THE LIBRARY
OF THE
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b°°k . £ 3 e
ZEITSCHRIFT FÜR DIE GESAMTE
EXPERIMENTELLE
MEDIZIN
ZUGLEICH FORTSETZUNG DER
ZEITSCHRIFT FÜR EXPERIMENTELLE
PATHOLOGIE UND THERAPIE
HERAUSGEGEBEN VON
E. ABDERHALDEN-HALLE, A. BIEDL-PRAG, TH. BRUGSCH-BERLIN,
E. ENDERLEN- HEIDELBERG, H. E. HERING -KÖLN, W. HIS- BERLIN,
F. KRAUS -BERLIN, 0 . LUD ARSCH - BERLIN, C. v. NOORDEN -FRANK¬
FURT A.M., R. PALTAUF -WIEN, E. PAYR- LEIPZIG, C. PIRQUET -WIEN,
J. POHL -BRESLAU, F. SAUERBRUCH -MÜNCHEN, A. SCHITTENHELM-
KEEL, W. STRAUB - FREIBURG, W. TRENDELENBURG - TÜBINGEN,
P. UHLENHUTH-MARBURG
REDIGIERT VON
F. KRAUS C. PIRQUET A. SCHITTENHELM
W. TRENDELENBURG
27. BAND
MIT 111 TEXTABBILDUNGEN
BERLIN
VERLAG VON JULIUS SPRINGER
1922
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Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig
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Inhaltsverzeichnis.
Seite
LÖhr, Hanns« Die Beeinflussung- der Blutkörperehensenkungsgesohwindigkeit
durch Reizstoffe .. 1
Schittenhelm, A. und K. Harpuder. Der Einfluß parenteral verabreichter
freier und gebundener Purinkörper auf die Purinkörperausscheidung im
Urin beim Menschen.14
Schittenhelm, A. und K. Harpuder. Resorption und bakterielle Zersetzung
der Purinsubstanzen im Darmkanal von Mensch und Tier ...... 29
Schittenhelm, A. und K. Harpuder. Über das Schicksal gehäuft injizierter
Harnsäure beim Menschen.34
Schittenhelm, A. und K. Harpuder. Gibt es beim Menschen eine Harn-
säurezerstörungV Bemerkungen zur Theorie der Gicht..43
Schittenhelm, A. und K. Harpuder. Harnsäureumsatz und Harnsäureaus-
fuhr bei Akromegalie.50
Harpuder, K. und R. Mond. Die Brauchbarkeit der koloriinetrischen
Methoden zur Bestimmung vom Ilamsäuregehalt des Blutes ..... 54
Wöhlisch, Edgar. Die physikalischen Grundlagen einer rationellen Methodik
zur Bestimmung der Gerinnungszeit des Venenblutes. (Untersuchungen
über Blutgerinnung. IV.) (Mit 2 Textabbildungen.).61
Wöhlisch, Edgar und Konrad Pieritz. Untersuchungen zur Methodik der
vergleichenden Thrombinbestimmung im Serum. (Wöhlisch. Unter¬
suchungen über Blutgerinnung. V.).82
Bürger, Max und Max Grauhan. Über postoperativen Eiweißzerfall. I.
(Mit 17 Kurven.).97
Schellong, Fritz. Untersuchungen über die Ableitung der Aktionsströme
des Herzens vom Thorax. (Mit 4 Textabbildungen.) .115
Bayer, Gustav. Über den Calciumgehalt des Blutes bei der Guanidin¬
vergiftung. Ein Beitrag zur Tetaniefrage. (Mit 3 Textabbildungen.) . 119
Krawkow, N. P. Über die funktionellen Eigenschaften der Blutgef&ße iso¬
lierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen.
(Mit 4 Textabbildungen und 36 Kurven.).127
Langer, Hans. Die Grundlagen der biologischen Desinfektionsleistung von
Acridiniiimfarbstoffen, insbesondere von Flavicid. (Mit 4 Textabbildungen.) 174
Bauer, Julius und Berta Aschner. Über Austauschvorgänge zwischen Blut
und Geweben. H. Mitteilung. Der Einfluß von Adrenalin, Hypophysen-
und anderen Blutdrüsenextrakten und Gefäßmitteln.191
Boruttau, H. und K. Grassheim. Untersuchungen über die Pharmakologie
des Strontiums.213
Peiser, Bruno. Störungen der Adrenalinbildung in den Nebennieren unter
äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung.234
Moraczewski, W. Diagnostische Bedeutung der Wasserprobe bei Nieren¬
kranken. (Mit 30 Textabbildungen.).265
Jastrowiz, H. Zur Pathochemie der Blutlipoide bei experimenteller Anämie 276
s Starlinger, Wilhelm. Über die physikalisch-chemische Beeinflussung des
*1 Blutes durch Tuberkulin, gemessen an der Suspensionsstabilität der
Erythrocyten und dem Flockungsvermögen des Plasmas.305
Miki, Y. Experimentelle und klinische Untersuchungen über die Dauer des
K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms). (Mit 11 Textabbildungen.) . . 323
fy Autorenverzeichnis ..389
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tJNI VERSITY-0PMNNESOTA
(Aus der Medizinischen Universitätsklinik Kiel [Direktor: Prof. Dr. Schitten-
helm].)
Die Beeinflussung der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit
durch Reizstoffe.
Von
Dr. Hanns löhr,
Assistent der Klinik.
(Eingegangen am 14. November 1921.)
Über die Agglutination und Senkungsgeschwindigkeit der roten
Blutkörperchen bei Schwangeren und Krankheiten liegt seit der Wieder¬
entdeckung durch Fahraeus bisher schon eine recht ansehnliche
Zahl von experimentellen und klinischen Arbeiten vor, ohne daß sich
die Autoren über die auslösende Ursache dieses Phänomens einig ge¬
worden wären. Die Höbersche Schule, Fahraeus und Linzenmeier,
berücksichtigten in ihren ersten Berichten nur eine elektrophysi¬
kalische Deutung, daß nämlich in rasch senkenden Blut die Blut¬
körperchen im Verhältnis zum normalen Blut an ihrer elektrisch nega¬
tiven Ladung eingebüßt haben, wobei sich elektropositive Teilchen
des Plasmas durch Adsorption an die Blutkörperchenoberfläche an-
legen. Diese Ansicht modifizierte Linzenmeier, später gestützt auf
umfangreiche Experimente, in der Richtung, daß neben der Entladung
auch eine gewisse Sensibilisierung der Blutkörperchen einträte,
so daß noch andere senkungsbeschleunigende Faktoren ohne eine
Ladungsänderung leichter an ihnen angreifen könnten; für eine andere
Gruppe von Substanzen, die er im Experimente zusetzte, bestand
jedoch keine Sensibilisierung, keine Ladungsänderung, aber dennoch
Senkung. Infolgedessen konnte die rein elektrophysikalische Erklärung
nicht mehr als die alleinige aufrecht erhalten werden. Plaut sucht
nun die Änderung der Senkungsgeschwindigkeit durch Erscheinungen
der Autoagglutination der Erythrocyten zu erklären, Bennighof
fand ebenfalls bei den rasch senkenden Fällen unter dem Mikroskop
starke Geldrollenbildung, während die normalen, roten Blutkörperchen
sich gleichmäßig unter dem Deckglas aus breiteten. Aber auch diese
Tatsache gibt keine einheitliche Erklärungsmöglichkeit. W. Star-
linger konnte zeigen, daß die Autoagglutination der Erythrocyten
von dem Gehalt des Plasmas an Fibrinogen, der gröbstdispersen
Z. f. d. g. exp. Med. XXVJ7. ]
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H. Lühr: Die Beeinflussunt»
Fraktion der Bluteiweißkörper, abhängt, indem dieses durch Förde¬
rung der Agglutination die Senkung beschleunigt, während andrer¬
seits eine Anreicherung von Eiweißspaltprodukten infolge von eiwei߬
spaltenden Vorgängen durch Hemmung der Agglutination eine Ver¬
langsamung der Senkung zur Folge hat. In Anlehnung an die Herz-
feld - Klingersche Theorie, daß eine Agglutination erst dann ein-
treten kann, wenn die Wasserbenetzbarkeit der suspendierten Teilchen,
die durch Adsorption von wasserlöslichen Eiweißabbauprodukten und
Lipoiden ermöglicht wird, eine Störung erleidet, glaubt Starling,
daß ein hoher Gehalt des Plasmas an Fibrinogen von diesen wasser¬
löslichen Substanzen soviel adsorbiert, daß eine Verarmung der Ober¬
fläche der roten Blutkörperchen mit folgender Beschleunigung der
Senkungsgeschwindigkeit auftritt. Zwar fand schon Fahraeus einen
Parallelismus zwischen Senkungsgeschwindigkeit und der Größe der
Globulinfraktion des Blutserums, während Linzenmeier im Sinne
von Sachs in einer Änderung des Dispersitätsgrades des Fibrinogens
die Ursache der Senkung erblickt. Da nach den Untersuchungen von
Höher und Linzenmeier durch den Gerinnungsvorgang die Sen¬
kungsbeschleunigung verschwindet, so lassen sie die Frage offen, ob
das Fibrinogen selbst oder ein mit der Fibrinbildung aus dem Plasma
entfernter Stoff die Ursache der Beschleunigung ist. Starlinger legt
jedoch neben der Dispersitätsänderung mit aller Entschiedenheit
Nachdruck auf die Bedeutung der Quantität des Fibrinogens, da er
in seinen Versuchen ein ausgesprochenes Parallellaufen der Fibrinogen¬
menge und der Intensität der Flockungsreaktion bemerkte. Demgegen¬
über verlegt die Sachssche Schule die Entscheidung in die physi¬
kalische Struktur der Säfte. Im Anschluß an Herzfeld und
Klinger sieht Sache Unterschiede zwischen den einzelnen Eiw r eiß-
fraktionen des Blutes im wesentlichen in physikalisch-chemischen
Merkmalen, dem Dispersitätsgrade ihrer Teilchen. Es besteht von der
labilsten Fibrinogenstufe über das Globulin ein allmählicher Übergang
bis zu dem stabileren Albumin, wobei das Fibrinogen die am leichtesten
alterierbare Komponente darstellt. Die Verschiedenheit der Blut¬
körperchensenkung beruht nach Sachs zum größten Teil auf einer
verschiedenen Plasmastabilität. Diese Verhältnisse überträgt der
Autor nun tiuch auf die Proteinkörper- oder besser Reizkörper¬
therapie. Primär wird hierbei eine Änderung der Säftestruktur be¬
wirkt, wobei für Erfolg oder Mißerfolg die Kolloidstabilität der Säfte
eine wichtige Rolle spielt.
In Verfolgung dieser Ideen schien es von Bedeutung, zu erfahren,
welchen Einfluß die Injektion von Heizkörpern auf die Senkungs-
geschwindigkeit der roten Blutkörperchen ausübte. Die ersten Ver¬
suche in dieser Richtung hat mein Bruder Wilhelm Löhr in einer
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der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit durch Reizstoffe.
3
experimentellen und klinischen Arbeit unternommen und eine deut¬
liche Beschleunigung der Sedimentierung der Erythrocyten nach
intramuskulärer und intravenöser Injektion von Serum Caseosan,
Tuberkulin und Kollargol festgestellt. Weniger deutlich war der Ein-
fluß nach Verabfolgung von hyper- und hypotonischen Kochsalz¬
lösungen. In einem Falle von schwerstem anaphylaktischen Schock
nach intravenöser Gabe von Tetanusserum wurde die Blutkörperchen¬
senkung praktisch aufgehoben, im Anschluß daran trat aber eine ganz
erhebliche Senkungsbeschleunigung auf, die allmählich nach 6 Tagen
wieder zur Norm zurückkehrte.
An diese einzelnen Experimente anknüpfend unternahm ich es
nun, systematisch den Einfluß von Heizkörpern aller Art auf die
Blutkörperchensenkung zu erproben. Es interessierte vor allen Dingen
auch die Fragestellung nach dem rein zeitlichen Ablauf der Re¬
aktion, wie ich dieses kürzlich für die Typhusagglutination sowohl im
Blute als auch in der Muttermilch beantworten konnte. Es fand sich
nämlich damals, daß bei intramuskulärer Injektion schon nach kurzer
Zeit, in der Regel 2—4 Stunden, ein erheblicher Anstieg des Agglutinintiters
auftrat, bei intravenöser Verabfolgung in noch kürzerer Zeit. Gewisser¬
maßen die Bestätigung dieser Befunde sehe ich jetzt in den Forschungs¬
ergebnissen von A. Frisch und W. Starlinger, die nach spezifischer
und unspezifischer Eiweißzufuhr (Tuberkulin, Milch und Pferdeserum)
schon nach kurzer Zeit, 2—4 Stunden, eine beträchtliche Vermehrung
des Fibrinogens im Blutplasma feststellen konnten, worauf der Fibri¬
nogenspiegel noch in den folgenden Tagen stets erhöht blieb. Auf
ähnliche Befunde hatten schon Modrakowski und Orator kurz
hingewiesen. Allerdings machen die ersten Autoren die Einschränkung,
daß eine Gesetzmäßigkeit nicht immer besteht. Moll, van den Vel¬
den, Loewy und Togawa Tokuyi fanden mit verschiedenster Me¬
thodik ähnliche Ergebnisse, wobei allerdings in dem rein zeitlichen
Ablauf geringe Differenzen zu bemerken sind. Togawa Tokuyi
stellte sofort schon nach der Injektion von Serum usw. Vermehrung
des Fibrinogens fest. Ich lasse hier die Frage offen, ob die Nicht¬
beeinflussung oder die sogar von Frisch und Starlinger zuweilen
beobachtete Senkung des Fibrinogengehaltes mit einer Überempfind¬
lichkeit des einzelnen Individuums gegenüber der Intensität der Reize
zusammenhängt. Klinische und auch experimentelle Erfahrungen
haben gezeigt, daß wir bei der Reiztherapie in der Dosierung noch
völlig im Dunkeln tappen. Was bei dem einen Individuum ein starker
Anreiz bedeutet, kann bei einem anderen überhaupt keine oder gar
lähmende Wirkung ausüben. Die Reaktion ist eben von zwei Kompo¬
nenten abhängig, einerseits dem wirksamen Reizstoff, andrerseits von
dem Zustand der Körpersäfte selbst, wobei die Kolloidstabilität der
1 *
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4
M. Löhr: Die Beeinflussung
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Säfte von Bedeutung ist. Beide Faktoren werden die erforderliche
physikalische Struktur besitzen müssen (Sachs).
Auch die jüngsten Veröffentlichungen E. Gabbes über regelmäßige
Schwankung der Lipoidmenge des Blutes nach Injektion von
Reizstoffen der verschiedensten Art, die schon nach I—l 1 ^ Stunden
auftraten, belegen meine oben erwähnten Versuche. Nach seiner An¬
sicht üben die Lipoide auf den physikalischen Zustand der Eiwei߬
kolloide des Serums einen erheblichen Einfluß aus. Bei der Blut¬
gerinnung sollen ja auch Fettsäuren und Lipoide (Stüber und Heim)
und auch Phosphat ide (Zack) eine Rolle spielen. Andrerseits glaubt
Gabbe auch im Anschluß an Brinkmann und van Dam an eine
isolierende Schutzwirkung des Cholesterins für die Blutkörper gegen
die elektrischen Einflüsse der Eiweißkörper. Die Bedeutung der
Lipoide bei der Blutkörperchensenkung legte auch auf Veranlassung
von Rona P. György fest. Immerhin sind diese Fragen noch unge¬
klärt. W. Löhr konnte keine Veränderung des Cholesteringehaltes
feststellen, Untersuchungen, die ander Schittenhel mschen Klinik
ausgeführt wurden. Es besteht auch Meinungsverschiedenheit über
Reagensglasversuche mit Zusatz von Cholesterin und Lecithin (Lin-
zenmeier, Kürsten).
Da nun die bakterielle Agglutination und die Hämagglutination
sehr nahe verwandte Zustände darstellen, lag der Gedanke nahe, die
dort angewandte Methodik auch auf die Sedimentierung der roten
Blutkörperchen auszudehnen.
Hinsichtlich der Methodik sei kurz erwähnt, daß ich die von Linzenmeier
angegebenen Röhrchen von 6,5 cm Höhe und 5 mm lichter Weite mit einem Inhalt
von genau 1 ccm verwandte und mit den fixen Senkungsstrecken von 6,12 und 18 mm
arbeitete. W. Löhr hat diesen 3 Marken noch eine vierte bei 24 mm für die sehr
rasch senkenden Fälle hinzugefügt. Für unsere Versuche erwies sich aber die
Beobachtung bis zur Marke 18 mm am zweckmäßigsten. Nur in einzelnen Fällen,
z. B. den Blutkrankheiten, mußten wir der schnellen Senkung wegen uns auch
der Marke 24 mm bedienen.
Um von vornherein keine Irrtumsmöglichkeit zu begehen, war es
notwendig, sich zunächst über die etwaigen Tagesschwankungen in der
Schnelligkeit des Reaktionsablaufs zu unterrichten. Die mittlere Sen¬
kungsgeschwindigkeit bei Normalen ist ja durch die bisherigen Unter¬
sucher bekannt. W. Löhr stellte auch schon Schwankungen im Laufe
des Tages fest, die aber im Gegensatz zu Büschers Ansicht nicht von
der Nahrungsaufnahme oder gar von einer bestimmten Nahrungsart,
z. B. Fett, abhängen. Ganz neuerdings berichtet ferner Bennighof,
der allerdings mit festen Senkungszeiten, nicht mit fixen Senkungs¬
strecken arbeitete, über Tagesschwankungen von nur einigen Milli -
metern. Einem Gesunden wurde also stündlich Blut zur Senkung
entnommen, was aus folgender Zusammenstellung ersichtlich ist.
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der Blutkörperehensenkung8ge8chwindigkc*it durch Reizstoffe. 5
Tabelle I.
Name
Datum
Blut¬
entnahme
Sedimentierung
bie 18 mm in Hin.
Br. j
28. vn.
10* 20'
384
1
i
11h 30'
394
i
i
12» 30'
379
i
lh 30'
399
2 h 30'
393
i
3 h 30'
378
4h 30'
391
i
5h 30'
388
6 h 30'
387
i
7 h 30'
384
1
8 h 30'
390
Wie ersichtlich, sind die Schwankungen nicht erheblicher Natur, wer¬
den auch nicht durch die Einnahme der Mahlzeiten verändert. W. Löhr s
festgesteIHe Schwankungen von ungefähr 200 Min. beziehen sich auf
die Strecke von 24 mm. Gerade die Sedimentierung von 18—24 mm
dauert u. U. Stunden. Bei einer mittleren Senkungsgeschwindigkeit
von 1200 Min. bis 24 mm entsprechen die größeren Schwankungen
denen von mir bei 18 mm gefundenen.
Nach Feststellung dieser Tatsache wurde sodann der Einfluß von
intramuskulär injizierten Eiweißkörpern auf die Senkungsgeschwindig¬
keit untersucht.
Ich ging so vor, daß ich zunächst bei den Versuchspersonen ihre augenblick¬
liche Senkungsgeschwindigkeit feste teilte. Unmittelbar nach der ersten Blut¬
entnahme erhielt der Patient den Reizstoff verabfolgt, bei intravenöser Injektion
wurde sofort in die von der Entnahme noch in der Vene liegende Nadel gespritzt.
Zui Verwendung kamen in der Hauptsache Milch, Caseosan, Pferdeserum oder ein
Eiweißpräparat Nr. 304 bei intramuskulärer Applikation, intravenös spritzte ich
Caseosan, Pferdeserum, Autoserum, ferner kolloidale Silberpräparate. Sodann
wurde anfangs den Patienten stündlich Blut zur Sedimentierung entnommen,
späterhin aber nach allgemeingültiger Feststellung des Beschleunigungsbeginns
konnte man sich mit einer geringeren Anzahl von Blutproben begnügen.
Betrachten wir zunächst die Ergebnisse nach intramuskulärer
Verabreichung; in der folgenden Tabelle konnten wir aus wirtschaft¬
lichen Gründen nur einen Teil der Experimente veröffentlichen. Auch
ist nur der erste Fall genau mit jeder Blutentnahme berichtet, in den
folgenden begnügte ich mich mit der Fixierung der typisch wichtigen
Zeitpunkte, also Eintritt der Beschleunigung und höchste Beschleuni¬
gungszeiten. Diese genügen jedoch, um die deutliche Beeinflussung
der Senkungsgeschwindigkeit darzutun. In allen Fällen sehen wir
nach 1—2 Stunden eine erhebliche Beschleunigung der
Sedimentierung. Bei einigen Fällen trat die Beschleunigung aller¬
dings erst nach 3—4 Stunden auf. Möglicherweise hängt dieses mit
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6
II. Lühr: Die Beeinflussung
Tabelle II.
Zeit der
Senkung«-
Name
Datum
Blut-
ge8chwindigkeit ! Intramuskuläre Injektion von
entnähme
bis 18mm in Min.j
1. B.
2.
viii.
8^
406
i
1 5 ccm MUch 8 h 2'
9h
378
10h
tu
11h
241
12h
230 !
l h
225 !
2h
220
4 h
215
«h
225
8 11
319
1
3.
VIII.
8»
230
i
4.
VIII.
8 h
245
6 .
VIII.
8h
300
!
2. J. Beg.
5.
vni.
7 h 05'
385
o ccm Milch 7 h 9'
10h 15'
199
4
1
6.
VIII.
7h
195
+
1
8h i
175
3. H. S.
2.
VIII.
10 h 35'
243
1 ccm Caseosan 10 h 87'
ll h 40'
135
Ij
12h 40'
139
i
i
1 1
2h 45'
130
UBW.
usw.
9.
VIII.
1 9h 40'
225
i i
4. A.W.
1.
VIII.
1 10h 10'
: 129
i 1 ccm Caseosan 10 h 12'
:
12h 15'
TT !
1 1
:
3h 15'
1»
55
|j
U8W.
USW.
5. K. 0. |j
25.
VIII.
j ’ llh
401 i
!
1
! 1 ccm Eiweißpräparat Nr. 804 ll h W
ii
12h 10'
325
lh
22» |
i
1
usw.
USW.
schlechteren Resorptionsverhältnissen zusammen, die durch nicht
gleichmäßige Anlage des Reizdepots, z. B. inter- oder subfascial, be¬
dingt sein könnte. Aber auch in diesen Fällen sowie in den anderen
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der Biutkörperchensenkungsgeschwindigkeit durch Reizstoffe.
7
sehen wir eine teilweise sehr starke Beschleunigung, die im Laufe der
nächsten Stunden noch zunehmen kann, um später in den nächsten
Tagen wieder abzuklingen. Es liegt also hier ein weitgehender
Parallelismus mit der Typhusagglutininsteigerung durch
unspezifische Reize vor, der zeitliche Reaktionsablauf ist
hier derselbe wie dort. Es ließ sich fernerhin dreimal 1 ) ein An-
dauem der Beschleunigung in den nächsten 8 Tagen beobachten, Be¬
funde, die sich mit den Untersuchungen W. Löhr’s decken. Nach
Starlinger bleibt ja auch der Fibrinogenspiegel mehrere Tage erhöht.
Sodann interessierte die Frage, ob nach intravenöser Verab¬
folgung des Reizmittels der zeitliche Beginn der Senkungsbeschleunigung
noch rascher eintritt als bei intramuskulärer Injektion: Der Typhus¬
agglutinintiter ließ sich fast immer bei endovenöser Einspritzung im
Vergleich zu der intramuskulären in kürzerer Zeit in die Höhe treiben.
Hinsichtlich der Höhe des Titerausschlages und des weiteren Verlaufs
war allerdings kein merkenswerter Unterschied zu beobachten. Wir
verwandten Caseosan, Sanarthrit und mit Vorsicht nach vorausgegange¬
ner intramuskulärer Probeinjektion auch Pferdeserum. Zwischenfälle
Tabelle III.
! ' 'i
Zeit der
Senkungs-
—
Name Datum
Blut-
Geschwindigkeit
Intravenöse Injektion von
1 1
entnähme
bis 18 mm in Min.
l. Gr. Ij 8 . IX. 1
1P 15'
285
0,2 ccm Caseosan ll h 15'
12 h 15'
1
6 h 15'
90
85
9. IX.
9^
110
i
!
2. Sch. ! 10. IX.
8 h
540
0,2 ccm Caseosan 8 h
‘9h
208
11 h*
200
USW.
USW.
3. E. 5. IX.
8h
410
0,2 ccm Caseosan 8 h
8h 50' !
380 '
9h 15'
: 1
270
12^
250
6. IX
9h
280
*) Um allzuhäufiges Punktieren zu vermeiden, verzichtete ich nach mehr-
maliger Feststellung bei den übrigen Patienten, ;
auch in den folgenden Tagen
regelmäßig Blut zu entnehmen.
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8
H. Lohr : Die Beeinflussung
irgendwelcher Art wurden nicht beobachtet. Die zeitliche Verfolgung
eines anaphylaktischen Schocks war uns leider versagt, wie ihn W. Löhr
beschreibt. Die dort bemerkte völlige Aufhebung der Blut¬
körperchensenkung ist nach W. Löhr durch Globulinfällung des
Fibrinogens, und durch Globulinverarmung des Blutplasmas infolge
abnormer GefäBdurchlässigkeit zu erklären. Die Frage, wann nun
nach völligem Aufgehobensein der Sedimentierung die ersten Zeichen
beginnender Senkung und dann die darauffolgende Beschleunigung
eintritt, wäre von Wichtigkeit gewesen. Diese Beobachtung W. Löhr’s
läßt vielleicht eine Möglichkeit offen, eine vorsichtig anaphylakti-
sierende Proteinkörpertherapie, die sich stets an der oberen Reiz¬
schwelle (Zimmer) haltend anscheinend den besten therapeutischen
Erfolg zeigt, durch eine Verfolgung der Senkungsgeschwindigkeit zu
kontrollieren, ob im Blutplasma sich anaphylaktoide Zustände ent¬
wickeln. In unseren Fällen sehen wir gleichfalls eine erhebliche
Senkungsbeschleunigung, die immer schon in der ersten Stunde
auf tritt.
