum eine rundliche bis eiförmige Gestalt, gleich der, welche
KORSCHELT für Pyrrhocoris und Reduvius beschreibt. Bei den übrigen
von mir untersuchten Wanzen ist die Form der Kerne unregelmäßiger.
Am mannigfaltigsten sind sie bei Asopus, Syromastes und nament-
lich bei Harpactor subapterus gestaltet. Zellgrenzen zwischen den
Kernen sind sehr deutlich in den peripheren Theilen der Endkammer
zu erkennen; nach innen gegen den protoplasmatischen Raum zu
werden sie dagegen undeutlicher oder sind ganz verschwunden (Figg. 36,
37 und 38). Hier hat offenbar die Auflösung des Zellplasmas und
dabei natürlich auch der Zellmembran schon begonnen, während die
nach außen gelegenen Theile der Zelle und die Kerne noch intakt
erscheinen. Die Kerne der Nährzellen sind wie bei allen bisher
untersuchten Wanzen, so auch bei meinen Arten in regster amito-
tischer Theilung begriffen. Dagegen habe ich auf allen meinen Prä-
paraten nur ein einziges Mal unter den Nährzellen eine Mitose liegen
sehen, und zwar in einer Eiröhre eines jüngeren Exemplares von
Pyrrhocoris apterus. Aber auch diese eine scheinbare Ausnahme
war, wie sich bei näherer Betrachtung ergab, gar keine. Denn der
in Karyokinese begriffene Kern war umgeben von einer Partie kleiner
Kerne, welche den an der Spitze der Endkammer gelegenen glichen.
Solche Ansammlungen kleiner Kerne sind nichts Seltenes und schon
184 Julius Groß,
mehrfach beschrieben worden. Sei es nun, dass sie, wie einige
Autoren wollen, von der Spitze der Endkammer nach hinten gewan-
dert sind, oder auch, dass einige in der Mitte der Endkammer ge-
legene Zellen die Metamorphose in Nährzellen noch nicht begonnen
haben, jedenfalls handelt es sich um jugendliche Kerne, die sich
noch nicht amitotisch getheilt haben!. Mit dem Beginn der direkten
Kerntheilung hört also die indirekte vollkommen auf; beide Thei-
lungsmodi sind auf das schärfste geschieden. Die Amitose
beginnt bei noch verhältnismäßig jugendlichen Kernen gewöhnlich
mit einer Zweitheilung des Nucleolus, dessen Theilstücke aus einander
rücken (Figg. 57 und 38:). Doch sind diese durchaus nicht immer
gleich groß. Bei älteren Thieren ist der Nucleolus schon vor Beginn
der Amitose in verschiedene, unregelmäßige Brocken zerfallen. Über-
haupt glaube ich, im Gegensatz zu PREUSSE, nicht, dass der Kern-
körper eine wichtige Rolle bei der Theilung spielt. Die Theilung
der Kerne selbst geht auf sehr verschiedene Weise vor sich“ Am
häufigsten kommt sie durch Ausbildung einer Kernplatte zu Stande.
Diese macht sich Anfangs nur durch eine dichtere Ansammlung von
Chromatinpartikeln auf einer den Kern durchziehenden Linie bemerk-
bar (a in Figg. 36, 38, 39). Diese Granulation wird immer stärker
(b in Figg. 36 und 38), und schließlich sieht man zwei Kerne dicht
an einander liegen, deren einander zugekehrte Wände ziemlich gerad-
linig sind (ce in Fig. 37). Gleichzeitig mit der Ausbildung einer Kern-
platte tritt zuweilen auch eine Einschnürung des Kernes von einer
oder beiden Seiten her auf (d in Figg. 37 und 38). Solche Einschnü-
rungen können aber auch ohne Ausbildung einer Kernplatte vor-
kommen und so für sich allein die Theilung bewirken (e in Fig. 37).
Manchmal finden sich, besonders bei Asopus bidens, auch biskuit-
bis hantelförmige Kerne (A in Fig. 36), die wohl auch auf Thei-
lungsvorgänge hinweisen, indem das die beiden Kernhälften verbin-
dende Stück immer schmäler wird und endlich ganz durchreißt. Bei
allen diesen Theilungsmodi sind die resultirenden Theilstücke eines
Kernes durchaus nicht immer gleich groß, sondern es kann sich ein
beliebig großes Stück auf eine der angegebenen Arten abschnüren.
Ferner kommt es oft vor, dass ein Kern gleichzeitig in mehrere
Stücke zerfällt, oder dass wenigstens, bevor eine Theilung vollendet
1 PREUSSE und DE BRUYNE geben übereinstimmend an, dass die End-
kammer außen von einer Lage kleinerer Kerne begrenzt wird, welche sich
mitotisch theilen. Bei allen von mir untersuchten Arten fehlt diese periphere
Partie kleinerer Kerne.
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Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren ete. 185
ist, schon eine neue an einer anderen Stelle des Kernes beginnt,
so dass ganz seltsam gestaltete Kerne zu Stande kommen (g in Fig. 37).
Dabei können sich an verschiedenen Stellen eines und desselben
Kernes verschiedene Arten der Amitose geltend machen (fin Fig. 37).
Einige Mal fand ich auch typische Lochkerne und zwar bei Penta-
toma fuscipinum, Syromastes marginatus und Asopus bidens. Drei
davon sind in den Figg. 39, 40, 41 dargestellt. Doch konnte ich
mir hier nicht darüber klar werden, ob ich es mit Theilungsvor-
sängen zu thun hatte, oder ob die Löcher lediglich Anzeichen von
beginnendem Zerfall der betreffenden Kerne waren. Mit unzweifel-
hafter Sicherheit dokumentiren sich die Lochkerne als Stadien der
Amitose dagegen bei Harpactor subapterus, wo sie unter den mehr
nach hinten gelegenen Nährzellkernen recht häufig auftreten. Hier
zeigt sich zuerst im Kern eine ziemlich central gelegene, runde Stelle,
die sich Farbstoffen gegenüber wie das Zellplasma verhält; nur ist
sie dunkler tingirt als dieses. Dass sie ein wirkliches Loch, und
nicht bloß eine veränderte Partie des Kernes ist, geht klar daraus
hervor, dass sie allseitig von der scharf hervortretenden Kernmembran
begrenzt wird. Auch lässt sich beim Verfolgen eines solchen Kernes
durch mehrere Schnitte deutlich erkennen, dass er wirklich durch-
bohrt ist. Das Loch kann nun entweder nur nach einer Seite durch-
brechen und es entstehen dann eigenthümlich gestaltete Kerne, wie
die in Figg. 45 und 44 dargestellten. Oder aber das Loch bricht
‚gleichzeitig, oder doch kurz nach einander, nach zwei Richtungen
durch (Figg. 45 und 46). Dann resultiren zwei Kerne (Figg. 47 und
45), an deren Kontouren man ihre Entstehungsweise noch deutlich
erkennen kann. Ähnliche Lochkernbildungen sind von REINKE,
BELLONcI, MEvEs und Anderen auf abnorm verlaufende Mitosen zu-
rückgeführt worden. Ich habe bei den geschilderten Kernen auch
nicht die geringsten Andeutungen für eine solche Entstehung auf-
finden können. Sie ist in diesem Falle ja auch von vorn herein
höchst unwahrscheinlich. Denn die Lochkerne treten immer erst in
den am meisten nach hinten gelegenen Nährzellen auf, also in einer
Gegend, wo karyokinetische Processe längst nicht mehr anzutreffen
sind. Gleichzeitig mit der Ausbildung des Loches können übrigens
an ein und demselben Kern auch die anderen vorher geschilderten
‚Arten der Amitose auftreten, wie dieses zum Beispiel der eine der
in Fig. 49 abgebildeten Kerne recht gut zeigt.
Deutliche Anzeichen dafür, dass der Amitose der Nähr-
zellkerne eine Zelltheilung folge, sind mir nicht zu
186 Julius Groß,
Gesichte gekommen. Dr BRUYNE ist es eben so gegangen. PREUSSE
dagegen sah auf seinen Präparaten »einige wenige Bilder«, die
ihm für Zelltheilung zu sprechen schienen. Das heißt, er fand einige
Mal Zellen, die auf zwei gegenüberliegenden Stellen Einschnürungen
erlitten hatten. Ich will desshalb die Möglichkeit, dass der Amitose
in der Endkammer auch einmal eine Theilung der Zelle folgt, nicht
strikt verneinen. Jedenfalls ist es aber eine ungewöhnliche und höchst
seltene Erscheinung.
Gleichzeitig mit dem Auftreten der Amitose macht sich ein starker
Zerfall der Nährzellen bemerkbar. Je weiter nach hinten und je näher
dem centralen, fibrillär gestreiften, protoplasmatischen Raum die Zellen
liegen, um so stärkere Degenerationserscheinungen weisen sie auf.
Die Zellmembranen verschwinden und im Plasma treten Fäden oder
Fibrillen auf, die sich direkt in die des protoplasmatischen Raumes
fortsetzen. Gleichzeitig sind die Kerne immer größer, ihre Formen
immer abenteuerlicher geworden. Die amitotischen Vorgänge schei-
nen sich immer schneller zu wiederholen, ja einige Kerne zerfallen
offenbar gleichzeitig in eine größere Anzahl von Theilstücken. Im
protoplasmatischen Raum selbst lässt sich aufs deutlichste der voll-
kommene Zerfall der Kerne verfolgen, nachdem das Zellplasma selbst
schon vorher zu Grunde gegangen ist, respektive sich in die eigen-
thümliche, fädige Substanz verwandelt hat. Auch an den Kernen
wird zuerst die Membran aufgelöst; dann verschwindet auch das bis
dahin durch seine helle Farbe kenntliche Kernplasma, und es bleibt
nur eine Anhäufung von Chromatin übrig; auch diese ist bald nicht
mehr sichtbar, und nur die Nucleolen und die allergrößten Chromatin-
brocken deuten noch die Stellen an, wo früher ein Kern lag, bis auch
sie der allgemeinen Auflösung verfallen. Den hintersten Theil der
Endkammer bildet das sogenannte Keimlager. Es ist dieses eine
Ansammlung kleiner Kerne, zwischen denen die jüngsten Keimbläs-
chen liegen. Im Keimlager habe ich eben so wenig wie DE
BruyneE jemals Amitosen gefunden. Dagegen sind zahl-
reiche, bei jungen Thieren sogar massenhafte Mitosen zu
bemerken. In direktestem Gegensatz zu diesen Befunden stehen
die Resultate Preusse’s. Er giebt an, dass er im Keimlager sämmt-
licher von ihm untersuchten Hemipteren sehr häufig Kerne beobachten
konnte, deren Formen auf amitotische Theilung hinwiesen. Dagegen
hat er Mitosen nur selten, bei Notonecta und Reduvius sogar nie
sefunden. Er meint daher, dass auch im Keimlager der amitotische
Theilungsvorgang die Regel ist. Ich kann mir dieses eigenthümliche
ä ©
Fe _
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 187
Ergebnis der Preusse’schen Arbeit, das dem Autor selbst befrem-
dend erscheint, nur dadurch erklären, dass ihm nur Eiröhren sehr
alter Thiere vorgelegen haben, bei denen die Bildung von Eifächern
bereits größtentheils beendet war. Dann wäre es möglich, dass auch
im Keimlager die Neubildung der Zellen fast ganz aufgehört hat,
da für die wenigen noch zu bildenden Follikel die bereits vorhan-
denen Zellen genüsten. Für diese meine Ansicht spricht noch be-
sonders der Umstand, dass PrREUSSE immer von Eiröhren mit sehr
zahlreichen Eifächern spricht, niemals aber solche erwähnt, bei denen
erst wenige Eifächer gebildet sind.
In einem ähnlichen Widerspruch, wie PREUSSE zu DE BRUYNE
und mir, befinden sich auch zwei ältere Autoren in Bezug auf das
Keimlager der Feuerwanze. WırLL (45) vermisste in demselben die
Mitosen gänzlich, während WIELOwIEJSKI (44) stets eine ganze Menge
ganz typischer karyokinetischer Figuren fand und daher meint, WILL
müsse sie einfach übersehen haben. Dass die Mitosen etwa im Keim-
lager, wie das in anderen Fällen vorkommt, periodisch auftreten,
kann ich nicht gut annehmen. Denn es müsste doch ein ganz merk-
würdiger Zufall sein, dass ich sie bei 15 verschiedenen, meist an
mehreren Vertretern untersuchten Arten, im Ganzen also an über
50 Exemplaren, immer in jeder Eiröhre in großer Anzahl antraf.
b. Amitose im Follikelepithel.
Das Follikelepithel ganz junger Eier, die eben erst aus der End-
kammer ausgetreten sind, ist mehrschichtig und besteht aus kleinen
Zellen, welche noch ganz den Zellen des Keimlagers gleichen. Sie
haben nur sehr wenig Zellplasma; das Kernplasma ist dicht und fein
sranulirt. Bei den Pentatoma-Arten und bei Asopus bidens enthält
jeder Kern einen deutlichen Nueleolus, bei den übrigen mir vorliegen-
den Species fehlt ein solcher dagegen, und das Chromatin ist in einige
sroße Schollen zerfallen. Mitosen treten in dem mehrschichtigen
Epithel ganz junger Eifollikel ziemlich zahlreich auf. Wenn das Ei
heranwächst wird das Epithel einschichtig, worauf bereits BRAnDT (3)
aufmerksam gemacht hat. Dabei wachsen die Epithelzellen bedeutend.
Die stellen jetzt hohe, dieht gedrängte Cylinderzellen dar. Die Kerne,
die sich ebenfalls vergrößert haben, liegen ziemlich in der Mitte der
Zelle, doch etwas nach außen gerückt. Quer zu der Längsachse der
Zellen reichen die Kerne nach allen Seiten bis an die jetzt sehr
deutliche Zellmembran heran (Figg. 51 und 52). Daher kommt es,
dass man auf Flächenschnitten in der Höhe der Kerne fast nur diese
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 13
188 Julins Groß,
bemerkt (Figg. 53, 54 und 55). Die polygonal, meist sechseckig be-
srenzten Zellterritorien treten erst auf den folgenden Schnitten der
Serie auf.
Im bereits einschichtig gewordenen Epithel treten Mi-
tosen nur noch ganz ausnahmsweise auf und verschwinden
bald völlig. Dagegen zeigen sich jetzt häufig Amitosen, und bald
unterliegen alle Kerne ausnahmslos diesem Theilungsmodus. Hier
ergiebt sich ein wichtiger Unterschied zwischen meinem Material und
den von PREUSSE und DE BruYNE untersuchten Hemipteren, beson-
ders Nepa. Bei diesen beschreiben die genannten Forscher Mitosen
aus bereits ziemlich alten Eifächern, in denen sich die Amitose schon
in ausgedehntem Maße geltend gemacht hat. PrEussE fand bei Nepa
häufig bis zum sechsten, einmal sogar bis zum neunten Eifach noch
karyokinetische Figuren. Bei meinen Arten enthielt dagegen immer
nur das allerjüngste von den bereits mit einschichtigem Epithel ver-
sehenen Eifächern noch Kerne, die in indirekter Theilung begriffen
waren. Die beiden Kerntheilungsmodi sind also bei den von mir
untersuchten Wanzen viel schärfer geschieden.
Die Amitose verläuft im Follikelepithel in viel einförmigerer Weise
als in der Endkammer. Fast durchweg geschieht sie durch Ausbil-
dung einer Kernplatte (Figg. 51, 52, 55, 54), zuweilen in Verbin-
dung mit einer beiderseitigen Einschnürung. Nur sehr selten
scheint die Theilung durch Einschnürung allein vor sich zu gehen.
Hantelförmige Kerne oder Lochkerne, wie ich sie in der Endkammer
sah, und wie sie PrEusse auch für das Follikelepithel angiebt, sind
mir nie zu Gesichte gekommen. Die Amitose scheint ziemlich lang-
sam zu verlaufen oder nur allmählich, und nicht bei allen Zellen
gleichzeitig aufzutreten. Denn man findet sie in Follikeln von ziem-
lich verschiedenem Alter. Das zeigt ein Blick auf die Figg. 51—97,
wenn man dabei die verschiedene Größe der bei gleicher Vergröße-
rung gezeichneten, in Amitose begriffenen Kerne vergleicht. In
älteren Follikeln, wie in den zu den Figg. 58—62 gehörigen, hat
aber schließlich doch jede Zelle zwei Kerne. Wo dieses scheinbar
nicht der Fall ist, kann man sich durch Vergleichen der benachbarten
Schnitte leicht überzeugen, dass dieser Schein nur durch eine für
die betreffende Zelle ungünstige Schnittrichtung herbeigeführt worden
ist. Besonders wenn die einzelnen Zellen längsgeschnitten sind, kann
diese Täuschung leicht entstehen, indem das Messer nur den einen
Kern trifft. Eine Betrachtung der Figuren zeigt dieses ganz klar.
Daher fand ich scheinbar einkernige Zellen fast nie auf tangential
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 189
durch die Follikel gelegten Schnitten, weil bei diesen die Zellen
quer geschnitten werden. Bei sorgfältiger Durchmusterung guter
Schnittserien muss aber jede Täuschung bald schwinden. Leicht
kann eine solche dagegen bestehen bleiben bei der von PREUSSE
namentlich für ältere Eifächer beliebten Methode des Abpinselns von
Epithelstücken. Denn bei solchen auf dem Objektträger ausgebrei-
teten Epithelstücken kann es nur zu leicht vorkommen, dass unter
dem Mikroskop ein Kern den andern verdeckt. So habe ich denn
auch auf nach der Preusse’schen Methode angefertigten Präparaten
stets mehrere scheinbar einkernige Zellen gesehen. Ich glaube da-
her, dass die einkernigen Zellen, welche Preuss£ abbildet, durchaus
auf so entstandenen Täuschungen beruhen. DE BruYNE scheint mit
mir die Ansicht zu theilen, dass in älteren Follikeln nur zweikernige
Zellen vorhanden sind; jedenfalls spricht er nirgends von einkernigen.
Ich habe daher allen Grund anzunehmen, dass das geschilderte Ver-
halten auch für Nepa und Notonecta und die anderen von PREUSSE
beschriebenen Arten zutrifft. Eine eigenthümliche Ausnahme muss
ich dagegen noch erwähnen. In einer Eiröhre von Asopus bidens
fand ich zwei vierkernige Zellen und eine dreikernige (Figg. 65 und
64). Bei letzterer war der eine Kern, der an Größe ungefähr den
anderen beiden zusammen gleich kam, seinerseits wieder in Theilung
begriffen. Die Zelle befand sich also in einem Stadium, das zu
einem solchen mit vier Kernen hinüberleitet. Ähnliche Fälle, dass
sich nämlich einer oder beide Kerne einer Zelle noch einmal thei-
len, hat auch pE BruyneE bei Nepa beobachtet, aber ebenfalls nur
sehr selten. Die drei mehrkernigen Zellen lagen in Follikeln, welche
sonst keine Amitosen mehr enthielten. Desswegen, und weil sie alle
drei einer und derselben Eiröhre angehörten, halte ich sie für ab-
norme Erscheinungen.
Im Verlauf der Entwicklung des Eies bis zur Ausstoßung des-
selben machen die Kerne des Follikelepithels interessante Verände-
rungen durch. Vor allen Dingen nehmen sie rasch an Größe zu.
Auch die zugehörigen Zellen wachsen beträchtlich. Daher sieht man
bei älteren Follikeln auch auf Tangentialschnitten die Kerne stets in
einem größeren Zellterritorium liegen (Figg. 56, 58, 61). Das Kern-
plasma, das in jungen Follikeln sehr fein und dicht granulirt er-
schien, wird homogener und nimmt an Tinktionsfähigkeit zu. Das
Chromatin liegt regellos in größeren und kleineren manmnigfaltig
gestalteten Brocken im Kern zerstreut. Ein deutlicher Nucleolus
bleibt nur bei den Pentatoma-Arten und bei Asopus bidens erhalten.
13°
190 Julius Groß,
Gegen das Ende der Entwicklung des Follikels tritt in den Kernen
zuweilen wieder eine dichte, sehr grobe Granulirung auf. Die inter-
essantesten Umwandlungen beziehen sich aber auf die Gestalt und
gegenseitige Lage der Kerne. Die Kerne stellen sich bald alle so
ein, dass ihre Längsachse senkrecht zur Follikelwand steht. Wäh-
rend sie Anfangs dicht an einander gepresst lagen und eine ziemlich
ebene Berührungsfläche zeigten, rücken sie während des starken
Wachsthums der Zelle etwas aus einander. Und zwar entfernen sie
sich besonders in der Mitte von einander, während sie an den Enden
einander genähert bleiben. Dadurch resultirt ein in der Mitte breiter,
nach den Enden spitz zulaufender Zwischenraum zwischen den beiden
Kernen einer Zelle, wie dieses bereits von PREUSSE und KORSCHELT
(158) genau beschrieben worden ist. Die Kerne nehmen dabei eine
sehr charakteristische Gestalt an. Auf Schnitten erscheinen sie, wie
PrEuSssE sehr treffend bemerkt, als zwei Halbmonde, die einander
ihre Hörner zukehren. Besonders instruktiv zeigen dieses Verhalten
die Figg. 55 und 61. Wenn man diese Kerne aus einer Schnittserie
konstruiren wollte, so würden sie schüsselförmig erscheinen, oder
man würde, wie KoRscHELT (18) sagt, zwei etwas ausgehöhlte
Kugelabschnitte erhalten. Der Zwischenraum zwischen zwei Ker-
nen ist von einem besonders dunklen Plasma erfüllt. Ein Hof von
solchem veränderten Plasma umgiebt auch häufig die Kerne von
außen; oder die dunklere Zellsubstanz setzt sich an den spitzen Enden
des Zwischenraumes in die Umgebung der Kerne fort. Besonders
stark sind die dunklen Höfe bei Alydus calcaratus (Figg. 61 und 62)
ausgebildet. Hier erreichen sie nach der Außenwand und nach den
Seitenwänden der Zelle die Zellgrenzen. Auf Tangentialschnitten
(Fig. 61) erhält man daher bei oberflächlicher Betrachtung den Ein-
druck, als ob die einzelnen Zellen durch Brücken von dunklerem
Protoplasma in Verbindung ständen. Doch bleiben die Zellmembranen
immer deutlich erhalten. Die veränderte Beschaffenheit des Zellplas-
mas zwischen den Kernen und in der Umgebung derselben ist wohl
mit Sicherheit als ein Produkt der physiologischen Thätigkeit der
Kerne selbst zu betrachten. Dafür spricht noch besonders der Um-
stand, dass die Kerne an ihren einander zugekehrten Wänden eine
ziemlich unregelmäßige Begrenzung zeigen. Diese Ausbuchtungen
der Kerne gegen den dunklen Zwischenraum halte ich für pseudo-
podienähnliche Fortsätze, die in der lebenden Zelle wohl viel be-
deutender ausgebildet sein dürften, als am fixirten Material. Sehr
starke pseudopodienähnliche Fortsätze bilden bekanntlich die Kor-
Untersuchungen iber das Ovarium der Hemipteren etc. 91
SCHELT’schen sogenannten Doppelzellen von Nepa und Ranatra. Nun
sind diese ja aber nichts Anderes als besonders riesig entwickelte
Follikelzellen. Und auch an den Kernen des Follikelepithels selbst
hat BrAnDT (3) bei verschiedenen Insekten an lebendem Material
eine starke amöboide Beweglichkeit wahrnehmen können. Eben so
wie KORSCHELT (19), bin auch ich der Ansicht, dass die Kerne eine
besondere Bedeutung für die sekretorische Funktion der Zelle haben.
Dabei bleibt es allerdings noch fraglich, ob die Kerne selbst die
Substanzen secerniren, welche die Zelle an das reifende Ei abgiebt,
oder ob durch ihre Thätigkeit nur eine Veränderung des Zellplasmas
bewirkt wird, die dieses in den Stand setzt, Dotter und Chitin zu
produeiren. Es zeigt sich also auch hier der innige Zusammenhang
zwischen sekretorischer Funktion einer Zelle und Amitose ihres Ker-
nes, wie ihn ZIEGLER in seiner Arbeit ȟber die Entstehung des
Blutes bei Knochenfischembryonen (48)« bespricht. Die Bedeutung
der Amitose liegt hier offenbar in der Vergrößerung der Kontakt-
fläche zwischen Zellplasma und Kern, welche Ansicht ebenfalls be-
reits von KorscHErrt (19) ausgesprochen und durch zahlreiche Bei-
spiele belegt worden ist.
Nicht bei allen von mir untersuchten Arten zeigen die Kerne des
Follikelepithels die beschriebene charakteristische Gestalt und gegen-
seitige Lage. Bei Pyrrhocoris apterus und Corizus hyoseyami (Figg. 65
und 66) bleiben die Kerne vielmehr ganz nahe bei einander liegen,
oder zeigen höchstens ganz kleine Zwischenräume. Dabei behalten
die Kerne zeitlebens eine mehr rundliche Gestalt. Auch ist ihre Stel-
lung gegen die Follikelwand keine so regelmäßige, wie bei den oben
besprochenen Arten. Häufig sieht man die beiden Kerne einer Zelle
auch hinter einander liegen. Dunkle Höfe um die Kerne treten zu-
weilen auf, sind aber immer nur wenig stärker tingirt, als das übrige
Zellplasma. Wie im zweiten Theile dieser Arbeit berichtet wurde,
geschieht die Bildung des Chorions bei Pyrrhocoris apterus in völlig
anderer Weise, als bei den übrigen Wanzen. Sollte das vielleicht in
Zusammenhang stehen mit dem von den anderen Arten abweichenden
Verhalten der Kerne? Von Corizus hyoseyami stand mir leider kein
Exemplar mit begonnener Chorionbildung zur Verfügung. Wenn die
Bildung des Chorions vollendet ist, verlieren die Kerne wieder ihre
eigenthümliche Gestalt und Lage. Die dunklen Höfe verschwinden,
die Kerne rücken weiter aus einander und runden sich ab, wobei sie
zuweilen eine ganz bedeutende Volumverminderung erleiden. Sie
haben eben ihre Mission erfüllt und gehen siehtlieh ihrem Untergang
192 Julius Groß,
entgegen. Fig. 68 zeigt sehr anschaulich das Verhalten der Kerne
in solch einem alten Epithel. Im leeren Follikel endlich sind die
Kerne bald rundlich, bald lang gestreckt, sie liegen bald nahe an
einander, bald ziemlich weit entfernt. Diese Verschiedenheit in der
Gestalt, wie in der Lage, wird bedingt durch die sehr verschie-
denen Druckverhältnisse in den verschiedenen Gegenden des zusam-
mengedrückten und gefalteten Follikels. Schon in eben erst ent-
leerten Follikeln machen sich Degenerationserscheinungen bemerkbar
(Figg. 69 und 0). In den Zellen treten Vacuolen und Fetttropfen
auf, das Kernplasma färbt sich ganz dunkel; dann schwinden all-
mählich die Zellgrenzen, bis schließlich in einer vollkommen degene-
virten Grundmasse nur noch die Überreste einiger Kerne durch ihre
dunkle Farbe erkennbar sind. Dass in leeren Follikeln sieh noch
Amitosen abspielen, wie Preusse angiebt, halte ich für gänzlich
ausgeschlossen. Auch DE BRUYNE hat nie etwas Derartiges gesehen.
Was nun die Frage anbetrifft, ob im Follikelepithel die Ami-
tose Zelltheilungen nach sich ziehe, so befinde ich mich auch
hier wieder in vollster Übereinstimmung mit DE BruysE und in
schärfstem Gegensatz zu PREUSSE. Für das Follikelepithel muss ich
die aufgeworfene Frage sogar ganz strikt verneinen, während ich
für die Endkammer die Mögliehkeit offen ließ, dass in ganz seltenen
Fällen vielleicht auch einmal der Amitose eine Zelltheilung folge.
Prevusse führt für seine Ansicht einige Gründe an, deren Beweis-
kraft mir nicht eben groß erscheint. So hat PreussE in älteren Fol-
likeln häufig einkernige Zellen beobachtet. Da aber PrEussE von
älteren Eifächern keine Schnittserien anfertigte, sondern sich auf die
Untersuchung abgepinselter Epithelstücke beschränkte, so ist er zwei-
fellos oft in die oben erwähnte Täuschung verfallen. Ferner ist es
ja vielleicht auch möglich, dass abnormer Weise einmal in einer
Zelle die Amitose des Kernes unterblieben ist, und die Zelle so bloß
einen Kern enthielt. Für sehr wahrscheinlich halte ich dieses aller-
dings nicht. Als wichtigstes Argument giebt PrEUSSE ferner an, dass
er öfter Einschnürungen an den Zellmembranen beobachtete. In eini-
sen Fällen sollen diese so weit gegangen sein, dass eine biskuit-
oder hantelförmige Gestalt der Zelle resultirte. Preusse’s Abbildungen
soleher Fälle sehen allerdings ganz so aus, als ob die betreffenden
Zellen im Begriffe seien sich durchzuschnüren. Dennoch bin ich der
Meinung, dass es sich hier gar nicht um eine Zelle, sondern jedes
Mal um zwei handelt, und Preusse nur die trennende Zellmembran
übersehen hat. Dafür spricht noch, dass in beiden Figuren PREUSSE’s
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 193
(34, Fisg. 52 u. 18) die eingeschnürte Zelle drei Kerne enthält, auf der
einen Seite der Einschnürungen zwei in typischer Gestalt und Lage,
auf der anderen Seite einen. Jedenfalls aber haben DE BRUYNE und ich
bei Anwendung der viel sichereren Schnittmethode niemals ähnliche
Bilder erhalten. In der Zusammenfassung seiner Resultate spricht
PreuSsE noch folgende Sätze aus: »Ein schlagender Beweis für
die reiche Vermehrung der Zellen würde durch genaue
Vergleichung der Zahl der Epithelzellen in jüngeren und
älteren Eifollikeln zu geben sein. Meine Absicht, derartige
Zählungen anzustellen, wurde leider dadurch verhindert,
dass ich genöthigt war, meine Untersuchungen abzu-
schließen. Immerhin kann ich nach meinen Beobachtungen
mit Sicherheit annehmen, dass zwischen den letzten Eifä-
chern, in denen Mitosen reichlicher vorkommen und zwi-
schen den Endfollikeln der Eiröhre ein erheblicher Zahlen-
unterschied der Epithelzellen zu Gunsten der älteren Fol-
likel besteht.« Obgleich ich nun schon durch den ganzen Verlauf
meiner Untersuchung die sichere Überzeugung gewonnen hatte, dass
Zelltheilungen im Follikelepithel niemals vorkommen, führte ich doch,
um nichts unversucht zu lassen, die von PrEUSSE verlangten Zäh-
lungen bei einer Anzahl von Eiröhren aus. Ich wählte zu diesem
Zweck Serien aus, deren Schnittrichtung möglichst genau senkrecht
zur Querachse der Eifollikel stand. Aus solchen Serien suchte ich
für die Zählung jedes Mal wieder einen Schnitt aus, der möglichst
central durch die einzelnen Eifächer gelegt war, so dass alle Follikel
gleichmäßig in einem größten Umkreis geschnitten waren. Meine auf
solchen Schnitten an verschieden alten Follikeln je einer Eiröhre
ausgeführten Zählungen ergaben mir folgende, auf der umstehenden
Tabelle verzeichnete Resultate.
Wie man sieht, zeigen sich keineswegs so bedeutende Zahlen-
unterschiede zwischen den Zellen älterer und jüngerer Follikel, wie
PREUSSE sie erwartete. Selbst der extremste Fall einer Eiröhre von
Alydus calcaratus, wo der ältere Follikel ein Plus von 15 Zellen
gegenüber dem jüngeren aufweist, spricht keineswegs für eine Ver-
mehrung der Zellen durch Theilung. Denn auch hier ist die genannte
Differenz so gering, im Vergleich zu der großen Zahl von Zellen, die
in einem Umkreis des Follikels liegen, dass sie sehr wohl auf Rech-
nung irgend welcher Zufälliskeiten geschrieben werden kann. Da
die Kerne aller Zellen sich amitotisch theilen, so müsste man eine
Verdoppelung der Zahl der Zellen erwarten, wenu der Amitose wirk-
194 Julius Groß,
Zahl der Zellen in einem größten Umkreise des Eies.
Bereits mit Chorion
versehenes Ei
|
Ganz junges E
Älteres Ei
Syromastes marginatus \ 76 Zellen “6 Zellen
- - [er ur % -
Pentatoma nigricorne Im 955 NE IUUERZ 99 Zellen
- - 1 2 110 7
= - 1057 = 108 -
Pentatoma dissimile 0 IehE, 2
- - ON 12er
- - 120 - 125 -
Asopus bidens 107 - 110:
- - 1 In ET = dar
Alydus calearatus Sr | 1 en
2 - I ra 14 - Übee
- - ea SD) 3 Sa
lich eine Zelltheilung folgen würde. So wird der von PREUSSE
aus den Zählungen erwartete schlagende Beweis für seine
Behauptungen vielmehr zu einer Stütze der von DE BRUYNE
und mir vertretenen Auffassung. |
Bei meiner bisherigen Darstellung ist eine Gruppe von Zellen
sanz außer Acht gelassen worden, nämlich die am hinteren Ende
eines jeden Eies gelegene Partie von kleinen, bindegewebsartigen
Zellen (Figg. 7, 8 und 9). Auch bei diesen tritt jedenfalls regel-
mäßig Amitose auf. Denn so weit sich Zellgrenzen überhaupt sicher
nachweisen lassen, liegen auch hier immer zwei Kerne in einer
Zelle. Ob hier Zelltheilung der Amitose folgt, lässt sich direkt sehr
schwer entscheiden. Denn die Zellen liegen dicht gedrängt und
zwischen einander eingeschoben, und Zellgrenzen sind, zumal in
älteren Eifächern kaum mit Sicherheit zu erkennen. Dagegen lässt
sich aus der Lage der Kerne meist gut erkennen, dass auch hier
gewöhnlich zwei Kerne zu einer Zelle gehören. Ich halte mich da-
her für berechtigt, meine am Epithel der Follikel gewonnenen Resul-
tate auch für diese Zellgruppen zu verallgemeinern. Wenigstens liegt
zu einer anderen Auffassung gar kein Grund vor. Allerdings tragen
diese Zellen einen wesentlich anderen Charakter, wie die großen
Epithelzellen des Follikels.. Eine sekretorische Funktion kommt
ihnen wahrscheinlich nicht zu. Doch haben sie ja dieselbe Abkunft
wie die Epithelzellen. Beide Arten von Zellen differenziren sich aus
demselben Muttergewebe, den kleinen Zellen des Keimlagers. Da
nun ‚für den größeren Theil der im Keimlager gelegenen Zellen,
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 195
welche später einer intensiven, sekretorischen Funktion vorstehen,
die Amitose offenbar von größter Bedeutung ist, so ist es wohl nicht
unwahrscheinlich, dass die Tendenz zur direkten Theilung allen Zellen
des Keimlagers innewohnt und sich auch bei denjenigen geltend
macht, für welche der eigentliche Grund derselben, die intensive
sekretorische Funktion, fortgefallen ist.
Bemerken möchte ich noch, dass ich, eben so wenig wie PREUSSE,
irgend welche Übergänge von der Amitose zur Mitose gefunden habe.
Die Amitose im Ovarium der Hemipteren ist also wohl nicht, wie in
manchen anderen Fällen, aus abnormen Mitosen hervorgegangen, son-
dern der Vorgang ist anderer Art und anderen Ursprungs.
In Bezug auf die Centrosomen haben meine Untersuchungen das-
selbe negative Resultat gehabt, wie die Preusse’sche Arbeit. Trotz
ausgezeichneter Konservirung und trotz der Anwendung der speciellen
Centrosomenfärbemittel habe ich nie mit Sicherheit Centrosomen oder
Sphären finden können.
Zusammenfassung und Schluss.
Wenn ich aus meinen Untersuchungen über die Amitose im
Ovarium der Hemipteren die Summe ziehe, erhalte ich folgende
Resultate, die in bester Übereinstimmung stehen mit den thatsäch-
lichen Befunden DE BruyneE’s und mit der von H. E. ZIEGLER und
voM RATH aufgestellten Theorie über die biologische Bedeutung der
Amitose der Metazoen!. Die Amitose in den Ovarien der
Hemipteren ist beschränkt auf zwei Theile dieses?!Organs,
auf die Nährzellen und das Follikelepithel. Der Amitose
kommt keinerlei regeneratorische Bedeutung zu. Ein Kern,
der sich einmal amitotisch getheilt hat, ist nicht mehr im
Stande, sich karyokinetisch zu theilen. Die Amitose der
Kerne ist niemals die Veranlassung zu einer nachfolgenden
Zelltheilung. Das Auftreten der Amitose bezeichnetimmer
das sofortige oder baldige Aufhören jeder Kerntheilung.
Hinweisen möchte ich noch auf den prineipiellen Unterschied,
) Die genannten Forscher haben ihre Theorie ausdrücklich auf die Meta-
zoen beschränkt. Die verschiedenen Arten der Kerntheilung, welehe bei Proto-
zoen beobachtet sind, konnten bisher noch nicht unter einen einheitlichen Ge-
sichtspunkt gebracht werden. Für die Metazoen dagegen kann die Mitose als der
typische Theilungsmodus gelten; die Amitose in Geweben von Metazoen darf
mit jener primitiven Amitose, wie sie bei Protozoen vorkommt. nicht zusammen-
gestellt werden.
196 Julius Groß.
den die beiden genannten Gewebe in Bezug auf die Kerntheilung
aufweisen, und der in der bisherigen Litteratur noch nicht genügend
berücksichtigt worden ist. Wie oben dargestellt, können sich die
Nährzellkerne auf sehr verschiedene Weise theilen, durch Aus-
bildung einer Kernplatte, durch Einschnürung von einer oder beiden
Seiten her, durch Kombination dieser beiden Theilungsmodi, endlich
durch Bildung von Lochkernen. Ferner zerfallen die Nährzellkerne
häufig in mehrere, verschieden große Theilstücke. Auch folgen zu-
weilen einige Amitosen auf einander, so dass mehrkernige Riesen-
zellen entstehen. Ganz anders verhalten sich die Zellen des Follikel-
epithels. Alle Kerne theilen sich auf fast ganz gleiche Weise.
Die Theilungen wiederholen sich, abgesehen von abnormen Fällen,
nicht. Sondern jede Zelle behält bis an das Ende ihrer Existenz
die zwei, durch die Amitose entstandenen, ungefähr gleich großen
Kerne. Ja die Kerne bleiben, so lange ihre eigentliche Funktion
dauert, in so engen Beziehungen zu einander, dass man sagen könnte,
sie bilden, obgleich morphologisch getrennt, eine phy-
siologische Einheit.
Eben so verschieden wie die Kerntheilungsverhältnisse ist auch
die physiologische Bedeutung der beiden Gewebe. Allerdings kommt
beiden die Aufgabe zu, Material für das wachsende Ei zu liefern;
aber dieses geschieht in wesentlich verschiedener Weise. Die Nähr-
zellen verfallen sammt ihren Kernen nach dem Auftreten der Amitose
bald einer völligen Auflösung, und ihr gesammtes Material wird für
die Bildung des Eies aufgebraucht. Wesentlich anders ist das Schick-
sal der Follikelzellen. Sie secerniren zuerst Dotter für das reifende
Ei und bilden später das Chorion und die Schleimhülle. Sie bleiben
dabei, mit Ausnahme von Pyrrhocoris apterus in ihrem Bestande er-
halten, bis die Eihüllen fertig sind und degeneriren erst, nachdem
das reife Ei den Follikel verlassen hat.
Die Kerntheilungsvorgänge der Nährzellen fallen unter den einen
Gesichtspunkt der Zıesuer’schen Theorie, dass nämlich Amitosen in
‚alten, abgenutzten Geweben« erscheinen und »folglich auch
da, wo Zellen nur eine vorübergehende Bedeutung haben«.
Für das Follikelepithel tritt dagegen ein anderer Fall ein, den ZIEGLER
folgendermaßen charakterisirt: » Amitose tritt hauptsächlich in
Zellen auf, die in Folge besonderer Specialisirung einem
ungewöhnlich intensiven Sekretions- oder Assimilations-
process vorstehen.«
Man könnte also, so weit das Ovarium der Hemipteren
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 197
in Frage kommt, sehr gut von zwei verschiedenen Arten
der direkten Kerntheilung sprechen, von einer degenera-
tiven und einer sekretorischen Amitose.
Es sei mir zum Schluss noch gestattet, meinen hochverehrten
Lehrern, Herrn Professor Ersst HAECKEL, in dessen Institut ich diese
Arbeit ausführen durfte und Herrn Professor H. E. ZIEGLER für die
Überlassung des Themas und für seine liebenswürdige Unterstützung
und vielseitige Anregung beim Ausführen meiner Untersuchungen,
auch an dieser Stelle meinen wärmsten Dank auszusprechen.
13.
Jena, Zoologisches Institut, März 1900.
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49. H. E. ZIEGLER, Die Entstehung des Periblastes bei den Knochenfischen
Anat. Anzeiger. 12. Bd. 1896. p. 365. Anm.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XIV—XVI
Außer der Fig. 1 sind alle Zeichnungen mit Hilfe der Camera lucida und bei
gleicher Höhe des Zeichentisches angefertigt worden.
Fig.1. Längsschnitt durch eine Eiröhre von Asopus bidens: ef, Endfaden;
a, kleinzellige Partie an der Spitze der Endkammer; d, Nährzellen; c, Keimlager ;
ek, Endkammer.
Fig. 2. Längsschnitt durch die Spitze der Eiröhre von Syromastes margi-
natus. Obj. D. Oc. 4.
Fig.3. Längsschnitt durch die Spitze der Eiröhre von Pentatoma nigri-
corne. Obj. D. Oc. 4.
Fig.4. Längsschnitt durch die Spitze der Eiröhre von Graphosoma nigro-
lineatum. Obj. D. Oec. 4.
Fig. 5. Längsschnitt durch die Spitze der Eiröhre von Harpactor subapterus.
Obj..D. Oe. 4.
Fig. 6. Längsschnitt durch den hinteren Theil der Endkammer einer Larve
von Pyrrhocoris apterus. Obj. D. Oe. 2.
Fig. 7. Scheidewand zwischen zwei jungen Eikammern von Syromastes
marginatus. Obj. D. Oe. 2.
Fig. 8. Scheidewand zwischen zwei älteren Eikammern von Syromastes
marginatus. Obj. D. Oe. 2.
200 Julius Groß,
Fig. 9. Scheidewand am Ende der Eiröhre von Syromastes marginatus.
Obj. D. 08.2.
Fig. 10. Längsschnitt durch das hintere Ende einer Eiröhre von Asopus
bidens. Obj. A. Oe. 4.
If, leerer Follikel eines eben ausgetretenen Eies; df, degenerirter Follikel
eines älteren Eies; s, Scheidewand des letzteren; es, Eischale; ex, Exochorion;
en, Endochorion; sh, Schleimhülle.
Fig. 11. Schnitt durch das in Bildung begriffene Chorion von Pentatoma
nigricorne. Obj. D. Oe. 4.
v, vorn; A, hinten; df, Deckelfalz.
Fig. 12. Schnitt durch das Follikelepithel und das in Bildung begriffene
Chorion von Asopus bidens. Obj. D. Oe. 2.
Buchstaben wie in Fig. 11.
Fig. 13. Schnitt durch die Eischale von Pentatoma dissimile. Obj. D. Oe. 4.
Buchstaben wie in Fig. 11.
Fig. 14. Schnitt durch Follikelepithel und in Bildung begriffenes Chorion
von Alydus cealcaratus. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 15. Schnitt durch die Schale eines im Oviduct befindlichen Eies von
Pentatoma dissimile. Obj. D. Oc. 4.
Fig. 16. Schnitt durch Follikelepithel und Eischale von Pentatoma bacca-
rum. Obj. D. Oec. 4.
Fig. 17. Schnitt durch die Eischale von Pentatoma nigricorne. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 15—19. Schnitte durch Follikelepithel von Pyrrhocoris apterus. Obj. D.
De. 4.
Fig. 20. Schnitt durch das Chorion von Pyrrhocoris apterus. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 21. Tangentialschnitt durch einen in Umwandlung begriffenen Follikel
von Pyrrhocoris apterus. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 22. Chorionanhang von Pentatoma baccarım. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 23. Chorionanhang von Pentatoma dissimile. Obj. D. Oc. 4.
Fig. 24. Chorionanhang von Pentatoma nigricorne. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 25. Chorionanhang von Pentatoma nigricorne. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 26. Chorionanhang von Asopus bidens. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 27—29. Schnitte durch Follikelepithel mit Becherbildungszellen von
Asopus bidens. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 30. Schnitt durch Follikelepithel mit fertigem Becher von Asopus bi-
dens. Obj. D. Oc. 4.
Fig. 31. Fertiger Becher mit Bildungszellen von Asopus bidens. Obj. D.
De. 4.
Fig. 32. Schnitt durch einen leeren Follikel mit anhängenden Becherbil-
dungszellen von Asopus bidens. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 35. Schnitt durch Follikelepithel mit Becherbildungszellen von Penta-
toma nigricorne... Obj. D. Oc. 4.
Fig. 34. Schnitt durch Follikelepithel mit Becherbildungszellen von Penta-
toma baccarum. Obj. D. Oc. 4.
Fig. 35. Schnitt durch Follikelepithel mit fertigem Becher und Bildungs-
zellen von Pentatoma baccarum. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 36. Partie aus einem Längsschnitt durch die Endkammer von Asopus
bidens. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 37. Querschnitt durch eine Endkammer von Syromastes marginatus.
0bj.D. 0822:
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren etc. 201
Fig. 38. Partie aus einem Längsschnitt durch die Endkammer von Penta-
toma dissimile. Obj. D. Oe. 2.
Fig. 39. Zellen aus der Endkammer von Syromastes marginatus. Obj. D. Oe.4.
Fig. 40. Zelle mit Lochkern aus der Endkammer von Pentatoma fuseipinum.
0. D.; Oc. 4.
Fig. 41. Zelle mit Lochkern aus der Endkammer von Asopus bidens. Obj. D.
Oe. 4.
Fig. 42—50. Zellen mit Lochkernen und durch solche bewirkte Theilungs-
stadien aus der Endkammer von Harpactor subapterus. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 51. Längsschnitt durch Follikelepithel von Syromastes marginatus.
Obj. D. Oe. 4.
Fig. 52. Längsschnitt durch Follikelepithel von Pentatoma dissimile. Obj. D
De. 4.
Fig. 53. Tangentialschnitt durch junges Follikelepithel von Pentatoma dis-
simile. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 54. Tangentialschnitt durch junges Follikelepithel von Syromastes
marginatus. Obj. D. Oc. 4.
Fig. 55. Tangentialschnitt durch junges Follikelepithel von Alydus cal-
earatus. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 56. Tangentialschnitt durch Follikelepithel von Pentatoma dissimile.
067-7 Oe. 4.
Fig. 57. Längsschnitt durch Follikelepithel von Pentatoma dissimile. Obj. D.
De. 4.
Fig. 55—59. Tangentialschnitte durch Follikelepithel von Syromastes mar-
ginatus. Obj. D. Oe. 4.
Fig.60. Längsschnitt durch Follikelepithel von Syromastes marginatus.
Obj. D. Oe. 4.
Fig. 61. Tangentialschnitt durch Follikelepithel von Alydus cealcaratus.
Obj. D. Oe. 4.
Fig. 62. Längsschnitt dureh Follikelepithel von Alydus calcaratus. Obj. D.
De. 4.
Fig. 65. Vierkernige Zelle aus dem Follikelepithel von Asopus bidens.
Obj. D. De. 4.
Fig. 64. Dreikernige Zelle aus dem Follikelepithel von Asopus bidens.
Ob. D2.0c. 4.
Fig. 65. Tangentialschnitt durch Follikelepithel von Pyrrhocoris apterus.
Obj. D. Oe. 4.
Fig. 66. Längsschnitt durch Follikelepithel von Pyrrhocoris apterus. Obj. D.
De. 4.
Fig. 67. Längsschnitt durch Follikelepithel von Corizus hyoseyami. Obj. D.
De. 4.
Fig. 65. Tangentialschnitt durch ganz altes Follikelepithel von Pentatoma
dissimile. Obj. D. Oe. 4.
Fig. 69. Längsschnitt durch einen leeren Follikel von Pentatoma nigricorne.
Obj. D. Oe. 4.
Fig. “0. 'Tangentialschnitt durch einen leeren Follikel von Alydus calcaratus.
Fig. 71—73. Schnitte durch das Chorion von Asopus bidens mit großen
Poren.
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationserscheinungen
bei den Ophiuren.
Von
0. Dawydoff.
(Aus dem zootomischen Kabinet der kaiserl. Universität St. Petersburg.)
Mit Tafel XVII—XVII und 3 Figuren im Text.
Im Februar 1899 stellte die physiko-mathematische Fakultät der
kais. Universität St. Petersburg zur Erlangung der Medaille das Thema
»die Regenerationserscheinungen bei einem der Vertreter der Bila-
teralia zu untersuchen<. Herr Professor WL. SCHEWIAKOFF, in dessen
Laboratorium ich arbeite, schlug mir vor, mich mit dieser Frage zu
beschäftigen, und rieth mir speciell zu dem Studium einer kleinen
lebendiggebärenden Ophiure (Amphiura spec.?). Das nöthige Unter-
suchungsmaterial erhielt ich Dank dem liebenswürdigen Entgegen-
kommen von Herrn Prof. SCHEWIAKOFF selbst im Winter, und auch
die von Herın Akademiker Prof. A. KowALEvsky schon im Frühjahr
1898 aus Sebastopol mitgebrachten Ophiuren gediehen ausgezeichnet
und regenerirten in den Aquarien unseres Laboratoriums. Im Früh-
jahr 1899 begab ich mich im Auftrage der St. Petersburger Natur-
forschergesellschaft an die biologische Station zu Sebastopol, wo ich
meine Studien in entsprechender Richtung fortsetzte. Nach meiner
Rückkehr nach St. Petersburg erhielt ich von Neapel eine große
Anzahl von Exemplaren einer der Schwarzmeerform Amphiura spec. ?
nahestehenden Art, Amphiura sguamata Delle Chiaje, welche ich der
großen Zuvorkommenheit meines hochverehrten Lehrers, Herrn Prof.
SCHEWIAKOFF, verdanke, in dessen Laboratorium vorliegende Arbeit
auch zu Stande kam.
Bei meinen Untersuchungen bediente ich mich einfacher Me-
thoden. Die besten Resultate bei der Fixirung der Objekte erzielte
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 203
ich mit folgenden Flüssigkeiten: Mischung von Sublimat und Kupfer-
vitriol, Lang’sche Mischung (Sublimat), Pikrinessigsäure (nach BOvERI),
ferner Osmiummischungen, FLEMMInG’sche und HERMANN’sche Lösung
(mit nachfolgender Safraninfärbung). Die Perenyrsche Flüssigkeit,
welche von verschiedenen Autoren [(MıcHer) ganz besonders für die
Untersuchung der Regeneration bei Anneliden empfohlen wird, erwies
sich als für Ophiuren wenig geeignet wegen zu energischer Wir-
kung der darin enthaltenen Salpetersäure auf das Kalkskelett der
Arme. Die äußerst lebhafte Zersetzung des Kalks bewirkt eine
Deformation der Gewebe.
Das beste Mittel zum Entkalken der Arme ist eine I—6/,ige
Lösung von Essigsäure. Schwächere Lösungen wirken überaus lang-
sam, ohne dass dabei ein besonderer Nutzen für die Erhaltung der
Gewebe zu bemerken wäre. Ausgezeichnete Resultate erhält man bei
der Anwendung von Pikrinsäure. Zur Färbung der Schnitte (5—8 u)
benutzte ich Boraxkarmin, Carmalaun nach P. Mayer, oder Hämatoxylin
nach DELAFIELD mit nachfolgender Färbung mit Aurantium oder Pikrin.
Außer den obengenannten, die Hauptmasse meines Untersuchungs-
materials bildenden Formen, standen mir zur Vergleichung einzelne
sroße Ophiopholis longicauda (vom Murman) und Ophioglypha nodosa
(aus dem Weißen Meere) zur Verfügung.
Bevor ich zur Mittheilung der von mir erzielten Resultate über-
&ehe, möchte ich auch an dieser Stelle sowohl Herrn Prof. SCHEWIA-
KOFF, welcher in erster Linie meine Arbeiten leitete, als auch den
Professoren Akademiker A. KOWALEVSKY und Wr. SCHIMKEWITSCH,
welche mich durch ihren Rath unterstützten — meinen aufrichtigen
Dank aussprechen.
Historische Übersicht.
Unter allen Thieren, welche das Vermögen besitzen, verlorene
Theile ihres Körpers zu regeneriren, nehmen die Echinodermen in
dieser Hinsicht unzweifelhaft den ersten Platz ein. Formen, wie
Asterias tenuispinus, Linchra multifora, Ophiactis virens werden
in jedem Lehrbuche der Zoologie als klassische Beispiele für die
Regenerationsfähigkeit angeführt.
Die Arbeiten von HAECKEL, KOWALEVSKY, SIMROTH, den beiden
SARASIN, LÜTKEN u. A. m. lieferten ein reiches, auf Thatsachen be-
gründetes Material zur Erkenntnis der äußerlichen Erscheinungen bei
der Regeneration, und zwar sowohl bei dem Ersatz zufällig verloren
gegangener Organe als auch in denjenigen Fällen, wenn das Thier zu
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bad. 14
204 | C. Dawydoff,
Fortpflanzungszwecken eine Amputation ausführt (Schizogonie). Die
Arbeit SIMROTH's erregte in dieser Hinsicht großes Aufsehen in
wissenschaftlichen Kreisen. Durch eine Reihe von Untersuchungen
wurde darin festgestellt, dass bei den Asteroidea nicht nur die Scheibe
im Stande ist, abgetrennte Arme wieder von Neuem zu ersetzen
(Asteridae und Ophiuridae), sondern dass auch ein jeder abgeworfene
Arm im Stande ist ein vollständiges Individuum zu regeneriren
(»Kometenformen« HAEckEr’s). Endlich wurde von den beiden SARASIN
ein Fall beschrieben, wo das Thier (Zinckta) am Ende eines ver-
letzten Armes ein neues Individuum regenerirte. Ein noch frappan-
teres Beispiel der Regenerationsfähigkeit bieten die Holothurien
(besonders die Aspidochirotae). Abgesehen davon, dass bei einigen
Cucumaria- Arten eine fehlende Körperhälfte wieder ersetzt werden
kann, giebt es bekanntlich Formen, welche, wenn sie gereizt werden,
den Darm und die Wasserlungen ausstülpen und abwerfen, um sie
hierauf von Neuem zu regeneriren.
In neuester Zeit ist von SLUITER (98) eine ähnliche Erscheinung
bei einer Ophiure (Ophioenıda echinata) beschrieben worden, doch
verlangen alle diese Fälle noch eine eingehendere Untersuchung.
Wir ersehen aus dem oben Angeführten, dass die Regenerations-
erscheinungen der Echinodermen in faktischer Hinsicht eingehend
senug bearbeitet worden sind. Was jedoch die histologischen Vor-
sänge bei diesen Processen betrifft, so muss man zugeben, dass in
dieser Beziehung die Bearbeitung der Frage noch viel zu wünschen
übrig lässt.
In gegenwärtiger Zeit spielt die Frage über die Regeneration
eine bedeutende Rolle in der Litteratur, da sie in morphologischer
Hinsicht unbedingt viel Interesse bietet. Während wir aber über
die Anneliden z. B. bereits eine verhältnismäßig große Litteratur
besitzen, wurden die Echinodermen bis zur letzten Zeit ganz unbe-
rücksichtigt gelassen. Die zuletzt erschienenen Arbeiten (SLUITER
und HELEN Dean Kıng, 1898) behandeln nur die äußeren Erschei-
nungen der Regeneration vom experimentellen Standpunkte aus. Nur
die Arbeiten von PERRIER (75), und namentlich diejenige von SIMROTH
(77) berühren auch die inneren Vorgänge bei der Regenerations-
erscheinung, und müssen daher an dieser Stelle eingehender be-
sprochen werden. Ein guter Theil der Arbeit E. PERRIER’s ist dem
Regenerationsprocess der Arme bei Comatula gewidmet. Obgleich die
sanze Untersuchung ausschließlich auf Beobachtungen intra vitam —
mit Ausschluss der Schnittmethode — beruht, so sind seine Angaben,
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 205
trotz all’ ihrer Unvollständigkeit dennoch ziemlich genau. Nach
PERRIER’s Beobachtungen giebt der Ambulacralkanal nach der Am-
putation durch Knospung einem neuen Kanal den Ursprung, und
eben so entsteht die Cölomhöhlung in der Anlage des neuen Armes
durch Wuchern der alten Cölomhöhle. Der Autor spricht die Ansicht
aus, das hervorragendste Regenerationsvermögen (puissance regene-
ratrice) käme eben dem Ambulacralkanal zu, als einem Organ, welches
die Bildung der ersten Knospenanlage bedingt und der Weiterent-
wicklung der letzteren den ersten Impuls verleiht. Außerdem schreibt
PERRIER dem Ambulacralkanal auch in rein physiologischer Hinsicht
eine große Bedeutung bei der Regeneration zu. »Le canal tentacu-
laire«, schreibt PERRIER, »est bien la partie essentiellement nutritive
du bras, puisque c’est lui qui repousse en premier lieu, et que c'est
autour de lui que se forment les nouveaux tissus« (p. 74).
Ähnliche Ansichten spricht auch CHRISTO APOSTOLIDES in seiner
die Regeneration der Ophiuren nur im Vorübergehen streifenden Ar-
beit (1882) aus. Die erste eingehende, das Thema mit einer für die
damalige Zeit auffallenden Vollständigkeit behandelnde Arbeit, ist
diejenige von SIMROTH. In seinen bekannten Untersuchungen über
die Schizogonie bei Ophractis virens beschreibt SIMROTH ausführlich
den Regenerationsprocess amputirter Theile der Körperscheibe und
der Arme, wobei er sogar die Einzelheiten der Histogenese der Ge-
webe (Nervensystem, Muskeln etc.) berührt. Die größte Bedeutung
bei der Regeneration kommt nach SımkorH der aus den amputirten
Theilen des Thierkörpers fließenden Lymphflüssigkeit zu. »Die ge-
ronnenen Lymphzellen,<« sagt er, »enthalten Kerne, vermehren sich und
stellen das gesammte Material vor, aus dem die neue Körperhälfte
geformt wird« (p. 520). Auch Ambulaeralkanal und Cölom entstehen
nach SIMROTH durch Wuchern der betreffenden alten Organe. Trotz
aller ihrer Verdienste erschöpft die genannte Arbeit das Thema noch
lange nicht. Seit dem Erscheinen der Sımrorn’schen Arbeit hat die
Embryologie solche Fortschritte gemacht und es haben sich eine
solche Menge neuer Fragen in den Vordergrund gedrängt, dass die
Anschauungen des Autors dem gegenwärtigen Stand der Frage über
die Regenerationserscheinungen nicht mehr entsprechen.
In gegenwärtiger Zeit wird bei der Untersuchung von Regene-
rationsprocessen die Anforderung gestellt, die Beziehung der embryo-
nalen Keimblätter zu diesen Processen festzustellen, und es müssen
zu diesem Zwecke die Regenerationserscheinungen mit der embryo-
nalen Entwicklung der betreffenden Form verglichen werden, was
14*
206 C. Dawydoft,
zu der Zeit, als SIMROTH’S und PERRIER’S Untersuchungen entstanden,
noch nicht möglich war.
Biologische Angaben.
Wie bei der Mehrzahl aller Ophiuren überhaupt, regeneriren auch
bei der intra vitam beobachteten Amphiura die Arme allein. Ein
abgeschnittener Arm regenerirt immer, wo der Schnitt auch geführt
sein mag, sei es nun am Ende des Armes oder an dessen Basis. Eine
Scheibe, deren fünf Arme an ihrer Basis amputirt wurden, geht in
den meisten Fällen zu Grunde, obgleich Ausnahmen nicht ausgeschlos-
sen sind. Bleibt dagegen auch nur ein einziger nicht amputirter
Arm an der Scheibe, so ist die Regeneration der übrigen Arme
sichergestellt. Dabei spielt zweifelsohne das Vermögen des Thieres,
noch Bewegungen auszuführen, eine gewisse Rolle.
Obgleich die Regeneration hier mit so großer Leichtigkeit vor
sich geht, so bleibt sie doch an Intensität weit hinter Dem zurück,
was bei Würmern (z. B. bei Oligochäten) beobachtet wurde.
Die erste Anlage des neuen Armes zeigt sich vier bis fünf Tage
nach der Amputation (bisweilen auch später). Ein vollständiges Ver-
schwinden aller Spuren der Regeneration, ganz abgesehen von der
Verschiedenheit in der Färbung, konnte ich nicht einmal bei Indivi-
duen beobachten, welche gegen acht Wochen in meinem Aquarium
gelebt hatten. Ein verhältnismäßig hoher Procentsatz von Ophiuren
mit amputirten Armen geht bei auch durchaus sorgfältiger Pflege
bald nach der Amputation zu Grunde, indem die Thiere bei leben-
digem Leibe von Massen von Infusorien (Zuplotes u. A. m.) gefressen
werden.
Ich habe bereits erwähnt, dass bei Amphiura die Arme allein
regeneriren. Wird gleichzeitig mit dem Arme ein wenn auch nur
kleines Stück: der Scheibe selbst mit herausgeschnitten, so geht das
Thier zu Grunde, obgleich es bisweilen noch ziemlich lange am Leben
bleibt; dies ist auch der Fall, wenn die Scheibe der Ophiure mitten-
durch geschnitten wird, wobei dann beide Hälften des Thieres noch
während zwei bis drei Tagen fortfahren zu leben und herumzukrie-
chen. In dem abgeschnittenen Armstückchen dauert die Lebenskraft
sehr häufig nicht nur mehrere Stunden, sondern selbst mehrere Tage
an. Das Armstückchen krümmt sich krampfhaft, streckt die Am-
bulacralfüßchen aus, um sie darauf wieder einzuziehen, kurzum es
legt alle Zeichen des Lebens an den Tag. Selbst dann, wenn der
abgeschnittene Arm bewegungslos geworden ist, wohnt ihm noch eine
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 207
Zeit lang eine gewisse Empfindlichkeit inne, indem er durch Krüm-
mungen auf Reize reagitt.
Unsere Amphrura erscheint als ein zum Studium des Phänomens
der Autotomie recht wenig geeignetes Objekt. Diejenigen Beobach-
tungen, welche ich anstellen konnte, bestätigen eine der von mir
früher schon! ausgesprochenen Schlussfolgerungen, und zwar, dass
bei der Autotomie die geringe Dauerhaftigkeit der Gewebe keine un-
bedeutende Rolle spielt.
Die Ophiuren des Schwarzen Meeres zeigen zweifellos eine ge-
ringere Empfindlichkeit gegen Reizungen, als dies für die Deesterne
des Golfes von Neapel beschrieben wurde (PrREvEr, 9).
Degeneration und Zuwachsen der Wunde. Regeneration des
Ambulacralkanals. Bildung des Mesoderms.
Sofort nach erfolgter Amputation gehen in dem betreffenden Arm-
stumpfe die komplieirten Processe des Verheilens der Wunde, der
Degeneration der verletzten Organ- und Gewebstheile u. A. m. vor
sich, welche die Vorläufer der Regeneration im engeren Sinne sind,
d. h. der Bildung jener kleinen Knospe, die später anwächst und,
indem sie sich differenzirt, zu einem neuen Arme wird. Diese Vor-
gsänge sind außerordentlich verwickelt, und es sind zu ihrer Auf-
klärung ganz specielle Untersuchungen erforderlich, da sie unbedingt
mehr Aufmerksamkeit verdienen, als ihnen von den Forschern bisher
geschenkt wurde. Ich selbst habe mich mit diesen Processen nur
ganz allgemein bekannt machen können, aber auch diese Erfahrungen
genügen, um sich davon zu überzeugen, dass es unmöglich ist, diese
Vorgänge in irgend ein Schema unterzubringen. Der Process des
Zuheilens der Wunde z. B. verläuft so verschiedenartig, dass fast
ein jedes Thier individuelle Abweichungen von dem Schema aufweist,
an welches ich mich bei ‚der Beschreibung der in Rede stehenden
Vorgänge bequemlichkeitshalber halten muss. Dieses Verhalten ist
jedoch leicht verständlich, wenn man in Betracht zieht, wie ver-
schieden der Charakter der Verwundung bei der Amputation und
vieler innig damit zusammenhängender Umstände ist. Bei verschieden-
artigen Bedingungen sind auch die Processe, welche daraus entstehen,
verschiedenartige.
So weit ich beobachten konnte, geht das Zuheilen der Wunde im
1-C. DAwyYDorr, Zur Frage über die Autotomie der Eidechsen. 'Trav. Soe.
Natur. St. Petersbourg. Compt. Red. 1898. Vol. XXIX.
208 C. Dawydoft,
Allgemeinen auf folgende Weise vor sich: die bei der Amputation
verletzten Gewebe deformiren sich im Gebiete der Wundfläche und
die ganze Oberfläche der Wunde bedeckt sich mit in Degeneration
befindlichen Partikelehen von Muskeln, Nerven, Bimndegewebszellen etc
Die Degeneration dringt weiter in das Innere des Armes vor, während
sich gleichzeitig und unabhängig davon die Wundfläche mit einer
ziemlich dieken, homogenen, strukturlosen Masse bedeckt, welche die
Amputationsfläche in Gestalt eines Häntehens umhüllt. Es gelang
mir nicht, trotz Anwendung der verschiedensten Färbemethoden, in
diesem Häutchen einen zelligen Bau nachzuweisen, und ich muss
daher voraussetzen, dass dasselbe nichts Anderes darstellt als ein
Produkt der in dem Arme eirkulirenden Flüssigkeiten (Ambulacral-
system, Leibeshöhle), welche nach außen treten, gerinnen und sich
verdichten. PERRIER (1) sprieht a priori die gleiche Ansicht bezüglich
des Wesens des Heilungsprocesses der Wunde bei Antedon aus: »Il
est probable«, sagt der genannte Autor, »que les liquides de l’econo-
mie apres avoir coule quelque temps au dehors, se coagulent sur
toute la surface de la plaie, de maniere A y former une couche
plasmatique homogene, qui cicatrise la blessure« (p. 70). SIMROTH
(2, p. 519-520) spricht ebenfalls von dem Austreten von Lymph-
tlüssigkeit aus dem Körper amputirter Ophiuren, doch schreibt er
diesen »Lymphmassen« eine größere Bedeutung zu als nur die
Bildung einer provisorischen Hülle, — und zwar hält er sie für das
hauptsächlichste Stimulans bei dem Regenerationsprocesse. Schwerlich
jedoch lässt sich im gegebenen Falle die Lymphmasse SIMROTH’'S
ınit der Flüssigkeit in dem Sinne, in welchem sowohl ich als auch
PERRIER diesen Begriff auffassen, vereinbaren. In der Folge werde
ich einige Betrachtungen hierüber anführen.
Sehr häufig kommt es bei der Verheilung der Wunde nicht zur
Bildung der erwähnten homogenen Haut, aber auch dann, wenn sie
vorhanden ist, spielt sie nur die Rolle eines provisorischen, in Bälde
wieder resorbirten Gebildes.
Betrachten wir die Fig. 3, welche einen frontalen Längsschnitt
durch einen Arm, welcher sich im zweiten Stadinm der Bildung des
Häutechens über der Amputationsfläche befindet ‘wovon später die
Rede sein wird), so sehen wir, dass das von wuns- beschriebene
homogene Häutehen die Oberfläche der Wunde noch bedeckt, unter
demselben bemerken wir aber auch starke Anhäufungen von Kernen,
welche verhältnismäßig groben Zeilen mit srobkörnigem Proto-
plasma angehören. Diese Zellen besitzen die verschiedenartigste
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 209
Gestalt, stets aber unterscheiden wir bei ihnen unfehlbar zwei Typen
von Zellen. Den einen Typus repräsentiren Zellen von bindegewebiger
Natur mit zahlreichen langen Fortsätzen, einem großen ovalen Kern
und feinkörnigem Protoplasma (Fig. 5«). Der andere Zelltypus ist
in Fig. 55 dargestellt, besitzt meist keine langen Fortsätze und ist
stark körnelig mit großem rundem, seltener ovalem Kern; es sind
dies wandernde Elemente aus den Hohlräumen des Armes. Beide
Arten von Zellen sammeln sich massenhaft nicht nur unter der
homogenen Haut an, sondern auch rings um die Muskeln, den
Nerv etc. (vgl. Fig. 5) und spielen die Rolle von Phagocyten, welche
sowohl die provisorische Haut als auch die durch die Amputation
verletzten Gewebstheile aufzehren. Der phagocytäre Charakter der
eben beschriebenen Zellen tritt deutlich zu Tage, wenn man die
Amputationsfläche des Armes sofort nach erfolgter Operation in Kar-
minpulver taucht. Die erwähnten Zellen erwiesen sich sodann nach
einiger Zeit dieht mit Karminkörnchen angefüllt, was auch aus
unserer Figur zu ersehen ist. Ein überzeugendes Bild geben auch
Schnitte, welche mit Hämatoxylin-Aurantium gefärbt wurden. Hier
färben sich die Muskeln in der charakteristischen Orangefarbe,
welche ihre Intensität auch in den degenerirenden Bezirken beibe-
hält. Sehr häufig kann man in der Nähe einer im Zerfall begriffenen
Muskelfaser Zellen bemerken, in deren Protoplasma orangefarbene
Partikelchen eingeschlossen sind, welche deutlich auf die Anwesenheit
von Muskelfragmenten innerhalb der obenerwähnten Zellen hinweisen.
Ein solches Bild ist in Fig. 16 wiedergegeben.
Es ist schwer zu entscheiden, ob die Degeneration der Gewebe
in dem verletzten Bezirk ausschließlich auf dem Wege der Phago-
cytose vor sich geht. Festgestellt ist nur, dass die Phagoeyten nicht
allein deformirte Gewebstheilchen fressen (KOROTNEFF), sondern dass
auch die Deformation selbst durch die Thätigkeit der Phagoeyten
bedingt wird (METSCHNIKOFF, KOWALEVSKY). Auf Fig. 5 sehen wir
sroße Ansammlungen von Phagoeyten nicht nur um die deformirten
Muskeltheilchen, sondern auch in der Nähe ganz normaler, gesunder
Zellen, welehe nieht einmal im Bereich der dureh die Operation ver-
ursachten pathologischen Processe liegen. Augenscheimlich zreifen
die zur Resorption verletzter Zellmassen angesammelten Phagoeyten
vleichzeitig auch völhz zesunde Zellen an.
Die Degeneration der Gewebe des Armes dauert selbst dann
noch fort, wenn die Processe der Regeneration im engeren Sinne —
d. h. der Beginn des Wucherns des alten Nerven und des Integu-
210 C. Dawydoff,
ments — bereits begonnen haben. Das Wachsen des amputirten
Nervenstammes beginnt sofort nach erfolgter Amputation. Hauptsäch-
lich wuchern die Nervenfasern, welche büschelförmig in die Regene-
rationsknospe hinein wachsen, sobald die letztere sich gebildet hat.
Als Beginn der Regeneration des Armes muss aber in erster Linie der
Moment angesehen werden, wann das Integument über die operirte
Oberfläche hereinzuwuchern beginnt; letztere wird von der neuent-
standenen Hautschicht, welche ihr fast ganz dicht anliegt, bald be-
deckt. Diese Hautschicht. bildet, wie aus Fig. 1 zu ersehen ist, eine
vollständig geschlossene kompakte Kappe, welche jenes homogene
Häutchen, mit welchem die Wundfläche des Armes früher bedeckt
war, ersetzt. Zwischen der verwachsenen Hautschicht und der Am-
putationsfläche persistirt ein unbedeutender schmaler Hohlraum. Es
muss bemerkt werden, dass die in der Fig. 1 wiedergegebenen Be-
ziehungen zwischen der häutigen Kappe und den in Degeneration
befindlichen, kegelförmig in die Höhlung der Kappe hereinragenden
Geweben des Armes, ziemlich beständig sind.
Nach kurzer Zeit bemerkt man auf der Oberfläche der flachen
Hautschicht eine kleine centrale Anschwellung. An der Hand von
Längsschnitten kann man sich leicht davon überzeugen, dass diese
Anschwellung der Lage des Ambulacralkanals im Arme entspricht,
und genau diesem letzteren gegenüberliegt. Der Ambulacralkanal des
Armstumpfes beginnt nämlich auszuwachsen, erreicht jene, die Ampu-
tationsfläche bedeekende Hautschicht, und zieht diese letztere, indem
er in seinem Wachsthum fortfährt, mit sich, so dass der von ihm ge-
troffene Bezirk der Haut sich an dieser Stelle vorstülpt, und jene
Anschwellung, von welcher eben die Rede war, hervorruft.
Während demnach die Hautschicht der Operationsfläche sonst
überall fast ganz dicht anliegt, und zwischen beiden nur ein schmaler
Hohlraum übrig bleibt, steht diese Haut gegenüber dem Ambulacral-
kanal von der Amputationsoberfläche ab. Der erwähnte Hohlraum
ist an dieser Stelle naturgemäß erweitert und nimmt mit dem Wachs-
thum des den ausgestülpten Hautbezirk mit sich ziehenden Ambula-
cralkanals immer mehr und mehr an Ausdehnung zu. Die erwähnte
Hautausstülpung, zum größten Theil aus Epithel mit nur wenigen
Mesodermelementen bestehend, bildet eine kleine, kegelförmige Knospe,
deren Durchmesser weit hinter demjenigen des alten Armes zurück-
bleibt.
Die Anlage des regenerirenden Armes repräsentirt demnach in
seinen Anfangsstadien zwei in einander geschobene Cylinder oder, besser
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 211
gesagt, Kegel; der äußere Kegel wird durch die anwachsende Haut-
kappe, der innere durch den Ambulacralkanal gebildet. Zwischen
den beiden Kegeln befindet sich ein ziemlich ausgedehnter Hohlraum,
welchen wir als die »Regenerationshöhle« bezeichnen werden.
Der eben geschilderte Vorgang bei der Bildung der ersten An-
lage des neuen Armes bei den Ophiuren ist in kurzen Zügen bereits
von ED. Prrrıer (1) für die Crinoideen (Antedon) beschrieben wor-
den. Bei der Besprechung des Processes der Differenzirung der
Knospe während der Regeneration des Armes lenkt der genannte
Forscher die Aufmerksamkeit auf die Entstehung der Knospe gegen-
über dem Ambulacralkanal (wie dies schon von Seiten ÜHRISTO
APOSTOLIDES geschehen war), und schreibt diesem Umstande eine
besondere Bedeutung zu. >»Le canal tentaculaire,« sagt PERRIER,
est bien la partie essentiellement nutritive du bras, puisque c'est
lui qui repousse en premier lieu et que c’est autour de lui que se
forment les nouveaux ftissus« (p. 4). Auf Grund von Betrachtungen
gleicher Natur spricht auch Curısto ArosToLıdks (4, p. 217) in Kürze
seine Meinung über die dominirende Bedeutung des Ambulacralkanals
bei der Regeneration der Ophiuren (welche er übrigens nicht ein-
&ehend behandelt, aus.
Es legt demnach der Ambulacralkanal des amputirten Armes durch
sein Wachsthum den Grund zur Differenzirung des Ambulacralsystems
im neu entstehenden Arme. Beim Beginn des Wachsthums ist der
Kanal nicht hohl, sondern stellt eine kompakte Kappe aus Zellen
vor, welche von den Geweben des amputirten Kanals herstammen
und sich auf karyokinetischem Wege vermehren. Bei dem weiteren
Wachsthum bleibt indessen die kompakte Hautkappe nur an der
Spitze des Kanals bestehen, während dieser in seinem ganzen übrigen
Verlauf bereits hohl erscheint. Sehr oft kann man sich an der Hand
von Schnittserien davon überzeugen, dass der Ambulacralkanal in den
ersten Stadien mit seinem centralen Theile in dorsoventraler Richtung
verbogen erscheint, so dass seine vorspringende Oberfläche nahe zur
oralen Fläche der wachsenden Knospe herantreten kann. Fig. 2
zeigt einen Schnitt durch den centralen Theil eines jungen Armes.
Auf diesem Schnitt sehen wir die Basis und den distalen Abschnitt
des Ambulacralkanals, während der centrale Abschnitt desselben nicht
sichtbar ist, da derselbe nach der Oralfläche des Armes zu gebogen
ist, und unterhalb der Schnittfläche liegt. Auf derselben Zeichnung
sieht man, wie der wachsende Ambulacralkanal mit seiner Spitze
dieht an das Epithel der Knospe stößt und an deren Gipfel stark
212 C. Dawydoft,
verdickt erscheint. Es scheint mir, dass die Krümmung des Ambula_
cralkanals in der Knospe, welche durchaus nicht als allgemeine Er-
scheinung aufzufassen ist, durch das ungleichmäßige Wachsen des
Ambulacralkanals im Vergleich mit der äußeren Schicht der Knospe
zur Genüge erklärt werden kann. Letztere Schicht wächst nur lang-
sam und gestattet dem rasch wachsenden Kanal nicht die eingeschla-
gene Richtung beizubehalten; in Folge des Unterschieds der Intensität
im Wachsthum der Gewebe beider Kegel, kann der innere Kegel, —
der Ambulacralkanal —, gezwungen werden eine Krümmung zu be-
schreiben.
Wenden wir uns nunmehr zu der weiteren Entwicklung der
Knospe. Wir sahen bereits, dass ihre äußere Schicht aus einer
Epithelschicht und einer geringen Anzahl von Bindegewebselementen
besteht. Wie man sich an der Hand von Quer- und Längsschnitten
überzeugen kann, enthält das Epithel eine nur sehr geringe Menge
von Kernen, welche sich sowohl auf mitotischem wie auch auf ami-
totischem Wege vermehren. Oft sieht man im Epithel längliche bis-
kuitförmige Kerne mit deutlichen Anzeichen einer Einschnürung
(Figg. 6 und 15). Die äußerste Lage des Epithels ist zu einem dünnen,
kernlosen, stark lichtbrechenden Häutchen differenzirt, — der Epi-
dermalschicht, welche wahrscheinlich von den Epithelzellen selbst
ausgeschieden wird. Zwischen den letzteren beobachtet man oft
Fasern, welche auch dem Bindegewebsepithel beigemischt sind.
Man kann demnach das Integument des sich neu bildenden Armes
als aus Ektoderm bestehend ansehen, dem eine gewisse Menge von
Mesodermzellen beigemengt sind. Nach kurzer Zeit lösen sich letztere
von dem Epithel ab und lagern sich, indem sie die Regenerations-
höhlung auskleiden, in Gestalt einer Schicht an seiner inneren Ober-
fläche wie dies aus Figg. 2 und 15 zu ersehen ist. Auf diese Weise
wird das Epithel in dieser Periode, indem es von den Mesodermzellen,
welche sich von ihm abspalteten, befreit ist, durchaus dem Ektoderm
entsprechen. Zu gleicher Zeit, wie die Mesodermalschicht sich von
dem Epithel abspaltet, bemerkt man in der Regenerationshöhlung frei
herumsehwimmende Zellen amöboiden Charakters (Fig. 8). Die Fig. 6
sjebt em sehr anschauliches Bild von dem Ursprung dieser Zellen.
Wir sehen Zellen von mnmregehnäßizer Gestalt und großen Kermen
aus dem alten Arme auswandern. Diese Zellen entsprechen voll-
ständige den bei der Entwicklung der Eehinodermeu so charakteristi-
schen Mesenchymzelilen und bilden auch im neuen Arme das Mesen-
chym. Ich bin geneigt anzunehmen, dass die beschriebenen amöboiden
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 213
Zellen (zweifellos mesodermalen Ursprungs) eben jene bindegewebigen
wandernden Elemente sind, welche, wie bereits oben bemerkt
wurde, die Rolle der am entzündeten Bezirk des Armes angesammelten
Phagoeyten spielten, und von hier in die Regenerationshöhlung
wandern, wo sie sich aus beweglichen Elementen in unbewegliche
verwandeln und ihren phagocytären Charakter verlieren. Auf einen
solchen Übergang wandernder Zellen in unbewegliche Elemente hat
bereits METSCHNIKOFF hingewiesen.
In kurzer Zeit füllen die aus den Geweben des Armes auswan-
dernden Zellen die ganze Regenerationshöhle an und bilden, in Ge-
meinschaft mit der schon früher von dem Epithel abgesonderten
Zellschicht bindegewebigen Ursprungs eine kompakte Mesodermschicht
zwischen dem Epithelektoderm und dem Ambulacralkanal, wie dies
(Juerschnitte (Fig. 9) und Längsschnitte (Fig. 4) anschaulich machen.
Diese Mesodermschicht hat einen rein embryonalen Charakter und
ist, wie dies die Fig. 4 zeigt, von den Bindegewebsbezirken des
Armes scharf abgegrenzt, von welchen sie sich durch ihren Charakter
als embryonale Schicht deutlich unterscheidet.
Aller Wahrscheinlichkeit nach beobachtete auch Smrora (2)
den von mir so eben beschriebenen Vorgang der Auswanderung von
amöboiden Zellen aus den Geweben des amputirten Armes, doch hat
dieser Autor den Vorgang nicht richtig gedeutet. Er giebt an, dass
aus der amputirten Ophiurenhälfte (es handelt sich um Ophractis virens)
eine »Lymphmasse« auszuströmen beginnt, deren Zellen das nöthige
Material zum Aufbau der fehlenden Körperhälfte hergeben. Identi-
fizirt man jedoch die »Lymphmasse« Smrorr’s mit dem von mir
beschriebenen Mesoderm, so kann man derselben, wie mir scheint,
keine so große Bedeutung beilegen, wie dies SIMROTH betreffs seiner
Lymphmasse gethan hat, indem er sagt: »die geronnenen Lymph-
zellen erhalten Kerne, vermehren sich und stellen das gesammte Ma-
terial vor, aus dem die neue Körperhälfte geformt wird« (p. 520).
Nach meinen Beobachtungen bildet sich bei den Ophiuren aus
dem Mesoderm im neuen Arme nur das Bindegewebe mit allen seinen
Derivaten. Die sesammte Muskulatur (mit Ausnahme der Hautmus-
keln, welche aus den Mesenchymzellen gebildet werden) entsteht aus
dem Gölothel, und selbst das kalkige Hautskelett entwickelt sich nicht
aus dem Mesoderm, sondern wird in der Kktodermschicht abgelagert,
was der normalen Entwicklung des peripheren Skeletts vollständig
entspricht (Russo, i4).
Wir gehen nunmehr zur Darlegung der Resultate betreffs der
214 ©. Dawydoff,
Differenzirung der inneren Organe und Gewebe des Armes während
der Regeneration über, und zwar beginnen wir mit den Derivaten
des Ektoderms — dem Nervensystem.
Das Nervensystem.
Wie bereits erwähnt wurde, beginnt der bei der Amputation
(durchschnittene Nervenstamm schon in den frühesten Stadien, noch vor
der Bildung der Regenerationsknospe, auszuwachsen. Es beginnen
lange Fäserchen von ihm auszugehen, welche dann in die, zu jener
Zeit gebildete Hautkappe hereinwachsen, wo man sowohl auf Längs-
wie auf Querschnitten durch solche Stadien verfolgen kann, wie diese
Fäserchen in Gestalt eines Büschels sich unterhalb des Ambulacral-
kanals durch die Mesodermzellen hindurchdrängen.
Im alten Nerv wuchern hauptsächlich die Nervenfasern, wäh-
rend die Ganglienzellen nur in verhältnismäßig geringer Anzahl
wachsen; für ihre Vermehrung sprechen jedenfalls sehr deutlich die
Bilder von karyokinetischen Figuren in den Kernen der Zellen an
der Peripherie des amputirten Nervenstammes. Vielleicht geht auch
hier der Process der Wucherung der Neuroglia vor sich, analog den
für Polychäten (ScauLrtz) beschriebenen Vorgängen. Die Fig. 32
siebt ein Bild des typischsten Wucherns der Nervenelemente im alten
Arme wieder. In Fig. 17 ist dagegen einer jener Fälle von Anomalien
im Wachsthum des Armnerven dargestellt. Wir sehen hier wie die
Ganglienzellen sich in ungewöhnlicher Anzahl am Ende des Nerven-
stammes angesammelt haben und eine kompakte Kappe um dasselbe
bilden, durch welche allmählich eine Nervenfaser nach der anderen,
und, wie dies aus der betreffenden Figur hervorgeht, auch ganze
Ganglienzellen hindurchdringen. Eine derartige Anomalie ist aber
nur in Ausnahmefällen zu beobachten, während für gewöhnlich nur
eine ganz unbedeutende Menge von Nervenelementen aus dem alten
Nerv in die Knospe hineinwächst, und der neue Nerv bei der Rege-
neration des Armes sich auf embryologischem Wege bildet, indem er
aus der Ektodermschicht (d. h. dem Epithel) angelest und differenzirt
wird. Die Anlage des Nervs geht schon sehr früh vor sich. Sowie
sich die Regenerationshöhle mit Mesodermelementen angefüllt hat,
differenzirt sich der ventral liegende Theil des Ektoderms, oder,
besser gesagt, der unter dem Ambulacralkanal liegende Theil des
Ektoderms, in zwei Schichten von Zellen: eine äußere, epitheliale —
und eine innere, welche später den Ganglienzellen und der Neuroglia
den Ursprung giebt. Die Zellen der inneren Schieht lösen sich von
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 215
denjenigen der Epithelschieht ab, so dass sich zwischen beiden Blät-
tern — der zukünftigen Nervenplatte und dem Epithel — ein deut-
lich sichtbarer Spalt bildet (Fig. 19).
Bald verdickt sich die mit ihrem Rande am Ektoderm haftende
Nervenplatte in Folge der starken Vermehrung der Zellen an ihrer
freien centralen Partie, wölbt sich in der Richtung nach dem Am-
bulacralkanal vor und spaltet sich endlich gänzlich von der Ekto-
dermschicht ab.
Auf diese Weise bildet sich eine nach dem Ektoderm zu offene
Nervenrinne. Die den Boden dieser Rinne bildende Platte, welche
wir das primäre Plättehen nennen wollen, stülpt sich nach innen
ein, indem sie eine ziemlich beträchtliche Vertiefung bildet, welche
dem Ambulacralkanal zu gewendet ist. In diese selbe Vertiefung
wachsen nun die Fasern des amputirten Nervs, wie dies deutlich
aus der Fig. 11 hervorgeht. Das den Boden der Rinne bildende
sekrümmte Plättchen erscheint sehr stark verdickt, und besteht aus
mehreren Schichten länglicher spindelförmiger Zellen mit runden,
öfters ovalen Kernen, in denen oft karyokinetische Figuren beobachtet
werden. Es sind dies Ganglienzellen, und aller Wahrscheinlichkeit
nach differenziren sich aus ihnen auch die Zellen der Neuroglia
(Stützzellen Hamann’s).. Die Ränder der Nervenrinne sind mit ihren
Enden gegen einander gerichtet und liegen mit ihrer äußeren Ober-
fläche dem Ektoderm dieht an. Sie bestehen aus einer Schicht von
Zellen mit runden Zellkernen. Die Figg. 12 und 14 geben ein an-
schauliches Bild von der Gestalt der Rinne und ihren Beziehungen
zu den umliegenden Organen. Wir sehen, dass die vertiefte Partie
der Rinne den Ambulacralkanal beinahe berührt und dass anderer-
seits die Rinne mit ihren Rändern an das Ektoderm stößt.
Bald darauf beginnen aber die an das Ektoderm stoßenden Rän-
der des Nervenplättchens sich einander zu nähern; sie schließen sich
zuletzt dicht an einander. Auf diese Weise entsteht aus der Nerven-
rinne ein Nervenrohr mit stark redueirtem, aber dennoch deutlich
ausgesprochenem Lumen (Fig. 15). Ein derartiger, allseitig um-
schlossener Hohlraum im Nerv ist nicht leicht zu beobachten. Ge-
wöhnlich löst sich die dem Ektoderm anliegende Schicht bald von
demselben ab, ihre Zellen nähern sich dem verdickten primären
Nervenplätichen, der Hohlraum wird enger, und später auch ganz
resorbirt, so dass die Zellen der an das obere Plättchen herangetre-
tenen unteren Nervenschicht nach oben hin zu wachsen beginnen, und
beide Zellstränge, allmählich zu beiden Seiten des basalen Theils der
216 C. Dawydoft,
rinnenförmigen Schicht auswachsend, diese ganz umschließen, und,
indem sie oben, unter dem Ambulacralkanal, mit ihren Rändern zu-
sammenstoßen, die zu jener Zeit entstandene nervöse faserige Masse
von oben und von den Seiten vollständig umgeben (Bildung des sog.
Lange’schen Nerven?) (Figg. 21—24). Es unterliegt keinem Zweifel,
dass die Differenzirung des Nervenstammes auch bei normal verlaufen-
der Entwicklung auf diesem Wege erfolgt. Ein Blick auf den Quer-
schnitt durch den Nerv eines ausgewachsenen normalen Armes genügt
um sich davon zu überzeugen, dass eine derartige Annahme der Wahr-
heit entspricht. Auf einem solchen Querschnitt sieht man, dass der
Nerv bei den Ophiuren aus einer Menge von Fasern besteht, welche
von einer sie allseitig umhüllenden, nach unten zu am meisten ver-
diekten Nervenmasse umschlossen werden. Im Mittelpunkt dieses unte-
ren Nervenplättchens kann man bei genauerer Untersuchung stets eine
kleine Rinne entdecken. Auf dieses Gebilde wandte ich bereits bei
dem Studium erwachsener normaler Ophiuren meine Aufmerksamkeit.
Es existirt stets in der gangliösen unteren Masse auf meinen Präpara-
ten sowohl, wie auch auf denen von Hamann (7, Taf. IV, Figg. 6 und 9)
und ArosroLip&s (Pl. IX, Fig. 5; Pl. X, Fig. 5), was mich zu der Über-
zeugung führte, dass man es hier nicht mit einer nur zufälligen Er-
scheinung zu thun hat. Setzt man voraus, die seitlichen Zellmassen
des Nervs wären durch Wucherung der Zellen an den unteren Enden
des Nervenplättchens über deren centralen, rinnenförmig gebogenen
Abschnitt hinaus entstanden, so erklärt sich die Bedeutung der ver-
diekten Rinne von selbst. Die gesammte untere Zellmasse des Nervs
wird dann meinem »primären« Plättechen entsprechen, die seitlichen
Massen dagegen den von unten nach oben ausgewachsenen und nach
innen umgebogenen Rändern desselben, welche sich mit einander
verbinden und, nachdem sie an einander gestoßen sind, über der
faserigen Masse eine kompakte Schicht von Nervenzellen bilden.
Dann wird die Rinne in der unteren gangliösen Masse auch jener
Vertiefung in dem primären Nervenplättchen entsprechen, welche bei
jüngeren Stadien mit dem Buchstaben a bezeichnet ist, und während
der ganzen Dauer der Differenzirung des oralen Nervenstammes so
überaus charakteristisch erscheint. Dabei werden auch die mit d
und c bezeichneten Vertiefungen ihre Erklärung finden, wie dies aus
der Vergleichung der Zeichnungen unseres Schemas deutlich her-
vorgeht.
Es muss noch auf die Ähnlichkeit hingewiesen werden, welche
zwischen dem Nervenrohr der Ophiuren und dem »Kragenmark« bei
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 217
den Larven der. Enteropneusten (SPENGEL 21, Taf. XXV, Fig. 146)
und selbst bei erwachsenen Enteropneusten besteht (vgl. meine Zeich-
nung 13 und die Fig. 26, Taf. XV der SpEngEL’schen Monographie).
Dessgleichen hat der Bildungsprocess des Nerven bei Amphiura viel
Ähnliehkeit mit dem gleichen Vorgang bei Balanoglossus.
Es drängt sich nun die Frage auf, welches der Ursprung der in
der Zellmasse eingeschlossenen faserigen Schicht ist? Wird diese
Schicht ausschließlich von den hereinwachsenden Fasern des in
Wucherung begriffenen alten Nervs gebildet, oder geben die sich
neubildenden Ganglienzellen Fasern dazu ab? Eine kategorische
Antwort auf diese Fragen lässt sich nicht leicht geben.
Wir kommen der Wahrheit wohl am nächsten, wenn wir an-
nehmen, am Aufbau der gesammten faserigen Schicht nähmen Antheil:
einerseits die wuchernden Fasern des alten Nervs, was auf frühen
Stadien, wo die Ganglienzellen sich noch nicht differenzirten, deut-
lich zu sehen ist, — andererseits die sich neubildenden Ganglien-
zellen, indem sie Fasern abgeben, welche in den Bestand der Faser-
schicht übergehen. In Fig. 15 (und 14) ist unter Anderem eine
Ganglienzelle abgebildet, von welcher ein Fortsatz in die Tiefe der
Fasermasse abgeht, was entschieden auf die Richtigkeit unserer
Voraussetzung bezüglich der Abstammung der Fasern von der sich
neu bildenden zelligen Nervenmasse hinweist. Was nun die Theil-
nahme der Fasern des alten Stammes am Aufbau der faserigen
Nervenschicht betrifft, so drängt sich hier die Frage auf, ob nicht
die Nervenelemente des alten amputirten Nervs zur Bildung des
paarigen oberen Nerven (»dorsal-radiales System« JICKELI) verwendet
werden. Ich muss diese Frage unbeantwortet lassen, da ich über
keine direkten diesbezüglichen Beobachtungen verfügen kann. Was
den Lange’schen Nerv betrifft, neige ich zu der Voraussetzung,
dass diese paarigen Nervenstämme ihren Ursprung dem Wuchern
der oberen Seitenabschnitte der neugebildeten Nervenmasse ver-
danken. Gewisse Beobachtungen sprechen für diese Annahme
(Fig. 28). Andererseits finden wir in der Mitte der faserigen Masse
bei bereits erwachsenen Stadien isolirt zwischen den Fasern
liegende Ganglienzellen. Es lässt sich schwerlich annehmen, dass
Zellen der Ganglienschicht in eine so große Entfernung auswandern
können. Man muss sie vielmehr für Ganglienzellen des alten Nerven
ansehen, welche zusammen mit den Fasern in den neuen Arm hinein-
gewachsen sind. Nicht ohne Interesse ist die Thatsache, dass der
Nerv bei der Regeneration sehr früh angelegt wird, und bald so sehr
218 C. Dawydoft,
anwächst, dass er fast ein Drittel der Ausdehnung des ganzen Armes
einnimmt; man kann hieraus ersehen, in welchem Grade die Funktion
des Nervensystems für den Organismus von Wichtigkeit ist.
Die von mir beschriebenen Vorgänge bei der Bildung des Nerven-
stammes während der Regeneration bei Amphiura stimmen nicht mit
den Angaben Curnor's (10) über die Embryonalentwicklung des
Nervs bei der gleichen Form überein. Nach Curnor entsteht der
Nerv durch Epibolie aus dem Epithel, und wir haben es mit einem
Process »qui ressemble plus A une epibolie qu’A une invagination«
(p. 459) zu thun. Bilder, wie sie Cu£nor’s Fig. 26, Pl. XXV zeigt,
und welche für seine Beobachtungen sprechen würden, habe ich nie
zu Gesicht bekommen.
In späteren Stadien gehen in dem Nervenstamm wesentliche, die
Innervation des Ambulacralsystems betreffende Veränderungen vor
sich, über welche ich später, gelegentlich der Besprechung der Re-
generation der Ambulaeralfüßchen, sprechen werde. Hier soll noch
mitgetheilt werden, dass sich das Nervensystem im regenerirten Arm
Schritt für Schritt seinem normalen, typischen Zustande zu nähern
beginnt. Von der zelligen Masse gehen Büschel von Fasern aus,
welche sich zu Nervenstämmen vereinigen, und sich, behufs Inner-
vation eines oder des anderen Organs, nach dem betreffenden Theil
des Armes wenden. Besonders deutlich tritt dies auf Querschnitten
durch Ophiopholis und Ophioglypha zu Tage. Hier kann man im
Integument an den Seiten des Armes ganz deutlich die Bildung meh-
rerer Nervenknötehen beobachten, wie sie von CuEnor (p. 45, Pl. III,
Figg. 7, 8, 10 [6], und p. 467, Pl. XXVI, Fig. 36 [10]) beschrieben
wurden; diese Knötchen stellen Komplexe von Ganglienzellen dar,
welche unter einander durch eine Menge von Nervenfasern verbunden
sind, welche ihrerseits von den Knötchen nach den auf den Seiten
des Armes befindlichen Kalkstacheln verlaufen. Alle Knötchen sind
unter einander durch eine faserige Masse verbunden, welche von dem
oralen ursprünglichen Nervenstamme ausgehen. An kleinen Objekten
ist es sehr schwer diese Einzelheiten zu verfolgen, und es sind daher
die kleinen Amphiura zu diesem Zweck wenig geeignet.
Ambulacralfüfschen. Epineuraler Ringkanal.
Der Regenerationsprocess des Ambulacralkanals wurde bereits
oben ausführlich beschrieben; letzterer wird dem zufolge nicht neu
angelegt, sondern wächst aus dem alten Kanal hervor. Wir werden
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 219
nunmehr den weiteren Verlauf der Entwicklung des Ambulacralsystems
im regenerirenden Arme verfolgen.
Die Bildung der Ambulacralfüßchen im regenerirenden Arme er-
folgt verhältnismäßig erst in später Zeit. Sie entstehen zunächst an
der Basis des neuen Armes, d. h. in dem im Vergleich mit der Spitze
älteren Theil desselben. Nach einiger Zeit erscheint in einer ge-
wissen Entfernung vom ersten Paar ein zweites, darauf ein drittes.
Während der Gipfel der Knospe zu wachsen fortfährt, beginnt ihr
basaler, der gewesenen Schnittfläche zunächst liegender Theil sich
zu segmentiren. Die Segmentation schreitet allmählich nach dem
Gipfel zu fort, wobei ein jeder Abschnitt, abgesehen von der äußeren
Gliederung, noch durch das Auftreten eines Paares von intervertebral
angelegten Ambulaecralfüßchen (in jedem Segment) charakterisirt ist.
Das erste Auftreten der Ambulacralfüßchen dokumentirt sich
durch eine Evagination der Seitenwände des Ambulacralkanals, was
den Vorgängen bei der Embryologie durchaus entspricht: »l’ambulacre
n’est qu’une evagination laterale du canal ambulacraire radial«, CuE-
nor (6) p. 44. Von dem Ambulacralkanal werden zwei kleine Säckchen
ausgestülpt, welche einander gegenüberliegen. Diese Säckchen wachsen
nun an und erhalten bald das Aussehen am äußeren Ende verschlosse-
ner Röhren, welche vom Ambulacralkanal in der Richtung nach dem
häutigen Integument zu wachsen, wobei beide Röhren einen Winkel
von etwa 90° mit einander bilden. Vom Beginne der Entstehung
der Füßchen an gehen in dem unter dem Ambulacralkanal liegenden
Abschnitt des oralen Nervenstammes interessante Veränderungen vor
sich. Von beiden Seiten des Nervenstammes gehen Komplexe von
Zellen ab, welche sich zu Nervenplättchen umbilden; diese Nerven-
plättchen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Nerven-
stamme selbst und bilden eine direkte Fortsetzung desselben. Diese
Plättchen umwachsen die am Kanal entstandenen Säckchen von allen
Seiten, indem sie eine Art von dichten zelligen Überzügen bilden.
Mit dem Wachsthum der Füßchen wachsen auch ihre Nervenfutterale,
wie dies aus den beigegebenen Zeichnungen zu ersehen ist. _
Auf Fig. 25 ist eines der frühen Entwicklungsstadien eines Paares
von Ambulacralfüßchen dargestellt; beide Füßchen stellen noch ein
Paar einander gegenüberliegender kleiner Säckchen vor, von dem
Nerv aus haben sich aber schon nach ihnen zu die Zellkomplexe
abgetheilt, welche die Säckehen in Gestalt eines Futterals um-
schließen. Die Fig. 18 zeigt ein älteres Stadium: die Ambulacral-
füßchen treten schon fast nach außen, während die Nervenplättchen,
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 15
220 C. Dawydoff,
indem sie die Säckchen von allen Seiten dicht umschließen, dem ent-
sprechend in die Länge. gezogen sind. Die beträchtlichste Schicht
von Ganglienzellen sammelt sich am Gipfel der Ambulacralfüßchen
(wo sie eine Art gangliöser Kappe bildet), sowie an der Stelle an,
wo die Füßchen in der nächsten Nähe des Nervenstammes vorbei-
gehen; hier bildet sich später das bereits für ausgewachsene Ophiuren
beschriebene Ganglion pedale (Hamann [7], p. 13, Taf. IV, Fig. 1);
Ganglion ambulacraire (Cuxxor [10], Fig. 36); dasselbe umgiebt
die Ambulacraltaster an deren Basis in Gestalt eines Nervenringes,
dessen peripherer Theil aus Zellen, der innere dagegen, welcher dem
Ambulacrum anliegt — aus ringförmigen Nervenfasern besteht.
Dieses Ganglion pedale ist mit der apicalen Nervenkappe durch
eine ganze Schicht von Nervenfasern verbunden, welche das Ambula-
cralfüßchen in dichter Masse umspinnen, wie dies aus der Fig. 26
ersichtlich ist. Diese Zeichnung stellt einen Querschnitt durch das
Füßchen dar, in der Gegend, wo dasselbe über den Nervenstamm
hinweggeht; letzterer erscheint im Längsschnitt.
Indem wir alle diese Beobachtungen bezüglich der Theilnahme
des Nervenplättchens an der Entwicklung des Ambulacralfüßchens,
‘wobei ersteres so zu sagen eine Hauptrolle spielt, in Erwägung ziehen,
können wir mit vollem Rechte die Funktion der Ambulacralfüßchen
nicht als eine lokomotorische, sondern als die eines Sinnesorgans
auffassen; diese Annahme wird durch die von Hamann ([7] p. 21—
22, Taf. IV, Fig. 4) in den Ambulacren von Ophoothrix fragilis ent-
deckten und beschriebenen komplieirt gebauten Nervenendigungen,
»Sinnesknospen«, bestätigt, welche zweifelsohne durch Komplika-
tionen in der Differenzirung der Nervenelemente entstehen, aus wel-
chen die Anfangs gleichartig aufgebaute Nervenkappe des Ambula-
crums besteht.
Wenden wir uns nun der weiteren Entwicklung des Ambulaecral-
füßchens zu. Wir haben bereits gesagt, dass die beiden in einander
steckenden Röhren — die innere aus vom Ambulacralkanal vorgestülpten
Geweben bestehend, die äußere nervöser Natur — in der Richtung
nach dem häutigen Integument zu wachsen, und zuletzt dicht an
dasselbe herantreten. Auf den hierhergehörigen Zeichnungen Figg. 18
und 25 sehen wir unter dem Ambulacralfüßehen einen Hohlraum,
welcher mit dem Epineuralkanal in Berührung steht, und durch
Wucherung des letzteren in der Richtung nach dem im Wachsthum
begriffenen Ambulaeralfüßchen zu entstanden ist. Demnach entsteht
der von Lang in seinem Schema angegebene »epineurale Ringkanal«
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 221
([22] Fig. 736 und eben so Curxor [10], Pl. XXVI, Fig. 36) durch
Wucherung der Epineuralhöhle längs dem Ambulacralfüßchen. Schnitte
durch darauf folgende Stadien zeigen, wie das Ambulacralfüßchen
den ihm zunächst liegenden, bedeutend verdickten Hautabschnitt
vorzustülpen beginnt, denselben dann durchbricht und nach außen
tritt. Die innere Schicht des Integuments hat an der Bildung des
Ambulacralfüßchens keinen Antheil; was aber das Epithel betrifft,
welches mit der Mesodermschieht durehbrochen wird, so wächst das-
selbe über dem vorgestülpten Köpfchen sofort wieder zusammen, in-
dem es letzteres im Wachsthum überholt. Auf solche Weise nimmt
das Epithel des Armes immer an der Bildung der Ambulacralfühler
Theil, indem es ihnen als Integument dient (Fig. 30). Auf das
Epithel folgt die nervöse Schicht (Nerf ambulacraire — Cuixor),
sodann die Bindegewebsschicht, die stark entwickelte muskuläre
Schicht, und endlich das Endothel, welches die innere Wandung des
Füßchens auskleidet. Am Ende des Fühlers des erwachsenen Thieres
befindet sich eine Verdickung in Gestalt eines Köpfchens; diese An-
schwellung entsteht, wie mir scheint, nicht durch eine Verdickung
des das Ambulacrum bekleidenden Epithels, wie dies auf der Zeich-
nung von Hamann (7, Taf. IV, Fig. 1), angegeben ist, sondern da-
durch, dass die aus massenhaft angesammelten Ganglienzellen mit
sroßen Kernen bestehende Nervenschicht sich hier stark entwickelt
hat (Fig. 30). Diese Schicht steht durch Vermittelung des Ganglion
pedale in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Nervenstamm, —
ein direktes Resultat des embryologischen Processes.
Sehr häufig kann man sowohl im Ambulacralkanal wie auch in
den Fühlern freie Zellen beobachten, welche augenscheinlich in der
die Ambulacralhöhle erfüllenden Flüssigkeit herumschwimmen. Diese
Zellen besitzen zweifelsohne eine phagocytäre Natur. Taucht man
z. B. einen Arm sofort nach der Amputation in Tusch- oder Karmin-
pulver, so kann man oft auf Schnitten beobachten, dass die in der
Flüssigkeit des Ambulacralkanals schwimmenden Zellen mit Körnchen
der eingeführten Substanz erfüllt sind.
Cölom, Muskulatur, Pseudohämal- und Epineuralkanal.
Auf Querschnitten durch eine junge Knospe in den frühesten
Stadien bemerken wir über dem Ambulaeralkanal eine ansehnliche
Höhle, welche fast die ganze Dorsalseite des neuentstehenden Armes
einnimmt (Fig. 10). Dieser Hohlraum ist in dorsoventraler Richtung
15*
222 C. Dawydoft,
stark zusammengedrückt und fehlt auf Schnitten, welche durch den
apicalen Theil der Knospe geführt sind, wo wir außer der ektoder-
malen und der mesodermalen Schicht nur noch den Ambulacralkanal
sehen (Fig. 9. Die Betrachtung einer Schnittserie belehrt uns dem-
nach, dass die erwähnte supra-ambulacrale Höhle sich in frühen Sta-
dien nicht bis zum Gipfel der Knospe erstreckt. Dies stimmt mit
den Angaben Cuernor’s (10) über die Entwicklung des Armes bei
Amphiura squamalta überein; CukNnoT sagt, dass anfänglich »les bras
sont manifestement pleins ... on ne voit pas trace d’enterocoele«
(p. 396, Pl. XXV, Fig. 26). Die so eben beschriebene Höhle ist das
Cölom, und entsteht durch Wucherung des Cölothels des alten dor-
salen Cölomkanals. In der That zeigen Längsschnitte durch eine
junge Knospe desselben Stadiums, dass diese ziemlich umfangreiche
Höhle in unmittelbarem Zusammenhange steht mit der engen Cölom-
höhle. Der Cölomkanal in dem im Entstehen begriffenen Arme wird
demnach nicht neu im Mesoderm angelegt, sondern er wächst aus
dem alten Kanal, was auch schon im Allgemeinen von PERRIER (1)
bei der Regeneration der Arme von Antedon rosacea (p. 12—13,
Pl. IV, Fig. 18) und von Sımrota (2) bei Ophiactis virens p. 520 beob-
achtet wurde. Cuknor (10) giebt an, dass das Cölom bei normaler
Entwicklung »se prolonge sous forme d’un boyau cellulaire« (p. 396).
Der herangewachsene Cölomkanal nimmt stark an Umfang zu. Wäh-
rend er im ausgewachsenen Arm die Form eines sehr schmalen
Hohlraumes besitzt, erweitert er sich in dem regenerirenden Arm zu
einem geräumigen Sack, welcher in dorsoventraler Richtung stark
zusammengepresst erscheint. Auch bei Antedon ist die heran wachsende
Cölomhöhle der regenerirenden Knospe komprimirt — »la cavite gene-
rale prend la forme d’un tube plus ou moins applati« (PERRIER, p. 72).
Ihre obere Wandung stößt an das Ektoderm der Knospe, wobei sie
ein gewölbtes Aussehen erhält, während die untere Wandung gleich-
sam nach innen eingestülpt ist und den Ambulacralkanal des neuen
Armes umgiebt (Fig. 10). In histologischer Hinsicht besteht die Cölom-
wand des regenerirenden Armes aus einer Schicht von Zellen, welche
Anfangs augenscheinlich von gleicher Natur sind; es sind dies kubi-
sche endotheliale Zellen mit großen runden Kernen, in denen man
öfters karyokinetische, auf starke mitotische Vermehrung hinweisende
Figuren beobachten kann. Flimmerhaare sind auf meinen Präpara-
ten an diesen Zellen nicht zu sehen; sie werden erst später an der
Dorsalseite der Cölomhöhle sichtbar, wo sich schon in frühen Stadien
eine Schicht großer Cylinderzellen differenzirt (Figg. 15 u. 14). Nach
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 2923
Cu£xor erfolgt die Differenzirung des »Epithelium vibratile« im Cölom
bei Amphiura schon sehr früh (p. 404).
Die soeben beschriebene Gestalt der Gölomhöhle im regeneriren-
den Arm ist nicht für alle Fälle typisch. Überhaupt ist ihre Form
ziemlich verschieden, kann aber der allgemeinen Figuration nach
stets in das gegebene Schema hineingepasst werden.
Die Knospe besteht demnach im ersten Stadium aus einer äuße-
ren Hautkappe, welche die innere, ambulacrale Kappe umgiebt
(Fig. 7). Zwischen beiden entsteht eine mesodermale Schicht, zwi-
schen deren Zellen, unter dem Ambulacralkanal, die Fasern des
alten, in Wucherung begriffenen Nerven durchzudringen beginnen
(Fig. 10 nf). Die Knospe fährt fort zu wachsen, und von der dor-
salen Seite dringt der gleichzeitig mit dem Ambulacralröhrchen
wachsende Cölomsack in die Knospe hinein. Auf diese Weise finden
wir auf dem nächsten Stadium an der Basis der Knospe neben dem
Ambulacralkanal noch eine Cölomhöhle. In dem Arm, nach dem
Ambulacralkanal entstehend, bleibt das Cölom im Wachsthum hinter
diesem zurück; zu der Zeit, wo der Ambulacralkanal mit dem api-
calen Ende an den Gipfel des neuen Armes stößt, erstreckt sich die
in ihm enthaltene Cölomhöhle nur bis zu dessen Mitte. Auf diesem
Stadium sehen wir bereits eine Differenzirung des ventralen Ab-
schnittes des Ektoderms behufs Bildung des Nervensystems. Der
sesammte Zwischenraum zwischen den genannten Organen und dem
Ektoderm ist mit mesodermalen Zellen angefüllt, welche alle Zwischen-
räume ausfüllen.
Während die bereits beschriebenen Veränderungen im Nerven-
system und Ambulacralsystem vor sich gehen, erleidet auch die
Cölomhöhle verwickelte Umwandlungen, ehe der für den normalen
Arm typische dorsale Cölomkanal mit den von ihm ausgehenden seit-
lichen Säcken aus ihr hervorgeht. Auf der Fig. 12 sehen wir unter
der Cölomhöhle zwei kleine Hohlräume, welche zu den Seiten des
Ambulacralkanals liegen und unter einander durch einen einschich-
tigen Zellstrang verbunden sind. Querschnitte durch vorhergehende
Stadien veranlassen zu der Annahme, dass diese beiden Hohlräume
aus einer einzigen, unpaaren Höhlung entstehen. Diese letztere ver-
dankt ihren Ursprung einer Theilung der Cölomhöhle in zwei Höh-
lungen. Von dem uns bekannten Cölomsack schnürt sich nämlich ein
eben so in dorsoventraler Richtung zusammengedrückter Hohlraum
ab, welcher von einer Schicht kubischer Epithelzellen ausgekleidet
224 C. Dawydoff,
ist. Die Wandungen dieser Höhle nähern sich einander über dem
Ambulacralkanal und verwachsen mit einander.
Auf solche Weise bilden sich aus einer großen Höhle zwei kleine,
welche zu Seiten des Ambulacralkanals liegen und oberhalb des
letzteren dureh eine Schicht Zellen verbunden sind; diese Schicht
entspricht der oberen Schicht des die frühere Höhle auskleidenden
Endothels, an welche sich die untere Schicht anlegt, wodurch der
mittlere Abschnitt der Höhlung verloren geht, und nur die beiden seit-
lichen Höhlen persistiren. Die sie verbindende Schicht endothelialer
Zellen verfällt der Resorption und geht zuletzt ganz zu Grunde; es
ergeben sich zwei cylindrische Röhren, welche mit einschichtigem
kubischem Cölothel ausgekleidet sind und vollständig frei zu den
Seiten des Ambulacralkanals, und demselben dicht anliegend, sus-
pendirt sind. Nach und nach beginnen diese Röhren sich nach
unten zu senken, werden etwas unter den Ambulacralkanal verlagert
und stoßen endlich unterhalb desselben mit ihren Rändern zusammen
und bilden auf diese Weise eine große Höhle zwischen dem Nerv
und dem Ambulacralkanal, welehe in ihrer Mitte durch ein aus zwei
mit einander verwachsenen Zellschichten gebildetes Mesenterium in
zwei Hälften getheilt wird.
Diese beiden Hohlräume repräsentiren ein Gebilde, welches in
der Litteratur über Ophiuren unter dem Namen »Pseudohämalkanalc«
bekannt ist. Meine Beobachtungen stehen sonach in schroffem Wider-
spruch mit den Angaben Curnor's (10) über die Entstehung des Pseudo-
hämalsystems im Arme während der normalen Entwicklung (p. 601).
Wir ersehen hieraus, dass der Pseudohämalkanal bei Amphiura
durch eine vertikale Scheidewand getheilt ist, und in Folge dessen
dem Pseudohämalkanal der Asteriden vollkommen. entspricht. Das
erwähnte Septum bleibt bei Amphiura auch im erwachsenen Arme .
erhalten, wie bei Ophiactis virens, bei welcher Form die Pseudohämal-
kanäle (»seitliche Armblutgefäße«) gleichfalls durch eine Zwischenwand
getrennt sind (SIMROTH, diese Zeitschr. Bd. XXVII).
Auf Grund meiner Beobachtungen kann ich mich demnach mit
Lupwis (3, p. 348) nicht einverstanden erklären, welcher angiebt,
dass der Pseudohämalkanal der Ophiuren »einen einfachen Kanal
darstellt, der nicht wie bei den Asteriden durch häutige Septen in
kleine Räume getheilt ist«. Auf der schematischen Abbildung Lane@’s
[22], Fig. 736), wie in den Zeichnungen Curnxor’s ([6] Pl. II, Fig. 4—7;
Pl. IV, Fig. 12, Sinus vascnlaire; [10] Pl. XXVI, Fig. 36 und 35)
ist der Pseudohämalkanal ebenfalls als einfache Höhlung abgebildet.
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 295
Wir finden demnach eine vollständige Übereinstimmung zwischen
dem Pseudohämalsystem von Amphiura und demjenigen der Aste-
riden. Diese Übereinstimmung wird dadurch noch vollständiger, dass
wir in der Masse des vertikalen Septum, unweit von dem Nerven-
stamm, auf guten Schnitten einen sehr engen Kanal entdecken; es
ist dies ein Blutgefäß, welches so zwischen den beiden das Mesen-
terium bildenden Wandungen der an einander gerückten Cölomhöhlen
entsteht. Auch bei den Asteriden ist das Blutgefäß bekanntlich in
der Tiefe des beide perihämale Höhlungen trennenden vertikalen
Septum gelegen.
Es ist mir nicht gelungen die Entwicklung des Blutgefäßes näher
zu verfolgen, da so kleine Objekte wie Amphiura zu diesem Zwecke
wenig geeignet erscheinen. Bei ausgewachsenen Individuen kann
man jedoch stets die Anwesenheit dieses Gefäßbes konstatiren. Das-
selbe liegt zwischen den beiden Pseudohämalhöhlungen, beinahe auf
dem Nervenstamme, und stellt einen so überaus schmalen Kanal dar,
dass seine Anwesenheit nur bei der sorgfältigsten Färbung und An-
fertigung der Schnitte deutlich Konstatirt werden kann.
Ich kann demnach die Genauigkeit der Beobachtungen ÖURNoT's
(12, p. 244) bestätigen, und jene Widersprüche beseitigen, welche
zwischen den Befunden des genannten Autors und denjenigen
Mac Brıpe’s bezüglich der Anwesenheit von »Lacunes radiales< bei
Amphiura squamata, d. h. dem Blutgefäßsystem im Sinne Lupwig’s
bestanden, wobei Mac Brıpe (11) das Vorhandensein eines solchen
für Amphriura eine Zeit lang leugnete.
Die Pseudohämalkanäle der Ophiuren entwickeln sich also onto-
senetisch aus dem Enterocöl, als abgeschnürte Bezirke des Cöloms.
In dieser Beziehung stehen meine Beobachtungen im Widerspruch
mit den Befunden GoTo SEIrARo’s (17), nach welchem die Perihämal-
kanäle der Asteriden mesenchymatösen Ursprungs sind (p. 274—275),
stimmen aber vollständig mit den Angaben Mac Brıpe’s (16 u. 18)
überein.
Was jene Höhlung betrifft, welche in dem Arm der Ophiuren
zwischen dem Epithel und dem Nervenstamm liegt, und den Namen
»Epineuralkanal« (Sinus susnervien CuEnor [6], Sinus epineural
Cuenor [10)) führt, so wird dieselbe bei der Regeneration ganz un-
abhängig von dem Pseudohämalsystem gebildet. Während letzteres
ein Derivat des Enterocöls ist, repräsentirt die Epineuralhöhle ein
schizodermales Gebilde, welches durch die Loslösung des Nerven-
stammes von der anliegenden Epithelschicht entsteht. Daher besitzt
226 C. Dawydopft,
die Epineuralhöhle bei frühen Stadien jene zellige Hülle noch nicht,
von welcher sie bei älteren Stadien an ihrer ganzen Oberfläche
ausgekleidet wird. Nach COvr£nor (10) »les sinus Epineuraux ne sont
revetu d’aucun epithelium — ils sont simplement limites par du tissu
conjonctif« (p. 460). Der Epineuralkanal hat demnach, im Widerspruch
mit den Angaben Lupwıg’s und KÖHLer’s, keinerlei morphologische
Beziehung zu den perihämalen Kanälen.
Während die beiden vom Cölom abgetrennten Röhren sich all-
mählich umbilden und längs der Krümmung des Ambulacralkanals.
welchen sie die ganze Zeit über dieht umschließen, hinwandern, be-
sinnen in dem übriggebliebenen Theil der Leibeshöhle neue Veränderun-
gen aufzutreten. Ihre Seitenpartien beginnen nach unten auszuwachsen
und sich gleichsam von der allgemeinen Höhle vorzustülpen, was zu
Bildern führt, wie sie in Fig. 13 wiedergegeben sind. Wir sehen
hier, dass zwei Säcke symmetrisch seitlich von der unteren Wand
der allgemeinen Cölomhöhle abgehen. Diese Säcke schnüren sich
später von der allgemeinen Höhle ab, und es bilden sich zwei läng-
liche, im Querschnitt fast runde, mit einer Schicht cölothelialer Zellen
ausgekleidete Röhren, welche sich zu den Seiten des Ambulacral-
kanals, aber etwas nach oben zu, zwischen diesem und dem übrigen
Cölom, lagern. Diese länglichen Hohlräume werden paarweise nicht
längs der ganzen Ausdehnung der Oberfläche des regenerirenden
Armes, sondern in Abschnitten angelegt; auf sagittalen Längsschnitten
kann man sehen, dass einem jeden sich neubildenden Segment des
neuen Armes ein Paar der beschriebenen langen Cölomröhren ent-
spricht, welche von dem, alle Lücken zwischen den Organen des
neuen Armes ausfüllenden, in Bildung begriffenen embryonalen Ge-
webe umgeben sind. Diese Röhren bleiben nicht lange hohl. Quer-
und Längsschnitte zeigen uns, dass von dem die Röhren auskleidenden
einschichtigen Endothel sich Zellen ablösen, welche sich mit außer-
ordentlicher Intensität auf karyokinetischem Wege theilen, und all-
mählich die ganze Höhlung anfüllen. An Längsschnitten kann man
sodann interessante Umwandlungen dieser Zellen beobachten. Ihre
Anfangs runden Kerne nehmen eine längliche Gestalt an und werden
oval und stark granulirt. Das äußerst spärliche Plasma dieser Zellen,
welches an einem Pole des Kernes eine sehr dünne Schicht bildet,
zieht sich am entgegengesetzten Pol zu einem dünnen, strangförmigen
Fortsatz aus. Dieser Strang zieht sich sehr in die Länge, nimmt an
Dicke zu, und nach einer Reihe von Übergangsstufen erhalten wir
typische Muskelzellen, welche sich sofort karyokinetisch theilen ete.
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 2927
(Fig. 29); als Schlussergebnis dieser Vorgänge erhalten wir statt
hohler Cölomsäcke kompakte Komplexe von Muskelzellen. Diese
letzteren differenziren sich und bilden zwei zu den Seiten des Am-
bulacralkanals liegende Muskelstränge, was durchaus dem Bilde ent-
spricht, welches wir im Arme des erwachsenen Thieres finden.
Selbstverständlich erfolgt die Bildung dieser Muskelfragmente nicht
in allen Segmenten gleichzeitig. Zu der Zeit, wo die Cölomhöhlen
in den dem alten Arm zunächst liegenden Segmenten bereits dicht
mit Muskelzellen gefüllt sind, geht in den apicalen Segmenten erst
die Anlage der oben beschriebenen paarigen Säcke aus dem Oölom
vor sich; die mittleren, dazwischen liegenden Segmente bieten je
nach ihrem Alter eine ganze Reihe allmählicher Übergänge zwi-
schen den beiden Grenzstadien. Diese metamere Bildung cölothelial-
muskulärer Hohlräume bedingt die primäre Segmentation des neuen
Armes.
Die beiden unteren Muskelfragmente entstehen demnach aus dem
Cölothel der beiden abgeschnürten Cölomhöhlen. Eine cöletheliale
Abstammung der Muskeln ist auch für die Regeneration einiger An-
neliden charakteristisch (ScHuLTz, 20).
Nach dem Verlauf der eben beschriebenen Veränderungen in der
Leibeshöhle muss diese letztere, ehe sie sich zu jener engen Cölom-
höhlung ausbildet, welehe wir im normalen Arm der erwachsenen
Amphiura finden, noch eine ganze Reilie von Umwandlungen durch-
machen. Wir haben bereits auf die Gestaltung der Leibeshöhle im
regenerirenden Arm noch vor der Abschnürung der zukünftigen
Pseudohämalkanäle hingewiesen; auf diesem frühen Stadium hat die
Cölomhöhle die Gestalt eines komprimirten Sackes, welcher mit seiner
oberen Wandung der äußeren Körperschicht -— dem Ektoderm — an-
liegt, mit der unteren, inneren dagegen, den Ambulacralkanal umfasst.
Dies ist die typische Form der Leibeshöhle. Auf diesem Stadium ist
die gesammte Höhle in ihrer ganzen Ausdehnung mit einer gleich-
mäßigen Schicht kubischer Endothelzellen ausgekleidet. Betrachten
wir nunmehr die Fig. 12, welche einen Querschnitt durch den Arm
im Stadium des Anfangs der Bildung der Pseudohämalkanäle dar-
stellt, so sehen wir, dass die Cölomhöhle hier bedeutend angewachsen
ist, fast den ganzen oberen Abschnitt des Armes einnimmt und eben-
falls mit ihrer oberen Wandung dem Ektoderm dicht anliegt; dabei
ist bereits eine Differenzirung der gesammten Cölothelschicht — einer-
seits in ein kubisches Cölothel, welches im centralen Theil in ein
eylindrisches, die ganze obere Fläche auskleidendes Cölothel übergeht
228 C. Dawydoft,
und andererseits in ein flaches, die untere an den Ambulacralkanal
grenzende Wandung des Cöloms auskleidendes Cölothel — zu be-
merken.
Dasselbe Bild stellt auch ein Schnitt durch die Knospe im Stadium
der beginnenden Bildung der zukünftigen Muskelsäcke (Fig. 13) dar.
Wir sehen hier dieselbe geräumige, fast halbeylinderförmige Höh-
lung mit nach innen vorgewölbter unterer Wandung. Betrachten wir
unsere schematische Zeichnung, so können wir uns den Verlauf des
Bildungsprocesses sowohl des dorsalen Cölomkanals mit den seit-
lichen spaltförmigen Säcken, wie auch der darunterliegenden großen,
für den normalen Arm charakteristischen Muskelfragmente, deutlich
vorstellen (Textfiguren a, d, ce). Wir bemerken (Textfig. «), dass sich die
Textfiguren u—c.
innere, untere Oberfläche der Cölomhöhle — wahrscheinlich in Folge
des Wucherns des Bindegewebes über dem Ambulacralkanal — nach
innen (oben)zu vorwölbt. Eine derartige Einstülpung des centralen Theils
der unteren Cölomwand hat zur Folge, dass die ganze OCölomhöhle
in der Mitte eingeengt wird, und sich in drei Abschnitte theilt —
zwei geräumige laterale, einander an den Seiten des Armes gegen-
überliegende Höhlen, und einen centralen engen, beide Seitenhöhlen
mit einander verbindenden, in seinem oberen Abschnitt mit flimmern-
dem cylindrischen Cölothel ausgekleideten spaltförmigen Abschnitt
(Textfig. d). Diese Spalte bildet einen im Querschnitt fast dreieckigen,
durch den ganzen Arm verlaufenden engen Kanal, welcher dem ty-
pischen dorsalen Cölomkanal der ÖOphiuren entspricht. Was die
lateralen Säcke betrifft, so bleibt von jedem derselben nur eine enge,
längs der oberen Wandung desselben verlaufende Spalte übrig.
Der ganze übrige Hohlraum wird durch Umbildung der Cölothelzellen
der unteren Saekwandungen in Muskelfasern zu einem Muskelfrag-
ment umgewandelt (Textfig. c. Der muskulöse Abschnitt jeder Höhle
wird von einem Epithel flacher Zellen ausgekleidet, welches durch
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 229
Wucherung des unverändert gebliebenen Cölothels entsteht, durch
welches der muskulöse Abschnitt von den nicht ausgefüllten oberen,
den für die Ophiuren typischen lateralen Cölomsäcken entsprechen-
den Spalten abgetheilt wird (Fig. 27).
Diese Säcke stehen im Zusammenhang mit den Pseudohämal-
kanälen, wie dies für große Ophiuren schon durch Cu£xor, Lupwig,
_ TEUSCHER u. A. nachgewiesen wurde.
Bei der Untersuchung des Pseudohämalsystems an erwachsenen
Stadien drängt sich uns folgende Betrachtung auf. Auf Fig. 31 sehen
wir unter dem Ambulacralkanal auf den oberen Wandungen beider
Pseudohämalhöhlen Komplexe von Zellen, welche in zwei neben ein-
ander liegenden zelligen Gebilden angeordnet sind; in Fig. 31 sind
diese letzteren mit x” bezeichnet. Die erwähnten Gebilde sind un-
bedingt nervöser Natur und entsprechen den bereits von JICKELI für
OÖphiuren beschriebenen paarigen Nervenstämmen (dorsales radiales
System). Ihre Lage veranlasst zu der Vermuthung, sie verdankten
mesodermalen Elementen ihren Ursprung. Die Vermuthung des meso-
dermalen Ursprungs der tief liegenden Nervenstämme (Lange’sche
Nerven) wurde bereits von Cuenor (10, p. 459), wenn auch mit großer
Vorsicht, ausgesprochen. Er sagt: »sur la face inferieure du systeme
epidermique se trouvent des amas de noyaux qui representent le
rudiment du syst@me nerveux profond; je suis porte A croire quwils
sont de nature mesodermique, mais il serait bien possible quils
resultent d’un bourgeonnement lateral des cellules ectodermiques des
centres nerveux«. Was das »Systöme nerveux profond« UUENOT'S,
d. h. die Lange’schen Nerven (tiefgelegenes Nervensystem) betrifft,
so schließe ich mich der letzteren Annahme des französischen For-
schers an; bezüglich der von mir beschriebenen nervösen Gebilde
(JIcKEuı, dorsales radiales System) jedoch ist es mir für den Augen-
blick nicht möglich, mich in bestimmter Weise auszusprechen.
Übersicht der Ergebnisse.
Die Degeneration der durch die Amputation verletzten Gewebe
des Armes erfolgt auf dem Wege der Phagocytose. Die Rolle von
Phagocyten übernehmen sowohl frei umherirrende Zellen wie auch
Elemente bindegewebiger Natur. In einigen Fällen erfolgt das Zuheilen
der Wunde durch Bildung einer homogenen Masse über der Ampu-
tationsfläche, welche aller Wahrscheinlichkeit nach als Gerinnungs-
produkt von aus dem Arm nach der Wunde hin strömenden Flüssig-
keiten aufzufassen ist. In der Folge wird diese provisorische Hülle,
230 C. Dawydoft,
und zwar ebenfalls auf dem Wege der Phagocytose, wieder resorbirt.
Die ersten Anzeichen der Regeneration bestehen in dem Wuchern der
Haut, welche, indem sie zusammenwächst, eine feste, kompakte
Schieht über der Amputationsfläche bildet. Der Ambulacralkanal
wächst aus dem alten Kanal und krümmt sich in der in Bildung
begriffenen Knospe bisweilen nach der ventralen Seite hin. Durch
die Wucherung des Ambulacralkanals wird eine Hervorstülpung der
ihm anliegenden Hautschicht bedingt, welche über der Amputations-
fläche eine kleine Anschwellung — die Anlage des neuen Armes —
bildet. Das Mesoderm des neuen Armes wird auf zweierlei Weise
angelegt: der größere Theil, das Mesenchym, entsteht durch das Ein-
(ringen der bindegewebigen, wandernden, amöboiden, bei der De-
generation die Rolle von Phagocyten spielenden Zellen aus den
(Geweben des Armstumpfes in die sich bildende Knospe. Der andere
Theil des Mesoderms bildet sich aus der Hautschicht der Knospe
durch Abtrennung von bindegewebigen mesodermalen Zellen von der
inneren Oberfläche dieser Schicht.
Das Cölom geht aus der alten Leibeshöhle hervor. Durch Los-
trennung zweier seitlicher Abschnitte von der Leibeshöhle werden
zwei Paare von Höhlen gebildet. Das erste Paar, welches unter den
Ambulacralkanal verlagert wird, und hier mit seinen Wandungen
zusammenstößt, bildet den paarigen Pseudohämalkanal, welcher hier
wie bei den Asteriden durch ein vertikales Septum — das Verwach-
sungsprodukt der Wände beider Cölomhöhlen — in zwei Hälften
setrennt wird. Das zweite Paar abgeschnürter Cölombezirke bildet
dureh Umwandlung der Cölothelzellen in Muskelzellen die unteren
Muskelfragmente. In der Masse des beide Pseudohämalkanäle tren-
nenden Mesenteriums, welches bei Amphiura auch im normalen Arme
bestehen bleibt, wird das Blutgefäß angelegt.
Der Epineuralkanal ist eine Bildung des Schizocöls, welche
durch Hinwegrücken des Nervenstammes vom Epithel entsteht, und
hat demnach ontogenetisch keinerlei Beziehungen zu dem Pseudo-
hämalkanal, welcher, wie wir sahen, ein Derivat des Enterocöls ist.
Die oberen Muskelfragmente sind gleich den unteren ebenfalls cölo-
thelialen Ursprungs. Sie entstehen aus den lateralen Cölomsäcken,
welche durch Theilung der Cölomhöhle in einen centralen (den spä-
teren Dorsalkanal) und seitliche Abschnitte entstehen; diese Theilung
der Leibeshöhle erfolgt dadurch, dass das Bindegewebe von der
unteren Seite in dieselbe hineinwächst, und die untere Cölomwand
zwingt sich nach dem Inneren der Höhle vorzustülpen.
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 231
Der Nervenstamm wird bei der Regeneration aus dem Ektoderm
neu angelegt, und bildet in den frühesten Stadien eine auf der ven-
tralen Seite nach dem Ektoderm zu offene Rinne, und zuletzt ein
Rohr mit deutlich ausgesprochenem Lumen; diese Bildungsweise des
Nervenstammes berechtigt dazu auf die Verwandtschaft der Ophiuren
mit den Enteropneusten hinzuweisen, deren »Kragenmark« bei den
'Larvenstadien außerordentlich an das orale Nervenrohr der Ophiuren
erinnert.
Das periphere Nervensystem entsteht durch Wucherung des cen-
tralen Stammes. Die tiefliegenden paarigen Nervenstämme entstehen
augenscheinlich aus dem unpaaren oralen Stamm. Bei Amphiura
und Ophiopholis bemerkt man über den Pseudohämalkanälen, an
deren Wandung liegende Komplexe von Nervenzellen, welche zwei
direkt unter dem Ambulacralkanal, d. h. in den Mesodermbezirken des
Armes liegende Nervenstämme (dorsales radiales System — JICKELI)
bilden.
Die Ambulacralfüßchen entstehen durch Evagination der Seiten-
theile des Ambulacralkanals. An ihrer Entwicklung nimmt der Nerven-
stamm bedeutenden Antheil.
Die postembryonale Entwicklung der Ophiuren ist so wenig
untersucht worden, dass wir die Vorgänge während der Bildung des
Armes bei der Regeneration und bei der normalen Entwicklung nicht
in ihren Einzelheiten mit einander vergleichen können; indem wir
aber die erhaltenen Facta mit einander vergleichen, müssen wir zu
der Überzeugung gelangen, dass der Regenerationsprocess nach dem
Prineip des embryologischen Processes erfolgt. Es unterliegt keinem
Zweifel, dass die in gegenwärtiger Zeit in den Vordergrund gedrängte
Frage über die Beziehungen der Keimblättertheorie zu dem Regene-
rationsprocess für die Ophiuren im bejahenden Sinne entschieden
werden muss. Wir sehen, dass alle Organe in dem sich neubildenden
Arme aus den entsprechenden Organen des alten Armes hervor-
wachsen (Ambulacralkanal, Cölom), oder Produkte des entsprechenden
Keimblattes sind. So differenzirt sich der Nerv aus dem Epithel
(Ektoderm), und die Muskeln differenziren sich aus dem Cölothel,
welches sich bei den Ophiuren nach Russo (14) aus dem Mesoderm
entwickelt.
St. Petersburg, im Juni 1900.
232
C. Dawydoft,
Litteraturverzeichnis,
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dermen. Über das Nervensystem der Ophiuren. Zool. Anz. 12. Jahrg. 1889.
Beiträge zur Kenntnis der Regenerationsersch. bei den Ophiuren. 933
Erklärung der Abbildungen.
Buchstabenerklärung.
af, Ambulacralfüßchen; Ir, Blutgefäß;
bg, Bindegewebe der Haut; m, degenerirende Muskelfasern ;
coel, Cölom; mes, Mesoderm ;
ct, Cölothel; mf, Muskelfasern ;
eu, Cutieula; n, Nervenstamm;
dk, dorsaler Cölomkanal ; na, Ambulacralnerv;
ect, Ektoderm; nf, Nervenfaser;
ed, Endothel; psh, Pseudohämalkanäle ;
ep, Epithel; st, Septum zwischen den Pseudohämal-
epn, Epineuralkanal; kanälen;
epr, epineuraler Ringkanal; tin, tief gelegenes Nervensystem;
gz, Ganglienzellen; wg, Ambulacralkanal;
Jik.nr, radiales dorsales Nervensystem; «x, Wanderzellen.
Tafel XVII.
Fig. 1. Frontalschnitt durch einen Arm in einem frühen Stadium des
Regenerationsprocesses.
Fig. 2. Frontaler Längsschnitt durch eine Knospe. Die Regenerations-
höhle ist noch nicht von Mesodermzellen angefüllt.
Fig. 3. Frontalschnitt durch einen Arm. Bildung der schützenden Hille (0).
Degeneration der Muskelfragmente durch Phagocytose (wz, Phagocyten). Die
Haut ist über der Amputationsfläche zusammengewachsen (ht).
Fig. 4. Frontalschnitt durch eine Knospe. Die Mesodermschicht (mes) ist
bereits vollständig differenzirt.
Fig. 5. Zwei Typen von Phagoceyten mit aufgenommenen Karmin-
körperchen.
Fig. 6. Process der Mesodermbildung. Die Mesenchymzellen wandern in
die Regenerationshöhle ein.
Fig. 7. Querschnitt durch eine Knospe im frühesten Stadium der Ent-
wicklung. Das Mesoderm hat sich noch nicht gebildet.
Fig. 8. Querschnitt durch eine Knospe im Stadium der Einwanderung der
Mesenchymzellen.
Fig. 9. Querschnitt durch eine Knospe im Stadium der endgültigen Diffe-
renzirung des Mesoderms.
Fig. 10. Querschnitt durch eine Knospe, in welcher das Cölom aufzutreten
beginnt.
Fig. 11, 12, 13, 14. Querschnitte durch einen regenerirenden Arm in vier
auf einander folgenden Entwicklungsstadien.
Fig. 15. Abspaltung der Bindegewebszellen (Mesoderm) von der Haut-
schicht.
Fig. 16. Degeneration der Muskelzellen durch Phagoeytose.
Fig. 17 u. 32 (Taf. XVII). Wuchern des amputirten Nerven.
234 C. Dawydoff, Beiträge zur Kenntnis der Regenerationserscheinungen etc.
Tafel XVIII.
Fig. 18 u. 25. Zwei Entwicklungsstadien des Ambulacralkanals.
Fig. 19. Erstes Stadium der Differenzirung des Nerven. Abspaltung des
epithelialen Nervenplättchens (epnr) von dem Ektoderm.
Fig. 20—24. Schematische Darstellung der allmählichen Differenzirung des
Nervenstammes.
Fig. 25 siehe Fig. 18.
Fig. 26. Querschnitt durch ein Ambulacralfüßchen an der Stelle, wo das-
selbe unter dem Nerv hindurchtritt.
Fig. 27. Differenzirung der oberen Muskelfragmente aus dem Cölothel.
Fig. 28. Bildung der oberen (tief gelegenen) Nervenstämme.
Fig. 29. Histogenese der Muskelzellen.
Fig. 30. Austritt des neugebildeten Ambulaeralfüßchens nach außen. Im
Epithel sind Anzeichen direkter Kerntheilung zu bemerken.
Fig. 31. Querschnitt durch einen erwachsenen Arm von Amphiura. Über
den Pseudohämalkanälen sieht man das radiale dorsale Nervensystem JICKELI =
Jıknr.
Fig. 32 siehe Fig. 17.
|
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln
von Spongien.
Von
0. Bütschli.
Mit Tafel XIX—XXI und 2 Figuren im Text.
Einleitung.
Studien über kolloidale gallertige Körper, ihre Mikrostruktur und
die damit zusammenhängenden Eigenthümlichkeiten, lenkten meine
Aufmerksamkeit schon vor einer Reihe von Jahren auch auf die kol-
loidale Kieselsäure.. Nachdem ich schon 1895 und 1894 Einiges über
die Mikrostruktur der Kieselgallerte mitgetheilt und diese Beobach-
tungen 1898 ausführlicher dargelegt hatte, berichtete ich vor Kurzem
(1900) über weitere Studien auf diesem Gebiet, die sich sowohl mit
dem feineren mikroskopischen Bau der im Laboratorium hergestellten
Kieselgallerten, als auch dem der natürlich vorkommenden, des sog.
Tabaschir (aus Bambusrohr), des Hydrophan und der Opale be-
schäftigten. — Unter diesen Umständen lag es nahe, auch die bei
thierischen Organismen auftretenden kieseligen Skelettgebilde auf ihre
Mikrostruktur vergleichsweise zu prüfen, um so mehr, als ich schon
früher gelegentlich Einiges beobachtet hatte, was für das Vorkommen
ähnlicher Strukturen bei den Spicula der Kieselschwämme sprach.
Dass gerade die Kieselnadeln der Schwämme zunächst zu solchen
Untersuchungen ausgewählt wurden, folgt schon daraus, dass sie
jeicht in größerer Quantität zu haben sind. Im Anschluss an die
Studien über Kieselnadeln wurden auch die Kalkspieula von Zeu-
candra in gewisser Hinsicht ein wenig geprüft, ohne jedoch diesen
Gegenstand ernstlicher zu bearbeiten.
Im Allgemeinen hebe ich hervor, dass das, was ich im Nach-
folgenden mittheile, in keiner Hinsicht etwas Vollständiges zu sein
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Ba. 16
236 0. Bütschh,
beansprucht, sondern nur Bericht über einige Beobachtungen giebt,
die vielleicht dazu beitragen mögen, dass die Bearbeitung dieser
interessanten Erzeugnisse des Organismus von Solchen, welche dieser
Gruppe näher stehen, in systematischer und ausgedehnter Weise vor-
genommen wird.
1. Untersuchungen an Kieselspicula (Geodia, Tethya).
A. Allgemeines, Schichtung, feine Struktur, Verhalten
beim Glühen.
Meine Untersuchungen beschränken sich auf die Nadeln zweier
Tetractinelliden, der Geodia placenta O. Schmidt und der Tethya
/yneurium Johnst., und zwar wurden auch von diesen wesentlich nur die
sroßen Spieula, d.h. die Ankernadeln der Geodia, sowie die großen
Stabnadeln dieser und der Tethya verfolgt. Das Material von Geodia
wurde einem getrockneten Exemplar entnommen, dessen Kieselele-
inente durch Maceration und Kochen mit 10°%/,iger Salzsäure isolirt
wurden. Da den so dargestellten Nadeln noch einige Verunreini-
gungen beigemischt waren (wohl hauptsächlich Cellulosefragmente
pflanzlicher Herkunft), so wurde ein Theil des Materials noch mit
koncentrirter Schwefelsäure gekocht und, als auch damit die ver-
kohlten Verunreinigungen nicht völlig zerstört wurden, das Kochen
in Schwefelsäure mit Zusatz von etwas Chromsäure wiederholt. Dies
Material, welches dann durch nochmaliges Auskochen mit verdünnter
Salzsäure und reichliches Auswaschen mit Wasser weiter gereinigt
wurde, erwies sich ganz frei von Verunreinigungen.
Die Kieselelemente der Teihya wurden aus einem in Alkohol kon-
servirten Schwamm (Mittelmeer) durch Auflösen der organischen Sub-
stanz mit künstlichem Magensaft isolirt; da sie sich noch etwas verun-
reinigt zeigten, so wurden sie nochmals mit schwacher Natronlauge
einige Zeit gekocht. Sie waren dann ganz frei von Verunreinigungen.
Die seitherigen Untersuchungen ergaben mit Bestimmtheit, dass
die Kieselnadeln der Schwämme aus sog. amorpher, den Opalen des
Mineralreichs und den künstlich herstellbaren Kieselgallerten ent-
sprechender Kieselsäure bestehen. Hierfür sprechen: 1) der gewöhn-
liche Mangel der Doppelbrechung, was schon EHRENBERG erkannte,
M. ScHuLtzE (1860), SoLLas (1885), v. EBner (1887) u. A. bestä-
tigten. Auch ich finde das Gleiche. Die Spuren von Doppelbreehung,
die sich hier und da beobachten lassen, können auf Oberflächen-
polarisation zurückgeführt werden.
P
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 237
2) Das specifische Gewicht entspricht dem der amorphen Kiesel-
säure, das nach v. SCHAFFGOTSCH (1846) und H. Rose (1859) durch-
schnittlich 2,2 beträgt; die natürlich vorkommenden amorphen Kiesel-
säuren besitzen jedoch im natürlichen Zustand ein etwas geringeres
spec. Gew. (etwa 1,97— 2,16) und erreichen erst nach längerem Glühen
das spec. Gew. 2,2. Das spec. Gew. bestimmte SOLLAS (1885) für
die Nadeln einer Zenieride und einer Lithistide zu 2,04, THOULET
(1884) für gewisse große Kieselnadeln zu 2,0561. In beiden Fällen
wurde die Bestimmung durch Aufsuchen gleich schwerer Flüssigkeiten
von bekanntem specifischen Gewicht ausgeführt.
3) Der Brechungsindex der Kieselnadeln ist der der amorphen
Kieselsäure. Sorras (1885) fand ihn gleich 1,449, was mit dem der
Opale sehr gut übereinstimmt.
4) Die Kieselnadeln werden sehr leicht von Alkalihydratlösungen
angegriffen; durch starke Kalilauge schon in der Kälte, energischer
beim Kochen (s. besonders SoLLAas 1879 und 1888). Auch diese
Eigenschaft theilen sie mit der amorphen Kieselsäure.
Die Kieselgebilde anderer Organismen, wie Radiolarien und
Diatomeen, verhalten sich, so weit bekannt, ebenfalls wie amorphe
Kieselsäure.
In Hinsicht auf den feineren Bau der Kieselnadeln ist zunächst
der wohl ganz allgemein verbreiteten Schichtung zu gedenken, welche
unter den natürlichen opalartigen Kieselsäuren nur dem Hyalith eigen
ist, der jedoch auch in seiner Entstehung, durch successive Ablagerung
in Hohlräumen basaltischer Gesteine, den Kieselnadeln am nächsten
kommt. Um so eigenthümlicher ist dagegen, dass gerade der Hyalith
kräftig negativ doppelbricht, was M. ScuurLtze (1865) und BEHRENS
(1871) durch Spannungserscheinungen der successive gebildeten Schich-
ten beim Austrocknen zu erklären suchen. Hiernach sollte man eigent-
lich bei den geschichteten Kieselnadeln der Schwämme etwas Ähn-
liches erwarten. Die Schichtung der Spieula besitzt im Allgemeinen
den Charakter, welchen organische Produkte des Organismus so
häufig zeigen, d. h., es alterniren meist sehr feine, etwas verschieden
stark lichtbrechende Schichten mit einander. Es ist dies, wie gesagt,
der gleiche Bau, dem wir bei Cellulose- und Chitingebilden so ge-
wöhnlich begegnen, und der in entsprechender Weise bei Sphäro-
krystallen organischer und anorganischer Stoffe so häufig ist. Ich
erinnere nur an die Sphären des Inulins und der Stärke, eben so
jedoch auch an die rein anorganischen des kohlensauren Kalks und
des Schwefels (s. BürscHnLı, 1898 und 1900). Andererseits erachte
16*
238 0. Bütschli,
ich es jedoch sehr wahrscheinlich, dass auch die so gewöhnliche
Schichtung oder Zonarstruktur der Krystalle vielfach, wo nicht Zwil-
lingsbildungen vorliegen, auf entsprechenden Strukturverhältnissen
beruhe (s. 1898 und 1900). Der Grund der verschiedenen Licht-
brechung der abwechselnden Schichten ist, dass sie nicht homogen
sind, sondern von zahlreichen feinsten Hohlräumchen durchsetzt, d.h.
einen sehr feinwabigen Bau nach meiner Auffassung besitzen. Je
nachdem nun das Volum der Hohlräumchen, im Verhältnis zu der
festen Substanz, größer oder kleiner ist, wird die betreffende Schicht
etwas schwächer oder stärker lichtbrechend sein (vgl. hierzu na-
mentlich auch die Erörterungen über die Verhältnisse der Kiesel-
gallerten in meiner Arbeit [II] von 1900).
Unter diesen Umständen war von vorn herein zu vermuthen, dass
auch die Schichtung der Kieselnadeln auf denselben Bedingungen
beruhe und daher auch ihren Kieselschichten eine solch’ feine Hohl-
räumchenstruktur zukomme. Dies war um so wahrscheinlicher, als
ich sowohl bei den künstlichen Kieselgallerten als bei den natür-
lichen (Tabaschir, Hydrophan und Opale) eine Hohlräumchen- oder
Wabenstruktur ganz allgemein verbreitet nachgewiesen habe (1900 I
und früher).
In der Arbeit über die Kieselgallerten wurde im Besonderen er-
örtert und erwiesen, dass diese Struktur bei den künstlichen Gallerten
und wohl auch meist bei dem Tabaschir sowohl im trockenen als im
völlig imbibirten Zustand nicht wahrgenommen werden kann, weil
die Wände der Räumchen so dünn sind, dass sie unter der Grenze
des Sichtbaren bleiben; dass jedoch unter gewissen Bedingungen,
d. h. in einem Moment des unvollständigen Austrocknens oder bei un-
vollständiger Erfüllung der Hohlräumchen mit Flüssigkeiten die Struktur
sehr deutlich hervortritt. Der Grund dieser Erscheinung liegt zwei-
fellos darin, dass im letzteren Fall die dünnen Wände der Hohl-
räumchen dureh die beiderseits adhärirenden dünnen Flüssigkeits-
schichten so weit verstärkt sind, dass sie sichtbar werden.
Da nun die Sehichten der untersuchten Kieselnadeln weder bei
Betrachtung in toto, noch auch in dünnsten, durch Zertrümmerung er-
haltenen Fragmenten eine feinere Struktur erkennen lassen, so lag
es nahe zu versuchen, ob sie unter ähnlichen Bedingungen wie die
künstlichen Kieselgallerten, d. h. beim Austrocknen aus Wasser vor-
übergehend eine Struktur zeigen. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Lufttroekene Nadeln, die angehäucht werden, und deren Austrocknen
ınan unter dem Mikroskop bei hinreichender Vergrößerung verfolgt,
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 239
werden dabei nie trübe oder weiß (resp. braun im durchfallenden
Licht) und zeigen in keinem Moment etwas von feinerer Struktur. Das
Ergebnis war eigentlich nicht überraschend, denn die Kieselnadeln ver-
halten sich in so fern wesentlich anders als die künstlichen Gallerten
und der Tabaschir, als sie sich, im trockenen Zustand in Wasser ge-
bracht, nieht damit imbibiren, oder doch nur in äußerst geringfügigem
Maße (die genaue Feststellung erforderte Untersuchung einzelner sehr
eroßer Nadeln); jedenfalls ist bei der Überführung lufttroekener Na-
deln in Wasser oder sonstige Flüssigkeiten nie etwas von Luftaus-
tritt wahrzunehmen, wie bei den künstlichen Kieselgallerten, dem
Tabaschir und Hydrophan. In dieser Hinsicht verhalten sich also
die Kieselnadeln analog den Opalen und dem Hyalith, die ebenfalls
keinen Luftaustritt zeigen und nur sehr geringfügige Flüssigkeits-
mengen zu imbibiren im Stande sind. Auch die später mitzuthei-
lenden Erfahrungen werden zeigen, dass die Kieselsubstanz der
Spongiennadeln von Flüssigkeiten nieht durchdrungen wird, und dass
sie daher jedenfalls auch die Verdunstung eventuell eingeschlossener
Flüssigkeiten sehr energisch hindert.
Unter den angeführten Bedingungen ist es also ausgeschlossen,
dass eine feine Wabenstruktur der Schichten, wenn sie vorhanden
sein sollte, durch das, bei den künstlichen Kieselgallerten und dem
Tabaschir von mir verwendete Verfahren sichtbar gemacht werden
könnte.
Dass aber eine solehe Struktur doch vorhanden sein dürfte, nur
zu fein für die Wahrnehmung, wurde durch die gelegentliche Beob-
achtung einer stumpfspitzigen Stabnadeli von Geodia wahrscheinlich
(s. Taf. XIX, Fig. 7, Vergr. 5200). Diese in Kanadabalsam unter-
suchte Nadel, welche zuvor einige Zeit in wässeriger Methylenblau-
lösung gewesen und einen ganz schwach bläulichen Ton angenommen
hatte!, zeigte am stumpfen Ende einen recht deutlichen Wabenbau
der den Achsenfaden zunächst umlagernden Schichten. Die Photo-
graphie wird dies klarer hervortreten lassen als eine Beschreibung
durch Worte. Auch der Achsenfaden (a) war deutlich feinwabig ge-
baut und in seinem Ende, so weit dies dunkler erscheint, waren die
Hohlräumehen der Waben sicher von Gas erfüllt.
Diese Geodia-Nadel blieb aber bis jetzt die einzige, an welcher
ich im nicht weiter veränderten Zustande eine Andeutung von Wabenbau
der Kieselsubstanz beobachtete. Einstweilen dürfte es nicht möglich
! Es handelte sich dabei aber wohl sicher nur um eine Adsorption der
Farbe auf der äußeren Fläche der Nadel.
240 0. Bütschli.
sein, die Bedingungen zu präecisiren, welche bei dieser Nadel die
Struktur sichtbar machten. Dagegen giebt es ein einfaches Mittel,
um eine ausgezeichnet schöne, feinwabige Mikrostruktur in der ge-
sammten Kieselsubstanz hervortreten zu lassen; dazu genügt nämlich
relativ schwaches Erhitzen der Nadeln.
Schon BOWERBANK (1858) hatte beobachtet, dass die sehr bieg-
samen und elastischen Nadeln von Crantella cranıum (= Thetea cera-
nium bei BOWERBANK) beim Erhitzen in einer Spiritusflamme bis zur
Weißgluth (»white heat«) ihren Durchmesser beträchtlich vergrößern
und nun zu »extremely thin tubes of silex lined with a dense and
nearly opake film of charcoal, rough and granulated in its appearance«
geworden sind (p. 283). Ähnlich verhielten sich auch die Nadeln von
Geodia MeAndrewii Bwb. Hieraus wollte er schließen, dass diese
Nadeln nur eine dünne Rinde von Kieselsubstanz besäßen, ihr Inne-
res dagegen aus verbrennlicher Hornsubstanz bestände. Nadeln an-
derer Kieselschwämme dagegen, die sich beim Glühen weniger änder-
ten, beständen aus mehr Kieselsäure, ja sogar fast ohne Beimischung
organischer Substanz.
Auch M. Scnurtze (1860, p. 17) sah, dass die Schopfnadeln von
Hyalonema sich beim Erhitzen bräunen, und dass die Schichtung
deutlicher wird, was schon Gray beobachtet habe; die Schichten
blättern sich auch ab. Aus diesen und anderen Erfahrungen ist er
seneigt zu schließen, dass in den Kieselnadeln Schichten von Kiesel
und organischer Substanz alterniren, und dass dies »die Ursache
der Schichtstreifung sei«. Doch zeigten die abgeblätterten, bis zur
Weißgluth erhitzten Kieselschichten kein homogenes, sondern »ein
unregelmäßig getüpfelt körniges, manchmal blasiges Ansehen«. Letz-
teres könne auf dem Wassergehalt der amorphen Kieselsäure
beruhen, doch »wäre daneben ein Gehalt von organischer Substanz
möglicherweise mit im Spiele«.
Richtiger beurtheilte KöLLıxer (1864) abe beim Glühen hervor-
serufenen Veränderungen der Nadeln; er studirte die von Tethya,
Geodia und Ancorina. Die Bräunung der Nadeln rühre nicht von
Kohle her, wie BOWERBANK annahm, sondern von »Luft!, die in
vielen feinen Höhlen und Spalten enthalten ist« (p. 60). Bei »ge-
wissen Gattungen« lasse sich diese »Luft« durch Kochen der Nadeln
in Terpentinöl austreiben. Sie trete häufig spaltartig zwischen den
! Obgleich KÖLLIKER stets von »Luft« spricht, ist doch aus seiner Dar-
stellung klar, dass er darunter nicht Luft im speciellen Sinne, sondern Gas
versteht.
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 241
Schiehten auf. Wahrscheinlich stamme die Luft aus dem Inneren
der Nadel und entstehe durch Verbrennen des Centralfadens und
»zarter, zwischen den Kiesellamellen enthaltener Lagen organischer
Materie«, doch könne auch der Wassergehalt »an dem Auftreten von
Luft« einen Antheil haben.
Wenn man die Nadeln von Geodia und Tethya schwach glüht, so
werden sie im auffallenden Licht weiß und undurchsichtig, im durch-
fallenden braun bis ganz undurchsichtig. Auch zerspringen sie häufig.
Einige Messungen an solch’ schwach geglühten und sonst in
keiner Weise deformirten Nadeln von Geodia ergaben, dass ihre Länge
keine sichere Veränderung erfährt, dass dagegen die Dicke um etwa
420%/, der ursprünglichen wächst (siehe die nachstehende Tabelle).
Ungeglüht | Geglüht
Dicke Länge | Dicke | Länge
Geodia. Stumpfspitzer ' 0,040 mm — 0,064 mm —
>» ı 0,056 » | — ı 0,076 —
>» (Stuck) a2 m 1,72
Ankernadel ' 0,058 » u 0,076 » m
» (oberesStück)) 0,036 >» 1 1 20.0542 ar!