Die kolloiden Silberpräparate Dispargen und Kollargol ver¬
halten sich nicht wesentlich anders als die eigentlichen Eiweißpräparate,
wenn auch nicht mit solcher Sicherheit und Schnelligkeit, was zum
guten Teil auf dem beigegebenen Schutzeiweißkolloid beruht. Immer¬
hin kann auch das reine Silber wie alle anderen nichtorganischen Ver¬
bindungen [HetoJ (Müller), Arsenpräparate (Agazzi), Salvarsan
(Friedberger und Masuda), Kochsalzlösung (Klemperer und
Rosenthal, W. Löhr) usw.] durch Abbau arteigenen Eiweißes, also
sekundär, eine Dispersitätsänderung im Organismus hervorrufen. In
folgender Zusammenstellung sieht man, daß der Beginn der Senkungs¬
beschleunigung einige Zeit später eintritt als bei der Eiweißinkjetion.
Tabelle IV.
jj ! Zeit
Name || Datum i der Blut-
| entnähme
Sedimentierung
bis 18 mm in Min.
Intravenöse Injektion von
Fr. W. 11. VIII. ' 9"
420
5 ccm Dispargen 9 1 '
10" 50'
380
▼
12"
405
! 2 h
210
: i
6 h
200
Weiterhin injizierten wir analog unseren früheren Versuchen Organ-
präparate und zwar Adrenalin und Pilocarpin. Hier sei noch¬
mals kurz an die von Borchardt angegebene Steigerung des Aggluti-
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der Blutkörperchensenkungsgeschwiudigkeit durch Reizstoffe..
9
ninspiegels ‘durch Organpräparate erinnert, Befunde, die ich, wenn auch
mit Einschränkung, bestätigen konnte. Nach meiner Vorstellung
geschieht diese Leistungssteigerung nicht mittels des vegetativen
Nervensystems, sondern auch nur sekundär durch Abspaltung von
Abbauprodukten arteigenen Eiweißes. Neuerdings haben nun F. Ro¬
senthal und P. Holzer zu beweisen versucht, daß der Agglutinin¬
spiegel durch sympathische Impulse gefördert werde. Aus der parente¬
ralen Invasion der Proteinkörper entstehe eine „Erschütterung“ des
autonomen Nervensystems in der Richtung einer sympathischen Um¬
stimmung des Organismus, wobei auch der Agglutinintiter der Herr¬
schaft des autonomen Nervensystems unterliege. Parasympathische
Reize beeinflußten den Agglutininspiegel in hemmendem Sinne, wäh¬
rend sympathische Reize antagonistisch in fördernder Richtung auf
ihn wirkten, also Steigerung durch Adrenalin, Abfall nach Pilocarpin.
Hierzu sei zunächst bemerkt, daß am Menschen sich von mir
keineswegs die Angaben und Versuche von Rosenthal und
Holzer bestätigen ließen. Ich sah gewiß nach Adrenalin,
wie früher berichtet, eine Steigerung des Titers, aber in
gleicher Weise auch nach stärkster Injektion von Pilo¬
carpin und dieses änderte sich niemals im Laufe der folgenden Tage.
Versuche an Katzen nach Ausschaltung des sympathischen Systems
durch Nicotin und Ergotoxin in dieser Richtung sind noch nicht
abgeschlossen. Bisher gehen die Tiere nach dieser Vorbehandlung bald
zugrunde. Ich werde an anderer Stelle auf diese Fragen noch eingehen.
Ein Abfallen des Titers nach Pilocarpin sah ich niemals nur mehr
oder weniger deutliche Steigerungen. Der Vorgang der Antikörper¬
bildung ist eben ein omnicellulärer, eine „topische Analyse“ läßt
daher sehr im Stich. Wenn auch Salomon und Madsen nach Pilo¬
carpin eine Steigerung des Diphtheritisantitoxingehaltes bei im¬
munisierten Ziegen fanden, so spricht dieses nur für meine Auffassung
von der sekundären leistungssteigemden Wirkung des Pilocarpins
durch Abbau arteigenen Eiweißes. Es ist doch wirklich nicht an¬
gängig, für andere Immunkörpergruppen, die sich alle biologisch und
physicochemisch nur wenig unterscheiden, auch grundsätzlich andere
Reaktionsmechanismen anzunehmen. Die omnicelluläre Bildung
von Antikörpern, und auch gerade von Agglutininen ist über¬
dies nach Carreis grundlegender Entdeckung über die künstliche
Kultur lebenden Gewebes bereits in den Jahren 1913 und 1914
von mehreren Autoren (Reiter, Przygode, Levatidi und Mutter¬
milch) endgültig bewiesen worden. Hierbei konnte doch von einer
Beeinflussung durch das sympathische Nervensystem wirklich keine
Rede sein. Büscher berichtet nun ebenfalls kurz über die Wirkung
von Adrenalin und Pilocarpin auch auf die Senkungsgeschwindigkeit
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10
JT. Ijöhr: Die Beeinflussung
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der Blutkörperchen. Sowohl W. Löhr als auch ich konnten uns nie¬
mals von einer Hemmung nach Pilocarpin überzeugen, auch Linzen-
meier teilt unsere Ansicht. Im Gegenteil, wie sich aus folgender Tabelle
ergibt, sah ich auch nach Pilocarpin eine Beschleunigung nach
spätestens 6 Stunden auftreten. Auch aus diesen Gründen allein müßte
ich die Ansicht von Rosenthal und Holzer ablehnen, denn die Vor¬
gänge bei der Hämagglutination unterscheiden sich nicht wesentlich
von der Bakterienagglutination.
Tabelle V.
Name
! Datum |
Zeit der
Blutent¬
nahme
Sedimentierung
bis 18mm in Min.
H. S.
9. VIII.
9 h 40'
1 275
i
! 10 h 40'
290
ll h 40'
287
; i*
110
: i
?h
95
Hinr.
iTviiT
9 h 40'
580
10 h 40'
565
;
l h 30'
570
i
I
3 h
21»
6h
200
Intravenöse Injektion von
1 ccm Adrenalin 9 h 45'
1 ccm Adrenalin 12 h
1 ccm Pilocarpin 9 h 45'
1 ccm Pilocarpin l h 80'
Endlich sei noch über den Einfluß von Bluttransfusionen bei
Blutkrankheiten auf die Senkungsgeschwindigkeit berichtet. Be¬
kanntlich senken alle perniziösen Anämien und andere deletäre Blut¬
krankheiten sehr rasch. Hier handelte es sich einmal um eine hoch¬
gradige Perniciosa (Fall St.) mit einer Verringerung der Erythro-
cyten auf 1200 000 und 25 Hämoglobingehalt. Patient wurde hier
nach dem Bürgerschen Vorgang mit Verwandtenbluttransfusionen
behandelt. Kurz vor und sofort nach der endovenösen Eingießung
von 1 / 2 Liter defribinierten Blutes wurde die Senkungsgeschwindigkeit
bestimmt. Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß durch die neu zuge¬
führten Blutkörperchen eine leicht vermehrte Stabilisierung auftrat,
die starke Beschleunigung wurde deutlich gehemmt. Ich
halte es für besonders wichtig, daß in diesem Falle die Urobilinaus¬
scheidung im Harne eine sehr geringe war, auch nahm der Wert des
Bilirubins im Blute nicht zu, also alles Zeichen, daß im Organismus
kein erheblicher Zerfall der zugeführten roten Blutkörperchen eintrat,
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der Blutkürperehensenkungsgesclixvindigkeit durch Reizstoffe.
11
was sich übrigens auch durch eine erhebliche klinische Besserung
dokumentierte. Aus begreiflichen Gründen konnte man bei dem
hoch anämischen Patienten nicht täglich oder gar stündlich Blut
entnehmen.
Keinerlei Beeinflussung der Senkungsgeschwindigkeit konnten wir
bei einem anderen Falle, einer schweren myeloischen Leukämie, der
nach Milzbestrahlung einen rapiden Sturz der gesamten Blutzellen
durchmachte, nach einer Bluttransfusion feststellen (Fall B.). Im Urin
fand sich nach der Transfusion des übrigens nicht stammverwandten
Blutes sehr starke Urobilinreaktion, Bilirubin wurde leider im Serum
nicht bestimmt. Auch ließ sich kein Anstieg der roten Blutkörper
und des Hämoglobins feststellen. Durch den starken Blutzersetzungs¬
prozeß ließe sich also die Nichtbeeinflussung der Senkungsgeschwindig¬
keit wohl erklären. Eine Gesetzmäßigkeit zwischen Blutkörperchen¬
zahl und Sedimentierung besteht nicht unmittelbar. Nach starken
Blutverlusten oder auch gesetzten großen Aderlässen sah W. Löhr
niemals eine Beschleunigung auftreten; Hirschfeld hat für seine
gegenteilige Meinung (anämische Prozesse bei Malaria) den Beweis
nicht erbracht, v. öttingen stellte im Gegensatz zu Abderhaldens
Ansicht im Experiment bei verringerter Blutkörperchenmenge eine
Abnahme der Senkungsgeschwindigkeit fest.
Tabelle VI.
I
Name j
1 Datum
Zeit der |
Blut¬
entnahme
Sedimentierung
bis 24 mm
in Min.
Transfusion defibriniorten
Blutes
Sta.
22. VIII.
10*25'
i 95 |
11* 30'—12* 80' Transfusion
!
12 h 25'
! 110 i
I
1
1*25'
115 ;
j
|
2* 25'
140 i
Bo. |
17. vm.
10 h
65
1
6*25'
50
6* 80'—7*80' Transfusion
1
6* 35'
55 >
11 18. VIII.
7*35'
52
9*
55
119. VIII. |
9*
50
Endlich muß ich noch betonen, daß es in ganz einzelnen Fällen
nicht gelingt, durch die üblichen Dosen eine Steigerung der Senkungs¬
geschwindigkeit zu erreichen, einerlei auf welche Art das Reizmittel
appliziert wurde. W. Starlinger fand ja ebenfalls bei einigen Ver¬
suchen keine Fibrinogenvermehrung. Es ist hier sehr schwer zu ent¬
scheiden, ob Überempfindlichkeit gegen die Reizdosis vorliegt im
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12
H. Löhr: Die Beeinflussung
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Sinne einer Hemmung, oder ob sich die Kolloidstabilität der Körper¬
säfte aus anderen Gründen (Störung der Resorption) nicht beeinflussen
läßt. Ich betone aber, daß ein Nichtreagieren immer eine Ausnahme
bedeutet (unter 30 untersuchten Fällen 2). Im allgemeinen ist über
die Dosis und die Wertigkeit der verschiedenen Eiweißkörper bei
gleichartiger Anwendung kein sicherer Vergleich anzustellen.
Zusam menfass u ng.
Durch Reizkörper aller Art läßt sich die Senkungsgeschwindigkeit
der Blutkörperchen ganz erheblich beschleunigen.
Bei intramuskulärer Verabfolgung tritt die Beschleunigung frühe¬
stens nach 2 Stunden auf, bei intravenöser bereits nach einer Stunde.
Die intravenöse Injektion ist anderen Verabreichungsarten nur hin¬
sichtlich der Schnelligkeit ihrer Wirkung überlegen.
Die Beschleunigung wurde 8 Tage beobachtet.
Nicht eiweißartige Stoffe unterscheiden sich von den Eiweißkörpem
nur durch zeitlich spätere Wirkung, da sie erst sekundär infolge
parenteralen Abbaus arteigenen Eiweißes reizfähige Spaltprodukte
bilden müssen.
Durch Organpräparate, Adrenalin und auch Pilocarpin läßt sich
bei parenteraler Gabe ebenfalls die Senkungsgeschwindigkeit beschleu¬
nigen. Der Vorgang der Reizbildung geschieht auf dieselbe Art wie bei
Nichteiweißkörpem. Eine nervöse Beeinflussung (autonomes Nerven¬
system) ist grundsätzlich abzulehnen.
Es besteht ein weitgehender Parallelismus in der Beschleunigung
der Senkungsgeschwindigkeit und der Steigerungsfähigkeit von Typhus-
agglutininen nach Verabfolgung von Heizkörpern.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
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Der Einfluß parenteral verabreichter freier und gebundener
Purinkörper auf die Purinkörperausscheidung im Urin beim
Menschen.
Von
A. Schiiten heim und K. Harpuder.
(Aiis der Medizinischen Klinik in Kiel [Direktor: Prof. Dr. A. S c hi 11 e n he 1 m].)
(Eingegangen am 10. Januar 1922.)
Der NucleinstoffWechsel des Menschen und der Tiere hat durch
zahlreiche Arbeiten eine weitgehende Klärung gefunden, ohne daß je¬
doch besonders für den Menschen alle Fragen restlos gelöst sind. Daß
die Nucleinsäure durch Organfermente stufenweise abgebaut wird
und die schließlich freiwerdenden Purinbasen in Harnsäure übergeführt
werden, wurde durch die Untersuchungen von Schittenhelm, Jones,
Levene und Tannhauser einwandfrei bewiesen. Für das Tier ist
es durch Wiechowski sichergestellt, daß die Harnsäure durch das
von Schittenhelm zuerst isolierte urikolytische Ferment zu Allantoin
oxydiert wird. Für den Menschen konnte ein entsprechendes Ferment
bisher nicht sicher nachgewiesen werden 1 ).*
Zahlreiche Stoffwechselversuche am Menschen und am Tier er¬
gänzten die Ferment versuche. Es besteht aber in ihnen ein wichtiger
Unterschied. Während im Tierversuch der Purinbasenanteil der ver¬
fütterten und intravenös verabreichten Nucleinsäuren und Purinbasen
so gut wie quantitativ als Allantoin wiedererscheint, nicht selten sogar
in überschießender Menge [Schittenhelm 2 ), und seine Mitarbeiter
Ewald 3 ), Frank 4 ), Seisser 5 ) u. a.], findet sich bei Verfütterung der
*) Literatur über diese Fragen siehe bei Schittenhelm: „Der Nucleinstoff-
wechsel“ in Oppenheimers Handbuch der Biochemie, IV. Band, 1. Hälfte, 1908,
Brugsch und Schittenhelm: „Der Nucleinstoffwechsel und seine Störungen“
Jena 1910, Abderhalden: Lehrbuch der physiologischen Chemie. Berlin-
Wien 1920, Tannhauser: „Über den chemischen Aufbau des Nukleinsäuremole¬
küls und seine Veränderungen im Stoffwechsel des Menschen“ München 1917 und
Severin, Zur Chemie, Physiologie und Pathologie des Nucleinstoffwechsels. Bres¬
lau 1916.
2 ) Schittenhelm, Zeitschr. f. physiol. Chem. $2, 80. 1909.
3 ) Ewald, Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therap. 12, 348. 1912.
4 ) Schittenhelm und Frank, Zeitschr. f. physiol. Chem. €3, 269. 1909.
5 ) Schittenhelm und Seisser, Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therap. T. 1909.
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A. Schittenhelm u. K. liarpudcr: Eiiifluii freier u. gebundener Purinkörper usw. 15
Nucleinsäure am Menschen nur ein Teil der Purinbasen als Harnsäure
im Urin. Quantitative Stoffwechseluntersuchungen von Frank und
Schittenhelm, in denen nach Nucleinsäureverfütterung neben Harn¬
säure und Purinbasen auch der Harnstoff und die Phosphorsäure
bestimmt wurden, schienen zu beweisen, daß die Harnsäure im mensch¬
lichen Organismus so wenig ein Stoffwechselendprodukt ist wie im tie¬
rischen und daß sie weiter abgebaut wird. Es fand sich nämlich der
Stickstoff der in der Nucleinsäure verfütterten und im Organismus
umgesetzten Purinbasen zum größten Teil in der Harnstoff-, zum
kleineren in der Hamsäurefraktion (5,1—41,12%), ein minimaler An¬
teil in der Purinbasenfraktion wieder. Versuche von Brugsch und
Schittenhelm bestätigen diese Resultate.
Die Ansicht Schittenhelms, daß die Harnsäure nicht als Stoff¬
wechselendprodukt anzusehen ist, wurde von den verschiedensten
Seiten bestritten [Wiechowski 1 ), Umber 2 * ), neuerdings Tannhauser 8 )
und Gudzent 4 5 ) sowie Severin]. Als Beweise werden die negativen
Fermentversuche angeführt, vor allem aber die Beobachtung, daß
nach intravenöser Injektion von Harnsäure und intramuskulärer In¬
jektion von Nucleosiden die Harnsäure resp. die Purinbasen in einer
Anzahl von Versuchen so gut wie quantitativ als Harnsäure im Urin
wiedergefunden wurde. Der Einwund des negativen Ausfalls der
Fermentversuche muß unbedingt zugegeben werden, wenn auch von
Schittenhelm bereits früher Möglichkeiten diskutiert wurden, w r elehe
das Versagen des Fermentnachweises anders erklären könnten.
Was die Beweiskraft der intravenösen Hamsäureinjektionen anbe¬
langt, so wurde diese bereits von Schittenhelm auf Grund der unter
seiner Leitung ausgeführten Versuche von Ewald bestritten, welcher
fand, daß das meist zur Lösung benutzte Piperazin erhebliche Stoff¬
wechselstörungen bei alleiniger Injektion setzt und daß ferner als
Begleiterscheinung der Hamsäureinjektionen eine beträchtliche Leuko-
cytose auftritt, welche ihrerseits wieder zu einer erhöhten Harnsäure¬
ausscheidung Veranlassung geben könnte. Griesbach 6 ) hat neuer¬
dings im Bornsteinschen Laboratorium eine größere Zahl von Ver¬
suchen angestellt, welche zeigen, daß nach intravenöser Injektion von
Harnsäure nach kurzer Z<eit (15 Min.) nur noch ein geringer Brachteil
der injizierten Menge im Blute sich findet, während der Rest bereits
nach kurzdauernder Zirkulation durch den Körper absorbiert oder ver-
1 ) Wiechowski, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. €0, 185. 1909.
*) Umber und Retzlaff, Verhandl. d. 27. Kongr. d. inn. Med. Wiesbaden
1910.
8 ) Tannhauser, Therap. Halbmonatsschr. 1921, H. 23, S. 717.
4 ) Gudzent, Berl. klin. Wochenschr* 1921, Nr. 48, S. 1401.
5 ) Griesbach, Biochem. Zeitschr. 101 , 172. 1920.
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16 A. Schittenheliu u. K. Harpuder: I )er Einfluß parent verabreichter freier und
brannt sein müsse. Die absorbierte Menge ist in 6 von 7 Fällen nicht
annähernd quantitativ wieder zum Vorschein gekommen und er stellt
daher in Übereinstimmung mit anderen Fällen der Literatur fest, daß
die Methodik der intravenösen Hamsäureinjektionen nicht dafür
benutzt werden kann, das Fehlen einer Urikolyse beim Menschen zu
beweisen. In einem Falle wurde mehr Harnsäure ausgeschieden, als
injiziert wurde, und es mußte daher eine Hamsäureneubildung unter
dem Reize der Injektion angenommen werden. Bürger 1 ) stellte in
der Kieler Klinik vergleichende Untersuchungen über die Ausscheidung
intravenös injizierter Harnsäure, die in Piperazin gelöst ist, mit solcher,
die mit Natronlauge in übersättigte Lösung (kolloidal gelöst) gebracht
ist, am Menschen an. Dabei ergab sich, daß die kolloidal gelöste Harn¬
säure in wesentlich geringerem Prozentsätze im Urin wiedererscheint
(mittlere Ausscheidung 27%), als die in Piperazin gelöste (im Mittel
52,2%). Blutanalysen beweisen in Übereinstimmung mit Bass*) und
Griesbach, daß sowohl die mit Piperazin wie die mit Natronlauge
zur Lösung gebrachte Harnsäure sehr bald nach der intravenösen In¬
jektion aus dem Blut verschwindet. Von zwölf nierengesunden, nicht
gichtkranken Menschen haben nur vier von der injizierten Harnsäure
über 80% wieder eliminiert. Vom gesunden, nicht gichtkranken Men¬
schen werden im Mittel nur 50% wieder ausgeschieden.
Wir haben über die Wirkung intravenöser Hamsäureinjektionen
beim nicht gichtkranken Menschen selbst Untersuchungen angestellt,
von denen wir einige wiedergeben. Die Personen wurden einige Zeit
vor dem Versuch und während des Versuchs auf purinfreier Kost ge¬
halten, der Urin in 24ständigen Perioden gesammelt und die Harn¬
säure nach Hopkins - Folin - Shaffer bestimmt.
Versuch 1. Nielson, 68 Jahre. Aorteninsuffizienz.
Tag |i
1
Menge
Spez.
Gew.
"
N in g
U in g
:u. vm/i. ix. f
2900
1010
15,43
0,153
1./2. IX. i
2200
1010
14,17
0,050
2-/3. IX. Ii
2000
1010
10,08
0,053
3./4. IX.
2500
1012
13,50
0,263 '
Am 3. IX. 0,5 g Harnsäure
in NaOH gelöst.
4./5. IX. !'
1500
1010
12,09
0,301
5./6. IX.
1450
1008
7,47
0,054
6./7. IX.
2450
1010
14,68
0,065 j
7./8. IX.
2000
: 1014
13,60 |
0,060 j
Ausgeschieden als U: 18,8%.
*) Bürger, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 81, 392. 1920.
2 ) Bass, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 16, 40. 1914 und Zentralbl. f.
inn. Med. 34, 977. 1913.
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gebundener Purinkörper auf d. Purinkörperausscheidg. iin Urin beim Menschen. 17
Versuch 2. Seemann, 69 Jahre. Chron. Polyarthritis.
Tag
Menge
Spez.
Gew.
N in g
U in g
23./24. IX.
1750
1010
9,45
0,381
24./2Ö. IX.
2220
1010
12,06
0,416
2Ö./26. IX.
1930
1010
10,37
0,402
2Ö./27. IX.
2000
1010
9,74
0,300
27-/28. IX.
1910
1011
10,10
0,501
Am 27. IX. 0,5 g Harnsäure
in NaOH gelöst.
28./29. IX.
2210
1009
8,9
| 0,340
29./30. IX.
1 1750 ;
1 1011
10,05
0,394
30./I. IX.
1 2110
" 2500
1009
9,69
0,396 ,
1./2. X.
1005
9,50
0,310
Ansgeschieden als U: 18,2%.
Versuch 3. Wesel, 61 Jahre. Arthritis chron.
Ta« 1
1920
Menge
Spes.
Gew.
N in g
Ü in g
15./16. X.
1450
1012
9,86
0,551 !
16./17. X.
1750
1012
13,18
0,774 1
17./18. X.
1750
1010
9,99
0,463 !
18-/19. X.
1450
1016
12,17
0,805
Am 18. X. 0,5 g Harnsäure
in NaOH gelöst.
19./20. X.
j 1350
| 1015
1 9,34
0,618
20./21. X.
1000
1023
! 10,90
0,743
21./22. X.
1210
1019
; n,76
0,699
22./23. X.
1 1600
1014
j 10,80
0,696
23-/24. X.
1250
1 1019
| 9,69
0,619
Ausgeschieden als U: 46,2%.
Versuch 4. Petersen, 54 Jahre. Arthritis chron.
Ta« j
1921 i
Menge
Spez. 1
Gew. ]
N in g
U in g
11. '12. IV.
1 850
1006
1 3,62
| 0,281
12./13. IV.
1 1100
1012
! 4,56
0,289
13./14. TV.
i 960
1010
3,90
! 0,274
'
14./15. IV.
; 800
1012
3,70
, 0,252
15-/16. IV.
1600 !
1008
! 6,55
0,528
1 Am 15. IV. 0,5 g Harnsäure
il
i 7
in NaOH gelöst.
16./17. IV.
, 1000 ,
1010
i 4,84
0,405
17./18. IV.
! iooo
1012
5,04
! 0,330
18./19. IV.
900
1010
5,39
0,358
1
i
Ausgeschieden als l T : 11,4%.
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII.
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18 A. Schittenhelm u. K. Harpuder: Der Einfluß parent verabreichter freier und
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Die Versuche zeigen in Übereinstimmung mit Bürger, Griesbach
u. a., daß nach intravenöser Hamsäureinjektion die Menge der im
Urin wiedererscheinenden Harnsäure bei verschiedenen
Individuen sehr schwankt. In unseren Fällen bewegen sich die
Werte zwischen 18,2 und 78,8%. Der Versuch 4 ergibt sogar über¬
schießende Werte, wenn man die Zahlen der Nachperiode in die Zahlen
der Hauptperiode mit einrechnet. Auch bei weiteren Versuchen hat
sich uns die Ungleichheit der Ausscheidung immer wieder gezeigt.
Ganz besonders merkwürdig verhielt sich eine Patientin, die an Akro¬
megalie leidet, bei der von vornherein der relativ hohe endogene
Harnsäurewert, welcher sich zwischen 0,4 und 0,6 g bewegt, auf¬
fällt, eine Beobachtung, auf die bereits Falta und Novaczynski 1 )
hingewiesen haben. Wir werden auf diesen Fall an anderer Stelle
ausführlicher zurückkommen; hier sei nur soviel erwähnt, daß die
intravenösen Hamsäureinjektionen einmal sofort ein tiefes Absinken
der Hamsäureausscheidung zur Folge hatten, während in einem zweiten
Injektionsversuch zunächst die Harnsäure im Urin hoch ansteigt, um
nach einigen Tagen ganz abnorm niedrige Werte zu geben, die nur
einige Zentigramm Harnsäure als Tagesausscheidung ergaben.
Unsere Versuche sind also so verlaufen, wie wir es nach unseren
Erfahrungen über den NucleinstoffWechsel beim Tier und beim Menschen
und nach den widersprechenden Resultaten anderer Autoren speziell
bei intravenöser Hamsäureapplikation nicht anders erwartet haben.
Wir möchten hier anführen, daß wir verschiedene Male eine Atophan-
periode in einigen Tagen Abstand folgen ließen, welche, einerlei ob viel
oder wenig Harnsäure ausgeschieden worden war, im einen Fall ein
positives Resultat ergab, im anderen Falle resultatlos verlief. Jeden¬
falls führen unsere Untersuchungen zu der notwendigen Folgerung,
die auch Griesbach und.Bürger bereits zogen, daß nämlich die
Methode der intravenösen Harnsäureinjektion kein ex¬
aktes Beweismaterial gegen die Annahme einer Urikolyse
beim Menschen erbringt, zumal auch der Atophanversuch
keineswegs regelmäßig zu der notwendigen Hamsäureausschwemmung
führt.