Eine größere Menge der schwach seglühten Nadeln erscheint
keineswegs rein weiß, sondern deutlich grau; es ist sehr langes und
starkes Glühen, womöglich in fein pulverisirtem Zustand, erforderlich,
um ein rein weißes Präparat zu erhalten. Dieser graue Ton nach
dem Glühen rührt sicher von verkohlter organischer Substanz her.
Damit hat jedoch die durch schwaches Glühen bewirkte Un-
durchsichtigkeit der Nadeln, resp. ihre mehr oder weniger tiefe
Braunfärbung im durchfallenden Licht, durchaus nichts zu thun,
sondern diese Erscheinung rührt ausschließlich daher, dass die Nadel-
substanz jetzt durch und durch von feinen gaserfüllten Hohlräumehen
durchsetzt ist.
Bei Geodia, zu deren Betrachtung wir uns zunächst wenden,
treten, wie bemerkt, an den schwach geglühten Nadeln meist keiner-
lei Deformationen auf. Wie schon KörLıker (1864, p. 60) beob-
achtete, bleibt in der Regel eine äußerste, dünne Lage der Nadel-
substanz durchsichtig homogen; die Untersuchung ergiebt darin
keinerlei sichtbare Struktur. An zertrümmerten Nadeln zeigt sich
hier und da sicher, dass auch um den Achsenkanal eine ähnliche
dünne unstrukturirte Schicht vorhanden sein kann. Hiermit steht
wohl im Zusammenhang, dass sehr dünn auslaufende Enden von
242 O0. Bütschli.
Nadeln und sehr dünne Nadeln überhaupt durch Glühen wenig ver-
ändert werden. Der Achsenfaden wird beim Glühen verkohlt und
erscheint nun als schwarzbrauner bis ganz schwarz undurchsich-
tiger Strang, was die früheren Beobachter schon feststellten. Doch
ist dies bei Tethya viel besser nachzuweisen, deren Achsenfäden viel
dicker sind als die der Geodia-Nadeln.
Um die durch das Glühen hervorgerufenen Strukturerscheinungen
der Nadelsubstanz genauer zu studiren, zertrümmert man am geeig-
netsten einige Nadeln in Kanadabalsam durch den Druck eines Deck-
glases oder Objektträgers zu feinen bis gröberen Fragmenten, da die
sanzen Nadeln für das genaue Studium der Struktur zu undurch-
sichtig sind. Auf diese Weise erhält man Fragmente verschiedenster
Dicke, bis zur größten Feinheit herab, und sogar solche, die in den
verschiedensten Richtungen aus den Nadeln herausgebrochen sind,
darunter Querbrüche oder (@uerschnitte, Längsschnitte und nament-
lich auch häufig abgeblätterte feinste Partien der Schichten, welche
für das Studium der feinen Strukturen in der Flächenansicht beson-
ders geeignet sind. Dabei hat man nicht zu befürchten, dass die
Struktur durch eventuelles Eindringen des Balsams weniger deut-
lich werde. Das ist durchaus nicht der Fall, vielmehr bleibt die
Gaserfüllung auch in den feinsten und dünnsten Fragmenten unver-
ändert erhalten, zum Beweis, dass keinerlei Eindringen des Balsams
in die Hohlräumchen eintritt.
Wie die früheren Beobachter schon erkannten, wird die Schich-
tung durch schwaches Glühen verdeutlicht, was sich aus den gleich
zu schildernden Strukturerscheinungen erklärt.
In Folge des Glühens treten in der Kieselsubstanz, mit Aus-
nahme der schon oben erwähnten Partien, dichtest gedrängt eine
Unmenge feinster Hohlräumchen auf, so dass die Struktur der Sub-
stanz jetzt eine durch und durch feinwabige ist. Das Nichtein-
dringen von Flüssigkeit beweist ferner mit aller Bestimmtheit, dass
es sich um wirklich abgeschlossene Hohlräumchen handeln muss. Am
klarsten sichtbar ist die feinwabige Struktur natürlich an ganz dün-
nen Fragmenten abgeblätterter Schichten, die in Flächenansicht be-
trachtet werden und nur aus einer einzigen Lage von Hohlräumehen
oder Waben bestehen. Recht klare Bilder dieser Art zeigen die
Photographien Fig. 8 (Vergr. 3200) und 10 (Vergr. 4300) auf Taf. XIX;
es liegt hier ein recht nie feines Wabenwerk vor, dessen
Regelmäßigkeit kaum durch eingestreute größere Hohlräumchen ge-
stört wird. Der Durchmesser der feinsten Wabenräumchen berechnet
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 243
sich auf ca. 0,6 «. Gleichzeitig ist auf der Photographie des größe-
ren Fragmentes (Fig. 8, Taf. XIX) noch ein sehr interessantes Ver-
halten nachzuweisen. Die Hohlräumehen gruppiren sich nämlich
an einigen Stellen (a) ziemlich deutlich koncentrisch um einen Mittel-
punkt, d. h. sie nehmen den Charakter sphärokrystallinischer Bil-
dungen an. Diese, mir erst verhältnismäßig spät aufgefallene Er-
scheinung ist nicht ohne Interesse, in so fern ich auch bei den
künstlich dargestellten Kieselgallerten nachzuweisen vermochte, dass
durch Glühen eine entsprechende Änderung in der Struktur bewirkt
wird (s. 1900). Auch bei diesen entstehen mehr oder weniger zahl-
reiche Sphärolithe, von denen vor dem Glühen nichts zu beobachten
war. Ich werde weiter unten auf die Ähnlichkeit der Veränderungen,
welche die künstlichen und natürlichen Kieselgallerten sowie die
Kieselnadeln der Spongien beim Glühen erfahren, noch etwas näher
eingehen.
Fragmente, die in radiärer Richtung aus der geglühten Schwamm-
nadel herausgebrochen sind, zeigen in der Regel eine schöne Längs-
reihung der Waben, entsprechend der Schichtung. Es ergiebt sich
so, dass im Allgemeinen jede der feinen Schichten durch das Glühen
zu einer einzigen Wabenschicht umgestaltet wird, ein Verhalten,
welches sich jedoch sowohl aus dem der Fig. 7, Taf. XIX schon er-
schließen ließ, als auch daraus, dass man so häufig dünne abge-
blätterte Fragmente von Schichten findet, die nur eine einzige Waben-
lage dick sind. Auf Fig. 9 (Taf. XIX, Vergr. 4300) ist ein sehr
kleines und dünnes Fragment abgebildet, das zweifellos in annähernd
radiärer Richtung aus einer Nadel herausgebrochen ist, und welches
die längsgerichtete, mit der Schiehtung zusammenhängende Waben-
reihung sehr deutlich zeigt.
Hier und da gelingt es auch unter den zertrümmerten Fragmen-
ten Querbruchstücke zu finden, welche die Struktur und ihre Beziehung
zu dem Schichtenbau gleichfalls schön zeigen. Ein gutes Fragment
dieser Art stellt Photographie Fig. 2 (Taf. XX) dar. Der Achsen-
kanal (a) ist deutlich zu erkennen und leer. Der Wabenbau ist ent-
schieden etwas unregelmäßiger als auf den früher besprochenen
Fragmenten, indem sich hier und da ein wenig größere Hohlräumchen
gebildet haben, welche die ursprünglich jedenfalls vorhanden ge-
wesene Regelmäßigkeit stören. Das Verhalten der Tethya-Nadeln
beim Glühen wird das Auftreten soleher Unregelmäßigkeiten weiter
erläutern.
Schon oben wurde betont, dass verdünnter oder diekerer
244 0. Bütschli,
Kanadabalsam nieht in die Hohlräumchen der Kieselsubstanz eindringt.
Die weitere Untersuchung ergab, dass dies auch für alle anderen ver-
suchten Flüssigkeiten gilt. Weder Wasser noch Alkohol, Xylol und
Terpentinöl drangen ein; selbst viele Stunden lang fortgesetztes
Kochen mit Xylol oder Terpentinöl ergab nicht die geringste Ver-
änderung der Nadeln, sie blieben so weiß und undurchsichtig wie
zuvor und haben sich, seit einem Jahr in Terpentinöl aufbewahrt,
nicht im geringsten aufgchellt. Im Allgemeinen steht diese Erfahrung
in Einklang mit KÖLLiker’s Beobachtungen, doch bemerkt er: »wenig-
stens bei gewissen Gattungen lasse sich die Luft« (im Inneren der
geglühten Nadeln) »durch Kochen in Terpentinöl austreiben«. Bei
Geodta ist dies, wie gesagt, nicht der Fall, und ich möchte fast ver-
muthen, dass es überhaupt nur bei sehr stark und anhaltend ge-
glühten und daher viel mehr veränderten Nadeln gewisser Arten der
Fall sein mag.
Dass nämlich die Nadeln mancher Kieselschwämme durch starkes
Glühen viel energischer verändert werden, zeigen die Erfahrungen
bei Tethya. Schon bei mäßigem Erhitzen der Nadeln tritt eine sehr
starke Bräunung bis Verkohlung des meist sehr dicken Achsenfadens
ein, welcher dann als dunkelbrauner bis ganz undurchsichtiger Faden
schr deutlich hervortritt (s. die Photographien Taf. XX, Fige. 7
und 8). Dabei kann solch’ mäßig erhitzten Nadeln eine Veränderung
der Kieselsubstanz ganz fehlen, abgesehen davon, dass die Schichtung
in der Regel viel deutlicher geworden ist. Zuweilen tritt aber ein
feiner Wabenbau in den innersten, den Achsenfaden direkt umge-
benden Schichten deutlich hervor, wie die Photographien Figg. 7
und 8 Taf. XX (Verer. 1730) zeigen. Einzelne solch’ schwach ge-
slühte Nadeln sind jedoch auch ganz undurchsichtig geworden, hier
und da blasig, indem sich zerstreute ansehnlichere Gasblasen ent-
wickelt haben; auch die Oberfläche ist zuweilen mehr oder weniger
mit solch’ blasigen Erhebungen bedeckt. An den stark geglühten
Nadeln der Tethya gehen diese Veränderungen viel weiter. Häufig
hebt sich die äußere Lage der Kieselsubstanz auf große Strecken weit
von der inneren Partie ab, indem sich zwischen beiden ein gas-
erfüllter weiter Raum bildet. Dabei zeigt der abgehobene Mantel die
verschiedenartigsten Unregelmäßigkeiten, Auftreibungen, Einschnürun-
sen und dergleichen mehr. Fig. 29 auf Taf. XXI giebt die Skizze des
stumpfen Endes einer langen Stabnadel mit weit abgehobener äußerer
Schicht wieder. während die innere Partie mit dem verkohlten Achsen-
faden (af) hier wenig verändert ist. Die Kieselsubstanz dieser stark
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 245
seglühten Nadeln ist ebenfalls durchaus mit gaserfüllten Hohlräum-
| chen durchsetzt, wie es die abgehobene Mantelschicht der Fig. 29,
- Taf. XXI zeigt. Dagegen ist ein so gleichmäßiges feines Wabenwerk,
wie es bei Geodia und den schwach geglühten Nadeln von Tethya
beobachtet wurde, hier seltener. Die Erfüllung durch die Hohlräum-
chen macht mehr den Eindruck einer emulsiven Bildung; die Hohl-
räumchen sind viel unregelmäßiger in ihren Größenverhältnissen,
kleinere und größere, bis recht ansehnliche, sind unregelmäßig ver-
mischt; auch sind die einzelnen Räumchen selbst häufig recht un-
regelmäßig gestaltet. Der mehr emulsive Charakter zeigt sich jedoch
namentlich dadurch, dass die Hohlräumehen weniger dieht gedrängt
sind, die Zwischensubstanz zwischen ihnen reichlicher vorhanden ist.
Doch fehlen auch Stellen nieht, wo die Kieselsubstanz eben so fein-
wabig strukturirt ist als bei Geodia. Im Allgemeinen gilt auch für
die seglühten Tethya-Nadeln, dass Kanadabalsam und andere Flüssig-
keiten nicht in die gaserfüllten Hohlräumchen eindringen. Bei den
stark geglühten Nadeln ist dies aber nicht stets der Fall; in größere
blasige Räume, welche durch Abhebung der äußeren Mantelschicht
entstanden, ist der Balsam zum Theil sicher eingedrungen; dies weist
darauf hin, dass wohl Eröffnungen dieser Hohlräumehen durch feine
Sprünge oder Lückenbildungen entstanden sind.
Die geschilderten Veränderungen der stark geglühten Nadeln
von Tetihya erwecken die Vermuthung, dass beim Glühen eine ge-
wisse Erweichung der Kieselsubstanz eintreten muss; wenigstens ist
es schwer vorstellbar, dass solche Auftreibungen, wie sie Fig. 29,
Taf. XXI zeigt, ohne Zerreißen oder Zerspringen der Mantelschicht
entstehen könnten, wenn nicht eine gewisse Plastieität der Kieselsub-
stanz beim Glühen einträte; dazu gesellt sich die Wahrnehmung, dass
man häufig Hohlräumcehen beobachtet, die wie aus mehreren zu-
sammengeflossen erscheinen. Diese Erfahrungen lassen mich ver-
muthen, dass die Veränderungen der Tethya-Nadeln bei starkem
Glühen daher rühren, dass die ursprüngliche, sehr feine Wabenstruktur,
die auch hier wie bei Geodia zuerst auftritt, durch Zerreißen der
Wände benachbarter Räumehen allmählich zerstört wird. Auf diese
Weise bilden sich größere unregelmäbigere Räumehen und der Cha-
rakter der Struktur wird mehr emulsiv als wabig. Die blasigen Ab-
hebungen der äußeren Mantelschieht, die sich zuweilen auch an in-
neren Schichten wiederholen, dürften auf das Zerreißen ganzer
Wabenschiehten zurückzuführen sein, wodurch sich größere gas-
erfüllte Räume bilden. Die gesammte Frscheinung erinnert in vieler
246 0. Bütschh.
Hinsicht an die Zerstörung feiner mikroskopischer Schaumwerke,
wie sie bei Erweichung und Verflüssigung der Gerüstsubstanz eintritt.
M. ScHULTZE und KÖLLIkER suchten die Veränderung der Kiesel-
nadeln beim Glühen theils von dem Gehalt der Kieselsubstanz an
organischer Substanz, theils von dem Wassergehalt derselben abzu-
leiten. Beides kommt bei der Bildung der gaserfüllten Räumcehen
sicher in Betracht. Doch scheint mir nicht fraglich, dass die Erschei-
nung in erster Linie auf den Wassergehalt zurückgeführt werden muss.
Jedenfalls würde derselbe allein genügend erscheinen, um die Vor-
gänge zu verstehen. Über den Wassergehalt der lufttrockenen Kiesel-
nadeln hat namentlich Sornas bei den Tetractinelliden (1888) eine
Anzahl sorgfältiger Bestimmungen ausgeführt, während ihn zuvor schon
ScHuLzE (1887, p. 28) in einem Fall zu 716°), ermittelt hatte!.
SOLLAS isolirte die Nadeln durch Kochen mit rauchender Salpeter-
säure, entfernte dann sorgfältig, wenn nöthig, Verunreinigungen
und pulverisirte die ganz gereinigten trockenen Nadeln im Agat-
mörser. Hierauf wurde das Pulver nochmals mit rauchender Salpeter-
säure gekocht, um den Achsenfaden möglichst zu zerstören. Endlich
wurde bei 95° getrocknet. Bei schwacher Rothgluth (über einer
Bunsenflamme) ließ sich etwa ?/, des Wassers austreiben; zur völligen
Entfernung des Wassers wurde 5—10 Minuten so stark wie möglich
über einem »Herapath« geglüht. Der bei sieben Arten auf diese
Weise bestimmte Wassergehalt schwankte zwischen 6,1 und 7,34 P/,.
An den mit koncentrirter Schwefelsäure und Chromsäure isolirten
und ganz reinen Nadeln von Geodia placenta, die bei 40° getrocknet
waren, habe ich selbst zwei Bestimmungen ausgeführt. In nicht
pulverisirtem Zustand verloren dieselben bei 110° 2,16°/,, darauf
über einem dreifachen Bunsenbrenner !/,® stark geglüht noch
3,77 °/,, insgesammt also 5,93 %/,. Pulverisirt und 10 Minuten stark
seglüht betrug der Verlust dagegen 6,78 %,. Dabei ist jedoch die
organische Substanz des Achsenfadens, der bei diesen Nadeln nicht
überall zerstört war, unberücksichtigt gelassen, und der eigentliche
Wassergehalt daher jedenfalls ein wenig niedriger. Es schien mir
von Interesse, eine vollständige Analyse der Nadeln vornehmen zu
lassen, da ich wenigstens in zoologischen Werken eine solche nicht
angetroffen habe. Auf mein Ersuchen ließ Herr Professor JANNASCH
in dankenswerther Weise zwei Analysen nach der Borsäuremethode
im hiesigen Universitätslaboratorium ausführen. Dabei lag ebenfalls
! Spienla von Poliopogon amadon bei 105° getrocknet Bestimmung von Mary.
ohne Angabe über die Art der Ausführung).
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 247
sehr reines, mit koncentrirter Schwefelsäure und Chromsäure gerei-
nigtes Material, das ich dargestellt hatte, zu Grunde. Das Wasser
wurde durch Zusammenschmelzen der Substanz im Glasrohr mit
einem Gemisch von doppelehromsaurem Kali und Quarzpulver (4:1)
bestimmt, im Chlorcaleiumrohr aufgefangen und gewogen. Gleich-
zeitig wurde dabei auch auf Kohlensäure geachtet, jedoch keine ge-
funden; eben so wenig ließen sich Kohlenstoff und Stickstoff qualitativ
nachweisen. Die Analysen ergaben folgende Resultate:
I Il
so are, 23,
MO —= 0,19 010
Kor 70655 0,62 >
N2,0, 270,82. 0,80
oe 5,98 »
100,17, 99,85 %%,
Thonerde, Eisen und Kalk waren in Spuren nachweisbar. Was bei
diesen beiden Analysen vor Allem auffällt, ist die Nichtnach weisbar-
keit sicherer Mengen organischer Substanz. Ich habe daher nach-
träglich das in ansehnlicher Menge vorhandene Nadeimaterial, mit dem
die beiden Analysen ausgeführt waren, geprüft und gefunden, dass bei
Behandlung mit schwacher Flusssäure zahlreiche Achsenfäden zurück-
bleiben, dass also sicher noch organische Substanz vorhanden ist.
Jedenfalls muss jedoch ihr Gesammtbetrag gegenüber der Menge der
anorganischen Substanzen so unerheblich sein, dass sie nicht oder kaum
bestimmbar erscheint. Bei Kieselnadeln mit relativ diekeren Achsen-
fäden, z. B. denen der Tet/ya, wird es leichter sein, die Menge und even-
tuell auch die Zusammensetzung der organischen Substanz festzustellen.
Wegen der Differenz des von mir ermittelten Glühverlustes der
pulverisirten Nadeln (6,75 %/,) mit dem durch direkte Bestimmung
gefundenen Wassergehalt der beiden Analysen, habe ich mit dem
Material nochmals eine Bestimmung vorgenommen. Dieselbe ergab
bei vierstündigem Erhitzen des lufttrockenen, feinpulverisirten Mate-
Eials bei 110° einen Verlust von a. 3,27°/,, b. 2,99°/,, darauf ?/,®
heftig geglüht, gingen weiter a —= 4,18%/,, b = 3,89°/, verloren, ins-
gesammt also a = 7,45 °/,, b = 6,88 °/,. Feinpulverisirtes Material,
das zuvor mit rauchender Salpetersäure gekocht, darauf ausgewaschen,
auf dem Wasserbad getrocknet und ?/," heftig geglüht war, ergab
einen Glühverlust von 6,17/, (bei 110° hatte es 2,02°/, verloren).
Berechnet man den Glühverlust, den das bei 110° getrocknete Material
248 0. Bütschli,
erleidet, so ergiebt sich für die beiden nicht mit Salpetersäure be-
handelten Proben a = 4,45 %/,, b = 4,05 %,, für die mit Salpeter-
säure gekochte dagegen 4,24 ®/,. Hieraus folgt, dass der quanti-
tative Betrag an organischer Substanz, vorausgesetzt, dass er durch
die Salpetersäure wirklich völlig zerstört wurde, jedenfalls sehr ge-
ringfügig sein muss.
Aus dem Angeführten geht hervor, dass der Wassergehalt der
Nadeln relativ ansehnlich, der Gehalt an organischer Substanz dagegen
jedenfalls sehr gering ist. Ob sich, abgesehen von dem Achsenfaden,
in der eigentlichen Kieselsubstanz etwas organische Substanz findet,
soll weiter unten genauer erörtert werden. Dass die Nadeln, deren
Achsenfäden nicht zerstört waren, beim Glühen grau werden und
auch feinpulverisirtes Material sehr stark und lang geglüht wer-
den muss, um rein weiß zu werden, kann ja allein von der organi-
schen Substanz der Achsenfäden herrühren. Das mit koncentrirter
Schwefel- und etwas Chromsäure gekochte Material wurde beim
Glühen viel weniger grau, jedenfalls war hier die Zerstörung der
organischen Substanz, insbesondere die der Achsenfäden, weiter ge-
sangen, doch keineswegs vollständig, wie schon oben betont wurde.
Aus den geschilderten Verhältnissen scheint nun ziemlich sicher
zu folgen, dass das Hervortreten der feinwabigen Struktur beim
Glühen vor Allem auf dem Verdampfen des Wassers beruhen muss.
Wie oben betont wurde, werden die Nadeln dabei beträchtlich dicker,
während ihre Länge sich nicht merklich ändert. Diese Erscheinung
erinnert an das Verhalten geschichteter quellbarer Körper beim Auf-
quellen, indem dabei in der Regel die Zunahme in der Diekenrich-
tung der Schichten viel größer ist als in der Fläche, ja es kann
unter Umständen sogar eine Zusammenziehung in der Fläche ein-
treten (s. hierüber Bürscuuı, 1896, p. 12 ff. und 1898, p. 176—178).
Meine Meinung ist nun folgende. Das Auftreten der feinwabigen
Struktur beruht darauf, dass eine solche auch schon in der nicht ge-
glühten Nadel besteht, jedoch zu fein, um mikroskopisch sichtbar zu
sein. Beim Glühen tritt eine Verdampfung des in den Wabenhohlräum-
chen eingeschlossenen Wassers ein und damit eine Erweiterung derselben
bis zur Sichtbarkeit. Für diese Ansicht spricht vor Allem die Be-
obachtung, dass wenigstens in einem Fall auch eine nicht geglühte
Nadel (s. Fig. 7, Taf. XIX) den wabigen Bau der Schichten deutlich
zeigte. Aber auch der Schichtenbau überhaupt spricht sehr für diese
Auffassung, da ich bei ähnlich geschichteten kolloidalen Körpern viel-
fach nachweisen konnte, dass die Schichtung von einer schichtweisen
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 249
Anordnung von Hohlräumchen oder Waben herrührt, und dass die
etwas verschiedene Lichtbrechung der alternirenden Schichten auf
dem etwas wechselnden Gehalt derselben an Hohlräumchen und fester
Substanz beruht. Schon diese Erfahrung macht es in der That sehr
“wahrscheinlich, dass auch bei der kolloidalen Kieselsäure der
Schwammnadeln die Schichtung durch entsprechende Verhältnisse be-
dingt sein muss. Dass es vor Allem oder ausschließlich der Wasser-
«ehalt der Hohlräumchen sein muss, welcher die wabige Struktur der
geglühten Nadeln hervorruft, folgt auch aus dem ganz analogen Ver-
halten der später genauer zu besprechenden Kalknadeln. Diese ent-
halten sicher keinen Achsenfaden und nur sehr wenig, wenn überhaupt,
organische Substanz. Dennoch zeigen auch sie nach vorsichtigem
Erhitzen den feinen Wabenbau durch und durch in ganz vollendeter
Schönheit. Hier muss es sich demnach im Wesentlichen um eine
durch den Wasserverlust hervorgerufene Erscheinung handeln.
Für einen ursprünglichen, schon vor dem Glühen bestehenden
Wabenbau der Kieselnadeln sprechen nun besonders auch meine
Untersuchungen über die kolloidalen künstlichen und natürlichen
Kieselgallerten. Bei den künstlich hergestellten sowohl, als bei dem
Tabaschir, Hydrophan, Halbopal und Edelopal ließ sich der fein-
wabige Bau überall sicher erweisen. Bei den genannten Opalen ist
er stets verbunden mit einer sehr ausgesprochenen sphärolitbischen
Struktur, wie wir sie in Andeutung auch bei den geglühten Nadeln
von Geodia auftreten sahen. Die Kieselsubstanz der Schwammnadeln
nähert sich auch in so fern der der eigentlichen Opale, als sie jeden-
falls von Wasser nicht durchdrungen wird, während dies für die
der künstlichen Kieselgallerte, des Tabaschirs und des Hydrophans
in hohem Grade gilt. Damit stimmt überein, dass das specifische
Gewicht der Kieselnadeln dem der Opale nahezu entspricht. Bei
letzteren ist nun die wabige Struktur gewöhnlich ohne Weiteres an
dünnen Fragmenten oder Schliffen klar zu erkennen, woraus folgt,
dass die Wabenräumchen großentheils mit Gas oder Luft gefüllt sein
müssen. Dies lehrt auch der niedere Wassergehalt, der ähnlich wie
bei den Kieselnadeln in der Regel nur einige Procente beträgt.
Wären die Hohlräumehen des Wabenwerks der Opale mit Wasser
erfüllt, so müssten sie im Minimum etwa 40—50°/, H,O enthalten,
wahrscheinlich jedoch bedeutend mehr. Dies folgt sicher aus dem
Verhalten des Tabaschirs und der künstlichen Kieselgallerte, die bis
100°/, und mehr Wasser im imbibirten Zustand einschließen.
Aus diesen Betrachtungen ergiebt sich denn wohl mit Sicherheit,
250 0. Bütschli,
dass die Hohlräumchen der Kieselspicula (den feinwabigen Bau auch
im nicht geglühten Zustand vorausgesetzt) ebenfalls nicht wassererfüllt
sein können. Auch bei ihnen müssen die Räumchen in der Haupt-
sache gaserfüllt sein, da der Gesammtwassergehalt viel zu gering ist,
für eine völlige Ausfüllung der Wabenräumchen mit Wasser. Etwas
Wasser werden die Räumchen dennoch als Wandbelag enthalten,
da es nach den Untersuchungen J. M. van BEMMELEN’S sehr unwahr-
scheinlich ist, dass das Wasser in Hydratform mit der Kieselsäure
der Kieselgallerten vereinigt ist, vielmehr alle Erfahrungen dafür
sprechen, dass es sich nur absorbirt oder adsorbirt findet. Dass nun,
trotz der vorauszusetzenden Gasanfüllung der Hohlräumchen im nicht
geglühten Zustand, mikroskopisch in der Regel gar nichts von ihnen
zu erkennen ist, erscheint nicht seltsam, da ganz dasselbe für die
künstliche Kieselgallerte und den Tabaschir im lufttrockenen Zustand
silt, obgleich auch die Hohlräumchen des letzteren dann lufterfüllt Sind.
Ich habe gezeigt, dass in diesem Fall die Unsichtbarkeit der
Struktur daher rührt, dass die Wände der Räumchen zu dünn sein
müssen, um mikroskopisch gesehen zu werden. Unter gewissen Be-
dingungen dagegen, d. h. wenn man die Wände durch Öl oder andere
Flüssigkeiten künstlich verdickt (s. oben p. 238), tritt die Struktur
sehr deutlich hervor. Letztere Thatsache ergiebt jedoch einige wei-
tere Fingerzeige für die Beurtheilung der ursprünglichen Struktur der
nicht geglühten Schwammnadeln. Der Versuch, deren Struktur auf
demselben Wege wie bei Tabaschir und der künstlichen Kieselgallerte
sichtbar zu machen, hatte, wie schon oben hervorgehoben, kein Resul-
tat, da Flüssigkeiten in die Kieselsubstanz nicht eindringen.
Ganz eben so wie bei der künstlichen Kieselgallerte und dem Taba-
schir können sich jedoch die Hohlräumehen der Schwammnadeln nicht
verhalten, da sie beim Glühen so deutlich werden. Beruhte die Nicht-
sichtbarkeit der Struktur wie bei Tabaschir und den künstlichen Galler-
ten auf der Dünne der Wände der Hohlräumchen, so könnte durch
Glühen und Verdampfen des Wassers, unter Erweiterung der Hohl-
räumehen, die Struktur nicht sichtbar werden; denn die Vergrößerung
der Hohlräumchen würde die Wände ausdehnen und daher nur noch
mehr verdünnen, die Struktur müsste dann noch weniger sichtbar
sein als zuvor. Um das Hervortreten der Struktur beim Glühen zu
erklären, müssten wir daher annehmen, dass die theils von Gas,
theils von Wasser erfüllten Hohlräumchen zu klein sind, um mikro-
skopisch wahrgenommen zu werden, ihre Wände dagegen relativ so
diek, dass sie auch noch nach der beim Glühen bewirkten Eweite-
Er"
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 251
rung der Räumchen hinreichende Dicke besitzen, um mikroskopisch
sesehen zu werden. Ob diese Erklärung jedoch völlig zutrifft, scheint
mir etwas zweifelhaft aus dem Grunde, weil auch die künstlichen
Kieselgallerten, sowie Tabaschir und Edelopal, nach meinen Er-
fahrungen beim Glühen sich ähnlich verhalten wie die Schwamm-
nadeln. Die Verfolgung der Veränderungen, welche die ersteren beim
Glühen erleiden, ergab nämlich (s. 1900, p. 355 —343 und p. 3831),
dass die Hohlräumehenstruktur dabei viel gröber und deutlicher wird,
d. h., dass sowohl die Hohlräumchen größer, als ihre Wände dicker
werden. Bei den künstlichen Kieselgallerten tritt dies ja in so fern am
klarsten hervor, als sie nach anhaltendem Glühen ohne Weiteres eine
deutliche Struktur zeigen, während sie vor dem Glühen davon gar
nichts erkennen ließen. Dabei zeigt sich auch an den stärker ge-
glühten Kieselgallerten eine ganz ausgesprochene Neigung zur Ausbil-
dung einer sphärolithischen Struktur, wie wir es ähnlich, wenn auch
viel weniger ausgesprochen, bei den Kieselnadeln fanden.
Diese Erfahrungen weisen nun darauf hin, dass auch beim Glühen
der Kieselnadeln vermuthlich tiefere Veränderungen der ursprüng-
lichen Struktur eintreten als eine einfache Erweiterung der ursprüng-
lichen Hohlräumcehen. Die Analogie mit dem Verhalten der Kiesel-
gallerte und dem Edelopal macht es vielmehr sehr wahrscheinlich,
dass die ursprünglich so feine und desshalb unsichtbare Wabenstruktur
dadurch in eine sichtbare umgewandelt wird, dass die Räumchen
beim Glühen sich zu größeren vereinigen unter gleichzeitiger Ver-
diekung der Wände. Diese Auffassung findet auch in dem Verhal-
en der Tethya-Nadeln bei starkem (Glühen eine Stütze, denn, wie
wir sahen, macht dasselbe ganz den Eindruck einer fortgesetzten
Vereinigung ursprünglich kleinerer Hohlräumehen zu größeren und
schließlich zu ansehnlichen blasigen Räumen.
Wie ich schon für die Kieselgallerte betonte, lässt sich eine solche
Umwandlung der ursprünglichen Struktur nicht wohl verstehen ohne
die Annahme, dass beim Glühen eine gewisse Erweichung der festen
Kieselgerüstsubstanz eintrete, eine Vermuthung, auf die uns ja auch
schon die Verfolgung der beim starken Glühen der Tethya-Nadeln
auftretenden Veränderungen (s. oben p. 244) direkt hinwies.
Obgleich ich vollkommen einsehe, dass die durch Glühen be-
wirkten Veränderungen der Kieselnadeln in vieler Hinsicht noch
genauerer Erforschung bedürfen, so scheint mir einstweilen die im
Vorhergehenden entwickelte Auffassung doch als diejenige, welehe mit
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bad. 17
252 0. Bütschi,
den an den Kieselnadeln und den Kieselgallerten beobachteten That-
sachen am besten harmonirt.
B. Achsenfäden.
Bei den Studien über die Kieselsubstanz der Nadeln von Geodia
und Tethya nahm der Achsenfaden meine Aufmerksamkeit vielfach
in Anspruch, wesshalb ich mich entschloss, die gelegentlichen Er-
fahrungen durch einige systematische Beobachtungen zu ergänzen
und zu erweitern. Hierzu eignen sich ja gerade die langen Stab-
nadeln dieser Tetractinelliden sehr, da namentlich der Achsenfaden
von Tethya sehr diek ist, wogegen der von Geodia meist geringere
Dimensionen besitzt.
Sowohl in den in Wasser aus den Schwammstücken durch Zer-
zupfen isolirten Nadeln, als in den auf verschiedene Weise durch
Salzsäure, Magensaft, koncentrirte Schwefelsäure, ja durch Kochen
mit koncentrirter Schwefelsäure und Chromsäure isolirten Nadeln
lässt sich der Achsenfaden intakter Nadeln stets gut erkennen. Hier-
aus folgt, dass die zum Isoliren verwendeten, zum Theil auf orga-
nische Substanzen sehr zerstörend einwirkenden Flüssigkeiten die
Kieselsubstanz nicht durchdringen, dass diese vielmehr dem in ihr
eingeschlossenen Faden einen fast absoluten Schutz gegen die Ein-
wirkung sie nicht angreifender Flüssigkeiten gewährt.
Das Gleiche lehren im Allgemeinen auch die Versuche mit
färbenden Flüssigkeiten; auch diese üben auf die Achsenfäden intak-
ter Nadeln mit beiderseits geschlossenen Enden, also auf Achsen-
fäden, die ganz von Kieselsubstanz umschlossen sind, keinerlei Einfluss
aus; mir ist wenigstens kein sicherer Fall vorgekommen, dass ein
derartig abgeschlossener Faden sich gefärbt hätte. Anders liegt dies
für zerbrochene oder absichtlich fein fragmentirte Nadeln; obgleich
wir weiter unten finden werden, dass auch in diesem Fall die Wider-
standsfähigkeit der Fäden noch sehr erheblich ist.
Zunächst fällt auf, dass die Substanz des Achsenfadens das Licht
stärker bricht als die Kieselsubstanz, wie sich fast stets leicht
daran erkenneu lässt, dass die Fäden bei hoher Einstellung hell, bei
tiefer dunkel erscheinen; auf Querschnitten der Nadeln tritt dies
besonders deutlich hervor, ist jedoch auch an den intakten Nadeln
fast stets gut zu erkennen. Sehr häufig trifft man unter den isolirten
Nadeln bekanntlich auch solche, deren Achsenfaden nur theilweise
erhalten ist, während im übrigen Theil der Nadel nur der von Luft
oder Zusatzflüssigkeit erfüllte Achsenkanal vorliegt. Werden die
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 253
Präparate in Kanadabalsam aufgestellt, so lässt sich der Mangel des
Achsenfadens und sein Ersatz durch Kanadabalsam häufig schwer
erkennen, da ja auch der Balsam etwas stärker bricht als die
Kieselsubstanz. An ganz intakten, beiderseits geschlossenen Nadeln
habe ich eine theilweise oder gänzliche Zerstörung des Fadens nie
beobachtet; wenn ein theilweis leerer Achsenkanal vorlag, handelte
es sich stets um einseitig geöffnete oder zerbrochene Nadeln. Der
theilweise oder unter Umständen gänzliche Mangel des Fadens kann
in diesen Fällen verschiedene Ursachen haben. Bei der Isolirung
der Nadeln aus den strahligen Zügen der Marksubstanz von Tethya
durch Zerzupfen begegnete ich mehrfach zerbrochenen Nadeln, deren
Öentralfaden auf eine verschieden lange Strecke frei aus dem Bruch-
ende hervorragte (s. Taf. XXI, Fig. 4). Hieraus folgt, dass der
Faden beim Zerbrechen der Nadeln zuweilen auf eine Strecke weit
aus einem der Bruchstücke herausgerissen wird. Auch innerhalb
einer Nadel kann der Faden zuweilen zerreißen, wahrscheinlich unter
ähnlichen Bedingungen, wie Fig. 12, Taf. XXI zeigt. Bei Anwen-
dung stark zerstörender Isolirungsflüssigkeiten, wie koncentrirte
Schwefelsäure, oder diese nebst Chromsäure, rührt der theilweise
Mangel der Achsenfäden auch von theilweiser Zerstörung her, die
von den natürlich oder durch Bruch künstlich geöffneten Enden aus-
geht. Darüber wird später noch eingehender zu handeln sein.
So weit ich zu urtheilen vermag, ist der Achsenfaden fest und
spröde. Dies ergiebt sich aus den zackigen und scharfen Bruch-
rändern, denen man an fein zertrümmerten Nadeln zuweilen begeg-
net. Fig. 14, Taf. XXI zeigt ein Bruchstück einer zerriebenen Nadel
von Teihya; der Achsenkanal ist der Länge nach gespalten und Reste
des zertrümmerten Achsenfadens sind erhalten und mit MiLLox’s
Reagens roth gefärbt. Die scharfen zackigen Brüche, sowie die
offenbar stattgefundene Zersplitterung des Achsenfadens weisen auf
seine Festigkeit und Sprödigkeit hin.
Eigenthümlich ist das Querschnittsbild des Fadens, das bei bei-
den Tetractinelliden stets deutlich dreieckig erscheint, gleichgültig
ob der äußere Umriss des Nadelquerschnitts selbst etwas dreiseitig
oder ganz kreisrund ist. Vielfach ist jedoch auf den Nadelquer-
schnitten zu erkennen, dass der Querschnitt des Achsenfadens sechs-
eckig erscheint, indem die Ecken des dreiseitigen Umrisses regelmäßig
abgestumpft sind (s. Photographie Fig. 4, Taf. XX und Figg. 17 und 19,
Taf. XXI). Ob diese Sechseckigkeit durchgehend herrscht, ist nicht
ganz leicht festzustellen, scheint mir jedoch wahrscheinlich. Die
nie
254 0. Bütschli,
dreiseitige oder dreikantige Bildung des Achsenfadens lässt sich
häufig auch an den intakten Nadeln oder an isolirten Achsenfäden
erkennen, indem nämlich auf dem Faden eine Kante herabzieht, ge-
mäß dem dreikantigen Bau (s. die Figg. 4, 13, 18, Taf. XXT). Fig. 6,
Taf. XXI zeigt einen isolirten, durch schwache Quellung in Soda-
lösung etwas aufgeknäuelten Faden, der die dreiseitige Beschaffen-
heit auf dem optischen Querschnitt ebenfalls erkennen lässt.
Entsprechend der dreiseitigen Bildung des Achsenfadens ist auch
der Querschnitt dünnerer Nadeln, und der der jugendlichen Nadeln
wohl allgemein, deutlich dreiseitig mit stark abgerundeten Kanten
(Fig. 3, Taf. XX; Fig. 17, Taf. XXI. An den diekerwerdenden Spi-
cula verliert sich die Dreiseitigkeit immer mehr, je stärker sie wer-
den, so dass sie endlich einen kreisrunden Querschnittsumriss erhalten
(s. Fig. 4, Taf. XX; Fig. 19, Taf. XXI). Bei den Vierstrahlern von
Geodia Barettiui hat schon BOWERBANK auf Taf. XXI, Fig. 4 den
dreiseitigen Querschnitt der Nadel, der sich hier vielleicht dauernd
erhält, abgebildet. Bei Teihya, wo sich keine Vierstrahler finden,
besitzen die Querschnitte der Achsenfäden doch stets die dreiseitige
Form. Dass die Lage der drei Ankerarme der Vierstrahler der
Tetractinelliden mit den drei Kanten des Achsenfadens zusammen-
fällt, ist wohl sicher.
Über die sonstigen Formverhältnisse der Achsenfäden mögen hier
nur einige kurze Bemerkungen folgen, da ich nicht beabsichtigte, diese
Verhältnisse eingehender zu untersuchen. Bei Geodia fallen nament-
lich die sehr häufigen und sich vielfach wiederholenden Einschnü-
rungen sowie die dadurch bewirkte Gliederung im Verlaufe der Fäden
auf. Diese Erscheinung tritt besonders gegen die Enden der Fäden
auf, welche bei häufiger Wiederholung der Einschnürungen geradezu
perlschnurartig werden können. Doch fehlen die Einschnürungen
auch im sonstigen Verlaufe der Fäden nicht, sind jedoch hier ge-
wöhnlich spärlicher, und treten daher weniger hervor. Statt ins
Einzelne gehender Beschreibung verweise ich auf die Figuren isolir-
ter Fäden von Geodia, die auf Taf. XXI, Figg. 7 und 18 dargestellt
sind, und diese Beschaffenheit gut zeigen. Fig. 7 ist der isolirte
Faden einer Ankernadel, welcher fast in seiner ganzen Ausdehnung
perlschnurartig gebildet ist, und an den Fäden der Ankeräste je zwei
ansehnliche Anschwellungen zeigt. Fig. 18 dagegen stellt aller Wahr-
scheinlichkeit nach das Ende des Achsenfadens einer stumpfspitzi-
sen Stabnadel dar, und zwar, so weit sich nach der Form des Endes
urtheilen lässt, das dem stumpfen, abgerundeten Nadelende zuge-
Einige Beobachtungen über Kıesel- und Kalknadeln von Spongien. 255
hörige. In dem zugespitzten Ende läuft nämlich auch der Faden in
der Regel sehr spitz und fein aus, wie Photographie Fig. 6, Taf. XX
von einer intakten Nadel deutlich zeigt; wogegen Fig. 5, Taf. XX
das stumpfe Ende einer solchen Nadel wiedergiebt, in welchem der
Faden gleichfalls stumpf und abgerundet, ohne wesentliche Ver-
schmälerung endigt. Gleichzeitig tritt auf Fig. 5 an dem Ende des
Fadens die dreikantige Beschaffenheit hervor, die im weiteren Verlauf
undeutlich wird wegen der nicht mehr so scharfen Einstellung.
Dass die häufigen Einschnürungen des Fadens nicht ganz ohne
Einfluss auf die Nadelgestalt selbst sind, verräth Fig. 21, Taf. XXI,
welche das spitze Ende einer Geodia-Nadel darstellt. Hier ist deut-
lich, dass die äußeren Umrisse der Nadel entsprechend den Ein-
schnürungen des Fadens ebenfalls schwache Einschnürungen besitzen.
Dass dies stets der Fall ist, möchte ich nicht behaupten; wenigstens
begegnet man gelegentlich auch ganz auffälligem Dickenwechsel des
Fadens, ohne äußerlich an der Nadel etwas davon zu bemerken. Ein
Beispiel dieser Art von Tethya giebt die Fig. 15, Taf. XXI, welche
gleichzeitig die dreikantige Beschaffenheit des Fadens an der Ver-
engerungsstelle sehr deutlich zeigt, indem sich der dicke Faden
plötzlich pyramidenförmig zuspitzt und in den sehr stark verschmäler-
ten Theil übergeht. Auch Fig. 9 von Tethya zeigt eine solch’ plötz-
liche, wenn auch weniger ansehnliche Verschmälerung.
Bei Tethya sind die Einschnürungen oder die Gliederbildungen
der Fäden viel weniger häufig, treten jedoch namentlich gegen die
Enden auch auf. Dagegen findet sich an den dicken Fäden hier nicht
selten eine Erscheinung, welche mit lokalen Einschnürungen in Zu-
sammenhang steht. Wie die Figg. 23 und 24 (Taf. XXI) zeigen, treten
nämlich stellenweis schwache Einschnürungen auf, begleitet von einer
mäßigen Verschmälerung des Fadens. An der Einschnürungsstelle setzt
sich dabei der diekere Fadentheil eine Strecke weit manschettenartig
über den Beginn des verschmälerten Theils fort. An den isolirten
Fäden ließen sich meist nur die optischen Durchschnitte dieser Man-
schetten deutlich erkennen (Fig. 23), seltener ist der ganze freie Rand
der Manschette deutlich sichtbar (Fig. 24).
Mit dieser manschettenartigen Fortsatzbildung berühren sich in
gewissem Grade die Ausläuferbildungen, welche bei beiden Species
ziemlich häufig sind und jedenfalls schon in das Gebiet der Abnor-
mitäten gehören. Derartige Ausläufer treten hier und da auf als meist
kurze, zuweilen jedoch auch längere dünne seitliche Fortsätze der
Fäden, Häufig, doch nieht immer, entspringen sie an Einschnürungs-
256 0. Bütschli,
stellen, gewöhnlich in Einzahl, gelegentlich auch mehrfach, wie dies
Fig. 25, Taf. XXI, zeigt. Jedenfalls sind die Ausläufer nicht ohne
Einfluss auf die Gestalt der Nadel, die wenigstens vorübergehend eine
schwache Verdickung auf derjenigen Seite besitzt, welcher der Aus-
läufer angehört. Wahrscheinlich ist sogar, dass jeder solcher Aus-
läufer vorübergehend eine kleine Endspitze der Nadel bildete, dass
daher solehe mit Ausläufer versehene Nadeln vorübergehend mehr-
spitzig endeten. Beim Weiterwachsen wurden jedoch die dicht ge-
näherten Spitzen von gemeinsamen Kieselschichten umscheidet und
wieder zu einem einheitlichen Ende vereinigt. Nahe verwandt mit
den Ausläufern sind daher auch die nicht selten vorkommenden
Gabelungen des Achsenfadens, wie sie auf Fig. 7 von einer Anker-
nadel, auf Fig. 25 von einer Stabnadel der Geodia abgebildet sind.
Die Gabelung des Fadens führt hier stets eine Gabelung des be-
treffenden Nadelendes mit sich, doch wäre nicht ausgeschlossen,
dass aus solch’ zweigabeligen Nadeln unter Umständen wieder ein-
heitliche hervorgehen könnten, indem der eine Ast des Fadens allein
weiterwächst, und die dem anderen entsprechende Nadelspitze all-
mählich mit der Hauptspitze verlöthet würde. Der eine Gabelast
würde so zu einem Ausläufer. Gleichzeitig zeigt die auf Fig. 28 ab-
sebildete Nadel kurz vor der Gabelungsstelle noch einen ansehnlichen,
ziemlich unregelmäßigen Auswuchs des Achsenfadens, welcher eine
entsprechende Protuberanz der Nadel bewirkt hat. Ähnliche Unregel-
mäßigkeiten treten auch sonst nicht allzuselten auf.
Aus einigen Abbildungen von Sorras (1888, Taf. V) geht hervor,
dass Anomalien der Nadeln bei gewissen Tetractinelliden nicht selten
vorkommen, und dass sich auch der Achsenfaden dabei betheiligt,
wahrscheinlich sogar die erste Veranlassung dazu giebt. — Denn aus
dem Wenigen, was oben über solche Anomalien des Achsenfadens
mitgetheilt wurde, scheint ziemlich klar hervorzugehen, dass sie stets,
wenn auch vielfach nur vorübergehend, die Nadelform stören, und
dass die Abweichungen der letzteren von der normalen Beschaffen-
heit auf solche Irregularitäten des Fadens zurückzuführen sind. Im
Allgemeinen scheint die Form der Nadel gewissermaßen durch succes-
sive Ablagerung der Kieselsubstanz über den Achsenfaden modellirt
zu werden.
An den in den Nadeln befindlichen Fäden sowohl, als an den
init schwacher Flusssäure isolirten, ist in der Regel keine feinere
Struktur zu beobachten. An den Querschnitten der Fäden, wie sie
an feinzerriebenen Nadelfragmenten nicht selten zu finden sind, und
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 257
zwar eben so gut als auf Querschnitten, die mit dem Rasirmesser von
in Gummi arabicum eingebetteten Nadeln hergestellt wurden, sieht man
dennoch zuweilen etwas von Strukturen, was die Figg. 15—17 (Taf. XX])
erläutern. Nicht allzuselten sieht man eine regelmäßige Zeichnung
(s. Figg. 15 und 17), d. h. es macht den Eindruck, als wenn drei
schwächer brechende Räumchen in dem Querschnitt regelmäßig ver-
theilt seien. Nur einmal dagegen, bei Geodia, sah ich ein Quer-
schnittsbild des Fadens einer ansehnlichen Nadel, wie es Fig. 16
(Taf. XXI) zeigt; um ein centrales Räumchen waren hier fünf peri-
phere gruppirt; dieser Querschnitt war auch nicht deutlich dreieckig
wie sonst in der Regel. An den in Wasser untersuchten Nadeln der
Tethya (Marksubstanz), welche durch Zerzupfen eines in Alkohol kon-
servirten Schwammes isolirt wurden, zeigte der Faden einseitig ge-
öffneter Nadeln nicht selten ein eigenthümliches, fein quergebändertes
Aussehen, so etwa, wie es Fig. 9, Taf. XXI darstellt. Der so be-
schaffene Theil des Fadens war stets weniger lichtbrechend als der
sich meist anschließende, homogen erscheinende Theil. Daraus dürfte
hervorgehen, dass die feingebänderte Struktur erst in Folge irgend
einer Veränderung des Fadens hervortritt, und dies wird desshalb
noch wahrscheinlicher, weil man durch Behandlung mit gewissen
Reagentien dies Strukturbild des Fadens hervorrufen kann, wie wir
gleich sehen werden. Gelegentlich treten auch in sonst homogen
erscheinenden Fäden quere dünne, diehtere und daher stärker licht-
brechende Schichten vereinzelt auf.
Isolirung der Fäden mit Flusssäure. Für das genauere
Studium der Fäden eignet sich dies zuerst von KÖLLIKER (1864,
p- 59) geübte Verfahren sehr. Derselbe vermochte so zu zeigen, dass
der sog. Central- oder Achsenkanal einen aus organischer Substanz
bestehenden Faden enthält, der beim Auflösen der Kieselsubstanz
zurückbleibt. SornLas hat diese Versuche später (1888, p. XLIX)
wiederholt. Ich habe gleichfalls eine Reihe Versuche angestellt, wo-
bei die Auflösung der Nadeln theils direkt unter dem Mikroskop,
zwischen Deckglas und Objektträger, verfolgt wurde, theils dagegen
nur die in einem Platintiegel mit schwacher Flusssäure isolirten Fä-
den untersucht wurden. Beim Beobachten der Auflösung zwischen
Deckglas und Objektträger wurden die der Flusssäure auszusetzenden
Glasflächen durch einen Überzug mit photographischem Negativlack
geschützt (SonLnas verwendete einen Überzug von Kanadabalsam).
Einen absoluten Schutz gewährt dieser Überzug jedoch nicht, da er
sich langsam verändert und auch die Glasflächen schließlich angegriffen
258 0. Bütschli.
werden; dabei entstehen störende Trübungen, welche manchmal gerade
das Studium eines günstigen Objektes verhindern. Die Präparate
wurden so sorgfältig wie möglich mit Paraffın verschlossen. Trotz
aller Vorsicht wurde bei mehrfacher Wiederholung der Versuche die
Frontlinse des Apochromats 35 von ZEIss, der hauptsächlich verwen-
det wurde, allmählich getrübt, so dass sie erneuert werden musste.
Die mir von Prof. JAnNnAscH gütigst überlassene starke Flusssäure
erwies sich für die intakte Isolirung der Fäden zu koncentrirt; sie
syiff sie in dieser Stärke an. Der isolirte Faden wird wenigstens
zu Beginn der Einwirkung, wenn die Flusssäure noch ihre volle
Stärke hat, rasch vacuolärwabig und seine Substanz zähflüssig.
Darauf schwellen die Vacuolen zu blasigen Gebilden an, wozu auch
selegentliches Verschmelzen kleinerer Vacuolen zu größeren wahr-
scheinlich beiträgt; endlich lösen sich diese blasigen Gebilde von ein-
ander los und treiben als hohle Bläschen in der Flüssigkeit umher.
In dieser Weise werden, bei Anwendung zu starker Säure, die Achsen-
fäden wenigstens anfänglich zerstört oder doch vacuolig deformirt,
ein Vorgang, der, wie wir später finden werden, auch noch auf an-
dere Art hervorgerufen werden kann.
Bei Anwendung verdünnterer Flusssäure isoliren sich die Achsen-
fäden ganz intakt, ohne Verflüssigung und Zerstörung. Beim Auflösen
etwas größerer Mengen von Nadeln im Platintiegel kann man leicht
größere Mengen der Fäden sammeln, da sie sich in Flocken zu-
sammenballen, welche man herausheben, auswaschen, resp. auch
durch wiederholtes Centrifugiren reinigen kann.
Beim Auflösen in verdünnter Flusssäure verhalten sich die Kiesel-
nadeln etwas verschieden. Ich habe diese Vorgänge besonders bei
Geodia unter dem Mikroskop ein wenig verfolgt und auch bei Tethya
im Wesentlichen das Gleiche gefunden. Der häufigste Fall ist der,
dass zuerst die Enden der Nadel, speeiell die zugespitzten, angegriffen
werden, was bald zur Eröffnung des Achsenkanals an den Enden
führt; der Achsenfaden schaut dann auf eine gewisse Strecke frei
aus dem offenstehenden Kanal hervor. Bei fortdauernder Auflösung
bemerkt man nun, dass sich das geöffnete Ende des Achsenkanals
fortgesetzt vertieft und gleichzeitig trichterförmig erweitert, wie Fig. 1,
Taf. XXI zeigt. Während die äußere Nadelfläche, so weit verfolgbar,
gleichmäßig abschmilzt, geschieht dies im Centralkanal in dem Maße,
als er allmählich eröffnet und der Flusssäure zugänglich gemacht
wird. Man könnte wegen dieser so häufigen Bildung einer triehter-
förmigen Auflösungshöhle an den Enden auf die Vermuthung kom-
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 259
men, dass die Angreifbarkeit und Löslichkeit der Schichten von
außen nach innen, gegen den Achsenfaden successive zunehme. Eine
solche Annahme scheint jedoch zur Erklärung der Erscheinung nicht
nöthig, vielmehr dürfte sie sich schon daraus hinreichend erläutern,
dass die Flusssäure allmählich in den geöffneten Achsenkanal ein-
dringt und gleichzeitig auch in dem Maße stärker wirkt, als der
Achsenkanal durch Auflösung erweitert wird, indem dann eine größere
Menge der Säure zur Verfügung steht.
Eine zweite Modifikation der Auflösung verläuft so, dass die
Nadel allmählich von außen langsam abschmilzt, ohne dass Korro-
sionen, Rauhigkeiten oder dergleichen auftreten. In diesem Falle
tritt daher keine Eröffnung und Aushöhlung des Achsenkanals ein, wie
im ersten Fall; vielmehr erscheint der freigelegte Theil des Achsen-
fadens bei diesem Auflösungsvorgang gewissermaßen als Fortsetzung
des zugespitzten Nadelendes. Diesen verhältnismäßig seltenen Vor-
gang der Auflösung hat KÖLLıkEr (1864), wie es scheint, allein be-
obachtet, und bildet ihn auf Fig. 14, Taf. VIII ab. — Sorras (1888,
p- XLVIH) beobachtete dagegen in der Regel die Entwicklung einer
endständigen trichterförmigen Höhle beim Lösen der Stabnadeln.
Eine gelegentlich, aber doch seltener vorkommende Modifikation der
Auflösung ist folgende: es bilden sich durch lokale stärkere Auf-
lösung der Kieselsubstanz dellenartige Vertiefungen der Nadelober-
fläche, dieselbe wird korrodirt. Indem diese Vertiefungen schließlich
zu Löchern werden, die bis zum Achsenkanal reichen, wird dieser
der Flusssäure zugänglich und nun beginnt von diesen Löchern des
Kanals aus (s. Fig. 2, Taf. XXD die innere Auflösung der Kiesel-
substanz unter Entwicklung zweier trichterförmiger Höhlen, wie wir
sie schon vorhin besprachen. Die Folge ist, dass in diesem Fall ein
mittleres Stück des Achsenfadens bloßgelegt wird, und die Nadel
schließlich in zwei, resp. wohl auch unter Umständen mehr Stücke
zerfällt. Der Vorgang wird jedoch, wie auch Fig. 2, Taf. XXI zeigt,
wesentlich dadurch bedingt, dass die Korrosion der Nadeloberfläche
in der Regel auf die Mittelregion der Nadel beschränkt ist; ge-
schähe sie gleichmäßig auf der Gesammtoberfläche, so könnte der
geschilderte Vorgang nicht eintreten.
Bei dem Freilegen des Achsenfadens durch Auflösung ist in der
Regel noch eine eigenthümliche, mir nicht hinreichend klare Erschei-
nung wahrzunehmen. Auf der Grenzstelle nämlich, wo der freige-
legte Theil des Fadens in den noch vom Achsenkanal dieht um-
sehlossenen übergeht, also im Grunde der triehterförmigen Höhle, wird
260 O0. Bütschli.
der stark lichtbrechende freie Achsenfaden plötzlich auf eine kurze
Strecke ganz hell und durchsichtig (s. Figg. 1—2, Taf. XXI), so
dass es aussieht, als wenn der Faden hier unterbrochen wäre.
Die im Achsenkanal eingeschlossene Fortsetzung des Fadens scheint
etwas stärker lichtbrechend zu sein als der freigeleste Theil. Auf
Fig. 1 trat an dem blassen Zwischenstück sogar eine deutliche Quer-
bänderung hervor. Dass es sich nicht um eine Unterbrechung des
Fadens handelt, ist klar, da an den isolirten Fäden nie etwas davon
bemerkt wird, und die Erscheinung ihren Ort ändert mit dem Fort-
schreiten der Auflösung. Eine plausible Deutung vermag ich einst-
weilen nicht zu geben.
Unaufgelöste Reste der eigentlichen Nadelsubstanz habe ich fast
nie gesehen; nur ein einziges Mal fand ich bei einer Stabnadel der
Tethya um das freigelegte Ende des Achsenfadens eine feingranulirte
zarte Umhüllungsmasse, welche die Form der Nadel noch zeigte, ja
sogar eine Andeutung der Schichtung aufwies, und die zweifellos
eine nicht aufgelöste Restpartie der Nadelsubstanz war. SOLLAS
(1888, p. LXIX) giebt an, dass beim Auflösen der Kieselnadeln ein
»delicate film of organic matter«, in Form einer zarten Scheide zu-
rückbleibe. Dieser Rest sei nur bei sehr genauer Betrachtung zu
erkennen und entspräche der äußersten Schicht der Spieula. Wie
gesagt, habe ich nur in dem einzigen, eben erwähnten Fall etwas
von solch’ einem organischen Rückstand der Kieselsubstanz wahrge-
nommen. Dennoch muss ich annehmen, dass SoLLas im Allgemeinen
Recht hat; denn die Sachlage wird wesentlich anders, wenn man
stark geglühte Nadeln von Geodia in schwacher Flusssäure löst.
Solch’ geglühte Nadeln sind, wie oben geschildert, ganz undurch-
sichtig schwarz und undurchdringlich für Flüssigkeiten, die nicht
lösen. Bringt man sie in verdünnte Flusssäure, so fällt zunächst auf,
dass die meisten sehr rasch ganz durchsichtig werden. Gasentwick-
lung ist dabei nicht zu beobachten, was ja auch zu erwarten, da das
vorhandene Gas höchstwahrscheinlich nur Wassergas ist, mit Spuren
anderer, aus der Verkohlung der organischen Substanz herrührender
Gase. Die Flusssäure muss daher, im Gegensatz zu den sonstigen,
nicht angreifenden Flüssigkeiten, sehr rasch die gesammte feinwabige
Substanz der geglühten Nadeln durchdringen, was in so fern be-
greiflich, als sie das feinere"Lamellenwerk rasch zerstören muss.
Immerhin scheint aber die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sie
auch die feinen Lamellen zunächst durchdringe, ohne sie völlig zu
zerstören. Die weitere Auflösung vollzieht sich bei den geglühten
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 261
Nadeln denn auch etwas anders als bei den nicht geglühten. Ver-
hältnismäßig rasch scheint das gesammte wabig strukturirte, gaser-
füllte Lamellenwerk der Kieselsubstanz zerstört zu werden, ohne dass
dabei trichterförmige Höhlen an den Nadelenden auftreten. Von der
Kieselsubstanz erhält sich am längsten eine äußerste Schicht; dies
ist die schon oben p. 241 erwähnte dichte, anscheinend homogene
äußerste Schicht, die an den geglühten Nadeln gewöhnlich zu finden
ist, und dann weiterhin eine ähnliche Schicht um den Achsenkanal,
die wir bei den geglühten Nadeln gleichfalls schon beobachteten.
Indem diese Schichten am längsten widerstehen, so erscheinen
die theilweise aufgelösten Nadeln wie hohle Röhren, in deren Achse
ein Achsenfaden hinzieht, der jedoch nicht der eigentliche Achsen-
faden ist, oder doch diesen erst enthält. Schließlich werden aber
diese noch erhaltengebliebenen Schichten auch zerstört. Der Achsen-
faden bleibt häufig als ein schwarzbrauner verkohlter Faden gut er-
halten; sehr häufig ist er jedoch deutlich hohl, erscheint dann als
eine sepiabraune köhre, die sogar hier und da noch mit Gas erfüllt
ist. Gelegentlich wurden auch verkohlte Fäden isolirt, die einen
sanz deutlichen Hohlräumehenbau zeigten; sie schienen aus einer
einzigen Reihe von Wabenräumchen aufgebaut und hatten daher ein
querstreifiges Aussehen (Fig. S, Taf. XXT), was an die früher erwähnte
(uerbänderung erinnerte. Besonders interessant war jedoch, dass auch
die aufgelöste Kieselsubstanz der geglühten Nadeln zarte bräunliche
und daher jedenfalls auch verkohlte Reste zurückließ. Dieselben er-
schienen häufig wie ein zartes feinkörniges Gerinnsel in dem Hohl-
raum der theilweise aufgelösten Nadeln, oder umlagerten als eime
serinnselartige Umhüllung den isolirten Faden. Endlich fanden sich
jedoch auch aufgelöste Nadeln, deren Gestalt und Umrisse noch ganz
deutlich durch solche zerinnselartige Reste erhalten, ja an denen so-
sar theilweise noch die Schichtung angedeutet war.
Diese Ergebnisse dürften sicher erweisen, dass auch der eigent-
lichen Kieselsubstanz eine sehr geringe Menge organischer Substanz
beigemischt ist, und zwar nicht nur, wie SOLLAS meint, in der äußersten
Schicht, sondern vermuthlich durch die gesammte Kieselmasse hin-
durch; denn die zuweilen noch sehr deutliche Schichtung spricht dafür.
Eine regelmäßige Abwechslung von Kieselschichten und Schichten
organischer Substanz, wie sie M. SCHULTZE bei Z/yalonema beobachtet
haben will, dürfte jedoch hiermit nicht erwiesen sein. Auch hat ja
die Analyse ergeben, dass die Menge der organischen Substanz jeden-
falls äußerst gering ist,
262 O0. Bütschli.
Verhalten der durch Flusssäure isolirten Achsenfäden
segen Reagentien. Die isolirten Fäden, deren Gestaltsverhältnisse
schon bei der allgemeinen Beschreibung der Fäden berücksichtigt wur-
den, sind äußerst biegsam und von geringer Festigkeit. Dies steht
jedenfalls in auffallendem Gegensatz zu dem Verhalten der noch in den
Nadeln eingeschlossenen, denn diese scheinen, wie oben p. 236 hervor-
&ehoben, fest und brüchig zu sein. Ob diese Veränderung von einer Ein-
wirkung der Flusssäure auf die organische Substanz der Fäden herrührt,
oder ob die Fäden möglicherweise sogar etwas verkieselt sind und durch
die Flusssäure entkieselt und schlapp wurden, ist vorerst schwer zu
entscheiden. Die Reaktionen der isolirten Fäden sind nun durchaus
die des Eiweißes. Sie färben sich mit Methylenblau, DELAFIELD-
schem Hämatoxylin, essigs. Eisenoxyd und Hämatoxylin und wohl
noch zahlreichen Farbstoffen, wovon z. T'h. unten noch mehr.
Von mäßig starker Chlornatriumlösung werden sie (Teihya)
nicht verändert, auch nicht bei längerem Erwärmen auf 50°C.
5%, Natrium-Karbonatlösung verändert sie (Tethya) in der
Kälte nieht wahrnehmbar; beim Erhitzen in der Lösung quellen sie
etwas, werden bedeutend blässer (schwächer lichtbrechend) und
knäueln sich häufig auf (Fig. 6, Taf. XXT).
Kalilauge (35°),), zu aufgetrockneten Fäden (Tethya) gegeben,
macht sie blässer, ohne sie jedoch zu lösen oder erheblich zu quellen.
Wird dann Wasser zugesetzt, so beginnen die Fäden sofort stark zu
quellen und lösen sich völlig und rasch auf. Bei einem früheren
Versuch mit den Fäden von Geodia, wo die Kalilauge zu den in
Wasser liegenden Fäden gegeben wurde, erfolgte daher auch sofortige
Auflösung unter starker Quellung.
Koncentrirte Schwefelsäure (89°),) löst die aufgetrockneten
Fäden (Geodia) sofort auf. Bei vorsichtigem Verfahren kann man
feststellen, dass zuerst sehr starkes Aufquellen unter Schlängelung
eintritt, worauf die Lösung erfolgt.
Xanthoproteinreaktion. Wird ein Fadenknäuel (Geodia) mit
verdünnter Salpetersäure behandelt, so schrumpfen die Fäden sichtlich
und werden etwas schmutzig gelblich; bei schwachem Erwärmen deut-
licher gelblich. Bei Zusatz von verdünntem Ammoniak quellen die
Fäden beträchtlich auf und färben sich intensiv und rein gelb. —
Bei Zusatz von verdünnter Salpetersäure schrumpfen sie wiederum.
Mırron’s Reaktion. Wird zu einer Partie aufgetrockneter
Fäden (Geodia, Tethya) etwas MiınLLon’s Reagens gesetzt und darauf
vorsichtig erhitzt, so färben sieh die Fäden schön roth. — Die Farbe
Einige Beobachtungen iiber Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 263
ist natürlich da besonders deutlich und intensiv, wo zahlreiche Fäden
in einem Knäuel über einander liegen; doch lässt sie sich auch an
einzelnen Fäden, namentlich bei Betrachtung mit weit geöffneter
- Blende, deutlich wahrnehmen. Beim Erhitzen in dem salpetersäure-
haltigen Reagens erfahren die Fäden gleichzeitig eine sehr inter-
essante Veränderung, die bei den beiden Gattungen etwas verschieden,
jedoch im Wesen dieselbe ist. Einmal quellen die Fäden meist be-
trächtlich auf, wobei gleichzeitig eine zähflüssige Erweichung vieler
eintreten muss, indem sie große Neigung zeigen sich netzartig zu
vereinigen unter theilweiser Verschmelzung. Bei dieser Quellung
und Veränderung tritt in ihnen ein sehr schöner alveolärer oder
wabiger Bau auf, der sich jedoch etwas verschieden darstellt bei den
feineren Fäden der Geodıa und den in der Regel viel diekeren der
Tethya. Bei der ersteren zeigen die schwächer gequollenen Fäden
eine sehr schöne Querbänderung oder Auerstreifung, wie sie schon
oben erwähnt wurde. Dies ist jedenfalls im Grunde dieselbe Bildung,
die auch von dem verkohlten Faden Fig. 8, Taf. XXI abgebildet wurde.
Der Faden enthält eine einzige Reihe von Hohlräumchen oder Alve-
olen und zeigt auch in diesem Zustand häufig schon schwache lokale
spindelförmige Anschwellungen mit etwas vergrößerten Alveolen. Bei
den stärker gequollenen Fäden finden wir, dass diese lokalen An-
schwellungen einiger auf einander folgender Alveolen viel größer ge-
worden sind, so wie es Photographie Fig. 6, Taf. XIX (Vergr. 1730)
schön zeigt. Bei noch stärkerem Anschwellen dieser Fadenstrecken
werden schließlich die Querscheidewände zwischen den benachbarten
angeschwollenen Alveolen ungemein dünn, so dass nur noch die
Knotenpunkte zu sehen sind, da wo sich die Scheidewände an die
äußere Wand befestigen. Endlich finden sich auch stark ange-
schwollene ansehnliche Alveolen, die sicherlich aus dem Zusammen-
fluss benachbarter hervorgegangen sind. Auf die angegebene Weise
erlangen die Fäden eine perlschnurartige Beschaffenheit, indem die
stark angeschwollenen Partien durch nicht angeschwollene, beziehungs-
weise sogar etwas gedehnte dünne Strecken verbunden sind (s. Fig. 6,
Taf. XIX). Diese sehr dünnen Strecken sind noch desshalb interessant,
weil sie den einreihigen Wabenbau äußerst verschmälerter und etwas
gedehnter Fäden zur Anschauung bringen, wie ich ihn 1898 (p. 40)
von feinsten Gelatineölemulsions-Fädehen geschildert und auf Fig. 12,
Taf. XVIIL, sowie Fig. 1, Taf. XXT, abgebildet habe. An solch’ feinsten
Fädchen sieht man dann nur eine Reihe dunkler Punkte, d. h. die
Querscheidewände der Waben, die dureh liehtere Streeken zusammen-
264 0. Bütschli,
ad
hängen, welche den Wabenhohlräumchen entsprechen. Auch bei
den gequollenen Achsenfäden der Geodia kann man alle Übergänge von
gröber strukturirten Fädchenstrecken bis zu diesen feinsten verfolgen
und so die Bedeutung dieser feinsten, nicht mehr sicher erkennbaren
wabigen Bildung klar ermitteln. Die Übereinstimmung des Bildes
solch’ feinster, einreihig wabiger Fädcehen mit gut gefärbten Geißeln
der Flagellaten ist wiederum ganz auffallend, wie ich schon 1898
hervorhob. — Fig. 1, Taf. XX zeigt bei schwächerer Vergrößerung
ein ganzes Knäuel isolirter Achsenfäden von Geodi«, welche die
geschilderte Quellung in verschiedenem Grad erfahren haben und
auch in verschiedenem Grad netzig verschmolzen sind.
Die Veränderungen, welche die Fäden der Tethya unter den
gleichen Bedingungen erfahren, sind analog. Doch zeigte nur ein
Theil der Fäden an einer gewissen Stelle des Präparats die Ver-
änderung, während die übrigen wenig alterirt waren, nur manchmal
quergestreift und hier und da auch deutlich sehr fein wabig erschienen.
Die stark veränderten Fäden sind sehr gequollen und zähflüssig, da
sie theilweis netzig zusammengeflossen sind (s. Fig.5, Taf. XIX), jeden-
falls da, wo sich die Fäden überkreuzten. Die Zähflüssigkeit doku-
mentirt sich namentlich auch darin, dass die Fäden zu platten Bändern
ausgebreitet sind. Auch ausgezogene sehr verdünnte Fadenstrecken
finden sich. Die so veränderten Fäden der Teilya sind nun eben-
falls vorzüglich wabig geworden, jedoch nicht einreihig wie die der
Geodia sondern vielreihig, was Fig. 5 (Taf. XIX, Vergr. 1500) hervor-
ragend schön zeigt. Da die zähflüssige oder doch sehr weiche plasti-
sche Substanz der Fäden flach ausgebreitet ist, so ist die Schaumlage
nur einschichtig und daher gut zu studiren. Da die Vermuthung
nahe lag, dass die geschilderten Quellungserscheinungen der Fäden
beim Erwärmen mit MınLon’s Reagens von der Wirkung der freien
Salpetersäure herrührten, so wurde eine Probe mit Tethyafäden an-
gestellt; dieselben quollen beim Erhitzen mit mäßig starker Salpeter-
säure in derselben Weise und mit eben so deutlichem Hervortreten
der wabigen Struktur, wesshalb der Vorgang sicher als eine Wirkung
der Säure anzusehen ist.
Mit schwacher Jodtinktur färben sich die Fäden (Geod:a)
selb bis gelbbraun; Zusatz von koncentrirter Schwefelsäure zur
Flüssigkeit bewirkt zuerst schwache Verstärkung der Braunfärbung,
darauf Entfärbung und schließlich Zerstörung der Fäden unter Auf-
quellen.
Behandlung aufgetrockneter Fäden (Geodia) unter dem Deckglas
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 265
mit künstlichem Magensaft (derselbe war schon einige Monate
alt) bei 40° ergab langsame Lösung. Nach 24" waren viele ganz
verschwunden, die meisten sehr blass und zart, vielfach nur noch
durch Reihen zarter Körnchen angedeutet.
Die aufgezählten Reaktionen ergeben sicher, dass die Fäden aus
einem Eiweißkörper bestehen.
Da die in den Spicula eingeschlossenen Fäden sich gegen die
Einwirkung sehr zerstörender Reagentien so widerstandsfähig er-
wiesen, schien es nicht unwichtig, auch die Wirkung einiger dieser
Reagentien auf die nicht isolirten Fäden etwas genauer zu prüfen.
Zu diesem Zweck wurden die mit Magensaft isolirten Nadeln
der Tethya in der Agatschale mäßig fein pulverisirt, so dass die
Fäden an den Bruchstellen der Einwirkung der Reagentien zugäng-
lich waren, und das Pulver dann weiter behandelt.
Koncentrirte Schwefelsäure. Eine Probe der gepulverten
Nadeln wurde in einem Reagensröhrchen ca. 3/," auf freier Flamme
mit 890%/,iger Schwefelsäure gekocht und dann ausgewaschen. Bei der
Untersuchung in Wasser schienen zunächst ganz leere Achsenkanäle
vorzuliegen, von etwas schwächerer Lichtbrechung als die Kieselsub-
stanz. Gewisse Zweifel, ob der Achsenfaden ganz zerstört war, wur-
den jedoch dadurch hervorgerufen, dass hier und da in dem Achsen-
kanal quere Grenzen zwischen einem etwas stärker und einem etwas
schwächer brechenden Inhalt zu sehen waren. Es wurde desshalb
fein zerriebene Tusche zugesetzt, jedoch nicht beobachtet, dass Tusche-
körnchen in den Kanal eindrangen. Eine Probe der Nadelbruchstücke
wurde auf dem Objektträger eingetrocknet, wobei sich das über-
raschende Resultat ergab, dass nun in fast allen Nadelbruchstücken
ein schön quergebänderter Achsenfaden deutlich hervortrat (s. Fig. 9,
Taf. XXI, bei tiefer Einstellung). Die hellen Querbänder werden bei
hoher Einstellung dunkel, sind also schwach lichtbrechend. Bei Zu-
satz von schwachem wässerigem Methylenblau trat sofort von den
geöffneten Enden der Bruchstücke aus Färbung des Achsenfadens
auf, und zwar färbten sich die äußersten Fadenenden stets roth, die
darauf folgenden inneren Theile dagegen blau. Nachdem das Präpa-
rat über Nacht mit dem Methylenblau gestanden, waren die Fäden
in ihrer ganzen Ausdehnung durch und durch roth gefärbt. In den
gefärbten Fäden zeigte sich neben der Querbänderung auch eine
feinwabige Struktur, hier und da auch etwas längsfaserig. Das
Präparat wurde alsdann getrocknet, wobei die Farbe der Fäden
großentheils in blau überging und dann in Kanadabalsam einge-
266 O0. Bütschli,
schlossen, worin die Fäden eigenthümlicherweise wieder die gleichen
Farbenverhältnisse zeigten wie ursprünglich, nämlich die Enden roth,
die innere Partie dagegen blau. Ganz besonders schön trat auch auf
den Querschnitten der scharf sechseckige, schön blau gefärbte Faden-
querschnitt hervor.
Eine Probe der mit Schwefelsäure gekochten Nadeln wurde mit
Mırnon’s Reagens erhitzt, wobei sich, wenn überhaupt, nur eine
äußerst geringe Gelbfärbung der Fäden zeigte.
Wurden die mit Schwefelsäure gekochten Nadeln mit schwacher
Flusssäure behandelt, so blieb unter langsamer Lösung der Kiesel-
substanz der Achsenfaden überall deutlich erhalten. Derselbe war
jedoch ungemein blass und machte den Eindruck eines dünnwandigen
hohlen Röhrchens.
Kalilauge. Von zwei Portionen der zerriebenen Nadeln wurde
die eine !/,® auf freier Flamme, die andere 4" auf dem Wasserbad
mit 39°, ,iger Kalilauge gekocht und hierauf gut ausgewaschen. Wie
zu erwarten, und wie auch SorLas schon 1879 und 1888 angegeben
hat, wird die Kieselsubstanz der Nadeln von Kalilauge gelöst. Man
findet die Nadelbruchstücke in den verschiedensten Graden der Auf-
lösung. Die Lösung der Kieselsubstanz erfolgte bei den Nadel-
bruchstücken meist von dem Achsenkanal aus, dessen geöffnete En-
den daher auch häufig trichterförmig erweitert waren. Das Ergebnis
der Lösung ist dann ein hohles röhrenförmiges Nadelstück, indem
äußere Schichten sich am längsten erhalten (s. Fig. 5, Taf. XXT).
Dabei findet jedoch sicher auch äußere Auflösung statt, so dass die
längst erhaltenen Schichten jedenfalls mittlere sind. Nicht selten
begegnet man auch löcherig korrodirten Nadeln, und zwar werden solche
Löcher, die schließlich durch die noch erhaltene Kieselröhre durch-
brechen, theils von innen nach außen, theils auch von außen nach innen
durchgefressen. ‘Interessant ist ferner die häufig auftretende zackige
Beschaffenheit der Querbruchflächen der Nadeln (s. Fig. 3, Taf. XXT,),
indem die Schichten abwechselnd stärker und schwächer angegriffen
werden. Dies hängt wohl mit der auch optisch hervortretenden ver-
schiedenen Dichte der Schichten zusammen. Gelegentlich finden
sich sogar Nadelbruchstücke, bei denen sich verschiedene Schichten
sanz von einander gelöst haben, und die dann röhrenförmig in ein-
ander geschachtelt sind.
Bei der Auflösung der Kieselsubstanz bleibt ein geringfügiger
test, aller Wahrscheinlichkeit nach organische Substanz, zurück,
der sich hauptsächlich äußerlich in Form eines dünnen blassen,
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 267
zuweilen auch mehrschichtigen Überzugs findet. Diese Reste färben
sich mit Methylenblau oder Dahlia schön roth. Gelegentlich war so-
| sar von ganz aufgelösten Nadeln eine zusammenhängende äußere
Hülle zurückgeblieben, die sowohl in der Flächenansicht, als im
optischen Durchschnitt einen recht kenntlichen einschichtigen Waben-
bau zeigte.
Von den Achsenfäden finden sich auch nach dem Auswaschen
mit Wasser gewöhnlich noch deutliche Reste. Einmal kommen Bruch-
stücke vor, deren Faden sich überhaupt kaum verändert hat. Bei
den übrigen Nadeln scheint der Faden dagegen verschwunden; doch
ergiebt die genauere Untersuchung, dass gewöhnlich noch Reste vor-
handen sind, die sich mit Methylenblau intensiv roth färben (s. Fig. 5,
Taf. XXD. Meist machen diese Fäden den Eindruck hohler Röhren,
doch finden sich auch solche, die aus durchgehender feinwabiger Sub-
stanz zu bestehen scheinen (Fig. 5, Taf. XXI), und welche sogar hier
und da noch etwas von der queren Bänderung zeigen. Selbst in
Bruchstücken, deren Kieselsubstanz bis auf die oben erwähnte Hülle
sanz aufgelöst war, war der Achsenfaden häufig noch in der be-
schriebenen Weise erhalten. Ferner fanden sich auch ganz freie,
isolirte derartige Fäden vor. Endlich begegnet man Nadelbruch-
stücken, deren Kanal nur noch etwas Gerinnsel enthält und solchen,
in denen sich selbst durch Färbung nichts mehr von einem Faden
nachweisen lässt.
Nicht ohne Interesse ist, dass sich auch die Achsenfäden der
Kieselsterne der Tethya gelegentlich als strahlige Gebilde ganz iso-
lirt vorfanden.
MırLLon’s Reagens. Schon oben (p. 256) wurde erwähnt, dass
sich die Fäden zerriebener Nadeln mit diesem Reagens hübsch gelb-
roth färben lassen.
Färbungsversuche. Versuche mit nicht zerriebenen Nadeln
und wässrigem Methylenblau ergaben, dass bei hinreichend langer
Einwirkung (bei 54°) die Fäden, welche durch Bruch dem Farbstoff
zugänglich sind, oder die überhaupt in einem einerseits nicht abge-
schlossenen Achsenkanal liegen, ganz blau gefärbt werden. Wenn
man die so behandelten Nadeln mit Wasser auswäscht, trocknet und
darauf in Kanadabalsam einlegt, so findet man viele Nadeln, deren
Faden gut gefärbt ist. In Nadeln, deren Achsenkanal beiderseits
abgeschlossen ist, ließ sich mit Sicherheit nie ein gefärbter Faden
nachweisen; dazu kommt, dass man an zerbrochenen Nadeln stets
sicher wahrnehmen kann, dass der Farbstoff allmählich von dem
Zeitschrift f. wissensch, Zoologie. LXIX. Bad. 18
968 0: Bütschli,
ud
Bruchende aus eindringt. Hieraus und aus dem schon früher Her-
vorgehobenen folgt, dass die Kieselsubstanz für den Farbstoff undureh-
gängig ist. Die weiteren Versuche, mit wässeriger Lösung von Dahlia,
die mit Essigsäure versetzt, wässerigem Methylenblau, essigsaurem
Eisenoxyd und Hämatoxylin die Achsenfäden zerriebener Nadeln zu
färben, ergaben im Allgemeinen keine sehr günstigen Resultate,
indem sich zwar gewöhnlich die freigelegten Enden, dagegen relativ
selten Fäden der Bruchstücke in ganzer Ausdehnung färbten. Auf
dünnen Querschnitten waren die Fäden gewöhnlich gefärbt.
Sehr gute Ergebnisse wurden dagegen erzielt, als Fragmente der
Marksubstanz von Tethya mit einer wässerigen Lösung von Dahlia
(die mit Essigsäure versetzt war) 24" auf dem Wärmschrank (40°)
gefärbt, und hierauf die Nadeln durch Zerzupfen isolirt und aufge-
trocknet, oder nach einem von Prof. SCHUBERG ermittelten Verfahren
fixirt und, nach dem Entwässern, die Nadeln durch Zerzupfen in
Kanadabalsam isolirt wurden. Vor Allem die letzteren Präparate
zeigen die Achsenfäden häufig in ihrer gesammten Ausdehnung vorzüg-
lich und intensiv roth gefärbt (Lampenlicht). Aufs klarste ergiebt sich
in diesen Präparaten jedoch wieder, dass nur solche Achsenfäden ge-
färbt sind, die entweder durch Bruch der Nadeln, oder weil das
eine Ende der Nadel offen ist, dem Farbstoff frei zugänglich sind.
(erade diese Präparate lieferten denn auch klare Beweise dafür, dass
thatsächlich zahlreiche Stabnadeln vorkommen, deren spitzes Ende
seöffnet ist, und deren Achsenfaden hier freiliegt. Besonders häufig ist
dies namentlich bei den langen schlanken Stabnadeln, die sich in den
leichter zerreißbaren Zügen der Marksubstanz finden. Die Figg. 27
und 28, Taf. XXI zeigen die spitz auslaufenden Enden zweier solcher
Nadeln. Die Kieselsubstanz verdünnt sich hier an dem spitzen Ende
immer mehr, so dass sie schließlich als ein äuberst feiner Saum
endigt, der dieht vor dem Ende des Achsenfadens ganz erlischt.
Fig. 26 zeigt dies Fadenende sogar gegabelt, jedenfalls eine der
Abnormitäten, wie wir sie oben für gewisse Fäden verzeichneten.
An den stärker zugespitzten Nadeln trifft man seltener ein sicheres
Öffenstehen des Achsenkanals am spitzen Ende; doch existiren auch
dafür unzweifelhafte Beispiele, von denen Fig. 22, Taf. XXI eines
vorführt. Schon KÖLLıkEer (1864) fand bei Tethya häufig Kiesel-
nadeln, »bei denen das Ende des Centralfadens frei zu Tage liegt<,
ja z. Th. ein Stück weit über das Nadelende hervorragte. Er beur-
theilt diese Befunde sehr richtig, als nicht völlig ausgebildete Nadeln,
deren eines Ende noch keinen Abschluss gefunden hat, und betrachtet
er
r
r-
u
x
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 269
sie daher auch als wichtig für die Auffassung des Nadelwachsthums
überhaupt. In dieser Hinsicht ist sehr beachtenswerth, dass ich
in den genannten Präparaten auch vereinzelten, fast ganz freien
Achsenfäden begegnete, die nur in der mittleren Region von einer
äußerst dünnen, schwächer brechenden Scheide (also wohl Kieselsub-
stanz) umhüllt waren. Das eine Ende solcher Fäden war stumpf
abgerundet, das andere dagegen verschmälert. Welche Konsequenzen
hieraus für die Bildungsgeschichte der Nadeln gezogen werden dürfen,
möchte ich vor genauerer Verfolgung des Thatsächlichen nicht ein-
schender erörtern.
Dagegen wäre hervorzuheben, dass die mit Dahlia gefärbten und
fixirten Präparate auch die Beziehungen des umgebenden Gewebes
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zu den Nadeln in sehr interessanter Weise und vielfach mit beson-
derer Klarheit zeigen. Man sieht nämlich die Nadeln dieht umgürtet
von einer großen Zahl stark gefärbter, vielfach verzweigter Bänder,
185*
270 0. Bütschli,
wie es die beiden vorstehenden Textfiguren wiederzugeben ver-
suchen. Der Eindruck ist der, dass eine große Zahl bandförmiger,
verzweigter und auch unter einander anastomosirender Zellen, Siliko-
blasten, die Nadeln dieht umgürten. Die genaue Untersuchung er-
giebt jedoch, dass der Zusammenhang dieser Zellen (wenn wir sie
so bezeichnen dürfen) viel inniger ist, indem sich zwischen ihnen
auf der Oberfläche der Nadel eine sehr feine protoplasmatische Lage
ausbreitet, so dass die Bänder nur Verdickungen derselben darstellen
dürften. Da die Färbung sehr intensiv ist, so eignet sie sich wenig
zur Beobachtung der Kerne; dennoch waren hier und da in den
Bändern dunkler gefärbte Körper (» Fig. b) eingelagert, deren Deu-
tung als Kerne mir wenig zweifelhaft erscheint.
Viel eigenthümlicher jedoch als diese Beobachtung erscheint mir
die folgende, welche an denselben Präparaten in einer ganzen An-
zahl Fälle sicher zu stellen war. Unter den Nadeln mit gut ge-
färbtem Achsenfaden finden sich auch solche, deren Faden mehr oder
weniger geschrumpft ist, so dass er den Achsenkanal nicht mehr
völlig ausfüllt. An solchen Nadeln fiel nun auf, dass vielfach zwischen
den Faden und die Wand des Kanals dunkelroth gefärbte, unregel-
mäßig viereckige Körper in ziemlich regelmäßigen Abständen ein-
gelagert waren. Fig. 10 zeigt dies für eine Strecke einer Nadel
deutlich. Bei weiterer Verfolgung ergab sich, dass die eingelager-
ten Körper in vielen Nadeln auf das reichste mit Ausläufern ver-
sehen sind, welche den Achsenfaden ganz ähnlich umgürten, wie es
vorhin für die Bänder um die Nadeln geschildert wurde. Fig. 11
sucht dies für drei solcher Körper wiederzugeben, und Fig. 12 zeigt
die Stelle einer Nadel, wo der Achsenfaden auf eine Strecke gerissen
war, wodurch ein gerade hier gelegener verästelter Körper bloßge-
legt und daher mit seinen weitausgedehnten Verästelungen schön zu
verfolgen war. Dass hier nichts Abnormes vorliegt, dafür scheint das -
in ziemlich regelmäßigen Abständen sich wiederholende Vorkommen
der eigenthümlichen Körper zu sprechen. Bei ihrer Betrachtung
vermag man sich des Gedankens nicht zu erwehren, dass es sich
um Zellen handeln könnte, die in ähnlicher Weise mit dem Wachs-
thum des Achsenfadens in Beziehung ständen wie die Silikoblasten
mit dem der Kieselsubstanz der Nadel. Obgleich diese Möglichkeit
fast ausgeschlossen erscheint, wenn man das, durch zahlreiche über-
einstimmende Erfahrungen festgestellte erste Entstehen des jugend-
lichen Spieulums in einer Zelle berücksichtigt, so dürfte doch
angezeigt sein, diese sehr auffallende Erscheinung weiter zu ver-
.
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 271
folgen. Erst der sichere Nachweis eines Kernes in den fraglichen
zellähnlichen Gebilden wäre vollkommen entscheidend.
Ich muss die Lösung der sich an diese Beobachtung anknüpfen-
den interessanten Fragen einstweilen späteren eigenen oder fremden
Untersuchungen überlassen. In der vorliegenden Litteratur fand ich
nichts, was mit den geschilderten Verhältnissen in Beziehung ge-
bracht werden könnte.
2. Einige Beobachtungen an den Kalkspicula von Leucandra aspera.
Die wichtigen Untersuchungen von SoLuas (1885) und v. EBNER
(1887) erwiesen sicher, dass die Kalknadeln aus Kalkspat (Caleit)
bestehen, und dass jede Nadel sich so verhält, als wenn sie aus
einem Kalkspatindividuum herausgeschnitten wäre, d. h., dass ihre
Theilchen alle krystallographisch übereinstimmend orientirt sind. Unter-
suchungen des specifischen Gewichts, des Brechungskoeffieienten für
die beiden Strahlen, der Verhältnisse der Doppelbrechung, der Spalt-
barkeit, sowie der Ätzfiguren lieferten sämmtlich sichere Beweise
für diese Auffassung. In v. EBnEr’s ausgezeichneter Untersuchung
sind auch alle früheren Erfahrungen über die Kalknadeln so ein-
gehend und trefflich berücksichtigt, dass ich hierüber auf seine Ab-
handlung verweisen kann.
Meine Untersuchungen über die Kalknadeln beschränken sich
nur auf einige gelegentliche Studien über ihre Veränderung bei
schwachem Glühen, da schon v. Esner’s und frühere Erfahrungen
ergaben, dass hierbei Erscheinungen auftreten, welche sehr an das
Verhalten der Kieselnadeln erinnern.
Zur Untersuchung wurden fast ausschließlich die großen, beider-
seits zugespitzten Stabnadeln von Zeucandra benutzt, welche durch
vorsichtiges Kochen mit 1°%,,iger Kalilauge isolirt waren. — Wie
die früheren Untersucher (vgl. insbesondere EBNER p. 117 ff.) be-
obachteten, werden die Nadeln schon bei mäßigem Erhitzen (nach
v. EBner genügt 370°, Siedepunkt des Paraffins) weißlich trüb, was
ganz plötzlich, in einem Moment eintritt. Dabei springen die Nadeln
häufig fort, oder zerspringen auch in einige Stücke. Bei stärkerem
Erhitzen zerspringen oder dekrepitiren sie in feinste blättchenartige
Fragmente, wie dies v. EBnEr beschreibt. Die Fragmente sind so
klein, dass sie sich wie ein weißer Rauch erheben, wenn man das
Erhitzen in einem Tiegel oder Glasröhrehen vornimmt, wobei sie sich
an die Wände oder den Tiegeldeckel niederschlagen, so dass man zur
irrigen Meinung verleitet werden könnte, dass die Nadelsubstanz
272 O0. Bütschli.
sublimirt. Ich habe nur diejenige Veränderung genauer untersucht,
welche bei vorsichtigem Erhitzen unter Weißwerden der Nadeln
plötzlich eintritt, ohne dass sie hierbei in feine Fragmente zerstäuben.
Schon v. EBnEr hat gegen Hazcker (1872) sehr richtig hervorgehoben,
dass die schwächere oder stärkere Bräunung der geglühten Nadeln
(im durchfallenden Licht) nicht auf Verkohlung organischer Substanz,
d.h. auf Bildung schwarzer Kohlentheilchen, sondern auf dem Auf-
treten zahlreicher, die Kalksubstanz durchsetzender Gasbläschen oder
leerer Räumchen beruht. Dies ist denn auch vollkommen richtig;
nur muss ich aus den Figuren (s. Figg. 34, 39, 40, 41, 49) und der Be-
schreibung EBNER’s entnehmen, dass er die sich entwickelnde feine.
Hohlräumehenstruktur in ihrer Feinheit und Regelmäßigkeit nicht
genügend erkannte, sondern nur die etwas gröberen Hohlräumchen
oder Gasbläschen wahrgenommen hat. Wenigstens zeigen die citirten
Figuren Esxer’s nur ziemlich locker zerstreute gröbere Hohlräumchen
und können daher höchstens einem Theil der überraschend schönen
und feinen Struktur entsprechen, welche die schwach erhitzten Nadeln
darbieten. Wir erfuhren soeben, dass also bei den Kalknadeln ganz der
sleiche Irrthum hinsichtlich der Veränderung beim Glühen begangen
wurde, wie bei den Kieselnadeln.
Zur Erläuterung der schönen feinwabigen Struktur der schwach
erhitzten Stabnadeln gebe ich drei Mikrophotographien von Frag-
menten solcher Nadeln, die durch feine Zertrümmerung hergestellt
und in Xylol-Kanadabalsam eingeschlossen wurden. Fig. 1 (Taf. XIX)
ist der optische Längsschnitt einer Nadel, der sowohl den feinen
Wabenbau als die Schichtung sehr gut erkennen lässt. Fig. 2, Taf. XIX
zeigt dagegen einen recht guten Querschnitt einer Nadel mit Schich-
tung. Auf demselben ist gleichzeitig sicher zu erkennen, dass sich
von einem Achsenkanal und Achsenfaden sicherlich nichts findet.
In diesem Fall ist sogar nicht einmal eime besondere Ausbildung
des axialen Wabenwerks zu beobachten, welche einem Achsenfaden
analog erscheinen könnte. In anderen Fällen dagegen war die
axiale Partie der wabigen Kalksubstanz etwas lockerer strukturirt
als die übrige, ohne jedoch irgendwie scharf von derselben abgesetzt
zu sein. Meine Erfahrungen stimmen daher durchaus mit denen
v. EBnEr’s überein, dass ein Centralkanal und ein Achsenfaden im
-Sinne der Kieselnadeln sich nicht findet und dass der zuweilen,
namentlich auch bei schwach geglühten Nadeln, sichtbare Achsen-
faden nur von einer Modifikation der Kalksubstanz herrührt, die sich
durch leichtere Angreifbarkeit im Säuren und durch etwas anderes
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 275
Liehtbreehungsvermögen (wohl gewöhnlich geringeres) von der übrigen
unterscheidet.
Fig. 4 (Taf. XIX) ist die Mikrophotographie eines ganz dünnen
Fragmentes, das jedenfalls einen ganz regulären axialen Radiär-
schnitt einer Stabnadel darstellt und die Beziehungen der Schichtung
zu dem Wabenbau sehr gut erkennen lässt. Aus dieser Photographie
ergiebt sich, dass die Schichtung auch hier eine sehr feine ist und
auf regelmäßiger schichtweiser Anordnung der Hohlräumehen beruht,
wie bei den Kieselnadeln und den zahlreichen, von mir früher (s. 1898
u. 1900 Schwefel) beschriebenen Fällen. Auch hier begegnen wir
einem regelmäßigen Wechsel dünner, wie es scheint, im Allgemeinen
nur einreihiger Wabenschichten, deren etwas verschiedenes Licht-
brechungsvermögen auf der etwas verschiedenen Größe der Hohl-
räumehen und der Dicke der Wände beruht. (Genauere Erörterungen
über diese so gewöhnliche Erscheinung vgl. in dem Abschnitt über
die Schichtung der Stärkekörner in meinem Werk von 1898 p. 305).
Auch Fig. 1 Taf. XIX zeigt die Feinheit des Schichtenbaues sehr gut,
wogegen der Querschnitt Fig. 2 (Taf. XIX) meist das Abwechseln
dickerer, heller und dunkler, mehrwabiger Zonen bemerken lässt. Wie
jedoch einzelne Partien (so z. B. rechts oben) auch hier verrathen,
rührt dies wohl sicher nur daher, dass die Schichtung nicht ganz
scharf eingestellt ist und desshalb diekere Schichten dadurch ent-
stehen, dass sie insgesammt etwas stärker lichtbrechend sind als die
dazwischen liegenden Partien, ohne dass die feinere Schichtung
deutlich hervortritt, welche diese gröberen Zonen bei scharfer Einstel-
lung selbst zeigen.
Wie bei den Kieselnadeln sind auch hier die Hohlräumchen des
feinwabigen Gerüstes ganz unzugänglich für Flüssigkeiten. Weder
Wasser noch andere Flüssigkeiten, die nicht zerstörend wirken, dringen
ein. Dies folgt ganz sicher daraus, dass selbst die feine Struktur
dünnster Fragmente in Kanadabalsam vollkommen klar und deutlich
bleibt, während sie verschwinden müsste oder doch sehr an Schärfe
verlieren, wenn der Kanadabalsam eindränge.
Einige Versuche über die eventuelle Veränderung der Dimen-
sionen der Stabnadeln beim Erhitzen bis zum Weißwerden ergaben,
dass dabei sicher gar keine Diekenzunahme auftritt, während wir
diese bei den Kieselnadeln sehr beträchtlich fanden. Eine Ver-
srößerung der Längendimension ist ja sehr unwahrscheinlich, da
sie den Kieselnadeln fehlt. Hieraus folgt, dass das Deutlichwerden
274 O0. Bütschli.
der Wabenstruktur nicht auf Erweiterung vorhandener Hohlräumehen
beruhen kann.
Um einen Anhaltspunkt hinsichtlich des eventuellen Wasser-
verlustes beim Erhitzen der lufttrockenen Kalknadeln zu erhalten,
wurde eine Probe (0,2233 g) in einem kleinen Reagensröhrchen erhitzt
bis sichtlich kein Wasser mehr entwich. Die Nadeln wurden dabei
nicht nur weiß, sondern in feinstes Pulver zerstäubt, das sich an die
Wand des Röhrchens setzte. Dies ist auch der Grund, wesshalb der
Versuch in einem nicht zu kurzen Röhrchen vorgenommen werden
muss, da die Verstäubung sonst starken Substanzverlust bewirkt.
Dass beim Erhitzen Wasserverlust eintritt, ist deutlich, da sich
das Wasser an dem oberen Theil des Röhrchens niederschlägt. Nach
völligem Austreiben des Wassers, wobei sich ein schwach brenzlicher
Geruch entwickelte, betrug der Verlust 0,0066, was einem Wasser-
verlust von 2,507°,, entspricht. Da nun bei vorsichtigem Erhitzen
bis zum Weißwerden der Nadeln zweifellos viel weniger Wasser ver-
loren geht als bei der Zerstäubung, wie sie in obigem Fall ein-
setreten war, so ist der Wasserverlust beim Weißwerden jedenfalls
ein sehr geringer. Ähnlich wie bei den Kieselnadeln kann daher
das Deutlichwerden der Hohlräumehenstruktur nicht etwa auf dem
Austreiben einer eventuellen Wassererfüllung der Hohlräumehen be-
ruhen, aber auch nicht auf der Erweiterung ursprünglicher Hohl-
räumchen, da ja die Nadeln ihr Volum nicht ändern, sondern
höchstens auf einer Art Zusammenschmelzen feinster Hohlräumchen
zu gröberen, sichtbaren, unter theilweiser Zerstörung des feinsten
Maschenwerks.
Die Frage, ob das Auftreten der feinwabigen Mikrostruktur auf
die Existenz einer entsprechenden, ihrer Feinheit wegen jedoch un-
sichtbaren Struktur im nicht erhitzten Zustand hindeutet, vermag
ich nur in derselben Weise wie für die Kieselnadeln zu beantwor-
ten. Die Schichtung scheint darauf hinzuweisen, dass auch schon
im nichterhitzten Zustand eine solche Struktur existirt, denn hier-
durch würde sich der Schichtenbau und seine Eigenthümlichkeiten in
sehr einfacher Weise und in Übereinstimmung mit den Verhältnissen
ähnlich geschichteter Gebilde erklären.
Wie oben mitgetheilt wurde, vermochte ich eben so wenig wie
v. EBNER und einige frühere Beobachter einen Achsenkanal und
Achsenfaden an den normalen und den erhitzten Nadeln aufzufinden.
Beim Auflösen der Nadeln in sehr verdünnter Essigsäure zeigt sich
nie die Spur eines solchen Achsenfadens, der doch, wenn er in
|
7
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 275
ähnlicher Weise wie bei den Kieselnadeln entwickelt wäre, unter
diesen Umständen leicht nachzuweisen sein müsste.
Bei vorsichtigem Auflösen der Kalknadeln in verdünnten Säuren
konnte v. EBNER (p. 121) keinerlei Reste organischer Substanz be-
merken; bei Behandlung der Nadeln mit Essigsäure, der Bismarck-
braun zugesetzt war, schien es zwar, dass etwas organische Substanz
in Form membranöser Bildungen zurückbleibe und sich mit dem
Farbstoff tingire. Da jedoch beim Auflösen von Kalkspatpartikeln
das Gleiche sich zeigte, so schließt v. EBnEr wohl mit Recht, dass
es sich um eine geringfügige Ausfällung des Farbstoffs in Berührung
mit dem kohlensauren Kalk handle.
Meine mit äußerst verdünnter Salzsäure, die schwach mit Methylen-
blau versetzt war, angestellten Versuche ergaben, dass bei der Lösung
der mit 1°/ iger Kalilauge isolirten Nadeln eine sehr geringe Menge
einer feingranulirten Substanz zurückbleibt, die zuerst an den ab-
schmelzenden Nadelspitzen auftritt, und im Allgemeinen wie ein un-
regelmäßig verschrumpfter, ganz schlapper und äußerst dünnwandiger
hin- und hergewundener Schlauch erscheint. Von einem Achsenfaden
wurde, wie gesagt, nie eine Spur gesehen. Die vorsichtige Auf-
lösung fein zertrümmerter Fragmente der Nadeln ergab, dass auch
diese eine sehr feine, schleimartige, blass gefärbte Masse zurücklassen,
welche die Form des Fragmentes besitzt. — Bis zum Weißwerden
erhitzte Nadeln verhalten sich bei der Auflösung gerade so wie die
nicht erhitzten.
Die Auflösung der Nadeln in nicht mit Methylenblau versetzter,
sehr verdünnter Salzsäure ergab ganz dasselbe Resultat, und das
Gleiche wurde auch an Nadeln beobachtet, welehe einfach durch Zer-
zupfen dem in Alkohol konservirten Schwamm entnommen waren.
Hieraus folgt, dass der äußerst geringe, bei der Lösung bleibende
Rest nicht mit dem zugesetzten Methylenblau zusammenhängt. Da-
gegen muss ich hervorheben, dass beim Auflösen feiner Fragmente
von Kalkspat (Auerbach an der Bergstraße) in sehr verdünnter Salz-
säure ebenfalls ein sehr geringer fein granulärer, häufig etwas gelb-
licher Rest zurückblieb, welcher wenigstens zuweilen an den Spicula-
rückstand erinnerte.
Mit einer Spieulascheide, wie sie von KÖLLIKER, HAECKEL,
v. Epxer und Mincuin als eine organische Umhüllung der Kalknadeln
beschrieben wird, kann der bei der Auflösung zurückbleibende Rest
nicht wohl verglichen werden. Hinsichtlich dieser Frage ist auch
die Behandlung der Nadeln mit Kalilauge von Wichtigkeit, da nach den
276 0. Bütschli.
Erfahrungen HAEcKEL’Ss und v. Epnxer’s stärkere Lauge die Nadeln
schon in der Kälte angreift, wobei die sogen. Scheide sich gut er-
halten soll. Nach v. EBNEr (p. 108) unterscheiden sich die Kalkspieula
in dieser Hinsicht von Kalkspat, dem sie im Übrigen so genau
entsprechen, da letzterer durch 10—15/,ige Kalilauge (in 24" und
ein- bis zweimaligem Kochen auf kurze Zeit) nicht angegriffen wird,
während die auf gleiche Weise behandelten Nadeln sehr stark an-
gegriffen bis völlig zerstört werden. Auch ich habe einige Versuche
mit Kalilauge angestellt, die in 35°/,iger Lösung zur Verwendung
kam, jedoch nur in der Kälte, ohne Erwärmen. In dieser Lauge
waren die Nadeln schon nach 24! sehr angegriffen, ja die kleineren
völlig zerstört. Das Seltsame ist jedoch, dass dabei jede Nadel eine
deutliche schöne dünne Scheide zurücklässt, welche die ehemalige
Spieulaform gut bewahrt, und die sieh bei Untersuchung mit starken
Vergrößerungen als sehr feinwabig, einschichtig strukturirt erweist,
was namentlich auch auf dem optischen Durchschnitt gut zu erkennen
ist. Dagegen ist von einem Achsenfaden auch bei dieser Behand-
lung nie etwas zu bemerken; im Gegentheil wird die axiale Partie
der Nadeln häufig rascher gelöst als die periphere, wesshalb sich ein
scheinbarer Achsenkanal bilden kann. Interessanterweise findet man
zwischen den ganz oder theilweise zerstörten und in der Lauge unter-
suchten Nadeln eine große Menge dünner, schön sechseckiger Krystall-
täfelchen, die in ihrem Aussehen, der vielfach sehr schön ausge-
prägten Schichtung, sowie auch dem gelegentlich sehr deutlichen
alveolären Bau vollständig den sechseckigen Täfelchen gleichen, die
ich 1898, p. 124 beschrieben und auf Taf. VII, Figg. 2, 3 und 6
photographisch abgebildet habe!. Bei Betrachtung in der Fläche
zeigten sie, wie die 1398 beschriebenen Täfelchen, meist keine Doppel-
brechung, dagegen erwiesen sie sich in der Kantenansicht stark
doppelbrechend. Häufig waren die Täfelchen auch den angegriffenen
Nadeln oder deren Scheiden in ganzen Büscheln aufgewachsen.
Wurde etwas gröblich pulverisirter Kalkspat (Auerbach an der
Bergstraße) in entsprechender Weise mit 35°/,iger Kalilauge einige
Tage in der Kälte behandelt, so zeigte sich ganz die gleiche Er-
scheinung. Schon der Umstand, dass die Kalkspatpartikel, ähnlich
den Kalknadeln, in der Lauge allmählich zu einer Kruste zusammen-
backen, ließ dies vermuthen. Zwischen und auf den Kalkspath-
stückehen fand sich eine große Menge der sechseckigen Täfelchen,
! Die Täifelchen wurden 1898 für CaCO, gehalten, was sie nicht sind, wie
das Folgende ergiebt.
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 277
auch ganze Aggregationen solcher und büschelige Auswachsungen
auf den Kalkspatfragmenten, die übrigens auch stellenweise sichere,
wenn auch schwache Spuren von Ätzung zeigten. Sowohl bei den
Nadeln, als bei den Kalkspatfragmenten ergab sich die seltsame
Erscheinung, dass die Täfelehen nach dem Auswaschen der Lauge
mit Wasser verschwanden, sich dagegen nun eine Menge kleiner
Caleosphäriten oder auch deutlicher kleiner Rhomboäöder vorfand,
die theils frei, theils den Nadeln aufgewachsen waren, zum Theil
jedoch auch im Inneren der im Wasser erhaltenden Scheiden der
Nadeln lagen. Dies ließ vermuthen, dass die Calcosphäriten und
Rhomboäder unter dem Einfluss des Wassers aus den Täfelchen
hervorgehen. Genauere Verfolgung der Wasserwirkung unter dem
Mikroskop ergab denn auch wirklich, dass die Täfelchen durch
Wasser ziemlich rasch, jedoch keineswegs plötzlich aufgezehrt wer-
den, und dass an ihrer Stelle die Caleosphäriten auftreten. Eigen-
thümlicherweise fand sich jedoch gelegentlich, dass die Täfelchen
durch Wasser nicht völlig zerstört wurden, sondern einen skelett-
artigen Rest zurücklieben, der die Form des ursprünglichen Täfel-
chens noch deutlich zeigte. Jedenfalls folgt aus diesen Erfahrungen,
dass die Vermuthung, es könnten die sechsseitigen etwa K,CO, sein,
nicht begründet ist. Vielmehr handelt es sich aller Wahrscheinlich-
keit nach um ein Doppelsalz von CaCO, und K,CO,, welches durch
Wasser zersetzt wird, unter Abscheidung des CaCO, in Gestalt von
Sphäriten oder Rkhomboddern. Ich habe die nicht uninteressante
Bildung dieser Verbindung noch etwas genauer verfolgt und werde
die Ergebnisse meiner Untersuchungen an geeignetem Ort mittheilen!.
Oben wurde erwähnt, dass beim Auflösen der Nadeln in 35°/,igem
Kali eine gut ausgebildete Scheide zurückbleibt. Bei Behandlung mit
sehr verdünnter Salzsäure (3—4 Tropfen auf ca. 30 eem H,O)
bleibt diese Scheide unverändert erhalten. Dabei wurde gleichzeitig
eine sehr seltsame Erscheinung beobachtet. Hier und da war in der
Scheide noch ein mehr oder minder ansehnlicher ungelöster Rest der
Nadel erhalten, der nun von der sehr verdünnten Säure allmählich
gelöst wurde. Diese Lösung erfolgte aber in einer Weise, die von
der vorhin beschriebenen normaler Nadeln ganz abwich, indem ein
häufig sehr schön und feingeschichteter gelbbräunlicher Rückstand
verblieb, der die Form des aufgelösten Spieulastückes völlig bewahrte.
Gleichzeitig bemerkte man jedoch deutlich, dass die feine Schichtung
1 Frisch gefällter CaCO, wird durch Behandlung mit 35°/iger Kalilauge bei
40° in wenig Tagen völlig in Kryställchen des:fraglichen Doppelsalzes übergeführt.
278 0. Bütschli,
dieses Rückstandes nichts mit der ursprünglichen Schichtung der Na-
del zu thun hatte, denn an abgebrochenen Nadeln folgte die Schich-
tung des Bruchendes der Bruchfläche, war also etwas ganz Anderes
als die natürliche Schichtung. Wurden die Scheiden hierauf mit
halbverdünnter Salzsäure (von 35°/,) behandelt, so verloren sie sehr
stark an Substanz und fielen zu sehr substanzarmen lockeren unregel-
mäßigen Hüllen zusammen, die auffallend an diejenigen erinnerten,
welche sich direkt aus den Nadeln mit sehr verdünnter Säure ge-
winnen lassen (s. oben). Halbverdünnte Salpetersäure veränderte diese
Reste wenig; als darauf halbverdünntes Ammoniak zugesetzt wurde,
verquollen sie dagegen bis zur Unkenntlichkeit.
Aus diesen Ergebnissen kann ich nur schließen, dass die mit
Kalilauge isolirten sog. Scheiden nicht wohl nur aus organischer Sub-
stanz bestehen können, sondern, dass an ihrer Zusammensetzung auch
anorganisches Material in irgend einer Form, möglicherweise sogar
GaCo, Theil nimmt, obgleich das Nähere vorerst nicht recht klar ist.
Doch möchte ich bei dieser Gelegenheit daran erinnern, dass
Calcosphäriten, die aus reinen Lösungen von CaCl, und K,CO, dar-
sestellt wurden, und daher auch nur aus CaCO, bestehen können,
bei der Auflösung in sehr verdünnter Essigsäure eine äußere Hülle
zurücklassen, jedoch auch von dem Inneren sich blasse, schwer be-
merkbare Reste erhalten (s. hierüber 1898, p. 150).
Auf Schnitten durch Zeucandra, die zuvor mit Alaunkarmin ge-
färbt waren, sind die Kalknadeln stets mehr oder weniger aufgelöst.
Gewöhnlich findet sich um den Querschnitt des Raumes, den die
ehemalige Nadel einnahm, eine tief rothgefärbte, ziemlich dicke
Scheide, und eben so bemerkt man häufig in der Höhlung eine bis
mehrere ähnliche koncentrische Scheiden, so dass das Ganze den
Eindruck macht, als seien beim Auflösen mehrere in einander ge-
schachtelte Hüllen von organischer Substanz zurückgeblieben. Diese
Erfahrung veranlasste mich, die Einwirkung einer 5°/,igen Kalialaun-
lösung auf die isolirten Nadeln zu untersuchen. Dabei zeigte sich
sofort, dass die Nadeln von dieser Lösung stark angegriffen werden,
was schon durch die langsame Kohlensäureentwicklung erwiesen
wird. Nach mehrtägiger Einwirkung finden sich massenhaft Gips-
kryställchen zwischen den Nadeln vor, ja diese sind den Nadeln
häufig so dieht aufgewachsen, dass letztere vor dem weiteren An-
sriff geschützt werden. Die Nadeln sind mehr oder weniger bis
völlig aufgelöst, wobei sich jedoch, ähnlich wie bei der Lösung in
Kalilauge, eine äußere Scheide regelmäßig erhält, zu der sich zu-
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 279
_ weilen noch mehrere ähnliche innere, koncentrische Scheiden gesellen,
woraus sich die oben geschilderten Befunde der Schnitte erklären.
Dass es sich nun in diesem Fall unmöglich um Reste organischer
Substanz handeln kann, ist schwerlich zu bezweifeln; vielmehr muss
jedenfalls eine Abscheidung anorganischer Substanz vorliegen, also
entweder von Gips, oder eventuell auch von Thonerde oder einer
Thonerdeverbindung, die bei der Einwirkung der Alaunlösung auf
den CaCO, gebildet wird.
Caleit wird ebenfalls von der D"/,igen Alaunlösung angegriffen unter
Bildung von Gipskryställchen und Entwicklung von Kohlensäure.
Es schien mir angezeigt, auch einige vergleichende Versuche mit
Kalkspatfragmenten hinsichtlich der Wirkung des Glühens auszu-
führen. Dass das Weißwerden der Kalkspieula bei mäßigem Glühen
nicht von Zersetzung des CaCO, unter Entweichen von CO, herrührt, er-
siebt sich ja schon aus der Thatsache, dass die weiß und alveolär
sewordenen Nadeln beim Auflösen in Säure eben so reichlich CO,
entwickeln als die nicht erhitzten. Dies folgt aber auch daraus, dass
es sehr energischen und langen, 2—Sstündigen Glühens bedarf, um
kleine Fragmente von Kalkspat völlig zu zersetzen und in CaO überzu-
führen. — Mäßiges, kurzes Glühen bewirkt sehr wenig Veränderung an
kleinen Kalkspatfragmenten. Gewöhnlich ist nur eine äußerst dünne
Rindenschicht verändert, und zwar feinwabig geworden, häufig mit
senkrecht gegen die Oberfläche gerichteter Faserung. Nicht selten
tritt in dieser Schicht eine polygonale Felderung bei Flächenansicht
hervor, was an sphärolithische Bildungen erinnert, um so mehr, als
die Polygone etwas radial zerklüftet sind. Manchmal erscheinen die
schwach geglühten Splitter auch sehr deutlich geschichtet.
Fragmente, die 2—5! stark geglüht und daher völlig in CaO
umgewandelt waren, sind sehr brüchig, leicht zu zertrümmern, und
weiß, wie dies von gebranntem Kalk bekannt. Bei Einbettung in
Xylolkanadabalsam ergiebt sich, dass die feinen Trümmer sehr ver-
schieden durchdringlich sind für den Balsam. In die meisten dringt
der Balsam nicht ein, dieselben zeigen daher auch nach der Ein-
bettung die vorhandene feine und schöne Struktur sehr deutlich. Diese
Struktur, von welcher die Photographie Taf. XIX, Fig. 3 (Vergr. 4300)
ein gutes Bild giebt, ist wieder durch und durch feinwabig; jedoch
nicht gleichmäßig. Das genauere Studium ergiebt vielmehr, dass eine
breccienartige Beschaffenheit vorliegt. In eine etwas gröberwabige
und daher auch ein wenig schwächer lichtbrechende Grundmasse sind
zahlreiche unregelmäßig rundlich-eckige Gebilde von etwas feiner-
280 0. Bütschli.
wabigem Bau und etwas stärkerer Lichtbrechung eingelagert. Auf
der, bei sehr starker Vergrößerung und scharfer Einstellung aufge-
nommenen Photographie Fig. 5 tritt der Unterschied zwischen diesen -
Gebilden und der Grundmasse sehr wenig hervor. Am deutlichsten
ist er bei Untersuchung zwischen gekreuzten Nicols, indem die ein-
gelagerten Gebilde ziemlich stark doppelbrechen, die Grundmasse
dagegen nicht merkbar. Die doppelbrechenden Einschlüsse verhalten
sich nieht wie Sphären, zeigen nie ein Kreuz, und erscheinen bei Ein-
schaltung des Gipsplättchens (Roth 1. ©.) theils blau, theils gelb. Sie
verhalten sich also wie einfache Kryställchen. Die ganze Bildung
erinnert lebhaft an die Mikrostruktur, die ich 1895 (p. 384) bei po-
rösen Thonzellen beobachtete. In einzelne Fragmente ist der Ka-
nadabalsam bis zu einer gewissen Tiefe eingedrungen, und einige
kleine Fragmente sind auch ganz von Balsam durchdrungen. In
diesen ist die Struktur durchaus unsichtbar geworden, abgesehen von
einzelnen, ein wenig gröberen Hohlräumehen, die nicht von Balsam
erfüllt sind, also gaserfüllt blieben. Zwischen solchen Fragmenten
und den von Balsam gar nicht durchdrungenen giebt es alle mög-
lichen Übergangsstufen.
Auch in den ganz durchdrungenen, anscheinend strukturlosen
Fragmenten, sind die eingestreuten, etwas stärker brechenden Gebilde
hier und da erkennbar. Die doppelbrechende Wirkung der letzteren
ist in diesem Fall noch deutlicher als im gaserfüllten Zustand, hängt
demnach mit der Gaserfüllung der Struktur nicht zusammen. Auch
die ganz durchdrungenen Fragmente sind etwas stärker brechend als
der umgebende Balsam, demnach bricht auch die Gerüstsubstanz
etwas stärker als Balsam.
Kurze Übersicht der wichtigsten Ergebnisse.
1) Das Verhalten der Kiesel- und Kalknadeln der Spongien bei
schwachem Glühen, wobei eine feine, nicht imbibirbare Hohlräumchen-
(Waben-) Struktur auftritt, macht es sehr wahrscheinlich, dass eine
solche Struktur auch schon im normalen Zustand existirt, jedoch zu
fein, um gesehen werden zu können. Für diese Auffassung spricht
auch die wohl ausgeprägte Schichtung der Kiesel- oder Kalksubstanz.
2) Der Achsenfaden der Kieselnadeln zeigt die Reaktionen der
Eiweißsubstanzen. Im normalen Zustande ist er spröde und splitternd,
nach Isolation durch verdünnte Flusssäure dagegen weich und schlapp.
Auch die eigentliche Kieselsubstanz enthält etwas organische Substanz,
wie sich namentlich beim Auflösen der geglühten Nadeln in schwacher
wer -
Einige Beobachtungen iiber Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 281
Flusssäure zeigt. Farbstoffe und sonstige Reagentien können nur
auf den Faden wirken, wenn entweder das eine Ende der Nadel
noch offen, oder der Faden durch Bruch zugängig gemacht ist.
3) Die Kieselnadeln der Tethya sind äußerlich von gürtelförmigen
Zellbändern (Silikoblasten) völlig umhüllt.
4) An Nadeln von Tethya mit stark gefärbtem und etwas ge-
schrumpftem Achsenfaden bemerkt man nicht selten zellenähnliche,
häufig reich verästelte Körper in regelmäßigen Abständen zwischen
dem Faden und der Wand des Achsenkanals.
5) In den Kalknadeln von Zeucandra findet sich sicher kein
Achsenfaden, wie denn überhaupt organische Substanz darin nur
äußerst spärlich vorkommen kann. Die sehr deutliche Scheide,
welche beim Auflösen der Nadeln in starker Kalilauge zurückbleibt,
besteht aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur aus organischer
Substanz.
6) Konzentrirte Kalilauge greift in der Kälte nicht nur die Kalk-
nadeln an, sondern eben so auch Kalkspat unter Bildung sechsseitiger
Krystalltäfelchen, die, so weit bis jetzt erkennbar, wohl ein Doppel-
salz von CaCO, und K,CO, sind, das durch Wasser sofort zersetzt
wird, unter Abscheidung von CaCO, in Form von Sphären oder
Rhomboädern.
Heidelberg, im Juli 1900.
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1900. ©. BürscHhuı, Untersuchungen über die Mikrostrukturen des aus dem
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989 | 0. Bütschli,
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1854. J. THOULET, Sur les spieules silicaux des &ponges vivants. Compt. rend.
Aec. sc. Paris. Tome XCVIU. p. 1000—1001.
Erklärung der Abbildungen,
Tafel XIX.
Fig. 1. Leucandra aspera. Große Stabnadel. Schwach erhitzt bis
zum Weißwerden. Darauf zertrümmert und die Fragmente in Kanadabalsam auf-
gestellt. Bruchtheil einer solchen Nadel im optischen Längsschnitt. Sehr schöner
gleichmäßiger feinwabiger Bau. Die Schichtung tritt deutlich hervor. Obj. 2,
Oe. 8. Einstellung tief auf den mittleren Durchschnitt. Vergr. 4300.
Fig. 2. Leucandra aspera. Große Stabnadel, aus demselben Präparat
wie Fig. 1. Dünnes Bruchstück, das einen recht guten Querschnitt einer Nadel
darstellt. Obj. 2, Oc. 6. Vergr. 2680. Schichtung gut ausgeprägt, zeigt deut-
lich die Abwechslung dunklerer und hellerer Schichten (doch handelt es sich
nicht um die letzten feinsten Schichten, sondern um dickere Zonen, s. Text
p. 273). Schöner feiner und gleichmäßiger Wabenbau, der bis zum Centrum
seht, ohne dass etwas von einem Achsenkanal oder Achsenfaden zu bemerken
ist. Einstellung tief auf die obere Grenzfläche des Schnittes.
Fig. 3. Kalkspat von Auerbach (Bergstraße). 2h stark geglüht und
sicher durchaus in CaO umgewandelt. Dünnes blattförmiges Fragment in Kanada-
balsam eingebettet und durchaus gaserfüllt. Wabenbau sehr schön. Obj. 2, Oe. 8.
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 283
Vergr. 4300. Einstellung gerade tief auf die untere Grenzfläche. Blende mäßig
verengt.
Fig. 4. Leucandra aspera. Dasselbe Präparat wie Figg. 1—2. Kleines
sehr dünnes Bruchstück einer großen Stabnadel. Dasselbe stellt einen kleinen
Theil eines radiären Längsschnittes durch die Nadel dar, wie sich aus der längs-
ziehenden Schichtung ergiebt. Die Abwechslung dunklerer, etwas feiner wabiger
und hellerer etwas gröber wabiger Schichten ist deutlich. Der Wabenbau über-
haupt sehr gut ausgeprägt. Obj. 2, Oc. 8. Vergr. 4300. Einstellung gerade
tief auf die untere Grenzfläche.
Fig. 5. Tethya lyneurium. Einige mit schwacher Flusssäure isolirte
Centralfäden, die nach dem Auswaschen mit Wasser unter dem Deckglas mit
Mıtvon’s Reagens in der Wärme behandelt wurden. Die stark aufgequollenen
und platt ausgebreiteten Fäden sind da, wo sie sich berührten und überdeckten.
zum Theil netzig zusammengeflossen, sowie durch und durch sehr schön tein-
schaumig strukturirt; dabei schön roth gefärbt. Obj. 2, Pr. Ve. 4. Vergr. 1300.
Einstellung gerade tief.
Fig. 6. Geodia placenta. Mit schwacher Fluorwasserstoffsäure isolirter
Achsenfaden. Ausgewaschen, aufgetrocknet und darauf unter dem Deckglas mit
MiıLLon’s Reagens in der Wärme behandelt; schön roth. Der Faden gequollen,
einreihig schaumig und die auf einander folgenden Alveolen sehr verschieden
angeschwollen. Obj. 2, Oc. 8. Vergr. 1730. Einstellung tief.
Fig. 7. Geodia placenta. Stumpfspitzige Stabnadel, (die mit 10%/,iger
Salzsäure durch Kochen isolirt. Mit Methylenblau behandelt und in Kanada-
balsam eingeschlossen. Die Nadel erscheint ganz blass blau. Optischer Längs-
schnitt des stumpfen Endes. Deutliche Schichtung, in der inneren Partie mit
Andeutung von wabigem Bau. Auch der Achsenfaden (a) ist deutlich wabig struk-
turirt und die Waben seines Endes sogar mit Gas erfüllt. Es ist dies die ein-
zige Nadel, die mir begegnete, an der sich direkt etwas von wabigem Bau er-
kennen ließ. Obj. 2, Oc. 8. Vergr. 3200. Einstellung tief auf den optischen
Horizontalschnitt.
Fig. 8 Geodia placenta. Nadeln schwach geglüht, bis weiß geworden,
darauf in Kanadabalsam in feine Fragmente zertrümmert. Ganz dünnes Frag-
ment einer abgeblätterten Schicht, Wabenstruktur sehr schön mit einigen ganz
deutlichen Sphärenbildungen (a). Obj. 2, Oe. 8. Vergr. 3200. Einstellung ge-
rade tief.
Fig. 9. Geodia placenta. Ganz kleines dünnes Fragment einer schwach
geglühten Nadel in Kanadabalsam. Wabenbau schön mit Andeutung der Schich-
tung. Obj. 2, Oe. 8. Vergr. 4300. Blende mäßig. Einstellung gerade tief.
Fig. 10. Geodia placenta. Ganz dünnes Fragment einer schwach ge-
glühten Nadel. Einschichtiger Wabenbau. Obj. 2, Oc. 8. Vergr. 4300. Einstel-
lung gerade tief. Kanadabalsam. Blende ziemlich weit.
Tafel XX.
Fig. 1. Geodia placenta. Ein Klumpen von Achsenfäden, die mit Fluor-
wasserstoffsäure isolirt, darauf ausgewaschen, aufgetrocknet und mit MILLON’s
Reagens unter dem Deckglas gefärbt. Die Fäden sind dabei stark aufgequollen
und verklebt bis verschmolzen. Fast alle sehr schön perlschnurförmig umge-
bildet, wie Fig. 6, Taf. XIX. Obj. 8, Pr. Oe. 4. Vergr. 450. Einstellung tief.
Fig. 2. Geodia placenta. Nadel schwach geglüht, in Kanadabalsam zer-
trümmert. Fragment eines guten Querschnittes. Durchaus blasig-wabig mit deut-
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 19
284 0. Bütschli.
licher Erhaltung der Schichtung. a der Achsenkanal. In dem feineren Waben-
werk hier und da auch größere, mehr blasige Hohlräume. Obj. 2,0c.8. Vergr. 3200.
Fig. 3. Tethya lyneurium. Nadelquerschnitt. Mit MıLLon’s Reagens
behandelt und darin untersucht und photographirt. Schichtung mit Abwechslung
heller und dunkler Schichten deutlich, eben so der dreieckige Achsenkanal. Ob
der Achsenfaden noch vorhanden, ist fraglich. Obj. 2, Oc. 8. Vergr. 1730. Ein-
stellung etwas verschieden, da wahrscheinlich die obere Grenzfläche. auf die ein-
gestellt wurde, etwas schief verlief; es geht dies schon daraus hervor, dass die
dunklen und hellen Schichten der einen Seite in die hellen und dunklen der
anderen übergehen.
Fig. 4. Tethya lyncurium. Nadelquerschnitt, mit MıLLon’s Reagens
behandelt. Der Achsenfaden schön roth gefärbt. In Wasser. Der Achsenfaden
und -Kanal deutlich dreieckig mit abgestumpften Ecken. Obj. 2, Oc. 8. Vergr.
1730. Einstellung hoch. Da der Axialfaden stärker lichtbrechend ist als die
Kieselsubstanz, so erscheint er heller als diese.
Figg.5u.6. Geodia placenta. Stumpfspitzige Nadel, deren Achsenfaden
etwas mit Methylenblau gefärbt ist. Fig. 5, stumpfes Ende. Schichtung gut.
Fig. 6, das spitze Ende einer eben solchen Nadel. Obj. 2, Pr. Oc. 4. Vergr. 800.
Einstellung auf den axialen optischen Horizontalschnitt.
Figg. u. 8 Tethya Iyneurium. Dünne Stabnadel, die schwach er-
hitzt bis sie braun geworden. Der Achsenfaden tief schwarz verkohlt. Dies tritt
besonders deutlich auf Fig. 8 hervor, da hier die Stelle photographirt ist, wo der
Achsenfaden endigte, und der leere Centralkanal begann. Die an den Central-
faden grenzenden Schichten der Kieselsubstanz deutlich wabig. Obj. 2, Oe. 8.
Vergr. 1730. Einstellung tief auf optischen Horizontalschnitt durch den Faden.
Tafel XXT.,
Fig. 1. Große Stabnadel von Geodia placenta mit schwacher Fluor-
wasserstoffsäure behandelt. Das eine Ende der Nadel ist zerstört und tief trichter-
förmig ausgehöhlt. Der Achsenfaden des zerstörten Theiles der Nadel freigelegt.
Fig. 2. Große Stabnadel von Tethya lynceurium mit schwacher Fluss-
säure behandelt. Die Auflösung der Kieselsubstanz hat in der mittleren Partie
der Nadel begonnen und unter Bildung einiger eingefressenen Löcher schließlich
zur Lösung der mittleren und inneren Partie der Nadel geführt. Dabei wurde die
betreffende Strecke des Achsenfadens freigelegt.
Fig. 3. Tethya lyncurium. Stück einer großen Stabnadel, das 4 auf
dem Wasserbad mit 35%/yiger Kalilauge erhitzt wurde. Die Kieselsubstanz des
einen Endes des Stückes stark ausgefressen und zackig, indem die abwechseln-
den Schichten von der Lauge in sehr verschiedenem Grade angegriffen worden
sind. Der Achsenfaden ist noch ziemlich gut erhalten.
Fig. 4& Tethya Iyncurium. Bruchstück einer Stabnadel, die durch Zer-
zupfen der Marksubstanz des Schwammes in Wasser isolirt wurde. Aus dem
Bruchende der Nadel ragt der Achsenfaden ein Stück weit frei hervor und zeigt
seine dreikantige Beschaffenheit.
Fig. 5. Tethya lynceurium. Bruchstück einer Stabnadel, die 4% auf dem
Wasserbad mit 35°%/yiger Kalilauge erhitzt wurde. Die inneren und äußeren
Schichten sind durch die Kalilauge aufgelöst worden, so dass der ziemlich gut er-
haltene, mit Methylenblau gefärbte Achsenfaden in einer weiten Höhle liegt. Die
erhaltenen äußeren Schichten mit mehreren eingefressenen Löchern.
Fig. 6. Tethya Iyncurium. Theil eines durch Fluorwasserstoffsäure iso-
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. 285
lirten Achsenfadens einer großen Stabnadel. Mit 5%/yiger Lösung von Na3C0; er-
hitzt und dabei etwas aufgequollen und aufgeknäuelt. Die so sichtbar werdenden
optischen Querschnitte der Umbiegungsstellen zeigen die dreiseitige Form des
Fadens deutlich.
Fig. 7. Geodia placenta. Durch schwache Fluorwasserstoffsäure isolir-
ter Achsenfaden einer Ankernadel. Der eine der Ankeräste des Achsenfadens
gegen das Ende gegabelt.
Fig. 8 Geodia placenta. Theil eines Achsenfadens einer schwach ge-
glühten Nadel, durch Fluorwasserstoffsäure isolirt. Der Achsenfaden ist schwärz-
lich verkohlt und zeigt deutlich eine einreihig alveoläre Struktur.
Fig. 9. Tethya Iyneurium. Bruchstücke einer Stabnadel, die zerrieben
und ca. 2b mit 890/giger Schwefelsäure gekocht war. Auf Objektträger aufge-
trocknet. Zeigt deutlich, dass der Achsenfaden erhalten. Die Achsenfäden fast
durchweg schön quergebändert.
Fig. 10—12. Tethya Iyncurium. Große Stabnadeln aus den Bündeln
der radiärfaserigen Marksubstanz. Die in Alkohol konservirten Schwammstück-
chen wurden in einer mit Essigsäue angesäuerten wässrigen Dahlialösung gefärbt.
in besonderer Weise fixirt und darauf in Kanadabalsam zerzupft. Der Achsen-
faden zerbrochener oder geöffneter Nadeln meist sehr intensiv gefärbt. Die
Figuren zeigen Theile großer dünner Stabnadeln, in denen der Achsenfaden
etwas geschrumpft ist, so dass er den Kanal nicht mehr ganz erfüllt. Zwischen
dem Achsenfaden und der Wand des Kanals finden sich in regelmäßigen Ab-
ständen stark gefärbte zellenartige Körper, die bald unregelmäßig plattenartig
erscheinen (Fig. 10), bald mit reich verästelten Ausläufern versehen sind, die
deh Achsenfaden umgürten (Figg. 11—12). In Fig. 12 war der Achsenfaden an
einer Stelle gerissen, so dass ein reich verästelter Körper ganz frei lag.
Fig. 15. Tethya Iyneurium. Bruchstück einer Nadel, die mit koncen-
_trirter Schwefelsäure und etwas Chromsäure auf dem Objektträger erhitzt wurde.
Achsenfaden vielleicht theilweise zerstört. Derselbe verengt sich an einer Stelle
sanz plötzlich und zeigt dabei die dreikantige Beschaffenheit sehr deutlich.
Fig. 14. Tethya lyncurium. Fein zerriebene Nadeln mit MıLLon’s Rea-
gens erhitzt. Die Achsenfäden häufig roth gefärbt. Kleines Bruchstück einer
Nadel, die längs durchgebrochen, so dass Bruchstücke des Achsenfadens frei liegen.
Fig. 15. Tethya Iyncurium. Querschnitt des Achsenfadens einer großen
Stabnadel mit Andeutung von alveolärer Struktur.
Figg. 16—17. Geodia placenta. Fig. 16 Querschnitt eines Achsen-
fadens mit Andeutung von Struktur. Fig. 17 Querschnitt einer kleineren oder
jüngeren Nadel mit dreiseitigem Achsenfaden und noch entsprechend dreiseiti-
sem Umriss der Nadel.
Fig. 15. Geodia placenta. Endtheil eines mit schwacher Fluorwasser-
stoffsäure isolirten, ziemlich dieken Achsenfadens (wahrscheinlich aus dem spitze-
ren Ende einer großen Stabnadel). Der Faden deutlich dreikantig und mit zahl-
reichen Anschwellungen versehen.
Fig. 19. Geodia placenta. Querschnitt einer Nadel mit schön drei-
seitigem Achsenfaden, dessen drei Kanten regelmäßig abgestumpft (vgl. Fig. 4.
Taf. XX). Schichtung der Kieselsubstanz angedeutet.
Fig. 20. Leucandra aspera. Sehr dünnes Bruchstück einer bis zum
Weißwerden erhitzten großen Stabnadel. Feinwabiger Bau, sowie die Abwechs-
lung hellerer und dunklerer Schichten deutlich. Ganz ähnlich dem auf Fig. 4.
Taf. XIX photographirten Fragment.
ige
286 0. Bütschli, Einige Beobacht. über Kiesel- u. Kalknadeln von Spongien.
Fig. 21. Geodia placenta. Spitzes Ende einer stumpfspitzigen Stab-
nadel. Der Achsenfaden mit Anschwellungen, die sich auch an der Kieselsub-
stanz schwach ausgeprägt zeigen.
Fig. 22. Tethya lyncurium. Spitzes Ende einer stumpfspitzigen Nadel,
deren Achsenfaden stark mit Dahlia gefärbt ist. Das spitze Nadelende ist ge-
öffnet, so dass der Achsenfaden hier frei liegt.
Figg. 23—24. Tethya lyneurium. Theile zweier mit schwacher Fluor-
wasserstoffsäure isolirten Achsenfäden. Beide an einer etwas eingeschnürten
Stelle mit einer kragen- oder manschettenartigen Bildung.
Fig. 25. Geodia placenta. Theil eines mit schwacher Fluorwasser-
stoffsäure isolirten Achsenfadens, an einer Stelle mit zwei Ausläufern.
Figg. 26—27. Tethya Iyneurium. Lange und feine, jugendliche Stab-
nadeln aus der Markmasse. Der Achsenfaden, stark mit Dahlia gefärbt, läuft an
dem dünneren Ende der Nadel frei aus, indem die Kieselhülle immer dünner
wird und schließlich ganz aufhört. Der Faden von Fig. 26 war an diesem freien
Ende gegabelt.
Fig. 283. Geodia placenta. Etwas abnorme, stumpfspitzige große Stab-
nadel. Der Achsenfaden gabelt sich etwas vor dem spitzen Ende, so dass
dieses selbst zweispitzig ausläuft. Außerdem besitzt der Achsenfaden etwas vor
der Gabelungsstelle einen unregelmäßigen Auswuchs, der einen entsprechenden
Auswuchs der Kieselnadel bedingt.
Fig. 29. Tethya lynceurium. Stark geglühte Stabnadel. Die äußeren
Schichten der Nadeln weit aufgebläht und von dem Inneren abgehoben. Der
Achsenfaden verkohlt (schwarz). Die abgehobene äußere Schicht ist von größe-
ren und kleineren bis feinsten Gasalveolen durchsetzt.
ES WERE
...
5 NE
I
V
Studien über das Nervensystem der Lucernariden, nebst
sonstigen histologischen Beobachtungen über diese
Gruppe.
Von
N. Kassianow, Stud. rer. nat.
(Aus dem zoologischen Institut der Universität Heidelberg.)
Mit Tafel XXII—XXV und 11 Figuren im Text.
Einleitung.
Während meiner Anwesenheit auf der biologischen Station zu
Helgoland im Herbst 1898 sammelte ich die dort in großer Menge vor-
kommende Craterolophus tethys J. Clark. Es war zuerst meine
Absicht, nach dem Vorschlag der Herren Prof. Dr. Cuun und Prof.
Dr. O. zur STRASSEN die Regenerationserscheinungen dieser Scypho-
meduse, welche, wie es schon MEyEr (1865) angegeben hat, sehr
leicht regenerirt, zu studiren.
Zu diesem Zwecke habe ich auch Experimente an Craterolophus
tethys angestellt, die immer positive Resultate ergaben, so dass ich
die Angaben MEYERr’s über die außerordentlich große Reproduktions-
kraft der Lucernariden vollkommen bestätigen kann.
Die großen Schwierigkeiten der Untersuchung aber, welche durch
die außerordentliche Kleinheit der histologischen Elemente bedingt
werden, und außerdem die Einfachheit des Vorganges, entsprechend
der Einfachheit der gesammten Organisation, haben mir nicht erlaubt,
einigermaßen wichtige Resultate über die histologischen Details der
Regeneration zu gewinnen. Dagegen gelang es mir bei den histolo-
gischen Studien, welche ich an Craterolophus tethys vornahm, bevor ich
an das Studium der Regenerationserscheinungen herantrat, Einiges zu
beobachten, vor Allem über das Nervensystem, was ich in der vor-
liegenden Arbeit mittheilen will, nachdem es durch Untersuchung
anderer Vertreter der Lucernariden vervollständigt wurde.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 20
288 N. Kassianow,
Die Resultate meiner Untersuchungen über die Regenerations-
vorgänge selbst werde ich vielleicht bei späterer Gelegenheit be-
schreiben.
f
A. Das Nervensystem der Lucernariden.
Das Nervensystem, welches auch bei den meisten Tesseronien
unter den Scyphomedusen noch wenig erforscht ist, wurde bei den
Lucernariden bis jetzt noch nicht nachgewiesen. Die Kenntnis des
Nervensystems gerade dieser Medusen ist aber von großem Interesse,
weil die Lucernariden selbst eine sehr interessante Stellung im System
der Acraspedota einnehmen.
Litteratur.
Von den Forschern, welche sich besonders eingehend mit dem
Studium der Lucernariden beschäftigten, glaubt A. KoroTnEw (1876)
nervöse Zellen in den Tentakeln gefunden zu haben; aber das, was er
für Nervenzellen hält, sind einestheils entschieden gar keine, anderen-
theils ist ihre nervöse Natur sehr fraglich.
O. TAscHENBERG (1877), welcher den Lucernariden eine große
Arbeit gewidmet hat, hat von dem Nervensystem derselben nichts
nachweisen können und ist sogar geneigt anzunehmen, dass die
Muskeln der Lucernariden ohne Vermittelung eines Nervensystems
auf äußere Reize reagiren.
J. Crark (1881) fand bei Halielystus auricula J. Clark,
welchen er auberordentlich eingehend untersuchte, keine Spuren des
Nervensystems. Aus dem Vorhandensein eines Gebildes aber, das
er für ein Auge hält, schließt er, dass ein Nervensystem vorhanden
sein müsse und das sogar in centralisirter Form. Er meint, dass
die Nervenfasern zwischen den Muskeln liegen und denselben so
ähnlich sein könnten, dass es schwer fällt, sie von Muskelfasern zu
unterscheiden. O. Krına (1879) bemerkt in seiner histologischen
Arbeit über Craterolophus tethys J. Clark nichts über das
Nervensystem.
Von den späteren Forschern widmete ScHLATER (1891) dem
Nervensystem von Halielystus auricula J. Clark eine besondere
Arbeit. Er glaubt es in den Randpapillen gefunden zu haben; dass
seine Angaben jedoch nicht zutreffend sind, werde ich im Verlaufe
meiner Arbeit zeigen.
Es ist durchaus nicht erstaunlich, dass das Nervensystem der
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 289
Lucernariden so vielen Forschern, die sich mit diesen Medusen ein-
sehend beschäftigten, entging; denn auf Schnitten, selbst den dünnsten,
ist es außerordentlich schwer, das Nervensystem zu entdeeken. Auch
meine Untersuchungen blieben desshalb lange ganz erfolglos. Erst
auf einem Macerationspräparat von der exumbrellaren Gallerte von
Craterolophus tethys gelang es mir einen Nervenplexus zu
finden.
Als ich dann meine Untersuchungen während eines Aufenthaltes
auf der biologischen Station der Insel Tatihou (St.-Vaast, Bretagne)
auf zwei von den anderen Lucernaridengattungen, nämlich Lucer-
naria campanulata Lmx. und Halielystus octoradiatus J. Olark
ausdehnte, bekam ich von dem Nervensystem noch mehr zu sehen.
Die Vertheilung des Nervengewebes ließ sich auf Schnitten von
Halielystus octoradiatus und Lucernaria campanulata, wel-
che sich als etwas günstiger — besonders die erstere — erwiesen,
feststellen. Die histologischen Elemente des Nervensystems gelang
es an macerirten Lucernaria campanulata, zum Theil aber auch an
Craterolophus tethys genauer zu studiren.
Methoden.
Die Methoden, die ich bei der Untersuchung angewendet habe,
bestanden aus Anfertigung von Schnittserien verschiedenartig kon-
servirter Thiere und in Macerationspräparaten, welche nach der von
OÖ. und R. Herrwıe (1879) angegebenen Methode (Maceriren in dem
Gemisch von 1 Theil 0,05°/,iger Osmiumsäure und 1 Theil 0,2°/,iger
Essigsäure) hergestellt waren.
Zur Fixirung der Lucernariden für Schnitte diente Chrom-
essigsäure, Pikrinschwefelsäure, Sublimat und 7O®/,iger Alkohol (zu
gleichen Theilen) und Sublimat allein, wobei alle diese Flüssigkeiten
sich als günstig erwiesen haben, Pikrinschwefelsäure (allein oder mit
Zusatz von Osmiumsäure) noch besser als die übrigen. Dagegen
ergab Platinchlorid, das An’rırı (1891) in seiner Arbeit empfiehlt,
sehr unbefriedigende Resultate.
Zur Färbung benutzte ich meist DELAFIELD’s Hämatoxylin in
Kombination mit Eosin. Diese Färbung gab für das Studium der
Muskulatur und besonders des Nervensystems, welche beide durch
Eosin von den übrigen Theilen different gefärbt werden, sehr günstige
Bilder.
Außer diesen Methoden versuchte ich noch die Färbung der
Thiere mit Methylenblau im. vitalen Zustande anzuwenden. Zur
20*
290 N. Kassianow,
Fixirung der Farbe, se wie der Thiere 'selbst, verwendete ich kon-
centrirte Sublimatlösung, in welcher 10°/, molybdänsaures Ammoniak
gelöst waren, da beim alleinigen Fixiren mit molybdänsaurem Am-
moniak, nach dem üblichen Verfahren, die Epithelien vollständig
macerirt wurden. Diese Versuche ergaben jedoch keine günstigen
Resultate, da alle histologischen Elemente von Methylenblau gleich-
mäßig gefärbt wurden. Aber vielleicht kann man doch zu Resultaten
kommen, wenn man noch mehr Zeit und Geduld verwendet als ich,
und vor Allem, wenn man dabei mehr auf die subumbrellare Seite
der Armspitzen achtet, wo das Nervensystem koncentrirt ist, wie ich
zeigen werde.
Auf die Beschreibung des allgemeinen Körperbaues verzichte
ich. Über diesen kann man sich eingehender unterrichten aus
den zum Theil schon erwähnten Arbeiten von Korornew (1876),
TASCHENBERG (1877), Krıng (1879), CLARk (1881), Anrtıpa (1891) und
HaAEcKEL (1879).
Nach diesen einleitenden Worten wende ich mich nunmehr zur
Beschreibung des Nervensystems.
Dasselbe besteht der Hauptsache nach aus einem ektodermalen
Nervenplexus, welcher sich über die ganze exumbrellare Wand aus-
breitet und aus dem Nervenepithel des subumbrellaren Ektoderms,
welches sich an gewissen Stellen vorfindet. Fernerhin enthalten auch
die Nesselbatterien, Tentakel, Randpapillen, Muskeln und das Ento-
derm des Gastralraumes Nervenelemente. Diese einzelnen Fund-
orte der Nerven im Lucernaridenkörper sollen der Reihe nach be-
schrieben werden.
1. Exumbrella.
Den exumbrellaren Nervenplexus studirte ich an Lucernaria
campanulata und Craterolophus tethys, besonders an der
ersteren.
Der exumbrellare Nervenplexus von Lucernaria campanulata.
Der exumbrellare Nervenplexus wird von bipolaren Ganglienzellen
und von Fortsätzen der Sinneszellen gebildet. Die ganze linke Hälfte
der Taf. XXII (Fig. 1) stellt denselben so dar, wie er auf meinen
Präparaten in Flächenansicht erscheint. Solche Präparate wurden
in der Weise angefertigt, dass einzelne Epithelstücke, welche in
Folge der Maceration von der exumbrellaren Wand abgefallen waren,
unter dem Deckgläschen zerklopft wurden.
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 291
Die Ganglienzellen (Fig. 1 g2,, 92), 92,; Fig. 5 gz, Taf. XXII)
haben einen spindelförmigen Protoplasmaleib mit Kern. An beiden
Polen gehen sie in zwei sehr lange, feine Fasern über. Ganglien-
zellen mit mehr als zwei Fasern habe ich bei Lucernaria campanulata
nicht beobachtet; somit sind alle Ganglienzellen derselben bipolar,
im Gegensatz zu Craterolophus tethys, welche, wie wir sehen werden,
auch tripolare besitzt. Bei einigen Ganglienzellen ist der Proto-
plasmaleib viel höher und der cylinderförmigen Gestalt gewöhnlicher
Epithelzellen ähnlicher (Fig. 1 92, Taf. XXI). Solche Zellen müssen
auch epithelial liegen und stellen wahrscheinlich Übergangsformen
zwischen gewöhnlichen Epithelzellen, welche auch fadenförmige und
zuweilen sehr lange Fortsätze besitzen (Taf. XXII, Fig. 1 2, f, 9, 2)
‘ und typischen Ganglienzellen vor.
Die fadenförmigen Fortsätze der Ganglienzellen erreichen eine
sehr große Länge, sind sehr fein und besitzen stets sehr viele, ziem-
lich starke Anschwellungen (Varicositäten). Die Fortsätze sind ge-
wöhnlich unverzweigt, nur einmal wurde eine Ganglienzelle mit ver-
zweigten Fortsätzen beobachtet., Ein Fortsatz gabelte sich in zwei,
von denen einer nach kurzem Verlauf sich wiederum gabelte.
Besonders charakteristisch für die Ganglienzellen ist der Um-
stand, dass sie in überwiegender Zahl der Fälle (vielleicht 80°/,)
nicht einen, sondern zwei, neben oder ziemlich weit von einander
liegende Kerne enthalten (Taf. XXII, Fig. 1 g2;,, gz,).. Die beiden
Kerne besitzen je einen Nucleolus und sind meist von gleicher,
seltener ungleicher Größe, rund oder oval. Zuweilen stehen die
Längsachsen der ovalen, neben einander liegenden Kerne unter einem
spitzen Winkel zu einander. Gelegentlich war nur ein Kern von
biskuitförmiger Gestalt vorhanden, der vielleicht im Begriff war, sich
in zwei Hälften durchzuschnüren (Taf. XXI, Fig. 5). Es liegt hier
möglicherweise eine amitotische Kerntheilung vor. Etwas, was auf
Zelltheilung hindeuten könnte, habe ich dabei nicht finden können.
Diese Eigenthümlichkeit der Ganglienzellen ist, wie aus der Litteratur
hervorgeht, allen Cölenteraten gemeinsam. R. und O. HERTwIG
(1878, 1879) haben das Gleiche bei den Actinien und den Medusen
konstatirt, bei welchen »wohl die Hälfte aller Ganglienzellen zwei
Kerne besitzt«. ScHarpPpı (1898) beschreibt in der jüngst erschienenen
Arbeit über das Nervensystem der Siphonophoren zwei Kerne in den
Ganglienzellen. CrAaus (1878) erwähnt bei Charybdea marsupialis
das Vorkommen zweier Kerne in einer Ganglienzelle. Endlich giebt
292 N. Kassianow,
C. SCHNEIDER (1890) auch für Hydra an, dass ihre Ge
zwei Kerne, aber nur im Jugendzustand, besitzen.
Es ist mir gelungen, direkte Verbindungen der Ganglienzellen
mit den Epithelzellen nachzuweisen. Die Art der Verbindung wird
weiter unten genau beschrieben werden.
Die andere Form der Nervenzellen des exumbrellaren Ektoderms
sind die Sinneszellen (Taf. XXI, Fig. 1 sz; Fig. 4 sz). Dieselben
sind in das Epithel eingeschaltet. Man kann zwei Arten derselben
unterscheiden. Die einen (Taf. XXIL, Fig. 1 sz,) sind etwa dreieckig;
der distale Theil ist dünn, der basale breit und in diesem liegt der
ansehnliche Kern. Von der Basis entspringen zwei sehr feine nervöse
Fasern. Die andere Art (Taf. XXII, Fig. 1 sz,, sz,) ist spindel-
förmig, indem der basale, unterhalb des Kernes liegende Theil eben-
falls dünn, faserartig ist und sich erst dann unter einem nahezu
rechten oder spitzen Winkel in zwei Fasern theilt. Die letzteren
sind sehr lang, geben oft Seitenzweige ab (Taf. XXI, Fig..1 sz;,
Fig. 4 sz) und besitzen stets sehr viele Varicositäten.
Bei den Sinneszellen fand ich, im Gegensatz zu den Ganglien-
zellen, nur einmal zwei Kerne. Der Kern ist ziemlich groß, oval.
Abweichend von den Sinneszellen anderer Cölenteraten, z. B. der
Actinien, besitzen die der Lucernariden keine Sinneshaare. Der Reiz
wird durch den fadenförmigen, sehr langen, aus dem Epithel etwas
herausragenden distalen Theil der Zellen selbst unmittelbar empfangen
(Taf. XXII, Fig. 2). Einmal fand ich eine Sinneszelle, deren basaler
Theil aus dem Epithel herausgerückt war. Der distale faserartige
Theil stieg zwischen die Epithelzellen empor, der basale, mit der
spindelförmigen Anschwellung dagegen lag horizontal zwischen den
Basen der Epithelzellen. Solche Zellen könnte man als Übergangs-
formen zu Ganglienzellen betrachten. Sonst sind die Sinneszellen
denen der übrigen Cölenteraten sehr ähnlich.
Bei Lucernaria campanulata ist diese nervöse Zellenart in größe-
rer Zahl vorhanden, als die Ganglienzellen. Eine direkte Verbindung
beider mit einander konnte ich nicht beobachten, was wahrscheinlich
nur darauf zurückzuführen ist, dass so feine Nervenfasern im Faser-
geflechte sehr schwer zu verfolgen sind; wenn dieselben aber mehr
von einander isolirt sind, so sind sie stets zum Theil abgerissen.
Verbindungen einzelner Nervenfasern unter einander konnte ich jedoch
beobachten. Direkte Verbindung der Sinneszellen mit den ge-
wöhnlichen Epithelzellen konnte ich dagegen sicher feststellen
(Taf. XXIL, Fig. 4).
aM
Studien über das Nervensystem der Lucernariden ete. 293
Die nervösen Ausläufer der Ganglien- und Sinneszellen, welche
man von diesen Zellen gewöhnlich abgerissen findet, besitzen, wie
bemerkt, beständig Varicositäten und bilden auf den Präparaten ein
manchmal sehr ansehnlich entwickeltes Geflecht, wie es Fig. 1 der
Taf. XXII darstellt. |
Ich habe mich besonders bemüht, die Art, in welcher die
Nervenzellen mit den übrigen Epithelzellen sich verbinden, festzu-
stellen und desshalb jede solche Verbindung, die ich auf den Präpa-
raten fand, abgebildet. Es war dies um so wichtiger, als sich in
der Litteratur nicht viel davon findet. Bei der Kleinheit der Zellen
und der Feinheit der Nervenfasern ist dies keine leichte Aufgabe,
welche ich desshalb nur unvollständig zu lösen vermochte. Dabei
wurde beobachtet, dass die Nervenfaser an die Basis der Epithelzelle
herantritt und hier mit einer punktartigen Anschwellung endigt. Eine
solche Verbindung ist auf Fig. 5 (Taf. XXII) abgebildet. Dass die
Nervenfaser nicht zufällig an der Zelle lag, habe ich durch starkes
Klopfen an das Deckgläschen konstatirt, indem die Zelle dabei ihre
Lage vielmals veränderte, aber immer in Verbindung mit der Nerven-
faser blieb — ein Verfahren, welches ich bei solchen Prüfungen
stets verwendete. Ein Zusammenhang durch einfache Verklebung
würde bei so starkem Erschüttern, besonders da die Nervenfaser am
Rande der Zelle lag und die Verklebungsfläche also sehr gering war,
ohne Zweifel aufgehoben. In den meisten Fällen aber endet die
Nervenfaser an der Epithelzelle nicht, sondern zieht nach der Ver-
bindung mit derselben weiter (Taf. XXIL, Fig. 1a, c, 7) und verbindet
sich mit mehreren anderen Zellen, was ich zuweilen beobachten
konnte. In diesem Falle findet die Verbindung der Nervenfaser mit
der Zelle nicht nur an einer, sondern an mehreren Stellen statt. Auf
Fig. 1, Taf. XXL ist eine solche Zelle (c) abgebildet. Dieselbe zeigt
längsverlaufende Kanten, welche man sehr deutlich auch an anderen
abgebildeten Zellen (Fig. 4, Taf. XXII) schen kann, und über diese
Kanten (vielleicht besser als Rippen zu bezeichnen) zieht die Nerven-
faser, immer durch dunkle Punkte. Dass diese Punkte nicht nur
optische Erscheinungen sind, wie sie durch Aneinanderlegen zweier
Linien entstehen, beweisen die Zellen, welche keine Fasern haben
und trotzdem die schwarzen Punkte an ihrer Basis tragen (Taf. XXII,
Fig. 15, a, f; Fig. 4). Diese Punkte können in einer oder zwei
Reihen am Basalrand der Zelle stehen (Taf. XXII, Fig. 1 x) oder
seltener unregelmäßig vertheilt sein. Einmal konnte ich bemerken,
dass zwei Nervenfasern durch zwei solche Punktreihen einer Epithel-
294 N. Kassianow,
zelle durchgingen, somit eine Epithelzelle mit mehr als einer Nerven-
faser verbunden sein kann. An einer anderen Zelle (Taf. XXII,
Fig. 6) ging von jedem der am Basalrande sich befindenden Punkte
eine Faser aus. In diesem Falle bin ich jedoch in Zweifel, ob es
nicht basale Fortsätze der Zelle selbst sind. Wenn die Punkte an
dem Rande der Zellbasis stehen, zieht die Nervenfaser gewöhnlich
entlang dem Rande (Taf. XXII, Fig. 1 a, x). Manchmal schien mir,
als ob die Nervenfasern sich auch am oberen Rande der Zelle mit
derselben verbinden können (Taf. XXI, Fig. 1 e) oder auch nahe dem
oberen Rande.
Verzweigungen der Nervenfasern an ihren Verbindungsstellen mit
den Zellen habe ich niemals finden können.