Es war eigentlich naheliegend, dieselben Versuche wie mit Harn¬
säure auch mit Purinbasen anzustellen. Sie sind wohl wesentlich
deswegen unterblieben, weil die intravenöse Verabreichung der Purin¬
basen für gefährlich angesehen wurde. Levinthal 2 ) hat in der Fr.
Müll ersehen Klinik einen Selbstversuch gemacht, bei dem er in
Piperazin gelöstes Xanthin (ungereinigtes Präparat) sich selbst in die
Falta und Novaczynski, Berl. klin. Wochenschr. 1912, Nr. 38,
S. 1782.
-) Levinthal, Zeitschr. f. physiol. Chem. 7T, 259. 1912.
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gebundener Purinkörper auf d. Purinkörper&usscheidg. im Urin beim Menschen. 19
Armvene injizierte. Er konnte aus den im Urin erhaltenen Werten
an Harnsäure und Purinbasen 89% als wiedergewonnen berechnen.
Auf eine etwaige Leukocytose ist nicht geachtet. Zwei Tage nach
der Injektion bekam er einen Schmerzanfall im rechten Knie und
eine Thrombose der Injektionsvene in ziemlich großer Ausdehnung.
Dieser Zwischenfall wirkte endgültig abschreckend.
Auf Schittenhelms Veranlassung hat Ewald am Hunde einige
Versuche über intravenöse Applikation von in Piperazin gelöstem
Guanin und Xanthin angestellt, welche zeigten, daß, wenn man die
Injektionsflüssigkeit in stärkerer Verdünnung gibt und langsam in¬
jiziert, keinerlei störende Erscheinungen auftreten und daß ferner das
injizierte Xanthin und Guanin eine intensive Steigerung der Allantoin-
ausscheidung zur Folge hatte, welche um 25 resp. 27% die berechnete
Menge überstieg. Auch Schittenhelm 1 ) hat mit Formaldehyd¬
verbindungen der Purinbasen am Tier ähnliche Versuche angestellt,
ohne unangenehme Nebenwirkungen zu beobachten. Minkowski 2 )
glaubte bei Verfütterung von Adenin giftige Wirkungen auf den Or¬
ganismus des Hundes beobachtet zu haben, jedoch konnte Schitten¬
helm 3 ) bei gleichartigen Versuchen, d. h. Verfütterung von Adenin
an Kaninchen und am Hunde, keine Störungen hervorrufen.
Auf Grund dieser eigenen Erfahrungen glaubten wir die intravenöse
Verabreichung von Purinkörpern in derselben Lösung, wie die Harn¬
säure gegeben wurde, ruhig riskieren zu dürfen und haben auch dabei
in der Tat keinerlei schädigende Wirkungen beobachtet.
Je 0,300 g der Basen wurden in ca. 20 ccm redestilliertem Wasser
aufgeschwemmt und siedendheiß mit Normal/10 Natronlauge bis zur
Lösung versetzt, wozu ca. 15—25 ccm nötig sind. Beim Guanin erwies
sich die Lösung mit Natronlauge schwierig, dagegen gelang sie leicht
mit 20 ccm Normal/10 Salzsäure in der Siedehitze. Die Lösungen
wurden an der Luft auf 40 ° abgekühlt und dann aus der Rekordspritze
in die Cubitalvene langsam injiziert. Außer geringen Temperatur¬
erhöhungen am Injektionstage, die 38,2° nie überschritten und in
vielen Fällen überhaupt fehlten, wurden weder objektive noch sub¬
jektive Nebenerscheinungen beobachtet.
Die Bestimmung der Harnsäure und Purinbasen erfolgte stets in
Doppelanalysen nach Krüger - Schmid.
Wir haben noch mehr derartige Versuche angestellt, die alle in
derselben Weise verliefen. Sie zeigen im Grunde dasselbe Bild wie die
intravenösen Hamsäureinjektionsversuche. Die Purinkörper wer¬
den in Harnsäure übergeführt und eine mehr oder weniger
*) Schittenhelm, Münch, med. Wochenschr. 1912, Nr. 44.
f ) Minkowski, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 41, 375.
3 ) Schittenhelm, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 41. 432.
2 *
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
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20 A. Schittenhelm u. K. Harpuder: I )er Einfluß parent. verabreichter freier und
Versuch 5. Roget, 50 Jahre. Ulcus ventric.
Tag
1921.
Menge
Spez.
Gew.
N in g
U in g
Bas. X
IUg
30. XL/1. XII.
1775
1013
8,07
0,339
4,98
1./2. XIL
1675
1011
8,98
0,369
7,05
2./3. XII.
2100
1007
8,64
0,374
5,14
3./4. XII.
* 1975
1010
8,79
0,324
5,60
4./5. XII.
1600
1010
7,93
0,442
12,84
Am 4. XII. ll h a.m. 0,3
Hypoxanth. intraven.
5./6. XII.
1 1750 !
1010
9,11
0,370
7,70
(0,3 Hypoxanthin = 0,376 U.)
6./7. XII.
1750
1010
7,94
0,335
1 5,60
7-/8. XII.
2600
1007
9,24
0,326
i 9,10
8./9. XIL
1650
1010
10,78
0,408
10,98
Ausgeschieden; als U: £ 8 , 7 %; als Basen: 9 , 15 %.
Versuch 6. Kompenhans, 21 Jahre. Ulcus ventric.
' Tag
1921.
Menge
Spez.
Gew.
N in g
U in g
Bas. X
mg
18./19. VII.
750
1023
11,42
0,239
10,5
19./20. VII.
650
1025
11,53
0,248
12,3
20./21. VII.
II 795
1022
10,53
0,228
7.00
21./22. VII.
i| 2030
1012
0,279
8,52
22./23. VII.
!| 1975 |
1011
13,49
0,409
17,40
Am 22. VII. ll h a. m. 0,3
Hypoxanth. intraven.
23./’24. VH.
1000
1018
9,94
0,295
7,52
(0,3 H vpoxanthin =0,376 U.)
24-/25. VII.
1500 1
1018
13,31
0,326
20,70
25./2Ö. VII.
1250
1018
12,18
0,274
21,43
26./27. VII.
1300 (
1018
10,50
0,317
, 10,92
27./28. VII.
, 1300 |
1018
11,78
0,301
1 —
28-/29. VII.
1925
1011
11,05
0,303 1
1 12,13
Ausgeschieden; als U: 54 , 8 %. als Basen : 5 , 9 %.
Versuch 7. Niß, 68 Jahre. Magen-Ca.
Tag
1920.
Menge
Spez.
Gew.
N in g
U in g
Bas. X
mg
20./21. XI.
1250
1006
7,70
0,256
11,03
21./22. XI.
1100
1009
5,70
0,302
11,42
22. /23. XI.
23. /24. XI.
1200
1010
5,17
0,301
12,10
1500
1014
6,47
0,392
10,29
24./25. XI.
1 2050 I
1 1004
6,15
0,424
19,23
Am 24. XI. 9» a. m.
0,3 Xanthin intraven.
25.,/26. XT.
1000
1011
i 5,57
0,335
13,83
(0,3 Xanthin = 0,333 Ü.)
26-/27. XT.
875
1014
4,76
0,367
14,78
27./28. XI.
1635
1009
6,51
0,272 |
| 15,20
Ausgeschieden; als U: 40.1%, al6 Basen: 10,6%.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA -
gebundener Purinkörper auf <1. Purinkörperausscheidg. im Urin beim Menschen. 21
Versuch 8. Dahl, 22 Jahre. Lues.
Tag |i Menge
1921. |
Spez.
Gew.
N ing
U in g
Bas. N
mg
16./17.1. 1
1200
1008
5,07
0,267
6,72
17./18.1.
1800
1010
7,61
0,369
8,57
18./19.1.
1900
1008
7,24
0,353
5,85
19./20. I.
1700
1010
9,23
0,307
5,24
1
20./21.1.
2050
1 1
1005
1 j
i
6,03
0,444
16,93
Am 20.1.9 h a. m.
0,3 Xanthin intraven.
21./22.1. |
2400
1 1007
7,30
0,462
11,59
(0,3 Xanthin = 0,333 U)
22./23.1. !
2100
1010
7,25
0,363
7,02
23-/24.1. i 1
2400
1011
t —
0,298 |
8,64
Ausgeschieden als U: 77 , 5 %, als Basen: 15 , 3 %.
Versuch 9. Bruhn, 50 Jahre. Chron. Arthrit.
- _ -
-
— —
—
— —
Tag
1930.
Menge
Spez.
Gew.
N in g
ü in g
Bas. N
mg
1./2. XI. 1
1150
1020
7,60
0,364
9,66
2./3. XI. 1
925
1020
11,59
0,321
7,28
3./4. XI. |
920
1020
7,55
0,445
11,27
!
4./6. XI.
1
1180
1020
11,00
0,517
21,45
Am 4. XI. 9 h a. m.
0,3 Guanin intraven.
5./6. XI.
1525
1015
10,34
0,526
9,07
(0,3 Guanin = 0,335 U)
6./7. XI.
1600
1012
6,98
0,392
13,33
7./8. XI.
710
1020
6,04
0,334
9,77
Ausgeschieden als U: 85 , 3 %, als Basen: 11 , 0 %.
Versuch 10. Wesel, 51 Jahre. Arthrit. chron.
Tag
1921
Menge
Spez.
Gew.
N g
iT ■
Um;
Bas. N
mg
1./2. XI.
950
1012
8,57
0,507
13,79
2./3. XI.
910
1024
8,50
0,440
8,92
3./4. XI. 1
1535
1015
11,44
0,515
8,17
4./5. XL j
1365
1017
10,59
0,606
17,20
Am 4. XI. 9 h a. m. 0,3
Guanin intraven.
5-/6. XL j
1140
1022
9,80
0,467
| 10,81
(0,3 Guanin = 0,335 U)
6-/7. XL •
1000
1020
9,02
0,573 |
8,00
7./8. XI.
1450
1014
8,64
0,529 |
9,54
Ausgeschieden als U: 08,1%, als Basen; 7,4%.
Digitized b'
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
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22 A. Schittcnhelm u. K. Harpudor: Der Einfluß parent. verabreichter freier und
Versuch 11. Lau, 24 Jahre. Ulcus ventr.
Tag
1921
|J Menge
Spez.
Gew.
N In g
Ving
Bas. N
mg
2./3. X.
1040
1015
7,91
0,304
8,01
3./4. X.
j 935
1016
8,68
0,308 |
7,85
4./Ö. X.
1 1190
1015
6,43
0,275
8,30
5./6. X.
|! 880
1014
9,16
0,371
10,82
6./7. X.
720
1022
7,48
0,571
27,10
Am 6.X. ll h a. ra.
0,3 Adenin intravcn.
7./8. X.
590
1018
7,12
0,152
4,54
(0,3 Adenin =0,376 U)
8./9. X.
580
1022
7,79
0,158
3,56
9./10. X
530
1025
7,52
0,324
8,05
Ausgeschieden als U:
als Basen: 18,35%.
Versuch 12. Peters,
34 Jahre. Ulcus ventr.
Tau
1921
i Menge
,;jf_
Spez.
Gew.
N in g
U in g
Bas. N
mg
19./20. X.
1 1720
1014
10,59
0,385
16,40
20./21. X.
1 1090
1018
9,49
0,419
18,81
21./22. X.
1 650
1021
9,17
0,363
20,04
22./23. X.
800
1024
13,66
0,522
20,56
Am 22. X. ll h a. m.
0,3 Adenin intraven.
23./24. X.
960
1022
11,93
0,549
37,63
(0,3 Adenin = 0,376 ü)
24./25. X.
1635
1015
8,62
0,450
24,55
25. /26. X.
600
1020
10,58
0,350
17,22
Ausgeschieden als U: 51,3%, als Basen: £0,3%.
große, in jedem Versuch wechselnde Menge der neugebil¬
deten Harnsäure wird ausgeschieden. Ein kleinerer Anteil
findet sich in der Purinbasenfraktion. Am höchsten ist dieser Anteil
beim Adenin, was durchaus verständlich ist, wenn man bedenkt, daß
in diesem Falle die Umsetzung bis zur Harnsäure die meisten Etappen
durchschreiten muß. Folgende Tabelle gibt nochmals einen Überblick
über die Resultate:
Harnsäure !
Basen
Gesamt-Purin
| %
Hypoxanthin (Versuch 5).
. . 28,7
9,15
I 37,85
Hypoxanthin (Versuch 6).
. . 54,8
5,9
; 60,7
Xanthin (Versuch 7).
. . 40,1
10,6
50,7
Xanthin (Versuch 8).
. • || 77,5
15,3
92,8
Guanin (Versuch 9).
. . 86,3
11,0
97,3
Guanin (Versuch 10).
28,1
7,4
35,5
Adenin (Versuch 11).
. . 67,0
18,35
, 85,35
Adenin (Versuch 12).
51.3
20,3
7L6
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
gebundener Purinkörper auf d. Purinkörperausscheidg. im Urin beim Menschen. 2 ?>
Wenn auch in einem kleineren Teil der Versuche die intravenös
verabreichten Purinkörper rechnungsmäßig nahezu quantitativ in Form
von Harnsäure und Purinbasen im Urin ausgeschieden wurden, so be¬
steht doch in den anderen ein Defizit, das in zwei Versuchen mehr
als 60% der injizierten Purinbasen ausmacht. In drei anderen Ver¬
suchen beträgt das Defizit ungefähr 40, 50 und 30%. Freilich ist im
Stoffwechselversuch, der beim Menschen keine so genaue Einstellung
erlaubt wie beim Tier — weshalb die Werte an sich schon etwas schwan¬
kend sind — die Berechnung keine so exakte, wie es wünschenswert
wäre. Dennoch geht äus den Versuchen mit Sicherheit hervor, daß
Menschen, welche klinisch keine Störungen ihres Purinstoffwechsels
erkennen lassen, ebenso wie bei den Hamsäureversuchen auch auf die
intravenöse Verabreichung von Purinkörpern sehr verschieden reagieren.
Der sichere Schluß, daß eine Harnsäurezerstörung beim
Menschen nicht zustandekommt, kann auch aus ihnen-
nicht gezogen werden.
Die Auffindung der Nucleoside Adenosin und Guanosin in der
Nucleinsäure durch Levene und seine Mitarbeiter hat Veranlassung
gegeben, daß auch diese Substanzen auf ihre Umsetzung im Stoff¬
wechsel untersucht wurden. Tannhauser und Bommes 1 ) haben
gesunden Menschen je lg Guanosin und Adenosin subcutan injiziert
und festgestellt, daß innerhalb 24 bis höchstens 48 Stunden nach der
Injektion 75—82% des injizierten Nucleosids als Harnsäure ausge¬
schieden wurden. Der leicht Gichtkranke braucht wesentlich länger,
4 mal 24 Stunden, um dann etwa dieselbe Menge wie der Gesunde
auszuscheiden. Der schwer Gichtkranke zeigt überhaupt keine Ver¬
mehrung der Harnsäure. Drei von den vier Gichtkranken bekamen
übrigens nach der Injektion einen Gichtanfall.
Die Versuche von Tannhauser und Bommes haben Rother 2 )
zu einer Nachprüfung veranlaßt. Er injizierte Guanosin in vier Ver¬
suchen und einmal Adenosin intramuskulär. Bei Adenosin wurde Er¬
brechen und störende Wirkung auf den Kreislauf beobachtet. Die
Hamsäureausscheidung im Urin ist am Tage der Injektion des Guano-
sins und an den folgenden 1—2 Tagen in allen Fällen erhöht. Aus
seinen vier Versuchen ergibt sich ein Wiedererscheinen von 17,8, 53,
53,9 und 78,8% des eillverleibten Purinkörpers als Harnsäure im Harn.
Der höchste Wert von 78,8% wurde in einem Versuch gefunden, bei
dem die Injektion eine außerordentlich starke entzündliche, biit hohem
Fieber einhergehende lokale Reaktion ausgelöst hat, so daß Rother
mit Recht einwendet, daß dieser hohe Wert nicht mit Sicherheit als
rein exogen bedingt angesehen werden kann. Ähnliche Bedenken hat
*) Tannhauser'und Bommes, Zeitschr. f. physiol. Chem. 91 , 336. 1914.
2 ) Rother, Zeitsehr. f. physiol. Chem. 110 , 245. 1920.
Digitized b 1
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
24 A. Schittenhelm u. K. Harputler: Der Kinäuß parent. verabreichter freier und
Digitized by
er für die Verwertung eines zweiten Versuches, der gleichfalls eine,
wenn auch nicht so starke, lokale Reaktion gab. Rother zieht den
Schluß, daß seine Versuche für einen quantitativen, sich innerhalb
weniger Tage vollziehenden Umsatz nicht sprechen. Die Versuche
Rothers haben Tannhauser und Schaber 1 ) veranlaßt, eine erneute
Versuchsreihe durchzuführen. Bei vier Versuchspersonen wurden nach
subcutanen Adenosininjektionen 119,9, 117,3 und 88,8%, nach einer
Guanosininjektion 100,7% als Harnsäure im Urin ncah 2—3 Nach¬
tagen wiedergefunden. Bei einer fünften Versuchsperson ergaben zwei
Injektionen von 1 g Adenosin nur 47,3% und 61,3% und eine an¬
schließende Guanosininjektion nur 36,12% als Harnsäure. Eine In¬
jektion von 1 g hamsaurem Natrium erbrachte nur 62% der injizierten
Harnsäure im Urin wieder. Da die Versuchsperson an Asthma bron¬
chiale mit starker Eosinophilie litt und der Vater eine primäre Gicht
hatte, so sehen Tannhauser und Schaber diese Versuchsperson als
anormal in ihrem Purinstoffwechsel an. Sie sehen also in dem Resultat
ihrer Versuche eine Bestätigung der Versuche von Tannhauser und
Bommes, wonach die parenterale Zufuhr von Vorstufen der Harn¬
säure zu einer annähernd den Vorstufen (Nucleosiden) gleichwertigen
Mehrausscheidung von Harnsäure in 2—3 Tagen nach der Injektion
führt und danach eine intermediäre Urikolyse sehr unwahrscheinlich
sei. Es mag erwähnt sein, daß auch Gudzent Guanosin intravenös
injizierte und ca. 90% der dem Guanosin entsprechenden Hamsäure-
menge im Urin wiedergefunden haben will. Die Gudzentschen Unter¬
suchungen sind aber im allgemeinen für eine exakte Beurteilung des
Purinstoffwechsels nicht maßgebend, weil er in der Regel mit colori-
metrischer Methodik arbeitet, welche in keiner Weise der Krüger-
Schmidtschen oder Ludwig - Salkowskischen Bestimmungs¬
methode gleichzustellen ist. Dies gilt sowohl für die Urinuntersuchungen,
wie ganz besonders für die Blutanalysen, bei denen er die von Maasse
und Zondeck vereinfachte Folinsche Methode gebraucht, deren
Werte durchaus unübersichtlich sind. Wir können uns in unseren
Anschauungen auf vergleichende Untersuchungen von Harpuder und
Mond berufen, die an der Kieler Klinik angestellt wurden. Die Versuche
Severins, der Nucleoside beim Menschen verfütterte und danach eine
Mehrausscheicjjing von UCT^-60% Harnsäure erzielte, können nur mit den
gleichartigen Fütterungsversuchen mit Nucleinsäure verglichen werden.
Bei den widersprechenden Resultaten ergab sich für uns die Not¬
wendigkeit, eigene Erfahrungen über die Verwertung parenteral verab¬
reichter Nucleoside zu gewinnen. Auch wir verwandten Adenosin
und Guanosin. Die von uns verwandten Präparate wurden uns in
liebenswürdigster Weise von Prof. Levene zur Verfügung gestellt.
l ) Tannhauser und Schaber, Zeitschr. f. physiol. Chem. IIS, 171. 1921.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
gebundener Purinkörper auf d. Purinkürperausscheidg. im Urin beim Menschen. 25
dem wir an dieser Stelle für ihre Überlassung bestens danken. Das
Guatiosin bekamen wir als solches, das Adenosin als Pikrat, aus dem
wir in üblicher Weise das freie Adenosin uns herstellten, welches wir
dann durch Analyse und Schmelzpunktsbestimmung identifizierten.
Versuchsanordnung und Methoden waren dieselben wie bei den an¬
deren Versuchen.
Wir injizierten Adenosin und Guanosin sowohl intramuskulär
wie intravenös unter gleichzeitiger Beobachtung der Reaktions¬
erscheinungen, vor allem auch des Einflusses der Injektion auf die
Leukocytenzahl. Die Lösung der Präparate erfolgte nach den von
Tannhauser und Bommes gegebenen Vorschriften.
Versuch 13. Emma Kluß, 17 Jahre. Ulcus ventr.
Tag
1021
N in g
U in g
Bas. N
mg
10./11. XI.
700
1019
11,38
HEB
4,9
11./12. XI.
700
1025
11,80
5,18
12./13. XI.
700
1019
9,51
ESul
11,27
13./14. XI.
1100
1016
13,02
0,445
4,62
14./15. XI. j
1830
1008
10,23
0,464
12,81
Am 14. XI. ll h a. m .
0,5g Guanosin intrav.
16./16. XI. |
1750
1009
1 9,51
0,443
7,96
( = 0,265 g ü)
10./17. XI. |
1000 i
1017
9,58
0,422
5,57
17./I8. XI. i
j 1300 |
1009
j 10,20
0,506
8,06
I8./1Ö. XI. 1
1700 1
1009
9,33
0,344
8,58
Ausgeschieden als U: 30,C%, als Basen: 6,2%.
Leukocyten: Vor der Injektion 5900
l h nach „ „ 8000
7* „ „ „ 6000
Versuch 14. Holdorf, 19 Jahre. Ulcus ventr.
Tag
1021
Menge
Spez.
Gew.
N in g
_
üingi B “- N
mg
19. /20. X.
20. /21. X
.. 21./22. X.
970
550
600
1013
1021
1018
8,64
10,16
0,277 | 5,14
0,275 ! 8,09
0,317 6,30
22./23. X.
23-/24. X.
ES
1019
1011
11,70
! 9,14
0,476 j 6,92^
0,361 1 8,75
Am 22. X. 11ha. m. 0,5
•Adenosin intravenös.
(=0^S8g ü)
24./2Ö. X.
25-/26. X.
700
1100
1019
1012
10,95 | 0,351 4,9
— ! 0,216 4,56
Ausgeschieden als U: 83,2%, als'Basen:
Leukocyten:
Vor der Injektion
l h nach „
7 ^ „ „
24 ^ „ •
6200
5000
8 800
6 800
Difitized b'
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Original from
UNIVERSITY 0F MINNESOTA
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2(i A. Schittenhelm u. K. Harpuder: Der Einfluß parent. verabreichter freier und
Versuch 15. Witthöft, 60 Jahre. Pemiciöse Anämie.
Ta«
1921
Menge
Spez.
Gew.
N in g
U in g
Bas. N
mg
18-/19- IX.
1800
1010
8,75
0,837
17,64
19./20. IX.
1100
1011
8,49
0,795
9,24
20./21. IX.
1880
1010
8,69
0,846
14,49
21./22. IX.
, 2000 |
1010
10,22
1,137
17,60
Am 21. IX. 10 h a. m.
22./23. IX.
1700
1010
I
14,03
0,894
17,01
I 0,7 g Guanosin intramusk.
( = 0,370 gU.)
23./24. IX. i
i 2200
1010
13,24
| 6,993
11,55
24./25. IX.
1450
1012
12,83
' 0,855
10,33
Fieber zwischen 39° bis 40°
25./26. IX. 1
850
1016 j
| 10,42
| 0,867
10,0
vom 21.—24. inkl.
Stark überschießende Ausscheidung.
Leukocyten: Vor der Injektion 4000
l h nach „ ,, 4200
7 h „ „ 3800
24 h „ „ „ 7500
48^ „ „ „ 3700
Versuch 16. Kurzfeld, 36 Jahre. Ulcus ventr.
Tag
1921
Menge
Spez.
Gew.
N ing
U in g
Bas. N
mg
17./18. IX.
860
1023
11,29
0,426
8,08
18./19. IX.
1415
1019
13,48
0,573
18,13
19./20. IX.
2085
1012
11,96
0,579
11,71
20./21. IX.
1155
1013
! 8,76
0,585
11,85
Am 20. IX. 10 h a. m.
21./22. IX.
850
1019
i 9,84
0,390
11,90
| 0,7 g Adenosin intramusk.
( = 0,403 g U.)
22./23.IX.I
990
1020
11,80
0,€78
17,50
23./24. IX.
: 890
; 1024
11,99
0,513
10,28
Schmerzhafte Infiltration der
24./24. IX.
1 1025
1 1018
9,36
0,420
! 14,50
Injektionsstelle.
Berechnung nicht möglich.
Leukocyten:
Vor der Injektion
l h nach „
7h „ „
24h ..
48h „ „ „ .
72h.,
8900
11300
15100
14 700
12550
7 800
Was die intravenösen Versuche anbelangt, so läßt der Adeno¬
sinversuch eine sichere und erhebliche Steigerung der Harnsäure -
ausscheidung erkennen, welche bis zum dritten Versuchstage andauert.
Berechnet man nur die zwei ersten Tage nach der Injektion, so ergeben
sich 89,2% als Harnsäure; rechnet man den dritten mit ein, so erhält
man eine beinahe quantitative Ausscheidung. Die Basen zeigen keine Ver¬
mehrung. Der Guanosinversuch ergibt keine so klaren Verhältnisse.