Nur selten findet man indifferente Ektodermzellen ohne Fort-
sätze; es ist sogar wahrscheinlich, dass alle Zellen Fortsätze besitzen
und dass das Fehlen derselben bei einigen Zellen nur ihrem schlechten
Erhaltungszustand zuzuschreiben ist. Die Zellfortsätze sind ziemlich
verschieden und können eine ansehnliche Länge erreichen. Unter
den Epithelzellen des exumbrellaren Ektoderms kann man drei For-
men unterscheiden. Einmal sind es lange, annähernd cylinderförmige
Zellen, mit deutlich vorspringenden Rippen (Taf. XXI, Fig. 1a, 5,
c, f, n; Fig. 4). Diese Zellen tragen nur an der Basis Fortsätze,
welche sehr fein und lang sein können (Bd, g). Sie kommen nur an
den Stellen des Ektoderms vor, an denen die Drüsenzellen angehäuft
sind (Taf. XXI, Fig. 2), und an dem Stiel der Lucernariden, wo
das Epithel auch etwas höher ist, als auf den übrigen Stellen des
Körpers. Die Zellen der zweiten und dritten Form sind viel kleiner
und im Ganzen von kubischer Gestalt. Bei einer derselben sind die
Fortsätze nur auf die Basis der Zelle beschränkt (Taf. XXI, Fig. 13,
k, D. Bei der anderen Zellform entspringen dieselben von verschie-
denen Stellen des Zellenleibes, wodurch sie wie stachelig aussehen
(Taf. XXI, Fig. 1 m). Solche Zellen greifen mit ihren Fortsätzen in
einander; manchmal schien es mir sogar, dass die Fortsätze mit ein-
ander verbunden waren. Irgend welche Regelmäßigkeit in der Ver-
theilung dieser zwei letzten Zellformen konnte ich nicht konstatiren,
vielmehr kommen sie zusammen vor und scheinen dieselben Be-
ziehungen zu dem Nervenplexus zu haben. Die Nervenfasern treten
auch bei allen solchen mit Fortsätzen versehenen Zellen an den
Zellenleib selbst, häufig aber verbinden sie sich mit dessen Fortsätzen.
Dabei legen sich in einigen Fällen die Zellfortsätze auf die Nerven-
fasern, wie Finger an, wie es auf der Fig. 1, Taf. XXII an der
Studien über das Nervensystem der Lucernariden ete. 2095
Zelle 2 zu sehen ist. Manchmal hat die Zelle nur einen Fortsatz
(Fig. 1), welcher unter Bildung einer Anschwellung an die Nerven-
faser sich anlegt. Auch die Zelle % der Fig. 1 stellt eine solche Ver-
bindung dar. Trotz der Kleinheit der Verbindungsfläche war die Ver-
bindung so fest, dass bei starkem und andauerndem Klopfen auf das
Deckgläschen die Nervenfaser von der Zelle nicht losgetrennt werden
konnte. Fig. 7 der Taf. XXI zeigt gleichfalls eine solche Verbin-
dung einer Nervenfaser mit dem Zellenfortsatze. Zwar konnte ich
mich in diesem Falle nicht durch Klopfen von der Festigkeit der
Verbindung überzeugen, doch beweisen die Krümmung und die Rich-
tung des Fortsatzes und der Faser, dass die Faser angespannt ist,
und die ganze Verbindung somit eine sehr feste ist.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass alle gewöhnlichen Epithel-
zellen mit Nervenfasern in Verbindung stehen oder stehen können.
Die Verbindung aber der Nematocystenzellen mit den Nervenfasern
konnte ich bei Lucernaria campanulata nicht konstatiren. Das Vor-
kommen einer solchen halte ich jedoch desshalb nicht für ganz aus-
seschlossen, da bei der Leichtigkeit, mit welcher die feinen Fasern
abgerissen werden können, und bei der verhältnismäßigen Seltenheit
der Nematocystenzellen wenig Chancen bestehen, dass die Verbindung
erhalten bleibt. Bei Craterolophus tethys konnte ich eine leider
sehr unsichere Andeutung einer solchen finden. Die Nematocysten-
zellen besitzen hier ebenfalls Fortsätze an ihrer Basis und diese waren
Nervenfasern angelagert.
Außer den gewöhnlichen Epithel- und Nematocystenzellen kommen
noch Drüsenzellen vor (Fig. 2 Dz, Taf. XXI). Dieselben waren aber
auf den Macerationspräparaten kaum zu finden wegen ihrer geringen
Erhaltungsfähigkeit.
Meine weitere Aufgabe war es nun, festzustellen, welchen Nerven-
zellen die mit den Epithelzellen verbundenen Nervenfasern angehören.
Diese Frage kann ich dahin beantworten, dass sowohl Ganglienzellen
als auch Sinneszellen die übrigen Ektodermelemente innerviren kön-
nen. Fig.5, Taf. XXII stellt eine solche Verbindung einer gewöhn-
lichen Epithelzelle mit einer Ganglienzelle dar. Die Verbindung
war eine direkte. Nur einmal beobachtete ich eine der schon er-
wähnten Ganglienzellen mit verzweigten Fortsätzen, von denen jeder
mit einer Epithelzelle in Verbindung trat. Auf diese Weise schienen
drei Epithelzellen von einer Ganglienzelle innervirt zu werden. Leider
konnte ich mich in diesem Falle nicht durch Klopfen überzeugen,
ob die Verbindung ganz zweifellos war.
296 N. Kassianow,
Eben so innerviren auch Sinneszellen die Epithelzellen, und
zwar geschieht hier die Verbindung auf dieselbe Weise wie bei den
Ganglienzellen. Eine Sinneszelle kann mit mehreren Epithelzellen
zugleich verbunden sein, wie es Fig. 4, Taf. XXI darstellt.
Um die Vertheilung der beschriebenen Nervenelemente in dem
exumbrellaren Ektoderm festzustellen, habe ich einzelne Partien aus
der exumbrellaren Körperwand herausgeschnitten und für sich mace-
rirt. Dabei wurde gefunden, dass nicht überall die Nervenzellen in
gleicher Menge vorkommen. In einigen ektodermalen Epithelstücken
konnte ich nur vereinzelte Sinnes- und Ganglienzellen finden, in an-
deren dagegen waren sie in größerer Menge vorhanden und bildeten
einen reichen Nervenplexus. Von dieser Unregelmäßigkeit abgesehen
sind aber die Nervenzellen über die ganze Exumbrella vertheilt.
Wenigstens habe ich Theile der exumbrellaren Wand der Arme, der
oberen, mittleren und unteren Theile der verschiedenen Oktanten der
Becherwand und endlich des Stieles für sich macerirt und untersucht
und überall Nervenzeilen in größerer oder kleinerer Menge gefunden.
Eben so enthält das Ektoderm der Haftscheibe des Fußes, welches,
seiner Funktion entsprechend, eigenthümlich modifieirt ist, Nerven-
zellen. Wenigstens habe ich eine Sinneszelle, noch mit den übrigen
Epithelzellen der Fußscheibe verklebt, finden können. Die Nerven-
zellen haben vermuthlich hier den Zweck, die in großen Mengen
vorkommenden Drüsenzellen zur Ausscheidung ihres klebrigen Se-
kretes, mittels dessen die Anheftung geschieht, zu veranlassen.
Das, was ich über Vertheilung der Nervenzellen auf Macerations-
präparaten finden konnte, habe ich, nachdem die Form der Nerven-
zellen mir bekannt war, auch auf Schnitten bestätigt gefunden.
Das Ektoderm der exumbrellaren Wand des Bechers besteht aus
niedrigen kubischen Zellen (auf Schnitten betrachtet), von 3,6 « Höhe.
Die Zellen, welche dieses Epithel zusammensetzen, sind die kubischen,
mit zahlreichen Fortsätzen versehenen indifferenten Ektodermzellen,
welche schon beschrieben und auf Fig. 1 (A, k, m), Taf. XXII abge-
bildet sind. Auf dem Stiel wird das Ektoderm etwas höher (5,1 u).
Sowohl auf der Becherwand, als auch auf dem Stiel findet man
kleine Drüsenflecke (Fig. 2, Taf. XXII), welche aus einer Anhäufung
von Drüsenzellen bestehen. Diese Flecke sind schon mit dem un-
bewaffneten Auge als weißliche, längliche oder spindelförmige Stellen
sichtbar. Ihr Epithel ist drei bis viermal höher, als das der übrigen
Fläche, und besteht aus den Drüsenzellen (Dz), gewöhnlichen hohen
Epithelzellen, wie sie auf der Taf. XXII, Fig. 1 (a, 5, c, f, 9, n) ab-
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 297
gebildet sind, und aus Sinneszellen, und zwar aus den hohen, spin-
‚delförmigen (Taf. XXI, Fig. 1 Sz,, Sz,, Fig. 2). Die Sinneszellen
ragen mit ihrem oberen fadenförmigen Theil aus dem Epithel heraus.
In der basalen Region des letzteren, zwischen den schon erwähnten
Zellen, liegen einige Kerne, welche Ganglienzellen angehören. An
besonders günstigen Stellen kann man diese Ganglienzellen recht gut
erkennen und selbst ihre Fortsätze eine Strecke weit verfolgen
(Taf. XXI, Fig. 2 92). Die Drüsenzellen sind sehr groß und becher-
förmig. Ihr Inhalt färbt sich nicht, weder mit Hämatoxylin noch
mit Eosin, ist hell und bildet ein Maschenwerk. Der Kern liegt im
Grunde der Zelle und ist von unregelmäßiger, sogar verästelter Form,
vermuthlich in Folge der Schrumpfung. Außer diesen Elementen
kommen hier auch Nematocystenzellen vor (Fig. 2 Nz, Taf. XXI).
Das Vorkommen dieser Sinnes- und Ganglienzellen enthaltenden
Drüsenflecke, welche man desshalb auch Drüsensinnesflecke nennen
muss, auf den Armen, dem Becher und dem Fuß erhärten meine
durch Maceration gemachten Befunde, dass die Nervenzellen nirgends
auf der äußeren Wand des Lucernaria-Körpers fehlen.
Craterolophus tethys besitzt die gleichen Drüsenzellen, nur
liegen dieselben hier nicht zu Drüsenflecken vereinigt, sondern in
der Einzahl, seltener in Zweizahl über die ganze äußere Körperwand
vertheilt. Desshalb ist das Ektoderm bei Craterolophus tethys überall
gleichmäßig hoch, womit auch die Seltenheit der schlanken, spindel-
förmigen Sinneszellen in demselben zusammenhängt, von welcher ich
noch weiter unten sprechen werde. Nur auf den Armen und ganz
besonders auf ihren Seitenflächen liegen viele Drüsenzellen neben
einander und hier werden wohl auch zwischen den Drüsenzellen vor-
handen sein, wie bei Lucernaria campanulata hohe Sinneszellen. Die
Drüsenzellen selbst unterscheiden sich in gar nichts von denen der
Lucernaria campanulata. Ihr Kern ist auch geschrumpft, von un-
regelmäßiger, oft verästelter Form, und färbt sich, ähnlich wie bei
Lucernaria campanulata mit Vorliebe mit Eosin.
Dagegen fehlen bei Halielystus octoradiatus die Drüsenzellen
auf der Körperwand vollständig und kommen nur auf den Randpapillen
vor. Hier sind sie in ziemlich geringer Zahl, besonders am Scheitel
der Randpapille, zwischen den anderen, eigenthümlichen Drüsenzellen
vertheilt (Fig. 8, Taf. XXI).
Bei Lucernaria campanulata und Craterolophus tethys
sind die Drüsenzellen besonders an den Armen angehäuft, obwohl sie
auch auf den anderen Stellen in sehr großer Menge vorkommen. Das
298 N. Kassianow,
übrige niedrig-kubische Ektoderm der Lucernaria campanulata
enthält wahrscheinlich von den Nervenzellen hauptsächlich Ganglien-
zellen. Dieselben sind aber auf Schnitten nicht zu finden, weil sie ver-
muthlich dieselbe Lage einnehmen, wie die übrigen Ektodermzellen, was
bei der geringen Höhe der letzteren möglich ist. Nur selten findet man
tieferliegende oder selbst in die Gallerte eingedrückte Kerne, welche
Ganglienzellen angehören dürften. Aber auch Sinneszellen fehlen hier
nicht, wie ich mich auf den Macerationspräparaten überzeugen konnte,
und zwar kommt hier vermuthlich die dreieckige Form derselben vor
(Fig. 1 Sz,, Taf. XXII), denn die andere, schlanke und höhere (Fig. 1
S25, Sz,, Taf. XXH) könnte bei der geringen Höhe des Epithels keinen
Platz finden. Daraus geht hervor, dass man die Drüsenflecke nicht
als Stellen, wo die Sinneszellen besonders koncentrirt sind, betrach-
ten, und etwa als Sinnesorgane primitivster Form auffassen kann.
Die Sekretausscheidung der Drüsenzellen dient vielleicht zum Theil
als Schutzeinrichtung. Die Thiere sind in einen dicken von dem
Sekret gebildeten Mantel eingehüllt, und in diesem Mantel werden
zuweilen Diatomeen und ausgeworfene Nesselkapseln gefunden.
Über der Cutieula des niedrigen Epithels kann man zuweilen
lange Fortsätze wahrnehmen (Fig. 2 rechts, Taf. XXII), welche ver-
muthlich den Sinneszellen angehören, ähnlich, wie in den Drüsen-
flecken, obwohl hier die Verwechselung mit den ausgeschleuderten
Fäden der Nesselkapseln nicht ausgeschlossen ist. Man findet über
der Cuticula auch kleinere Fortsätze in großer Zahl. Die letzteren
gehören aber wahrscheinlich den gewöhnlichen Epithelzellen an, und
zwar der Form, welche auch auf dem oberen Zellenrande Fortsätze
trägt (Fig. 1 m, Taf. XXIII).
Es schien mir manchmal, dass von Ektodermzellen der Drüsen-
flecke, wie auch von anderen Stellen Nervenfasern senkrecht in die
Gallerte eintreten. So wahrscheinlich es auch erscheint, nachdem
Nervenfasern in der Gallerte auch bei anderen Medusen beschrieben
worden sind (EIMER, HESSE, SCHÄFER, V. LENDENFELD), kann ich
es jedoch nicht mit Sicherheit behaupten, weil es schwer ist, die
Nervenfasern von der feinen Faserung der Gallerte zu unterscheiden.
Wenn es so wäre, so handelte es sich vermuthlich um eine nervöse
Verbindung des Ektoderms mit dem Entoderm.
Aus dem, was über die Nerven der Exumbrella gesagt ist, geht
hervor, dass eine Centralisirung des Nervensystems an bestimmten
Stellen der Exumbrella, wie es bei Craspedoten und allen übrigen,
auf das Nervensystem untersuchten Acraspedota der Fall ist, nicht
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 299
besteht, was auf eine niedrigere Stufe der Ausbildung des Nerven-
systems hinweist, und der einfachen sonstigen Organisation der
Lucernariden durchaus entspricht.
Der exumbrellare Nervenplexus von Craterolophus tethys.
Den exumbrellaren Nervenplexus konnte ich auch bei Cratero-
lophus tethys finden. Man kann ihn hier so rein erhalten, wie es mir
bei Lucernaria campanulata nie gelungen ist. Wenn bei andauernder
Maceration das Ektoderm abgefallen ist, bleibt der Nervenplexus auf
der Gallerte liegen. Wenn man dagegen das sich zuweilen stück-
weise ablösende Epithel untersucht, so findet man nur vereinzelte
Ganglienzellen, hier und da auch Sinneszellen. Der Umstand, dass
man bei Oraterolophus tethys wesentlich nur auf das Studium solcher
Präparate angewiesen ist, ist in so fern ungünstig, weil man durch
die Gallerte hindurch nicht so gut die einzelnen Details feststellen
kann. Auch wird die Färbung dadurch sehr erschwert, weil mit den
meisten Färbungsmitteln die verhältnismäßig dieke Gallerte sich stark
mitfärbt und in demselben Maße undurchsichtiger wird. Es ist mir
gelungen diesem Übel dadurch abzuhelfen, dass ich zur Färbung
Dahlia anwandte, welches die Gallerte nicht so schnell färbt als die
Zellen. Nur konnte man dabei keine dauerhaften Präparate erzielen,
weil man dieselben bei der Überführung in Kanadabalsam ziemlich
lange mit Alkohol behandeln musste, da die Gallerte sehr wasser-
reich ist, wobei die Farbe wieder ausgezogen wurde. Als ich anstatt
der wässerigen Farblösung in absolutem Alkohol gelöstes Dahlia an-
wandte, gelang es Kanadabalsampräparate mit differenter Färbung
zu erhalten, dabei war aber die Färbung nicht so gut, wie bei der
Anwendung wässeriger Dahlialösung. Mit Osmiumsäure und nach-
folgender Reduktion derselben durch Holzessig oder KoLossow’sche
Flüssigkeit konnte man ebenfalls die Gallerte und die darauf liegen-
den Ganglienzellen mehr oder weniger different färben.
Eine interessante Thhatsache ist, dass der bei dieser Lucernaride
noch stärker als bei Lucernaria campanulata entwickelte Nerven-
plexus ausschließlich aus Ganglienzellen zu bestehen scheint. Das
steht im Gegensatz zu Lucernaria campanulata, bei welcher um-
gekehrt die Zahl der Sinneszellen die der Ganglienzellen überwiegt.
Fig. 3 auf Taf. XXII stellt einen solchen Nervenplexus von Cratero-
lophus tethys dar. Wenn man diese Figur mit dem Nervenplexus von
Lucernaria campanulata (Fig. 1, Taf. XXII) vergleicht, so fällt der
Unterschied sofort in die Augen.
300 N. Kassianow,
Die Ganglienzellen (Fig. 5, Taf. XXU) von Craterolophus
tethys sind spindelförmig, gewöhnlicher aber mit hutförmigem Proto-
plasmaleib. Der Kern ist meistens schlecht zu unterscheiden, da bei
Craterolophus tethys die Herrwig’sche Macerationsflüssigkeit ange-
wandt wurde, welche für nachfolgende Kernfärbung ungünstig wirkende
Ösmiumsäure enthält. (Bei Lucernaria campanulata habe ich diese
Flüssigkeit, nach dem Vorschlage von O. und R. HERTWIG, nur zur
Fixirung und sehr kurze Zeit angewandt, die Maceration wurde weiter
nur mit 0,1°/,iger Essigsäure erzielt.) Manchmal war der Kern doch
mehr oder weniger gut zu unterscheiden, zuweilen, eben so wie bei
Lucernaria campanulata in Zweizahl vorhanden (Fig. 3, Taf. XXID). Die
fadenförmigen Fortsätze der Ganglienzellen sind sehr lang, noch etwas
länger, als ich es auf Fig. 3 an der linksseitig liegenden Ganglienzelle
andeuten konnte, und besitzen zahlreiche Varicositäten. Außer bipo-
laren finden sich hier und da auch tripolare Ganglienzellen im Gegen-
satz zu Lucernaria campanulata, wo nur bipolare beobachtet wurden.
Da der Nervenplexus hier nicht durch Zerklopfen der Epithelstücke
(wie bei Lucernaria campanulata), sondern auf der Gallerte in mehr
oder weniger natürlicher Lage bloßgelegt ist, indem die auf der Gallerte
befestigten Epithelzellen bei der Maceration von selbst abfallen, so
sind die Ganglienzellen sehr gut erhalten und abgerissene Fasern
findet man kaum. Die Fortsätze der Ganglienzellen verlaufen bald
gestreckt, bald geschlängelt und in allen möglichen Richtungen (Fig. 5).
Sinneszellen habe ich bei der Untersuchung der einzelnen
Epithelstücke gefunden, welche in Folge der Maceration von der
Gallerte abgefallen waren. Hierbei konnte ich stets auch Ganglien-
zellen beobachten, woraus hervorgeht, dass dieselben ebenfalls überall
verbreitet sind. Die Sinneszellen sind ziemlich breit, basal und
distal von dem Kern allmählich verschmälert. An der Basis geht.
die Zelle in zwei, auf meinen Präparaten immer sehr schlecht er-
haltene, Fortsätze über. Fig. 8, Taf. XXI, stellt eine solche Zelle
in ihrer natürlichen Lage zwischen den gewöhnlichen Stützzellen
dar. Zwar unterscheiden sich diese Sinneszellen auf den ersten
Blick von den typischen Sinneszellen der Lucernaria camp., indem
sie nicht so schlank und den gewöhnlichen Epithelzellen ähnlich
sind, aber auch bei Lucernaria campanulata wurden hier und da ähn-
liche Sinneszellen beobachtet. Eben so konnte ich bei Craterolophus
tethys einmal eine leider sehr schlecht erhaltene, doch deutlich er-
kennbare, den typischen, spindelförmigen Sinneszellen von Lucernaria
campanulata ähnliche Sinneszelle finden.
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 301
Dieser Gegensatz hängt jedenfalls damit zusammen, dass das
Epithel bei Craterolophus tethys, ausgenommen auf den Armen, überall
eine gleichmäßige und verhältnismäßig geringe Höhe besitzt, wess-
halb die Sinneszellen nicht so lang spindelförmig ausgezogen sein
können. Nur auf den Armen, besonders an den Seiten derselben,
wo das Epithel hoch ist und sehr viele Drüsenzellen enthält, wird
auch die dünne, schlanke Sinneszellenform zwischen den Drüsenzellen
eingeschoben sein.
Über die Cutieula erheben sich bei Craterolophus tethys wimper-
ähnliche Fortsätze, welche wahrscheinlich die herausragenden, bei
der Maceration immer sehr schlecht erhaltenen oberen Enden der
Sinneszellen repräsentiren.
Was an den gewöhnlichen Epithelzellen auffällt, ist die Cuticula,
welche bei andauernder Maceration wie aus Wimpern bestehend erscheint
(Fig. 8, Taf. XXII). Das stimmt mit den Angaben Krına’s überein,
welcher fand, dass bei Behandlung der Thiere mit Chlorpalladium die
Cuticula aus polyedrischen Plättchen, entsprechend den einzelnen Zel-
len, zu bestehen scheint, was ich ebenfalls bestätigen kann, und dass
ferner die »Plättchen« aus Stäbchen zusammengesetzt sind.
Die Thatsache, dass der Nervenplexus von Craterolophus tethys
bei der Maceration isolirt dargestellt werden kann, also vom Ektoderm
mehr gesondert ist, und dass er in diesem Falle ausschließlich aus
sehr zahlreichen Ganglienzellen besteht, lässt vermuthen, dass der
exumbrellare Nervenplexus von Craterolophus tethys höher ent-
wickelt ist, als der von Lucernaria campanulata. Man muss über-
haupt Craterolophus, wie es verschiedene Forscher auch annehmen, als
eine im Vergleich zur Gattung Lucernaria höher stehende Form betrach-
ten, weil sie von dem Bau des Scyphostoma, mit welchem die Gattung
Lucernaria vollkommen in ihrem Bau übereinstimmt, gewisse Ab-
weichungen zeigt. Das spricht sich namentlich im viel komplieirteren
Bau des Gastrovascularapparates aus, indem hier außer den vier
Radiärtaschen noch vier sogenannte Gastrogenitaltaschen (Kıns) ent-
wickelt sind.
Nur auf sehr wenigen Gallertstücken, welche ich untersuchte,
war ein so starker Nervenplexus zu finden. Auf den meisten kamen
nur vereinzelte Ganglienzellen vor. Daraus muss man schließen, dass
bei Craterolophus tethys eine Koncentrirung der Nerven an gewissen
Partien der Exumbrella eingetreten ist, was für eine höhere Ausbil-
dung spricht. Auf den Schnitten ist es mir allerdings nicht ge-
lungen festzustellen, wo solche Stellen mit stärker entwickeltem
302 N. Kassianow,
Nervenplexus sich befinden können. Auf den Schnitten ist überhaupt
von den Ganglienzellen nur sehr wenig zu sehen. Auch interstitielles
Gewebe, in welchem man Ganglienzellen suchen könnte, ist hier im
Epithel nur sehr spärlich entwickelt. Man kann aber vermuthen,
dass am Rande des Bechers und auf den Armen solche Anhäufungen
der Ganglienzellen eingetreten sind.
Nachdem die Exumbrellarwand in Bezug auf das Nervensystem
geprüft wurde (das Entoderm derselben werde ich gemeinsam mit
dem Entoderm der Subumbrella besprechen), gehe ich zur Beschreibung
des subumbrellaren Ektoderms, in welchem der Haupttheil des Nerven-
systems liegt, über.
2. Subumbrella.
Die Nerven im subumbrellaren Ektoderm kann man auf Schnitten
eben so leicht übersehen, als die im exumbrellaren. Erst als ich
meine Aufmerksamkeit auf die Arme lenkte, habe ich hier sehr gut
ausgebildetes Nervenepithel gefunden, aber auch hier hing es mehr
vom Zufall ab. Nur wenn man eine kontinuirliche Schnittserie von
den Armen macht, kann man sicher sein, das Nervenepithel derselben
aufzufinden. Halielystus octoradiatus ist etwas günstiger in
dieser Beziehung als die beiden anderen Gattungen, wesshalb ich
an ihm auch den subumbrellaren Theil des Nervensystems zuerst be-
merkte. Nachdem die Maceration ferner einen Fingerzeig gegeben
hatte, wo man nach Nervengewebe im subumbrellaren Ektoderm
suchen muss, konnte ich an anderen Stellen das Vorkommen desselben
nachweisen, besonders als ich Lucernaria campanulata zum Vergleiche
heranzog. So gelang es mir, die Vertheilung des Nervengewebes in der
Subumbrella zu ermitteln. Dabei stellte sich heraus, dass das Nerven-
system der Lucernariden an einigen Stellen stärker centralisirt ist
und zwar sind es die Spitzen der Arme, welche solche Nervencentren
tragen. Zur Beschreibung dieser Nervencentren gehe ich jetzt über,
mit der Bemerkung, dass die Beschreibung sich hauptsächlich auf
Halielystus octoradiatus bezieht, wo nicht eine andere Lucerna-
ride genannt ist.
Nervenepithel an den Spitzen der Arme.
Auf den Armen, wie überall im Lucernaridenkörper, ist das
Ektoderm der Subumbrella, welches den Genitalien gegenüberliegt,
eigenthümlich modifieirt und bildet ein verhältnismäßig sehr hohes
(51 u) Epithel, zwischen dessen fadenförmigen Zellen eine große
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 303
Menge von Nematoeystenzellen liegt (Fig. 7 Nd, Taf. XXI). Dieses
Nesselepithel begleitet die Gonaden am ganzen Körper und sendet
sogar fingerförmige Auswüchse in die Gonaden selbst, wie es zuerst
Craus (1883) gezeigt hat, welche Auswüchse zwischen die Genital-
sinuse eindringen. CrAus hat diesem Epithel, wohl mit Recht,
eine schützende Funktion für die Gonaden zugeschrieben. Auf den
übrigen Stellen der Subumbrella kommen entweder gar keine oder
vereinzelte Nesselzellen vor und das Ektoderm besteht hier bald aus
einfachen Zellen, bald aus Epithelmuskelzellen. Das Nesselepithel
findet man bei Lucernaria campanulata und Craterolophus tethys an
den entsprechenden Stellen ebenfalls.
Das Nesselepithel wird kurz vor der Spitze der Arme zum Ner-
venepithel. Diese Verhältnisse veranschaulicht Fig. 7, Taf. XXIII,
die einen radialen Schnitt durch den Arm darstellt. Links ist die
äußere, exumbrellare Wand (Zx.um), rechts ist die subumbrellare
Wand (Sub.um) getroffen. Die Spitze des Armes ist mit den Ten-
takeln (7) besetzt, welche theils längs meist aber schief getroffen
wurden. Der subumbrellaren Wand sitzt ein männliches Genital-
säckchen (gs) auf, welches in den Gastralraum des Armes hineinragt
und einen von Spermatozoen erfüllten Genitalsinus enthält. Dem
Genitalsäckchen gegenüber liegt das mit Nesselkapseln erfüllte Ekto-
derm der Subumbrella (N), welches in Form eines Bandes den ganzen
Arm entlang verläuft und längs des ganzen Körpers bis zum Stiel
sich fortsetzt. Etwas oberhalb von dem Genitalsäckchen verliert dieses
Epithel plötzlich den größten Theil seiner Nesselzellen und wird zum
Nervenepithel (N.ep). Die Nesselkapseln bilden jetzt nur noch eine
dünne Lage an der Basis des Epithels; dagegen findet sich in der
Mittelregion eine ziemlich dicke, auf der Figur blau gezeichnete Ner-
venfaserschicht. Nessel- und Nervenepithel sind von einander durch
: eine kleine Strecke niederen Epithels getrennt, welches von mehr
indifferentem Charakter zu sein scheint. Ohne Zweifel treten auch
in das Nesselepithel Nervenfasern ein, in welchem sie sich jedoch
wegen der Unmasse von Nesselkapseln nicht verfolgen lassen. Nur
bei Lucernaria campanulata konnte ich auf einem schiefen Schnitt
durch das Nesselepithel einen Faserzug entdecken. Möglicherweise
enthält dasselbe förmliche Nervenstraßen, welche mit ihm längs des
ganzen Bechers hinziehen, die Genitalien begleitend. Auch Ganglier-
zellen dürften hier vorkommen, nur von den Nesselkapseln verdeckt.
Dies ist um so wahrscheinlicher, als das übrige subumbrellar eEkto-
derm wenig von den Nervenzellen und -fasern zeigt.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. >21
304 N. Kassianow,
Das Nervenepithel steigt bis zur Ansatzstelle der Tentakel empor
und vertheilt sich hier zwischen den einzelnen Tentakeln (Figg. 7, 6,
3, Taf. XXIII). Seine vertikale Ausdehnung auf den verschiedenen
Schnitten ist verschieden, je nachdem wie hoch einzelne Tentakel
auf den Armen stehen und wie weit sie von dem Ende des Nessel-
epithels entfernt sind. Als größte Länge habe ich 183 u gefunden
(Fig. 7); gewöhnlich aber beträgt sie viel weniger, etwa 68 u. Die
Dicke des Nervenepithels ist verhältnismäßig groß und beträgt bis
55 u. Das Nervenepithel ist am stärksten entwickelt unmittelbar
unterhalb der Ansatzstelle der inneren Tentakel (Fig. 6, Taf. XXIII),
wo seine Dicke die angeführte Zahl beträgt. Gegen die Armbasis
zu ist es etwas niedriger.
Noch klarer werden die Lageverhältnisse des Nervenepithels bei
Betrachtung von Querschnitten der Arme. Fig. 6, Taf. XXIII zeigt
einen solehen Querschnitt durch das Ende eines Armes an der
Basis der Tentakel, welcher die direkt unter den inneren Tentakeln
liegende Partie des Nervenepithels (N.ep) getroffen hat. Dasselbe
ist hier besonders schön ausgebildet und nimmt die ganze subum-
brellare Armwand ein, was möglich ist, weil hier sowohl der Längs-
muskel, wie die beiden Randmuskeln, welche etwas tiefer endigen,
nicht mehr getroffen werden. Es erstreckt sich hier über eine Breite
von 268 u. Seine horizontale Ausbreitung auf dem Arme ist also
viel größer, als die vertikale. Auf demselben Schnitt (eben so auf
Fig. 7, Taf. XXIII) bemerkt man auch die oben erwähnte Vertheilung
des Nervenepithels zwischen den Tentakelbasen. Überall trennt es
einzelne Tentakeldurchschnitte von einander und überall enthält es
eine, die Mittelregion des Epithels durchziehende Nervenfaserschicht
und an der Basis eine Lage von Nesselkapseln. Nur das Nerven-
epithel, welches unterhalb der äußeren, exumbrellar stehenden Ten-
takel liest (Fig. 7, Taf. XXIII bei x), enthält keine Nesselkapseln.
Vielleicht gehört dieses Nervenepithel schon dem exumbrellaren
Ektoderm an, welchem diese Form der Nesselkapseln ebenfalls fehlt.
Noch schöner tritt das Nervenepithel zwischen den Tentakeln
auf Querschnitten hervor, die etwas höher geführt sind als der auf
der Fig. 6 abgebildete, welche nämlich nur die äußerste Spitze des
Armes treffen. An einem solchen Schnitt (Fig. 3, Taf. XXI), der
nur die Ansatzstellen der höchst stehenden Tentakel trifft, und nur
das die Armspitze überkleidende Ektoderm, dagegen keine Gallerte
mehr zeigt, kann man sich überzeugen, das die ganze Armspitze von
Nervenepithel überzogen ist. Auf ihr ist eine breite Nervenfaser-
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 305
schicht ausgebreitet zwischen den Querschnitten durch die Tentakel-
stiele (auf der Figur blau gezeichnet). Dieselbe grenzt unmittelbar an
die Muskulatur der Tentakelstiele und hat dadurch die beste Möglich-
keit dieselben zu innerviren. Natürlich trifft ein solcher Schnitt nicht
überall die Nervenfaserschicht, welche die Mittelregion des Epithels
einnimmt. So ist in der Mitte der Fig. 3, Taf. XXIII, die Nesselkap-
seln führende Basalregion des Epithels getroffen. Dass gerade in der
Mitte der Fig. 3 die Nesselkapsellage getroffen wurde, erklärt sich
aus der mehr oder weniger konischen Form der Armspitze, an wel-
cher die Tentakel in der Mitte höher entspringen als an den Seiten.
Fig. 2 (Taf. XXIII) zeigt den Theil des Nervenepithels, welcher
auf der subumbrellaren Wand des Armes bis zum Beginn des Nessel-
epithels herabsteigt. Dieselbe ist ein Querschnitt durch die Region
des Armes, welche zwischen den Tentakelursprüngen und dem Be-
ginn des Nesselepithels liegt (vgl. Fig. 7, Taf. XXIII) und zeigt auch
die Lagebeziehungen des Nervenepithels (N.ep) zum Randmuskel
(Rm) und zum Längsmuskel (Zm). Hier sehen wir zunächst die
dicke, exumbrellare Wand (Ex.um). Ihr ceylindrisches Epithel ist
überall gleich hoch, etwas höher als auf den übrigen Stellen des
Körpers. Eben so ist das Entoderm der Exumbrella viel höher als
im übrigen Gastralraum. In der dünnen subumbrellaren Wand
(Sub.um), welche, abgesehen von ihrer geringeren Dicke, auch durch
Mangel der Fasern in der Gallerte unterschieden ist, liegen an der
Grenze gegen die Exumbrella die beiden Randmuskeln (Am) und
etwas asymmetrisch, zwischen denselben die Querschnitte des Längs-
muskels (Zm).
Im Lucernaridenkörper sind acht Längsmuskeln vorhanden, welche
den ganzen Körper, in der Gallerte der subumbrellaren Wand unter
dem Ektoderm gelagert, durchsetzen. Bei Halielystus octoradiatus kann
man eigentlich nur von vier Muskeln sprechen, von welchen sich jeder
erst im oralen Theil des Bechers in zwei theilt, von denen je einer
auf die acht Arme sich fortsetzt. Bei Halielystus octoradiatus setzen
sich die vier Längsmuskeln außerdem in den Stiel fort. Die Rand-
muskeln des Bechers sind ebenfalls in Achtzahl vorhanden. Sie umsäu-
men den Rand des Bechers zwischen je zwei Armen und gehen jederseits
auf die beiden angrenzenden Arme über, wo sie an der Grenze
zwischen Exumbrella und Subumbrella verlaufen und bis zur Spitze
reichen. Desshalb werden die Randmuskeln auf den Querschnitten
der Arme ebenfalls quer getroffen.
Nach dieser Orientirung über die Muskulatur wird auch deren
2
306 N. Kassianow,
Lagebeziehung zu dem Nervenepithel klarer. Wie es der Arm-
querschnitt (Fig. 2, Taf. XXIII) zeigt, liegt das Nervenepithel (N.ep.)
zwischen dem einen Randmuskel (Am) und dem Längsmuskel (Zm),
an welche beide es unmittelbar angrenzt, und erstreckt sich auf
323 ıı (also mehr als in seinem oberen Theil). Durch dasselbe wird bei
Halielystus octoradiatus eine Asymmetrie hervorgerufen, der Längs-
muskel nimmt nämlich nicht die Mitte der Armsubumbrella ein, wie
bei Craterolophus tethys und Lucernaria camp., sondern ist von dem
Nervenepithel in die Nähe eines der Randmuskeln abgerückt, und
zwar auf dem einen Arme gegen den einen, auf dem benachbarten
segen den anderen. Dem entsprechend liest auch das Nervenepithel
bald in der Nähe des einen, bald in der Nähe des anderen Rand-
muskels, d. h., wenn es auf einem Arme zwischen dem Längsmuskel
und dem rechten (von der subumbrellaren Seite betrachtet) Rand-
muskel liegt, wie es z. B. auf der Fig. 2 (Taf. XXI) der Fall ist,
so wird dasselbe auf dem benachbarten Arme zwischen dem Längs-
muskel und dem linken Randmuskel liegen.
Aus dem Umstand, dass das Nervenepithel unmittelbar an die
Muskeln angrenzt, können wir vermuthen, dass es direkt Nerven in
sie schickt. Die Innervirung kann hier um so leichter geschehen,
als nicht alle Muskelbündel in die Gallerte verlagert sind, sondern
zum Theil noch mit dem subumbrellaren Ektoderm im Zusammenhang
stehen. Man sieht auch auf der Fig. 2 bei z, dass die Nervenfaser-
schicht sich noch in den Bereich des Muskelepithels erstreckt. Was
den anderen Randmuskel, welcher von dem Nervenepithel durch den
Längsmuskel getrennt ist, angeht, so wird derselbe an seinem ent-
gegengesetzten Ende, welches an das Nervenepithel des benachbarten
Armes unmittelbar angrenzt, innervirt.
Die Höhe des Nervenepithels beträgt, wie erwähnt, in seinem
obersten Theil, d.h. an der Armspitze 55 u. Von dieser Gesammt-
höhe kommen auf die Nervenfaserschicht 20 u und auf die Nessel-
zellenlage etwa 17 u. Im unteren Theil wird es niedriger, 40—44 ur.
Das Nervenepithel (Fig. 4, Taf. XXIII) besteht, so weit man nach den
Schnitten urtheilen kann, aus zwei, im Ganzen sehr gleichartigen
Zellformen. Alle Zellen sind, besonders basalwärts vom Kern, faden-
förmig. Die eine Zellform durchsetzt die Nervenfaserschicht bis zur
Gallerte, an welcher man ihre punktförmigen Enden zuweilen sehen
kann (die Mitte der Figur). Diese Zellenart muss man als Stütz-
zellen auffassen. Sie bilden Gruppen, indem ihre faserartigen Basal-
enden sich gewöhnlich gruppenweise nähern. Die Nesselkapseln (N7)
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 307
besitzen eine leicht gebogene Gestalt und einen der konkaven Seite
anliegenden Kern, wie man an Macerationspräparaten noch deutlicher
sieht. Sie sind ebenfalls gruppenweise zusammengelagert. Die Stütz-
zellen endigen an der Gallerte zwischen den Gruppen der Nessel-
kapselzellen. Letzterer Umstand bedingt wohl die beschriebene An-
näherung der unteren Theile der Stützzellen. Die Zellen der anderen
Art reichen nicht bis zur Gallerte, sondern biegen mit ihren faden-
förmigen unteren Theilen in die Nervenfaserschicht um und tragen so
zu deren Bildung bei. Ob diese Zellen einen, zwei oder mehrere Fort-
sätze besitzen, ist auf Schnitten nicht zu ermitteln. Aus den Mace-
rationspräparaten kann man eher schließen, dass sie nur in einen
Fortsatz übergehen, wovon Näheres weiter unten bei Beschreibung
der Macerationsergebnisse mitgetheilt werden soll. Die Kerne aller
Zellen sind von mittlerer Größe, ovaler Form und mit meist deutlichem
Nucleolus. Das Epithel wird von einer ziemlich dieken Cutieula be-
deckt, über welche keine Fortsätze hinausragen. Ob dies in Wirklich-
keit so ist, oder ob bei der Konservirung die leicht abbrechenden
Sinneshaare der Zellen verloren gehen, kann ich nicht bestimmt ent-
scheiden. Ersteres scheint mir wahrscheinlicher, da ich vermuthe,
dass dies Epithel nicht direkt Reize empfängt, sondern durch die
Tentakel auf weiter unten zu beschreibende Weise. Dann wäre es
kein eigentliches Sinnesepithel, sondern motorischer Natur. Ich
schließe dies daraus, dass
1) das Nervenepithel keine Sinneszellen enthält, welche den ex-
umbrellaren und den weiter unten zu beschreibenden subumbrellaren,
um die Ausführgänge der Nesselbatterien gelagerten Sinneszellen
ähnlich sind,
2) aus den Beziehungen des Nervenepithels zu den benachbarten
Muskeln,
3) aus der, für Sinneswahrnehmungen sehr ungünstigen Lagerung
des Nervenepithels (unterhalb der Tentakel) und endlich
4) aus seiner direkten Verbindung mit den zu Sinneswahr-
nehmungen durch Besitz von Sinneszellen und durch ihre Lagerung
außerordentlich geeigneten Tentakeln, welche als Ergänzung zu den
motorischen Nervencentren an ihrer Basis aufgefasst werden können.
Die Nervenfaserschicht färbt sich charakteristisch mit Eosin und
besteht aus äußerst feinen, wellig verlaufenden Fasern, von welchen
man auf den Armquerschnitten meist nur Querschnitte sieht, was der
Nervenfaserschicht ein körniges Aussehen verleiht. Unter der Kern-
reihe des Epithels liegen manchmal noch vereinzelte Kerne, welche
308 N. Kassianow,
vermuthlich Ganglienzellen zugehören; diese Vermuthung wird durch
Macerationen und durch das ähnliche Nervenepithel der Randpapillen,
wo die tiefer liegenden Kerne deutliche Beziehungen zur Nervenfaser-
schicht zeigen, bestätigt.
Leider konnte ich nach der Entdeckung des Nervenepithels der
Armenden keine neuen Macerationen mehr unternehmen und vermag
desshalb nicht genauere Auskunft über die dasselbe zusammensetzen-
den Elemente zu geben. Bei der Maceration des gesammten subum-
brellaren Ektoderms von Lucernaria campanulata aber fand ich
nervöse Zellen, von denen ich vermuthe, dass sie von diesen Stellen
herstammen (s. p. 316).
Bei Craterolophus tethys und Lucernaria campanulata
konnte ich mich gleichfalls von der Existenz solcher Nervencentren
überzeugen, welche im Großen und Ganzen dieselbe Lage und histo-
logische Beschaffenheit zeigen wie die von Halielystus octoradia-
tus. Das Nervenepithel bekleidet hier gleichfalls die Armspitzen, von
wo es eine Strecke weit auf der subumbrellaren Seite der Arme her-
absteigt. Auf der Armspitze trennt es die einzelnen Tentakel von
einander. Unterhalb derselben ist es, wie bei Haliclystus octoradiatus,
am stärksten ausgebildet. |
Im Gegensatz zu Halielystus octoradiatus (und in Übereinstimmung
mit Oraterolophus tethys) liegt das Nervenepithel von Lucernaria
campanulata stets symmetrisch zwischen dem oberen Ende des
Längsmuskels und den Tentakelansatzstellen. Da, wo der Längs-
muskel beginnt, ist es sehr wenig ausgebildet, mit sehr undeutlicher
Nervenfaserschicht und etwas tiefer unten wird es durch einfaches
Ektoderm ersetzt.
Die asymmetrische Lage des Nervenepithels bei Halielystus octo-
radiatus hängt offenbar damit zusammen, dass das Nervenepithel hier
stärker entwickelt ist, sich weiter nach unten erstreckt, als bei Lucer-
naria campanulata und Craterolophus tethys und daher den Längs-
muskel aus der Mitte der subumbrellaren Wand des Armes verschiebt.
Über dem Längsmuskel kann das Nervenepithel bei Halielystus oeto-
radiatus schon desshalb keinen Platz finden, weil die Muskelbündel
hier zum Theil mit dem Ektoderm noch im Zusammenhang stehen
(Fig. 2, Taf. XXIII), im Gegensatz zu Craterolophus tethys und Lucer-
naria campanulata, deren Längsmuskel in die Gallerte verlagert ist.
Warum das Nervenepithel bei Halielystus octoradiatus stärker ent-
wickelt ist als bei den zwei anderen Gattungen, ist nicht schwer zu
erklären. Seine Muskulatur ist viel stärker, als bei letzteren, indem
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 309
die vier Muskeln bei Halielystus octoradiatus auch in den Stiel hin-
absteigen, was bei den anderen beiden Lucernariden fehlt. Über-
haupt ist Halielystus octoradiatus beweglicher als Craterolophus tethys
und Lucernaria campanulata. Lucernaria campanulata hängt gewöhn-
lich mehr pflanzenähnlich an Zosterablättern, ohne auffallende Bewe-
gungen zu zeigen. Dagegen kann Haliclystus octoradiatus mit Hilfe der
Tentakel und der stark ausgebildeten Randpapillen förmlich kriechen.
Dabei verändert er beständig seine Form, wie man es auch aus den
zahlreichen Abbildungen bei CLARK (1881) ersehen kann.
Die histologische Zusammensetzung des Nervenepithels bei Lu-
cernaria campanulata ist dieselbe wie bei Halielystus octoradia-
tus. Auch hier durchsetzen einige Stützzellen die Nervenfaserschicht
bis zur Gallerte. Die letztere ist diek und gut entwickelt und beträgt
die Hälfte der gesammten Höhe des Epithels. Eben so findet sich die
basale Lage der Nesselzellen. Dieselben sind von wurstartiger, schmä-
lerer Form, welche auch bei Halielystus octoradiatus, aber selten, an-
getroffen wird. Da die schmalen Nesselkapseln horizontal liegen, so
bilden sie eine weniger breite Lage als bei Halielystus octoradiatus,
wesshalb auch das Nervenepithel weniger auffällt. Ein weiterer Unter-
schied von Halielystus octoradiatus ist, dass die Nesselkapseln nicht
auf die Basis des Epithels beschränkt sind, sondern auch zwischen
den distalen Theilen der Zellen liegen. Dies erschwert den Einblick
in die histologische Zusammensetzung des Epithels. Zwischen den
Tentakeln ist das Nervenepithel eben so gut ausgebildet, als bei
Halielystus octoradiatus, sehr hoch mit breiter Nervenfaserschicht und
dünner Nesselkapsellage.
Das Nervenepithel von Craterolophus tethys ist eben so sym-
metrisch gelagert wie bei Lucernaria campanulata. Oben grenzt dasselbe
an die Muskulatur der Tentakel, mit seinem unteren Ende an den Längs-
muskel. Beide Muskelsysteme werden dadurch getrennt; dagegen
stehen sie im nervösen Zusammenhang. Das Nervenepithel ist überall
sehr hoch (ca. 33 u). Im Gegensatz zu Lucernaria campanulata und
Halielystus octoradiatus bilden die Nesselkapseln keine gesonderte
Lage an der Epithelbasis, sondern liegen hier zerstreut in demselben,
auch über der Nervenfaserschicht. Dabei sind die Nesselkapseln paral-
lel den Nervenfasern angeordnet; auf Längsschnitten werden sie daher
längs, auf Querschnitten durch die Arme dagegen quer geschnitten,
wobei ihre gruppenweise Anordnung auffällt. Das Nervenepithel fällt
daher bei Craterolophus tethys noch weniger auf, als bei Halielystus
octoradiatus und Lucernaria campanulata, wo man dasselbe gleich an
310 N. Kassianow,
der charakteristischen Nesselkapselschicht erkennt. Die Nesselkapseln
selbst, welche im Nervenepithel und im subumbrellaren Ektoderm
überhaupt auftreten, sind schmal und wurstähnlich, wie bei Lucer-
naria campanulata.
Sinnesepithel der Nesselbatterien.
Außer auf den Armen ist es mir gelungen im subumbrellaren
Ektoderin auch um die Ausfuhrgänge der Nesselbatterien Nervenepithel
zu finden und zwar bei allen drei Gattungen. Die feineren Details
ließen sich besonders gut bei Lucernaria campanulata studiren,
wesshalb ich sie der Beschreibung zu Grunde lege.
Die eigenartigen Nesselbatterien der Lucernariden, die bei an-
deren Cölenteraten meines Wissens nirgends vorkommen, sind kuge-
lige in der Gallerte der Subumbrella liegende Blasen, Einstülpungen
des subumbrellaren Ektoderms. Bei allen drei von mir untersuchten
Lucernaridengattungen sind die Nesselbatterien von durchaus gleichem
Baue. Mit dem Ektoderm bleiben sie durch einen kurzen Mündungs-
kanal dauernd im Zusammenhang. KEFERSTEIN (1863) hat diesen
Kanal zuerst beschrieben, dessen Existenz von späteren Forschern
mit Unrecht bezweifelt oder nicht erwähnt wurde. Der Kanal ist
ziemlich lang und seine Öffnung erscheint auf Flächenschnitten rund
und von ansehnlichem Durchmesser (25—29 u). Die dem Ausfuhr-
gang gegenüberliegende Wand der Nesselbatterien zeigt viel höheres
Epithel und hier entstehen die Nematocystenzellen. Die letzte-
ren fallen vermuthlich bei der Reizung des Thieres in den Hohl-
raum, und bei Kontraktion der mit Muskeln versehenen Wand der
Nesselbatterien werden sie durch den Ausfuhrgang ausgeworfen. In
dem Hohlraum findet man immer zahlreiche Nematocystenzellen mit
ausgeschleuderten Fäden. Eine solche Nematoceystenzelle ist auf
Fig. 9a, Taf. XXIII abgebildet. Die Zelle selbst ist durchsichtig,
von etwa dreieckigem Umriss, mit ovalem Kern. Die Nesselkapsel
ist oval, ebenfalls wasserhell und enthält ein rundes, mit Eosin sich
homogen färbendes Gebilde, welches im ausgeschleuderten Zustande
in einen, aus der Kapsel hinausragenden, zuerst ziemlich dieken,
dann spindelförmig erweiterten Theil und endlich in einen langen,
meist aber abgebrochenen Faden sich fortsetzt. Auf dem spindel-
förmig erweiterten Theil sitzen sehr feine haarähnliche Borsten.
Diese Nesselbatterien finden sich bei allen drei Gattungen zahl-
reich auf der Subumbrella des Bechers und der Arme. Mit bloßem
Auge erscheinen sie als weißliche Flecke. In besonders großer Zahl
Studien iiber das Nervensystem der Lucernariden etc. sn
sind sie am Rande des Bechers und der Arme vorhanden. Bei Lucer-
naria campanulata sind die Nesselbatterien merkwürdiger Weise in
den verschiedenen Oktanten verschieden vertheilt. In den Hauptradien
stehen sie hier in einer Reihe, welche den Becherrand umsäumt und
längs der Genitalien in vertikaler Richtung mehr oder weniger tief
herabsteigt. Die Mitte des so gebildeten Dreieckes bleibt von ihnen
frei. In den anderen Oktanten sind sie dagegen unregelmäßig vertheilt.
Das Ektoderm in der Umgebung der Mündung der Nesselbatte-
rien ist ein Sinnesepithel. Es ist hier höher, als gewöhnlich (ca.
26 u) und enthält eine Nervenfaserschicht. Auf Längsschnitten durch
den Ausfuhrgang kann man letztere nur undeutlich unterscheiden,
weil sie verhältnismäßig geringe Breite besitzt und weil die Nerven-
fasern nur im Querschnitt getroffen werden, also nur als feine Punk-
tirung erscheinen und zwischen den Zellen schwer wahrzunehmen
sind. An mit Hämatoxylin und Eosin gefärbten Präparaten kann
man die Nervenfasern an ihrer Eosinfärbung erkennen. In der
Flächenansicht fällt die Nervenfaserschicht viel leichter auf, was ich
besonders bei Craterolophus tethys studiren konnte. Sie erscheint
dann in Form eines mit Eosin gefärbten, feinkörnigen Ringes, in wel-
chem man auch zarte Fasern unterscheiden kann. Der Nervenring
hebt sich außer durch die Färbung noch dadurch ab, dass der Faser-
verlauf in ihm eirkulär ist, wogegen die Faserung in der Wand der
Nesselbatterie, durch die Verlaufsrichtung der Muskelfasern derselben
bedingt, eine meridionale und zum Nervenring folglich senkrechte ist.
Außerdem erscheinen die Muskelfasern der Wand homogen und glatt;
dagegen hat der Nervenfaserring, wie erwähnt, ein körniges Aus-
sehen. Besser noch kann man das Sinnesepithel an tangentialen
Längsschnitten des Ausfuhrganges studiren. Einen solchen glücklich
ausgefallenen Schnitt, auf welchem auch die feinere Beschaffenheit des
Sinnesepithels sich studiren ließ, zeigt Fig. 9a und 95 (Taf. XXI).
Das hohe Epithel dieser Figur ist das subumbrellare Ektoderm
um die Ausmündungsöffnung. Die letztere ist durch die leichte Ein-
senkung des Ektoderms angedeutet. Die histologische Zusammen-
setzung des Epithels ist wesentlich verschieden von der des Nerven-
epithels der Arme. Wir können hauptsächlich zwei Arten von Zellen
unterscheiden. Die einen gleichen vollkommen den Sinneszellen
des exumbrellaren Ektoderms, so weit man nach den Schnitten ur-
theilen kann, was aber durch Maceration, wie wir es weiter sehen
werden, bestätigt wird. Sie sind spindelförmig, im distalen Theile
fadenförmig. Die spindelförmige Anschwellung mit dem Kerne liegt
>12 N. Kassianow,
meist sehr basal, zum Theil in die Nervenfaserschicht eingebettet.
Einige dieser Zellen liegen sogar ganz in derselben und nur ihr
fadenförmiger, distaler Theil steigt zwischen den anderen Zellen bis
zur Oberfläche empor (links von der Mitte der Fig. 9«). Zwischen
diesen, gruppenweise liegenden Sinneszellen finden sich andere, deren
Kerne im oberen Drittel der Epithelhöhe liegen, und welche distal
etwas breit, basal vom Kern dünn und fadenförmig sind. Letztere
Zellen sind sicher gewöhnliche Stützzellen. Die Nervenfaserschicht
ist im Verhältnis zur Höhe des Epithels ziemlich niedrig. In ihr
kann man wellenförmig verlaufende Nervenfasern ganz deutlich
unterscheiden, welche wenigstens zum Theil den Sinneszellen an-
«ehören müssen. Runde Kerne, welche in ziemlich großer Zahl der
Nervenfaserschicht aufliegen, dürften, wenn nicht alle, so doch theil-
weise zu Ganglienzellen gehören.
Peripher um die Ausfuhröffnung wird die Nervenfaserschicht
allmählich schmäler und ist schließlich weiter von derselben im
Epithel nicht mehr zu unterscheiden. Aber auch das Sinnesepithel
verliert an den Seiten der Ausfuhröffnung seinen nervösen Charakter
und besteht aus zarten, nicht sehr gut erhaltenen Zellen, deren Gren-
zen schlecht zu unterscheiden sind. Unter dem subumbrellaren Ek-
toderm und dem Ausfuhrgang (A) sieht man auf Fig. 9a das Epithel
der Nesselbatterie (Nde) selbst, welches hier aus blass gefärbten,
zarten Zellen ohne deutliche Grenze besteht und in welchem auch
feinste Fasern verlaufen. Manchmal schien mir, als ob im Epithel
Ganglienzellen mit Fortsätzen wahrzunehmen wären.
Eine solche Beschaffenheit zeigt die Wand der Nesselbatterie
nur in der Nähe des Ausfuhrganges, wie Fig. 9a zeigt. Weiter von
diesem entfernt sieht man im Epithel feine, von den Nervenfasern
doch gut zu unterscheidende Muskelfasern (), welche also im Epithel
nur um den Ausfuhrgang fehlen, wovon man sich auch auf Flächen-
schnitten desselben überzeugt. Zwischen den Muskelfasern, welche an
das Sinnesepithel herantreten, sieht man einzelne große Kerne, welche
Ganglienzellen zugeschrieben werden können. Ob auch in der Wand der
Nesselbatterie überall Ganglienzellen vorkommen, kann ich nicht ent-
scheiden. Nur bei Craterolophus tethys konnte ich einmal zwischen
den Zellen des Epithels der Nesselbatterie eine spindelförmige, aus-
gezogene Zelle wahrnehmen, welche einer Ganglienzelle glich.
Fig. 95 stellt ebenfalls einen tangentialen Schnitt durch die Um-
biegungsstelle des subumbrellaren Ektoderms in den Ausfuhrgang
einer Nesselbatterie dar. Auch hier sieht man, dass die Wand der
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 313
letzteren um den Ausfuhrgang, welcher durch Ausbuchtung in dem
Epithel angedeutet wird (A), keine Muskelfasern, dafür aber eine
breite Nervenfaserschicht enthält. In letzterer liegende Kerne ge-
hören aller Wahrscheinlichkeit nach zu Ganglienzellen. Im subum-
brellaren Ektoderm bemerkt man auch auf dieser Figur eine Gruppe
von Sinneszellen (bei S.ep).
Somit haben wir hier ein charakteristisches Sinnesepithel, wel-
ches sich durch den Besitz typischer Sinneszellen wesentlich von
dem Nervenepithel der Arme unterscheidet. Da das Sinnesepithel der
Nesselbatterien bei Halielystus octoradiatus und Craterolophus
tethys dieselbe histologische Beschaffenheit zeigt, so weit man es
nach den Schnitten beurtheilen kann, welche aber hier weniger gün-
stig waren als die mehr dem Zufall zu verdankenden von Lucernaria
campanulata, so besteht bei allen Gattungen der Unterschied zwischen
dem Sinnesepithel der Nesselbatterien und dem Nervenepithel der
Armspitzen. Es liegt nahe, diesen Unterschied mit der Verschieden-
heit der Funktion in Verbindung zu bringen. Das Nervenepithel der
Nesselbatterien scheint nämlich sensibler Natur zu sein, indem es die
Reize unmittelbar von dem umgebenden Medium durch die hier vor-
handenen Sinneszellen empfängt und auf die Muskelfasern der Nessel-
batterien überträgt, wogegen das Nervencentrum jedes Armes, wie
schon genauer erörtert wurde, motorischer Natur sein dürfte und die
Reize von den Tentakeln zugeleitet bekommt. Demnach haben die
Nesselbatterien mehr oder weniger selbständige Nervencentren.
Sinneszellen des subumbrellaren Ektoderms des Becherrandes.
Der Rand des Bechers wird von einem Wulst (Textfig. 9 Aw, s. w. u.
p- 361) umsäumt, welcher die subumbrellare Gallerte sg (vgl. Beschrei-
bung der Gallerte) und den darin eingebetteten Randmuskel enthält und
von dem subumbrellaren Ektoderm überzogen wird. Wo die Arme
von dem Becher entspringen, stoßen das subumbrellare Ektoderm
und die subumbrellare Gallerte des Randwulstes an die exumbrellare
Wand der Arme, welche die direkte Fortsetzung der exumbrellaren
Wand des Bechers darstellt, an (Fig. 2, Taf. XXV, welche der Linie
ab der Textfig. 9 entspricht), werden aber von dieser durch eine
weiter zu beschreibende Zellplatte getrennt (Zr). Da die exumbrel-
lare Wand der Armbasis viel diekere Gallerte besitzt, als der Rand-
wulst, hebt sie sich von diesem wulstartig (Aw) ab, so dass auf einem
Querschnitt durch den Becherrand ein Winkel gebildet wird. In
diesem Winkel (Taf. XXV, Fig. 2 bei z), resp. an der Grenze des
314 N. Kassianow,
exumbrellaren Ektoderms (Eet.d.Aw) der Armbasis und des subum-
brellaren Ektoderms (Zet.d.Rw) des Randwulstes, sind einige, dem
letzteren angehörende Zellen verlängert und ziehen auf meinen Prä-
paraten zu dem sich hier befindenden Ende des Randmuskels hin,
wie ich es bei Craterolophus tethys konstatirt habe. Auf gün-
stigen Stellen sieht man, dass diese Zellen in Fortsätze auslaufen.
Dadurch erweisen sie sich als Sinneszellen. Die Art der Verzweigung
der Fortsätze (s. abgerissenes Ende einer solchen Zelle auf Fig. 2
bei y, Taf. XXV), eben so die ganze Gestalt der Zelle, ist ganz die-
selbe, wie bei den spindelförmigen Sinneszellen des exumbrellaren
Nervenplexus (vgl. Fig. 1 Sz,, Sz,, Taf. XXIII. Die Fortsätze heften
sich an die Muskelfasern an und dringen auch zwischen dieselben
ein (Fig. 2, Taf. XXV). An dieser Stelle findet man zuweilen eine
Ansammlung von Kernen, wie es die Figur (y) zeigt. Diese Kerne
ecehören möglicherweise zu Ganglienzellen, welche die Reize von den
Sinneszellen auf die Muskelfasern übertragen.
Man könnte auch der Meinung sein, dass diese verlängerten
Zellen junge Muskelzellen seien, welche den Zuwachs des Rand-
muskels bewirken; aber die Feinheit und die charakteristische
Gabelung der Fortsätze der Zellen lässt mir keinen Zweifel, dass es
Sinneszellen sind und dass wir hier eine Stelle vor uns haben, wo
die Innervirung des Randmuskels, nämlich der unteren, in der Gallerte
tiefer liegenden Partie desselben, stattfindet. Die obere, unter dem
Ektoderm des Randwulstes liegende Partie des Randmuskels geht auf
die Arme über und wird hier von dem Nervenepithel der Armspitzen
innervirt, wie wir es schon gesehen haben.
Auf meinen Präparaten, nach welchen die Fig. 2 gezeichnet ist,
war keine Gallertschicht zwischen der Zellplatte und den Sinnes-
zellen einerseits und den Fasern des Randmuskels andererseits wahr-
zunehmen. Demnach liegt das Ende des Randmuskels der Zellplatte
und dem, die Sinneszellen enthaltenden Theil des Ektoderms ganz
dicht an, und nur durch die krampfhafte Kontrahirung des Thieres
beim plötzlichen Abtödten ist es davon abgetrennt worden. Bei solch
naher Berührung der Muskelfasern mit den Sinneszellen kann die
Innervirung noch leichter stattfinden.
Beschreibung der Macerationsergebnisse.
Aus der Beschreibung der Befunde, welche an den Schnittserien
von dem subumbrellaren Ektoderm gegeben wurden, geht hervor,
dass das Nervengewebe an gewissen Stellen lokalisirt erscheint.
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 3125
Das wird auch durch die Macerationspräparate bestätigt, welche ich
an Lucernaria campanulata ausgeführt habe.
Im Allgemeinen gelingt die Maceration des subumbrellaren Ekto-
derms viel schwieriger als die des exumbrellaren. Die subumbrellare
Wand ist viel dünner und schwieriger zu isoliren, da sie mit vielen
anderen Körpertheilen (Mundrohr, Muskeln und Genitalbänder) innig
zusammenhängt. Dadurch wird es schwerer in den Präparaten sich
zu orientiren und die Vertheilung der Zellen festzustellen. Aus dem
Umstand aber, dass in den meisten Präparaten nur vereinzelte oder
sar keine Nervenzellen sich finden, geht ebenfalls hervor, dass die-
selben nicht überall vorkommen, sondern an gewissen Stellen loka-
lisirt sind. Man kann auch eine Andeutung davon finden, wo man
diese Lokalisirung suchen muss. Wenn das subumbrellare Ektoderm
noch sehr wenig, das außerordentlich leicht macerirende Entoderm
dagegen vollständig abgefallen war, konnte man auf den Stücken
der subumbrellaren Wand Nervenfasern und Ganglienzellen an der
Basis der Tentakel finden. Auch an anderen Stellen, von welchen
ich nicht bestimmen konnte, welcher Partie der subumbrellaren Wand
sie angehörten, verliefen im. Epithel auf ziemlich große Strecken zwi-
schen den Kernen feine Nervenfasern. Mit Muskelfasern konnten
sie wegen ihrer Feinheit nicht verwechselt werden. An einigen
Stellen, wo das Ektoderm durch die Maceration mehr aufgelockert
war, waren einzelne isolirte Ganglienzellen vielfach zu sehen. Zu-
weilen waren ganze Faserzüge, welche von den Fortsätzen der Gan-
slienzellen gebildet wurden, auf mehr oder weniger große Strecken
bloßgelegt, wie es auf der Fig. 2, Taf. XXIV, dargestellt ist. Mehrere
Ganglienzellen mit spindelförmigem bis lang ausgezogenem oder auch
hutförmigem Protoplasmaleib liegen hier mit ihren langen Fortsätzen
parallel neben einander. Die dazwischen liegenden Nesselkapseln
(rk) beweisen, dass die Ganglienzellen dem subumbrellaren Ektoderm
angehören, da solche Nesselkapselform dem exumbrellaren Ektoderım
fehlt. Die Ganglienzellen und Nervenfasern sind denen der Exum-
brella sonst vollkommen ähnlich. Ob sie auch meist zwei Kerne
besitzen, ließ sich nicht entscheiden; zwar kamen solche mit zwei
Kernen vor, doch blieb gerade in diesen Fällen ihre Zugehörigkeit
zum subumbrellaren Ektoderm unsicher.
Auch um die Nesselbatterie konnte ich auf solchen wenig mace-
rirten Stücken der subumbrellaren Wand einen ganzen Nervenplexus
finden. In demselben lagen, wie es Fig. 1, Taf. XXIV, darstellt,
Ganglienzellen mit langen Fortsätzen und zahlreiche abgerissene
316 N. Kassianow,
Fasern. Außerdem konnte ich in dem sonst wenig aufgelockerten
Gewirr von Zellen eine Sinneszelle finden (5), welche denen des ex-
umbrellaren Ektoderms glich. Dass dieselbe dem subumbrellaren
Ektoderm angehört und nicht zufällig aus dem exumbrellaren auf
das Präparat gerathen ist, wie ich zuerst glaubte, beweist der Um-
stand, dass sie mit ihren Fortsätzen zwischen den subumbrellaren
Ektodermzellen lag und mit diesen verflochten war. Nur der Über-
sichtlichkeit wegen ist die Sinneszelle (d) von mir freiliegend dar-
gestellt worden. Außer dieser typischen Sinneszelle konnte ich leider
nur Bruchstücke von solchen finden. Die Zelle c der Fig.1 ist offen-
bar auch eine Sinneszelle, bei welcher aber die Nervenfasern ab-
gerissen sind. Bei einer zweiten Zelle (c,) waren die Fasern verdeckt,
der distale dünne Theil war aber sehr lang, was auch aus der Be-
trachtung der Schnitte hervorgeht (Fig. 9a, Taf. XXI). Die Selten-
heit der Sinneszellen auf den Macerationspräparaten folgt daraus,
dass sie nur im Epithel um den Ausfuhrgang der Nesselbatterie vor-
kommen.
Außerdem fand ich hier, wie auch sonst im subumbrellaren
Ektoderm zerstreut, Zellen, welche basalwärts fadenförmig waren
(Fig. 1 f, Fig.3c,d, Taf. XXIV). Distal vom Kern sind sie mehr
oder weniger breit, bald cylinderförmig (wie die Zelle d auf Fig. 53
und f auf Fig. 1), bald aber auch dünn. Im letzteren Falle liegt
der ansehnliche Kern in einer Protoplasmaanschwellung. Wenn
solche Zellen gut erhalten sind, so sieht man, dass ihr unterer Theil
etwas verbreitert endet (Fig. 3c). Diese Zellenart spielt im Nessel-
epithel und Nervenepithel der Arme die Rolle der Stützzellen. Im
Nesselepithel liegen zwischen den fadenförmigen unteren Theilen
solcher Stützzellen die ganze Masse der hier vorhandenen Nesselzellen.
Um diesen letzteren Platz zu geben, sind die basalen Enden der eben
beschriebenen Zellen fadenförmig. Im Nervenepithel durchsetzen
diese Stützzellen die Nervenfaserschicht und befestigen sich an der
Gallerte im Gegensatz zu den anderen Zellen desselben, welche in
die Nervenfaserschicht umbiegen und den größten Theil des Epithels
darstellen.
Diese letzteren habe ich auch auf Macerationspräparaten finden
können. Im Ganzen sind sie den Stützzellen ähnlich. Ihr distaler
Theil ist ebenfalls bald breit oder zugespitzt (Fig. 3 d, Taf. XXIV),
bald sehr dünn, fadenförmig und nur oben plattenförmig verbreitert
(Fig. 3 a, e). Das hängt mit der höheren oder tieferen Lage des
Kernes zusammen. Der basal vom Kern folgende, faserförmige Theil
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 317
ist viel länger als der der Stützzellen, und auch viel länger, als die
Höhe der höchsten Stellen des subumbrellaren Nervenepithels beträgt.
Derselbe muss also im Epithel umbiegen, wie es auch die Schnitte
gelehrt haben. Die nervöse Natur dieser Zellen und ihrer Ausläufer
wird ferner dadurch bewiesen, dass die letzteren Varicositäten be-
sitzen. Die Faser wird aber selbst in den Fällen, wo sie ziemlich
lang war (Fig. 3 d), wohl kaum in ihrer ganzen Ausdehnung erhalten
sewesen sein. Der Unterschied im Baue des Nervenepithels der Arme
und des Sinnesepithels der Nesselbatterien wird somit auch durch
die Untersuchung der isolirten Elemente bestätigt.
Die schwierigen Macerationsverhältnisse und die Unmöglichkeit
dieselben zu wiederholen, erlaubten mir nicht die Verbindung zwischen
den nervösen und nicht nervösen Zellen festzustellen.
Drüsenähnliche Zellen, von welchen ich auf Macerationspräparaten
der subumbrellaren Wand nur zwei finden konnte, haben zwei oder
mehrere Fortsätze, möglicherweise nervöser Natur (Fig. 4, Taf. XXIV).
Zwar gehören diese Zellen aller Wahrscheinlichkeit nach dem Ekto-
derm der Subumbrella an, jedoch kann ich das nicht ganz sicher
behaupten.
Weiter verdienen wohl Aufmerksamkeit auch eigenthümliche,
nicht nervöse Zellen, welche auf den Macerationspräparaten der
Subumbrella vorkommen. Dieselben enthalten im Inneren eine sich
homogen färbende, muskelfibrillenähnliche, breite Faser, welche fast
die ganze Zelle ausfüllt (Fig. 19, Taf. XXIV). Durch dieselbe ist
der Kern ganz nach unten in die Zellbasis verdrängt. Im distalen
Theile umkleidet nur ein schmaler, wie aus Alveolen bestehender
Saum die Faser. In anderen Fällen war dieselbe kleiner und wahr-
scheinlich dem entsprechend auch die Zelle weniger hoch. Die ein-
selagerte, homogene Faser ähnelt den Fasern, welche in der Musku-
latur vorkommen (Fig. 15, Taf. XXIV) und welche weiter unten bei
der Beschreibung der Tentakelmuskulatur erwähnt werden. Mög-
licherweise sind auch diese Zellen die Jugendstadien der letzteren.
Macerationspräparate zeigten mir, dass auch in den Muskeln
Nerven vorkommen. Im Randmuskel ließen sich nämlich typische,
feine Nervenfasern mit Varicostäten nachweisen. Von den Längs-
muskeln hatte ich keine guten Isolationspräparate, wesshalb die
Prüfung auf Nerven hier mangelhaft blieb. Dafür gelang es mir in
der Muskulatur der Tentakelstiele Nervenfasern und Ganglienzellen
nachzuweisen, wovon Näheres bei der Beschreibung der Tentakel
berichtet werden soll.
318 N. Kassianow,
3. Tentakel und Randpapille.
Die naheliegende Vermuthung, dass Tentakel und Randpapillen
Nervengewebe enthalten, ließ sich sowohl auf Schnitten, wie auch
auf Macerationspräparaten sicher nachweisen. Da die Tentakel bis
jetzt entweder nicht genau genug (TAscHENBERG 1877, Kuına 1879,
CLARK 1881, KEFERSTEIN 1863), oder nicht ganz zutreffend (KoROTNEW
1876) beschrieben worden sind, dabei aber die innigsten Beziehungen
zu dem Nervensystem haben, werde ich die früheren Beschreibungen
ergänzen durch die Beobachtungen, welche ich hauptsächlich an Cra-
terolophus tethys anstellte.
a. Die Tentakel.
Die Tentakel der Lucernariden sind bekanntlich auf den Spitzen
der acht Arme zu Gruppen vereinigt. Ihre äußere Form ist von
KrLıng, KOROTNEW, CLARK eingehend beschrieben worden und aus
meinen Übersichtsbildern von Halielystus octoradiatus (Fig. 7,
Taf. XXIII) ersichtlich. Es sind stecknadelähnliche Gebilde, welche
aus dem ziemlich langen cylinderförmigen Stiel und aus dem darauf
sitzenden Nesselknopf bestehen. Sowohl der Stiel als auch der Nessel-
knopf sind hohl. Diese Tentakelform ist für die Familie der Lucer-
nariden sehr charakteristisch und kommt sonst bei den Scypho-
medusen nirgends mehr vor. Dafür ist sie den Randkörpern (Rand-
warzen) einiger Actinien sehr ähnlich, was bis jetzt nicht genug be-
tont wurde.
Der Nesselknopf.
Der Nesselknopf der Tentakel besitzt ein außerordentlich hohes
Ektoderm, welches aus vier Formen von Zellen gebildet wird, näm-
lich Nesselzellen, Stützzellen, Sinneszellen und Drüsenzellen. Nach
außen ist das Ektoderm von einer ziemlich dicken Outicula bedeckt.
Die Maceration erlaubt eine genaue Vorstellung von dem Baue dieser
einzelnen Elemente zu gewinnen.
Die Nesselzellen, welche von allen histologischen Elementen
des Tentakelknopfes am zahlreichsten sind, sind lang und faden-
förmig ausgezogen und enthalten in ihrem distalen Ende eine Nessel-
kapsel. In der Mitte besitzen sie eine größere Anschwellung und
basalwärts, manchmal auch distalwärts yon dieser treten eine oder
mehrere kleinere Anschwellungen auf. Die Nesselkapseln stehen also
in einer Lage unter der Oberfläche des Tentakelknopfes. Sie sind
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 319
länglicher Form, leicht gebogen und den Nesselkapseln des subum-
brellaren Ektoderms ganz ähnlich.
Der basale fadenförmige Theil der Zelle endigt entweder mit
einer knopfartigen Anschwellung (Fig. 7 a, Taf. XXIV) oder mit zwei,
manchmal vielleicht drei kurzen Ausläufern (Fig. 7 a,, a,, Taf. XXIV).
Die protoplasmatische Umhüllung der Nesselkapsel ist sehr dünn und
schwer sichtbar. Man kann sie jedoch vorzüglich beobachten, wenn
die Nesselkapsel zufällig herausgefallen ist. Dann sieht man, dass
die Hülle um die Nesselkapsel (Fig. 7 a,, Taf. XXIV) sehr hell
und durchsichtig ist und sich weder mit Hämatoxylin, noch mit
Eosin färbt. Am distalen Ende trägt sie ein kleines stumpfes
Cnidocil, neben dessen Basis man häufig zwei dunkle Punkte be-
.obachtet. Das Cnidocil sieht man sonst gar nicht, da es nicht über
die Cutieula hervorragt; dies entgegen den Angaben und Abbildungen
Kuıne’s. Das die Nesselkapsel nmhüllende Plasma enthält niemals
einen Kern, was besonders bei den Zellen, aus denen die Nessel-
kapsel herausgefallen ist (Fig. 7 «, Taf. XXIV), sicher festgestellt
werden kann.
Diese Zellform, welche schon TASCHENBERG richtig erkannt hat,
wurde von KOROTNEWw, und neuerdings für ähnliche Nesselkapsel-
zellen der Randpapille von Halielystus auricula von SCHLATER
(1891) anders gedeutet. KoRrorTnEew hält nämlich die mittlere größere
Anschwellung der Nesselzellen für eine besondere Zelle, und zwar für
eine spindelförmige Ganglienzelle, durch welche die Fibrille der Nessel-
zelle nur durchtrete. SCHLATER dagegen hält diese Anschwellung sammt
der Fibrille für eine Ganglienzelle, welche die Nesselzelle innervire.
Beide Ansichten beruhen auf der irrigen Beobachtung, dass auch
in dem Plasma um die Nesselkapsel ein Kern vorkommen könne,
was nie der Fall ist, wie ich mich auf zahlreichen Macerationsprä-
paraten der Tentakel von Craterolophus tethys und Lucernaria
campanulata überzeugen konnte. Niemals kommt es ferner vor, dass
der fibrilläre Theil sich nach Art einer Ganglienzelle verzweigt, wie
e8 SCHLATER beschreibt; eben so wenig treten Fibrillen von zwei
vermeintlichen Ganglienzellen an eine Nesselzelle heran. Überdies
kann man sich aus dem Auftreten von den Übergangsformen gut
überzeugen, dass die gesammte Fibrille mit der Kernanschwellung
und Nesselkapsel eine einheitliche Zelle darstellt. Im Ektoderm
der Exumbrella findet man nämlich da, wo das Epithel hoch ist,
Nesselzellen mit den ovalen großen Nesselkapseln, wie sie auch
in den Tentakeln vorkommen, welche ebenfalls in einen Fuß aus-
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 99
320 N. Kassianow,
gezogen sind, wobei dieser Fuß alle Abstufungen in Dicke und
Länge zeigt, und bei einigen Zellen so fadenförmig fein wird, als
bei den Nesselzellen aus den Tentakeln.
Außer den beschriebenen Nesselzellen kommen bei Craterolo-
phus tethys noch andere vor, welche große ovale Nesselkapseln be-
sitzen, aber nur verereinzelt getroffen werden (Fig. 7 d, Taf. XXIV).
In ihrem Habitus sind sie der ersten Form ganz ähnlich und haben
ebenfalls eine größere, den Kern enthaltende und kleinere Anschwel-
lungen. Die Faser ist an der Basis etwas verdickt und endigt ga-
belig. Im Gegensatz zu der ersten Form haben diese Nesselzellen
ein ziemlich langes, seitlich aufsitzendes, gewöhnlich gekrümmtes
Cnidocil. Von dem vorderen Pol hängt in die Nesselkapsel ein
keilförmiger, nach unten diekerer Stab, um welchen der Faden in
einer Spirale gewunden ist. Die Wand dieser Nesselkapseln ist nicht
glatt und homogen, wie die der länglichen Form, sondern wie run-
zelig und färbt sich besonders stark mit Eosin.
Einmal kam eine Missbildung der ersten Nesselzellenform mit
zwei Nesselkapseln vor, welche auf der Fig. 10, Taf. XXIV, abge-
bildet ist.
Die Stützzellen (Fig. 7 d, 5, Taf. XXIV), welche zwischen den
Nesselzellen und anderen Elementen des Tentakelknopfes vorkom-
men, scheinen von indifferentem Charakter zu sein und stellen ge-
wöhnliche nur sehr lang ausgezogene Ektodermzellen dar. Sie waren
meist sehr schlecht erhalten und wurden gewöhnlich nur in Bruch-
stücken gefunden. Ihre Gestalt ist ziemlich wechselnd. Sie sind stets
schmal, besonders in der basalen Hälfte. Der distale Theil ist bald
dick, bald dünn und endigt mit ziemlich breiter, von Cuticula be-
deckter Fläche. Basal von der Nesselkapsellage sind die Zellen
immer mehr oder weniger angeschwollen, zuweilen auch mit zwei
Anschwellungen versehen; in einer derselben liegt der Kern (Fig. 7 e,
Taf. XXIV).
Drüsenzellen müssen auch im Tentakelknopf vorkommen, weil
man auf Schnitten desselben (Fig. 6, Taf. XXIV) zwischen den Zellen
unregelmäßige Körnchen findet, welche Drüsensekret sein dürften.
Mit Hilfe dieses Sekretes geschieht wohl auch die Anheftung der
Tentakel an fremde Gegenstände. Kuna hat auch solche Drüsen-
zellen abgebildet. Ich konnte sie jedoch nicht finden, vermuthlich
weil sie sich beim Maceriren schlecht erhalten.
Außer den Funktionen der Vertheidigungs-, Angriffs- und Bewe-
gungsorgane, welche durch die eben beschriebenen Elemente bedingt
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 321
werden, kommt den Tentakeln auch eine Sinnesfunktion zu. Die-
selbe ergiebt sich aus dem Vorkommen besonderer Sinneszellen von
sehr charakteristischer Form, wie sie nur den Tentakeln zukommt
und sonst nirgends getroffen wird.
Diese Sinneszellen (Fig. 7 ce, Taf. XXIV), welche bis jetzt
übersehen wurden, die aber allen drei von mir untersuchten Lucer-
naridengattungen zukommen, sind weniger zahlreich, als die Nessel-
zellen; auf vier bis fünf der letzteren kommt vielleicht eine solche
Sinneszelle. Sie sind lang, spindelförmig ausgezogen und den ge-
wöhnlichen Ganglienzellen etwas ähnlich. Nur der distale, über der
Kernanschwellung liegende Theil ist etwas dieker, ziemlich kurz und
endigt mit einem Sinneskegel von der Form einer Pfeilspitze. Der
letztere ist für diese Zellen sehr charakteristisch und durch ihn
wird ihre Sinnesfunktion wohl genügend bewiesen. Er ist ziem-
lich lang, dreieckig, ragt über die den Tentakelknopf bedeckende
Cutieula nach außen hervor und ist sicher das Gebilde, was KLına
für das Cnidocil der Nesselzellen gehalten hat. An seiner Basis
sieht man gewöhnlich zwei seitliche dunkle Punkte, ähnlich wie bei
den Nesselzellen. Auf Schnitten sind die Sinneskegel meist schwer
wahrzunehmen und schlecht erhalten. Am besten kann man sie auf
Macerationspräparaten sehen, deren Epithel noch theilweise zusammen-
hängt, und sich von ihrer Lage zwischen den Nesselzellen über-
zeugen.
Die Kernanschwellung der Sinneszellen ist größer, als die der
Nesselzellen. Danach kann man beide Zellenarten sehr leicht unter-
scheiden; dazu kommt noch, dass die Anschwellungen der ersteren
viel mehr distal liegen, wie es aus dem Vergleich der gegenseitigen
Lage der Zellen auf der Fig. 7, Taf. XXIV, zu ersehen ist.
Wie diese Sinneszellen basalwärts endigen, konnte ich nicht
feststellen, weil sie, im Gegensatz zu den viel resistenteren Nessel-
zellen, stets sehr schlecht erhalten und an der Basis abgerissen waren.
Ich kann desshalb nicht sagen, ob sie ähnlich den Nesselzellen an
der Gallerte sich ansetzen, oder, was viel wahrscheinlicher ist, unten
in eine Faser auslaufen, welche in die weiter unten zu beschreibende
Nervenfaserschicht umbiegt und zur Bildung derselben beiträgt. Am
basalen fadenförmigen Theile der Zelle kann man auch Varicositäten
erkennen.
Außer den Sinneszellen kommen den Tentakelknöpfen Ganglien-
zellen zu, und zwar ebenfalls von einer besonderen Form, welche
nur in den Tentakeln von mir gefunden wurde, was wahrscheinlich
22*
522 N. Kassianow,
mit der Sinnesfunktion der Tentakel zusammenhängt. Diese höchst
typische Ganglienzelle ist auf der Fig. 115, Taf. XXIV, abge-
bildet. Der im oberen Theil ziemlich breite, nach unten sich ver-
schmälernde Protoplasmaleib derselben geht unten in zwei feine
Fasern aus, welche ihrerseits sich wieder verästeln. Auch aus dem
mittleren Theil des Protoplasmaleibes entspringt ein kürzerer Fort-
satz, mit Andeutung auf Zweitheilung. Der runde Kern liegt im
unteren verengerten Theile der Zelle. Eine solche typische reichver-
zweigte Ganglienzelle kam mir leider nur einmal vor, vermuthlich
weil diese Zellen sehr wenig erhaltungsfähig sind. Fig. 11a, Taf. XXIV,
zeigt eine andere, weniger typische Ganglienzelle. Dieselbe hatte die
Form eines Dreieckes, dessen Spitzen in drei fadenförmige Fortsätze
ausgezogen waren.
Ob gewöhnliche spindelförmige Ganglienzellen vorkommen, kann
ich nicht mit Bestimmtheit behaupten, denn über einige solche
Ganglienzellen, welche hier vorkamen, war ich nicht sicher, dass sie
wirklich hierher gehören oder nur zufällig hierher gerathen waren.
Außerdem konnte ich auf Macerationspräparaten noch feine Faser-
geflechte finden, welche vielleicht von den abgerissenen Enden der
Sinnes- und Ganglienzellen gebildet waren.
Meine Bemühungen, die Art der Verbindung der Nervenfasern
mit den Nesselzellen festzustellen, blieben leider erfolglos. Zwar
endigen letztere unten manchmal, wie es erwähnt wurde, mit feinen
Ausläufern, dieselben sind aber immer kurz und kaum nervös (Fig. 7a,,
as, d; Taf. XXIV). Die Nesselzellen könnten schließlich auch ohne
Innervirung funktioniren, wie es bei denen der Nesselbatterien sicher
der Fall ist, obwohl das in den Tentakelknöpfen weniger begreif-
lich erscheint.
Auf Schnitten kann man alle diese Zellformen unterscheiden,
wenn auch manchmal nur andeutungsweise. Hier bewirken sie den
Anschein besonderer Schichten, wie es aus Fig. 6, Taf. XXIV, zu
ersehen ist. Dieselbe stellt ein Stück des Schnittes durch das Ekto-
derm des Tentakelknopfes von Craterolophus tethys dar. Die
distalste Schicht wird gebildet von den Nesselkapseln, die zweite
(Sz) durch die größeren Anschwellungen der Sinnes- und Stützzellen,
zwischen welchen auch Sekretkörnchen wahrgenommen werden. Die
darauf folgende Schicht besteht aus kleineren Anschwellungen der
Nesselzellen. Die tiefste, die Basis des Epithels einnehmende Schicht
(nf) erscheint auf Schnitten feinkörnig, färbt sich charakteristisch mit
Eosin und besteht ohne Zweifel aus den feinsten Nervenfasern, welche
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 323
ich auf Macerationspräparaten gefunden habe. Wenn der Schnitt den
Tentakelknopf etwas schief trifft, so erscheint die Nervenfaser-
schicht nicht nur feinkörnig, sondern man kann in derselben dann
sehr feine Faserzüge erkennen. Diese Schicht wird wohl von den
fadenförmigen Fortsätzen der oben beschriebenen Sinneszellen ge-
bildet. Aber auch Ganglienzellen dürften hier vorkommen, denn
man sieht zuweilen an der distalen Grenze dieser Schicht einzelne
runde Kerne, welche zu Ganglienzellen gehören müssen.
Die Nervenfaserschicht ist etwa 11 u dick bei 84 u der Gesammt-
dicke des Epithels. Von der Gallerte wird sie durch eine Reihe
dunkler Punkte abgegrenzt, welche die angeschwollenen Basalenden
der Zellen repräsentiren.
Dieselben Schichten, wie überhaupt ganz ähnliche Zusammen-
setzung, zeigen die Tentakelknöpfe von Lucernaria campanı-
lata und Halielystus octoradiatus. Auf den Übersichtsbil-
dern (Fig. 6 und 7, Taf. XXIII), welche Schnitte durch Arme von
Halielystus octoradiatus darstellen, ist die Nervenfaserschicht
mit blauer Farbe angedeutet. Auch bei diesen Lucernariden, wie
man es besonders gut auf Schnitten von Halielystus octoradiatus
sehen kann, sind Sinneszellen vorhanden, mit hervorragenden Sinnes-
kegeln. Dieselben sind hier weniger schlank als bei Cratero-
lophus tethys, an der Basis dieker und leicht hakenförmig ge-
krümmt. Auch bei der letztgenannten Lucernaride sind die Sinnes-
kegel der Schnitte viel dicker als auf Macerationspräparaten, was
vielleicht davon herrührt, dass dieselben auf Schnitten mit Schleim
bedeckt sind. Bei Halielystus octoradiatus ist im Gegensatz zu
Lucernaria campanulata und Craterolophus tethys in den
Tentakeln, wie überhaupt im Ektoderm der Subumbrella die größere
ovale Form der Nesselkapseln die herrschende.
Der Tentakelstiel.
Das Epithel des Tentakelstiels besteht aus Epithelmuskelzellen
(Fig. 17, Taf. XXIV), welche eine längsverlaufende Muskulatur bilden.
KoROTNEW beschreibt auch eine Ringmuskulatur am Stiel, aber
Kring bemerkt schon mit Recht, dass Korotnew Falten, welche
sehr regelmäßig angeordnet und der Muskulatur täuschend ähnlich
sein können, für Muskulatur gehalten hat, da Ringmuskulatur hier
vollständig fehlt. Neben typischen Epithelmuskelzellen, deren Pro-
toplasmaleib hoch und cylinderförmig, distal etwas verbreitert und
mit Cutieula bedeckt ist, wobei man unter der Cutieula eine Reihe
324 N. Kassianow,
schwarzer Punkte sieht (Fig. 17, Taf. XXIV), findet man bei der
Isolation auch Muskelfasern mit nur spärlichem Protoplasma, das
einen länglich ovalen Kern enthält. Diese Muskelfasern erinnern
schon mehr an die der Längs- und Randmuskeln. Von Interesse ist
die schiefe Streifung, welche man an den Muskelfasern sieht. Dieselbe
ist außerordentlich zart und schwer wiederzugeben und nicht an allen
Muskelfasern zu beobachten; auch kommen an gestreiften homogen er-
scheinende Strecken vor. Die Streifung wird wohl den Einkerbungen
an den Rändern der Fasern zuzuschreiben sein (Fig. 12, Taf. XXIV).
Wo die Faser zufällig zerrissen ist, erscheint sie aus feinsten Fibril-
len zusammengesetzt.
Außerdem trifft man in den Tentakelstielen, aber auch in den
Längsmuskeln des Bechers, Fasern, welche im Gegensatz zu den
oben beschriebenen nicht stark lichtbrechend sind, matt aussehen
und sich ganz homogen färben (Fig. 13, Taf. XXIV). Diese letzteren
Elemente sind stellenweise verbreitert und beiderseits spitz. Einmal
habe ich eine leichte Andeutung eines Protoplasmahofes gesehen.
Was diese Zellen in morphologischer und physiologischer Beziehung
sind, kanr ich nicht sagen.
Der Tentakelstiel enthält auch Nervenelemente, wie es mir auf
Macerationspräparaten nachzuweisen gelang. Zwischen den Muskel-
fasern findet man nämlich Nervenfasern und Ganglienzellen (Fig. 14,
Taf.XXIV). Die Ganglienzellen (a), die ich mehrmals finden konnte,
sehörten unzweifelhaft den Muskeln an, da sie entweder ganz oder
wenigstens mit ihren Fortsätzen zwischen den Muskelfasern lagen.
Ferner kommen hier noch Zellen vor, welche von den gewöhnlichen
Ganglienzellen etwas abweichen (b). Sie besaßen einen langgestreck-
ten Protoplasmaleib, welcher ganz platt und wenig körnig war, im
Gegensatz zu den zuerst beschriebenen. Ein Unterschied in den
fadenförmigen Fortsätzen war nicht zu finden. Eine ganz ähnliche
Zelle kam mir auch im exumbrellaren Ektoderm von Craterolophus
tethys vor.
Die Verbindung der Nerven- und Muskelelemente konnte ich nicht
sicher feststellen. Nur einmal fand ich eine Epithelmuskelzelle, welche
an ihrer Faser eine rundliche Protoplasmaanhäufung trug, von der
eine feine, möglicherweise nervöse Faser entsprang (Fig. 17, Taf. XXIV).
Das Entoderm der Tentakel.
Das Entoderm, welches den Kanal des Tentakelstieles auskleidet,
ist eigenthümlich modifieirt und scharf von den übrigen Entoderm-
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 325
partien der Gastralhöhle abgesetzt. Selbst die kleinen Strecken,
welche einzelne Tentakelkanäle von einander trennen und welche
bei Halielystus octoradiatus durch die stärkere Ausbildung der
Gallerte an solchen Stellen zapfenartig oder »ampullenartig« in die
Gastralhöhle des Armes herabhängen, sind vom gewöhnlichen Ento-
derm ausgekleidet (Fig. 7, Taf. XXI).
Dies modifieirte Entoderm besteht nach KLıng aus Stützzellen,
welche vermöge ihrer Elastieität den durch seine Längsmuskeln kon-
trahirten Tentakel wieder strecken und aufrichten. Da ich dies
Entoderm auf Macerationspräparaten gut studiren konnte, will ich es
genauer beschreiben. Es ist zusammengesetzt aus langen (36—40 u)
Zellen, welche aus hyaliner, sich nicht färbender Substanz bestehen
(Fig. 8, Taf. XXIV). Meistens sind sie gleichmäßig dick, innen
abgerundet, die Basis dagegen ist etwas verbreitert und gekrümmt,
wobei ihr Rand stark lichtbrechend erscheint. Sie tragen, wie ich
an einigen, besonders gut erhaltenen Zellen sah, ein oder zwei
ziemlich lange Cilien (Fig. 8 a). Manchmal läuft das innere Zell-
ende in einen dünnen Fortsatz aus (Fig. 8 d). Manche können
in der Mitte sehr dünn sein, um Platz für die hier in großer Menge
auftretenden Drüsenzellen zu geben, und nach oben und unten sich
wieder erweitern (Fig. 8 c). Der runde ziemlich kleine Kern liegt
stets im inneren Theil der Zelle, wo sich auch stärker färbendes
Protoplasma mit den darin eingeschlossenen, gelbbraunen Pigment-
körnchen befindet.
Die Drüsenzellen (Fig. 9, Taf. XXIV), welche schon KLına er-
wähnt und welche nicht nur im Entoderm der Tentakel, sondern
auch im übrigen Entoderm der Gastralhöhle gefunden werden, sind
sehr zierliche, flaschenähnliche Gebilde. An der Basis sind sie rund-
lich oder birnförmig und tragen einen dünnen scharf abgesetzten und
stark lichtbrechenden mehr oder weniger langen Hals, weleher innen
knopfartig endigt. Die körnige innere Masse enthält einen runden,
ziemlich kleinen Kern mit Nucleolus. Auf Schnitten sind diese
Drüsenzellen, vermuthlich in Folge anderer Fixirungsmethoden und
der Behandlung mit Alkohol, bei Eosinfärbung homogener gefärbt
und dabei wie aus einzelnen Stücken zusammengesetzt, etwa wie eine
Chitonschale.
Äußere Tentakel mit modifieirten Stielen.
Eigenthümlich modifieirt sind die äußeren, d. h. auf der exum-
brellaren Seite der Arme stehenden Tentakel von Craterolophus
326 N. Kassianow,
tethys und Lucernaria campanulata, wie es schon mehrere
Forscher bemerkten (MILNE-EDWARDS, KEFERSTEIN und KOROTNEW
für Lucernaria campanulata, TASCHENBERG für Craterolophus tethys).
Bei Lucernaria campanulata sind es sechs bis sieben außenstehende
Tentakel, deren Stiel viel dieker ist und eine besondere histo-
logische Zusammensetzung zeigt. Dieselbe wurde aber noch nicht
richtig erkannt.
Das ektodermale Epithel ist hier hoch, enthält auf den Schnitten
zwei Reihen von Kernen und ist ein eigenthümliches Drüsenepithel.
Es besteht, wovon ich mich an günstigen Stellen bei Craterolophus
tethys überzeugen konnte, aus zwei Formen von Zellen (Fig. 1,
Taf. XXIM). Die einen sind lang, fadenförmig, in der Mitte mit
einer spindelförmigen, den Kern enthaltenden Anschwellung. Distal-
wärts sind sie etwas verbreitert, auch basalwärts endet der faden-
förmige Theil mit einer queren Platte. Die Kerne dieser Zellen
bilden die obere Kernreihe des Epithels. Dazwischen stehen Drüsen-
zellen, welche auf einem deutlich abgesetzten Fuß sitzen. Der Fuß
bildet !/, oder !/,; der ganzen Länge der Zelle. Die Zelle selbst ist
entweder schlauchförmig oder in der Mitte eingeschnürt, um der An-
schwellung der ersten Zellform Platz zu geben. An der Übergangs-
stelle in den Fuß liegt ein undeutlicher, wahrscheinlich geschrumpf-
ter Kern; daher rührt die untere Reihe der Kerne im Epithel. Was
diese Drüsenzellen vor allen anderen auszeichnet, ist der Inhalt,
welcher aus kleinen bakterienähnlichen Stäbchen besteht, was man
noch deutlicher sieht, wenn der Inhalt aus der Zelle herausgetreten
ist. Im Gegensatz zu den anderen Drüsenzellen des Ektoderms,
färben sich diese Zellen stark mit Eosin.
Außer diesen zwei Zellformen kommen hier noch die gewöhn-
lichen, sich nicht färbenden Drüsenzellen des exumbrellaren Ekto-
derms ziemlich häufig vor. Das Vorhandensein derselben zeigt uns,
dass wir es mit der Fortsetzung des exumbrellaren Ektoderms, wel-
ches etwas modifieirt ist, zu thun haben; denn das Ektoderm der
Subumbrella, welches in das Ektoderm der anderen Tentakel un-
merklich übergeht, scheint überhaupt keine oder nur sehr wenige,
auf Schnitten nicht wahrnehmbare Drüsenzellen zu enthalten.
Das geschilderte Epithel nimmt jedoch nicht den ganzen Kreis-
umfang des Stieles der äußeren Tentakel ein, denn auf der anderen,
gegen die übrigen Tentakel gekehrten inneren Seite findet sich ge-
wöhnliches Muskelepithel, wie bei den anderen Tentakeln. Die
Funktion dieses Drüsenepithels ist wahrscheinlich die, den Tentakeln
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 327
zu helfen sich mittels des klebrigen Sekretes an fremde Gegenstände
anzuheften.
Kriıns hat die Zusammensetzung dieses Ektoderms übersehen,
da er sagt, dass die äußeren Tentakel dasselbe Ektoderm wie die
Exumbrella haben. TASCHENBERG erwähnt die verdiekten Tentakel,
nur meint er irrthümlicher Weise, wie auch KoROTNEwW, dass das
Epithel hier mit Nematocystenzellen angefüllt sei, was ich nie be-
obachtet habe. KEFERSTEIN bemerkte die modifieirten Tentakel bei
Lucernaria campanulata und schreibt ihnen die BAUER ZU,
sich wie Saugnäpfe anzuheften.
Es ist möglich, dass dem Drüsenepithel der äußeren Tentakel
Nervenfasern zukommen. Wenigstens sieht man auf Schnitten unter
den Kernen der Drüsenzellen eine feinkörnige, mit Eosin sich fär-
bende Schicht, in welcher man zuweilen auch eine horizontal ver-
laufende Streifung erkennen kann. Ganglienzellen kommen zwischen
den Zellen vielleicht auch vor, weil man hier und da vereinzelte tiefer
liegende Kerne beobachtet.
Die Cuticula, welche dieses Drüsenepithel bedeckt, ist auf Schnit-
ten vertikal gestreift (Fig. 1, Taf. XXIII), wie man solche Streifung
auch auf den gewöhnlichen durch Maceration isolirten Zellen des
exumbrellaren Ektoderms sehen kann (Fig. 8, Taf. XXID. Sie er-
scheint außerdem wie aus helleren und dunkleren Stellen zusammen-
gesetzt. Die helleren entsprechen den Drüsenzellen und besitzen
wohl eine besondere Beschaffenheit, welche dem Sekret nach außen
herauszutreten erlaubt. Auf der Cuticula sieht man zuweilen Fort-
sätze; zu welchen Zellen dieselben gehören, gelang nicht festzu-
stellen. Wenn sie zu den spindelförmigen Zellen des Drüsenepithels
sehören, so muss man letztere für Sinneszellen halten, was aber sehr
unwahrscheinlich ist.
b. Die Randpapille.
Die Randpapillen sind ebenfalls Organe, in welchen man Nerven-
sewebe zu finden erwarten durfte, da sie als Homologa der Sinnes-
kolben der übrigen Scyphomedusen betrachtet werden. Von den
drei von mir untersuchten Arten besitzen Craterolophus tethys
und Haliclystus oetoradiatus Randpapillen, Lucernaria cam-
panulata dagegen fehlen sie gänzlich. Dabei sind sie bei der
ersten Gattung klein, rudimentär, und leicht zu übersehen, kommen
nicht immer und in wechselnder Zahl vor, bei Halielystus octo-
radiatus dagegen erreichen sie eine sehr ansehnliche Größe. Aber
328 N. Kassianow,
nicht nur in der Größe, sondern auch in dem histologischen Bau
und, was damit aufs innigste verbunden ist, in der Funktion ist hier
ein Unterschied zu konstatiren.
Die Randpapillen von Craterolophus tethys sind den ge-
wöhnlichen Tentakeln durchaus ähnlich. Sowohl der Stiel, als auch
der normal entwickelte Nesselknopf haben denselben histologischen
Bau. Auch in Bezug auf das Nervensystem sind ganz überein-
stimmende Verhältnisse vorhanden. Das Ektoderm des Nesselknopfes
enthält, so weit man nach Schnitten urtheilen kann, außer den
Nesselzellen und anderen Elementen, die Sinneskegel tragenden Sinnes-
zellen und an seiner Basis nimmt man eine feinkörnige, mit Eosin
sich färbende Nervenfaserschicht wahr.
Das Ektoderm des Stieles der Randpapille zeigt nur in so fern
eine Abweichung, als die Muskulatur hier sehr schwach entwickelt
ist, keineswegs aber gänzlich fehlt, wie es TASCHENBERG angiebt.
Auch das Entoderm der Randpapille unterscheidet sich nicht im
geringsten von dem Entoderm der Tentakel.
Die Randpapillen von Halielystus octoradiatus weichen da-
segen von den normal entwickelten Tentakeln sehr stark ab. Es sind
annähernd kugelige, auf einem sehr kurzen Stiele sitzende, innerlich
hohle Gebilde (Fig. 8, Taf. XXI). Das ektodermale Epithel, wel-
ches sie bedeckt, ist mit dem Drüsenepithel der Stiele der äuße-
ren modifieirten Tentakel von Craterolophus tethys und Lucernaria
campanulata vollkommen identisch. Von dem Nesselknopf ist keine
Spur vorhanden, im Gegensatz zu Haliclystus auricula, bei
welchem die Randpapillen nach CLArk noch Reste des Nessel-
knopfes besitzen. Somit entspricht die ganze Randpapille von Hali-
clystus octoradiatus nur dem verdiekten Stiele der äußeren Ten-
takel von Lucernaria campanulata und Craterolophus tethys.
Damit hängt auch zusammen, dass die Randpapillen beider
Arten (Craterolophus tethys und Halielystus octoradiatus) verschiedene
Funktionen zu verrichten haben, indem die kleinen, sehr oft fehlen-
den, in der von dem Rand der Exumbrella und dem Randmuskel
gebildeten Furche verborgenen Randpapillen von Craterolophus
tethys kaum als Lokomotionsorgane, sondern mehr als Schutz- und
Sinnesorgane, ähnlich wie die Tentakel funktioniren; wogegen die
stark entwickelten Randpapillen von Halielystus octoradiatus
mit dem Fehlen des Nesselknopfes die Schutzfunktion nicht mehr zu
verrichten im Stande sind, desto besser aber, wie ich mich bei der
Beobachtung der lebenden Thiere überzeugen konnte, als Lokomotions-
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 329
organe funktioniren. Mit ihrer Hilfe kann Haliclystus octoradiatus
förmlich kriechend sich fortbewegen. Hier haben also die Rand-
papillen dieselbe Aufgabe wie die modifieirten Tentakel der beiden an-
deren Lucernaridengattungen. Es scheint, dass sie sich auch einander
ersetzen können, denn bei Haliclystus octoradiatus unterbleibt
die Entwicklung des Drüsenepithels an den Stielen der äußeren Ten-
takel; dagegen kommen so modifieirte Tentakel Craterolophus
tethys und Lucernaria campanulata zu, bei welchen die Rand-
papillen entweder tentakelähnlich ausgebildet sind oder gänzlich
fehlen, wie bei der letzten Gattung. Schon KErERSTEIN (1863) hat
diesen Schluss aus dem Vergleich der Lucernaria campanulata mit
Halielystus octoradiatus gezogen.
Damit hängt vielleicht auch zusammen, dass die Tentakel von
Lucernariacampanulata und Oraterolophus tethys, bei welchen
die Lokomotion ausschließlich durch Tentakel geschieht, größere und
mit Einsenkung versehene Nesselknöpfe besitzen, als die von Hali-
elystus octoradiatus, bei welchem dieselben von rundlicher,
kleiner und zum Ansaugen weniger geeigneter Form sind. Auf diesen
Unterschied hat KErERSTEIN ebenfalls aufmerksam gemacht.
In Übereinstimmung mit dem Drüsenepithel der modifieirten
Tentakel von Lucernaria campanulata und Craterolophus
tethys besteht das Ektoderm der Randpapillen von Halielystus
octoradiatus aus drei Zellarten: aus den eigenthümlichen, auf einem
Fuß sitzenden Drüsenzellen mit wie aus Stäbchen bestehendem, sich
mit Eosin stark färbendem Inhalt, aus den Stützzellen und aus den
gewöhnlichen Drüsenzellen der Exumbrella. Diese Zellen bilden auch
hier im Epithel zwei Reihen von Kernen. Die gewöhnlichen Drüsen-
zellen sind besonders stark am Scheitel der Randpapille angehäuft,
wo sie als weißlicher Fleck erscheinen. Solche Anhäufung von
Drüsenzellen hat schon Korornzw abgebildet. Die Zellen, welche
ich als Stützzellen bezeichne, werden, obwohl sie lang und spindel-
förmig sind, wie im Drüsenepithel der modifieirten Tentakel, keine
Sinneszellen, sondern von indifferentem Charakter sein, weil sie keine
Andeutung nervöser Fortsätze zeigen; sie sind daher wohl sicher
nur Stützzellen. An der Basis des Epithels nimmt man auch hier
eine feinkörnige, aber wenig deutliche Schicht wahr, welche vermuth-
lich ebenfalls den Nervenfasern angehört. In der Tiefe des Ekto-
derms sieht man hier und da einzelne Kerne, welche Ganglienzellen
angehören können. Aus dieser Beschaffenheit des Epithels geht her-
330 N. Kassianow,
vor, dass die Randpapille von Halielystus octoradiatus kein Sinnes-
organ ist, sondern ausschließlich zur Lokomotion dient.
Im Gegensatz zu Craterolophus tethys ist an der Basis der
Randpapille von Halielystus octoradiatus ein sehr ansehnlicher
Nervenapparat entwickelt, was ebenfalls mit der Verwendung der
Randpapille zur Lokomotion zusammenhängt. Der sehr kurze Stiel,
welcher die kugelige Randpapille trägt (Fig. 8, Taf. XXIII), ist auf
der subumbrellaren Seite mit hohem Nervenepithel bekleidet. Dieses
Nervenepithel (N.ep) fehlt auf der exumbrellaren Seite des Stieles,
umgiebt denselben also nur halbkreisförmig. Außerdem grenzt das-
selbe unmittelbar an den Randmuskel, unterhalb welchem die Rand-
papille entspringt, wie Fig. 8, Taf. XXIII, es zeigt. Die Höhe
des Nervenepithels beträgt 34 u, also etwas weniger als die Höhe
eines solchen an den Armspitzen. Es ist auf der Fig. 5, Taf. XXIII,
bei stärkerer Vergrößerung gezeichnet. Aus derselben kann man
entnehmen, dass das Nervenepithel dem der Armspitzen gleicht, nur
fehlen ihm die Nesselzellen vollkommen. Auch hier gehen die Stütz-
zellen bis zur Gallerte und durchsetzen die Nervenfaserschicht gruppen-
weise. Die nervösen Zellen dagegen biegen in die letztere um.
Eben so liegen hier einzelne Kerne auf der Nervenfaserschicht oder
selbst in derselben. Sie sind aber in größerer Zahl vorhanden als
im Epithel der Arme und ihre Zugehörigkeit zu Ganglienzellen der
Nervenfaserschicht tritt deutlicher hervor. Letztere erreicht etwa die
halbe Höhe des ganzen Epithels.
Die Nervenfasern steigen aus diesem Epithel auch in die Rand-
papille selbst hinauf, wo man sie eine Strecke weit verfolgen kann.
Schon daraus darf man schließen, dass das ganze die Randpapille
bedeckende Ektoderm Nervenfasern enthalten muss. Auch in den an-
srenzenden Randmuskel wird wohl das Nervenepithel Fasern schicken.
Nach außen ist es mit einer ziemlich dieken Cuticula bedeckt, über
welche keine Fortsätze hinausragen. Daraus und aus dem ganzen
Charakter der Zellen folgt wohl, dass das Nervenepithel, eben so wie
das der Arme, ein motorisches Nervencentrum ist, um so mehr, da
auch die Randpapille selbst kein Sinnes-, sondern ein Lokomotions-
organ darstellt.
Die verhältnismäßig starke Ausbildung des Nervenapparates wird
aber wohl nicht durch die Muskulatur der Randpapille bedingt, welche
sehr schwach entwickelt ist, sondern hauptsächlich durch den Reich-
thum an Drüsenzellen im Epithel, die ebenfalls innervirt werden
müssen, um das klebrige Sekret zur Anheftung abzuscheiden.
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 331
Die schwach entwickelte Muskulatur der Randpapille ist aut
Schnitten leicht zu übersehen, wie es auch KErERSTEIN (1863) und
KoroTnew (1876) erging. Nur wenn der Schnitt das Ektoderm von
der Fläche trifft, treten die Muskelfasern gelegentlich deutlich her-
vor. Ich habe solche im Bereiche der Anhäufung der großen Drüsen-
zellen, in der Nähe des Scheitels der Randpapille auf einem tangen-
tialen Schnitt gefunden. Entsprechend der schwachen Entwicklung
der Muskulatur wird vermuthlich auch die aktive Bewegung der Rand-
papillen gering sein. Vielmehr werden ihre Bewegungen, das Neigen
und Aufrichten, durch die Kontraktion des Randmuskels verursacht.
Ihre Lage wird bei der Kontraktion des Randmuskels sehr verändert,
wie man es an lebenden Thieren sehen kann.
Das Entoderm der Randpapille ist ebenfalls etwas abweichend
von dem der Randpapille von Craterolophus tethys und besteht
aus niedrigen, den gewöhnlichen entodermalen mehr ähnlichen Zellen.
Die Randpapillen von Halielystus octoradiatus wurden von
Korornew (1876) nach ihrer äußeren Form beschrieben. Auch be-
spricht er die drüsige Beschaffenheit des Epithels, das er mit dem
der Haftscheibe des Fußes für identisch hält. Diese Ähnlichkeit ist
auch wirklich vorhanden. Nur sind die basalen Enden der Drüsen-
zellen der Haftscheibe ebenfalls breit und nicht zu einem Fuß abge-
setzt, wie die der Randpapille. Die indifierenten Ektodermzellen der
Haftscheibe (Fig. 18, Taf. XXIV) sind sehr lang und schmal, ent-
sprechend der bedeutenden Höhe des ganzen Epithels und sind den
indifferenten Zellen des Drüsenepithels der äußeren Tentakel von
Lucernaria campanulata und Craterolophus tethys und der
Randpapille von Halielystus octoradiatus ähnlich. Diese Ähn-
lichkeit bestärkt mich in der Ansicht, dass das Drüsenepithel der
Randpapille keine Sinneszellen enthält und die spindelförmigen Zellen
desselben nur Stützzellen sind. Der basale Theil dieser Zellen in der
Hatftscheibe ist verbreitert (Fig. 18, Taf. XXIV) und mit fadenförmigen
Fortsätzen versehen, welche wohl zur Anheftung an die Gallerte dienen.
Noch eingehender beschrieben CLArK (1881) und SCHLATER
(1891) die Randpapillen von Halielystus auricula. Nach ScHLA-
TER’S Angaben besitzen dieselben einen wohl entwickelten Nessel-
. knopf und sind somit den äußeren Tentakeln von Lucernaria
campanulata und Craterolophus tethys vollkommen ähnlich.
Möglicherweise war es aber ein junges Individuum, welches ScHLA-
TER nntersuchte, da CLARK für dieselbe Art angiebt, dass die Rand-
papillen in der Jugend den Tentakeln ganz ähnlich sind, und erst
332 N. Kassianow,
später einen abweichenden Bau erhalten. Das geht so vor sich, dass
ihr Stiel immer dieker wird, indem sich zuerst an einer kleinen Stelle
Drüsenzellen ansammeln; später verbreitert sich das so modifieirte
Epithel in Form eines Ringwalles über den ganzen Umfang des
Stieles, so dass schließlich der Nesselknopf davon eingeschlossen wird
und relativ sehr klein, in Form eines kleinen, Nesselzellen enthalten-
den Höckers erscheint, der leicht übersehen wird.
Bei Halielystus octoradiatus sind dagegen keine Spuren des
Nesselknopfes und der Nematocystenzellen mehr vorhanden, eben so
wenig etwas von der Furche, in welcher der Rest des Nesselknopfes
bei Halicelystus auricula liegt. Die Umbildung der Randpapille
ist also hier noch weiter gegangen. Allerdings giebt KOROTNEW an,
dass Nematocystenzellen zuweilen auch bei dieser Art vorkommen
können, was ich nie fand. Wahrscheinlich hat er sie bei jüngeren
Thieren gefunden.
4. Mundrohr.
Es lag nahe im Ektoderm des Mundrohres, welches kontinuirlich
in das Ektoderm der subumbrellaren Wand übergeht, Nervenzellen
zu suchen. Das Vorkommen von longitudinal verlaufenden Epithel-
muskelzellen in demselben (cirkuläre Muskulatur, welche KOROTNEW
beschreibt, existirt nicht) und die ganze Funktion des Mundrohres
lassen das Vorhandensein von Nervengewebe erwarten. Trotz sehr
sorgfältiger Untersuchung der Macerationspräparate des Mundrohres
von Lucernaria campanulata konnte ich jedoch mit Sicherheit
keine Nervenzellen finden. Allerdings wurden zwei Ganglienzellen
beobachtet, die aber eben so gut aus dem Ektoderm der Subum-
brella zufällig in die Präparate gerathen sein könnten. Faser-
geflechte fehlten hier auch. Nur einmal lag eine kurze, feine Faser
vor, an eine Muskelfaser angeheftet oder vielleicht auch mit ihr ver-
bunden (Fig. 15 e, Taf. XXIV). Die Schnitte ließen ebenfalls nichts
von Nervengewebe im Mundrohre erkennen.
Die Epithelmuskelzellen im Mundrohre der Lucernaria campa-
nulata sind denen der Tentakelstiele von Craterolophus tethys,
bei welchem sie überhaupt nur untersucht wurden, nicht ähnlich. Im
Gegensatz zu den letzteren Epithelmuskelzellen, bei welchen der
Protoplasmaleib der Faser aufsitzt und die Faser scharf abgesetzt
erscheint (Taf. XXIV, Fig. 17), haben die Epithelmuskelzellen des
Mundrohres keine so scharf abgesetzte Fasern. Hier liegt nicht der
Protoplasmaleib der Faser an, sondern die zwei basalen Ecken der
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 333
Zellen sind in mehr oder weniger lange Fasern ausgezogen (Fig. 15,
Taf. XXIV), wobei beide letzteren keine einheitliche Fasern dar-
stellen, vielmehr unter einem spitzen Winkel zu einander von der
Zelle abgehen. Einige Zellen sind sogar spindelförmig und würden
Ganglienzellen vollkommen ähnlich sein, wenn ihre Fasern nicht so
breit wären (Fig. 15 d). Auch in ihrem ganzen Verlauf sind die faser-
artigen Ausläufer dieser Zellen von unregelmäßiger Dicke im Gegen-
satz zu den typischen Muskelfasern der Tentakelstiele. Außerdem
sind sie nicht so stark lichtbrechend wie diese, färben sich matt und
blass und geben zuweilen auch Zweige ab (Fig. 15 a). Überhaupt
macht das Aussehen dieser Epithelmuskelzellen den Eindruck, als ob
sie noch nicht so differenzirt wären wie die typischen Epithelmuskel-
zellen.
Ob dieser mehr indifferente Charakter der Muskelzellen mit dem
Fehlen der Ganglienzellen im Mundrohre zusammenhängt, ob diese
Epithelmuskelzellen vielleicht direkt Reize aufnehmen und mittels
ihrer wenig differenzirten Fortsätze auch auf die anderen hinleiten
können, möchte ich nicht unbedingt verneinen. Auch das Fehlen
von Sinneszellen spräche in diesem Sinne.
Einmal konnte ich zwei Zellen (Fig. 16 a, b) finden, welche feinere
Fortsätze hatten. Eine von ihnen hatte zwei von denselben (a), aber
den bipolaren Ganglienzellen war sie im Ganzen nicht sehr ähnlich,
vielmehr glich sie den spindelförmigen Epithelmuskelzellen. Die andere
hatte drei Fortsätze. Mehr solcher Zellen kamen mir nicht vor.
Bei der zeitigen Unmöglichkeit die Maceration zu wiederholen,
kann ich auch die ganze Frage betreffs des Nervensystems des Mund-
rohres nicht endgültig entscheiden.
5. Entoderm des Gastralraumes.
Auch im Entoderm der Exumbrella, sowie im Entoderm der Sub-
umbrella, gelang es mir, wenn auch nur andeutungsweise, Nervenzellen
nachzuweisen. Dass die Nervenelemente im Entoderm überhaupt vor-
kommen können, ist nach den Untersuchungen von R. und O. HERT-
wıc (1879) über die Actinien und C. ScHnEiDER (1890) über Hydra
erwiesen. Bei den Lucernariden erscheint zwar die Entwicklung der
Nervenzellen im Entoderm nicht so nothwendig als bei den Actinien,
da ersteren die entodermale Muskulatur, welche bei den Actinien so
stark entwickelt ist, völlig fehlt.
Das Entoderm der Lucernariden ist wenig differenzirt und be-
steht aus gleichartigen Zellen, welche nur in ihrer Höhe variiren,
334 N. Kassianow,
ausgenommen in den Tentakeln, wo die Entodermzellen besonders
hoch sind, und aus hyaliner, sich nicht färbender Substanz bestehen
(Taf. XXIV, Fig. 8 a, 5, ec). Nur selten findet man im Entoderm
Nesselzellen, dagegen sehr viele Drüsenzellen.
Bei der Untersuchung der Gallerte der Exumbrella, von welcher
beide Epithelschichten wegmacerirt waren, so dass nur noch einzelne
Zellen anhingen, konnte ich Ganglienzellen auf der Entodermseite
finden. Dieselben waren denen des Ektoderms vollkommen ähnlich,
wesshalb ich keine besondere Abbildung von ihnen gebe. Auch ab-
gerissene feine Fasern waren an solchen Präparaten wahrzunehmen,
an welchen auch Varicositäten nicht fehlten. Einige der Fasern
schienen mit Entodermzellen in Verbindung zu stehen. Auch eine
entodermale Sinneszelle konnte ich einmal finden, noch im Zusammen-
hang mit einer typischen Entodermzelle, wodurch ihre Zugehörigkeit
zum Entoderm unzweifelhaft erscheint. Diese Sinneszelle, welche auf
der Fig. 5, Taf. XXIV abgebildet ist, unterschied sich von solchen
des Ektoderms wesentlich. Sie lief nur in einen Fortsatz aus, und
der Protoplasmaleib ist beinahe eylinderförmig. Die Faser war ziem-
lich lang und fein, wenn auch wahrscheinlich nicht in ganzer Länge
erhalten. Vermuthlich trug diese Zelle auch ein Sinneshaar, das
bei der Konservirung verloren ging.
Auf den Schnitten ließ sich im Entoderm von Nervenzellen nichts
nachweisen.
Im Entoderm der subumbrellaren Wand ist es mir noch weniger
gelungen, Nervenzellen zu studiren. Alles, was ich hier sehen konnte,
war eine feine Streifung in einem kleinen Stück noch wenig mace-
rirten Entoderms, welche im oberen Theil des Bechers, dem Rand-
muskel nahezu parallel verlief und welche, da die Muskulatur hier
fehlt, vermuthlich Nervenfasern zugeschrieben werden muss.
Außer den Wänden des Magens und der Radiärtaschen über-
kleidet das Entoderm noch die Gastralfilamente und die Geschlechts-
organe. Die letzteren entstehen sogar als Einstülpungen des Ento-
derms in die Gallerte. Es lag mir nahe Nerven auch hier zu suchen.
Am Ausführgang der Genitalsinusse kann man auch eine, jedoch
sehr schwache Andeutung davon finden. Die basale Region des
Epithels soleher Ausführgänge wird nämlich von Eosin stärker ge-
färbt, was von Nervenfasern herrühren kann.
Auch die Gastralfilamente müssen Nerven enthalten, weil sie sich
in der Gastralkavität wurmförmig hin und her bewegen und also
Muskulatur besitzen müssen. Ich konnte aber auf den Schnitten
nn.
a u Gr
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 335
keine Andeutung von Nervengewebe finden, eben so wenig aber auch
Muskelfasern wahrnehmen. Daraus geht aber durchaus nicht hervor,
dass Muskeln und Nerven hier wirklich fehlen, denn das Vorkommen
von Muskeln in den Gastralfilamenten hat CLARK (1881) für Halielystus
auricula festgestellt und Nerven lassen sich auf Schnitten nur bei
stärkerer Entwicklung wahrnehmen.
6. Zusammenstellung der gewonnenen Resultate.
Die von mir beobachteten Verhältnisse des Nervensystems kann
ich kurz folgendermaßen zusammenfassen mit Hinweis auf die Arten,
an welchen sie gefunden wurden.
Das Nervensystem der Lucernariden besteht: 1) aus dem Nerven-
plexus des exumbrellaren Ektoderms, der sich über die ganze äußere
Körperfläche ausbreitet. Bei Craterolophus tethys ist dasselbe
möglicherweise auch an nicht sicher nachgewiesenen Stellen etwas
stärker koncentrirt. Es wurde an Craterolophus tethys und Lu-
cernaria campanulata studirt.
2) Aus den Nervencentren, welche an den Armspitzen liegen,
dem subumbrellaren Ektoderm angehören und ein hohes Nervenepithel
darstellen. Das Nervenepithel breitet sich zwischen den Basen der
Tentakel aus und steigt auf der Armsubumbrella eine Strecke weit
herunter. Nachgewiesen bei allen drei Gattungen der Lucernariden.
3) Aus Ganglienzellen und Nervenfasern in der Muskulatur der
Tentakelstiele. Bei Craterolophus tethys nachgewiesen.
4) Aus Nervenfasern und vermuthlich auch Ganglienzellen im
Randmuskel, welche daher wohl auch im Längsmuskel vorhanden
sein müssen. Nachgewiesen bei Lucernaria campanulata.
5) Aus Nervenfaserzügen im Nesselepithel der Subumbrella,
welche bei Lucernaria campanulata konstatirt wurden.
6) Aus Sinneszellen des Ektoderms am Randwulste, wo derselbe
an die Armbasen angrenzt. Nachgewiesen bei Craterolophus
tethys.
7) Aus der Nervenfaserschicht, besonderen reich verzweigten
Ganglienzellen und besonderen Sinneszellen, möglicherweise auch
gewöhnlichen Ganglienzellen der Tentakelknöpfe.. Nachgewiesen an
Macerationspräparaten und Schnitten von Craterolophus tethys,
auf Schnitten von Lucernaria campanulata und Halielystus
oetoradiatns bestätigt.
8) Aus besonderen, aus einem Sinnesepithel bestehenden Nerven-
centren der Nesselbatterien, welche einen Ring um den Ausfuhrgang
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 23
336 N. Kassianow,
der letzteren bilden. Nachgewiesen bei allen drei Gattungen; der
feinere Bau des Sinnesepithels wurde bei Lucernaria campanu-
lata studirt.
9) Bei Craterolophus tethys aus ähnlichen nervösen Ele-
menten im Nesselknopf der Randpapillen, wie in den Tentakel-
knöpfen. Bei Halielystus octoradiatus aus sehr gut entwickeltem
Nervenepithel an der Basis der Randpapillen, welches dem Nerven-
epithel der Armspitzen ähnlich, von dem Sinnesepithel der Nessel-
batterien dagegen verschieden ist.
10) Aus bei Lucernaria campanulata nachgewiesenen spär-
lichen Ganglien- und Sinneszellen im Entoderm des Gastralraumes.
Nach diesem kurzen Überblick wird es nützlich sein, die ge-
sammte Wirkung des Nervensystems sich vorzustellen. Das die
Armspitzen einnehmende und zwischen den Tentakeln sich verthei-
lende Nervenepithel können wir als Centralorgan, und zwar als
motorisches Centralorgan des Nervensystems auffassen. Die eigent-
lichen sensiblen Organe, welche die nothwendige Ergänzung hierzu
bilden, werden die Tentakelknöpfe sein; durch ihre Lage und histo-
logische Beschaffenheit sind sie dazu besonders befähigt. Die Spitzen
der Sinneszellen des Tentakelknopfes empfangen die Reize, die letz-
teren werden dann durch die ebenfalls im Tentakelknopf vorhandenen
Nervenfasern und Ganglienzellen den Ganglienzellen der Tentakel-
stiele zugeleitet. Dieselben, zwischen der Stielmuskulatur liegend,
veranlassen die Muskeln zur Kontraktion. Außerdem wird der Reiz
durch das an die Tentakelbasen angrenzende Nervenepithel auch auf
die übrigen Tentakel übertragen und dieselben zu Bewegungen,
Entladung der Nesselkapseln und Ausscheidung des klebrigen Sekrets
veranlassen. Aus dem Nervenepithel jedes Armes kann der Reiz
nicht nur aufwärts, in die Tentakel, sondern er kann auch aus dem
Nervenepithel den daran angrenzenden Randmuskeln, d. h. dessen
Nervenfasern, zugeleitet werden. Die untere, tiefer liegende Partie
des Randmuskels, welche auf die Arme sich nicht fortsetzt, kann auch
selbständig durch Sinneszellen des Ektoderms am Randwulste inner-
virt werden, wo dasselbe an die Armbasen anstößt (Craterolophus
tethys). Eben so wird der Reiz aus dem unteren Theil des Nerven-
epithels in den seitlich von demselben (Halielystus octoradiatus) oder
unmittelbar unterhalb desselben (Lucernaria campanulata und Cra-
terolophus tethys) liegenden Längsmuskeln eintreten und diese zur
Kontraktion veranlassen.
Durch die Nerven des Randmuskels wird der Reiz auch dem
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 33%
an den Randmuskel angrenzenden Nervenapparat der Randpapille
(Halielystus octoradiatus) zugeleitet. Die feinen Nervenfasern, welche
aus diesem Nervenapparat in das ektodermale Epithel der Rand-
papille selbst aufsteigen, werden den Reiz den Drüsenzellen zuleiten.
Die letzteren werden dadurch veranlasst ihr Sekret auszuscheiden,
vermittels dessen die Randpapille bei Haliclystus octoradiatus an die
umgebenden Gegenstände sich anheften kann. Auch die. Muskeln
der Randpapille werden durch den zugeleiteten Reiz zur Kontraktion
veranlasst, wodurch die aktive Bewegung der Randpapille verursacht
wird. Aber auch auf einem anderen Wege kann der Reiz zu der
Randpapille gelangen, nämlich durch das Ektoderm, welches zwischen
den Nervencentren der Arme und dem Nervenapparat der Randpapille
liegt und welches wohl ohne Zweifel vereinzelte Ganglienzellen
enthält.
Es scheint mir wahrscheinlicher, dass die Randpapille die Reize
nur auf diesen zwei Wegen und nicht direkt und selbständig be-
kommt, und zwar aus dem Grunde, weil die sinnespereipirenden Ele-
mente ihrem Nervenepithel im Gegensatz zu dem Sinnesepithel der
Nesselbatterien fehlen. Dass die Randpapille von Halielystus octora-
diatus die Reize vom Körper desselben, speciell aus den Armen be-
kommt und nicht direkt von außen, beweist mir noch der Umstand,
dass die Nerven nicht in der Randpapille selbst, sondern an ihrer
Basis stark entwickelt sind. Der tentakelähnlichen Randpapille von
Craterolophus tethys, welche demgemäß ein ausgesprochenes Sinnes-
organ ist und die Reize von ihren Sinneszellen direkt erhält, fehlt
auch das an der Basis liegende Nervenepithel.
’ Die Nesselbatterien dagegen besitzen selbständigere Nervencen-
tren und empfangen die Reize direkt durch ihre Sinneszellen, ob-
gleich damit nicht ausgeschlossen ist, dass sie dieselben auch aus
den Nervencentren der Armspitzen empfangen und somit auch von
diesen zum Auswurf der Nesselkapseln veranlasst werden können.
Endlich muss der Reiz aus den Nervencentren der Arme durch
die Nervenfasern dem subumbrellaren Nesselepithel zugeleitet werden
und sich durch die hier vorhandenen Nervenfasern und vermuthlich
auch Ganglienzellen in demselben seitwärts und abwärts ausbreiten.
Auf diesem Wege wird der von den Tentakeln empfangene Reiz die
Nesselkapseln des Nesselepithels im ganzen Körper zur Entladung
bringen, und dadurch wird dieser durch die Massenhaftigkeit der
Nesselkapseln mächtige Schutzapparat seine für kleine Thiere wohl
gefährlich wirkende Funktion ausüben.
23*
338 N. Kassianow,
Aus den Tentakeln kann fernerhin der Reiz direkt durch das
Nervenepithel, welches exumbrellar, an der Basis der äußeren Ten-
takel liegt (Fig. 7, Taf. XXIID, auch dem Nervenplexus des exum-
brellaren Ektoderms zugeleitet und in demselben verbreitert werden.
Aber das exumbrellare Ektoderm kann auch selbständig mittels seiner
Sinneszellen äußere Reize empfangen, und dann verbreiten sich
solche vielleicht auch in umgekehrter Richtung. Die ganze äußere,
exumbrellare Körperfläche muss man als ein diffuses, sensibles Organ
auffassen, welches nur Sinnesfunktion zu verrichten hat, denn Mus-
keln fehlen im exumbrellaren Ektoderm vollständig. Bei den anderen
Scyphomedusen, speciell den Discomedusen, wird die äußere, exum-
brellar liegende Sinnesgrube von allen Forschern auch als sensibles
Organ, und zwar als Riech- oder Geschmacksorgan aufgefasst.
Das Entoderm mit seinen Nervenzellen muss auch mit den ekto-
dermalen Nervenzellen der Exumbrella und Subumbrella in Verbin-
dung stehen. Diese Verbindung kann aber nur mittels der Nerven-
fasern, welche durch die Gallerte gehen, bewirkt werden, denn am
Mundrohr, der einzigen Stelle, wo das Entoderm an das Ektoderm
unmittelbar angrenzt, kommen keine oder nur sehr spärliche Ganglien-
zellen vor. Die Nervenfasern, welche ich von den ektodermalen
Drüsensinnesflecken abgehen und in die Gallerte eindringen zu sehen
slaube, könnten solche Verbindung des entodermalen und des ekto-
dermalen Nervensystems darstellen.
7. Frühere Beobachtungen.
Von den Forschern, welche sich mit Lucernariden beschäftigten,
machten nur Korornew (1876) und ScHLATeEr (1891) bestimmte An-
gaben über das Nervensystem. Von den genannten Forschern glaubt
der erstere das Nervensystem in den Tentakeln und SCHLATER in
den Randpapillen von Halielystus auricula gefunden zu haben.
Nach Korornew kommen in den Tentakelknöpfen amöboid-
bewegliche eckige Zellen vor, welche den Fibrillen der Nesselzellen
aufsitzen. Er hält diese Zellen für Ganglienzellen und meint, dass sie
die Reize von einer Nesselzelle zur anderen übertragen. Ich konnte
solche Zellen nicht finden. Wenn sie aber auch vorhanden sein
sollten, so ist doch ihre nervöse Natur mir sehr zweifelhaft, um so
mehr, da ich in den Tentakeln typische, reich verzweigte Ganglien-
zellen gefunden habe, welche kaum den von KoROTNEW beschriebenen
entsprechen können. Außerdem hält dieser Forscher auch die An-
schwellung um den Kern der Nesselzellen im Tentakelknopf für eine
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 339
nervöse Zelle, durch welche die Fibrille der Nesselzelle nur durch-
seht. Dass es keine besondere Zelle ist, ist schon bei der Beschrei-
bung der Tentakel genauer erörtert.
Am ausführlichsten beschreibt SCHLATER das Nervensystem von
Halielystus auricula. Nur sind aber alle von ihm beschriebenen
Nervenzellen gar nicht nervös. Er hat denselben Fehler begangen,
wie KOROTNEw, nur mit einer kleinen Modifikation. Die spindel-
förmigen Ganglienzellen, welche er beschreibt und welche mit Nessel-
kapseln in Verbindung stehen sollen, sind nichts Anderes als die
fadenförmig ausgezogenen, mit spindelförmiger Anschwellung für den
Kern versehenen Nesselzellen selbst, welche in ihrem distalen Theil
eine Nesselkapsel enthalten (vgl. Beschreibung der Tentakel).
Außer diesen Ganglienzellen beschreibt SCHLATER in dem Stiele
der Randpapille, im interstitiellen Gewebe noch kleine, tripolare, um
welche eine feine Punktirung zu unterscheiden ist. Diese letztere
könnte nach ihm feinen Nervenfasern angehören. Diese tripolaren
Ganglienzellen sind aber nichts Anderes als die Kerne der Drüsen-
zellen, welche bei anderen Lucernariden, Craterolophus tethys und
Lucernaria campanulata, überall im Ektoderm der Exumbrella vor-
kommen. Die Kerne solcher Zellen sind geschrumpft, wie es so oft
bei den Drüsenzellen der Fall ist, und in Folge dessen erscheinen
sie wie verästelt (Fig. 2, Taf. XXII und Fig. 2, Taf. XXV). Be-
sonders schön kann man ihre unregelmäßige, verästelte Form an
Flächenpräparaten des abgezogenen ektodermalen Epithels sehen.
Auch eine Punktirung um diese Kerne bemerkt man oft; dieselbe
gehört aber nicht den Nervenfasern, sondern dem Plasma der Drüsen-
zellen an. Dass es wirklich nur Kerne der Drüsenzellen sind, was
SCHLATER beschreibt, beweisen mir seine Abbildungen selbst, auf
welchen die vermeintlichen Ganglienzellen immer an der Basis einer
Drüsenzelle sich befinden und besonders häufig da vorkommen, wo
die Drüsenzellen in größerer Menge auftreten.
Auch Sinneszellen beschreibt SCHLATER im Ektoderm des Stieles
und im Nesselknopf der Randpapille. Diese Sinneszellen können
wirklich solche sein, könnten aber eben so gut auch einfache Epithel-
zellen vorstellen, denn das charakteristische Merkmal der Sinnes-
zellen, welche im Tentakelknopf gefunden werden, bildet ihr Sinnes-
kegel, den aber SCHLATER nicht gesehen hat. Die gewöhnlichen
Epithelzellen der Tentakelknöpfe sind ebenfalls lang ausgezogen und
mit einer spindelförmigen Anschwellung (Fig. 7, Taf. XXIV) für den
Kern versehen. Die Zellen, welche SCHLATER als Sinneszellen im
340 | N. Kassianow,
Ektoderm des Randpapillenstieles beschreibt und welche solchen des
Nesselknopfes ähnlich sein sollen, habe ich auch im Drüsenepithel
der äußeren Tentakel und der Randpapille (Fig. 1, Taf. XXIII) ge-
sehen. Dieselben scheinen mir aber gewöhnliche Stützzellen zu sein,
weil ihnen die Sinneshaare fehlen und sie spindelförmige Gestalt an-
genommen haben, um zwischen den Drüsenzellen Platz zu finden.
Außer diesen Elementen des Nervensystems beschreibt SCHLATER
noch »kompakte, knäuelartige, verhältnismäßig große Gebilde«,
welche unmittelbar unter der Randpapille oder in ihrer Nähe in der
Gallerte an der Ektodermseite sich befinden und in welchen er einige
Ganglienzellen gefunden hat. Von diesen »Ballen« gehen Fasern ab,
welche sich in der Gallerte verlieren. SCHLATER ist geneigt diese
Organe als Nervencentren aufzufassen. Ich habe von solchen Ge-
bilden bei Halielystus octoradiatus nichts gesehen und zweifle nicht,
dass hier ein Irrthum vorliegt, indem diese Gebilde ein Kunstprodukt
sein dürften und mit dem Nervensystem nichts zu thun haben. Dies
erscheint um so wahrscheinlicher, weil die Gallerte in ihrem Aus-
sehen sehr variirt, was zum großen Theil der Reagentienwirkung
und dem Umstand, wie schnell und wie weit die Entwässerung ge-
gangen ist, zugeschrieben werden muss. Fibrillenartige Beschaffen-
heit der Gallerte habe ich an vielen Stellen des Lucernaridenkörpers
gesehen, dieselbe rührt aber nicht von Nervenfasern her.
Auch auf den Abbildungen dieser Gebilde kann man keine Ähn-
lichkeit mit Nervengewebe finden. Anstatt der Ganglienzellen bildet
SCHLATER, und nur auf einer der drei Abbildungen, welche diese
Centralorgane darstellen sollen, einen einzigen Kern ab, und selbst
der ist problematischer Natur.
Es ist auch von vorn herein unwahrscheinlich, dass die Nerven-
centren der Lucernariden in der Gallerte liegen sollen, weil dies bei
keinen Medusen der Fall ist. Um so weniger kann es bei den Lu-
cernariden sein, welche in der Gallerte nicht einmal gewöhnliche
Mesenchymzellen, wie sie anderen Medusen zukommen, besitzen, die
Fibrillen ausgenommen.
Einige Forscher haben auch Augen bei den Lucernariden be-
schrieben. So hat CrArk (1881) solche auf den Randpapillen von
Halielystus auricula gefunden. Ich konnte nichts Derartiges bei Hali-
clystus oetoradiatus sehen. Ich zweifle aber auch sehr, ob Augen
bei Halielystus auricula vorkommen, erstens, weil sie nach der Be-
schreibung CrArr’s zu undeutlich begrenzte Pigmentanhäufungen
darstellen, und zweitens, weil sie nur an sehr jugendlichen Rand-
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 341
papillen vorkommen und später verschwinden, und es ist mir um so
mehr zweifelhaft, weil SCHLATER auch bei Halielystus aurieula keine
solehen Augen gefunden. Allerdings hält SCHLATER gerade desshalb
den von ihm untersuchten Halielystus für eine besondere Abart des-
jenigen, welchen CLARK studirte. Ich glaube aber nicht, dass es wirk-
lieh eine Varietät ist, denn die weiteren Unterschiede, auf Grund
welcher SCHLATER diese Abart aufstellt, reichen dazu nicht aus. Die
Differenzen im histologischen Baue der Randpapillen, welche er nicht
näher erwähnt, die aber, nach den Abbildungen zu urtheilen, darin
bestehen, dass der Nesselknopf bei den von SCHLATER untersuchten
Halielystus auricula stärker entwickelt ist als bei Halielystus auricula
von CLARK, kann man durch die Altersverschiedenheit der unter-
suchten Individuen erklären. Nach CrLArk sind die Randpapillen
von Halielystus auricula in der Jugend den Tentakeln ganz ähnlich.
Je älter aber das Thier wird, um so kleiner wird der Nesselknopf.
Dem Unterschied in der Färbung kann man noch weniger Gewicht bei-
legen, weil dieselbe sehr stark variürt. Bei Lucernaria campanulata
habe ich Exemplare von prachtvoll smaragdgrüner bis zur schönsten
tief karminrothen Farbe gefunden. Eben so wenig kann man dem
Umstande Gewicht beimessen, dass der von CLARK untersuchte Hali-
elystus nur an den Küsten Nordamerikas vorkommt, während der
von SCHLATER Studirte im Weißen Meer lebt.
Auch Ap. Meyer (1865) hat Augenpunkte in der Umgebung der
Tentakel beschrieben, die ich eben so wenig finden konnte, trotzdem
ich mehrere Arme mit Tentakeln in Quer- und Längsschnitte zerlegt
habe. Hier sind es vielleicht Nesselbatterien, welche für Augen-
punkte gehalten worden sind, wie auch TASCHENBERG vermuthet.
B. Systematische Stellung der Lucernariden und Vergleich des
Nervensystems der Lucernariden mit dem der übrigen
Sceyphozoen.
Ehe ich den Vergleich des Nervensystems der Lucernariden, wie
ich es durch meine Untersuchungen erkannt habe, mit dem der
übrigen Seyphozoen ziehe, muss ich mit ein Paar Worten die syste-
matische Stellung der ersteren erwähnen.
Die Geschichte und die ältere Litteratur der Lucernariden wurden
von KEFERSTEIN (1863), Korornew (1876) und TAscHENBERG (1877)
eingehend erörtert, wesshalb ich mich kurz fassen und hauptsächlich
auf die neuere, nicht sehr umfangreiche Litteratur beschränken kann.
342 N. Kassianow,
Nachdem die Medusennatur der Lucernariden, welche lange zu
den Actinien gerechnet wurden, zuerst von LAMARK erkannt, nachher
von vielen Forschern anerkannt wurde, haben L. Acassız (1860, 1865),
KEFERSTEIN (1863), KOROTNEW (1876), TASCHENBERG (1877) und CLARK
(11881) die Stellung der Lucernariden im System der Medusen noch
näher präeisirt. Alle fassten die Lucernaria als eine niedrig stehende
Meduse auf. So vergleicht sie KEFERSTEIN mit einer Medusenknospe;
L. Acassız spricht sich noch deutlicher aus mit den Worten: »They
seem to bear the same relation to the free Discophorae wich the
Pentacrinus one do to Comatulidae.«
KorROTNEw nennt Lucernaria eben so deutlich ein geschlechts-
reif gewordenes Scyphostoma. TASCHENBERG führt den Vergleich,
welchen Acassız gemacht hatte, noch weiter, indem er bemerkt:
»Lucernaria steht demnach in dem gleichen Verhältnisse zu den
höheren Medusen, wie die Appendicularien zu den übrigen Ascidien
oder wie Proteus zu den Salamandrinen.«
Alle diese Vergleiche, so passend und richtig sie auch erscheinen,
konnten doch nur unvollständig begründet und mehr geahnt werden,
da der Bau von Scyphostoma damals noch nicht ganz richtig erkannt
war. ÜCLARk (1881), an welchen sich auch CLAus (1890) angeschlossen
hat, findet daher im Bau der Lucernaria keine so vollkommene Über-
einstimmung mit dem des Scyphostoma. Vielmehr meinen Beide,
dass Lucernaria eigentlich eine Kombination zweier Typen, des Me-
dusen- und Polypentypus repräsentire, welche Ansicht früher schon
Sars (1846), MiLne-Epwarps (1850) und R. LEUCKART (1860) ver-
treten hatten. Der Polypentypus sollte (CLARKk) durch den basalen
Theil (Fuß) von Lucernaria, welcher, wie die Actinien nur vorsprin-
gende Septen (Täniolen) enthält, dargestellt werden. Den Medusen-
typus erblickte man im oralen Theile, dem Becher von Lucernaria,
dessen Gastralraum wie bei den Medusen in vollständig getrennte
Taschen zerfällt.
Nachdem aber GoETTE (1887) die Kenntnis des Baues des Scy-
phostoma ergänzt und bei ihr auf einem gewissen Stadium Magen-
taschen und andere Medusenmerkmale (Trichterhöhlen) nachgewiesen
hat, kommt auch diese Beschränkung in Wegfall und man kann
jetzt Lucernaria wirklich als ein geschlechtsreif gewordenes Scypho-
stoma auffassen. Von dieser auffallenden Übereinstimmung der
eleutherocarpiden Lucernariden (die Cleistocarpiden weichen durch
den Besitz der sogenannten Gastrogenitaltaschen ab), kann man
sich leicht überzeugen durch den Vergleich der Abbildungen bei
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 343
KEFERSTEIN (1865), KoROTNEw (1876), TASCHENBERG (1877), CLARK
(1881), Kuına (1879), Craus (1877), HAEcKEL (1879), Anrıpa (1891),
welche den Lucernarienbau illustriren mit den Abbildungen des Sey-
phostoma der Medusa aurita, wie man sie in der GoETTE’schen
Arbeit findet.
Allerdings meint GOETTE selbst, dass die Cubomedusen in ihrem
peripheren Gastrovascularapparat noch ursprünglichere Verhältnisse
zeigen, als die Lucernariden, weil bei den ersteren die Magentaschen
von einander vollständig getrennt sind und nur durch vier Öffnungen
in dem oberen Theil der Septen mit einander kommunieiren. Bei
Lucernaria findet man nun ganz dieselben Verhältnisse, welche GOETTE
aber übersehen zu haben scheint.
Somit wiederholt Medusa aurita, deren Scyphostoma GOETTE
hauptsächlich untersuchte, in ihrer Entwicklung getreu ihre Stammes-
geschichte. Es dürfte dies eines der besten Beispiele einer von
cänogenetischen Veränderungen freien Wiederholung der Phylogenie
durch die Ontogenie sein.
HAECKEL versuchte dann in seiner Monographie der Medusen
die verwandtschaftlichen Beziehungen der Lucernariden zu allen an-
deren Scyphomedusen und diese unter einander eingehender zu
bestimmen. Im Gegensatz zu anderen jedoch betrachtet er nicht
Lucernaria als die am tiefsten stehende und ursprünglichste Gat-
tung, als die Ausgangsform aller anderen Scyphomedusen, sondern
hält für eine solche die freischwimmende Gattung Tessera. Somit
sollte Lucernaria ihre festsitzende Lebensweise sekundär erworben
haben. Nach den Erörterungen und der Kritik der HAEcKEL’schen
Auffassung, welche GoETTE auf Grund seiner Untersuchungen des
Sceyphostomabaues unternommen hatte, kann es aber jetzt wohl
keinem Zweifel unterliegen, dass nicht Tessera, sondern Lucer-
naria als primitivste Form aller Seyphomedusen aufgefasst werden
muss. Sie ist wirklich die ursprünglichste Form, gewissermaßen ein
»geschlechtsreif gewordenes Scyphostoma«. Ihre festsitzende Lebens-
weise hat sie von Sceyphostoma direkt ererbt. Auch ihre Tentakel,
welche denen einiger Actinien (siehe weiter unten p. 344) vollkommen
gleich sind, sind die ursprünglichsten und nicht die der Tessera.
GoOETTE glaubt, dass auch die stark entwickelten Lucernaria-Septen
die ursprünglichen Sceyphostomasepten seien, welche bei allen an-
deren Scyphomedusen (mit Ausnahme der Charybdeiden), Tessera
sowohl als bei höher stehenden Formen, bis auf kleine Septalknoten
redueirt oder vollständig verschwunden sind. Nachdem ich aber in
344 N. Kassianow,
den Septen der Lucernariden eine Protoplasmalage gefunden habe
(siehe Beschreibung der Septen p. 359), welche die Septen in zwei
Hälften, subumbrellare und exumbrellare, scheidet, dürfte GOETTE’S
Ansicht vielleicht doch nicht so zweifellos erscheinen.
Nachdem die systematische Stellung der Lucernariden erörtert
ist, wird damit auch die Basis für den Vergleich ihres Nervensystems
mit dem der anderen Scyphozoen, zunächst den Actinien, welche
den Lucernariden so nahe stehen, gegeben.
Aus der im Vorhergehenden gegebenen Schilderung des Nerven-
systems der Lucernariden folgt, dass dasselbe etwas höher entwickelt
ist, als das der Actinien. Bei letzteren ist zwar nach den Unter-
suchungen von R. und O. Herrwıc (1879) die Nervenfaserschicht
- unter dem Ektoderm nicht überall gleichmäßig verbreitet, auf der
Mundscheibe stärker als auf der äußeren Körperwand, besonders
aber dem basalen Theil derselben, entwickelt; doch ist die Lokali-
sirung nicht so scharf, als bei den Lucernariden.
Auch die Sinnesorgane sind bei den Actinien nicht so stark
entwickelt, wiewohl sie dort, wo sie vorhanden sind (z. B. Actinia
equina), ganz übereinstimmenden Bau mit denen der Lucernariden
zeigen. Die Übereinstimmung der Tentakel aller Lucernariden und
der Randpapillen von Craterolophus tethys mit dem Bau der ähnlich
wie letztere sitzenden Randwarzen einiger Actinien (Actinia mesem-
bryanthemum, A. equina, Corynactis, Bunodes, Anemonia) ist eine
höchst auffallende. Wir finden ganz dieselben Elemente. Die Sinnes-
zellen mit den Sinneskegeln sind solchen der Lucernariden vollkommen
ähnlich, eben so auch die Nematocystenzellen und die gewöhnlichen
Ektodermzellen. KoroTnEew (18761), welcher die Randwarzen der
Actinien, sowie die Randpapillen und die Tentakel der Lucerna-
riden studirte, vermochte eine so große Ähnlichkeit nicht nachzu-
weisen, weil er im Tentakelknopf der letzteren die Sinneszellen nicht
auffinden konnte. Desshalb meint er irrigerweise, dass in den Rand-
papillen und den Tentakeln der Lucernariden die sinnespereipirenden
Elemente die Nematocystenzellen seien, im Gegensatz zu den Acti-
nien. Auch die äußere Form der Randwarzen der Actinien ist den
Tentakeln der Lucernariden ähnlich, besonders bei Corynactis,
wo sie auf langen Stielen sitzen (KoROTNEW).
Im Gegensatz zu den Actinien aber sind die Nerven des Ento-
derms bei den Lucernariden sehr wenig entwickelt, was ohne
Zweifel damit zusammenhängt, dass die entodermale Muskulatur der
letzteren, welche bei den ersteren so stark entwickelt ist und den
RE
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 345
Haupttheil der gesammten Muskulatur des Körpers darstellt, voll-
kommen fehlt.
Der Unterschied liegt ferner auch darin, dass bei den Actinien
die Nerven im Schlundrohre sehr stark entwickelt sind, bei den
Lucernariden dagegen hier entweder ganz fehlen oder nur äußerst
spärlich vorkommen. Daraus geht hervor, dass das Nervensystem
der Actinien eigentlich stärker ausgebildet ist. Die höhere Entwick-
lung desselben bei den Lucernariden spricht sich nur darin aus,
dass hier eine Hervorbildung von acht besonderen Nervencentren
an den Spitzen der acht Arme, welche mit Sinnesorganen (Ten-
takeln) in Verbindung stehen — also schärfere Koncentrirung — statt-
sefunden hat.
Was endlich die eigentlichen Seyphomedusen anbetrifft, so zeigt
das Nervensystem der Lucernariden in so fern eine Übereinstimmung
mit denselben, dass auch bei ihnen das Nervensystem aus acht, mehr
oder weniger selbständigen Nervencentren besteht. Dabei sind diese
Nervencentren, ähnlich wie jene der übrigen Scyphomedusen, an be-
"sondere Auswüchse des Schirmrandes, an acht Arme, welche den
Schirmlappen der anderen Acalephen analog sind, vertheilt. Natür-
lich kann hier nur von dem Nervensystem der Discomedusen die
Rede sein, da bei allen Tesseronien (Charybdeiden ausgenommen),
dasselbe entweder gar nicht oder noch unvollständig (Peromedusen)
erforscht ist.
Ein wichtiger Unterschied ist aber dabei zu konstatiren. Bei
den Discomedusen und Peromedusen [HAEckEL (1881), Maas (1897)]
sind die Nervencentren an die Sinneskolben oder Randkörper ge-
bunden. Die Randpapillen der Lucernariden wurden von HAECKEL
den acht Prineipaltentakeln der Tesseriden und als solche den Sinnes-
kolben der übrigen Scyphomedusen für homolog erklärt, weil sie mit
den letzteren die typische Zahl und Lage (in den Per- und Inter-
radien) gemeinsam haben. Im Gegensatz zu den Discomedusen,
Charybdeiden und Peromedusen haben die acht Nervencentren der
Lucernariden mit den Randpapillen nichts zu thun, sondern sind an
die adradial liegenden Arme gebunden. Zwar besitzen die Rand-
papillen bei Halielystus octoradiatus, wie wir es fanden, einen
besonderen Nervenapparat, denselben kann man aber mit den Nerven-
centren der höheren Seyphomedusen nicht vergleichen. Die Entwick-
lung dieses Nervenapparates bei Halielystus octoradiatus steht mit
der Verwendung der Randpapille zur Lokomotion und mit starker
Entwicklung ihres Drüsenepithels zusammen. Die Umbildung der
346 N. Kassianow,
Randpapille zum Lokomotionsorgane aber ist auch in der Familie
der Lucernariden eine sekundäre Erscheinung. Der ursprüngliche
Typus dieser Gebilde, wie er noch bei Craterolophus tethys
z.B. erhalten blieb, hat keinen ähnlichen Nervenapparat und ist
ein tentakelähnliches Sinnesorgan. Bei Lucerraria campanulata
fehlen sogar die Randpapillen ganz. Dagegen kommen die Nerven-
centren der Arme bei allen von mir untersuchten Lucernariden in
übereinstimmender Weise vor. Der Unterschied ist aber noch größer,
wie wir gleich sehen werden.
Um den Vergleich mit den Discomedusen weiter zu führen,
müssen wir die Frage beantworten, ob die Arme der Lucernariden
den acht Stamm- oder Hauptlappen und den Schirmlappen anderer
Scyphomedusen homolog sind. In der Litteratur habe ich ab-
weichende Ansichten darüber gefunden, und keine von ihnen scheint
mir richtig zu sein.
Die Homologisirung der Lucernarienarme mit den Randlappen
der übrigen Tesseronien ist nicht schwer durchzuführen.
Nachdem HAEcKEL die Randpapillen der Lucernariden mit den
Sinneskolben der höheren Seyphomedusen und die Lucernarienarme
mit den Randlappen derselben verglichen hatte, zeigte GOETTE
(1887) ausführlicher — ohne Zweifel mit Recht — dass bei den
Tesseriden, welche nach den Lucernariden die nächst höher
stehende Gruppe bilden, Randlappen ebenfalls angedeutet sind.
Bei der Gattung Tessera (Textfig. 2 Za) sind dieselben in der
Achtzahl vorhanden, sind solid (wie die Tentakel) und zeigen ganz
dieselben Lageverhältnisse wie bei den Lucernariden (vgl. Textfig. 1
und 2). Sie liegen nämlich auch adradial und schließen zwischen
sich je einen Tentakel (Textfig. 2 7p, Ti) ein; diese letztere haben
also dieselbe Lage in Bezug auf die Lappen, wie die Randpapillen
der Lucernariden zu den Armen (Ri, Rp; Textfig. 1). Auch die Go-
naden der Tessera (G) zeigen dieselben Lagebeziehungen zu den
Randlappen, wie die der Lucernariden zu den Armen. Jede Hälfte
der hufeisenförmigen Gonade liegt adradial, also mit dem Randlappen
in einem und demselben Adradius. Bei den Lucernariden, wo acht
getrennte Genitalbänder vorhanden sind, erstrecken sich dieselben
bis auf die Arme (Aa) herauf.
Bei Tesserantha (Textfig. 3), der anderen Gattung der Tesseriden,
haben sich die Randlappen auf sechzehn, vermuthlich durch Theilung
vermehrt, wobei die sekundären Lappen (Z) ihrerseits je einen Ten-
takel (7a) zwischen sich einschließen. Die sekundären Tentakel (7a)
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 347
unterscheiden sich von den Principaltentakeln (7p, 7”) dadurch, dass
sie etwas dünner sind und dass sie, im Gegensatz zu den letzteren,
keine Pigmentflecke (Ocelli) tragen. Also schon bei den Tesseriden
sind die Sinnesorgane an die per- und interradial stehenden Ten-
takel gebunden, wie bei allen höheren Seyphomedusen. Die acht
sekundären adradialen Tentakel könnten ihrer Lage nach den acht
Tentakelbüscheln der Lucernaridenarme entsprechen (vgl. Textfig 1
und 3).
Wenn wir uns zu den Cubomedusen wenden, so sind auch
hier den Lucernarienarmen homologe Bildungen, wie es HAECKEL
Mextae, 1. Kexti&. 2.
Fig. 1. Lucernaride, schematisch von der oralen Fläche dargestellt. Die Buchstaben bedeuten so-
wohl für diese Figur, wie auch für die Figg. 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8: Pr, Perradius; /r, Interradius; Ar, Ad-
radius; Rp, perradiale Randpapille (resp. Sinneskolben); Ri, interradiale Randpapille (resp. Sinneskolben);
@G, Gonaden; S, Septen (resp. Septalknoten); Aa, Arme (adradiale); M, Mundöffnung; 7p, perradiale
Tentakel; Ti, interradiale Tentakel; 7a, adradiale Tentakel; Za, adradiale Lappen; Z, Lappen (sub-
radiale, bei Tesserantha); Zc, Kranzfurche (Fig. 7); Up, perradiale Pedalien; Vi, interradiale Pedalien ;
Ua, adradiale Pedalien; 7, Sinneslappen, 7’, tentakuläre Lappen (Fig. 6); @/, Gastralfilamente
(Fig. 4; resp. Stellen der verschwundenen Septen).
Fig. 2. Tessera, von der oralen Fläche. Schematisch nach HAcckeL, eben so wie die Figg. 3, 4, 5, 7, 8.
gezeigt hat, leicht zu finden. Bei der Gattung Procharagma,
welche HAEcKEL für die ursprünglichste hält, ist der Schirmrand
durch acht Einkerbungen in acht adradiale Lappen getheilt. Zwi-
schen denselben liegen vier perradiale Sinneskolben, und vier
interradiale hohle Tentakel.e. Die Lage der Randlappen, eben so
ihre Beziehungen zu den Tentakeln und Sinneskolben, sind genau
dieselben, wie die der Arme zu den Randpapillen bei den Lucerna-
riden.
Wenn so weit Alles klar ist, und alle Forscher (HAECKEL, CLAUSs,
348 N. Kassianow,
GoETTE) über die Homologie der Lucernaridenarme einig sind, so
wird es anders, wenn wir zu den höheren Tesseronien, Peromedusen
und zu den Ephyronien übergehen.
GoETTE (1887) hält die Arme der Lucernariden den Sinneslappen
der Ephyra für homolog. Er sagt: »Bei den Cubomedusen und
den Pericolpiden kann man sie (die Randlappen) freilich im All-
gemeinen adradial nennen; aber schon bei den Lucernariden können
sie in eine mehr subradiale
‚Ag Stellung rücken (vgl. Lucer-
naria batyphila...) und bei
den Periphylliden stehen sie
durchweg subradial, wie
die soliden Randlappen der
Tesseranthiden. Dadurch
und durch ihre, schon er-
wähnte, paarweise Verbin-
dung zu je einem Stamm-
lappen erweisen sie sich als
Homologa der Rand- oder
Flügellappen der Ephyrae«.
Eine abweichende Auf-
fassung hat Craus (1886),
welcher sagt: »Wenn die
Textfig. 3. acht adradialen Arme der
Tesserantha, von der oralen Fläche. Lucernariden den acht
Randlappen von Pericolpa
gleichwerthig sein sollen, so können die letzteren nicht die ocularen
Lappen sein, denn in Wahrheit entspricht jeder Arm der Lucer-
naria mit seinen geknöpften Tentakeln den zwei einander zugekehr-
ten Hälften eines ocularen und angrenzenden tentakulären Lappen-
paares der Ephyra.«
Weder die eine noch die andere Auffassung halte ich für zu-
treffend. Vielmehr scheint es mir, dass die Arme der Lucernariden
den acht Stamm- oder Hauptlappen der Discomedusen mit ihren
Sinneslappen gar nicht homolog sind. Die 16 Sinneslappen, welche
nicht adradial, wie die Lucernaridenarme, sondern subradial liegen
entstehen ontogenetisch durch Theilung der acht Haupt- oder Stamm-
lappen. Desshalb können wir von den 16 Sinneslappen absehen und
nur die acht Stammlappen (Textfig. 4 St!) berücksichtigen. Dieselben
stehen aber ursprünglich streng per- und interradial, wie die Sinnes-
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Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 349
kolben, welche sie tragen und werden nur später durch die Theilung
in zwei Flügel- oder Sinneslappen (7) breiter und nehmen dann
auch die Subradien in Anspruch. Schon desshalb kann man sie nicht
mit den Lucernarienarmen vergleichen. Das beweist auch die Lage
der Geschlechtsorgane (G). Wenn nämlich die Sinneslappen der
Discomedusen den Armen der Lucernariden und den adradialen
Lappen der Tesseriden und der Charybdeiden entsprechen, so
müssten auch die Gonaden ihnen
gegenüber liegen, denn dieselben
zeigen bei allen erwähnten For-
men die innigsten Beziehungen zu
den adradialen Lappen, was be-
sonders stark bei den Lucernari-
den hervortritt. Bei den Disco-
medusen aber liegen die Genitalien,
wo sie aus acht getrennten Go-
naden bestehen (z. B. Nausithoe&,
Nausicaa), zwischen den Paaren
der Sinneslappen. Dabei kommen
sie gegenüber den adradialen Ten-
takeln zu liegen, welche genau
dieselbe Stelle, wie die adradialen Textfig. 4.
Lappen einnehmen (vgl. Textfigg. 1 Nausicaa, von der oralen Fläche.
und 4). Daraus geht hervor, dass
hier die Tentakel und nicht die Sinneslappen die adradialen Lappen
der niederen Tesseronien vertreten.
Somit sehen wir, dass einige (niedere) Discomedusen eine andere
Richtung in der Ausbildung des Schirmrandes eingeschlagen haben
und anstatt des adradialen die per- und interradialen Stammlappen
entwickeln, welche später sich theilen.
Aber auch bei den Discomedusen fehlt die Bildung der adradialen
Lappen durchaus nicht. Bei den höher stehenden Formen, z. B.
Medusa aurita, tritt nämlich diese Lappenbildung wieder auf. Hier
entstehen zwischen den Stammlappen »Velarlappen« oder »interme-
diäre Lappen«, deren Bildung von Cruaus (1877) beschrieben wurde.
Dieselben werden nachher viel ansehnlicher als die Stammlappen.
Die Velarlappen liegen in der Achtzahl streng adradial und gegen-
über den Gonaden, wie bei den Lucernariden die Arme. Die son-
stige Übereinstimmung des Scyphostoma von Medusa aurita mit
Lucernarien lässt keinen Zweifel, dass die Velarlappen und nicht
350 N. Kassianow,
die Sinneslappen, den Armen der letzteren entsprechen. Bei Me-
dusa aurita ist nur die Entwicklung der adradialen Lappen verzögert
und tritt erst auf, nachdem die Ephyra schon einige Zeit frei ge-
worden ist.
Dass es sich so verhält, beweist mir noch überzeugender die
Familie der Peromedusen, welche eine vermittelnde Stellung zwi-
schen den Tesseronien und den Ephyronien bildet, wie es jetzt all-
gemein angenommen wird. |
Bei dieser Familie treffen wir beide Lappenbildungen, streng
adradiale wie bei den Lucernariden, Tesseriden und Cubome-
dusen, sowie per- und inter-
radiale, resp. subradiale, wie
bei den Ephyronien. Inner-
halb dieser in phylo-
genetischer Hinsicht
hochinteressanten Me-
dusengruppe muss der
Wechsel der beiden Ent-
wicklungsrichtungen in
der Lappenbildung ent-
standen sein, indem die
adradialen Lappen, die eine
Zeit lang neben den Stamm-
lappen der Hauptradien exi-
stirten, durch die letzteren
gewissermaßen besiegt wur-
den und bei höher ent-
wickelten Formen nur noch
Textfig. 5. j
Pericolpa, von der oralen Fläche. ausnahmsweise vorkommen.
Dieses Verhalten wird
meiner Ansicht nach durch die höhere Entwicklung des
Nervensystems und speciell der Sinnesorgane hervorge-
rufen, wie ich es weiter zu zeigen versuchen werde.
Bei den Pericolpiden (Textfig. 5), welche nach HAEckEL tiefer
stehende Peromedusen sind, finden wir noch acht streng adradiale,
stark entwickelte Lappen (La), welche dieselben Beziehungen zu den
Gonaden (G) aufweisen, wie die Lucernaridenarme und welche zuerst
HAECKEL, dann GoETTE mit den letzteren homologisirt haben, dem
man auch nur zustimmen kann. HAEcKEL sagt: »Die vier perradialen
Tentakel und die vier interradialen Sinneskolben derselben (Pericol-
Studien über das Nervensystem der Lucernariden ete. 351
piden) sind aus acht Prineipaltentakeln der Tesseriden entstanden
und daher auch acht Randankern (d. h. Papillen) der Lucernariden
homolog; hingegen entsprechen die acht adradialen, mit jenen alter-
nirenden Randlappen der Pericolpiden den acht hohlen »Armen« der
Lucernarien.«
Nur CrLaus (1886) hat eine andere Meinung: »Die Parallele aber,
welche E. HAEcKEL hinsichtlich der Schirmperipherie zwischen Peri-
colpa und Lucernaria zieht, muss als eine verfehlte betrachtet wer-
den, zumal dieselbe mit der Deutung der Randlappen als Ocularlappen
in direktem Widerspruch steht. Wenn die acht adradialen Arme
der Lucernariden den acht Randlappen von Pericolpa gleich-
werthig sein sollen, so können die letzteren nicht die ocularen Lap-
pen sein, denn in Wahrheit entspricht jeder Arm der Lucernaria mit
seinen geknöpften Ten-
takeln den zwei einan-
der zugekehrten Hälf-
ten eines ocularen und
angrenzenden tentaku-
lären Lappenpaares der
Ephyra.« Da das letz-
tere, wie wir es schon
sesehen haben und
wie ich es weiter be-
sründen werde, nicht
als richtig angesehen
werden kann, so kommt
auch der darauf be-
sründete Schluss in
Wegfall.
So klar diese Ver-
hältnisse bei den Peri- N
colpiden sind, werden
Textfig. 6.
sie aufden erstenBlick Pp eriphylla, von deraboralen Fläche. Schema frei nach HAEckEL.
5 . ö ind ktirt und durch-
viel undeutlieher und Gonaden (G) und Mundöffnung (M) sind punktirt un
schimmernd dargestellt.
komplieirter bei den
Periphylliden, der anderen Abtheilung der Peromedusen. Aber
gerade in dieser Familie liegt die Lösung der ganzen Frage. Die
Periphylliden (Textfig. 6) haben, eben so wie die Pericolpiden
vier Sinneskolben (Rx), aber anstatt acht sechzehn Lappen. Von
diesen sind acht (Sinneslappen, S7) paarweise genähert und schließen
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 24
398 N. Kassianow,
zwischen sich einen Sinneskolben; die anderen acht (tentakulären, 77)
liegen auch subradial, nicht zu Paaren vereinigt, und zwischen ihnen
liegt je ein Tentakel (7p), woher der Name tentakulär. Außerdem
entspringen acht Tentakel (7«) zwischen den Paaren der Sinnes- und
Tentakulärlappen.
HaAEcKEL (1881) sagt: »Der Schirmrand der Periphylliden ist
offenbar dadurch entstanden, dass an die Stelle eines jeden per-
radialen Tentakels drei Tentakel und zwei zwischen diese eingefügte
tentakuläre Randlappen traten. So stieg die Zahl der Tentakel von
4 auf12 und die Zahl der Randlappen von 8 auf16. Die ursprüng-
liche Zahl der vier Sinneskolben bleibt bei allen Peromedusen er-
halten«, und weiter: »Die tentakulären Lappen der Periphylliden
fehlen den Pericolpiden.«
Daraus folgt, dass HAECKEL die adradialen Lappen der Peri-
colpiden den subradial liegenden Sinneslappen der Periphylliden
für homolog hält. Aber der Umstand, dass die ersteren streng ad-
radial und die letzteren subradial liegen, spricht schon gegen diese
Auffassung; außerdem zeigen die Lappen der Pericolpiden die
typischen Beziehungen zu den Gonaden, ähnlich wie bei den Lucer-
nariden, was bei den subradialen Sinneslappen der Periphylliden
nicht der Fall ist (vgl. Textfig. 5 und 6). Wenn wir weiter darauf
achten, dass diese Sinneslappen paarweise genähert sind und für
einen getheilten Hauptlappen angesehen werden können (also es sind
hier außer den acht tentakulären Lappen eigentlich nur vier Stamm-
lappen), so wird die Unmöglichkeit dieselben mit den acht adradialen
Lappen der Pericolpiden zu vergleichen, noch deutlicher. Von
der Zusammengehörigkeit der je zwei subradialen Sinneslappen zu
einander kann man auf den Abbildungen, welche Maas (1897) von
den Periphylliden giebt (Taf. IX, Fig. 2; Taf. XI, Fig. 1) sich deut-
lich überzeugen. Diese Abbildungen sind zum Theil nach den leben-
den Thieren angefertigt, wesshalb die Größen- und Lageverhältnisse
der Randlappen natürlicher sein müssen, was auch Maas sagt, als
auf HAEckEL’s Abbildungen, welche nach konservirten, mehr oder
weniger kontrahirten Thieren gezeichnet sind. Desshalb tritt der
Unterschied in den Lappenbildungen auf Harcker’s Abbildungen
nicht so deutlich hervor.
Wenn wir aber auch die Auffassung, dass die acht adradialen
Pericolpalappen ihre Homologa in den acht Sinneslappen der Peri-
phylliden haben, trotz ihrer Unwahrscheinlichkeit annehmen wollten,
so würden doch nur vier interradiale Haupt- oder acht Sinneslappen
Studien über das Nervensystem der Lucernariden ete. 353
der Discomedusen ihre homologen Bildungen bei den Lucernariden
haben. Dann würden aber auch die perradialen und die interradialen
Stammlappen der Discomedusen auf verschiedene Weise entstanden
sein, was bei den so streng radiärsymmetrisch gebauten Thieren wohl
kaum möglich ist.
Noch unwahrscheinlicher aber, ja entschieden unhaltbar wird
diese Auffassung durch die folgenden Betrachtungen, welche von
Craus (1886) herrühren. CrAaus meint nämlich, dass die adradialen
Randlappen der Pericolpiden nicht den acht Sinneslappen der
Periphylliden, sondern den tentakulären Lappen der letzteren ent-
sprechen, während HAEckEL tentakuläre Lappen den ersteren abspricht,
und, wie wir es noch sehen werden, mit Recht. Die Sinneslappen
der Periphylliden, welche in in-
niger Beziehung mit den Sinnes-
kolben stehen, sind nach CrLAus’
Ansicht schon bei den Peri-
colpiden angedeutet und von
HAECKEL auch gezeichnet, aber
nicht erwähnt worden. Wenn
wir die Kopie der HaAEcKEL-
schen Abbildung von Pericolpa
(Textfig. 7) betrachten, können
wir wirklich sehen, dass die
Sinneskolben nicht direkt auf
dem Schirmrand, zwischen den
adradialen Lappen, sondern
gleichfalls auf Lappenvorsprün-
Senn liesensdiernar. nieht so’ weit, \\' II II: 14
vorragen. Dass dies selbständige
Lappen sind, beweisen die Pe-
dalien (CLAus). Jeder dieser vier
Lappen, welche wir demnach
als Hauptlappen bezeichen können, besitzt gleich den übrigen
Lappen ein gut entwickeltes Pedalium (Ui). Dasselbe wird, wie das
der übrigen Lappen, durch eine Längsfurche zweigetheilt; eben so
theilt eine quere Furche es in einen oberen und unteren Theil.
Demnach kann es keinem Zweifel unterliegen, dass diese letzter-
wähnten vier unscheinbaren Lappen der Pericolpiden den vier
Stammlappen der Periphylliden, welche zwischen ihren Sinnes-
lappen je einen Sinneskolben tragen (vgl. Textfigg. 7 und 6), ent-
24*
Textfig. 7.
Pericolpa, in der seitlichen Ansicht.
354 N. Kassianow,
sprechen. Sie sind nur viel kleiner, als die der Periphylliden und
nicht so deutlich in zwei Sinneslappen getheilt.
Jetzt muss festgestellt werden, was sind die acht tentakulären
Lappen der Periphylla. Sie könnten den acht adradialen Lappen
der Pericolpa entsprechen und nur durch die stärkere Entwicklung
der Sinneslappen der interradialen Stammlappen, welche bei Peri-
colpa wenig entwickelt sind, aus der streng adradialen in eine
subradiale Lage verschoben sein. Diese Ansicht haben CrAus und
GOETTE. Dieselbe erscheint aber mir nicht zutreffend: Erstens kann
bei so allseitig symmetrisch gebauten Thieren, wie die Acalephen,
eine solche Verschiebung, welche die strenge Symmetrie erheblich
stören würde, kaum vorausgesetzt werden.
Zweitens, an der Stelle, wo bei Pericolpa adradiale Lappen sich
befinden, findet man bei Periphylla einen Tentakel (Textfig. 6 7a).
Demnach muss dieser die ersteren vertreten. Das wird noch klarer
dadurch, dass dieser Tentakel auch dieselben Lagebeziehungen zu
den Gonaden (G) hat, wie die adradialen Lappen der Pericolpa.
Es scheint überhaupt, dass, wenn ein Auswuchs des Schirmrandes,
sei es ein Lappen oder ein Randkörper, nicht ausgebildet oder ver-
schwunden ist, derselbe durch einen Tentakel ersetzt wird. So auch
in diesem Falle. Dann sind bei Charybdea, bei welcher nur vier
Randkörper vorhanden sind, die fehlenden vier interradialen durch
je einen Tentakel vertreten. Bei den Discomedusen werden auf diese
Weise die verschwundenen adradialen Lappen ersetzt (Textfig. 4 Ta).
Eben so stehen bei Periphylla an der Stelle der fehlenden per-
radialen Randkörper je ein Tentakel (Texfig. 6 7p). Selbst in der
Ontogenie der Medusa aurita sehen wir, dass die Sinneslappen
durch Tentakel präformirt sind (CLAus, HAECKEL, GOETTE), so dass
HAECKEL die Ansicht sogar aussprechen konnte, dass die letzteren in
die ersteren direkt sich umwandeln — eine Ansicht, die sich aller-
dings nicht bestätigt hat. Daraus geht hervor, dass man diese ad-
radialen Tentakel der Periphylla durchaus nicht überspringen und
außer Acht lassen kann. Wenn aber die adradialen Lappen der
Pericolpa den adradialen Tentakeln von Periphylla ent-
sprechen, müssen die tentakulären Lappen Neubildungen
sein.
Noch überzeugender beweist mir das die Zahl der Pe-
dalien. Pericolpa (Textfig. 7) hat 12 solche, Periphylla (Text-
figur 6) 16, entsprechend der Zahl der Lappen. Wenn alle Lappen
der Periphylla aus den Lappen der Pericolpa entstanden sein sollen,
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 355
so müsste auch die erstere nur 12 und nicht 16 Pedalien besitzen.
Neue vier Pedalien könnten nur durch acht, neu zugetretene, ten-
takuläre Lappen gebracht werden. Wenn wir den Vorgang uns so
vorstellen, dass die adradialen Lappen der Pericolpa gänzlich ver-
schwunden, aber die ihnen zugehörigen Pedalien zurückgeblieben,
dass weiter acht neue tentakuläre Lappen hinzugetreten sind, von
welchen je zwei benachbarte ein Pedalium gebracht haben, bekommen
wir für die Pedalien die Zahl 16. Warum von den acht tentakulären
Lappen je zwei nur ein Pedalium gebracht haben, wird verständlich,
wenn wir bedenken, dass je ein Paar derselben einem Paar der
Sinneslappen der höheren Medusen, welche auch nur ein Pedalium
haben (Nauphanta), entspricht, eben so wie der Tentakel, welchen sie
einschließen, dem Randkörper der anderen höheren Acalephen ho-
molog ist.
Außer der Zahl beweist das auch die Lage der Pedalien.
Jedes Paar, sowohl der tentakulären Lappen, wie auch der Sinnes-
lappen, trägt nämlich auf seiner umbrellaren Seite außer dem eigenen,
sich gabelig auf beide Lappen fortsetzenden Pedalium, noch die
Gabelenden der zwei benachbarten (Textfig. 6 Up, Ur, Ua).
Diese von Pericolpa so abweichenden Verhältnisse kann man
folgendermaßen erklären. Die Schirmperipherie ist bei Periphylla
durch die acht ursprünglichen breiten und die acht zugetretenen
tentakulären Lappen ganz in Anspruch genommen, so dass anstatt
der breiten adradialen Lappen von Pericolpa nur vier schmale Ten-
takel Platz finden können. Entsprechend der ansehnlichen Ent-
wicklung der Lappen sind auch die denselben zugehörigen Pedalien
breit und nehmen den größten Theil der Exumbrella ein. Desshalb
müssen die Pedalien, welche den verschwundenen adradialen Lappen
zugehörten, durch die Pedalien der Tentakular- und Sinneslappen
sedrängt, auf die letzteren aufwachsen (Textfig. 6 Ua).
Auf diese Weise bekommen wir Verhältnisse, wie sie bei Peri-
phylla vorhanden sind. Dadurch wird sowohl die Zahl wie auch die
Lage der Pedalien erklärt.
Der perradiale Tentakel (Textfig. 6 7p) von Periphylla, welcher
zwischen den subradialen tentakulären Lappen steht, wandelt sich
schon bei Nauphanta (Textfig. 8 Rp) in den Sinneskolben um, wo-
durch die tentakulären Lappen zu Sinneslappen werden.
Diese interessante Meduse zeigt in der Ausbildung der Schirm-
peripherie genau dieselben Verhältnisse wie die ephyraähnlichen
Discomedusen. Aber durch das Vorkommen der Pedalien (Up, Ui,
356 N. Kassianow,
Ua) erinnert sie an die Peromedusen, wie es HAECKEL erkannt hat.
Dadurch nimmt sie eine vermittelnde Stellung zwischen den letzteren
und den Discomedusen ein, so dass VANHÖFFEN (1891) sie mit den
Periphylliden und einem Theil der Discomedusen zu einer Gruppe
»Coronata« zusammengestellt hat. Mit der Ausbildung der vier per-
radialen Sinneskolben, wodurch die für die höheren Acalephen typi-
sche Achtzahl derselben er-
reicht ist, ist auch jeder
Unterschied zwischen den
einzelnen Lappen bei Nau-
phanta verschwunden; alle
16 Lappen sind deutlich
paarweise genähert. Die
verschwundenen adradialen
Lappen sind auch hier durch
adradiale Tentakel (7«) an-
gedeutet, welche in typi-
scher Weise den Gonaden
(G) gegenüberstehen. Eben
so ist die Zahl der Pedalien
dieselbe wie bei Periphylla,
wesshalb man auch nicht
zweifeln kann, dass die ten-
Textfig. 8. takulären Lappen der letz-
Naup Hanke, yansden no aan mit duel- teren den perradialen Sinnes-
lappenpaaren von Nauphanta
homolog sind. Die Lage der Pedalien ist ebenfalls ganz genau über-
einstimmend.
Wenn aber die tentakulären Lappen von Periphylla
den perradialen Sinneslappenpaaren von Nauphanta und
somit auch denen aller höheren Acalephen entsprechen, da-
gegen den adradialen Lappen von Pericolpa und somit
auch den adradialen Armen der Lucernariden nicht ho-
molog sind, so können auch die letzteren den Sinneslappen
der Discomedusen niemals homolog sein. So muss man auch
auf diesem Wege zu derselben Ansicht kommen, wie bei dem direkten
Vergleiche der Lappenbildungen.
Nehmen wir auch an, dass die adradialen Lappen von Pericolpa
bei Periphylla nicht verschwunden sind, sondern in subradiale Lage
verdrängt wurden, obwohl das Vorhandensein des adradialen, die
N
Studien über das Nervensystem der Lucernariden ete. 357
adradialen Lappen von Perieolpa ersetzenden Tentakels und die
Zahl und die Lage der Pedalien es keineswegs erlauben, und nehmen
wir ferner an, dass sie bei Nauphanta und höheren ‚Discomedusen
zu Sinneslappen wurden, so bekommeu wir bei den letzteren
wiederum nur acht, den acht Lucernaridenarmen homologe, Sinnes-
lappen. Die anderen acht, und zwar die, welche die interradialen
Stammlappen bilden, würden grundverschieden sein und keine Ho-
mologa bei den Lucernariden besitzen. Schon desswegen würde diese
Auffassung urhaltbar sein.
Somit sehen wir, dass adradiale Lappenbildungen bei den nie-
deren Seyphomedusen, den Lucernariden, Tesseriden, Cubo-
medusen und noch bei den Pericolpiden herrschen. Schon von
der anderen Peromedusenfamilie an, den Periphylliden, ver-
schwinden diese Lappenbildungen vollständig, um nur bei einigen
höheren Discomedusen (z. B. Aureliden, Rhizostomiden) wieder
aufzutauchen. Bei höheren Discomedusen werden die adradialen
Lappenbildungen durch in Hauptradien stehende Stammlappen, welche
gewöhnlich in zwei Sinneslappen getheilt sind, ersetzt. Der Anfang
dieser Lappenbildung begegnet uns schon bei Pericolpa, aber noch
wenig entwickelt. Schon bei Periphylla verdrängen sie die ad-
radialen Lappen vollständig und herrschen vor bei Nauphanta, den
meisten Cannostomen und einfachen Semostomen.
Diese Lappenbildung steht offenbar in innigster Beziehung zu
der Ausbildung der typischen Sinnesorgane. Wo dieselben fehlen
(Lucernariden, Tesseriden) oder nur in Vierzahl vorhanden sind (Cu-
bomedusen, Pericolpiden) herrscht adradiale Lappenbildung. Wenn
die Achtzahl der Sinnesorgane erreicht ist, treten alle Lappen in
innige Beziehungen zu den Randkörpern, in Bezug auf welche sie
Träger und Schutzorgane darstellen, aber auch einen Theil des zu den-
selben gehörigen Nervensystems (z. B. bei Oyanea annaskala nach
LENDENFELD [1882]) tragen. Desshalb müssen sie auch größer werden
und die adradialen Lappen verdrängen. Das ist schon bei Peri-
phylla der Fall, obwohl hier nur vier Randkörper vorhanden sind,
weil schon hier die Sinneslappen der interradialen Stammlappen in
innige Beziehungen zu den Randkörpern getreten und dem entsprechend
größer geworden sind, wodurch die adradialen Lappen keinen Platz
finden konnten.
Das Wiederauftauchen der adradialen Lappen bei einigen höheren
Medusen, wo sie neben den perradialen und interradialen Sinnes-
lappenpaaren vorkommen, dürfte dureh die bedeutende Größe, welche
358 N. Kassianow,
diese Acalephen erreichen, im Vergleich zu welcher die Randkörper
sehr klein erscheinen, erklärt werden. |
Aus dem, was über die Homologie der Arme und Randlappen
gesagt wurde, müssen wir ferner schließen, dass das Nervensystem
der Lucernariden mit dem der übrigen Scyphomedusen, wo es be-
kannt ist, nicht direkt homologisirt werden kann. Abgesehen da-
von, dass die Nervencentren der Lucernariden nicht an die Rand-
körper gebunden sind, liegen sie sogar an Gebilden (Armen), welche
wir nicht einmal als den Sinneslappen der Acalephen homolog auf-
fassen können. Die Nervencentren der Lucernariden einerseits
und die der Cubo-, Pero- und Discomedusen andererseits haben sich
unabhängig von einander entwickelt, aber in paralleler Richtung,
weil in beiden Fällen (mit Ausnahme der Cubomedusen) das Nerven-
system aus getrennten Nervencentren besteht, im Gegensatz zu dem
der Hydromedusen.
Die Lucernariden zeigen uns weiter, dass das Nervensystem
der Seyphomedusen überhaupt auf das der Hydromedusen nicht zu-
rückgeführt werden kann. Denn, wenn das Nervensystem schon
bei der ursprünglichsten aller Scyphomedusen aus acht getrennten
Centren besteht, so muss man annehmen, dass es auch von vorn
herein in dieser Medusenklasse eine andere Entwicklungsrichtung ein-
geschlagen hat als bei den Hydromedusen. Übrigens konnte man
das schon auf Grund des Vergleiches der gesammten Organisation
erwarten.
Aus dem Vergleich des Nervensystems der Lucernariden mit
dem der anderen Scyphomedusen geht weiter hervor, dass es bei
den ersteren weniger entwickelt ist, als bei den letzteren, wie es
auch anders nicht sein kann. Vor Allem fehlt hier noch die Kon-
centrirung des exumbrellaren Nervensystems zu besonderen Sinnes-
organen, wie die Riech- oder Geschmacksgruben der Discomedu-
sen. Vielmehr funktionirt die ganze äußere Körperfläche als ein
diffuses Sinnesorgan. Dagegen enthält das subumbrellare Ektoderm
schon stellenweise ein besonderes Nervengewebe; es sind hier moto-
rische Nervencentren ausgebildet. Motorische Nervencentren sind für
die Organismen wichtiger und desshalb treten sie früher auf, als die
sensiblen, welche nur höheren Formen zukommen. Die Lucernariden
brauchen außerdem bei ihrer festsitzenden Lebensweise die sen-
siblen Nervencentren nicht in dem Maße, wie die freischwimmenden
Medusen.
Doch fehlen auch den Lucernariden die Sinnesorgane nicht ganz.
Studien über das Nervensystem der Lucernariden ete. 359
Hier funktioniren als solche die Tentakel und die tentakelartigen
Randpapillen. Doch sind es keine vollständigen Sinnesorgane, denn
die Tentakel dienen auch zur Vertheidigung, zum Ergreifen der Beute,
sowie zur Lokomotion. Auch kommt ihnen hauptsächlich der Tast-
sinn zu. Dagegen fehlen die specifischen Sinnesorgane, Gehör-
(Gleichgewichts-) und Sehorgane, wie sie den höheren Medusen
(Cubo-, Pero- und Discomedusen) zukommen. Also auch in der
Ausbildung der Sinnesorgane stehen die Lucernariden auf der
tiefsten Entwicklungsstufe, welche über die der Actinien sich nicht
erhebt.
Schon die nächstverwandten Tesseriden besitzen Augenflecke.
Eine successive Entwicklung der Sinnesorgane vermögen wir im
System der Scyphomedusen nicht zu verfolgen, denn zwischen den
Tesseriden und den nächst höheren Formen besteht in dieser Be-
ziehung eine weite Lücke. Abgesehen von den Charybdeiden,
welche ein so hoch entwickeltes Nervensystem und Sinnesorgane
besitzen, die aber vielleicht ein Seitenzweig im Stammbaume der
Sceyphomedusen sind (CrAus [1878], Maas [1897)), haben auch die
Peromedusen viel höher entwickelte Sinnesorgane als die Tesse-
riden und unterscheiden sich in dieser Beziehung nicht erheblich von
den Discomedusen {Nausitho&@ z. B., s. HAEcker [1881], Maas [1897)).
0. Anhang.
l. Septen.
Bis jetzt haben die meisten Forscher angenommen, dass in den
Septen der Lucernariden die Gallerte der Exumbrella kontinuirlich
in die der Subumbrella übergeht. Bei meinen Untersuchungen fand
ich jedoch, dass es sich nicht ganz so verhält. Bei Lucernaria
campanulata z. B. beobachtet man, dass durch die Dicke des
Septums und zwar in seiner ganzen vertikalen Ausdehnung, eine
sehr dünne Protoplasmalage verläuft. Durch dieselbe werden hier
die exumbrellare und subumbrellare Gallerte von einander scharf ge-
schieden. Zu gleicher Zeit aber stehen dadurch die Entodermbeklei-
dungen der benachbarten Radiärtaschen in Verbindung. In dieser
protoplasmatischen Verbindung findet man keine Kerne; dem ent-
sprechend sind es auch keine Zellen, sondern die Protoplasmalage
wird von Fortsätzen der Entodermzellen gebildet, welche das Septum
an seinen Seiten, in der Mitte seiner Breite, bekleiden und welche
sich durch besondere Größe auszeichnen. Bei Lucernaria campa-
360 N. Kassianow,
nulata findet man gewöhnlich jederseits eine solche Zelle, welche
weit in die Gallerte eindringt. Wenn das Septum ziemlich dünn ist
(Fig. 10, Taf. XXIII), können die beiden Zellen direkt zusammen-
stoßen, und das ist der häufigere Fall. Ist es dicker, so wird das
direkte Aneinanderstoßen nicht so deutlich: man bemerkt nur eine
dünne, körnige Protoplasmalage, welche beide Zellen verbindet.
Dieselben Verhältnisse findet man bei Craterolophus tethys
und Halielystus octoradiatus. Die Entodermzellen, welche jeder-
seits (in Ein-, Zwei-, seltener Dreizahl) das Septum in der Mitte
seiner Breite begrenzen (Fig. 11, Taf. XXI), sind auch hier etwas
srößer, blasig und ohne sich färbenden Inhalt, worin sie den Ento-
dermzellen des Tentakelstieles gleichen. Ihre Basen dringen in die
Septalgallerte, bis sie an einander stoßen, wodurch der Querschnitt
des Septums in zwei Zapfen getheilt erscheint. Dass dadurch die
exumbrellare (Zg) und subumbrellare (Sg) Gallerte von einander ge-
schieden werden, ergiebt sich aus der verschiedenen Beschaffenheit
der beiden Gallertpartien, was weiter unten beschrieben wird (siehe
Struktur der Gallerte). Auch verhalten sich beide verschieden zu den
Färbungsmitteln, indem die exumbrellare Gallerte der Körperwand
und ihre direkte Fortsetzung, welche den äußeren Theil des Septums
bildet, sich intensiver färben als die Gallerte der Subumbrella und
der inneren, subumbrellaren Septumhältte.
CLark (1881) erwähnt zwar diese Scheidung beider Gallertschich-
ten, beschreibt aber ein unmittelbares Aneinanderstoßen derselben; die
protoplasmatische Durchsetzung des Septums wird nicht erwähnt.
Der Bau der Septen ist aber von Wichtigkeit für die Beur-
theilung der verwandtschaftlichen Beziehungen der Lucernariden und
der anderen Scyphomedusen. Es ist nämlich die Frage aufgeworfen
worden, ob die Septen der ersteren solchen (resp. den Septalknoten)
der letzteren homolog sind und ob sie weiter von den Septen der
Seyphostoma direkt sich ableiten lassen, oder sekundäre Verlöthungen
der beiden Entodermlagen der Radiärtaschen darstellen. Bei anderen
Tesseronien hat man in den Septen und den Septalknoten eine Me-
dusoidplatte gefunden, welche für eine solche Verlöthung sprechen
würde. Bei Charybdea z. B., welche allein unter allen Tesseronien
(mit Ausnahme der Lucernariden) sehr gut ausgebildete, durch die
ganze Höhe der Glocke hinziehende Septen besitzt, hat CLAus (1878)
eine aus einer Zellreihe bestehende Medusoidplatte beschrieben und
abgebildet. Daraus schließt er, dass die Lucernaridensepten mög-
licherweise denen der Charybdea nicht homolog seien.
Studien über das Nervensystem der Lucernariden ete. 361
Nun hat aber GoErrE (1887) die Vermuthung ausgesprochen,
dass eine solche Medusoidplatte auch auf andere Weise, als durch
Verlöthung, entstehen kann, nämlich: »in Folge einer Verdiekung
des Anfangs dünnen Septums durch eindringende Gallerte kann eine
Verlöthung der zusammenstoßenden Entodermfalten sehr wohl hinzu-
kommen, ohne die genetische Bedeutung des Septums zu verändern«.
Diese Vermuthung sucht er durch ein Schema zu illustriren. Ob
die Trennung in zwei Hälften auch bei den Lucernaridensepten auf
diese Weise erklärt werden kann, wird wohl nur das Studium der
Entwicklung sicher entscheiden können.
2. Zellplatte.
Auf Radiärschnitten durch den Becherrand der Lucernariden sieht
man unterhalb des Randmuskels eine Reihe von Zellen, welche vom
Dextfie 9.
Schema, welches den Verlauf der Zellplatte auf dem Becherrand und den Armen zeigen soll. Aw, Arm-
wulst; Gr, Gastralraum der Randpapille; Ze, Ektoderm; Zg, exumbrellare Gallerte; Zr, Entoderm;
Ex.T, exumbrellar stehende Tentakel; Zx.w, exumbrellare Körperwand; Rm, Randmuskel im Querschnitt ;
Rp, Randpapille; Aw, Randwulst; Sd.w, subumbrellare Körperwand; Sg, subumbrellare Gallerte;
Zp, Zellplatte (schraffirt).
Ektoderm der Exumbrella zum Entoderm derselben durch die Gal-
lerte hinziehen (Textfig. 9 Zp). Da diese Zellreihe auf allen Schnitten
362 N. Kassianow,
vorkommt, so haben wir es mit einer Zellplatte zu thun, welche
die Gallerte, vom Entoderm zum Ektoderm schräg nach außen auf-
steigend, durchsetzt. Der Verlauf dieser Zellplatte wird durch das
Schema (Textfig. 9 Zp, schraffirt) erläutert. Wo der Schnitt die Rand-
papille, 7%» (Craterolophus tethys, Halielystus octoradiatus), welche
zwischen den Armen, unter dem Randmuskel (%m) sich befindet,
trifft, sieht man die Zellplatte ebenfalls; sie zieht hier nicht un-
mittelbar unter dem Randmuskel, sondern vom Ektoderm der Rand-
papillenbasis zum Entoderm der Gastralhöhle derselben. Wir müs-
sen uns ihren Verlauf hier so vorstellen, dass sie ihren Platz unter
dem Randmuskel verlässt (Textfig. 9) und auf die exumbrellare Seite
des kurzen Stieles der Randpapille heraufsteigt. Diesen umzieht sie
in einem Halbkreis und steigt auf der anderen Seite des Stieles
wieder auf die Becherwand herab.
An der Basis eines Armes angelangt, steigt die Zellplatte auch
auf diesen hinauf (Textfig. 9 Aw). Am besten nimmt man sie auf
Querschnitten wahr. Zum Beispiel auf dem Querschnitt durch den
Arm von Halielystus octoradiatus (Fig. 2, Taf. XXIII) befindet sie (Zp)
sich zu beiden Seiten an der Grenze der exumbrellaren und sub-
umbrellaren Wand, auf der exumbrellaren Seite des Randmuskel-
querschnittes (Rm). Die Zellplatte zieht bis zum oberen Ende des
Armes. Hier biegt sie rechtwinklig um (Textfig. 9) und umzieht
horizontal den exumbrellaren Umkreis des Armes, basal von den
äußeren, exumbrellar stehenden Tentakeln (ZxT). Auf einem Radiär-
schnitt durch den Arm (Fig. 7, Taf. XXIH bei x) trifft man sie un-
mittelbar unterhalb der äußeren Tentakel, vom Ektoderm der Ex-
umbrella zum Entoderm des Tentakelstieles hinziehend, als eine ein-
fache Zellreihe. Auf der anderen Seite des Armes (Textfig. 9) biegt
sie natürlich wieder rechtwinklig basalwärts um und zieht bis zum
Becherrand hinab.
Wo Tentakel mit modifieirtem Ektoderm der Stiele vorkommen
(Craterolophus tethys, Lucernaria campanulata), muss die Zellplatte
basalwärts von diesen Tentakeln gesucht werden, weil letztere eben-
falls exumbrellar stehen.
Die Höhe der Zellplatte hängt von der Dicke der Gallerte an
der betreffenden Stelle ab. Fast immer besteht sie aber (im Radiär-
schnitt gesehen) nur aus wenigen Zellen. Bei Halielystus octo-
radiatus an den mittleren Radiärschnitten durch die Randpapille
wird sie sogar nur aus einer einzigen, aber großen Zelle (Fig. 8,
Taf. XXIII; bei stärkerer Vergrößerung auf Fig. 5, Taf. XXV) ge-
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 363
_ bildet. Zu beiden Seiten der Medianebene der Randpapille ist sie
jedoch höher (Fig. 3, Taf. XXV). Bei Craterolophus tethys ist
die Zellplatte auch in der Medianebene der Randpapille aus mehreren
Zellen zusammengesetzt.
Bei Halielystus octoradiatus und Lucernaria campanu-
lata sind die die Zellplatte zusammensetzenden Zellen von blasiger
Beschaffenheit; sie sind rundlich (Fig. 3, Taf. XXV), haben einen
runden Kern und färben sich kaum. Nur um den Kern sieht man
eine schwache Ansammlung von körmnigem, sich färbendem Proto-
plasma. Darin ähneln sie den Entodermzellen der Tentakelstiele.
Bei Craterolophus tethys fehlt diese blasige Beschaffenheit und
die Zellen färben sich intensiver und gleichmäßiger.
Die Zellplatte wird gebildet durch Verlängerung von Ektoderm-
zellen, wovon ich mich besonders gut bei Craterolophus tethys über-
zeugen konnte. Fig. 2, Taf. XXV stellt einen Theil eines Quer-
schnittes durch den Becherrand dar, auf welchem der Randmuskel
(Rm) längs getroffen ist. Die Zellplatte (zp) ist hier da getroffen,
wo sie rechtwinklig umbiegend auf den Arm aufsteigt (s. Schema,
Textfig. 9, wo die entsprechende Stelle durch die Linie ad bezeichnet
ist. Man sieht deutlich, wie die einzelnen Zellen des exumbrellaren
Ektoderms, welche in dem von dem Armwulst (Aw) und der Becher-
wand gebildeten Winkel (bei z) liegen, verlängert sind, in die Gallerte
eindringen und zum Entoderm ziehen. Dabei trennen sie die exum-
brellare Gallerte der Armbasis (Aw) von der entsprechenden Schicht der
Becherwand, welche hier die Fortsetzung der subumbrellaren Gallerte
ist (vgl. Schema und Beschreibung der Gallerte weiter unten).
Dass die Zellplatte von Ektodermzellen gebildet wird, geht auch
daraus hervor, dass sie sich verschmälert, bevor sie an das Ento-
derm herantritt und als feine protoplasmatische Lage, welche keine
Kerne mehr enthält, das Entoderm erreicht (Fig. 2, Taf. XXV).
In derselben Region sind die Ektodermzellen, welche an die
Zellplatte angrenzen (Fig. 2, bei x), Sinneszellen, die zu dem Ende
des Randmuskels hinziehen, wie es schon bei Beschreibung der Sub-
umbrella berichtet wurde. Diese Sinneszellen haben aber keine nähere
Beziehung zur Zellplatte, deren Zellen keinen nervösen Charakter
zeigen, was besonders bei Lucernaria campanulata und Halielystus
oetoradiatus leicht zu erkennen ist, wo sie blasig erscheinen. Ein-
zelne Nervenfasern — Fortsätze der erwähnten Sinneszellen — be-
gleiten dieselben aber eine Strecke weit (Fig. 2, Taf. XXV), und
erreichen möglicherweise mit ihnen das Entoderm.
364 N. Kassianow,
Vielleicht hat die Zellplatte dieser Körperregion auch eine Be-
deutung als Anheftungsstelle für den Randmuskel. Die basale Partie
desselben, deren Fasern sich nicht auf die Arme fortsetzen, sondern
an den Basen der benachbarten Arme endigen, verjüngt sich an ihren
beiden Enden zu den Seiten der Armbasen, und läuft schließlich in
einen fadenartigen Fortsatz aus (Fig. 2, Taf. XXV). Dieser stielartige
Fortsatz tritt mit der Zellplatte in Verbindung, da wo diese an das
Entoderm gelangt.
Nur in dieser Region jedoch könnte die Zellplatte eine solche
Rolle spielen. Was für eine Bedeutung sie im Allgemeinen besitzt,
ob sie mit der Ernährung der Gallerte oder als mechanische Stütze
dient, vermag ich nicht zu entscheiden. Vielleicht kann sie als An-
tagonist des Randmuskels funktioniren, indem sie dem Becherrand
und den Armen, welche durch den Randmuskel kontrahirt sind, ihre
normale Beschaffenheit wieder anzunehmen hilft. Die Entoderm-
zellen der Tentakelstiele, die ähnlich gebaut sind, wie die Zellen der
Platte, wirken auch als Antagonisten der Tentakelmuskulatur. Für
diese Auffassung könnte auch der Umstand sprechen, dass die Zell-
platte überall die Muskeln begleitet. Dagegen ist jede Möglichkeit
auszuschließen, dass sie eine Kommunikation des Gastralraumes mit
der Außenwelt herstelle.
Nur bei CLArk (1881) und ScHtLArer (1891) finden sich einige
Angaben über die Zellplatte.
CLARK beschreibt sie am eingehendsten. Er hat die einzelnen
Stellen, wo sie auftritt, richtig bemerkt, nur hat er den Zusammen-
hang dieser Stellen nicht erkannt und desshalb den kontinuirlichen
Verlauf der Platte übersehen; auch findet man bei ihm nichts über
die Histologie der Zellplatte. Er bemerkt ganz richtig, dass sie
überall die exumbrellare und subumbrellare Gallerte von einander
trennt. Das kann man gut an der verschiedenen Beschaffenheit
beider erkennen, was weiter unten bei der Beschreibung der Gallerte
erörtert wird.
ULARK meint, dass die Zellplatte eine Fortsetzung der Muskel-
lage (CLARK’sS Opsomyoplax) ist, welche das subumbrellare Ekto-
derm (»Opsophragma«) unterlagere. Nach meinen Präparaten ist zu
schließen, dass sie vom exumbrellaren Ektoderm gebildet wird (Fig. 2,
Taf. XXV). Gegen GLARK spricht auch der Umstand, dass das sub-
umbrellare Ektoderm, an welches die Zellplatte angrenzt, nicht
immer Muskeln enthält (Fig. 8, Taf. XXIII; Fig. 5, Taf. XXV). Unter
den äußeren Tentakeln ist sie sogar von dem Muskelepithel der
Studien über das Nervensystem der Lucernariden ete. 365
_ Tentakel durch das Nervenepithel getrennt (Fig. 7, Taf. XXIII, bei 2);
außerdem besitzen die verdiekten und modifieirten Stiele der äußeren
Tentakel von Craterolophus tethys und Lucernaria campanulata keine
Muskulatur auf der exumbrellaren Seite. Jedenfalls wird die Zell-
platte nicht von Muskelzellen gebildet, was aus dem oben beschrie-
benen blasigen Charakter der Zellen bei Halielystus octoradiatus und
Lucernaria campanulata deutlich hervorgeht.
SCHLATER beschreibt die Zellplatte im Stiel der Randpapille
von Halielystus auricula und bildet sie richtig ab. Nur hat er ein-
zelne Bilder unrichtig kombinirt, wesshalb auch seine Beschrei-
bung des Verlaufes der Zellplatte nicht ganz zutrifft. Er sagt: »Un-
mittelbar am Rande des Halielystuskörpers in der Nähe des Rand-
körperchens in der Ringmuskulatur seinen Anfang nehmend, verläuft
dieses Gebilde als einschichtige Zellenplatte in der Gallertsubstanz,
umhalst den aus dem Gastralraum in den Hohlraum des Randkörpers
führenden Kanal, an dieser Stelle seitwärts mit dem Ektoderm des
Stieles in Verbindung (Fig. 18) tretend, läuft dann eine kurze Strecke
weit an der unteren Fläche des Entoderms entlang, geht in dasselbe
theils über, macht sodann eine Biegung rückwärts nach unten und
geht an der unteren Fläche des Randkörpers ins Ektoderm über.«
Worin diese Beschreibung nicht zutreffend ist, ergiebt sich aus dem
Vergleich derselben mit meinem Schema (Textfig. 9).
Die Zellplatte soll nach SCHLATER als »eine Stützplatte für das
herabhängende Randkörperchen« dienen und die Gastralhöhle der
Papillen öffnen und schließen, einem Diaphragma vergleichbar.
Eine solche Verbindung des Ektoderms mit dem Entoderm durch
eine Zellplatte ist nicht auf die Lucernariden allein beschränkt,
wie mir die Litteratur zeigt. Bei Charybdea marsupialis be-
schreibt OLAus (1878) eine ganz ähnliche Zellplatte. Auf einem Radiär-
schnitt durch den Glockenrand (CLAus, Fig. 39, Taf. IV) sieht man
sie oberhalb des Velums; sie trennt auch hier die exumbrellare
Gallerte von der subumbrellaren. Fig. 40 von Craus, welche einen
Querschnitt durch die Glocke am Rande derselben darstellt, entspricht
meiner Fig. 2, Taf. XXV. Die Zellplatte besitzt hier eine ganz über-
einstimmende Lage und trennt ebenfalls die subumbrellare Gallerte,
welche über den Glockenrand auf die obere Fläche sich fortsetzt wie
bei den Lucernariden, von der exumbrellaren.
Diesen »Parenchymstreifen« betrachtet CLaus als Verwachsung
einer Gefäßfalte, also entodermalen Ursprungs. Da dieser sogenannte
Parenchymstreifen wohl ohne Zweifel der Zellplatte der Lucernariden
366 N. Kassianow,
entspricht, letztere aber sicher ektodermalen Ursprungs ist, so muss
wahrscheinlich auch bei Charybdea das Entstehen dieser Verbin-
dung anders gedeutet werden.
Eımer (1878) hat eine ähnliche Verbindung von Entoderm und
Ektoderm (z. B. in der Randkörpertasche) bei einigen Acalephen nach-
gewiesen. Er nennt sie Verbindungsblätter (p. 191) und vergleicht
sie den Verbindungsblättern, welche Gefäße mit einander verbinden,
also mit entodermalen Gefäßlamellen (Medusoidlamellen). ,
Hesse (1895) bestätigt EIMEr’s Angabe für Rhizostoma Cuvieri.
Nach ihm soll die »Gefäßplatte« das Ektoderm der Sinnesgrube mit
den Gefäßschenkeln der Ephyralappen verbinden. Von hier läuft
die Gefäßplatte (p. 105) »zunächst am Rande der inneren Sinnesgrube
und geht dann im Grunde einer Furche am Ephyralappen entlang«.
Histologische Angaben findet man weder bei EiMER noch bei Hesse.
In der Entwicklung von Chrysaora und Medusa aurita,
wie sie CLAus und GoETTE beschrieben, kommt auch eine Verbin-
dung des Ektoderms mit dem Entoderm vor (CLaus 1883, Taf. V,
Fig. 36; GoETTE 1887, Taf. IX, Fig. 39).
GOETTE sagt: »Der Außenrand der Lappentasche verschmilzt
mit dem Außenrande einer flachen Ektodermfalte, welche durch die
sanze Fläche des Lappens jederseits sich über dessen Subumbral-
fläche gleich einer niederen konvexen Leiste hinzieht« (p. 35). Die
Lage dieser Verwachsung entspricht derjenigen, welche die Zellplatte
der Lucernariden auf den Armen einnimmt und bei der Ähnlichkeit
der Seyphostoma von Medusa (Aurelia) aurita mit den Lucernariden
ist es wohl möglich, dass es sich um homologe Bildungen handelt.
3. Struktur der Gallerte.
Die Gallerte wechselt in ihrem Aussehen etwas, was auf ver-
schiedene Wirkung der Reagentien, auf den verschiedenen Grad der
Entwässerung und verschiedene Kontraktionszustände des Thieres
zurückgeführt werden muss. Desshalb ist sie auch schwierig zu
untersuchen.
Die Gallerte der Subumbrella ist von der der Exumbrella ziemlich
verschieden. Die subumbrellare Gallertschicht ist dünn und erscheint
sanz homogen; die der Exumbrella ist viel dicker, in komplieirter
Weise differenzirt und wird von Fasern durchsetzt, welche der sub-
umbrellaren fehlen. Beide Gallerten gehen auch nicht direkt in
einander über. Es sind folgende Stellen, wo sie an einander stoßen:
die vier Septen (Fig. 10 und 11, Taf. XXI), die Seiten der Arme
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 367
(Fig. 2, Taf. XXIII), die oberen Enden der Arme, unterhalb der äußeren
Tentakel (Fig. 7, Taf. XXI), die Randpapillen (Fig. 8, Taf. XXI),
der Rand des Bechers basalwärts vom Randmuskel (Textfig. 9) und
der Rand des Bechers, wo der Randwulst (Fig. 2, Taf. XXV, Eet.d.Rw),
welcher die subumbrellare Gallerte enthält (Textfig. 9 sg), an die
Basen der Arme (Aw, Fig. 2, Taf. XXV) stößt, deren exumbrellare
Gallerte in die der Becherwand übergeht. An allen. diesen Stellen
werden beide Gallerten entweder durch die dünne Protoplasmalage
der Septen oder durch die vorhin genauer beschriebene Zellplatte getrennt.
Die Tentakel und die Randpapillen besitzen subumbrellare
Gallerte, wie es schon CLArRK beschrieb. Dieselbe tritt also aus der
subumbrellaren Wand des Bechers über dessen Rand in diese Fort-
sätze hinein. Auch der Randwulst (Rw), welcher den Rand des
Bechers umsäumt, und den Randmuskel birgt, wird, wie erwähnt,
durch die Wucherung der subumbrellaren Gallerte über den Becher-
rand gebildet (Textfig. 9 sg; Fig. 2, Taf. XXV). Ganz dasselbe finden
wir nach OrAaus’ Angaben auch bei Charybdea, wie der Vergleich
seiner Figg. 40 und 39, Taf. IV mit meinem Schema (Textfig. 9) und
der Fig. 2, Taf. XXV ergiebt.
Der Stiel enthält nur exumbrellare, das Mundrohr nur subumbrel-
lare Gallerte.
Die exumbrellare Gallerte besitzt zwei Verdichtungszonen:
eine unterhalb des Ektoderms,
die andere unterhalb des Ento-
derms, wobei die letztere viel
dicker ist. Von dieser breiten
entodermalen Gallertlamelle, E7,
Fig. 2, Taf. XXV (KorortnEw
nennt dieselbe Membrana pro-
pria), heben sich, auf dem
Querschnitt durch die Becher-
wand gesehen, ziemlich dicke
Auswüchse (Fig. 2, Taf. XXV,
bei Aw) ab, welche gegen das
Entoderm senkrecht verlaufen. Bet
Exumbrellare Gallerte im Tangentialschnitt durch die
Auf einem tangentialen Schnitt Körperwand. f, Faserquerschnitte.
durch die exumbrellare Körper-
wand erscheint die Gallerte aus rundlichen, oder mehr oder weni-
ger polygonalen Räumen bestehend, deren Wände aus stark licht-
brechender Substanz gebildet werden (Textfig. 10). Die Auswüchse
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd.
25
368 N. Kassianow,
der entodermalen Lamelle, welche auf dem Querschnitt durch die
Becherwand wie Fasern aussehen, sind demnach lamellenartig und
bilden, indem sie unter einander anastomosiren, diese Räume der
Gallertsubstanz. Im Inneren sind die letzteren entweder ganz leer,
d.h. vermuthlich nur von Flüssigkeit erfüllt, oder man findet in ihnen
stellenweise eine körnige, sich färbende Masse.
Die entodermale Lamelle mit ihren Auswüchsen stellt gewisser-
maßen das Skelet der ganzen Gallertschicht dar. Vermuthlich verleiht
diese Struktur der exumbrellaren Gallerte gerade die nöthige Bieg-
samkeit und Widerstandsfähigkeit gegen äußere Stöße und Pressun-
gen. Zu ihrer Stütze dienen noch besondere stark lichtbrechende,
gleichmäßig dicke Fasern, welche vom Entoderm bis zum Ektoderm
die ganze Dicke der Gallerte durchsetzen (Fig. 2 und 4 f, Taf. XXV).
Auf dem tangentialen Schnitt durch die Körperwand (Textfig. 10 f),
findet man die Querschnitte dieser Fasern in den Räumen der Gallerte
gewöhnlich deren Wand anliegend. Ihren Ursprung hat bis jetzt nur
Kororxew (1876) richtig erkannt, indem er sie vom Entoderm ableitet.-
Und in der That kann man sich hiervon leicht überzeugen, wenn
das Entoderm von der Gallerte durch Reagentienwirkung abgehoben
ist. Nur an einzelnen Stellen, wo das Entoderm konische Auswüchse
in die Gallerte bildet, von welchen die Fasern abgehen, haftet das
Entoderm dann noch an der Gallerte (Fig. 4, Taf. XXV), wodurch so
zu sagen Arkaden gebildet werden. Auf solchen Präparaten über-
zeugt man sich, dass von mehreren Zellen feinste Fasern in die
Gallerte hineingehen, um sich zu einer der Fasern zu vereinigen,
welche gegen das Ektoderm sich abermals verzweigt.
Wenn man durch Maceration das Ektoderm und Entoderm von
der Gallerte entfernt, kann man eine solche Verzweigung der Faser
an beiden Flächen der Gallerte ebenfalls beobachten. Fig. 6, Taf. XXV
stellt die Endigung einer Faser an dem Entoderm dar, welche sich
in mehrere, körnig aussehende Fibrillen zertheil. An dieser Stelle
erscheint sie manchmal breiter, wie eine rundliche Platte, welche
vielleicht dem »Endplättchen« Krıng’s entspricht.
Auf den Schnitten eines jungen Exemplars von Craterolophus
tethys konnte ich sehen, dass in den konischen Auswüchsen des
Entoderms, von welchen die Faser ausgeht, entodermale Drüsenzellen
lagen. Wie die Fig. 4, Taf. XXV zeigt, liegen fast in jedem solchen
Auswuchs eine, zwei oder drei Drüsenzellen (Dz). Ein solches Bild
ruft den Gedanken hervor, dass die Fasern eben diesen Drüsenzellen
angehören, in der Weise, dass sie von denselben ausgeschieden
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 369
werden. Demnach würden sie nicht direkte Fortsätze der gewöhn-
lichen Entodermzellen sein, wie es KoROTNEW annimmt, sondern nur
Ausscheidungsprodukte der Drüsenzellen.
Genauere Untersuchung der Art der Verzweigung der Faser an
dem Entoderm bestätigt mir diese Vermuthung. Wie die Fig. 1,
Taf. XXV zeigt, dringen mehrere Fibrillen, welche sich zu einer
Faser vereinigen, zwischen die Entodermzellen ein, können also keine
Fortsätze der Zellbasen sein. Man kann einige Endfibrillen an der
Drüsenzelle (Dz) sich ausbreiten sehen, als ob die letztere davon
umsponnen wäre. In anderen Fällen konnte ich sehr deutlich die
feinen Verzweigungsfibrillen der Fasern in großer Zahl zwischen die
Zellen eindringen und ziemlich hoch heraufsteigen sehen, ohne dass
Beziehungen zu den Drüsenzellen hervortraten; vielmehr verbreiteten
sich die Fibrillen auch auf andere Zellen.
An der Verzweigungsstelle der Faser wurde zuweilen ein rund-
licher Körper von unregelmäßiger Form gefunden, welcher aber kaum
ein Kern sein kann; er färbt sich sehr blass.
Nicht alle Endfibrillen der Fasern gehen in das Entoderm hinein,
einige verbreiten sich auch unter demselben (Fig. 1, Taf. XXV).
Auf einigen Längsschnitten durch den Stiel konnte ich sehen,
dass die Substanz der entodermalen Lamelle um die Auswüchse des
Entoderms und um die davon abgehenden Fasern anders beschaffen
war, wodurch gewissermaßen Röhren gebildet wurden, in welchen
die Fasern innerhalb der entodermalen Gallertlamelle verliefen.
In den Septen erstrecken sich die Fasern von den Entoderm-
zellen der einen Seite zu denen der anderen durch die ganze Dicke
des Septums (Fig. 11, Taf. XXIII).
Nach Krıne (1879), welcher die Verzweigung dieser Gallertfasern
und das Aufsteigen ihrer Fortsätze zwischen den Entodermzellen
beobachtete, sollen die Fortsätze mit den Ektoderm- und Entoderm-
zellen in keine Verbindung treten.
Sehr ausführlich beschreibt CLArk (1881) die Gallerte. Er ver-
gleicht die exumbrellare Gallertschicht, welche er »Chondrophys«
nennt, mit Knorpelgewebe und die Fasern mit den Knorpelzellen.
Die letzteren sollen durch die Differenzirung der hyalinen Grund-
substanz der ersteren entstehen. Diese »fibre-celles< sind an beiden
Gallertflächen verbreitet und von einer Membran umgeben. Diese
letztere entspricht den von mir beschriebenen Wandungen der poly-
gonalen Räume. »These fibrillae then are extremely elongate cells
in a low state of development, in which the periphery has become
Rx
25*
370 N. Kassianow,
differentiated into a distinet wall, while the contents have remained
undifferentiated from the nucleus. Their distal ends lie in elose
contact and thereby have become polygonal and present the ap-
pearance of an irregular network, when this stratum is seen from
either of its faces.< Aus dieser Darstellung scheint mir hervorzu-
sehen, dass CLARK auf Querschnitten und Flächenschnitten durch die
Gallerte ganz verschiedene Dinge auf einander zurückführt, indem
er die Fasern mit den Räumen, in welchen die ersteren liegen, ver-
wechselt, ohne dabei den enormen Größenunterschied zu berück-
sichtigen. |
Nach KoROTNEW soll Lucernaria campanulata keine Fasern
besitzen, was jedenfalls nicht richtig ist. Ich habe bei ihr ganz
ähnliche Fasern gefunden, wie bei den anderen Lucernariden, wie
Fig. 6, Taf. XXV, sie zeigt.
Die kompaktere homogene subumbrellare Gallerte, welche ihrer
Beschaffenheit nach der entodermalen Lamelle der exumbrellaren
Gallerte ähnelt, wird wohl sehr elastisch sein und dadurch befähigt
als Antagonist der Längsmuskulatur des Körpers zu wirken. Außer
dem Randmuskel findet man auch im Lucernaridenkörper keine eir-
kuläre Muskulatur, welche diese Rolle übernehmen könnte.
4. Über Knospungserscheinungen bei den Lucernariden.
Nach KoroTnEw soll ULJANIN Knospung an einer Lucernaride
des Schwarzen Meeres (Lucernaria campanulata?) beobachtet haben.
Unter den vielen Exemplaren von Lucernaria
campanulata, die ich in der Bucht St.-Vaast
(Normandie) sammelte, kam ein Exemplar vor,
bei welchem an einem Stiele zwei Individuen
saßen (Textfig. 11). Das eine Individuum war
viel größer als das andere. Ob man das auf
Knospung zurückführen kann oder nicht, ist
schwer zu sagen. Es könnte auch eine Re-
generationserscheinung sein. Bei meinen auf
Helgoland angestellten Regenerationsversuchen
Textfig. 11. , i
Zwei Individuen von Lucerna- habe ich durch Zersehneiden von Cratero-
„ia campanulaba aufeinemge Iophus tethys ebenfalls zwei Individuen auf
meinsamen Stiele.
einem Stiel erhalten können. Bei dem erst
erwähnten Exemplare ist aber ein Individuum viel größer als das
andere, was gegen eine solche Erklärung des Falles spricht. Auch
sahen beide ganz normal aus. Das größere hatte die normale Zahl
Studien über das Nervensystem der Lucernariden ete. 371
der Arme und Genitalien, was bei der Regeneration wohl kaum in
demselben Maße erreicht wird. Eher könnte es sein, dass beide
Individuen an einem abgetrennten und regenerirten Stiel einer ur-
sprünglich ziemlich großen Lucernaride hervorgewachsen sind. Dabei
könnten sie ihr normales Aussehen wohl bekommen. Dass ein Stiel
sich zu einer ganzen Lucernaride regeneriren kann, wissen wir
aus den Angaben Meyver’s. Aber auch mir kamen Exemplare vor,
wo ein unverhältnismäßig kleiner Becher auf einem sehr langen
und dicken Stiel saß, was ich nur durch eine solche Regeneration
erklären kann.
Immerhin scheint mir die Auffassung dieses Doppelthieres als
ein durch Knospung entstandenes plausibler zu sein. Doch ist die
Knospung bei den Lucernariden jedenfalls keine regelmäßige Er-
scheinung. Ich habe eine sehr große Zahl von Craterolophus
tethys, Lucernaria campanulata und Halielystus octoradia-
tus beobachtet (allerdings in beiden Fällen, wo ich solche Gelegenheit
hatte, zu einer und derselben Zeit, August bis Oktober) und nur dies
einzige Doppelindividuum gefunden.
Kororn&w {1876) beschrieb eine Theilung bei den Lucernariden.
Das Thier zerschnürt sich der Länge nach, eben so das Mundrohr,
wobei sich die Zahl der Arme vergrößert. Diese Theilung ist mir
unwahrscheinlich, und das von Korornew beschriebene Exemplar
(Halielystus octoradiatus) dürfte ein Regenerationszustand gewesen sein.
Von den von mir längsdurchschnittenen (bis zur Hälfte des Stieles)
Exemplaren von Craterolophus tethys regenerirte sich bei einigen jede
Hälfte zu einem Individuum; bei anderen aber, bei welchen der
Schnitt vermuthlich nicht so tief geführt war, verwuchsen beide
Hälften wieder zu einem Individuum. Dabei blieben Becher und
Mundrohr an der Nahtstelle stets eingeschnürt. Die Vermehrung der
Arme kommt oft vor auch bei Exemplaren, welche nicht zerschnitten
waren. Ich habe Lucernariden mit neun und zehn Armen gefunden.
Auch das von KoROTNEW beschriebene, angeblich in Theilung be-
griffene Exemplar hatte keineswegs die doppelte Zahl der Arme, wie
man auf seinen Abbildungen erkennen kann.
Zum Schluss bleibt mir noch die angenehme Pflicht, meinen
herzlichen Dank allen Denjenigen auszusprechen, welche mir bei der
Vollendung meiner Arbeit hilfreich beistanden. In erster Linie kann
ich nicht genug dankbar sein meinem hochverehrten Lehrer, Herrn
372 N. Kassianow,
Geh. Hofrath Prof. O. Bürschuı für das rege Interesse und die Hilfe,
welche er mir durch Rath und That zu Theil werden ließ, sowie
auch für die Kontrolle, unter welcher diese Arbeit durchgeführt
wurde. Eben so spreche ich Herrn Prof. SCHUBERG an dieser Stelle
meinen Dank aus für seine stets liebenswürdige Unterstützung und
seinen freundlichen Rath. Weiter gebührt mein tiefgefühlter Dank
den Verwaltungen der biologischen Stationen zu Helgoland und Tati-
hou, wo ich das Material gesammelt, Experimente angestellt und
einen Theil der Untersuchungen durchgeführt habe, wobei mir in
liebenswürdigster Weise entgegengekommen wurde.
Heidelberg, im Juli 1900.
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In: Zeitschr. f. die ges. Naturw. XLIX. Bd. (N. F. Bd. L) p. 1—104.
Oder als Inaugural-Dissertation.
VANHÖFFEN, Die Acalephen der Planktonexpedition. Kiel und Leipzig.
374 N. Kassianow,
Erklärung der Abbildungen.
Erklärung der Abkürzungen:
Blau, Nervenepithel; En, Entoderm; N.ep, Nervenepithel;
Gelb, Gallerte. Ex.um, Exumbrella; Rm, Randmuskel;
Gr, Gastralraum ; Sb.um, Subumbrella;
Dz, Drüsenzellen; @z, Ganglienzellen; Sg, subumbrellare Gallerte ;
Eg, exumbrellare Gallerte; Zm, Längsmuskel; Sz, Sinneszellen;
Zp, Zellplatte.
Tafel XXII.
Fig. 1. Lucernaria campanulata. Macerirtes Ektoderm der exum-
brellaren Körperwand: gewöhnliche Epithelzellen (a, b, c, d, e, f, 9, h, t, k, I, m, n),
Ganglienzellen (Gz1, @22, @z3, @z4) und Sinneszellen (Sz, Szo, Szs) desselben, wie
sie auf Macerationspräparaten erscheinen.
Fig. 2. Lucernaria campanulata. Der Drüsensinnesfleck des exum-
brellaren Ektoderms mit Drüsen-, Sinnes-, Ganglien-, Nematocysten- (Nz) und ge-
wöhnlichen Epithelzellen, und an denselben angrenzendes kubisches exumbrellares
Ektoderm.
Fig. 3. Craterolophus tethys. Ektodermaler, aus bipolaren Ganglien-
zellen bestehender Nervenplexus der exumbrellaren Körperwand. Rechts liegt
in demselben eine tripolare Ganglienzelle.
Fig. 4 Lucernaria campanulata. Eine Sinneszelle (2), welche zwei
gewöhnliche Epithelzellen innervirt. An denselben deutliche Rippen und dunkle
Punkte an ihrem basalen Rande. Aus dem exumbrellaren Ektoderm.
Fig. 5. Lucernaria campanulata. Eine Ganglienzelle, welche in fester
Verbindung mit einer gewöhnlichen Epithelzelle steht. Aus dem exumbrellaren
Ektoderm.
Fig. 6. Lucernaria campanulata. Gewöhnliche Epithelzelle des exum-
brellaren Ektoderms mit mehreren Fasern und dunklen Punkten an ihrem ba-
salen Rande.
Fig. . Lucernaria campanulata. Gewöhnliche Epithelzelle des exum-
brellaren Ektoderms mit einem langen Fortsatz, mit welchem eine Nervenfaser
verbunden ist.
Fig. 8. Craterolophus tethys. Zwei gewöhnliche Epithelzellen des
exumbrellaren Ektoderms und eine zwischen denselben liegende Sinneszelle.
Tafel XXIII.
Fig. 1. Lucernaria campanulata. Drüsenepithel (Ektoderm) von dem
verdiekten Stiele der äußeren Tentakel.
Fig. 2. Halielystus oetoradiatus. Querschnitt aus dem oberen Theil
des Armes. In dem Gastralraum liegen Querschnitte durch »Ampullen< (siehe
p. 325 und Fig. 7 dieser Tafel).
Fig. 3. Halielystus oetoradiatus. Querschnitt durch die äußerste
Spitze des Armes. Der Schnitt hat dieselbe tangential (von der oberen Fläche)
getroffen, so dass auf ihm nur das Nervenepithel, welches die Armspitze aus-
a
N
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 35
kleidet, und zwar dessen Nervenfaserschicht und Nesselkapsellage (in der Mitte
der Figur), und die basalen Theile der Tentakelstiele zu sehen sind.
Fig. 4 Halielystus octoradiatus. Nervenepithel des Armes bei
stärkerer Vergrößerung. Die Stelle, von welcher diese Figur abgezeichnet ist,
entspricht der Stelle Ne.p der Fig. 6 derselben Tafel. N, Lage der Nessel-
kapseln; nf, Nervenfaserschicht.
Fig. 5. Haliclystus octoradiatus. Das Nervenepithel der Rand-
papille bei stärkerer Vergrößerung. Dieselbe Stelle wie Ne.p der Fig. 8.
Fig. 6. Haliclystus octoradiatus. Querschnitt durch die Spitze des
Armes, aus der Region desselben, wo nur Ansatzstellen der Teentakel getroffen
werden und wo das Nervenepithel (N.ep) besonders stark ausgebildet ist. Auch
einzelne Tentakel werden von einander durch ein Nervenepithel getrennt. In
zwei auf der Figur unten liegenden Tentakeln, welche der Länge nach getroffen
sind, sieht man die Nervenfaserschicht auch in ihren Nesselknöpfen. 7‘, Tentakel
und Querschnitte durch dieselben.
Fig. *. Halielystus octoradiatus. Radiärer Längsschnitt durch den
Arm, welcher die vertikale Ausdehnung des Nervenepithels {N.ep) und Vertheilung
desselben zwischen den Tentakeln zeigt. Außerdem sieht man die Nervenfaser-
schicht in dem Nesselknopf des längsgetroffenen Tentakels, und das Nervenepithel
an seiner Basis (bei x). Gs, Genitalsäckehen (männliches); Nd, auf dem Arm
bandförmig verlaufendes Nesselepithel.
Fig. 8 Halielystus octoradiatus. Radiärer Längsschnitt durch die
Randpapille.. Zx.um, Exumbrella des Bechers; Sub.um, Subumbrella des Bechers;
N.ep, Nervenepithel; Gr, Fortsetzung des allgemeinen Gastrovascularraumes in
die Randpapille.
Fig. 9a. Lucernaria campanulata. Das Sinnesepithel (S.ep) um den
Ausfuhrgang der Nesselbatterie, welcher tangential getroffen ist; A, Ausschnitt in
dem subumbrellaren Ektoderm, welcher den Ausfuhrgang andeutet; Su.e, Ekto-
derm der Subumbrella; N.Be, Epithel der Wand der Nesselbatterie; 7, Musku-
latur derselben; Nmz, Nematocystenzelle, welche den Hohlraum der Nessel-
batterie andeutet.
Fig. 95. Lucernaria campanulata. Ein anderer, ebenfalls tangentialer
Schnitt von dem Ausfuhrgange derselben Nesselbatterie, wo das subumbrellare
Ektoderm (Suw.e) von der Wand der Nesselbatterie nur durch eine breite Nerven-
faserschicht getrennt ist; A, Ausschnitt in der Wand der Nesselbatterie, welcher
dem Ausfuhrgang entspricht! N, Hohlraum der Nesselbatterie; S.ep, Sinnesepithel.
Fig. 10. Lucernaria campanulata. Querschnitt durch das Septum.
Beiderseits Radiärtaschen (Rt). Unten exumbrellare (Z.g9) Gallerte, oben subum-
_ brellare (8.9).
Fig. 11. Halielystus oetoradiatus. Querschnitt durch das Septum.
Rt, Radiärtaschen; Z.x, exumbrellare Gallerte; $.g, subumbrellare Gallerte.
Tafel XXIV.
Fig. 1. Lucernaria campanulata. Macerirtes subumbrellares Ekto-
derm, wie es um die Nesselbatterie (NB) auf den Präparaten gefunden worden
ist. a, d, Ganglienzellen; 5, ce, Sinneszellen; e, Nematocystenzelle; /, Stützzellen
des Nesselepithels und des Nervenepithels.
Fig. 2. Lucernaria campanulata. Durch Maceration bloßgelegte Gan-
glienzellen, welche dem subumbrellaren Ektoderm angehören. n%, Nesselkapseln.
376 N. Kassianow,
Fig. 3. Lucernaria campanulata. Durch Maceration isolirte Ekto-
dermzellen der Subumbrella. a, d, e, Nervenzellen des Nervenepithels; ce, d, Stütz-
zellen des Nerven- und Nesselepithels.
Fig. 4. Lucernaria campanulata. Drüsenzellen mit nervösen Fort-
sätzen aus dem subumbrellaren Ektoderm (vermuthlich).
Fig. 5. Lucernaria campanulata. Gewöhnliche Epithelzelle und Sinnes-
zelle aus dem Entoderm der exumbrellaren Wand.
Fig. 6. Craterolophus tethys. Ektoderm des Tentakelnesselknopfes
bei stärkerer Vergrößerung. Aus dem Ektoderm über die Cuticula desselben
ragen Spitzen der Sinneszellen (Sz%). Die Protoplasmaanschwellungen mit dem
Kern, welche in dem oberen Theil der Sinneszellen liegen, nehmen desshalb auch
den oberen Theil des Ektoderms (Sz) ein. Die untere Hälfte der Höhe des-
selben wird durch die Anschwellungen der Nematocystenzellen gebildet. Die
Basis des Ektoderms nimmt die Nervenfaserschicht ein (nf), auf welcher und
in welcher einzelne Kerne (Ganglienzellen) wahrgenommen werden. Zwischen
den Anschwellungen der Sinneszellen Sekret der Drüsenzellen in Form von
Kügelchen.
Fig. <. Craterolophus tethys. Einzelne isolirte Elemente des Ten-
takelknopfes, bei stärkerer Vergrößerung. a, aı, aa, die häufigste Form der
Nematocystenzellen; e, 5, Stützzellen (gewöhnliche Ektodermzellen); c, Sinnes-
zellen; d, die größere Form der Nematocystenzellen.
Fig. 8 Craterolophus tethys. Entodermzellen (a, d, c), des Stiel-
kanals der Tentakel.
Fig. 9. Craterolophus tethys. Drüsenzellen desselben Entoderms.
Fig. 10. Craterolophus tethys. Eine abnorme Nematocystenzelle des
Tentakelknopfes mit zwei Nesselkapseln.
Fig. 11. Craterolophus tethys. Zwei Ganglienzellen (a, 5) aus dem
Tentakelknopf.
Fig. 12. Craterolophus tethys. Eine Muskelzelle aus dem Stiele des
Tentakels mit gekerbtem Rande.
Fig. 13. Craterolophus tethys. Homogen sich färbende, nicht licht-
brechende, Zelle aus dem Tentakelstiele.
Fig. 14. Craterolophus tethys. Macerirte Muskeln (m) der Tentakel-
stiele, mit dazwischen liegenden Ganglienzellen (a), Nervenfasern (nf) und Gan-
glienzellen ähnlichen Zellen (b).
Fig. 15. Lucernaria campanulata. Epithelmuskelzellen aus dem
Mundrohre.
Fig. 16. Lucernaria campanulata. Zellen (a, 5) mit feineren Fort-
sätzen (Nervenzellen?) aus dem Mundrohre.
Fig. 17. Craterolophus tethys. Epithelmuskelzelle des Tentakelstieles
mit einer Anschwellung an der Muskelfaser und davon abgehender feiner Faser
(Nervenfaser?).
Fig. 15. Lucernaria campanulata. Ektodermzelle aus der Haftscheibe.
Tafel XXV.
Fig. 1. Craterolophus tethys. Entoderm der exumbrellaren Wand
der Radiärtasche mit einer Drüsenzelle. An derselben und um dieselbe feine
Fortsätze, welche zu einer Faser (f} sich vereinigen.
Fig. 2. Craterolophus tethys. Querschnitt durch den Rand des
Bechers (den Randwulst mit dem Randmuskel und die Armbasis Aw). El, ento-
Studien über das Nervensystem der Lucernariden etc. 3
dermale Gallertlamelle; Zet.d.Rw, Ektoderm des Randwulstes; Zet.d. Aw, Ekto-
derm des Armwulstes (Armbasis).
Fig. 3. Haliclystus octoradiatus. Zellplatte an der Basis der Rand-
papille, welche exumbrellare Gallerte (Zg) von der subumbrellaren (Sg) und exum-
brellares Ektoderm (Zei.d.Ex) von dem Ektoderm der Randpapille (Zet.d. Rp)
trennt.
Fig. 4. Craterolophus tethys. Entoderm der exumbrellaren Wand
der Radiärtasche, durch Wirkung der Reagentien von der Gallerte abgehoben.
Vom Entoderm dringen Auswüchse in dieselbe hinein, in welchen Drüsenzellen
liegen. f, Fasern Dz, Drüsenzellen.
Fig. 5. Haliclystus octoradiatus. Zellplatte auf dem medianen
Längsschnitt durch die Randpapille (vgl. Fig. 8, Taf. XXIID, aus einer Zelle be-
stehend. Zet.d.Rp, Ektoderm der Randpapille; Eet.d.Ex, Ektoderm der Exum-
brella.
Fig. 6. Lucernaria campanulata. Endigung der Gallertfasern an
der entodermalen Fläche der Gallerte.
Zur Morphologie der Antennen- und Schalendrüse der
Crustaceen'.
Von
Professor F. Vejdovsky
(Prag).
Mit Tafel XXVI und XXVI und 1 Figur im Text.
Die unter dem Namen der Antennen- und Schalendrüse be-
kannten Exkretionsorgane der Crustaceen zeichnen sich nach den
bisherigen Erfahrungen wesentlich durch denselben Bau aus. In
beiden unterscheidet man das sogenannte Endsäckchen und ein
schleifenförmig gewundenes Kanälchen, welches letztere durch einen
kurzen Ausführungsgang nach außen mündet. |
Sowohl das Endsäckchen als das Harnkanälchen beider Drüsen
sind durch specifisch histologische Struktur charakterisirt, wobei es
nach meiner Ansicht einerlei ist, ob das Lumen des Harnkanälchens
inter- oder intracellulär erscheint.
Während nun allgemein und mit Recht die Antennen- und
Schalendrüse als Exkretionsorgane angesehen und mit den Nephri-
dien der Annulaten verglichen werden, so entbehrt nach meinen Er-
fahrungen jeder Begründung die Deutung, nach welcher das End-
säckchen einem modifieirten Trichter entsprechen sollte; richtig ist
es nur, dass der kurze Ausführungsgang der kontraktilen Endblase
des Annulaten-Nephridiums homolog ist.
In der vorliegenden Arbeit beabsichtige ich also den Nachweis
zu erbringen, dass das »Harnkanälchen« mit seinem bisher unbe-
kannten Trichterapparate einzig und allein dem Nephridium der An-
nulaten entspricht. Ferner stellt es sich heraus, dass bei einer
solchen Auffassung es nothwendig ist das Endsäckchen als einen
! Die Präparate zu dieser Mittheilung wurden in einer Sitzung der X. Jahres-
versammlung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft in Graz demonstritt.
Zur Morphologie der Antennen- und Schalendrüse der Crustaceen. 379
abgeschlossenen Theil des Cöloms anzuerkennen, welches in das
Nephridium einmündet.
Im Nachfolgenden werde ich das »Endsäckchen« thatsächlich
als Cölomsäckchen und das »Harnkanälchen« als Nephridium be-
zeichnen. Überzeugend für diese Auffassung war für mich das Stu-
dium der Antennendrüse einiger Gammariden, von denen ich zu
diesem Zwecke einige Niphargus-Arten (N. puteanus, kochianus,
elegans ete.), sowie auch den einheimischen Gammarus pulex und
eine Gammarus-Art aus dem Garschina-See in der Schweiz unter-
suchte.
1. Die Antennendrüse der Gammariden.
Die Gestalt des Cölomsäckchens von Niphargus unterscheidet
sich von dem des Gammarus; bei dem ersteren ist das Cölom-
säckchen einfach sackförmig ohne seitliche Ausstülpungen und nimmt
den vordersten, seitlichen und unteren Raum des Antennenlappens
ein. Bei Gammarus ist zwar die Lage des Cölomsäckchens dieselbe,
aber das Säckchen geht in einen Seitenlappen aus, welcher letztere
die ganze Basis des aufgetriebenen Basalgliedes der zweiten Antenne
einnimmt und dadurch von den Windungen des Nephridiums um-
geben ist. Eine nierenförmige Gestalt, wie solche GROBBEN in seiner
bekannten Arbeit für G. marınus als charakteristisch hervorhebt,
silt gewiss nicht für @. pulex, bei welchem auch die Einmün-
dung des Nephridiums in das Cölomsäckchen in derselben Weise
stattfindet, wie bei Niphargus, nämlich auf der äußeren Seite des
Säckchens und nicht in der Vertiefung zwischen beiden Seitenlappen
(»dem Hilus der Niere vergleichbar«e — GROBBEN) wie für G. ma-
rinus angegeben wird.
Was die histologische Struktur des Cölomsäckchens anbelangt,
so ist dieselbe schon öfters, namentlich von GROBBEN, ÜCLAUS etc.
dargestellt worden. Es besteht aus einem Epithel, »dessen Zellen
kuppenförmig in das Innere des Säckchens vorgewölbt sind« (GROBBEN).
Die Zellen von Gammarus sind dichter neben einander gestellt und
mit einem körnigen Cytoplasma versehen. Die Zellen sitzen einer
zarten, aber resistenten Stützmembran an, wie auch von GROBBEN
sowohl bei Gammarus als Leucifer sichergestellt wurde. Am genauesten
überzeugt man sich von der Existenz dieser Basalmembran an Schnitten
durch die Thiere, welche früher ziemlich lange im Alkohol lagen;
ihre Gewebe sind mehr oder weniger macerirt, die Epithelzellen des
Cölomsäckchens trennen sich von der Basalmembran los und er-
380 F. Vejdovsky,
scheinen in der Cölomhöhle als ungleich große, mit Kernen versehene
Gebilde. Die Basalmembran bleibt aber unversehrt in ihrer ursprüng-
lichen Lage.
Das Säckchen ist durch zahlreiche Stützbalken (»Connectivfasern«
CrAus) auf der niedrigen Hypodermis befestigt. Einzelne Epithelzellen
des Cölomsäckchens entsenden nämlich ziemlich dieke und resistente
Fortsätze, deren Substanz einigermaßen von dem Plasma der Epithel-
zellen verschieden ist. Sie erscheint fein längsgestreift, ist glänzend
und offenbar von zäherer Konsistenz als das eigentliche Cytoplasma.
Dieselben histologischen Verhältnisse gelten auch für das Cölom-
säckchen der Niphargus-Arten. Der einzige Unterschied besteht nur
darin, dass hier die Wandungen viel flacher erscheinen und ver-
hältnismäßig aus einer kleineren Anzahl der Zellen bestehen. Aut
den Schnitten z. B. von Niphargus kochianus (Fig. 10 Co) erscheint
die Wand des Cölomsäckchens als eine bindegewebsartige Membran,
so spärlich und weit von einander entfernt erscheinen die Zellkerne
und nur unbedeutende Erhebungen über den letzteren weisen auf
die ganz flachen Zellen hin.
Der Raum zwischen dem Cölomsäckchen und der Hypodermis
stellt die primäre Leibeshöhle oder das Hämocöl vor, in welcher
die spärlichen Connectivfasern zwischen der Säckchenwandung und
der Hypodermis verlaufen (Figg. 9, 10 5). Die Hämolymphe von
Niphargus kochianus und puteanus ist völlig farblos, die von Niphar-
gus aus Pisino in Istrien schwach ockergelb, meist coagulirt; darin
begegnet man ziemlich spärlichen Lymphkörperchen von ovaler Ge-
stalt, deren Cytoplasma sich schwach diffus färbt und einen intensiv
sich färbenden Kern enthält.
Wenn die dargestellten Verhältnisse des Cölomsäckchens der Gam-
mariden mit den bisher bekannten Strukturen der Crustaceen überein-
stimmen, so stellt sich andererseits die Nothwendigkeit heraus, das Harn-
kanälchen ausführlicher und selbständig zu behandeln, da dieses Organ
gerade bei den Gammariden in seinen Komponenten nicht vollständig
dargestellt wurde. In seinen sorgfältigen Arbeiten beschreibt GROBBEN
das Kanälchen mit gleichmäßig weitem Lumen, mittels welchem es
sich in das Cölomsäckchen unmittelbar öffnen soll. Nur bei Leucifer
erwähnt er einen halsartig eingeschnürten Übergangsabschnitt zwischen
dem Säckchen und Kanälchen. Ich fand dagegen bei allen oben
erwähnten Gammariden eine Vorrichtung, welche der Aufmerksam-
keit meiner Vorgänger völlig entgangen ist. Das Lumen des Kanäl-
chens kommunieirt nämlich nicht unmittelbar mit dem der Cölom-
Zur Morphologie der Antennen- und Schalendrüse der Crustaceen. 381
_ höhle, sondern besitzt einen eigenthümlichen Apparat, welcher sowohl
‘an Quer- als Längsschnitten schon bei mäßigen Vergrößerungen auf-
fallend ist.
An drei nach einander folgenden Längsschnitten durch die be-
treffende Region der »Antennendrüse« des Niphargus von Gabro-
vica in Istrien gewahrt man Nachfolgendes:
Der erste Schnitt (Fig. 1) veranschaulicht die weite vordere
Höhle des Cölomsäckchens (Co), nach hinten das Lumen des Ex-
kretionskanälchens (N). Zwischen beiden Höhlungen befindet sich eine
auffallende Einschnürung, in welcher der Quere nach eine große
Zelle (a) sich erstreckt. Im Gegensatze zu den umliegenden Drüsen-
zellen der Kanälchenwandung, färbt sich das Cytoplasma dieser
Zelle intensiv roth und noch mehr die chromatinreichen Körner des
länglichen Kernes.
Schon bei mäßigen Vergrößerungen gewahrt man auf der mitt-
leren Zone der Zelle eine feine Querstreifung, welche, wie man sich
bei starken Vergrößerungen leicht überzeugen kann, von glänzenden,
intensiv roth sich mit Karmin färbenden Fibrillen herrührt, deren
Querschnitte thatsächlich an den äußeren Rändern der Zelle deutlich
hervortreten (Fig. 1 m). Die Zelle selbst entbehrt der Fibrillen und
ihr Cytoplasma ist feinkörnig. Wie die nachfolgenden vergleichenden
Beobachtungen darthun werden, liegst uns also eine große Zelle vor,
an deren Oberfläche ein Fibrillenbündel verläuft, dessen Fortsetzung
man auch in den nachfolgenden zwei Schnitten begegnet.
In dem zweiten nächstfolgenden Schnitte (Fig. 2) sieht man
nämlich, dass die Cölomhöhle (Co) mit dem Lumen des Kanälchens
(N) durch eine verengte Mündung kommunieirt. Zu beiden Seiten
dieser Mündung befinden sich zwei große Zellen (d, c), welche in die
Cölomhöhle lippenartig hineinragen und beide zusammen einen Trich-
ter bilden. Sowohl durch ihre Größe, als dadurch, dass sich ihr
Cytoplasma intensiver als die benachbarten Drüsenzellen färbt, sind die
Trichterzellen sehr auffallend. In diesem Schnitte ist nur der Kern
der linken Zelle getroffen, während der Kern der rechten Zelle erst
im nachfolgenden Schnitte erscheint. Diese Kerne sind kuglig, bläs-
chenförmig, mit einem intensiv sich färbenden Kernkörperchen. Zu
beiden Seiten der Trichterzellen sieht man nun Querschnitte der
Muskelfibrillen (m) derselben Beschaffenheit, wie im vorhergehenden
Schnitte. Die Größe der Triehterzellen ist so bedeutend, dass man
sie auch im dritten Schnitte (Fig. 3, d, c) und zwar in ihrem ganzen
Umfange wiederfinde. Auch hier ragen sie in das Cölom hinein,
382 F. Vejdovsky,
aber auch nach hinten, in das Lumen des Kanälchens greifen sie
lippenartig ein, die Lippen sind aber bedeutend niedriger als in der
Cölomhöhle. Die Muskelfibrillen (2) erscheinen auf der Oberfläche
der Trichterzellen in der vollständigen Entfaltung, offenbar als Fort-
setzung der Fibrillen aus dem ersten und zweiten Schnitte.
Aus den beschriebenen Schnitten kann man schon von vorn’herein
ein Totalbild zusammenstellen, aus welchem es sich herausstellen
dürfte, dass die Einmündung des Kanälchen in das Cölomsäckchen
aus drei Zellen besteht, welche zusammen einen von einem Ring-
muskel umgebenen Trichterapparat vorstellen.
Die Querschnitte beweisen nun thatsächlich, dass diese Voraus-
setzung richtig ist. Zu diesem Zwecke muss man aber absolut quere
Schnitte führen, denn bei nur ein wenig schräger Lage des Objektes
vermag man die Trichtervorrichtung, bezw. den geschlossenen Muskel-
ring nicht festzustellen. So sieht man auf dem nicht streng vertikal
geführten Schnitte durch den Kopf des Niphargus von Pisino (Fig. 9),
dass die Zellen des Trichterapparates zwar in einem Dreiecke zu-
sammengestellt und basalwärts von einem Muskelbündel umgeben
sind; das letztere reicht aber nur zu den lateralen Trichterzellen,
während es auf dem oberen Rande der Zellen weggeschnitten wurde.
Besser gestalten sich die Querschnitte von Nephargus kochia-
nus (Fig. 10), wo der Trichter der rechten Seite völlig geschlossen
ist, aber auch hier ist der Muskelring nicht sichtbar, indem er sich
nur auf die basale Trichterzelle beschränkt. Dagegen zeigt die Ab-
bildung Fig. 11 die typische Gestalt und Struktur des Trichters im
Querschnitte durch die linke Kopfseite: Der Ringmuskel umgiebt hier
die ganze Peripherie des Trichterapparates (m). In denselben Ge-
stalts- und Lageverhältnissen finde ich auch den Trichterapparat von
Niphargus puteanus und in Fig. 12 sind zwei Trichterzellen von
Niphargus elegans nach einem schräg geführten Schnitte darge-
stellt.
Ganz entsprechende Gestaltsverhältnisse des Trichterapparates
finde ich auch bei beiden untersuchten Gammarus-Arten, ja die
letzteren sind zur Sicherstellung des Apparates weit günstiger als
Niphargus, indem die Trichterzellen ungemein groß sind, so dass
man sie bis in fünf nach einander folgenden Schnitten wiederfinden
kann. Außerdem empfiehlt sich z. B. Gammarus pulex zur Unter-
suchung der Trichtervorrichtung, da man sich hier sehr verlässlich
von der Muskelzelle überzeugen kann, welche die Fibrillen des Muskel-
ringes produeirt. Andererseits besteht ein wesentlicher Unterschied
Zur Morphologie der Antennen- und Schalendrüse der Crustaceen. 383
in der Lage der Trichterzellen zwischen Gammarus und Niphargus.
Bei dem letzteren fanden wir nämlich, dass die Trichterzellen größten-
theils in die Cölomhöhle hineinragen, während bei Gammarus um-
gekehrt die angeschwollenen Trichterzellen tief in das Lumen des
Kanälchens eingreifen. Dieser Unterschied ist nun dadurch erklär-
lich, dass die innere Cölomwandung mehr gegen das Kanälchenlumen
vorgewölbt erscheint, in Folge dessen die Trichterzellen hierher ver-
drängt werden. Wir wollen nun die Verhältnisse bei Gammarus
pulex eingehender besprechen, wie sie in Figg. 153 und 14 veran-
schaulicht sind.
Die Abbildung Fig. 15 stellt uns einen Längsschnitt durch die
Mündung des Nephridiums (N) in das Cölomsäckchen (Co) vor. Zu
beiden Seiten der Mündung zwischen beiden Höhlungen sind zwei
wahrhaft kolossale Zellen — ihre Höhe misst 0,054 mm — ange-
bracht (d, ec), indem sie stielartig mit der Wand des Cölomsäckchens
zusammenhängen und mit dem stark angeschwollenen freien Ende
lappenartig in das Lumen des Kanälchens hineinragen. Histologisch
weichen sie keinesfalls von den Trichterzellen von Niphargus ab,
nur treten hier die Strukturverhältnisse ungemein klar und deutlich
hervor. Die Größe der Zellen ermöglicht, dass man sie bereits bei
mäßigen Vergrößerungen (z. B. Zeiss C) in Schnittserien wahrnimmt
und dass man sie auch in nachfolgenden zwei Schnitten wiederfindet.
Erst im vierten, in Fig. 14 reprodueirten Schnitt, begegnet man der
dritten Trichterzelle (a) und einem kräftig entwickelten Ringmuskel
(m), welcher sich als differenzirter Theil einer großen Zelle (z) her-
ausstellt. Diese Muskelzelle ragt mit ihrem plasmatischen Abschnitt,
in welchem der Kern aufbewahrt ist, in die Cölomhöhle ein. Durch
die Tinktion und die Größe des Kernes erinnert zwar die Muskel-
zelle an die Trichterzellen, sie ist aber flach, liegt seitlich von der
Basis der Trichterzellen, und da sie im Verbande des Cölomepithels
gelagert ist, so kann man sie füglich als eine modifieirte Epithelzelle
des Cölomsäckchens auffassen. Die Differenzirung erfolgte hier in
der Weise, dass ein Theil der Zelle sich zu Muskelfibrillen umbil-
dete, während der sarkoplasmatische, den Kern enthaltende Theil
die Beschaffenheit der Epithelzelle behält.
Die Fibrillen des Ringmuskels sind durchaus glatt, parallel
neben einander verlaufend und an tangentialen Längsschnitten durch
Gammarus aus dem Garschina-See belehrt man sich über ihre An-
ordnung. Überraschend ist dabei, dass die Fibrillen nach der Art
der glatten Muskelfasern der Annulaten angeordnet erscheinen; die
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Ba. 26
384 F. Vejdovsky,
Rinde besteht aus Fibrillen, das Innere ist eine homogene Substanz,
man hat es hier also mit einem Hirudineenmuskel zu thun.
Das Lumen des Trichterapparates kommunicirt also einerseits
mit der Cölomhöhle, andererseits mit dem Nephridialkanale. Der
letztere gestaltet sich nun auf seinem ganzen Verlaufe nicht von
gleicher Dicke, sondern zerfällt in bestimmte Abschnitte, von denen
der unmittelbar hinter dem Cölomsäckchen folgende der auffallendste
ist. Man findet zwar an Querschnitten diesen Theil bedeutender
angeschwollen als die übrigen Kanälchenwindungen, aber die eigent-
liche Gestalt des Anfangsabschnittes tritt in seinen Gestaltsverhält-
nissen am deutlichsten an tangentialen Längsschnitten hervor. In
Fig. 18 ist ein solcher tangentialer Schnitt reprodueirt. Der Anfangs-
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Cölomsäckchen und Anfangstheil des Nephridiums von Gammarus pulex (halbschematisch). C, Cölom-
säckchen; t{, zwei Trichterzellen; m, Ringmuskel; A, ampullenartige Erweiterung des Nephridiums;
c, Kanälchen; dr, Drüsenzellen; «, Alveolarschicht der Kanälchenzellen.
theil des Nephridiums ist mächtig erweitert und bildet eine Ampulle,
in welche der Trichterapparat hineinragt. Nach hinten zu verschmä-
lert sich die Ampulle allmählich und biegt sich nach unten, um in
den verengten Theil des Nephridialkanals direkt überzugehen.
Diese Gestalt der Ampulle und deren Überganges in den Kanal
wiederholt sich regelmäßig in allen mir vorliegenden Schnittserien, SO
Zur Morphologie der Antennen- und Schalendrüse der Crustaceen. 385
dass man diese Anordnung des Anfangstheiles als eine gesetzmäßige
betrachten kann. Das findet man nicht nur bei Gammarus und Ni-
phargus, sondern auch bei Crangonyx, in welchem letzteren ich den-
selben Trichterapparat, die ampullenartige Erweiterung des Nephri-
diums und den nachfolgenden verengten Theil desselben neuerdings
sichergestellt habe. Im Hinblick auf die Einmündung des Nephridiums
in das Cölomsäckchen bei der letztgenannten Gattung berichtige ich also
meine frühere Angabe, wonach der verengte Kanaltheil in das Säck-
chen einmünden sollte.
Über die histologische Struktur der Ampullen- und Kanälchen-
wandung habe ich zu dem bisher Bekannten manches Neue hinzuzu-
fügen. Auf Quer- und Längsschnitten ist es unmöglich die Grenzen
einzelner Zellen zu ermitteln, nur bei der Besichtigung der Wandungen
von der Oberfläche kann man wenigstens die Spuren einer Zell-
umgrenzung mehr oder weniger deutlich wahrnehmen (Fig. 7). Die
Gestalt der Kerne dieser großen Zellen ist sehr veränderlich; meist
sind die Kerne, namentlich bei Niphargus, amöbenförmig, mit stumpfen
Lappen, oder hufeisenförmig, seltener oval oder elliptisch, was man
aber nur an Flächenschnitten wahrzunehmen vermag, denn an
Quer- und Längsschnitten findet man nur in die Länge gestreckte
Kerne.
Dass der Zellinhalt feingestreift ist, kennt man bereits aus
den früheren Arbeiten; namentlich bei Gammarus ist diese Struktur
leicht sicherzustellen. Schwieriger sieht man dasselbe bei Niphargus,
allerdings aber muss man dabei mit dem Konservirungszustande
rechnen. Die Streifung rührt von den feinen der Quere nach ziehen-
den Fibrillen her, die aber so dicht den Zellinhalt ausfüllen, dass
man sie nur an sehr dünnen Schnitten wahrnimmt. Die nach dem
Lumen des Kanälchens zugekehrte Fläche der Zellen entbehrt dieser
Plasmastruktur, dagegen findet man hier eine Reihe größerer Alveolen
(Fig. 19 al), welche um so auffallender sind, als die Plasmabrücken
zwischen je zwei Alveolen sich intensiv sowohl mit Karmin als Häma-
toxylin färben und bereits mit schwachen Vergrößerungen wahr-
nehmbar sind. Die innere Umgrenzung dieser Alveolenschicht existirt
eigentlich nicht, indem die großen Alveolen mit den interfibrillären
feinen Waben gewissermaßen kommunieiren, so dass der Inhalt der
letzteren schließlich in die größeren sich ergießen kann. Die Flächen-
schnitte durch die Schicht der größeren Alveolen ist in Fig. 20 ab-
gebildet und man sieht hier ein zierliches Netz von beinahe 2 u
breiten Waben. Die Alveolarschieht wurde bekanntlich von GROBBEN
26*
386 F. Vejdovsky,
als fein durchbohrte Cuticula aufgefasst, während MARCHAL! richtig
den wahren Sachverhalt erkannt hat.
In meinen meisten Präparaten sehe ich nur die beschriebene
Zellenstruktur, in wenigen Fällen erscheint dagegen noch eine mehr
oder weniger dickere Lage, welche nach innen die Alveolarschicht
bedeckt, hin und wieder unterbrochen ist und stellenweise lappen-
artig in das Nephridiumlumen hineinragt. Sie besteht aus feinen
Körnchen, die sich schwach diffus färben. Nach allen diesen Eigen-
schaften wird man wohl kaum von einer persistenten Cutieular-
schicht reden können; vielmehr glaube ich, dass man es hier mit
einer durch die Fixirungsmittel erhärteten Flüssigkeit zu thun hat,
welche sich im Leben mit den eigentlichen aus der Hämolymphe
ausgeschiedenen Uraten vermischt.
Ob nun die bisher in Rede stehende Wandung des Kanälchens
selbst die Flüssigkeit secernirt, muss ich dahingestellt bleiben lassen.
Für mich persönlich erscheint plausibler, dass die Flüssigkeit einer
anderen Quelle ihren Ursprung verdankt. In der Litteratur finde ich
keine Erwähnung, dass die Wandungen des Kanälchens auf dem ganzen
Verlaufe nach außen mit großen Drüsenzellen besetzt sind. Die Wan-
dungen sind daher nicht nackt und werden in Folge dessen nicht direkt
von der Hämolymphe umspült, wie es bei dem Cölomsäckchen der
Fall ist. Jede Drüsenzelle sitzt mit breiter Basis an den Nephridial-
wandungen, zwei Nachbardrüsen berühren sich aber nicht überall,
sondern weichen aus einander und bilden auf diese Weise ein Lakunen-
system, durch welches die Hämolymphe mit Blutkörperchen strömt.
An Schnitten findet man thatsächlich die Blutkörperchen auf der Ober-
fläche der Drüsenzellen angeklebt (Figg. 4, 8 A), oder sie befinden
sich in den Lakunen selbst.
Die Drüsenzellen sind auffallend durch mehrere Merkmale. Zu-
nächst ist hervorzuheben, dass sie in die Kategorie der größeren
Zellen gehören; man findet zwar unter ihnen auch kleinere Ele-
mente, aber die meisten erreichen wahrhaft kolossale Dimensionen.
Die kleinsten und niedrigsten Drüsenzellen finde ich auf dem letzten,
nicht selten blasenförmig angeschwollenen Abschnitte des Kanälchens
(Fig. 22 ms), wo dieselben so zu sagen epithelartig auf der Wandung
angeordnet sind (Fig. 9 ms). Ferner ist die Gestalt der Drüsenzellen
auffallend; die zwischen je zwei Windungen des Kanälchens befind-
lichen erscheinen an Schnitten als keilförmige, eylindrische, kubische
! P. MArcHAL, Recherches anatomiques et physiologiques sur l’appareil
exeröteur des Crustace&s Decapodes. Arch. Zool. experim. (2.) Tome X. 1892.
Zur Morphologie der Antennen- und Schalendrüse der Crustaceen. 387
oder vielseitige Gebilde, und wo es der freie Raum erlaubt, laufen
sie in seitliche Fortsätze aus, zwischen welchen letzteren größere
oder kleinere, runde, ovale oder spaltförmige Lakunen übrigbleiben
(Figg. 1, 8, 13 5). Drittens sind die Drüsenzellen durch ihre Struk-
tur charakteristisch. Ihr Cytoplasma erscheint bei schwachen Ver-
srößerungen fast gleichartig, im Karmin diffus rosa, in der Koche-
nille intensiv roth gefärbt. Dass aber auch hier eine fibrilläre Struk-
tur vorkommt, beweisen die Drüsenzellen von Gammarus pulex.
Namentlich auf der Basis der Zellen, mittels welcher sie sich an das
Epithel des Kanälchens anlegen, sieht man bei starken Vergrößerungen
eine feine Längsstreifung, welche mit derjenigen der Kanälchenzellen
übereinstimmt (Fig. 19 ms, Fig. 21). An der Basis der Drüsenzellen
erscheinen auch die mit einer klaren Flüssigkeit gefüllten Alveolen,
aus welchen der Inhalt offenbar in die Zellen der Kanälchenwandung
und von hier in das Kanälchenlumen durehfiltrirt wird (Fig. 21 a/).
Auf diese Weise betheiligen sich die Drüsenzellen in hervorragen-
der Weise an der Sekretion, deren Folgen sich in dem Inhalte
der Ampulle und der übrigen Abschnitte des Nephridiums kund-
geben.
Vergleicht man nämlich die Exkrete in dem Cölomsäckchen mit
denen in dem Nephridium, so gewahrt man einen auffallenden Unter-
schied zwischen beiden Flüssigkeiten, welche durch die Fixirungs-
mittel auf den Präparaten allerdings als feste Substanzen erscheinen.
Die im Cölomsäckchen befindlichen gestalten sich als Gruppen von
tropfenartigen, oder auch fadenförmigen, glänzenden, theilweise diffus
sich färbenden Gebilden. Stellenweise findet man einzelne solche
‘ Tropfen noch im Zusammenhange mit den Zellen des Cölomsäckchens,
so dass es kaum zu bezweifeln ist, dass man es hier mit einem
durchfiltrirten Exkrete zu thun habe. In dieser Gestalt gehen wohl
die Exkrete aus dem Cölomsäckchen in die Ampulle und weiter in
das Kanälchen, wo sie sich offenbar mit den Sekreten der Drüsen-
zellen mischen, um gewissermaßen verdünnt zu werden. Denn das
äußere Aussehen des inneren Inhaltes in den letzterwähnten Ab-
schnitten ist ein anderes als im Cölomsäckchen. Es ist eine coa-
sulirte, feinkörnige, oder homogene Substanz, die in unregelmäßigen
Klumpen den Wandungen des Kanälchens aufsitzt.
In allen Fällen ist der Kern der Drüsenzellen kugelförmig mit
centralem Kernkörperchen. Man begegnet sehr oft direkten Kern-
theilungen, an welchem Vorgange aber der Zellleib selbst nicht Theil
nimmt. So erklärt man sich, dass die Drüsenzellen oft mit zwei
388 F. Vejdovsky,
Kernen versehen sind, ja bei einem Exemplare von Gammarus aus
dem Garschina-See finde ich den größeren Theil der Drüsenzellen
zweikernig.
Die Kanälchenwindungen sind mittels Stützbälkchen theils an
die Hypodermis aufgehängt, theils sind sie auf dieselbe Weise unter
einander verbunden. Es sind dieselben Vorrichtungen, wie bei dem
Cölomsäckchen. Einzelne Zellen des Kanälchens laufen in je einen
Fortsatz aus, welcher sich andererseits mit den Hypodermiszellen ver-
bindet (Fig. 12 p). Auch die inneren Windungen sind mit einander
durch ähnliche und zwar kräftige Zellfortsätze verbunden (Fig. 8 p).
Der letzte Abschnitt des Antennennephridiums ist zwar öfters
von meinen Vorgängern, namentlich von DELLA VALLE abgebildet
und beschrieben worden. Nichtsdestoweniger habe ich in Fig. 22
eine neue Abbildung des Endabschnittes nach einem medialen Längs-
schnitt reprodueirt, da hier die histologischen Verhältnisse sehr klar
hervortreten. Die Wandungen des verengten Abschnittes des Kanäl-
chens (x) bewahren dieselbe streifige Struktur, wie der gewundene
Theil des Nephridiums, auch findet man hier dieselben Zellkerne
und die äußeren, allerdings sehr niedrigen Drüsenzellen (ms), wie
dort. Dieses Kanälchen geht nun direkt in eine Anschwellung über,
welche sich schließlich verengt und am Ende des Kegels nach außen
mündet. Die Struktur dieses Ausführungsabschnittes (cd) ist eine
andere als die des Nephridialkanälchens; seine Wandungen bestehen
aus einem kubischen Epithel, welches strukturell mit der Hypodermis
(hp) übereinstimmt und beweist, dass dieser Abschnitt nur durch die
Einstülpung der letzteren zu Stande kam.
2. Die Schalendrüse der Isopoden.
Ich schließe mich der allgemein angenommenen Auffassung an,
dass die »Antennen- und Schalendrüse« serial homologe Organe vor-
stellen, versuche aber noch den Nachweis zu erbringen, dass das
Schalennephridium gleichfalls mit einem specialisirten Trichterapparate
in das Cölomsäckchen einmündet. Zwar stand mir zur Lösung dieser
Frage bisher kein günstiges Material zu Gebote, um mich auf den
Sehnittserien von dem Vorhandensein des in Rede stehenden Organs
zu überzeugen. Dagegen wurde mir ermöglicht, die Präparate einiger
Isopoden zu besichtigen, welche BonumiL NEMEC in meinem Institute
als Belege zu seiner eingehenden Arbeit! über Isopoden hergestellt
1 BOHUMIL NEMEC, Studie o Isopodech. I. Vestnik kräl. spol. nauk. 1895. —
Il. Ibid, 1896. (Sitzungsber. k. böhm. Ges. Wiss. 1895,1896. Mit deutschem Resume.)
Zur Morphologie der Antennen- und Schalendrüse der Crustaceen. 389
hat. Diese schon vor mehreren Jahren verfertigten Präparate sind
noch ziemlich gut erhalten und lieferten mir Gelegenheit, die feineren
Strukturverhältnisse der »Schalendrüsen< zu revidiren. NEMEC hat
mir zu diesem Zwecke zwei Querschnittserien von Ligidium agele
und Titanethes albus vorgelegt, in denen ich zu meiner Überraschung
dieselben Verhältnisse der Triehtervorrichtungen in den Schalen-
drüsen erkannt habe.
In Fig. 15 und 16 sind zwei hinter einander folgende Quer-
schnitte durch die Schalendrüse von Ligidium age reprodueirt
(Vergröß. Zeıss, hom. Imm. 1/12). Nach Neumec (l. ce.) ist die Drüse
bei der genannten Gattung von allen Oniscodeen am mächtigsten
entwickelt und sind deren Komponenten, »das Endsäckchen und der
vielfach gewundene Kanal« typisch gebaut, welche Angabe durch die
angezogenen Abbildungen Figg. 15 und 16 bestätigt wird.
In beiden Abbildungen sieht man nun, dass die Kommunikation
zwischen dem Cölomsäckchen (Co) und dem Kanälchen (N) durch
eine eingeschnürte Mündung stattfindet, in welcher drei große Zellen
stecken. In Fig. 16 ist nur eine von den Zellen getroffen (c); sie
rast mehr in das Kanälchenlumen hinein, verengt sich keilförmig
segen die Mündung, welche durch einen kräftig entwickelten, aus
slänzenden Fibrillen bestehenden Muskelring (m) zusammengezogen
erscheint. In dem nächstfolgenden Schnitt (Fig. 15) sind sämmtliche
drei Zellen getroffen, die aus dem ersten Schnitt natürlich nur theil-
weise (c); die übrigen zwei Trichterzellen ragen zungenförmig in das
Kanälchenlumen hinein, so dass der Trichter sich eher in das Ka-
nälchen als in das Cölom Öffnet. Bei der starken Kontraktion des
Rinsmuskels sieht man in der Abbildung keinen Verbindungsgang
zwischen dem Cölom und dem Kanälchen. Eben so schwierig ist
es den sarkoplasmatischen Theil und den Kern der Muskelzelle nach-
zuweisen.
Sonst aber, sowohl durch die mikrochemische Beschaffenheit des
Cytoplasma, als durch die Lage stimmen die beschriebenen drei Zellen
vollständig mit dem Trichterapparat des antennalen Nephridiums
überein.
Ungemein überzeugend tritt die Triehtervorrichtung zwischen dem
Cölom und Kanälchen bei Titanethes hervor. Das Cölomsäckchen
zeichnet sich hier durch zwei Eigenthümlichkeiten aus; erstens sind
seine Zellen mit braunen Konkretionen überfüllt, welcher Umstand auf
die exkretorische Funktion des Cölomepithels hinweist (vgl. Fig. 15 Co).
Das Säckchen ist verhältnismäßig sehr umfangreich, indem man es
390 F. Vejdovsky,
durch die ganze Schnittserie der Schalendrüse verfolgen kann. Auf
der inneren, d. h. gegen die Medianlinie des Körpers gerichteten Seite
verengt sich das Säckchen halsartig, um in das Nephridium überzugehen.
Das letztere beginnt wieder mit dem bekannten Trichterapparate.
Die Trichterzellen sind ebenfalls keilförmig und mit dem ange-
schwollenen Ende ragen sie lippenartig in das Lumen des Kanäl-
chens hinein. In meiner Abbildung (Fig. 17) sind zwei gleichgestaltete
Zellen veranschaulicht, wie man sie an einem Schnitt findet. Da aber
letzterer ein wenig dick ist, so kann ich die Zahl der Trichterzellen nicht
bestimmt angeben; bei der höheren Einstellung sehe ich noch eine
Zelle zwischen beiden abgebildeten, bei der niedrigeren Einstellung
scheint es dagegen, dass noch eine vierte Zelle vorhanden ist. Danach
würde der Trichterapparat aus vier Zellen bestehen, was aber für
die morphologische Bedeutung des Gebildes kaum von Belang ist,
zumal man verschiedene Zellenanzahl auch anderswo in den Trich-
tern, z. B. der Oligochäten und Hirudineen, findet. Allerdings aber
muss man künftig in günstiger hergestellten Schnittserien von Tita-
nethes die Zahl der Trichterzellen definitiv feststellen. Der Muskel-
ring (Fig. 17 m) ist bei den genannten Isopoden übereinstimmend wie
bei: dem Antennennephridium entwickelt.
Nach den angeführten Beispielen ist es sicher, dass die Schalen-
drüse, oder besser, das zweite Nephridium der Isopoden nach dem-
selben Typus wie das Antennennephridium gebaut ist. Der einzige
Unterschied zwischen dem Antennennephridium der Gammariden und
dem zweiten Nephridium der Isopoden — (das erste, oder Antennen-
nephridium ist hier nach Craus und NEmEc nur rudimentär) — be-
steht darin, dass das Nephridialkanälchen jener großen Drüsenzellen
entbehrt. Anstatt dessen ist hier eine bindegewebige Umhüllung
vorhanden, entsprechend dem Peritoneum, mit welchem die Nephridien
der Annulaten bedeckt erscheinen.
3. Über die Antennen- und Schalendrüse der Decapoden.
Das Vorhandensein eines modificirten Triehterapparates in den
Exkretionsorganen des erwähnten Arthrostraken war für mich allzu
anziehend, als dass ich mich von dessen Existenz auch bei anderen
Vertretern der Crustaceen nicht überzeugen möchte. Leider aber ver-
mag ich aus eigener Erfahrung in dieser Beziehung nichts Bestimmtes
anzugeben. Die Hoffnungen, entsprechende Vorrichtungen auch bei
Mysis finden zu müssen, erfüllten sich nicht, da hier das Cölomsäckchen
und dessen Verbindung mit dem Nephridium sich als sehr ungünstig
Zur Morphologie der Antennen- und Schalendrüse der Crustaceen. 391
für die Ermittelung des Sachverhaltes erweist. Eben so war es mit
einem Vertreter der Decapoden, nämlich mit Virdius varians, wo die
Kleinheit des Cölomsäckchens nicht gestattet, sich an Schnittserien über
dessen Kommunikation mit dem Nephridium verlässlich zu überzeugen.
Trotzdem glaube ich, dass die künftigen allseitigen Forschungen
über die Nephridien der Decapoden etc. entsprechende Vorrichtungen,
wie bei den Amphi- und Isopoden nachweisen werden. In dieser
Hoffnung bekräftigen mich namentlich die Abbildungen und spär-
liehen Angaben, welche E. J. ALLken über die Antennen- und
Schalendrüse von Palaemonetes varians veröffentlicht hat!. In seiner
Fig. 1 bildet der genannte Autor einen horizontalen Längsschnitt
durch eine drei oder vier Tage alte Larve von Palaemonetes ab, in
welchem das Cölomsäckchen mittels zweier großer Zellen in den
Nephridialsack einmündet. Durch diese zwei Zellen erscheint die
Mündung sehr verengt. Obwohl nun ALLEN diese Thatsache nicht
näher bespricht, so bin ich doch überzeugt, dass es sich hier um
eine Trichtervorrichtung handelt und dass die künftigen Unter-
suchungen diese meine Vermuthung bestätigen werden.
Verlässlichere Angaben theilt ALLEN über die Schalendrüse von
Palaemonetes mit, welche er mit einigen, leider bei schwachen
Vergrößerungen reprodueirten Abbildungen begleitet (l. e. Fig. 6 es,
Fig. 8Ses). Man sieht hier in der Mündung zwei größere in das
Lumen des Kanälchens hineinragende Zellen, die sowohl in der Ge-
stalt als Lage an die Trichterzellen der Isopoden erinnern. ALLEN
äußert sich darüber folgendermaßen: »It will be observed, however,
that in all my figures the cavity of the end-sac is not in free com-
munication with that of the tube, the entrance from the one to the
other being guarded by certain elongated cells of the end-sae which
project into the lumen of the tube. Two such cells appear in each
section. This arrangement of cells is invariably found at the point
where the end-sae joins the tube, and appears to constitute a valve
prevent it from returning in the opposite direction. «
Allgemeines.
1. Physiologie der Exkretion durch das Antennen-Nephridium.
Die Hämolymphe dringt mit den Lymphocyten in das Hämoecöl
ein. Beider Betrachtung der durchsichtigen Exemplare von Niphargus
1 EDGAR J. ALLEN, Nephridia and Body-cavity of some Decapod Crusta-
cea. Quart. mierose. Journal. Vol. XXXIV. 1893. p. 403-426. 3 Taf,
392 F. Vejdovsky,
und Crangonyx kann man sich leicht überzeugen, dass die aus der
unteren Antenne zurückkehrende Hämolymphe größtentheils in die
erwähnte Lakune strömt und zwar geht der Strom auf der Peripherie
des Nephridiums direkt in das Hämocöl. Auf den Schnitten z. B.
durch den Niphargus von Pisino (Fig. 9) sieht man die koagulirte
röthliche Flüssigkeit mit Lymphkörperchen in der pericölomatischen
Lakune; in keinem anderen Theile der Leibeshöhle findet man so
starke Anstauung der Lymphflüssigkeit, wie gerade hier!'. Man nimmt
also mit Recht an, dass in dem Hämocöl der unteren Antennen die
Beseitigung der Exkretionssubstanzen aus der Hämolymphe und eine
Diffundirung derselben durch die Zellen des Cölomsäckchens statt-
findet. Aus denselben Gründen muss man auch annehmen, dass das
Cölomsäckchen der Schalendrüse dieselbe Fähigkeit besitzt, wie es
thatsächlich die oben erwähnten, dicht in den Zellen angehäuften
braunen Konkretionen bei Titanethes beweisen. Aber in dem Cölom-
säckchen selbst vermag man niemals feste Exkretionspartikel anzu-
treffen; die hier vorhandene, oben erwähnte Substanz ist eine offen-
bar zähflüssige, an Präparaten tropfen- und fadenförmig erscheinende
Masse, die kaum fähig ist aktiv in das Nephridium überzugehen.
Zur weiteren Beförderung des Exkretes in das Nephridium muss da-
her der Trichterapparat behilflich sein, wobei dessen Ringmuskel
die Hauptfunktion spielt. Ich stelle mir den Vorgang so vor, dass
sich bei der Füllung des Cölomsäckchens die Trichtermündung erweitert
und durch die darauf folgende plötzliche Kontraktion des Ringmus-
kels ein Quantum der Exkrete in das Nephridium aufgesaugt wird.
Mit Recht nimmt ALLEN an, dass die großen Trichterzellen als Klap-
pen zur völligen Verschließung der Mündung dienen, so dass der
Inhalt aus dem Nephridium in das Cölomsäckchen nicht zurück-
kehren kann.
1 In einer anderen unlängst erschienenen Arbeit berichte ich über die
Parasiten des Gammarus aus dem Garschina-See in der Schweiz. Unter die-
sen ist bemerkenswerth namentlich eine Bakteriumart, die hier in der Hämo-
Iymphe, ihre Keime aber noch in den cystenartigen Schläuchen zu Tausenden
parasitisch leben. Dazu gesellen sich zahlreiche Opalinen und deren Keime.
Sämmtliche Parasiten sammeln sich nun vermittels des Stromes der Hämo-
lymphe in den Lakunen auf der Peripherie der Nephridien und verstopfen sie
so zu sagen vollständig. Die erwachsenen Bakterien sondern dann eine schleim-
artige Umhüllung ab, auf welcher man noch zahlreiche Opalinenkeime angeklebt
findet (vgl. Fig. 23). In Fig. 24 ist in der Lakune ein Leukocyt abgebildet, in
dessen Cytoplasma mehrere Bakterien unversehrt eingeschlossen erscheinen
(vgl. VEJDOVsKy, Bemerk. über Bau und Entwicklung der Bakterien. Centralblatt
für Bakteriologie und Parasitenkunde. II. Abth. 1900).
Zur Morphologie der Antennen- und Schalendrüse der Crustaceen. 393
2. Morphologischer Werth.
Die verschiedenen Ansichten über die morphologische Bedeutung
der Antennen- und Schalendrüse lassen sich folgendermaßen zu-
sammenfassen:
1) Nach der einen Auffassung (WEISMANN, CLAUS, GROBBEN etc.)
stellt die Drüse ein einheitliches Organ vor, in welchem »das End-
säckehen« mit dem Glomerulus der Vertebratenniere und »das Harn-
kanälehen« mit den Tubuli contorti verglichen wird. WELDoN! hat
sich dieser Ansicht angeschlossen, indem er den Glomerulus als
Endigung eines blinden Auswuchses der Nephridialwandung betrach-
tet, das Nephridium selbst aber noch mit einer weiten Leibeshöhle
(»nephroperitoneal sac«) kommunieiren lässt.
2) Nach der zweiten Ansicht betrachtet man das Oölomsäckchen
als theilweise homolog mit dem Trichter des Annulaten-Nephridiums
(WAITE?).
3) LANKESTER? vergleicht dagegen den »end-sac« der Crustaceen
mit einem Raume der Limulus-Embryonen, in welchen sich das Ne-
phridium öffnet, und vermuthet, dass dieses Säckchen ein reducirtes
Cölom vorstellt. Ähnliches hat auch A. Sepgwick* bei Peripatus
sefunden, wo jedes Nephridium in ein Cölomsäckchen einmündet.
Diese dritte, gewiss die richtigste Auffassung hat die verbrei-
tetste Anerkennung gefunden und ist durch die vorliegende Dar-
stellung der Komponenten des Antennen- und Schalennephridiums
der Amphipoden und Isopoden, sowie derselben Organe der Deca-
poden bekräftigt worden. Die Exkretionsorgane der Crustaceen
stellen phylogenetisch sehr alte, von den Stammformen der Krebse
überkommene Organe vor und sind den Nephridien der Annulaten
homolog. Die Beweise für diese Auffassung kann man übersichtlich
in zwei Richtungen führen, nämlich vom vergleichend anatomischen
und zweitens vom embryologischen Gesichtspunkte.
1) Das Cölom der Annulaten kommunieirt durch einen Trichter-
1 Weupon, The coelom and Nephridia of Palaemon serratus. Journ. marine
biolog. Associat. New Series. Vol. I. 1889. p. 162—168. — The renal organs
of certain Decapod Crustacea. Quart. mier. Journ. Vol. XXXN. p. 279—291. 1891.
2 Fr. C. WAıteE, The struct. and development of the antennal Glands in
Homarus americanus. Bull. Mus. comp. Zoology at Harvard Coll. Vol. XXXV.
No. 7. With 6 Pl. p. 151—209. 1899.
3 LANKESTER, Quart. mier. Journ. Vol. XXV. 188.
* A. SEDGwIck, The development of the Cape Species of Peripatus. Ibid.
Vol. <XY—XXxVIll. 1885—1888.
394 F. Vejdovsky,
apparat mit dem Nephridium, welches aus einem mehr oder weniger
sewundenen Kanal besteht und mittels eines epiblastischen End-
stückes [kontraktile Endblase) nach außen mündet. Dieselben Ver-
hältnisse findet man auch bei den Crustaceen. Das im Hämoeöl,
d. h. in der primitiven Leibeshöhle liegende Säckchen ist als rudi-
mentäres Cölom aufzufassen; seine Wandungen differenzirten sich
weder zu Muskelfasern, noch zu einer Peritonealschicht, sondern sind
in der ursprünglichen einfachen Anlage geblieben, um eine specifische,
exkretorische Funktion zu übernehmen. Das Cölomsäckchen öffnet
sich hier wie dort durch einen Trichterapparat in das gewundene
Kanälchen und der kurze hypodermale Endabschnitt entspricht dem-
selben Bestandtheile des Annulaten-Nephridiums. Sogar die ampullen-
artige Erweiterung auf dem Anfangstheile des Nephridiums der
Gammariden wiederholt sich bei den Annulaten unmittelbar hinter
dem Wimpertrichter. Auch die längst bekannte peritoneale Um-
hüllung der Segmentalorgane\der Annulaten entspricht der äußeren
Drüsenschicht auf dem gewundenen Kanale der Amphipoden, sowie
der niedrigen bindegewebigen Hülle des Schalennephridiums der
Isopoden. Kurzum, vom vergleichend-anatomischen Standpunkte giebt
es keinen Unterschied zwischen den Exkretionsorganen der Annulaten
und Crustaceen. |
Der Triehterapparat des Crustaceen-Nephridiums weicht aller-
dings in hohem Maße von dem der Annulaten ab, erstens durch die
seringe Zahl der Zellen und zweitens durch den Mangel an Bewim-
perung und das Vorhandensein eines Ringmuskels. Aber diese Modi-
fikationen sind gewissermaßen durch einen Funktionswechsel in der
Entleerung der zähflüssigen Exkretionsprodukte aus dem Cölomsäck-
chen veranlasst worden. Aus dem »normalen« Annulatentrichter
kam ein dreizelliger, durch den Ringmuskel beeinflusster Klappen-
apparat zu Stande. Das Vorhandensein der Trichtervorrichtung am
Crustaceen-Nephridium bekämpft zur Genüge die Anschauung, dass
das Cölomsäckehen der Antennen- und Schalendrüse dem Wimper-
trichter des Annulaten-Nephridiums homolog sei.
Für die morphologische Auffassung des Trichterapparates bes
trachte ich als wichtig die Frage zu erörtern, ob die Trichterzellen
genetisch als modifieirte Gebilde des Cölomepithels oder der Ka-
nälchenwandung zu deuten sind. Die Entscheidung dieser Frage ist
vom anatomischen Standpunkte aus ziemlich schwierig, zumal auf den
Quer- und Längsschnitten die Trichterzellen einmal (bei Niphargus)
mehr in die Cölomhöhle, ein ander Mal wieder (bei Gammarus, Iso-
Zur Morphologie der Antennen- und Schalendrüse der Crustaceen. 395
poden und Palaemonetes) tief in das Kanälchenlumen hineinragen.
Im ersten Falle könnte man sie als Bestandtheile der Kanälchen-
wandung, im zweiten Falle wieder als eölomatischer Herkunft be-
trachten. Vor der Hand neige ich mich der letzten Auffassung zu,
dass die Trichterzellen vergrößerte Elemente der Cölomwandung vor-
stellen, und zwar aus diesen Gründen: Erstens erweisen sie sich
als direkte Fortsetzung des niedrigen Cölomepithels, dessen Elemente
in der Kanälchenmündung zu großen Zellen herangewachsen sind.
Zweitens wird diese Ansicht durch die mikrochemische Behandlung
unterstützt; mit HEIDENHAIN’schem Eisen-Hämatoxylin behandelt, färbt
sich das Cytoplasma der Trichterzellen eben so tief schwarz, wie die
niedrigen Zellen des Cölomepithels, während gleichzeitig die Zellen
der Kanälchenwandung mit diesem Färbemittel nur unbedeutend ge-
färbt erscheinen. Schließlich entbehrt der Trichterapparat jener meso-
blastischen Umhüllung, welche die Wandungen des Kanälchens in der
Gestalt großer Drüsen begleitet.
2) Die definitive Entscheidung dieser Frage muss man allerdings
der ontogenetischen Untersuchung überlassen. Was man aber bisher
von der Bildungsweise des Crustaceen-Nephridiums kennt, weist
darauf hin, dass es zweierlei Quellen seinen Ursprung verdankt. In
dieser Beziehung liegen bereits mehrere Angaben vor, von welchen
die in der allerletzten Zeit veröffentlichten die verlässlichsten zu sein
scheinen. Aus diesen geht fast übereinstimmend hervor, dass das
Nephridialkanälchen aus dem Epiblaste entsteht, während das Cölom-
säckchen unabhängig von dem letzteren als eine selbständige meso-
blastische Anlage zu Stande kommt. Während nach den älteren
Mittheilungen von REICHENBACH! und ISHIKAwA? die ganze Antennen-
drüse (wobei auch das Cölomsäckchen gemeint wird) in dem Epiblaste
ihren Ursprung haben soll, beweisen die letzten sorgfältigen Arbeiten
von BucinskyY? und Waıte®!, dass die Anlagen des Cölomsäckchens
und Nephridiums folgendermaßen vor sich gehen:
1 REICHENBACH, Studien zur Entwicklung des Flusskrebses. Abhandlungen
SENCKENBERG. Naturf. Gesellsch. Bd. XIV. 1. Heft. p. 1—137. 1886.
2 C. IsHIKAwA, On the development of a Freshwater Macrourous Crusta-
cean, Atyephyra compressa De Haan. Quart. mier. Journ. Vol. XXV. p. 391
—428. 1885.
3 BUCinsky, Haöıyrenaz HaAB eMÖPIioHamHBIMB pasguriemp Malacostraca.
Yacıs Il. Emöpionanuoe paszurie Gebia litoralis. 3annucru HoBopocciickaro Oö-
mecrzea. Tome XIX. Onrecca 1895.
* FR. C. WAITE, The structure and development of the antennal Glands in
Homarus americanus Milne Edw. Bull. comp. Zool. Harvard College. Vol. XXXV.
p. 188—210. 1899.
396 F. Vejdovsky,
Bei Gebia entsteht nach BucınskyY die Drüse aus einem inneren
mesoblastischen und einem epiblastischen Theile, und diese Bildung
findet schon zur Zeit statt, wo der Mesoblast noch nicht regelmäßig
vertheilt ist, d. h. seine Zellen ohne jede deutliche Anordnung zer-
streut erscheinen. — Bei einer Cumacee (Iphinoe) fand BuCınskY
eine epiblastische Einstülpung, deren inneres Ende von einer Anhäu-
fung der Mesoblastzellen umgeben ist. Nach WAaıtE bildet sich der
»end-sac« aus dem Mesoblast und erscheint zuerst als eine oder zwei
differenzirte Zellen, aus deren Theilung ein solides Syneytium zu
Stande kommt. Durch die vorgehende Bildung der Vacuolen ent-
steht eine innere intercelluläre Höhle. Mit dieser Anlage, welche
WaıtE wohl mit Unrecht als theilweise homolog mit dem Trichter des
Annulaten-Nephridiums vergleicht, verbindet sich eine epiblastische
Einstülpung, deren Lumen zum permanenten Gange der Drüse wird.
Die Kommunikation zwischen dem »end-sac« und »Labyrinth« findet
erst sehr spät statt (nach 273—805 Tagen).
Was die Schalendrüse anbelangt, so ist nach den bisherigen An-
gaben ihre Entstehung dieselbe wie bei der Antennendrüse. Auch
sie bildet sich aus zwei Quellen, die mesoblastische Anlage dient
zur Bildung des Cölomsäckchens, die epiblastische stellt das Kanäl-
chen vor.
Das Endstück des Antennen-Nephridiums entsteht gewiss sehr
spät durch die abermalige Einstülpung der fertigen Hypodermis.
Ein Vergleich dieser Nephridienbildung bei Crustaceen mit der
der Annulaten ist derzeit nicht möglich; während man nämlich früher
die doppelte Anlage der Exkretionsorgane bei der letztgenannten Thier-
sruppe annahm, so nämlich, dass der Wimpertrichter unabhängig
von der eigentlichen Anlage des Kanälchens entsteht, behauptet
neuerdings R. S. BERGH! zu wiederholten Malen, dass der » Trichter-,
Schlingen- und Endabschnitt sich aus einer einheitlichen Anlage
herausdifferenzire«. Zwar habe ich? schon das Eine widerlegt,
dass nämlich der »Endabschnitt«, d. h. die kontraktile Endblase nicht
von einer einheitlichen Anlage, sondern von einer sekundären Ein-
stülpung der Hypodermis stammt; das Wichtigste aber, die ersten
Anfänge der Trichter- und Schlingenbildung, bedarf einer eingehenden
Nachuntersuchung.
I R.S. BERGH, Nochmals über die Entwicklung der Segmentalorgane. Diese
Zeitschr. Bd. LXVI p. 435—449. 1899.
2 F. VEIDoVsKy, Noch ein Wort über die Entwicklung der Nephridien. Ibid.
Bd. LXVIL. p. 247—254. 1900.
re ee a a
Zur Morphologie der Antennen- und Schalendrüse der Crustaceen. 397
Erklärung der Abbildungen.
Allgemeine Buchstabenbezeichnung:
a, b, c, Zellen des Trichters; l, Lakunen;
al, Alveolarschicht des Nephridiums; m, Muskelring;
Amp, Ampulle des Nephridiums; ms, Drüsenzellen;
Cv, Cölomsäckchen; N, Nephridium;
ed, Epithel des Endstückes; n, Corticalplasma des Nephridiums;
hp, Hypodermis ; p, Stützbälkchen;
K, Blutkörperchen; x, Myoblast.
Tafel XXVI und XXVIl.
Figg. 1—3. Drei nach einander folgende Horizontalschnitte durch den An-
fangstheil des Antennennephridiums von Niphargus aus Gabrovica. Vergröße-
rung ZEISS, Apochr. 3 mm. 0Oec. 4.
Fig. 4. Drüsenzellen zwischen zwei Kanälchenwindungen. In der Lakune
ein Lymphkörperchen K. Dieselbe Art und Vergrößerung.
Figg. 5, 6. In Theilung begriffene Kerne in den Drüsenzellen.
Fig. 7. Flächenschnitt durch die Wandung des Nephridiums.
Fig. 8. Querschnitt durch drei Kanälchenwindungen (N) mit Drüsenzellen
(ms) und Lakunen (!). Dieselbe Art und Vergrößerung.
Fig. 9. Querschnitt durch das Cölomsäckchen (Co), Trichterapparat (a, b, ec)
und eine Kanälchenwindung (C) von Niphargus aus Pisino (Istrien). Dieselbe
Vergrößerung.
Fig. 10. Querschnitt durch das Cölomsäckchen (Cv), Triehterapparat (a, b, e)
und Ampulle des Nephridiums von Niphargus kochiunus.
Fig. 11. Querschnitt durch den Trichterapparat derselben Art.
Fig. 12. Schräger Schnitt durch den Trichterapparat von Niphargus elegans.
Fig. 13. Horizontaler Längsschnitt durch den Anfangstheil des Nephridiums
von Gammarus pulex. Dieselbe Vergrößerung.
Fig. 14. Nachfolgender Schnitt.
Fig. 15. Querschnitt durch den Anfangstheil des Schalennephridiums von
Ligidium agıle. |
Fig. 16. Der nachfolgende Schnitt.
Fig. 17. Querschnitt durch das Cölomsäckchen und den Anfangstheil des
Schalennephridiums von Titanethes albus.
Fig. 18. Tangentialer Längsschnitt durch das Cölomsäckchen, den Trichter-
apparat und die ampullenartige Erweiterung des Antennennephridiums von
Gammarus pulex.
Fig. 19. Stück der Nephridiumwandung mit einer Drüse derselben Art.
Fig. 20. Alveolarschicht der Nephridiumwandung von der Fläche betrachtet.
Fig. 21. Basaltheil einer Drüsenzelle mit Alveolen (al).
Fig. 22. Das hypodermale Endstück des Nephridiums von Gammarus
pulex.
Fig. 23. Lakunen zwischen den Drüsenzellen des Nephridiums mit Bak-
terien und Keimen einer Opalina gefüllt.
Fig. 24. Leukocyt mit Bakterien beladen in der Blutlakune. Vergrößerung
ZEISS, hom. Imm. Comp. Oe. 4.
Untersuchungen über Hämosporidien.
I. Ein Beitrag zur Kenntnis des Genus Haemogregarina Danilewsky.
Von
Carl Börner, stud. rer. nat.
aus Bremen.
(Aus dem zoologischen Institut zu Marburg in Hessen.)
Mit Tafel XXVII.
Einleitung und Präparationsverfahren.
Bis vor kurzer Zeit konnten als Verbreitungsgebiet der Gattung
Haemogregarina Dan., wenn man die von Kruse entdeckte Haemo-
gregarina magna (Gr. et Fel.) aus dem Blute von Rana esculenta L.
nicht in Anrechnung bringt, nur drei Ordnungen der Reptilien auf-
geführt werden, die Chelonia, Sauria und Ophidia, und zwar sind
nach den Angaben von LABBE im Thierreich (99) von Cheloniden
drei Gattungen in zusammen drei Arten, von Sauriern eine Gattung
in zwei Arten, und von Ophidiern vier Gattungen in vier Arten mit
Hämogregarinen infieirt gefunden worden. Wir sehen, dass die Zahl
der auf Blutparasiten untersuchten Gattungen und Arten gegen die
der bekannten Kriechthiere ganz verschwindet, und selbst viele hei-
mische (europäische) Reptilien sind augenscheinlich noch nicht näher
auf diesen Punkt hin geprüft. Freilich dürfen wir nach unseren
augenblicklichen Kenntnissen wohl sagen, dass die Hämogregarinen in
sroßer Gleichförmigkeit in den verschiedenen Wirthsthieren auftreten,
so dass die einzelnen Formen vielfach nur schwer von einander zu unter-
scheiden sind, dennoch würde eine genaue Musterung zahlreicher Ver-
treter der einzelnen Reptilienklassen, die in gewissem Umfange nicht
schwer durchzuführen sein dürfte, nothwendig sein, um uns einen
Überblick über die geographische Verbreitung sowohl, wie auch über
die Vertheilung der Hämosporidien innerhalb der genannten Ordnung
zu verschaffen.
Untersuchungen über Hämosporidien. I. 399
Von einem solchen Gesichtspunkte ausgehend untersuchte ich im
November vergangenen Jahres (1899) das Blut eines Krokodils (Crocodi-
lus frontatus Murr.), dasich in Marburg gelegentlich aus einer Menagerie
erhalten hatte. Meine Vermuthung, hier vielleicht Blutparasiten aus
der Gruppe der Hämosporidien zu finden, wurde durch die Präparate
bestätigt. Angeregt durch diesen Fund wandte ich mich während
meines Ferienaufenthaltes in Bremen an den Direktor des städtischen
Museums, Herrn Prof. Dr. ScHAvInsLAnD, der die Liebenswürdigkeit
hatte, mir die lebenden Alligatoren, die daselbst in einem kleinen
Terrarium gehalten werden, zwecks Untersuchung zur Verfügung zu
stellen. Ich war nun in der glücklichen Lage, in dem Blute eines
der neun Alligatoren einen Parasiten aufzufinden, der mit jenem aus
dem Blute von Crocodilus frontatus eine auffallende Ähnlichkeit zeigt,
und auf Grund einer eingehenden Vergleichung bin ich zu dem Resul-
tat gekommen, dass es sich in beiden Fällen um ein und dieselbe
Species handelt, die ihrerseits aber von den bisher beschriebenen For-
men des Genus Haemogregarina als neue Art zu unterscheiden ist.
Zugleich fand ich im Bremer Museum Gelegenheit, das Blut
einiger Schildkröten auf die Anwesenheit von Hämosporidien zu prüfen.
Dabei fand ich in zwei Schildkröten (in einer Platemys spec. und
einer nordamerikanischen, als Clemmys elegans bestimmten Schild-
kröte) Hämogregarinen, deren genaue Untersuchung ebenfalls Artunter-
schiede von der verwandten Haemogregarina stepanowi Dan. ergab.
Schließlich gelang es mir noch, während einer im Frühjahr unternom-
menen Reise nach Sicilien, in dem Blute einer Coluber aesculapii
Sturm. einen gleichfalls zum selben Genus gehörigen, wahrscheinlich
eine neue Art repräsentirenden Blutparasiten zu konstatiren.
Die Arbeit wurde im hiesigen Zoologischen Institute ausgeführt,
und ich spreche Herrn Professor Dr. KORSCHELT für seine freund-
lichen Unterweisungen meinen aufrichtigen Dank aus, eben so wie
ich Herrn Professor Dr. SCHAUINSLAND für das mir durch die oben
erwähnte Überlassung des lebenden Matrials bewiesene Wohlwollen
zu besonderem Dank verpflichtet bin.
Die Untersuchung wurde vorzugsweise an fixirten und gefärbten
Präparaten vorgenommen, doch zur Kontrolle und Ergänzung auch
das lebende Objekt studirt. Leider war es mir bisher durch Aus-
_ arbeitung einer Vitalfärbung nicht möglich, die Gefahren zu umgehen,
die bei der Beurtheilung der Zellstruktur nach fixirten Präparaten
fast unvermeidlich sind, worauf in neuester Zeit ALFR. FiscHer durch
seine Abhandlung über Fixirung, Färbung und Bau des Protoplasmas
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 27
400 Carl Börner,
(99) wieder mit aller Schärfe hingewiesen hat. Da ich aber mit
dieser Arbeit prineipielle Fragen über den Bau des Zellkernes und
Cytoplasmas weder behandeln wollte noch konnte, vielmehr an der
Hand des üblichen Präparationsverfahrens die unterscheidenden Merk-
male einiger bisher unbekannter Blutparasiten nur zu beschreiben
beabsichtigte, so dürfte es hier nicht besonders von Belang sein, ob
die, zum Theil schon als solche beschriebenen Strukturen in Wahr-
heit Artefakte sind oder nicht. Zur Unterscheidung der verschie-
denen Formen wird man sie bei Anwendung der gleichen Fixirungs-
methode immerhin verwerthen können. Denn wenn Unterschiede
an fixirten und gefärbten Präparaten vorhanden sind, so werden sie
sich nicht minder, wenn auch in etwas anderer Form, am lebenden,
resp. lebend gefärbten zu erkennen geben.
Um gute Deckglas-Trockenpräparate zu erhalten, wandte ich die
bei den Medicinern gebräuchliche Methode an. Um möglichst gute
Fixirung zu erzielen, setzte ich die Präparate, ehe sie getrocknet
waren, einige Sekunden starken Osmiumsäuredämpfen aus, doch muss
ich hinzufügen, dass ich nicht den mindesten Unterschied zwischen den
mit Osmium behandelten und den anderen, nicht speciell fixirten,
habe wahrnehmen können. Nachdem die Präparate an der Luft (ohne
Erwärmung des Deckglases) getrocknet waren, wurden sie in mög-
lichst absolutem Alkohol in !/, bis 1 Stunde gehärtet und endgültig
fixirt. Dass der Alkohol hier die Fixirung besorgt, glaube ich u. A.
daraus schließen zu dürfen, dass an Präparaten, die nicht gehärtet
waren, jene Kernstrukturen nicht zu beochten waren.
Nach der Fixirung und Härtung in Alcohol absolutus wurden
die Präparate getrocknet und jetzt erst in die Farbflüssigkeiten ge-
bracht. Zur Färbung benutzte ich weitaus am meisten die von Ro-
MANOWSKY. Ich mischte mit einander
151/, Theile Eosin in 0,1%, wässeriger Lösung und
41/, Theile Methylenblau in 1,0°%/, wässeriger Lösung
und ließ die Farbmischung, die vor dem Gebrauch am besten stets
neu hergestellt wird und gut zu filtriren ist, !/, bis 1 Stunde ein-
wirken; für Haemogregarina crocodilinorum mihi ist es vortheilhaft,
noch länger zu färben, damit der Kern deutlicher sichtbar wird. Die
Farbe wird mit destillirtem oder nichtdestillirtem Wasser, zu dem
man etwas Essigsäure hinzusetzt, leicht ausgezogen und differenzirt.
Nach der Färbung wurden die Präparate wieder an der Luft ge-
trocknet und dann in Kanadabalsam eingeschlossen. Außerdem ver-
suchte ich noch Färbungen mit Eisen-Hämatoxylin (nach HEIDENHAIN),
Untersuchungen über Hämosporidien. 1. 401
Hämatoxylin (DELAFIELD) und Pikrokarmin, von denen die Methode
HEIDENHAIN’s noch sehr gut brauchbare Resultate liefert. Allen vor-
zuziehen ist aber die erstgenannte, da sie an Genauigkeit der von
HEIDENHAIN nicht nachsteht, diese jedoch an Schönheit des Bildes
weit übertrifft.
Zum Durchsuchen der Präparate ist ein verschiebbarer Objekt-
tisch mit Nonius unbedingt nothwendig, ganz ausgezeichnet funktio-
nirt der Zeiss’sche Kreuztisch.
Beschreibung genereller Merkmale der untersuchten Hämogregarinen.
In der äußeren Gestalt sowohl als im Wachsthumsvorgang und
_ der Zellstruktur herrscht eine große Ähnlichkeit zwischen sämmtlichen
mir bekannten Hämogregarinen, doch erlauben mehr oder minder
auffällige specifische Merkmale die Trennung und Unterscheidung
verschiedener Arten, resp. Varietäten. Als Hauptunterscheidungs-
merkmal galt bisher und wird auch ferner noch vielfach die Größen-
differenz gelten; es ist aber die Größe ein ganz relatives Merkmal,
und speciell bei den Vertretern unseres Genus kann man beobachten,
wie die Größe der Parasiten abhängig ist von der ihrer Wirthszellen,
der Blutkörperchen. Nun sind aber innerhalb engerer Gruppen der
Reptilien diese ihrerseits wenig oder gar nicht an Größe verschieden,
wir können dann auch zwischen den Blutparasiten kaum, wenn über-
haupt, eine Differenz in der Größe konstatiren, und zur Unterschei-
dung der einzelnen Formen ist bisweilen nur die Herkunft, das
Wirthsthier maßgebend. Daraus ergiebt sich, dass wir vorläufig die
beobachteten Formen systematisch nicht recht einordnen können,
dass wir hin und wieder nicht zu sagen vermögen, ob sie im Ver-
hältnis von Varietäten oder specifisch unterscheidbaren Arten zu ein-
ander stehen. Daher will ich mich auch hier begnügen, die von
mir beobachteten differentiellen Merkmale nachher des Näheren zu
beschreiben, und wenn ich den einzelnen Formen einen Artnamen
beilege, so will ich damit die Möglichkeit nicht für ausgeschlossen
halten, dass spätere Untersuchungen und Experimente die mehr oder
weniger bedingte Abhängigkeit verschiedener Formen beweisen.
Bei sämmtlichen Hämogregarinen haben wir während der Wachs-
thumsperiode — deren Stadien ich, nebenbei bemerkt, hier nur be-
handeln werde, da ich die Fortpflanzung und Vermehrung zu studiren
noch keine Gelegenheit hatte — zwei Zustände zu unterscheiden,
einen, in dem das Thier gestreckt, den anderen, in dem es zwei-
schenklig erscheint; beide Stadien sind natürlich durch Übergänge
27*
402 Carl Börner,
mit einander verbunden. Wie diese Thatsache zu erklären sein
dürfte, werden wir nachher noch sehen, jedenfalls glaube ich, dass
sie das bisher einzig festzustellende generelle Merkmal bietet, das
die Hämogregarinen zu einer von anderen Hämosporidien unter-
schiedlich gekennzeichneten Gattung zusammenfasst.
Beginnen wir mit dem ersteren, jüngeren Stadium. Die Ge-
stalt ist meist bohnenförmig oder eine Modifikation daraus, wir können
eine etwas stärker und eine etwas schwächer gewölbte Außenfläche
unterscheiden; der Parasit scheint nicht von irgend einer Seite zu-
sammengedrückt, vielmehr auf dem Querschnitt von annähernd runder
Form zu sein.
Im Cytoplasma lassen sich fast stets deutlich zwei Substanz-
formen unterscheiden, 1) das lebensthätige, zähflüssige Plasma, die
sogenannte Intergranularsubstanz, und 2) die schon in der
lebenden Zelle wahrnehmbaren Granula, die zum Theil die chroma-
toiden Granula SCHNEIDER’S und LaggE’s darstellen. Durch diese
Körner erhält das Cytoplasma einen wabigen, alveolären Bau, der im
Prineip dem der Coceidien völlig gleicht, wie er von SCHAUDINN und
SIEDLECKI in ihren trefflichen Untersuchungen an der Hand zahlreicher
Abbildungen beschrieben worden ist. Diese Granula, einerlei, welches
ihre physiologische Bedeutung sei, sind in der lebenden Zelle in
forma vorhanden, wobei ich dahingestellt lasse, ob sie sich als
Flüssigkeit in den eytoplasmatischen Vacuolen, die dann als solche
fixirbar wären, oder ob sie sich als Sphärokrystalle in der Zelle
vorfinden. Das Letztere trifft wohl höchstens auf einen kleinen Theil,
die genannten »chromatoiden« Granula zu. Je nachdem sich jetzt
die Granula oder die Intergranularsubstanz intensiver färbt, wird das
Bild des Parasiten abgeändert, das Erstere finden wir beispielsweise
bei Haemogregarina erocodilinorum mihi, das Letztere häufig bei Hae-
mogregarina stepanowi Dan.
Die sich stets intensiv färbenden »chromatoiden« Körner kommen
hierbei nicht in Betracht. Sie bilden sich besonders zahlreich zu
Beginn des Wachsthums und werden später nach Vollendung dessel-
ben zum großen Theil wieder resorbirt; so sieht man die zwei-
schenkeligen Individuen häufig mehr oder weniger frei von ihnen
(ef. Figg. 20—21, 17—18).
Der Kern der Hämogregarinen ist am lebenden Thier stets leicht
und deutlich zu erkennen, was am gefärbten Präparat nicht auf allen
Stadien der Fall ist. Der vielleicht nur durch den Fixirungsalkohol
hervorgerufene grob-gerüstige Bau ist aus den einzelnen Figuren der
Untersuchungen über Hämosporidien. I. 403
Tafel zur Genüge ersichtlich. Die Chromatinkörner wechseln inner-
halb derselben Zelle für gewöhnlich nur wenig an Größe, bisweilen
aber, wie z. B. Figg. 11, 12, 13 zeigen, sind einige Chromatinkörner
unverhältnismäßig herangewachsen, während die anderen ganz zu-
rückgeblieben sind, niemals jedoch hatte sich im Kern ein Körper
gebildet, der mit dem von Coceidien und anderen Protozoen bekannt
sewordenen Binnenkörper oder Karyosom (LABBE, SCHAUDINN,
SIEDLECKI) hätte verglichen werden können; auch nach vorheriger
Osmiumbehandlung und Karminfärbung war ein solcher nicht wahr-
zunehmen. Sollte er sich bei den Hämosporidien vielleicht gar nicht
finden, oder sich erst in Stadien bilden, die von mir nicht unter-
sucht werden konnten? Die die einzelnen Chromatinkörner verbin-
denden, sogenannten Lininfäden, sind nicht stets gleich deutlich
zu erkennen, auch an Individuen, von denen man nichts weniger als
Degeneration behaupten kann; am besten habe ich sie bei Haemo-
gregarina stepanowi und auch cerocodilinorum beobachten können. Man
sieht alsdann, wie z. B. in Fig. 8—10, 14, 24—26 Chromatinkörner,
die zusammenhangslos in der achromatischen Substanz des Kernes
liegen. Vielleicht könnte diese Thatsache darauf hindeuten, dass
die Substanz, die den Lininfäden zu Grunde liegt, sich in der leben-
den Zelle in gelöstem Zustande befindet, dass sie durch die Fixi-
rungsflüssigkeit äußerst feinkörnig ausgefällt wird (was also in dem
Falle der angegebenen Figuren nicht eingetreten wäre), und sich
dann diese, nunmehr festen Körnchen zwischen den Chromatinkörnern
vertheilen, so dass sie scheinbar Verbindungsfäden derselben dar-
stellen, welche Erklärung sehr entschieden von ALFR. FISCHER ver-
treten wird.
Ja, bisweilen möchte man sogar an der Präexistenz der Chro-
matinkörner als solchen Anstand nehmen, indem man nicht selten
Individuen begegnet, deren Kerne äußerst undeutlich, kaum begrenzt,
von ganz unregelmäßig geformten, zusammenhangslos neben einander
liegenden Chromatinkörnern und -körnchen erfüllt sind, während im
Übrigen die Zelle keinerlei Abnormitäten oder Degenerationserschei-
nungen zeigt, so dass die Erklärung hierfür wohl kaum in einer patho-
logischen Veränderung des Kernes zu suchen sein dürfte. Es würde
sich in solchen Fällen die chromatische Substanz ungleich, diffus, im
Kerne vertheilt haben, was doch wohl nur im völlig gelösten Zu-
stande denkbar wäre, so dass wir von einer speciellen Struktur des
Kernes hier nicht reden können.
Eine eigentliche Kernmembran ist bei den Hämogregarinen eben
404 Carl Börner,
so wenig ausgebildet als bei den Coceidien; selbst bei stärkster Ver-
srößerung kann man nichts davon entdecken, niemals bemerkte ich
eine doppelt kontourirte Linie denselben umgrenzen. Dass der Kern
dieser Blutparasiten am lebenden Thiere so deutlich und scharf um-
grenzt erscheint, hat seinen Grund darin, dass die sogenannte achro-
matische Substanz, in der die übrigen Bestandtheile des Kernes
suspendirt sind, stark lichtbrechend ist und so den gesammten Kern
von dem übrigen Cytoplasma mehr oder minder deutlich abhebt. Die
Lichtbrechung der achromatischen Substanz ist aber am gefärbten
Präparat nicht mehr wahrzunehmen, in Folge dessen auch die Grenzen
des Kernes leicht verwischt erscheinen.
Die Gestalt des Kernes ist eine sehr wechselnde, theils durch
äußere Druckverhältnisse direkt bedingt, theils wohl vom jeweiligen
physiologischen Zustande desselben abhängig. Für gewöhnlich be-
sitzt er freilich eine abgerundete Form, wie in den Figg. 11, 15—17,
22; aber nicht selten nimmt er auch eine Bohnen- oder Birnform an.
In welcher Weise Haemogregarina labbei mihi betreffs der Gestalt
des Kernes von der Norm abweicht, werden wir nachher bei Be-
sprechung der speciellen Merkmale noch kennen lernen. An den
gestreckten einschenkeligen Individuen beobachten wir normaler Weise
noch keine mechanischen Gestaltsveränderungen des Kernes, desto
häufiger aber an den älteren zweischenkeligen, zumal gewisse For-
men, wie z. B. Haemogregarina stepanowi, auch Haemogregarina
labbei, mit Vorliebe ihren Kern an der Biegungsstelle der Zellen
zeigen (cf. Figg. 5, 9, 10, 18). Derselbe verliert seine ursprüngliche
runde Gestalt, streckt sich an dem einen Ende, welches dem neu-
angelegten, meist schmäleren Schenkel des Parasiten zugekehrt ist,
etwas in die Länge, bis er schließlich, falls er genau an der Bie-
gungsstelle zu liegen gekommen ist, eine Art »Quersackform« an-
nehmen kann, die sich bereits von LAvERAN (98) beschrieben findet
(ef. Fig. 18). Das die beiden Kernhälften verbindende Mittelstück
wird bisweilen so dünn, dass es zerreißt, und wir zwei Kerne in
der einen Zelle vorfinden. Die Theilstücke scheinen später wieder
verschmelzen zu können (cf. auch Haemogregarina labbei, Fig. 8),
jedenfalls dürfen wir hier nicht von einer Kerntheilung im eigent-
lichen Sinne des Wortes sprechen. Je weiter jetzt der Kern in das
schmälere Ende der Hämogregarine wandert, desto mehr streckt er
sich in die Länge, wobei er doppelt so lang werden kann, als er
ursprünglich war. Später nimmt er seine normale Gestalt wieder an;
Untersuehungen über Hämosporidien. I. 405
wenn der Parasit das Blutkörperchen verlassen und sich wieder ge-
streckt hat, finden wir einen rundlichen Kern vor.
Betrachten wir jetzt die Bildung des zweischenkeligen Sta-
diums (ef. die Fig. 15—21), wie sie sich in gleicher Weise bei allen
Hämogregarinen abspielt. Wenn der Parasit eine bestimmte Länge
erreicht hat, die je nach der Art verschieden ist, zeigt sich nach
einiger Zeit an dem einen Ende, das wir vielleicht als Hinterende
auffassen dürfen, ein kleiner hakenförmiger Vorsprung (cf. Fig. 16
für Haemogregarina Stepanowi), zugleich bemerken wir aber, dass das
Thier an jener Stelle und etwas mehr oberhalb derselben schmäler
erscheint, was darauf hindeutet, dass jener Vorsprung kein neu an-
selegtes Zellmaterial ist, dass mit anderen Worten keine Wachs-
thumserscheinung hier vorliegt. Dies wird desto deutlicher, je mehr
sich der Vorsprung vergrößert, denn im gleichen Schritt mit dessen
Größenzunahme sehen wir das andere Ende des Parasiten schmäler
werden, so dass schließlich beide Hälften gleich lang und je nach
der Art mehr oder minder gleich stark geworden sind (cf. Figg. 17,
18 und 20, 21). Wenn wir jetzt das Volumen des zweischenkeligen
mit dem des noch gestreckten Individuum vergleichen, so können
wir kaum eine Differenz beobachten. Offenbar handelt es sich im
normalen Falle um eine Längenvergrößerung auf Kosten der Breite,
die der Parasit gerade in dieser Weise vollzieht, um nachher leichter
das Blutkörperchen zerstören zu können, indem er die beiden erst
neben einander gelegenen Schenkel aus einander spreizt. Denn nach
den Untersuchungen von LABBE u. A. erfolgt die Eneystirung der
Hämogregarine nicht in dem zuerst befallenen Blutkörperchen, viel-
mehr wird ein freies, bewegliches Stadium eingeschaltet, das un-
mittelbar auf das zweischenkelige folgt, so dass jede Hämogregarine
während ihrer gesammten Entwicklung zwei Blutzellen, die erste als
zweischenkeliger Schizont (nach ScHAupDınv), die zweite bei der
Schizogonie, zerstört.