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UNIVERSITY 0F MINNESOTA
gebundener Purinkörper auf d. Purinkörperausscheidg. im Urin beim Mensehen. 27
Der Anstieg der Harnsäure ist Hur ganz gering und die Harnsäure -
ausscheidung erhebt sich erst am 4. Tage etwas beträchtlicher, wobei
jedoch völlig unklar ist, ob dieser Wert noch eine Folge der Guanosin¬
injektion darstellt. Wenn man in großer Zahl derartige Versuche am
Menschen macht, dann weiß man, daß solche Schwankungen immer
wieder Vorkommen, ohne daß Purinkörper zugeführt werden. Die Be¬
deutung der erhöhten Zahl erscheint um so geringer, als der Wert des
Vortages in den normalen Werten der Vorperiode liegt und der Wert
des Nachtages (18./19.) unter dem Mittelwert. Berechnet man nur
den Tag der Injektion und den darauffolgenden Tag, so bekommt man
eine Ausscheidung von 30,6% als Harnsäure und von 6,2% als Basen,
also insgesamt 36,8%. Wir möchten meinen, daß auch diese Werte
ähnlich wie in den Rotherschen Versuchen zeigen, daß ebenso wie
bei den Harnsäure- und Purinkörperinjektionen auch bei den Nucleo-
sidinjektionen individuelle Verschiedenheiten bestehen. Be¬
merkenswert ist endlich, daß die intravenösen Injektionen keine Re¬
aktion auslösten und daß auch die Leukocytenzahl sich so gut wie
nicht verändert.
Ein ganz anderes Bild ergaben die intramuskulären Injek¬
tionen. Der Guanosinversuch ist bei einer perniziösen Anämie
angestellt, welche von vornherein hohe endogene Werte hatte. Die
Injektion löste eine erhebliche Steigerung der Hamsäureausfuhr aus,
welche, wenn sie gegen die zugeführte Purinmenge in Rechnung ge¬
stellt wird, eine stark überschießende Ausscheidung ergibt. Es muß
jedoch hervorgehoben werden, daß die Injektion zu einer erheblichen
lokalen und vor allem allgemeinen Reaktion führte. Es
bestand vom 21. bis 24. VIII. inkl. Fieber zwischen 39 und 40° und
die sonst tiefe Leukocytenzahl erhebt sich nach 24 Stunden um das
Doppelte. Der Ade nosinvers uch, der an einem Patienten mit
Ulcus ventriculi durchgeführt wurde, verursachte eine schmerzhafte
Infiltration der Injektionsstelle und gleichzeitig das Auftreten
einer sich über mehr wie 2 Tage hinziehenden erheblichen Leukocytose.
Die Harnsäure werte sind sehr unregelmäßige. Während am Tage der
Injektion eine geringe Steigerung festgestellt werden kann, sinkt die
Hamsäureausscheidung am 2. Tag weit unter die Werte des Vortages
um am 3. Tag wieder stärker über das Niveau sämtlicher vorher¬
gehenden Werte anzusteigen. Die Berechnung kann beliebig durch¬
geführt werden; wie man sie aber auch durchführt, es wird sich keine
wesentliche Steigerung errechnen lassen. Und die intensive Re¬
aktion mit begleitender Leukocyte trübt noch viel mehr den ganzen
Versuch.
Die beiden Versuche mit intramuskulärer Injektion scheinen uns —
was ja bereits Rother betonte - den Beweis zu liefern, daß diese
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28 A.Schittenhelin u.K.Harpuder: Der Einfluß parenteral verabreichter usw.
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Versuchsanordnung für eine Entscheidung der wichtigen
Fragen nicht herangezogen werden kann, weil sie durch die
im Gewebe und im Gesamtorganismus ablaufenden Reaktionserschei¬
nungen unübersehbare Verhältnisse schaffen.
Alles in allem ergeben unsere Versuche mit intravenöser Injektion
von Harnsäure, Purinbasen und Nucleosiden, daß sie beim Menschen
anders auslaufen wie die gleichartigen Versuche beim
Tier. Es sei daran erinnert, daß die Versuche von Schittenhelm
und Seisser und Ewald ergaben, daß injizierte Harnsäure, injizierte
Purinbasen und injizierte Nucleinsäure zu einer Allantoinausscheidung
führen, welche so gut wie quantitativ oder überschießend die berechnete
Menge darstellt. Aus der Reihe heraus fallen Versuche von Tannhauser
und Bommes an Kaninchen, die nach Nucleosidinjektionen eine Ver¬
mehrung der Allantoinausscheidung innerhalb 24 Stunden fanden,
welche, ca. 40% der injizierten Substanz nur auf Allantoin berechnet,
entspricht. Das Kaninchen ist allerdings kein ideales Tier für Stoff¬
wechselversuche und wir möchten daher diesen Resultaten keine größere
Bedeutung beilegen. Beim Menschen sollen Harnsäure- und Nucleo¬
sidinjektionen nach Tannhauser u. a. regelmäßig quantitativ die
darin enthaltene Purinmenge als Harnsäure im Urin erscheinen lassen.
Es muß zugegeben werden, daß ein Teil der Versuche, die wir ange¬
stellt haben, ebenso wie ein Teil der Versuche anderer Autoren, in dem¬
selben Sinne sprechen. Andererseits aber ist in einer mindestens ebenso¬
großen Anzahl von Versuchen die Ausscheidung oft recht erheblich
unter der zu erwartenden Menge.
Es bleibt ein Defizit, genau so wie wir es bei Stoff¬
wechselversuchen sehen, in denen Nucleinsäure oder
Nucleine am Menschen verfüttert werden.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Resorption und bakterielle Zersetzung der Purinsubstanzen
im Darmkanal von Mensch und Tier.
Von
A. Schittenheim und K. Harpuder.
(Aus der Medizinischen Klinik in Kiel [Direktor: Prof. Dr. A. Schittenhelm].)
(Eingegangen am 10. Januar 1922.)
Die von allen Seiten bestätigte Beobachtung, daß bei Verfütterung
von Nucleinsäure am Menschen von den darin enthaltenen Purinkörpern
nur ein Teil als Harnsäure und Purinbasen im Harn wiedergefunden
wird, hat Schittenhelm damit erklärt, daß der andere Teil inter¬
mediär in Harnsäure umgesetzt und diese weiter abgebaut werde.
Versuche von Schittenhelm und Frank 1 ) ergaben tatsächlich, daß
die Harnstofffraktion eine entsprechende Erhöhung zeigte. Tann¬
hauser 2 ) hat dagegen die Ansicht auf gestellt, der sich neuerdings
Gudzent 3 ) anschließt, daß der im Urin nicht erscheinende Rest im
Darm gar nicht resorbiert worden sei, im Dickdarm der Fäulnis an¬
heimfalle und so der intermediären Umsetzung in Harnsäure entgehe.
Daß die Purinbasen unter dem Einfluß der Fäulnis und überhaupt
der Bakterien aus Nucleinsäure abgespalten ,die Aminopurine in Oxy-
purine unter Desamidierung umgesetzt und schließlich unter Auf¬
spaltung des Purinringes weiter abgebaut Werden, wurde schon von
Baginsky 4 ) und Schindler 6 ) festgestellt und dann durch die Ar¬
beiten von Schittenhelm 6 ) in Gemeinschaft mit Schröter endgültig
bewiesen. Es entsteht dabei Ammoniak. Die Annahme, daß auch
freier Stickstoff entstehe, konnte allerdings nicht aufrechterhalten wer¬
den. Schittenhelm 7 ) hat ganz besonders auf das Verschwinden der
Purinbasen in den Faeces unter dem Einfluß der Fäulnis hingewiesen.
Siven 8 ) sowie Tannhauser und Dorfmüller 0 ) und neuerdings
auch Rother 10 ) bestätigten diese Befunde und der letztere konnte
zeigen, daß die Purinzerstörung in den Faeces relativ schnell vor sich
2 ) Schittenhelm und Frank, Zeitschr. f. physiol. Chem. £3, 269. 1909.
*) Tannhauser, Therap. Halbmonatsh. 1921, H. 23, S. 717.
8 ) Gudzent, Berl. klin. Wochenschr. 1921, Nr. 48, S. 1401.
4 ) Baginsky, Zeitschr. f. physiol. Chem. 8, 395. 1884.
b ) Schindler, Zeitschr f. physiol. Chem. 13, 441. 1889.
6 ) Schittenhelm und Schröter, Zeitschr. f. physiol. Chem. 39—41, Mitt. 1
bis 4. 1903.
7 ) Schittenhelm, Zeitschr. f. physiol. Chem. 39, 199. 1903.
8 ) Siven, Pflügers Arch. d. ges. Physiol. 57, 582, 1914.
9 ) Tannhauser und Dorf müller, Zeitschr. f. physiol. Chem. 100,121. 1917.
10 ) Rother, Zeitschr. f. physiol. Chem. 114, 149. 1921.
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UNIVERSITY 0F MINNESOTA
30
A. Schittenhelm und K. Harpuder: Resorption und bakterielle
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geht, so daß nach 40—48 Stunden nur noch etwa die Hälfte der an¬
fangs vorhandenen Purine nachweisbar war.
Schittenhelm 1 ) hat sich sehr eingehend mit den Purinkörpern
der Faeces und mit den Beziehungen zwischen dem Puringehalt der
Nahrung und dem des Kotes bei gesunden und pathologischen Zu¬
ständen beschäftigt. Er fand, daß der Purinstickstoff des Kotes in
direkter Beziehung zu seiner Trockensubstanz steht, daß ferner nuclein-
reiche Nahrung (Thymus) eine in engen Grenzen sich haltende Steige¬
rung der Kotpurine hervorrufen kann, ohne daß dies jedoch in allen
Fällen stattzufinden braucht, daß ferner Diarrhöen eine Steigerung
der Kotpurine in nicht unerheblichem Maße hervorrufen, daß endlich
bei Obstipation die Kotpurine absinken, wobei auf die bakterielle
Umsetzung von Purinbasen hingewiesen wurde. Es ist also auch von
Schittenhelm von jeher damit gerechnet worden, daß ein geringer
Teil der verfütterten Purinstoffe der Fäulnis anheimfällt. Dieser Teil
war aber nach seiner Ansicht nur unbedeutend, weil er annahm, daß,
ebenso wie beim Eiweiß, die Aufspaltung der Nucleinsäure im nor¬
malen Darmkanal unter dem Einfluß der Fermente zu resorptions¬
fähigen Abbaustufen gebracht und diese ebenso ausgiebig resorbiert
Werden, wie es mit den Eiweißabbaustufen der Fall ist. Seine Versuche
sprachen unbedingt nach dieser Richtung.
Der Umstand, daß neuerdings die Fäulnis der Purinbasen in den
Vordergrund der Erörterungen gerückt wurde und daß sie als die Ur¬
sache dafür angesehen wird, daß von verfütterter Nucleinsäure resp.
deren Purinbasen beim Menschen evtl, nur ein kleiner Teil als Harn¬
säure und Purinbasen im Ham wiedererscheint, macht für den Men¬
schen weitere Versuche nötig. Wir haben solche Versuche angestellt.
An im Purinstoffwechselversuch befindlichen Personen (purinfreie
Ernährung) wurde nach gründlicher Entleerung des Darmkanals durch
Abführmittel 10 g Hefenucleinsäure Boehringer, dessen Basengehalt
durch eine Analyse ermittelt wurde, zusammen mit 100 g Barium¬
sulfat bzw. in 10 g Wismutcarbonat in einem Teller Grießbrei verfüttert.
Der Durchtritt dieser Mahlzeit durch den Darm wurde am Röntgen¬
schirm verfolgt und festgestellt, wann sie den Dickdarm anfüllt. Nach
7 und 8 1 / 2 resp. nach 6 und 8 Stunden wurde je ein hoher Seifen¬
einlauf verabreicht und damit eine möglichste Entleerung des Dick-
darms vorgenommen. Der so erhaltene Darminhalt wurde sofort ana¬
lysiert. ln beiden Fällen blieb ein kleiner Rest zurück, der am näch¬
sten Tag entleert und analysiert wurde.
Die Bestimmung der Harnsäure und Purinbasen des Harns erfolgte
in Doppelanalysen nach Krüger - Schmid, die der Purinbasen im
Stuhl nach Krüger - Schittenhelm.
*) Schittenhelm, Dtsch. Archiv f. klin. Med. 81. 423. 1904.
Gck igle
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Zersetzung der Purinsubstauzeii im Darmkanal von Mensch und Tier. 31
Versuch 1. Walter Witt, 16 Jahre, abgeheilte Nephritis.
Am 6. abends Brastpulver. Am 7. morgens 0,4 g Aloe. Um 12 h mitt. 10 g
Hefenucleins mit 1 Teller Grießbrei und 100 g Bariumsulfat. Um p. m. 1 mg
Atropin subcutan. Um 7 h und S 1 / 2 h je ein hoher Seifeneinlauf. Entleerung des
starkgefüllten Trans vers. Das mäßig gefüllte Ascend. entleert sich nicht (Röntgen -
Kontr.).
Stuhl am zweiten Nachtag bariumfrei.
I
Urin
Stuhl
Tag
1 Spez. j
.leng j Gewichtj
1
N in g
i
U in g
| Purin¬
basen N
! mg
Trocken- j
menge j
g !
X in %
l
| N in g
Purin¬
basen
%
Purin¬
basen
X in g
3.4. VII. 1
1960 ;
1006
9,03
0,467
18,5
40,5
5,46
2,21
0,322
! 0,130
4./5.VII. 1
-. 6. VII. 1
1570 |
1008
8,75
0,447
20,4
8,7 |
5,05
0,44
0,357
0,031
1620
1010
8,62
0,468
| 18,7
31,5
5,01
1,58
0,220
0,068
6./7.VII.
1485 !
1010
1 8,94 !
0,451
14,7
80,0
4,27
3,42
0,195
0,156
Am 6. abends Brust¬
j
i
.
1
1
i
i
pulver. Darauf 8
Stuhlentleerungen
T./8. VII. ;
1650 J
1011 1
0,75
0,848
46,7
97
1,20
1,16
0,167
i 0,162
Bariumstuhl 1.
S./9.VII. ,
1445
1009
7,82
0,670
50,6
40,0 |
1,07
0,428
0,149
0,060
Bariumstuhl 2.
a/io. vii.
1350
1007
8,38
7,82
0,466
0,434
19,4
33
|
3,80
1,25
0,214
0,071
Bariumstuhl 2 ca.
I0./11. VII. ||
1430
1008
—
16 h länger im
11.12. VTI. il
1
1750
1007
7,50
1 0,486
19,9
Dickdarm als Bariumstuhl 1. Abnahme des Basengehalts
um 0,018% in dieser Zeit.
Basen N der Nucleins. 8,64%. 10 g Nucleins. = ca. 2,592 gjj.
Ausgeschieden als U im Urin: 0,602 = 23,2%: als U -}- Purinbasen
im Urin 30,3%.
Ausgeschieden im Stuhl: 0,006 g Basen N = 11 , 1 %.
Versuch 2. August Henning, abgeheiltes Ulcus ventriculi.
Am 21. VI. ll h yormitt. 10 g Hefenucleins, mit 1 Teller Grießbrei und 10 g
Wismutcarbonat. 2 + 0,02 Extr. Belladonnae, 0,4 Aloe, 0,2 Rheum. Um 5 h und 7 h
hoher Seifeneinlauf. Entleerung des Transversum, Coecum bleibt gefüllt (Röntgen¬
kontrolle).
f
'
Urin
.
Stuhl
Batuni ;
i
Menge
Spez.
Gewicht
N in g
U in g
Purin-N
mg
Trocken¬
gewicht
K
1
i N in %
i
N in g
Purln-N
N in %
i
Purin-N
mg
I7./18. VI.
1665
1010
10,05
0,269
4,5
36,5
_
_
0,1206
41,6
18./19. VI.
1565
i ioio
10,55
0,273
4,0
43
2,102
0,904
0,1108 1
47,6
19. /20. VI.
20. /21. VI.
1760
1845
1010
1010
10,93
11,00 1
0,207
0,264 !
7,39
1 4,3
77,5
2,850
2,109
i
0,1212
93,9
21./22. VI.
j 2285
1009
11,64
0,590
8,0
28
: 3,098
0,867
0,1580
46,1
Wismutstuhi 1.
22./23. VI. 1
1676 1
l 1011
11,84
0,332
4,5
32,5
j 2,982
1 0,963
0,1243
41,6
Wismutstuhl 2.
23 /24. VI. 1
1675 1
1010
11,53
0,198
5,2
15,5
i 2,604
; 0,304
0,1469
22,8
24.Z25. VI.
1250
1012
H,55
0,139
6,3
25. 26. VI.
1685 1
1012
11,65
0,287
5,3
10 g Nucleins. = ca. 2,592 g U.
Ausgeschieden im Harn als tJ 0,410 = 10,1%.
Ausgeschieden im Stuhl: 5,3 mg Bas N - 0,51%.
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Gck igle
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
32
A. Schittenhelrn und K. Htirpuder: Resorption und bakterielle
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Die beiden Versuche sind völlig eindeutig verlaufen. Nach Ver-
fütterung von 10 g Hefenucleinsäure sind im ersten Versuch 22 , 2 , im
zweiten 16 , 1 % des Purinbasengehaltes der Nucleinsäure als Harnsäure
und Purinbasen im Urin wiedererschienen. Im ersten Versuche zeigt
der Purinbasengehalt des Bariumstuhls eine geringe Ver¬
mehrung, die sich aber in niederen Grenzen hält, so daß'sie das Re¬
sultat des Versuches nicht wesentlich ändert. Im zweiten Versuche
ist bei Berücksichtigung der Mengenverhältnisse des Stuhls keine
sichere Vermehrung nachzuweisen. Es kann also gar keinem Zweifel
unterliegen, daß die verfütterte Nucleinsäure im Dünndarm
bis auf kleine Reste abgebaut und resorbiert wurde. Es
wird wohl kaum behauptet werden, daß im Dünndarm in den 7—8
Stunden des Durchtritts eine Zerstörung der Purinbasen durch Fäulnis
erfolgt wäre. Es verhalten sich also die Nucleine genau so
wie die Eiweißkörper, indem sie zum allergrößten Teil im
Dünndarm aufgeschlossen und aufgenommen werden. Die
Ingesta kommen nur mit einem geringen Teil unresorbierter Nährstoffe
in den Dickdarm, wo sie dann der weiteren Resorption und der Fäul¬
nis unterliegen.
Der Einwand, daß der größere Teil der Purinbasen in den oral
aufgenommenen Nucleinen durch die Fäulnis zerstört werde, stand
von vornherein auf schwachen Füßen; man müßte sonst dasselbe für
die anderen wichtigen Nahrungsstoffe auch annehmen. Dagegen spra¬
chen vor allem die Stoffwechselversuche, welche an den verschieden¬
sten Tierarten durchgeführt wurden. Sie haben ergeben, daß die Purin¬
basen der verfütterten Nucleinsäure nahezu quantitativ als Allantoin
wiedererscheinen. Es lag darin schon ein strikter Beweis dafür, daß
die Aufspaltung und Resorption der Nucleine und der darin enthal¬
tenen Purinbasen in weitestem Umfang im Darme vor sich geht.
Um auch am Tiere nochmals neues Beweismaterial herbeizu¬
bringen, wurde von uns ein Versuch an einem Hunde durchgeführt,
welcher eine gewöhnliche Magenfistel und eine Fistel am untersten
Heum unter völliger Durchtrennung des Darms erhielt, so daß der
ganze Inhalt des unteren Heums auf gefangen werden konnte. Es war
von vornherein geplant, das Tier im Stoff Wechsel versuch zu halten,
was jedoch nicht möglich war. Wir können daher den gefundenen
Allantoin werten des Urins keine ausschlaggebende Bedeutung beilegen,
zumal es nicht gelang, den Urin des Tieres auch weiterhin zu sammeln.
Ein zweiter, ebenso angestellter Versuch konnte ebensowenig durch¬
geführt werden.
Die Bestimmung des Allantoins erfolgte nach Wiechowski (Neu¬
bauer-Huppert Bd. II, 1913), die der Purinbavsen in den Faeces
nach Krüger - Schittenhelrn. Das Fistelsekret lief durch eine
Gck igle
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Zersetzung der Purinsubstanzen im Darmkanal von .Mensch unil Tier. 33
Gummisonde in einen darangebundenen Dyalisiersehlauch, in dem eine
gewogene Menge Fluomatrium zur Verhütung von Fäulnis verteilt war.
Die Entleerung der Pergamenthülsen geschah 6 8 und 24 Stunden
nach der Fütterung.
Versuch 3. Tierversuch. Q Hund, 7 kg schwer, Futter; 30 g Fett, 20 g
Zucker, 20 g Kartoffelmehl, 60 g Mehl.
Allantoin-Ndes Har ns vor der Operation durchschnittlich p. d. 123,5 m
Gesamt-N des Harns vor der Operation durchschnittlich p. d. ... 1,68 g
Am 4. IX. Anlegung einer Fistel am untersten Ileum unter völliger Durchtren¬
nung des Darms und einer gewöhnlichen Magenfistel.
Am 5. IX. frißt der Hund wieder spontan.
Allantoin-Ndes Harns nach der Operation(5./6. IX.).148,1mg
Gesamt-N des Harns nach der Operation. 4,87 g
Fistelabsonderung am 5./6. IX.: 9 g Trockensubstanz -- 9,8 mg Purin-N.
Am 6. IX. neben der gewöhnlichen Nahrung 10 g thymonucleinsaures Natrium
per os. Die Fistel wird am Nachmittag undicht.
Erneute Vemähung der Fistel. Danach frißt der Hund nicht mehr. Erhält am
8. IX. vormittags 10g thymonucleinsaures Natrium in warmer Milch
durch die Magenfiste].
Allantoin-N des Harns am 8./9. IX. 340,2 mg
Gesamt-N des Harns am 8./9. IX. 5,52 g
Fistelabsonderungam 8-/9. IX: 3,5gTrockensubstanz — 40,6 mg Purin-N.
Mehrausscheidung an Purin-N durch die Fistel nach Verfütterung der 10 g
Thymonucleinsäure (6,59% Purin-N enthaltend) 30,8 mg 4,68% der ver¬
fütterten Basen.
Der Versuch ergibt, daß nur 4 , 68 % der mit der Thymo-Nucleinsäure
verfütterten Purinbasen durch die Fistel wieder entleert wurde. Es
ist also auch in diesem Tierversuch ganz analog den Menschenversuchen
die Nucleinsäure zum allergrößten Teil im Dünndarm re¬
sorbiert worden. Es steht dieses Ergebnis durchaus im Einklang
mit den in den früheren Stoff Wechsel versuchen erhobenen Beobach¬
tungen.
Alles in allem geht aus den angeführten Versuchen hervor, daß
die verfütterten Nucleine nach ihrer Aufspaltung im
Darmkanal schnell der Resorption unterliegen und daß
nur ein geringer Anteil bis in den Dickdarm gelangt. Die
Annahme, daß bei der Erklärung des Defizits die Fäulnis der Purin¬
basen eine ausschlaggebende Rolle spiele, muß von uns abgelehnt
werden, wenn wir auch nicht bestreiten, daß ein kleiner für die Be¬
wertung der Versuche aber kaum in Betracht kommender Rest in den
Dickdarm gelangen kann.
z. f. d. g. exp. Med. XXVII.
Digitized b’
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
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Über das Schicksal gehäuft injizierter Harnsäure
beim Menschen.
Voll
A. Schittcnhelm und K. Harpuder.
(Aus der Medi/.inisrhon Klinik in Kiel [Direktor: Prof. Dr. A. S c h i t t e n h c 1 m ].)
(Eingegangen am 10. Januar 1922.)
Durch unsere in den voranstehenden zwei Mitteilungen angeführten
Versuche ist in Übereinstimmung mit früheren Untersuchungen erneut
der Beweis geführt worden, daß sowohl bei der Verfütterung von Nuclein-
siiure wie bei der intravenösen Verabreichung von Harnsäure, Purin¬
basen und Nucleosiden stets nur ein bald größerer, bald kleinerer Teil
der Purinsubstanzen in Form von Harnsäure oder Purinbasen im Urin
wiedererscheint. Der Einwand, daß bei Verfütterung von Nucleinen
die Fäulnis im Darm eine Eiklärung für die unvollkommene Ausschei¬
dung abgäbe, ist durch die Versuche in der II. Mitteilung abgelehnt
worden. Es bleibt also die Frage, ob eine Rete n tion vo n Harnsäure
anzunehmen ist.
Es könnte sich um eine Zurückhaltung der Harnsäure im
Blut handeln. In der Tat steigt der Harnsäuregehalt des Blutes nach
Veifütterung von Nucleinsäure ebenso wie nach intravenöser Verab¬
reichung von Purinsubstanzen ziemlich schnell an, um aber sehr rasch
wieder auf das frühere Niveau abzusinken. Zahlreiche Blutanalysen,
wie sie von Tannhauser, Bürger, Griesbach, Bass u. a. 1 ) aus¬
geführt wurden, ergaben immer dasselbe Resultat, und auch wir haben
uns in einigen Versuchen von der Richtigkeit dieser Anschauung über¬
zeugt. Damit kann eine Anschoppung von Harnsäure im Blut aus¬
geschlossen werden.
Über das Vorkommen von Purinbasen im normalen Blut ist
von Bass 2 ), Ehrmann") sowie von Schiller und Wiener 4 ) berichtet
L ) Lit. s. I. Mitt.
2 ) Bass, R., Kongr. f. innere Med. 1913: Münch, nied. Wochenschr. 60. 1913.
: *) Ehrmann und Wolff, Münch, med. Wochenschr. 61, 1913.
4 ) Schiller u. Wiener, Zeitschr. f. d. ges. experim. Med. 3, 407 u. 411.1914.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
A. Schittenhelm u. K. Harpuder: Üb. d. Schicks, gehäuft injiz. Harnsäure usw. 35
worden. Während sich Ehr mann nur auf die freien Purinbasen be¬
schränkte, haben Bass und Schiller und Wiener die freien und die
gebundenen Purinbasen bestimmt. Die letzteren konnten zeigten,
daß die Harnsäure nur etwa */ 4 bis 1 / 2 der im menschlichen Blut vorhan¬
denen freien Purinkörper ausmacht. Neben der Harnsäure scheinen
auch die freien Purinbasen bei der Gicht im Blute eine Vermehrung
zu erfahren; außer den freien Purinbasen sind auch gebundene Purin¬
körper vorhanden, die Hauptmenge in den geformten Bestandteilen
des Blutes, weniger als die Hälfte im Serum. Es müßte also auf das
Vorkommen von freien und gebundenen Purinkörpern bei weiteren
Versuchen geachtet werden. Thannhauser und Czoniczer 1 ) be¬
stimmten später gleichfalls die freien und gebundenen Purinkörper im
Blut. Sie finden beim gesunden Menschen ca. 2—3 mg gebundenen
Purinstickstoff (Nucleotidstickstoff) in 100 ccm Serum, eine Menge,
welche ca. 2 mal größer als der freie Purinstickstoff ist. Der letztere
beträgt 1—1,5 mg und ist nach Thannhauser und Czoniczer etwa
gleich hoch wie der Harnsäuregehalt, und daher wahrscheinlich fast
vollständig durch diesen bedingt.
Die Eifahrungen von Schiller und Wiener bei Nephritikern spre¬
chen nicht dafür, daß eine dauernde Anreicherung des Blutes in bemer¬
kenswerter Weise zustande kommt, so daß etwa hierin eine Erklä¬
rung für das Defizit gesucht werden könnte.
Es bleibt nur die Möglichkeit übrig, daß die Harnsäure und die
Purinbasen in den Organen zurückgehalten werden. Gud¬
zent 2 ) spricht von einer Uratohistechie, womit er einen veränderten
Gewebszustand der Gichtkranken meint, bei dem es zu einer Haftung
— einem Festhalten — aufgenommener Harnsäure kommt. Unter¬
suchungen von Schittenhelm und Wiener 3 ), bei denen die Organe
nicht gichtischer Menschen und eines Gichtkranken auf Harnsäure und
und Puiinbasen untersucht wurden, sprechen keineswegs für eine Re¬
tention von Harnsäure in größerem Umfang. Gudzent scheinen diese
Versuche nicht bekannt zu sein. Immerhin ist es zweifellos notwendig,
daß nach dieser Richtung erneut umfangreiche Untersuchungen ein-
setzen. Es muß eine Klärung geschaffen werden darüber, wo eigentlich
das Purinkörperdefizit herkommt.
Eine Entscheidung dieser Frage kann nur im Versuch am Men¬
schen durchgeführt werden. Das Tier ist völlig ungeeignet, weil die
Harnsäure bei ihm nur eine Durchgangsstufe bedeutet und das leicht
*) Thannhauser und Czoniczer, Zeitschr. f. physiol.Chem. 110, 307. 1920.
2 ) Gudzent, Wille und Keeser, Zeitschr. f. klin. Med. 90, 147. 1920; und
Verh. d. 33. Kongresses f. inn. Med. 1921, S. 350.
3 ) Schittenhelm und Wiener, Zeitschr. f. d. ges. experim. Med. 3, 397.
1914.
3*
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
36
A. Schittenhelm und K. Harpuder:
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lösliche Allantoin das Stoffwechselendprodukt ist. Der Vogel ist
gleichfalls durchaus unbrauchbar, weil in dessen Organismus die
vornehmliche Quelle der Harnsäure im Gegensatz zu Mensch
und Säugetier das Eiweiß darstellt. Da man aber am lebenden
Menschen immer nur mit indirekten Schlußfolgerungen arbeiten
kann, so war der einzige Weg, der ja schon von Schittenhelm in
vielen früheren Versuchen und dann vor allem von Schittenhelm
und Wiener beschritten worden war, die Analysen menschlicher
Organe.
Gudzent hat mit Keeser Untersuchungen an menschlichen Or¬
ganen angestellt, bei denen er den Reststickstoff dem Hamsäurestickstoff
gegenüberstellt und die an sich schon bekannte Tatsache betont, daß
keine direkten Beziehungen bestehen. Auch Gudzent und Keeser
gingen davon aus, daß bei intravenöser Verabreichung von Mononatrium¬
urat außer der Gicht eine Reihe von Krankheiten eine Zurückhaltung
von Harnsäure zeigt, welche nicht im Urin zum Vorschein kommt,
aber auch nicht zu einer dauernden Anreicherung des Blutes führt,
und wollen mit ihren Organanalysen beweisen, daß eine Uratohistechie
vorliege. Daß in den Organen häufig Harnsäure nachgewiesen werden
kann, haben Schittenhelm u. a. längst erwiesen. Es sind vor allem
zellreiche Organe, wie Leber und Milz, in denen naturgemäß auch ein
sehr lebhafter Purinstoffwechsel vor sich geht, welche die Harnsäure
beherbergen. Die Leber vor allem ist eines der wichtigsten, harnsäure-
bildenden Organe im menschlichen Körper, so daß die Anwesenheit von
Harnsäure in ihr auch nach dem Tode ohne weiteres verständlich ist.
Wenn Gudzent in allen Organen, welche er untersucht, sogar im Fett¬
gewebe, Harnsäure auffinden kann, so erscheint es uns besonders wichtig,
zu prüfen, ob die angewandte Methode genügende Gewähr für die Rich¬
tigkeit seiner Analysen gibt. In den uns einzig zugängigen Arbeiten
(Kongreßbericht 1921 und Ztschr. f. klin. Medizin Bd. 90, S. 147ff., 1920),
welche diese Fragen berühren, finden wir über die Methode keine ge¬
nauen Angaben. Wir vermuten aber, daß er, wie in allen seinen übrigen
Arbeiten mit colorimetrischer Methode gearbeitet hat, deren Exaktheit
wir bestreiten müssen. Trotzdem erkennen wir gern an, daß in den
Organen des normalen Menschen kleine und wechselnde Mengen von
Harnsäure vorhanden sind, möchten aber meinen, daß diese, wenn sie
überhaupt vorliegen, relativ gering und mit dem Ablauf des Purinstoff¬
wechsels an sich völlig zu erklären sind.
Wir haben uns bei unseren Analysen der alten Methoden bedient,
welche freilich auch nicht völlig einwandfrei sind, da sie allerkleinste
Mengen zuweilen nicht genügend erfassen.
Die Organanalysen geschahen nach der Methode von Krüger und
Schittenhelm.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Über das Schicksal gehäuft injizierter Harnsäure beim Menschen.
37
Organanalysen.
Leber, einfache, wässerige Extrakte.
Bezeichnung
| Analysierte
| Menge
Gefundene U
i__ __ >
Zeit
nach dem Tode
62jähr. Q
133
Murexid ’
9^
Magen-Ca
wägbar 0
8jähr. ö*
540 ;
Murexid -f
Peritonitis
wägbar 0 1
35j ähr. o*
236
Murexid 0
97* h
multiple Sklerose
wägbar 0
72jähr. Q
444
Murexid -f- |
■>7, h
Apoplexie
wägb.: 12,5 mg
32jähr. cf 1
431
Murexid -f- 5
in/« 1 *
Peritonitis
wägb.: 2,8 mg |
26jähr. cf
665 ;
Murexid ?
137.,"
Lung.-Gangrän
i
1 wägbar 0 !
62jähr. 9
375
Murexid 0
Appendicitis
wägbar 0
?jähr. o*
355
Murexid 0
Lungentbc.
i
wägbar 0
In Hydrolysaten der Leber nach Entfernung des einfachen Extraktes, in Milz
und Nieren U immer 0 (je 3 Analysen).
Die Tabelle zeigt, daß in 8 daraufhin untersuchten Fällen die Leber
nach dem Tode nur 4 mal sicheren Harnsäuregehalt ergibt (nur in
2 Fällen wägbare Mengen), während in den anderen 4 Fällen keine Harn¬
säure gefunden wurde. Es geht daraus sicher hervor, daß der Harn-
säuregehalt der Organe post mortem bei den einzelnen Men¬
schen verschieden ausfällt. Immer handelt es sich aber nur um
geringe Harnsäuremengen, die nicht für den Beweis einer Retention
der Harnsäure verwertet werden können. Die Befunde stehen übrigens
im Einklang mit denen, welche bereits früher durch Schittenhelm
und Schittenhelm und Wiener erhoben wurden.
Viel wichtiger als die einfache Analyse toter und überlebender Or¬
gane schien uns die Analyse der Organe von Menschen, welche
kurz vor dem Tode große Mengen von Harnsäure in sich auf¬
genommen hatten. Nachdem in so großer Zahl intravenöse Ham-
säureinjektionen beim Menschen von den verschiedensten Untersuchem
angestellt worden sind, ohne daß je eine schädigende Wirkung beobach¬
tet wmrde, gingen wir daran, einigen Schwerkranketi, deren Ableben in
kurzem zu erwarten war, Harnsäure zu injizieren, und zwar so, daß wir
täglich 1 —3 g Harnsäure in natronalkalischer Lösung, wie es oben be¬
schrieben wurde, injizierten, und gleichzeitig den Harnsäuregehalt des
Urins fortlaufend analysierten. Analysen und Injektionen wurden
bis zum letzten Tage des Lebens fortgesetzt. Auf diese Weise haben wir
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
38
A. Schittenhelm und K. flarpuder:
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bei 2 Carcinomkranken im einen Fall 16 g, im andern Fall 36 g
Harnsäure fortlaufend injiziert. Bei einem Fall von arteriosklero¬
tischer Schrumpfniere mit hohem Reststickstoff des Blutes wurden
4 g Harnsäure injiziert. Möglichst bald nach dem Tode wurde die Aut¬
opsie vorgenommen und die Organe kamen sofort zur Verarbeitung.
Die Bestimmung der Harnsäure in den Organen erfolgte nach
Krüger - Schittenhelm, im Blut nach Folin u. Denis mit der Ab¬
änderung, daß wir die Enteiweißung mit l,6proz. Uranylacetat und die
colorimetrische Ablesung in einem von uns geeichten Authenrietschen
Colorimeter Vornahmen. Die Berechnung nicht direkt wägbarer Organe
erfolgte nach den Vierodtschen Tabellen.
Die folgenden Tabellen geben die Versuche wieder.
Versuch 1. Sch., 69 Jahre. Gewicht 66 kg.
Anatomische Diagnose: Magencarcinom mit sehr ausgedehnten Lebermeta
1. U-Stoffwechsel.
Tag
1920
Menge
Spez.
Gewicht
N
in g
V
in g
U-Injektion
in g
6./7. IX.
350
1017
3,08
0,709
_
7./8. IX.
• 250
1017
3,58
0,483
1
8./9. IX.
136?
1017
0,82?
0 ,102?
3
9./10. IX.
360
1009
2,27
0,419
3
10./11. IX.
100 ?
1009
0,50?
0,134
3
1L./12. IX.
170?
1010
0,75?
0,266?
3
12./13. IX.
646
1008
2,67
1,239
3
13./14. IX.
600
1012
2,46
0,868
3
14./16. IX.
800
1009
4,19
0,656
3
16./16. IX.
verloren
3
16./17. IX
260?
| 1009
1,35?
0,380?
1 3
I7./18. DL
226?
1012
1,87
0,377
] 3
18./IÖ. IX.
430
! 1011
2,49
0,896
2
19./20. IX.
verloren
3
2. U-Gehalt der Organe (verarbeitet 4—6 h post mortem).
Organ
Leber.
Milz.
Nieren.
Lungen.
Gehirn.
Muskel.
Herz.
Haut.
Pankreas.
Knochen und Knorpel
Blut.
Gesamt¬
gewicht
Analysierte
Menge in g
4000g
344
240 g
240
355 g
302
420 g
249
850 g
275
ca. 20 kg
190
200 g
132
ca. 7 kg
114
46g
30
ca. 10 kg
| 270
ca. 5 1 1
80 ccm
Gefundene
Ü in g
Gesamt-U
in g
0,269
3,23
0,203
0,203
0,486
9,571
0,048
0,081
0,0036
0,380
0,011
0,016
0,012
0,731 |
0,098
3,93 j
0,0117%
| 0,585 |
Zahlreiche
makroskopische
Niereninfarkte
Harnsäurezufuhr 36 g: Organharnsäure 9,43 g.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Über das Schicksal gehäuft injizierter Harnsäure heim Menschen. 39
Versuch 2. Th., 68 Jahre. Gewicht ca. 40 kg.
Anatomische Diagnose: Prostatacarcinom mit Knochenmetastasen und sehr
spärlichen Lebermetastasen.
1. Harnsäurestoffwechsel.
Tag
| Menge
Spez.
Gewicht
| N in g
U in g |
U-Injek-
tion in g
26./27. XI.
| 500
1017
5,64
0,169
_
27./28. XI. 1
700
1016
3,20
0,236
1
28./2Ö. XI. 1
1180
1008
5,82
0,750
1
29./30. XI. 1
960
1007
4,84
0,216
2
3o.xi./i.xn. 1
1 600?
1007
3,20?
0,166?
1
1./2. XII. !
j 870
1009
4,68
0,359
3
2./3. xn.
, 750?
1005
2,69?
0,165?
2
3./4. XII.
300?
1 1004
1,10?
i 0,089?
3
4./ß. XII. ;
verloren
—
5./6. XII. 1
1720 j
■ 1010 i
3,43
0,406
i 3
2. Harnsäuregehalt der Organe (verarbeitet 6 h post mortem).
Organ
Gesamt¬
gewicht
Analysierte
Menge in g
Gefundene
U in g
O esamt-U
in g
Leber.
1890 g
405
0,327
1,55
Milz.
175
133
Spur
Spur
Nieren.
320 „
225
0,308
0,39
/Mikroskopische
l Niereninfarkte
Hirn.
1890 „
242
—
—
Haut.
99
121
—
Muskel.
1 "
264
_
i
—
Herz.'
1 245 „
153
Spur
Spur
Lunge.I
1060 „
278
—
—
Knochen und Knorpel j
ca. 7 kg
i !
371
(Teile des
Kniegelenks;
1 Rippen¬
knochen,
-knorpel)
0,006
:
0,114
Blut .
| ca. 5 1 |
70 ccm
o.ooi i%i
0,078
Harnsäurczufuhr 16 g: Organharnsäure 2,13 g.
Versuch 3. Ernst St., Arbeiter, 48 Jahre alt.
Anatomische Diagnose: Arteriosklerotische Schrumpfniere (Urämie) (RN im
Blut 0,216%).
Datum
jj Harnmenge |
Spez.
Gewicht
N in g
u in %
U in g
29./30. IV.
J 1175
1006
5,32
nicht bestimmbar
30. IV./l. V*
1230 j
11 850 1
1007
5,99
0,00123
.0,016
1./2. V.
1010
4,83
0,0035
0,030
3./4. V.
: | — |
;
! -•
—
totale Anurie
4./5. V.
1 295
1006
1,67
0,004
0,012
2 g U injiziert.
5./6. V.
640 i
1008
3,91
0,008
0,048
2 g U injiziert.
6. 7. V.
■ 600
1005
—
0.0025
0,015
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
40
\. Srhittcnhelm und K. Ilarpuder:
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Har Lisa uregeh
alt der Orga
ne (verarbeitet 3 -5 h post exituni).
Organ
tl Gesamt-
gewicht
;| in g
Verarbeitete
Menge
in g
Gefundene V
in g
Gesamt-f
in g
Leber.
1500
520
0,0952
0,S75
Milz.
100
90
-
-
Nieren ....
200 |
180
0,0468
0,052
Knochen . . .
130
--
Blut.
ca. 5 1
100
0,014
0,7110
Die Resultate der Versuche sind sehr bemerkenswert.
Von den injizierten 36 g Harnsäure wurden im 1. Versuch nur an weni¬
gen Tagen erheblichere Mengen mit dem Urin ausgeschieden. Was hier
zum Vorschein kam, dürfte keinesfalls 4—5 g überschreiten, selbst wenn
man berücksichtigt, daß an einzelnen Tagen beträchtliche Mengen
des Urins in Verlust gingen. Es wurden also wenigstens 31 g Harnsäure
nicht wieder ausgeschieden. Die Analyse der Organe ergab in
ungefährer Berechnung auf den gesamten Menschen etwa 9,5 g Harn¬
säure. Es wurden mithin ca. 15g Harnsäure wiedergefunden,
21g Harnsäure waren verschwunden.
Im 2. Versuch, bei dem 16 g Harnsäure verabreicht waren, wurden
gleichfalls mit dem Urin nur geringe Mengen ausgeschieden,
die in diesem Falle unter Berücksichtigung möglicher Verluste beim
Aufsammeln des Harns bei Schwerkranken höchstens auf 3 g zu schätzen
sind. Die Analyse der Organe ließ nur in einem Teil derselben die Anwesen¬
heit von Harnsäure erweisen. Obenan stehen auch hier, wie im 1. Ver¬
such, Leber, Knochen und Knorpel, sowie Nieren. Die Gesamtmenge der
wiedergefundenen Harnsäure berechnet sich etw r a auf 2,1 g. Es waren
also von 16g Harnsäure etwa 5g wiedergefunden. Die rest¬
lichen 11g waren verschwunden.
Im 3. Versuch der arteriosklerotischen Schrumpfniere mit dem
hohen Reststickstoff des Blutes werden nur 4 g Harnsäure intravenös
gegeben. Im Urin wurde so gut wie nichts wiedergefunden. Die
Analyse der Organe ergab einen hohen Gehalt des Blutes und wieder¬
um eine relativ reichliche Menge in der Leber. Die Analyse der
Organe wurde in diesem Versuche nicht in der Vollständigkeit durch¬
geführt wie in den ersten 2 Versuchen, weil in den nichtuntersuchten
Organen bei den vorhergehenden starken Hamsäureaufladungen keine
oder nur Spuren von Harnsäure gefunden worden waren. Berück¬
sichtigt man, daß eine Schrumpfniere im Endstadium an sich schon
Harnsäure zurückhalten muß, so wird man kaum fehlgehen in der
Annahme, daß auch in diesem Falle nur ein geringer Teil der
Original from
UNIVERSITY 0F MINNESOTA
Über das Schicksal gehäuft injizierter Harnsäure beim Menschen. 41
Harnsäure wiedergefunden wurde, der größere Teil aber
verschwunden war.
Die Versuche geben einige recht wichtige Besonderheiten. Aus allen
geht die bekannte Tatsache hervor, daß die Leber im Mittelpunkt
des Harnsäurestoffwechsels steht. Offenbar wird die inji¬
zierte Harnsäure in großem Maße in die Leber gebracht,
so daß sie sich dort anhäuft. Während wir bei genau ebenso durch¬
geführten Analysen von Lebern anderer Leichen, bei denen in ihrer
letzten Lebenszeit keine Hamsäureanschoppung durchgeführt wurde,
nur geringe Mengen von Harnsäure oder überhaupt keine nachweisen
konnten, fanden sich in den 3 Versuchen 3,23 g Harnsäure bei 36 g
Zufuhr, 1,55 g bei 16 g Zufuhr und 0,275 g bei 4 g Zufuhr. Sehr auf¬
fallend ist ferner im 1. Versuch die relativ bedeutende Menge von Harn¬
säure, welche für Knochen und Knorpel und für die Haut
berechnet wurde. Es scheint so, als ob hier diese Organe ein be¬
sonderes Hamsäuredepot dargestellt hätten. Dabei hatte der Kranke
keinerlei gichtige Erscheinungen. Im 2. Versuch findet sich in Knochen
und Knorpel gleichfalls Harnsäure, nicht aber in der Haut, während
im 3. Versuch die Knochen keine Harnsäure enthielten. Daß die
Nieren nach den massigen Harnsäureinjektionen des 1. und 2. Versuchs
relativ große Harnsäure mengen enthielten, ist nicht verwunderlich,
zumal diese Anreicherung schon am Organdurchschnitt durch die
vorhandenen typischen Hamsäureinfarkte sich kenntlich machte.
Im 3. Versuch enthielten die Nieren gleichfalls Harnsäure, wenn
auch in geringeren Mengen. Sehr auffallend ist endlich die Ana¬
lyse des Blutes, welche zeigt, daß bei der Schrumpfniere, obwohl in
diesem Fall die geringste Menge Harnsäure (nur 4 g) eingespritzt wurde,
die größte Menge von Harnsäure im Blute sich fand; sie betrug 0,7 g.
Das Blut des Falles, der 36 g Harnsäure im Leben erhalten hatte, führte
nur 0,585 g Harnsäure, und das der letzten Versuchsperson, der 16 g
Harnsäure injiziert waren, nur 0,078 g Harnsäure. Es war also im
letzteren Fall überhaupt keine Vermehrung nachzuweisen, im vorletzten
dagegen eine Vermehrung auf etwa das 3 —4fache der Norm. Die beiden
Versuche zeigen, daß im allgemeinen die injizierte Harnsäure aus dem
Blute wieder verschwindet, wie wir es ja auch aus den bereits ange¬
führten Versuchen am Lebenden wissen. Nur der Nierenkranke hat
Mühe, sein Blut von der Harnsäure zu befreien. Es ist sicherlich an¬
zunehmen, daß hier die Aufnahmefähigkeit des Gewebes für Harn¬
säure vermindert ist, resp. eine Störung in dem Austausch zwischen
Blut und Gewebe die Ursache für das Anschoppen der Harnsäure
im Blut darstellt.
Als besonders wichtiges Resultat haben also diese Versuche ergeben,
daß bei Harnsäureüberschwemmung des Körpers nur ein
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
42 A. Schittenhelm u. K. Harpuder: Üb. d. Schic ks, gehäuft injiz. Harnsäure usw.
kleinerer Bruchteil der injizierten Mengen in Urin und Or¬
ganen wiedergefunden werden kann, ein größerer aber ver¬
schwindet. Des weiteren zeigen sie, daß die Harnsäure bei Nierenge¬
sunden, Nichtgichtkranken sich nicht oder nur wenig im Blute vermehrt,
während beim Nierenkranken das Blut weit erheblicher angereichert wird.
Ein Teil der injizierten Harnsäure wandert in die Organe ab, unter denen
die Leber regelmäßig stark bevorzugt wird, und unter denen nach ihr
Knorpel und Knochen, sowie vielleicht die Haut, besondere Depots dar¬
stellen. Die übrigen Organe kommen erst in zweiter Linie. Die Niere
als Ausscheidungsorgan ist natürlich gleichfalls harnsäurereich.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Gibt es beim Menschen eine Harnsäurezerstörung?
Bemerkungen zur Theorie der Gicht.
Von
A. Schittenhelm und K. Harpudcr.
(Aus der Medizinischen Klinik in Kiel [Direktor: Prof. Dr. A. Sc h i 11e n h e l in].)
(Eingegangen am 10. Januar 1922.)
Durch unsere in den vorstehenden Mitteilungen angeführten ex¬
perimentellen Untersuchungen ist festgestellt, daß der Fäulnis der
Purinbasen im Darm keine besondere Rolle zukommt, daß vielmehr
die Nucleine nach ihrem Abbau zu resorptionsfähigen Substanzen
ebenso wie das Nahrungseiweiß zum allergrößten Teil bei ihrem Durch¬
gang durch den Dünndarm resorbiert werden.
Über die Verdauung im Magen-Darmkanal ist zuerst von Levene
und Medigreceanu 1 ) gearbeitet worden, welche das Verhalten der
Nucleinsäure gegen reine Magen-, Pankreas- und Darmsäfte des Hundes
prüften. Ihre Untersuchungen zeigten, daß sowohl die Hefe- als auch
die Thymonucleinsäure speziell durch den Darmsaft chemisch ver¬
ändert werden, wobei jedoch unter den angegebenen Bedingungen
die Spaltung nicht über das Nucleosidstadium hinausging. Versuche von
London, Schittenhelm und Wiener 2 ) bewiesen, daß die Verdauung
der Nucleinsäure vornehmlich unter der Einwirkung des Darmsaftes
vor sich geht, wobei Nucleotide und Nucleoside entstehen, aber keine
freien Purinbasen auftreten. In der II. Mitteilung konnte Guanosin
gewonnen werden, welches durch eine genaue Analyse identifiziert
wurde. Der Einwand Tannhausers 3 ), daß nur mit fraktionierter Aus¬
füllung durch Bleiessig und Kjeldahlisieren gearbeitet worden sei, be¬
steht also nicht zu Recht. Tannhauser hat zum Teil in Gemeinschaft
mit Dorfmüller 4 ) gleichfalls Versuche mit Darmsaft angestellt und
nimmt ah, daß die Nucleinsäuren in Form von Nucleotiden zur Resorp¬
tion kommen.
Der Nachweis weitgehender Resorption löslicher Abbauprodukto
der Nucleinsäure im Dünndarm ist von größter Wichtigkeit für die Frage.
*) Levene und Medigreceanu, Journ. of chem. 9, 375. 1911.
2 ) Schittenhelm, London und Wiener, Zeitschr. f. physiol. Chem. 70,
7t und 7T7,1. bis III. Mitteilung. 1910—1912.
3 ) Tannhauser, Habilitationsschrift München 1917, S. 24.
4 ) Tannhauser und Dorf müller, Zeitschr. f. physiol. Chem. 100,121. 1917.
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44
A. SehittenJielm und K. Harpuder:
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ob der Beobachtung Wert beigelegt werden muß, daß nach Verfütterung
von Nucleinsäure beim Menschen nur ein gewisser Teil der darin enthal¬
tenen Purinkörper als Harnsäure oder Purinbasen im Harn wiederer¬
scheint, während oft der größere Teil der Purinkörper als solcher nicht
mehr aufgefunden wird. Wir müssen jetzt annehmen, daß die
verfütterte Nucleinsäure tatsächlich in den intermediären
Stoffwechsel hineinkommt. Sie gelangt durch den Pfortader¬
kreislauf in die Leber, das wichtigste Organ für den Purinstoffwechsel.
Bei intravenöser Verabreichung von Nucleosiden, freien Purinbasen
und Harnsäure besteht bei den einzelnen Menschen ein beträchtlicher
Unterschied, der schon bei den Versuchen mit Verfütterung der Nuclein¬
säure konstatiert worden ist. Die einen scheiden von den injizierten
Substanzen mehr, die anderen weniger als Harnsäure aus. Im allgemei¬
nen ist aber die Menge der ausgeschiedenen Harnsäure im Verhältnis
größer als bei den Fütterungsversuchen mit Nucleinsäure. Es braucht
das nicht aufzufallen, da die intravenöse Injektion nicht den physiolo¬
gischen Gang des Purinstoffwechsels nachahmt, sondern durch die
teilweise Umgehung der Leber einerseits und durch pathologische Ein¬
flüsse der Injektion an sich abnorme Verhältnisse schafft. Berück¬
sichtigt man diese Punkte, so sprechen die beiden Versuchsanordnungen
nach derselben Richtung, nämlich nach der, daß ein Teil der peroral
und parenteral verabreichten Purinsubstanzen im Urin
nicht wieder nachgewiesen werden kann.