Bisweilen wird freilich die Bildung des zweiten Schenkels schon
eingeleitet, wenn die volle Größe, die für gewöhnlich von der ge-
streckten Form erreicht wird, noch nicht angenommen ist; sodann
gehen natürlich beide Erscheinungen, die Streckung und das Wachs-
thum des Parasiten, neben einander her, und am Ende hat es den
Anschein, als sei erstere eine Folge der letzteren. Am auffälligsten
ist jedenfalls die Thatsache, dass sich die Erscheinung bei den großen
wie bei den kleinen und kleinsten Formen (cf. Haemogregarina croco-
dilinorum) des Genus Haemogregarina findet, und wie schon Eingangs
406 Carl Börner,
erwähnt wurde, ist sie das typische Merkmal der Gattung. Findet
sie sich bei irgend einem Blutparasiten der Ordnung der Hämospori-
dien, so können wir ihn vorläufig sicher diesem Genus unterordnen;
doch ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass das heutige Gat-
tungsmerkmal später bei Erweiterung unserer Kenntnisse ein Familien-
merkmal wird.
Der neu angelegte Schenkel lässt im Bau des Cytoplasmas einen
feineren Bau erkennen als der ursprüngliche; die Granula sind kleiner,
aber desto zahlreicher, so dass dieser Theil der Zelle, der sich meist
vom Kern bis an das hintere Ende erstreckt, kompakter und dunkler
gefärbt erscheint.
Ekto- und Entoplasma habe ich bisher an Hämogregarinen,
zumal an gefärbten Präparaten, nicht unterscheiden können; es findet
sich aber nach LABBE das Ektoplasma als sogenanntes Epiceyt und
Myocyt ausgebildet; im Myocyt kommen nach ihm die zur Bewe-
sung dienenden Myocytfibrillen vor. Die Granula befinden sich
nach ihm nur im Entoplasma.
Der im präparirten Zustande stets zu beobachtende helle Saum,
der die ganze Hämogregarine allseitig, bald mehr bald weniger breit
umzieht, beruht auf einer Schrumpfung des Parasiten beim Abster-
ben: beim lebenden Objekt ist niemals etwas davon wahrzunehmen.
Was die direkte Einwirkung des Parasiten auf die Blutzellen
anlangt, so lässt sich darüber nicht mehr sagen, als was LABBE be-
reits für die von ihm untersuchten Hämogregarinen beschrieben hat.
Mit einer Verminderung des Hämoglobingehaltes ist regelmäßig eine
mehr oder minder starke Vergrößerung des Blutkörperchens verbun-
den, die zunimmt, je älter der Parasit wird (cf. die Figuren). Zuerst
sieht man, wie die Wirthszelle aktiv heranwächst, der Kern ist noch
normal; nach einer gewissen Zeit hat aber diese aktive Hyper-
trophie ihren Höhepunkt erreicht und die Zelle beginnt zu degene-
riren, was sich vorerst am Kern kundgiebt. Bei den größeren Arten
der Gattung Haemogregarina kommt es jetzt weiter zu einer passiven
Dehnung des Blutkörperchens, die so weit gehen kann, dass es den
Parasiten nur noch als schmaler Saum umgiebt; dies tritt jedoch bei
Haemosregarina erocodilinorum z. B. nicht ein, da dieselbe überhaupt
nie, auch nur entfernt, die normale Größe der Wirthszelle erreicht
(ef. Figg. 1—14, 21). Hinzu kommt stets noch eine chemische Ver-
änderung des Cytoplasmas des Blutkörperchens, namentlich in der
Nähe des Parasiten. Die Degenerationszone (LABBE) erstreckt sich
kontinuirlich um die Hämogregarine und nimmt an Ausdehnung in
pe
Untersuchungen über Hämosporidien. I. 407
der Nähe des Kernes der Wirthszelle meist zu, wie dies aus den
Figuren zu ersehen ist. Bei den von mir angewandten Färbungen
(ROMANOWSKY, HEIDENHAIN) vermochte ich nicht den von LABBE an-
gegebenen granulösen Bau dieser Zone zu erkennen, sie erschien nur
dunkler gefärbt als das übrige nicht beeinflusste Protoplasma des
Blutkörperchens.
Beschreibung der differentiellen Merkmale von Haemogregarina
crocodilinorum, labbei und colubkri mihi.
1. Haemogregarina erocodilinorum mihi.
(Figg. 19—22.)
Die jüngsten Individuen, die ich gesehen habe, hatten eine Länge
von 4,75 u, die ausgewachsenen, gestreckten eine solche von 7 bis
höchstens 7,75 u, die zweischenkeligen maßen die doppelte Länge,
die freien beweglichen nur ca. 9 u; letztere waren aber von größerer
Breite als die zweischenkeligen innerhalb der Blutzellen. Der Para-
sit ist schwach bohnenförmig gebogen, schlanker als Haemogregarina
Stepanowi, an beiden Enden gleichmäßig abgerundet. Die Form des
Kernes ist ziemlich regelmäßig, zumeist rundlich oder länglich-rund-
lich. Im Übrigen herrscht eine große Ähnlichkeit zwischen Haemo-
gregarina stepanowi und dieser Species, namentlich auch betreffs des
Vorkommens der »chromatoiden« Körner, die bisweilen sehr zahlreich
auftreten. Cytocysten bisher nicht beobachtet. Neben der normalen
einfachen findet sich nicht so selten die doppelte Infektion einer Blut-
zelle, was wohl seinen Grund in der geringen Größe dieser Form hat;
ja, beide Individuen vermögen sich in dem einen Blutkörperchen
völlig zu entwickeln. Gewöhnlich beobachtet man nur rothe Blut-
körperchen infieirt, bisweilen aber auch Leukocyten, ich konnte sogar
die doppelte Infektion eines solchen konstatiren.
Der Parasit kommt in allen Blutbahnen, in der Milz und im
Knochenmark vor und findet sich im Blute von Crocodilus frontatus
Murr. und Alligator mississippiensis Daud., so weit sich bis jetzt
feststellen ließ.
2. Haemogregarina labbei mihi.
(Figg. 1—14.)
Die beobachteten Individuen schwankten in der Größe zwischen
9,5 u und 12 u im gestreckten, resp. 24 im zweischenkeligen Sta-
dium. Die Gestalt ist der von Haemogregarina erocodilinorum ähnlich,
408 Carl Börner,
zumeist etwas mehr gebogen und an dem einen Ende, welches wir
oben als Hinterende bezeichnet haben, etwas schmäler (Fig. 2); be-
sonders an den zweischenkeligen Parasiten ist die Breitendifferenz
der beiden Schenkel deutlich wahrzunehmen (Figg. 4—14).
Das Cytoplasma färbt sich an der Mehrzahl der Individuen
nur sehr schwach; auch die geformten Elemente nehmen bei sämmt-
lichen versuchten Färbungen nur selten eine deutliche Färbung an,
so dass es bisweilen den Anschein hat, als sei das Zellprotoplasma
hyalin; ist die Färbung aber doch eingetreten, so bemerkt man große,
schön gerundete Körner regelmäßig im Cytoplasma verstreut liegen
(Figg. 3 und 10). Neben solchen Thieren, die sich in den Figg. 1
bis 10 abgebildet finden, traten, wenn auch nicht so zahlreich, andere
auf, die ähnlich wie Haemogregarina stepanowi und crocodilinorum
stark färbbare Granula besitzen (Figg. 11—14). Von einer Überfär-
bung des Präparates kann hier nicht die Rede sein, da ich dicht
neben den ersteren solche Formen liegen sah. Es erweckte zunächst
den Anschein, als handele es sich um eine andere Species, aber die
charakteristischen Kernverhältnisse und die in der Nähe des Kernes
gelegenen Granula überzeugten mich, dass dies nicht der Fall sei.
Was die Ähnlichkeit mit Haemogregarina stepanowi noch erhöht, ist
das Auftreten von Körnern, die den »chromatoiden« Granulis ohne
Frage entsprechen (sie finden sich in den Figg. 13 und 14 in dem
vorderen Theil der Zelle durch stärkeren Druck hervorgehoben).
Diese fehlen bei den erstgenannten Formen, so weit meine Beob-
achtungen reichen, gänzlich. Die richtige Deutung jener Individuen
entzieht sich meinem Urtheil; vielleicht liegen nur Ernährungsver-
schiedenheiten vor, vielleicht handelt es sich aber auch um sexuelle
Differenzirungen, vergleichbar den von Coceidien und Gymno-
sporidien beschriebenen, eine Frage, die allein die Entwicklung dieser
Formen zu entscheiden im Stande ist.
Charakteristisch für unsere Hämogregarine sind die Verhältnisse
des Kernes und das Vorhandensein eigenthümlicher, meist in der
Nähe derselben, vielleicht sogar aus ihm selbst stammender Granula,
die niemals fehlen.
Der geringen Färbbarkeit des Cytoplasmas zufolge ist der Kern,
auch bei den Formen der Figg. 11—14, stets leicht zu erkennen und
in seinen Details ohne große Schwierigkeit zu untersuchen. Zunächst
ist es auffällig, dass der Kern bei den jüngsten Formen, die etwa
5,95—7 u lang sind, den größten Theil der Zelle einnimmt, so dass
für das Zellplasma nur noch sehr wenig Platz übrig bleibt (Figg. 1, 2).
Untersuchungen über Hämosporidien. 1. 409
Ob dies ein ursprüngliches Verhalten ist, d. h. ob jedes junge Mero-
zoit bei seiner Entstehung so viel Kernsubstanz erhält, als es in dem
beschriebenen Falle besitzt, oder ob das Wachsthum des Kernes
schneller und eher erfolgt als das des Cytoplasmas, vermag ich nicht
anzugeben. Der Kern selbst erscheint bereits von typischem Bau,
zahlreiche, verschieden große Chromatinkörner liegen dicht neben
einander, zwischen denen sich die achromatische Substanz ausbreitet.
Er hat sich dicht an die Wand der Zelle angelegt, und zwischen den
vor und hinter ihm gelegenen Abschnitten des Cytoplasmas scheint
kaum eine Verbindung zu bestehen; diese bildet sich immer nur auf
der weniger gewölbten Seite des Parasiten (in Fig. 3 rechts); die
Lage des Kernes dicht an der Wand der entgegengesetzten Seite
bleibt stets erhalten, was immerhin zu bemerken wäre.
Gehen wir jetzt zu Fig. 3 über, so fällt uns sofort die eckige,
nicht abgerundete Gestalt des Kernes auf, die Fortsätze, die unwill-
kürlich an Pseudopodien erinnern, wie sie von den Kernen ver-
schiedenartiger Metazoenzellen beschrieben worden sind. Ähnliche
Unregelmäßigkeiten beobachten wir an der Mehrzahl der Kerne. Mit
Vorliebe sehen wir sie, wie schon Eingangs erwähnt, an der Biegungs-
stelle der zweischenkeligen Formen verweilen und einen kurzen Aus-
läufer in den schmäleren Schenkel hineinsenden; mechanische Ein-
schnürungen kommen zu Stande, die sich bei unserer Form noch
erhalten können, wenn der Kern nicht mehr dem äußeren Drucke
unterworfen ist (ef. Figg. 7 und 15). Durchsechnürungen kommen vor,
in Fig. 8 sehen wir die beiden Theilhälften im Begriffe wieder mit
einander zu verschmelzen. Zu alledem kommt noch eine, vielleicht
nur zeitweilige, Größenveränderung des ausgewachsenen Kernes, wie
sie z. B. aus dem Vergleich von Fig. 8 und 9, 12 und 14 hervor-
geht. Je kleiner der Kern, desto intensiver ist er gefärbt, und umge-
kehrt, woraus hervorgeht, dass der Chromatingehalt der gleiche ge-
blieben ist; im ersteren Falle verschwinden die Zwischenräume
zwischen den Chromatinkörnern, diese scheinen mit einander zu
verschmelzen, im letzteren sind sie bedeutend herangewachsen, jedes
Chromatinkorn lässt sich leicht vom anderen unterscheiden. Einen
Grund für diese Erscheinung vermag ich leider nicht anzuführen.
Zuletzt wäre noch jener bereits angedeuteten, sich mit Methylen-
blau und Hämatoxylin tief schwarzblau färbender, im ungefärbten
Zustande stark lichtbrechender, rundlicher oder länglicher Körner
Erwähnung zu thun, die meines Wissens bisher von keiner Hämo-
gregarine beschrieben sind. Auf der Tafel (Figg. 1—14) sind dieselben
410 Carl Börner,
mit schwarzer Farbe wiedergegeben. Sie finden sich von den jüng-
sten Stadien an (Figg. 1 und 2) bis zu den ausgewachsenen, zwei-
schenkeligen Formen und sind daher zur Unterscheidung von den
übrigen Arten der Gattung von hervorragender Bedeutung. Ihre
Anzahl wechselt, doch beträgt sie für gewöhnlich mehr als drei;
eben so ist ihre Größe nicht konstant, bisweilen verschmelzen sogar
einige nahe zusammengelegene Körner zu einem unregelmäßig ge-
stalteten größeren (Figg. 6 und 12). Sie liegen meist in der Nähe
des Kernes, namentlich an dessen hinterem Ende, doch können sie
sich auch von ihm entfernen, so dass sie irgendwo im Cytoplasma
verstreut erscheinen (Figg. 5 und 10). Nicht selten sieht man solche
stark färbbare Körner mitten im Kerne, an einer Stelle, wo man ein
Chromatinkorn würde vermuthet haben (Figg. 2, 3, 12, 13), ja, Fig. 3
scheint mir darauf hinzudeuten, dass diese Granula wirklich dem
Kerne ihren Ursprung verdanken. Vielleicht wird sich bei der Unter-
suchung der Schizogonie herausstellen, welche Bedeutung ihnen zuzu-
messen ist, möglicherweise können sie auch dort zur Kennzeichnung
der Art dienen; mit den Pigmentkörnern der Gymnosporidien sind
dieselben nicht zu verwechseln.
Der Parasit ist bisher nur in rothen Blutkörperchen nachge-
wiesen, doppelte Infektionen sind nicht beobachtet. Er findet sich im
Blute von Clemmys elegans und Platemys spec. — Auf Grund der
beschriebenen Eigenthümlichkeiten und Differenzen von den übrigen
Arten des Genus möchte ich auch diese Form als neue Species auf-
stellen, und ich nenne sie zu Ehren des verdienstvollen Sporozoen-
und Hämosporidienforschers ALPHONSE LABBE Haemogregarina labbei.
3. Haemogregarina colubri mihi.
(Figg. 23—26.)
Die Größe der untersuchten Parasiten betrug bei den jüngsten
Formen, die nur wenig den Kern des Blutkörperchens an Größe
übertreffen (ef. Fig. 23), ca. 5—6 u, bei den ausgewachsenen ge-
streekten bis ca. 9—9,5 u; die zweischenkeligen, von denen ich nur
wenige zu studiren Gelegenheit hatte, maben nicht ganz die doppelte
Länge, waren also noch nicht völlig ausgewachsen. Die Breite der
Individuen ist einigen Schwankungen unterworfen, vielfach maß sie
nicht mehr als 1 «u. Die Gestalt ist namentlich im jüngeren Alter
der der übrigen Formen sehr ähnlich, ist aber an den ausgewachsenen,
sestreckten Thieren stärker oder schwächer abweichend. Zumeist
schwellen beide Enden beträchtlich an, wie dies in Fig. 25 schon
Untersuchungen über Hämosporidien. 1. 411
angedeutet ist, so dass bisweilen eine Art Halteridiumform vorge-
täuscht wird; nicht selten schwillt auch nur das eine Ende so kolben-
förmig an. Es kommen auch Einschnürungen an verschiedenen Stellen
der Zelle vor, von denen ich aber nicht mit Bestimmtheit angeben
kann, ob sie vom Parasiten selbst herrühren oder nicht. Außerdem
beobachtete ich eine Drehung des Thieres um seine Längsachse.
Der Kern ist dem von Haemogregarina stepanowi und crocodilino-
rum, auch betreffs des Größenverhältnisses zur Zelle, ähnlich; in Fig. 23,
einem jungen Individuum, ist derselbe noch chromatinarm, nicht ge-
rundet und ohne bestimmte Grenzen, vergleichbar mit den Kernen
der in den Figsg. 1 und 2 abgebildeten Haemogregarina labbei.
Die in der Zeichnung schwarz hervorgehobenen Körner sind
»chromatoide Granula«.
Zu bemerken ist noch, dass diese Hämogregarine mit besonderer
Vorliebe dem Kerne der Blutzelle dicht aufliegt, diesen auch zuerst
arbeitsunfähig macht und vernichtet; oftmals sieht man ihn durch den
Parasiten in zwei Hälften getheilt, wie z. B. in Fig. 24. Den beider-
seitigen Anschwellungen zufolge beobachtet man in gewissen Sta-
dien, dass die Degenerationszone vornehmlich zwischen diesen (Fig. 25)
und schließlich weitergehend bis zur Peripherie der Wirthszelle
(Fig. 26) sich ausbreitet und den Kern Anfangs deutlich in einen be-
reits zerstörten und einen noch mehr oder minder lebensfähigen Theil
zerlegt (Fig. 25).
Der Parasit konnte in rothen und weißen Blutkörperchen
nachgewiesen werden, doppelte Infektion ist nicht selten; er fand
sich in dem Blut einer bei Catania-Sicilia erbeuteten schwarzen
Coluber aesculapii Sturm. ,
Ob die von Birrer (95) aus Bungarus fasciatus (Schneid.) als
Laverania bungari beschriebene, von LABBE zum Genus Haemogrega-
rina gezogene Form mit colubri identisch ist, kann ich nicht angeben,
da aus den Abbildungen BıLLer’s nichts Genaueres zu ersehen ist.
Immerhin bestehen nahe Beziehungen, einmal wegen des Vorkom-
mens einer Halteridium-ähnlichen Form, die jenen Forscher auch
dazu verleitete, seinen Parasiten als Gymnosporidie aufzufassen, so-
dann zufolge seiner Kernlage.
Fassen wir jetzt die bisher im Reptilienblut beobachteten Vor-
kommnisse von Hämogregarinen noch einmal zusammen, so sehen wir,
dass Vertreter derselben in allen vier Ordnungen der Reptilia, den
Cheloniden, Crocodilinen, Sauriern und Ophidiern angetroffen werden.
Außerdem ist von GraAssı und FELETTI aus dem Blute von Rana
Carl Börner,
412
esculenta L. eine Species unseres Genus aufgestellt worden, die, wie
bereits zu Anfang erwähnt wurde, von Kruse entdeckt war, der aber
unter diesem Namen gleichzeitig Formen vereinigte, die jetzt als
Lankesterella ranarum (Lank.) Labbe [Drepanidium ranarum Lank.]
und als Laverania ranarum (Kruse) em. Labbe unterschieden werden.
Die folgende Übersicht mag ein Bild von unserer augenblicklichen
Kenntnis der Verbreitung des genannten Genus geben:
Reptilia
I. Chelonia
1) Haemogregarina stepanowi | Emys orbicularis (L.)
Dan. (= E. lutaria Marss.)
Trionyx spec.
Var. (?) Testudo marginata Schöpf.
2) Haemogregarina labbei C. B.
Platemys Dum. et. Bibr. spec.
Clemmys elegans
ii. Crocodilina 3) Haemogregarina crocodili-
norum C. B.
Crocodilus frontatus Murr.
(= Halerosia frontata Gray)
Alligator mississippiensis Daud.
(= Alligator lueius Cuv.)
III. Sauria Lacerta muralis (Laur.)
Lacerta agilis L.
4) Haemogregäarina lacazei
Labbe
5) Haemogregarina colubriC.B. | Python reticulatus (Schneid.)
6) Haemogregarina bungari(Bill.)| Bungarus fasciatus (Schneid.)
7) Haemogregarina pythonis
(Bill.)
8) Haemogregarina spec. (Bill.)
9) Haemogregarina nasuta Eisen
| £
10) Haemogregarina magna (Gr.
et Fel.)
IV. Ophidia
Tropidonotus stolatus (L.)
Eclipsidrilus frigidus Eisen
Coluber aesceulapii Sturm
Amphibia
Rana eseulenta L.
Zum Schluss sei es mir noch gestattet, einige Worte über die
Infektionsfrage der Hämosporidien im engeren Sinne hinzuzufügen.
Die künstlichen Infektionsversuche, die ich bis jetzt mit
Haemogregarina stepanowi anzustellen Gelegenheit hatte, haben lei-
der noch keine positiven Resultate gezeitigt. Vor Allem fehlte mir
geeignetes Material, womit ich an ein und derselben Species des
Wirthsthieres die Versuche hätte ausführen können (sämmtliche mir
zur Verfügung stehenden Emys orbieularis [L.] beherbergten bereits
Hämogregarinen in ihrem Blute); doch ich hoffe, dass es mir in ab-
sehbarer Zeit gelingen wird, die künstliche Infektion mit Hämogrega-
rinen an Alligatoren mit Erfolg zu studiren. Aus diesem Mangel an
nicht infieirten Schildkröten ergaben sich die Versuche, Hämogrega-
Untersuchungen über Hämosporidien. 1. 413
rina stepanowi auf andere Thiere, Reptilien und Amphibien, zu
übertragen. Es wurden zwei Frösche (Rana esculenta L.) subeutan
und intraperitoneal zu zwei verschiedenen Malen mit einer reich-
lichen Menge Schildkrötenblut infieirt, das die genannte Hämogrega-
rine in großer Anzahl enthielt; dennoch konnte ich bei keinem der
beiden Frösche nach weiteren vier Wochen Haemogregarina stepa-
nowi im Blute beobachten. Ein gleiches negatives Resultat gewann
ich bei der Übertragung auf Salamandra maculata L. Man könnte
demnach wohl annehmen, dass sich Haemogregarina stepanowi Dan.
auf die genannten Amphibien nicht übertragen lässt.
Außerdem infieirte ich eine Anzahl Lacerta viridis Gessn. mit
dem Blut derselben Schildkröte, und zwar intraperitoneal und
subeutan. Leider starben dieselben, da sie während des Winter-
schlafes zu sehr gelitten hatten. Eine Lacerta viridis war dagegen
intrastomachal zu zwei Malen, die eine Woche aus einander lagen,
infieirt worden. Trotzdem dies Thier reichliche Mengen von Blut
und blutdurchtränktes Fleisch von einer sehr stark infieirten Schild-
kröte eingegeben erhielt, haben sich nach Verlauf eines Monats keine
Hämogregarinen im Blute gezeigt.
Wenn auch hieraus noch kein Schluss zu ziehen ist, da es noch
nicht ausgemacht ist, ob Haemogregarina stepanowi überhaupt auf
Lacerta viridis übertragbar ist, so vertrete ich doch die Ansicht, dass
sich Haemogregarina stepanowi und somit die Hämosporidien s. str.,
eben so wie die Gymnosporidien (z. B. Plasmodium malariae Lav.),
wie der Parasit des Texasfiebers: Piroplasma bigeminum (Th. Sm. et
Kilb.) Patton und wie die hämoparasitären Flagellaten (Trypanosoma
brueii Pl. et Brdf. (1599), Trypanosoma rattorum aut.) auf dem Dige-
stionswege nicht übertragen lassen.
Wenn die Verhältnisse bei den Hämosporidien erst genau unter-
sucht sind, wird sich, so glaube ich, herausstellen, dass auch hier
die natürliche Infektion durch einen Zwischenwirth (einen
Arthropoden) vermittelt wird. Freilich werden, wie SCHAUDINN (99)
schon sagte, keine Mücken die Rolle eines Überträgers spielen,
denn diese sind gar nicht im Stande, durch das Schuppenkleid der
Eidechsen oder gar durch den Panzer eines Krokodils hindurchzu-
stechen; auch werden die Hämosporidien der Amphibien wohl nicht
durch Mücken übertragen. Daraufhin aber zu schließen, wie SCHAU-
DINN es anscheinend gethan hat, dass die Neuinfektion bei diesen
Formen ohne Zwischenwirth erfolge, ist meiner Ansicht nach keines-
wegs nothwendig. Auch der Erreger des Texasfiebers, der Parasit
414 Carl Börner,
der Tsetsekrankheit, die Trypanosomen des Rattenblutes werden ja
nicht durch Mücken übertragen !.
Wir finden, dass die verschiedenartigsten Arthropoden an Stelle
eines Zwischenwirthes getreten sind, so für Piroplasma bigeminum
eine Zecke (Boophilus bovis), für Trypanosoma brucii eine Fliege
(Glossina morsitans Westw.) und für die Rattentrypanosomen sogar
ein Floh (— ob Pulex fasciatus Bose. oder Typhlopsylla musculi Duges,
kann ich nicht angeben, da sich dies in der sonst so ausführlichen
Arbeit von Lyp. RABINOWITSCH und WALTER KEMPNER nicht bemerkt
findet, vielleicht auch beide Arten), und von solchen Arthropoden sind
z. B. die Zecken (Acarina) sehr wohl geeignet bei den Reptilien
eine Infektion zu bewerkstelligen. Es fragt sich nur, ob derartige
Ektoparasiten an den in Rede stehenden Thieren vorkommen, und
in der That sind Zecken von verschiedenen Reptilien bekannt. Auch
an unseren deutschen Eidechsen leben Zecken; so fanden sich solche
an Lacerta agilis L. aus der Umgebung von Marburg, namentlich im
Monat Mai und Juni, nicht selten, vornehmlich in den Achseln der
vorderen Extremitäten festsitzend. Leider konnte ich bei keiner von
Zecken befallenen, eben so wenig wie in zeckenfreien Eidechsen, Blut-
parasiten konstatiren, in Folge dessen auch keine Übertragungsver-
suche vornehmen, die einmal Licht auf die Infektion der Hämospori-
dien s. str. geworfen, sodann das weitere Schicksal dieser Blutpara-
siten innerhalb des Acarinenleibes hätten klarlegen können. Von
Eidechsen ist eine Ixodes lacertae bereits von KocH (Deutschlands
Crustaceen, Myriopoden und Arachnoiden, 1835 —1843) beschrieben
worden, doch müsste natürlich eine genauere Bestimmung vorgenom-
men werden, falls die von mir geplanten Infektionsversuche gelingen.
Marburg (Hessen), im August 1900.
! In den zum Vergleich herangezogenen Fällen handelt es sich freilich
nicht um Blutparasiten aus der Gruppe der Hämosporidien. Wir finden aber
eine so große Übereinstimmung in ihrer Übertragung, dass ich daraus schließen
möchte, dass sämmtliche hämoparasitäre Protozoen auf diese Weise
verbreitet werden, einerlei ob sie in einem warm- oder kaltblütigen Wirbel-
thiere schmarotzen. Setzen wir eine verschiedene Art der Übertragung für die
Parasiten der warmblütigen und für die der kaltblütigen Thiere voraus, so
müssen wir auch annehmen, dass sich innerhalb der einheitlichen Gruppe der
Hämosporidien beide Übertragungsmodi vorfinden, denn es sind dieselben aus
beiden Wirbelthiergruppen bekannt geworden (cf. Laverania avium Labb& [= Dre-
panidium avium Lank.|). Eine solche Annahme steht aber in direktem Widerspruch
zu der erwähnten gerade in dem Punkte der Übertragung herrschenden Überein-
stimmung zwischen Blutparasiten verschiedener Gruppen des Protozoenreiches.
Untersuchungen über Hämosporidien. I. 415
Gitirte Litteratur,
95. BiLLET, Laverania bungari B. In: Compt. rend. Soc. Biol. Vol. XLVIN.
p- 30. Figg. 4--6.
89. DANILEWSKY, La parasitologie comparee du sang. II. Recherches sur les
Hematozoaires des tortues. Charkoff 1889.
99. FISCHER, Fixirung, Färbung und Bau des Protoplasmas. Jena 189.
94, LABBE, Recherches zoologiques et biologiques sur les parasites endoglobu-
laires du sang des Vertebres. Arch. zool. exper. gen. 3e ser. Tome HI.
1894.
99. Derselbe, Monographie der Sporozoa, erschienen im Thierreich (herausge-
geben von der Deutschen Zool. Gesellschaft). 1899.
98. LAVERAN, Contribution & l’&tude de Haemogregarina Stepanowi. I. Soc. de
Biolog. Tome V. Ser. X. Paris 1898.
99. PLIMMER u. BRADFORD, Über die Morphologie und Verbreitung des bei
der Tsetsekrankheit etc. gefundenen Parasiten. Centralbl. für Bakterio-
logie und Parasitenkunde. I. Abhandl. XXVI. 189.
99. BRABINOWITSCH u. KEMPNER, Beitrag zur Kenntnis der Blutparasiten, spe-
ciell der Rattentrypanosomen. Zeitschr. für Hygiene und Infektions-
krankheiten, herausgegeben von R. KocH und C. FLügGE. Leipzig.
Bd. XXX. 1899. p. 251—29.
99. SCHAUDINN, Über den Generationswechsel der Coceidien und die neuere
Malariaforschung. In: Sitzungsber. Ges. naturforsch. Freunde. Berlin
1899. p. 159—178.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XXVIII.
Sämmtliche Figuren sind nach einem Instrument von C. Zeıss mit dem
Azp&’schen Zeichenprisma entworfen; Apochromat 2,0 mm, Apert. 1,30 mm,
Kompensionsocular 8 für Figg. 1—21, 23—26, Kompensionsocular 12 für Fig. 22.
Die Farbe giebt annähernd die des Präparates nach RomanowskYy’scher Färbung
wieder.
Figg. 1—14. Haemogregarina labbei n. sp.
a. Die häufigere Form. Fig. 1—10.
Figg. 1-3. Einschenkelige Individuen. Figg. 1, 2. Sehr junge Thiere,
charakteristisch durch die Größe ihrer Kerne.
Figg. 4—10. Ausgewachsene, zweischenkelige Formen.
b. Die stark granulöse Form. Figg. 11—14.
Die in Figg. 13, 14 in dem vor dem Kerne gelegenen Theile der Zelle
durch stärkeren Druck hervorgehobenen Körner sind »chromatoide Granula«.
Figg. 15—18. Haemogregarina stepanowi Dan.
Die schwarzen Granula sind, wie auch in den folgenden Figuren, »chroma-
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 28
416 Carl Börner, Untersuchungen über Hämosporidien. 1.
toide«. Der Einfachheit halber sind nur die Parasiten gezeichnet, wenngleich
sich auch der Vorgang der Streckung, den die Figuren veranschaulichen sollen,
innerhalb der Blutzelle abspielt.
Figg. 19—22. Haemogregarina crocodilinorum n. Sp.
Figg. 19, 22 einschenkelige, Figg. 20, 21 zweischenkelige Individuen; Fig. 22,
doppelte Infektion eines Blutkörperchen».
Figg. 23—26. Haemogregarina colubri n. Sp.
Figg. 23—25. Einschenkelige Formen.
Fig. 23. Sehr junges Individuum.
Fig. 24. Fast ausgewachsener Parasit mit chromatoiden Körnern, der Kern
des Blutkörperchens in zwei Theile zerschnürt.
Fig. 25. Halteridium-ähnliche Form. :
Fig. 26. Ausgewachsenes zweischenkeliges Individuum.
Die Entwicklung von Herz, Perikard, Niere und Genital-
zellen bei Cyclas im Verhältnis zu den übrigen
Mollusken.
Von
Dr. Johannes Meisenheimer.
(Aus dem zoologischen Institut der Universität Marburg.)
Mit Tafel XXIX und 9 Figuren im Text.
Meine Untersuchungen über die Entwicklung von Dreissensia
hatten mich zu einem eingehenden Vergleiche mit den von ZIEGLER!
an Cyclas gemachten Beobachtungen genöthigt. Zeigten dabei auch
einige Organkomplexe ein durchaus einheitliches Verhalten in organo-
genetischer Beziehung, so traten doch bei anderen, so namentlich bei
dem zusammengehörigen Komplexe von Herz, Perikard, Niere und
Genitalorganen, derart starke Differenzen hervor, dass ich versuchte,
durch eine ergänzende Untersuchung den Grund und den Grad dieser
Abweichungen zu erforschen, zumal mir die ZıEGLer'sche Darstellung
einige Lücken aufzuweisen schien, die mit Hilfe unserer vollkom-
meneren Methoden vielleicht auszufüllen waren. Und in der That
glaube ich einige derartige Lücken nachweisen zu können, deren
Beseitigung die Entwicklung der betreffenden Organe bei Cyclas etwas
anders erscheinen lässt, den Gegensatz zwischen Cyclas und Dreis-
sensia wesentlich verringert und dem Verständnisse näher führt. Ich
beginne mit meinen thatsächlichen Befunden, die im Wesentlichen an
den Embryonen von Cyelas cornea Pfeiff. gemacht wurden. Immer-
hin mögen aber auch einige Embryonen der in Marburg seltener auf-
tretenden Cyclas lacustris Müll. mit Verwendung gefunden haben, wie
eine nachträgliche Bestimmung der benutzten Species ergab. Die
ı E. ZIEGLER, Die Entwicklung von Cyclas cornea. Diese Zeitschr. Bd. XLI.
1885.
28*
418 Johannes Meisenheimer,
Embryonen unterscheiden sich nur etwas in der Größe und sind im
Übrigen völlig identisch.
Auf einem noch recht jungen Stadium der Larve von Cyeclas,
wenn der Darmkanal sich in seinen wesentlichen Bestandtheilen gerade
angelegt hat, die Kopfblase wohl entwickelt ist, und der Fußhöcker
sich eben anzudeuten beginnt, bemerkt man beiderseits vom Enddarme
eine mächtige Zellwucherung des Ektoderms, die an Größe schnell
anschwillt. Während des Wwucherungsprocesses selbst besteht sie
noch aus völlig gleichartigen Zellen (Taf. XXIX, Fig. 1), sowie sie
sich jedoch abzuschnüren beginnt, treten innerhalb dieser Zellenmasse
Differenzirungen auf, die zur scharfen Sonderung einer oder mehrerer
Zellen von den übrigen führen. Deutlich sehen wir diese Sonderung
zum ersten Male auf Fig. 3 (Taf. XXIX) vor uns, die Abschnürung
der ganzen Anlage, die schon auf Fig. 2 bemerkbar war, ist nahezu
vollendet. Die betreffende Zelle (g) zeichnet sich aus durch die
Größe ihres Kernes, sowie durch die Anordnung des Chromatins,
welche dem Kerne ein helles, bläschenförmiges Aussehen verleiht.
In dieser Zelle haben wir die erste Anlage der Genitalzellen vor uns,
eine erste Sonderung hat sich also in der ursprünglich einheitlichen
Zellenanlage vollzogen. Während diese ersten Genitalzellen sich aus-
bilden, erfolgt zugleich die völlige Loslösung der Anlage von der
äußeren Körperwand. Ihre Zellen ziehen sich zu einer Zellenplatte
jederseits vom Darme aus, ihr innerer Zipfel wird eingenommen von
den Genitalzellen, deren Zahl jetzt bereits eine geringe Vermehrung
erfahren hat (Taf. XXIX, Fig. 4).
Auf diesem Ruhestadium bleibt die Zeilennlte einige Zeit be-
stehen, bis wir endlich innerhalb derselben Vorbereitungen zu einer
erneuten Differenzirung antreffen. Mehrere der unmittelbar die Geni-
talanlage begrenzenden Zellen ballen sich enger zusammen, ändern
etwas das Aussehen ihrer Kerne, indem sie zwar nicht viel größer,
wohl aber etwas blasser als die übrigen erscheinen, und bilden
schließlich ein kleines Bläschen mit zunächst sehr engem Lumen
(Fig. 5 »). Diese beiderseits symmetrisch gelegenen Bläschen sind
nichts Anderes als die Nierenbläschen, eine zweite Differenzirung
innerhalb der ursprünglich indifferenten Anlage hat sich somit voll-
zogen, Genitalzellen und Niere entstammen ein und derselben Anlage.
Es bleibt also nun noch ein Rest von Zellen übrig, der beider-
seits in ziemlicher Ausdehnung von Nierenbläschen und Genitalzellen
bis zur Dorsalseite der Körperwandung hinzieht, den Darm dabei
umschließend und sich dorsalwärts zuweilen sogar berührend (Fig. 5 Ap).
Zu.
Die Entw. von Herz, Perikard, Niere u. Genitalzellen bei Cyclas ete. 419
Die Differenzirungen, welche innerhalb dieses Komplexes auftreten,
sind die weitaus komplicirtesten, sie führen, um das Endergebnis im
Voraus anzudeuten, zur Ausbildung von Herz und Perikard. Wenden
wir uns nunmehr diesen Processen im Einzelnen zu.
Wenn wir also zum Ausgangspunkt die einheitliche, massive
Zellenplatte zu beiden Seiten des Darmes nehmen, so tritt zunächst
an dem mehr ventralwärts gelegenen Zipfel derselben jederseits ein
kleiner Hohlraum auf, der auf eine Spaltung innerhalb dieser Zellen-
masse zurückzuführen ist (Fig. 6 wp). Der obere Theil liegt noch als
kompakter Zellenhaufen dem nunmehr bläschenförmig aussehenden
unteren Theile an. Aber auch hier erfolgt bald eine Veränderung.
Während der zuerst aufgetretene Hohlraum sich stark vergrößert und
so ein dünnwandiges Bläschen schafft (Fig. 7 up), tritt nun auch in
dem oberen Theile ein ähnlicher Spaltungsraum auf (Fig. 7 op), der
sich gleichfalls bald erweitert (Fig. 8 op), so dass wir nunmehr zwei
durch eine schmale Zellenwand von einander getrennte Spalträume
jederseits vor uns haben, je einen größeren, unteren und einen
kleineren, oberen. Die Abplattung der Wände aller vier Bläschen
schreitet stetig fort, sie führt zur Ausbildung äußerst zarter Zellhäut-
chen, in welchen die Kerne als vorspringende, kleine Höcker liegen.
Auch weitere Gestaltsveränderungen folgen sehr bald. Die ventralen
Partien beginnen zunächst von beiden Seiten aus einen Anfangs nur
aus wenigen Zellen bestehenden Zipfel ventral vom Darme nach der
Medianebene vorzuschieben (Fig. 8), sodann schiebt sich das Lumen
des Bläschens in diesen Zipfel hinein (Fig. 9) und drängt der Median-
ebene immer näher, so dass es hier schließlich ventral vom Darme
zu einer völligen Verschmelzung kommt, durch welche zunächst die
Lumina der beiden ventralen Bläschen ventral vom Darme mit ein-
ander kommunieiren (Fig. 10). Ein ganz ähnlicher Vorgang spielt
sich in den oberen Bläschen ab, in allen seinen Stadien nur um
einen bestimmten Zeitabschnitt hinter dem erst geschilderten Vor-
gang zurückbleibend, entsprechend seinem späteren Auftreten. Er
führt zur Vereinigung der beiden oberen Bläschen dorsal vom Darme.
Wir sehen zunächst die einfache strangartige Vereinigung beider
Hälften dorsal vom Darme in Fig. 9, die Vereinigung beider Lumina
in Fig. 10.
Diese beiden Stellen sind jedoch nicht die einzigen Verschmel-
zungspunkte der vier ursprünglichen Bläschen. Sowohl vor wie hinter
der in den Zeichnungen dargestellten Ebene verschmelzen, von dem
Stadium der Fig. 8 etwa an, die beiden Bläschen je einer Seite, so
420 Johannes Meisenheimer,
dass die ursprünglich völlig trennende Zellenplatte zu einem die Mitte
durchziehenden Zellenstrange geworden ist, demselben, der auf den
Fisg. 8 und 9 dargestellt ist.
Ganz unmerklich haben uns nun alle diese Processe zu einem
Gebilde geführt, welches sämmtliche Theile von Herz und Perikard
bereits enthält. Sehen wir daraufhin Fig. 10 an. Wir erkennen,
dass der Darm nunmehr von zwei Zellenringen umschlossen ist, welche
nur an zwei Stellen eine Einschnürung und Verschmelzung aufweisen.
Der äußere Zellenring stellt die Perikardwand dar, der innere die
Herzwandung, das von beiden umschlossene Lumen ist die Perikardial-
höhle, der von der inneren Wand und dem Darm umgrenzte Raum
dagegen die Herzhöhlung. Die Stelle, an der beide Ringe verschmol-
zen sind, ist der Ort, wo ursprünglich die trennende Zellenplatte lag,
jetzt ein einfacher Zellenstrang hinzieht, und wo später der Durch-
bruch zur Bildung der Vorhöfe erfolgen wird. Vor und hinter diesem
Strange fließen ventrale und dorsale Perikardialhöhle natürlich zu-
sammen, eine Folge der im vorigen Absatze geschilderten Vorgänge,
so dass wir also nunmehr eine völlig einheitliche Perikardhöhle vor
uns haben, hervorgegangen aus vier vollkommen getrennten einzelnen
Hohlräumen, die successive mit einander verschmelzen.
Die bereits erwähnten Vorgänge, welche zur Ausbildung der Vor-
höfe führen, sind kurz zu erledigen. Schon in Fig. 9 bemerken wir
an der Berührungsstelle der oberen und unteren Bläschen je einer
Seite eine von beiden Seiten einschneidende trichterförmige Vertiefung,
die sich noch weit deutlicher auf Fig. 10 bemerkbar macht (bei vA).
Sie dringt schließlich so weit vor, dass nur noch eine ganz dünne
trennende Membran vorhanden ist (auf der rechten Seite von Fig. 10),
auch diese reißt schließlich ein, und der Aufbau und die Entfaltung
von Herz und Perikard sind hiermit in ihren Grundzügen vollzogen.
Wir sehen in Fig. 11, wie die ursprüngliche Trennungswand nunmehr
das Material abgiebt für die Klappenvorrichtung zwischen Herz-
kammer und Vorhöfen, und wie letztere direkt durch die Wandung
des Perikards selbst umgrenzt werden, im Übrigen aber als freie
Lymphräume in das lakunenartige Gefäßsystem übergehen. Die Herz-
wandung selbst hat sich verdickt, wohl durch stärkere Specialisirung
der Wandungszellen zu kontraktilen Elementen. Dorsal wie ventral
liegt ein mächtiger Hohlraum, der obere und untere Perikardialraum,
die vor und hinter dem Herzschlauche natürlich kommuniciren.
Ganz unberücksichtigt ließen wir bisher die weitere Ausbildung
von Niere und Genitalorganen. Die Entwicklung der ersteren habe
Die Entw. von Herz, Perikard, Niere u. Genitalzellen bei Cyelas ete. 421
ich im Einzelnen nicht weiter verfolgt, da dieselbe für die uns hier
interessirenden Fragen belanglos ist. Die beiden Hauptpunkte in
ihrer weiteren Ausbildung sind das Zustandekommen einer Verbin-
dung mit Perikardialhöhle und Außenwelt, sowie die Faltung des
zunächst einfachen Rohres in eine größere Zahl von Schlingen. Ganz
schematisch sind einige Stadien dieser Vorgänge auf den gleich zu
besprechenden Textfiguren angegeben. Die Genitalorgane hatten wir
auf dem Stadium von Fig. 5 auf Taf. XXIX verlassen. Sie liegen
von diesem und vor Allem dem folgenden Stadium an (Fig. 6 g), stets
dicht dem Parikard an, sind freilich, eben so wie die Niere, meist
auf den dargestellten Schnitten nicht zu sehen, da topographisch
einige Verschiebungen gegenüber den jüngsten Stadien erfolgt sind.
Sie bilden bald zwei scharf getrennte Zellhäufchen, bald verschmel-
zen sie in der Mitte zu einer unpaaren Zellplatte (z. B. Fig. 10 g),
erst später treten sie stets als paarige Anlage auf.
Übersehen wir nochmals die gewonnenen Resultate, die ich zur
weiteren Erläuterung in der schematisch gehaltenen Figurenreihe von
Textfigur I—9 im Zusammenhange darzustellen versucht habe, so ist
Textfig. 3. Textfig. 4.
Schematische Darstellung der Entwicklung von Herz, Perikard, Niere und Genitalzellen bei Cyclas.
Erklärung der Buchstaben siehe hinten.
422 Johannes Meisenheimer,
3
Textfig. 5. Textfig. 6.
Textig. 7: Textfig. 8.
> EEE
RP
DNS
Textfig. 9.
Schematische Darstellung der Entwicklung von Herz, Perikard, Niere und Genitalzellen bei Cyclas,
Erklärung der Buchstaben siehe hinten,
En 05
Die Entw. von Herz, Perikard, Niere u. Genitalzellen bei Cyclas ete. 425
zunächst als das wichtigste Resultat hervorzuheben, dass eine gemein-
same Anlage von Herz, Perikard, Niere und Genitalzellen auch bei
Cyelas vorhanden ist, eine Anlage, welche embryonal erst verhältnis-
mäßig spät aus scharf begrenzten Theilen der äußeren Körperwand
sich ableitet (Textfig. 1). Diese Anlage schnürt sich ab und lässt
zunächst einige wenige Zellen als Genitalzellen aus sich hervorgehen
(Textfig. 2). Eine weitere Differenzirung desselben Zellenmaterials lie-
fern sodann die beiden Nierenbläschen (Textfig. 3). Der Rest enthält
nunmehr nur noch die Anlage von Herz und Perikard, es tritt zu-
nächst ein unterer Perikardialraum auf (Textfig. 4), sodann auch ein
oberer (Textfig. 5), während welcher Vorgänge sich die Genitalzellen
vermehren, und die Niere mit dem Perikard und der Außenwelt in
Verbindung tritt. Textfig. 6 zeigt uns sodann die Abplattung der
Zellwände von Herz und Perikard, sowie die zunehmende Schlingen-
bildung des Nierenschlauches, welche Processe in Textfigg. 7 und 8
andauern und zur starken Volumzunahme der Niere, sowie zur Ver-
schmelzung der beiderseitigen Perikardialräume dorsal und ventral
des Darmes führen. Auch die Genitalzellen haben sich inzwischen
stark vermehrt. In Textfig. 9 endlich haben wir den fertigen Zu-
stand des ganzen Organkomplexes vor uns, ziemlich genau entsprechend
der Fig. 11 auf Taf. XXIX. Die Nierenschläuche sind ganz sche-
matisch eingetragen.
Ehe wir nun diese Verhältnisse im Vergleiche mit den übrigen
Mollusken betrachten, wollen wir kurz auf die ZiEGLER’sche Unter-
suchung eingehen, um zu sehen, wie seine Resultate sich zu den
oben geschilderten Vorgängen verhalten. ZiEsLEr’s Befunde waren
kurz folgende: In zwei zu beiden Seiten des Darmes gelegenen
Mesodermstreifen traten einzelne Zellen auf, die sich durch Größe
und Habitus ihrer Kerne von den übrigen unterschieden, die Genital-
zellen. Weiter differenzirten sich unabhängig von dieser Anlage die
Nierenbläschen, gleichfalls aus Mesodermzellen, und endlich eben so
selbständig jederseits ein Perikardialbläschen, welche Herz und Peri-
kard lieferten. Meine Untersuchungen dagegen ergaben mir, dass
es nicht Mesenchymzellen eines »Mesodermstreifens< sind, welche
diese Organe liefern, sondern dass eine specifische, gemeinsame
Primitivanlage vorhanden ist, welche alle diese Organe in sich ent-
hält und allmählich zur Entfaltung bringt, wodurch der spätere enge
morphologische Zusammenhang aller dieser Organe schon in der
Entwicklungsgeschichte einen scharfen Ausdruck erhält. Leicht lassen
424 Johannes Meisenheimer,
sich die Abbildungen ZIEGLER’S dieser Auffassung einordnen, diesel-
ben bedürfen nur einer scharfen Abgrenzung der specifischen Anlage
von den umgebenden Mesenchymzellen. Im Übrigen sind die Pro-
cesse der eigentlichen Differenzirung fast identisch, ich verweise vor
Allem auf seine Darstellung der Bildung der Genitalzellen (Figg. 12 c
und 19 auf Taf. XXVII z. B.), die mit der meinigen fast völlig zu-
sammenfällt.
Diesen mehr allgemeinen Differenzpunkten schließen sich die
specielleren in der Entwicklung von Herz und Perikard an. Bei
ZIEGLER tritt jederseits ein Perikardialbläschen auf, die zunächst eine
Einstülpung der äußeren Wand erfahren und sodann in der Median-
ebene über und unter dem Darme verschmelzen. Sehen wir uns nun
auf diesen Process hin seine Figuren etwas näher an. Was zunächst
das Perikardialbläschen selbst betrifft, so habe ich trotz forgfältigster
Kontrolle es nie in anderer Form als in derjenigen des unteren
Perikardialraumes auftreten sehen, an seiner oberen Wandung stets
die kompakte Zellenmasse des späteren dorsalen Perikardialtheiles
tragend. Ein Schnitt allein durch den unteren Theil geführt liefert
natürlich ohne Weiteres ein einfaches Bläschen, wie es auch ZIEGLER
in seiner Fig. 27 auf Taf. XXVIH darstellt. Das nächste Stadium
würde nun die Einstülpung der äußeren Wand der Perikardialbläs-
chen sein, wie seine Fig. 26 B auf Taf. XXVII erläutert. Stadien,
wie sie etwa meine Figg. 7 und 8 auf Taf. XXIX darstellen, mögen
mit demselben identisch sein, wenn man sich erinnert, dass die
beiden Bläschen je einer Seite bereits mit einander vor und hinter
der Schnittebene verschmolzen sind, und so in der That bereits ein
einheitliches Bläschen darstellen, welches an einer Stelle einen sich
trichterförmig einsenkenden Zellenstrang besitzt, ganz wie es ZIEGLER
angiebt. Da dieser Zellenstrang sich zuweilen schon sehr frühzeitig
stark abflacht, so können über seinen Umfang, so namentlich über
seinen Zusammenhang mit den gegenüberliegenden Wandungen leicht
Täuschungen unterlaufen. Von nun an zeigen unsere beiden Dar-
stellungen in Bezug auf die Abbildungen viel Übereinstimmendes, aber
bei ZIEGLER ist die Perikardbildung nur die weitere Differenzirung
eines ursprünglichen, primären Hohlraumes, bei mir ist sie eine konse-
quent von Anfang bis zu Ende durchgeführte Spaltung, welche eine
Reihe von Hohlräumen schafft, die schließlich alle mit einander ver-
schmelzen. Keinem dieser Spalträume kann eine besondere, phylo-
genetische Bedeutung, etwa die eines Cöloms, beigemessen werden,
der erste auftretende Hohlraum ist eben so schon ein ganz speecifischer,
f
Die Entw. von Herz, Perikard, Niere u. Genitalzellen bei Cyelas etc. 425
für einen bestimmten Theil des Perikards reservirter Raum, ‘wie der
zuletzt auftretende. Der ganze Verlauf des Spaltungsprocesses steht
völlig unter dem Einflusse des späteren, fertigen Baues des betreffen-
den Organkomplexes. Es handelt sich also hier nur um ganz spe-
cielle, sekundäre, dem fertigen Bau angepasste Entwicklungsvorgänge,
die durchaus in die Kategorie der frühzeitigen Sonderungserscheinungen
einzuordnen sind. an:
Von vier Mollusken kennen wir bis jetzt eingehender die Ent-
wicklung von Herz, Perikard, Niere und Genitalorganen, es sind dies
Dreissensia!, Cyclas? Paludina® und Limax*, also zwei Muscheln,
ein Prosobranchier und ein Pulmonate. Es verlohnt sich nun wohl,
einen Blick auf diese vier Typen in ihrer Gesammtheit zu werfen,
zu sehen, worin sie übereinstimmen, worin sie aus einander gehen.
Gemeinsam ist allen das Vorhandensein einer einheitlichen Primi-
tivanlage, welche in sich die Elemente von Herz, Perikard, Niere und
Genitalorganen enthält (mit alleiniger Ausnahme einiger sekundärer
Ausführgänge). Diese Anlage ist scharf von allen übrigen Zell-
komplexen zu unterscheiden, sie entsteht stets durch direkte Wuche-
rung aus dem Ektoderm, nachdem die Form des Embryos in seinen
wesentlichen Zügen bereits angelegt ist. Verschieden ist aber zu-
nächst schon der Ort der Bildung dieser Anlage. Bei Dreissensia
haben wir eine unpaare, in der Medianebene gelegene Anlage vor uns,
ihre beiden Hälften liegen symmetrisch dorsal über dem Darme. Bei
Cyclas und Paludina (nach TönnıGes) ist die Anlage paarig, und bei
Limax endlich ist dieselbe wieder unpaar, aber nicht wie bei Dreis-
sensia symmetrisch, sondern asymmetrisch auf der rechten Seite ge-
legen. Der letztere Fall ist unzweifelhaft als sekundär entstanden
anzusehen, das Auftreten der Asymmetrie des Schneekenkörpers, sowie
die völlige Unterdrückung der Organe einer Seite sind die direkten
Ursachen dieser Erscheinung. Weit schwieriger ist dagegen die Ent-
! JoH. MEISENHEIMER, Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha.
Diese Zeitschr. Bd. LXIX. 1901.
? E. ZIEGLER, Die Entwicklung von Cyelas cornea. Diese Zeitschr. Bd. XLI.
1885.
3 R. v. ERLANGER, Zur Entwicklung von Paludina vivipara. Morphol. Jahr-
buch. Bd. XVII. 1891. — C. Tönnıses, Zur Organbildung von Paludina vivi-
para, mit besonderer Berücksichtigung des Perikardiums, des Herzens und der
Niere. Sitzungsber. Gesellsch. Beförd. ges. Naturwiss. Marburg. 1899.
* JoH. MEISENHEIMER, Entwicklungsgeschichte von Limax maximus. II. Die
Larvenperiode. Diese Zeitschr. Bd. LXIII. 1898,
426 Johannes Meisenheimer,
scheidung, welcher der übrigen .Fälle als der ursprünglichere anzu-
sehen ist, ob die paarige Anlage zu beiden Seiten des Darmes oder
die unpaare in der Symmetrieebene des Körpers gelegene. Die Unter-
suchung zahlreicherer Formen wird unser Urtheil in dieser Hinsicht
vielleicht mehr klären als rein theoretische Spekulationen.
Weit bedeutender noch sind die Unterschiede in der zeitlichen
Aufeinanderfolge der Differenzirung der einzelnen Organe aus der ge-
meinsamen Primitivanlage. Bei Dreissensia trennen sich zuerst Niere
und Herz-Perikardanlage, erst auf später Entwicklungsstufe treten
dann endlich auch die Genitalzellen auf, welche ihre Zugehörigkeit
zu dem betreffenden Komplexe durch ihre Abstammung vom Peri-
kard dokumentiren. Ähnlich verhält sich Limax, wo ebenfalls zu-
erst Niere und Herz-Perikardanlage sich sondern, für die Geschlechts-
organe ist der Beweis ihrer Herkunft aus der gleichen Anlage bis
jetzt noch nicht erbracht. Wieder anders stellt sich der Entwicklungs-
sang von Paludina dar, hier ist es das Perikard, welches sich zuerst
absondert; aus ihm entstehen dann sekundär Niere, Herz und Genital-
zellen, letztere jedoch weitaus am spätesten, ein Verhalten, in dem
Paludina sehr stark an Dreissensia erinnert. Am differentesten von
allen diesen Typen verhält sich Cyclas, hier sind es die Genitalzellen,
welche zuerst auftreten, es folgen sodann die Nierensäckchen, und
erst zuletzt differenziren sich Herz und Perikard. Eine Tabelle mag
uns alle diese Verhältnisse nochmals vor Augen führen:
Dreissensia | Cyclas | Paludina | Limax
Primivanlage | ee ee | er en
Aufeinanderfolge | 1) Niere 1) Genitalzellen| 1) Perikard a Niere
der einzelnen | 2) Herz u. Peri- | 2) Niere 2) Niere 2) Herz u. Peri-
Organe nach || kard kard
ihrer Differen- | 3)Genitalzellen| 5) Herz u. Peri-| 5) Herz 3) Genitalzel-
ZIrUng. kard len (?)
| | 4) Genitalzellen
Während sodann nach der endgültigen Scheidung dieser drei
Organkomplexe Niere und Genitalzellen ihrem späteren, specifischen
Bau entsprechend sich weiter entwickeln, und alle Verschiedenheiten,
die dabei auftreten, nur von untergeordneter, sekundärer Bedeutung
sind und so ohne Weiteres ihre Erklärung finden, verhält es sich
anders mit der Sonderung von Herz und Perikard, wesshalb wir
diesen Komplex nochmals besonders besprechen müssen. Zwei Grup-
pen stehen sich hier gegenüber, von welchen die eine nur Paludina
‚Die Entw. von Herz, Perikard, Niere u. Genitalzellen bei Cyclas ete. 427
enthält, die andere Dreissensia, Cyelas und Limax umfasst. Bei
Paludina kommt es zunächst zur Bildung eines weiten Perikardial-
sackes, in welchem sodann als eine Einfaltung der Herzschlauch sich
anlest (also unter gewissen Modifikationen ähnlich der ZIEGLER’schen
Darstellung von Cyclas), bei den übrigen ist es eine fortlaufende
Spaltung innerhalb einer zunächst einheitlichen Zellenmasse, die Herz-
und Perikardwand scheidet. Von einem primären und sekundären
Organe kann man desshalb hier eigentlich gar nicht reden, beide
differenziren sich gleichzeitig durch ein und dieselbe Spaltung. Bei
Dreissensia und Limax wird unzweifelhaft zuerst die Herzhöhlung
gebildet, eben durch Umwachsung und Abschließung eines Theiles
der Lymphräume des Körpers, die Perikardhöhle ist dagegen erst das
Produkt der sekundär erfolgenden Spaltung. Bei Cyclas greifen beide
Processe in einander, auch hier findet die Umwachsung eines Theiles
der Lymphräume statt, — dass der Darm denselben durchzieht, ist hier
für uns nur von ganz untergeordneter Bedeutung —, aber während
diese Umwachsung noch im Gange ist, ja theilweise schon vor der-
selben findet gleichzeitig die Spaltung statt. Bei Paludina ist dann
das Verhältnis gänzlich umgekehrt.
Zusammenfassend können wir also aus diesem Vergleiche den
Schluss ziehen, dass wir bei allen bisher genauer untersuchten Mol-
lusken (die Cephalopoden stets ausgenommen) als gemeinsame Grund-
lage der Entwicklung von Herz, Perikard, Niere und Genitalzellen
eine durchaus einheitliche Primitivanlage anzusehen haben, welche
sich scharf umgrenzt und unabhängig von irgend einem anderen
Organsystem während der Ausbildung des Embryos aus der äußeren
Zellwandung sondert und durch specielle Differenzirungen innerhalb
ihres Zellkomplexes nach einander die einzelnen Organe zur Ent-
faltung bringt. Die Verschiedenheiten, welche sowohl in Rücksicht
auf den Ort der Entstehung wie auf die zeitliche Differenzirung der
einzelnen Organe auftreten, sind sicherlich auf einander zurückzu-
führen und als specielle Modifikationen anzusehen, welche ein einziger
Grundmodus bei den verschiedenen Typen erfahren hat. Welches
dieser ursprüngliche Grundmodus ist, wie die einzelnen Variationen
desselben auf einander zurückzuführen sind, das lässt sich zur Zeit
in allen Einzelheiten noch nicht mit Sicherheit feststellen. Wir be-
dürfen dazu einer weit größeren Zahl von Untersuchungen einzelner
Formen, erst dann werden sich die Lücken innerhalb der phyle-
tischen Entwicklungsreihe der Ontogenie von Herz, Perikard, Niere
‘ und Genitalzellen bei den Mollusken ausfüllen lassen; zeigen uns
428 Johannes Meisenheimer, Die Entwickl. von Herz, Perikard, Niere ete.
doch schon die wenigen, bisher bekannten Formen, dass ein un-
zweifelhafter Zusammenhang besteht. Und was für ein einzelnes
Organsystem einer einzigen Thierklasse hier gesagt wurde, dasselbe
wird auch seine Gültigkeit bei anderen Organen anderer Thierklassen
haben, nicht starre Begriffe, sondern unendlich mannigfaltige und
variable Vorgänge haben wir auch in den Erscheinungen der Ent-
wicklung selbst vor uns.
Marburg (Hessen), August 1900.
Erklärung der Abbildungen.
Durchgehende Bezeichnungen:
ed, Enddarm; Is, Lebersäcke;
9, Genitalzellen; m, Magen;
h, Herzkammer; n, Niere;
hn, Anlage von Herz, Perikard undNiere; op, obere Perikardialhöhle;
hng, Anlage von Herz, Perikard, Niere s, Schale;
und Genitalzellen; up, untere Perikardialhöhle ;
hp, Anlage von Herz und Perikard; vh, Vorhof.
Tafel XXIX.
Fig. 1. Hälfte eines Querschnittes durch eine junge Larve von Cyeclas.
Die Anlage von Herz, Perikard, Niere und Genitalzellen ist im Entstehen be-
griffen. Vergr. 5ö0.
Fig. 2. Dessgl., nur ein wenig älter. Vergr. 550.
Fig. 3. Querschnitt. Die gemeinsame Anlage beginnt sich völlig loszu-
lösen. Erste Differenzirung der Genitalzellen. Vergr. 550.
Fig. 4. Querschnitt einer etwas älteren Larve. Die Genitalzellen sind scharf
von der übrigen Anlage geschieden. Vergr. 400.
Fig. 5. Querschnitt. Neben den Genitalzellen differenziren sich die Nieren-
bläschen. Vergr. 400.
Fig. 6. Querschnitt. Beginn der Differenzirung von Herz und Perikard,
Auftreten der unteren Perikardialhöhle. Vergr. 400.
Fig. 7. Querschnitt. Auftreten der oberen Perikardialhöhle. Aus zwei
Schnitten kombinirt. Vergr. 400.
Figg. 8 u. 9. Querschnitte. Weitere Ausbildung der Perikardialhöhle und
beginnende Verschmelzung der beiderseitigen Hälften. Vergr. 400.
Fig. 10. Querschnitt. Die Verschmelzung der Perikardialhöhlen von beiden
Seiten ist dorsal wie ventral vom Darme eingetreten. Vergr. 400.
Fig. 11. Querschnitt. Perikard, Herz und Vorhöfe sind völlig ausgebildet,
die Scheidewand zwischen Kammer und Vorhöfen ist durchbrochen. Aus zwei
auf einander folgenden Schnitten kombinirt. Vergr. 400.
—
Die Innervation des harten Gaumens der Säugethiere.
Von
Dr. Eugen Botezat.
(Aus dem Zoologischen Institut der Universität Czernowitz.)
Mit Tafel XXX—XXXI und 1 Figur im Text.
Der harte Gaumen der Säugethiere wurde, so weit mir die Litte-
ratur über diesen Gegenstand bekannt geworden ist, in Bezug auf
seine Innervation nur wenig untersucht. Namentlich ist es MERKEL!,
der sich besonders auch mit diesem Gegenstande beschäftigt hat; die
Resultate seiner Untersuchungen sind aber so dürftig, dass es noth-
wendig schien, dieses Objekt mit Hilfe der neuen Nervenuntersuchungs-
methoden zu prüfen. Die vorliegende Arbeit ist nun das Resultat
meiner einschlägigen Untersuchungen, die sich insbesondere auf die
Hauskatze, welches Thier mir in reichlicherer Menge zur Verfügung
stand, erstreckten, und erhebt durchaus nicht den Anspruch auf All-
gemeinheit, sondern soll vielmehr als eine vorläufige Mittheilung über
die Innervation des harten Gaumens der Säugethiere angesehen wer-
den. Ich habe bisher außer Felis noch Vesperugo, Talpa, Erinaceus,
Canis, Mus und Sus untersucht, habe aber von diesen Thieren noch
nicht so zweifellose Resultate erhalten, dass ich sie ausführlich in
diese Arbeit einbeziehen könnte. Zwar erscheint auch das Resultat
der Untersuchung des Katzengaumens noch nicht vollständig, da es
mir bisher noch nicht gelungen ist gewisse terminale Körperchen in
der Cutis aufzufinden; weil ich aber in Bezug auf die Endigung der
Nerven meine Hauptaufmerksamkeit auf die Epidermis und die ober-
sten Schichten der Cutis gelenkt habe, und die Befunde an diesen
Stellen, wie ich glaube, so ziemlich erschöpft sind, so entschloss ich
mich dieselben der Öffentlichkeit zu übergeben.
1 Fr. MERKEL, Über die Endigungen der sensiblen Nerven in der Haut der
Wirbelthiere. Rostock 1880.
430 Eugen Botezat,
Ehe ich auf die Beschreibung des Verlaufes und der Endigung
der Nerven im harten Gaumen eingehe, will ich mit kurzen Worten
die Methode anführen, nach welcher ich diese Untersuchungen durch-
geführt habe. Im Wesentlichen besteht sie in demselben Verfahren,
welches DoGıEL! zur Untersuchung der HEerBsT’schen und GRANDRY-
schen Körperchen angewendet hat.
Das zu untersuchende Thier wird mit einem Gemisch von Chloro-
form und Ather narkotisirt. Während der Narkose wird demselben
rasch die Brustdecke entfernt und in die linke Herzkammer oder in
die Aorta eine bis auf Bluttemperatur erwärmte 1°/,ige Methylenblau-
lösung in physiologischer Kochsalzlösung injieirt. Dieser Vorgang
wird nach Bedarf auch mehrmals wiederholt. Es ist von Vortheil
die Injektion mit einer kleinen Spritze auszuführen und dieselbe mehr-
mals auf einander folgen zu lassen, falls dies wegen der Größe des
Untersuchungsthieres überhaupt nothwendig erscheint. Durch die
Herzthätigkeit wird das Methylenblau bis in die feinsten Kapillaren
hineingetrieben, und man erkennt die gelungene Injektion an dem
Blauwerden der haarlosen Körperstellen, wie Fußballen, Schnauze etc.
Ist dies eingetreten, so wird das Thier eine Zeit lang liegen gelassen,
bis die Herzthätigkeit vollständig aufgehört hat. Dann wird die zu
untersuchende Stelle — in unserem Falle der Gaumen — abgetragen,
auf einen Objektträger mit der Innenseite nach oben gelegt und mit
einer schwachen (1/,,°/,igen) Methylenblaulösung behandelt. Zugleich
wird eine Gaumenleiste abgetrennt, um durch dieselbe behufs Unter-
suchung (Färbung) der Nervenendigungen mit einem Rasirmesser
Längs- oder Querschnitte zu machen. Diese werden ebenfalls mit
der genannten Lösung behandelt, mit einem Uhrgläschen bedeckt in
den auf Bluttemperatur erwärmten Thermostat gestellt, und der Gang
der Nervenfärbung von Zeit zu Zeit bei schwacher Vergrößerung
(etwa Zeiss B, Ocular 1) beobachtet. Sobald bei dieser Vergrößerung
die Nervenfasern bis in das Epithel hinein deutlich zu sehen sind,
kann das Verfahren unterbrochen werden. Nun werden die Schnitte
direkt in 10°/,iges Ammoniummolybdänat hineingelegt, wo sie bis
zum nächsten Tage verbleiben. Dann werden sie in destillirtem Was-
ser gewaschen, in suecessivem Alkohol entwässert, in Bergamottöl und
Xylol aufgehellt und in Dammar-Xylol eingeschlossen. Etwa zu dick
! A. S. DocIEn, Zur Frage über den Bau der Hergsr’schen Körperchen
und die Methylenblaufixirung nach BETHE, diese Zeitschr. Bd. LXVI, und die
Beziehungen der Nerven zu den GrRAnDrRY’schen Körperchen, ebenda, Bd. LXVI.
—
us
Die Innervation des harten Gaumens der Säugethiere. il
ausgefallene Schnitte werden aus dem Xylol mit Hilfe eines scharfen
Rasirmessers in zwei bis drei Theile zerlegt, was sich um so leichter
bewerkstelligen lässt, als die Stücke hart geworden sind.
Indem ich nun zum eigentlichen Gegenstand schreite, glaube ich
eine Beschreibung des Gaumens übergehen zu können, da eine solche
5
IP 2%
IN
Dove
SAN ERE)
(0) 0-0
Schema des Nervenverlaufes im harten Gaumen von Felis. ! Gaumenleiste: f Firste derselben, 2 Thal
zwischen zwei Leisten, 7% Haupthöcker, die Firste bildend, N% Nebenhöcker an den Abhängen der
Leisten, Ns die zwei Nervenstämme.
schon von MERREL (p. 132-—-133) zur Genüge gegeben wurde. Im
Speciellen kann jedoch bemerkt werden, dass die Firste einer jeden
Gaumenleiste der Katze mit in einer Reihe angeordneten großen
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 29
439 Eugen Botezat,
Höckern, welche ich der Kürze wegen Haupthöcker (Textfig. Hnh,
Taf. XXX, Fig. 2 HA, Taf. XXXI, Fig. 3) nennen will, besetzt ist, und
dass sich an den Abhängen der Leisten im Allgemeinen in je zwei zur
Firste parallelen Reihen angeordnete kleinere Höcker, Nebenhöcker
(Textfig. N7, Taf. XXX, Figg. 1,2 NA, Taf. XXXI, Fig. 6) erheben.
Die ersteren sind halbkugelig geformt, die Gestalt der letzteren ist
entweder eben so (Fig. 2 NA) oder aber etwas gestreckt und nament-
lich an den der Mundöffnung proximalen Abhängen etwas nach rück-
wärts gebogen, wodurch im Profil die in Fig. 6 wiedergegebene Form
hervorgeht. Bei anderen Thieren sind die Gesammtleisten einfach,
d. h. ohne Höcker.
1. Allgemeiner Verlauf der Nerven.
Der Gaumen einer jeden bisher untersuchten Säugethierart wird
von einer sehr großen Nervenmenge versorgt. Überall ist die Ver-
theilung derselben eine regelmäßige; am regelmäßigsten bei Talpa.
Hier treten vom weichen Gaumen her zwei parallel verlaufende
starke Nervenstämme, deren jeder aus etwa 500—600 Fasern besteht,
in den harten Gaumen ein, verlaufen nahe an der. Gaumennaht und
geben regelmäßig sich abzweigende Nervenstämmechen ab und zwar so,
dass sich vom Stamme der rechten Hälfte die Seitenstäimmchen nach
rechts und von jenen der linken Hälfte nach links ausbreiten. In der
Mitte, das ist zwischen den beiden Hauptstämmen, finden sich nur
einzelne, unregelmäßig verlaufende Fasern. Die Abzweigung der ge-
nannten Lateralstämmchen geschieht nun so, dass sich über der Firste
und über dem Thale einer jeden Gaumenleiste ein aus etwa 25 bis
80 Fasern bestehendes Stämmchen loslöst, in schräger Richtung nach
links, beziehungsweise nach rechts verläuft und sich in einer gewissen
Entfernung, in der Regel in vier dünnere Stämmchen theilt, welche
oberhalb der nächsten Firste in zwei ungleich starke Theile zerfallen.
Die stärkeren Äste krümmen sich nach abwärts und steigen in die
Tiefe der Leiste, die schwächeren aber verlieren sich im jenseitigen
Abhang derselben, indem sie dem Thale zustreben. Rechnet man
mit diesen Thatsachen, so ergiebt sich die Gesammtzahl der Nerven-
fasern im harten Gaumen von Talpa, wenn man zehn Gaumenleisten
annimmt, auf 1000 und darüber. u
Abweichend davon ist das Verhältnis der Nervenvertheilung im
Gaumen der Katze. Die zwei Hauptnervenstämme, welche aus dem
weichen in den harten Gaumen eindringen, bestehen aus je 1500 bis
2000 Fasern, die nicht wie beim Maulwurfe je ein solides Bündel
a
\
Die Innervation des harten Gaumens der Säugethiere. 433
bilden, sondern es erscheint ein jeder Stamm aus, im Mittel, vier
Bündeln zusammengesetzt, was in der Textfigur durch die vier
parallel verlaufenden Längslinien, welche sich vorn vollständig auf-
lösen, angedeutet sein will. Diese zwei Nervenstämme verlaufen
etwa in der Mitte einer jeden Gaumenhälfte und geben Lateralzweige
nach beiden Seiten in folgender Weise ab: Gegen die Gaumennaht
hin entspringen Bündel in der Stärke von je 90—60 Fasern und
zwar ziemlich regelmäßig ein Bündel über jeder Firste und ein zweites
über jedem Thale. Diese streben in schräger Richtung der nächsten
Gaumenleiste zu. Jedes Nervenbündel, das in der Höhe einer Firste
seinen Ursprung nimmt, lässt sich etwa bis zur nächsten Firste und
wohl auch etwas darüber verfolgen; eben so jedes Bündel, das in der
Nähe eines Thales entspringt, bis zum nächsten Thale und etwas
darüber hinaus. Dabei bleiben diese Bündel in derselben Gaumen-
hälfte; nur selten sieht man einzelne Fasern wie zufällig in die an-
dere Gaumenhälfte hinübergreifen. Von diesen Bündeln zweigen
sich in verschiedenen Höhen Ästchen ab, welche sich fast netzartig
über das Gaumenfeld verbreiten. Sie verschwinden an verschiedenen
Stellen des Gaumenfeldes, indem sie in die Tiefe dringen; ihr weiterer
Verlauf kann erst an Längs- oder Querschnitten durch den Gaumen
erkannt werden (Fig. 1, 2 N).
Außer diesen Fasern, welche das mittlere Feld versorgen, ent-
springen nach außen hin, das ist gegen den Gaumenrand zu, bloß
über jeder Firste Nervenästchen in der Stärke der vorher genannten,
‚welche eben so in schräger Richtung verlaufen, jedoch etwa über zwei
Gaumenleisten hin verfolgt werden können, wobei sie sich im Weiteren
ganz So wie die vorher erwähnten verhalten. Es erscheint somit
ein jeder vom Nervenstamm nach außen gelegene Theil des Gaumens
um die Hälfte spärlicher mit Nerven versehen als der innere, gegen
die Mitte gelegene Theil.
Diese Ästchen, welche der Epidermis zustreben, verlaufen im
Allgemeinen recht unregelmäßig, netzartig und verzweigen sich be-
sonders stark unterhalb der Höcker. Ganz besonders instruktiv für
diese Verhältnisse ist Fig. 2, welche einen Querschnitt durch einen
Haupt- und einen Nebenhöcker darstellt. Man sieht deutlich, wie sich
das Nervenästchen (N) unterhalb der beiden Höcker baum- oder
'strauchartig verzweigt. Je nach ihrem weiteren Schicksal lassen sich
diese Auszweigungen in drei Gruppen unterscheiden: büschelförmig
in die großen Cutispapillen (Cp) der Höcker hineindringende Fasern,
Nervenfasern, welche bei DB, C in die Fpitheleinsenkungen ein-
297
434 Eugen Botezat,
dringen und Nervenfasern, welche längs der Epithelgrenze (Basal-
membran) verlaufen und in die kleinen Cutispapillen (cp) eindringen.
Diese Auszweigungen führen zu den
2. Nervenendigungen.
Dieselben sind, so weit meine bisherigen Erfahrungen reichen,
durchweg intraepithelial und lassen sich nach ihrer histologischen Be-
schaffenheit in zwei Abtheilungen bringen: freie Endigungen mit Ter-
minalknöpfehen und Endigungen in Tastmenisken. Die Endigungen
der ersteren Art kann man nach ihrer Lage in vier Kategorien ein-
theilen, und es ergiebt sich folgendes allgemeine Schema:
I. Nervenendigungen in Tastmenisken,
I. Nervenendigungen in Terminalknöpfchen:
1) einfache Endigungen in den Menisken führenden
Epitheleinsenkungen,
2) einfache Endigungen in den gewöhnlichen Epithel-
einsenkungen,
3) einfache Endigungen in die gewöhnlichen Cutis-
papillen eindringender Nervenfasern,
4) einfache Endigungen pinsel- oder büschelförmig
in die großen Höckerpapillen eindringender Ner-
venfasern.
Ad I.
Die Tastmenisken sind überall dort vorhanden wo die so-
senannten MERKEL’schen Tastzellen zu finden sind. Dies ist eine
Thatsache, welche schon von vielen Forschern insbesondere in der
Schnauze des Schweines und den Tasthaaren der Säugeihiere un-
zweifelhaft nachgewiesen wurde. Es lag nun sehr nahe, dass auch
der Gaumen der Säugethiere, in welchem MERkEL (l. ec.) Tastzellen
nachgewiesen hat, Tastmenisken enthalten müsse. Die Untersuchung
des Gaumens bestätigte nun diese Annahme vollkommen. Ferner
ist uns durch die Lage der Menisken in diesem Körpertheile ein
weiteres Mittel an die Hand gegeben, womit man die Bedeutung der
Tastmenisken als auf Druck reagirender Apparate und die Tastzellen
als Druckübertragungsapparate feststellen kann. Über die Verthei-
lung der Tastzellen im Säugethiergaumen, an welche die Anwesen-
heit der RanvIer’schen Tastmenisken gebunden ist, spricht sich
MERKEL dahin aus, dass der vordere etwas modifieirte Theil des-
selben von einer größeren Menge dieser eingenommen ist. Ferner
P7
Die Innervation des harten Gaumens der Säugethiere. 435
sagt er: »Der mit Firsten versehene größere hintere Theil des
Gaumens trägt nicht bei allen Species Tastzellen, ist er aber damit
versehen, dann finden sie sich in allen Fällen entweder nur auf dem
Gipfel der Firsten oder an deren vorderem sanft aufsteigendem Ab-
hang. Die Thäler zwischen den Leisten und der hintere Abhang
pflegen der Tastzellen zu entbehren.< Diesen Ausspruch kann ich
wenigstens für die Katze nicht vollkommen bestätigen. Denn die
Tastzellen liegen, wo sie vorhanden sind, in den Epitheleinsenkungen.
Unterhalb der Firste (Höcker) der Säugethiere, welche ich untersucht
habe, war immer tief hinabreichendes Bindegewebe und nicht Epithel-
sewebe zu sehen und zwar bei Thieren mit und ohne Höcker an
den Gaumenleisten. Ich kann für die von mir untersuchten Thiere
behaupten, dass sich unterhalb der Firste ihrer Gaumenleisten keine
Epitheleinsenkungen und eben so keine Tastzellen, mithin auch keine
Tastmenisken vorfinden. Vielmehr sind es Nervenendigungen anderer
Art, über welche später die Rede sein soll, welche sich hier vor-
finden und die im Firsten-, resp. Höckerepithel endigen. Diese
Thatsache beweist sofort ein einziger Blick auf die Figg. 1, 2, 35, 6.
Ferner kann ich es nicht als richtig hingehen lassen, dass nur
der vordere Abhang der Gaumenleisten Tastzellen führt; denn wie
uns Fig. 2 bei © und Fig. 6 belehren, existiren Tastzellen und Tast-
menisken auch an dem hinteren Abhange (r) und mitunter, wie an
dem Haupthöcker in Fig. 2 zu sehen ist, bloß am hinteren Ab-
hange (C).
Dies über das Vorkommen der Tastzellen. Was die Anordnung
derselben (Katze) betrifft, so scheint diese von der Gestalt der Gaumen-
höcker abhängig zu sein. In den Haupthöckern finden sie sich in
den Epithelzapfen vor, welche am Fuße des Höckers liegen; auch
sind es nicht viele, sondern nur einzelne Zapfen, welche mit den-
selben versehen sind (Fig. 2 CO). Sie sind unter einander fast parallel,
dessgleichen sind sie im Allgemeinen mit ihren Breitseiten dem vor-
deren Höckerabhange parallel gestellt (Figg. 2 C, 5). An Längs-
schnitten durch die Gaumenleisten erscheinen sie nicht (Fig. 1), wor-
aus erhellt, dass sie sich bloß im vorderen, resp. hinteren Theile
derselben vorfinden.
In den Nebenhöckern der vorderen, sanft absteigenden Abhänge
der Leisten sind sie analog denen in den Haupthöckern gelegen,
und zwar so, dass immer ihre Breitseite parallel zur vorderen Ober-
fläche des Höckers ist, und befinden sich, wie dort, in der Nähe der
Ursprungsstelle der in die Cutispapille aufsteigenden Nervenbüschel,
436 Eugen Botezat,
so hier in der Nähe der Ursprungsstelle der aufsteigenden mehr
pinselartig ausgebreiteten Nervenfasern (Figg. 2 B, 6). Ist die Ober-
fläche der Höcker mehr flach, dann sind die Tastzellen mit ihren
Menisken mehr horizontal gelagert (Fig. 2 B), ist jene aber mehr
gewölbt, dann liegen sie rückwärts fast senkrecht, vorn aber wieder
fast horizontal zur allgemeinen Cutisausbreitung.
In den Höckern der hinteren Abhänge der Gaumenleisten scheinen
Tastzellen und somit auch Tastmenisken nicht vorzukommen, da ich
solche trotz ausgiebigster Imprägnation der Gaumen und guter Schnitt-
färbung mit Methylenblau an dieser Stelle nicht, oder wenigstens nicht
unzweifelhaft vorgefunden habe. Einzelne mögen wohl vorhanden
sein, aber so allgemein wie in den anderen Höckern ist ihr Auf-
treten in diesen nicht.
Ihrer Beschaffenheit nach sind diese Tastzellen jenen identisch,
welche in der äußeren Wurzelscheide der Tasthaare und im Schweine-
rüssel vorgefunden wurden. Nach gut gelungener Imprägnation mit
Methylenblau kann man an denselben eine körnige Struktur nach-
weisen, wobei die Körner blau gefärbt erscheinen (Figg. 4, 5, 7). Sie
dürften den Tigroidkörnern, welche DoGIEL in seiner Arbeit über
die GRANDRY’schen Körperchen beschreibt, gleichzustellen sein.
Die Nervenfasern, welche sich zu den Tastzellen (22) begeben,
verlieren in der Nähe der Epidermisgrenze ihre Markscheiden und
dringen als nackte Achsencylinder, wobei sie auch bedeutende Vari-
cositäten aufweisen, in die Epithelzapfen ein, um sich an den Tast-
zellen schüsselförmig zu verbreitern und so die Tastmenisken (im) zu
bilden. Sehr oft bemerkt man, dass eine Faser mehrere Tastmenisken
bildet, dann, wie dies Szymonowicz! in der. Schweineschnauze und
ich? an den Tasthaaren beobachtet haben, dass sich einzelne Fasern
tiefer in das Epithel begeben. Szymonxowıcz beobachtete, dass diese
Fasern eine Schleife bilden, was ich in meiner Tasthaararbeit wider-
legte, wobei ich in einen anderen Fehler verfiel und solche Fasern
allgemein als die letzten Enden der Menisken bildenden Nerven
deutete. Fortgesetzte Untersuchungen über die Nerven der Säuge-
thierhaare belehrten mich, wie in einigen anderen so auch in diesem
Punkte, eines Besseren, worüber ich bei anderer Gelegenheit berich-
ten werde. Was das vorliegende Objekt, den Gaumen betrifft, so
1 W. Szymonow1ıcz, Beiträge zur Kenntnis der Nervenendigungen in Haut-
gebilden. Arch. f. mikr. Anat. u. Entwicklungsgesch. Bd. XLV.
2 E. BoOTEZAT, Die Nervenendigungen an den Tasthaaren von Säugethieren.
Ebenda. Bd. L.
Die Innervation des harten Gaumens der Säugethiere. A371
dringen Achsencylinder als Fortsetzung der Tastmenisken in das
Epithelgewebe ein und verlieren sich nach kurzem Verlaufe zwischen
dessen Zellen; sie endigen alsdann allem Anscheine nach knopfförmig
(Fig. 4 imf). Die Beziehung der Tastmenisken zu den Tastzellen
ist wohl eine innigere, als dies bisher angenommen wurde, da die
ersteren als aus einander getretene Primitivfibrillen des Achsen-
cylinders anzusehen sind, welche von einer größeren Menge Inter-
fibrillärsubstanz gestützt werden und also ein schüsselartiges Gebilde
formend, sich an die Tastzellen innig anschmiegen. Einzelne Fibril-
len dringen in das Innere des Zellenleibes ein, um hier mit Terminal-
knöpfehen, also frei, zu enden, während sich die anderen wieder
zu einem Achsenoylinder vereinigen, um an der nächsten Tastzelle
abermals in der genannten Weise einen Meniscus zu bilden. Dieser
Vorgang kann sich mehrmals wiederholen und schließlich liegt es
sehr nahe, dass sich einzelne Fibrillen in das Epithelgewebe ver-
laufen nd hier zwischen, beziehungsweise an den Zellen frei (mit
Terminalknöpfehen) enden. Unzweifelhaft fällt es wegen der Sub-
tilität dieser Gebilde sehr schwer einen klaren Einblick in dieselben
zu gewinnen; namentlich gilt dies aber von den Fibrillen, welche
im Inneren & Tastzellen endigen sollen. Ich glaube nämlich mit
dem Immersionssystem solche sehen zu können, kann aber ihre Exi-
stenz nicht mit Bestimmtheit behaupten, da die Beobachtung in dieser
Richtung durch die Anwesenheit der Tigroidkörnchen, welche das
ganze Innere der Tastzellen einnehmen und sich mit Methylenblau
färben, gar sehr erschwert wird (Figg. 4, 5).
Schließlich hätte ich noch eine kleine Bemerkung zu machen: In
seiner Arbeit über die Granpry’schen Körperchen stellt DocıIEL die
Vermuthung auf, dass sich in ähnlicher Weise wie um diese Körper-
chen auch überall dort, wo Tastzellen und Tastmenisken vorhanden
sind, um dieselben herum eine besondere Art von Nervenfasern vor-
finden müssten, welche die genannten Gebilde korbartig umflechten.
Ich habe, seit ich diese Vermuthung DocırrL’s gelesen, mit großer
Aufmerksamkeit die Sache in dieser interessanten Richtung verfolgt,
habe an Schnitten, welehe Thieren entnommen wurden, bei denen
die Methylenblauinjektion sehr gut gelungen ist, die Nachfärbung mit
der schwachen Lösung auf das genaueste bewirkt und unausgesetzt
beobachtet, und dennoch ist es mir außer den schönen Bildern, von
welchen etwa die Fig. 4 ein Beispiel liefert, nicht gelungen die von
DosieL vermutheten Nervengeflechte zu finden. Erst, als ich bei der
Korrektur der Tafeln Gelegenheit hatte ein feines Immersionssystem
438 Eugen Botezat,
von WINKEL zu benutzen, beobachtete ich in dem Präparate, welchem
die Fig. 4 entnommen ist, jene Thatsachen, welche durch die nach-
träglich hinzugefügte Fig. 7 wiedergegeben sein sollen. Um nicht
unnöthige Störungen zu veranlassen, verweise ich auf die Erklärung
dieser Figur. Da ich aber ähnliche Beobachtungen auch an Tast-
menisken von Tasthaaren gemacht habe, so gedenke ich diese zu-
sammen in einer besonderen Arbeit zu besprechen.
Ad I.
1) Gewisser terminaler Nervenfasern dieser Reihe, welche als
Fortsetzungen jener Nerven erkannt wurden, die an der Bildung von
Tastmenisken participiren, wurde bereits oben Erwähnung gethan.
Außer diesen aber glaube ich in den Menisken führenden Epithel-
einsenkungen freie Nervenendigungen verzeichnen zu können, welche
von den Cutisästehen sich abspalten, und ohne Menisken zu bilden,
direkt zu denselben führen (Fig. 4 {f) — diese Fasern liegen näm-
lich tiefer als die Tastmenisken; überhaupt sind die Figuren bei
mehreren Einstellungen gezeichnet. — Die Fasern dieser Art dringen
etwas tiefer in das Epithel ein, verzweigen sich wohl auch und endi-
sen schließlich mit Terminalknöpfehen (Fig. 4 t%) zwischen, be-
ziehungsweise an den Epithelzellen. Das Knöpfehen scheint, mit dem
Immersionssystem betrachtet, eine Ausbreitung der Interfibrillärsub-
stanz zu sein, welche sich dicht an eine Zelle anlegt. Ob sich noch
die Achsenfibrille am Ende zerfasert und diese Fasern in die Zelle
eindringen, dies kann vermuthet werden, lässt sich aber durchaus
nicht behaupten.
2) Von den Cutisästehen spalten sich in der Nähe der Basal-
membran zwischen Cutis und Epidermis gewisse Nervenfasern, welche
entweder direkt (Fig. 2 bei NA) oder erst nach längerem Verlaufe
längs der Grenze (Fig. 2, unterhalb C) gegen das Thal .hin in die
Epithelzapfen eindringen, in denselben entweder einen mehr geraden
oder mehr gewundenen Verlauf nach abwärts, das ist gegen das Stra-
tum corneum zu, nehmen. Diese Nervenfasern sind äußerst fein und
nicht sehr varicös. Ich habe nicht beobachtet, dass sie sich theilen.
Sie enden in derselben Weise wie die vorher angeführten.
3) Andere Nervenfasern, welche sich ebenfalls in der Nähe der
Outisgrenze von den Ästchen abspalten und wie die genannten als-
bald ihre Markscheide verlieren, nehmen ihren Verlauf gegen die
kleinen Cutispapillen (Fig. 2 cp), dringen in diese ein, verlaufen in
Die Innervation des harten Gaumens der Säugethiere. 439
denselben fast gerade aus nach abwärts, begeben sich in die Epider-
mis und verlieren sich zwischen den Zellen derselben.
4) Ganz besonders charakteristisch für den harten Gaumen (Katze)
sind aber jene Nerven, welche sich etwa pinselartig zerschlitzend ihren
Verlauf durch die großen Cutispapillen der Nebenhöcker nehmen und
namentlich jene, welche büschelartige Gebilde formend oder sich
bäumchen- oder strauchartig verzweigend, durch die großen Cutispapil-
len der Haupthöcker ihren Weg nehmend, der Epidermis zustreben.
Jene der ersteren Art (Figg. 1, 2 bei N?, 6) zweigen sich von den
Cutisästehen in der Nähe der Epidermis ab, theilen sich in die Pa-
pillen eingedrungen wiederholt und verlieren in diesen in verschie-
denen Höhen ihr Mark. Gegen das Ende der Papillen zu werden
sie sehr varieös und dringen alsdann in die Epidermis, um hier in
der Nähe des Stratum corneum zerstreut liegende, freie Endigungen
zu bilden.
Die Verzweigungen der zweiten Art sind jene, welche in Folge
ihrer großen Menge — sie bilden nämlich unter allen Endverzweigungen
die Hauptmasse — beim Färben der Schnitte auf dem Objektträger
sich zu allererst und am besten tingiren. Sie nehmen die großen
Cutispapillen der Haupthöcker ein und setzen sich aus mehreren
Nervenbündeln, welche sich in verschiedenen Höhen unweit der Epi-
dermis von den Üutisästehen abzweigen, zusammen (Fig. 2 bei AA).
Nachdem sie nun eine gewisse Strecke in der Papille verlaufen sind,
zerfasern sie sich in einzelne, verschiedenartig, im Allgemeinen recht
unregelmäßig sich hin und her schlängelnde Fäden, welche bald ihr
Mark verlieren und sich sodann durch äußerst stark hervortretende
Varicositäten auszeichnen (Fig. 5). Solcherart gelangen sie bis in die
Nähe des Papillenzipfels. Hier werden sie in ihrem Verlaufe äußerst
unregelmäßig. Nur selten gelingt es die eine oder die andere Faser,
welche gerade besser hervortritt, eine weitere Strecke in die Epi-
dermis hinein und eventuell bis zu den Enden, wenn ihrer mehrere
sind, zu verfolgen. Überhaupt geschieht ein solches Verfolgen der
einzelnen Fasern, falls es sonst möglich ist, nur bei ausgiebigster
Verwendung der Mikrometerschraube, welche unausgesetzt hin und
her gedreht werden muss. Die Fig. 3, welche diese Verhältnisse
darstellen soll, ist dem Gesagten entsprechend, bei mehreren Fokal-
distanzen gezeichnet worden. Es ist ein herrliches Bild, das sich
dem Auge darbietet, wenn in einer solchen Papille recht viele Fasern
vorhanden und diese wohl gefärbt sind. Man sieht dann einen förm-
lichen Wald von blauen, wirr durch einander verlaufenden, stark
440 Eugen Botezat,
varicösen Fasern. In die Epidermis eingedrungen, zerfasern sie sich
weiter und endigen in verschiedenen Höhen derselben bis an die
Grenze des Stratum corneum mit oft recht stark entwickelten Ter-
minalknöpfehen. Namentlich diese Endigungen sind es, welche auf
mich den Eindruck gemacht haben als beständen sie aus aus einander.
getretenen Primitivfibrillen, welche vollständig von Interfibrillärsub-
stanz umhüllt, sich entweder sehr dicht an die Epidermiszellen an-
lehnen, oder vielleicht gar ein wenig in das Innere derselben
eindringen. Übrigens sind, wie ich schon oben bei den Tastmenisken
erwähnt habe, diese Verhältnisse wegen ihrer äußersten Subtilität
einer genauen Beobachtung nur sehr schwer zugänglich, und spielen
dabei noch andere Umstände eine derartige Rolle, dass es wahr-
scheinlich noch einer guten Zeit bedürfen wird, bis sie vollständig
aufgeklärt sein werden. Vorläufig glaube ich mit Sicherheit erkannt
zu haben, dass die Endigung dieser Nerven Knöpfchen sind, welche
sich an die Epidermiszellen anlegen (Fig. 3 7%).
Diesen Nerven entspricht bei Thieren mit glatten Gaumenleisten
die Hauptmasse der nervösen Endverzweigungen, welche in die Leisten
büschel- oder strauchförmig eindringen, um eben so wie die genann-
ten zu enden.
Endlich kann ich noch erwähnen, dass ich mehrmals einzelne,
sich längs der Basalmembran hinziehende Fasern beobachtet habe,
welche sich mehrmals theilten und so nicht weiter, oder nicht über
die erste Zellenlage der Epidermis verfolgt verden konnten. Ob diese
nun in ihrem weiteren Verlaufe durch den Schnitt unterbrochene
Fasern sind, oder ob sie mit jenen Endigungen identifieirt werden kön-
nen, welche Szymoxowi1cz (l. ec.) in der Schweineschnauze als »freie
Endigungen an der Basalmembran« beschreibt, von denen er
sagt, dass sie sich an jenen Stellen vorfinden, wo es keine oder
nur wenige Tastmenisken giebt, dies vermag ich nicht zu beantwor-
ten, muss jedoch bemerken, dass auch ich diese Nervenverzweigungen
an solchen Stellen beobachtet habe, wo sich keine Tastmenisken
vorfinden. Weitere Untersuchungen werden mich über die richtige
Auffassung in dieser Richtung, wie ich erwarte, gewiss belehren.
Damit wäre die Beschreibung der sensiblen Nervenendigungen
im harten Gaumen der Hauskatze, mit denen im Wesentlichen auch
die der übrigen Säugethiere übereinstimmen, erschöpft. Die Fasern,
welche zu den Endigungen führen, entspringen alle denselben Ästchen,
und dürfte daher in ihrer Funktion kein wesentlicher Unterschied be-
stehen. Die Tastmenisken sind gewiss Apparate, welche auf Druck
u
Die Innervation des harten Gaumens der Säugethiere. 441
reagiren, wofür, wie schon oben zu erwähnen Gelegenheit war, nament-
lich auch ihre Lage spricht. Denken wir uns nämlich auf die Ober-
fläche des Gaumens einen Druck ausgeübt, so wird sich dieser in den
Höckern, da dieselben fast ausschließlich, wenn nicht etwas nach
rückwärts gekrümmt (Fig. 6), so doch wenigstens am hinteren Ab-
hange etwas steiler sind (Fig. 2), in etwas schiefer Richtung von
vorn nach rückwärts fortpflanzen, so dass die Richtung desselben
fast senkrecht auf die Breitseite der Tastzellen, respektive der Tast-
menisken fallen wird.
An dieser Stelle dürfte es am Platze sein, dass ich meine in der
Tasthaararbeit enthaltene Vorstellung von der Wirkungsweise der
Tastmenisken (l. e., p. 164) berichtige. Danach bewirkt jeder Druck
in den Epithelzellen eine molekulare Verschiebung, welche, von Zelle
zu Zelle fortschreitend, sich auf die Tastzellen überträgt. In diesen
werden sie möglicherweise in Folge der stark körnigen Beschaffen-
heit derselben verstärkt, wodurch die Enden der Fibrillen (Knöpf-
chen) beziehungsweise die Elemente des korbartigen Geflechtes ge-
reizt werden.
Die zweite Art der Nervenendigungen, die Endigung in Termi-
nalknöpfehen, dürfte sich in ihrer Funktion von der ersteren nicht
wesentlich unterscheiden. Ein Unterschied besteht eben hauptsäch-
lich in der »topographischen Lage«, wie sich schon MERKEL mit Be-
zug auf alle sensiblen Nervenendigungen der Wirbelthiere ausspricht.
Da die freien Endigungen recht tief in das Epithel hineinreichen, ja
einzelne sogar bis an das Stratum corneum gelangen, dürften sie am
meisten (hauptsächlich) für Temperatur- und wohl auch chemische
Reize empfänglich sein, wobei sie natürlich auch den Druck zu perci-
piren vermögen.
Schließlich fühle ich mich sehr angenehm verpflichtet, Herım
Professor Dr. CARL ZELINKA, in dessen Institute diese Untersuchungen
durchgeführt wurden, und der mir in der zuvorkommendsten Weise zu
jeder Zeit mit allen Hilfsmitteln des Institutes, sowie nicht minder
in Bezug auf die Untersuchungen selbst mit Rath und That an die
Hand ging, an dieser Stelle öffentlich meinen wärmsten Dank auszu-
sprechen.
Özernowitz, im August 1900.
442 Eugen Botezat,
Erklärung der Abbildungen,
Alle Figuren sind nach Methylenblaupräparaten mit Hilfe der Camera
lucida bei verschiedenen Fokaldistanzen und einer Tubuslänge von 160 mm ent-
worfen worden. Die Nerven sind in denselben Farben dargestellt, in denen sie
im Präparate erscheinen. :
Es bedeuten durchwegs in den Figuren:
c, Cutis; sc, Stratum corneum;
Cp, Cutispapille im Gaumenhöcker; sm, Stratum Malpighii;
cp, gewöhnliche Cutispapille; tf, Terminalfaser ;
Ee, Epitheleinsenkung ; tk, Terminalknöpfchen;
Hh, Haupthöcker; im, Tastmenisken;
N, Nervenästchen; tmf, Tastmeniskenfasern;
Nh, Nebenhöcker; tz, Tastzellen ;
im + tz, Tastmenisken + Tastzellen.
Tafel XXX.
Fig. 1. Längsschnitt durch eine Gaumenleiste von Felis. Der Schnitt hat
mehrere Nebenhöcker getroffen, und man sieht in einem jeden derselben die
büschelförmig verzweigten Nervenfasern eindringen. Vergr. ZEıss, B, Oe. 1.'
Fig. 2. Querschnitt durch eine Gaumenleiste der Katze, welcher eine Haupt-
und eine Nebenpapille getroffen hat. «, vorn, r, rückwärts. Vom Nervenästchen
(N) zweigen sich unterhalb des Nebenhöckers (links Nh) mehrere Fasern ab,
von denen einige bei B zu den Tastzellengruppen (fz) führen, andere sich
pinselförmig verzweigend in der Cutispapille (Cp) nach aufwärts verlaufen, an-
dere sich in die Epitheleinsenkungen begeben, um in den tieferen Schichten des
Epithels (£/) frei zu enden, schließlich andere sich durch die kleineren Cutis-
papillen (cp) zum Epithel begeben. Endlich bemerkt man noch eine Faser (rechts)
sich abzweigen, welche eine Strecke weit durch die Cutis, fast parallel zur
Epithelgrenze, verfolgt werden kann. Rechts, unterhalb des Haupthöckers (ZA)
sieht man, wie sich mehrere Fasern vom Ästehen (N) abzweigen, von denen
sich drei in die große Cutispapille (Cp) hineinbegeben, andere bei C zur Tast-
zellengruppe gelangen, von denen dann mehrere Fasern an der Basalmembran
(nach rechts) weiter verlaufen, wo sie verschwinden. Vergr. ZEISS, B, Oec. 1.
Tafel XXXI
Fig. 3. 4A von Fig. 2 bei stärkerer Vergrößerung. Man sieht die sich viel-
fach durch einander windenden stark varicösen Fasern, wie sie sich in das Epi-
thel begeben, sich hier nach allen Richtungen ausbreiten und endlich in ver-
schiedenen Höhen mit Terminalknöpfchen (tk) an den Epithelzellen endigen.
Vergr. REICHERT, homog. Immers. 1,15” Apochrom., Oe. Zeıss 1.
Fig. 4. B von Fig. 2 bei stärkerer Vergrößerung. Die beiden Epithel-
einsenkungen sind bei zwei verschiedenen Einstellungen gezeichnet; es liegt daher
in Wirklichkeit die eine höher, die andere tiefer. Die stark granulirte Masse
(Tigroidkörner) der Tastzellen erscheint mit Methylenblau gefärbt. Man sieht,
wie eine Nervenfaser auch mehrere T’astmenisken (tm) bildet. Rechts sieht man
Die Innervation des harten Gaumens der Säugethiere. 443
von den Tastmenisken einzelne Fasern tiefer in das Epithel eindringen und hier
mit Endknöpfehen an den Zellen desselben endigen. Das zu oberst gelegene
Terminalknöpfehen (2%) dürfte nicht einer Meniskenfaser entstammen. Vergr.
ZEISss D, Oc. 3.
Fig. 5. C von Fig. 2 bei stärkerer Vergrößerung. Eine Epitheleinsenkung
mit Tastmenisken und den stark granulirten MERKEL’schen Tastzellen. Vergr.
REICHERT, Apochrom. 1,15”, homog. Immers., Oc. Zeıss 1.
Fig. 6. Querschnitt durch eine Gaumenleiste von Felis. Die Figur zeigt
bloß eine nach rückwärts geknickte Nebenpapille (Nebenhöcker) des vorderen
Abhanges der Leiste. vo, vorn, r, rückwärts. Man sieht sowohl vorn als auch
rückwärts an der Basis der Cutispapille (C’p) in den Epitheleinsenkungen Gruppen
von Tastzellen mit Tastmenisken, welche auch hier eine regelmäßige Anordnung
zeigen, so dass ein von vorn oben nach rückwärts unten gerichteter Druck die
Breitseite derselben treffen würde. Außerdem sieht man die sich vielfach ver-
schlingenden Nervenfasern, von denen sich einige zu den Tastmenisken, die
meisten aber in die Cutispapille (Cp) begeben. Vergr. ZEıss B, Oe. 3.
Fig. 7. B von Fig. 2 bei noch stärkerer Vergrößerung. Man sieht wie die
stark granulirten Tastzellen von einem mehr oder minder korbartigen Geflecht
von stark varicösen Fasern, in denen die zuführenden Nerven übergehen, um-
geben werden. Rechts und links sieht man, wie dieses Geflecht schwächer und
mehr einseitig ausgebildet ist. Vergr. WINKEL, homog. Immers. 1,5mm, Apochrom.
1,35, Fluor-Syst., Oc. 3.
Kleinere histologische Mittheilungen.
Von
R. S. Bergh
(Kopenhagen).
Mit Tafel XXXII und XXXIL.
I. Zur Histologie der Larve von Aulastoma.
In meiner Habilitationsschrift! (1885) wurde es versucht, eine
Schilderung des Baues der Aulastomen-Larve sowie der allge-
meinsten Entwicklung des Blutegels in derselben zu geben. Während
die Organogenese seitdem namentlich durch die Arbeiten von BÜRGER?
hochgradig gefördert wurde, scheint sich um den feineren Bau der
Larve in der verflossenen Zeit Niemand gekümmert zu haben nur;
über den Bau der nahverwandten Nephelis-Larve hat FILATow’°
eine kurze Mittheilung gegeben. Als ich in den zwei letzten Sommern
wieder Gelegenheit hatte, zahlreiche Aulastomen-Larven zu unter-
suchen, gelang es mir, einige von mir früher gemachte Fehler —
die übrigens den wesentlichen Inhalt meiner früheren Arbeit kaum
berühren — zu berichtigen und außerdem verschiedenes Neue hin-
zuzufügen. |
In den eitirten Arbeiten stellte ich u. A. fest, dass die Epider-
mis der Blutegel-Larven (Aulastoma, Nephelis) eine vergängliche
Bildung ist, und dass die Epidermis des erwachsenen Thieres sich
innerhalb jener aus der äußersten Schicht der »Rumpfkeime« (Keim-
streifen der Autoren) und der »Kopfkeime« (Scheitelplatte der Autoren)
1 Die Metamorphose von Aulastoma gulo. Arbeiten aus dem zool.-zoot.
Inst. Würzburg. Bd. VII. 1885. p. 231 ff. — Vgl. auch: Über die Metamorphose
von Nephelis. Diese Zeitschr. Bd. XLI. 1885. p. 284.
2 Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hirudineen. Zool. Jahrb. Abth.
für Anat. und Ontog. Bd. IV. 1891. p. 607 ff. — Neue Beiträge zur Entwicklungs-
geschichte der Hirudineen. Diese Zeitschr. Bd. LVIUI. 189. p. 440 ft.
3 Einige Beobachtungen über die Entwicklungsvorgänge von Nephelis vul-
garis. Zool. Anz. 1898. p. 645 ff.
2 Ze
Kleinere histologische Mittheilungen. 445
entwickelt. Diese Darstellung wurde in autoritativer und ironischer
‘Weise von C. RABL! für unrichtig erklärt, jedoch, wie dieser Autor
zweifellos heute selbst bereitwillig wird zugeben müssen, auf Grund
höchst oberflächlicher Untersuchung und wohl noch mehr auf Grund
einer ganz dogmatischen Annahme; diejenigen Forscher, die sich
eingehender mit der Sache beschäftigten (KLEINENBERG?, BÜRGER,
Fırarow), konnten meine Darstellung nur bestätigen.
Den Bau der Larvenepidermis schilderte ich damals in folgen-
den Worten: »Die Epidermis oder das primitive Ektoderm, welche
die allseitige, nur durch die Mundöffnung unterbrochene Begrenzungs-
schicht des Körpers bildet, ist ein einfaches Plattenepithel, bestehend
aus sehr platten Zellen, deren gegenseitige Begrenzungen nicht sicht-
bar sind und nur durch ihre in verschiedener Entfernung von ein-
ander gelegene Kerne sich kund geben« (l. c. p. 236). Ich nahm also an,
dass jedem Kern eine Zelle entspreche, und — da sehr zahlreiche,
kleine Kerne vorhanden sind — dass die Larvenepidermis solcher-
maßen aus sehr vielen kleinen Zellen aufgebaut sei. In der That
verhält es sich nun damit, wie Silberreaktionen zeigen, ganz anders.
Durch jede (gewöhnliche oder verfeinerte) Silberbehandlung lässt
sich nämlich leicht die überraschende Thatsache nachweisen, dass die
primitive Epidermis aus verhältnismäßig ganz wenigen, außerordent-
lich großen Zellen besteht. Die in ihren Grenzen hervortretenden,
breiten Silberlinien treten so scharf hervor, dass sie schon bei ge-
wöhnlicher Lupenvergrößerung unter dem Präparirmikroskop erkenn-
bar sind. In Fig. 1 ist eine ganze Larve mit Schlund, Keimstreifen
und durch Silber markirten Zellen der primitiven Epidermis dargestellt
(die Urnieren sind nicht eingezeichnet). Bei einer solchen 2—5 mm
langen Larve sind nur etwa 30 solche Zellen als Bestandtheile der
primitiven Epidermis vorhanden; nur um den Schlundeingang finden
sich noch zwei Kränze kleinere Zellen (Figg. 2—3), jeder aus drei bis
fünf Zellen bestehend. Die großen Zellen sind zum größten Theil lang-
gestreckt, so dass ihre längste Dimension etwa mit der längsten
Dimension der Larve zusammenfällt; bei Betrachtung der Bauchseite
sieht man, dass dieselben hier eine Länge von zwei Dritteln (oder
noch mehr) des ganzen Keimstreifens erreichen können (Figg. 1—2).
Es ist beachtenswerth, dass die jungen (embryonalen) Zellen des
’Keimstreifens sowie der »Kopfkeime«, so lange sie noch nicht in
! Theorie des Mesoderms. Morphol. Jahrb. Bd. XV. 1889. p. 196.
? Die Entstehung des Annelids aus der Larve von Lopadorhynchus. Diese
Zeitschr. Bd. XLIV. 1886. p. 129. j
446 R. S. Bergh,
epithelartiger Weise ausgebildet sind, keine Silberlinien als Grenzen
unter sich erkennen lassen; erst wenn die Bildung der neuen, defini-
tiven Epidermis aus Keimstreifen und Kopfkeimen bis zu einem ge-
wissen Punkt vorgeschritten ist, lässt sich durch Silber auch hier
eine deutliche Mosaik nachweisen (Fig. 4), und die Rolle der Larven-
epidermis hat dann in den betreffenden Regionen ihr Ende genommen:
in der Fig. 4 sind die Zellgrenzen nur bis an die Mosaik der Kopf-
keime, nicht (wie in früheren Stadien) über dieselbe hinweg zu
verfolgen, und ganz eben so verhalten sie sich dem Keimstreifen
gegenüber; mitunter sieht man die Grenzlinien der larvalen Epidermis-
zellen über dem hinteren, nicht aber über dem vorderen, weiter
differenzirten Theil des Keimstreifens. Es macht entschieden den
Eindruck, dass eine Sprengung und ein Auseinandergehen der großen
Zellen stattfindet, wenn die definitive Epidermis sich als solche aus-
bildet.
Nachdem es gelungen war, die Zellgrenzen der larvalen Epider-
mis durch Silber darzustellen, versuchte ich auch, dieselben durch
Maceration zu isoliren, und zwar gelang auch dies ohne irgend welche
Schwierigkeit durch einstündige Behandlung mit sehr verdünnter
Essigsäure oder mit einem Gemisch von 3—4 Theilen 30°/,igen Alko-
hols und 1 Theil 2°/,iger Essigsäure. Saugt man bloß Larven aus
diesen Flüssigkeiten in eine Pipette auf, so fällt die Epidermis in große,
längliche, äußerst dünne Platten aus einander (die Untersuchung ist
in der Macerationsflüssigkeit, nicht in Wasser vorzunehmen).
Diese großen Zellen der Larvenepidermis sind mehrkernig; sie
enthalten in späteren Stadien sogar ganz außerordentlich zahlreiche,
kleine Kerne. Es geht dies schon aus einem Vergleich mit meiner
älteren Arbeit hervor, in der ich in der Larvenepidermis sehr zahl-
reiche, kleine Kerne dargestellt habe; ich habe außerdem die That-
sache von Neuem bestätigt. Zugleich kann ich aber hinzufügen, dass
die Vermehrung dieser Kerne in früheren Stadien durch Amitose
stattfindet. Schon in Fig. 8 und in Fig. 14 meiner früheren Arbeit
ist die paarweise Anordnung vieler der Kerne ersichtlich. Ich kon-
statirte wieder diese Erscheinung und fand, dass in der That in
früheren Stadien biskuitförmige Einschnürung sowohl des Nucleus
wie des Nucleolus öfters auftritt (Fig. 5); nicht ein einziges Mal
ließ sich in der Larvenepidermis eine Mitose nachweisen. Die Ge-
sammtheit dieser Befunde lässt sich wohl kaum in anderer Weise
deuten, als dass Vermehrung der Kerne durch Amitose ohne nach-
folgende Zelltheilung stattfindet, und ist dieses Ergebnis in guter
Kleinere histologische Mittheilungen. 447
Übereinstimmung mit vielen Befunden anderer Forscher an ähn-
lichen vergänglichen Bildungen (z. B. BLocHmann’s! an der Embryonal-
hülle des Skorpions). /
Ich habe in meiner früheren Schrift den Fehler begangen, zwei
Arten von Muskelfasern zu beschreiben, während es in der That nur
eine Art giebt (die gröbere Art). Der Grund hierfür — eben so wie
dafür, dass die äußeren Mündungen der Urnieren damals von mir
nicht aufgefunden wurden (vgl. weiter unten) — liegt darin, dass
ich fast ausschließlich gefärbte Präparate in Kanadabalsam unter-
suchte, und keine nähere Untersuchung in Wasser vornahm, somit
in der That keine gründliche Untersuchung der Strukturen anstellte.
Das, was ich damals als Längsmuskelfasern (und vom Hinterende
ausstrahlende Fasern) auffasste, sind nun thatsächlich nichts Anderes
als parallel laufende Leisten der primitiven Epidermis. Dass es sich
nicht um Muskelfasern handelt, geht aus folgenden Umständen her-
vor: 1) die betreffenden Bildungen sind keineswegs scharf umgrenzt;
namentlich sind ihre Enden mehr oder weniger verwischt; 2) sie
lassen sich durch Maceration nie isolirt darstellen (im Gegensatz zu
den echten Muskelfasern); 3) der optische Querschnitt derselben zeigt
(Fig. 7), dass sie der Epidermis angehörig sind und weiter nichts
als leistenartige Erhebungen derselben darstellen; 4) sie haben (auch
im Gegensatz zu den wirklichen Muskelfasern) keine Spur von
Muskelstruktur (fibrillärer Struktur) aufzuweisen. — Während die
Kerne in den glatten Partien der Larvenepidermis rund sind, er-
weisen sie sich (Fig. 6) in den gefalteten (leistenartig erhobenen)
Regionen als länglich: man sieht oft in jeder der Parallelleisten eine
srößere Anzahl solcher länglicher, hinter einander gereihter Kerne.
Wie früher von mir erwähnt, kommen die derzeit als Längs-
muskelfasern gedeuteten Parallelleisten der Epidermis in topographisch
recht bestimmter Anordnung vor. Worin der Grund dafür liegt, dass
die Epidermis gerade an diesen bestimmten Stellen (entlang der
Mittellinie des Rückens, um die Mundöffnung, zu beiden Seiten des
vorderen Theils des Keimstreifens und am Hinterende der Larve) so
gefaltet erscheint, das vermag ich nicht zu sagen.
Die echten Muskelfasern erscheinen als langgestreckte, mit-
unter verzweigte Zellen mit einfachem, großem, bläschenförmigem,
rundlichem oder ovalem Kern und Kernkörperchen. Sie lassen eine
sehr deutliche Scheidung in Protoplasma und kontraktile Substanz
1 Über direkte Kerntheilung in der Embryonalhülle der Skorpione. Morphol.
Jahrb. Bd. X. 1885. p. 480 ff.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 30
448 R. S. Bergh,
erkennen; namentlich an in der oben angegebenen Weise angefertig-
ten Isolationspräparaten tritt der Gegensatz scharf hervor. Die blasse
kontraktile Substanz ist deutlich fibrillär und liegt als breites, ab-
seplattetes Band der Larvenepidermis unmittelbar an; an der Innen-
seite derselben (an der von der Epidermis entfernten Seite) findet
sich die dunkle, körnige Zellensubstanz (Protoplasma), welche den
Kern enthält. Diese Substanz besitzt gewöhnlich nicht dieselbe
Breite wie das kontraktile Band, sondern ist viel schmäler. Sie er-
streckt sich auch bis gegen die Enden der Faser, ist aber um den
Kern am reichlichsten vorhanden (Fig. 8 a—c). Diese Muskelzellen
mit ihrer einseitig gelegenen kontraktilen Substanz erweisen sich
also ihrem histologischen Charakter nach einem anderen (dem sog.
nematoiden) Typus angehörig als die definitiven, »röhrenförmigen«
Muskelzellen der Hirudineen.
Es finden sich nicht nur solche Muskelfasern als Hautmuskulatur,
der Epidermis dicht angelagert, sondern es giebt auch noch eine
nicht ganz geringe Anzahl von (verzweigten) Muskelfasern, die mit
ihren Enden einerseits der Haut, andererseits dem Darm inserirt
sind. Sie wurden früher von mir übersehen.
Schließlich habe ich noch über die Urnieren zu berichten. Ich
habe früher ihre erste Entstehung verfolgt und dabei festgestellt, dass
dieselben nicht, wie man früher meinte, durch Zusammentreten zer-
streuter Zellen entstehen, sondern dass sie als Zellstränge seitlich aus
dem Keimstreifen hervorsprossen, am freien Ende anschwellen, sich
vom Keimstreifen ablösen und schließlich fast im ganzen Umkreis aus
zwei Reihen von Zellen gebildete Ringe darstellen. Während die
Zellen in früheren Stadien deutlich von einander abgegrenzt sind,
werden ihre Grenzen, kurz nachdem die (intracelluläre) Kanalbildung
angefangen hat, undeutlich und dies steigert sich bis zur völligen
Unkenntlichkeit. Durch Untersuchung mittels der Silbermethode —
als Reagens wurde ein Gemisch von 1°/,iger Salpetersäure und
1°/,iger Höllensteinlösung zu gleichen Theilen verwandt — lassen
sich nun aber in dem voll entwickelten Organ in dem größeren
Kanal (Hauptkanal) die Zellgrenzen sehr leicht darstellen. Sehr auf-
fallend ist es, dass es mir nicht ein einziges Mal gelang, die Zell-
srenzen in dem kleineren Kanal (Nebenkanal) nachzuweisen; es ist
dieses Verhalten vielleicht analog demjehigen, dass es mir in den
sroßen Segmentalorganen der Lumbrieiden überall gelang, die Zell-
srenzen durch Silber darzustellen, nie dagegen in den kleinen Or-
ganen bei den »Limikolen.« — Die in den Zellgrenzen im Haupt-
JE Zee
Kleinere histologische Mittheilungen. 449
kanal der Urnieren liegenden Silberlinien (Fig. 9 a—c) erscheinen
als sehr stark buchtige Ringe, und hat also hier jede Zelle die Form
einer ziemlich dünnwandigen, nach beiden Enden scharf abgegrenzten
Röhre; etwa in der Mitte jeder Zelle liegt ein ansehnlicher, bläschen-
förmiger Kern mit Kernkörperchen.
In meiner früheren Darstellung bin ich in denselben Fehler wie
RogBın und BürscHLı für Nephelis verfallen, nämlich die Mündungen
der Urnieren zu übersehen, was um so mehr bedauernswerth ist,
als schon LEUCKART! für Ziirudo (und FÜRBRINGER für Nephelıs)
sie richtig angegeben hatte. Nach einfacher Untersuchung in Wasser
kann ich nicht nur die Existenz der Öffnungen bestätigen, sondern
auch verschiedenes Detail über sie angeben. Die Mündung findet
sich immer an der medialen Seite der ringförmigen Urniere am Ende
eines kurzen Endkanals, der immer aus zwei nicht ganz deutlich
von einander unterschiedenen Zellen besteht. Auffallenderweise ragt
dieser Endkanal an den zwei vordersten Urnieren jeder Seite fast
immer in das Innere des Ringes hinein, wogegen er an den zwei
hinteren Paaren gewöhnlich außerhalb des Ringes vorspringt (ganz
konstant ist diese nicht, sondern es kann z. B. an der zweiten Urniere
der Endkanal nach außen, an der dritten nach innen vorspringen;
doch sind das Ausnahmefälle). Zum besseren Verständnis dieser Ver-
hältnisse habe ich in Figg. 14 und 16 zwei jugendliche Urnieren
abgebildet; die jüngere (Fig. 14) gehört dem dritten Paar; die Kanäle
sind noch nicht aufgetreten; der außen vorragende Zellstrang (in
Fig. 15 noch einreihig) ist die Anlage der Mündungsröhre (des End-
stücks). Fig. 16 gehört dem ersten Paare an; diese Urniere ist be-
deutend älter: die Kanäle sind aufgetreten, aber noch nicht als
‘ Haupt- und Nebenkanal unterschieden. Die in das Innere vor-
springende Röhre ist die Mündungsröhre, und zwar sind schon die
zwei großen, hblassen Endzellen mit ihren Kernen deutlich unter-
scheidbar.
An dem vollkommen ausgebildeten Endstück lassen sich immer
die zwei großen Kerne und Kernkörperchen unterscheiden; ihre Lage
kann übrigens etwas verschieden sein, bald näher, bald ferner von
der äußeren Mündung (Figg. 17 und 18). Das Protoplasma dieser
Zellen ist sehr eigenthümlicher Weise in zahlreiche, feine, zugespitzt
endigende, körnige, pseudopodienähnliche Gebilde ausgezogen, welche
sich innerhalb der larvalen Epidermis ausbreiten (Fig. 17 a). Mit-
1 Die menschlichen Parasiten. 1863. Bd. I. p. 697—698.
30*
450 R. S. Bergh,
unter finden sie sich an den Seitenrändern der ganzen Mündungs-
röhre, in anderen Fällen (d, c) nur in der Nähe der äußeren Mündung;
nur in ganz vereinzelten Fällen vermochte ich sie gar nicht zu finden.
Was diese Erscheinung zu bedeuten hat, lässt sich zur Zeit mit
Sicherheit nicht sagen; doch dürfte es wahrscheinlich sein, dass hier
ein Haftapparat vorliegt, mittels dessen die Urniere an die Epidermis
befestigt ist. In ihrem ganzen Umkreis liegt die Urniere sonst ganz
frei, und kann man oft Stücke derselben in der primitiven Leibes-
höhle hin- und herschwingen sehen, wenn die Larve sich kräftig
kontrahirt; nur an der Mündungsröhre ist sie festgeheftet, und wäre
es desshalb wohl möglich, dass die pseudopodienartigen Gebilde zur
Befestigung dienen. In einem jüngeren Stadium (Fig. 17 d), in
welchem die Kanäle noch nicht ganz ausgebildet waren, sah ich ein-
mal den Anfang der Bildung dieser Protoplasma-Ausläufer: dieselben
waren hier ganz kurz und wenig zahlreich.
In welcher Weise mündet die Urniere nach außen? Ist die
Mündung von den zwei eben erwähnten Zellen der Mündungsröhre
oder von den großen Zellen der Larvenepidermis direkt umgrenzt?
Um diese Frage zu entscheiden, mussten wieder Silberreaktionen an-
gestellt werden. Die in dieser Weise erhaltenen Bilder sind zwar
etwas variabel, lassen aber doch das Gemeinsame der Erscheinung
keineswegs erkennen (Fig. 18 a—:). Die Urnierenmündungen können
an der Grenze von zwei großen Epidermiszellen gelegen sein; weit
häufiger bricht aber die Mündungsröhre in einer einzelnen Epidermis-
zelle mitten darin oder nahe am Rand durch, und zwar erstrecken
sich immer beide Zellen der Mündungsröhre in die Epidermis hin-
aus; hier ist auch ihre gegenseitige Begrenzung sehr deutlich, wo-
gegen ich sie in dem tieferen Theil der Mündungsröhre auch durch
Silber nicht habe abgrenzen können. Die durch Silber ganz aus-
gefüllte (geschwärzte) Öffnung liegt mitunter mitten zwischen der-
selben, sehr häufig aber auch ganz am Rand, an dem einen Ende
der Trennungslinie. Die Lage der Kerne in Relation zu den Silber-
linien ist auch recht variabel; meistens sind die in die Epidermis
hinaus sich erstreckenden Platten der Zellen der Mündungsröhre un-
sleich an Größe, wie aus den Figuren ersichtlich.
Es läge vielleicht nahe zu vermuthen, dass sich die Mündungs-
röhre aus dem Stiel herleitet, mittels dessen die Urniere ursprüng-
lich mit dem Keimstreifen in Verbindung steht. : Die jüngeren Stadien,
die in Figg. 10—13 dargestellt sind, geben jedoch hierüber keinen
entscheidenden Aufschluss, und es ist recht schwer, einen solchen zu
Kleinere histologische Mittheilungen. 451
erhalten, da die Bilder verschiedener junger Urnieren sehr variabel
sind, und es nicht wohl möglich ist, eine und dieselbe Urniere wäh-
rend ihrer Entwicklung längere Zeit hindurch zu beobachten. — In
Fig. 16 ist der ganze Verlauf des Urnierenkanals in einem jugend-
lichen Stadium erkennbar: man sieht sowohl den blinden Anfang wie
die äußere Mündung. Haupt- und Nebenkanal sind hier noch nicht
von einander schärfer unterschieden; später, in der voll ausgebildeten
Urniere, zeigt der Nebenkanal oft kurze, blind endigende Ver-
zweigungen (Fig. 19); der Hauptkanal zeigt manchmal perlschnur-
artige Anschwellungen, die oft so stark von einander abgeschnürt
sind, dass es den Eindruck vortäuscht, als seien dieselben gar nicht
mit einander in offener Verbindung. — Wie schon von LEUCKART
angegeben, kommt bei den Hirudineen Flimmerung in keinem Theil
der Urniere vor.
Il. Darstellung der Zellgrenzen in den Segmentalorganen
der Lumbriciden.
Bekanntlich bestehen die Segmentalorgane der Lumbrieiden zum
srößten Theil aus »durchbohrten« Zellen; das Lumen ist also intra-
cellulär. Nur am Trichter an der inneren Mündung findet sich ein
echtes Flimmerepithel, und in der kontraktilen Endblase ist das
Lumen intercellulär. Außerdem sind in dem weitaus größten Theil
der Röhre keine Zellgrenzen sichtbar, und wird die Sache gewöhn-
licher Weise so dargestellt, als seien die Zellgrenzen während ihrer
Entwicklung verschwunden. So bemerkt noch in diesem Jahre
VEIDOVSKY!, dass »saus dem normalen Epithel (der Endblase) jene
Zustände entstehen, wo die Zellgrenzen verschwinden und die Kerne
in einer gemeinschaftlichen Protoplasmaschicht eingebettet erscheinen«.
Und BEnHAm?, der eine sehr eingehende Untersuchung der Segmen-
talorgane anstellte, fand die Zellgrenzen nur in ganz einzelnen Thei-
len, vermisste sie aber im Trichterkanal, in der ganzen engen Röhre
des Schlingentheils und in der Endblase; es ist dies um so auffallen-
der, als er mittels Silberreaktionen die Zellgrenzen im Peritoneal-
epithel der Segmentalorgane darstellte: dabei blieben ihm aber die
so äußerst charakteristischen Silberlinien der Drüsenzellen in diesen
1 Noch ein Wort über die Entwicklung der Nephridien. Diese Zeitschr.
Bd. LXVI. 1900. p. 252.
” The Nephridium of Lumbrieus and its Blood-supply; with Remarks on
the Nephridia in other Chaetopoda. Quart. journ. of mier. se. Vol. XXXII.
NS.) 1891. p. 315.
452 R. S. Bergh,
Organen selbst unbekannt. Und so viel mir bekannt, hat auch sonst
Niemand diese Zellgrenzen gefunden.
Es lässt sich nun in jedem einzelnen Theil der Segmentalorgane
der verschiedenen Regenwurmarten (Zumbricus herculeus, Allolobo-
phora foetida, Allolobophora turgida ete.) die Abgrenzung der Zellen
durch Silberbehandlung mit größter Deutlichkeit nachweisen; nur thut
man am besten, die Lösungen nicht zu kurz einwirken zu lassen.
Schon ganz gewöhnliche Höllensteinbehandlung ergiebt manchmal
hübsche Bilder; noch besser wirkte aber die von mir für die Unter-
suchung der Blutgefäße vielfach angewandte Mischung von 1°/,iger
Salpetersäure und 1°,,iger Höllensteinlösung zu gleichen Theilen (bei
fehlendem Sonnenlicht kann die Reduktion in Alkohol mit einem
schwachen Zusatz von Ameisensäure vorgenommen werden; auch das
FıscHer’sche Silber- Ameisensäuregemisch lässt sich benutzen. Bei
Anwendung dieser Untersuchungsmethoden ergiebt sich Folgendes.
An der Trichteröffnung präsentiren sich sehr schön die Grenzen
der großen ceylindrischen Flimmerepithelzellen als ziemlich gerade
Linien; an der Dorsalseite des Organs kommen außerdem die sehr
unregelmäßig gebuchteten Begrenzungslinien der Peritonealzellen zum
Vorschein (Fig. 20). — In der vom Trichter entspringenden, kurzen,
geraden Röhre stehen die Zellen wie in Fig. 21 dargestellt: es sind
im Querschnitt meistens zwei Zellen vorhanden, die mit buchtigen
Begrenzungslinien an einander stoßen (nur zwei seitlich gelegene
Kerne sind dargestellt; die übrigen lagen oben oder unten). Sobald
aber dieser Kanal in die enge Röhre des Schlingentheils übergeht,
ändern sich die Verhältnisse. Wir finden hier die bekannten ring-
oder röhrenförmigen Zellen; aber die bisher vermissten Grenzlinien
derselben sind überall im hohen Grade komplieirt, es sind Ringe,
die mächtige Aus- und Einbuchtungen aufweisen. In Fig. 22—24
ist eine Reihe von Bildern aus den verschiedenen Regionen der Röhre
dargestellt. Fig. 22 stellt ein kurzes Stück der engen Röhre in der
Schlinge F (BenHam), Fig. 23 ein Stück der »Ampulle« (BENHAM)
dar; in letzterer sind die Zellgrenzen geradezu labyrinthisch gewun-
den. In Fig. 244—b sieht man die Zellgrenzen in drei von den vier
Röhren in der Schlinge G (BEnHAMm); die eine der engen Röhren hat
einen sehr gewundenen Verlauf, und dem entsprechend stehen die
ringförmigen, buchtigen Silberlinien bald in dieser, bald in jener
Richtung; in den beiden anderen Röhren stehen sie mehr senkrecht
zur Längsachse. Endlich in Fig. 25 sind vier Zellen mit ihren Grenz-
linien von der frei verlaufenden weiten Röhre dargestellt, welche zur
Kleinere histologische Mittheilungen. 453
kontraktilen Endblase hinführt; in diesen Zellen sind auch die Kerne
deutlich sichtbar.
In der Endblase findet sich ein echtes Epithel, bestehend aus
sehr großen, abgeplatteten Zellen. Ihre Grenzlinien lassen sich durch
Silber leicht darstellen (Fig. 264; zum Vergleich sind in Fig. 265
bei derselben Vergrößerung die Zellgrenzeu des Peritonealepithels
abgebildet). Bei genauerer Betrachtung der Silberlinien im Epithel
der Endblase sieht man, dass dieselben doppelt sind: eine stärkere
und eine schwächere Linie begleiten sich immer (Fig. 26c). Es könnte
diese Beobachtung die Vermuthung nahe legen, dass hier nicht nur
am freien, sondern auch am basalen Rand der gegenseitigen Be-
gsrenzung der Zellen eine Substanz vorhanden ist, die auf das Silber
reducirend wirkt (an den Flimmerzellen des Trichters ist sehr deut-
lich zu sehen, dass die Silberlinien am freien Rand der ziemlich an-
sehnlichen Zwischenräume der Zellen befindlich sind).
Es ist mir eine im höchsten Grade auffallende Thatsache ge-
wesen, dass, während die Silberreaktion an den großen Segmental-
organen der Lumbrieiden immer ganz leicht gelang, es mir nie und
nimmer gelingen wollte, die Zellgrenzen in den kleinen Segmental-
organen der »Limikolen« deutlich zu machen. Zahlreiche: Versuche
mit den oben angegebenen Methoden wurden angestellt an Nass,
Chaetogaster, Tubificiden, Enchytraeiden; doch war nie ein sicherer,
positiver Erfolg zu verzeichnen. Ein einziges Mal sah ich bei einer
Tubifieide an einem einzigen Segmentalorgan ziemlich einfache Ring-
linien, die möglicherweise Zellgrenzen sein konnten; aber auf einen
so vereinzelten Befund unter so zahlreichen Versuchen kann ich kein
rechtes Gewicht legen.
Kopenhagen, September 1900.
Nachtrag,
Herr Professor EHLERS hat die Freundlichkeit gehabt, mich auf
eine soeben erschienene Arbeit von BORIS SUKATSCHOFF! aufmerksam
zu machen, die mir zur Zeit, wo ich die obige Abhandlung nieder-
schrieb, noch unbekannt geblieben war. Nach Einsicht derselben
1 Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hirudineen. I. Diese Zeitschr.
Bd. LXVI. 4. Heft. 1900. p. 618 ff.
454 R. S. Bergh,
konstatire ich die höchst erfreuliche, sehr weitgehende Übereinstimmung
in den Ergebnissen von SUKATSCHOFF und von mir in Bezug auf die
Urnieren der Blutegel, und zwar dies sowohl in Bezug auf Beob-
achtung wie auf Deutung und Theorie.
SUKATSCHOFF hat die äußere Mündung der Urniere sowohl von
Nephelis wie von Aulastoma beobachtet und seine Beschreibung der
»Mündungsschleife«, namentlich der »Endblase« — ich schließe mich
mit Vergnügen seiner Terminologie an — entspricht genau der meini-
sen. Die Zusammensetzung der Endblase aus zwei Zellen und die
feinen, pseudopodienartigen Ausläufer ihres Protoplasmas schildert
und zeichnet er genau; auch sieht er in denselben ganz eben so wie
ich einen Befestigungsapparat. Er hat solche Ausläufer auch sonst
stellenweise an den das Organ zusammensetzenden Zellen gefunden
und hegt desshalb Zweifel an der Richtigkeit meiner früheren An-
gabe, dass »besonders der vordere Schenkel (der Urniere) hin und her
schwingen kann«. Diese Beobachtung, die ich öfters an lebenden
Larven in physiologischer Kochsalzlösung angestellt habe, ist indessen
zweifellos richtig, und es handelt sich dabei nicht um kleine, son-
dern um ganz große, schon bei ganz schwacher Vergrößerung deut-
liche Schwingungen, die übrigens rein passiver Natur sind: durch
die Körperkontraktionen hervorgerufen. Eben so, wenn SUKATSCHOFF
noch einen kleinen Zweifel hegt, ob Flimmerung (welche er selbst
niemals beobachten konnte) doch nicht in den Hirudineen-Urnieren
vorkommt, so kann ich die Existenz derselben bestimmt in Abrede
stellen. Mitunter gelang es mir, lebende Larven unter Deckglas und
unter dem Objektiv D von Zeiss zu beobachten, und richtete ich
meine Aufmerksamkeit besonders auf den blinden Anfang des Kanals;
aber nie sah ich die Spur von Flimmerbewegung.
Darin, dass Anastomosen zwischen Anfangs- und Mündungs-
schleife nicht vorkommen, darin bin ich ganz mit SUKATSCHOFF
einverstanden. — Die Variation in der Lage der Endblase — außerhalb
oder innerhalb des Ringes — giebt SUKATSCHOFF auch an; nur hat er
den von mir erkannten, ziemlich regelmäßigen Unterschied zwischen
vorderen und hinteren Urnieren nicht erkannt, und dieser Unterschied
erklärt eben seine Angabe, dass »in dieser Hinsicht die Endblasen
jedes Urnierenpaares fast immer gleich sich verhalten«. Silberversuche
hat er keine angestellt; dagegen hat er die Mündung auch an Schnitten
nachweisen können (was ich unterlassen habe).
Erfreulich ist es mir, dass SUKATSCHOFF meine Ableitung der
Urnieren der Blutegel von denen anderer Anneliden ganz annimmt:
Kur ye>ı
Kleinere histologische Mittheilungen. 455
sie wurde bisher fast gänzlich unbeachtet. SUKATSCHOFF führt in
dieser Beziehung interessante Befunde von Verbindungen zweier Ur-
nieren bei Nephelis an.
Schließlich sei nur noch bemerkt, dass aus der Fig. 6 von
SUKATSCHOFF hervorgeht, dass er die Amitose in der Larvenhaut
gesehen hat. Die Zusammensetzung dieser aus großen, vielkernigen
Zellen scheint er aber nicht erkannt zu haben.
Kopenhagen, den 25. September 1900.
Erklärung der Abbildungen,
Tafel XXXII.
Fig. 1. Larve von Aulastoma, versilbert, mit Epidermiszellen, Schlund,
Keimstreifen, von der rechten Seite. Unter dem Präparirmikroskop gezeichnet.
Fig. 2. Vorderer Theil der Bauchwand einer eben solchen Larve, nach Ver-
silberung, stärker vergrößert (Zeıss AA, Oe. 1).
Fig. 3. Vorderer Theil der Bauchwand einer etwas älteren Larve, bei
derselben Behandlung und Vergrößerung.
Fig. 4. Vorderer Theil der Rückenwand einer etwas älteren Larve mit den
sroßen Zellen der Larvenepidermis und der kleinzelligen Mosaik der definitiven,
aus den Kopfkeimen entwickelten Epidermis. Dieselbe Behandlung und Ver-
gsrößerung.
Fig. 5. Stück einer Epidermiszelle nach Essigsäure-Alkohol-Maceration.
Man sieht die zu zweien gruppirten Kerne und einige Amitosen. ZEISS F, Oc. 1.
Fig. 6. Stück von der leistenartig erhobenen Larvenepidermis und Muskel-
fasern bei derselben Behandlung und Vergrößerung.
Fig. 7. Optischer Querschnitt eines Stückes Larvenepidermis und anliegen-
der Muskelfasern. Dieselbe Behandlung und Vergrößerung.
Fig. Sa—c. Muskelfasern der Aulastoma-Larve nach Essigsäure-Maceration
(F, Oc. 1). a, von der Fläche, 5, von der Seite, e, optischer Querschnitt.
Fig. 9a—c. Stücke vom Hauptkanal der Urnieren, versilbert (AgNO3+HNO;).
Die Silberlinien finden sich dieht am Lumen. F, Oe. 1.
Figg. 10—16. Entwicklungsstadien von Urnieren. F, Ve. 1. Salpetersäure-
Alkohol; Alaunkarmin. Figg. 10, 13, 14 gehören dem dritten, Figg. 11 und 15
dem zweiten, Fig. 16 dem ersten Paar an, über Fig. 12 fehlen mir diesbezüg-
liche Notizen.
Fig. 17a—c. Miündungsstücke erwachsener Urnieren mit der iußeren Öff-
nung (a und 5 mit den angrenzenden Theilen der Urniere). Salpetersäure-Alko-
hol, Alaunkarmin. F, Oe. 1.
Fig. 17d. Mündungsstück einer etwas jüngeren Urniere mit anfangender
Bildung von Ausläufern. Dieselbe Behandlung und Vergrößerung.
456 R. S. Bergh, Kleinere histologische Mittheilungen.
Tafel XXXIII.
Fig. 18a—. Mündungen von Urnieren mit den Mündungszellen, versilbert.
In Fig. 18: läuft die Grenze zwischen larvalen Epidermiszellen dicht an der
Mündung vorüber; in Fig. 15% in ziemlicher Nähe; sonst lagen die abgebildeten
Öffnungen (mit den zwei Mündungszellen) mitten in einer Epidermiszelle drin
(vgl. übrigens den Text). F, Oe. 1.
Fig. 19. Haupt- und Nebenkanal einer noch nicht ganz ausgewachsenen
Urniere. Der Nebenkanal weist blinde Verzweigungen auf. Salpetersäure-Alko
hol, Alaunkarmin. F, Oe. 1.
Fig. 20. Wimper- und Peritonealzellen des Trichters eines Segmental-
organs von Lumbricus herculeus, versilbert, von der Rückenseite. D, Oec. 1.
Fig. 21. Stück von dem engen, hinter dem Trichter folgenden, geraden
Kanal, versilbert (AgNO3 + HNO;3). F, Oe. 1.
Fig. 22. Stück der engen Röhre in der Schlinge F, versilbert. F, Oe. 1.
Fig. 23. Stück der Ampulle; gewöhnliche Silberbehandlung. F, Oe. 1.
Fig. 24a—b. Stücke von der Schlinge G, versilbert (AgNO; + HNO;). F,
Öe. 1. Nur die drei Röhren sind angegeben.
Fig. 25. Stück der frei verlaufenden, nach der Endblase hinführenden
weiten Röhre. Dieselbe Behandlung und Vergrößerung.
Fig. 26@. Inneres Epithel der Endblase, versilbert (AgNO;+ HNO;). .D,Oe.1.
Fig. 265. Peritonealepithel der Endblase bei derselben Behandlung und
Vergrößerung.
Fig. 26c. Die Silberlinien im (inneren) Epithel der Endblase bei stärkerer
Vergrößerung (F, Oe. 1).
Über die erste Entwicklung der Krähe
(Corvus frugilegus).
Von
Professor Paul Mitrophanow
in Warschau.
Mit Tafel XXXIV u. XXXV und 3 Figuren im Text.
In der Einleitung zu meinen »Beobachtungen ! über die erste
Entwicklung der Vögel« habe ich darauf hingedeutet, dass die ver-
sleichenden Angaben von der größten Wichtigkeit für die Lösung
meiner damaligen Aufgabe waren, welche in der Bestimmung des
normalen Verlaufs der ersten Entwicklung der Vögel und deren
wesentlichen Elemente bestand (l. e. p. 158 u. p. 197). Nach dem
ursprünglichen Plan der erwähnten Arbeit sollten diese vergleichen-
den Angaben ein besonderes Kapitel derselben bilden, da jedoch
die endgültige Bearbeitung des letzteren die Erscheinung der ganzen
Arbeit verspäten konnte, so habe ich beschlossen (l. ec. p. 239) die
betreffenden Beobachtungen separat zu veröffentlichen. Der nach-
stehende Artikel stellt einen Theil dieser Beobachtungen dar.
Das sich auf die Entwicklung der Krähe beziehende Material
habe ich noch im Jahre 1895 und hauptsächlich im Jahre 1894 in
Bessarabien gesammelt und endlich im Jahre 1599 ergänzt.
Vorläufig hatte ich schon seit langer Zeit die ersten Entwick-
lungsstadien studirt, konnte aber in Folge anderer Beschäftigungen
sogar die wichtigsten von meinen Beobachtungen bis jetzt nicht ver-
öffentlichen, obgleich ich schon öfters darauf hingedeutet habe. In
den nächsten Zeilen spreche ich hauptsächlich von denjenigen meiner
Beobachtungen, welche mir theilweise als Grundlage bei der Um-
! Anatomische Hefte, herausgegeben von FR. MERKEL und R. BonnET.
Heft 39. 1899.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 31
458 Paul Mitrophanow,
arbeitung der primitiven Vorgänge in der Entwicklung der Vögel
sedient haben.
Was die Methode der Forschung betrifft, so gleicht sie im All-
gemeinen derjenigen, welche ich vor Kurzem veröffentlicht habe
(l. ec. p. 197); trotz der langen Zeit hat sich das ganze Material in
allen Hinsichten ausgezeichnet erhalten.
1) Das früheste von den von mir erlangten Entwicklungsstadien
bietet die Keimscheibe, welche längs der Längenachse etwas aus-
gedehnt war (im Glycerin, vor dem Einschließen in Kanadabalsam,
hatte die Keimscheibe, natürlich ungefähr, Ausmessungen von 1,8 und
1,5 mm; auf den Schnitten hatte der Längsdurchmesser nur 1,5 mm).
Diese Keimscheibe bot ein Blastoderm, dessen noch von Dotter-
elementen überfüllte Zellen in ihrem mittleren Theile zwischen ein-
ander intercellulare Gänge und Spalten bilden, indem sie sich im
Ganzen in ein kompaktes Polster anhäufen.
Es sondern sich etwas nur diejenigen Zellen ab, welche auf der
Oberfläche liegen; die ganze Keimscheibe ist in den Dotter eingepresst
(Taf. XXXIV, Fig. 1) und ihre größte Dicke erreicht etwa '/; mm. Der
auf dem Schnitte rechte Rand der Keimscheibe ist etwas dünner als
der andere, welcher an Dotterkermen reich ist; letzterer muss augen-
scheinlich als der hintere anerkannt werden. Von der subgermi-
nalen Höhle kann noch keine Rede sein, doch sondern sich auf der
ganzen Ausdehnung die Elemente des Blastoderms ganz deutlich vom
Dotter ab; die obenerwähnten intercellularen Räume, welche noch in
allen Richtungen von intercellularen Brücken durchkreuzt werden,
bieten augenscheinlich die rudimentäre Furchungshöhle.
2) Eine andere Keimscheibe derselben Größe (1,5 mm in allen
Richtungen, auf den Schnitten), welche von außen keine Differen-
zirung bot, äußerte den inneren Kennzeichen nach eine höhere Ent-
wicklungsstufe; nämlich: die Absonderung der Ränder ist deut-
licher, wobei der hintere bedeutend dieker (etwa 85 u) als der vor-
dere (etwa 60 u) ist; im mittleren Theile war die Keimscheibe etwa
45—50 u diek und bedeckte die klar abgesonderte subgerminale
Höhle, welche mit einförmiger, auf den Schnitten geronnener und
schwach gefärbter Flüssigkeit gefüllt ist; auf der Grenze mit dem
Epithelium befinden sich in dieser Flüssigkeit helle Vacuolen
(Taf. XXXIV, Figg. 2 und 3). Die oberflächliche Schicht des Blasto-
derms hat einen epithelialen Charakter erworben, und stellenweise
bemerkt man darin Einstülpungen, denen ich aber keine morpho-
ze
£
Über die erste Entwicklung der Krähe (Corvus frugilegus). 459
logische Bedeutung zuerkenne; wahrscheinlich sind dieselben als
Falten in Folge der Elastieität der Dotterhaut entstanden. Viel
wichtiger ist hier der Umstand, dass näher zum hinteren Rande
das Ektoderm .als selbständige Schicht sich abzusondern anfängt
(Taf. XXXIV, Fig. 3); es erscheint auf diese Weise eine sekundäre
Furchungshöhle, welche unten von den Elementen des Dotteren-
toderms begrenzt wird; letzteres liegt auf der übrigen Strecke locker
neben der oberen Schicht, ohne sich von derselben abzusondern,
und bildet gleichzeitig eine Decke der subgerminalen Höhle (Taf. XXXIV,
Figsg. 2 und 5). Es ist bemerkenswerth, dass die Elemente dieser
Keimscheibe verhältnismäßig an Dotterkernen sehr arm sind. Dieser
Umstand, sowohl wie die starke, aber frühzeitige Entwicklung der
subgerminalen Höhle deuten darauf hin, dass in diesem Falle der
Keim, dessen allgemeines Wachsthum aufgehört hat, eine bedeutendere
Komplikation der inneren Organisation bietet, als man es auf dieser
Entwicklungsstufe gewöhnlich beobachtet: im Verhältnis zu der all-
gemeinen morphologischen Differenzirung, ist die histologische sicht-
bar vorausgeschritten.
3) Unmittelbar nach der ersten Keimscheibe folgt, dem Charakter
der histologischen Komplikation nach, eine von regelmäßigen Um-
rissen, welche von außen keine sichtbare Differenzirung, außer einem
helleren Flecken bietet, der im Centrum durchschimmert, in einer
Richtung etwas ausgedehnt ist und als ein Kennzeichen der Richtung
bei der Vorbereitung von Längssehnitten gedient hat. Aus den
mittleren Schnitten ist es klar, dass die Keimscheibe einen Durch-
messer von etwas weniger als 2 mm hatte; der erwähnte helle
Flecken entsprach augenscheinlich der subgerminalen Höhle, welche
sich zu bilden begann, und folglich entsprach die Richtung der Schnitte
in der That der Längsachse, was durch den Unterschied im Bau der
Ränder der Keimscheibe vorn und hinten vollständig bestätigt wird
(Taf. XXXIV, Fig. 4); die Dieke des ersten beträgt etwa 60 u, die
des zweiten über 9 u. Der histologische Charakter der Zellen-
elemente ist primitiv, sie sind ungleichmäßig groß, die Dotterkörner
überfüllen sie; die intercellularen Räume sind nur in der Mitte der
Keimscheibe auf der Grenze der subgerminalen Höhle etwas sicht-
bar. Ein Theil der Elemente erscheint hier in Gestalt von Dotter-
kugeln abgesondert, welche im Allgemeinen sich plattenartig an-
ordnen. Diese Platte trennt auf diese Weise die subgerminale Höhle
von der sekundären Furchungshöhle und bildet später das sogenannte
Dotterentoderm. Die äußere Zellenschieht der Keimscheibe ist von
31*
460 Paul Mitrophanow,
den übrigen wenig abgesondert und hat noch nicht den Charakter
des eylindrischen Epitheliums.
4) Die weitere Differenzirung findet gleichzeitig mit dem Wachs-
thum der Keimscheibe statt, welches augenscheinlich von einer ge-
ringen Ausdehnung der letzteren in die Länge begleitet wird; so
kann man wenigstens auf Grund des Studiums folgender Präparate
schließen. Die ovoidförmige Keimscheibe war etwas über 2 mm (in
Schnitten) lang; der hintere Rand wurde durch den größeren Dotter-
inhalt bestimmt. Aus den Längsschnitten ist es klar (Taf. XXXIV,
Fig. 5), erstens, dass die subgerminale Höhle unter dem ganzen
mittleren Theile der Keimscheibe in Form einer engen Spalte abge-
sondert ist; im Centrum berührt das Dotterentoderm unmittelbar den
Dotter; zweitens, dass die Zellen von der Oberfläche sich als eine
selbständige Schicht abgesondert haben, wobei sich zwischen der-
selben und dem Dotterentoderm eine Höhle gebildet hat (Taf. XXXIV,
Fig. 5 a), welche auf dem Schnitte wie eine ziemlich breite und be-
stimmt begrenzte Spalte aussieht. Diese Höhle (sekundäre Furchungs-
höhle) sammt der subgerminalen sondern den mittleren Theil der
Keimscheibe als hellen Fruchthof ab und den Rand als den dunk-
len Fruchthof, welcher, wie auf den vorhergehenden Präparaten, .
vorn dünner als hinten ist (etwa 100 « und 140 u). Der histo-
logische Charakter der Elemente hat sich verhältnismäßig wenig
verändert; dieselben sind eben so wie früher an Dotterkörnern reich;
dessenungeachtet muss die oberflächliche Schicht unzweifelhaft schon
als selbständiges Ektoderm betrachtet werden, dessen Elemente theil-
weise, besonders in der Mitte, den Dotter verlieren und einen typi-
schen eylinderartigen Charakter erwerben; hier erreicht das Ektoderm
seine größte Dieke (44 u), während es in den Rändern doppelt dünner
ist. Wenn man dieses Präparat mit den vorhergehenden vergleicht,
kann man daraus schließen, dass die Absonderung des Ektoderms,
als einer selbständigen Schicht, in den centralen Theilen der Keim-
scheibe beginnt und allmählich zur Peripherie fortschreitet; hier und
da sieht man darunter Elemente des Dotterentoderms, theilweise in
schwacher Verbindung mit dem ersteren, als Überbleibsel der früheren
Verhältnisse.
5) Wenn man nach dem Studium in toto beurtheilt, bietet auch
denselben Charakter die im Längsdurchmesser 2,5 mm betragende
Keimscheibe (der Querdurchmesser ist etwas kleiner, gegen 2,25 mm);
die mittlere Verdiekung des Ektoderms sowohl, wie sein hinterer
Rand, konnte bei diesen Bedingungen ganz genau bestimmt werden.
Über die erste Entwicklung der Krähe (Corvus frugilegus). 461
6) Das nächste Entwieklungsstadium bietet eine Keimscheibe mit
regelmäßigem kreisförmigem Umriss, von 2,25 mm im Durchmesser.
Die sekundäre Furchungshöhle (und damit auch der helle Fruchthof)
hat sieh etwas vergrößert und etwa 1 mm im Durchmesser erreicht;
dabei ist jedoch eine große Veränderung im histologischen Charakter
hauptsächlich der ektodermalen Elemente eingetreten, welche größten-
theils dem eylinderförmigen Epithelium ähnlich geworden sind. Der
vordere Rand des dunklen Fruchthofes ist etwa 0,40 mm, der hintere
etwa 0,55 mm breit und bedeutend dicker als der vordere; seine
srößte Dieke beträgt 100 « und die des vorderen S0—70 u, wobei
der letztere, außer in der obersten Schicht, an Dotterkörnchen sehr
reich ist. Der hintere Rand dagegen besteht in bedeutendem Maße
aus dotterlosen Elementen; daraus bildet sich eine Art Polster,
welches sich nicht scharf vom Dotterentoderm absondert; letzteres
bietet über der subgerminalen Höhle eine ununterbrochene Platte.
Obgleich dieses Polster in diesem Falle als der am meisten diffe-
renzirte Theil der Keimscheibe erscheint, hat es in der ferneren Ent-
wicklung keine morphologische Bedeutung; indem es den hinteren
Rand des Blastoderms darstellt, weleher die Furchungshöhle begrenzt,
hat es augenscheinlich seinen Charakter in Folge besonderer Be-
dingungen der Theilung des Eies und der Bildung der Höhle selbst
erhalten. Das abgesonderte Ektoderm ist am meisten am mittleren
Theile entwickelt und erreicht das Maximum seiner Dicke (34 u) auf
dem mittleren Längsschnitte in einer Entfernung von 0,2 mm vom
vorderen Rande des hellen Fruchthofes; in derselben Entfernung vom
hinteren Rande beträgt seine Dicke nur 20 u. Die Zellen des Ekto-
derms, welches sich von den niedriger liegenden Zellen vollständig
abgesondert hat, sind von Dotterelementen noch nicht ganz frei.
7) Die weitere Absonderung und Differenzirung des Ektoderms
sehen wir auf der Keimscheibe, welche beim vorläufigen Studium
folgende Ausmessungen gegeben hat: 2,7” mm Länge und 2,4 mm
Breite; im Kanadabalsam veränderten sich diese Ziffern in 2,4 und
2,1 mm. Beim Studiren des Flächenpräparates (Taf. XXXIV, Fig. 6)
konnte man den Rahmen des dunklen Fruchthofes (hinten 0,75 mm
Breite) und den hellen Fruchthof (1,2 mm Länge) mit der stärker
gefärbten mittleren Verdiekung unterscheiden. Die Querschnitte zeigten,
dass diese im ÜÖentrum des hellen Fruchthofes klar ausgedrückte
Verdiekung (40 u) ihre größte Stärke näher zum hinteren Rande er-
reicht (69 u); auf der Grenze des dunklen Fruchthofes übertrifft das
Ektoderm nicht 20 u (Taf. XXXIV, Fig. 7). An dieser Stelle haben seine
469 Paul Mitrophanow,
Zellen einen ceylinderartigen Charakter, während dieselben in der
Verdickung zusammengehäuft sind; überhaupt sind sie gänzlich ohne
Dotterkörner. Die untere Oberfläche des Ektoderms ist ungleich-
mäßig; stellenweise bemerkt man darin Auswüchse nach der Seite
dies Dotterektoderms hin, welches über der, mit gerinnender, sich
einförmig härtender und etwas vacuolisirter Flüssigkeit gefüllten sub-
serminalen Höhle eine Platte bildet.
8) Die Verdiekung in der Form, welche auf dem vorhergehenden
Präparat beschrieben ist, bildet für diese Entwicklungsstufe eine Aus-
nahme. Eine andere ähnliche Keimscheibe, welehe die Umrisse eines
Kreises mit einem Durchmesser von 2,4 mm hatte und beim Studiren
in toto auch klar die Zerlegung in den hellen und den dunklen
Fruchthof zeigte (Taf. XXXIV, Fig. 8), hatte auf den Längsschnitten
folgende Struktur: die sekundäre Furchungshöhle und die subger-
minale sondern sich klar im Gebiete des hellen Fruchthofes ab. Der
dunkle Fruchthof ist hinten 0,56 mm breit bei einer Dieke von 120 u,
vorn 0,4 mm bei einer Dieke von 9 u. Das Ektoderm ist im centralen
Theile bis 45 u verdickt, verdünnt sich aber in der Nähe des dunklen
Fruchthofes bis auf 17 u (Taf. XXXIV, Fig. 9). Dem histologischen
Charakter nach nähert sich diese Keimscheibe der sechsten (in der
Reihenfolge der Beschreibung); auch sind die Elemente des Ekto-
derms von den Dotterkörnern noch nicht ganz frei. In der Struktur
des dunklen Fruchthofes beobachtet man entgegengesetzte Verhältnisse ;
der vordere Rand nämlich enthält trotz seiner geringeren Dieke weniger
Dotterelemente und seine Zellen werden in Form eines Polsters ins
Dotter eingedrückt. Augenscheinlich bietet folglich im oben angege-
benen Falle die überwiegende histologische Differenzirung des hin-
teren Randes keinen speciellen Charakter. Wesentlichere Kompli-
kationen im Ektoderm beobachtet man auf folgendem Präparate:
9) Die Keimscheibe (Taf. XXXIV, Fig. 10) hat eine ausgedehnte
Form (die Durchmesser sind von 2 und 2,5 mm); der helle Fruchthof
ist nicht scharf abgesondert; das Dotterentoderm ist von einem Rande
und in der Mitte ausgefallen (Taf. XXXV, Fig. 1), und in Folge dessen
ist die ektodermale Verdiekung auch beim Studiren in toto bestimmt
hervorgetreten. An einer Stelle desselben, gerade in der Mitte, ist
ein Inselchen kaum sichtbar (Taf. XXXIV, Fig. 10 p), in welchem man
eine Art Einstülpung beobachtete. Die Längsschnitte erwiesen, dass
die Keimscheibe selbst die Umrisse eines Kreises hatte, und dass die
Ausdehnung ihres Randes an einer Seite ihren Ursprung dem an-
geklebten Dotter verdankt (Taf. XXXIV, Figg. 10 und 11 »). Die
ea
Über die erste Entwicklung der Krähe (Corvus frugilegus). 463
Dicke des Ektoderms längs den Rändern des hellen Fruchthofes be-
trägt etwa 25 u; in dessen Mitte etwa 45 u, im Gebiete des er-
wähnten Inselchens bis 60 «u, wobei man im letzteren von der
Oberfläche wirklich eine schwache Einstülpung beobachten kann
(Taf. XXXIV, Fig. 12). Augenscheinlich bietet dieses Inselchen die
dem Primitivstreifen oder richtiger, dem Primitivknoten ent-
sprechende Differenzirung. Den ferneren Ausdruck dieser Differen-
zirung, nur in etwas anderer Form, finden wir auf dem Präparate,
welches erst nicht ganz normal zu sein schien.