Durch unsere oben mitgeteilten Versuche mit massigen Harn¬
säureinjektionen und weitgehender Analyse der Organe ist festge¬
stellt, daß in diesen nur ein kleiner Teil der in ji zierten Harnsäure
wiedergefunden werden kann, der sich in der Hauptsache in be¬
stimmten Organen findet, unter denen wiederum die Leber ganz
besonders hervorragt. Vielleicht ist darin ein Hinweis zu erblicken,
daß für eine weitere Umsetzung der Harnsäure die Leber das wichtigste
Organ darstellt.
Der strikte Beweis einer Harnsäurezerstörung im menschlichen
Organismus ist natürlich erst erbracht, w r enn etwaige Abbauprodukte
der Harnsäure sicher auf gefunden und analysiert sind. Der indirekte
Beweis, der durch diese Versuche erbracht zu sein scheint, ist solange
ein unvollständiger, ehe nicht der direkte gelingt.
Es fragt sich nur, ob der Umstand, daß der Nachweis einer Uric^o-
oxydase in menschlichen Organen bisher nicht gelungen ist, gegen die An¬
nahme einer Harnsäurezerstörung angeführt werden kann. Es kann
keinem Zweifel unterliegen, daß dem nicht so ist. Tann¬
hauser führt auf S. 21 seiner Habilitationsschrift an, daß Jones 1 ’ *) in
*) Jones und Winternitz, Zeitschr. f. physiol. Chem. 66, 108. 1909.
2 ) Jones und Müller, ebenda 61, 395. 1909.
Original from
UNIVERSITY 0F MINNESOTA
Gibt es beim Menschen eine Harn8äurezerstörun<r Y
45
keinem menschlichen Organ ein Adenin desamidierendes Ferment fest¬
stellen konnte. Nehmen wir an, Jones hätte mit seiner Feststellung
recht, was allerdings von Schitte nhel m *) bestritten wird, dann müßten
die Verhältnisse für das Adenin genau ebenso liegen wie sie von Tann¬
hauser für die Harnsäure angenommen werden. Wir müßten dann
das Adenin quantitativ im Urin wiederfinden. Es beweisen aber die
Injektionsversuche mit Adenin und Adenosin sowie die Fütterungs¬
versuche von Nucleinsäure, daß das Adenin vom Menschen in aus¬
giebigem Maße in Harnsäure übergeführt wird. Trotzdem also
die Adenase nur mangelhaft in den Organen festgestellt
werden kann, geht die Umsetzung des Adenins prompt
vor sich. Genau dasselbe läßt sich für den Stoffwechsel des Schweines
anführen. Nach Jones 2 ) fehlt die G uanase in den Organen des Schwei¬
nes. Schittenhelm ist allerdings anderer Ansicht. Es ist aber zweifel¬
los der Nachweis der Guanase in den Organen des Schweines nicht mit
der Sicherheit zu erbringen wie bei anderen Tierarten. Sie fehlt, resp.
ist nur in geringer Menge in den wichtigsten Organen, der Leber und der
Milz, auffindbar. Trotzdem vermag das Schwein bei Verfütte-
rung von Nucleinsäure das Guanin quantitativ umzusetzen
und im normalen Schweineurin findet sich kein Guanin.
Wir sehen also, daß die Umsetzung von gewissen Purinbasen
in Harnsäure im Stoffwechselversuch glatt vor sich gehen
kann, während der Versuch mit dem überlebenden Organ
Zweifel über die Möglichkeit der Umsetzung bestehen läßt.
Warum soll es mit der Harnsäure beim Menschen nicht ebenso sein ?
Jedenfalls ist es nicht erlaubt, aus dem bisher noch fehlenden Nachweis
einer Uricooxydase in menschlichen Organen einen Beweis dafür zu
konstruieren, daß die Harnsäure im menschlichen Stoffwechsel nicht
angegriffen werden kann, sondern ein Endprodukt ist. Auch Tannhau¬
ser 3 ) bezeichnet es als befremdlich, daß der menschliche Organismus,
der im wachsenden Zustand und wahrscheinlich auch im späteren
Lebensalter die Fähigkeit besitzt, Aminopurine synthetisch aufzubauen,
nicht imstande sein sollte, das Trioxypurin, die Harnsäure, abzubauen.
Er gibt zu, daß die Feststellung, ob eine physiologische Uricolyse in
dem intermediären Stoffwechsel anzunehmen ist, der Angelpunkt jed¬
weder Fragestellung ist, die sich mit der Physiologie und Pathologie
des NucleinstoffWechsels beschäftigt.
Unsere experimentellen Feststellungen entkräften die
wichtigsten Einwendungen, welche gegen eine intermediäre
Uricolyse gemacht wurden. Sie bringen neues Material bei, welches
l ) Schittenhelm, Zeitschr. f. physiol. Chem. 63, 248. 1909.
*) W. Jones und Austrian, Zeitschr. f. physiol. Chem. 48, 110. 1906.
3 ) Tannhauser, Therap. Halbmonatsh. 1921, H. 23, S. 718.
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UNIVERSITY 0F MINNESOTA
46
A. Schittenhelm und K. Harpuder:
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für deren Bestehen zu sprechen scheint. Es muß also das Vorhanden¬
sein einer Uricolyse nach wir vor bei den Betrachtungen der physiolo¬
gischen und pathologischen Vorgänge des NucleinstoffWechsels berück¬
sichtigt werden. Wenn von seiten Schittenhelms seit Jahren nicht
mehr in die Diskussion über die Gicht eingegriffen wurde, so lag es
neben der Abhaltung durch die vierjährige Feldtätigkeit daran, daß
nichts Neues über die Frage der Uiicolvse beigebracht worden war.
Heute liegen zwei neue Theorien über die Gicht vor. Tannhauser
meint, daß die von Brugsch und Schittenhelm angenommene
Fermentstörung des Purinstoffwechsels bei der Gicht abzulehnen sei.
Er stützt sich dabei auf die oben diskutierten Einwände, deren Hin¬
fälligkeit erwiesen sein dürfte. Es soll damit heute nicht nochmals
eine Betonung der Theorie von Brugsch und Schittenhelm in den
Mittelpunkt der Erörterungen gestellt werden. Es sind neue Tatsachen
bekannt geworden, welche vielleicht nach anderer Richtung klärend
wirken.
Tannhauser hebt die bekannte Feststellung der hohen Harn¬
säurekonzentrationen im Blut und verhältnismäßig niederen Konzentra¬
tionen der Harnsäure im Uiin hervor und ist der Ansicht, daß diese Er¬
kenntnis notwendig dazu führt, demjenigen Organ eine ätiologische
Bedeutung für die Gicht beizumessen, das diesen von der Norm abwei¬
chenden Konzentrationsunterschied nicht auszugleichen vermag. Er
deutet daher die Pathogenese der Gicht in erster Linie als eine renale
Insuffizienz für die Harnsäureausscheidung, wobei die Frage
offen bleibt, ob die primäre Störung in der Nierenzelle selbst oder in
den der Nierenzelle übergeordneten nervösen Organen zu suchen ist.
Daß der Niere eine wichtige Rolle für die Hamsäureausscheidung
zukommt, ist sicher. Auch Brugsch und Schittenhelm haben
eine Nierengicht angenommen, wie sie schon von Ebstein auf¬
gestellt war. Die Bleigicht gehört wohl gleichfalls in diese Kategorie.
Es fragt sich nur, ob ganz generell eine Nierenstörung speziell der Harn¬
säure gegenüber angenommen werden kann, auch dann, wenn bei dem
betreffenden Kranken jahrzehntelang mit unseren üblichen funktio¬
neilen Methoden nichts von irgendeiner Nierenerkrankung nachzuweisen
ist. Wir erinnern nur an die Fälle, welche in jugendlichem Alter bereits
Gichtattacken haben, die sich mit mehr oder weniger langen Intervallen
jahrzehntelang bei intakter Niere wiederholen können. Die Hyper-
bilirubinämie, die Hypercholesterinämie und andere Anhäufungen von
Stoffwechselprodukten im Blut setzen keineswegs eine Erkrankung der
Niere voraus. Überall werden intermediäre Vorgänge als Erklärung
angenommen oder mindestens physikalisch-chemische Veränderungen, sei
es im Blut, sei es in den Geweben. Darum wird von Tannhauser auch
bei der Gicht mit seiner Theorie nicht das letzte Wort gesprochen sein.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Gibt es beim Menschen eine Harnsäurezerstörung V
47
Gudzent 1 ) lehnt sowohl die Theorie von Brugsch und Schitten-
helm wie die von Tannhauser ab. Er faßt die Gicht als Ausdruck
einer spezifischen Gewebserkrankung auf, die zum Festhalten von
Mononatriumurat im Gewebe, zur Uratohistechie führt. Ob hierbei
die Gewebszellen als solche oder die Capillaren Träger der Erkrankung
sind, bedarf nach seiner Ansicht weiterer Prüfung. Tannhauser hat
bereits die Schwäche dieser Theorie hervorgehoben, indem er bestreitet,
daß es Kranke mit einwandfreier Gicht gäbe, welche keine Hyperurikämie
haben. Die endogene Hyperurikämie beim Gichtkranken ist zuerst
von Brugsch und Schittenhelm und gleichzeitig und unabhängig
von ihnen von Bloch festgestellt worden. Wir betonen diese Tatsache,
weil Gudzent in seinen Veröffentlichungen es so hinzustellen versucht,
als ob die Untersuchungen von Brugsch und Schittenhelm nur eine
Bestätigung Bloch scher Befunde gewesen wäre. Wir stellen uns auf den
Tannhauser sehen Standpunkt. Die Methodik der quantitativen
Hamsäurebestimmung im Blut ist an sich schon eine mangelhafte,
weil sie mit großen methodischen und rechnerischen Fehlern behaftet
ist. Die schlechteste Methode ist zweifellos die von Gudzent benutzte
und daher sind die von ihm angeführten Werte keineswegs als exakter
Beweis anzusehen. Die weitere Beweisführung von Gudzent für seine
Theorie rechnet mit der Ablehnung der Uricolyse. Die Stützen dieser
Ablehnung sind durch unsere Untersuchungen sehr schwankend ge¬
worden und können nicht mehr genügen.
Gudzent nimmt eine Abwanderung der Harnsäure in die
Gewebe an, die zweifellos besteht. Die ins Blut injizierte Harnsäure
verschwindet nach allen vorliegenden Versuchen sehr rasch aus dem Blut.
Auch unsere mit massigen Harnsäureinjektionen lange Zeit durch¬
geführten Versuche beweisen diese Tatsache wiederum. Sie ist nichts
Neues. Dagegen bringen unsere Untersuchungen Beweise dafür, daß
gewisse Organe bevorzugt sind. Dazu gehört in erster Linie die
Leber,* welche die Harnsäure aufzusammein scheint. In Berücksichti¬
gung der großen, nicht mehr zum Vorschein kommenden Hamsäure-
menge ist man versucht, hierin einen zweckmäßigen Vorgang zu sehen,
indem vielleicht die Leber das Organ für den weiteren Abbau der Harn¬
säure darstellt. Von den anderen Organen sind es die Knochen und
Knorpel und die Haut, welche Harnsäure aufzustapeln scheinen.
Es ist interessant, daß es gerade die Organe sind, welche bei der
Gicht eine besondere Rolle spielen. Trotz des stark erhöhten
Gehalts an Harnsäure kam es bei den Kranken aber nicht
zum Gichtanfall. Es mag sein, daß der Zustand der Kranken eine
Reaktion, wie sie im Gichtanfall zustande kommt, nicht
zuließ. Andererseits kann aber auch ebensogut angenommen werden
1 ) Gudzent, Berl. klin. Wochenschr. 1921, Nr. 48.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
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48 A. Schittenhelm und K. llarpuder:
und das scheint uns das Wahrscheinlichere — daß die pathologischen
Bedingungen für die Auslösung eines Gichtanfalls fehlten. Bei Leuk¬
ämien und anderen chronischen Hyperurikämien bestehen ähnliche Ver¬
hältnisse. Beim Nierenkranken kommt es zu einer starken Hyperurik¬
ämie, ohne daß regelmäßig gichtische Ablagerungen die Folge sind.
Fs genügt nicht der Nachweis, daß vermehrte Harnsäure im Gewebe
sich findet, sie muß vielmehr darin in einer besonderen Form sein,
so daß sie ausfällt und die ausgefallene Harnsäure muß so deponiert
werden, daß sie Erscheinungen macht.
Nimmt man mit Gudzent beim Gichtkranken eine Uratohistechie
ganz allgemein als die Ursache an und stützt man diese Annahme damit,
daß Harnsäure aus dem Blut nachweisbar abwandert und nicht aus¬
geschieden wird, so müßte, wenn man von einer Uricolyse absieht,
ein Gichtkranker im Laufe der Zeit sehr große Mengen von Harnsäure
in seinen Geweben aufstapeln. Dafür ist keinerlei Bew eis vorhanden.
Wohl findet man kleine Tophi an den Ohren, auch zuweilen größere
Tophi an den Extremitäten in mannigfacher Anordnung; würde man
aber die darin enthaltene Harnsäure gewichtsanalytisch bestimmen,
so käme nur eine relativ geringe Quantität heraus. Dasselbe gilt für
die Hamsäurebeläge der Gelenke. Die typischen Gichtgelenke zeigen
einen zarten, dünnen Belag, der, wenn er quantitativ analysiert wird,
nur eine kleine Menge Harnsäure ergibt. Die Analysen von Gichtiker-
organen, wie sie allerdings in ziemlich roher Form von Schittenhelm
und Wiener 1 ) durchgeführt wurden, konnten keine Anreicherung
mit Harnsäure in bemerkenswerterem Umfang erweisen.
Auf Anregung von Brugsch hat Rosenberg 2 ) den Puringehalt
der Leber des Hundes unter verschiedenen Bedingungen, speziell auch
bei der Verabreichung von Atophan und Adrenalin untersucht und
gezeigt, daß diese Pharmaca den Gehalt an ausschwemmbaren Purinen
verringern und also die Ausschwemmung vergrößern. In einer weiteren
Mitteilung hat Michaelis 3 ) den Einfluß des Claude Bernardschen
Zuckerstichs an Kaninchen auf die Harnsäure- und Allantoinausschei-
dung geprüft und gefunden, daß es zu einer vorübergehenden, eminent
hohen Allantoinausscheidung und einer Änderung in der Gesamt-
stickstoffausscheidung kommt. Brugsch und seine Schüler haben da¬
her übergeordneten nervösen Zentren eine große Rolle zu¬
geschrieben. Dresel und Ullmann 4 ) zeigten, daß die vermehrte
Ausscheidung von Allantoin beim Kaninchen nach Coffeinverabreichung
nicht mehr beobachtet werden konnte, wenn der Splanchnicus beider-
*) Schittenhelm und Wiener, Zeitschr. f. d. ges. exper. Med. 1914, S. 297.
*) Rosenberg, Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therap. 14, 245. 1913.
:i ) Michaelis, ebenda S. 254.
4 ) Dresel und Ullmann, Zeitschr. f. d. ges. experim. Med. £4, 214. 1921.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Gibt es beim Menschen eine Harnsäurezerstörung V
49
seit8 kurz nach dem Durchtritt durch das Zwerchfell durchtrennt wurde.
Das von Brugsch angenommene hypothetische Harnsäure¬
zentrum hat damit experimentelle Stützen gewonnen.
Man muß zweifellos mit nervösen Beeinflussungen des Hamsäurestoff-
wechsels rechnen. In welcher Weise diese auf die Organe wirken und
ob sie bei der Gicht eine ätiologische Rolle spielen, bedarf entschieden
noch weiterer Klärung.
Für eine nervöse Beeinflussung des Purinstoffwechsels sprechen auch
die Beobachtungen von Falta und Novaczynski 1 ), daß der endogene
Hamsäurewert im Urin bei Akromegialie nach purinfreier Ernährung
auffallend hoch ist und nahezu das Doppelte des Normalen oder noch
höher sein kann. Die von uns in der ersten Mitteilung angeführten Be¬
obachtungen bei einer Akromegalie sprechen in demselben Sinne. Dabei
war der endogene Hamsäurewert des Blutes in unserem Falle nicht
erhöht. Er betrug 1,6 mg Harnsäure in 100 ccm Serum vor der Injektion,
2 Tage nach der Injektion von 0,5 g Harnsäure war er etwas höher
und stellte sich auf 2,86 mg Harnsäure in 100 ccm Serum bei gleichzei¬
tiger überschießender Harnsäureausscheidung. Es muß in diesem Fall
ein vermehrter Purinumsatz Vorgelegen haben, denn Atophan-
verabreichung bewirkte nur eine geringe Mehrausscheidung an Harnsäure.
Wir kommen auf diese Fragen in einer späteren Mitteilung noch zurück.
Wir verzichten darauf, heute weiter auf die Theorie der Gicht ein¬
zugehen. Wir halten es für notwendig, daß wichtige Fragen erst intensiven-
geklärt werden.
Falta und Novaczynski, Berl. klin. Wochenschr. 1912, Nr. 38, S. 1781.
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII.
4
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Harnsäureumsatz und Harnsäureausfuhr bei Akromegalie.
Von
A. Schittenhelm und K. Harpuder.
(Aus der Medizinischen Klinik Kiel.)
(Eingegangen am 5. Februar 1922.)
V on Falta und Novaczynski 1 ) wurde die Hamsäureausscheidung
bei Erkrankungen der Hypophyse untersucht. Sie stellten ein gegen¬
sätzliches Verhalten des endogenen Harnsäurefaktors zwischen den
Fällen mit Funktionssteigerung der Hypophyse und denen mit Funk¬
tionsverminderung fest. Während bei der Dystrophia adiposo-genitalis
der endogene Wert in normalen Grenzen oder eher etwas zu tief liegt,
ist die Steigerung der endogenen Hamsäureausscheidung bei Akromegalie
eine geradezu enorme. Falta und Novaczynski weisen darauf hin, daß
so hohe Werte bisher fast nur in Krankheiten gefunden wurden, bei
denen massenhaft lymphatisches Gewebe zugrunde geht ; ein Vorgang,
für den bei der Akromegalie keinerlei Anhaltspunkte bestehen. Auf
Zufuhr von nucleinsaurem Natrium tritt eine prompte Steigerung der
Harnsäureausscheidung ein, während sie bei der Dystrophia adiposo-
genitalis unter denselben Bedingungen nur wenig gesteigert zu sein
scheint. Sie finden also eine bedeutende Beeinflussung des Purin¬
umsatzes im Körper bei Hypophysenerkrankungen.
Wir haben gleichfalls den Harnsäurestoffwechsel bei Akromegalien
untersucht. Die Kranken wurden einige Tage vor Beginn der Ver¬
suche auf möglichst konstante fleischfreie und purinarme Kost einge¬
stellt. Die Bestimmungen geschahen nach den in den vorstehenden
Arbeiten angegebenen Methoden.
Aus den Versuchen geht hervor, daß bei beiden Akromegalien der
endogene Hamsäurewert im Urin ungefähr gleich hoch ist und sich
im Mittel zwischen 0,5 und 0,6 g bewegt. Nimmt man 0,3—0,4 g als
den normalen endogenen Hamsäurewert», so ergibt sich also eine
Erhöhung mäßigen Grades.
J ) FaUa und Novaczynski , Berl. klin. Wochenschr. 1912, Nr. 38, S. 1781.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
A. Schitteuhelm u. K. Harpuder: Harnsäureumsatz und Harnsäureausfuhr usw. 51
Versuch 1 . T., 37 Jahre. Akromegalie und cirrhotische Lungentuberkulose.
Tag
1921
Menge
| Spez.
| Gewicht
N in g
U in g
3. VIII./1. IX.
I 1300
1013
7,79
0,502
1./2. IX.
1800
1019
15,73
0,324
•
2./3. IX.
1 900
1125
7,63
0,503
3-/4. IX.
| 1000
1021
8,34
0,656
Am 3. IX. 3 a tgl. 1 g Atoph.
4./5. IX.
900
1022
8,85
0,675
Am 4. IX. 3 x tgl. 1 gAtoph.
5./6. IX.
1250
1012
8,44
0,495
6./7. IX.
1500
1013
8,57
0,378
7./8. IX.
800
1025
8,80
0,600
8./9. IX.
900
1022
9,02
0,599
9./10. IX.
1100
1016
7,61
0,536
10-/11- IX.
1400
1012
9,21
0,536
11./12. IX.
940
1019
9,10
0,036
Am 11. IX. Hamsäureinjek-
tion (0,5 g Ü in 20 ccm
Aqu. redest, u. 30 ccm
7j 0 n-NaOH) intravenös.
12./13. IX.
650
1027
7,41
0,020
13./14. IX.
800
1023
8,65
0,054
14./15. IX.
900
1016
8,12
0,540
15./16. IX.
750
1022
9,09
0,712
16./17. IX.
850
1020
7,97
0,542
17./18. IX.
1150
1017
8,95
0,638
18./19. IX.
1350
1017
8,85
0,557
19./20. IX.
1150
1011
5,83
0,416
20./21. IX. 1
1150
1016 |
8,37
0,629 |
21./22. IX. j
1400
1013 |
! 9,76
0,608
Am 21. IX. 3 X tgl. lg Atoph.
22./23. IX. 1
: 1850
1007 ,
5,70
0,361
Am 22. IX. 3 x tgl. 1 g Atoph.
23./24. IX. '
1150
1017
8,76
0,457
24./2Ö. IX. I
700
1029 1
1 6,62
0,591
25./2Ö. IX.
1700
1014 1
1 8,47
0,204
2Ö./27. IX. !
; 2350
1011
! 15,65
0,397 ,
27./2S. IX. i
1500
1014
8,94
0,878
Am 27. IX. 1,6 mg U in 100
! i
1
I
i
Serum. Injektion von 0,5 V
| intravenös.
I
2S./29. IX.
2400
i 1008
10,27
0,756
Am 29. IX. 3,86 mg U in
100 Serum.
29./30. IX.
1050
1017
! 9,82
0,811
.30.1X./1. X.
| 600
1025
7,60
0,027
1./2. X.
1 450
1027
6,44
0,000
2./3. X.
1 250
1028
3,68
0,020
3./4. X.
| 400
1030
5,68
0,035
4./5. X.
1 400
1030
5,96
0,102
5./6. X.
I 450
1028 i
i 6,82
0,574
6./7. X.
; 6oo
1016
5,56
0,455
Am 6. X. 3 X tgl. 1 gAtoph.
7-/8. X.
1050
1018
5,44
0,304
Am 7. X. 3 y tgl. 1 gAtoph.
8./9. X.
i 700
1014
4,53
| 0,368?
9./10. X.
1150
1014
6,44
1 0,595
10./11. X.
1 1450
1012
7,67
j 0,576
U./12. X.
1350
1011 '
5,93
0.577 i
4*
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
52
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A. Schittenhelin und K. I larpuder:
Versuch 1 (Fortsetzung).
Tag
1021
jj Menge
i,
Spez.
Gew.
m g
U in g
12-/13- X.
13./I4. X.
1200 | 1013
1350 j 1011
6,52 | 0,432
6,43 ] 0,544 Ain 13. X. 0,3 g G^uanin intra-
i , venös (in 25 ccm 1 / 5 n-HCl
j | u. 20 ccm Vion-NsOH.
14./15. X
! iooo j
1017 j
7,14 j
•,653
15./16. X.
550
1012
6.45
0,506
16./17. X.
1400 ;
1012
8,34 I
0,551
17-/18. X.
1 1500 |
1012
7,56
0,506
18./19. X.
1500
1012
7,19
0,551
19./20. X.
2100
1007
6,53
0,583
20./21. X.
1200 1
1012 j
6,76
0,594
21./22. X.
1450
1013 1
7,51
0,555
22./23. X.
| 1600
1009 |
i 6,62
0,552
23./24. X.
800
1020 1
1 6,29
0,588
Versuch 2. G., £8 Jahre.
Akromegalie und chronische Arthritis.
Tag
1h2*2
1!
jj Menge
Spez.
Gew.
i N in g
!_;_,
Ü In g
4./5. I.
1 1645
1014
1 13,08
i 0,555
5./6. I.
1210 1
1015
! 10,77
0,526 (
6-/7. I.
1665
101Ö
10,21
' 0,533
7-/8. I.
1500 !
1016
11,55
0,698 :
8./9. I.
1250
1015
10,57
0,577
9./10. I.
1515
1013
11,20
0,561
10./11. I.
1550
1 1012
11,46
0,413
11./12. I.
1575
1011
10,81
, 0,455
12-/13. I.
! 1110
1016
11,34
! 0,708
Am 12. I. 0,5 g Harnsäure
,
intravenös wie in Vers. 1.
13-/14. I.
1550
1010
12,28
0,488
14-/15. 1.
1 950
1023
11,33
i 0,527
In beiden Versuchen ist der endogene Wert der Blutharnsäure normal
und hält sich zwischen 1,6 und 2,9 mg Harnsäure in 100 ccm Serum.
Die intravenöse Verabreichung von 0,5 g Harnsäure hat im zweiten
Versuch eine akute eintägige Erhöhung der Hamsäureausfuhr veranlaßt,
welche ungefähr 33,6% der injizierten Hamsäuremenge beträgt. Es
ist also nur ein Teil der verabreichten Harnsäure im Urin wieder
erschienen.
Im ersten Versuch wurde zweimal bei längerem Intervall und da¬
zwischengeschobener Atophandarreichung je 0,5 g Harnsäure intra¬
venös injiziert. Die Wirkung der beiden Injektionen war eine ganz
verschiedene. Bei der ersten Harnsäureinjektion am 11. IX. 1921
kommt es zunächst zu einer Hamsäuresperre; die Urin werte sinken
von 0,55 im Mittel herab auf 0,036 und 0,020 . Erst am 4. Tage erhebt
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UNIVERSITY 0F MINNESOTA
Harn säure Umsatz und Harnsäureausfuhr bei Akromegalie.
53
sich die Harnsäureausscheidung wieder auf den Normalwert, um am
5. Tage diesen vorübergehend und wenig zu überschreiten und dann
wieder auf das normale Niveau abzusinken. Eine einfache Hamsäure-
retention lag offenbar nicht vor, da Atophan nicht imstande war,
größere Mengen herauszuholen.
Bei der zweiten Hamsäureinjektion am 27. IX. 1921 erhebt sich
die Harnsäureausscheidung sehr beträchtlich und hält sich 3 Tage
lang auf außerordentlich hohen Werten. Darauf folgt eine längere Periode
excessiv niederer Werte. Auch hier scheint es sich aber nicht um eine
einfache Hamsäureretention gehandelt zu haben, da Atophandarreichung
am 6. und 7. X. keine erhöhte Ausfuhr von Harnsäure veranlaßt^.
Die zweite Hamsäureinjektion hat vielmehr sichtlich eine vorüber¬
gehend vermehrte Bildung von Harnsäure veranlaßt, so daß nachher
eine Einschränkung des Purinstoff Wechsels vollzogen wurde.
Eine intravenöse Verabreichung von 0,3 g Guanin führte zu einer
leichten Steigerung der Hamsäureausfuhr am 2. Tage, ohne daß jedoch
die gesamte injizierte Purinkörpermenge als Harnsäure zum Vor¬
schein gekommen wäre. Die gefundene Menge entsprach etwa 40%
des injizierten Purinkörpers. Es sind also auch diese Versuche ein Be¬
weis dafür, daß große individuelle Schwankungen bei intravenöser
Verabreichung von Harnsäure und Purinbasen bestehen und daß ferner
durch diese — wie die Hamsäureinjektionen im ersten Versuch be¬
weisen — eigenartige intermediäre Vorgänge ausgelöst werden, die
allem Anschein nach nicht rein physikalischer Natur sind, sondern
den Purinstoff Wechsel selbst vorübergehend abändem.
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Die Brauchbarkeit der kolorimetrischen Methoden zur Bestim¬
mung vom Harnsäuregehalt des Blutes.
Von
K. Harpuder und R. Mond.
(Aus der Medizinischen Klinik in Kiel [Direktor: Prof. Dr. A. Se h i 11 e n h e 1 in ].)
(Eingegangen am 16. Januar 1922.)
Seit Folin und Denis eine quantitative, colorimetrische Bestim¬
mung der Harnsäure im Blut angegeben haben, arbeiten die meisten
Untersucher nach dieser Methode oder nach Modifikationen derselben.
Da die Resultate zum Teil zu weitgehenden Schlüssen auf den Ablauf
des Purinstoffwechsels unter normalen und pathologischen Verhält¬
nissen benutzt wurden, erschien es uns nützlich, die augenblicklich ge¬
bräuchlichsten, colorimetrischen Harnsäurebestimmungsmethoden auf
ihre Genauigkeit zu prüfen.
Nach den ursprünglichen Angaben von Folin und Denis 1 ) werden
15—20 ccm Blut, das mit Kaliumoxydat versetzt war, mit Wasser ver¬
dünnt, mit Essigsäure in der Hitze koaguliert und das Koagulum
nochmals mit Wasser ausgekocht. Die gesammelten Filtrate werden
bei essigsaurer Reaktion auf 3 ccm eingeengt und mit 0,1 proz. Lithium¬
carbonat in ein kleines Zentrifugenglas gespült. Man fällt die Harnsäure
mit ammoniakalischer Silbermagnesiamischung, schleudert aus und
zersetzt mit Schwefelwasserstoff, der durch Kochen und Durchblasen
von Luft wieder sorgfältig entfernt wird. Das entstandene Schwefel-
metall wird ausgeschleudert, die oben stehende klare Flüssigkeit ab¬
gegossen, mit Soda alkalisch gemacht und mit Phosphorwolframsäure¬
lösung gemischt. Die Phosphorwolframsäure färbt sich mit Harnsäure
in alkalischer Lösung blau; die Ablesung erfolgt gegen eine mit Phos¬
phorwolframsäure und Soda versetzte Standardhamsäurelösung. Nach
den Angaben von Folin und Maoall um 2 ) ist die Farbreaktion der
Harnsäure mit Phosphorwolframsäure nicht streng spezifisch, sondern
wird auch hervorgerufen durch Schwefelwasserstoff, Phenole (Thyrosin,
Gerbsäure, Thymol, Orcein, Resorcin, Phloroglucin) und einige Eiwei߬
körper.
*) Folin und Denis, Journ. of. biol. chem. 13. -1912.
2 ) Folin und Macall um, Journ. of biol. ohom. II. 1912.
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K. Harpuder u. R.Mond : Methoden zur Bestimmung vom Harnsäuregehalt usw. f>5
Die Abänderungen, die für die Methode von Folin und Denis
seither angegeben wurden, gehen teils darauf hinaus, die Enteiweißung
des Blutes gegenüber der Hitzefällung mit Essigsäure zu vervollkomm«
nen, teils den Silberniederschlag und seine Zersetzung zu vermeiden.
Eine Reihe von Autoren versuchten andere Fällungsmittel: Uranyl-
acetat (Neubauer, Bass, Ozeacki), Trichloressigsäure (Grigaut).
Höst 1 ) kombiniert die Essigsäurefüllung mit Formaldehyd, nachdem
Schittenhelm (1912) darauf hingewiesen hatte, daß Formaldehyd
die Harnsäure durch Bildung von Formaldehyddihamsäure in Lösung
erhält und andererseits den Eiweißniederschlag vervollkommnet.
Steinitz arbeitet mit wiederholter Koagulation durch Essigsäure in
der Siedehitze unter Beifügung von Talkum.
Der Ersatz des Silbermagnesianiederschlages wurde von Cohen-
Tervaert 2 ) durch Fällung der Harnsäure mit Chlorammon versucht;
seine Resultate sind aber nicht sehr befriedigend, da er von zugesetzter
Harnsäure im Pferdeblut 80—100%, im Rinderblut nur 45—50%
wiederfindet.
Endlich glaubte man (Maasse und Zondek, Bass - Neubauer,
Grigaut 8 ) von einer Fällung der Harnsäure im Filtrat des Eiweiß-
koagulums überhaupt absehen und in ihm direkt die Harnsäure colori-
metrisch bestimmen zu können.
Wir haben uns beschränkt, nur wenige der sehr vielfachen Modifi¬
kationen des ursprünglichen Folin - Denisschen Verfahrens zu unter¬
suchen, die uns etwas Neues zu bieten schienen.
Die erste von uns nachgeprüfte Methode ist die von Steinitz 4 )
angegebene.
Zur Untersuchung werden etwa 10 ccm mit Kaliumoxalat aufgefangenen
Blutes oder Serum verwandt, die genaue Menge durch Wägung festgestellt. Blut
wird am besten durch die doppelte Menge destillierten Wassers hämolysiert. Die
Enteiweißung erfolgt durch Einträgen in 50 ccm kochenden, destillierten Wassers
und Zutropfen von 2 fach normal Essigsäure bis zu schwach lackmussaurer Reaktion
(etwa 5 Tropfen) unter andauerndem Umrühren. Einmaliges Auf kochen, Stehen-
lassen, Abgießen der überstehenden Flüssigkeit durch ein Faltenfilter. Das fein¬
koagulierte Eiweiß wird nochmals mit 50 ccm kochendem Wassers übergossen,
einige Minuten stehen gelassen, dann auf das Faltenfilter gebracht und reichlich
nachgewaschen. Das Filtrat ist farblos oder leicht gelblich und etwas opalescierend.
Es wird nun in einem Jenenser-Becherglas nach Zufügen einer Spur Talkum er¬
hitzt, bei eben beginnendem Sieden etwa ein gestrichener Kinderlöffel Talkum
zugefügt und unter Umrühren einmal kräftig aufgekocht. Nun wird wiederum
filtriert und sehr reichlich mit heißem Wasser nachgewaschen, die erste Portion,
die durch mitgehendes Talkum noch getrübt ist, noch einmal zurückgegossen.
*) Höst, Zeitschr. f. physikal. Chem. 45, 88. 1917.
2 ) Cohen-Tevaert,Arch. nöerl. physiol. t, 337.1919, zit. nach Zentrbl. f. Phvs.
3 ) Grigaut, Cpt. rend. des s6anc. de la soc. de biol. 83. 28. 1921.
4 ) Steinitz, Zeitschr. f. physikal. Chem. 48, 108. 1914.
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f)(> K. Harpuder und R. Mond : Die Brauchbarkeit der kolorimetrischen
Dieses Filtrat ist stets wasserklar und ergibt auch nach Eindampfen auf wenige
Kubikzentimeter negative Biuretreaktion. Dieses gute Resultat erzielt man, auch
wenn die erste Enteiweißung infolge von Gerinnselbildung oder aus anderer Ursache
schlecht gelungen war. Ist das erste Filtrat sehr trübe oder stark gefärbt, so nehme
man mehr Talkum. Einengung: In einer etwa 200 ccm fassenden, annähernd
halbkugeligen Porzellanschale wird nach Zusatz von 3 ccm 50proz. Essigsäure
über offener Flamme auf 1—2 ccm eingedampft. Randbildung in der Schale ist
durch Umrühren mit einem Glasstabe und Verkleinerung der Flamme gegen
Schluß des Eindampfens zu vermeiden, dagegen darf die Flüssigkeit kräftig sieden.
Die eingedampfte Flüssigkeit wird in ein Zentrifugenröhrchen gebracht und mit
insgesamt 15 Tropfen einer 0,4proz. Lithiumcarbonat lösung in mehreren Portionen
nachgewaschen. Isolierung der Harnsäure: Zur Flüssigkeit in dem Zentrifugen¬
röhrchen fügt man 5 Tropfen 3proz. Silberlaktatlösung, 2 Tropfen Magnesia¬
mischung und konzentriertes Ammoniak tropfenweise, bis sich das ausfallende
Silberchlorid ganz oder fast ganz wieder löst (8—15 Tropfen). Stehenlassen bis
zum anderen Tage, kräftiges Zentrifugieren, Abgießen, Nachwaschen des Sediments
mit destilliertem Wasser. Zum Sediment 5 Tropfen frisch gesättigten Schwefel¬
wasserstoffwassers, 1 Tropfen konzentrierter Salzsäure und 1 ccm destillierten
Wassers. Nun kommt das Röhrchen für 10—15 Minuten in ein kräftig siedendes
Wasserbad. Beim Herausnehmen darf das noch heiße Röhrchen nicht den gering¬
sten Geruch nach Schwefelwasserstoff zeigen. Ist die überstehende Flüssigkeit,
was selten vorkommt, bräunlich gefärbt, so fügt man, während sie noch heiß ist,
5—10 Tropfen einer frischen lOproz. Natriumacetatlösung zu. Nun wird von dem
ausgefallenen Schwefclmetall abzentrifugiert, in ein Kölbchen abgegossen, das
Sediment sorgfältig nachgewaschen, und die gesamte abgegossene Flüssigkeit,
die etwa 6 ccm betragen soll, zur Färbung verwandt.
Die Technik der Colorimetrie ist in der Arbeit von Steinitz genau
beschrieben.
Nach diesen Angaben führten wir in je 10 ccm desselben Blutes
zwei Bestimmungen ohne und zwei mit Zusatz von Harnsäure zum
Blut aus 1 ). Es ergaben:
1.
10
ccm
Blut
3,6 mg % 2,7 mg %
10
ccm
>>
+
0,5
mg
Harnsäure 5,2 mg % 3,8 mg %
2.
10
ccm
>>
1,7 mg % 1,2 mg %
10
ccm
99
+
0,5
mg
99
5,1 mg % 4,9 mg %
3.
10
ccm
99
1,8 mg % 1,8 mg %
10
ccm
+
0,5
mg
99
4,5 mg % 5,0 mg %
4.
10
ccm
99
1,3 mg % 1,3 mg %
10
ccm
J>
+
0,5
mg
99
3,5 mg % 3,4 mg %
5.
10
ccm
>9
5,5 mg % 4,0 mg %
10
ccm
+
0,5
mg
99
7,0 mg % 8,1 mg %
6.
10
ccm
4,5 mg % 2,8 mg %
10
ccm
*9
+
0,5
mg
99
8,2 mg % 3,5 mg %
Die Werte für die wiedergefundene Harnsäure schwanken zwischen
22% und 82% und betragen im Mittel 50%. Die Fehler sind also
recht erheblich und durchaus nicht konstant.
*) Zu diesem Zweck wurde eine wässrige Lösung von harnsaurem -Kalium
stets frisch bereitet, der 50 mg. Harnsäure in 100 ccm entsprach.
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Methoden zur Bestimmung vom Harnsäuregehalt des Blutes. 57
Eine wesentliche Vereinfachung des Fol in - Denis sehen Verfah¬
rens versuchten Maasse und Zondek 1 ).
„Man entnimmt dem Pat., am besten nüchtern, 6—7 ccm Blut durch Punktion
aus der Vena cubitalis und fängt dasselbe in einem mit etwas Fuomatrium be¬
schickten Erlenmeyerkölbchen auf. Darauf überführt man 5 ccm, die mittelst
Pipette genau abgemessen werden, in 25 ccm n/100 Essigsäure und läßt unter
Umrühren bis zur vollständigen Koagulation tüchtig aufkochen. Hiernach wird
heiß in ein kleines Porzellanschälchen filtriert. Das Filtrat ist meistens völlig klar
und fast wasserhell, jedoch schadet auch ein leicht gelblicher Farbenton nichts.
Der Filterrückstand und Schale werden sodann mit ca. 60—70 ccm kochendem
Wassers, dem zur Vermeidung kolloidaler Lösungen ca. 1 / 2 g Natriumacetat hinzu¬
gefügt ist, ordentlich nachgewaschen. Man erhält auf diese Weise ca. 100 ccm
Filtrat. Dieses wird mit 2,5 com 5proz. Essigsäure angesäuert und auf dem Wasser¬
bad bis auf 5 ccm eingeengt. Dabei fällt im allgemeinen aus der Lösung nichts
aus. Sollte sich aber trotzdem ein Niederschlag gebildet haben, so tut das nichts.
Nach Neutralisation durch tropfenweises Zuset zen gesättigter Natriumcarbonat-
lösung wird der Inhalt der Schale quantitativ in ein Meßkölbchen von 25 ccm
überführt, und die Schale mit kaltem Wasser nachgewaschen. Nun werden 2,5 ccm
gesättigter Natriumcarbonatlösung und 1 ccm Phosphorwolframsäurereagens hin¬
zugetan und die Gesamtflüssigkeit auf 25 ccm mit destilliertem Wasser aufgefüllt.
Dann muß die Flüssigkeit noch etwa 10 Minuten stehen, weil die aufgetretene
durch Harnsäure bedingte Blaufärbung nachdunkelt und erst nach einiger Zeit
ihre größte Intensität erlangt hat.“
Wir führen einige von uns mit dieser Methode erhaltene Versuehs-
resultate an:
1.
5
ccm
Blut
3,2
mg
%
4,0
mg
o/
/o
5
ccm
T
0,27
mg
Harnsäure 8,0
mg
o/
/O
7,7
mg
0/
/o
2.
5
ccm
4,0
mg
%
5,2
mg
o/
/o
5
ccm
-f
0,27
mg
8,6
mg
%
6,8
mg
%
3.
5
ccm
3,2
mg
0/
/o
4,0
mg
o/
/o
5
ccm
»>
+
0,65
mg
„ 8,0
mg
%
10,3
mg
%
4.
5
ccm
*♦
3,7
mg
%
4,5
mg
o/
/(>
5
ccm
,,
+
0,4
mg
8,7
mg
o/
/o
6,8
mg
O/
/<)
5.
5
ccm
5,7
mg
o/
/o
5,5
mg
o/
/o
5
ccm
+
0,4
mg
8,7
mg
o/
/o
10,5
mg
0 /
/o
Die wiedergefundenen Harnsäuremengen schwanken
zwischen 29% und 80% und betragen im Mittel nur 44,2%.
Endlich prüften wir die Methode nach Neubauer und Bass 4 ):
„3 ccm Serum werden mit genau dem doppelten Volumen 1 proz. Uranacetat¬
lösung in einem präzis geaichten Meßzylinder enteiweißt und nach gründlichem
Durchschütteln durch ein trockenes Filter filtriert. Vom Filtrat werden 3 ccm
mit einer Ostwald-Pipette abgemessen, hierzu 0,2 ccm Phosphorwolframsäure¬
lösung und ebenfalls mit einer Ostwald-Pipette 3 ccm gesättigte Natriumcarbonat¬
lösung gegeben. Gleichzeitig wird eine blaue Vergleichslösung hergestellt, indem
man von einer Standardlösung von Harnsäure, die 1 mg in 1 ccm enthält, ent¬
sprechend den Vorschriften Folins 1 bezw. 2 ccm abmißt und in gleicher Weise *) •*)
*) Maasse und Zondek, Münch, med. Wochenschr. 1915, S. 1110.
•*) Zit. nach Bass und Herzberg, Dtsch. Arch. f. klin. Med. 119. 1916.
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58 K. Harpuder und R. Mond: Die Brauchharkeit der kolorimetrischen
in einem 100 ccm Meßkolben mit den entsprechenden Mengen Phosphor wolfram¬
saure und 30 ccm Natriumcarbonatlösung zur Reaktion bringt. Der Vergleich
geschieht mit völlig ausreichender Genauigkeit in einem Authenriethschen Kolori¬
meter.“
Folgendes sind einige unserer mit dieser Methode erhaltenen Re¬
sultate :
1. 3 ccm Serum 4,0 mg % 3,4 mg %
3 ccm - 0,12 mg Harnsäure 5,0 mg % 6,4 mg %
2. 3 ccm „ 4,7 rag % 4,3 mg %
3 ccm — 0,12 mg „ 6,8 mg % 6,0 mg %
3. 3 ccm 3,3 mg % 3,0 mg % 3,0 mg %
3 ccm „ + 0,12 mg H. 4,9 mg % 5,4 mg % 4,1 mg %
Die wiedergefundene Harnsäure schwankt zwischen 25%
und 50%, im Mittel beträgt sie 41%.
Die von uns gewonnenen Resultate waren recht wenig erfreulich,
da die Fehler bei der Bestimmung der Harnsäure nach allen drei Metho¬
den sehr erheblich und völlig unregelmäßig w r aren.
Für die Erklärung der zutage getretenen Mängel scheinen uns fol¬
gende Faktoren in Betracht zu kommen.
1. Das Eiweißkoagulum kann Harnsäure adsorbieren oder evtl,
auch in chemischer Bindung enthalten [Schittenhelm 1 ), Richter-
Quittner 2 ).
2. Die Enteiweißung ist eine ungenügende und die in Lösung ver¬
bleibenden Eiweißkörper oder Eiweißabkömmlinge hemmen die Aus¬
fällung der Harnsäure.
3. Die zur Anstellung der Phosphorwolframsäurereaktion verwendete,
aus dem Blut gewonnene Flüssigkeit enthält Stoffe, welche selbst eine
Blaufärbung mit Phosphorwolframsäure in alkalischer Lösung geben.
4. Die Methode arbeitet mit derartig kleinen Blutmengen, daß
geringe, bei der colorimetrischen Ablesung vielleicht nicht vermeidbare
Differenzen mit der Umrechnung auf 100 ccm Blut schon erhebliche
Fehler bedingen.
Bei der nach Steinitz angegebenen Methode vermeidet der Silber¬
magnesianiederschlag den unter 3 genannten Fehler. Die verwendete,
Blutmenge ist noch so groß, daß auch der rechnerische Fehler bei sorg¬
fältiger, colorimetrischer Ablesung sich auf ein erträgliches Maß beschränkt.
Dagegen ist die Enteiweißung trotz des zweimaligen Koagulierens
mit Essigsäure und unter Anwendung von Talkum keine vollständige,
da wir mehrfach in den Filtraten mit Gerbsäure oder Phosphorwolfram¬
säure eine Trübung erhielten, also Eiweißabkömmlinge der Niederschla¬
gung entgangen sein mußten. Da die Silbermagnesiafällung der Harn¬
säure gegen Peptone sehr empfindlich ist und es sich hier um einige
! ) Schittenhelm, Münch, med. Wochenschr. 1913, N. 44.
2 ) Richter-Quittner Biochem. Zeitsehr. 95, 191. 1919.
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Methoden zur Bestimmung vom llarnsäuregehalt des Blutes.
59
Zehntelmilligramm handelt, muß diese Fehlerquelle sehr ernstlich in
Betracht gezogen werden.
Um festzustellen, wo die fehlende Harnsäure bleibt, fügten wir so¬
wohl zum Blut als zum enteiweißten Filtrat Harnsäure hinzu. Als
Beispiel werden folgende Versuchsergebnisse angeführt:
1. 10 ccm Blut 1,7 mg % 1,4 mg %
10 „ „ + 0,5 mg Harnsaure 4,5 mg % 4,0 mg %
enteiweißtes Filtrat von 10 ccm Blut -f 0,5 mg Harnsäure 5,3 mg % 5,4 mg %
2. 10 ccm Blut 1,7 rag % 1,8 mg %
10 ,, „ + 0,5 mg Harnsäure 4,0 mg % 3,8 mg %
enteiweißtes Filtrat von 10 ccm Blut + 0,5 mg Harnsäure 4,9 mg % 5,0 mg %
Von der dem Filtrat zugesetzten Harnsäure wurden 70% wiederge¬
funden, von der dem Blut zugefügten nur 48,5%.
Beschickten wir dagegen je 100 ccm Normosallösung mit 0,5 mg
Harnsäure und behandelten es weiter wie ein Blutfiltrat, so fanden wir
Normosallösung + 0,5 mg Harnsäure
0,52 mg, 0,50 mg, 0,45 mg.
Aus diesen Versuchen ist ersichtlich:
Aus Normosallösung ist die Harnsäure colorimetrisch
annähernd quantitativ wiederzugewinnen. Bei der Ent¬
eiweißung muß Harnsäure vom Koagulum retiniert werden
und endlich müssen im Blutfiltrat Stoffe sein, die die quanti¬
tative Fällung der Harnsäure verhindern.
Daß bei det Koagulation von Eiweiß Harnsäure mitgerissen wird,
hat Richter - Quittner 1 ) gezeigt. Er fügte zu Ovalbuminlösungen
Harnsäure, koagulierte, und konnte im Filtrat und Koagulum nach dem
Verfahren von Ludwig - Salkowski Harnsäure nachweisen. Um uns
über das Verhalten der Eigenhamsäure des menschlichen Blutes noch
weiter Aufschluß zu verschaffen, machten wir folgenden Versuch:
Das gut ausgewaschene Eiweißkoagulum von 50 ccm Blut wurde,
nachdem wir uns in einem Leerversuch überzeugt hatten, daß Ham-
säureaufschwemmungen durch gleiche Behandlung nicht verändert
werden, unter Rückflußkühler 16 Stunden mit 25proz. Schwefelsäurt»
hydrolysiert. Das Hydrolysat neutralisierten wir mit Natronlauge,
machten es mit Essigsäure schwach sauer, filtrierten und wuschen aus.
Im Filtrat wurde die Kupferoxydulfällung gemacht, filtriert und sehr
sorgfältig aminosäurefrei gewaschen. Filter mit Filterrückstand zer¬
setzten wir mit Natriumsulfid, filtrierten vom Schwefelmetall und dem
durch Ansäuerung mit Essigsäure geballten Schwefel ab und wuschen
aus. Das Filtrat wurde auf dem Wasserbad auf 5 ccm eingeengt, in
ein Kölbchen quantitativ überführt und durch Zusatz von 2 ccm Phos-
] ) Richte r-Q uitt ner, 1. e.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
(JO K. Karpudcr u. B.Moml: Methoden zur Bestimmung vom irarnsiiuregekalt usw.
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phorwolframsäurelösung und 10 ccm gesättigter Sodalösung die Harn¬
säure colorimetrisch bestimmt. Wir erhielten 2,5 mg Harnsäure.
Die Versuche wurden wiederholt und zwei weitere Beispiele zeigen,
daß der Prozentsatz der bei der Enteiweißung mitgerissenen Harnsäure
recht erheblich ist:
1. 20 ccm Blut
aus dem Eiweißkoagulum dieses Blutes erhalten
2. 20 ccm Blut
aus dem Eiweißkoagulum dieses Blutes erhalten
4,5 mg % 5,5 mg %
1,3 mg % 1,2 mg %
1,3 mg % 3,0 mg %
4,0 mg % 1,0 mg %
Damit ist der Beweis erbracht, daß durch die Enteiweißung
(‘in nicht unbeträchtlicher und vollkommen unregelmäßiger
Fehler bei der Bestimmung der Blutharnsäure verursacht
wird.
Dieser Fehler ist natürlich in gleicher Weise bei der Modifikation
nach Maasse und Zondek vorhanden. Hiezu kommt, daß dabei die
Silbermagnesiafällung wegbleibt und damit die Sicherheit fehlt, die Farb¬
reaktion in einer Flüssigkeit anzustellen, die neben der Harnsäure
keine anderen sich blau färbenden Stoffe enthält. Es gelingt auch manch¬
mal nicht, nach den gegebenen Vorschriften das Filtrat der Eiwei߬
fällung vor Anstellung der Colorimetrie völlig wasserklar zu erhalten,
was die Ablesung ungünstig beeinflußt. Weiter versäumen es die Autoren,
die Abdampfschale, in der sie das Filtrat einengen, mit Lithium- oder
Natriumcarbonat nachzuwaschen. Ob das Nachspülen mit kaltem
Wasser in allen Fällen genügt, um beim Eindampfen ausgefallene Harn¬
säure quantitativ zu überführen, erscheint uns fraglich. Endlich ist
noch zu erwähnen, daß der rechnerische Fehler doppelt so groß ist
wie bei Steinitz und 3—4 mal so groß wie bei der ursprünglichen Me¬
thode von Fol in und Denis.
Gleiche Erwägungen wie die eben angestellten, gelten für die von
Bass und Neubauer angegebene colorimetrische Hamsäurebestim-
mung. Sie hat zwar den Vorteil höchster Einfachheit, doch ist hier neben
allem anderen der rechnerische Fehler außerordentlich groß, da der
Hamsäuregehalt von nur 1 ccm Serum colorimetrisch bestimmt wird.
Nach all dem glauben wir für die Bewertung der Resultate, die man
bei der colorimetrischen Hamsäurebestimmung im Blut nach den von
uns nachgeprüften Methoden erhält, große Vorsicht empfehlen zu müssen.