10) Die Keimscheibe von runden Umrissen hatte einen Durch-
messer von fast 3,5 mm; der helle Fruchthof betrug etwa 1,5 mm;
er trat scharf im Rahmen des dunklen Fruchthofes hervor und bot
klar die ektodermale Verdiekung dar, welche vorn von einem dunklen
Streifen (Taf. XXXV, Fig. 2), an den Seiten von einer Falte scharf
begrenzt ist; an ihrem hinteren Rande sah man ein Inselchen
(Taf. XXXIV, Fig. 15 p), welches, wie es sich aus den Längs-
schnitten erwies, ausschließlich dem Ektoderm gehört und hier un-
zweifelhaft den Primitivknoten ausdrückt.
Nach den Flächenausmessungen zu urtheilen schien es, dass
dieses Inselehen sich am vorderen Rande des hellen Fruchthofes
befinde, da an dieser Seite die Breite des dunklen Fruchthofes
etwa 0,9 mm betrug; an der entgegengesetzten Seite erreichte die-
selbe 1,1 mm; jedoch die Struktur des dunklen Fruchthofes auf den
Schnitten und der Vergleich mit dergleichen Präparaten auf einer
späteren Entwicklungsstufe ließen keinen Zweifel hinsichtlich der
wirklichen Lage dieser Bildung.
Der obenerwähnte dunkle Streifen vor der ektodermalen Ver-
diekung verdankt seinen Ursprung den Veränderungen im Dotteren-
toderm, welche auf späteren Entwicklungsstufen die Bildung der
primitiven Dottergefäße verursachen. Die Dicke des Ektoderms
längs den Rändern des hellen Fruchthofes beträgt etwa 17 «u, im
srößten Theile der mittleren Verdiekung etwa 30 u, erreicht jedoch
im Knoten 80 u und etwas mehr (Taf. XXXIV, Fig. 14). Indem
dieser Knoten eine Bildung bietet, welche dem Primitivknoten der
Säugethiere oder dem Primitivstreifen anderer Vögel gänzlich ent-
spricht, zeigt er in diesem Falle keine weiteren Komplikationen.
Es wird sich später erweisen, in wie fern derselbe für die Krähe als
beständige Bildung erscheint, jedenfalls kann man glauben, indem
man nach seinem Charakter und dem Umstande urtheilt, dass er
nicht einzeln vorkommt, sondern schon auf einigen Präparaten be-
464 Paul Mitrophanow.
obachtet wurde!, dass wir es nicht mit einer einfachen Monstrosität
zu thun haben. Vielleicht entwickelte er sich nur bei besonderen
Bedingungen, da im Gegensatz zum normalen der dunkle Fruchthof
auf diesem Präparate vorn breiter als hinten ist.
Zwischen dem soeben beschriebenen Präparate und den anderen
von mir studirten ist kein Übergang in der erwünschten Reihen-
folge der Komplikationen. Unzweifelhaft haben wir das volle Recht,
in den oben beschriebenen Veränderungen des Ektoderms Vorbe-
reitungsvorgänge zu erkennen, welche dem Erscheinen des Primitiv-
streifens vorangehen. Wenn man nach den Veränderungen urtheilt,
welche wir von der Hühnerkeimscheibe beschrieben haben, ist dieses
Erscheinen (l. ec. p. 221) mit der Verlängerung des hellen Frucht-
hofes an der Seite seines hinteren Endes verbunden; bei der Krähe
haben wir die ersten Zeichen dieser Verlängerung nicht bemerkt, wir
hatten bis jetzt zur Verfügung nur Keimscheiben mit einem hinten
bedeutend ausgedehnten hellen Fruchthofe, was auch mit dem be-
deutenderen Umfange derselben und der sichtbar vorangeschrittenen
inneren Differenzirung übereinstimmte.
11) Die ganze Keimscheibe, von nicht vollständig regelmäßigen
Umrissen, hatte im Durchmesser etwa 5 mm; der helle Fruchthof ohne
scharfe Grenzen (Taf. XXXIV, Fig. 15) war in die Länge ausgedehnt
(2,3 mm), vorn erweitert (1,5 mm). Nach der allgemeinen Form des
hellen Fruchthofes zu urtheilen, hatte sich hinten sein Auswuchs
kaum gebildet, doch die innere Differenzirung weist auf die sich hier
äußernden speciellen Komplikationen hin (Taf. XXXV, Fig. 5). In
einer Entfernung von 0,2 mm von der vorderen Grenze des hellen
Fruchthofes tritt die scheibenartige ektodermale Verdiekung hervor,
welche einen Durchmesser von 1,1 mm hat und fast den ganzen
vorderen Theil des hellen Fruchthofes einnimmt. Von ihrem Centrum
dehnt sich in der Schwanzrichtung der Primitivstreifen, im Ganzen
auf einer Strecke von 1,5 mm und 0,75 mm hinter den Grenzen der
mittleren Verdickung; es fehlen ihm 0,5 mm, um die hintere Grenze
des hellen Fruchthofes zu erreichen, und vorn ist er klarer aus-
gedrückt, als am hinteren Ende.
Die Querschnitte dieser Keimscheibe zeigten, erstens, dass auf
der ganzen Strecke das Dotterentoderm die Verdickung des Ekto-
derms eng berührt. Längs dem Rande, wo die Dicke des Ektoderms
20—30 u beträgt, ist diese Schicht histologisch noch scharf ab-
! Dergleichen Präparate hat in der letzten Zeit in meinem Laboratorium
und aus meinem Material Herr Tur gemacht.
Über die erste Entwicklung der Krähe (Corvus frugilegus). 469
gesondert, da sie in Folge der Vaeuolisirung der Elemente auf den
Schnitten einen schaumigen Charakter besitzt. Näher dem Centrum,
ungefähr auf dem halben Radius der mittleren Verdiekung, unter dem
Ektoderm und dasselbe eng berührend, beobachtet man schon eine
Schicht des Mesoderms; seinerseits berührt dieses in Form einer
dünnen Platte das Dotter-
entoderm. Auf diese Weise
bildet sich aus allen drei
Schichten eine ununter-
brochene Platte, welche
ım Centrum der Keim- eg Be C
scheibe 90 u Dicke er- Textfig. 1.
reicht: es ist schwer die Querschnitt durch die Keimscheibe der Fig. 15, Taf. XXXIV,
2 e ca. 100mal vergr. Die Lage des Schnittes ist auf der genann-
Grenzen zwischen den ten Figur angezeigt. Z.p, Primitivrinne; ec, Ektoderm; m, Meso-
SI ° N E derm; en, Entoderm; c, spaltförmige Räume zwischen Ekto-
Schichten zu bemerken en.
und nur im Gebiete der
Primitivrinne, welche am vorderen Ende des Primitivstreifens kaum
ausgesprochen ist, im Centrum der ektodermalen Verdiekung, zwi-
schen dem kompakten Ektoderm und dem loseren Mesoderm kann
man spaltenartige Höhlen sehen (Textfig. 1 c). Die Einstülpung
von der Oberfläche, welche der Primitivrinne entspricht, ist nur auf
einigen Schnitten gut sichtbar; die unteren ektodermalen Elemente
gehen hier in den Mesodermkeim ohne scharfe Grenze über; die Dicke
des umgebenden Ektoderms bestimmt man an dieser Stelle mit
etwa 50 u.
Im hinteren Theile der mittleren Verdiekung beobachtet man
zwischen den Keimschichten dieselben Verhältnisse, wie unmittelbar
vor der Primitivrinne; d. h. die Grenzen zwischen ihnen sind so
schwach ausgedrückt, dass man das
Vorhandensein nur einer kompak-
ten Zellenplatte annehmen kann; das-
selbe kann man auch vom Theile des |
Primitivstreifens hinter den Grenzen BB
der mittleren Verdiekung sagen; Textfig. 2.
kleine Höhlen bestimmen übrigens (Querschnitt durch den hinteren Theil des Primi-
5 tivstreifens der Fig. 15, Taf. XXXIV, ca. 100mal
hier und da genauer die untere yergr. e, ektodermale Verdickung; en, Entoderm.
Grenze des Ektoderms; hinsichtlich
des hintersten Endes des Primitivstreifens kann man nur von einer ekto-
dermalen: Verdickung in seiner ganzen Breite sprechen, welche unten
ein Blatt des Dotterentoderms berührt (Textfig. 2). Auf Grund der
466 Paul Mitrophanow,
angeführten Beschreibung stelle ich mir in folgender Weise die Ent-
stehung dieser Keimscheibe vor: in normaler Weise fand erst die Ab-
sonderung des hellen Fruchthofes und darin die Erscheinung der mittleren
Verdickung statt; letztere, welche augenscheinlich den Primitivknoten
nicht ausgesondert hatte, erhielt eine gleichmäßig große Entwicklung
auf ihrer ganzen Ausdehnung; aus ihrer Mitte hat sich ein verhältnis-
mäßig breiter Primitivstreifen differenzirt, welcher nach hinten, hinter
den Grenzen der mittleren Verdickung gewachsen ist und die in ihm vor-
handenen primitiven Verhältnisse erhalten hat. Diese Verhältnisse sind
aber folgender Art: das verdiekte Ektoderm berührt unten das blatt-
förmige Dotterentoderm; in der Folge, bei der Bildung der Einstülpung
der Primitivrinne, ist der sich an dieser Stelle vom Ektoderm ab-
sondernde Mesodermkeim zwischen das Ektoderm und das Dotteren-
toderm eingedrungen, und dieselben Beziehungen haben sich rings-
um verbreitet, wesshalb man alle drei Schichten auch außerhalb
der Primitivrinne beobachtet. Letztere hat, wie gezeigt, eine un-
bedeutende Ausdehnung; jedoch deutet die Lage der Elemente im
srößten Theil des Primitivstreifens darauf, dass ihre Erscheinung da-
selbst vorbereitet war; das Mesoderm nämlich sondert sich im Ge-
biete des Primitivstreifens in zwei Streifen ab, so dass, wenngleich
hier sich keine rinnenartige Einstülpung an der Oberfläche vorfindet,
der ganze Primitivstreifen doch auf den Schnitten aus zwei Theilen
bestehend erscheint, welche durch eine schwache Einstülpung seitens
des Dotterentoderms schwach getrennt sind. Dadurch erklärt man
sich bei der Beobachtung in toto die Umrisse des Primitivstreifens,
welche doppelt erscheinen (Taf. XXXV, Fig. 3).
Die ansehnliche Entwicklung des Mesoderms und die enge Be-
rührung aller drei Keimschichten bieten eine besondere Erschei-
nung für diese Entwicklungsstufe; nach der allgemeinen Größe der
Keimscheibe zu urtheilen, kann man hier ein gewisses Hindernis
in der inneren Entwicklung des hellen Fruchthofes annehmen; doch
davon abgesehen hat sich hier der primitive Charakter der Kompli-
kationen, welche auf die Bildung der mittleren Verdickung fol-
sen und zur Bildung der Primitivrinne führen, klar genug be-
stimmt. Augenscheinlich erscheint hier als Ausgangspunkt dieser
Komplikationen die mittlere Verdickung des Ektoderms und augen-
scheinlich richten sich diese auch vom Centrum zur Peripherie, an-
fangs in der Schwanzrichtung; die am meisten verwickelten Be-
ziehungen, als die der Herkunft nach die frühesten, beobachtet man
am vorderen Ende des Primitivstreifens; die einfachsten, als die ihrer
Über die erste Entwicklung der Krähe (Corvus frugilegus). 467
Erscheinung nach die spätesten, in seinem hinteren Theile. Die
Veränderungen in der Form des hellen Fruchthofes entsprechen voll-
ständig dem dargestellten Charakter der inneren Komplikationen; auf
diese Weise kann das Präparat, welches wir beschreiben, ohne große
Schwierigkeiten als ein natürlicher Übergang von den primitiven
Komplikationen zu der klar ausgesprochenen Primitivrinne betrachtet
werden, wie wir es auf den folgenden Präparaten sehen werden.
12) Die Keimscheibe entsprach ungefähr der Größe nach dem
Alter der vorhergehenden; der helle Fruchthof war 2,25 mm lang.
Das Präparat wurde skizzirt (Taf. XXXIV, Fig. 16) und dann in
Längsschnitte zerlegt. Beim Studiren desselben in toto trat im
birnenförmigen hellen Fruchthofe, den größten Theil desselben ein-
nehmend, die mittlere ektodermale Verdiekung hervor, welche vorn
von einer Falte begrenzt ist, und hinten zwischen zwei Blasen ein-
dringt, die sich zwischen dem Ektoderm und dem Dotterentoderm
(Taf. XXXIV, Fig. 16 ves) gebildet haben, wie es zuweilen auf
dieser Entwicklungsstufe auch in Hühnerkeimscheiben vorkommt!.
In der Mitte der Verdickung beobachtete man auf einer kurzen
Strecke die Primitivrinne, in einer Entfernung von 1 mm von der
vorderen Grenze des hellen Fruchthofes.
Die Längsschnitte, welche unter einem sehr kleinen Winkel zu
der Hauptachse des Keimes gemacht worden waren, zeigten, dass
im gegenwärtigen Falle schon alle drei Keimblätter vorhanden sind,
aber in etwas anderen Verhältnissen als auf dem vorhergehenden
Präparate; außer an einigen Punkten, von denen ferner die Rede sein
wird, sind sie alle von einander abgesondert. Das Ektoderm, welches
im Centrum, neben der Primitivrinne 45 u erreicht, ist auf der
ganzen Ausdehnung von den Grenzen des hellen Fruchthofes frei
und steht in Verbindung mit dem Mesoderm nur auf dem Boden der
Primitivrinne (Taf. XXXIV, Fig. 17 7.p) und vielleicht noch längs
der mittleren Linie hinter derselben. Das Mesoderm, welches im
Allgemeinen ziemlich bedeutend ist, dringt hinten zwischen den oben-
erwähnten Blasen ein, dehnt sich unter der ganzen ektodermalen
Verdickung aus, nimmt vor der Primitivrinne die Chordaanlage in sich
auf und fließt längs den Rändern mit dem Dotterentoderm zusammen,
welches auch im Gebiete des Primitivstreifens eng daran liegt.
Im Vergleiche zu dem vorhergehenden Präparate bietet das,
1 P. MITROPHANOW, Teratogenetische Studien. III. Archiv f. Entwicklungs-
mechanik. X. 1900. Taf. II, Fig. 3.
468 Paul Mitrophanow,
welches wir jetzt beschreiben, einen höheren Grad der Entwicklung,
welches sich in der bestimmteren Form des hellen Fruchthofes, in der
schärfer ausgedrückten Primitivrinne und in der Chordaanlage aus-
gedrückt hat. Die zwei letzteren Bildungen, welche den Anfang der
weiteren morphologischen Differenzirung bieten, stammen gleichzeitig
aus der Mitte des hellen Fruchthofes.
15) Fast auf derselben Entwicklungsstufe befindet sich das auf
Fig. 4, Taf. XXXV (Textfig. 3), dargestellte und in Querschnitte zerlegte
Präparat. Der Durchmesser der Keimscheibe beträgt etwa 5,5 mm;
der ausgedehnte helle Frucht-
DENT hof hat 2,5 mm in der größeren
es en 0x7 und 1,5 mm in der kleineren
Bee ı Sr Ausmessung. Im Centrum der
mittleren Verdiekung trat deut-
lich die kurze Primitivrinne her-
vor (0,5 mm), welche von den
Grenzen des hellen Fruchthofes
vorn und hinten auf etwa 1 mm
entfernt war. Im vorderen Ge-
biete des hellen Fruchthofes,
theilweise auch an dessen hin-
terem Ende, schimmerte das
Dotterentoderm durch, welches
. den Charakter eines Netzes erwor-
Textfig. 3. ben hatte. Schon früher haben wir
Schema der Fig. 4, Taf. XXXV. v.v, Dotterschnüre im auf dergleichen Veränderungen,
Gebiete der vorderen Sichel; e, mittlere ektodermale
na
nen len Fruchthofes nämlich, hinge-
wiesen (Präparat 10, Taf. XXXIV,
Fig. 13; Taf. XXXV, Fig. 2). Die Schnitte boten das gewöhnliche
Bild der Verhältnisse zwischen den Keimblättern. Die Primitivrinne
war vermittels einer Einstülpung von der Oberfläche gerade auf jener
Strecke gebildet, wo man sie beim Studiren des Präparates in toto
beobachtete; jedoch dieselben Beziehungen des Ektoderms zum Meso-
derm wie hier, und außer der Einstülpung von der Oberfläche,
beobachtete man noch ungefähr auf derselben Strecke in der Schwanz-
richtung; endlich und wieder auf ungefähr derselben Strecke im
hinteren Theile, beobachtet man das Mesoderm nicht mehr als selb-
ständige Schicht, und die Schnitte geben dasselbe Bild, wie jenes
auf der Textfig. 2 (p. 465). Also hat sich auf diesem Präparate der
‘
-
?
L
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Über die erste Entwicklung der Krähe (Corvus frugilegus.. 469
Primitivstreifen fast bis zum hinteren Rande des hellen Fruchthofes
gebildet und seinen primitiven Charakter in seinem hinteren Drittel
beibehalten, im vorderen aber hat sich derselbe in die Primitivrinne
verwandelt, von deren Boden nach vorn auf einer gewissen Strecke
die Chordaanlage schon bezeichnet ist. Augenscheinlich haben wir
hier die fernere Entwicklung der früher beschriebenen Kompli-
kationen, welche nach dem oben angegebenen Plan stattgefunden
haben; letzterer stimmt mit dem Charakter der primitiven Kompli-
kationen überein, welche wir im Hühnerei beschrieben haben. Da-
mit schließen wir einstweilen die Beschreibung der Entwicklung
der Krähe.
Auf Grund des oben Angeführten können die Grundthatsachen
der ersten Entwicklung der Krähe auf folgende Weise formulirt werden:
1) Das Blastoderm der Krähe in den soeben gelegten Eiern er-
laubt die Achse des Keimes nach dem Dickenverhältnis seiner Ränder
zu bestimmen: sein hinterer Rand hat die größte Dicke.
2) Das Ektoderm sondert sich als selbständige Schicht vor
Allem in der Mitte der Keimscheibe ab, etwas näher zu seinem
hinteren Rande.
>) Gleichzeitig mit der Absonderung auf der Peripherie erreicht
das Ektoderm seine größte Dicke im mittleren Theile des Gebietes
(394—44 u und mehr), und verwandelt sich dann hier in eine jedes
Mal anzutreffende ektodermale Verdiekung; letztere sondert sich als
eine Scheibe ab, welehe etwas excentrisch nach der Seite des hinte-
ren Endes des künftigen Embryos hin liegt.
4‘ Oft sondert sich in der Mitte dieser Verdiekung ein Inselchen
des stärker verdiekten Ektoderms, der Primitivknoten, ab.
5) Die Mitte der ektodermalen Verdieckung (oder der Primitiv-
_ knoten, wo er vorhanden ist) erscheint als Ausgangspunkt der
ferneren morphologischen Komplikationen, speciell des Primitivstreifens,
welcher von hier aus in der Schwanzrichtung sich allmählich ab-
sondert. Sein vorderes Ende, als das dem Ursprunge nach früheste,
ist immer klarer ausgedrückt.
6) Auf dieselbe Weise, vom Centrum der ektodermalen Ver-
diekung ausgehend, bildet sich allmählich aus dem vorderen Ende
des Primitivstreifens in der Schwanzrichtung auch die Primitivrinne.
Warsehau, im Oktober 1900.
ATO Paul Mitrophanow,
Erklärung der Abbildungen.
Alle Figuren stellen die Keimhaut der Krähe (Corvus frugilegus) dar.
Allgemeine Bezeichnungen:
A, vorderer Rand des Blastoderms; n, Dotterballen;
P, hinterer Rand des Blastoderms; m.en, Meso-Entoderm (Fig. 17);
a, sekundäre Furchungshöhle; m.v, Dotterhaut;
a.o, dunkler Fruchthof; ?, Primitivknoten;
a.p, heller Fruchthof; sg, subgerminale Höhle;
bi, Blastoderm; v, Dotter;
e, ektodermale Verdickung; vac, Vacuolen;
ec, Ektoderm; ves, Blasen unter dem Ektoderm.
en.v, Dotterentoderm (Fig. 15); Die Zahlen mit u begleitet stellen die
!.p, Primitivstreifen oder Primitivrinne Dicke des Ektoderms in Mikromilli-
(10.16 7): meter dar.
Tafel XXXIV.
Fig. 1. Medianer Längsschnitt des Blastoderms sammt dem Dotter; ein
heller Streifen unter dem Blastoderm stammt von der Bearbeitung des Präpa-
rates ab. Vergr. 22mal.
Fig. 2. Medianer Längsschnitt mit der subgerminalen Höhle; durch das
Sternchen (*) ist eine Stelle bezeichnet, welche auf der folgenden Figur ver-
größert dargestellt ist. Vergr. 22mal.
Fig. 3. Ein Stück des Schnittes der Fig. 2 (da mit * bezeichnet); zwischen
Ektoderm (ec) und Dotterentoderm (en.v) bildet sich eine schlitzförmige sekun-
däre Furchungshöhle; auf der Grenze der subgerminalen Höhle (sg) sieht man
die Vacuolen (vac). Vergr. 104mal.
Fig. 4. Medianer Längsschnitt der Keimscheibe am Anfang der Bildung
der subgerminalen Höhle und der sekundären Furchungshöhle. Vergr. 22mal.
Fig. 5. Ähnliches Präparat. 50mal vergr.
Fig. 6. Keimscheibe. 13mal vergr. Der Pfeil zeigt die Lage des Schnit-
tes der folgenden Figur.
Fig. 7. Querschnitt der Keimscheibe der Fig. 6. 22mal vergr.
Fig. 8. Keimscheibe. 14mal vergr.
Fig. 9. Medianer Längsschnitt der Keimscheibe der Fig. 8 (NP). 22mal
vergr.
Fig. 10. Keimscheibe mit dem Primitivknoten (»), nach einer Photogra-
pbie (Taf. XXV, Fig. 1). Ca. 20mal vergr.
ig. 11. Medianer Längsschnitt der Keimscheibe der Fig. 10. 22mal vergr.
Fig. 12. Ein Theil des Präparates der Fig. 11, weleher das Gebiet des
Primitivknotens mit einer kleinen oberflächlichen Einstülpung darstellt. Ca.
100mal vergr.
Fig. 13. Keimscheibe. 10mal vergr. Zum Theil nach der Photographie
(Taf. XXXV, Fig. 2). +, dunkler Streifen, welcher die Veränderungen im Dotter-
entoderm bezeichnet.
Fig. 14. Medianer Längsschnitt der Keimscheibe der Fig. 13. + bezeich-
net dieselbe Stelle wie auf der Fig. 13. 22mal vergr.
Über die erste Entwieklung der Krähe (Corvus frugilegus). ATI
Fig. 15. Keimscheibe mit dem Primitivstreifen (.p). 10mal vergr. (Photo-
graphie des hellen Fruchthofes auf der Taf. XXXV, Fig. 3.) Linien zeigen die
Lage der Schnitte der Textfigg. 1 und 2.
Fig. 16. Heller Fruchthof der Keimscheibe mit der Prime (.p).
21mal vergr. Der Pfeil zeigt die Lage des Schnittes der folgenden Figur.
Fig. 17. Medianer Längsschnitt des Präparates der Fig. 16.
Tafel XXXV.
Photographische Aufnahme der Präparate in Kanadabalsam.
Fig. 1. Keimscheibe mit dem Primitivknoten. Vgl. Fig. 10, Taf. XXXIV.
Vergr. etwa 20mal.
Fig. 2. Heller Fruchthof einer Keimscheibe der Fig. 13, Taf. XXXIV, mit
großem Primitivknoten (p). Vergr. ca. 30mal. |
Fig. 3. Heller Fruchthof der Keimscheibe der Fig. 15, Taf. XXXIV, mit dem
Primitivstreifen. Vergr. ca. 23 mal.
Fig. 4. Heller Fruchthof der Keimscheibe wit der Primitivrinne. Vergr.
24mal. Vgl. Textfig. 3, p. 468.
Untersuchungen über die Entstehung der Geschlechts-
organe bei den Ctenophoren.
Von
August Garbe,
prakt. Thierarzt in Groß-Lichterfelde.
Mit Tafel XXXVI und XXXVI.
Obwohl die Feststellung der Herkunft der Genitalzellen bei den
Ctenophoren schon vielfach Gegenstand eingehender Untersuchungen
gewesen ist, und namentlich nach Cnun’s! sorgfältigen Untersuchungen
über dieses Thema die Geschlechtszellen zumeist auf das entodermale
Keimblatt zurückgeführt werden, so sah ich mich doch veranlasst,
die nachfolgenden Untersuchungen über die Ableitung der Sexual-
zellen der Ctenophoren vorzunehmen, weil SamAssA? in einer zuletzt
erschienenen Schrift den Beweis für die entodermale Entstehung
keineswegs erbracht sieht und die ektodermale Entstehung wiederum
für nieht unwahrschemlich erklärt. Bevor ich auf eine Untersuchung
näher eingehe, gebe ich einen Überblick über die Entwicklung un-
serer Kenntnisse vom Bau und der Entstehung der Geschleuteer TE
bei den Ctenophoren.
Historisches.
Von allen älteren Forschern sind die Geschlechtsprodukte voll-
ständig übersehen worden, so gaben EscHscHoLtz? im Jahre 1829
und PATTERSoN* im Jahre 1855 ausdrücklich an, dass sie vergebens
1 C. Cuun, Die Dissogonie. Festschrift zum 70. Geburtstag RUDOLF LEU-
CKART’s 1892.
2 P. SamassA, Über die Entstehung der Genitalzellen bei den Ctenophoren.
Verhandlungen des Naturhist.-Med. Vereins zu Heidelberg. N. F. V. Bd. 1. Heft.
1893.
3 FR. ESCHSCHOLTZ, System der Acephalen. Eine ausführliche Beschreibung
aller medusenartigen Strahlthiere. Berlin 1829. p. 17.
* ROBERT PATTERSON, On a species of Bero& found on the Nord-east Coast
of Ireland. The Edinbourgh New philosophical Journal. Vol. XX. p. 26—37.
Okt. 1835 bis April 1836. p. 34.
Unters. iiber die Entstehung der Geschlechtsorg. bei den Ctenophoren. 473
nach ihnen gesucht hätten. Die Autoren, welche zuerst über das
Vorhandensein von Geschlechtsprodukten berichten, haben irrthüm-
licher Weise andere Organe als die Bildungsstätten derselben ge-
deutet.
So hielt MErTEnS! die Zellhaufen der Tentakelwurzel, welche
er freilich mit Vorbehalt als Ovarien betrachtete und MıLnE Ep-
WARDS? die Leberstreifen, welche bei ZLesweuria vitrea in der Längs-
richtung des Magens verlaufen, für Sexualprodukte. Eine gleiche
Beurtheilung haben von GRANT? auch die Cydippen erfahren: »the
ovaries consisted of two lengthened clusters of small spherical gem-
mules of a lively erimson colour, extending along the sides of the
intestine and stomach«. Indessen hatte MıLne EpwaArps? selbst bei
der Beschreibung von Bero&e im Anschluss an DELLE CHIAJE, welcher
zuerst den Sitz der Geschlechtsorgane in die Gegend der Rippen-
sefäße verlegte, mit Recht die Vermuthung geäußert, dass die blind-
sackförmigen Divertikel der Rippengefäße dieser Ctenophore die
Träger der Geschlechtsorgane seien. Auch Quoy und GAIMARD>
hatten bei einer Dero& den wahren Sitz der Ovarien vor Augen,
wenn sie berichteten: »Nous avons vu des ovules logees dans les
plus des lamelles branchiales. «
Einen wichtigen Schritt hatte Kromn® zu verzeichnen ; derselbe
berichtete über die Anwesenheit von Hoden und Eierstock bei Cy-
dippen. Er schreibt: »bei Cydıppe befindet sich unter jedem der
acht Wimperkämme, welche aber nicht ganz bis an die vorderste
Körperöffnung reichen, ein Eierstock, wie bei Deroe. Zu jeder Seite
sah ich einen weißen Streifen verlaufen, welcher von der Gegend,
wo die Kämme aufhören, mit dem Eierstocke und mitten über ihn
! H. MERTENS, Beobachtungen und Untersuchungen über die bero&artigen
Acephalen. Memoires de l’Academie de St. Pötersbourg. S. VI Tome IH. p. 479
—543. Mit 13 Tafeln. 1833. p. 485.
2 M. H. MıLne EDWARDS, Observations sur la structure et les fonctions de
quelgues Zoophytes, Mollusques et Crustaces des cötes de la France. Annales
des Sciences Natur. Zoologie. S.II. Tome XVI. p. 195—232. Mit 10 Tafeln. 1841.
3 GRANT, On the nervous system of Bero& pileus and on the structure of
his eilia. Transactions of the Zoolog. Society. Vol. I. 1835. (Citirt nach EımEr
und PATTERSON.)
* M. H. MıLne EDWARDS, Note sur l’appareil gastrovasculaire de quelques
Acalephes Ctenophores. Annales des Sciences Natur. Zoologie. S. IV. Tome VI.
p- 285—298. Mit 3 Tafeln. 1857. |
5 QuoyY u. GAIMARD, Voyage de l’Astrolabe. Tome IV. p. 40.
6 A. Kroun, Über die männlichen Zeugungsorgane der Aseidien und Sal-
pen. FROrRIEP’s N. Not. Januar 1841. Nr. 356. p. 49—53.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 32
474 August Garbe,
zur vorderen Körperöffnung sich begiebt. Der Streifen besteht aus
Spermatozoen mit rundlichem Körper und feinem Schwänzchen. Sind
etwa die beroöartigen Acalephen hermaphroditisch?« Die bejahende
Antwort auf diese Frage gab WırLL!, was wir aus seinen folgenden
Zeilen ersehen: »Die Rippenquallen sind Zwitter. Ihre Geschlechts-
organe liegen an beiden Seiten der Rippen unmittelbar unter der
Haut, und zwar so, dass an den Seiten, welchen sich die gleich
langen Rippen zukehren, die Eierstöcke, an den gegenüberliegenden
aber die Hoden sich befinden.«c Denken wir uns also die Rippen
weg, so liegen im Umfang des Thieres acht Hoden und acht Eier-
stöcke, abwechselnd je zwei Hoden und zwei Eierstöcke, oder man
kann auch sagen, auf der Fläche der breiten, wie der schmalen Seiten
liegen die Eierstöcke, auf den stumpfen Ecken aber, wo die Seiten-
flächen in einander übergehen, die Hoden. Die männlichen und die
weiblichen Zeugungsorgane gleichen sich in der äußeren Anordnung
und in der Form sehr, dennoch ist es nicht schwer, auch wenn man
die Rippen von innen betrachtet oder nur Stücke derselben vor sich
hat, mit bloßem Auge Eierstöcke und Hoden von einander zu unter-
scheiden. Letztere sind mehr weiß und opak, während in den Eier-
stöcken die Eier nie ganz opak werden, sondern nur einen weißen
Rand bekommen und die Mitte ziemlich durchsichtig bleibt. WiLL
gab eine vollkommen richtige Darstellung von der Art, in welcher
sich die Geschlechtsorgane auf die Rippengefäße vertheilen, jedoch
beging er in so fern einen Irrthum, als er angiebt, dass die Geschlechts-
drüsen mit besonderen Ausführungsgängen in Verbindung ständen.
L. Acassız? war in seinen ersten Veröffentlichungen nicht in
der Lage, über die Beschaffenheit der Geschlechtsorgane bei den
Ctenophoren Mittheilung zu machen’; später fand er sie in der von
Wiru angegebenen Weise bei Bolina alata und Idyia roseola. Von
letzterer Ctenophore gab er eine genaue Schilderung, in welcher er
hervorhob, dass die Eier und Spermatozoen in Aussackungen der
Rippengefäße eutstehen und von hier direkt in den cölenterischen
i Fr. Wırnn, Horae tergestinae oder Beschreibung und Anatomie der im
Herbst 1843 bei Triest beobachteten Acephalen. Leipzig 1844. p. 39.
2 L. Acassız, Contributions to the Natural History of the Acalephae of North
America. Prt. II. On the Beroid Medusae of the Shores of Massachussets in their
perfect State of Development. Memoirs of the American of Arts and Seiences.
Vol. IV. 1850 (p. 349 und p. 365). |
3 L. Acassız, Contributions of the Natural History of the U. S. of America.
Vol. III. Boston 1860 (p. 267, p. 279 und p. 284).
nel
Unters. über die Entstehung der Geschlechtsorg. bei den Ctenophoren. 475
Apparat gelangen. Inzwischen hatten übrigens auch KÖLLIKEr! und
GEGENBAUR? die Darstellung Wırv’s in den wichtigsten Punkten be-
stätigt; dagegen stellten beide Forscher übereinstimmend die Existenz
besonderer Oviducte und Samenleiter in Abrede. Nach KÖLLIkER,
welcher Owenia, Oydippe, Eschscholtzia cordata, Eucharis und Oestus
veneris untersuchte, bilden die Geschlechtsorgane unter den acht Rippen
zwischen den Schwimmplättchen und dem Ernährungsgefäß kleine
Schläuche, welche überall gleich weit sind und vorn und hinten blind
endigen.
Abweichend von KÖLLIKER beschrieb GEGENBAUR bei Owenia
und Oydippe die Geschlechtsorgane als Kapseln, welche nach innen
von dem Lumen der Rippengefäße gegen die Leibesachse des Thieres
zu liegen.
Etwa zehn Jahre später nach der letzten Abhandlung L. Agassız’
über die Geschlechtsorgane der Ctenophoren wies FoL3 im Jahre 1869
die etwas modifieirte Anordnungsweise der Geschlechtsorgane bei der
Cestide Vexillum parallelum nach. Hier befinden sie sich an den Ge-
fäßen des oberen Randes und zwar drei bis fünf Paare spindelförmige
Geschlechtssäckchen an jedem der Gefäße. Dabei fiel es FoL auf, dass
die reifen Spermatozoen dem Lumen der Gefäße abgewandt und die
Spermatoblasten demselben zugewandt waren.
Unter den neueren Arbeiten sind hier nun noch zunächst die
kurzen Bemerkungen Cnuun’s? zu berücksichtigen, welcher über die
Lage der Geschlechtsorgane bei Haeckehia rubra, Deiopea kaloktenota,
Charistephana fugiens und anderen Ötenophoren Mittheilung machte,
und ferner sich mit Bestimmtheit für die Ableitung der Geschlechts-
produkte vom Entoderm aussprach. In seiner etwas später erschienenen
Fauna und Flora von Neapel findet Cnux>5 auf Grund seiner Unter-
suchungen an Euchlora, Cestus und Bero& seine Auffassung bestätigt.
1 A. KÖLLIKER, Bericht über einige im Herbst 1852 in Messina angestellte
vergleichend anatomische Untersuchungen. II. Quallen. Diese Zeitschr. Bd. IV.
p. 315—320.
2 C. GEGENBAUR, Studien über Organisation und Systematik der Cteno-
phoren. Archiv für Naturgesch. 22. Jahrg. Bd. I. p. 162—205. Mit 2 Tafeln.
1856 (p. 184).
3 HERMANN FoL, Ein Beitrag zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte
einiger Rippenquallen. Inaug.-Dissert. Berlin 1869.
4 CARL CHun, Die im Golf von Neapel erscheinenden Rippenquallen. Mit-
theilungen aus der Zool. Station zu Neapel. Bd. I. p. 180—227. Mit 1 Tafel.
5 CARL CHUN, Die Ctenophoren des Golfes von Neapel. Fauna und Flora
des Golfes von Neapel. Bd. I. 1880. p. 180—19.
32*
476 August Garbe,
Craus! sucht dagegen in seinem Lehrbuche es als wahrschein-
lich hinzustellen, dass dieselben Ektodermprodukte repräsentiren.
Gleichzeitig mit der oben angeführten Veröffentlichung Cuux’s
erschien im Jahre 1880 eine Abhandlung von HErrwıs? über den
Bau der Ötenophoren, in der er sich entgegen Cuux’s Ansicht mit
Bestimmtheit für die ektodermale Entstehung der Sexualzellen aus-
spricht.
HERTWIG sucht zunächst durch Untersuchung der Callianira
bialata nachzuweisen, dass an den beiden flügelförmigen Fortsätzen
des Sinnespols flimmernde Säckchen als grubenförmige Einsenkungen
des Ektoderms längs der weiblichen Geschlechtsstreifen entstehen.
Da diese Säckchen einen flaschenförmig verengerten Anfangstheil
besitzen, so vermuthet er, dass sie sich von dem Ektoderm ab-
schnüren und als »Genitalsäckchen« sich den Gefäßen auflagern.
In dieser Vermuthung wird er durch das Auftreten von soliden Ver-
bindungssträngen bestärkt, welche von den Genitalsäckchen zu dem
Ektoderm hinziehen und nach seiner Auffassung den genetischen Zu-
sammenhang zwischen letzteren und den ersteren andeuten. Das
Epithel der mit einem Lumen ausgestatteten Genitalsäcke bildet
weiterhin nur da, wo es dem Gefäßentoderm aufliegt, Sexualprodukte
aus, während der dem Ektoderm zugekehrte und mit ihm durch Ver-
bindungsstränge zusammenhängende Abschnitt steril bleibt. Der
Hohlraum des Säckchens erhält sich als Genitalsinus in den Hoden-
follikeln, obliterirt hingegen in den Ovarien.
Hierauf hat Cuun? eine große Zahl von Jugendformen verschie-
dener Ötenophoren wie Lampetia pancerina Ch., Euchlora rubra Ch.,
Veneris juv. und Beroe forskalii Juv. der eingehendsten Untersuchung
unterzogen, ohne dass indessen in der Nähe der subventralen Gefäße
auch nur eine Spur der genannten Säckchen sich hätte nachweisen
lassen.
Bei Untersuchung von Calhanira bialata D. Ch. jedoch fand
Cuun auch die von HERTWIG beschriebenen Säckchen, erklärt aber,
dass dieselben mit einer Bildung von Genitalprodukten nichts gemein
haben. Seine Begründung entnehmen wir aus folgenden Zeilen: »Die
Säckchen treten in genau derselben Zahl und Anordnung an genau
ı C. CLaus, Grundzüge der Zoologie. 4. Aufl. Bd. I 18%.
2 RicHARD HerrwiG, Über den Bau der Ctenophoren. Jen. Zeitschr. für
Naturwissenschaft. Bd. XIV. 1880. p. 385—3%.
3 C. Cuun, Die Dissogonie. Festschrift zum 70. Geburtstage RupD. LEU-
CKART’S 1892. p. 77—108.
Unters. über die Entstehung der Geschlechtsorg. bei den Ctenophoren. 477
derselben Stelle sowohl bei jugendlichen, unreifen Exemplaren, wie
bei großen, in voller Geschlechtsreife befindlichen Individuen auf. _
Ich muss demgemäß auf das Entschiedenste in Abrede stellen, dass
die flimmernden Säckchen sich abschnüren und als Genitalsäckchen
in die Tiefe rücken.«
Nach diesen wohlbegründeten und berechtigten Ausführungen
Cnun’s erklärt SamassA!, der auch die bei Callanira bialata auf-
tretenden Genitalsäckchen mit der Entstehung der Geschlechtszellen
in Verbindung bringt, dass er den Beweis für die entodermale Ent-
stehung von COHun keineswegs erbracht erachte, denn sie könnten
eben so gut wie vom Entoderm, auch vom Ektoderm oder Mesoderm
in die geschilderte Lage gekommen sein. Am Schlusse seiner kurzen
Schrift bemerkt Samassa: »Wir stehen demnach, wie ich glaube, in
der erörterten Frage noch genau auf demselben Standpunkte, wie
nach dem Erscheinen der Herrwi@’schen Arbeit: ein Beweis für die
ektodermale Entstehung der Geschlechtszellen bei Cullanıra kann
nicht erbracht werden; es sprechen aber immerhin verschiedene
Gründe dafür, andererseits ist bei anderen Ctenophoren über diesen
Punkt bis jetzt nichts Sicheres bekannt. Ich halte es für nothwendig,
auf diesen Stand der Frage nachdrücklichst hinzuweisen; denn es
ist gewiss nichts misslicher, als wenn — wie dies im vorliegenden
Falle durch Cuun geschieht — eine Frage als erledigt dargestellt
wird, die noch vollkommen unentschieden ist.< In seiner im Jahre
1898 erschienenen Schrift rügt nun Cmun? mit Recht in treffender
Weise die unbegründeten Angriffe Samassa’s.. CHun hat Calkanira
bialata nochmals einer eingehenden Prüfung unterzogen und hält es
auf Grund seiner Untersuchungsergebnisse für ausgeschlossen, dass
die Säckchen mit der Produktion von Geschlechtszellen in irgend
einem Zusammenhange stehen. Unter Anderem illustrirt Cuun durch
die Abbildung eines Querschnittes, »dass sämmtliche ektodermalen
Säckchen an allen in die Zipfel eintretenden Gefäßen auf geschlecht-
lich thätige Gefäßpartien stoßen«. Weiterhin führt er aus, dass das
Epithel der Säckchen von jenem der unterliegenden Keimzellen auf-
fällig abweicht.
Bevor ich mit der Darstellung meiner Untersuchungsergebnisse
beginne, möchte ich nicht verfehlen, meinem hochverehrten Lehrer
ı P. Samassa, Über die Entstehung der Genitalzellen bei den Ctenophoren.
Abdruck aus den Verhandlungen des naturhist.-med. Vereins zu Heidelberg.
Nee. Bd. 1. Heft. 1893.
® CARL CHun, Die Ctenophoren der Plankton-Expedition 1898.
478 August Garbe,
Herrn Professor Dr. SEELIGER für die Anregung zu der vorliegenden
Arbeit, sowie für die liebenswürdige Überlassung des Materials und
für das rege Interesse, das er meiner Arbeit entgegenbrachte, auch
an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank abzustatten.
Meine Untersuchungen erstrecken sich auf Larven von Pleuro-
brachia rhodopis, die im Jahre 1895 von Herrn Professor Dr. SEE-
LIGER in Triest gesammelt waren, und von Pleurobrachia pileus,
die bei Helgoland gefischt wurden.
Mit der Beschreibung der Technik will ich nicht ermüden, da
sie nichts Neues bietet. Bemerken möchte ich jedoch, dass das in
Sublimat konservirte Material die histologischen Details weitaus besser
erkennen ließ, als das mit Formol und Osmiumsäure behandelte.
Sodann möchte ich noch hervorheben, dass ich die beste Färbung
bei Stückfärbung mit Boraxkarmin erhalten habe, während alle mög-
lichen anderen Farbstoffe selbst bei der peinlichsten Kontrolle bald
zu wenig und bald zu stark färbten. Eigenthümlich ist es, dass
speciell die Geschlechtsprodukte der Triester Larven in ganz kurzer
Zeit den Farbstoff sehr intensiv aufnahmen.
Pleurobrachia rhodopis.
1) Die jüngsten Larven, die mir zur Beobachtung gelangten,
und bei denen bereits die Anlage der Geschlechtsorgane zu konsta-
tiren war, maßen 0,5 mm. Bei einigen noch kleineren Larven war
noch keine Spur von Geschlechtsanlagen vorhanden. Bevor ich zur
Beschreibung der Geschlechtsprodukte schreite, halte ich es für er-
forderlich, der Ausbildung der Gefäße Erwähnung zu thun, da diese
bekanntlich mit denselben in engster Beziehung stehen. Der Trichter
ist auf diesem Stadium so schmal, dass er sich nur durch etwa drei
5 u dieke Schnitte erstreckt. Aus diesem Trichter, der sich etwas
unter der Mitte befindet, entspringt in der Transversalebene auf jeder
Seite ein Gefäßstamm, der sich nach oben und unten ausbreitet!.
Während der aufsteigende Ast in der Höhe des Sinnespols blind
endigt, thut dies der absteigende Stamm in der Nähe des oralen
Poles.. Jeder Hauptstamm nimmt bei seinem Austritt auf dem Quer-
schnitt durch eine Larve fast die Gestalt eines gleichschenkeligen
Dreiecks an, dessen Basis sich beinahe an das Ektoderm anlehnt
und dessen Spitze dem Trichter zugekehrt ist (Fig. 1. Das Lumen
des Gefäßes ist hier im Vergleich zu älteren Stadien sehr groß und
! Die Orientirung ist so gedacht, dass der Sinnespol nach »oben«, die
Mundöffnung nach »unten« gekehrt erscheinen.
er
a
Unters. über die Entstehung der Geschlechtsorg. bei den Ctenophoren. 479
beträgt in der Triehterebene 0,09 mm und in der Magenebene O,11 mm.
Die bei dem Austritt aus dem Triehter auf dem Querschnitte drei-
eckig erscheinenden Gefäße vertauschen diese Gestalt in ihrem Ver-
laufe allmählich mit einer runden, so dass sie an ihren distalen
Enden auf dem Querschnitte fast kreisrund erscheinen. Von allen
übrigen Gefäßen war bis auf die Anlage der Magengefäße noch nichts
zu konstatiren.
Während Cuun nun in seiner Abhandlung über die Dissogonie
besonders hervorhebt, dass ohne Ausnahme bei sämmtlichen Jugend-
formen vier Meridionalgefäße in ihrer ganzen Ausdehnung zu Zwitter-
drüsen umgebildet seien, die reife Eier und Samen producirten, fand
ich bei den jüngsten Stadien von Pleurodbrachia rhodopis überhaupt
nur zwei Meridionalgefäße und demgemäß auch nur zwei Zwitter-
. drüsen angelegt.
Allerdings führt auch Cuux an, dass er von mehr als 200 Exem-
plaren von Bolina hydatina, die er seinen Betrachtungen zu Grunde
gelegt hat und die er genau auf dieses Verhalten hin geprüft, öfters
Individuen mit zwei Zwitterdrüsen fand. Er bezeichnet dies als ab-
normale Bildungen und führt die Entstehung solcher Halbformen auf
mechanische Einflüsse zurück, welche, wie Sturm ete., zur Trennung
der locker zusammenhängenden Furchungskugeln führen. Als Be-
sründung führt Cuux noch an, dass er die Halblarven am häufigsten
nach stürmischen Tagen auftreten sah. Durch die Trennung der
beiden ersten Furchungskugeln wird nach ihm deren Entwicklung
nicht aufgehoben, sondern es bildet jede isolirte Furchungskugel
einen in der Sagittalebene halbirten, bilateral gestalteten Embryo aus,
welcher nicht nur existenzfähig ist, sondern nach dem Verlassen der
Eihülle sogar geschlechtsthätig wird. Cmun führt dann über die
weiteren Schicksale der Halblarven an, dass im Laufe der Meta-
morphose die fehlende Hälfte der Larvenorgane regenerirt wird. Über
diese Regeneration berichtet Cuun: »Zunächst betrifft diese Regene-
ration das Magengefäß der fehlenden Hälfte, welches ich schon früh-
zeitig bei einigen Halblarven ausgebildet fand. Weiterhin knospen
aus dem Trichter die zu den fehlenden Meridionalgefäßen sich aus-
ziehenden Stämme, oberhalb deren dann fein angelegt die vier neuen
Rippen auftreten. Der Magen mündet, wie es für Halblarven charak-
teristisch ist, seitlich und fast auf der Mitte des Körpers nach außen
aus.« Seither sind diese Beobachtungen von mehreren Seiten! im
! Vgl. besonders DrızscH und MorGan, Archiv für Entwickelungsmechanik.
Ba I. 18%,
480 August Garbe,
Wesentlichen bestätigt, in manchen Einzelheiten allerdings auch be-
stritten worden, und es darf als eine feststehende Thatsache erachtet
werden, dass eine jede der beiden ersten Blastomeren des zweizelli-
sen Furchungsstadiums, wenn durch Schütteln oder andere mecha-
nische Einwirkungen eine Trennung der Zellen erreicht wird, zu
einer gewisse Eigenthümlichkeiten zeigenden Larve sich auszubilden
im Stande ist.
Die von mir untersuchten Larven von ‚Pleurobrachia rhodopis
verhalten sich in Bezug auf die von Cuun geschilderten Organisations-
vorgänge ganz abweichend. Der Magen mündet nicht, wie es CHUN
für Halblarven als charakteristisch bezeichnet, seitlich und fast auf
der Mitte des Körpers nach außen, sondern wie bei ausgebildeten
Larven regelrecht am oralen Pol. Ferner findet hier nicht die Bil-
dung der fehlenden Meridionalgefäße durch Knospung vom Trichter
aus statt, sondern wie dies das nachfolgend untersuchte etwas ältere
Stadium zeigt, durch fortschreitende Spaltung des Hauptgefäßstammes
vom unteren Ende ab nach dem Sinnespole hin. Dies ist aus einem
Vergleich von Figg. 3 und 4, von denen erstere einen Abschnitt durch
das untere Ende und letztere etwa durch die Mitte derselben Larve
darstellt, deutlich zu ersehen. Bei den kleinsten Individuen habe
ich stets nur zwei Meridionalgefäße angetroffen. Trotzdem bei den-
selben aber noch keine Spur von der Theilung der Gefäße vorhanden
war, so waren doch bei allen schon sämmtliche Rippen entwickelt
(Fig. 1) und es entstehen diese daher nicht erst während der Ent-
wicklung der fehlenden Rippengefäße. Aus Vorstehendem dürfte
hervorgehen, dass es sich bei meinen Larven also nicht um abnormale
Bildungen, sondern um eine ganz normale Entwicklung, die für
Pleurobrachia rhodopis charakteristisch ist, handelt.
Was nun die Entstehung der Geschlechtszellen anbelangt, so
glaubt HERTwIG durch seine Untersuchungen an Oallianıra bialata,
Cydippe hormiphora, Euplocamis stationis und Bero& ovatus auf Grund
der auftretenden Genitalsäckehen und des sich hieraus entwickelnden
(Genitalsinus berechtigt zu sein, die Geschlechtsprodukte als ekto-
dermalen Ursprungs hinzustellen. CHuun dagegen spricht sich auf
Grund seiner Untersuchungen von Bolina hydatına, Euchlora, Cestus
und Beroe mit Bestimmtheit für die entodermale Entstehung der
Sexualorgane aus. Die ektodermalen von Samassa als »Genital-
säckchen« gedeuteten Gebilde sind bisher nur bei Callianıra nach-
gewiesen worden, und ich habe sowie CHun bei Pleurobrachia rho-
dopis vergeblich nach ihnen gesucht. Bei älteren Stadien kann man
u Aue
Unters. über die Entstehung der Geschlechtsorg. bei den Ctenophoren. 481
dagegen, wie wir später noch sehen werden, wohl von »Genital-
sinus« sprechen.
Wenn sich schon kein Moment für die ektodermale Entstehung
der Geschlechtszellen anführen lässt, so müssen wir bei Untersuchung
der einzelnen Stadien unzweifelhaft die Entstehung der Sexualorgane
aus dem Entoderm der Meridionalgefäße bestätigen.
Die Bildung der Genitalzellen dieses jüngsten Stadiums beginnt
an den oralwärts gerichteten Blindenden der Meridionalgefäße. Hier
sehen wir in jedem Gefäßstamm die Geschlechtszellen als drei kleine
Haufen von Urkeimzellen entstehen, die durch Proliferation der Ge-
fäßwandungen sich gebildet haben. Verfolgen wir die Gefäße weiter
nach oben, so sehen wir, dass die Keimzellen in ihrem ganzen Ver-
laufe und zwar bis zu ihrem Aufhören in drei Keimlager angeordnet
sind. Diese Anordnung ist ganz regelmäßig und zwar derart, dass
je ein Keimpolster unter je zwei Rippen und das dritte genau in
der Mitte zwischen diesen beiden liegt (Fig. 1). Mit der Vermehrung
der Keimzellen vom oralen nach dem aboralen Pole zu nimmt auch
‚das Gewebe der peripheren Gefäßbwand an Dicke zu. Dasselbe er-
scheint uns hier als ein feinmaschiges, schaumiges Gewebe. Die
Region der Keimzellen reicht auf diesem Stadium ein wenig über
die Mitte der Larve hinaus. Weiter oben verschmälern sich die
Keimstreifen immer mehr und werden schließlich so schmal, dass
die periphere Gefäßwand in der Mitte, also da, wo sich weiter nach
unten der mittlere Keimstreifen befindet, als schmale homogene Mem-
bran erscheint und von Geschlechtszellen hier also keine Rede mehr
sein kann (Fig. 2).
Die im distalen Gefäßende zunächst sehr kleinen Keimzellen
nehmen nach dem Sinnespole hin allmählich etwas an Größe zu und
erreichen schließlich eine regelmäßige in Folge des gegenseitigen
Druckes polyedrische Gestalt. Diese Keimzellen, die gewissermaßen
in das hier drüsige Gewebe der Gefäßstämme eingebettet erscheinen,
sind von Anfang bis zu Ende sexuell noch nicht differenzirt. Diese
Zellen haben eine fast regelmäßige, polyedrische Gestalt und be-
sitzen einen sehr großen bläschenförmigen Kern, der sich dadurch
auszeichnet, dass er den Farbstoff intensiv aufnimmt. Der Kern erreicht
hier einen solchen Umfang, dass er fast die ganze Zelle einnimmt und
somit nur ein sehr kleiner protoplasmatischer Zellkörper vorhanden
ist. Dass es sich hier wirklich um die ersten Anlagen von Ge-
schlechtszellen handelt, ersehen wir klar und deutlich aus dem nach-
folgend untersuchten etwas älteren Stadium derselben Gattung, bei
482 | August Garbe,
denen wir bereits eine Differenzirung der Keimzellen in männliche
und weibliche Geschlechtszellen antreffen.
2) Die Größe der von mir untersuchten etwas älteren Larven
von Pleurobrachia rhodopis betrug 0,8 mm. Von Gefäßen waren auf
diesem Stadium der Trichter, zwei am unteren Ende gegabelte
Meridionalgefäße und zwei voluminöse Magengefäße zu konstatiren.
Letztere, die auf dem jüngsten Stadium soeben angelegt waren,
reichen hier schon fast bis nach dem oralen Pole herab. Nach
Tentakel- und Trichtergefäßen habe ich auf diesem Stadium vergeb-
lich gesucht. Der Trichter, der sich etwas unterhalb der Mitte nach
dem oralen Pole zu befindet, ist sehr schmal. Derselbe erstreckt
sich nur durch einige Querschnitte und hat eine Breite von 0,025 mm.
Aus diesem Trichter entspringt jederseits ein Gefäßstamm, der sich
allmählich erweitert und dessen äußere Wand sich fast an die Rippen
anlehnt. Das Lumen des Gefäßes ist hier sehr groß und beträgt in
der Trichterebene 0,08 mm und in der Magenebene 0,16 mm. Nach
dem Austritt eines jeden Hauptgefäßstammes können wir an dem-
selben einen aufsteigenden und einen absteigenden Stamm unter-
scheiden. Der aufsteigende Stamm verschmälert sich nach dem ab-
oralen Pole immer mehr, die beim Austritt aus dem Trichter ellip-
tische Form des Querschnittes geht allmählich in eine kreisförmige
über, bis sie schließlich vollständig kreisrund geworden neben dem
Sinnespol blind endigt.
Der nach unten verlaufende Stamm gabelt sich nach kurzem
Verlaufe in zwei Äste (Fig. 3). Diese Gabelung kommt dadurch zu
Stande, dass sich die äußere Gefäßwand genau in der Mitte, d. h.
zwischen den beiden Rippenpaaren einstülpt. Sobald die äußere
Wand die innere erreicht hat, erfolgt: die Theilung. Die beiden neu-
gebildeten Äste erlangen bald eine schlauchförmige Gestalt, erscheinen
im Querschnitt fast kreisrund und endigen beiderseits blind in der
Nähe des oralen Poles. Die Bildung der fehlenden Meridionalgefäße
findet also hier, wie oben angedeutet, nicht durch Knospung vom
Triehter aus statt, sondern durch fortschreitende Spaltung des Haupt-
sefäßstammes vom distalen Ende ab nach dem Sinnespole hin (Fig. 3).
Die Bildung der Genitalzellen dieses Stadiums sehen wir eben-
falls an den unteren Enden der Meridionalgefäße und zwar an den
oralwärts gerichteten Blindenden beginnen. Hier sehen wir in jedem
Gefäßaste die Geschlechtszellen als zwei kleine Haufen von Urkeim-
zellen, die durch Proliferation der Gefäßwandungen sich gebildet
haben (Fig. 3), Das eine der beiden Keimlager liegt nach innen,
Unters. über die Entstehung der Geschlechtsorg. bei den Ctenophoren. 483
der Triehterebene zugekehrt, das andere subtentakulär und nach
außen, also den Rippen genähert. Verbunden werden beide durch
ein vacuolenreiches, schaumiges Gewebe. Dieses ist dadurch ent-
standen, dass in den Zellen ein oder auch mehrere Zellen auftreten
und das Protoplasma an die Peripherie drängen. Das gesammte
Gewebe erscheint uns daher, da Zellgrenzen sich nicht nachweisen
lassen, fast wie ein protoplasmatisches Gerüstwerk, in dem sich
stellenweise noch Kerne nachweisen lassen. Verfolgen wir die Keim-
zellen vom Mund- zum Sinnespol hin, so sehen wir, dass sie sich
sehr schnell vermehren, und bei dieser Vermehrung findet auch eine
Größenzunahme statt.
Die Geschlechtszellen bewahren ihre polyedrische Gestalt und
lassen je einen großen bläschenförmigen Kern erkennen. Da, wo
sich die beiden Gabeläste zu dem Hauptstamm des Meridionalgefäßes
vereinigen, findet auch eine innige Verschmelzung der beiden nach
innen gelegenen Keimlager statt. Wir haben von dieser Stelle an
nach oben zu nur drei Keimbezirke, einen genau in der Mitte und
je einen seitwärts hiervon liegenden (Fig. 10). Verbunden werden
diese durch ein alveolenreiches, maschiges Gewebe. Die bis dahin
noch indifferenten Keimzellen verändern sich nun bald und zwar
derart, dass sich aus den beiden Keimlagern in der Mitte, die der
Sagittalebene zugekehrt sind, auf jeder Seite die weiblichen und aus
den beiden seitlichen die männlichen Geschlechtsorgane entwickeln
(Fig. 10). Die weiblichen Geschlechtsorgane sowohl wie die männ-
lichen vermehren sich andauernd und zwar auf Kosten des Verbin-
dungsgewebes, das hier immer mehr zurücktritt. Dieses Wachsthum
nimmt nach dem aboralen Pole hin derartig zu, dass im letzten
Drittel fast nur noch Sexualzellen, die innig mit einander verbunden
sind, angetroffen werden.
Hervorheben möchte ich noch, dass hier nicht, wie es CHun bei
Bolina hydatina beschreibt, die Meridionalgefäße mit Geschlechts-
organen vollgepfropft sind, sondern dass letztere sich sichelförmig
um die äußere Wand des Gefäßes herumlegen.
Die männlichen Geschlechtsorgane bestehen aus Spermatoblasten.
Die Zellgrenzen lassen sich immer nur an wenigen Stellen nach-
weisen und sind schwer sichtbar, so dass die großen dichtgedrängten
Kerne bei weniger starken Vergrößerungen in einer gleichartigen
Plasmamasse zu liegen scheinen. Nach außen werden sie von einem
feinen Plattenepithel bedeckt, das die äußerste Lage eigenartig um-
gewandelter Zellen der ursprünglichen Gefäßwandungen bildet,
484 August Garbe,
Die weiblichen Geschlechtsorgane setzen sich etwa bis zu der
Mitte der Larven aus gleich großen Eizellen zusammen (Fig. 5). All-
mählich macht sich nun von hier aus nach dem aboralen Pol zu ein
Unterschied in der Größe bei denselben bemerkbar, indem einige in
Folge stärkeren Wachsthums den übrigen voraneilen und allein den
Charakter einer Eizelle fernerhin bewahren. Die diese Eizellen um-
gebenden kleineren Zellen bleiben relativ in Bezug auf Größe zurück
und erleiden in ihrem histologischen Charakter so wesentliche Um-
wandlungen, dass sie damit das Aussehen von Drüsenzellen annehmen.
Dieselben sind sehr unregelmäßig gebaut, bald haben sie eine eckige,
bald eine rundliche Form. In ihrem Inneren sind sie mit zahlreichen
kleinen Körnern angefüllt (Fig. 6). Je mehr wir uns dem Sinnespol
nähern und je mehr die Eizellen an Größe zunehmen, desto reich-
licher finden sich auch die Schleimzellen. Dies geht so weit, dass
wir am Ende der Ovarien angelangt, nur noch einige sehr große Ei-
zellen haben, die in zahlreiche Schleimzellen vollständig eingebettet sind.
Aus der Zunahme der Schleimzellen mit dem Wachsthum der Eizellen
und der Abnahme der Zahl derselben geht unzweifelhaft hervor, dass
sich die Schleimzellen aus den Anlagen jugendlicher Keimzellen bil-
den, um den noch restirenden als Nahrung zu dienen. Die Anfangs
noch kleinen polyedrischen Eizellen erlangen am Ende der Ovarien
eine bedeutende Größe. Bei manchen Individuen treffen wir sogar
fast reife Eizellen an (Fig. 6). Die größten messen 40 u. Sie be-
sitzen hier theils eine kugelähnliche, runde, theils eine in Folge des
gegenseitigen Druckes unregelmäßige Gestalt und haben ein rundes
20 u großes Keimbläschen mit einem 6 « großen Keimfleck. Keim-
bläschen sowie Keimfleck sind stets nur in der Einzahl vorhanden
und nehmen den Farbstoff intensiv auf.
Rei Larven dieses Stadiums treffen wir auch einen sogenannten
Genitalsinus an (Fig. 6). Ich habe denselben immer nur an der
äußeren Seite des Ovariums auffinden können. Da der Sinus inner-
halb der entodermalen Gefäßwandung liegt und ein Zusammenhang
mit dem Ektoderm nirgends besteht, so kann es sich hier nur um
eine sekundäre Bildung handeln. Auch ChHun spricht sich für eine
sekundäre Bildung des Genitalsinus aus und nach ihm ist derselbe
mit Gefäßflüssigkeit angefüllt, die den heranwachsenden Geschlechts-
produkten zur Ernährung dienen soll. Ich erkläre mir die Entstehung
des Genitalsinus durch Abheben des äußeren feinen Epithels von den
Genitalzellen und zwar dadurch, dass sich das Drüsengewebe zum
Theil verflüssigt und auflöst und dann von den wachsenden Eizellen
Unters. über die Entstehung der Geschlechtsorg. bei den Ctenophoren. 485
resorbirt wird. Zu dieser Annahme glaube ich mich aus folgenden
Gründen berechtigt: Erstens habe ich den Genitalsinus auf den hier
in Betracbt kommenden Stadien nur an den weiblichen Geschlechts-
organen konstatiren können und zwar immer nur da, wo die Um-
wandlung der jungen Keimzellen in Schleimzellen stattfindet. Sodann
spricht hierfür die Zunahme des Lumens desselben mit der Zunahme
der Schleimzellen. Der Ansicht CHun’s, dass der Sinus mit Er-
nährungsflüssigkeit angefüllt sei, kann ich nicht beitreten, da er mit
dem Meridionalgefäß in keinerlei Verbindung steht. Meiner Ansicht
nach handelt es sich hier nur um einen auf oben beschriebene Art
entstandenen Spaltraum, ohne wichtige morphologische Bedeutung.
3) Die von mir untersuchten Larven eines älteren Stadiums
hatten die Größe 1,2 mm. Bei ihnen ist im Vergleich zu den oben
beschriebenen Stadien das Gefäßsystem bedeutend entwickelter. Die
Spaltung der beiden Hauptmeridionalgefäße ist hier schon vollständig
durchgeführt, so dass wir jederseits zwei Rippengefäße vorfinden.
Diese Gefäße verlaufen je unter zwei Rippenpaaren und die Form
sowie auch die Endigung ist wie bei den jüngeren Larven. Während
nun bei den letzteren die Meridionalgefäße mit weiten Öffnungen aus
dem Trichter entspringen, werden sie hier mit demselben durch ein
kurzes schlauchförmiges und englumiges Gefäß verbunden (Fig. 8).
Der Triehter hat hier auf dem Querschnitt fast die Form eines
Quadrates, aus dessen Ecken zu jeder Seite der Tentakelbasis eins
von den soeben beschriebenen Gefäßen hervorgeht. Ein weiterer
Fortschritt in der Gefäßentwicklung zeigt sich darin, dass hier ein
Trichtergefäß vorhanden ist. Dieses entspringt aus dem Trichter,
verläuft nach oben, ist schlauchförmig und gabelt sich nach kurzem
Verlaufe in zwei zu beiden Seiten des Sinnespoles blind endigende
Äste. Tentakelgefäße habe ich nicht auffinden können.
Was nun die Geschlechtsprodukte dieses Stadiums anbelangt, so
finden wir sie in der peripheren Wand eines jeden Gefäßes das Lumen
desselben halbmondförmig umgeben (Fig. 8). Sie reichen hier vom
oralen bis zum aboralen Ende der Gefäße. Gerade wie bei den
jungen Individuen befinden sich nach dem Mundpole hin die jüngsten
Geschlechtszellen, die zwar noch sehr klein, jedoch schon deutlich
in männliche und weibliche Elemente differenzirt sind. Verfolgen wir
sie weiter nach dem aboralen Pole, so sehen wir das Wachsthum
derselben so zunehmen, dass wir an dem oberen Ende schon in
Reifung begriffene Eizellen antreffen. Die Geschlechtsprodukte sind
hier in solehem Umfange entwickelt, dass das auf früheren Stadien
486 August Garbe,
noch reichlich vorhandene Drüsengewebe fast vollständig verdrängt
ist (Fig. 7).
Die Gesammtanordnung der Geschlechtsprodukte ersehen wir am
besten aus dem Querschnitt von Fig. 8. Die Hoden liegen alle so,
dass sie an die Tentakeltaschen stoßen, und die Ovarien der benach-
barten Gefäße sind der Sagittalebene zugekehrt. Männliche und weib-
liche Geschlechtsstreifen grenzen dicht an einander und es ist noch
hervorzuheben, dass die größten Eizellen unmittelbar neben den Sper-
matozoen liegen. Im Allgemeinen nimmt die Größe der Eizellen nach
der Sagittalebene immer mehr ab.
Von den ältesten Larven standen mir nur zwei 1,5 mm große
Exemplare zur Verfügung. Leider zeigte sich bei ihnen nach Her-
stellung von Schnittserien, dass sie höchst wahrscheinlich in Folge
schlechter Konservirung in Osmiumsäure zur Wiedergabe histologischer
Einzelheiten nicht geeignet waren. Erkennen ließ sich jedoch deut-
lich, dass hier bereits acht Meridionalgefäße vorhanden waren, die
alle mit Geschlechtsprodukten behaftet waren, und es schien das Ver-
halten dieses Stadiums mit dem der ausgebildeten Thiere im Wesent-
lichen bereits ganz übereinzustimmen.
Pleurobrachia pileus.
1) Die jüngsten Larven bei Pleurobrachia prleus, bei denen bereits
die Anlagen von Geschlechtsorganen vorhanden waren, standen den
auf das gleiche Verhalten hin untersuchten jüngsten Individuen von
Pleurobrachia rhodopis noch etwas nach an Größe und maßen nur
0,4 mm. Während bei den entsprechenden Stadien von Pleurobrachia
rhodopis die Gefäßentwicklung noch auf ziemlich niedriger Stufe
stand, finden wir hier das Gefäßsystem wie bei den ausgewachsenen
Thieren fast vollständig ausgebildet. Aus dem kurzen Trichter ent-
springen vier äußerst dünnwandige Gefäßstämme, die in medialer
Richtung nach außen zu verlaufen, indem sie sich den Tentakel-
wurzeln mehr oder minder innig anschließen. Ihre peripheren Enden
erweitern sich zu den Rippengefäßen (Fig. 9). Diese vier Rippen-
gefäße setzen sich nach dem Sinnes- und Mundpol hin fort und
gabeln sich kurz vor ihrer Endigung in zwei Äste, so dass wir auf
einem Querschnitte sowohl in Höhe des oberen als auch des unteren
Endes der Gefäße acht Meridionalgefäße antreffen (Fig. 10). Außer
diesen Gefäßen finden sich noch ein unter dem Sinnespol sich ga-
belndes Trichtergefäß, zwei Magengefäße und zu jeder Seite der
tin var.
Unters. iiber die Entstehung der Geschlechtsorg. bei den Ctenophoren. 487
Tentakelwurzeln je ein, im Ganzen also vier Tentakelgefäße. Alle
diese erwähnten Gefäße endigen nach Art der Cydippen blind.
Was die Entstehung der Geschlechtszellen anbelangt, so be-
merken wir hier die Anlage derselben nicht nur in den Meridional-
sefäßen, sondern auch in den Magen- und Tentakelgefäßen. Sie
finden sich hier auch in den peripheren Wandungen der Rippen-
sefäße, sowie in den den Magen und Tentakeln anliegenden Wan-
dungen der Tentakel- und Magengefäße. Diese sind an den betref-
fenden Stellen verdiekt, und das Gewebe erscheint uns fast als eine
feingekörnte Protoplasmamasse, in die zahlreiche verschieden große
Kerne eingebettet sind. Diese Kerne sind in lebhafter Theilung be-
eriffen und in Fig. 10 findet man zwei Kernspindeln eingezeichnet.
Wie die Untersuchung der älteren Stadien ergiebt, stellen die ver-
diekten Stellen der Gefäßwände die Anlagen der Geschlechtsorgane
dar. In den acht Gabelästen sind die Sexualorgane eben so wie bei
den jüngeren Larven von Pleurobrachia rhodopis in zwei Keimstreifen
angeordnet, von denen der eine der Trichterebene, und der andere
den Tentakeln nahe liegt. Auf einem Querschnitt, der in der Höhe
des Tricehters durch die Larve geführt wird Fig. 9, finden wir, ana-
log Fig. 4, nur drei Keimstreifen, indem die beiden benachbarten
eines jeden Gabelpaares sich hier mit einander vereinigen.
Während nun bei Pleurobrachia rhodopis die Geschlechtszellen
in dem untersten Ende der Meridionalgefäße ihren Anfang nehmen
und bei den jüngsten Individuen nur ungefähr bis zur Mitte der-
selben reichen, entstehen sie hier in dem ganzen Verlaufe der peri-
pheren Gefäßwandungen.
2) Die der Untersuchung unterzogenen etwas älteren Larven
hatten eine Größe von 0,9 mm. Bei ihnen war die Gabelung der
Meridionalgefäße schon fast bis zur Trichterhöhe vorgesehritten. Die
Geschlechtsorgane erschienen uns auch auf diesem Stadium noch als
zwei Keimstreifen in jedem Gefäße (Fig. 11). Die Größe derselben
hat natürlich in Folge der lebhaften Kerntheilung zugenommen, gleich-
zeitig ist dies auch bei den peripheren Gefäßwandungen der Fall
(Fig. 12).
3) Die mir zur Verfügung stehenden ältesten Larven waren 1,1mm
sroß. Bei ihnen waren bereits die acht Rippengefäße vollständig
ausgebildet, und es ist demnach der Gefäßverlauf dem der ausge-
wachsenen Individuen vollständig gleich.
Was nun die Sexualorgane anbetrifft, so sind deren Anlagen im
Vergleich zu den vorher beschriebenen Stadien bedeutend vorge-
488 August Garbe,
schritten. Die Gefäßwände, in welche die Geschlechtszellen einge-
bettet sind, erscheinen uns hier nicht mehr als eine gleichmäßig fein
gekörnte Protoplasmamasse, sondern bestehen aus einem vacuolen-
und drüsenreichen Gewebe. Auch bei den Geschlechtszellen haben
wir hier schon einen Fortschritt zu verzeichnen und zwar in so fern,
als wir in den Tentakel- und Magengefäßen Eizellen antreffen, die
sich aus dem epithelialen Verbande der Gefäßwand abgelöst haben
und in das Lumen übergetreten sind (Figg. 15 und 17). In den
Meridionalgefäßen dagegen bewahren die Sexualzellen in ihrem ganzen
Verlaufe noch den indifferenten Charakter (Fig. 14). Während sich
in dem oberen Ende der Magengefäße nur indifferente Keimzellen
befinden (Fig. 16), enthalten die untersten Enden schon reife Eizellen
und Follikelbildung (Fig. 17). Es entstehen hier also aus einigen
Keimzellen Eizellen, die sehr schnell wachsen und zur Reife kommen.
Bei den von mir in Fig. 15 wiedergegebenen Larven erscheinen
bei schwacher Vergrößerung die Rippengefäße mit den Rippen fast
innig verbunden. Untersuchungen mit stärkeren Vergrößerungen zei-
sen jedoch, dass es sich hier nur um eine zufällige Verklebung han-
delt; denn das die Geschlechtsorgane überziehende charakteristische
Plattenepithel ist hier deutlich wahrnehmbar (Fig. 14). Auch spricht
hierfür das Verhalten der jüngeren Larven, bei denen sich zwischen
den Gefäßen und dem Ektoderm ein größerer Zwischenraum befindet.
Unter den zahlreichen untersuchten Helgoländer Larven fanden
sich zu meiner größten Überraschung einige ganz kleine Exemplare,
die schon in voller Geschlechtsreife standen. Fig. 18 vergegenwär-
tigt uns den in der Höhe des Trichters geführten Querschnitt einer
derartigen nur 0,5 mm messenden Larve. Von den beschriebenen
Larven von Pleurobrachia pileus sind sie sehr abweichend, dagegen
zeigen sie eine große Übereinstimmung mit den Larven von Pleuro-
brachia rhodopis!. Aus dem Trichter, der bei diesen eine bedeuten-
dere Breite erreicht wie bei jenen, entspringt ebenfalls jederseits ein
Meridionalgefäß. Diese Gefäße gabeln sich bald in je zwei Äste, die
nach oben und unten zu in umfangreiche Blindsäcke sich fortsetzen.
Diese letzteren endigen oben in der Nähe des Sinnespols und unten
1 Die betreffenden Larven fanden sich unter dem Material, das die Bio-
logische Station zu Helgoland an das hiesige Zoolog. Institut im Herbste des
vorigen Jahres gesandt hatte. Bei der Schwierigkeit, konservirte Ctenophoren-
larven sicher zu bestimmen, vermag ich die Species nicht anzugeben. Bei der
Untersuchung der Thiere in toto und Anfertigung der Schnitte hielt ich die
Larven für Pleurobrachia pileus.
Unters. über die Entstehung der Geschlechtsorg. bei den Ctenophoren. 489
nahe der Ursprungsstelle der Tentakeln. Die auch hier durch Ein-
stülpung der peripheren Gefäßwand erfolgende Gabelung ist auf
unserer Abbildung bereits in der Trichterhöhe angedeutet. Weitere
Gefäße sind außer einem sich unter dem Sinnespol gabelnden und
blind endigenden Trichtergefäß nicht vorhanden.
Bei diesen jungen Larven ist die Entwicklung der Sexualprodukte
bereits so weit vorgeschritten, dass sie etwa den oben beschriebenen
ältesten Stadien von Pleurobrachia rhodopis (Fig 8) entsprachen.
Auch bei ihnen findet wie bei jenen ein Wachsthum der Eizellen
vom oralen nach dem aboralen Pole hin statt; auch ist bei beiden
die Form, Größe und Anordnung der Geschlechtsprodukte die gleiche.
Eine Abweichung zeigen diese Larven jedoch dadurch, dass die Hoden,
sowohl in beiden Enden der Gefäße viel weiter nach unten, resp.
oben reichen als die Ovarien.
Wir haben hier nun eine Art von Larven vor uns, die unter den
bei Helgoland vorkommenden noch nicht beschrieben ist, und bei
welcher höchst eigenthümlicher Weise trotz der geringen Größe von
0,5 mm und trotz des kalten Nordseewassers die Geschlechtsorgane
schon eben so entwickelt waren, als die mehr als doppelt so großen
Triester Larven, deren frühzeitige Geschlechtsreife Cuun auf das
warme Wasser zurückführt. Unter den achtzehn in Querschnittserien
zerlegten Helgoländer Larven fanden sich leider nur zwei gleich große
Exemplare, die diese Verhältnisse zeigten, und ich bedauere daher
sehr, dass mir nicht noch einige jüngere und ältere Individuen zur
Verfügung standen, um eventuell die mir wahrscheinlich erscheinende
Identität mit der Triester Pleurobrachia rhodopis nachweisen zu
können.
Zusammenfassung.
1) Die Bildung der Meridionalgefäße erfolgt bei den jüngsten
Stadien der Pleurobrachia rhodopis durch fortschreitende Spaltung
vom aboralen Ende nach dem Sinnespole zu und nicht etwa durch
eine Reihe selbständiger Sprossungen vom Trichter aus.
2) Sämmtliche acht Rippen sind schon bei den jüngsten Larven,
die nur zwei Meridionalhauptgefäße haben, vorhanden, und entstehen
also nicht erst während der späteren Entwicklung der Gefäße.
3) Die Geschlechtszellen entstehen bei Pleurodbrachia rhodopis in
den oralen Enden der Meridionalgefäße durch Proliferation der Ge-
fäßwandungen und nehmen nach dem Sinnespol hin an Größe zu.
4) Die Geschlechtsprodukte sind hier auf den früheren Stadien
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 33
. 490 August Garbe,
nicht in das Lumen der Gefäße hineingepfropft, sondern sie befinden
sich in der dem Ektoderm zugekehrten Wand des Gefäßes und um-
geben das Lumen des Gefäßes sichelförmig.
5) Der »Genitalsinus« ist nur ein einfacher Spaltraum, der durch
Abheben des feinen Epithels entstanden ist und keine wichtige mor-
phologische Bedeutung hat.
6) Bei Pleurobrachia peleus finden sich Anlagen von Geschlechts-
zellen außer in den acht Meridionalgefäßen auch in den Tentakel-
und Magengefäßen.
Rostock, im Februar 1900.
Erklärung der Abbildungen,
Alle Angaben über Vergrößerungen beziehen sich auf das Zeıss’sche
Mikroskop.
Gemeinsame Bezeichnungen:
al, Alveole; ov’, jugendliche Eizellen;
b.schp, Basis der Schwimmplättchen; ov", reife Eizellen;
drg, Drüsengewebe; p, Hoden mit Hodenzellen ;
ek, Ektoderm; pe, Plattenepithel der Gefäße;
fo, Follikel; r, Rippen;
ga, Gallerte; rgf, Rippengefäß;
gi, Genitalsinus; r.ov, reifende Eizellen;
g.rgf, Gabelast des Rippengefäßes; schp, Schwimmplättchen;
i.gsch, indifferente Geschlechtszellen; schz, Schleimzellen ;
k.sp, Kernspindel; sp, Spermatozoen ;
Kl, Keimlager; t, Tentakel;
m, Magen; t.sch, Teentakelscheide;
mg, Magengefäß; tg, Tentakelgefäß;
mw, Magenwand; tw, Tentakelwurzel.
ov, Ovarium mit Eizellen;
Tafel XXXVI und XXXVI.
Fig. 1—8 beziehen sich auf Larven von Pleurobrachia rhodopis, Fig. 9—17
auf Larven von Pleurobrachia pileus, Fig. 18 auf eine unbekannte Larve.
Fig. 1. Querschnitt durch den Trichter einer 0,5 mm großen Larve. Hier
sind drei Keimlager von Geschlechtszellen vorhanden. Oc. 2, Obj. E.
Fig. 2. Querschnitt durch dasselbe Individuum etwas oberhalb des Trich-
ters. Der Schnitt veranschaulicht, dass die Sexualzellen bis zu dieser Höhe der
Gefäße noch nicht hinaufreichen. Oc. 2, Obj. E.
Fig. 3. Querschnitt durch das untere Drittel einer 0,8 mm großen Larve,
Die beiden Gabeläste des Rippengefäßes enthalten je zwei Keimlager. Oc.2, Obj. E.
ü
Unters. über die Entstehung der Geschlechtsorg. bei den Ctenophoren. 491
Fig. 4. Querschnitt durch die Mitte desselben Individuums. Das Rippen-
sefäß hat sich hier noch nicht gegabelt. Wir haben hier drei Keimpolster, von
denen das mittlere Eizellen und die beiden seitlichen Spermatoblasten repräsen-
tiren. Oc. 2, Obj. E.
Fig. 5. Querschnitt des Ovariums in gleicher Höhe und von derselben
Larve wie Fig. 4. Zeigt die noch ziemlich gleich großen Eizellen in dieser
Höhe. Oec. 2, 1/12 Ölimmersion.
Fig. 6. Querschnitt durch das letzte Drittel desselben Individuums. Es
sind hier bereits fast reife Eizellen vorhanden. Oe. 2. Ölimmersion.
Fig. 7. Querschnitt eines Quadranten einer 1,2 mm großen Larve. Oe. 2,
Obj. E.
Fig. 8. Gesammtquerschnitt durch dieselbe Larve. Oec. 2, Obj. CC.
Fig. 9. Querschnitt durch den Trichter einer 0,4 mm großen Larve. In
dieser Schnitthöhe sind vier Rippengefäße mit drei Keimlagern. Oc. 2, Obj. E.
Fig. 10. Querschnitt durch das unterste Drittel desselben Individuums.
Der Quadrant zeigt die beiden Gabeläste des Rippengefäßes. Oc. 2, Obj. E.
Fig. 10a. Kernspindel stärker vergrößert.
Fig. 11. Querschnitt durch den Quadranten einer 0,9 mm großen Larve.
Öc. 4, Obj. BB.
Fig. 12. Querschnitt durch die Gabeläste der Rippengefäße durch das-
selbe Individuum, und zwar etwa in derselben Höhe wie Fig. 11 bei stärkerer
Vergrößerung. Oec. 2, Obj. F.
Fig. 13. Querschnitt durch eine 1,1 mm große Larve. Oc. 4, Obj. BB.
Fig. 14. Querschnitt eines Rippengefäßes desselben Individuums. Oe. 2,
Obj. F.
Fig. 15. Querschnitt durch die Tentakelgefäße derselben Larve. Oe. 2,
Obj. F.
Fig. 16. Querschnitt durch das obere Ende eines Magengefäßes mit noch
indifferenten Keimzellen. Oc. 2, Obj. F.
Fig. 17. Querschnitt durch das untere Ende desselben Magengefäßes. Figur
zeigt bereits eine reife Eizelle und Follikelbildung. Oec. 2, Obj. F.
Fig. 18. Querschnitt durch eine 0,5 mm große Helgoländer Larve. Oe. 4,
Obj. CC.
» 33%
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weilsen Ratte,
besonders der vordersten Halswirbel.
Von
cand. med. Armin Weifs
(Wien).
(Aus dem I. anatomischen Institut in Wien.)
Mit Tafel XXXVIU und XXXIX und 2 Figuren im Text.
Es giebt kaum ein Gebiet der Morphologie, das eine so viel-
seitige Bearbeitung erfahren hätte, wie die Entwicklung der Wirbel-
säule, ohne dass die Durchsicht der Litteratur ein in jeder Hinsicht
einheitliches Bild der Verhältnisse darbieten würde.
Der Erste, der in seinen Untersuchungen an Schildkröten die
heute allgemein gültige Ansicht aussprach, dass der untere Atlas-
bogen dem Körper der übrigen Wirbel nicht entspreche, war nach
RATHKE’s Bericht CUVIER.
RATHKE (19) selbst stellte für die Natter die Behauptung auf,
dass der Atlas ursprünglich wie die übrigen Wirbel gebaut sei, dann
aber sein Körper sich durch Verflüssigung seiner Zwischensubstanz
vom Bogen trenne und schließlich mit dem des Epistropheus ver-
wachse. Gleichzeitig glaubt er, dass auch bei höheren Wirbelthieren
der Processus odontoideus dem Körper des Atlas entspreche.
BERGMAnN’s (2) Resultate lauten folgendermaßen: Der Dens
epistrophei ist der Körper des Atlas, seine craniale Epiphyse ist das Os
terminale, Ligamentum transversum und Bogenbasen sind ergänzende
Bestandtheile; der Arcus anterior ist »unteres Wirbelelement«, das
Intervertebralstück zwischen Atlas und Epistropheus ist eine Doppel-
epiphyse.
Nach ihm bestätigte RATHKE (19a) in Untersuchungen an Scheld-
kröten seine früheren Befunde, indem er nachwies, dass die Chorda
dorsalis durch den Dens epistrophei und das Ligamentum suspensorium
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte ete. 493
dentis in den Schädel eintrete; eine Erscheinung, die er selbst an
Krokodilen (19b) und H. MÜLLER an Süugern beobachtete. Endlich
wurden auch von Rosın (21) diese Verhältnisse beschrieben.
Retzıus (20) fand gleich RATHKE, dass der untere Atlasbogen eine
Hypapophyse sei, die bei Vögeln auch am Epistropheus, bei Zeptibien
an allen Halswirbeln, zuweilen auch an den Brustwirbeln zu finden
wäre.
Hasse (15) sah an Zinds- und Schweinsembryonen Folgendes.
Die Chorda dorsalis liegt im Schädel, wie in den Wirbelkörpern
zuerst in der Mitte, später aber der ventralen Fläche genähert. An
allen Wirbeln unterscheidet er eine helle »chordale« und eine dunkle
»skeletogene« oder »fortsatzbildende« Schicht. Im Gebiete der Wirbel-
centren überragt die chordale Schicht die skeletogene an Mächtig-
keit, im Gebiete der Intervertebralknorpel kehrt sich das Verhält-
nis um. Die chordale Schicht hat eine »rosenkranzähnliche« Form
und bildet die Centren aller Wirbel und Intervertebralknorpel, wäh-
rend von der skeletogenen das Periost und die Fortsätze (Bogen etc.)
abstammen. Am Atlas erfährt dieses Schema folgende Modifikation.
Der Dens epistrophei oder Körper des Atlas ist reine Chordalschicht,
die mit dem Körper des Epistropheus verwachsen ist und sich von
der ihm zugehörigen skeletogenen (Ligamentum transversum, dor-
salen Bogenhälften und Arcus anterior) getrennt hat. Alle diese Be-
standtheile sind zusammen einem gewöhnlichen Wirbelkörper äqui-
valent. Im Gelenkraum zwischen Atlas und Oceipitale entspricht das
Ligamentum suspensorium dentis der chordalen Schicht des Inter-
vertebralknorpels, die Ligamenta alaria der skeletogenen Schicht
desselben. Der Apparatus ligamentosus ist Umbildungsprodukt der
skeletogenen Schicht gleich dem Ligamentum commune antieum und
posticum der übrigen Wirbel.
Nach ihm hat FRORIEP (6a u. b) eine ausführliche Untersuchung
der Wirbelsäulenentwicklung an Hühnchen- und Rindsembryonen an-
gestellt. Dieselben beziehen sich zunächst auf die Halswirbelsäule
und die Oceipitalregion. Ich gebe hier in Kürze die Resultate, da
ich auf Einzelheiten ohnehin im Texte zurückkommen muss.
FRORIEP unterscheidet drei Stadien: den »primitiven Zustand«
»die Übergangsperiode« und den »definitiven Zustand«.
Primitiver Zustand. Axiales Stützorgan ist die Chorda dor-
salis. An derselben sind in »regelmäßigen, den intermuskulären
1 Die ältere Litteratur eitirt nach Hasse.
494 Armin Weiß,
Zwischenräumen entsprechenden Abständen schräg caudal lateralwärts
gerichtete, bindegewebige Stützplatten, die primitiven Wirbelbogen«
befestigt. An ihren lateralen Rändern liegen die Myomeren.
Übergangsperiode: »Die primitiven Wirbelbogen verlieren
durch Auflockerung ihres perichordalen Theiles den Halt an der Chorda.
Sie bleiben außerdem im Wesentlichen unverändert bestehen als
hypochordal geschlossenes bindegewebiges Bogenpaar, welches auch
fortdauernd die intermuskuläre Stützplatte bleibt, jedoch erst durch
die Bildung eines Körperknorpels wieder axialen Halt bekommt.«
Definitiver Zustand: Derselbe bildet sich dadurch aus, dass
der Bogen, während seine hypochordale Spange sich zurückbildet und
schließlich gänzlich verschwindet, in seinen lateralen Theilen knorpe-
lig wird und mit der von vorn herein knorpelig auftretenden Anlage
des Körpers zu einem einheitlichen Ganzen verschmilzt. Dies ist der
knorpelige Wirbel als definitives Skelettglied, das dann schließlich ver-
knöchert. Atlas und Epistropheus zeigen während des Primitiv-
zustandes und der Übergangsperiode im Wesentlichen dieselben Ent-
wieklungsverhältnisse. Erst am Ende der zweiten Periode bemerkt
man einen Unterschied. Bogenknorpel und Körperknorpel verschmel-
zen hier nicht. Hingegen tritt in der hypochordalen Spange Knorpel
auf, der sich mit den Bogenknorpeln zu einem einheitlichen Ring ver-
einigt. Gleichzeitig verschmälert sich der Körper des Atlas in seinem
cranialen Antheil, während der caudale simsartig vorspringt.
Auch an der hypochordalen Spange des Epistropheus kommt es
zur Bildung von Knorpel, der sich jedoch wieder zurückbildet. An
den hypochordalen Spangen der folgenden Wirbel tritt nur Andeulnner
weise Knorpel auf, verschwindet aber rasch.
Der Ocecipitalwirbel unterscheidet sich in seiner Entwicklung von den
übrigen gar nicht. Jedoch findet seine Selbständigkeit durch Verschmel-
zung mit dem »scheinbar ungegliederten Abschnitt« ein Ende. Dieser
besteht aus drei nachweisbaren Bogenrudimenten mit den zugehörigen
Ursegmenten und modifieirten Spinalnerven, von denen der erste nur
eine ventrale Wurzel besitzt. Die Anlage der hypochordalen Spange
ist am ÖOceipitalwirbelbogen nur angedeutet, am »scheinbar unge-
gliederten Abschnitt« fehlt sie.
So verhält sich im Wesentlichen die Entwicklung der Wirbel-
säule beim Hühnchen, wie beim Rind. Die Unterschiede in der Ent-
wicklung beider Thiere sind folgende:
1) Das Auftreten von Knorpel erfolgt beim Hühnchen zuerst im
Bogen und dann im Körper, beim Säuger umgekehrt.
ee en
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte etc. 495
2) Die Anlage des Körperknorpels erfolgt beim Säuger bilateral,
beim Hühnchen vor der Chorda in der Mitte, sie von hier aus um-
wachsend. |
3) Beim Hühnchen bildet die hypochordale Spange eine Vor-
ragung an der cranioventralen Kante des Körpers, bei Säugern ist
sie weiter herabgerückt.
4) Beim Hühnchen ist die hypochordale Spange knorpelig wohl
entwickelt und bildet an der ventralen Seite des Körpers einen Vor-
sprung. Beim Säuger kommt es, ausgenommen am Atlas, zu einer
derartig starken Ausbildung dieser Spange überhaupt nicht.
5) Die dorsale Verschmelzung der Bogen erfolgt beim Hühnchen
viel rascher als beim Säuger.
Die Entwicklung der Drehwirbel ist bei beiden Thierklassen gleich.
‘Nur ist der verbreiterte untere Theil des Atlaskörpers beim
Säuger eine einfache Körperverbreiterung, während er beim Hühnchen
durch die emporgerückte hypochordale Spange des Epistropheus ge-
bildet wird.
Der Vergleich der Oceipitalregionen zeigt, dass nur der Säuger
einen selbständigen Oceipitalwirbeibogen neben dem »scheinbar un-
segliederten Abschnitt« besitzt, während beim Hühnchen nur der
letztere vorhanden ist.
Außerdem finden sich beim Hühnchen wenig ausgebildete Ocei-
pitalspinalnerven, jedoch Arteriae interprotovertebrales in der Kopf-
region. Die letzteren fehlen beim Säuger; hingegen sind die ersteren
bei ihm besser entwickelt.
Die Arbeiten, die nach FRORIEP erschienen sind, beschäftigen
sich hauptsächlich mit den allerersten Stadien der Wirbelsäulenent-
wicklung, deren Ergebnis die sogenannte »primitive Wirbelsäule« —
der Ausgangspunkt der FrorıEp’schen Untersuchungen — ist. Da
diese Untersuchungen hauptsächlich an niederen Thieren gemacht
wurden, bei denen Chorda und Chordascheiden in der Entwicklung
eine große Rolle spielen, was in Folge der nur rudimentären Ent-
wicklung dieser Gebilde bei Säugern nicht der Fall ist, so halte ich
es für angemessen nur jener Arbeiten ausführlicher Erwähnung zu
thun, die für die Entwicklung der Wirbelsäule der Amnioten von
Wichtigkeit sind, und zwar um so mehr, als bereits eine Reihe vor-
züglicher zusammenfassender Darstellungen über dieses Thema ver-
öffentlicht worden sind!.
1 Ich erwähne hier nur die treffliche zusammenfassende Darstellung von
Gaurp (10). Als Ergänzung dazu die zusammenfassenden Darstellungen über
496 Armin Weiß,
v. EBnEr (4) untersuchte junge Embryonalstadien von Tropido-
notus. Das Ergebnis dieser Untersuchungen war die Bestätigung der
Richtigkeit der RemAr’schen Theorie von der segmentalen Anlage
der Wirbelsäule und ihrer Beziehung zu den Urwirbeln (sogenannte
»Neugliederung der Wirbelsäule«), die durch die Entdeckung der
Intervertebralspalte — dem Abkömmling der Urwirbelhöhle — einen
neuen Stützpunkt gewann. Die Entstehung der definitiven Wirbel
erfolgt auch nach v. EBNEr durch Vereinigung zweier, von je zwei
auf einander folgenden Urwirbeln herstammenden Sclerotomhälften.
Ähnliche Verhältnisse fand er auch bei Vögeln und Säugern.
CoRNING (3) sah an Embryonen von Tropidonotus, Lacerta vivi-
para und Anguis fragilis die von v. EBNER beobachteten Spalten,
hält aber den genetischen Zusammenhang für weniger wichtig, als
die Thatsache, dass die durch sie gegebene Eintheilung der bleiben-
den Segmentirung entspricht. Auch ist er bezüglich der »Neugliede-
rung« anderer Ansicht als v. EBNER, vor Allem desswegen, weil seiner
Meinung nach dadurch die Arteriae interprotovertebrales in die
bleibenden Wirbel zu liegen kämen. Nach Cornin@’s Beobachtungen
treten besonders am caudalen Rande der Intervertebralspalten Ver-
diehtungen auf, die sich seitlich zwischen die Myomeren hin er-
strecken und die Anlagen der oberen Bogen darstellen. Durch die
Vereinigung ihrer Basen längs der äußeren Chordascheide, und von
dieser selbst entstünden die Wirbel. Die Neugliederung der Wirbel-
säule scheint ihm »durch die Verschiebung der letzteren (der Wirbel)
im Anschluss an die Muskelaktion« gegeben.
v. EBNER (5) theilt in seiner folgenden Arbeit — eine Erwide-
rung an ÜORNING — etwas ausführlicher seine Befunde an Reptilien
mit. Er behauptet gleich Frorırr, dass der Knorpel zuerst im Kör-
per, und zwar bilateral auftrete. Hingegen hält er im Widerspruch
zu diesem die Primitivwirbelbogen FROrRIEP’sS für Bildungen, die mit
den späteren Bogen in keine Beziehung gebracht werden können,
und behauptet, dass die ersten Skelettanlagen die Körper seien.
Unserem Thema näher liegen die neueren Arbeiten von GOETTE
(13) und Männer (18) an Reptilien.
GOETTE untersuchte Lacerta und Anguis, außerdem Ascalaboten,
Hatteria und auch einzelne höhere Wirbelthiere. Nach ihm gehen
die Reptilienwirbel aus einer ursprünglich einheitlichen Perichordal-
die Entwicklungsgeschiche des Kopfes von FRORIEP (8) und KUPFFER (17) und
die »Metamerie des Schädels«< von GAupPp (12).
MT
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte ete. 497
schicht hervor, die sich durch Anschwellung an den Stellen der
späteren Zwischenwirbelgelenke in die einzelnen Wirbelkörper theilt.
Ihre vollkommene Ausbildung erfahren sie durch die Anlagerung der
verbreiterten Bogenbasen, wodurch auch ihre ursprüngliche »Faden-
rollenform« (Doppelkegel) verloren geht. Die Bogen sind breite Platten.
Diese Breite der Bogen stammt nach seinen Beobachtungen von der
Doppelanlage der Bogen, die er in der Schwanzregion noch deutlich
beobachten konnte. Er schließt daraus und durch Vergleich mit palä-
ontologischen Funden, dass der Beginn der Entwicklung vollständiger
Wirbel mit Körper und Bogen in der Reihe der Amiaden, Stegocepha-
Zen und aller jetzt lebenden Digitaten in der embolomeren Form,
d. h. in Form der Doppelwirbel erfolge, woraus durch paarige Ver-
schmelzung, bei gleichzeitiger Rückbildung beider Wirbel (Ganorden),
oder nur des caudalen, (Digitaten) die einfachen Wirbel entstehen.
Seine Funde an den Bogen der Schwanzregion der Reptilien deutet
GOETTE als vererbte Reste der Doppelbildung.
MÄNNER untersuchte gleichfalls Reptilien. Er bestätigt das Vor-
handensein der v. Esner’schen Intervertebralspalte, wodurch das
Sclerotom in zwei Hälften zerlegt wird, welche bei den einzelnen
Species verschieden ausgebildet sind. Interessant ist, dass MÄNNER
an jenen Species, an denen GOETTE Doppelbildungen der Bogen
nachwies, eine gleich starke Ausbildung der vorderen und hinteren
Sclerotomhälfte fand, was bei den übrigen nicht der Fall war. Bei
allen untersuchten Thieren jedoch wächst das Myotom keilförmig in
die Intervertebralspalte vor, wodurch die ursprünglich zusammen-
gehörigen Selerotomhälften getrennt werden, und sich nunmehr jede
caudale Hälfte mit der cranialen des caudalwärts anschließenden
Segmentes verbindet. Dies will Männer als »Neugliederung des
skeletogenen Gewebes« (entsprechend REMmAR’s »Neugliederung der
Wirbelsäule«) bezeichnet wissen. Wo nun die vordere Scelerotom-
hälfte redueirt ist, kommt durch die Neugliederung das typische
» Primitivwirbelbogen-Stadium« FrorIEP’s zu Stande. Außerdem fand
MÄNNER wieder die hypochordale Spange, die am Atlas den unteren
Bogen bildet, während die des Epistropheus an den unteren Rand
des Atlas rückt und die untere Gelenkfläche für den ventralen Atlas-
bogen darstellt. Die übrigen Spangen bleiben nach Verlagerung an
das caudale Ende des vorhergehenden Wirbels bei Lacerta bestehen;
bei den übrigen Formen werden sie reducirt.
SCHULTZE (22) giebt in Kürze die Resultate seiner Untersuchun-
gen an Säugern. Er fand dabei die schon von den früheren Auto-
498 | Armin Weiß,
ren beobachtete Intervertebralspalte. Die hintere dunkle Selerotom-
hälfte bildet den primitiven Wirbelkörper (REMmArR); zwischen den
eiförmigen, theils dicht an einander gedrängten, theils nur durch
diehtes Gewebe verbundenen »primitiven Wirbelkörpern« tritt der
erste Knorpel des definitiven Wirbelkörpers auf, in den durch Ver-
knorpelung der primitive aufgenommen wird, so dass wir ein
Stadium einer nicht segmentirten Knorpelsäule haben, aus der sich
erst sekundär die Intervertebralscheiben bilden. Der Verknorpelung
geht die »Umgliederung« voran, in die auch die Membrana reuniens
posterior durch eine der Ursegmentirung entsprechende Gliederung
einbezogen wird. Die hypochordale Spange fand er nicht.
HAGEN (14) erwähnt in seiner Abhandlung über »die Bildung
des Knorpelskelettes beim menschlichen Embryo« bezüglich der
Wirbelsäule in so fern einen von FRoRIEP abweichenden Befund, als
er eine selbständige Verknorpelung der hypochordalen Spange nicht
gefunden hat. Eben so vermag er das Vorhandensein von Resten
der hypochordalen Spangen am Epistropheus und den folgenden Hals-
wirbeln nicht mit Sicherheit anzugeben.
Schließlich muss ich noch einer Reihe von Beobachtungen Er-
wähnung thun, die, obwohl sie, so weit mir bekannt, nur von makro-
skopischen Untersuchungen herrühren, doch für meine Befunde an
Rattenembryonen von größerem Interesse sind. Sie betreffen die
Wirbelrudimente des von RATHkE (19b) zuerst bei Krokodılen beob-
achteten, und von ALBRECHT als Proatlas bezeichneten Wirbels, der
zwischen Atlas und Hinterhaupt liest. Er fand Rudimente oberer
Bogen. Außerdem wurden von anderen Autoren sowohl Bogen als
auch Körperrudimente in verschiedenen Thierklassen gefunden, und
zwar:
Neurapophysen (obere Bogen) bei: Zehynchocephalen, Dino-
sauriern (fossil) und Lacertiliern als konstante Rudimente, bei C'helonva,
Marsupialiern, Edentaten, Insectivoren und Primaten als accidentelle
Rudimente.
Centra (Körper) bei Lacertiliern, Carnivoren und Primaten. Der
sanze Wirbel soll nach den Autoren dem Atlas der Anamnier ent-
sprechen.
Den folgenden Untersuchungen stehen die Befunde ALBRECHT’S (23)
und Doro’s (28) am nächsten, welche rudimentäre Centren des
Proatlas bei Primaten betreffen. Dieselben mögen daher hier eine
eingehendere Besprechung erfahren.
AugrecHT’s Befund stammt von einem Macacus arctordes, In
et
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte ete. 499
seiner Zusammenfassung sagt der Verfasser: »En resume nous avons
trouv& chez un scelette de Macacus arctoides I Geoffr. le centre du pro-
atlas reuni par la partie preproatlantique du ligament suspenseur de
la dent au bord caudal du basioceipital. Ce ligament consiste done
en deux parties, qui ont la valeur morphologique de fibrocartilages
intervertebraux. «
ALBRECHT scheidet durch dieses Centrum das Lig. suspensorium
dentis in zwei Fibrocartilagines, eine »proatlanto-oceipitale« und eine
»proatlanto-atlantique«. Der diesem Centrum zugehörige Spinalnerv
ist der zwischen Hinterhaupt und Atlas austretende.
Doro fand das Knöchelchen bei einem Macacus, einem Cyno-
cephalus und einem Hunde. Beim Macacus und beim Hund ist
. dieses Centrum des Proatlas ein »osselet pisiforme«.
Bei Cynocephalus sagt er: »L’osselet est ici plutöt aplati trape-
zoidal.< Bei allen dreien ist es »reli& au bord caudal du basioceipi-
tal par un ligament« (Ligamentum suspensorium).
Beide Autoren halten die Funde für den Körper »das Centrum«
des Proatlas. Es kann nach Beiden weder die craniale Epiphyse des
Atlas noch die caudale des Hinterhauptes sein, da es mitten im Liga-
ment liegt. DoLLo hält es überdies für eine perichordale Ossification
und glaubt, dass es knorpelig vorgebildet ist.
Auch Corner (27) machte dieselben Befunde wie DoLLo bei
einem Macacus (von zwei untersuchten Fällen), hält aber denselben
für eine aceidentelle Verknöcherung des Ligamentum suspensorium,
wie er auch im Gegensatz zu den beiden obigen Autoren die oberen
Bogen eines Proatlas bei einem Erinaceus als Schaltknochen be-
zeichnet.
Übrigens finden sich auch bei HEnLE und Lusctka bereits ähn-
liche Bildungen erwähnt.
HENLE (36) sagt vom Ligamentum suspensorium dentis: »Es schließt
zuweilen einen hyalinen Knorpelstreif ein« (nach LuscHkA).
Bei LuscHkA (40) findet man: »Nicht selten habe ich in ihm
auch beim erwachsenen Menschen eine aus hyalinem Knorpel ge-
bildete, von fibrösem Gewebe umschlossene Achsenformation gefunden. «
Die vorliegende Untersuchung wurde an der weißen Ratte durch-
geführt. Verwendet wurden Sagittal-, Frontal- und Horizontalserien
aus der Sammlung des hiesigen Institutes, und zwar: Frontalserie
eines Rattenembryo von SS (Scheitel-Steißlänge) = 5 mm.
500 Armin Weiß,
Sagittalserien vom Rattenembryo SS = 9 mm
» > » 35 Han
» » > SB — 1m
» » » ee 4 5
> > > SS, Ton
» » » SS —— 108, »
» » » SS = 20 »
> » >» SS
Außerdem eine Sagittalserie der neugeborenen Ratte.
Horizontalserien vom Rattenembryo SS = 7 mm
> > > Bo 102>
» » > 88, 11 » (zwei-SeHen
» » » Ss = 12 »
» » » SS == 15 >
S » SONO
Gefärbt wurde zum Theil mit Kochenille-Alaun nach CzokoRr,
meist aber wurde, besonders bei älteren Embryonen, die Hämatoxylin-
Eosinfärbung verwendet, weil es sich hier vielfach um das erste
Auftreten von Knorpel handelte. Zur näheren Bestimmung des Ent-
wicklungsstadiums gebe ich bei jedem Embryo außer den Längenmaßen
noch die Beschreibung der äußeren Form und der Entwicklungsver-
hältnisse des Aortenbogensystems, jedoch nur bis zum Stadium von
10 mm SS, da bei diesem dasselbe bereits definitiv ausgebildet ist,
und auch die äußere Form nichts genügend Charakteristisches mehr
darbietet. Ich benutze also von diesem Stadium an nur das Längen-
maß zur Altersbestimmung. Die Untersuchung bezieht sich auf die
Brust- und Halsregion und den Oceipitalwirbel. Dabei nahm ich,
abweichend von FRoRIEP, als Ausgangspunkt meiner Untersuchungen
die Brustwirbelsäule, da diese am deutlichsten den Typus der Ent-
wicklung zeigt.
Wenn im Verlaufe dieser Arbeit auch Manches wiederholt wer-
den musste, was schon von anderen Autoren an anderem Material
mitgetheilt wurde, so schien mir dies unvermeidlich, da die beson-
deren Entwicklungsverhältnisse bei der Ratte, die in einer Reihe von
Punkten von dem bisher Bekannten abweichen, sonst unverständlich
wären.
Ich beginne zunächst mit der Beschreibung der Serien.
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte ete. 501
Ir
Embryo 4 SS = 5 mm.
Embryo 5 SS = 7 mm.
Der Embryo besitzt einen wohl ausgebildeten Mandibularbogen,
dessen Oberkieferfortsatz mit dem Stirnfortsatz bereits zu verschmel-
zen beginnt; daran anschließend der Hyoidbogen. Cervicalbucht deut-
lich sichtbar, Geruchsorgan als Grübchen angelegt, Gehörbläschen
äußerlich nicht wahrnehmbar. Extremitäten stummelförmig.
Der Embryo besitzt erst drei Aortenbogen. Er wurde in eine
Serie von 10 « Schnittdicke zerlegt und mit Hämatoxylin-Eosin ge-
färbt.
Die Schnittrichtung trifft die Hals- und Caudalregion frontal, die
Mitte horizontal.
Da die frontal getroffene Caudalregion die primärsten Verhält-
nisse zeigt, und mir ein jüngeres Stadium nicht zur Verfügung stand,
so möge dieselbe hier kurz Erwähnung finden.
Die Schnitte (Fig. 1) zeigen drei bis vier Ursegmente und die
von ihnen herstammenden Selerotome, die sich gegen die Chorda und
das Rückenmark hin vorgeschoben haben. Die ersteren bestehen
aus den für sie charakteristischen eylindrischen Zellen. Außen- und
Innenlamelle sind an den meisten noch deutlich. Die im Centrum
der Urwirbel gelegene Urwirbelhöhle setzt sich in die Selerotome als
v. Esner’sche Intervertebralspalte fort. Im Inneren der Urwirbel-
höhle finden sich spindelförmige Zellen mit länglichem Kern als
Anlagen der Myomeren, die an einzelnen Stellen bereits in die Inter-
vertebralspalte vorzudringen scheinen, wie dies MÄnneER bei Reptilien
beobachtete.
Von den beiden durch die Intervertebralspalten getrennten Selero-
tomhälften besteht sowohl die craniale als die caudale gleichmäßig
aus dicht gedrängten Zellen mit großen Kernen. Dieselben stehen
lateral in der Nähe der Ursegmente noch dichter als medial. Die
Selerotome reichen in dorsaler Richtung nirgends über das ventrale
Ende der Spinalganglien hinaus. Die Abgrenzung der von einem
Urwirbel abstammenden Selerotomhälften gegen die des nächsten,
bilden die Arteriae interprotovertebrales.
Die Region des Halses (Fig. 2) und die des Rumpfes zeigen,
auf ziemlich gleicher Entwicklungsstufe stehend, gegenüber der
Schwanzregion, bereits einen bedeutenden Fortschritt.
An den Frontalschnitten sieht man die Chorda dorsalis als einen
502 Armin Weiß,
in ihrem ganzen Verlaufe gleich dicken Strang von ca. 25 u im
Durchmesser. Sie besteht aus dicht gedrängten Zellen mit großen
runden Kernen. Den Strang entlang stehen die Zellen etwas dichter,
als in der Umgebung. Dies ist die Perichordalschicht der Autoren.
Was die Urwirbel und ihre Abkömmlinge, Sclerotom und Myotom
betrifft, so gilt davon Folgendes: Von den Urwirbeln ist — aus-.
senommen an den Horizontalschnitten der Thorakalregion — wo
sich noch einzelne ihrer charakteristischen Zellen an den hinteren
Rändern der Myomeren finden, nichts mehr wahrzunehmen. Die
Myomeren selbst sind zu bauchigen, spindelförmigen Körpern aus-
gewachsen. Ihre Zellen sind ebenfalls deutlich spindelförmig mit
ovalem oder stäbchenförmigem Kern. Ihr medialer Rand springt,
wie dies besonders deutlich an den dorsal von der Chorda gelegenen
Schnitten zu sehen ist, medialwärts gegen das Sclerotom hin keil-
förmig vor und zwar gerade an jener Stelle, wo, wie die caudalen
Schnitte zeigen, die Intervertebralspalte lag. Von dieser selbst ist
hier nichts mehr zu sehen.
Die Sclerotome, die durch das Vordringen des Myotoms wie
durch einen Keil aus einander gedrängt erscheinen, zeigen hier ein
wesentlich anderes Aussehen. Man sieht nämlich helle und dunkle
Streifen mit einander abwechseln, von denen jeder dunkle mit dem
cranialwärts von ihm gelegenen hellen, als von demselben Ursegment
stammend, zusammengehören. Die ersteren (dunklen) sind die aus
dicht gedrängten Zellen bestehenden caudalen, die letzeren die aus
nur locker gefügten Elementen bestehenden eranialen Sclerotomhälften,
welche die in diesem Stadium auch am Halse noch direkt von der
Aorta abgehenden Arteriae interprotovertebrales und die zugehöri-
sen Spinalnerven enthalten. Beide liegen lateral nahe der Myomere.
Ich habe nun oben erwähnt, dass durch das keilartige Vordringen
des Myotoms zwischen die beiden einem Ursegmente zugehörigen
Selerotomhälften, dieselben wie aus einander gedrängt erscheinen,
wesshalb sie nicht mehr einfach quer liegen, sondern die craniale
etwas cranialwärts, die caudale etwas caudalwärts abgebogen ist.
Diese Thatsache ergiebt nun, dass der Embryo in der vordersten
Halsregion sich bereits im Übergangsstadium zum FRrorıEr’schen
»primitiven Zustand der Wirbelsäule« befindet; d. h. wir haben es
hier mit der beginnenden »Umgliederung der Wirbelsäule« zu thun.
Die dunklen caudalen Selerotomhälften, welche die hellen cranialen
des folgenden Selerotoms von der Seite her umgreifen und so mit
ihr in innigere Beziehung treten, sind die ersten Anlagen der Primi-
erden
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte ete. 503
tivwirbelbogen. Die folgenden (hellen) eranialen des nächsten cau-
dalen Selerotoms sind »Körperbezirk«. Die Verbindung der beider-
seitigen Sclerotomhälften erfolgt ventral und dorsal von der Chorda.
Während aber die letztere Verbindung nur aus einer oder zwei Zell-
reihen besteht, die sich zwischen Rückenmark und Chorda dorsalis
einschieben, so ist die erstere ein breiter Zug von Zellen, deren größte
Achse in querer Richtung zieht.
Die vorliegende Abbildung (Fig. 2), welche die drei vordersten
Wirbelanlagen darstellt, zeigt, dass dieselben in diesem Stadium nicht
als specifische Bildungen zu erkennen sind. Ihre Differenzirung ge-
lingt erst durch die Betrachtung der Gefäße. Dieselbe ergiebt Folgen-
des: Die erste caudale (dunkle) Selerotomhälfte, oder der erste »Primi-
tivwirbelbogen« muss der Anlage des Hinterhauptes angehören, da die
mit dem ersten Spinalnerven verlaufende Arteria interprotovertebralis
caudal davon liegt!. Es ist daher diese Anlage mit der von FRORIEP
als Wirbelanlage in der Oceipitalregion bezeichneten identisch. In
der vom selben Urwirbel herstammenden ceranialen Selerotomhälfte
liegt lateral der ihr als Spinalnerv zugehörige Nervus hypoglossus.
Oranialwärts besitzt diese Sclerotomhälfte keine Grenze mehr. Als
letzten Rest der Metamerie sieht man neben ihr noch eine Myomere.
Die dem Primitivwirbelbogen des Oceipitalwirbels folgende helle era-
niale Sclerotomhälfte bildet nach der »Neugliederung der Wirbelsäule«
den Körperbezirk der Oceipitalwirbelanlage. Die ihr folgende dunkle
ist der Primitivwirbelbogen des Atlas, die caudal davon gelegene
helle sein Körperbezirk. In gleicher Weise folgen dann Primitiv-
wirbelbogen und Körperbezirk des Epistropheus und der übrigen
Wirbel. In jedem Körperbezirk liegt lateral der dem betreffenden Wir-
bel zugehörige Spinalnerv und die Interprotovertebralarterie, woraus
hervorgeht, dass nach der »Umgliederung« der Nervus spinalis I und
die Arteria interprotovertebralis I (II) dem Oeceipitalwirbel angehören,
während der cranial von ihm liegende Nervus hypoglossus einem
nicht mehr angelegten Wirbel, in dessen Körperbezirk er liegt, als
modifieirter Spinalnerv zukommt.
Die Schnitte des Embryo B zeigen vollkommen horizontal ge-
1 Die mit dem Nervus hypoglossus verlaufende (erste) Arteria interproto-
vertebralis [HOCHSTETTER, Morpholog. Jahrbuch Bd. XVI] ist bei diesem Em-
bryo nicht mehr mit Sicherheit nachzuweisen. Zur Bestimmung der einzelnen
Primitivwirbelbogen wurden die Interprotovertebralarterien benutzt, da diese
genau die Grenzen zwischen den einzelnen Sclerotomhälften einhalten, während
die Spinalnerven eigentlich in der hellen Selerotomhälfte gelegen sind.
504 Armin Weiß,
troffen in der Brust- und Halsregion nichts Neues, bieten jedoch für
die Verhältnisse an den Anlagen des Atlas und des Oceipitalwirbel
eine wichtige Ergänzung. Während nämlich, wie oben erwähnt, an
den Anlagen der übrigen primitiven Wirbel die Verbindung der rechten
und linken Hälfte sowohl dorsal wie ventral von der Chorda in dich-
teren Zellreihen erfolgt, sehen wir sowohl an der Atlas- wie an der
Oceipitalwirbelbogenanlage, dass die Hälften der »Primitivwirbel-
bogen« sich an der ventralen Seite der Chorda, und zwar sogar in
ziemlich beträchtlichem Abstande von ihr, durch dichte Zellreihen
verbinden. Nur am cranialen Ende der Atlasanlage finden sich auch
dorsal von der Chorda dichtere Zellreihen; jedoch überragt auch hier der
ventral von der Chorda gelegene Theil den dorsalen an Mächtigkeit..
Dem ersten Spinalnerven fehlt die dorsale Wurzel mit dem
Spinalganglion. i
II.
Rattenembryo (SS = 9mm, Färbung Hämatoxylin-Eosin.
Schnittdieke 10 u).
Die äußere Ansicht dieses Embryos zeigt Folgendes: Auge nahezu
vollständig entwickelt, äußeres Ohr in Form eines Grübchen sicht-
bar. Nasenfortsatz mit dem Oberkiefer noch nicht vollkommen ver-
wachsen, Rautenhirn durch die allgemeinen Decken nur mehr un-
deutlich zu sehen. Die Extremitäten zeigen bereits Andeutung von
Gliederung.
Das Aortenbogensystem zeigt in diesem Stadium: 1) An Stelle des
Carotisbogens eine Carotis communis mit den beiden Hauptästen.
2) Vorhandensein beider Aortenbogen, von denen jedoch der rechte
bereits viel schwächer als der linke ist. 3) Obliteration des rechten
Pulmonalbogens bei bestehendem linken. (Ductus Botalli.)
Die Entwicklung der Wirbelsäule bietet folgendes Verhalten
(Fig. 3):
Die Chorda dorsalis ist auch hier noch ein allenthalben gleich
dieker Strang von ca. 20 u im Querdurchmesser, der aus den bereits
oben beschriebenen Zellen besteht.
Der Verlauf der Chorda ist im Rumpf ein ziemlich geradliniger.
Erst eirca in der Höhe der vierten Halswirbelanlage beginnt sie sich
in sanfter gleichmäßiger Krümmung allmählich ventralwärts zu wen-
den, um auf der cranialen Fläche der Schädelbasis nach vorn zu
verlaufen und in der Nähe der Hypophyse zu enden.
Die Perichordalschicht, aus zwei bis drei Zellreihen bestehend,
WW GENF au» EEE
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte etec. 505
ist ebenfalls schärfer ausgeprägt, als bei den früheren Stadien. Eine
außerordentliche Volumzunahme zeigen die primitiven Wirbelbogen,
besonders in ihren Perichordaltheilen. Diese perichordalen Theile
der »Primitivwirbelbogen«, d. h. ihre Ansätze an der Chorda, sind
zu mächtigen, ovalen, aus dicht gedrängten Zellen bestehenden Massen
angewachsen, die gegen die Perichordalschicht nicht mehr abgrenz-
bar sind, wesshalb die letztere nur in den Körperbezirken sichtbar
ist. Weiter lateral nehmen sie an Mächtigkeit ab und bilden quere,
im Sagittalschnitt ungefähr rechteckige Platten. Noch weiter lateral
nehmen sie wieder an Breite zu, so dass die dichten Zellhaufen der
einzelnen primitiven Bogen sich nahezu berühren. Am dorsalen Ende
dieser Verdichtungen, und zwar nahe ihrem unteren Rande, sieht
man einen kleinen aus gleichem Gewebe bestehenden Fortsatz ab-
sehen, der die Wurzel des definitiven Bogens darstellt.
Verfolgt man die Sagittalserie lateralwärts, so sieht man den
weiteren Verlauf der Bogen mit den
zwischen ihnen liegenden Spinalnerven
und Interprotovertebralarterien. Die
Bogen reichen dorsalwärts nur bs n y
den ventralen Rand des Ganglions, late- A_YM
ral dringen sie zwischen die Myomeren Aa —- Ch
ein. Irgend welche Anlage von Knorpel- |
gewebe fehlt. Aus dem oben Gesagten
ergiebt sich, dass der Primitivwirbel-
bogen aus folgenden Theilen besteht:
1) einer Horizontalplatte, die mit der
Perichordalschicht in innigem Zusam-
menhang steht und auf sie meniscusartig
übergeht (Vorläufer der Bandscheibe), „.. ee. N,
2) einer Vertikalplatte (späteres Verbin- lung und dem Auftreten des Körpers (sche-
dungsstück zwischen Bogen und Körper), als, » Perichordalsehicht: A Horizon
an deren hinterem Rand 3) der eigent- talplatte: V, Vertikalplatte; Z, Bogen;
liche Bogen abgeht (Texifig. 1). Der a:
Primitivwirbelbogen zeigt in allen seinen Theilen eine ganz gleich-
mäßige Struktur. Er besteht durchweg aus dicht gedrängten stark
sich färbenden Zellen. Die eigenthümliche Form seiner Anlage be-
dingt eine starke Einengung des Körperbezirkes. Dieser besteht aus
zwei kleinen Feldern zu beiden Seiten der Perichordalschicht. Seine
Grenzen sind: eranial und zum Theil auch vorn die Horizontal-
platte, lateral die Vertikalplatte des primitiven Wirbelbogens,
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 34
I
SIIIIIIII
506 Armin Weiß,
dorsal in der Mitte die Anlage des Lig. longitudinale posterius.
Seitlich davon fehlt jede Begrenzung, eben so zum größten Theile
vorn. Die caudale Grenze bildet die Horizontalplatte der folgenden
Wirbelbogenanlage. Das Gewebe des Körperbezirks ist noch das
typische, lockere Gewebe der hellen Selerotomhälfte. Dieses eben
beschriebene, fast schematische Verhalten zeigen nur die Thorakal-
wirbel.
Die Halswirbel bieten eine geringe Abweichung, die, wie der
Mittelschnitt (Fig. 3) lehrt, darin besteht, dass zunächst die von der
Chorda durchsetzten Horizontalplatten nach vorn geneigt sind und
etwa keilförmige Gestalt haben. Ferner ist hier die Abgrenzung
der Vertikalplatten gegen die eigentlichen Bogen hin nur undeutlich
ausgesprochen, da sie nicht am hinteren Rand derselben, sondern
mehr seitwärts abgehen. In den Bogen sieht man bereits die
Anastomosen der Arteriae interprotovertebrales (Arteria vertebralis)
(Fig. 4), während sie selbst den Zusammenhang mit der Aorta auf-
gegeben haben. Zwischen den Bogen treten die Spinalnerven durch.
Epistropheus. Derselbe verhält sich in seiner Entwicklung
wie die übrigen Halswirbel.
Der Atlas und der vor ihm gelegene Occipitalwirbel Fro-
RIEP’S zeigen manche wesentliche Abweichung von der typischen Bil-
dung. Zunächst fällt hier die mächtigere Entwicklung der Perichordal-
schicht auf, die in dem Körperbezirk des Atlas aus ca. drei bis vier
Zellreihen besteht und im Körperbezirk des Oceipitalwirbels in Form
eines kugeligen Zellhaufens endet. Das Ende der Perichordalschicht
liegt etwas dorsal vom Mittelstück des primitiven Oceipitalwirbelbogens.
Auch die primitiven Wirbelbogen des Atlas und des Oceipi-
talwirbels zeigen eine eigenthümliche Übereinstimmung, wie schon
bei dem Embryo von 7 mm und können daher zusammen abgehandelt
werden. Vor Allem stehen sie zu den anderen Wirbeln dadurch in
Gegensatz, dass eine eigentliche Horizontalplatte nicht existirt,
weil ihre Bogen nicht an die Perichordalschicht angelagert, sondern
ventral von der Chorda spangenartig verbunden sind. Daher ist hier
die Perichordalschicht gegen eine Hypochordalschicht deutlich abge-
grenzt. In der Hinterhauptanlage beruht dies auf dem bereits erwähn-
ten eigenthümlichen Verlauf der Chorda unter dem cranialen Peri-
chondrium, den sie sowohl über dem Oceipitalwirbel, wie über dem
scheinbar ungegliederten Abschnitt beibehält. Auch seitlich legt sich
der Primitivwirbelbogen weder beim Atlas noch beim Oceipitalwirbel
dicht der Perichordalschicht an.
u ; U Zn x
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte etc. 507
Sowohl der primitive Atlas- wie der Oceipitalwirbelbogen sind
außerdem den typischen Primitivwirbeln gegenüber dadurch charak-
terisirt, dass sie in ihrem perichordalen Theil keine Verbreiterung
zeigen, ja dass im Gegentheil eher der eigentliche Bogen im cranio-
caudalen Sinne verbreitert ist. Daraus ergiebt sich, dass diese Primi-
tivwirbelbogen ihren zugehörigen Körperbezirk seitlich nicht begrenzen;
das heißt den Primitivwirbelbogen des Atlas und des Oceipitalwirbels
fehlt die Vertikalplatte.
In dorsaler Richtung reichen die Bogen der beiden Wirbel ziem-
lich gleich weit, aber beide um ein Beträchtliches weiter, als die der
übrigen Wirbel. Lateralwärts jedoch überragt der Oeceipitalwirbel
auch den Atlas an Ausdehnung. Zwischen den Anlagen der beiden
Wirbel liegt die in den Schädel eintretende Arteria vertebralis und
der durch das Fehlen des Spinalganglions charakterisirte Nervus
spinalis I (Fig. 4). Dem vor der Chorda gelegenen ventralen Ver-
bindungsstück des Oceipitalwirbels ist eine besondere Gewebsformation
eigen. Man sieht hier nämlich das erste Auftreten von Knorpel.
Dasselbe kennzeichnet sich dadurch, dass man in der Mitte der An-
lage regelmäßig angeordnete Zellen mit großen, runden, hellen Kernen
sehen kann, die eine sehr dunkel gefärbte Kernmembran besitzen.
Das Protoplasma bildet, wie die Hämatoxolin-Eosin Färbung deutlich
zeigt, um die Kerne cirkulär angeordnete, fädige, blass violett ge-
färbte Massen, die sich auch unter einander verbinden.
Im Inneren des »scheinbar ungegliederten Abschnittes« ist ebenfalls
Knorpel im Beginne der Entwicklung zu sehen. Derselbe ist von
dem des Oceipitalwirbels vollkommen getrennt. Die Verbindung
bildet ein Streifen von Zellen ohne charakteristische Merkmale.
Seitlich, wo Knorpelgewebe fehlt, ist die Verbindung beider An-
lagen, die aus dicht gedrängten Zellen bestehen, eine so innige, dass
sie gegen einander nicht abgrenzbar sind. Verfolgt man die Serie
weiter seitwärts, so verschwindet die Anlage des »scheinbar unge-
gliederten Abschnittes< immer mehr, so dass dieselbe am Sagittal-
schnitt winklig gegen den Oceipitalwirbelbogen abgeknickt, wie ein
schief aufsteigender Fortsatz desselben aussieht. Gerade in dem
Winkel ist der Durchtritt der Hypoglossuswurzeln, und somit ist hier
wieder die Grenze zwischen Oceipitalwirbelanlage und der des »schein-
bar ungegliederten Abschnittes« deutlich sichtbar (Fig. 4).
34*
508 Armin Weiß,
III.
"Rattenembryonen SS — 10 mm.
Außere Ansicht: Grenze zwischen Stirn- und Oberkieferfortsatz
nur mehr als leichte Einsenkung erkennbar, Ohrmuschel in Form
einer spitzen Erhebung angelegt, Extremitäten gegliedert, die vorderen
auch im distalen Segment.
Von diesen Embryonen wurde einer in eine sagittale, der andere
in eine horizontale Serie von der Schnittdicke 10 u zerlegt. Der
eine wurde mit Kochenille-Alaun, der zweite nur zum Studium der
Anlage des Knorpels mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt. Im Übrigen
wurden die Entwicklungsverhältnisse nach dem ersten beschrieben.
Das Aortenbogensystem dieses Stadium zeigt bereits die defini-
tiven Verhältnisse.
Die Chorda dorsalis hat sich schon vollkommen von dem sie
umgebenden Gewebe losgelöst und verläuft nun scheinbar in einem
Hohlraume, welcher von Dursy so aufgefasst, als »Chordakanal« be-
zeichnet wurde. Ihr Durchmesser ist noch immer an allen Stellen
ein gleich großer. Die Zellstruktur der Chorda ist die gleiche wie
früher, nur scheinen die Zellen dort, wo die Region der späteren
Bandscheiben liegt, das ist also wo die primitiven Wirbelbogen von
der Perichordalschicht abgehen, etwas dichter zu stehen. Außerdem
ist die wellige feine Membran, die die Chorda gegen die Umgebung
früher abgrenzte, nunmehr verschwunden. Nur ganz vorn im Schädel,
nahe der Hypophysenanlage, wo die Chorda endet, sieht man noch
Reste derselben. Der Verlauf der Chorda im Schädel verhält sich wie
früher. | |
Die Veränderungen, die die Wirbelsäulenanlage selbst betreffen,
bestehen zunächst darin, dass im Gebiete der typischen Wirbel der
Brustregion die Perichordalschicht vollkommen verschwunden ist
(Fig. 5). Ferner zeigen sich hier eigenthümliche Veränderungen im
Primitivwirbelbogen, wie auch im Körperbezirk. Der Primitivwirbel-
bogen bestand früher aus der Horizontalplatte und der Vertikalplatte
mit dem eigentlichen Bogen, welcher an ihrem hinteren Rande ab-
ging. Seine Theile bildeten ein einheitliches Ganzes, das gleichmäßig
aus einem dichten, zelligen Gewebe bestand. Nunmehr aber zeigt
sich deutlich eine Theilung des Primitivwirbelbogens in zwei Stücke,
die sich durch verschiedene Gewebsdichte gegen einander abgrenzen.
Es sind dies die aus sehr dicht gedrängten Zellen bestehende,
dunkel gefärbte Horizontalplatte und die hellere, lockerer gefügte
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte ete. 509
Vertikalplatte mit dem eigentlichen Bogen, welch’ letzterer wieder
eine diehtere Struktur besitzt. Das erklärt auch die eigenthümlichen
Bilder an lateralen Sagittalschnitten. Man sieht hier immer dunkle
Zellanhäufungen und darunter hellere, die aber nicht so hell wie das
Gewebe des Körperbezirkes sind. Erstere entsprechen der Horizontal-,
letztere der Vertikalplatte. Das hellere Gewebe der Vertikalplatte
verschmälert sich allmählich in dorsoventraler Richtung und ist schließ-
lich als beginnender eigentlicher Bogen dem diehteren Gewebe der Hori-
zontalplatte, und zwar ihrem unteren Rande dorsal angelagert (Fig. 6).
Von hier weiter lateral nimmt die Horizontalplatte immer mehr
an Dichte des Gewebes ab, um schließlich ganz zu verschwinden,
während umgekehrt der Bogen aus dicht stehenden Zellen besteht:
in seiner Achse ist bereits eine Aufhel-
lung mit regelmäßiger Anordnung der Zel-
len als erste Anlage von Knorpel zu
sehen. Der Knorpel beginnt in ziemlichem
Abstand vom lateralen Rand des Körpers.
Die Verknorpelung erfolgt nahezu im gan-
zen Bogen gleichzeitig. Der Bogen selbst
ist dorsalwärts so weit vorgerückt, dass
er das Ganglion von der lateralen Seite
her umgreift.
Die früher dargestellten Veränderun-
sen in den Anlagen des Primitivwirbel-
bogens lassen erkennen, dass derselbe
eigentlich nicht mehr besteht, und man
diese Bezeichnung nun nicht mehr anwen- Textfig. 2.
dena kanne Ich sehe daher in der Folge : Drei Primitivwirbelbogen. nachr ihrer
Theilung und dem Auftreten des Kör-
davon ab. Gleichzeitig glaube ich aber für pers (schematischer Frontalsehnitt).
die Vertikalplatte den Ausdruck »Bogen- a...
base« setzen zu dürfen, welcher von K, Körper.
GOETTE für das Ansatzstück des Bogens
am Körper bei Reptilien gebraucht wurde. Ich thue dies — ohne
diese Theile einander unbedingt homolog setzen zu wollen — abge-
sehen von der Bequemlichkeit des Ausdruckes desshalb, weil, wie
wir später sehen werden, durch die Verknorpelung dieses Theiles
die Einheit von Körper und Bogen hergestellt wird (Textfig. 2). Auch
der Körperbezirk (Fig. 5) hat eine auffällige Veränderung erfahren,
zunächst dadurch, dass, wie man an der Sagittalserie sieht, die Peri-
ehordalschicht nahezu vollkommen verschwunden ist. An der Horizon-
510 Armin Weiß,
talserie ist sie, wenn auch nicht scharf abgegrenzt, dennoch nach-
weisbar. Die Begrenzungen des Körperbezirks sind im Wesentlichen
dieselben geblieben. Es bildet daher die »Bogenbase« selbstverständ-
lich die seitliche Begrenzung des Körperbezirkes.
Von Wichtigkeit ist das Auftreten erster Knorpelanlagen im
Wirbelkörper; dasselbe erfolgt, wie die Horizontalserie zeigt, hier
etwas früher als im Bogen und ist bilateral in zwei Herden zu beiden
Seiten der Chorda dorsalis zu sehen; jedoch erfolgt die Verschmelzung
zu einem ringförmigen Knorpel sehr rasch. Dabei entsteht derselbe
thatsächlich aus dem lockeren Gewebe der hellen Selerotomhälfte, die
bis zum vorigen Stadium aus distant stehenden, durch Ausläufer ver-
bundenen Zellen bestand. Eine Verdichtung des Gewebes, wie es im
Bogen vor der Verknorpelung besteht, ist hier nicht wahrzunehmen.
Die Kochenille-Alaunfärbung zeigt Zellen mit großen, runden, hellen
Kernen, die ziemlich regelmäßig angeordnet sind; zwischen ihnen liegt
eine ungefärbte Grundsubstanz. Verbindungen zwischen den Zellen
sind nicht mehr vorhanden. Im mit Hämatoxylin gefärbten Präparate
erscheinen die Kerne blassblau gefärbt, mit deutlich dunklerer Kern-
membran. Die Grundsubstanz ist ziemlich diffus blau gefärbt, zwi-
schen den Zellen sieht man an einzelnen Stellen Andeutung von Kitt-
linien.
An den Halswirbeln sind die Verhältnisse eben so. Bilaterale
Anlage des Körperknorpels, der hier früher auftritt als im Bogen und
die eigenthümliche Umwandlung des primitiven Wirbelbogens.
Die Horizontalplatte erscheint gerade so, wie an der Brustwirbelsäule
in der Mitte verschmälert, so dass sie am Sagittalschnitt (Fig. 5) wie
biskuitförmig aussieht. Abweichend von der Brustwirbelsäule ist das
Verhältnis der Bogenbase und des Bogens, weil der letztere nicht
am hinteren Rande derselben in schief dorsaler Richtung abgeht, son-
dern vielmehr lateral breit an die Bogenbase angesetzt von ihr ent-
springt und dann erst dorsalwärts abbiegt. Desshalb zeigen die late-
ral von der Chorda gelegenen Schnitte näher der Mitte eine craniale
aus dicht gedrängten dunkel gefärbtem Gewebe bestehende Schicht
(Horizontalplatte), die lateralwärts immer mehr an Dichte abnimmt
und schließlich ganz verschwindet, während dies bei der caudal da-
von gelegenen Bogenbase mit dem Bogen sich gerade umgekehrt
verhält. Daher lassen sich die beiden durch die Differenz ihres Baues,
wenn auch schwieriger als in der Brustregion, von einander abgrenzen.
Durch diese Art des Bogenansatzes in der Halsregion werden auch
Bilder, wie das in Fig. 7 abgebildete, verständlich, wo der Rest
en KA 2 78 pn > ’
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte etc. 511
der Horizontalplatte als hellere Masse der dichteren des Bogenwurzel-
stückes ceranial aufsitzt.
Der Epistropheus zeigt im Wesentlichen dieselben Verhält-
nisse. Nur ist die Sonderung des primitiven Wirbelbogens in seine
Bestandtheile noch nicht zu sehen. Der Fortschritt der Entwicklung
gegenüber dem früheren Stadium besteht in dem Auftreten von
Knorpel in der Körper- und Bogenanlage.
Atlas und Oceipitalwirbel (Fig. 5). Im Körperbezirk des
ersteren ist die bilaterale Knorpelanlage bedeutend kleiner als an
den übrigen Wirbeln, besonders desshalb, weil hier die Perichordal-
schicht noch deutlich erhalten ist.
Die ventrale Spange des Atlasbogens hat sich von der Horizontal-
platte nahezu vollkommen getrennt und liegt vor dem zugehörigen
Körper. Sie ist am Sagittalschnitt ein runder Zellhaufen aus dicht
sedrängten, stark mit Kochenille tingirten Zellen. Knorpelbildung
fehlt noch, während sie im eigentlichen Bogen an der Sagittal-
serie schon zu sehen ist. An der Horizontalserie fehlt sie auch
hier. Die Bogen des Atlas überragen auch jetzt die der übrigen
Wirbel beträchtlich an Ausdehnung in dorsaler Richtung. An den
zwischen Atlas und Oeceipitalwirbel gelegenen Nerven und an der
Arteria vertebralis bestehen die bereits geschilderten Verhältnisse.
Einen ziemlich beträchtlichen Unterschied den übrigen Wirbeln
gegenüber zeigt der Körperbezirk des Oceipitalwirbels. Es ist näm-
lich hier das craniale Ende der Perichordalschicht weiter gewachsen
und zeigt eine deutliche Kugelgestalt von folgenden Durchmessern:
craniocaudal ca. 120 u
dorsoventral ca. 100 u
quer ca. 100 u.
Die Zellkerne derselben sind oval und sowohl mit Kochenille, wie
Hämatoxylin stark tingirt. Gegen die Horizontalplatte des Primitiv-
wirbelbogens des Atlas ist diese Bildung nicht abgrenzbar, sondern
erscheint als ein ihr aufgesetzter Zapfen, durch dessen Mitte die
Chorda zieht. Cranial legt sie sich der Mitte der ventralen Ver-
bindungsspange des Oceipitalwirbelbogens an.
Die Bogenanlage des Oceipitalwirbels zeigt auch einen wesent-
lichen Entwicklungsfortschrit. Der im ventralen Verbindungsstück
bereits im vorigen Stadium wahrnehmbare Knorpel hat sich mächtig
weiter entwickelt. Auch in den Bogen ist nunmehr deutliche Knorpel-
bildung zu sehen, jedoch hängen die Knorpel derselben mit dem des
512 Armin Weiß,
ventralen Verbindungsstückes nicht zusammen, sondern sind durch
eine noch unverknorpelte Strecke des Bogens von einander getrennt.
Der scheinbar ungegliederte Abschnitt der Hinterhauptsanlage ist mit
dem ventralen Verbindungsstück des Occipitalwirbelbogens vollkommen
verschmolzen. Nur in der Mitte, eben dort wo die Chorda dorsalis
über ihn hinwegzieht, sieht man eine Trennung der beiden Anlagen.
Die Grenze zwischen ihnen ist in Form einer im Knorpel befind-
lichen, durch Bindegewebe ausgefüllten Lücke gegeben. Die Durch-
messer derselben betragen:
dorsoventral ca. WM u
quer casa LlOFn
Die über sie hinziehende Chorda erscheint etwas nach links ver-
schoben. Seitlich ist die Grenze zwischen beiden Anlagen durch die
zwischen ihnen durchtretenden Wurzeln des Nervus hypoglossus
genau bestimmt. |
IV.
Rattenembryonen SS = 11 mm.
Die untersuchten Serien sind eine mit Kochenille-Alaun gefärbte
sagittale und zwei horizontale, von denen eine mit Kochenille-Alaun,
die zweite mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt war. Die Schnittdicke be-
mm:
Die Wirbelsäule zeigt in diesem Stadium nur wenig Verände-
rung. Die Chorda dorsalis befindet sich im Beginne deutlicher Rück-
bildung. Man sieht bereits eine Auflockerung, jedoch ohne eine
Volumsverminderung im Gebiete der Körper, während im Gebiete der
Horizontalplatte (Region der später sich entwickelnden Bandscheibe)
die bekannten spindelförmigen Anschwellungen schon deutlich zu
sehen sind.
Von der Perichordalschicht ist im Gebiete der typischen Brust-
und Halswirbel nichts mehr vorhanden. Die Anlagen der Wirbelkörper
haben an Größe bedeutend zugenommen. Der Körperknorpel steht
mit dem Bogenknorpel durch die Verknorpelung der Bogenbasen be-
reits in Verbindung. Der Bogen ist in seiner ganzen Ausdehnung
verknorpelt und reicht nunmehr bis an das dorsale Ende des Spinal-
ganglions. Da die Vergrößerung des Wirbelkörpers in cranio-caudaler
Richtung auf Kosten der ursprünglichen Horizontalplatte des Primi-
tivwirbelbogens erfolgt, so sehen wir dieselbe reducirt. Diese Reduk-
tion erfolgt hauptsächlich in der Mitte, wodurch die Horizontalplatte
a ee
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte etc. 513
die Form eines Meniscus erhält. Die vorderste, über den Körper-
bezirk vorragende Partie des Meniscus zeigt überdies eine Veränderung
ihrer Struktur. Die Zellen stehen hier nämlich nicht mehr so dicht
sedrängt wie früher, und zwischen den runden Kernen sieht man
auch zahlreiche stäbehenförmige Kerne, die zum Theil längsverlaufend,
zum Theil aber deutlich koncentrisch angeordnet sind. Die Horizon-
talserie zeigt dasselbe Es ist dies die erste Anlage des Annulus
fibrosus, die in dieser Form nur an der Ventralseite besteht.
Die Halsregion zeigt so ziemlich die gleichen Verhältnisse wie
die des Thorax. Die Unterschiede sind nur durch die Krümmung
des Halses bedingt. Daraus ergiebt sich eine Neigung der Hori-
zontalplatten in dorsoventraler Richtung, wodurch die Meniscusform
weniger deutlich ausgeprägt ist, andererseits haben dadurch auch die
Körper der Halswirbel‘ eine keilförmige Gestalt. Die Basis des Keiles
ist dem Rückenmark zugewendet. Außerdem zeigen auch die vor
der Arteria vertebralis gelegenen Theile der Bogen, wie die Rippen
schon im früheren Stadium, erste Andeutungen der Knorpelbildung.
Die Verhältnisse der Spinalnerven und der Arteria vertebralis sind
mit denen der früheren Stadien vollkommen identisch.
Der Epistropheus verhält sich eben so, wie die übrigen Hals-
wirbel. Die zwischen seinem und dem Atlaskörper gelegene Hori-
zontalplatte besteht noch.
Atlas und Oceipitalwirbel: Am Atlaskörper hat sich, ab-
gesehen von Größenzunahme und Fortentwicklung des Knorpels, nichts
geändert. Dagegen zeigt sich im ventralen Bogen des Atlas deutlich
der Beginn von Verknorpelung. Dieselbe erfolgt bilateral in zwei
Herden, jederseits ca. 0,09 mm von der Mittellinie. Dies zeigt so-
wohl die Sagittalserie, wie die Horizontalserie. Man sieht rechts und
links zwei Knorpelherde als deutliche Aufhellungen, während das
Mittelstück, wie früher aus dicht gedrängten, dunkel gefärbten Zellen
besteht (Fig. 8). Das schon früher beschriebene, im Körperbezirk des
Oceipitalwirbels gelegene vordere, kugelige Ende der Perichordal-
schicht zeigt, abgesehen von seiner Größenzunahme — seine Durch-
messer betragen nunmehr —
cranio-caudal ca. 120 u
dorsoventral ca. 150 u
quer ca. 100 u
und von seiner schärferen Abgrenzung gegen den Rest der Horizon-
talplatte des Atlas zweierlei Veränderungen.
514 | Armin Weiß,
Erstens eine topographische: Es ragt nämlich jetzt über die
craniale Fläche der ventralen Verbindungsspange der Oceipitalwirbel-
anlage nach aufwärts. Daher ist nun das Lageverhältnis der ven-
tralen Verbindungsspange des Oceipitalwirbelbogens zu diesem Ge-
bilde dasselbe, wie das des vorderen Atlasbogens zu seinem Körper.
Außerdem ist durch diese Lageveränderung auch eine eigenthümliche
Veränderung der Lage der Chorda bedingt. Während dieselbe früher
in sanften Bogen auf das Hinterhaupt überging, findet sich jetzt an
dieser Stelle eine scharfe winkelige Knickung (Fig. 10 folg. Embryo).
Endlich sind dadurch die ventralen Spangen des Atlas und des Ocei-
pitalbogens näher an einander gerückt. Die zweite Veränderung be-
steht darin, dass im Inneren dieser kugeligen Anlage eine schwache
Aufhellung des dieht karminisirten Gewebes zu sehen ist, wie dies
überall für den Beginn von Knorpelbildung charakteristisch erscheint.
Im Oceipitalwirbel selbst hat sich die knorpelige Anlage des eigent-
lichen Bogens mit der der ventralen Verbindungsbrücke bereits ver-
einigt. An der Übergangsstelle erscheint am Horizontalschnitt (Fig. 9)
als eine tiefe Grube, das Foramen hypoglossi. In derselben Fron-
talebene liegt auch jene Lücke im Knorpel, die in der Mittelebene
die Grenze zwischen Oceipitalwirbel und »scheinbar ungegliedertem
Abschnitt« bildet. Ihre Durchmesser sind!:
dorsoventral ca. 100 u
quer ca (OL.
Am Horizontalschnitt sieht man auch, wie die Chorda, die dieser
Knorpelunterbrechung aufliegt, in einer tiefen Rinne zwischen zwei
seitlichen Knorpelwällen gelegen ist. Rechts und links von ihr er-
scheinen auf dem Knorpel zahlreiche Gefäße.
V,
Rattenembryo SS = 12 mm.
Zur Untersuchung kamen eine sagittale Serie, Färbung: Koche-
nille-Alaun und eine horizontale, Färbung: Hämatoxylin-Eosin. Die
Sehnittdieke beträgt 10 u. Auch in diesem Stadium zeigt die Ent-
wicklung nur geringe Veränderungen, so dass der Embryo in der
Hauptsache dem vorigen gleicht.
Fortschritte zeigt zunächst die Chorda in ihrer Rückbildung, so
i Die in diesem Stadium so von Zahlen bei den übrigen Embryonen ab-
weichenden Größenverhältnisse der Durchmesser dieser Lücke dürften wohl als
eine individuelle Abweichung aufzufassen sein.
er a de Zn 2 4 Zn
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte ete. 515
dass sie im Körperbezirk nur mehr aus ca. zwei bis drei lockeren Zell-
reihen besteht. Die Zellkerne zeigen deutlich denselben Charakter,
wie die des sie umgebenden Knorpels. Das zwischen ihnen liegende
Gewebe ist blassroth mit Karmin tingirt. Auch in dem die Chorda
umgebenden »Chordakanal« Dursy’s finden sich theils fädige, theils
homogene, blass mit Karmin tingirte Massen. Die mit Hämatoxylin
sefärbte Horizontalserie zeigt dieselben eben so wie den Knorpel
stark mit Hämatoxylin blau gefärbt.
Die Anschwellungen der Chorda in den Resten der Horizontalplatte
haben an Größe zugenommen. Weitaus die größte ist, wie im früheren
Stadium, die im Atlas (und zwar hier in seinem Körper) gelegene, die
die anderen besonders im Längsdurchmesser überragt. Der Verlauf
der Chorda verhält sich wie in den früherem Stadium (Fig. 10). Eben
so hat sich an den Anlagen der typischen Wirbel wenig geändert.
Die Körper haben auf Kosten der Horizontalplatte in cranio-
caudaler Richtung an Größe zugenommen. Die im vordersten Theile
der Horizontalplatte bestehende Aufhellung verhält sich wie früher.
Der Bogen ist in dorsaler Richtung kaum merklich gewachsen. Sein
Verlauf ist zuerst gerade dorsal, dann aber biegt er stumpfwinkelig
caudalwärts ab. An der Stelle der winkeligen Knickung, die sich
ungefähr im vordersten Drittel des dorsalen Bogens befindet, erscheint
derselbe auch verdickt. Diese Verdickungen sind die ersten Anlagen
der Gelenkfortsätze. Die Verbindungen der auf einander folgenden
Fortsätze bildet ein dichtes Gewebe, das, obwohl es noch keine be-
stimmte Struktur zeigt, wohl die Anlage des Bandapparates darstellt.
Der Epistropheus verhält sich so wie die übrigen Wirbel.
Was den Atlas anlangt, so ist er wie früher den anderen Wirbeln
in dorsaler Richtung im Wachsthum voraus. Der Körper des Atlas
zeigt keine Veränderung. An der ventralen Spange sind die Knorpel-
herde der beiden Seiten immer noch getrennt, wenn sie auch schon
sehr nahe an einander gerückt erscheinen. Auch fehlt eine völlig
einheitliche knorpelige Verbindung des dorsalen und des ventralen
Bogens, obwohl bereits eine Umwandlung des zwischenliegenden Ge-
websstreifens zu Knorpel in den ersten Anfängen sichtbar ist.
Oceipitalwirbel: Das im Körperbezirk des Oceipitalwirbels
gelegene vordere Ende der Perichordalschicht zeigt folgende Größen-
verhältnisse der Durchmesser:
dorsoventral ca. 150 u
craniocaudal ca. 140 u
quer ca. 150.1.
516 Armin Weiß,
Die Aufhellung im Inneren derselben hat an Deutlichkeit und
Ausdehnung auffallend zugenommen. Es finden sich in derselben
wohl vereinzelte Zellen mit großen runden Kernen, jedoch ist eine
typische Knorpelstruktur noch nicht nachweisbar. Die Abgrenzung
gegen den Körper des Atlas bilden die Reste der Horizontalplatte
dieses Wirbels. An der lateralen Seite der oben beschriebenen An-
lage, deren Mitte die Chorda durchsetzt, zieht der erste Spinalnerv
vorbei.
Die Bogen des Oceipitalwirbels und ihre ventrale Verbindungs-
spange bilden jetzt eine einheitliche mächtige Knorpelmasse. Die
in der Mitte des Basaltheils der Oceipitalanlage befindliche loch-
förmige Unterbrechung im Knorpel, die, abgesehen vom Foramen
hypoglossi die Grenze zwischen dem »scheinbar ungegliederten Ab-
schnitt« und dem Oceipitalwirbel bildet, hat mit dem Wachsthum
ihrer Umgebung beträchtlich an Größe zugenommen, und überdies
eine äußerst scharfe Umgrenzung erhalten. Durch diese in der Mitte,
an der Grenze zwischen Oceipitalwirbel und »scheinbar ungeglieder-
ten Abschnitt« gelegene Lücke treten zwei Venen. Dieselben ziehen
rechts und links an der Chorda dorsalis vorbei und bilden über ihr eine
Anastomose. Sie stellen die Verbindung retropharyngealer Venennetze
mit denen der Hirnhäute her. Es sind die letzteren jene Venen,
die man auch schon im früheren Stadium nahe an die Lücke heran-
treten sehen konnte, ohne dass dieselbe von ihnen durchsetzt wurde
(Fig. 11). Die Durchmesser der oben erwähnten Lücke betragen:
dorsoventral ca. 100 u
quer ca. 240 u.
v1.
Rattenembryo SS = 13 mm.
Der Embryo wurde sagittal geschnitten; gefärbt wurde mit Häma-
toxylin-Eosin. Die Schnittdieke beträgt 10 u.
Die Chorda dorsalis ist in diesem Stadium noch weiter rück-
gebildet. Sie zeigt deutliche Volumszunahme in der Zwischenwirbel-
region, deutliche Volumsabnahme im Körperbezirk. Ihre Zellen haben
theils große, runde, schwach gefärbte, theils kleine, dunkel gefärbte
Kerne. Die Zellen sind durch etwas stärker violett gefärbte Stränge
unter einander verbunden. Zwischen diesen liegt eine blassblaue Grund-
substanz, die auch Dursy’s »Chordakanal« ausfüllt. Bei sehr starker
Vergrößerung zeigt sich die scheinbar homogene Grundsubstanz als
ein äußerst feinmaschiges Netzwerk. Der Bau der Wirbelsäule bietet,
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte etec. 517
abgesehen von der beträchtlichen Größenzunahme, nur wenig Neues.
Die Wirbelkörper sind vollkommen verknorpelt. Die Verknorpelung
ist bereits so weit vorgeschritten, dass die Horizontalplatte in der
Mitte bis auf ein, zwei Zellenreihen geschwunden ist (Fig. 12), und
damit die knorpelige Verschmelzung der Körper eingeleitet erscheint
(vgl. den folgenden Embryo).
Seitlich und eben so dorsal und ventral sind die Reste der ur-
sprünglichen Horizontalplatte noch vorhanden. Der ventrale Abschnitt
derselben zeigt hier deutlicher als in den früheren Stadien die schon
erwähnte Auflockerung des Gewebes. Dieselbe besitzt jedoch eine
von Knorpel wesentlich verschiedene Struktur. Man sieht (Fig. 12)
srößtentheils strangartig in eraniocaudaler Richtung verlaufende Zell-
reiien. Was aber diese Partie von dem angrenzenden Knorpel be-
sonders scharf abgrenzt, sind zahlreiche, dunkle, sehr kleine, stäbchen-
förmige, manchmal fast punktförmige Zellkerne. Zwischen ihnen
befinden sich auch hellere, längliche Kerne, jedoch überwiegen die
ersteren an Zahl. Durch diese eigenthümliche Struktur gegen die
vordere, dichtere, längsverlaufende Schicht (Anlage des Ligamentum
longitudinale anterius) abgegrenzt, dokumentirt sich dieses Gewebe
als Anlage des Annulus fibrosus, um so mehr, da dasselbe auch an
der Horizontalserie eines Embryo von 12 mm SS deutliche fibrilläre
Struktur zeigt.
Der dorsale Theil des Horizontalplattenrestes steht in inniger
Verbindung mit der längs der dorsalen Fläche der Wirbelkörper ver-
laufenden Anlage des Ligamentum longitudinale posterius.
Die Bogenanlagen unterscheiden sich gegenüber dem früheren
Stadium nur durch die weitere Ausbildung des Knorpels und ihre
Größenzunahme. Die Verbindung der Gelenkfortsätze zeigt noch keine
ligamentöse Struktur.
Die Verhältnisse der Halswirbel sind im Wesentlichen die gleichen,
wie die der Brustwirbel. Nur haben die Körper hier eine etwas
andere Form. Sie sind nämlich, wie dies bereits von FRORIEP be-
schrieben wurde, in ihrem cranialen Antheile verjüngt.
Der Epistropheus unterscheidet sich von den übrigen Wirbeln
nur dadurch, dass die knorpelige Verschmelzung seines Körpers mit
dem des Atlas in größerer Breitenausdehnung erfolgt, als dies zwi-
schen je zwei der anderen Wirbelkörper der Fall ist.
Der Körper des Atlas unterscheidet sich von denen der übrigen
Halswirbel nicht wesentlich. Er ist eben so wie die anderen cranial-
wärts etwas verjüngt. Die Grenze zwischen den Körpern des Atlas
518 Armin Weiß,
und Epistropheus, die in großer Ausdehnung knorpelig verschmolzen
sind, bildet nur mehr eine an der ventralen Seite gelegene Einziehung,
in der sich, wie an allen Wirbeln, die Anlage des Annulus fibrosus
befindet. |
Der ventrale Atlasbogen ist vollkommen verknorpelt; jedoch zeigt
sich deutlich, dass der Knorpel in der Mitte jünger ist als weiter
lateral. Außerdem ist die Verschmelzung zwischen dorsalem und
ventralem Bogen bereits eingetreten. Der Atlasbogen überragt in
diesem Stadium die übrigen um ein Bedeutendes an Ausdehnung in
dorsaler Richtung. Andererseits ist er auch lateralwärts über die
folgenden Wirbelbogen ziemlich stark hinausgerückt. Dadurch ergiebt
sich eine Veränderung im Verlauf des obersten Stückes der Arteria
vertebralis. Sie muss nämlich nun, um auf die Schädelbasis zu ge-
langen, sich zuerst lateral und nach dem Verlassen der Knorpelrinne
am Atlas wieder medialwärts wenden (definitive Lage der Arteria
vertebralis).
Oceipitalwirbel. Wir haben schon im früheren Stadium in
der im Körperbezirk dieser Anlage liegenden, kugeligen Auftreibung
eine Aufhellung gesehen, die in der Mitte der Auftreibung begann,
von hier sich weiter ausdehnte und die auf beginnende Verknorpe-
lung schließen ließ. Diese Verknorpelung ist nun thatsächlich ein-
getreten. Man sieht hier, wie früher an den übrigen Wirbeln durch
blauviolett gefärbte Kittlinien von einander abgegrenzte Zellen, mit
sroßen, runden, nur schwach tingirten Kernen. Die Grundsubstanz
zeigt diffuse Blaufärbung. Wir haben es also hier mit einer selbständig
verknorpelten Perichordalschicht zu thun, die uns die rudimentäre
Anlage eines Wirbelkörpers vorstellt. Die Begründung dieser Behaup-
tung möge in der Zusammenfassung am Schlusse ihren Platz finden.
Die eben erwähnte Wirbelkörperanlage ist aber in diesem Sta-
dium in der Mitte nicht mehr selbständig, sondern bildet, mit dem
Atlaskörper knorpelig verschmolzen, die Spitze des Dens epistrophei
(Fig. 12). Seitlich jedoch ist die Grenze zwischen beiden Anlagen in
Form mehrerer Reihen unverknorpelter Zellen (Reste der Horizontal-
platte der Atlasanlage) noch deutlich sichtbar (Fig 13). Über diese
Verhältnisse giebt auch die Abbildung des Plattenmodells deutlich
Aufschluss (Fig. 14).
Die Durchmesser dieser nun knorpeligen Anlage betragen:
craniocaudal ca. 150 u
dorsoventral ca. 180 u
quer car 180m
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte etc. 519
Dieser rudimentäre Wirbelkörper reicht so weit in das Hinter-
hauptsloch hinauf, dass eine in der Medianebene durch die Mitte des
ventralen Verbindungsstückes der Oceipitalwirbelanlage gedachte Hori-
zontale gerade die Grenze zwischen ihm und dem Atlaskörper treffen
würde. Durch die Mitte der Anlage dieses Wirbelkörpers zieht die
Chorda. Über ihre hintere und obere Fläche zieht das Ligamentum
longitudinale posterius. An ihrer vorderen Seite liegt das ventrale
Verbindungsstück des Oceipitalwirbelbogens. Der Rest der an der
cranialen Fläche des Atlas gelegenen Horizontalplatte ist in das Peri-
chondrium der angrenzenden Knorpelanlagen aufgenommen (Fig. 12).
In der Anlage des Oceipitalwirbels selbst hat sich nichts wesentlich
geändert. Die beiden Bogenhälften haben sich mit dem ventralen
Verbindungsstück, wie mit dem »scheinbar ungegliederten Abschnitt«,
zu einer breiten, bis an die Gehörkapsel sich erstreckenden Platte
vereinigt, von der sich der Bogen nur durch die Foramina hypoglossi
und die mittlere Lücke abgrenzen lässt. Über dieser Lücke verläuft
die Chorda, durch sie noch beide Venen.
Die Durchmesser der Lücke betragen:
dorsoventral ca. 100 u
quer ca. 230 u.
vl.
Rattenembryonen SS = 15 mm.
Zur Untersuchung gelangten eine Horizontal- und eine Sagittal-
serie, beide mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt. Die Schnittdicke beträgt
10 u.
Die Chorda dorsalis ist in diesem Stadium in starker Rückbil-
dung begriffen. Ihr Gewebe ist aufgelockert und enthält, wie dies
besonders deutlich in den Anschwellungen der Zwischenwirbelregionen
zu merken ist, Zellen mit großen Kernen und eine faserige Grund-
substanz. Der Verlauf der Chorda hat sich nicht geändert. Der
»Chordakanal« Dursy’s, der in der Intervertebralregion von den
sroßen Chordaanschwellungen ganz ausgefüllt ist und daher nur
mehr in der Wirbelkörperregion sichtbar wird, ist hier von einer
deutlich blau gefärbten scheinbar homogenen Masse erfüllt.
Die Wirbelkörper zeigen eine bedeutende Größenzunahme und
Fortbildung des Knorpels. Dieser besitzt deutliche Grundsubstanz
zwischen den distanter stehenden Zellen. Auch der Bogen weist größere
Ausbildung des Knorpels auf. Sein dorsales Ende reicht weit über
das Spinalganglion hinaus, jedoch ist es in diesem Stadium zu einer
520 Armin Weiß,
dorsalen Vereinigung der Bogenhälften noch nicht gekommen. Eigen-
thümlich verhält sich der Knorpel an der Grenze zwischen Bogen
und Körper. Hier sind die Knorpelzellen besonders groß, mit sehr
dieken Kittlinien und großen, blass gefärbten Kernen. In der Hals-
region liegt diese Stelle gerade dorsal von der Arteria vertebralis.
Charakteristisch ist übrigens für dieses Stadium die schon von
SCHULTZE beobachtete vollständige Verknorpelung der Horizontalplatte,
mit Ausnahme jenes vordersten Antheiles, der sich zum Annulus fibro-
sus umgewandelt hat und deutlich fibrilläre Struktur zeigt (Fig. 15).
Die Wirbelkörpersäule ist also in diesem Stadium ein einheitlicher
Knorpelstab, wie es auch ScuuLtze beschreibt. Vor dem Annulus
fibrosus liegt das Ligamentum longitudinale anterius. Dasselbe ist
viel weniger deutlich entwickelt als das posterius. Der Epistro-
pheus verhält sich wie die übrigen Wirbel.
Der Atlaskörper ist in diesem Stadium eben so breit wie die
Körper der übrigen Wirbel. Seine eigenthümliche Form ist durch
den mit ihm verwachsenen perichordalen Wirbelkörper gegeben, der
seiner eranialen Fläche aufsitzt. Die beiden sind nun knorpelig ein-
heitlich verschmolzen. Die durch dieses Wirbelrudiment gebildete
Spitze des Dens epistrophei ragt noch immer ein beträchtliches Stück
in das Foramen occipitale hinein und wird in der Mitte von der
Chorda durchsetzt. Die Grenze zwischen dem rudimentären, peri-
chordalen Wirbelkörper und dem des Atlas bildet nur eine Ein-
ziehung an der ventralen, wie an der dorsalen Seite, und die be-
kannte überall zwischen je zwei Wirbeln liegende, intervertebrale
Chordaanschwellung. Dieselbe hängt mit der Chordaanschwellung am
Atlas durch eine schmale Brücke zusammen (Fig. 15).
Hinter der perichordalen Wirbelkörperanlage spannt sich die
Anlage des Ligamentum transversum zwischen den beiden Seiten-
theilen des Atlas aus. Von der Spitze des Dens epistrophei (dem
perichordalen Wirbelkörper) sieht man, deutlich entwickelt, die An-
lagen der Ligamenta alaria beiderseits an den Oceipitalbogen ziehen.
Die Grenze des ventralen Verbindungsstückes des Oceipitalwirbel-
bogens gegen den »scheinbar ungegliederten Abschnitt« bildet nun nur
mehr die Durchtrittsstelle des Nervus hypoglossus, da die centrale
Lücke durch Knorpelgewebe geschlossen ist. Freilich ist die an ihrer
Stelle gelegene Knorpelplatte bedeutend schmäler als der Knorpel der
Umgebung (Fig. 15).
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte ete. 5921
VII.
Rattenembryonen SS = 19mm, SS = 20 mm.
Der erstere der beiden Embryonen ist eine mit Hämatoxylin-Eosin
sefärbte Horizontalserie, der letztere eine Sagittalserie, die mit Koche-
nille-Alaun gefärbt wurde. Die Chorda ist in der Körperregion so
stark reducirt, dass sie hier nur als ein feiner Faden sichtbar ist,
Ihr Verlauf ist überall dem des früheren Stadium völlig gleich. Die
Ausbildung des Körpers besteht nur in Größenzunahme; im Knorpel
desselben hat sich eben so wie in dem des Bogens reichlich Grund-
substanz gebildet. Der Bogen hat wohl das Rückenmark nahezu
vollkommen umgriffen, aber zur dorsalen Vereinigung der beiden
Bogenhälften ist es noch nicht gekommen. Im Übrigen sehen wir
an diesem Embryo die beginnende Entwicklung der definitiven Band-
scheiben, die, abgesehen von dem viel älteren Annulus fibrosus, erst
jetzt entstehen. Es geschieht dies in folgender Weise: In der Region
der früheren Horizontalplatte sieht man eine Verdichtung der Knorpel-
zellen, indem diese hier enger zusammentreten, als in den Anlagen
der Körper, so dass man im Gegensatz zum früheren Stadium wie-
der Wirbel von Wirbel deutlich abgrenzen kann (Fig. 16). Der unterste
Theil der Wirbelkörper springt noch deutlicher vor als früher.
Der Epistropheus verhält sich wie die übrigen Wirbel. Eben so
auch der Atlas, dessen Bogen, obwohl sie sich dorsal nahezu berühren,
noch nicht zur Verschmelzung gekommen sind. An der Hinterhaupts-
anlage ist der verdünnte Abschnitt zwischen Oceipitalwirbel und
»scheinbar ungegliedertem Abschnitt« völlig verschwunden, und der
Basaltheil des Hinterhauptes besteht nunmehr aus einer einheitlichen,
gleichmäßig breiten Platte. Die Anlage des im Körperbezirk des
Oceipitalwirbels aufgetretenen, rudimentären, perichordalen Wirbel-
körpers ist mit dem Atlaskörper vollkommen verschmolzen. An den
medianen Sagittalschnitten lässt nur eine kaum merkbare Einziehung
von der Ventral- und der Dorsalseite her die ursprüngliche Selb-
ständigkeit der Anlagen erkennen.
Ältere Embryonen, deren ich noch einige, sowohl sagittal als
horizontal geschnitten, untersuchte, glaube ich hier nicht mehr speciell
behandeln zu müssen, da der Entwieklungsfortschritt nur in der wei-
teren Ausbildung der bisher angelegten Theile besteht.
Von Interesse scheint mir nur folgendes Verhalten an der neu-
geborenen Ratte. Die durch die Mitte der Wirbelsäule geführten
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 35
522 Armin Weiß,
sagittalen Schnitte zeigen den Epistropheuskörper mit dem Zahn als
eine einheitliche, noch nicht verknöcherte Masse. In derselben lassen
sich aber auch jetzt noch die ursprünglich getrennt angelegten Theile
gegen einander abgrenzen, und zwar die Körper des Atlas und Epi-
stropheus durch eine flache Einziehung an der ventralen Seite und
durch die intervertebrale Chordaanschwellung; die Körper des Atlas
und des postoceipitalen Wirbelrudimentes nur durch eine zarte spindel-
förmige Anschwellung der Chorda dorsalis.
Die bei älteren Embryonen sichtbaren, auch von FRORIEP be-
schriebenen Vorsprünge am unteren Rande jedes Wirbelkörpers sind
bei der neugeborenen Ratte nicht mehr wahrzunehmen.
Zusammenfassende Darstellung.
Die Betrachtung der durch die Untersuchung gewonnenen Resul-
tate ergiebt, dass wohl das Grundprineip der Wirbelsäulenentwicklung
sich bei der Ratte in denselben Bahnen bewegt, wie bei den übrigen
untersuchten Wirbelthieren, dass aber in Einzelheiten doch Abwei-
chungen auch vom Typus der Rindsembryonen FRorIEP’s bestehen.
Die allerersten Entwicklungsverhältnisse stimmen wohl mit den
Beobachtungen der Autoren an anderen Thieren überein. Die frühe-
sten Anlagen zeigten uns die hinteren Körperabschnitte eines Em-
bryo von 5mm SS. Die eraniale und caudale Sclerotomhälfte bestehen
aus gleich dichtem Gewebe und sind durch die EBner’sche Inter-
vertebralspalte getrennt. Die Grenzen der Sclerotome gegen einander
bilden die Interprotovertebralgefäße. In der vorderen Rumpfregion,
die in der Entwicklung vorauseilt, sehen wir eine helle, craniale und
eine dunkle, caudale Selerotomhälfte. Es zeigt sich nun, überein-
stimmend mit den Befunden MÄnner’s bei Reptilien, dass das Myotom
in die Intervertebralspalte vordringt und bei gleichzeitigem Ver-
schwinden derselben die beiden Selerotomhälften scheinbar aus ein-
ander gedrängt werden, wobei an der caudalen dunkleren ein deut-
liches Abbiegen in caudaler Richtung wahrnehmbar ist. Das laterale
abgebogene Ende jeder dunklen Selerotomhälfte umwächst nun seit-
lich die vom folgenden Ursegment herstammende helle Selerotomhälfte
sammt den in ihren lateralen Theilen liegenden Interprotovertebral-
arterien und Spinalnerven.
Durch diesen eigenthümlichen Process, der »Umgliederung der
Wirbelsäule« oder, wie es MÄnNER nennt, durch »Umgliederung des
skeletogenen Gewebes«, entwickelt sich der »primitive Zustand«
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte ete. 593
(FRORIEP). In diesem Stadium zeigt die Ratte dieselben Verhältnisse
wie das Rind.
An der von der Perichordalschicht umgebenen Chorda dorsalis
sind in gleichen Abständen die aus den dicht gedrängten Zellen der
dunklen Selerotomhälfte bestehenden, primitiven Wirbelbogen befestigt,
welche die helle ihnen folgende Selerotomhälfte des nächsten Selero-
toms — den aus locker gefügtem Gewebe bestehenden Körperbezirk —
von der lateralen Seite her umgreifen und dorsalwärts gegen das
Rückenmark hin vorgeschoben sind. In lateraler Richtung setzen sie
sich als Myosepten zwischen die Myotome hinein fort. Diesem Sta-
dium schließt sich ein Übergangsstadium an. Während dieses aber
beim Rind dadurch gekennzeichnet ist, dass der Primitivwirbelbogen
durch Auflockerung seines perichordalen Antheiles den Halt an der
Chorda dorsalis verliert, verhält sich dies bei der Ratte anders. Ich
unterscheide an dem Primitivwirbelbogen der Ratte ursprünglich drei
Theile: Die Horizontalplatte, die Vertikalplatte — dieselbe
umgreift den Körperbezirk von der lateralen Seite — und den eigent-
lichen Bogen, der in der Brustregion am hinteren, unteren Rande
der Vertikalplatte abgeht. In der Halsregion, wo der Bogen seit-
wärts abgeht, ist die Abgrenzung weniger deutlich. Diese drei oben
erwähnten Theile bilden ursprünglich ein einheitliches Ganze, den
primitiven Wirbelbogen.
Das »Übergangsstadium« der Wirbelsäule der Ratte charak-
terisiren nun zwei Processe, die sich nahezu gleichzeitig abspielen.
Diese sind: Zerfall des Primitivwirbelbogens und Auftreten
von Knorpelanlagen im Körperbezirk, wie im Bogen.
| Der Zerfall des »Primitivwirbelbogens« erfolgt an der Grenze
von Horizontal- und Vertikalplatte; die beiden Platten erhalten nun
eine verschiedene Struktur. Die Horizontalplatte besteht aus sehr
dicht gefügtem, zelligem Gewebe, das in lateraler Richtung konstant
an Dichte abnimmt. Die Struktur der Vertikalplatte, die mit dem
Bogen in einheitlichem Zusammenhang bleibt, ist medial lockerer und
wird weiter lateral dichter. Da die Vertikalplatte die Verbindung
zwischen Bogen und Körper herstellt, so bezeichne ich dieselbe nach‘
dem Zerfall des Primitivwirbelbogens als »Bogenbases. Zur selben
Zeit erscheint Knorpel im Körperbezirk unter gleichzeitigem Ver-
schwinden der Perichordalschicht, und zwar bilateral zu beiden Seiten
der Chorda dorsalis. Die Anlage des Knorpels erfolgt thatsächlich,
wie schon FRORIEP beobachtete, »wie mit einem Schlage« im früher
lockeren Gewebe der hellen Sclerotomhälfte, ohne dass vorher irgend
30*
524 Armin Weiß,
eine Verdichtung des Gewebes aufgetreten wäre. Es legt sich dem-
nach der definitive Wirbelkörper wohl primär knorpelig an. Die bei-
den bilateralen Knorpelherde verschmelzen sehr rasch dorsal und
ventral von der Chorda, so dass die ursprünglich bilaterale Anlage
dem Beobachter leicht entgehen kann. Nahezu gleichzeitig mit dem
Körperknorpel erscheint auch Knorpel im Inneren des dichten Bogen-
gewebes.
Der »definitive Zustand« kommt dadurch zu Stande, dass mit
der Verknorpelung der Bogenbase die einheitliche Verbindung von
Körper und Bogen hergestellt wird.
Der weitere Fortschritt der Entwicklung besteht im Wesentlichen
in Vergrößerung von Körper und Bogen, von denen sich der erstere
in eraniocaudaler Richtung auf Kosten der Horizontalplatte derart
vergrößert, dass dieselbe völlig knorpelig wird und man mit SCHULTZE
thatsächlich ein Stadium in der Wirbelsäulenentwicklung annehmen
muss, in welchem dieselbe einen ununterbrochenen Knorpelstab dar-
stell. Die definitive Bandscheibe ist ein sekundäres Gebilde, das
durch Rückbildung des Körperknorpels in der Intervertebralregion
entsteht. Nur der Annulus fibrosus ist ein primärer Abkömmling des
vordersten Antheiles der Horizontalplatte. So weit das Verhältnis der
typischen Wirbel. Der Epistropheus unterscheidet sich davon in
seiner Entwicklung nur unwesentlich. Seine abnormale Gestalt er-
hält er erst durch die Verbindung mit dem Atlaskörper.
Eigenartige Verhältnisse zeigt die Region des Atlas und des
Oceipitalwirbels, und an dieser Stelle besteht ein wesentlicher
Unterschied zwischen Ratte und Rind. FRrorIEP fand, dass die be-
sondere Ausbildung des Atlas bei Rindsembryonen im Ȇbergangs-
stadium« beginne, indem sich der Bogen dieses Wirbels mit seinem
Körper nicht verbinde, sondern sich ventral vom Körper mittels einer
»hypochordalen Spange« schließe. Solche hypochordale Spangen fand
FRORIEP vorübergehend in rudimentärer Ausbildung am Oceipital-
wirbel, Epistropheus und an den übrigen Halswirbeln.
Bei der Ratte sind derartige rudimentäre Spangen-
anlagen an den Halswirbeln in keinem meiner Stadien zu
sehen. Am Oeccipitalwirbel fand FrorIEP Körper und Bogenanlagen;
in beiden selbständige Knorpelherde, die dann mit dem aus rudimen-
tären Wirbelanlagen bestehenden, »scheinbar ungegliederten Ab-
schnitt« des Schädels knorpelig verschmelzen.
Bei der Ratte sind die Verhältnisse der Atlas- und Oeceipital-
wirbelentwicklung anders. Ihr besonderer Entwicklungsgang ist
{
Dıe Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte ete. 525
bereits durch ihr primäres Verhalten gekennzeichnet und zwar für
beide Wirbel in nahezu gleicher Weise. Ihre Anlagen sind dadurch
charakterisirt, dass die seitliche Umwachsung des Körperbezirks
durch den Primitivwirbelbogen nicht zu Stande kommt; das heißt:
dem Atlas und dem Oeceipitalwirbel fehlen die Vertikalplatten oder
Bogenbasen. Daraus folgt von vorn herein, dass an diesen zwei
Wirbeln eine Verbindung zwischen Körper und Bogen nicht eintreten
kann. Wir finden dafür an diesen Anlagen ventral von der Chorda
eine Verbindung der beiden Bogenhälften.
Im Übrigen verläuft die Chorda dorsalis unter dem der cranialen
Fläche der Schädelbasis aufsitzenden Perichondrium bis in die Gegend
der Hypophysis cerebri, so dass auch der »scheinbar ungegliederte
Abschnitt« in der Mitte ventral von ihr zu liegen kommt!.
Bezüglich der Horizontalplatte der beiden Wirbel wäre zu er-
wähnen, dass dieselbe am Primitivwirbelbogen des Atlas wohl vor-
handen, jedoch nicht deutlich ausgebildet ist. Am Oceipitalwirbel
fehlt sie vollkommen.
Die Körperanlage des Atlas bietet, abgesehen von der fehlenden
Vereinigung mit dem Bogen, nichts Abweichendes dar. Eigenthüm-
liche Verhältnisse aber zeigt der zwischen den Primitivwirbelbogen
des Oceipitalwirbels und des Atlas gelegene Körperbezirk. Es nimmt
nämlich hier die Perichordalschicht im Gegensatz zu ihrem Verhalten
in den übrigen Körperbezirken, wo sie mit dem Auftreten des Knorpels
verschwindet, konstant an Größe zu. Es wird dabei dieses eraniale
Ende derselben kugelig aufgetrieben und schließlich tritt in ihrem
Inneren Knorpel auf. Sobald dieser völlig deutlich geworden ist,
verschwindet die zwischen ihm und dem Körperknorpel des Atlas
gelegene mittlere Partie der Horizontalplatte des Atlas. Da die seit-
lichen Antheile derselben noch einige Zeit erhalten bleiben, so ist
hier die Grenze zwischen beiden Anlagen noch deutlich erkennbar.
Schließlich verschmilzt diese Anlage mit dem Atlaskörper völlig und
bildet die Spitze des Dens epistrophei. Jedoch lässt sich bei genauer
Beobachtung die Grenze zwischen beiden durch geringe Einziehungen
an der ventralen und dorsalen Seite und endlich durch eine kleine
Chordaanschwellung an dieser Stelle bis zur neugeborenen Ratte ver-
folgen. Zweifellos feststehend erscheint es mir, dass diese Bildung
! Über den Verlauf der Chorda dorsalis im Schädel siehe: v. MIHALCOVICS
(35), H. MÜLLER (34), KÖLLIKER (33), FRORIEP (32). HAssE zeichnet sie in den
Abbildungen seiner Arbeit über Atlas und Epistropheus in die Knorpelmitte der
Anlage der Schädelbasis,
526 Armin Weiß,
einem durch Verknorpelung der Perichordalschicht entstandenen rudi-
mentären (primären) Wirbelkörper entspricht, der mit dem Atlaskörper
knorpelig verschmilzt und die Spitze des Dens epistrophei bildet.
Die Berechtigung diese Bildung als Wirbelkörper aufzufassen
ergiebt sich erstens aus dem Auftreten desselben in einem
Körperbezirk, und zweitens aus dem Durchtreten der
Chorda dorsalis durch denselben.
Es steht nun noch die Frage offen, welchem Wirbel diese Bil-
dung als Körper angehört. Eine definitive Entscheidung über die
Zugehörigkeit dieser postoceipitalen Wirbelkörperanlage erscheint mir
nach den bisherigen Beobachtungen noch verfrüht. Immerhin aber
glaube ich, dass derselbe vorläufig in zweierlei Weise gedeutet wer-
den könnte, und zwar erstens: als »Oentrum« (Körper) eines rudi-
mentären Proatlas, dessen Bogen fehlen. Dafür sprechen
Funde von Bogen- und Körperrudimenten zwischen Atlas und Hinter-
haupt bei verschiedenen Thieren. In diesem Falle aber bestände der
Oceipitalwirbel, der sich mit dem »scheinbar ungegliederten Abschnitt«
des Schädels verbindet, nur aus den beiden, durch eine ven-
trale Spange verbundenen Bogenhälften. Denn, obwohl bei
oberflächlichem Vergleich meiner Bilder mit denen Frorızr’s das
ventrale Mittelstück dem Oceipitalwirbelkörper der Rindsembryonen
identisch erscheinen könnte, so ist diese Deutung unmöglich, da das-
selbe der Abkömmling einer dunklen Sclerotomhälfte ist. Der
eigenthümliche Verlauf der Chorda dorsalis auf der Dorsalseite der
Oceipitalwirbelanlage kommt bei ihrem bekannten variablen Verhalten
erst in zweiter Linie in Betracht (siehe Anm. p. 525). Zweitens: als
rudimentärer Körper des Oceipitalwirbels, der sich mit
dem Dens epistrophei verbindet, während seine Bogen, wie
die des Atlas, sich ventral von der Chorda vereinigen und
dem scheinbar ungegliederten Abschnitt anschließen. Für
diese Auffassung spricht vor Allem die Entwicklung dieses rudimen-
tären Wirbelkörpers in dem zum Oeccipitalwirbel gehörigen Körperbezirk.
Übrigens stimmt nach dieser Auffassung das entwicklungsgeschicht-
liche Verhalten des Oceipitalwirbels mit dem des Atlas überein.
Zweifellos feststehend aber ist das eine, dass der zur
Schädelbildung herangezogene Theil des Occipitalwirbels
nur ein ventral von der Chorda geschlossenes Bogen-
paar ist.
Ob der von mir gefundene rudimentäre Wirbelkörper mit dem Os
terminale in irgend welchem genetischen Zusammenhang steht, so
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte etec. 597
dass dieses vielleicht keine Epiphyse wäre, darüber geben die Unter-
suchungen bis zur neugeborenen Ratte keinen Aufschluss, da um diese
Zeit in dieser Gegend noch keine Spur einer Verknöcherung zu sehen
ist. Zweifellos aber scheint mir der bei der Ratte vorkommende rudi-
mentäre Wirbelkörper mit den makroskopischen Befunden DoLLo’s
und ALBRECHT’s identisch, die unter dem Namen »ÜCentrum des Pro-
atlas« bekannt sind. Freilich wäre es dabei die Frage, ob nicht
diese Funde Rudimente eines Oceipitalwirbelkörpers seien.
Der zu dem beschriebenen Wirbelkörper gehörige Nervus spina-
lis I ist, wie dies FRorIEP bei erwachsenen Ratten sah, auch embryonal
rudimentär, da er keine dorsale Wurzel mehr besitzt.
Die Abgrenzung des Oceipitalwirbels gegen den »scheinbar un-
segliederten Abschnitt« bildet bei der Ratte neben der Durchtritt-
stelle des Nervus hypoglossus durch längere Zeit hindurch eine bis-
her nicht beschriebene, mediane Gefäßlücke im Knorpel, über deren
Mitte die Chorda dorsalis liegt, und durch welche zwei Venen ziehen.
Nach ihrem Verschwinden bildet der Nervus hypoglossus die letzte
craniale Abgrenzung des Oceipitalwirbels gegen den »scheinbar un-
segliederten Abschnitt« der Basis cranii.
Kurz gefasst hätten wir also bei der Ratte folgende ihr eigen-
thümliche Verhältnisse in der Entwicklung der Wirbelsäule.
1) Die Verbindung zwischen Körper und Bogen erfolgt an allen
Wirbeln dadurch, dass der Primitivwirbelbogen sich an der Grenze
von Horizontal- und Vertikalplatte trennt und die letztere die Ver-
bindung zwischen Bogen und Körper herstellt (Bogenbase).
2) An den Brustwirbeln entspringt der Bogen am hinteren Rande
der Vertikalplatte, während er in der Halsregion seitlich von ihr
abgeht; der Epistropheus verhält sich wie die übrigen Halswirbel.
3) Aus der Horizontalplatte geht nur vorn die Anlage des Annulus
fibrosus hervor; der übrige Theil der Bandscheibe ist eine sekundäre
Bildung (vgl. ScHULtze).
4) Der primitive Wirbelbogen des Atlas besitzt keine Vertikal-
platte. Daher ist eine Verbindung von Körper und Bogen schon
primär ausgeschlossen. Auch seine Horizontalplatte ist nur gering
entwickelt. Dafür schließen sich die beiden Bogen ventral von der
Chorda (Hypochordalspange FRorIEP’s. Die Anlage des Knorpels
in dieser ventralen Verbindungsspange erfolgt bilateral. Solche ven-
trale Spangen fehlen an allen übrigen Halswirbeln der Ratte.
528 Armin Weiß,
5) In dem zwischen Oceipitalwirbel- und Atlasanlage gelegenen
Körperbezirk entwickelt sich nur aus der Perichordalschicht
ein rudimentärer, postoceipitaler Wirbelkörper, der ver-
knorpelt, schließlich mit dem Atlaskörper verwächst und die Spitze
des Dens epistrophei bildet. Diese Körperanlage ist entweder das
Rudiment eines Proatlas oder der rudimentäre Körper des Oceipital-
wirbels.
6) Die Oceipitalwirbelanlage selbst besteht aus einem (einer dunk-
len Sclerotomhälfte entstammenden) hypochordal geschlossenen primi-
tiven Wirbelbogenpaar, das sich eben so wie die ihm entsprechende
Anlage des Atlas verhält, nur dass hier auch die Horizontalplatte des
Primitivwirbels vollkommen fehlt.
Daraus geht hervor, dass bei der Ratte nur ein ventral
von der Chorda geschlossenes Bogenpaar ohne Körper als
Oceipitalwirbel in den Schädel einbezogen wird.
7) An der Grenze zwischen Oceipitalwirbel und »scheinbar un-
segliedertem Abschnitt« besteht in der Mitte der Basis eranii eine
Lücke, durch die zwei Venen ziehen, die Verbindungen von Venen-
netzen an der Schädelbasis und retropharyngealen Venennetzen dar-
stellen. Über diese Lücke zieht die Chorda dorsalis. Bei Ratten-
embryonen von ca. 13—15 mm SS schließt sich die Lücke knorpelig.
Meinem verehrten Lehrer und Chef, Herrn Hofrath Professor
Dr. ZUCKERKANDL, sei für seinen unermüdlichen Rath, mit dem er
meine Arbeit jederzeit unterstützte an dieser Stelle mein aufrichtig-
ster Dank ausgesprochen.
Wien, im December 1900.
Nachtrag.
SCHAUINSLAND, Weitere Beiträge zur Entwicklungsge-
schichte der Hatteria (Archiv für mikr. Anatomie Bd. LVI). Diese
erst nach Abschluss meiner Arbeit in meine Hände gelangte Publi-
kation erscheint mir in so fern sehr interessant, weil nach derselben
die Region zwischen Atlas- und Hinterhauptsanlage bei Hatteria ganz
ähnliche Verhältnisse zeigt, wie bei der weißen Ratte.
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte ete. 529
Litteraturverzeichnis'.
a. Über Entwicklung der Wirbelsäule.
1. AHLBORN, Über Segmentation des Wirbelthierkörpers. Diese Zeitschr.
Bd. XL. |
2. BERGMANN, Einige Beobachtungen und Reflexionen über die Skelettsysteme
der Wirbelthiere, deren Begrenzung und Plan. Göttinger Studien 1845.
3. CORNING, Über sogenannte Neugliederung der Wirbelsäule und Schicksal
der Wirbelhöhle bei Reptilien. Morph. Jahrb. Bd. XVII.
4. v. EBNER, Urwirbel und Neugliederung der Wirbelsäule. Sitzungsber. der
kaiserl. Akad. der Wissensch. Abth. III. Bd. XLVI.
5. Derselbe, Über die Beziehungen der Wirbel zu den Urwirbeln. Ebenda.
Abth. II. Bd. LI.
-6. FRORIEP, Zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelsäule, insbesondere des
Atlas und Epistropheus und der Ocecipitalregion. a. Nach Untersuchun-
sen am Hühnchen. Archiv für Anat. und Physiol. Anat. Abth. 1883.
b. Nach Untersuchungen an Rindsembryonen. Ebenda. 1886.
7. Derselbe, Über ein Ganglion des Hypoglossus und Wirbelanlagen in der
Oceipitalregion. Ebenda. 1882.
8. Derselbe, Entwicklungsgeschichte des Kopfes. Ergebnisse der Anatomie u.
Entwicklungsgesch. Bd. Tu. IH.
9. FRoRIEP u. BECK, Über das Vorkommen dorsaler Hypoglossuswurzeln mit
Ganglion in der Reihe der Säugethiere. Anat. Anz. Bd. X.
10. GAupP, Entwicklungsgeschichte der Wirbelsäule. (Zusammenfassende Dar-
stellung.) Zool. Centralblatt. Jahrg. 3, Nr. 10, u. Jahrg. 4, Nr. 16, 25, 26.
11. Derselbe, Referat über das Kopfskelett. Jahresbericht für Anatomie und
Entwicklungsgeschichte. Bd. II.
12. Derselbe, Metamerie des Schädels. Ergebnisse der Anatomie und Entwick-
lungsgeschichte. Bd. VIL. 1897.
13. GoETTE, Über den Wirbelbau bei den Reptilien und einigen anderen Wirbel-
thieren. Diese Zeitschr. Bd. LXIH. 1896.
14. HAGen, Die Bildung des Knorpelskeletts beim menschlichen Embryo. Arch.
für Anat. und Physiol. Anat. Abth. Heft 1/2. 1900.
15. Hasse, Die Entwicklung des Atlas und Epistropheus des Menschen und der
Säugethiere. Anat. Studien. Bd. I.
16. KOLLMANN, Die Rumpfsegmente menschlicher Embryonen von 13—35 Urwir-
beln. Archiv für Anat. und Physiol. Anat. Abth. Heft 1. 1891.
17. v. KUPFFER, Entwicklungsgeschichte des Kopfes. Ergebnisse der Anatomie
. und Entwicklungsgeschichte. Bd. II.
18. MÄNNER, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelsäule bei Repti-
lien. Diese Zeitschr. Bd. LXVI. Heft 1.
! Bei der ungeheuren Anzahl der Arbeiten über dieses Thema kann natürlich
die angeführte Litteraturzusammenstellung in keiner Weise Anspruch auf Voll-
ständigkeit machen. Es schien mir dies auch nicht zweckmäßig, da ohnedies in
letzter Zeit vorzügliche zusammenfassende Darstellungen (siehe 1. e.) über dieses
Thema erschienen sind. Es wurden daher nur jene Arbeiten, die Amnioten be-
treffen und in näherem Zusammenhang mit meiner Arbeit stehen, erwähnt.
22.
23.
31.
Armin Weiß,
RATHKE, Entwicklungsgeschichte der Natter. Königsberg 1839.
Derselbe, Über Entwicklung der Schildkröten. Braunschweig 1848.
Derselbe, Untersuchungen über die Entwicklung und den Körperbau der
Krokodile. Braunschweig 1866.
Rerzıus, Bidrag till kännedomen om halskotorna. Medieinsk Archif 1864.
l. ec. bei HAsse.
RoBIn, Notes sur le developpement de la notochorde. 1. e. HAssE.
SCHULTZE, Über embryonale und bleibende Segmentirung. Verhandl. der
anat. Gesellsch., 10. Versammlung in Berlin.
b. Litteratur über den Proatlas.
ALBRECHT, Sur le centre du Proatlas chez un Macacus arctoides. J. Geoffr.
Bull. Mus. Roy. Hist. Nat. Belg. 1883.
Derselbe, Über den Proatlas, einen zwischen dem Oceipitale und dem Atlas
der amnioten Wirbelthiere gelegenen Wirbel. Zool. Anzeiger. 1880.
BAur, The Proatlas and Axis of the Crocodilia. American Naturalist.
Vol. XX. No. 3.
Derselbe, Über den Proatlas einer Schildkröte. Anat. Anzeiger. Bd. X.
1895.
CORNET, Note sur le pretendu proatlas des Mammiferes et de Hatteria
punctata. Bull. Acad. Roy. Belg. Tome XV. 1888.
DoLLo, Sur le centre du Proatlas. Bruxelles 1889. Extr. d. Bulletin de la
Societe anthropolog.
FUNKE, Über einen Processus odontoideus atlantis hominis. Anat. Anzeiger.
Bd. ZEV Nr 15.
HowEs, On Hatteria (Proatlas). Proceed. of the Zool. Soc. of London for
1890.27 Bart IE
TROLARD, Note sur la presence d’un petit arc osseux dans l’epaisseur du
ligament atlanto-oceipital posterieur. Comptes rendus hebdomaire de
la societe de biologie. Serie IX. Tome IV.
öla. Weiss, Ein postoceipitaler Wirbelkörper bei Rattenembryonen. (Vorläufige
82.
39.
34.
30.
36.
37.
38.
39.
Mittheilung.) Verh. des physiol. Klubs zu Wien. Sitzung am 8. Mai 1900.
c. Litteratur über den Kopftheil der Chorda dorsalis.
FRORIEP, Kopftheil der Chorda dorsalis.
KÖLLIKER, Grundriss der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der
höheren Thiere. Leipzig 1884.
H. MÜLLER, Über Vorkommen von Resten der Chorda dorsalis bei Men-
schen nach der Geburt ete. Zeitschr. für ration. Mediein. ReiheIll. Bd.H.
1858.
v. MmArKkowıcs, Wirbelsaite und Hirnanhang. Arch. für mikr. Anat. Bd. XI.
1875.
d. Lehr- und Handbücher.
HENLE, Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen. Bänder-
lehre. Braunschweig 1872. p. 49.
0. HERTwIG, Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der
Wirbelthiere. Jena 1898.
KÖLLIKER, siehe Nr. 33.
KOoLLMAnn, Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen. Jena 189,
x
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte etec. 531
40. LuscHkA, Anatomie des Menschen. Bd. I. p. 58.
41. SCHULTZE, Grundriss der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der
Säugethiere. Leipzig 1897.
Erklärung der Abbildungen,
Gemeinsame Bezeichnungen:
b, Primitivwirbelbogen —= dunkle cau- Z, mediane Lücke zwischen Oceipital-
dale Sclerotomhälfte ; wirbel und scheinbar ungeglieder-
B, Wirbelbogen; _ tem Abschnitt;
Ch, Chorda dorsalis ; R, Rückenmark;
HA, Horizontalplatte; U, scheinbar ungegliederter Abschnitt;
k, Körperbezirk = helle eranialeSclero- Y, ventrale Verbindungsspange der
tomhälfte; Bogen.
K, knorpeliger Körper;
Von den den Buchstaben angehängten Indices bedeutet:
0, Oceipitalwirbel; 1, Atlas; 2, Epistropheus; n, typischer Wirbel.
Tafel XXXVIII und XXXIX.
Fig. 1. Embryo A SS = 5 nm, Vergr. 100/1. Das frontal getroffene hin-
tere Ende des Embryo. Z, Extremität; I, Intervertebralspalte; My, Myotom;
Sc, Selerotom; t, Interprotovertebralgefäße; «, Urwirbel; «A, Urwirbelhöhle.
Fig. 2. Frontalschnitt durch die vorderste Halsregion desselben Embryo.
Vergr. 50/1. Der Schnitt zeigt die Anlage des Oceipitalwirbels und der ersten
drei Halswirbel. Zy, Nervus hypoglossus; My, Myotom; ., Interprotovertebral-
gefäße; N, Spinalnerv; R’, Rautenhirn.
Fig. 3. Sagittalschnitt durch die Mitte eines Embryo von SS = 9 mm,
Vergr. 50/1. Der Embryo zeigt die einzelnen Anlagen der Horizontalplatten und
der Körperbezirke. Außerdem das Verhältnis der ventralen Verbindungsspangen
der Atlas- und Oceipitalwirbelanlage zur Chorda dorsalis und die erste Anlage
des postoceipitalen Wirbelkörpers. Ph, Pharynx; %,, postoceipitaler Wirbel-
körper.
Fig. 4. Lateraler Sagittalschnitt durch den Embryo von SS = 9 mm,
Vergr. 50/1. Die Abbildung zeigt den Durchtritt des Nervus hypoglossus (Hy).
Die Spinalnerven (N1,2,3), welche mit Ausnahme des ersten Ganglien (@2, 3, 4) be-
sitzen. Außerdem die Bogenanlagen der einzelnen Wirbel. A,, Arteria vertebralis.
Fig. 5. Sagittalschnitt durch die Mitte eines Embryo von SS = 10 mm,
Vergr. 50/1. Die Figur zeigt hauptsächlich den Beginn der Knorpelanlagen der
Wirbelkörper, die stärkere Isolation des ventralen Atlasbogens von seiner Hori-
zontalplatte und die Fortbildung des postoceipitalen Wirbelkörpers (k,). Ph,
Pharynx.
Fig. 6. Lateraler Sagittalschnitt in der Brustregion desselben Embryo.
Vergr. 100/1. Diese Figur zeigt das Lageverhältnis des Bogens zur Horizontal-
platte bei seinem typischen Abgang am hinteren Rande der Vertikalplatte
(Brustregion).
Fig. 7. Lateraler Sagittalschnitt durch die Halsregion desselben Embryo,
532 Armin Weiß, Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte ete.
Vergr. 100/1. Diese Figur zeigt das Lageverhältnis des Bogens zur Horizontal-
platte bei seinem vom Typus abweichenden Abgang (Halsregion).
Fig. 8. Horizontalschnitt durch einen Embryo von SS = 11mm. Vergr. 50/1.
Derselbe zeigt den knorpeligen Körper und die mit demselben verbundenen
knorpeligen Bogen des Epistropheus. Vor demselben den noch bindegewebigen
ventralen Bogen des Atlas mit den bilateral auftretenden Knorpelherden (Ano).
Fig. 9. Horizontalschnitt durch einen Embryo von SS = 11 mm an der
Grenze zwischen Oceipitalwirbel und scheinbar ungegliedertem Abschnitt. Vergr.
50/1. Derselbe zeigt die an der Grenze zwischen Oceipitalwirbel und »schein-
bar ungegliederten Abschnitt« befindliche mediane Lücke. Außerdem die Durch-
trittstelle des Nervus hypoglossus (Zy) und Venennetze (Ve) auf der Schädelbasis
wie dorsal vom Pharynx.
Fig. 10. Sagittalschnitt durch die Mitte eines Embryo von SS = 12 mm,
Vergr. 50/1. Derselbe zeigt fortschreitende Verknorpelung der Wirbelkörper
bei gleichzeitiger Rückbildung der Horizontalplatte und der Chorda. In dem
postoceipitalen Wirbelkörper (X,) Beginn von Knorpelbildung. Außerdem die
durch die basale Lücke im Oceipitale ziehenden Venen (Ve).
Fig. 11. Horizontalschnitt durch die Oceipitalregion eines eben so großen
Embryo, wie in Fig. 10, an der Grenze von Oceipitalwirbel und scheinbar unge-
gliedertem Abschnitt. Vergr. 50/1. Zeigt die Anastomose der durch die Lücke
durchtretenden Venen (Ve) über der Chorda dorsalis. Zy, Nervus hypoglossus.
Fig. 12. Sagittalschnitt durch die Mitte eines Embryo von SS = 13 mm,
Vergr. 70/1. Der Knorpel des postoceipitalen Wirbelkörpers (X,) ist deutlich
entwickelt, der vorderste Theil der Horizontalplatten hat sich zum Annulus fibro-
sus (Af) umgewandelt. Im Übrigen ist die Horizontalplatte nahezu verschwun-
den. Das Ligamentum longitudinale posticum (Z.!.p) bereits deutlich entwickelt.
Fig. 13. Ein lateraler Sagittalschnitt desselben Embryo. Vergr. 70/1. Der-
selbe zeigt, dass der Knorpelherd des postoccipitalen Wirbelkörpers (X,) von
dem des Atlas seitlich noch vollkommen getrennt ist. Af, Annulus fibrosus;
Ph, Pharynx.
Fig. 14. Plattenmodell eines Embryo von SS = 13 mm. Vergr. 75/1, in
der Zeichnung auf 1/a verkleinert. Die Bogen des Atlas wurden weggelassen,
um den postoceipitalen Wirbelkörper (K,) in der Ansicht von vorn zeigen zu
können. Man sieht überdies die verschmolzenen Körper des Atlas und Epi-
stropheus (X, + Ks) und zum Theil den Körper des dritten Halswirbels (Xs). Die
zugehörigen Bogen sind Da und By. Ra und Rz sind die vorderen Spangen
des Querfortsatzes oder das Rippenäquivalent. 2.2, die Incisura transversaria
'ungeschlossenes Foramen transversarium), in der die Arteria vertebralis liegt.
Fig. 15. Sagittalschnitt durch die Mitte eines Embryo von SS = 15 mm.
Die Stelle der früheren Lücke (Z’) jetzt durch Knorpel ausgefüllt, aber die Grenze
zwischen dem Mittelstück des Oceipitalwirbels und dem »scheinbar ungeglieder-
ten Abschnitt« noch sichtbar. Z.l.p, Ligamentum longitudinale postic.; 4Af, Annu-
lus fibrosus; K,, postoceipitaler Wirbelkörper.
Fig. 16. Sagittalschnitt durch die Mitte eines Embryo von SS = 20 mm.
Die Wirbelkörper der drei ersten Wirbel bilden den Epistropheus mit dem Zahn.
Schädelbasis (Ba) in der Oceipitalregion eine einheitliche Platte. Af und ZL.l.p
siehe Fig. 15. Der unterste Theil der Wirbelkörper springt ventral vor.
Bw;
Über die Kiemen der Fische.
Von
A. Goette.
Mit Tafel XL—XLIII und 1 Figur im Text.
Ungleich den meisten anderen Organen der Wirbelthiere sind
die Fischkiemen seit den ersten eingehenden Untersuchungen über
sie im Allgemeinen übereinstimmend beurtheilt worden, und zwar in
dem Sinne, dass sie durchweg auf dieselbe Grundform zurückzuführen
seien. Nur verstanden die älteren Beobachter unter dieser Grund-
form den »gemeinsamen Bauplan«, die späteren die wirkliche gemein-
same Ausgangsform, von der die Kiemen der verschiedenen Ord-
nungen der Fische sich durch einzelne Abänderungen mehr oder
weniger entfernen.
Schon RATHkKE (28) kam durch umfassende Vergleiche zu dem
Ergebnis, dass 1) alle Visceralbögen (Kiefer-, Zungenbein-, Kiemen-
bögen), und 2) alle an ihnen vorkommenden Kiemenauswüchse
(Kiemenblättchen) einander gleich seien. Er gab ferner an, dass alle
diese Kiemen an den taschenförmigen Fortsetzungen der Darmschleim-
haut entstehen, die zwischen den Visceralbögen nach außen vor-
wachsen, und dass die zu einem Bogen gehörigen Kiemen in der
Regel an einer vom Bogen nach außen wachsenden Platte befestigt
sind, so dass deren vordere und hintere Fläche je eine Kiemen-
blättchenreihe tragen. Fehlt diese Platte oder Scheidewand voll-
ständig, wie bei den meisten Knochenfischen, dann stehen die Kiemen-
blättchen frei auf ihrem Bogen; doch schon bei den Salmoniden,
Cypriniden, Pleuronectiden ete., ferner bei allen Ganoiden ist die
Scheidewand so weit ausgebildet, dass nur die äußeren Enden der
Kiemenblättchen frei bleiben. Alle diese mehr oder weniger freien
Kiemen werden von dem Kiemendeckel des Zungenbeinbogens über-
deckt.
534 A. Goette,
Bei den Haien und Rochen wachsen die Scheidewände über die
äußeren Enden der angewachsenen Kiemenblättchen sehr weit vor
und überdeecken daher die Kiemen vollständig; indem ferner die
Ränder dieser Scheidewände oben und unten bis auf eine kurze
mittlere Strecke (äußere Kiemenöffnungen) mit einander verwachsen,
kommen die Kiemen in wirkliche Säcke oder Höhlen zu liegen. Ein
Kiemendeckel des Zungenbeinbogens ist bei den Haien und Rochen
allerdings vorhanden, aber so rudimentär, dass er die äußeren Kiemen-
öffnungen nicht überdeckt. Bei den Holocephalen ist dagegen ein
typischer Kiemendeckel vorhanden und zugleich treten die Scheide-
wände der Kiemenbögen nur oben und unten zwischen den Kiemen-
blättehen hervor, so dass von abgeschlossenen Kiemenhöhlen nicht
die Rede sein könne, und die Holocephalen in der Kiemenbildung
sich mehr den Ganoiden und Teleostiern als den Haien und Rochen
anschließen und jedenfalls den Übergang von einem Typus der
Kiemenbildung zum anderen darstellen.
Die Kiemen der Cyelostomen vergleicht RATHKE unmittelbar mit
denen der Selachier, und findet die Unterschiede wesentlich nur in
der Zahl der Kiemensäcke und in dem Skelett. Das ganze Kiemen-
gerüst der Cyelostomen sollte nämlich nach seiner Lage nur den
»äußeren« Kiemenknorpeln der Selachier vergleichbar sein, so dass
den Rundmäulern die eigentlichen Kiemenbögen der übrigen Fische
fehlten. Diese Ansicht RATHke’s ist von den meisten seiner Nach-
folger gebilligt worden, bis DOHRN nachwies (4, p. 118 ff., 5, p. 194 ff.),
dass jene Außenknorpel der Selachier nur etwas verlagerte Kiemen-
strahlen sind, in jeder Scheidewand doppelt (oben und unten) ent-
stehen und ursprünglich den Kiemenblättchen parallel nach außen
ziehen, also mit den Kiemenknorpeln der Cyclostomen keine Ähnlich-
keit haben, wogegen diese mit den absteigenden Kiemenspangen aller
anderen Fische übereinstimmten.
Noch in einem anderen Punkt ist RATHKE’s Darstellung korrigirt
worden, nämlich hinsichtlich der Gleichstellung der Kiemendeckel-
kieme der Selachier und Ganoiden mit der Pseudobranchie der Tele-
ostier (28, p. 60). J. MÜLLER zeigte (23), dass diese Pseudobranchie
nur der Spritzlochkieme entspricht, während die Kiemendeckelkieme
bei den Teleostiern vollkommen fehlt. Allerdings wurde MÜLLER’s
Beweisführung bis in die neueste Zeit nicht anerkannt; erst DOHRN
bestätigte auf Grund neuer Untersuchungen die MÜLLEr’schen An-
gaben (8), und ihm schloss sich Maurer (22) an.
In allen übrigen Stücken jedoch, und namentlich in der Gleich-
Über die Kiemen der Fische. 535
stellung aller Fischkiemen ist Ratuke’s Darstellung bis jetzt maß-
gebend geblieben, so dass nur die Bestimmung der gemeinsamen Aus-
sangsform dieser Organe hinzukam. Stannıus wiederholt nur RArHke’s
und MÜLLER’s Angaben, HuxLey und GÜNTHER beschränken sich auf
eine ganz kurze Beschreibung; auch GEGENBAUR schließt sich im
Wesentlichen RATHKE an, fügt aber ausdrücklich hinzu, dass der
Kiemenapparat der Ganoiden und Teleostier von den vollkommenen
Kiementaschen, wie sie bei den Selachiern vorkommen, abzuleiten
sei (12, 806). Auch wird die Übereinstimmung aller dieser und
der Kiemen der Cyelostomen als »innere Kiemen« gegenüber den
integumentalen »äußeren Kiemen« der Amphibien hervorgehoben.
Noch bestimmter drückt sich MAURER aus, indem er die Kiemen aller
Fische als entodermale im Gegensatz zu den ektodermalen Außen-
kiemen der Amphibien bezeichnet (22, p. 20%). Auch CLEMENS (9,
p. 12 ff.) und WIEDERSHEIM (36, p. 312—514) vertreten diese Ansicht,
und reihen nur die accessorischen Außenkiemen einiger Ganoiden
und Dipnoer (Polypterus, Calamoichthys, Protopterus) den ektoder-
malen Amphibienkiemen an.
Die einzige grundsätzlich abweichende Auffassung der verschie-
denen Fischkiemen stammt von mir her (14, p. 738—743); ich er-
klärte bloß die Kiemen der Cyelostomen für innere, entodermale,
diejenigen der Selachier und Teleostier nach Ausweis ihrer Entwick-
lung für ektodermale Außenkiemen gleich denen der Amphibien. Diese
vor 25 Jahren gemachten Angaben sind allerdings bisher völlig todt-
geschwiegen worden, während die Ansicht von dem entodermalen
Ursprung aller typischen Fischkiemen die herrschende blieb!. Dess-
halb hielt ich es nicht für überflüssig, mit Hilfe neuer Untersuchungen
über die Entwicklung dieser Organe die Berechtigung der beiden
entgegengesetzten Ansichten noch einmal zu prüfen.
Die Kiemen der Neunaugen.
Ihre ersten Anlagen bestehen bekanntlich in acht paarigen seit-
lichen Darmtaschen, die die ganze Länge des Vorderdarmes von der
1 Einige Jahre später als ich hat auch SCHNEIDER die Homologie der
Kiemen der Cyelostomen und der übrigen Fische beanstandet (31, p. 78), aber
nur, weil er eben so wie RATHKE u. A. die beiderseitigen Kiemenknorpel für
verschiedene Stücke hielt. Dieser Grund kann jedoch, selbst wenn man seine
Richtigkeit zugiebt, eine grundsätzliche Verschiedenheit der Kiemen selbst nicht
ohne Weiteres beweisen, wie gerade aus der vielfach bestätigten Auffassung
RATHKE’s hervorgeht; jedenfalls kann ich nicht sagen, dass SCHNEIDER sich mir
angeschlossen hätte.
536 A. Goette,
ektodermalen Mundbucht bis an den Herzbeutel oder eben des Kiemen-
darmes einnehmen (Figg. 1—4). Zuerst entsteht die vorderste Kiemen-
tasche, dann successive die folgenden. Sie haben die Form von
Furchen, die in der ganzen Höhe des Darmes senkrecht verlaufen,
durch weite Mündungen mit ihm zusammenhängen und mit einem
verjüngten Grunde an die Oberhaut stoßen. Sie folgen einander so
dicht, dass die Wände zweier benachbarter Taschen zwischen den
inneren Mündungen in Kanten zusammenlaufen, und dass in Folge
dessen der frontale Durchschnitt des Kiemendarmes jederseits eine
Zickzacklinie beschreibt. Zwischen je zwei an einander stoßenden
Taschen ist ein Abschnitt der Seitenplatten eingeschlossen; jeder
solche Abschnitt nebst den ihn überziehenden Taschenwänden und dem
ihn außen überdeckenden Ektoderm heißt ein Kiemenbogen. Auch
der hinter der letzten Tasche befindliche und an seiner hinteren Seite
vom Herzbeutel begrenzte Bogen wird eben so bezeichnet; aus prak-
tischen Gründen empfiehlt es sich aber, den gleichwerthigen beiden
Bögen, die die erste Kiementasche einfassen, ihre besonderen Namen
als Kieferbogen und Hyoidbogen zu belassen.
Die Vorderwände der beiden vordersten Taschen bilden zugleich
die Vorderwand des ganzen Kiemendarmes; sie ist in ihrer unteren
Hälfte hinter und über der von unten vordringenden Mundbucht An-
fangs etwas eingebogen, weiter oben aber umgekehrt ausgebogen
und in einen medianen Zipfel ausgezogen (Figg. 1, 2, 14, 15). Dieser
verschwindet aber sehr bald, sowie auch die ganze Wand auf den
folgenden Stufen mannigfache Umbildungen erfährt. Der Boden des
Kiemendarmes verläuft schon an solchen Embryonen, die erst vier
bis fünf Kiementaschen besitzen, nicht mehr eben zwischen den
Kiementaschen, sondern erhebt sich im Bereich des ersten Kiemen-
bogens zu einer queren Falte, die jederseits in den inneren Rand
des Bogens übergeht (Figg. 2, 3, 14). Diese quere Falte scheidet
also einen vorderen Abschnitt des Kiemendarmbodens, in den die
beiden ersten Taschenpaare auslaufen, von einem hinteren Abschnitt,
an dem die übrigen Taschen ausmünden!. Sehr bald kommt an
diesem hinteren Abschnitt des Kiemendarmbodens jederseits eine
Längsfalte hinzu, die von dem ersten Kiemenbogen, also auch von
der queren Grenzfalte ausgehend, die inneren Ränder der Kiemen-
bögen mit einander verbindet und dadurch die tiefsten Abschnitte
! Da der Grund der zweiten Kiementasche zur Seite der queren Grenzfalte
gedrängt wird, so können Sagittaldurchschnitte, die man etwa auf einander pro-
Jieirt, kein klares Bild von der Mündung jener Tasche geben.
Über die Kiemen der Fische. 537
der anliegenden Kiementaschen gegen den Boden des Kiemendarmes
abschließt (Figg. 2, 3). Dieser Abschluss findet zuerst am dritten
Taschenpaar, also zwischen den ersten und zweiten Kiembenbögen
statt und schreitet dann rückwärts fort, so dass zuletzt alle folgen-
den Kiementaschen in derselben Weise an ihrem unteren Ende in
einen Blindsack auslaufen (Figg. 6, 7, 21, 22). In ähnlicher Art er-
weitern sich übrigens auch die dorsalen Abschnitte der Kiemen-
taschen zu Blindsäcken, die sich über den Darm hinaus erheben.
Zwischen den beiden Längsfalten erscheint der Boden des
Kiemendarmes natürlich rinnenförmig vertieft. Diese Rinne schließt
sich aber hinter dem zweiten Kiemenbogen, indem die beiden Längs-
falten dort zusammentreffen und den Boden des Kiemendarmes weiter-
hin gleichmäßig heben (Figg. 3, 6); sie reicht alsdann vom Hyoid-
bis zum zweiten Kiemenbogen. Auch nach vorn setzt sich die
Erhebung der Längsfalten im Bereich der zweiten Kiementasche fort;
in Folge der schwachen Entwicklung des Hyoidbogens divergiren
aber beide Falten nach vorn (Figg. 5, 21, 22). Über den Hyoidbogen
sehen sie nicht hinaus.
Die beschriebene Kiemendarmrinne ist die Anlage der Schild-
drüse, und die Längsfalten bezeichnen den Verlauf der in ihrem
Inneren eingeschlossenen Stämme der primären Kiemengefäße oder
Arterienstämme (Figg. 6, 7, 21, 22). Der aus dem Herzen aus-
tretende Arterienstamm verläuft bis an die Schilddrüsenanlage un-
setheilt, durch sie wird er zur Bifurkation veranlasst und geht nun
jederseits zwischen ihr und den Blindsäcken der Kiementaschen in
den Längsfalten weiter; daher divergiren auch beide Stämme im
Bereich der zweiten Kiementasche. Der unpaare Stamm entsendet
die Aortenbögen in den fünften bis siebenten Kiemenbogen, die
paarigen Äste setzen sich in die Aortenbögen des Hyoidbogens und
den vier ersten Kiembenbögen fort. Jeder Aortenbogen steigt nahe
am Innenrande seines Bogens in die Höhe, um sich in der Decke
des Kiemendarmes in die unpaare mediane Aorta zu ergießen, die
sich Anfangs erst an der Einmündung des ersten Aortenbogens gabelt.
Die Schilddrüsenanlage bleibt nur kurze Zeit rinnenförmig; ihre
Ränder ziehen sich sehr bald, erst in der vorderen, dann in der hinteren
Hälfte, zu einer mittleren Öffnung zusammen, die in die nunmehr
schlauchförmige Drüse führt (Figg. 6, 14—16). Aus dieser einfachen
Mündung wird ein Kanal, der sich schräg nach vorn richtet und daher
nur in Mediandurchschnitten gut kenntlich ist (Fig. 17). Er öffnet sich
in den Darm im Bereich der vierten Kiementasche (Figg. 21, 22).
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 36
538 A. Goette,
Eine Beschreibung der weiteren, bereits von DoHrNn (7, 9) dar-
sestellten Umbildungen der Schilddrüse liegt nicht in meiner Ab-
sicht, da ich mich mit der Entwicklung dieses Organs nur so weit
beschäftigte, als seine genetischen Beziehungen zu den Kiemen in
Frage kommen. Bekanntlich hat Domrn angegeben (7, 9, 10), dass
die ganze erste Kiementasche der Neunaugenlarven sich in die seit-
liche Schlundwimperrinne - verwandelt, die aus der Mündung der
Schilddrüse hervortritt und unmittelbar vor der zweiten oder der
ersten bleibenden Kiementasche zur dorsalen Wimperrinne des
Kiemendarmes hinaufsteigt. Dies werde dadurch herbeigeführt, dass
die ursprüngliche erste Kiementasche von Anfang an am Kiemen-
darmboden in die noch rinnenförmige Schilddrüsenanlage einmünde
und diese Einmündung bei der Zusammenziehung der Anlage eben-
falls nach hinten rücke und stets erhalten bleibe. Wie ich zeigte,
ist diese Annahme DoHrn’s nicht richtig; die Einsenkung des Kiemen-
darmbodens hinter der Querfalte, worin eben die erste Anlage der
Schilddrüse zu erblicken ist, findet hinter der zweiten Kiemen-
tasche statt, so dass die beiden ersten Kiementaschenpaare von
jeder direkten Kommunikation mit der Schilddrüsenanlage von vorn
herein ausgeschlossen sind. Und dasselbe gilt natürlich auch von
den übrigen Kiementaschen; denn die von vorn nach hinten fort-
schreitende Abgrenzung der Schilddrüsenanlage fällt eben damit zu-
sammen, dass die Längsfalten sich zwischen den Rändern der Kiemen-
bögen erheben und dadurch sowohl die Drüsenrinne wie andererseits
eine Scheidewand zwischen ihr und den angrenzenden Kiementaschen
bilden. Die Schilddrüsenanlage hat mit den Kiementaschen
keine direkten genetischen Beziehungen.
Dasselbe gilt von den Schlundwimperrinnen der Ammocoeten,
deren Entwicklung und Verlauf jedoch nur zu verstehen sind, wenn
man die Rückbildung der ersten Kiementasche und ihrer Umgebung
genau verfolgt.
Der Hyoidbogen nimmt sehr bald erheblich an Dicke ab, so
dass er nur noch eine schwache Vorwölbung gegen die Darmlichtung
bildet und zuletzt ganz verschwindet (Figg. 8-10). Seine ursprüng-
liche Lage bleibt aber durch den ersten Aortenbogen kenntlich, der
Anfangs in der Kante des Hyoidbogens verläuft und diesen seinen
Platz nicht verlässt. Die zweite Kiementasche verliert durch diese
Rückbildung des Hyoidbogens allerdings ihren vorderen Abschluss,
bleibt aber nach hinten ausgebuchtet, um dort in der ersten bleiben-
den Kiemenspalte nach außen durchzubrechen. Die erste Kiemen-
Über die Kiemen der Fische. 539
tasche bildet sich dagegen, wie schon längst bekannt ist, vollständig
zurück. Durch die Abflachung des Hyoidbogens wird zuerst ihre
Hinterwand ganz sagittal gestellt, und darauf erfährt auch ihre Vorder-
wand dieselbe Umlagerung in Folge ihrer Betheiligung an der Bil-
dung der Gaumensegel, die daher hier kurz erläutert werden soll.
Die ektodermale Mundbucht entsteht vor und unter dem Vorder-
ende des Kiemendarmes als eine längliche Grube, deren vordere Hälfte
sich erweitert und in zwei vordere und zwei hintere Kanten auszieht,
während die hintere Hälfte sich zu einer engen medianen Tasche
zusammenzieht, die sich mit der Vorderwand des Kiemendarmes
verbindet (Figg. 2—6, 14, 15). Unter fortdauernder Verbreiterung
verkürzt sich darauf die ganze Mundbucht, während die Vorderwand
des Kiemendarmes dachförmig gebogen gegen sie vordringt. Die
beiden hinteren Kanten der vorderen Mundbuchthälfte, die später zu
der ganzen eigentlichen Mundhöhle wird, vertiefen sich zu engen
Taschen, die schräg rückwärts und ungefähr parallel zur Vorder-
wand des Kiemendarmes hinziehen, so dass zwischen beiden Hohl-
räumen, dem Kiemendarm und der vorderen Mundbucht, eine dicke
Scheidewand entsteht (Figg. 8—10). Diese wird durch die hintere
mediane Mundbuchttasche in zwei Hälften getheilt, eben die künf-
tigen Gaumensegel. Das Epithel jener Tasche buchtet sich an
ihrem Grunde jederseits in das Gaumensegel aus; zwischen beiden
Ausbuchtungen bricht die Mundbucht in den Kiemendarm durch, und
die Ränder des Durchbruchs rücken weit aus einander, so dass das
Ektoderm jener Ausbuchtungen noch zur Bekleidung der konkaven
Hinterwand der Gaumensegel benutzt wird (Figg. 11, 20).
Im Anfange der Entwicklung der Gaumensegel zieht das Epi-
thel der ersten Kiementasche von ihrem Grunde aus glatt bis zur
Durchbruchsstelle der Mundbucht hin {Figg. 8, 9); während der folgen-
den Vorwölbung der Gaumensegel erleidet aber jene Kiementaschen-
wand ungefähr in der Mitte eine Biegung, so dass ihre Vorderhälfte
quer die hintere Fläche des Gaumensegels überzieht, die Hinterhälfte
aber nunmehr eben so wie die Hinterwand derselben Kiementasche
sich ganz sagittal stellt (Fig. 10). Dadurch wird die Einsenkung der
Tasche beinahe ganz ausgeglichen, und das Darmblatt verläuft in
diesem allerdings nur kurz dauernden Stadium von der ersten wirk-
lichen Kiemenspalte (zweite Tasche) bis zum Gaumensegel mit ziem-
lich glatter Oberfläche. Dagegen bleibt unter der eben noch ange-
deuteten Einsenkung des Taschengrundes seine äußere Kante noch
längere Zeit ganz scharf ausgeprägt, weil die Ausgleichung der
36*
540 A. Goette,
Einsenkung nicht nur durch die Streekung des Epithels, sondern
auch durch dessen Verdickung nach innen im Bereich des Taschen-
srundes herbeigeführt wird (Figg. 12, 15, 20, 21, 25). Nimmt man dazu,
dass jene äußere Kante der ersten Kiementasche nach hinten durch den
Aortenbogen, nach vorn durch eine auffallende Lücke des Mesoderms
sehr deutlich begrenzt wird (Figg. 10, 20), so kann über die Stelle, wo
sich einst der Grund der Tasche befand, kein Zweifel bestehen.
Diese sichere Bestimmung ist desshalb wichtig, weil die Vorder-
wand der sich zurückbildenden ersten Kiementasche sich noch ein-
mal ausbiegt, und zwar zwischen ihrer Außenkante und der beschrie-
benen Biegung an der Hinterfläche des Gaumensegels, ungefähr an der
Wurzel des letzteren (Figg. 10, 20 e); wesshalb DoHrn (15) diese zweite
ganz passend den Umschlagswinkel des Velum genannt hat. Die
dahinter liegende verdickte Partie des Darmblattes, in deren Bereich
sich die Kante der ersten Kiementasche befindet, wölbt sich gleich-
zeitig nicht unähnlich einem stumpfen Kiemenbogen gegen die Darm-
lichtung vor (Figg. 12, 15, 20—25); es scheint mir aber nicht richtig,
diese neue Vorwölbung schlechtweg als Hyoidbogen zu bezeichnen,
denn sie umfasst die ganze vordere Kiemendarmwand von der zwei-
ten Kiementasche bis zum Umschlagswinkel des Velum, so dass das
Rudiment der ersten Tasche auf dem Scheitel der Vorwölbung, die
Stelle des ursprünglichen Hyoidbogens mit dem Aortenbogen dahin-
ter und davor der Theil der verdickten Platte liegt, worin die seit-
liche Wimperrinne entsteht. Man könnte daher die fragliche Vor-
wölbung allenfalls als sekundären Hyoidbogen bezeichnen.
Der senkrechte Abschnitt der Schlundwimperrinne entwickelt
sich an der angegebenen Stelle zu einer Zeit, wo die Lage des
Grundes der ersten Kiementasche an der beschriebenen Kante noch
durchaus deutlich hinter der Wimperrinne zu erkennen ist (Figg. 12,
13, 23). Die Wimperrinne kann also auch nicht mit der ganzen
Tasche, am wenigsten mit deren Grunde identisch sein, sondern um-
fasst nur einen Theil der Vorderwand jener Tasche, so zwar, dass
sie bei einer weiteren Ausdehnung dieser Vorderwand stets in der
Nähe der bezeichneten Taschenkante bleibt. DoHrn hat die letztere,
obgleich er sie deutlich zeichnet (10, Taf. X, Figg. 9—11), wahr-
scheinlich in Ermangelung genügender Zwischenstadien verkannt und
unbeachtet gelassen und desshalb die Wimperrinne irrthümlich für
ein Rudiment der Kiementasche erklärt.
Der ventrale Abschnitt der Wimperrinne von der Schilddrüsen-
mündung an bis zum unteren Ende des senkrechten Abschnittes hat
Über die Kiemen der Fische. 541
mit der ersten Kiementasche überhaupt nichts zu thun. Noch bevor
jener senkrechte Abschnitt erscheint, erhebt sich vom Boden des
Kiemendarmes und vor der Mündung der Schilddrüse ein medianer
Wulst, zwischen dem und den benachbarten Längsfalten jederseits eine
enge Rinne zurückbleibt (Figg. 5, 21). Unmittelbar vor jener Mün-
dung hört der Wulst auf, so dass beide Rinnen oder eben die An-
fangsstücke der Wimperrinnen in ihr zusammentreffen und in sie
auslaufen. Nach vorn setzt sich der Wulst bis vor die zweite
Kiementasche und später bis in die Mundbucht fort; da jedoch die
seitlichen Längsfalten vor dem ersten Kiemenbogen divergiren, laufen
die Rinnen dort muldenförmig breit aus und hören daher eigentlich
an jenem Bogen auf (Fig. 22). Dagegen erhalten sie eine Fort-
setzung in einer rinnenförmigen Einsenkung auf jeder der beiden
divergirenden Längsfalten bis zum sekundären Hyoidbogen, um dann
in den aufsteigenden Schenkel der Wimperrinne überzugehen.
Der ventrale und der senkrechte Abschnitt der Wimperrinnen
entwickeln sich also auf ganz verschiedenem Boden, der erste außer-
halb jeder Kiementasche, und nur der andere im Bereich der ersten
Kiementasche, so dass jedoch die ganze Bildung mit dem ventra-
len Stücke beginnt, d. h. von der Schilddrüse ausgeht und erst im
weiteren Verlauf in die erste Kiementasche einbiegt. Aus allen die-
sen Beobachtungen ergiebt sich also ganz evident die Selbständig-
keit der Schlundwimperrinne und ihre Unabhängigkeit von
dem hinter ihr liegenden Rudiment des Taschengrundes.
Darin stimmen die Wimperrinnen der Ammocoeten vollständig
überein mit den ihnen homologen Schlundwimperrinnen der Tunica-
ten (BALFOUR, SHIPLEY, DOHRN)', die ebenfalls vom Boden des Kiemen-
darmes ausgehend ihn vor den ersten Kiemenspalten umgürten. End-
lich kann auch der ventrale Ausgangspunkt der Wimperrinnen aller
Chordaten als ein homologer bezeichnet werden, da die Hypobranchial-
inne der Mantelthiere und des Amphioxus mit der rinnenförmigen
Schilddrüsenanlage der Neunaugen nach Form und Lage durchaus
übereinstimmen (W. MÜLLER, SCHNEIDER). Um so weniger kann da-
her die Schilddrüse aus einem umgebildeten Kiemenpaar abgeleitet
werden (DoHrn, 7 u. 10): sie ist eben eine umgebildete Hypobranchial-
rinne ohne jede Beziehung zu den Kiementaschen, erfährt in der
' Indem Donrn diese Homologie gegen van BENEDEN und JULIN ver-
theidigte, hat er gleichzeitig die Aufstellung dieser Forscher, dass nicht die
erste, sondern die zweite Kiementasche der Ammocoeten dem_Spritzloch der
übrigen Fische homolog sei, mit vollem Recht zurückgewiesen.
542 A. Goette,
Metamorphose der Ammocoeten eine noch weiter gehende Rückbildung
und erscheint bei den übrigen Vertebraten nur noch in dieser End-
form, nachdem die ursprüngliche Rinnenform eben so wie die Wimper-
rinne auch auf den Embryonalstufen spurlos verschwunden sind '!.
Darin, dass die Hypobranchialrinne und die ihr angeschlossenen
Wimperrinnen bei den niederen Chordaten lebenslängliche, bei den
Cyelostomen nur noch larvale Organe sind, die weiterhin sich in
bloße Rudimente verwandeln (Schilddrüse)? oder ganz verschwinden
(Wimperrinnen), zeigt sich ganz klar, dass die Rückbildung dieser
Organe von den niederen Chordaten zu den höheren fortschreitet.
Dies steht nun im Gegensatz zu der bekannten Ansicht DoHrn’s,
dass die mit Wimperrinnen ausgerüsteten Chordaten (Ammocoeten,
Tunicaten, Amphioxus) jünger seien als die Wirbelthiere, insbeson-
dere die Fische, die keine Wimperrinne besitzen. DOoHRN ging eben
davon aus, dass diese Wimperorgane als Umbildungsprodukte der
ersten Kiementaschen nothwendigerweise deren vollständige Rück-
bildung mit einem vollkommenen Verschluss ihrer Öffnungen voraus-
setzten; folglich stellten die offen bleibenden ersten Kiementaschen
oder die Spritzlöcher der Selachier und Ganoiden frühere Zustände
dar als die in Wimperrinnen verwandelten Taschen der Cyelostomen,
woraus sich die Abstammung der letzteren und weiterhin auch der
niederen Chordaten von Fischen mit Spritzlöchern und ohne Wimper-
rinnen ergebe (10).
Ich brauche nicht zu untersuchen, ob diese Schlussfolgerung
DonHrn’s eine zwingende ist; denn nachdem sein Ausgangspunkt, die
Identität der ersten Kiementasche und der Wimperrinne, sich als irrig
erwiesen hat und vielmehr feststeht, dass die Entwicklung der Wimper-
rinne mit der vorausgehenden Rückbildung jener Tasche bei den
Ammocoeten in keinem ursächlichen Zusammenhange steht, fällt mit
! Für den angegebenen Ursprung der Schilddrüse zeugt in zweiter Linie
auch folgende Beobachtung. Die Larven, die sich bereits in den Sand einge-
wühlt haben, ernähren sich dort zuerst von Protozoen, und zwar so, dass diese
im Kiemendarm in größerer Zahl in einen Ballen von schleimiger Substanz ein-
gebacken und so festgehalten werden. Dies erinnert nun lebhaft an die Er-
nährungsweise der Tunicaten, bei denen die Schleimmasse von der Hypobran-
chialrinne abgesondert wird. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass die
Schilddrüse der Ammocoeten als Homologon der Hypobranchialrinne auch noch
dieselbe Funktion hat und den genannten Schleimballen liefert.
?2 Die physiologische Anpassung der definitiven Schilddrüse an eine ganz
neue Funktion beeinträchtigt nicht ihre morphologische Bedeutung als Rudiment
eines früheren Zustandes.
2
Über die Kiemen der Fische. 543
der irrigen Voraussetzung auch die Schlussfolgerung. Dagegen be-
weist die oben angegebene Reihenfolge in der Ausbildung der frag-
lichen Organe, dass ihre Zustände bei den Wirbelthieren jünger sind
als diejenigen bei den Tunicaten und Leptocardiern.
Während der geschilderten Rückbildung des Hyoidbogens und
der ersten Kiementasche erleiden auch die übrigen Kiemenbögen
und Taschen bemerkenswerthe Umbildungen. Der Grund jeder
Tasche verschiebt sich nach hinten, so dass ihre Hinterwand ziem-
lich genau in eine Querebene des Körpers zu liegen kommt, wäh-
rend die entsprechend verbreiterte Vorderwand eine solche Ausbiegung
erfährt, dass der von ihr überkleidete Kiemenbogen sich in zwei
Abschnitte sondert, eine quergestellte innere Leiste und eine sagittal
gestellte äußere Platte, die sich gegen ihren hinteren Rand merklich
verjüngt (Figg. 9, 10, 20). Darauf beginnt der Kiemenbogen an der
Grenze beider Abschnitte sich zu verdünnen, bis endlich nur noch
eine dünne Membran (Verbindungshaut) beide Theile, nämlich die
äußere Kiemenbogenplatte und den aus der inneren Leiste her-
vorgegangenen Kiementräger verbindet (Figg. 135, 23—26).
Die Verbindungshaut hört an der Decke und am Boden des
Kiemendarmes auf; in dem Maße als sie auswächst, führt sie be-
stimmte Biegungen aus, die aus den Abbildungen zu ersehen sind
(Figg. 25, 26, 30). In der Kiemenbogenplatte liegt das knorpelige
Kiemenskelett, und zwar die absteigenden Knorpelspangen dieht am
Ursprung der Verbindungshaut. Die Kiementräger dagegen enthalten
die Kiemengefäße; und indem sie sich dorsal an die Aorta, ventral
an die Kiemenarterienstämme anschließen, bilden sie die Brücken, auf
denen die definitiven branchialen Verbindungen der Arterienstämme und
der Aorta entstehen. Der Aortenbogen liegt in der Mitte des Kiemen-
trägers, an der Wurzel der alsbald entstehenden Kiemen, und ver-
wandelt sich später in die Kiemenarterie, während die Kiemen-
vene proximal von ihr im Rande des Kiementrägers entsteht !.
! An der Decke und am Boden der Kiementaschen zeigen sich zwischen
den Kiementrägern quere Wülste, die die Taschen an ihren Enden unvoll-
kommen theilen, und deren Epithel aus hohen klaren Zellen besteht (Figg. 21,
22, 24). Diese Wülste erinnern einerseits eben so sehr an die Zungenbalken der
Kiemenlöcher von Amphioxus, wie andererseits an die Anlagen der Thymus und
der branchialen Epithelkörperchen bei den übrigen Wirbelthieren. Wenn diese
Ähnlichkeiten mit wirklichen Homologien zusammenfallen, so bilden die Thy-
mus ete. eben so wie die Schilddrüse die Rudimente eines völlig anders ge-
arteten Organs von Amphiozus,
544 A. Goette,
An dem sekundären Hyoidbogen unterbleibt die Sonderung in
Außenplatte, Verbindungshaut und Kiementräger, obgleich an ihm
auch Kiemen hervorwachsen (Figg. 13, 25). Er bleibt ein kompakter
Wulst, auf dessen Höhe die Wimperrinne verläuft; nur am Hinter-
rande, im Umfange des ersten Kiemenloches, verdünnt er sich in
derselben Weise wie die übrigen Kiemenbögen.
Der Durchbruch der zweiten bis achten Kiementasche nach außen
erfolgt nur in der Mitte ihrer Höhe und innerhalb der Verbindung
ihres Grundes mit der Oberhaut in Form von kurzen senkrechten
Spalten (erste bis siebente Kiemenspalte). Wie die Kiemen-
taschen sind auch ihre äußeren Öffnungen, die Kiemenspalten, schräg
nach hinten gerichtet, so dass der dünne hintere Saum jedes Kiemen-
bogens wie ein Deckel über der zugehörigen Spalte liegt. Die Mün-
dungen der Kiementaschen in den Darm bleiben bei den Ammocoeten
weit (Fig. 30) und ziehen sich erst in der Metamorphose zu runden
Löchern zusammen, indem die zwischenliegenden Ränder der Kiemen-
träger sich zur seitlichen Wandfläche des definitiven Kiemendarmes
ausdehnen, der sich dann bekanntlich vom übrigen Vorderdarm voll-
ständig absondert.
Die eigentlichen Kiemen entstehen an der Vorderwand und der
Rückwand der zweiten bis achten Kiementasche oder, was dasselbe
ist, an der Rückwand des sekundären Hyoidbogens, an beiden Sei-
ten der sechs freien Kiementräger und an der Vorderwand des
letzten, an den Herzbeutel angewachsenen Kiemenbogens. Ihre An-
lagen bestehen in fingerförmigen, annähernd sagittal, also nach vorn und
nach hinten gerichteten Fortsätzen, den Kiemenfäden, die an jeder
Wand in einer Reihe über einander liegen und in beiden Reihen des-
selben Kiementrägers mit einander alterniren (Figg. 27). Die Vorder-
reihen entwickeln sich im Allgemeinen etwas später und stehen weiter
auswärts als die hinteren Reihen (Fig. 24). Der wulstige freie Rand
des Kiementrägers mit der Kiemenvene bleibt frei. Später entstehen
gleiche Kiemenfäden auch an der Decke und dem Boden der Kiemen-
taschen, so dass diese allseitig mit Kiemen besetzt sind (Fig. 29).
Die Kiemenfäden beginnen als winzige Höckerchen zu sprossen,
wenn die Kiemenarterien und Kiemenvenen in der Regel schon fertig
sind, aber noch nicht die sie verbindenden, für die Kiemenfäden be-
stimmten Gefäßschlingen. Sobald der Höcker deutlich hervortritt,
entsendet die Kiemenarterie in seinen distalen Rand einen Zweig,
der eben nichts weiter ist als ein wandungsloser Spaltraum, der sich
am Gipfel des Höckers verliert (Fig. 18). Gleichzeitig hat sich das
Über die Kiemen der Fische. 545
Epithel des Höckers auffallend verdünnt. Erst in zweiter Linie ent-
wickelt sich am proximalen Rande des Höckers in ähnlicher Weise
ein Venenzweig, der am Gipfel mit dem Arterienzweige zusammen-
trifft (Fig. 19); während der Höcker zum Kiemenfaden auswächst,
bildet sich die Wand der erweiterten, Gefäßschlinge vollends aus.
Offenbar ist also bei der Kiemenbildung das Primäre die Wucherung
des Mesenchyms und die Oberflächenvergrößerung des Epithels, denen
sich die wandungslosen Blutbahnen und zuletzt Gefäße anschließen.
Ein zweites Stadium der Kiemenbildung beginnt in Larven von
ca. lem Länge und wird durch die Entwicklung von Seitenzweigen
an jedem Kiemenfaden gekennzeichnet (Figg. 28, 29). Sie entspringen
alternirend auf seiner oberen und unteren Seite, so dass er zum
Stamm einer federförmigen Bildung (Fiederkieme) wird. Sie ent-
wickeln sich eben so wie die Kiemenfäden und erhalten Gefäß-
schlingen, die vom Arterienzweig zum Venenzweig hinübergehen.
Die zierlichen Längsdurchschnitte der Fiederkiemen geben aber kein
sanz richtiges Bild von ihnen; denn wenn schon die jüngsten Kiemen-
fäden eine in frontaler Richtung verbreiterte Basis haben, so nimmt
dies in der Folge immer mehr zu, da diese Basis stets bis an den
freien Rand des Kiementrägers reicht und dieser letztere in dersel-
ben Richtung sich stetig verbreitert (Figg. 24—26). So wird der
ursprüngliche Kiemenfaden oder der Stamm der Fiederkieme all-
mählich zu einem dreieckigen Blättchen, auf dessen beiden Flächen
die Seitenzweige sitzen und sich mit ihnen von einem Rand zum
andern ausdehnen, d. h. zu kleinen Leisten oder Rippen auswachsen.
Dadurch erhält die Fiederkieme die Form eines zweiseitig quer-
serippten Kiemenblättchens.
Das dreieckige Kiemenblättehen wächst aber am proximalen
Rande stärker als am distalen und stellt sich dadurch schräg zum
Kiementräger, der seinerseits sich nach vorn biegt (Fig. 30). So
kommt es, dass die queren Rippen schräg zur Fläche des Kiemen-
trägers stehen und an der proximalwärts ausgedehnten Basis des
Kiemenblättehens sogar rechtwinkelig auf sie stoßen. Obgleich also
das, was Anfangs die Faden- und Federkieme darstellte, noch immer
frei in den Raum der Kiementasche hineinragt, so ruft doch die an-
gegebene Anordnung der Blattrippen den Eindruck hervor, als wenn
jedes Kiemenblättchen mit dem distalen Rande seiner basalen Hälfte
sich an den Kiementräger angelegt hätte und mit ihm verwachsen
wäre. 5
In diesem Zustande erhalten sich die Kiemen der Ammocoeten,
546 A. Goette,
abgesehen von einigen untergeordneten Formveränderungen, bis zur
Metamorphose der ganzen Thiere, worauf die letzte Wandlung dieser
Organe eintritt. Obgleich ich die letztere nicht direkt, d. h. während
der Larvenmetamorphose selbst habe verfolgen können, so lässt sie
sich doch aus dem Vergleich der Kiemen des Querders und des fer-
tigen Neunauges mit genügender Sicherheit ermitteln.
Nach der Larvenmetamorphose sind an die Stelle der früheren
Kiementräger und ihrer Verbindungshäute gleichmäßig dieke Scheide-
wände getreten, die von den äußeren Kiemenbogenplatten in ihrer
ganzen Breite ausgehen und gerade nach innen und vorn ziehen
(Fig. 31). In der Mitte jeder dieser Scheidewände spannt sich eine
dünne muskulöse Platte zwischen dem absteigenden Kiemenknorpel
und der weit medianwärts vorgerückten Kiemenarterie aus; dort
spaltet sie sich in vier Platten, die divergirend zu den proximalen
Enden beider Kiemenblattreihen ziehen. Zwischen diesen Platten
und den Kiemen, sowie im proximalen Randwulst der Scheidewand
befinden sich weite Bluträume, die, wie mir scheint, zuerst in der
Kiemenbogenplatte entstehen und dann in die Verbindungshaut und
den Kiementräger vordringen und sie dadurch zu der mächtigen An-
schwellung bringen, wodurch der frühere Zwischenraum zwischen
der Kiemenbogenplatte und der freien Kieme ganz verschwindet und
diese mit ihrem distalen Rande der neuen Scheidewand bis zur Be-
rührung genähert werden (vgl. Figg. 30, 31). Diese Annäherung bei-
der Theile führt zu ihrer festen Verbindung: die früher in sagittaler
Richtung frei in die Kiementasche vorragenden Kiemenblättchen sind
nach der Metamorphose in ihrer ganzen Länge an die Scheidewände
angewachsen.
Die physiologische Bedeutung jener weiten Bluträume ist nicht
klar, obgleich sie sicherlich bei der eigenthümlichen Athmung der
Neunaugen eine Rolle spielen. Vielleicht wirken sie wie Schwell-
körper, um den weichen Scheidewänden vorübergehend (bei dem
Einsaugen des Athemwassers?) einen größeren Halt zu verleihen und
so eine bestimmte Stellung der Kiemen zu gewährleisten.
Von den sonstigen Bildungen des Kiemenapparates der Neun-
augen erwähne ich nur noch die Umgebung der äußeren Kiemen-
löcher (Fig. 32). Der deckelartige Saum der Kiemenbogenplatte, der
sich von vorn über jedes Kiemenloch legt, ist keine Neubildung,
sondern, wie ich zeigte, der ursprüngliche Hinterrand des Kiemen-
bogens und daher nun außen vom Ektoderm, innen aber vom Ento-
derm überzogen (Figg. 10, 13, 23, 30, 31). Wo er der wulstigen
Über die Kiemen der Fische. 547
hinteren Lippe des Kiemenlochs sich beinahe bis zur Berührung
nähert, da liegt auch an dieser Lippe die Grenze von Ekto- und
Entoderm. So verhalten sich die Kiemenlöcher schon an den jungen
Ammoecoeten und bleiben bis zur Larvenmetamorphose unverändert;
erst nach derselben finde ich bemerkenswerthe Neubildungen an die-
sen Theilen, und zwar deutlicher an den großen wie an den kleinen
Flussneunaugen. Unter dem konvexen Rande der deckelartigen
Vorderlippe jedes Kiemenlochs ragt ein starker Zapfen vor, der in
der Tiefe von der hinteren Lippe entspringt und einen ganz isolirten
Stützknorpel enthält (Figg. 31—83); er mag als Hemmung für den
aufliegenden Deckel dienen. Koncentrisch zu jenem Rande, aber in
merklichem Abstande dahinter ist das Integument des Kiemenbogens
zu einer Furche eingesunken, in der eine nicht ganz regelmäßige
Doppelreihe von kleinen Hautzapfen steht. An diesen konischen oder
etwas birnförmigen, aus beiden Hautschichten zusammengesetzten
Papillen habe ich keine Textur bemerkt, die eine besondere Funk-
tion andeutete. Man könnte sie allenfalls für eine Art von Reuse
halten, die außen angebracht ist, weil bei den Neunaugen das
Athemwasser durch die äußeren Kiemenlöcher in die Kiementaschen
eintritt.
Unter dieser Papillenreihe verläuft eine Knorpelspange, die über
und unter dem Kiemenloch in die Basis der Vorderlippe umbiegt
und sich dort ringförmig schließt (Fig. 33). Diese Knorpelringe hat
schon SCHNEIDER gezeichnet, ohne sie im Text zu erwähnen (31,
Taf. X, Fig. 1), Sie haben natürlich die Bestimmung, die Wand des
Kiemenlochs fester und elastischer zu machen; mit dem übrigen
Skelett stehen sie in keinem Zusammenhang.
Aus der Entwicklungsgeschichte des Kiemenapparates von Petro-
myzon geht als wichtigstes Ergebnis hervor, dass die Kiemen aus-
schließlich innerhalb der ursprünglichen entodermalen Kiementaschen
entstehen, also Darmkiemen sind, und dass die ektodermalen
Außenseiten der Kiemenbögen, abgesehen von der späten Neubildung
der Hautpapillen, unverändert bleiben. Die Kiemen beginnen als
senkrechte Reihen von kurzen Kiemenfäden, die sich in Fiederkiemen
und zweiseitig gerippte Kiemenblättehen verwandeln; erst in der
Larvenmetamorphose verwachsen sie längs ihres ganzen distalen
Randes mit der Taschenwand. — Die erste Kiementasche bildet sich
vollkommen zurück, ohne in ein anderes Organ (Wimperrinne) über-
548 A. Goette,
zugehen; eben so wird der ursprüngliche Hyoidbogen durch den
sanz neugebildeten sekundären Hyoidbogen ersetzt.
Die Kiemen der Selachier.
Die noch geschlossenen primären Kiementaschen der Embryo-
nen von Torpedo ocellata haben eine große Ähnlichkeit mit denen
der Cyclostomen (Fig. 39); sie sind ebenfalls oben und unten über
die Grenzen des Darmes hinaus erweitert, brechen aber in ihrer
ganzen Höhe, also mit sehr langen Kiemenspalten, nach außen durch.
Vor diesem Durchbruch ist die Außenseite aller Kiemenbögen ganz
slatt; in ihrem Inneren befindet sich innerhalb eines dichten Mesen-
chyms eine eylindrische Muskelanlage und, wenigstens in den ersten
Bögen, hinter ihr und etwas proximalwärts von ihr, die Anlage des
Aortenbogens. Der Kieferbogen weicht nur darin von den übrigen
Bögen ab, dass sein Muskelstrang und der Aortenbogen nicht wie bei
jenen senkrecht, sondern in Folge der Kopfbeuge beinahe horizontal
verlaufen (Fig. 45). Sobald nun die primären Kiemenspalten von vorn
nach hinten fortschreitend sich öffnen, beginnt eine bemerkenswerthe
Divergenz in der weiteren Entwicklung der Bögen. Der Kieferbogen
behält die angegebenen Form- und Lagebeziehungen seiner Theile,
dagegen verändern sie sich in den übrigen Bögen, und zwar zuerst
im Hyoidbogen, dann in den Kiemenbögen (Fig. 40). Die Außenseite
jedes Bogens wölbt sich stark vor, und der Aortenbogen rückt an
die Hinterseite des Muskelstranges, der sich bereits in querer Rich-
tung nach außen auszudehnen beginnt. Im weiteren Verlauf dieser
Veränderungen (Fig. 41 ff.) werden die Muskelstränge zu quergestell-
ten dünnen Platten mit einem verdiekten äußeren und inneren Rand,
und die Aortenbögen oder künftigen Kiemenarterien rücken hinter
den Platten immer weiter gegen den Rand der äußeren Kiemen-
spalten vor (vgl. Donrn, 4). Gleichzeitig zeigen sich die ersten
Spuren der Kiemenvenen, je an der Vorder- und der Hinterseite der
Muskelplatte und proximal von den Arterien; die hintere Vene ver-
bindet sich an allen Kiemenbögen durch eine bis zwei Querkommis-
suren mit der vorderen, die dorsal in den ursprünglichen Aorten-
bogen mündet (Figg. 42, 64—66). An dieser Mündung löst sich darauf
das darunter befindliche, längs der Kiemen verlaufende Stück des
Aortenbogens von seiner dorsalen Fortsetzung ab, die der Vene zufällt,
und wird zur Kiemenarterie. Im Hyoidbogen, der nur eine hintere
Kiemenreihe entwickelt, mündet die hintere Vene in den Aortenbogen,
während die vordere Vene kurz bleibt und durch eine Kommissur
Über die Kiemen der Fische. 549
mit der ersteren zusammenhängt!. Im Kieferbogen entsteht nur eine
Vene.
Während des Erscheinens der Venenstämme beginnt die Kiemen-
bildung am Hyoidbogen und den Kiemenbögen, etwas später am
Kieferbogen. — Die erste Kiementasche öffnet sich nur in ihrer obe-
ren Hälfte, dem späteren Spritzloch, und bleibt darunter, unmittelbar
unter der sich bildenden Spritzlochkieme verschlossen, aber noch
einige Zeit mit dem Ektoderm verlöthet. Dadurch lässt sich nach-
weisen, dass diese Kieme proximal von der Verlöthung des Ekto-
derms und Entoderms, also innerhalb der Kiementasche entsteht und
rein entodermalen Ursprungs, eine Darmkieme ist (Figg. 45—50). Sie
besteht wie alle übrigen Kiemen aus fingerförmigen Kiemenfäden,
die sich an der Innenseite des Bogens von außen nach innen an
einander reihen und mit ihren freien Enden aufwärts wachsen. Der
längs dieser Kiemen verlaufende erste Aortenbogen wird wie in den
übrigen Visceralbögen zur Arterie, und die einfache Vene entsteht als
Neubildung aus mehreren Stücken proximal von ihr und etwas tiefer
(Figg. 48, 65). Sehr bald schwindet jedoch die untere Hälfte des
ersten Aortenbogens von seinem Ursprung an bis gegen die Spritz-
lochkieme? und wird durch eine Kommissur von der vorderen Hyoid-
vene her ersetzt (Fig. 66); in Folge dessen erhält diese Kieme nur
arterielles Blut aus der Hauptvene des Hyoidbogens, verliert also ihre
respiratorische Funktion und wird bei manchen Selachiern bis zum
vollständigen Schwund zurückgebildet. Sie darf daher als rudimen-
täres Organ bezeichnet werden. — Die dorsale Fortsetzung des ersten
Aortenbogens löst sich gleichzeitig von der Carotis ab.
So wie die Kiemenarterien der übrigen Bögen anders verlaufen
als die Arterie des Kieferbogens, nämlich nicht an der Innenseite,
sondern an der Aubenseite jedes Bogens, so nehmen auch die zu-
gehörigen, allein dauernd athmenden eigentlichen Kiemen eine
andere Lage ein als die Spritzlochkiemen, sie liegen ausschließlich
längs der Ränder der äußeren Kiemenspalten (Figg. 41—44). Nur lässt
es sich nicht überall unzweifelhaft entscheiden, ob die Kiemenfäden
außerhalb oder innerhalb jener Ränder, aus dem Ektoderm oder dem
Entoderm entstehen; denn da sich die Kiemenspalten lange vor dem
Beginn der Kiemenbildung öffnen, und die gleichzeitige Vorwölbung
! DoHRN giebt ausdrücklich nur eine Hyoidvene an (6), was ich aber nicht
bestätigen kann.
? Bevor dieses Stück ganz verschwunden ist, läuft es unterhalb des Spritz-
loches in unregelmäßige Lakunen aus, wie sie bereits Donrx erwähnte (6, p. 7).
550 A. Goette,
der Außenseite der Bögen die Spaltenränder glättet und verwischt,
so fehlen oft die sicheren Merkmale der fraglichen Grenze. Wie
schon erwähnt, haben sich alle früheren Forscher für den entoder-
malen Ursprung aller Kiemen der Selachier ausgesprochen; ich finde
aber dafür weder in ihren Untersuchungen noch in meinen eigenen
Präparaten irgend einen strikten Beweis, dagegen wenigstens an
einzelnen Stellen bestimmte Merkmale des Gegentheils.
Die Torpedo-Embryonen von ca. ” mm Länge besitzen am Hyoid-
bogen und den drei ersten Kiemenbögen bereits kurze Kiemenfäden,
am vierten Kiemenbogen aber noch nicht (Figg. 41—44). Er steht
auch sonst in der Entwicklung zurück, hat erst eine flache, nicht
vorgewölbte Außenseite und daher noch deutliche Ränder an den
ihn einfassenden Kiemenspalten. Sein Vorderrand steht nun so weit
hinter der ihn überragenden Kiemenanlage des vorausgehenden Bogens
zurück, dass an ihrem ektodermalen Ursprung außerhalb der ur-
sprünglichen Kiemenspalte kaum zu zweifeln ist (Figg. 43, 44). Das-
selbe zeigt sich am vierten und fünften Kiemenbogen von etwas
älteren Embryonen von Mustelus und Pristiurus.
Ein weiteres Merkmal der fraglichen Grenze bieten die in ihrer
Lage vor der Muskelplatte beständigen Kiemenbogennerven. Derjenige
des Hyoidbogens verläuft entlang der ganz unverkennbaren Grenze
der ersten Kiementasche am Spritzloch und unter ihm, wo die Tasche
geschlossen, aber mit der Oberhaut verlöthet ist (Fig. 45); man darf
daher annehmen, dass auch die übrigen Kiemennerven die Lage der
ursprünglichen Kiemenspaltenränder bezeichnen, wonach die Kiemen
außerhalb derselben im Bereich des Ektoderms entständen (Figg. 41,
46, 47). Ihre Hautkiemennatur erweist sich also auch nach diesem
Merkmal als sehr wahrscheinlich, während nichts sie als Darmkiemen
erscheinen lässt.
Unter diesen Umständen wird jene aus der Beobachtung sich
ergebende Wahrscheinlichkeit durch die Vergleichung mit den Ganoi-
den und Teleostiern zur Gewissheit, indem die offenbar gleichartigen
Kiemen dieser Fische, wie ich zeigen werde, ganz evident Haut-
kiemen sind. Dieselbe Evidenz fehlt aber den Selachiern desshalb,
weil ihre Kiemen durch eine besondere Entwicklung der Außenseite
der Bögen (s. u.) bis an den Rand der Kiemenspalten verdrängt
werden.
Die jüngsten höckerartigen Anlagen der Kiemenfäden entstehen
bei den Selachiern in der Regel früher als die zugehörigen Gefäß-
schlingen (Fig. 51), die von den Kiemenarterien ausgehen, den distalen
Über die Kiemen der Fische. 551
Rand der Kieme durchlaufen und an ihrem Ende in die Kiemenvene
des proximalen Randes umbiegen (Figg. 46, 47). — Jeder freie Kiemen-
bogen trägt zwei Kiemenreihen, der Hyoidbogen nur eine hintere Reihe;
sie sind von Anfang an getrennt durch die Vorwölbung der Außen-
seite des Bogens, die sehr bald eine mittlere Längskante erhält und
mit dieser schräg nach hinten gerichtet immer weiter auswächst.
Die Muskelplatte zieht sich bis in jene Kante hinein. Bei diesem
Wachsthum bleiben die Basen der Kiemenfäden mit der sie trennen-
den Basis der Vorwölbung, dem Kiemenseptum, verbunden und
dehnen sich zugleich mit ihm in der genannten Richtung aus (Fig. 47).
Wo sie sich von dem Septum trennen, um als die sogenannten »äubße-
ren Kiemenfäden« frei nach außen hervorzutreten, da beginnt auch
der freie Außentheil des Septum, der bei fortdauerndem Wachsthum
sich deckelartig über den dahinter liegenden Zwischenraum zweier
Septen mit den angeschlossenen Kiemen ausbreitet und durchweg als
Kiemendeckel bezeichnet werden kann, da er am Hyoidbogen
zweifellos das Homologon des gleichnamigen Theiles der Ganoiden
und Teleostier ist.
Die hinteren Kiemenreihen jedes Bogens erscheinen nicht nur
früher als die vorderen, sondern wachsen auch allein in die langen
Fäden aus, die den Kiemendeckel überragen (Fig. 34); die freien
Enden der vorderen Kiemenfäden erreichen nicht einmal seinen freien
Rand. Im Übrigen ist aber die Entwicklung beider Reihen dieselbe.
Die mit dem Septum verwachsenen Basen der Kiemenfäden verlängern
sich mit seinem Wachsthum fortdauernd, und es ist nicht wahr-
scheinlich, dass Theile der freien Fäden sich ihm anlagern. Die letz-
teren schrumpfen allmählich bis auf ein ganz kurzes Ende ein, so
dass die angewachsenen Basen die eigentlichen Anlagen der defini-
tiven Kiemen darstellen. Sie bilden sich in der Folge eben so aus
wie die Kiemenfäden der Cyelostomen: an der Ober- und der Unter-
seite jedes Fadens erscheinen mit einander alternirende Vorsprünge,
die sich in Querleisten oder Rippen verwandeln, während der Faden
selbst sich entsprechend abplattet und so zum quergerippten Kiemen-
blättchen wird. Die Zwischenstufe der freien Fiederkieme wird bei
den Selachiern nur durch das genannte übrig bleibende Ende des
freien Fadens repräsentirt, an dem die zweizeiligen Querrippen sich
in der Form von dreieckigen Blättehen entwickeln.
Zur Vollendung des typischen Kiemenapparates der lebenden
Selachier gehören noch das Kiemenskelett und die Verbindungen der
Kiemendeckel. Die knorpeligen »Kiemenbögen« entstehen einwärts
552 A. Goette,
von den Kiemengefäßen und hinter den Muskelplatten (Fig. 47), die
Kiemenstrahlen in den Septen ebenfalls an der Hinterseite der
Muskelplatten; die Existenz der Strahlen ist daher an diejenige
der Septen gebunden. — Die oberen und unteren Abschnitte jedes
Kiemendeckelrandes legen sich bekanntlich an die folgenden Kiemen-
deckel an und verwachsen mit ihnen, so dass die ursprünglich
nach oben und unten weit offenen Zwischenräume zwischen den
kiementragenden Septen und den Kiemendeckeln der auf einander
folgenden Bögen nach außen sackförmig abgeschlossen werden, bis
auf je einen beschränkten schlitzförmigen Zugang unter dem frei-
bleibenden mittleren Abschnitt des Kiemendeckelrandes.. So ent-
stehen aus den embryonalen offenen Kiemenfächern der Selachier
die die Kiemen beherbergenden Kiemensäcke mit ihren äußeren
Kiemenlöchern als durchaus sekundäre Bildungen an der Außen-
seite der ursprünglichen Körperwand. Es sind Schutzvorrichtungen
für die Hautkiemen, die nach ihrer Entwicklung und Funktion mit
den Kiemendeckelbildungen der übrigen Fische im Allgemeinen
übereinstimmen. — Die entodermalen Kiementaschen, von denen doch
die ganze Kiemenentwicklung ausgeht, ziehen sich bei den Selachiern
zu der Auskleidung der inneren Mündungen der sekundären Kiemen-
säcke in den Darm zusammen, was eben eine weitgehende Rück-
bildung bedeutet.
Die Kiemen der Ganoiden.
SALENSKY hat in seiner Entwicklungsgeschichte von Aecipenser
ruthenus die Entstehung der Kiemen nur ganz flüchtig, und die
Frage, ob sie entodermalen oder ektodermalen Ursprungs sind, über-
haupt nicht berührt. Ich selbst habe nur wenige Entwicklungsstufen
der Kiemen von Acipenser sturio untersuchen können, die aber zu
einer ganz bestimmten Beantwortung jener Frage genügten.
An den jüngsten dieser Stör-Embryonen (Fig. 52) war der Kiemen-
darm noch größtentheils solid und niedrig; die drei bis vier Paare
meist ebenfalls solider Kiementaschen erweiterten sich jedoch distal-
wärts wie bei den Selachiern. Die erste Kiementasche, das künftige
Spritzloch, erreichte noch nicht das glatt darüber hinziehende Ekto-
derm; die zweite Tasche war bereits spaltförmig ausgehöhlt und
bildete mit dem rinnenförmig eingesenkten Ektoderm eine dieke
Verschlussmembran (vgl. Figg. 53—55). Diese Einsenkung rührte
aber offenbar von einer wulstigen äußeren Vorwölbung des Hyoid-
bogens oder seinem Kiemenwulst her, was sich auch, nur in
Über die Kiemen der Fische. 553
schwächerem Maße an den beiden folgenden Bögen wiederholte. Die
dritte und vierte Tasche waren wieder solid und unvollkommen ent-
wickelt. Ä | |
Im Kieferbogen, dem Hyoidbogen und den zwei ersten Kiemen-
bögen waren die Aortenbögen fertig und lagen in der Mitte des
Bogens; distal von ihnen zeigten sich die ersten Spuren neuer Ge-
fäße (s. u.).
Auf der folgenden Stufe (Fig. 53) ist die angegebene Aushöhlung
der zweiten Kiementasche so weit vorgeschritten, dass sie stellen-
weise nach außen durchgebrochen war; wo die Verschlussmembran
aber noch bestand, befand sie sich in der Mitte zwischen dem Aorten-
bogen und den Kiemenwulsträndern des Hyoid- und ersten Kiemen-
bogens. Ihre Kiemenwülste sind also bis zur Verschlussmembran
mit Ektoderm überkleidet. Die übrigen Kiementaschen und -bögen
waren noch indifferent und die Gefäße dieselben wie vorher.
Die nächst älteren Embryonen mit völlig ausgehöhltem Kiemen-
darm besitzen schon Kiemenanlagen in Gestalt kurzer höcker- oder
fingerförmiger Fortsätze, die später zu Kiemenfäden auswachsen
(Fig. 54). Am Hyoidbogen sitzen sie in einer Reihe an der Hinter-
oder Innenseite seines Kiemenwulstes (Kiemendeckelkieme) und
so weit außerhalb der noch stellenweise erhaltenen aber verdünnten
Verschlussmembran, dass an ihrem ektodermalen Ursprung nicht zu
zweifeln ist. Der freie Rand des hyoidalen Kiemenwulstes ist als
eine schwache Vorwölbung nach außen von den Kiemenanlagen und
etwas vor ihnen sichtbar. Am ersten Kiemenbogen treten beide
Kiemenreihen, wie es scheint, gleichzeitig und mit ihren Basen eng
verbunden aus dem Kiemenwulst hervor, so dass sie ihn und somit
die ganze ektodermale Außenseite des Bogens vollständig verdecken.
Dass sie thatsächlich auf die Oberhaut beschränkt bleiben, wird
durch ihre Lage außerhalb der Verschlussmembran bewiesen. Die
Kiemenanlagen des zweiten Kiemenbogens waren nur an einer Stelle
als eine schwache Gabelung des Kiemenwulstrandes sichtbar; die
übrigen Bögen besaßen noch keine Kiemenanlagen. — Die Gefäße
dieser Embryonen waren wegen der mangelhaften Konservirung der
letzteren nicht gut zu verfolgen; dadurch entsteht aber, wie sich
zeigen wird, keine Lücke in der Beobachtung ihrer fortlaufenden
Entwicklung. |
Auf der letzten mir zu Gebote stehenden Entwicklungsstufe von
Acıpenser sturio (Figg. 55, 96) waren alle beschriebenen Bildungen
des Kiemenapparates noch etwas weiter entwickelt und nach hinten
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bad. 37
554 A. Goette.
weiter vorgeschritten. Die erste Kiementasche war hohl, aber noch
ohne Kiemenanlagen, die also merkwürdigerweise später auftreten als
die Pseudobranchie der Teleostier (s. u.). Bei der Übereinstimmung
in den topographischen Verhältnissen jener Tasche beim Stör und
den Teleostiern kann aber die Spritzlochkieme des ersteren nicht an-
ders als bei den Knochenfischen, nämlich nur als Darmkieme ent-
stehen (s. u.). — Die Hautkiemen des Hyoidbogens derselben Stör-
embryonen sind noch mäßig lang und liegen nahe am äußersten
Rande des frei bleibenden Kiemenwulstes, der später zum hyoidalen
Kiemendeckel auswächst. Die längsten und meisten Kiemen be-
finden sich am ersten Kiemenbogen; es sind zwei Reihen mit einander
alternirender Kiemenfäden, die theilweise schon mit sehr kurzen
Seitenzweigen besetzt sind (Fiederkiemen). Auch der zweite Kiemen-
bogen trägt zwei Reihen von Kiemenfäden, die jedoch noch keine
Seitenzweige besitzen, dafür aber eben so wie die Fiederkiemen des
ersten Bogens sich schon abzuplatten beginnen (Kiemenblättchen).
Der dritte Bogen zeigt nur in seiner Mitte die ersten Spuren von
Fortsätzen an seinem Kiemenwulst. Überall kommen Reste der Ver-
schlussmembran vor, die den ektodermalen Charakter der nach außen
davon befindlichen Kiemen wiederholt bestätigen.
In diesem Stadium war zu den früher genannten vier Aorten-
bögen noch ein fünfter im dritten Kiemenbogen hinzugekommen, der
sechste Aortenbogen war jedoch nur in seinem dorsalen Abschnitt
angelegt (Fig. 68). Alle Aortenbögen des Störs entspringen Anfangs
aus dem einfachen Arterienstamm und steigen zu der Aorta ihrer
Seite hinauf; nur der erste Aortenbogen neigt sich wie bei den Se-
lachiern stark nach vorn. Schon auf den zwei ersten Entwicklungs-
stufen sah ich im Hyoidbogen und dem ersten Kiemenbogen einzelne
kleinste Seitenzweige vom Aortenbogen in den Kiemenwulst eintreten
(Figg. 52, 53); sie bestanden aber zunächst nur in feinen und unregel-
mäßigen Mesenchymlücken (Fig. 57), die sich erst auf den folgenden
Stufen in wirkliche Gefäße verwandelten. Genau dasselbe zeigte
sich später in den hinteren Kiemenbögen. Einige jener Gefäbanlagen
waren gegen die Stellen gerichtet, wo etwas später die Kiemen er-
schienen; andere durchzogen aber die Mittelebene des Kiemenwaulstes,
bogen am Ende nach oben oder unten um und verbanden sich zu
einem dem Aortenbogen parallelen äußeren Gefäßstamm, der also
durch eine oder mehrere, bald vergängliche Anastomosen mit dem
ersteren zusammenhing (Figg. 67, 68). Doch kann dieser Gefäßstamm
auch aus den umgebogenen Enden der für die Kiemen bestimmten
Über die Kiemen der Fische. 555
Gefäßschlingen oder selbst ganz ohne Zusammenhang mit anderen
Gefäßen aus mehreren getrennten Stücken entstehen.
Früher oder später verbindet sich dieses distale Gefäß mit der
Wurzel des Aortenbogens, dicht über seinem Ursprung vom Arterien-
stamm (Fig. 68), ferner mit allen Gefäßschlingen der vorderen und hin-
teren Kiemen (Figg. 55, 56), um am dorsalen Ende des Kiemenbogens
an den letzten Kiemen aufzuhören. So wird es zur Kiemenarterie,
während der primäre Aortenbogen sich in die Kiemenvene ver-
wandelt. Bei der Schrägstellung der Querachsen aller Kiemenbögen
liegt die proximale Kiemenvene etwas vor der distalen Arterie.
. Der Hyoidbogen verhält sich gerade so wie die Kiemenbögen; .
da jedoch seine Schrägstellung später in eine geradezu sagittale Stel-
lung übergeht, liegt seine Vene oder der zweite Aortenbogen ganz
merklich vor der Arterie. An einem Embryo der zweiten Stufe sah
ich von dieser Vene einen queren Gefäßstamm entspringen, der auf
den ersten Aortenbogen unterhalb der ersten Kiementasche gerichtet
war, ihn aber erst auf den folgenden Stufen erreichte (Figg. 67, 69).
Diese Anastomose entspricht derjenigen, die bei den Selachiern die
Hyoidvene mit dem ersten Aortenbogen verbindet, jedoch mit dem
Unterschied, dass die Hyoidvene der Selachier neben dem hyoidalen
Aortenbogen sekundär entsteht, die Hyoidvene des Störs aber mit
dem zweiten Aortenbogen identisch ist (vgl. Figg. 66, 68). — Nach
der Herstellung der genannten Anastomose atrophirt auch beim Stör
der unter der ersten Kiementasche befindliche Abschnitt des ersten
Aortenbogens, so dass die später entstehende Spritzlochkieme von
Anfang an kein venöses Herzblut, sondern nur das arterielle Blut aus
der hyoidalen Kiemenvene erhält und niemals eine respiratorische
Funktion ausübt. — Nur einmal fand ich in einem Embryo der letz-
ten Stufe, und zwar nur einseitig, eine Anastomose zwischen der
Vene und Arterie des Hyoidbogens genau in der Höhe der vorhin
beschriebenen Anastomose der ersteren mit dem ersten Aortenbogen;
wenn eine solche nach meinen Befunden ausnahmsweise gebildete
Verbindung sich erhalten sollte, so würde durch sie der Spritzloch-
kieme neben dem arteriellen Blut auch halbvenöses zugeführt wer-
den, was mir aber von keinem Belang erscheint. — Die Sonderung
von Arterie und Vene der Spritzlochkieme war an meinen Stör-
embryonen noch nicht eingetreten.
Die vollständige Trennung der Kiemenvenen und -arterien von
einander, d. h. die Ablösung des ventralen Endes der Vene von der
Wurzel des Aortenbogens, die alsdann sich nur in die Arterie fort-
37*
556 | A. Goette,
setzt, habe ich nur am Hyoidbogen gesehen (Fig. 68). Auch fehlten an
meinen ältesten Embryonen immer noch die zwei letzten Kiemenarterien.
Trotzdem kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass die ver-
missten Bildungen in noch älteren Embryonen in derselben Weise
entstehen, wie ich es an den vorausgehenden Bögen beschrieb. —
Die Gefäße der Kiemenblättchen vertheilen sich in der gewöhnlichen
Weise, so dass die Arterienzweige den Innenrand, die Venenzweige
den Außenrand der Blättehen einnehmen.
Wenn man an demselben Kiemenbogen die noch kiemenlosen
und die mit Kiemenanlagen besetzten Strecken mit einander ver-
gleicht, so überzeugt man sich leicht, dass der Kiemenwulst mit
seiner ganzen Oberfläche in die beiden Kiemenreihen auswächst, so
dass er ihre verbundenen Basen darstellt; von einem besonderen
Septum zwischen ihnen ist nichts zu sehen, und wenn später ihre
Verbindung weit über die in der Kiemenbasis zurückbleibenden Ge-
fäßstämme hinausreicht, so ist dies nicht durch ein vorgebildetes be-
sonderes Septum vermittelt, sondern bloß eine Folge der fortschreiten-
den Verwachsung der Kiemenreihen selbst. Dies lässt sich auch rein
anatomisch belegen, und wie ich finde, besonders klar bei Polypterus,
dessen paarig zusammengehörende Kiemenreihen bis zur halben Höhe
der Blättchen mit einander verwachsen, oder, wie es gewöhnlich
heißt, an ein Septum angeheftet sind. In der proximalen : Hälfte
dieses Verbindungsgewebes verlaufen in einer Reihe über einander
die Anfangsstücke der für die Blättehen bestimmten Arterienzweige,
ehe sie sich seitwärts biegen, und zwischen diesen Gefäßen stoßen
die dicken Kiemenstrahlen beider Kiemenreihen zusammen. Sowohl
die Arterien wie die Strahlen, die sich gleicherweise in die freien
Außenhälften der Kiemenblättehen fortsetzen, gehören aber, wie auch
die Entwicklung des Störs und der Knochenfische beweist, den
Kiemenblättehen selbst an; proximal ist also für ein Septum über-
haupt kein Platz. Daher kann auch die bindegewebige, von einigen
Muskelfasern durchsetzte distale Hälfte des Verbindungsgewebes kein
selbständiges, vom Kiemenbogen ausgehendes Septum darstellen. Dar-
aus ergiebt sich der einfache. Schluss, dass das bezeichnete Ver-
bindungsgewebe der Ganoiden, wenn man es auch Septum nennen
will, mit dem selbständigen, in den freien ektodermalen Kiemen-
deckel sich fortsetzenden Kiemenseptum der Selachier nichts ge-
mein ‚hat.
Ganz anders verhält sich der Hyoidbogen, dessen Kiemenwulst
nur an der hinteren oder inneren Seite in die Kiemendeckelkieme
Dr
ER
Über die Kiemen der Fische. 557
auswächst, an der anderen Seite aber frei bleibt und daher neben
jener Kieme zum Kiemendeckel auswachsen kann, der denen der
Selaehier durchaus homolog ist.
Das Kiemenskelett des Störs stimmt mit demjenigen der
Knochenfische überein. Die Kiemenspangen entstehen in der inneren
Hälfte jedes Kiemenbogens und liegen zuletzt der Schleimhaut des
Kiemendarmes an; die zweireihigen Kiemenstrahlen gehören aber den
Kiemenblättehen selbst an und können daher den Septalstrahlen der
Selachier nicht gleichwerthig sein. Die Kiemenstrahlen des Störs be-
stehen aus je einem stärkeren Knorpelfaden, der den Innenrand des
Blättehens durchzieht und feine, dicht gedrängte Zinken trägt, die
sich durch die ganze Breite des Blättchens bis zu seinem Außen-
rande erstrecken!. Die Kiemenstrahlen von Polypterus nehmen eben-
falls die ganze Breite des Kiemenblättchens ein, sind aber nicht
kammförmig wie bei Acıpenser, sondern solid bandförmig.
Schon an den zuletzt beschriebenen Störembryonen ist das Schick-
sal der ursprünglichen Darmkiementaschen nicht mehr zu verkennen,
sie verwandeln sich in die engen Schlitze, die vom Kiemendarm bis
zur Basis der Kiemenreihen ziehen, Anfangs noch relativ tief sind,
aber später in Folge der überwiegend sagittalen Verdiekung der
Bögen als unmittelbare Spaltöffnungen des Darmes erscheinen. Es
ist dies dieselbe Rückbildung der Taschen wie bei den Selachiern.
Die Kiemen der Teleostier.
Die Entwicklung der Teleostierkieme habe ich zusammenhängend
an Lachsembryonen studirt. Sie verläuft im Allgemeinen eben
so wie beim Stör; es sollen daher im Folgenden wesentlich nur ein-
zelne Abweichungen hervorgehoben und einige Ergänzungen hinzu-
gefügt werden.
Die erste Kiementasche ist eben so wie beim Stör angelegt
und erreicht Anfangs selbst das Ektoderm zwischen dem Kiefer- und
dem Hyoidbogen (Fig. 58). Gegen den Kiemendarm ist sie weit ge-
öffnet und an dem Vorderrand dieser Öffnung zeigt sich schon an
Embryonen mit einer völlig unverdeckten Kiemengegend eine wul-
stige Verdickung des Epithels als erste Anlage der Pseudobran-
chie, die folglich unzweideutig eine Darmkieme ist.
Sehr bald beginnt die Rückbildung der Tasche, indem ihr Grund
sich von der Oberhaut zurückzieht und ihre proximalen Theile sich
! StAnnIıus hat diese kammförmigen Kiemenstrahlen gekannt. aber sehr
unklar beschrieben (33, p. 212).
558 A. Goette,
an die Seitenwand des Kiemendarmes umschlagen. Dadurch geräth auch
die Anlage der Pseudobranchie in dieselbe Lage und scheinbar vor die
Kiementasche, während sie thatsächlich sich nur vor dem noch allein
kenntlichen Taschengrund befindet (Fig. 60). Zuletzt verschwindet auch
dieser im Bereich der Pseudobranchie völlig. — Ihre Kiemenfäden
knospen wie bei der Spritzlochkieme der Selachier in einer Reihe
von außen nach innen hervor (Fig. 35) und verlängern sich dann
gerade aufwärts, wobei sie bis auf ihre oberen Enden mit der Darm-
wand verwachsen. Daher verlaufen auch die Arterien und Venen
der Kiemenfäden und -blättchen in senkrechter Richtung, die Ge-
fäßstämme der ganzen Pseudobranchie aber ungefähr horizontal, so
dass alle ihre Lagebeziehungen denen der übrigen Kiemen entgegen-
gesetzt sind, — ein deutliches Merkmal dafür, dass die erste Kiemen-
tasche durch die starke Kopfbeuge nach vorn umgelegt ist. — Die
bereits besprochene Homologie der Pseudobranchie mit der Spritz-
lochkieme ergiebt sich aus der Entwicklungsgeschichte ganz von
selbst.
Die beschriebene erste Anlage der Pseudobranchie entsteht
früher als ihre Gefäße, die erst dann aus dem ersten Aortenbogen
hervorwachsen, wenn die einzelnen Kiemenfäden aus dem Wulst her-
vortreten.
Der Hyoidbogen der Knochenfische bildet bekanntlich keine
Kieme:; denn die ihm früher zugesprochene Pseudobranchie gehört
eben dem Kieferbogen an. Der hyoidale Kiemendeckel der Knochen-
fische ist ein vollkommenes Homologon desjenigen der Ganoiden. —
Auch die Kiemenbögen der Knochenfische entwickeln sich in allen
wesentlichen Stücken eben so wie beim Stör und tragen ebenfalls
nur Hautkiemen. Denn obgleich die Verschlussmembranen, die ich
vom Stör beschrieb, den Lachsembryonen mit seltenen Ausnahmen
fehlen, und somit das bequemste Mittel zur Abgrenzung von Haut-
und Darmepithel in Wegfall kommt, so beweisen doch schon die
Kiemenwälste, die die ganze Außenseite der Kiemenbögen in An-
spruch nehmen und eben so wie beim Stör in die Kiemenbildung
vollständig aufgehen, dass diese eine ektodermale ist (Figg. 59—61).
An jedem Kiemenwulst zeigt sich kurz vor dem Erscheinen der
Kiemenfäden, also zuerst nur im mittleren Theil des Bogens eine
stumpfe Längskante, und auf jeder Seite der letzteren eine nach
innen vorgewölbte Epithelverdiekung (Figg. 60, 61). Anfangs zieht
der Aortenbogen noch ganz glatt unter den Epithelpolstern dahin;
dann erscheint stellenweise ein Zipfel des Gefäßes, der gegen ein
Über die Kiemen der Fische. 559
Polster gerichtet ist und alsbald die Erhebung einer höckerförmigen
Kiemenanlage zur Folge hat. Will man die Kiemenbildung erst mit
diesen Höckern beginnen lassen, so geht die Gefäßbildung voraus;
mit eben so viel oder noch größerem Recht kann man jedoch schon
in der Epithelverdiekung eine Vorbereitung zur Kiemenbildung er-
blicken.
Auch bei den Teleostiern alterniren die Kiemenfäden in den
beiden Reihen jedes Bogens mit der Maßgabe, dass die Vorderreihen
später entstehen und in der Entwicklung etwas zurückbleiben
(Fig. 62). Dies tritt bei Salmo wenig hervor, sehr deutlich aber bei
Esox lucius (Fig. 37). Jeder Kiemenfaden treibt nach oben und unten
ebenfalls alternirende Seitenzweige, zuerst an seiner Wurzel und dann
langsam distalwärts fortschreitend, so dass die dadurch entstehende
Fiederkieme einige Zeit ein glattes Ende, den Rest des einfachen
Fadens behält. Beim Lachs ist dieses Bild weniger prägnant, weil
dort die Kiemenfäden dick und die Seitenzweige kurz sind und sehr
früh vorrücken (Fig. 36). Bei Esox fand ich wenigstens die End-
fäden lang (Fig. 37), die auffälligsten derartigen Kiemen dagegen
bei Cobetis (Fig. 38), worüber ich schon vor Jahren berichtete (15).
Die langen dünnen Endfäden, die bei den jungen Fischen noch bis
an den Rand des fertigen Kiemendeckels reichen, sind natürlich die
vollkommenen Homologa der »äußeren Kiemen« der Selachierem-
bryonen.
Die Verwandlung der Fiederkieme in ein Kiemenblättehen er-
folgt bei Salmo viel früher als bei Zsox und Cobitis, und zwar in
derselben Weise wie bei den Cyelostomen, Selachiern und Ganoiden.
Das Stämmchen der Fiederkieme oder der ursprüngliche Faden ver-
breitert sich rechtwinkelig zu den Seitenzweigen und zieht dabei
diese letzteren zu queren Leisten oder Rippen aus. Am Innenrande
jedes Kiemenblättehens entwickelt sich ein glattes Knorpelstäbchen,
ebenfalls Kiemenstrahl genannt, obgleich eine Homologie mit den
septalen Strahlen der Selachierkieme eben so wie bei den Ganoiden
ausgeschlossen ist (Fig. 63).
Die Kiemengefäße von Salmo salar entwickeln sich im All-
gemeinen so wie beim Stör, zeigen aber einige interessante Abwei-
chungen. — Weder der Kieferbogen noch der Hyoidbogen des Lachses
enthält zu irgend einer Zeit einen vollständigen Aortenbogen, wie
ich es bezüglich des Kieferbogens schon vor langer Zeit in Be-
stätigung Vogr’s angegeben habe, und DoHrn neuerdings anerkannt
hat (8, p. 166). Der erste Ast des Arterienstammes verläuft im
560 A. Goette,
vorderen Theil des Hyoidbogens zwar so wie der hyoidale Aorten-
bogen des Störs, biegt aber im Niveau der Pseudobranchie nach vorn
um, umgreift das Hyomandibulare und zieht längs der Anlage jener
Kieme nach vorn und innen, um in die vorderen Ausläufer der Aorta
oder die innere Carotis zu münden (Figg. 35, 60, 69). Dieser letz-
tere Verlauf unseres Gefäßes entspricht also vollkommen der dorsa-
len Hälfte des ersten Aortenbogens von Acipenser, und die Verbin-
dung mit dem hyoidalen Gefäßstamme der gleichen Anastomose
zwischen den beiden ersten Aortenbögen des Störs (vgl. Figg. 68, 69).
Da die untere Hälfte des ersten Aortenbogens beim Stör eben so wie
bei den Selachiern bald schwindet, so darf angenommen werden,
dass das vollständige Fehlen dieses rudimentären Gefäßstückes bei
Salmo nur das Endstadium seiner allgemeinen Rückbildung ist, die
sich durch die Rückbildung der zugehörigen Kieme leicht erklärt.
Salmo besitzt also in seinem Kieferbogen denselben halben (oberen)
Aortenbogen mit dem Anschluss an den hyoidalen Aortenbogen wie
die vorgeschrittenen Embryonen des Störs.
Die Sonderung der Gefäße in der Pseudobranchie des Lachses
seht anders vor sich als in seinen Kiemenbögen und entspricht viel-
mehr der Gefäßbildung an der Spritzlochkieme der Selachier und
daher wahrscheinlich auch des Störs, wo ich sie nicht habe verfolgen
können. Das der Pseudobranchie anliegende Stück des ersten Aorten-
bogens des Lachses wird zur Arterie; die Vene entsteht nachträglich
und etwas unterhalb der Arterie, entspringt aus ihr mit zwei sie
umgreifenden Wurzeln, oberhalb der Kieme, und erreicht sie wieder
dicht vor ihrer Mündung in die Carotis (Fig. 35). Nachdem diese
Vene sich an ihrem Ursprung abgelöst hat, atrophirt das Stück des
Aortenbogens zwischen der Pseudobranchie und der Einmündung der
Vene (Fig. 71). Die Anlage der Venenzweige in den Kiemenfäden
der Pseudobranchie sind Anfangs ohne Zusammenhang mit den Stamm-
gefäßen.
Der hyoidale Aortenbogen von Salmo unterscheidet sich von der
Hyoidvene des Störs dadurch, dass er bei der Abwesenheit einer
hyoidalen oder Kiemendeckelkieme überhaupt kein Kiemengefäß ist
und über seiner Anastomose zur Pseudobranchie keine dorsale Fort-
setzung hat, die offenbar zugleich mit jener Kieme schwand (Figg. 68
bis 71). Er ist also ebenfalls von Anfang an nur ein halber (unterer)
Aortenbogen. Doch bildet sich im hinteren Abschnitt des Hyoid-
bogens von Salmo ein zweites Gefäß, das sich mit beiden Enden des
eigentlichen Aortenbogens verbindet, jedoch zu Ende der Embryonal-
Über die Kiemen der Fische. 561
zeit wieder vergeht. Dieses rudimentäre Gefäß kann nach seiner
Lage nur mit der Hyoidarterie des Störs verglichen werden und be-
stätigt das Vorhandensein einer Kiemendeckelkieme bei den Vorfahren
der heutigen Teleostier, nach deren Schwund es eben rudimentär
wurde. Der gekürzte hyoidale Aortenbogen von Salmo, das Homo-
logon einer Hyoidvene (s. o.), entging aber demselben Schicksal aus
derselben Ursache wohl nur desswegen, weil er außer seinem Zu-
sammenhange mit der Arterie der Pseudobranchie noch in eine an-
dere Verbindung tritt. Ich kann nämlich MAURER (22) und DoHRrn (8)
darin bestätigen, dass jener hyoidale Aortenbogen von Salmo seinen
Zusammenhang mit dem Arterienstamm aufgiebt und dafür sich mit
dem unteren Ende der ersten Kiemenvene (ersten Kiemenbogen) ver-
bindet (Fig. 71). Natürlich erhält die Pseudobranchie alsdann nur ar-
terielles Kiemenblut und kann nur noch als rudimentäre Kieme gelten,
deren zuführendes Gefäß merkwürdigerweise aus Abschnitten zweier
Aortenbögen besteht, die an einen dritten angeschlossen sind.
Die ältesten meiner Störembryonen waren noch nicht so weit
entwickelt wie die eben erwähnten Lachsembryonen; da jedoch im
erwachsenen Stör dieselbe Verbindung der hyoidalen und der nächst-
folgenden Kiemenvene besteht wie die eben vom Lachs beschriebene
(MÜLLER, 23, p. 61), so stimmen beide Repräsentanten der Ganoiden
und der Knochenfische, dieser zwei Hauptgruppen der Teleostomen
in der Gefäßentwicklung des Kiefer- und des Hyoidbogens wesentlich
überein, indem die Verschiedenheiten nur auf Rückbildungen zurück-
zuführen sind, die mit dem Schwund der Kiemendeckelkieme bei den
Knochenfischen im Zusammenhange stehen.
Dagegen sind die Gefäße der Kiemenbögen nach Ursprung und
weiterer Entwicklung in beiden Gruppen ganz gleich. Die Seiten-
zweige, die von den Aortenbögen aus in die eben entstehenden
Kiemen eindringen, nehmen den Außenrand des Kiemenfadens oder
Kiemenblättehens ein, biegen an seiner Spitze in seinen Innenrand
um und ergießen sich dann aus beiden Kiemenreihen gemeinsam in
ein Gefäß, das distal vom Aortenbogen und ihm parallel zwischen
den Basen beider Kiemenreihen verläuft und wie beim Stör aus ein-
zelnen Stücken entsteht, die durch unregelmäßige und vergängliche
Anastomosen mit dem Aortenbogen zusammenhängen können (Figg. 62,
63, 70, 71). An seinem unteren Ende ist dieses Gefäß mit der Wurzel
des Aortenbogens verbunden. Bald nach seiner Entstehung vergrößert
es sich so sehr, dass es zur direkten Fortsetzung der Aortenbogen-
wurzel wird, während der Übergang der letzteren in den aufsteigenden
562 "A. Coette,
Aortenbogen in demselben Maße dünner und zuletzt unterbrochen
wird (Fig. 71). Auf diese Weise verwandeln sich die Aortenbögen
der Kiemenbögen von Salmo gerade so wie beim Stör in die Kiemen-
venen, und die sekundär und distal davon entstehenden Äste der
Aortenbogenwurzeln in die Kiemenarterien.
Durch diese Übereinstimmung in der Entwicklung ihrer Kiemen-
sefäße stehen der Stör und der Lachs als Vertreter der Haupt-
gruppen der Teleostomen gemeinsam im Gegensatz zu den Selachiern
(Figg. 64—72). Im Kieferbogen liegt allerdings eine allseitige Homo-
logie vor: überall schwindet die untere Hälfte des ersten Aorten-
bogens und wird durch eine Anastomose mit einem hyoidalen Gefäß
ersetzt. Aber schon mit dem Ursprung dieses letzteren beginnen
die grundsätzlichen Verschiedenheiten, die darauf hinauslaufen, dass
Kiemenarterien und Kiemenvenen der Teleostomen und
der Selachier einen entgegengesetzten Ursprung haben
und somit nicht homolog sind. Das hyoidale Gefäß, aus dem
jene Anastomose entspringt, ist allerdings bei den Selachiern eben
so wie beim Stör eine Kiemenvene und beim Lachs wenigstens ein
Homologon der Hyoidvene des Störs; aber bei den Selachiern ent-
steht diese Vene sekundär und proximal vom Aortenbogen, der sich
in die Kiemenarterie verwandelt, beim Stör und Lachs wird dagegen
umgekehrt der hyoidale Aortenbogen zur Vene und die zugehörige
Arterie entwickelt sich nachträglich und distal von jener. Und ge-
nau dasselbe wiederholt sich, wie ich bereits im Einzelnen beschrieb,
an allen Kiemenbögen: durchweg sind die Kiemenarterien der Selachier
nur den Kiemenvenen der Teleostomen homolog (Fig. 72).
Gewiss kann man sich vorstellen, dass der eine dieser beiden
Typen der Kiemengefäßbildung irgendwie aus dem anderen hervor-
sing, und da die Selachier darin mit den Cycelostomen übereinstim-
men, also ursprünglieher erscheinen, die Kiemengefäßbildung der Teleo-
stomen trotz aller Verschiedenheit von derjenigen der Selachier
abzuleiten wäre. Ich habe aber dafür keinen Anhaltspunkt gefunden,
so dass der geschilderte Gegensatz der beiden Typen thatsächlich
unvermittelt bestehen bleibt, wofür ich auf die weiter unten folgende
Erklärung verweise.
Vergleichung der Kiemen der Cyclostomen, Selachier und Teleostomen.
Die Übereinstimmung in der Bildung des Kiemenapparates der
Teleostomen ist in so fern eine grundsätzliche, als die besprochenen
Unterschiede zwischen dem Stör und den Knochenfischen — Fehlen
Über die Kiemen der Fische. 563
des Spritzlochs und der Kiemendeckelkieme bei den letzteren — sich
auch unter den Ganoiden selbst wiederholen !, also als untergeordnete
zu bezeichnen sind. Wenn man sich auf die äußeren, anatomischen
Merkmale dieses Kiemenapparates beschränkt, so können sie in
folgenden Punkten zusammengefasst werden. 1) Entodermale oder
Darmkiemen kommen nur in der ersten Kiementasche, und nur
als rudimentäre Organe vor (Spritzlochkieme, Pseudobranchie), der
Hyoidbogen und die Kiemenbögen tragen dagegen nur ektodermale
oder Hautkiemen als die einzigen wirklichen Athemorgane; 2) diese
Hautkiemen werden von einem großen hyoidalen Kiemendeckel
geschützt, während ein solcher an den Kiemenbögen nicht zur Ent-
wicklung kommt.
Das unter 1) Gesagte gilt auch für die Selachier, dagegen unter-
scheiden sie sich in den Schutzvorrichtungen der Hautkiemen, indem
der Hyoidbogen und die Kiemenbögen lauter gleiche Kiemendeckel
tragen, die sich zu Kiemensäcken verbinden.
Aber auch diesen Unterschied glaubte man bisher durch die
Annahme überbrücken zu können, dass der Kiemenapparat der Teleo-
stomen aus einer Reihe von Kiemensäcken, gleich denen der Sela-
chier, hervorgegangen und geradezu von den letzteren abzuleiten sei
(p. 935), indem sie sich an den Kiemenbögen allmählich bis auf die
»rudimentären Septen« zurückbildeten, der hyoidale Kiemendeckel
aber zum Ersatz der geschwundenen Kiemensäcke sich über die
ganze Kiemenregion ausbreitete.
Ich kann mich dieser Ansicht nicht anschließen. Vor Allem
sind jene rudimentären Septen der Teleostomen von dem Vergleich
mit den Septen und Kiemendeckeln der Selachier auszuschließen ;
denn sie bestehen nur in nachträglichen Verwachsungen der an
einander stoßenden Kiemenblättchen, während die genannten Theile
der Selachier selbständige und den Kiemen vorausgehende Bildungen
sind. Die einzigen Homologa der letzteren bei den Teleostomen sind
deren Kiemenwülste, die jedoch nur am Hyoidbogen zu einem Kiemen-
deckel auswachsen, an den Kiemenbögen dagegen in die gemeinsame
Basis beider Kiemenreihen aufgehen, ohne sich zu Septen ete. zu
entwickeln. Es fehlt also an jedem direkten Anhaltspunkt dafür,
dass die Kiemenwülste die letzten Reste einstiger Kiemensäcke sind,
und die angegebene Hypothese ließe sich daher nur unter der Voraus-
1 Lepridosteus hat kein Spritzloch, Scaphirhynchus und Amia entbehren
Spritzloch und Spritzlochkieme, Polyodon fehlt die Kiemendeckelkieme und Poly-
pterus sowohl diese wie die Spritzlochkieme (24, p. 19),
564 A. Goette,
setzung aufrecht erhalten, dass die Kiemensäcke der Selachier zu
ihren ältesten Bildungen gehören und daher wahrscheimlich auch den
Vorfahren der Teleostomen zukamen. Diese Voraussetzung halte ich
jedoch nicht für zutreffend.
Erstens fehlen diese Kiemensäcke der wahrscheinlich ältesten
lebenden Selachierform, dem C'hlamydoselachus anguineus Garm. (11),
dessen sämmtliche Kiemendeckel, wie ich an einem mir vorliegenden
jungen Exemplar sehe, in ihrer ganzen Höhe frei bleiben, so dass
statt der geschlossenen Kiemensäcke nach außen weit offene Kiemen-
fächer bestehen, gerade so wie sie in der Entwicklung anderer Haie
der Bildung der Säcke vorausgehen. Auch entbehren die schwach
entwickelten Kiemendeckel die Ektobranchialia. Es fehlt jeder An-
lass, diesen Zustand durch eine Rückbildung früher vorhanden ge-
wesener Kiemensäcke zu erklären, wogegen zahlreiche andere Merk-
male einer sehr alten Organisation desselben OAlamydoselachus,
insbesondere der Besitz von sechs Kiemenbögen auch seinen übrigen
Kiemenapparat als einen ursprünglichen erscheinen lassen. Be-
merkenswerth ist ferner, dass gerade der hyoidale Kiemendeckel von
Chlamydoselachus sich durch seine Ausdehnung bis an den Nacken
und die Bauchseite und durch seine Breite auszeichnet.
Zweitens wäre hier noch des fossilen Pleuracanthus zu gedenken,
einer ebenfalls sehr alten Selachierform, deren Kiemenapparat glück-
licherweise ziemlich gut bekannt ist. Es steht fest, dass der Hyoid-
bogen von Pleuracanthus zahlreiche und lange Strahlen trug, während
: | die Kiemenbögen nur
mit spärlichen kleinen
Strahlen besetzt waren
\ (DÖDERLEIN, Koken).
Welehe Ausdehnung
der von jenen Strahlen
gestützte hyoidale Kie-
mendeckel von Pleur-
acanthus hatte, mag
man daraus ersehen,
Pleuracanthus decheni, Kiemengegend. 7, Hyomandibulare; %', Hyoi- dass nach einem Stiek
deum; g, Quadratopalatum; %, Unterkiefer; kd, Kiemendeckelstrah- ER: .
des hiesigen geologi-
2 len; », Wirbelsäule; s, Schultergürtel.
schen Institutes (Text-
figur), mit ausgezeichneter Erhaltung der fraglichen Theile, die ge-
nannten Strahlen den bei Weitem größten Theil des Zwischenraumes
zwischen dem Hyoidbogen und dem Schultergürtel überdecken, so
A| & G < 2 L
as Mi N
m
Über die Kiemen der Fische. 565
dass der hyoidale Kiemendeckel von Pleuracanthus ähnlich wie der-
jenige der Teleostomen den ganzen übrigen Kiemenapparat verdeckt
haben wird. Unter einem solchen Kiemendeckel wären aber Kiemen-
säcke nicht nur als Schutzvorrichtungen überflüssig, sondern wahr-
scheinlich sogar für die Kiemenathmung nachtheilig gewesen, sowie
sie bei den Holocephalen unter dem hyoidalen Kiemendeckel fehlen,
obgleich diese Fische unzweifelhaft Verwandte der Selachier sind.
Es ist daher anzunehmen, dass Pleuracanthus eben so wenig wie
Chlamydoselachus Kiemensäcke besaß, aber durch seine viel größe-
ren hyoidalen Kiemendeckel sich noch mehr als Chlamydoseluchus
von den meisten recenten Selachiern entfernte. Dass dies durch eine
Rückbildung des typischen Kiemenapparates der recenten Selachier
erreicht sein könne, ist bei einer so alten Form wie Pleuracanthus
eben so unwahrscheinlich wie bei Chlamydoselachus.
Die ältesten uns bekannten Kiemenapparate der Selachier be-
standen also nicht aus Kiemensäcken, sondern aus offenen Kiemen-
fächern mit schwächeren Kiemendeckeln an den Kiemenbögen und
einem stärkeren oder selbst ganz großen hyoidalen Kiemendeckel,
und die Kiemensäcke sind offenbar eine jüngere Bildung. Dadurch
fällt auch die bezeichnete Voraussetzung für die Annahme, dass der
Kiemenapparat der Teleostomen aus Kiemensäcken hervorgegangen
sei, ja dass ihre ältesten mit Hautkiemen athmenden Vorfahren auch
nur Kiemensepten besessen haben. Die Kiemensäcke bleiben eine
Eigenthümlichkeit der Selachier, von der es keinen Übergang zum
Kiemenapparat der Teleostomen giebt. Denn die Holocephalen kön-
nen einen solchen Übergang allenfalls veranschaulichen, wenn er
sonst schon feststände, aber ihn gegenwärtig um so weniger bewei-
sen und wirklich darstellen, als ihr Kiemenapparat mit demjenigen
von Pleuracanthus übereinstimmt und daher älter erscheint als die
Kiemensäcke der übrigen recenten Selachier.
Abgesehen von diesem Unterschied bleiben die Kiemenapparate
der Selachier und Teleostomen in den wesentlichsten Stücken homo-
loge Bildungen mit den folgenden gemeinsamen Merkmalen: 1) in
beiden Gruppen werden die entodermalen Kiementaschen zurück-
gebildet bis auf die gelegentlichen Reste der ersten Tasche und ihrer
vorderen Kiemenreihe (Spritzloch, Spritzlochkieme, Pseudobranchie);
2) die ausschließlichen Athemorgane aller dieser Fische sind
die Hautkiemen des Hyoidbogens und der Kiemenbögen, die durch
verschiedene Kiemendeckelbildungen geschützt werden.
Im vollen Gegensatz dazu besitzen die Cyelostomen, wie wir
566 A. Goette,
sahen, gar keine Hautkiemen, sondern nur Darmkiemen in den
vollständig erhaltenen primären Kiementaschen, die nichts zu thun
haben mit den nachträglich entstehenden ektodermalen Kiemensäcken
der Selachier. Diese Divergenz in der Bildung der Fischkiemen
widerspricht also durchaus der bisher allgemein angenommenen und
vertretenen RATHKE’schen Auffassung von der Gleichwerthigkeit aller
Fischkiemen, die sammt und sonders dem Entoderm entstammen
sollten, und ferner von der Gleichwerthigkeit der Kiementaschen der
Cycelostomen und der Kiemensäcke der Selachier. Die Darm- und
die Hautkiemen, sowie die beiderlei Umhäüllungen der-
selben (Kiementaschen, Kiemensäcke) sind vollkommen
heterologe Bildungen!. Selbst die einzigen kenntlichen Reste
von Kiementaschen und Darmkiemen bei den höheren Fischen (Spritz-
loch ete.) finden kein vollkommenes Homologon bei den Cyelostomen,
da deren erste Kiementasche vollständig schwindet.
Es kann sich jetzt nur noch darum handeln, ob die Darmkiemen
oder die Hautkiemen die ursprünglichen waren, und wie der Über-
gang von der älteren zur jüngeren Form zu denken ist. — Den Aus-
gangspunkt der Untersuchung bilden die entodermalen Kiementaschen,
die bei allen Fischen in gleicher Form und Lage entstehen, aber
nur bei den Cyelostomen zu Athmungsorganen entwickelt, bei den
übrigen Fischen dagegen zurückgebildet werden. Da in diesen rudi-
mentären Kiementaschen sogar Reste einer Darmkieme vorkommen
(Spritzlochkieme, Pseudobranchie), so darf es als sicher gelten, dass
sie einst vollkommen entwickelt waren und durchweg solche Darm-
kiemen mit normaler Funktion enthielten. Es athmeten also ur-
sprünglich die Vorfahren aller besprochenen Fische durch Darm-
kiemen, und diese sind folglich die ältesten Athmungsorgane der
Wirbelthiere. Sie erhielten sich nur bei den Cyelostomen, gingen
aber während der Entstehung der übrigen Fische zu Grunde und
wurden durch die jüngeren Hautkienmen ersetzt.
Gegen diese Annahme eines wirklichen Ersatzes der Darm-
kiemen durch Hautkiemen könnte allerdings der Einwand erhoben
werden, dass die ursprünglichen Darmkiemen nach außen gerückt
sein und sich endlich in Hautkiemen verwandelt haben konnten, so
' Allerdings könnte Angesichts der bloßen Analogie zwischen Darm- und
Hautkiemen ihre Übereinstimmung in den Entwicklungsstufen der Kiemenfäden,
Fiederkiemen und angewachsenen Kiemenblättchen sehr auffallend erscheinen,
wenn wir nicht dieselben Kiemenformen auch bei Würmern, Krebsen und Mol-
lusken anträfen, ohne darin mehr als eine Homoidie zu sehen.
Über die Kiemen der Fische. 567
dass von einer Rückbildung gar nicht geredet werden könnte. DOHRN
hat eine solche Möglichkeit für den Fall, dass einmal Darm- und
Hautkiemen zum Vergleich kämen, näher zu begründen versucht,
obgleich er selbst alle Fischkiemen für entodermale, also für unbe-
dingt gleichwerthige Gebilde hält (4, p. 141). Er geht davon aus,
dass bei der Kiemenbildung das Mesoderm mit den Blutgefäßen der
wesentlichste Theil sei, der das benachbarte Epithel vor sich her-
treibe und zu den Kiemenfäden ausstülpe, wobei der ektodermale
oder entodermale Ursprung des Epithels gleichgültig sei. Für ihn
ist ferner das primäre Gefäß jedes Kiemenbogens überall dasselbe,
wenngleich es sich bei den Öyclostomen nach innen vom Skelettbogen,
bei den übrigen Fischen nach außen von ihm verschiebe. Sobald
nun die Darmkiemen ihren Platz am distalen Ende der Kiementaschen
hätten, brauchte das Ektoderm nur einmal unmittelbar vor der Ent-
stehung dieser Kiemen sich gegen die Kiementaschen und bis an
jenen Platz vorzudrängen, um das kiemenbildende Gefäß und Meso-
derm, die grundsätzlich dieselben wären wie früher, in den Bereich
des Ektoderms gerathen und an Stelle der Darmkiemen Hautkiemen
entstehen zu lassen. Im Anschluss an diese Darstellung deutet DoHRN
die Möglichkeit an, beide Arten von Kiemen mit einander zu homo-
logisiren.
Ich kann diese Auffassung nicht theilen, schon weil meine Beob-
achtungen über die Kiemenbildung ganz anders lauten. Oft, und
namentlich wenn man die schon vorragenden Kiemenanlagen unter-
sucht, kann man allerdings den Eindruck gewinnen, dass der Aorten-
bogen oder ein Kiemenzweig desselben die Vorragung veranlasse.
Dagegen habe ich direkt beobachtet, dass die jüngsten Kiemenanlagen
der Selachier ohne Betheiligung eines Gefäßes entstehen (p. 550), dass
ferner die Entwicklung der Pseudobranchie und der Hautkiemen der
Knochenfische durch Epithelwucherungen eingeleitet wird (p. 558), und
dass endlich dort, wo die Wucherung des Mesoderms und die Aus-
stülpung des Epithels mit einer Kiemengefäßbildung an derselben
Stelle zusammenfallen, diese Gefäßanlagen "Anfangs nur in Mesen-
chymlücken bestehen, in denen man kaum die. unmittelbare, mecha-
nische Ursache für die Kiemenbildung erblicken kann. Alle. diese
Beobachtungen beweisen ganz klar, dass weder das Mesoderm, noch
das Gefäß oder Epithel die einseitige Ursache der Kiemenbildung
sein kann, sondern dass vielmehr eine gemeinsame, wenn auch nicht
immer streng gleichzeitige Wucherung dieser drei Theile oder, was
dasselbe ist, eine lokalisirte Wucherung des Kiemenbogens die Kiemen
\
568 A. Goette,
erzeugt. Dies wird noch augenfälliger, wenn man überlegt, dass in
der Regel dieser Vorgang eigentlich schon mit dem Auftreten der
inneren Kiementräger (Darmkiemen) oder der äußeren Kiemenwülste
(Hautkiemen) beginnt, also gerade mit ganz unzweideutigen lokali-
sirenden Wucherungen des ganzen Kiemenbogens.
Danach wirkt also das Epithel schon bei der Vorbereitung der
Kiemenbildung mindestens eben so viel mit wie das Mesoderm und
die Gefäße, und zwar als Theil des bestimmten, sei es entodermalen
oder ektodermalen Kiemenbogenabschnittes. Folglich kann von der
Identität der Kieme ohne das identische Epithel gar nicht die Rede
sein, und es ist eine unzulässige Vorstellung, dass bei der Kiemen-
bildung eines entodermalen Kiemenbogenabschnittes einmal das Ekto-
derm gewissermaßen zufällig untergeschoben werden, und so das
identische Organ sich aus einem entodermalen (Darmkieme) in ein
ektodermales (Hautkieme) verwandeln könnte. Darmkiemen und Haut-
kiemen sind eben nach den entgegengesetzten Lagebeziehungen des
sie erzeugenden Substrates, nämlich der dem Darm angehörenden
und daher entodermalen Innenseite und der an der Körperoberfläche
liegenden und daher ektodermalen Außenseite des Kiemenbogens,
durchaus heterologe Organe. Daran wird nichts geändert durch die
Thatsache, dass die beiden Kiemenarten nach Bau und Funktion
übereinstimmen, und dass selbst für ihr heterogenes Epithel eine
qualitative Differenz nicht nachweisbar ist. Dagegen ist die fest-
gestellte Heterologie beider Kiemenarten keineswegs bloß von theo-
retischer Bedeutung, da ihre Entstehung und ihr Wechsel unzweifel-
haft mit der besonderen und wechselnden Lebensweise ihrer Träger
in innigstem Zusammenhange stand und steht. Als daher die meisten
Nachkommen der Urfische, die nur durch Darmkiemen athmeten,
statt dessen Hautkiemen erhielten, können jene Darmkiemen nicht
einfach nach auben vorgerückt sein, sondern müssen wirklich zurück-
gebildet und die Hautkiemen als ganz neue und den ersteren nicht
homologe Organe entstanden sein, was eben eine schr eingreifende
Veränderung der Organisation bedeutet und die Kluft zwischen den
Cyclostomen und den übrigen Fischen vertieft.
Wie dieser Wechsel im Besonderen vor sich ging, lässt sich
natürlich nur in wenigen Punkten andeuten. Wahrscheinlich begann
mit der allmählichen Veränderung der Lebensweise auch die Rück-
bildung der Darmkiemen; dies konnte aber sicherlich nicht geschehen,
ohne dass eine entwicklungsfähige Anlage der sie ersetzenden Haut-
kiemen vorhanden war. Auch ist es höchst unwahrscheinlich, dass
Über die Kiemen der Fische. 569
eine solche Anlage erst dann erschien, als sie nothwendig war; es
ist vielmehr daran zu denken, dass irgend ein schon früher auf der
Außenseite der Kiemenbögen vorhandenes und irgendwie entbehrlich
werdendes Organ sich unter Funktionswechsel in die Hautkiemen
verwandelte. Um dies zu illustriren und ohne damit eine bestimmte
Hypothese aufstellen zu wollen, erinnere ich an den von mir be-
schriebenen Reusenapparat der Neunaugen, dessen Lage und Bildung
ihn zu Hautkiemen geeignet machen, sowie er andererseits als Hilfs-
apparat der Darmkiemen entbehrlich erscheint, sobald diese eine
kückbildung erfahren. Es ist daher sehr wohl denkbar, dass die
Vorfahren der übrigen Fische eine ähnliche Einrichtung besaßen,
von der die Entwicklung der Hautkiemen ausgehen konnte. Unter
allen Umständen mussten in der Übergangszeit beiderlei Kiemen, die
einen in Rückbildung, die anderen in Fortbildung begriffen, neben
einander bestanden haben.
Ganz anders wie mit den eigentlichen Kiemen verhält es sich
mit den Gefäßen und dem Skelett des Kiemenapparates. Die ab-
steigenden Skelettspangen und die Aortenbögen erscheinen als meso-
dermale Innenbildungen der Kiemenbögen gleicherweise geeignet, zu
Hautkiemen wie zu Darmkiemen in Beziehung zu treten; auf der
anderen Seite veranlasst ihre wechselnde Lage — bei den Cyclo-
stomen liegt der Aortenbogen einwärts von der Skelettspange, bei
den übrigen Fischen auswärts von ihr — die Überlegung, ob einer
dieser Theile eben so wie die Kiemen gewechselt haben dürfte.
Die Lage der Aortenbögen ist ganz naturgemäß durch die
Lage der Kiemen bestimmt, die sie mit Gefäßen versorgen; es ist
daher verständlich, dass sie bei den Cyclostomen mehr am Innen-
rande des Kiemenbogens erscheinen. Bei den Selachiern nehmen
sie Anfangs dieselbe Lage ein und wandern erst in dem Maße, als
die Außenseite der Kiemenbögen sich stark vorwölbt, nach außen in
die Nähe der Stelle, wo die hintere Kiemenreihe entstehen soll. Dies
scheint mir zu beweisen, dass diese Aortenbögen ursprünglich innere
waren, und wie bei den Cyelostomen proximal von den Skelett-
spangen lagen, um sich dann sekundär den neuen Hautkiemen anzu-
passen und eine Lageveränderung einzugehen. Eine Bestätigung
dessen sehe ich darin, dass der erste Aortenbogen der Selachier,
der den Kieferbogen durchzieht und die Darmkieme des Spritz-
loches versorgt, seine ursprüngliche innere Lage unverändert behält
und, eben so wie die Aortenbögen an den Hautkiemen, Arterienzweige
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Ba. 38
570 A. Goette,
entsendet. Nach Allem dürfte also an der Homologie der Aortenbögen
der Cyelostomen und der Selachier nicht zu zweifeln sein.
Wesentlich anders stellen sich die Befunde bei den Teleostomen
dar. Das bei ihnen erhaltene obere Stück des ersten Aortenbogens
verhält sich allerdings als Stammgefäß einer Darmkieme eben so wie
das homologe Gefäß der Selachier, indem es proximal vom Kiefer-
skelett liegt und sich in eine Arterie verwandelt (Figg. 66, 71); es
kann daher sammt seiner Kieme als Erbtheil von den enterobran-
chialen Vorfahren dieser Fische gelten. Die übrigen Aortenbögen
der Teleostomen unterscheiden sich aber in ganz auffallender Weise
von allen Aortenbögen der Selachier. Nichts deutet darauf hin, dass
sie einst proximal vor den Skelettbögen lagen, wogegen ihre weitere
Umbildung ganz entgegengesetzt verläuft wie an den Aortenbögen
der Selachier (Fig. 72). Während diese letzteren das Kiemengefäß-
system in derselben Weise herstellen, wie es bei den Cyelostomen
geschieht, vollzieht sich die entsprechende Entwicklung in den kiemen-
bildenden Bögen der Teleostomen gerade umgekehrt: der Aortenbogen
wird statt zur Arterie zur Vene und entsendet seine Zweige in den
Außenrand der Kiemenblättehen statt in ihren Innenrand, worauf sie
nicht in eine proximale Vene (Cyclostomen, Selachier), sondern in
eine distale Arterie zurückkehren.
Dies bedeutet eine so eingreifende Abänderung des ursprüng-
lichen Kiemengefäßsystems bei den Teleostomen, dass sie ohne eine
entsprechende Änderung des übrigen Kiemenapparates gar nicht zu
verstehen wäre: so wie die viel geringere Verschiedenheit in den
hyoidalen Gefäßen des Störs und der Knochenfische nur durch die
kückbildung der Kiemendeckelkieme bei den letzteren genügend moti-
virt erscheint. Will man also an der Homologie der sämmtlichen
Aortenbögen aller Fische und somit daran festhalten, dass ihre ab-
weichende Entwicklung bei den Teleostomen erst nachträglich ein-
trat, so muss entweder ein evidenter Grund dafür aufgedeckt wer-
den, oder in Ermangelung dessen jene Homologie auf anderem Wege
sichergestellt sein. Für Beides versagt aber die Beobachtung. Denn
die von beiden heterogenen Gefäßsystemen versorgten Hautkiemen
sind in ihrer übrigen Bildung und ihren Lagebeziehungen bei allen
Fischen so gleich, dass bei den Teleostomen kein Anhaltspunkt für
eine nachträgliche Veränderung ihrer Kiemengefäße zu finden ist;
eben so wenig ist die fragliche Homologie von zwingenden Gründen
gestützt, da sie bisher nur desshalb natürlich erschien und unwider-
sprochen blieb, weil die genannten Verschiedenheiten der Aortenbögen
Uber die Kiemen der Fische. 571
noch nieht bekannt waren. Unter diesen Umständen ist es gerecht-
fertigt, ohne eine solche Voraussetzung nach einer Erklärung für die
Sonderstellung der Teleostomen zu suchen, die sich denn auch in
der hier dargestellten Entwicklungsgeschichte des Kiemenapparates
darbietet. |
Die einzige nachweisbare Veranlassung zur Abänderung der
Kiemengefäße der Fische ist der Übergang von der Darmkiemen-
athmung zur Hautkiemenathmung. Bis zur vollständigen Herstellung
der Hautkiemen mussten, wie gesagt, die älteren Darmkiemen, wenn
auch vielleicht in unvollkommener Weise weiter fungiren, also auch
ihre ursprünglichen Gefäße behalten, während die neuen Hautkiemen
das nöthige Blut auf verschiedenem Wege beziehen konnten. Er-
hielten sie Zweige von den alten Aortenbögen und übernahmen diese
ganz, nachdem die Darmkiemen verschwunden waren, so konnte an
jenen Bögen eine Änderung nicht eintreten; denn da sie für die
Darmkiemen bis zuletzt Arterien blieben, so konnten sie auch
den Hautkiemen nur Arterienzweige zuschicken und mussten selbst
Arterienstämme bleiben. Dies fand offenbar bei den zu den Sela-
chiern führenden Hautkiemern statt, deren arterielle Aortenbögen
sowohl an den Darmkiemen des Spritzlochs wie an den Hautkiemen
der übrigen Bögen die ursprünglichen blieben. Natürlich können die
venösen Aortenbögen der Teleostomen nicht eben so entstanden, d.h.
mit den arteriellen Aortenbögen der Darmkiemen nicht identisch sein;
wohl aber ist ihre Entstehung in der Weise möglich, dass die in
Entwicklung begriffenen Hautkiemen ihr Blut nicht aus dem auf-
steigenden ursprünglichen Aortenbogen, sondern durch einen aus
seiner Wurzel entspringenden und distal von ihm verlaufenden Ge-
fäßstamm erhielten. Dieser neue Aortenbogen war alsdann vom ur-
sprünglichen ganz unabhängig und konnte sich weiterhin genau so
entwickeln, d. h. zur Kiemenvene werden, wie es bei den gegen-
wärtigen Teleostomen zu sehen ist. In diesem Fall gingen natürlich
die früheren Aortenbögen der Darmkiemen mit diesen selbst zu
Grunde.
Aus dieser, wie mir scheint, einzig möglichen Erklärung der Ver-
schiedenheit in den zweierlei Kiemengefäßsystemen der Fische ergiebt
sich der Schluss, dass die zu Hautkiemen gehörenden Aortenbögen
der Selachier und der Teleostomen nicht homolog sind, und dass
diese Divergenz ihrer Kiemenapparate nicht erst nachträglich entstand,
sondern von Anfang an bestand. Dies bedeutet natürlich auch die
Blog
572 A. Goette,
ursprüngliche Divergenz der Selachier und der Teleostomen über-
haupt.
Das Kiemenskelett hat von allen Theilen des Kiemenappara-
tes sich in so fern am wenigsten verändert, als die absteigenden
Skelettspangen der Kiemenbögen durch die ganze Reihe der Fische
dieselben geblieben sind. Sie verlassen auch ihre ursprüngliche
Lage mitten im Kiemenbogen im Grunde genommen nicht, da nur
die proximal oder distal von ihnen befindlichen Theile sich verändern
und dadurch die scheinbaren Lageveränderungen der Kiemenspangen
herbeiführen. So gerathen sie bei den Cyelostomen nur durch die
Entwicklung der Kiementräger mehr nach außen, bei den Dermato-
branchiern dagegen ganz nach innen, in Folge der Entwicklung der
äußeren Kiemenwülste und der völligen Rückbildung der Innenhälften
der Kiemenbögen. Ihre wechselnde Lagebeziehung zu den Aorten-
bögen ist aber durch die Entwicklung der letzteren während‘ des
Kiemenwechsels genügend erklärt: der proximal von der Skelett-
spange gelegene Aortenbogen der Darmkiemer (Cyelostomen) wandert
entweder während jenes Wechsels nach außen (Selachier) oder er
wird durch einen neuen äußeren Aortenbogen ersetzt (Teleostomen).
Durch diese Erklärung der verschiedenen Lage der Aortenbögen
erledigen sich alle auf diese Lage gestützten Einwürfe gegen die
Homologisirung aller Kiemenspangen. KuPprreEr’s Annahme, dass das -
Kiemenskelett der Cyclostomen aus dem Ektoderm herstamme, und
daher mit dem Kiemenskelett anderer Fische nicht vergleichbar sei,
kann ich nicht bestätigen. |
Die septalen und einreihigen Kiemenstrahlen der Selachier und
die eben so genannten Stützknorpel in den einzelnen Kiemenblättern
der Teleostomen sind natürlich keine gleichwerthigen Theile und in
den beiden divergenten Reihen der Dermatobranchier unabhängig
von einander entstanden. Die Gyelostomen können keine Homologa
der Kiemenstrahler besitzen, weil ihnen Hautkiemen und Septen
fehlen.
Die Hauptergebnisse meiner Untersuchung sind folgende:
1) Die ersten Anlagen des Kiemenapparates sind bei allen Fischen
dieselben, nämlich die entodermalen Kiementaschen mit den zwischen-
liegenden Kiemenbögen und den sie stützenden absteigenden Skelett-
spangen. Als Stammgefäße der Kiemenbögen sind ebenfalls überall
Aortenbögen vorhanden, die jedoch nicht sämmtlich homolog sind (s. u.).
Über die Kiemen er Fische. 573
| 2) Zuerst entstanden Darmkiemen in den _Kiementaschen
(Enterobranchier), erhielten sich aber nur bei den Cyelostomen
und bildeten sich bei den übrigen uns bekannten Fischen nebst den
ganzen Taschen zurück, um durch die an der Außenseite der Kiemen-
bögen neugebildeten Hautkiemen ersetzt zu werden (Dermato-
branchier). Darmkiemen und Hautkiemen sind also nur analoge,
nicht homologe Bildungen. Spritzlochkieme und Pseudobranchie sind
Rudimente einer Darmkieme der ersten Kiementasche.
3) Die inneren Aortenbögen der Enterobranchier haben sich
als Kiemenarterien außer bei den Cyelostomen noch erhalten in den
Kieferbögen mit rudimentären Darmkiemen aller Fische, ferner in
den Hyoid- und Kiemenbögen der Selachier; in denselben Visceral-
bögen der Teleostomen wurden sie durch neue und venös werdende
Aortenbögen (Kiemenvenen) ersetzt, die bereits während des Kiemen-
wechsels entstanden. Zu den Aortenbögen der Selachier gesellen sich
proximale Kiemenvenen, zu den Aortenbögen der Teleostomen distale
Kiemenarterien.
4) Die Schutzvorrichtungen für die Hautkiemen bestehen in
plattenförmigen Auswüchsen der Außenseite der Hyoid- und Kiemen-
bögen, die theils als Septen die mit ihnen verwachsenen Kiemen
tragen und theils als freie Kiemendeckel über sie hinausragen.
Die Kiemendeckel der meisten recenten Selachier verbinden sich zu
den Kiemensäcken, die jedoch den bekannten älteren Selachiern
(Ohlamydoselachus, Pleuracanthus) fehlen, daher relativ junge Bildun-
sen sind und mit den Kiementaschen der Cyelostomen nichts gemein
haben. — Die Teleostomen besitzen nur große hyoidale Kiemen-
deckel, an den Kiemenbögen aber nicht einmal Septen; ihre angeb-
lichen rudimentären Septen sind nur unmittelbare Verwachsungen der
Kiemenblättehen und keineswegs von den Kiemensäcken der Selachier
abzuleiten.
5) Nach den Befunden der Kiemenbildung sind die Cyelostomen
die Vertreter des ältesten Typus der Fische, nämlich der Entero-
branchier; die von letzteren abstammenden Dermatobranchier diver-
sirten von Anfang an mindestens in den zwei Richtungen, die zu
den gegenwärtigen Selachiern und den Teleostomen führten.
6) Im Kiemendarm der Ammocoeten findet sich ein weiteres
Zeugnis für das angegebene hohe Alter der Cycelostomen. Denn
unter allen Fischen haben nur die Ammocoeten die rinnenförmige
Anlage der Schilddrüse, ihre Verbindung mit seitlichen Wimperrinnen
und ihre Funktion, die mikroskopischen Nahrungstheilchen in einen
974
A. Goette,
Schleimballen einzubetten (p. 542), also die unverkennbaren Merkmale
einer echten Hypobranchialrinne der Tunikaten und Leptokardier bei-
behalten.
Or
Straßburg i. E., im December 1900.
Litteraturverzeichnis.
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Erklärung der Abbildungen.
Allgemeine Zeichen:
a, Aorta; g, Anastomose zwischen den Geräßen
ab, Aortenbogen; des Kiefer- und des Hyoidbogens
as, Arterienstamm ; (ausgenommen Fig. 31);
c, Hirn; gs, Gaumensegel;
ch, Chorda; h, Hyoidbogen; |
d, Kiemendeckel; h', sekundärer Hyoidbogen;
e, Umschlagswinkel der Gaumensegel; :, Lücke im Mesoderm;
f, Querfalte; k, Kiemenräden;
f’, Längsfalte des Kiemendarmbodens; %’, Fiederkieme;
576 A. Goette,
;"”, Kiemenblättchen ;
ka, Kiemenarterie, Arterienzweige ;
kb, Kiemenbogen;
kb’, Kiemenbogenplatte;
kd, Kiemendarm ;
kf, Kieferbogen;
kk, Kiemenspange ;
ksp, Kiemenspalte;
kt, Kiementasche;
kv, Kiemenvene, Kiemenvenenzweige;
kw, Kiemenwulst;
m, Verschlussmembran der Kiemen-
taschen; °
mb. Mundbucht, Mundhöhle;
ms, Muskel;
n, Nerv;
r, der den Kiemenspalt überdeckende
Hinterrand der Kiemenbogenplatte;
s, Kiemenseptum;
sd, Schilddrüse; |
sp, Spritzlochkieme, Pseudobranchie;
th, Homologon der Thymus ?);
ir, Kiementräger;
v, Verbindungshaut des Kiementrägers;
wr, Schlundwimperrinne.
Auf den getönten Durchschnittsbildern sind die Epithelien (Ektoderm, Ento-
derm) nur durch einen dunkleren Ton, das allgemeine Mesoderm durch einen
helleren Ton gekennzeichnet.
Tafel XL.
Alle Figuren beziehen sich auf Embryonen von Petromyzon fluviatilis.
Figg. 1 u. 2. Frontaldurchschnitte durch die Kiemenregion.
Fig. 3. Dasselbe von einem etwas älteren Embryo.
Figg. 4—7. Dasselbe von einer weiteren Entwicklungsstufe.
Fig. 8. Dasselbe von einem älteren Embryo mit breiter Mundbucht.
Fig. 9. Dasselbe mit abflachendem Hyoidbogen.
Fig. 10. Dasselbe mit glatt ausgezogener erster Kiementasche, /, Biegung
ihrer Vorderwand.
Fig. 11. Dasselbe kurz vor dem Durchbruch der Mundbucht in den Kiemen-
darm, /! wie in Fig. 10.
Figg. 12, 13. Frontaldurchschnitte nach der Trennung der Gaumensegel.
Figg. 14—17. Mediandurchschnitte durch die vordere Kiemengegend, mit
den eingezeichneten Grenzen der zwei ersten Kiementaschen.
Figg. 18, 19. Kiementräger mit den ersten Anlagen der Kiemenfäden und
ihrer Gefäße,
Tafel XLI.
Figg. 20—33 von Petromyzon fluviatilis.
Fig. 20. Frontaldurchschnitt von einer Entwicklungsstufe zwischen 10 und
12, ! wie in Figg. 10 und 11.
Figg. 21, 22. Zwei tiefere Durchschnitte von einem Embryo derselben
Entwicklungsstufe.
Fig. 23. Frontaldurchschnitt von einer Larve mit fertigem Rundmaul.
Figg. 24—26. Kiementräger mit Kiemen von etwas älteren Larven.
Fig. 27. Kiementräger mit Kiemenfäden im senkrechten Sagittaldurch-
schnitt.
Fig. 28. Eine Fiederkieme längs durchschnitten. |
Fig. 29. Sagittaldurchschnitt einer mit Kiemenblättchen besetzten Kiemen-
tasche.
Fig. 30. Zwei Kiemenbögen mit Kiemenapparat aus einem Frontaldurch-
schnitt durch eine Larve von ca. 1 cm Länge; die punktirte Linie bedeutet den
Über die Kiemen der Fische. 577
Weg, den die Kiemenblättchen bis zu ihrer Verbindung mit der Kiemenbogen-
platte zurücklegen.
Fig. 31. Ähnlicher Durchschnitt von einem erwachsenen Petromyzon planeri,
x Papillen des Reusenapparates, z der proximal davor wurzelnde Zapfen, p inne-
res Kiemenloch, g venöse Bluträume.
Fig. 32. Äußere Ansicht eines Kiemenloches von Petromyzon fluviatilis, x, 2,
wie in Fig. 31.
Fig. 33. Sagittaldurchschnitt durch ein solches Kiemenloch, z der genannte
Zapfen mit seinem Knorpel, o der Knorpelring im Umkreise des Kiemenloches.
‚Fig. 34. Ein Kiemenbogen mit Septum, Kiemendeckel und Kiemen von
einem Fötus von Mustelus vulgarıs, von der vorderen Seite mit den kurzen
Kiemenfäden gesehen.
Fig. 35. Die Gefäße der Pseudobranchie eines Lachsembryo aus Frontal-
durchschnitten rekonstruirt, die Vene nach außen verschoben. hm, Hyomandi-
. bulare. |
Fig. 36. Zwei Kiemenblättchen eines Lachsembryo im Längsdurchschnitt.
Fig. 37. Ein Kiemenbogen von einem Hechtembryo, die längeren Fieder-
kiemen gehören der hinteren Reihe, die kurzen Kiemenfäden der vorderen
Reihe an.
Fig. 38. Dasselbe von einem jungen Cobitis fossilis.
Tafel XLII.
Fig. 39. Frontaldurchschnitt durch die Kiemengegend eines Embryo von
Torpedo ocellata, vor dem Durchbruch der Kiementaschen.
Fig. 40. Dasselbe nach dem Durchbruch einiger Kiementaschen.
Figg. 41—44. Frontaldurchschnitte durch die Kiemenbögen eines älteren
Embryo von Torpedo ocellata.
Fig. 45. Frontaldurchschnitt unmittelbar unter dem offenen Spritzloch
desselben Embryo.
Figg. 46, 47. Kiemenbögen älterer Embryonen von Mustelus vulgaris.
Figg. 48—50. Durchschnitte durch die Spritzlochkieme desselben Embryo
wie Fig. 47.
Fig. 51. Kiemenbogen mit gefäßlosen Kiemenanlagen von Pristiurus.
Figg. 52—56. Frontaldurchschnitte durch die Kiemengegend von verschie
denen Embryonen von Acipenser sturio, Figg. 55 und 56 gehören zu derselben
Serie.
Fig. 57. Ein Kiemenbogen mit den ersten Kiemenanlagen vom Stör,
Figg. 58—60. Frontaldurchschnitte durch die Kiemengegend von Lachs-
embryonen. hm, Hyomandibulare.
Figg. 61—63. Einzelne Kiemenbogendurchschnitte von verschieden alten
Lachsembryonen. x, Kiemenstrahlen; o, künstliche Lücken zwischen Oberhaut
und Mesoderm.
Tafel XLIII.
Schematische Darstellungen von der Entstehung und Metamorphose der
Kiemengefäße der Selachier (Figg. 64—66), des Störs (Figg. 67, 68) und des Lachses
(Figg. 69— 71); in Fig. 72 stellt die linke Hälfte die Kiemengefäße der Selachier,
die rechte Hälfte diejenigen der Teleostomen im Querdurchschnitt dar. Die ur-
sprünglichen Aortenbögen sind schwarz, die sekundär entstehenden Gefäße weiß,
die zurückgebildeten Getäßstrecken punktirt, die Kiementaschen schraffirt. -
Der Bau der weiblichen Geschlechtsorgane bei Culex
und Anopheles.
Yon ı
Prof. N. Kulagin
(Moskan).
Mit Tafel XLIV.
Bei den Mücken Oulex pipiens L. und Anopheles bifurcalus L.
haben die Eierstöcke die Form von zwei ovalen Säckchen (Fig. 1).
Das proximale Ende der Eierstöcke ist verdiekter und endet mit einem
dünnen Röhrchen, welches dem Endröhrchen der Eierstöcke bei an-
deren Insekten entspricht (Fig. 1 ek). Am hinteren Ende geht jeder
Eierstock in eimen ziemlich breiten Oviduct über (Fig. 1 ovd). Die
Größe der Eierstöcke bei den im Herbst und Winter untersuchten
Individuen variirt zwischen 0,5—0,8 mm, bei den Individuen, welche
im Frühjahr beobachtet wurden, wird der Eierstock größer und er-
reicht die Größe von 1,3—1,6 mm. Dieser Unterschied steht im Zu-
sammenhang mit dem Wachsthum der Eier.
Die Wände jedes Sackes bestehen aus einer Hülle von Binde-
gewebe mit einer Menge von Kernen und Tracheen (Fig. 1 p). Die
Tracheen sind in Form von Röhrenbündeln gegen den inneren mittleren
Theil des Eiersackes gerichtet und bilden in dessen Wänden ein dicht
verzweigtes Netz.
In diesem Sacke liegen radial vertheilte Eiröhrchen, die von
der äußeren Wand des Sackes gegen dessen Centrum gerichtet sind.
Die Länge der Eiröhrehen ist verschieden. Die Röhrchen, welche
im oberen proximalen Theile des Sackes liegen, sind am längsten und
stark geschweift. Ihre oberen Enden münden in den oberen Theil
des Sackes, die übrigen Röhrchen sind um so kürzer und gerader,
je näher sie zum hinteren distalen Ende des Eierstockes liegen. Jedes
köhrchen ist von einem sehr dünnen Häutehen umgeben, welches der
Der Bau der weibl. Geschlechtsorgane bei Culex und Anopheles. 579
sogenanten Membrana propria, die die Eiröhrchen anderer Insekten
bedeckt, entspricht. Man sieht diese Hülle deutlich bei Untersuchung
der Präparate in toto in physiologischer Kochsalzlösung. Auf den
Präparaten in toto, welche mit Flüssigkeiten von PERENYI, UARNOY,
Sublimat bearbeitet und dann auf verschiedene Weise mit Gentiana-
Violett und Safranin, mit Hämatoxylin u. A. gefärbt worden sind, ist
dieses Häutchen wenig und nur an einigen Röhrchen bemerkbar. In
Folge dessen scheinen die Eikammern, die sich im Inneren der
meisten Röhrchen befinden, in einem gemeinschaftlichen Sacke zu
liegen, dessen Wände aus der oben beschriebenen Peritonealmembran
bestehen. Dies sieht man am besten auf Fig. 1 p. Auf derselben
sieht man die Haut der Eiröhrchen an zwei Stellen (p,, Pr). Außer-
dem scheinen die meisten Eikammern in einem gemeinschaftlichen
Sacke zu liegen, und zwar die Eikammern in Folge der radialen
Anordnung der Eiröhrchen und ihrer Krümmungen unregelmäßig
über einander (Fig. 1 ov).
An Längs- und Querschnitten des Eierstockes konnte ich die
Haut der Eiröhrchen nur im oberen Theil des Sackes. und lange
nicht an allen Röhrchen beobachten. Am besten lässt sich die Haut
der Eiröhrchen bei der Untersuchung der Eierstöcke von (ulex
pipiens und Anopheles bifurcatus in einer physiologischen Kochsalz-
lösung beobachten. Wenn man die membranartige Hülle des Sackes
vorsichtig aus einander zupft, so kann man die Haut an vielen Ei-
röhrchen sehen. Behandelt man den zerzupften Eiersack mit !/, P/,iger
Essigsäurelösung und Methylgrün, so sieht man in den Hüllen der
Eiröhrchen und zwar an der Grenze zweier benachbarter Eikam-
mern Kerne, welche sich durch nichts von den Kernen der Peritoneal-
membran unterscheiden. Bei der erwähnten Behandlung lässt sich
an einigen Präparaten, wenn der Inhalt der Eiröhrehen vorsichtig
entfernt ist, sehen, dass ihr Häutchen eine Fortsetzung der Peritoneal-
membran ist, die in den Eiersack hineinwächst. Somit bilden das
Peritoneum der Eierstöcke und die sogenannte Membrana propria
der Eiröhrchen bei Culex pipiens und Anopheles bifurcatus eine
gemeinsame Membran aus Bindegewebe. LECAILLON giebt in einer
vorläufigen Mittheilung einen etwas anderen Bau der Eierstöcke bei
Culex pipiens an. Nach seiner Beschreibung haben die Eierstöcke
der Mücken, welche sich so eben entpuppt haben, die Form einer
länglichen sackförmigen Masse, welche der Länge nach den ganzen
mittleren Theil des Hinterleibes einnimmt. In der Mitte dieses Sackes
zieht sich in der Richtung der Längenachse ein Strang hin, dessen
580 N. Kulagin,
Wände aus dicht an einander gelagerten Zellen bestehen. Längs des
ganzen Stranges befinden sich auf dessen Oberfläche kleine Aus-
wüchse, so zu sagen Füßchen (pedoneules), welche aus eben solchen
Zellen, wie der Centralstrang, bestehen. An dem Ende, welches von
dem Centralstrang entfernter ist, haben die Seitenauswüchse eine ei-
förmige Erweiterung; die Wände dieser Erweiterung bestehen aus
an einander gedrängten Zellen, im Inneren aber befinden sich große
Zellen. Zwischen den erwähnten Seitenauswüchsen des Central-
stranges laufen eine Menge Tracheen. Bei weiterer Entwicklung des
Eierstockes verschwinden die Zellen, welche den Centralstrang und
die Seitenauswüchse bilden. Aus den Zellen, welche sich in der
eiförmigen Erweiterung befinden, differenziren sich die Eier und die
Nährzellen, aus den Zellen der Wände der Erweiterung bildet sich
Follikelepithel. Bei weiterem Wachsen des Eierstockes bleiben in dem-
selben nur Eier, und ein solches Insekt ist dann geschlechtsreif.
Die Beschreibung L£cAILLoN’s nähert sich sehr dem Bilde der
Eierstöcke von Culex piptiens in meinen Präparaten. LECAILLON hatte
nur die Hülle, Membrana propria, nicht bemerkt, welche jeden einzel-
nen Auswuchs des von ihm im Inneren des Eierstockes beschriebenen
Centralstranges bedeckt. Wie ich schon erwähnt habe, ist diese
Hülle so dünn und wächst an einigen Stellen so fest mit dem Peri-
toneum zusammen, dass man sie auch an Präparaten, welche mit der
Schnittmethode hergestellt sind, nur sehr schwer bemerken kann.
Am besten lässt sich die Gegenwart der Hülle bei dem Erforschen
des Baues der Eierstöcke im lebenden Zustande in einer physio-
logischen Kochsalzlösung konstatiren. Was ferner die Erklärung der
von LECAILLON beschriebenen Zeichnungen betrifft, so muss sie eine
andere sein, als diejenige, welche der Autor giebt. So ist der Central-
strang, welcher sich im Eiersack befindet, nichts Anderes, als das
köhrchen des Eiganges, an dessen ganzer Oberfläche die Eiröhr-
chen ausmünden. Die letzteren sind nichts Anderes als die Aus-
wüchse des Centralstranges, welche L&cAILLON beschrieben hat. Für
eine solche Erklärung dieser Seitenauswüchse des Centralstranges
spricht: 1) die Anwesenheit derjenigen Elemente, welche die Eier-
stöcke der Insekten charakterisiren und die den Ursprung der Eier
und der Nährzellen geben; 2) sind diese Seitenauswüchse auf der
äußeren Oberfläche durchweg von einer besonderen Hülle, Membrana
propria, umgeben, welche sich auf den Eiröhrchen aller bis jetzt
beschriebenen Insekten befindet, die Zellen aber, die nach LECAILLON
die Wände der Seitenauswüchse bilden, sind nach meinen Präparaten
Der Bau der weibl. Geschlechtsorgane bei Culex und Anopheles. 581
nichts Anderes als Zellen des Follikelepithels. Somit besteht der
Unterschied zwischen meiner und LECAILLON’s Beschreibung vom Bau
des Eierstockes von Oulex pipiens ausschließlich in der Erklärung
der Bilder, welche L&cAıLLox und ich beobachtet haben.
Die Litteratur über die Frage von der Bildung der Eier hat bis zum Jahre
1886 KORSCHELT sehr genau und kritisch bearbeitet. Spätere Beobachtungen
hierüber wurden, so viel mir bekannt ist, von H. HEnkInG und Hrymons ge-
macht. Nach den Angaben des Ersteren entstehen die Elemente der Eiröhr-
chen: Eier, Nährzellen und Zellen des Follikelepithels, nicht durch Umwand-
lung der ursprünglichen undifferenzirten Zellen des Geschlechtsembryo, wie
KORSCHELT sagt, sondern durch Theilung der ursprünglichen Zellen der Ei-
röhrehen: »Die mit gesperrter Schrift gemachte Angabe von KORSCHELT, dass
die drei Zellelemente der Eiröhre, welche er als Ei-, Nähr- und Epithelzellen
unterscheidet, durch direkte Umwandlung der Elemente der Endkammer ihren
Ursprung nehmen, kann ich in dieser Fassung nicht für richtig halten, wohl
aber mit der Modifikation, dass sie aus Theilungen derselben hervorgehen.«
Nach Hrymons’ Beobachtungen entstehen die Geschlechtselemente und die
Zellen des Follikelepithels ganz unabhängig von einander. Die Epithelzellen
verdanken ihren Ursprung den Wänden des ursprünglichen Embryos. Ich habe
die Frage über die Bildung des Follikelepithels der Mücke nicht näher erforscht,
die wenigen Daten aber, welche mir zur Verfügung stehen, zwingen mich eher
der Meinung Heymons’ als derjenigen KORSCHELT’s anzuschließen. So kann
man auf dem Durchschnitt des Eierstockes ganz junger Larven eine deutliche
Differenzirung der Epithelzellen der Eiröhrehen sehen. Bei erwachsenen Insek-
ten ist der Endfaden innen mit Epithel ausgekleidet und die in ihm befindlichen
Elemente unterscheiden sich von den letzteren durch ihre beträchtlichere Größe.
— Der Bildungsprocess der Eier aus den ursprünglichen Zellen des Embryos
ist für verschiedene Insekten verschieden beschrieben worden. Nach WıLL
haben die Primordialeier von Colymbetes fuscus L. Kerne, die reichlich mit Kern-
saft versehen sind. Später bringen diese Kerne durch Knospung eine ganze
Reihe von Tochterkernen hervor. Die Tochterkerne werden dann zu Kernen
des Follikelepithels und der Nährzellen. Bei weiterer Entwicklung geht eine
Verwandlung der Außenschicht des Kernes in das Plasma des Eies vor sich.
Der übrige Theil des Kernes nimmt ohne Verwandlung die Form eines Bläs-
chens mit einem Chromatinkörperchen im Inneren an. Diejenigen Theile des
Kernes, welche in das Eiplasma eintreten, verwandeln letzteres aus achroma-
tinem in chromatines Plasma.
Das Eiplasma zerfällt in eine Reihe von großen und kleinen Kügelchen,
welche den Ausgangspunkt für die Bildung des Dotters geben. BLOCHMANN
beobachtete beim Reifen der Ameisen- und Wespeneier, dass der Kern des Eies
durch Knospenbildung eine Anzahl von Kernen, die sogenannten Nebenkerne,
erzeugt. Die letzteren theilen sich vielleicht auch noch. Der übrige Theil des
Kernes theilt sich nach der Knospenbildung mitotisch und dient möglicherweise
als Ursprung des Kernes, der dem Richtungskörperchen anderer Insekten äqui-
valent ist. Später bewegen sich die Nebenkerne von der Oberfläche des Kernes
zu der :Peripherie des Eies und gehen hier in das Plasma über. Wenn auch
die Bildung des Dotters nach der Meinung des Autors auf Kosten der Nähr-
zellen und Epithelzellen vor sich geht, so doch jedenfalls nicht in diesen Zellen,
582 N. Kulagin,
sondern in dem Ei selbst. Im Ei erscheinen zuerst die Dotterelemente in
kleinen Vaeuolen. In diesen Vacuolen machen sich dann Körnchen bemerkbar,
welche allmählich alle Dotterbläschen anfüllen. — Nach STUHLMANN’s Beob-
achtungen geht der Bildungsprocess der Eier bei den Insekten auf folgende
Weise vor sich. Die Eier bilden sich aus Embryonalzellen, welche von einan-
der nicht scharf abgegrenzt sind. Der Kern des Eies bildet sich aus dem Kern
der Embryonalzelle.e. Am Anfang der Entwicklung des Eies enthält der Kern
ein großes Chromatinkörperchen, und um dasselbe einen Kranz kleiner Körn-
chen; dann verschwindet das Chromatinkörperchen, und an dessen Stelle er- -
scheint im Kern ein Nuceleolus. Bei weiterem Reifen des Eies schiebt sich
der Kern an einem der Pole hin. Hier verschwindet Anfangs der Nucleolus und
dann zerfällt der Kern selbst in Reifungsballen. Nach der Ablösung dieser
Reifungsballen verschwindet der Kern in den Eiern mit sehr viel Dotter, bleibt
aber in den Eiern, welche arm an Dotter sind. Bei den Hymenopteren bildet
sich nach den Beobachtungen von STUHLMANN der Dotter nicht aus dem Kern
des Eies, sondern in dessen nächster Nähe und offenbar unter seinem Einfluss.
KOoRSCHELT beobachtete bei den Fliegen, sowohl in den Ei- wie auch in
den Nährzellen eine Absonderung von Kerntheilchen und deren Eindringen in
das Plasma. Solch eine Theilung der Kerne, welche der Autor beschreibt, er-
innert an die Nebenkerne BLOCHMANN’S. |
Nach den Beobachtungen von ST. HıLAIRE geht bei der Entwicklung von
Dytiscus folgender Process vor sich: Zu Anfang der Entwicklung des Eies färbt
sich das Protoplasma der Eizelle bei ihrer Behandlung mit Liehtgrün sehr
schwach; der Kern enthält Lininräden, ein Chromatinnetz und ein oder zwei
Nucleoli, die mehr als halb so groß wie der Kern sind. Die Nucleoli bestehen,
wie ihr Verhalten den Farben gegenüber zeigt, aus Paranuclein. Bei weiterer
Entwicklung verändert sich der Kern nur in der Größe; bei einigen Eiern aber
verändert sich auch die Form des Kernes: er wird birnförmig, im engen Theil
des Kernes sammelt sich Chromatin in Form von Fäden an, und der übrige
Theil füllt sich mit einem Netz von Chromatin. Im Plasma des Eies erscheinen
Nucleoli, die sich mit Kernfarben färben lassen, und darauf große Ballen, welche
mit sauren Farben (Fuchsin) gefärbt werden können. Den Ursprung dieser
Ballen hat der Autor nicht verfolgt. Diese Ballen scheinen, dem Autor nach,
sich zu lösen und in Fett überzugehen. Im folgenden Stadium färbt sich das
Plasma des Eies stärker, die erwähnten Ballen zerfallen in kleine Körnchen und
umgeben den Kern gemeinsam mit Fettbläschen. Das Chromatin sammelt sich
in der Mitte des Kernes an; im übrigen Theil befindet sich ein Netz von Körn-
chen, welche nicht aus Chromatin bestehen. Die Anzahl der Nucleoli im Kerne
wächst und sie nehmen die Gestalt von Bläschen an. Auf ferneren Stadien
gehen im Ei folgende Veränderungen vor sich: Das Chromatin des Kernes ver-
schwindet; in dem Kerne sammelt sich Kernsaft an. Die im Kerne befindenden
Nucleoli theilen sich und bringen eine ganze Reihe von Körnchen hervor. Dar-
auf schwindet der fuchsinophile Stoff im Protoplasma des Eies; die Fetttropfen
lagern sich an der Peripherie des Eies. Das Protoplasma des Eies dringt in den
Kern dureh die Öffnung in der Hülle des letzteren. Die Körnehen, welche sich
im Kern befinden, werden feiner und füllen ihn fast vollkommen aus. In den
weiteren Entwicklungsstadien des Eies überfüllt sich das Protoplasma mit feinen
Körnchen, bei denen der Dotter anfängt sich abzusondern. Die Hülle des
Kernes verschwindet; die Körnchen, welche sich im Kerne befinden, dringen,
wie es scheint, in das Protoplasma ein, die Grenzen werden undeutlich und der
Der Bau der weibl. Geschlechtsorgane bei Culex und Anopheles. 583
Kern nimmt wahrscheinlich Theile des Protoplasma in sich auf. Endlich wird
das Ei reif und man erhält folgendes Bild: Das Protoplasma des Eies hat das
Aussehen eines Netzes, welches aus Körnchen besteht; in den Maschen des
Netzes sind Dotterkügelchen eingebettet.
Bei Dytiscus unterscheiden sich, nach den Beobachtungen von KUJAWSKY,
die Embryonalzellen, aus denen sich die Eier entwickeln, von den anderen,
z.B. den Nährzellen, durch eine größere Ansammlung von Chromatin im Kerne.
Bei der Entwicklung der Eier aus diesen Zellen vergrößern sich ihre Dimen-
sionen, das Chromatin nimmt im Kern die Form eines Pilzkopfes an und wird
gegen die Oberfläche des Kernes gedrängt. Bei dem ferneren Wachsthum des
Eies werden Fetttropfen in seinem Protoplasma bemerkbar. Sie pressen den
Kern zusammen und füllen das ganze Ei aus. Das Protoplasma, welches die
Fetttropfen umgiebt, färbt sich anders als an den übrigen Stellen, folglich gehen
an diesen Stellen irgend welche Veränderungen des Plasma vor sich. Bei reife-
ren Eiern umgiebt die Zone des veränderten Protoplasma den Kern und wird
beim Wachsen des Eies breiter und weniger abgesondert von dem übrigen
Plasma. In den reiferen Eiern verliert der Kern immer mehr sein Chromatin
und an der Peripherie tritt immer deutlicher ein Kranz in Form eines Rahmens
hervor, welcher sich stark färbt. Bei völliger Reife der Eier zerfließt der Kranz
in dem Plasma des Eies, wonach sich das Plasma stärker zu färben anfängt.
Derartige Stoffe, welche in das Protoplasma des Eies eindringen, geben wahr-
scheinlich, wie der Autor sagt, das Material zur Bildung des sogenannten Dot-
ters. Dieser bildet sich nach Ablauf der erwähnten Vorgänge allmählich von
der Peripherie des Eies nach dessen Centrum — dem Kern — fortschreitend. Mit
der vorrückenden Bildung des Dotters verändert sich der Charakter der Struk-
tur des Plasma: anstatt der homogenen protoplasmaartigen Masse erscheint ein
Netz von Spongioplasma, in dessen Maschen sich Dotterkörnchen beobachten
lassen.
HENKING erforschte die ersten Stadien der Eibildung bei vielen Insekten.
Bei Pyrrhocoris apterus L. besteht der Eierstock in einem gewissen Stadium der
Entwicklung aus drei Theilen: dem Endfaden, dem Keimfach und dem Eileiter.
Im ersten Entwicklungsstadium scheinen die Zellen der Endfäden oder des
embryonalen Theiles ganz homogen. Der Kern enthält eine körnige Chromatin-
masse; an vielen Kernen sind Theilungsstadien bemerkbar. In reiferen Stadien
der Entwicklung des Eierstockes ändert sich das Bild ein wenig. Die Kerne
der oberen Abtheilung des Endfadens oder des Keimfaches erscheinen kleiner
als die Kerne, welche entfernter, d. h. näher zum Eileiter, liegen; überdies ent-
halten die Kerne der ersten Abtheilung weniger Chromatinkörnchen als die der
zweiten Abtheilung. Die Kerne des zweiten Theiles haben eine ovale Form
und enthalten eine große Menge von Chromatinkörnchen, welche mit einander
durch plasmatische Fäden verbunden sind; ihrem Bau nach erinnern sie sehr
an die Kerne junger Eizellen; sie liegen längs der Peripherie des Keimfaches.
Ferner beobachtete der Autor im Eiersack näher zum Eileiter zwei Arten von
Zellen. Die einen Zellen-.haben einen hellen bläschenartigen Kern, an dessen
Peripherie sich Chromatinkörnchen anlagern; außerdem ist noch ein Kern vor-
handen. Diese Zellen bilden das Follikelepithel. Die zweite Gruppe wird aus
Zellen mit einem Nucleus gebildet, welcher mitten in einer hellen Vacuole eine
Kernsubstanz in Form eines Knäuels enthält. In Verbindung mit dem Kern-
knäuel befinden sich kompakte Chromatinkörnchen. Diese Art von Zellen hält
der Autor für junge Eier. Bei der Untersuchung dieser ursprünglichen Elemente
584 N. Kulagin,
des Eierstockes fand der Autor in jedem Kerne je 24 Chromosomen. Übrigens,
sagt HENKING, macht sich eine Schwankung in der Zahl um zwei bis drei Chromo-
somen ziemlich oft bemerkbar. Außerdem ist das Zählen der Chromosomen’
nicht leicht.
Ganz neuerdings machte RABES eine sehr interessante Beobachtung über
die Entwicklung der Eier bei Rhizotrogus solstitialis L. Nach seinen Angaben
wächst bei der Bildung der Eier das Follikelepithel, eine oder mehrere Falten
bildend, in das Ei hinein. Ein solches Hineinwachsen hat den Zweck, den
Nahrungsstoff des Eies zu vermehren: »Eine Oberflächenvergrößerung des Nähr-
epithels behufs besserer und reichlicherer Ernährung der in schnellem Wachs-
thum befindlichen Eier zu schaffen.«e Nach RaAgzs liegt das Keimbläschen des
Eies meistentheils am Rande des Eies; zwischen diesem und dem Follicular-
epithel befinden sich verschiedene Körnchen, welche theils von dem Keimbläs-
chen, theils von den Zellen des Follikelepithels abstammen.
Wenn wir alle beschriebenen Beobachtungen über die Entwick-
lung der Eier bei Insekten zusammenfassen, so sehen wir, dass die
meisten Autoren auf einen Austausch hinweisen, welcher zwischen
dem Kern und dem Plasma der Eizelle vor sich geht. Nach den
Beobachtungen von Kuyawsky und WıLL verschwimmt die obere
Schicht des Kernes in dem Plasma des Eies. BLOCHMANN, STUHL-
MANN, KORSCHELT und RABES haben die Absonderung von Einzel-
theilen der Keimbläschen und deren Eindringen in das Eiplasma
konstatirt.
Nach Sr. HıLaIrE endlich dringt das Eiplasma in das Keimbläs-
chen ein. Ich habe die Entwicklung der Eier bei erwachsenen For-
men von Oulex pipiens und Anopheles bifurcatus untersucht. Die Be-
obachtungen wurden im Verlauf des Herbstes, Winters und in der
ersten Hälfte des Sommers bis zum Juni gemacht. Die Eiröhrchen
der Individuen, welche ich im Herbst und Winter untersuchte, waren
an ihrer inneren Oberfläche mit, Epithelialzellen, mit Kernen von
körniger Struktur ausgekleidet; die Grenzen der Zellen sind nicht
deutlich zu sehen (Fig. 3 f2). Diese Zellen bekleiden nieht nur die
Wände der Eiröhrehen, sondern bilden auch die Querwände, welche
die Eiröhrchen in Abtheilungen, die sogenannten Eikammern,
theilen. In jeder Kammer befinden sich im Verlauf des Herbstes
und Winters Zellengruppen, welche fest an einander liegen; durch
den gegenseitigen Druck erhalten die Zellen eine polygone Form.
Der innere Bau aller Zellen ist mehr oder weniger gleichartig. Das
Protoplasma füllt die Zelle vollkommen aus, und lässt sich mit ver-
schiedenen Farben intensiv färben. Die Kerne der Zellen sind mit
einer deutlichen Hülle bekleidet und bestehen aus Kernsaft, welcher den
peripherischen Theil des Kernes, und einem kompakten, rundlicher,
Der Bau der weibl. Geschlechtsorgane bei Culex und Anopheles.. 585
mehr oder weniger gleichartigen Körperchen, welches das Centrum
des Kernes einnimmt (Fig. 3 Az). Bei der Behandlung der Eier-
stöcke der von mir untersuchten Insekten nach der Methode von
Ost zeigt sich, dass das Körperchen, welches in der Mitte des
Kernes liegt, eyanophil ist. Bei fortschreitender Entwicklung der
Eier geht eine Differenzirung der Elemente, die sich in den Ei-
kammern befinden, vor sich. So wird bei der Untersuchung der Ei-
röhrchen der Insekten, die Ende Mai und in der ersten Hälfte Juni
gefangen wurden, folgende Veränderung dieser Zellen bemerkbar.
Erstens findet vor Allem eine Volumzunahme aller angeführten Zellen-
elemente statt, wobei das Wachsthum nicht nach allen Richtungen
gleichmäßig vor sich geht; durch dieses ungleiche Wachsthum nehmen
die Zellen, welche in dem oberen Theil der Eiröhrchen liegen,
eine pyramidale Form an. Zweitens treten in den Kernen der Zellen,
welche in dem oberen proximalen Theile der Eikammer liegen, fol-
gende Veränderungen auf. Das Kernkörperchen, welches im Kerne
liest und Anfangs kompakt und gleichartig ist, zerfällt in eine Reihe
Anfangs großer, später kleinerer Ballen, und zuletzt in einzelne Körn-
chen. Einige von diesen Körnchen färben sich intensiver als die
übrigen. Der Kernsaft, welcher Anfangs den peripherischen Theil
des Kernes einnahm, vermehrt sich und sammelt sich als Vacuolen
im mittleren Theile des Kernes an (Fig. 4 ne).
Danach vertheilt er sich mehr oder weniger gleichmäßig im gan-
zen Kern und der letztere wird so zu sagen schaumig, mit unregel-
mäßig im Inneren des Kernes vertheilten Ballen, von sich färbender,
mehr oder weniger kompakter Substanz (Fig. 5 »%). In dem Proto-
plasma der Zellen macht sich ebenfalls eine Anhäufung flüssiger
Substanz bemerkbar, er wird scheinbar körnig.
Gleichzeitig mit einer solchen morphologischen Veränderung der
Kerne der Zellen, geht auch eine Veränderung der festen Bestand-
theile des Kernes vor sich, Das kompakte, homogene Körperchen,
welches früher das Centrum des Kernes einnahm, war, wie schon
gesagt, cyanophil. Bei der Theilung in zwei Ballen bewahrt es
ebenfalls einige Zeit diese Eigenschaft, bei der weiteren Veränderung
des Kernes bleiben einige kleine Ballen eyanophil (Fig. 5 cy), wäh-
rend die anderen erythrophil werden; schließlich werden alle Körn-
chen, welche den Kern anfüllen, erythrophil; die letzteren sind so
zu sagen eine Varietät des cyanophilen Stoffes des Kernes. Auf
Fig. 9 cy, welche die Färbung der Präparate wiedergiebt, ist der
allmähliche Gang dieses Processes dargestellt.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 39
586 N. Kulagin,
Die Zellen, welche im unteren Theil der Kammer liegen, nehmen
ebenfalls an Umfang zu, wie die Zellen im oberen Theil der Kammer.
Ihr Umfang übersteigt denjenigen der ersteren (Fig. 4 ov).
Das Protoplasma dieser Zellen bleibt kompakter, fester als das
Protoplasma der Zellen im proximalen Ende der Eikammern. Der
Kern ist deutlich mit einer Hülle umgeben, an der Peripherie befindet
sich der Saft, im Inneren ein rundes, festes cyanophiles Körperchen
(Fig. 5 cy).
Die Zellen des proximalen Endes der Eikammer dienen dem
Ei als Nährzellen (Figg. 4 und 5 »z), und die Zellen, welche in der
Eikammer liegen, sind die Eier (Fig. 4 und 5 ov).
Die eben beschriebene Veränderung der Nährzellen erinnert auf-
fallend an die Bilder, die ich bei Beobachtung von Zellen bei aus-
gehungerten Raupen zu sehen- bekam. Ähnliche Veränderungen, wie
die von mir beschriebenen, beobachtete J. K. Sasnowsky am Kerm
von Stenfor im Hungerzustande. Vielleicht ist in der Eikammer
der Insekten die Verschiedenheit der Eizellen und der Nährzellen
ebenfalls durch diese Processe bedingt. Die ursprünglich gleichen,
nicht differenzirten Elemente der Eikammer theilen sich in Ei- und Nähr-
zellen, dadurch dass die Eizellen mehr Nahrungsstoff bekommen, als
die übrigen Zellen; in dem Protoplasma und im Kern der Nährzellen
häufen sich flüssige Oxydationsprodukte an, was die Struktur des
Kernes und des Protoplasma verändert. Der Kern wird vacuolisirt,
so zu sagen schaumig. Bei fernerer Entwicklung des Eies nimmt
man wahr, dass die Nährzelle an der -Eizelle gerade an dessen
oberem Pol erscheint (Fig. 6 »2). Das Absorbiren der Nährzellen
durch die Eizelle geht scheinbar auf folgende Weise vor sich: Die
Grenzen der Nährzellen, welehe am oberen Pol der Eizelle liegen,
verschwinden allmählich, und es kommen endlich die Nährzellen in
das Innere der Eizellen zu liegen. Die Anzahl der Nährzellen,
welche in Eizellen übergehen, ist, nach meinen Beobachtungen,
drei bis vier. Die Nährzellen unterliegen in der Eizelle folgender
Veränderung: ihr Protoplasma vereinigt sich vollständig mit dem
Plasma des Eies und die Kerne zerfallen in einzelne Chromatin-
klümpehen. Es ist interessant, darauf hinzuweisen, dass in einigen
Fällen die Theilung der Kerne der Nährzellen begann, ehe sie ins.
Ei eindrangen.
Die im Ei zerfallenen Kerne der Nährzellen erinnern auffallend
an das Bild, welches Wırt und STUHLMANN beschreiben, indem sie
darauf hinweisen, dass dieses durch Theilung des Kernes des Eies
Der Bau der weibl. Geschlechtsorgane bei Culex und Anopheles. 587
entstehe. Auf meinen Präparaten sieht man deutlich, dass der
Kern des Eies im gegebenen Falle daran gar keinen Antheil nimmt,
und dass die sogenannten »Reifungsballen« STUHLMANN’s nur Pro-
dukte des Zerfalls der Nährzellen sind. Auf weiteren Entwicklungs-
stufen der Eier verschmelzen die Stückchen der Nährzellenkerne ganz
und gar mit dem Plasma der Eizelle.
Das Eindringen des Nährstoffes in das Ei bedingt die Verände-
rung des Kernes und des Plasma des Eies. Im Kerne des Eies
werden statt der cyanophilen Substanz erytrophile (Chromatin-)Fäden,
Chromatinstücke und einzelne Mikrosome sichtbar und der Kern wird
reicher an Kernstoff. Typische Chromosome, welche HEnkKING von
vielen Insekten beschrieben hat, habe ich im Ei der Mücke nicht
beobachtet. Übrigens hat Hexkına selbst darauf hingewiesen, dass
die von ihm angegebene Anzahl der Chromosome (24) für die Eier
der Insekten nicht immer typisch ist, und dass auch Abweichungen
vorkommen. Mir scheint, dass das Zählen der Chromosome in den
Eiern ziemlich schwierig ist. Nicht umsonst empfiehlt SoBorrA das
Zählen in Zwischenräumen vorzunehmen und dabei jedes Mal die
Resultate zu notiren, aber selbst unter solchen Bedingungen schwankte
die bei Mäusen gefundene Zahl der Chromosome zwischen 12 und
15. Da wir überdies wissen, dass ein Theil des Kernes die gleiche
Bedeutung hat wie der ganze Kern (die Versuche von BALBIANI an
Stentor), so ist eine quantitative Bestimmung der Kernstoffe wohl
kaum von Wichtigkeit. Abgesehen davon ist die Bestimmung der
richtigen Menge von Chromatin bei den jetzigen Untersuchungs-
methoden eine äußerst schwierige Sache. Endlich, enthält der Kern
außer Chromatin noch andere Kernstoffe, und bis jetzt haben wir
gar keinen Grund dem Uhromatin eine wichtigere Bedeutung als den
übrigen Bestandtheilen des Kernes beizumessen. — Gleichzeitig mit
der Veränderung des Kernes des Eies verändert sich auch dessen
Plasma. In ihm erscheinen Dotterkörner. Die Frage über die Bil-
dung des Dotters im Insektenei ist von Sr. HILAIRE in seinem
Artikel »über die Bildung des Eies bei Dytiscus« sehr gründlich
behandelt worden. Nach der Untersuchung Sr. HınAıre’s ist, so viel
mir bekannt, nur eine Arbeit über diese Frage von KuJawsKY er-
schienen. Nach den Angaben von Kuyawsky geht die Bildung des
Dotters in dem Plasma des Eies wahrscheinlich unter dem Einfluss
des Kernstoffes, welcher in das Plasma eindringt, vor sich. Nach
meinen Beobachtungen geht die Bildung des Dotters auf Kosten der
Veränderung des Plasma des Eies vor sich. Das Protoplasma des
39*
588 N. Kulagin,
Eies ist zur Zeit der Dotterbildung durchaus nicht gleichartig, son-
dern eher körnig. Indem die neuen Nährstoffe in die Eizellen
während ihres Wachsthums eindringen, durchdringen sie, so zu sagen,
die einzelnen Körnchen des Protoplasma; die letzteren vergrößern
sich, verändern sich chemisch und werden zu Protoplasmakörnern
des Dotters. Die Bildung der Dotterkörnchen schreitet von der Peri-
pherie zum Centrum vor. Bei fortschreitender Bildung von Dotter-
körnchen in dem Protoplasma macht sich eine Anhäufung von flüssigen
Substanzen bemerkbar. — Später umkleiden sich die Eier der Mücken
mit Chorion. Was die Frage nach der Abgabe von Bestandtheilen
des Kernes in das Eiplasma anbelangt, so habe ich solch einen Vor-
gang bei Mücken nicht beobachtet.
In den Eikammern einiger Individuen fand ich in den Eizellen
außer dem Kernbläschen den sogenannten Dotterkern.
Der Dotterkern wurde zum ersten Mal von WırTicH im Jahre 1875 in den
Eiern von Spinnen gefunden. Später wurde er besonders von BALBIANT bei
vielen Thieren beschrieben: unter den Wirbelthieren bei einigen Arten von
Knochen- und Knorpelfischen bei einer Art von Frosch, bei vielen Eidechsen,
bei Vögeln: wie Huhn, Sperling und einigen anderen, von den Säugethieren in
den Eiern des Eichhörnchens, des Hundes, der Katze, der Kuh und des Men-
schen. Unter den wirbellosen Thieren findet sich der Dotterkern bei vielen
Crustaceen z. B. bei Branchipus und Artemia, bei Myriapoda und bei den In-
sekten (Hemiptera und Hymenoptera), und endlich wurde der Dotterkern auch
aus den Eiern einiger Mollusken, z. B. von Helix, beschrieben.
Über den Ursprung des Dotterkernes existiren folgende Angaben. Nach
den Beobachtungen von BALBIANI an Geophilus electricus entsteht der Dotter-
kern durch Knospung einer Zelle des Epithels” welches die Blase auskleidet, in
der das Ei im Ovarium sich entwickelt. |
Nach ihrem Eintritt in das Ei behält diese Zelle ihre Selbständigkeit, und
ihr Plasma vermischt sich Anfangs nicht mit dem Plasma des Eies. Später ent-
steht aus dieser Zelle der Dotterkern. Die Lage dieser Epithelialzelle im Ei ist
verschieden.
Nach den Beobachtungen von MERTENS sind unter dem Namen »Dotter-
kern« bei den Säugethieren und Vögeln zwei verschiedene Elemente beschrie-
ben. Einige Autoren haben als »Dotterkern« die Elemente des Kernes beschrie-
ben, welche sich im Inneren der Dottermasse befinden. Deren Größe ist sehr
verschieden. In den jüngsten Stadien des Eies sind es einfache Chromatin-
körnchen. Mit der Entwicklung des Eies vergrößert sich deren Umfang. Diese
Körncehen (Dotterkörperchen) bilden sich aus den Chromosomen und sind Anfangs
sehr nahe mit diesen verbunden, später werden sie von den Chromosomen
unabhängig.
Die anderen Autoren haben, nach MERTENS, bei den Säugethieren unter
dem Namen »Dotterkern« die sogenannte Attraktionssphäre der Eizelle beschrie-
ben. Die Attraktionssphäre dieser Eier ist entweder eine kugelige, körnige
Masse, oder sie hat die Form eines Halbmondes und liegt in der Nähe des
Keimbläschens. Das Centrosoma oder das Centralkörperchen ist nur in den
Der Bau der weibl. Geschlechtsorgane bei Culex und Anopheles.. 589
der Mitose nahen Stadien anwesend. Mit dem Alter des Eies wird die Attrak-
tionssphäre immer umfangreicher und die radiale peripherische Anordnung wird
immer deutlicher. In denjenigen Eiern, wo Fettkörnchen erscheinen, lagern sie
sich um die Attraktionssphäre herum, sie vertheilen sich später und bilden die
eine koncentrische Schicht unweit der Dotterperipherie.
VAN DER StricHht beschreibt die Bildung des Dotterkernes im Ei des
Weibes und im Ei der Spinne Tegenaria domestica in folgender Weise: Das
Frauenei hat Anfangs keinen Dotterkern. Vor seinem Erscheinen im Ei lagert
sich das Protoplasma in Form eines Ringes von ungleicher Breite ab, der das
Keimbläschen umfasst. Diese Plasmaschicht um das Keimbläschen herum wurde
bei den Spinnen von BALBIANI vor VAN DER STRICHT beschrieben. BALBIANI
verglich dieselbe mit der Attraktionssphäre in anderen Zellen: »Cette couche
est comparable & la masse plasmique dite sphere attractive des autres cellules.«
Später hat MERTENnS eine solche Plasmaschicht der Keimkerne in den Eiern
eines neugeborenen Mädchens konstatirt. In Übereinstimmung mit BALBIANI
nennt MERTENS diese Schicht auch »sphere attractive«. Später beschrieb BAam-
BEKE dieselbe Schicht bei Scorpaena serofa unter dem Namen »couche palleale«.
VAN DER STRICHT giebt dieser Schicht eine neue Bezeichnung, »couche vitello-
gene«, und hält sie für ein Substrat, auf dem sich der Dotterkern entwickelt.
Der Dotterkern bildet sich in dem breiteren Theile dieser Schicht in Form eines
kugeligen Körnchens oder Bläschens. Beim weiteren Wachsthum des Eies trennt
sich diese Plasmaschicht »couche vitellogene« in zwei Zonen: eine innere Zone,
welehe den Dotterkern umgiebt und eine körnige Struktur hat, und eine andere,
die an der Peripherie der ersten Zone liegt und keine Körnchen hat. Später
rücken die Körnchen in die zweite Zone und erscheinen hier als Dotterkörn-
chen. Dieselbe Bildung der Körnchen um den Dotterkern herum beobachtete
außer VAN DER STRICHT auch BAMBERE in den Eiern von Pholcus phalangioides.
Nach den Beobachtungen von VAN DER STRICHT geht dem Erscheinen des Dotter-
kernes auch eine Absonderung der homogenen Plasmaschicht um das Keimbläs-
chen voran. Bei der weiteren Entwicklung des Eies bemerkt man gleichzeitig das
Erscheinen des Dotterkerns in dem erweiterten Theile der Plasmaschicht und die
Modifieirung dieser Schicht: es erscheinen namentlich in ihr eine Reihe von
Platten, welche das Keimbläschen koncentrisch umgeben. Zuweilen bleibt in die-
sem Entwicklungsstadium die genannte Plasmaschicht unverändert, nur der Dotter-
kern wird viel umfangreicher. Später verändert sich die Struktur der das Keim-
bläschen umgebenden Plasmaschicht, es erscheinen Körnchen darin. Auf Grund
seiner Beobachtungen sprach VAN DER STRICHT die Vermuthung aus, dass der
Dotterkern einen gewissen Einfluss auf die Dotterbildung im Ei hat. Die weitere
Entwicklung der Eier beim Menschen und Spinnen besteht darin, dass die
Grenzen der den Dotterkern umgebenden Plasmaschicht verschwinden und das
Eiplasma homogen wird. Die Körnchen, welche früher in der Umgegend des
Dotterkernes lagen, vertheilen sich über das ganze Ei und erscheinen als typische
Dotterkörnchen. In dem Eiplasma sieht man deutlich nur das Keimbläschen und
den Dotterkern. Die Processe der Eientwicklung in dem letzten Stadium sind
in den Eiern der Frau und der Spinne ganz gleich. i
Die Struktur des Dotterkernes ist von verschiedenen Autoren verschieden
beschrieben worden. Nach Barsrants Beobachtungen ist der Dotterkern bei
einigen Wirbelthieren homogen. Nach den Untersuchungen von MITROPHANOW
kann man im Dotterkern von 4Jrgyroneta aquatica zwei Elemente unterscheiden:
den centralen homogenen, dem Anschein nach plasmatischen, sich mit Karmin
590 N. Kulagin,
schwach färbenden Theil und die oberflächliche körnige grellgelbe Schicht, die
sich indifferent gegen die Färbemittel verhält und keine Schichtung zeigt. In
den jüngeren Eizellen erscheint der Dotterkern als eine kugelige Anhäufung
von hellen Körnchen mit kaum bemerkbarem centralen Theil. In den reiferen
Eiern erhält die körnige Schicht eine gelbe Färbung und der Kern wird deutlich.
Nach den Beobachtungen von MERTENS sind die Dotterkerne in den Eiern
der Wirbelthiere und Vögel entweder homogen, oder sie bestehen aus zwei
Theilen: einem centralen fHlüssigeren und einem peripherischen kompakteren
Theil. Im Anfange der Entwicklung des Eies färben sich die Dotterkerne inten-
siv mit Safranin. Später verliert sich in Folge chemischer Veränderungen diese
Fähigkeit.
VAN DER STRICHT beschreibt den Dotterkern im Ei des neugeborenen
Kindes als aus einem Bläschen bestehend, in welchem sich ein oder mehrere
Körnchen befinden. die mit einander mittels Brücken verbunden sind. In den
Eiern einer erwachsenen Frau haben die Dotterkerne entweder eine homogene
Struktur oder sie bestehen aus einzelnen Körnchen, von welchen ein oder zwei
centrale Körnchen sich intensiver mit Safranin färben.
Nach den Beobachtungen BALBIANTs besteht der Dotterkern der Spinne
Tegenaria domestica aus einem plasmatischen Körper, in welchem der Kern und
zuweilen auch ein Nucleolus bemerkbar ist.
Nach den Beobachtungen VAN DER StricHr's besitzt der Dotterkern im
Ei der Frau die Fähigkeit sich zu theilen. Der Verfasser fand Eier, in welchen
zwei mit einander durch eine Brücke verbundene Dotterkerne waren; er be-
schreibt auch Eier mit drei und sogar mit vier Dotterkernen, im letzten Falle
waren zwei Kerne groß und zwei andere klein.
Nach den Beobachtungen Reın’s sind die Dotterkerne in den Eiern des
Kaninchens amöboid beweglich.
In der letzten Zeit behauptete LEPESCHKIN, dass der Körper, welcher mehr-
fach, so von WEISMANN und ICHIKAWA, unter dem Namen »Richtungskörper«
beschrieben ist, nichts Anderes als ein Dotterkern sei. Dieser Körper ist von
unregelmäßiger Form mit Vorsprüngen und Vertiefungen an der Oberfläche;
im Inneren des Körpers sieht man einen helleren centralen vacuolisirten Theil;
beim Verschwinden des Körpers zerfällt er in kleine Körnchen, die den Kern
umgeben.
In Betreff der Bedeutung der Dotterkerne sind folgende Hypothesen aus-
gesprochen worden. Nach SIEBOLD gehen die Körnchen des Dotterkernes in
den Dotter über. MERTENS beobachtete, dass die Dotterkerne in den Eiern
der Vögel und Wirbelthiere zerfallen und den Dotterkörnchen ihren Ursprung
seben. Die Dotterkerne, sagt er, kann man Dotterelemente »el&ments vitello-
genes« nennen. Nach BAMBERE hat die Eiplasmaschicht, in welcher sich der
Dotterkern entwickelt, einen Einfluss auf die Genesis des Dotters. Nach WıLson,
HÄCKER, STUHLMANN und Anderen spielt der Dotterkern eine Rolle im Stoff-
wechsel in der Eizelle, indem er zu dem Wachsthum und der Entwicklung des
Eies beiträgt. FLEMMING, HENNEGUY, JULIN und, bis zu einem gewissen Grade,
MERTENS sind der Meinung, dass der Dotterkern das Centrosoma der Eizelle
vorstellt und dem Centrosoma der Samenzelle (Spermatide) homolog ist. Nach
VAN DER STRICcHT entspricht der Dotterkern im Menschenei nebst der Plasma-
schicht, in welcher er sich entwickelt, der Attraktionssphäre der Eizelle, »le
noyau vittelin prösente une resseniblance frappante avec la sphere attractive«.
Dabei ist der Kern das Centrosoma der Eizelle, und die Schicht »couche
Der Bau der weibl. Geschlechtsorgane bei Culex und Anopheles.. 591
vittelog&ne« kann mit der Asteroidenregion der Attraktionssphäre verglichen
werden »la couche vittelogene peut &tre comparee ä la region asteroide de
cette sphere«. VAN DER STRICHT hält es aber für nothwendig zum Beweise
dieser Hypothese den Antheil des Dotterkernes als Attraktionssphäre an der Bil-
dung der ersten Richtungsspindel zu konstatiren.
In Betreff der Dotterkerne in den Insekteneiern existiren, so viel ich weiß,
folgende Beobachtungen. Nach BALBIAnI ist in den Eiern der Aphiden außer
dem in der Mitte des Eies liegenden Keimbläschen am unteren Pol des Eies
ein bleiches, zart kontourirtes und von Körnchen umgebenes Bläschen. Dieses
Bläschen oder Körperchen hält BALBIANI dem Dotterkern, den er in den Eiern
der Spinnen gefunden hat, für analog. Nach diesem Autor bildet sich der
Dotterkern bei den Aphiden ganz eben so wie bei Geophrlus electricus, das heißt,
er bildet sich aus einer der Epithelialzellen, welche die Eikammer auskleiden
und später in die Eizelle eindringen. Nach den Beobachtungen BLOCHMANN’S
an Ameiseneiern theilt sich der Kern, die Theile verbreiten sich über das ganze
Ei und verschwinden allmählich. STUHLMANN hält diese Gebilde für Dotter-
kerne. Nach eigenen Beobachtungen STUHLMANN’s entsteht der Dotterkern in
den Eiern der Hymenopteren in der Nähe des Keimbläschens und unter seinem
Einflusse, nicht aber aus seiner Substanz. Nach STUHLMANN ist der Dotter-
kern ein sehr unkonstantes Gebilde, denn von zwei nahestehenden Arten Zphialtes
besitzt ihn eine und die andere nicht.
Nach meinen Beobachtungen bildet sich der Dotterkern bei Cu-
lex pipiens und Anopheles bifurcatus bei einigen Exemplaren, aber
lange nicht bei allen, in den frühen Entwicklungsstadien des Eies,
noch bevor sich in ihm der Dotter bildet. Auf den Schnitten durch
das Ovarium dieser Insekten sieht man in den Eizellen folgendes
Bild. Der Kern der Eizelle ist von einer Hülle bekleidet. Unter
dieser ist an der Peripherie des Kernes der Kernsaft deutlich sicht-
bar. Im Inneren des Kernes befindet sich ein cyanophiles Körperchen.
In den älteren Stadien einiger Eizellen sieht man an dem Kerne,
oder richtiger gesagt, an dem cyanophilen Körperchen, eine Ein-
schnürung, später wird diese Furche tiefer und in dem Kerne werden
zwei Körperchen sichtbar (Fig. 5 cy). Es giebt ferner in meiner Serie
von Präparaten auch solche, wo das eine von diesen Körperchen in
dem Eiplasma unweit vom Kerne liegt (Fig. 7 und 8 dA). Ich habe
den Moment der Ablösung dieses Körperchens vom Kerne nicht be-
obachtet, aber auf Grund obiger Angaben ist es zweifellos, dass das
Körperchen aus demselben entsteht. Es existirt wenigstens kein
Unterschied zwischen dem Körperchen, das früher im Kerne war, und
dem, welches sich später in dem Eiplasma befindet. Und außerdem
habe ich in denjenigen Eizellen, wo ein Körperchen in dem Plasma liegt,
nie zwei Körperchen im Kerne gesehen. Die in das Eizellenplasma
eingewanderte Kernsubstanz dieser Zelle stellt nichts Anderes als den
592 N. Kulagin,
Dotterkern des Eies vor. In seiner Struktur ist er homogen, von
kugeliger Form, zuweilen besitzt er eine Hülle und unter der Hülle
an seiner Peripherie eine Anhäufung des Kernsaftes. In dieser Form
ist der Dotterkern auffallend dem Keimbläschen ähnlich. Häufiger
hat der Dotterkern keine Hülle und liegt in dem Eiplasma nicht
vom Kernsaft umgeben. Die von mir beschriebenen Dotterkörperchen
stehen denen sehr nahe, welche Wırt auf Taf. XXII, Fig. 25 von
Nepa cinerea abgebildet hat. Das auf dieser Figur abgebildete Ei
nennt WırL ein Ei mit zwei Keimbläschen. Ich halte den einen
dieser Kerne für das Keimbläschen und den anderen für den Dotter-
kern.
Nach meinen Beobachtungen ist also der in einigen Eiern von
Culex sich befindende Dotterkern nichts Anderes als ein Theil des
Keimbläschens dieser Eier. Eine solche Theilung des Keimbläschens
geschieht nicht nur bei der Bildung der Richtungskörperchen, son-
dern auch in den jüngsten Entwicklungsstadien des Eies. Vom
theoretischen Standpunkte aus erscheint die beschriebene Theilung
des Eikeimbläschens ganz möglich. Obgleich die Eizelle eine spe-
cialisirte Zelle ist, hat sie doch die den Zellen eigenthümlichen Pro-
cesse beibehalten, folglich auch den Process der Theilung. Es ist
wahr, dass man in Folge der speciellen Funktion der Eizelle den
Process ihrer Theilung nicht bei vielen Thieren beobachtet und er
sich zuweilen nur anf das Keimbläschen beschränkt, dieser Unter-
schied ist aber von keiner großen Bedeutung. So hat Hans RaBL
in der allerletzten Zeit die Theilung des Keimbläschens in den Frauen-
eiern beobachtet. Früher hat Preusse den Theilungsprocess der
Zellen im Ovarium von Nepa cinerea gesehen.
Interessant ist es, dass die oben angeführten Angaben aus der
Litteratur über die Bildung des Dotterkernes eher dafür sprechen,
dass die Autoren es in ihren Fällen mit einem Theile des Eies zu
thun hatten und nicht mit dem ÜCentrosoma, so nach den Beschrei-
bungen des Dotterkernes von MITROPHANOW, BALBIANI und VAN DER
STRICHT. In diesen Beschreibungen sind gar keine Merkmale ver-
zeichnet, welche das Centrosoma charakterisiren: die Anwesenheit
eines Kernes und Nucleolus im Dotterkerne oder der Bau des Dotter-
kernes in Form eines Bläschens mit Körnchen unterscheidet den
Dotterkern von dem Centrosoma.
Was das weitere Schicksal des Dotterkernes anbetrifft, so sind
darin die meisten Beobachter einig, dass mit der Entwicklung des
Kies der Dotterkern verschwindet und dass seine direkte Betheili-
Der Bau der weibl. Geschlechtsorgane bei Culex und Anopheles. 593
sung im Furchungsprocess sich nicht bestätigt hat, sogar solche
Autoren, die den Dotterkern für ein Centrosoma halten.
Ich will keineswegs die Anwesenheit eines Oentrosoma im Ei
bestreiten, ganz sicher existirt es in Eiern einiger Thiere, und sicher
spielt es eine Rolle bei der Furchung des Eies. Die Beobachtungen
A. GurwırscH’s an den Eiern der Meerschweinchen geben den besten
Beweis dafür. Man muss nur nicht vergessen, dass das Centrosoma
nach der Befruchtung des Eies, vielleicht auch bei dessen Reifung
erscheint, aber nicht in den jungen Entwicklungsstadien des Eies, in
welchen wir den Dotterkern antreffen. In den meisten Fällen fehlt
das Centrosoma in dem Ruhezustand des Zellmechanismus und er-
scheint nur während der Befruchtung bei der molekularen Bewegung,
welche bei der Vermischung des Plasma des Eies und des Sperma-
tozoides eintritt. Es scheint mir das Richtigste zu sein, das Centro-
soma für den Knotenpunkt zu halten, welcher aus mechanischen
Ursachen an den Kreuzungsstellen der inneren Ströme der Bewegung
des Protoplasma erscheint. Von diesem Gesichtspunkte aus ist es
zweifelhaft, ob man überhaupt von einer speciellen Struktur des
Öentrosoma sprechen kann, besonders von einer so komplieirten, wie
sie für die Dotterkerne beschrieben wurde.
Nach der Beschreibung von GILES haben die Ovarien der Mücken
kurze Oviducte, die sich in einen gemeinsamen Gang vereinigen;
dieser Gang verläuft gerade ohne Abweichung von der Mittellinie
und öffnet sich zwischen den Lamellen des Eierstockes. Unweit des
hinteren Endes des gemeinsamen Ganges münden in ihn die Gänge
dreier kleiner Drüsen. Die Drüsenorgane bestehen aus einem Drüsen-
körper von sphärischer Form und kurzen Gängen. Die Drüse ist
von einer opalweißen Flüssigkeit angefüllt, die bei durchfallendem
Lichte dunkel erscheint. Nach der Meinung ARRIBALZAGA’s! dienen
diese Drüsen als Spermatotheca und als Hilfsdrüsen, um die Eier,
die in Haufen abgelegt werden, zusammenzukleben.
Bei den von mir untersuchten Arten von Oulex weicht mehr
oder weniger scharf der Bau der Geschlechtsorgane und der Hilfs-
drüsen der Geschlechtsorgane von der Beschreibung von GILEs ab.
GILEs giebt an, dass die Oviducte kurz sind und sich in einem ge-
meinsamen Kanal vereinigen. An der Stelle, wo sich die Oviduete
vereinigen, ist der Kanal erweitert und weiterhin verengert er sich
wieder. Diese Erweiterung ist besonders zur Zeit des Eierlegens
! Cit. nach GiILES.
594 N. Kulagin,
sichtbar (Fig. 2 ovd, ovd). Der gemeinsame Gang geht nicht gerade
nach hinten, sondern biegt sich nach unten um, geht längs dem
Abdomen in der Nähe des Hypoderms; in dem vorletzten Segmente
steigt er bogenförmig zur Rückenfläche und öffnet sich schlängelnd nach
außen unter der Analöffnung in dem vorletzten Segment des Abdo-
mens (Fig. 9 ovd). Unweit der Geschlechtsöffnung münden in den
Geschlechtsgang, oder richtiger gesagt, in die Vagina, nicht drei,
sondern vier Organe, von denen drei (Fig. 2 rs) eine kugelige Form
haben und das vierte mehr keulenförmig ist (Fig. 2 gd). Die Gänge
der kugeligen Organe öffnen sich in die Vagina ein wenig weiter von
der Geschlechtsöffnung als der Gang der keulenförmigen Drüse. Da-
bei verschmelzen zuerst zwei von den drei Gängen der kugeligen
Organe und die zwei übrigen Gänge münden mit einer gemeinsamen
Öffnung (Fig. 10 ors).
Was den Bau der Ausführungsgänge anbetrifft, so bestehen sie
aus einer äußeren feinen Membran, in der Kerne und Muskelfasern
der Membrana propria eingebettet sind und die eine direkte Fort-
setzung der die Eiröhrchen umkleidenden Hülle vorstellt (Fig. 2 p).
Unter dieser äußeren Hülle liegt das einschichtige Epithel. Die
Zellen des Epithels, welche die paarigen Gänge und auch eine be-
deutende Strecke des unpaarigen Ganges im Inneren auskleiden,
sind abgeplattet und haben keine deutlichen Grenzen. An der Ober-
fläche, die dem Lumen des Ganges zugewandt ist, haben die Zellen
eine feine Cuticularschicht. |
Die Zellen, welche die Spitze des unpaarigen Ganges (die Va-
sina) auskleiden, sind von kubischer Form, reich an Protoplasma
und scharf begrenzt (Fig. 9 vgz). Im vorderen Theile der Vagina
sind die Zellen größer als im hinteren und vertheilen sich in meh-
rere Schichten (Fig. 9 vgz). Eine dicke Schicht gelbbraunen Chitins
kleidet (Fig. 9 ch) die Vagina im Inneren aus.
Die drei kugeligen, in die Vagina mündenden Organe sind alle
von gleichem Bau. Die kugelige Erweiterung besteht aus einer
Zellenschicht. Die Zellen dieser Schicht sind auf den in physio-
logische Kochsalzlösung gelegten Präparaten deutlich sichtbar, von
cylindrischer Form. Auf den konservirten Präparaten erscheinen sie
viel kleiner und platt. Im Inneren sind alle Organe von dickem
braunem Chitin ausgekleidet (Fig. 10 c/). Die ‚Untersuchung des In-
halts dieser Organe zeigt, dass sie von Spermatozoiden angefüllt
sind (Fig. 10 sp) und dass es folglich keine Drüsenorgane sind, wie
GILES angiebt, sondern richtige Receptacula seminis. Die Gänge des
Der Bau der weibl. Geschlechtsorgane bei Culex und Anopheles. 595 Ä
'Receptaculum seminis (Fig. 10 drs) sind im Inneren mit spiral-ge-
schlängeltem Chitin ausgekleidet und von außen mit denselben Zellen
wie der Schlauch selbst. Was die keulenförmige Drüse anbetrifft, so
besteht sie aus großen eylindrischen Zellen, deren Kerne näher dem
Lumen der Drüse als deren Oberfläche liegen (Fig. 10 gdz). An der
der Drüsenhöhle zugewandten Seite haben die Zellen eine Cuticular-
bekleidung und an der äußeren Fläche der Zellen befindet sich eine
sehr feine Membrana propria. Der Drüsengang hat von außen
eine ziemlich dieke Schicht von Zellen, an denen man keine deut-
lichen Zellgrenzen sieht. Die Kerne dieser Zellen sowohl wie die
‚Kerne der Zellen, aus denen die Drüse selbst besteht, liegen näher
dem Lumen des Ganges als der Oberfläche. Im Inneren ist der
Gang mit einer feinen Chitinschicht bekleidet (Fig. 10 da).
| Die beschriebene keulenförmige Drüse scheidet wahrscheinlich
‚das Sekret aus, womit die abgelegten Eier sich zusammenkleben.
Auf einigen Präparaten fand ich im Inneren dieses Drüsenganges
eine homogene, sich nicht färbende schleimige Masse.
Moskau, im Januar 1901.
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Erklärung der Abbildungen,
Allgemeine Bezeichnungen:
ch, ch, ch, Chitin; g9d, Anhangsgeschlechtsdrüse ;
cy, eyanophiler Kernstoff; 90, Geschlechtsöffnung;
d, Dotter; kz, Kerne der embryonalen Eizellen;
dk, Dotterkern; nk, Kerne der Nährzellen ;
dz, Ausführungsgang der Anhangsge- nz, Nährzellen;
schlechtsdrüse; odr, Öffnung der Anhangsgeschlechts-
drs, Ausführungsgang, Receptaculum drüse;
seminis; ok, Kern der Eizelle;
ek, Endkammer des Eierstockes; ons, Öffnung, Receptaculum seminis;
fz, Follikelepithel; ov, Eizelle;
Der Bau der weibl. Geschlechtsorgane bei Culex und Anopheles. 597
ovd, ovd,, Oviduct; vg, Vagina;
pP, p„ Peritoneum; vgz, vgz,, Zellen, welche die Vagina
sp, Spermatozoon; auskleiden.
rs, Receptaculum seminis;
Tafel XLIV.
Fig. 1. Präparat des Eierstockes in toto.
Fig. 2. Präparat des Endtheiles der weiblichen Geschlechtsorgane.
Fig. 3. Ein Längsschnitt durch eine Kammer des Eierstockes in einem
Jungen Differenzirungsstadium der Geschlechtselemente.
Fig. 4 u. 5. Ein Längsschnitt durch dasselbe Organ in älteren Entwick-
lungsstadien der Geschlechtselemente.
Fig. 6. Ein Längsschnitt durch das Ei in dem Moment, wo die Nährzellen
in das Ei eindringen. (Das Bild stellt einen Theil des Eies dar.)
Fig. 7 u. 8. Ein Längsschnitt durch das Ei, in dessen Innerem ein Dotter-
kern ist. Fig. 7 stellt einen Theil des Eies dar.
Fig. 9. Ein Längsschnitt durch das Abdomen an der Stelle, wo die weib-
lichen Geschlechtsorgane sich nach außen öffnen.
Fig. 10. Ein Längsschnitt durch den äußeren Gang der weiblichen Ge-
schlechtsorgane; die Öffnung des Receptaculum seminis und der Geschlechts-
drüse sind sichtbar.
Die Fig. 2, 3, 4, 5, 7 und 8 sind mit dem Apparat Zeıss gezeichnet, mit
Vergrößerung Mikroskop REICHERT 2,8 und die Fig. 6, 9 und 10 Mikroskop
HARTNAcK 3,8.
Über eine neue Holothuriengattung von Neuseeland.
Von |
Adolf Reiffen.
(Aus dem zoologischen und vergleichend-anatomischen Institut zu Bonn.)
Mit Tafel XLV.
Artnuur Denpy (1) beschreibt in seinen »Observations on the
Holothurians of New Zealand« vier neue Arten: 1) Oucumaria hut-
toni, 2) Colochirus ocnoides, 3) Colochirus calcarea, 4) Psolus mac-
quariensis. Zwei davon hat Lupwig (9) in seiner Bearbeitung der
antarktischen Holothurien der Hamburger Magalhaensischen Sammel-
reise auf Grund eigener Nachuntersuchungen näher besprochen mit
dem Ergebnis, dass erstens die systematische Stellung der Oucumaria
huttoni eine höchst zweifelhafte ist und weiterer Aufklärung bedarf,
und dass zweitens Psolus macqguariensis keineswegs in die Gattung
Psolus gehört, sondern eine neue Gattung repräsentirt, der er den
Namen Pseudopsolus beilegt. Von der dritten der vier Denpy’schen
Novae species, Colochirus calcarea, hat Lupwıc (10) kurz darauf in
seiner Abhandlung über die von PLare an der chilenischen und pa-
tagonischen Küste und an Juan Fernandez gesammelten Holothurien
gezeigt, dass sie mit HuTTon’s T’hyone brevidentis (= Colochirus brevr-
dentis Dendy) identisch ist.
Auf die vierte Art, Colochirus ocnoides Dendy, konnte LUDWIG
in der ersten eben angeführten Schrift aus Mangel an Material nicht
näher eingehen; er bezweifelte aber, wie wir sehen werden, mit Recht
ihre Zugehörigkeit zu Colochirus und stellte sie einstweilen zu Cueu-
maria. Später gelangte er durch Herrn Henry Suter in Christ-
church (Neuseeland) in den Besitz von zwölf Exemplaren dieser selt-
samen Art, von der ihr erster Beschreiber DEnpy nur vier Exemplare
zur Verfügung hatte. Sie stammen von dem gleichen Fundorte wie
Über eine neue Holothuriengattung von Neuseeland. 599
die Dexpy’schen, nämlich von der Küste von New Brighton, Ostseite
der Südinsel von Neuseeland. Herr Geheimrath Prof. Dr. Lupwie
war so freundlich, mir diese seltenen Stücke zu einer eingehenden
Untersuchung anzuvertrauen. |
1. Äußere Beschreibung.
Die zwölf mir zur Verfügung stehenden Exemplare haben eine
Länge von 60—120 mm, sind im Mittelleib am dicksten, bis 10 mm,
und nach beiden Enden zu verjüngt. Das von Denpy untersuchte
Exemplar war ca. 53 mm lang. Von zwei anderen giebt er an, dass
das eine etwas weniger, das andere etwas mehr als doppelt so lang
als das erste war. Das Vorderende ist bei eingestülptem Vordertheil
(SEMPER’scher Rüssel) abgestutzt, das Hinterende stärker verjüngt und
rundlich zugespitzt. Es lassen sich deutlich drei Körperabschnitte
von einander unterscheiden: Vorder-, Mittel- und Hinterleib. Bei allen
Exemplaren sind Vorder- und Hinterleib, wenn auch in verschieden
starkem Maße, aufwärts gebogen, so dass die Konvexität der da-
durch bedingten Körperkrümmung dem mittleren ventralen Radius
entspricht. Mund- und Kloakenöffnung liegen endständig. Nach
Denpy sind beide von einigen »irregular nodules« umstellt. Bei
näherer Betrachtung erweisen sich die in der Gegend der Mundöff-
nung gelegenen Gebilde als dreieckige Kalkplatten, die wegen ihrer
radialen Stellung als Pseudooralklappen (vergl. Lupwıc [8] p. 140)
zu bezeichnen sind, die aber nicht die Mundöffnung selbst umgeben,
sondern unmittelbar hinter dem Rüsselabschnitt der Körperhaut an-
geheftet sind und nach Einstülpung des Rüssels die dadurch ent-
standene Öffnung in Gestalt einer fünfstrahligen Rosette überdachen.
Die in der Umgebung der Kloakenöffnung sich befindlichen »nodules«
sind in Wirkliehkeit Ambulacralpapillen, die an ihrer Basis von Kalk-
schuppen, die wir als Papillarschuppen bezeichnen wollen, um-
stellt sind. Die Mundhaut ist von dem aus zehn Tentakeln bestehen-
den Tentakelkranze umgeben. Sie erhebt sich in ihrer Mitte zu einem
kleinen Hügel, der eine Einsenkung, die Mundöffnung, aufweist. Die
Tentakel sind baumförmig verzweigt, die beiden ventralen wesentlich
kleiner als die übrigen acht. Zwischen den beiden dorsalen Ten-
takeln liegt die Geschlechtsöffnung auf einer winzigen Genitalpapille.
Die Tentakel füllen in eingezogenem Zustand den ganzen Tentakel-
vorhof aus. Fühlerstämme und Mundhaut sind dunkel pigmentirt.
Die Haut ist dick, beschuppt und in Folge reichlicher kalkiger Ein-
lagerungen äußerst derb und starr. Im Vorder- und Hinterleib sind
600 Adolf Reiffen,
f
die Schuppen dachziegelförmig über einander gelagert und mit ihren
freien Enden nach dem Mund bezw. After hin gerichtet; im Mittelleib
ist die Anordnung der Schuppen weniger regelmäßig. Im Rüssel-
abschnitt ist die Haut viel dünner und entbehrt fast ganz der kal-
kigen Einlagerungen. Nach Denpy sind vollständig ausgebildete
Füßchen auf die Ventralseite des mittleren Körperdrittels beschränkt
und hier in drei »crowded ambulacral bands« angeordnet. Auf der
Dorsalseite finden sich nach ihm Papillen, »irregularly scattered over
the dorsal surface, but chiefly on the ambulacral areas«. In Wirk-
lichkeit sind die Füßchen auf den Mittelleib beschränkt, aber nicht
nur auf dessen Ventralseite, sondern auch die von Dexpy für
Papillen gehaltenen Ambulacralanhänge der Dorsalseite er-
weisen sich als vollständig ausgebildete, mit Saugscheibe
und Ampulle versehene Füßchen. Die Füßchen sind nur auf
die Radien vertheilt, und zwar im mittleren ventralen Radius in einer
deutlich erkennbaren zweizeiligen Längsreihe; im linken und rechten
ventralen Radius ist diese Zweizeiligkeit weniger deutlich, im linken und
rechten dorsalen Radius wegen der geringen Zahl und der unregelmäßi-
sen Anordnung der Füßchen überhaupt nicht zu erkennen. Die Zahl der
Füßchen beträgt im mittleren ventralen Radius SO—100, im linken
und rechten ventralen Radius je 100—120, im linken und rechten
dorsalen Radius nur je 15—20. Alle Füßchen, ventrale wie dorsale
sind mit Saugscheiben versehen, die einen Durchmesser von ca.
0,13 mm haben. Im Vorder- und Hinterleib fehlen die Ambulaecral-
füßchen vollständig, nur in der Umgebung der Mund- und Kloaken-
öffnung stoßen wir auf Überreste von Füßchen, die wir bei Betrach-
tung des Wassergefäßsystems eingehender behandeln werden. Die
Farbe des lebenden Thieres ist an dem konservirten Material natür-
lich nicht zu erkennen, jedenfalls scheint der Mittelleib stärker ge-
färbt gewesen zu sein als die übrigen Körpertheile, besonders stark
die Füßchen, so dass diese sich trotz ihrer verhältnismäßig geringen
Größe deutlich abheben. Der Mittelleib des konservirten Thieres ist
röthlichbraun, Vorder- und Hinterleib weißgrau. Fig. 1 stellt eine
solche Holothurie mit eingezogenem Rüssel dar.
Eins von den Denpy’schen Exemplaren zeigte die Eigenthüm-
lichkeit, dass statt der beiden ventralen Tentakel die beiden dorsalen
sich durch eine geringere Größe von den übrigen unterschieden,
während die beiden ventralen vollständig ausgebildet waren. Aus
der weiteren Beschreibung geht hervor, dass das Exemplar ver-
letzt war, worauf vielleicht, wie auch Dexpy vermuthet, die Degene-
Über eine neue Holothuriengattung von Neuseeland. 601
ration der beiden dorsalen Fühler zurückzuführen ist. Jedenfalls ist
diesen von der allgemeinen Regel abweichenden Verhältnissen kein
größerer Werth beizulegen.
2. Anatomie.
Bevor ich mich der Anatomie zuwende, muss ich erwähnen, dass
ich auf die histologischen Verhältnisse wegen der dafür ungeeigneten
Konservirung des Materials leider nicht näher eingehen konnte.
Die Haut, deren Kalkreichthum und dadurch bedingte Starrheit
schon oben erwähnt wurden, besteht aus einer feinen Outicula, einem
einschichtigen Epithel und einer die Kalkkörperchen enthaltenden
Lederhaut. Nach innen von der Lederhaut liegt eine vielfach als
Ringmuskulatur bezeichnete Schicht, wofür wir aber besser die Be-
zeichnung Quermuskulatur anwenden, da diese Muskelschicht in den
fünf Radien unterbrochen ist und in Folge dessen keinen geschlosse-
nen Ring bildet.
Die in der Lederhaut gelegenen Kalkgebilde sind von DENDY
nur kurz behandelt; auch sind einige zum Theil jedoch wenig in-
struktive Zeichnungen von den verschiedenen Formen beigegeben,
vgl. Denpy (1) Taf. IV, Fig. 35—42. Die Kalkkörper sind in den
verschiedenen Körperregionen sehr verschieden gestaltet. Die größten
messen ca. 1 mm im Durchmesser und bestehen aus zwei oder mehreren
über einander gelagerten und durch Trabekeln mit einander verbun-
denen, netzförmigen Platten. Fig. 2 stellt ein Stück eines solchen
aus nur zwei über einander .gelagerten netzförmigen Platten be-
stehenden Kalkkörpers dar. Diese Kalkgebilde finden sich fast in
der ganzen Haut verbreitet; sie fehlen aur deu Fi’ iern, Ambulaeral-
füßchen und der Haut des Rüssels. Dexpy (I) beschreibt diese
Kalkkörper folgendermaßen: »The prineipal spicules are large and
small, flat, reticulate, plates or scales, measuring up to about 1 mm
in diameter, and varying from oval to roundedly triangular in outline.«
Dass sie aus mehreren über einander gelagerten netzförmigen Platten
bestehen, scheint er übersehen zu haben. Er fährt fort: »In addition
to these, there are small reticulate cups ...... with the marginal
projeetions represented merely by blunt warts. These cups measure
about 0,054 mm in diameter. Perforated rods oceur.« Bevor wir auf
die reticulate cups und perforated rods Denpy’s eingehen, wollen
wir die Haut des Rüssels auf die Anwesenheit von Kalkkörpern
untersuchen. Sie zeigt in dieser Beziehung ein sehr eigenthümliches
Verhalten. Dass die Haut hier wesentlich dünner ist als in den
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 40
602 Adolf Reiffen,
übrigen Körperregionen, wurde schon oben erwähnt. Während in
der ganzen übrigen Körperhaut die Kalkgebilde dicht gedrängt liegen,
finden wir diesen Hauttheil im Allgemeinen frei von kalkigen Ein-
lagerungen, nur an vereinzelten Stellen kommen wenige Übergangs-
formen zu den noch zu besprechenden Fühlerstützstäbchen darstellende
Kalkkörperchen vor, die mit ihrer Längsachse quer zur Längsachse
des Thieres gerichtet sind. Die Rückbildung der Kalkgebilde in
diesem Hauttheil — denn es ist keinem Zweifel unterworfen, dass
auch an dieser Stelle die Kalkkörper einst reichlicher vertreten
waren, — ist darauf zurückzuführen, dass diese hier nicht allein als
Schutzvorrichtungen, als was wir lediglich die Anwesenheit von Kalk
in der Haut zu betrachten haben, überflüssig geworden sind, sondern
dass sie beim Ein- und Ausstülpen des SemPpEr’schen Rüssels so-
gar hinderlich sein, vielleicht sogar die Ein- und Ausstülpung ge-
radezu unmöglich machen würden. Die Einstülpung des Rüssels,
wodurch dieser unter den äußerst widerstandsfähigen Theil der
Körperwand zu liegen kommt und von der Außenwelt abgeschlossen
wird, vermag dem Thiere größere Sicherheit gegen äußere Feinde
zu geben als eine auch an der Einstülpungsstelle stark kalkhaltige
Haut.
Außer den genannten Kalkgebilden kommt noch eine wesentlich
abweichende Form vor (Figg. 3—”7), besonders zahlreich in der Haut
des Mittelleibes, nur ganz vereinzelt in der des Vorder- und Hinter-
leibes. Diese Kalkkörperchen sind viel kleiner, 0,05— 0,055 mm im
Durchmesser, näpfehenförmig und variiren ziemlich stark unter ein-
ander. Sie bestehen aus einem X-förmigen, zuweilen nur dreistrahligen
Gebilde, das sich konvex gebogen hat, und dessen freie Enden
durch einen Kranz verbunden sind. Sehr häufig ist der Kranz, be-
sonders an der Außenseite, mit mehr oder weniger zahlreichen Dornen
und Warzen versehen. Einige Formen sind komplicirt durch eine
in der Ebene des Kranzes gelegene, stäbchen- oder kreuzförmige
Überbrückung des Näpfchenhohlraumes (Figg. 6 und 7). Diese Näpf-
chen sind die »reticulate cups« Denpr’s. Sie liegen stets außerhalb
der vorhin erwähnten Kalkkörper; das X-förmige oder dreistrahlige
Gebilde ist nach innen, der Kranz nach außen gerichtet. Die im
Vorder- und Hinterleib gelegenen Näpfchen sind dünner und weniger
bedornt. Man kann sich dies vielleicht daraus erklären, dass Vorder-
und Hinterleib aus dem Schlamm hervorragen, also größerer Reibung
ausgesetzt sind als der im Schlamm verborgene Mittelleib. Die Folge
von dieser Reibung ist die Verminderung der in der alleräußersten
Über eine neue Holothuriengattung von Neuseeland. 603
Hautschieht liegenden Näpfehen und da, wo sie noch vorhanden sind,
das Fehlen der nach außen gerichteten Dornen.
Die von Denpy als »perforated rods« bezeichneten Kalkkörper
sind auf die Füßchen und Fühler beschränkt (vgl. Denpy [1] Taf. IV,
Figg. 36—40). In den Füßchen finden wir langgestreckte, mehr oder
weniger durchbohrte Platten und Stäbe, die sich der Rundung der
Füßchenwand angepasst haben und mit ihrer konvexen Seite nach
außen gerichtet sind. Mit ihren Längsachsen liegen diese als Stütz-
stäbehen bezeichneten Gebilde quer zur Längsachse der Füßchen.
Sie sind durchschnittlich 0,2 mm lang, in der Mitte breiter als an
den Enden. An ihrer konvexen Seite sind sie oft mit dornigen oder
zackigen Auswüchsen versehen. Wegen der großen Zahl der vor-
handenen Stützstäbchen ist die Kontraktilität der Füßchen nur eine
beschränkte. In Rücken- und Bauchfüßchen kommen einander ganz
ähnliche Stützstäbehen vor, doch kann man wohl sagen, dass die der
Rückenfüßchen durchweg kleiner und zierlicher als die der Bauch-
füßchen sind. Kalkige Endscheiben sind in den Füßchen nicht zur
Ausbildung gelangt. Die Kalkkörper der Fühler weisen ähnliche
Formen wie die der Füßchen auf. Im Basaltheile der Fühler sind
die Stützstäbchen wesentlich größer und stärker als in den Endver-
zweigungen (Fig. 9. Im Fühlerstamm haben sie eine Länge von
ca. 0,36 mm und werden nach der Spitze zu immer kleiner, bis ca.
0,047 mm. Nicht selten hat sich an der konvexen Seite der Fühler-
stützstäbchen ein Fortsatz gebildet, so dass ein dreistrahliges Kalk-
körperchen entstanden ist (Fig. 8). Außer diesen Stützstäbchen finden
wir in den Fühlern vereinzelte winzige, äußerst stark gezackte, durch-
löcherte Plättehen vor, die einen Durchmesser von ca. 0,02 mm haben
(Fig. 10). Wie die Füßchen sind auch die Fühler mit reichlichen
kalkigen Einlagerungen versehen und zwar bis in die äußersten
Endverzweigungen. Die Stützstäbchen werden allseitig nach dem
Rande zu dünner, die großen Kalkplatten aber nur an der Seite, an
welcher sie von der nächstfolgenden überragt werden. Durch dieses
Dünnerwerden der Kalkkörper nach dem Rande zu wird die Kon-
traktion der Füßchen und der Haut wesentlich erleichtert.
Die Entwicklung der Kalkkörper ist die bekannte. Ursprünglich
haben wir ein einfaches Kalkstäbehen, aus dem durch an beiden
Enden erfolgte Gabelung ein kreuzförmiges Gebilde entsteht, das sog.
Primärkreuz. Zuweilen wird aus einem solchen Kreuz durch Ver-
wachsung der Enden ein einfaches, mit drei oder vier Löchern ver-
sehenes Kalkplättchen gebildet, meist jedoch kommt es durch weitere
40*
604 Adolf Reiffen,
Verzweigung der vier Kreuzenden zur Bildung größerer Platten, die
mit mehr oder weniger zahlreichen Öffnungen versehen sind. Auf
der nächsten Entwicklungsstufe sehen wir auf einer solchen Platte
balkenförmige Erhebungen, die sich parallel zur Basalplatte ver-
zweigen und durch Verbindung ihrer Äste eine zweite Platte bilden,
die mit der ersten in Verbindung bleibt. Durch Wiederholung des-
selben Vorganges entstehen die zuerst erwähnten Kalkkörper. Die
Stützstäbchen und Näpfchen haben schon auf einer ziemlich frühen
Entwicklungsstufe ihr Wachsthum vollendet.
Von der Muskulatur der Haut sind außer den Quermuskeln die
in den fünf Radien angeordneten Längsmuskeln zu erwähnen, von
denen sich im vorderen Körperdrittel je ein Retraktor abspaltet. Die
Längsmuskeln erstrecken sich der ganzen Körperwand entlang, biegen
im vorderen Körpertheile zum Schlundkopf um und sind hier an den
Radialien des noch zu besprechenden Kalkringes angeheftet. Die von
den Längsmuskeln abgespalteten Retraktoren heften sich ebenfalls
hier an. Die Anheftungsstellen der Längsmuskeln sind mit denen
der zugehörigen Retraktoren verschmolzen. Die Retraktoren haben
eine besonders starke Ausbildung erfahren, da sie den Rüssel einzu-
ziehen, mithin eine ganz ansehnliche Arbeit zu leisten haben. Sie
sind verhältnismäßig kurz und vereinigen sich noch in der ersten
Hälfte des ersten Körperdrittels mit den Längsmuskeln. Kurz vor der
Vereinigung sind die Retraktoren mit den zugehörigen Längsmuskeln
durch eine Bindegewebsmembran verbunden. Die Retraktoren sind
ihrer Länge nach ungetheilt, ebenfalls die Längsmuskeln, letztere
jedoch mit Ausnahme ihres dem Schlundkopf anliegenden Theils.
Die Längsmuskeln sind vom Schlundkopf bis zur Vereinigungsstelle
mit den Retraktoren weniger stark entwickelt, nehmen dann aber
bedeutend an Dieke zu. Die von HkROUARD (4) angegebene und von
MORTENSEN (11) wenigstens für die Retraktoren bestätigte Anordnung
der Längsmuskelfasern in von Bindegewebe umhüllte Bündel, die
auf Querschnitten unregelmäßige Kreise bilden, trifft für diese Den-
drochirotenart nicht zu.
Außer der Quer- und Längsmuskulatur der Haut sind die in der
Umgebung des Mundes und des Afters gelegenen, deren Schließung
bewirkenden Sphinkter zu erwähnen, die allerdings auf Theile der
allgemeinen Quermuskulatur zurückzuführen sind. Im hinteren Körper-
ende nehmen die Längsmuskeln allmählich an Dicke ab, bis sie
schließlich kurz vor dem After ganz verschwinden. Hinter dieser
Stelle befindet sich der Analsphinkter. |
Über eine neue Holothuriengattung von Neuseeland. 605
Über das Nervensystem konnten genauere Studien nicht ange-
stellt werden. Der Ringnerv liegt in kurzem Abstande von der Mund-
öffnung. In jeden Radius entsendet er je einen Radialnerven, der
mit dem radialen Wasser- und Blutgefäß, von letzterem durch den
noch zu besprechenden Pseudohämalkanal getrennt, den Schlundkopf
entlang nach vorn verläuft, um sich hier mit den ihn begleitenden
Kanälen zur Körperwand zu begeben. In jeden Fühler entsendet der
Ringnerv je einen wohlentwickelten, abgeflachten Fühlernerven. An-
dere vom Ringnerven entspringende Nerven sind nicht deutlich zu
sehen, deutlicher wieder die Abzweigungen der Radialnerven in die
Füßchen, in die redueirten Mundpapillen und in die Analpapillen,
auf die wir bei Betrachtung des Wassergetäßsystems näher zu spre-
chen kommen. Die Radialnerven sind in zwei durch eine Binde-
gewebsplatte von einander getrennte Schichten getheilt, in eine dünne
innere und eine dickere äußere Schicht, das innere und äußere Nerven-
band. Zwischen Nerv und Blutgefäß befindet sich ein ziemlich weit-
lumiger Pseudohämalkanal, an der anderen der Lederhaut zugekehrten
Seite des Nerven ein Epineuralkanal.
Der den Schlundkopf umgebende Kalkring (Fig. 24) ist von
Denpy (1) nicht gut wiedergegeben worden. Er besteht aus zehn
Gliedern, fünf Radialien und fünf Interradialien. Die Radialia sind
von Denpr (1, Taf. IV, Fig. 34) als aus zwei Stücken bestehend,
gezeichnet worden, doch scheint ihm dies selbst zweifelhaft, denn er
fügt hinzu: »but this is probably due to accidental fracture, caused
by the excessive contraction of the muscles<. Sowohl Radialia
als auch Interradialia bestehen thatsächlich aus nur je
einem Stück, sie sind Y-förmig und mit der Gabel nach hinten ge-
richtet. Denpy hat übersehen, dass die Radialia vorn zweispitzig
sind, allerdings sind die Spitzen sehr kurz, doch ist immerhin die
sie trennende Einkerbung deutlich zu erkennen. In dieser Einker-
bung liegt der Radialkanal des Wassergefäßsystems. Die Radialia
sind schmal, dünn, in Folge dessen leicht zerbrechlich und ca. 2'!/, mm
lang, die Interradialia kurz, diek und ca. 1'/, mm lang; die Radialia
reichen vorn und hinten über die Interradialia hinaus, hinten jedoch
in viel stärkerem Maße als vorn. Formunterschiede der dorsalen
und ventralen Kalkringglieder sind nicht wahrzunehmen. Längsmus-
keln und Retraktoren sind an der Außenseite der vorderen Radial-
theile angeheftet. An diesen Anheftungsstellen sind an den Radialien
Vertiefungen zu bemerken.
Die Anordnung des Wassergefäßsystems ist die gewöhnliche. Vom
606 Adolf Reiffen,
Ringkanal, der den Ösophagus hinter dem Kalkring in geringem Ab-
stande von diesem umgiebt, entspringen fünf Hauptkanäle mit weitem
Lumen, die sich der Innenseite der Radialia anlegen, eine Pour’sche
Blase und ein Steinkanal. Innerhalb des Kalkringes verzweigen sich
die Hauptkanäle in je drei Äste, von denen der mittlere und eng-
lumigste das Radialgefäß darstellt, während die beiden anderen je
einen Fühler versorgen. Die Fühlerkanäle erweitern sich bald und
sind an dieser Stelle mit einem Ventilapparat, sog. Semilunarklappen,
versehen. Der erweiterte Theil des Fühlerkanals weist eine nach
hinten gerichtete Aussackung, eine Ampulle, auf, die zwischen
den Kalkringgliedern eingebettet ist. Fig. 25 stellt die Verzweigung
der Hauptkanäle und die soeben geschilderte Gestalt der Fühler-
kanäle schematisch dar. Der erweiterte Theil des Fühlerkanals mit
seinem Blindsack ist demnach mit einem unten geschlossenen Rohr
zu vergleichen, in welches seitlich der schmale Anfangstheil des
Fühlerkanals mündet. Die Mündungsstelle, an der zwei Semilunar-
klappen zur Regulirung des Wasserstroms angebracht sind, bezeichnet
das obere Ende der Fühlerampullen, die bei allen Dendrochiroten
schwach ausgebildet sind, wenigstens nicht frei in die Leibeshöhle
hineinragen. Ob die Ursprungsstellen der Fühlerkanäle aus dem
Hauptkanal einander gegenüber liegen, oder ob der eine Fühlerkanal
weiter hinten aus dem Hauptkanal entspringt als der andere, entzog
sich meiner Beobachtung, doch ist zu vermuthen, dass die Fühler-
kanäle alternirend aus dem Hauptwassergefäß entspringen, wie die
Füßchenkanäle aus dem Radialgefäß. Die Radialgefäße begleiten
den Schlundkopf, begeben sich vorn zur Körperhaut und erstrecken
sich in geradem Verlaufe der Haut entlang bis in die Aftergegend.
Im mittleren Körpertheil entsenden die Radialkanäle in jedes Füß-
chen je einen blindgeschlossenen Füßchenkanal, der zunächst parallel
mit der Quermuskulatur des Körpers verläuft und sich dann zum
Füßchen hin umbiegt. An der Umbiegungsstelle liegt die frei in die
Leibeshöhle hineinragende Ampulle, an deren Basis ich vergeblich
nach Semilunarklappen gesucht habe. Im Vorder- und Hinterleib,
wo die Füßchen fehlen, fehlen auch die Abzweigungen der Radial-
kanäle.
An der hinteren Grenze des Rüssels finden wir an der Körper-
wand fünf nach vorn gerichtete kalkige Vorsprünge der Haut, die
man, wie wir oben gesehen haben, als Pseudooralklappen zu be-
zeichnen hat. Diese legen sich, wie schon erwähnt, bei eingestülptem
Rüssel in Gestalt einer fünfstrahligen Rosette über die entstandene
Über eine neue Holothuriengattung von Neuseeland. 607
Öffnung und verhindern so das Eindringen in dieselbe. Diese Pseudo-
oralklappen hat man keineswegs als bloße Kalkgebilde aufzufassen,
sondern bei näherer Betrachtung in einer Schnittserie bemerkt man,
dass eine jede solche Klappe von mehreren von je einem
Nervenstrang begleiteten Kanälchen durchzogen ist, in
denen man Anhänge des Wassergefäßsystems erkennt. Ver-
folgt man diese Kanälchen, so findet man, dass sie einerseits mit
je einem radialen Wassergefäß in Verbindung stehen, und zwar
an dessen Umbiegungsstelle vom Schlundkopf zur Körperwand, dass
sie andererseits am vorderen Ende der Pseudooralklappe blind ver-
laufen und hier von einer Ausbreitung des begleitenden Nerven,
wahrscheinlich einem Sinnespolster, überdeckt sind, dass also die
Pseudooralklappen auch als Tastorgane zu betrachten sind. An ihrer
Ursprungsstelle sind die in die Pseudooralklappen hinein sich er-
streckenden Wassergefäßkanälchen mit winzigen Ampullen versehen.
Die Anzahl dieser Kanälchen in den einzelnen Klappen ist ver-
schieden; in zwei von den fünf Klappen des in einer Schnittserie
untersuchten Exemplars sind je vier, in den drei anderen nur je drei
Kanälchen ausgebildet.
Aus dem soeben Geschilderten erhellt, dass wir es in den
Pseudooralklappen mit aus Kalkkörperchen und rückge-
bildeten Ambulacralfüßchen zusammengesetzten Gebilden
zu thun haben, die erstens die nach der Einstülpung des Rüssels
entstandene Öffnung zu überdachen und zu schützen haben, die aber
zweitens auch als Tastorgane fungiren.
Betrachten wir eine Hinterendschnittserie, so stoßen wir auch,
und zwar in unmittelbarer Umgebung der Kloakenöffnung auf An-
hänge des Wassergefäßsystems, doch sind diese nicht so weit rück-
gebildet wie die in der Umgebung des Mundes. Sie stellen ganz
unverkennbare Ambulacralpapillen dar, die in ihrer Wandung Kalk-
körperchen enthalten. Im Allgemeinen finden wir in jedem Radius
Je eine Analpapille erhalten. Der ziemlich weitlumige Papillenkanal
entspringt seitlich vom Radialgefäß kurz vor dessen blindem Ende.
Sobald der Papillenkanal das Radialgefäß verlassen hat, durchbricht
er die Haut und erstreckt sich in der Kalkkörperschicht derselben
nach hinten in die über die Haut hinausragende Analpapille Die
Papille vermag sich zwischen vier ihre Basis umgebende
Kalkschuppen zurückzuziehen, die wir oben als Papillar-
schuppen bezeichnet haben. Es unterliegt keinem Zweifel, dass
diese Analpapillen auf Ambulacralfüßchen zurückzuführen sind. In
608 Adolf Reiffen.
jedem Radius ist nur je eine Papille ausgebildet, oder, sagen wir
besser, erhalten geblieben, und zwar ist es in einigen Radien die der
einen, in den anderen die der anderen Seite. Vier Hinterenden, die
ich in Schnittserien untersuchte, zeigen in Bezug auf die Anwesen-
heit der Analpapillen das eben angeführte Verhalten, nur bei einem
Exemplar sind in einem einzigen Radius zwei Papillen ausgebildet.
Wahrscheinlich ist dies der mittlere ventrale Radius. In den anderen
Fällen ist auch im mittleren ventralen Radius nur je eine Papille
erhalten, zuweilen die linke, zuweilen die rechte, in den übrigen
Radien immer die dem ventralen Radius zugekehrte Papille.
Denpy (2) fand zwei Arten von Analpapillen in der Umgebung
der Kloakenöffnung von Oaudina coriacea Hutton. Die einen be-
schreibt er als »five blunt radially-placed projeetions, which contain
abundant spicules«, die anderen als »five radially-situated groups of
anal tentacles, containing branches of the radial nerves and of the
radial ambulacral vessels, with loosely scattered spicules in their
walls«. Die ersteren bezeichnet er als »anal teeth«.. Die »anal
tentacles« sind »doubtless homologous with the tube-feet of typical
Holothurians, which have undergone a change of function and now
serve as tactile organs«. Zu der in den letzten Worten ausgespro-
chenen Vermuthung kommt er durch eine Beschreibung GEROULD’s
(3, nach welcher Caudina arenata oft im Sand verborgen ist und
nur das Hinterende daraus hervorstreckt.
Die von Denpy als »anal teeth« bezeichneten Vorsprünge der
Haut entsprechen unseren Papillarschuppen. Sie sind wie diese Kalk-
gebilde, die in keiner Beziehung zum Wassergefäßsystem stehen und
desshalb auf die Bezeichnung Analpapillen, welche Denpy auch für
sie angewandt hat, keinen Anspruch haben. Die »anal tentacles«
entsprechen unseren Analpapillen. Vergleichen wir das Hinterende
von Caudina coriacea mit dem unserer Art, so finden wir in Bezug
auf die Anordnung der Analpapillen und Papillarschuppen einen
wesentlichen Unterschied. Im ersten Falle ist in jedem Radius je
eine Gruppe von Analpapillen, aber nur eine einzige Papillarschuppe
ausgebildet, welche sich nach der Kontraktion der Papillen wahr-
scheinlich über diese hinüberlegt. In dem anderen Falle sind da-
gegen in jedem Radius im Allgemeinen nur je eine Papille, aber je
vier Papillarschuppen ausgebildet, zwischen welche sich die Papille
wie in eine Röhre zurückzuziehen vermag.
Fassen wir das über die Ambulacralanhänge Gesagte zusammen,
so kommen wir zu dem Schluss, dass wir es hier mit einer
Über eine neue Holothuriengattung von Neuseeland. 609
phylogenetisch jüngeren Art zu thun haben. Ursprünglich
sind die Füßchen auch im Vorder- und Hinterdrittel der Radien vor-
handen gewesen, und zwar in einer zweizeiligen Reihe. Nachdem
sich der Vorder- und Hinterleib nach oben gebogen hatten, wurden
dort die Füßchen überflüssig und verfielen desshalb einer allmäh-
lichen Reduktion. Eine solche Reduktion ist auch auf dem Rücken
des Mittelleibes zu beobachten, doch besteht hier die Reduktion nur
in der Ausbildung einer weit geringeren Anzahl von Füßchen als im
ventralen Mittelleib. Im Vorder- und Hinterleib haben sich Ambula-
cralanhänge in Gestalt von Papillen zum Schutze der sich hier be-
findlichen Öffnungen und als Tastorgane erhalten, doch haben die
Mundpapillen eine weitere Rückbildung erfahren und sind in die
durch Verwachsung mehrerer Kalkkörper entstandenen Pseudooral-
klappen eingeschlossen worden.
Die Pour’sche Blase ist stets in der Einzahl vorhanden und liegt
im linken ventralen Interradius. Sie ist ca. 7” mm lang, schlauch-
förmig, je nach dem Kontraktionszustand mit oder ohne kugelige
Auftreibung kurz vor ihrer Mündung in den Ringkanal.
Der Steinkanal verläuft $-förmig vom Ringkanal zum Ausfüh-
rungsgang der Geschlechtsorgane und ist mit diesem in das dorsale
Mesenterium eingelagert. An seinem freien Ende trägt er ein ver-
hältnismäßig großes, krauses Madreporenköpfchen. Die Wandung
des Steinkanals weist keine kalkigen Bestandtheile auf. Innerhalb
des Madreporenköpfchens verzweigt sich der Steinkanal in mehrere
Kanälchen, die die Kommunikation mit der Leibeshöhle herstellen.
In der Wandung des Wassergefäßsystems, besonders deutlich in
der der Fühler, kann man folgende Schichten unterscheiden: Ein
inneres Epithel, eine Bindegewebsschicht und eine ausschließlich aus
Längsmuskelfasern bestehende Muskelschicht. In der Wand der Füh-
ler kommt dazu die eine Fortsetzung der Körperhaut darstellende,
aus Cutis, Epithel und Cuticula bestehende Haut. Zwischen der
Haut und der Längsmuskelschicht der Fühler befindet sich eine wahr-
scheinlich eine Fortsetzung der Leibeshöhle darstellende Lakune. In
dieser Lakune liegt an der der Mundöffnung zugewandten Seite des
Fühlerkanals der Fühlernerv. Außerhalb der Längsmuskelschicht
ist, wieder besonders deutlich in den Fühlern, die elastische Mem-
bran nachzuweisen. Näheres über diese Membran findet man bei
Tu. MorrENSEN (11). MORTENSEN fand bei Cucumaria glacialis (Ljung-
mann) das ganze Wassergefäßsystem von einer elastischen Membran
überkleidet, die überall der Muskelschicht direkt auflag. Da für die
610 Adolf Reiffen,
Ophiuriden, Asteriden und Echiniden dasselbe nachgewiesen ist, glaubt
er es hier mit einem »allen Echinodermen gemeinsamen histologisch-
anatomischen Charakter« zu thun zu haben. Die elastische Mem-
bran in den Fühlern kann ich bis in den Ringkanal verfolgen; eben-
falls deutlich ist sie in der Wand des Steinkanals und der Analpapillen
zu sehen.
Der Darm mit seinen Schlingen zeigt die gewöhnliche Anord-
nung. Zunächst ist er bis zum Mittelleib nach hinten gerichtet, kehrt,
nachdem er sich hier vielfach gewunden und, mit den Genitalschläuchen
einen dichten Knäuel bildend, den Mittelleib ausgefüllt hat, zurück
nach vorn, zuweilen bis in die Gegend des Schlundkopfes. Von hier
verläuft er fast gestreckt bis zum After. Der Ösophagus ist kurz
und ragt nur wenig über den Ringkanal hinaus; er erweitert sich in
den 4 mm langen und 1!,—2 mm breiten Magen. Der auf den
Magen folgende Darmabschnitt, der Dünndarm, ist der bei Weitem
längste Theil des Darmtractus. Bereits am Anfang des letzten Körper-
drittels mündet der Dünndarm in den durch zahlreiche Aufhänge-
fäden an der Körperwand befestigten Enddarm, von dem die Kiemen-
bäume ihren Ursprung nehmen, wesshalb man für ihn gewöhnlich
die Bezeichnung Kloake anwendet. An der Speiseröhre kann man
zwei Abschnitte unterscheiden, einen vorderen, weiteren, und einen
hinteren, engeren, vom Wassergefäßring umgebenen, die man als
Mundhöhle bezw. Speiseröhre im engeren Sinn bezeichnet. Nach
Dexoy’s Zeichnung (vgl. Dexoy [1], Taf. IV, Fig. 33) scheint der Über-
sang der Speiseröhre in den Magen ein plötzlicher zu sein. Bei den
von mir untersuchten Exemplaren ist dies nicht der Fall, auch ist
keine Spur von einer inneren ringförmigen Querfalte zu sehen. Innen
ist die Speiseröhre mit verhältnismäßig hohen Längsfalten versehen,
die nach vorn zu an Höhe abnehmen und sich nach hinten in den
Magen fortsetzen, auch hier an Höhe abnehmend, dafür aber an
Breite zunehmend. Innerhalb des Schlundkopfes ist die Speiseröhre
bezw. die Mundhöhle durch zum Kalkring gehende und den zur Leibes-
höhle gehörigen Schlundsinus durchziehende Bindegewebsstränge sus-
pendirt. Die äußere Oberfläche des Ösophagus ist mehr oder weniger
glatt. Der auf den Ösophagus folgende Magen ist leicht erkennbar.
Während der übrige Darmtractus nur ea. 1 mm dick ist, erreicht der
Magen eine Dieke von 1'/,—2 mm. Mikroskopisch ist er wie bei
den meisten Dendrochiroten an der besonders stark ausgebildeten
Muskelschicht zu erkennen, wesshalb man auch den von JoH. MÜLLER
stammenden Ausdruck Muskelmagen anwenden kann. Die an der
Über eine neue Holothuriengattung von Neuseeland. 611
Innenseite des Magens gelegenen Längsfalten sind schon oben er-
wähnt. Der auf den Magen folgende und von diesem sich scharf
absetzende Dünndarm, der bei Weitem längste Theil des Darm-
tractus, zeichnet sich durch die Dünnheit seiner Wandung aus. Seine
äußere Oberfläche ist theilweise glatt, theilweise durch quere Ein-
schnürungen unterbrochen. Innen ist der Dünndarm längsgefaltet.
Die sich durch das ganze letzte Körperdrittel erstreckende Kloake
ist ebenfalls in ihrem Inneren mit Längsfalten versehen; am Ende
des Körpers, kurz vor der Außenöffnung, wird sie englumiger, und
ihre Wandung tritt in Verbindung mit der Körperhaut durch radiär
gerichtete, zu Bündeln vereinigte Muskelfasern, die eine Kommuni-
kation zwischen der Quermuskulatur der Haut und ihrer Muskel-
schicht herstellen. Die Muskelbündel sind von Epithel überkleidet.
Denpry (2) hat bei Caudina coriacea ähnliche Verhältnisse gefunden.
Er sagt: »It will be seen, that the cloaca is attached to the body-
wall by very numerous radiating bands of muscle. Each consists of
a hollow eylinder of fibres running lengthwise side by side and
covered externally by a thin layer of epithelium containing many
conspieuous darkly-staining nuclei.<c Die Körperhaut ragt etwas über
die Kloakenöffnung hinaus und bildet hier einen Kloakenvorhof. Die
Kloakenöffnung liegt in diesem Vorhof auf einer Art Papille. Der
Sphinkter, der aus der verstärkten Muskelschicht der Wand des Vor-
hofes besteht, schließt in Wirklichkeit nicht die eigentliche Kloaken-
öffnung, sondern den Kloakenvorhof; freilich wird hierdurch auch die
Kloakenöffnung gegen die Außenwelt abgeschlossen. Die in der
Darmwand vorhandenen fünf Schichten, das innere Epithel, die
innere Bindegewebsschicht, die innen aus Längs-, außen aus Ring-
muskelfasern bestehende Muskelschicht, die äußere Bindegewebs-
schicht und das äußere Epithel sind in sämmtlichen Darmabschnitten
zu erkennen. Die innere Oberfläche des Ösophagus und des Magens
ist von einer deutlich sichtbaren, glashellen Cutieula überdeckt.
Oben wurde schon erwähnt, dass der Darm nicht gestreckt
vom Mund zur Kloake verläuft, sondern auf diesem Wege zwei Bie-
gungen macht. Dieses für alle Holothurien charakteristische Ver-
halten des Darmtractus erkennt man leicht, wenn man die Ansatz-
linie des den Darm an die Körperwand befestigenden, netzförmigen
Mesenteriums an der Körperwand verfolgt.
Lange Zeit hat man den für die Aspidochiroten charakteristischen
Darm- bezw. Mesenterialverlauf auch bei den Dendrochiroten ange-
nommen. Hiernach ist der erste Darmabschnitt mittels seines Mesen-
612 Adolf Reiffen,
teriums im mittleren dorsalen Interradius, der zweite im linken
dorsalen Interradius, und der dritte im rechten ventralen Interradius
befestigt. Nach OESTERGREEN (12) hat der Darm bei den Dendro-
chiroten nur ausnahmsweise diesen Verlauf, und zwar nur bei der
Gattung Psolus. Im Allgemeinen gehört hier das Mesenterium des
dritten Darmabschnittes nicht dem rechten ventralen, sondern dem
linken ventralen Interradius oder vielmehr dem mittleren ventralen
Radius an, da es links von dem hier gelegenen Längsmuskel in
dessen unmittelbarer Nähe nach hinten verläuft, zuweilen auch auf
diesen hinaufrückt, zuweilen über diesen hinaus in den rechten ven-
tralen Interradius hineingeht, doch auch hier in unmittelbarer Nähe
des Längsmuskels bleibt, gewöhnlich jedoch bald wieder über den
Längsmuskel in den linken ventralen Interradius zurückkehrt. Als
weitere von ÜESTERGREEN (12) beobachtete Eigenthümlichkeit des
Darmverlaufs ist zu erwähnen, dass der zweite Darmabschnitt zu-
weilen dicht neben dem ersten verläuft, sein Mesenterium aber im
linken dorsalen Interradius befestigt ist. Bei 7Ahyone anomala fand
ÖESTERGREEN das Mesenterium des zweiten Darmabschnittes im
mittleren dorsalen Interradius mit dem des ersten verschmolzen, so
dass das ganze Mesenterium hier ein unten in zwei Blätter gespal-
tenes Gebilde darstellt.
In Übereinstimmung hiermit fand ich den zweiten Darmabschnitt
dicht neben dem ersten nach vorn verlaufend, sein Mesenterium im
linken dorsalen Interradius befestigt. An der Umbiegung des zwei-
ten Darmabschnittes in den dritten, der vorderen oder zweiten Schenkel-
biesung — die hintere oder erste ist die Umbiegung des ersten
Darmabschnittes in den zweiten — überschreitet das Mesenterium den
linken ventralen Radius und Interradius und verläuft im: mittleren
ventralen Radius links neben dem hier gelegenen Längsmuskel nach
hinten bis zur Mündung in die Kloake.
Die Athmungsorgane, vielfach als Wasserlungen, besser als
Kiemenbäume bezeichnet, bestehen aus zwei reich verzweigten, hoh-
len, dünnwandigen Stämmen, die getrennt zu beiden Seiten der Über-
sangsstelle des Dünndarmes in die Kloake in letztere münden. Die
beiden Stämme erstrecken sich durch den ganzen Körper zwischen
den Eingeweiden hindurch bis in die Gegend des Schlundkopfes.
Sie sind ziemlich gleichmäßig ausgebildet, und wenigstens im Mittel-
leib reich verzweigt. Die Endverzweigungen endigen mit einer
blasenförmigen Auftreibung. Die Wandung der Kiemenbäume besteht
aus denselben Schichten wie die des Darmes, was daraus zu erklären
Über eine neue Holothuriengattung von Neuseeland. 613
ist, dass die Kiemenbäume als Ausstülpungen des Enddarmes zu
betrachten sind. |
Lange hat man angenommen, dass bei den Dendrochiroten der
rechte Kiemenbaum im rechten dorsalen, der linke im linken ven-
tralen Interradius gelegen sei. OESTERGREEN (12) hat auch dies nur
als Ausnahme gefunden; im Allgemeinen liegen nach ihm die Kiemen-
bäume symmetrisch, der rechte im rechten dorsalen, der linke im
linken dorsalen Interradius. Ausnahmen bilden die mehrstämmigen
Kiemenbäume. Er führt die Verschiebung des linken Kiemenbaumes
aus dem linken ventralen Interradius, wo er ursprünglich seine Lage
hatte, in den linken dorsalen Interradius auf die Verschiebung des
dritten Darmabschnittes aus dem rechten ventralen Interradius in
den mittleren ventralen Radius zurück.
Die symmetrische Anordnung der Kiemenbäume kann ich be-
stätigen. Der rechte Kiemenbaum entsendet an seinem basalen Ende
einen ventral gerichteten kurzen Nebenstamm, der linke deren zwei,
die einander gegenüber liegen.
Die Genitalien bestehen aus einer Genitaldrüse und einem diese
mit der Außenwelt verbindenden Genitalgang. Die Genitaldrüse wird
von zwei Büscheln unverästelter Genitalschläuche gebildet, von denen
der eine der linken, der andere der rechten Körperhälfte angehört.
Die Genitalschläuche sind in solcher Anzahl und Länge vorhanden,
dass sie den ganzen Mittelleib ausfüllen, oft sogar in den Vorder-
und Hinterleib hinein sich erstrecken. Bei Weibchen, wenigstens bei
geschlechtsreifen, haben sie ein perlschnurartiges, bei Männchen ein
glatteres Aussehen. An ihrer Basis verjüngen sich die Genital-
schläuche und münden dicht gedrängt in einen erweiterten, als Ge-
schlechtsbasis zu bezeichnenden und im Anfang des zweiten Körper-
drittels gelegenen Abschnitt des Genitalganges. Dieser ist dem
dorsalen Mesenterium eingelagert und mündet auf einer genau in der
Mediane des Rückens zwischen zwei Fühlern gelegenen Genitalpapille.
Letztere scheint sich der Beobachtung Denpy’s entzogen zu haben,
wir finden sie bei ihm nicht erwähnt. Die Wandung der Genitalien
besteht aus einem äußeren Epithel, einer Muskelschicht, einer Binde-
gsewebsschicht und einem inneren Epithel.
Vom Blutgefäßsystem sind nur Einzelheiten zu erkennen. Der
Blutgefäßring liegt dem Wassergefäßring unmittelbar an und ent-
sendet nach vorn fünf Hauptblutgefäße, die sich den fünf Haupt-
wassergefäßen anlegen und mit diesen sich in je drei Theile, ein
Radialblutgefäß und zwei Fühlerblutgefäße verzweigen. Doch ist zu
614 Adolf Reiffen,
bemerken, dass diese Gefäße nur in ihren Anfangstheilen zu er-
kennen und sonst nur in vereinzelten Schnitten zu beobachten sind.
Nicht einmal das dorsale und das ventrale Darmgefäß sind zu verfolgen.
Das ventrale Darmgefäß bezw. -geflecht liegt in einer den Magen und
Dünndarm entlang sich erstreckenden Längsleiste, die eine Ausstül-
pung der äußeren Bindegewebsschicht dieser Darmtheile, natürlich
von dem äußeren Epithel überdeckt, darstellt. Von allen anderen
Gefäßen ist kaum eine Spur zu entdecken.
Der zur Leibeshöhle gehörige, auf der einen Seite vom Ösopha-
gus, auf der anderen von Kalkring, Haupt-, Fühler-, Radialkanälen
und Wassergefäßring begrenzte Schlundsinus kommunieirt mit der
Leibeshöhle durch eine zwischen Wassergefäßring und Ösophagus
liegende Ringspalte und durch fünf Öffnungen, die je vorn vom Kalk-
ring, seitlich von den Hauptkanälen und hinten vom Wassergefäßring
begrenzt werden. Zur Leibeshöhle gehören wahrscheinlich auch die
schon erwähnten, als Pseudohämal- und Epineuralkanäle bezeichneten
Lakunen. Der Pseudohämalkanal liegt zwischen Radialnerv und
-Blutgefäß, der Epineuralkanal nach außen vom Radialnerven. Ob
Pseudohämal- und Epineuralkanäle blind verlaufen oder mit der
Leibeshöhle bezw. Schlundsinus kommuniciren, ist nicht zu erkennen.
Bei anderen Holothurien ist von einigen Forschern ein solcher Zu-
sammenhang beschrieben worden, andere lassen die betreffenden Ka-
näle in der Gegend des Nervenringes blind verlaufen.
Fassen wir kurz die wichtigsten anatomischen Verhältnisse zu-
sammen:
1) Ausgebildete Ambulacralfüßchen, d. h. Füßchen mit deutlich
erkennbarer Saugscheibe, finden sich im Gegensatz zu Denpy’s Mit-
theilung auch auf der Dorsalseite des Mittelleibes, allerdings hier in
weit geringerer Anzahl als auf der Ventralseite.
2) Die Kalkgebilde sind je nach den Körperregionen sehr ver-
schieden gestaltet; die größten messen ca. 1 mm im Durchmesser,
sind dachziegelförmig über einander gelagert und bestehen aus zwei
oder mehreren über einander liegenden und durch Trabekeln mit
einander verbundenen netzförmigen Platten. Außer diesen Kalkkör-
perchen kommen näpfchen- und stäbchenförmige vor.
3) Retraktoren und Längsmuskel sind ungetheilt, letztere mit
Ausnahme des dem Schlundkopf anliegenden Theils. Retraktoren und
Längsmuskeln sind kurz vor ihrer Vereinigung durch eine Binde-
gsewebsmembran verbunden.
Über eine neue Holothuriengattung von Neuseeland. 615
4) Die Radialia des Kalkringes bestehen, entgegen der DENDY-
schen Mittheilung, aus nur einem Stück und sind an ihrem vorderen
Ende eingekerbt. Interradialia kurz und diek, Radialia schmal,
dünn und zerbrechlich. Dorsale und ventrale Kalkringglieder nicht
von einander verschieden.
5) Im Vorder- und Hinterleib sind die Füßchen vollständig rück-
gebildet, nur vorn unmittelbar hinter dem Rüsselabschnitt und hinten
in der Umgebung des Afters stoßen wir auf Füßchenreste. Vorn
sind von den Füßchen nur die Kanäle mit den begleitenden Nerven
erhalten, die in die hier gelegenen, aus Kalkkörperchen zusammen-
gesetzten Pseudooralklappen eingelagert sind und diese dadurch auch
zum Tasten befähigen. In der Umgebung der Kloakenöffnung sind
einige Füßchen in Gestalt von Analpapillen erhalten, die zum Schutze
von je vier Papillarschuppen umstellt sind, zwischen die sie sich
zurückzuziehen vermögen. Im Allgemeinen ist in jedem Radius nur
je eine Analpapille erhalten, deren Wassergefäß seitlich aus dem
Endabschnitt des Radialgefäßes entspringt.
6) Die elastische Membran des Wassergefäßsystems ist deutlich
zu erkennen.
7) Die Kloake nimmt das ganze letzte Körperdrittel ein. Die
Muskelschicht der Kloake steht an ihrem hinteren Ende durch radiär
gerichtete Muskelbündel mit der Quermuskulatur der Körperwand in
Verbindung. Die Kloakenöffnung liegt im Kloakenvorhof auf einer
Art Papille.. Der Analsphinkter, der aus der verstärkten Muskel-
schicht der Wand des Vorhofes besteht, schließt nicht die eigentliche
Kloakenöffnung, sondern den Kloakenvorhof.
8) Die OESTERGREEN’schen Angaben über den Mesenterialverlauf
und über die Lage der Kiemenbäume bei den Dendrochiroten kann
ich bestätigen.
9) Die Kiemenbäume münden getrennt in die Kloake.
10) Rechts und links ist ein Büschel unverästelter Genital-
schläuche vorhanden. Die Genitalöffnung liegt auf einer winzigen
Genitalpapille zwischen den beiden dorsalen Fühlern.
3. Beschreibung eines abnormen, sechsstrahligen Exemplars.
‘ Eins meiner zwölf Exemplare zeichnete sich durch einen sechs-
strahligen Bau des Körpers aus. Eine solche Sechsstrahligkeit ist
zuweilen bei Holothurien beobachtet worden, doch ist sie immerhin
als eine selten vorkommende Erscheinung zu betrachten, z. B. seltener
als eine derartige Abweichung bei den Echinoiden, bei welchen sie
616 Adolf Reiffen,
schon im vorigen Jahrhundert durch KLeın beobachtet und in seiner
»Naturalis dispositio Eehinodermatum« beschrieben wurde. Lupwig (6)
fand im Jahre 1880 unter 150 lebenden Exemplaren von Cucumaria plancı
von MARENZELLER fünf sechsstrahlig gebaute. Äußerlich war die Sechs-
strahligkeit kenntlich durch die Ausbildung von sechs Doppelreihen
von Füßchen, die dem Körper eine annähernd sechskantige Gestalt
gaben. Von diesen sechs Ambulakren waren drei benachbarte durch
etwas größeren Reichthum an vüßehen von den drei anderen unter-
schieden, und diese drei füßchenreichen Ambulakren durch zwei etwas
schmälere Interambulacralbezirke ein wenig näher an einander ge-
rückt. Dem entsprechend fand Lupwıs sechs Längsmuskel mit je
einem Retraktor, zwölf Kalkringglieder und zwölf Fühler, von denen
zwei sich durch geringere Größe von den übrigen unterschieden. Auf
Grund einer eingehenden anatomischen Untersuchung konstatirte er,
dass »Cucumaria planci dadurch sechsstrahlig geworden ist, dass sich
ein sechster Radius und Interradius zwischen die beiden Radien ihres
Biviums eingeschoben hat, und zwar häufiger links, seltener rechts
von dem medianen Interradius«.
Bei dem erwähnten, von mir untersuchten Exemplar macht sich
der sechsstrahlige Bau äußerlich dadurch bemerkbar, dass vier be-
nachbarte, gut ausgebildete und zwei weniger deutliche Ambulakren
vorhanden sind. Diese sechs Ambulakren sind gleich weit von ein-
ander entfernt. Da bei fünfstrahligen Exemplaren nur drei Ambula-
kren mit zahlreichen Füßchen vorkommen, so ist zu schließen, dass
eins der vier gut ausgebildeten Ambulakren das überzählige ist. Die
beiden weniger deutlichen Ambulakren entsprechen dem linken und
rechten dorsalen Radius des fünfstrahligen Thieres. Der sechste
Radius kann also mit seinem Interradius nicht wie bei Cucumaria
planci in den mittleren dorsalen Interradius eingeschoben sein. Leider
ist das vordere Ende verletzt, die Tentakel sind nicht erhalten, wahr-
scheinlich war der Rüssel in Neubildung begriffen. Beim Öffnen des
Thieres kommen, den sechs Ambulakren entsprechend, sechs Längs-
muskel zum Vorschein, die je einen Retraktor an den Kalkring ent-
senden. Die sechs Längsmuskeln sind gleich stark ausgebildet, eben-
falls die Retraktoren. Der Kalkring besteht aus zwölf Gliedern, die
von denen des fünfstrahligen Thieres nicht abweichen. Auf eventuelle
Formunterschiede der dorsalen und ventralen Glieder und auf das
eingeschobene Radiale und Interradiale kann nicht näher eingegangen
werden, da auch der Kalkring verletzt ist. Der Steinkanal ist nicht
erhalten; eine PoLr’sche Blase ist zu erkennen.
_ Über eine neue Holothuriengattung von Neuseeland. 617
Der Mesenterialverlauf giebt uns weitere Auskunft über die Lage
des eingeschobenen ‚Radius. Wie wir oben gesehen haben, ist das
Mesenterium des dritten Darmschenkels im mittleren ventralen Radius
befestigt, mithin ist letzterer leicht zu erkennen. Rechts von dem
mittleren ventralen Radius liegen zwei von den füßchenreichen Ra-
dien, links nur einer, ein Beweis dafür, dass der überzählige Radius
in..der rechten. Körperseite liegt und hier entweder in den ventralen
oder dorsalen Interradius eingeschoben ist: Um dies zu untersuchen,
müssen wir die Kiemenbäume einer näheren Betrachtung unterziehen.
Sie ‚liegen symmetrisch im linken und rechten dorsalen Interradius.
Der rechte Kiemenbaum überschreitet nach seinem Ursprung aus der
Kloake einen der füßchenreichen Radien. Da nun der ganze rechte
Kiemenbaum von seinem Ursprung bis zu seinem Ende als im rechten
dorsalen Interradius liegend betrachtet werden muss, er aber einen
Radius überschreitet, so ist hiermit der Beweis geliefert, dass dieser
Radius der überzählige und in den rechten dorsalen Interradius ein-
geschoben ist.
Der sechsstrahlige Bau ist somit dadurch entstanden,
dass sich ein sechster Radius und Interradius zwischen
den rechten dorsalen und rechten ventralen Radius, also
in den rechten dorsalen Interradius eingeschoben hat.
4. Systematische Stellung.
Schon oben wurde erwähnt, dass Denpy (1) irrthümlicherweise
die Füßchen der Dorsalseite für Papillen hielt und sich veranlasst
sah, diese Dendrochirotenart der Gattung Colochirus unterzuordnen,
da durch die Rückbildung der dorsalen Füßchen zu Papillen die Aus-
bildung einer Kriechsohle angebahnt war. Lupwıc (9) bezweifelte
die Zugehörigkeit zur Gattung Colochirus und stellte die Art einst-
weilen zu Owcumaria. In der That lassen die Anwesenheit von aus-.
gebildeten Füßchen auf Bauch- und Rückenseite und der Umstand,
dass die beiden Körperenden mehr oder weniger stark nach aufwärts
gebogen sind, auf eine größere Verwandtschaft zur Gattung Cucumaria
schließen. Gegen die Zugehörigkeit zu Cucumaria selbst spricht aber
das vollständige Fehlen der Füßchen auf dem Vorder- und Hinterleibe.
Ich muss demnach eine neue Gattung aufstellen, für die ich den
Namen Ludwigia wähle. Die Art ist demnach als Zudwigia ocnoides
(Dendy) zu bezeichnen. Die Diagnose dieser neuen Gattung, die im:
Inneren der Dendrochiroten neben Cucumaria einzuordnen ‚wäre, ist
die folgende: !
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. LXIX. Bd. 41
618 Adolf Reiffen,
Mund und After weit von einander entfernt; Bauch nicht zu einer
Kriechsohle abgeflacht und bezüglich der Ambulacralanhänge ohne
große Verschiedenheit von dem Rücken; zehn Fühler, von denen die
beiden ventralen kleiner sind als die übrigen; Füßchen auf die Ra-
dien beschränkt, aber nur auf dem Mittelleibe ausgebildet und hier in
den ventralen Radien viel zahlreicher als in den dorsalen, auf dem
Vorder- und Hinterleibe fehlend; Körper langgestreckt, vorn und hinten
aufwärts gebogen.
In phylogenetischer Beziehung wirft die neue Gattung ein helles
Lieht auf die Verwandtschaft der Molpadiiden mit den Dendrochiro-
ten, auf welche ich desshalb etwas näher eingehen möchte.
Die Familie der Molpadiiden, die sich im Allgemeinen durch die
Anwesenheit von 15 schlauchförmigen oder gefingerten Fühlern, von
wohl entwickelten Fühlerampullen und Kiemenbäumen und durch das
vollständige Fehlen von Füßchen auszeichnet, weist eine Anzahl von
Vertretern auf, die mit den dendrochiroten Holothurien eine Menge
charakteristischer Merkmale gemein haben, so dass keine andere
Holothurienfamilie in solch nahen Beziehungen zu den Molpadiiden
zu stehen scheint wie die Dendrochiroten. Über die verwandtschaft-
lichen Beziehungen der Molpadiiden und über die Phylogenie und
systematische Anordnung der Holothurienfamilien überhaupt vgl.
Lupwiıe (7 u. 8).
Schon Jon. MÜLLER hatte erkannt, dass die Molpadiiden, die
eine in sich geschlossene, gut abgegrenzte natürliche Gruppe bilden,
den füßigen Holothurien näher stehen als den Synaptiden, mit welch
letzteren sie in dem Mangel der Füßchen negativ übereinstimmen,
von denen sie sich aber durch die Anwesenheit von Kiemenbäumen
und Radialkanälen, durch eine radial unterbrochene Quermuskulatur
und durch die Verschiedenheit in Bezug auf die Ausbildung des
Kalkringes unterscheiden. Lupwiıe (8) schließt sich der Jon. MÜLLER-
schen Ansicht an, giebt ihr aber einen bestimmteren Ausdruck, indem
er unter den füßigen Holothurien die Dendrochiroten als die Stamm-
gruppe bezeichnet, auf welche die Molpadiiden zurückzuführen sind.
LupwıG kommt zu dem Schlusse, dass die drei Familien der Dendro-
chiroten, Molpadiiden und Synaptiden zwar einer gemeinschaftlichen
Wurzel entsprossen sind, dass aber die Dendrochiroten den Haupt-
stamm darstellen, welcher frühzeitig einen ersten Nebenast in Gestalt
der Synaptiden und später einen zweiten in Gestalt der Molpadiiden
abgab. Weitere Betrachtungen über die Beziehungen der Aspido.
chiroten und der von ihnen abzuleitenden Elasipoden zu den drei
Über eine neue Holothuriengattung von Neuseeland. 619
erwähnten Familien machen es ihm wahrscheinlich, dass die Urform,
aus welcher sich die jetzt lebenden Holothurien entwickelt haben,
sich schon deutlich als Holothurie kennzeichnete und von den übri-
sen Echinodermen unterschied. Er beschreibt diese hypothetische
Urform folgendermaßen:
»Sie war mit zehn einfach-cylindrischen, mit schwachen Am-
pullen ausgestatteten Fühlern versehen, deren Kanäle eben so wie
die auf die Radien beschränkten und mit Ampullen versehenen
Füßchenkanäle aus fünf radialen Wasserkanälen entsprangen; sie
besaß ferner einen aus fünf radialen und fünf interradialen Stücken
zusammengesetzten Kalkring; die Quermuskulatur ihrer Körperwand
stellte eine ununterbrochene Ringmuskelschicht dar; die einfachen
Längsmuskeln gaben noch keine Rückziehmuskeln ab; der einfache
Steinkanal war im dorsalen Mesenterium festgelegt und stand mit
der Außenwelt in unmittelbarer Verbindung; die Geschlechtsschläuche
waren symmetrisch zu beiden Seiten des dorsalen Mesenteriums ent-
wickelt: den radialen Nerven saßen Gehörbläschen an; der Kiemen-
baum und ein einfach angeordnetes Darmblutgefäßsystem waren zur
Ausbildung gelangt; der Darm nahm bereits den für alle jetzt leben-
den Holothurien typischen Verlauf, und die Haut war mit gitter-
förmigen, aus sechseckigen Maschen gebildeten Kalkplättchen erfüllt.«
Die Nachkommen dieser Urholothurie spalten sich in zwei Haupt-
stämme, die Dendro- und Aspidochiroten. Der Aspidochirotenstamm
giebt einen Nebenast, den der Elasipoden, ab. Die Familien der
Synaptiden und der Molpadiiden stellen, wie schon gesagt, Nebenäste
des Dendrochirotenstammes dar, und zwar hat sich zuerst der Neben-
ast der Synaptiden abgezweigt. Die Synaptiden sind in Folge fort-
gesetzter Rückbildung von der Urform am meisten abgewichen. Nach
Abgabe dieses Nebenastes hat sich der Dendrochirotenstamm zunächst
weiter entwickelt; die Ringmuskulatur der Körperwand wurde radial
unterbrochen, der Kiemenbaum weiter entwickelt und dann erst der
zweite Nebenast abgegeben, der der Molpadiiden. In letzterem wur-
den die Füßchen rückgebildet, nur in der Umgebung des Afters
blieben Reste davon erhalten; die Fühlerampullen wurden weiter
ausgebildet, im Allgemeinen blieben jedoch die Verhältnisse ähnlich
wie in dem zu den heutigen Dendrochiroten sich ausbildenden Haupt-
stamm. GEROULD schließt sich dieser Auffassung der phylogenetischen
Beziehungen der Holothurienfamilien unter einander, durch welche
Lupwis in einen größeren Gegensatz zu früheren Forschern, wie
SEMPER, den beiden SarAsın und SEMON tritt, in seiner trefflichen
41*
620 Adolf Reiffen,
Abhandlung über die Anatomie und Histologie von Caudina arenata (3)
durchaus an.
Die Gattung Ludwigea hat nun mit den Molpadiiden das Fehlen
der Füßchen im Vorder- und Hinterleibe und die Erhaltung von
Papillen in der Umgebung der Kloakenöffnung gemein. Wenn der
Schwund der Füßchen sich auch auf den Mittelleib ausgedehnt hätte,
würde man im Zweifel sein, ob man die Form noch zu den Dendro-
chiroten oder schon zu den Molpadiiden zu rechnen hätte. Sie stellt
also in gewissem Sinne eine Übergangsform von jenen zu diesen dar
und bestätigt so die vorhin erwähnte Ansicht Lupwıg’s, dass die
Molpadiiden von dendrochiroten Stammformen ihren Ausgang ge-
nommen haben.
Zum Schlusse ist es mir eine angenehme Pflicht, Herrn Geheim-
rath Prof. Dr. Lupwie für die gütige Überlassung des seltenen Mate-
rials und die freundliche Unterstützung meinen verbindlichsten Dank
auszusprechen. Herrn Prof. Dr. Voısr und Gräfin Dr. MArıA v. Lin-
DEN bin ich für das rege Interesse an dieser Arbeit und für zahl-
reiche praktische Winke ebenfalls zu herzlichem Danke verbunden.
Bonn, im Januar 1901.
Litteraturverzeichnis.
1. ARTHUR DENDY, Observations on the Holothurians of New Zealand, with
Descriptions of four New Species, and an Appendix on the Develop-
ment of the Wheels in Chirodota. Linn. Soc. Journ.-Zool. Vol. XXVI
1897. p. 22—52. Pl. II-VI.
2. Ders., On some Points in the Anatomy of Caudina coriacea Hutton. Ibid.
Vol. XXVI 189. p. 456—464. Pl. XXIX.
3. JOHN HIRAM GEROULD, The Anatomy and Histology of Caudina arenata
(Gould). Bulletin of the Museum of Comparative Zoology at Harvard
College. Vol. XXIX. No. 3. p. 123--1%0. Pl. I-VIl.
4. E. HEROUARD, Recherches sur les Holothuries des cötes de France. Arch.
de Zool. exper. et gener. 2. Ser. VII. 1889.
8. J. S. KINGSLEY, Contributions to the Anatomy of the Holothurians. Peabody
Academy of Seience. Fifth Memoir. Salem, Mass. 1881.
6. HUBERT LupwiG, Über sechsstrahlige Holothurien. Zool. Anz. IX. 1886.
p. 472 —477.
7. Ders., Ankyroderma museulus (Risso), eine Molpadiide des Mittelmeeres, nebst
Bemerkungen zur Phylogenie und Systematik der Holothurien. Diese
Zeitschr. Bd. LI. 1891. p. 569—611. Taf. XXIX.
Über eine neue Holothuriengattung von Neuseeland. 621
8. HUBERT LupwiG, BRonN’s Klassen und Ordnungen des Thierreichs. II, 3.
I. Buch. Die Seewalzen. 1889—1892.
9. Ders., Holothurien der Hamburger Magalhaensischen Sammelreise. Hamburg
1898.
10. Ders., Die Holothurien der Sammlung PLATE. Zool. Jahrbücher. Supplem. IV.
2. Heft. 1898.
11. TH. MoRTENSEn, Zur Anatomie und Entwicklung der Cucumaria glacialis
(Ljungmann). Diese Zeitschr. Bd. LVH. 1894. p. 704—732. Taf. XXXI
u. XXXI.
12. HJALM ÖESTERGREEN, Zur Anatomie der Dendrochiroten, nebst Beschrei-
bungen neuer Arten. Zool. Anz. XXI. 1898. p. 102—110 u. 133—136.
Erklärung der Abbildungen,
Tafel XLV.
Fig. 1. Zudwigia ocnoides (Dendy) mit eingestülptem Rüssel. Natürliche
Größe.
Fig. 2. Stück eines großen, aus zwei über einander gelagerten netzförmi-
gen Platten bestehenden Kalkkörpers. 300mal vergrößert.
Figg. 3—7. Näpfchenförmige Kalkkörper. 300mal vergrößert. Figg. 3 u. 6
von oben, Fig. 4 von der Seite, Figg. 5 u. 7 von unten gesehen. Figg. 6 u. 7
mit überbrückter Außenöffnung.
Fig. 8. Dreistrahliges Stützstäbchen aus dem Fühlerstamm. 150mal vergr.
Fig. 9. Stützstäbchen aus der Fühlerspitze. 150mal vergr.
Fig. 10. Kalkplättchen aus der Fühlerspitze. 300mal vergr.
Fig. 11. Drei Kalkringglieder. 6mal vergr. X, Radiale; /R, Interradiale.
Fig. 12. Schema zur Verzweigung der Hauptwasserkanäle. a, Wassergefäß-
ring; b, Hauptwassergefäß; c, Radialgefäß; d, Anfangstheil des Fühlerkanals, der
bei g in den erweiterten Theil (e) übergeht und an dieser Stelle mit zwei Semi-
lunarklappen versehen ist; /, Fühlerampulle.
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Zeitschrift f. wiss. Zoologie. Bd. LXIX. Taf. AXXV.
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Verlag v. Wilhelm Engelmann in Leipzig.
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Zeitschrift
für
WISSENSCHAFTLICHE ZOOLOGIE
begründet
Carl Theodor v. Siebold und Albert v. Kölliker
herausgegeben von
Albert v. Kölliker und Ernst Ehlers
Professor a. d. Universität zu Würzburg Professor a. d. Universität zu Göttingen
Neunundsechzigster Band
Erstes Heft
Mit 13 Tafeln und 18 Figuren im Text.
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Verlag von Wilhelm Engelmann |
1901.
Ausgegeben den 5. Februar 1901.
Inhalt.
Seite
Entwicklungsgeschichte von Dreissensia polymorpha Pall. Von Joh. Meisen-
heimer. (Mit Taf. I=XIIlL und 18 Fig. im Text). . . rss 1
Mittheilung.
Beiträge für die Zeitschrift bitten wir an Herrn Prof. Ehlers
in Göttingen einzusenden. Im Interesse einer raschen und sicheren
Veröffentlichung liest es, dass die Manuskripte völlig druckfertig
eingeliefert werden, da mit nachträglichen Einschüben und aus-
sedehnten Abänderungen während der Korrektur Zeitverlust und
sonstige Unzuträglichkeiten verbunden sind. Bei der Disponirung
der Zeichnungen ist darauf zu achten, dass der Raum des in der
Zeitschrift üblichen Tafelformates nicht überschritten wird. Für
Holzschnitt bestimmte Zeichnungen sind: auf besonderen Blättern
beizulegen. |
Die Verlagsbuchhandlung Die Herausgeber
Wilhelm Engelmann. v. Kölliker. Ehlers.
Die Herren Mitarbeiter der »Zeitschrift für wissenschaftliche
Zoologie« erhalten von ihren Abhandlungen und Aufsätzen 40 Separat-
abzüge gratis. Weitere Exemplare werden auf Wunsch gegen Er-
stattung der Herstellungskosten geliefert unter der Vorraussetzung,
dass sie nicht für den Handel bestimmt sind.
Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig.
Soeben erschien;
POMPEJI
in Leben und Kunst
von
August Mau.
Gr. Ss 4 16.—3; in Liebhaberhalbfranzband .4 19.—.
Was wir am Ende des Jahrhunderts von Pompeji, seiner Kunst und
Kultur wissen, ist in vollendeter und allen Gebildeten zugänglicher Form von
dem hervorragendsten Pompejikenner der Gegenwart in diesem Buche dargestellt
worden. Viele Abbildungen, meist in Autotypie, und zahlreiche Heliogravüren
und Pläne erläutern den Text.
Zeitschrift
für
WISSENSCHAFTLICHE ZOOLOGIE
begründet
von
Carl Theodor v. Siebold und Albert v. Kölliker
herausgegeben von
Albert v. Kölliker und Ernst Ehlers
Professor a. d. Universität zu Würzburg Professor a. d. Universität zu Göttingen
Neunundsechzigster Band
/weites Heft
Mit 8 Tafeln und 9 Figuren im Text.
LEIPZIG
Verlag von Wilhelm Engelmann _
Ausgegeben den 15. Februar 1901.
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Inhalt.
Seite
Untersuchungen über das Ovarium der Hemipteren, zugleich ein Beitrag zur
Amitosenfräge.. Von Julius Gross. (Mit Taf. XIV—XVI und
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Beiträge zur Kenntnis der Regenerationserscheinungen bei den Ophiuren.
Von C. Dawydoff. (Mit Taf. XVII-XVIII und 3 Fig. im Text.) 202
Einige Beobachtungen über Kiesel- und Kalknadeln von Spongien. Von
OÖ. Bütschli. (Mit Taf. XIX—XXI und 2 Fig. im Text)... . . 235
Mittheilung.
Beiträge für die Zeitschrift bitten wir an Herrn Prof. Ehlers
in Göttingen einzusenden. Im Interesse einer raschen und sicheren
Veröffentlichung liegt es, dass die Manuskripte völlig druckfertig
eingeliefert werden, da mit nachträglichen Einschüben und aus-
gedehnten Abänderungen während der Korrektur Zeitverlust und
sonstige Unzuträglichkeiten verbunden sind. Bei der Disponirung
der Zeichnungen ist darauf zu achten, dass der Raum des in der
Zeitschrift üblichen Tafelformates nicht überschritten wird. Für
Holzschnitt bestimmte Zeichnungen sind auf besonderen Blättern
beizulegen.
Die Verlagsbuchhandlung Die Herausgeber
Wilhelm Engelmann. v. Kölliker. Ehlers.
Die Herren Mitarbeiter der »Zeitschrift für wissenschaftliche
Zioologie« erhalten von ihren Abhandlungen und Aufsätzen 40 Separat-
abzüge gratis. Weitere Exemplare werden auf Wunsch gegen Er-
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Lehrbuch
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0. ö. Professor der Anatomie und Direktor der anatomischen Anstalt der Universität Heidelberg.
Sechste, verbesserte Auflage.
Zwei Bände.
Mit 713 zum Theil farbigen Holzschnitten.
Gr. 8. geheftet #4 25.—; in Halbfranz gebunden # 29.50.
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Carl Theodor v. Siebold und Albert v. Kölliker
herausgegeben von
Neunundsechzigster Band
Drittes Heft
Mit 12 Tafeln und 22 Figuren im Text.
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1901.
| Zeitschrift
WISSENSCHAFTLICHE ZOOLOGIE
Albert v. Kölliker und Ernst Ehlers
Professor a. d. Universität zu Würzburg Professor a. d. Universität zu Göttingen
Verlag von Wilhelm Engelmann
"
Ausgegeben den 19. März 1901.
Inhalt.
Seite
Studien über das Nervensystem der Lucernariden, nebst sonstigen histo-
logischen Beobachtungen über diese Gruppe. Von N. Kassianow.
(Mit Taf. XXII-XXV und 11 Fig ım Text.) . . „ . ne 287
Zur Morphologie der Antennen- und Schalendrüse der Crustaceen. Von
F. Vejdovsky. (Mit Taf. XXVI u. XXVII und 1 Fig. im Text.) . 378
Untersuchungen über Hämosporidien. I. Ein Beitrag zur Kenntnis des Genus
Haemogregarina Danilewsky. Von Carl Börner. (Mit Taf. XXVIIL) 398
Die Entwicklung von Herz, Perikard, Niere und Genitalzellen bei Cyclas
im Verhältnis zu den übrigen Mollusken. Von Johannes Meisenr-
heimer. ! (Mit Taf. XXIX und'Y’Fig. im Text.) VIE 417
Die Innervation des harten Gaumens der Säugethiere. Von Eugen Botezat.
(Mit Taf. XXX u. XXXI und 1 Fıg.'im Text.) 2 ers 429
Kleinere histologische Mittheilungen. Von R. S. Bergh. (Mit Taf. XXXIL
und. XXXIL). . 2.0: 2.0 aD es Se 444
Mittheilung.
Beiträge für die Zeitschrift bitten wir an Herrn Prof. Ehlers
in Göttingen einzusenden. Im Interesse einer raschen und sicheren
Veröffentlichung liegt es, dass die Manuskripte völlig druckfertig
eingeliefert werden, da mit nachträglichen Einschiebungen und aus-
gedehnten Abänderungen während der Korrektur Zeitverlust und
sonstige Unzuträglichkeiten verbunden sind. Bei der Disponirung
der Zeichnungen ist darauf zu achten, dass der Raum des in der
Zeitschrift üblichen Tafelformates nicht überschritten wird. Für
Textfiguren bestimmte Zeichnungen sind auf besonderen Blättern
beizulegen.
Die Verlagsbuchhandlung Die Herausgeber
Wilhelm Engelmann. v. Kölliker. Ehlers.
Die Herren Mitarbeiter der »Zeitschrift für wissenschaftliche
Zioologie« erhalten von ihren Abhandlungen und Aufsätzen 40 Separat-
abzüge gratis. Weitere Exemplare werden auf Wunsch gegen Er-
stattung der Herstellungskosten geliefert unter der Vorraussetzung,
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frisch im Fleisch, bei warmer Witterung in Eis ver-
packt, liefert in unbeschädigten Exemplaren
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für
WISSENSCHAFTLICHE ZOOLOGIE
begründet
Carl Theodor v. Siebold und Albert v. Kölliker
herausgegeben von
Albert v. Kölliker und Ernst Ehlers
Professor a. d. Universität zu Würzburg Professor a. d. Universität zu Göttingen
Neunundsechzigster Band
Viertes Heft
Mit 12 Tafeln und 6 Figuren im Text.
LEIPZIG
Verlag von Wilhelm Engelmann
1901.
Ausgegeben den 28. Mai 1901.
Inhalt.
Über die erste Entwicklung der Krähe (Corvus frugilesus). Von Paul
Mitrophanow. (Mit Taf. XXXIV u. XXXV und 3 Fig. im Text.)
Untersuchungen über die Entstehung der Geschlechtsorgane bei den Cteno-
phoren. Von August Garbe. (Mit Taf. XXXVI und XXXVIL). .
Die Entwicklung der Wirbelsäule der weißen Ratte, besonders der vordersten
Halswirbel. Von: Armin Weiß. (Mit Taf. XXXVIII u. XXXIX
und 2.Fig. im Text.)"....... .. .. 0.0.0 0% So
Über die Kiemen der Fische. Von A. Goette. (Mit Taf. XL—XLII und
| einer Fig. -im Text.)..: . -.. .- . 20... 2. 20 eb
Der Bau der weiblichen Geschlechtsorgane bei Culex und ne Von
N. Külagin. {Mit Taf. XLIV.) . 2%... 0.2 ers EerrEre
Über eine neue Holothuriengattung von Neuseeland. ya Adolf Reiffen.
(Mit Taf. XLV.) u. 20 er 2. N
Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig.
Soeben erschien:
Tierleben der Tiefsee
von
Oswald Seeliger
Professor der Zoologie an der Universität Rostock.
Mit einer farbigen Tafel. gr.8. #2.—.
Soeben erschien:
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MEDULLA OBLONGATA
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ORNITHORHYNCHUS UND ECHIDNA
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