Sie scheinen uns nicht mehr als eine zahlenmäßige Schätzung
des Harnsäuregehaltes zu erlauben, sodaß man sich besser darauf
beschränken würde, je nach dem Ergebnis von hohem, mittlerem oder
niedrigem Harnsäuregehalt zu sprechen, als Unterschiede von 1 —2 mg%
oder weniger zu irgendwelchen Schlüssen diagnostischer oder theoreti¬
scher Art zu benutzen.
Original from
UNIVERSITY 0F MINNESOTA
Die physikalischen Grundlagen einer rationellen Methodik zur
Bestimmung der Gerinnungszeit des Venenblutes.
(Untersuchungen über Blutgerinnung. IV.)*)
0 Von
Edgar Wöhliscli.
(Aus der Medizinischen Universitätsklinik zu Kiel [Direktor: Prof. Dr. A. Schit te n-
helm].)
Mit 2 T e x t a b b i 1 d u n g e n.
(Eingegangen am 16. Januar 1922.)
Jeder, der sich einmal mit Blutgerinnungsuntersuchungen, ins¬
besondere mit der Bestimmung der zeitlichen Gerinnungsdaten ein¬
gehender beschäftigt hat, wird die Erfahrung gemacht haben, daß die
„Tücke des Objekts“ bei derartigen Versuchen sehr häufig eine äußerst
störende Rolle spielt. Selbst dem Geübten wird es immer wieder einmal
begegnen, daß er in einem Versuch gänzlich unerwartete und unerklär¬
liche Ausschläge erhält, obwohl scheinbar sämtliche Versuchsbedin¬
gungen die gleichen sind wie sonst.
Die ungewöhnlich große Diffizilität der Gerinnungsuntersuchungen
hat die Erfindung einer ungewöhnlich großen Zahl von Methoden zur
Folge gehabt: ,,Ihre Zahl ist Legion“ sagt Morawitz 1 ), der beste deut¬
sche Kenner unseres Gebietes.
Aus dem zeitlichen Ablauf des Gerinnungsvorganges heben sich
zwei Zeitpunkte besonders hervor: es sind dies der Moment des Beginnes
der Gerinnung und der ihrer Beendigung. Beide Zeitpunkte können
zur Charakterisierung der zeitlichen Verhältnisse beim Gerinnungsvor¬
gang Verwendung finden. Man kann hiernach die Methoden einteilen
in solche zur Bestimmung der Zeit bis zum Gerinnungsbeginn, der sog.
„Reaktionszeit“**), und solche zur Ermittelung der eigentlichen „Ge¬
rinnungszeit“, wenn man, wie es zweckmäßig ist, diesen Ausdruck für
die Zeitspanne von der Entnahme des Blutes bis zur Vollendung der
Gerinnung reserviert.
Während der Augenblick des Beginnes der Gerinnung eindeutig
ist, bedarf es für jede Methode einer besonderen Definition, welcher
*) Mittig. I. Münch, med. Wochenschr. 1921, Nr. 8. Mittig. II. Münch, med.
Wochenschr. 1921, Nr. 3Q. Mittig. III. Münch, med. Wochenschr. 1921, Nr. 43.
**■) Der Ausdruck stammt von Fon io.
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
02 E. Wöhliseh: Die physikalischen Grundlagen einer
Zeitpunkt als Ende der Gerinnung angesehen werden soll, da das wirk¬
liche Ende der Gerinnung, d. h. der Moment, von dem ab gar kein Fibrin
mehr gebildet wird, mit Sicherheit wohl überhaupt nicht bestimmt wer¬
den kann..
Die soeben vorgenommene Einteilung der Methoden in solche zur Be¬
stimmung der Reaktionszeit (RZ) und der Gerinnungszeit (GZ) ist von
praktischer Wichtigkeit, da von dem Prinzip der Methode die
Art und Zahl der in Betracht kommenden Fehlerquellen
abhängig ist.
Mir scheint, daß eine Analyse der Fehlerquellen in ihrer Bedingtheit
durch das Prinzip der Methode bisher noch nicht vorliegt. Ich glaube
auch nicht zu viel zu sagen mit der Behauptung, daß viele Autoren,
die sich mit der Ermittlung zeitlicher Gerinnungsdaten befassen, ohne
(»ine bewußte Kenntnis der Eigenarten und damit der Fehlerquellen
der von ihnen verwendeten Methode arbeiten.
Wir besitzen eine ausführliche Darstellung der verschiedenen Metho¬
den zur Untersuchung des GerinnungsVorganges aus der Feder von
Morawitz 1 ). Aber auch in dieser im übrigen ausgezeichneten Dar¬
stellung ermangelt das Kapitel, das sich mit den ,,Methoden zur Bestim¬
mung der Gerinnungszeit“ befaßt, einer konsequenten logischen Durch¬
führung, wie im folgenden gezeigt werden wird.*)
Es sind nur einige wenige Methoden, die sich in der Praxis bewähit
zu haben scheinen und denen man schon aus theoretischen Erwägunge n
geneigt sein dürfte, einiges Vertrauen zu schenken.
Die Methoden zur Bestimmung der Reaktionszeit werden vertreten
durch die bekannte Methode von Bürker 2 ). Bei dieser genügt zur
Untersuchung ein Tropfen Blut (Kapillarblut), der in einer auf möglichst
konstanter Temperatur gehaltenen Kammer auf bewahrt wird und durch
den man jede halbe Minute einmal mit einem feinen Glasstäbchen durch¬
fährt bis an diesem ein Fibrinfädchen hängen bleibt.
Die Bürkersche Methode, deren ich mich selbst in zahlreichen Ver¬
suchen bedient habe, ist zweifellos sehr brauchbar, ganz besonders
für orientierende klinische Untersuchungen. Ihre Hauptvorzüge sipd
die Kurzfristigkeit eines Versuches und die große Sicherheit der Aus¬
führung, wenn man die Methode einmal richtig gelernt hat. Ferner
der Umstand, daß die Versucbstemperatur beliebig gewählt und mit
einer für die meisten Zwecke hinreichenden Genauigkeit konstant
gehalten werden kann. Es ist von Bedeutung, daß infolge der exakten
Definition aller Versuchsbedingungen, wie sie Bürker bei seiner Methode
durchgeführt hat, die gewonnenen RZ-Werte den Charakter absoluter
*) Anm. bei der Korrektur: An meinen diesbezüglichen Ausführungen habe
ich auch nach Kenntnisnahme der neuesten Auflage (1921) des „Handbuches
der biologischen Arbeitsmethoden“ von Abderhalden nichts zu ändern.
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rationellen Methodik zur Bestimmung der Gerinnungszeit- des Venenblutes. 63
Daten haben, die einen Vergleich der Zahlen verschiedener Untersucher
zulassen.
Bei der Wichtigkeit dieses Umstandes für das eigentliche Thema
dieser Arbeit muß ich mich hierüber etwas ausführlicher verbreiten.
Man kann wohl sagen, daß einenaturwissenschaftliche Untersuchungs¬
methode ihren Zweck vollkommen erst dann erfüllt, wenn sie soweit aus¬
gebaut ist, daß verschiedene Untersucher mit der Methode dieselben
Resultate erhalten. In den Naturwissenschaften gewähren überhaupt
erst derartige Daten dem Theoretiker, der sich zu seinen Untersuchungen
auf die Beobachtungen vieler experimenteller Forscher stützt, die Mög¬
lichkeit des Arbeiten». In der Medizin, wo es darauf ankommt, zu wissen,
was „normal“ und was „pathologisch“ ist, haben natürlich absolute
Daten eine ganz besondere Bedeutung.
Welche äußeren Umstände sind es denn nun, von denen die Reak¬
tionszeit eines Blutes abhängig ist? Wir wollen als konkretes Beispiel
zur Erläuterung dieser Verhältnisse die Bürkersche Methode heran¬
ziehen.
An erster Stelle müssen w r ir den Einfluß der Versuchstemperatur
nennen, der außerordentlich groß ist. So beträgt z. B. (nach der von
Bür k er auf gestellten Kurve der Reaktionszeit in ihrer Abhängigkeit
von der Temperatur) die RZ eines Blutes bei 10° ca. 50 Minuten, bei
15° dagegen nur 15 Minuten und bei 20° 8,5 Minuten. Das zu unter¬
suchende Blut kommt nun bei Bürker auf einen hohlgeschliffenen mit
einem Tropfen Wasser in der Mitte des Hohlschliffs versehenen Objekt¬
träger, der auf dem Metalldeckel eines Wasserbades ruht und so auf der
gewünschten Temperatur gehalten wird. Dagegen hat man es bei
Bürker nicht in der Hand, die Temperatur der Luft, in welcher der Ver¬
such stattfindet und die doch auch die endgültige Temperatur des
Hutwassertropfens mitbedingt, zu regulieren. Praktisch soll diese
Fehlerquelle nach den Angaben des Erfinders der Methode nicht viel
ausmachen, immerhin liegt eine ideale Lösung der Temperaturfrage nicht
vor.
Ferner hängt die RZ des Blutes davon ab, wie oft in der Zeiteinheit
man das Glasstäbchen durch den Blutwassertropfen zieht. Es wird
daher das Durchführen des Glasstäbchens in allen Versuchen in gleichen
zeitlichen Abständen und in gleicher Weise vorgenommen.
Die RZ hängt nicht ab von der Menge des angewendeten
Blutes, worauf schon Bürker hingewiesen hat, und auch nicht
von der Form der Glasoberfläche, wie mir eigene Versuche in
Bestätigung entsprechender Überlegungen zeigten. Nachdem, was wir
über das Wesen des Gerinnungsvorganges wissen, ist die Unabhängigkeit
der RZ von der Blutmenge und von der Form der benetzten Glasober¬
fläche eigentlich selbstverständlich: denn die Produktion des Thrombins
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64
K. Wöhlisch: Die physikalischen (irundlagen einer
geht an der Glaswand vor sich und hier muß demgemäß auch die Aus¬
fällung des Fibrins beginnen. Es ist nicht einzusehen, in welcher Weise
sich ein Einfluß der verschiedenen Größe der Blutmenge auf den Vor¬
gang an der Wand geltend machen sollte. Ebensowenig läßt sich erwar¬
ten, daß dieser Vorgang, der sieh in gleicher Weise an jedem kleinsten
Teilchen der Wand abspielt, durch die Form der Gefäßwand, d. h.
durch die gegenseitige relative Lage der kleinsten Teilchen beeinflußt
werden sollte.
Wir haben also bei der Bürkerschen Methode zur Bestim¬
mung der RZ, und das gleiche dürfte für alle derartigen
Methoden gelten, eine Abhängigkeit der RZ desselben Blutes
lediglich von zwei Faktoren: von der Versuchstemperatur
und von mechanischen Manipulationen, die mit dem Blute
vorgenommen werden.
Ich muß an dieser Stelle auf meine weiter oben gemachte Bemerkung
über die Morawitzsche Darstellung der Methoden zur Bestimmung der
Gerinnungszeit zurückkommen.
Das Kapitel „Methoden zur Bestimmung der Gerinnungszeit“
beginnt mit einem Abschnitt A „Allgemeines und Fehlerquellen“.
Hier definiert Morawitz die Gerinnungszeit als „den Zeitraum, den
Blut außerhalb der Gefäße bis zum Festwerden braucht“. In dem
folgenden Abschnitt B, der die „Methoden zur Bestimmung der Gerin¬
nungszeit“ einzeln bespricht, ist dann auch die Bür kersche Methode
auf geführt, die schon nach der Definition der „Gerinnungszeit“ gar-
nicht hierher gehört. Infolgedessen trifft auch das im Abschnitt A
über die Fehlerquellen Gesagte auf die Bür kersche Methode und die
anderen am gleichen Orte besprochenen Methoden zur Bestimmung
der RZ nicht zu. Morawitz sagt nämlich auf S. 231 loc. cit. 1 ):
„Folgende Momente beeinflussen die Gerinnungszeit:
1. Berührung mit benetzbaren Fremdkörpern kürzt die Gerinnungs¬
zeit um so mehr ab, je größer die Berührungsfläche ist. Eine größere
Blutmenge wird daher in einem Glasgefäße längere Zeit zur Gerinnung
brauchen als eine kleinere, bei der die mit den Glaswänden in Berührung
tretende Oberfläche verhältnismäßig groß ist. . . Zu Gerinnungs¬
bestimmungen müssen daher stets gleichgroße Blutmengen Verwendung
finden, außerdem Glasgefäße von gleicher Größe . . .“
Wie wir sehen ist diese Darstellung der Fehlerquellen, bei der die
Methoden zur Ermittelung des Gerinnungsbeginns und des Gerinnungs¬
endes in einen Topf geworfen werden, durchaus geeignet bei einem nicht
außergewöhnlich kritischen Leser Mißverständnisse zu erwecken und
unter Umständen sogar eine an sich recht gute Methode zu diskredi¬
tieren : man könnte z. B. ohne weiteres auf den Gedanken kommen,
daß die Bür kersche Methode nichts taugen kann, da sie ja auf eine
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rationellen Methodik zur Bestimmung der Gerinnungszeit des Venenblutes. 65
genaue Abmessung der zu untersuchenden Blutmenge (mit Recht)
verzichtet.
Morawitz erwähnt dann weiter den Temperatureinfluß, der allge¬
mein für sämtliche Methoden gilt. Ferner die ausgedehntere Berührung
mit Blutgerinnseln und Geweben, weshalb er empfiehlt Blut zur Bestim¬
mung der Gerinnungszeit am besten durch Venenpunktion zu entnehmen.
Endlich nennt er den wechselnden Gasgehalt des Blutes: Der Kohlen¬
säuregehalt des Blutes soll die Gerinnung verlangsamen. Nach meinen
Erfahrungen trifft das Gegenteil zu. Der Satz: „Wie groß die prak¬
tische Bedeutung der vermehrten C0 2 -Spannung ist, scheint noch nicht
näher untersucht zu sein 44 , besteht anscheinend auch heute noch zu
Recht. Über eigene Untersuchungen dieser Frage, die noch im Gange
sind, soll später einmal berichtet werden.
Morawitz, erwähnt dagegen unter den Fehlerquellen merkwürdiger¬
weise nicht den Einfluß mechanischer Manipulationen, die man mit dem
Blute während der Gerinnung vomimmt, obwohl gerade diese Fehler¬
quelle ausnahmslos bei sämtlichen Methoden in Betracht kommt.
Eine Untersuchung dieses Gegenstandes findet sich in der vorliegenden
Arbeit.
. Die Forderung von Morawitz, zur Bestimmung der Gerinnungszeit
am besten Blut aus einer Vene zu entnehmen, führt uns zur Bespre¬
chung der Methode, mit der sich in der Hauptsache diese Arbeit beschäf¬
tigt. Es ist dies die heute wohl meist gebräuchliche Methode zur Be¬
stimmung der eigentlichen Gerinnungszeit (im Gegensatz zur Reaktions¬
zeit); ihr Prinzip stammt von Morawitz und Bierich 3 ) [siehe auch 1 )].
Die Autoren arbeiten mit größeren Blutmengen — 5 ccm — und brin¬
gen diese in sorgfältig gereinigte Wiegegläschen. Diese werden von
Zeit zu Zeit geneigt und dann der Zeitpunkt bestimmt, in welcher die
Oberfläche des Blutes der Neigung nicht mehr folgt. (Gleichzeitig
kann man auch nach Morawitz den Gerinnungsbeginn an dem Auf¬
treten eines leichten roten Belages auf der Glaswand erkennen.) Die Autoren
haben „annähernde Temperaturkonstanz 44 dadurch zu erreichen gesucht,
daß sie die Wiegegläschen in eine feuchte Kammer stellten, die z. T.
mit Wasser von der gewünschten Temperatur gefüllt war. Zur Beob¬
achtung der Blutoberfläche ist jedoch ein jedesmaliges Abnehmen
des Deckels der Kammer notwendig; eine befriedigende Lösung der
Temperaturfrage liegt also auch hier keineswegs vor.
Morawitz macht darauf aufmerksam, daß möglichst gleichmäßiges
Vorgehen beim Herausnehmen und Neigen der Gläschen anzustreben
ist. Der Deckel soll nicht öfter als alle 2 Minuten gelüftet werden.
Nähere Angaben über die Wirkung der Bewegung der Gläser auf die
Gerinnung findet man jedoch nicht, auch führt Morawitz die Ausmaße
der von ihm benutzten Gläser nicht an. Er sagt nur, daß er meist bei 20°
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII. 5
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66
E. Wühlisdi: Die physikalischen Grundlagen einer
gearbeitet habe, macht dann aber trotzdem eine Angabe der erhaltenen
Gerinnungszeit. Es soll nämlich die Gerinnungszeit ,,unter diesen
Bedingungen“ (?) 15—20 Minuten betragen. Eine Differenz von 20%
könne noch in den Bereich der Fehler fallen.
Eine Modifikation der Morawitz sehen Methode wandte Fon io 4 )
an. Er benutzte statt der Wiegegläschen Uhrschälchen, die er in eine
feuchte Kammer stellte und arbeitete mit wesentlich kleineren Blut-
mengen. Die Bestimmung des Gerinnungsendes geschah jedoch nach
demselben Prinzip. Auf Einhaltung konstanter Temperatur hat Fonio
nicht geachtet, er arbeitete vielmehr bei Zimmertemperatur. In der
Fonio sehen Modifikation hat die Morawitzsche Methode in neuerer
Zeit vielfach Anwendung gefunden. Alle Autoren haben jedoch ebenso
wie Fonio auf Temperaturkonstanz verzichtet, so daß schon aus diesem
Grunde Vergleiche der von den verschiedenen Beobachtern erzielten
Daten nicht erlaubt sind. Wohl die meisten Autoren haben dies als einen
erheblichen Mangel der sonst als brauchbar anerkannten Methode emp¬
funden, einige sprechen sich auch in diesem Sinne aus; trotzdem ist
von keiner Seite der Versuch unternommen worden, die von der Mora¬
witz sehen Methode gelieferten Daten auf eine Norm zu bringen.
Man muß sich nun die Frage vorlegen, ob nicht eine einfache Methode,
wie die Bürkersche, allen Anforderungen, die auf dem Gebiete der
Blutgerinnungsuntersuchungen an zeitmess?nd? Methoden gestellt werden
können, genügt und ob überhaupt das Bedürfnis nach einer mit größeren
Blutmengen arbeitenden Methode besteht. Hier ist zunächst zu sagen, daß
die B ü r k e r sehe Methode wohl für orientierende Untersuchungen am Kran¬
kenbett in den meisten Fällen ausreichen wird, daß sie jedoch anscheinend
in manchen Fällen von selbst schweren Störungen des Gerinnungsablaufs
keine sehr eindrucksvollen Maßzahlen für den Grad der Störung liefert.
Ich denke hier an einen schweren Fall von echter Hämophilie, den ich
vor kurzem untersuchte. Ich erhielt bei diesem eine Reaktionszeit
von 11,5 Minuten bei 25° gegenüber einem Normalwert von ca. 6—7 Mi¬
nuten, also eine relativ geringe Verzögerung. Eine Untersuchung von
20 Tropfen Venen blut bei 37 ° nach der im folgenden beschriebenen Methode
ergab, daß selbst nach 3% Stunden noch keine vollständige Gerinnung
eingetreten war, während die gleiche Menge Normalblut unter den glei¬
chen Bedigungen in ca. 15 Minuten zu einem festen Koagulum erstarrt
ist. Hierdurch war der Fall als eine äußerst schwere Hämophilie charak¬
terisiert und man verstand, weshalb der Patient aus einer kleinen
Schnittwunde ca. 14 Tage lang geblutet hatte.
Noch wichtiger als für derartige immerhin einfache Bestimmungen
ist jedoch die Bedeutung der Methode für kompliziertere Gerinnungsver¬
suche, also beispielsweise für solche, bei denen man die gerinnungs¬
beeinflussende Wirkung von Blutkörperchensuspensioncn — wie Sahli 5 )
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rationellen Methodik zur Bestimmung der Gcrinnungszeit des Venenblutes. 67
und Verf. 6 ) dies in Untersuchungen über das Wesen der Hämo¬
philie getan haben — feststellen will. Auch lassen sich nach der Methode
sehr bequem Gerinnungsversuche z. B. mit recalciniertem Oxalatplasma
usw. anstellen.
Für derartige Zwecke ist die Methode meines Erachtens unentbehrlich,
da sie wegen der relativ großen angewendeten Blutmenge eine sehr genaue
Abmessung der zu untersuchenden zuzusetzenden Substanz erlaubt, ja
überhaupt erst ein quantitatives Arbeiten gestattet. Die bei der
Methode gegenüber der Bürkersehen erhaltenen erheblich größeren
zeitlichen Gerinnungsdaten sind für derartige Versuche ein großer Vor¬
teil, da so die abgelesenen Unterschiede deutlicher werden. Nur für
gewisse Zwecke, vor allem zur Feststellung der gerinnungsbeschleuni¬
genden Kraft eines Serums wird die Methode besser ersetzt durch eine
vom Verf. stammende neue Methode zur Bestimmung der „Reaktions¬
zeit im hämolysierten Blut“ 7 ).
Mein Bestreben ging nun dahin, die Methode so weit
zu entwickeln, daß es möglich ist, sämtliche in einem Ver¬
such gegebenen Bedingungen in meßbaren Daten fest¬
zulegen, so daß man bei späteren Versuchen der gleichen
Art genau die gleichen Bedingungen wiederherstellen
und damit einen einwandfreien Vergleich zeitlich beliebig
lange auseinander liegender Versuche anstellen kann.
Aber darüber hinaus wollte ich soweit kommen, daß auch die von einem
Autor erhaltenen zeitlichen Gerinnungsdaten infolge exakter Reprodu¬
zierbarkeit der Versuchsbedingungen der Nachprüfung durch andere
Untersucher zugänglich würden. Über das bisher Erreichte zu berichten
ist der Zweck der folgenden Zeilen.
Die Fragestellung, die mich interessierte, war die folgende: Wie
groß ist der Einfluß der verschiedenen bei der Ermittelung der GZ in
Betracht kommenden Fehlerquellen und wie kann man diese Einflüsse
eliminieren ?
Als Kriterium dafür, daß die Ausschaltung eines als
Fehlerquelle in Betracht kommenden Einflusses gelungen
war, mußte der Umstand angesehen werden, daß Parallel¬
versuche an einer Gerinnungsflüssigkeit mit konstanten
Eigenschaften den gleichen Wert der GZ lieferten, wenn für
numerische Gleichheit des betreffenden Einflusses in jedem
der Versuche bewußt Sorge getragen war. Hierbei machte ich
sehr bald die Erfahrung, daß man unter einer „Gerinnungsflüssigkeit
von konstanten Eigenschaften“ keinesfalls das durch verschiedene
Punktionen gewonnene Blut desselben Individuums verstehen darf:
eine so weitgehende Gleichmäßigkeit der Gerinnungsfähigkeit, wie
sie für die folgenden Untersuchungen nötig war, ist auf diese Weise nicht
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68
E. Wülilisdi: Die physikalischen Grundlagen einer
zu erzielen. Verwendbar ist vielmehr stets nur Blut, das von der gleichen
Punktion stammt. Auch ein solches Blut gewährleistet eine ausreichende
Konstanz seiner Gerinnungseigenschaften nur bei Einhaltung bestimmter
Bedingungen, die wir im folgenden kennenlemen werden (Abschnitt 2).
1. Die Abmessung der Blutmenge.
Eine genaue Abmessung der zur Untersuchung verwendeten Blut¬
menge ist absolutes Erfordernis. Denn die Gerinnungszeit einer größeren
Blutmenge muß in demselben Gefäß und unter Gleichheit der übrigen
Bedingungen — wie schon Morawitz erwähnt — größer sein, weil
eine größere Flüssigkeitsmenge aus geometrischen Gründen zwar mit
einer absolut größeren aber relativ kleineren Wandfläche in Berührung sein
wird wie eine kleinere Flüssigkeitsmenge. Da aber das Thrombin an der
benetzten Wandfläche gebildet wird, so entfällt auf die größere Blutmenge
eine relativ kleinere in der Zeiteinheit gebildete Thrombinmenge. Für
eine Bestimmung der GZ in schalenförmigen Gefäßen, wie in der hier
besproehnen Methode gibt es aber noch einen zweiten Grund für die
Abhängigkeit der GZ von der Menge des verwendeten Blutes: Dies ist
der größere Abstand der Mitte des Flüssigkeitsspiegels von der Glas¬
wand bei einer größeren, also im Glase höher stehenden Flüssig¬
keitsmenge gegenüber einer kleineren. Denn die Gerinnung schreitet
in schalenförmigen Gefäßen konzentrisch von der Wand aus fort,
die Mitte des Flüssigkeitsspiegels aber ist der auf diese Weise zu¬
letzt von der Gerinnung ergriffene Teil der Blutmenge. Er muß bei
größerem Abstande von der Wand später zur Gerinnung kommen als
bei kleinerem.
Eine gleichmäßige Abmessung der Blutmenge ist nun auf verschie¬
dene Weise möglich. Man kann z. B. das Blut aus einer Spritze in die
Gläser tropfen, indem man sich nach der Graduierung richtet. Dies ist
jedoch nur vorteilhaft bei Verwendung kleiner, hinreichend genau gra¬
duierter Spritzen. Die Verwendung derartiger Spritzen empfiehlt sich
aber aus verschiedenen Gründen nicht: einmal, weil man eben oft zu
mehreren Parallelversuchen mehr Blut braucht als eine derartige Spritze
faßt. Dann aber scheint nach meinen Erfahrungen das Blut in der¬
artigen Spritzen bereits sehr frühzeitig zu gerinnen; man muß dann unter
Druck ausspritzen, was zu erheblichen Fehlem führen kann, wie wir im
folgenden noch sehen w r erden (Abschnitt 2).
Das Zweckmäßigste ist es daher, die in das Glas gespritzte Tropfen¬
zahl zu zählen. Die absolute Blutmenge kennt man, wenn man vor den
Versuchen für die zum Einspritzen verwendete Nadel ermittelt, wieviel
Tropfen Blut auf 1 ccm entfallen.
Bei dieser Art des Abmessens der Blutmenge ist nun sogleich eine sehr
wichtige Fehlerquelle zu beachten. Es ist dies die bei verschiedener
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rationellen Methodik zur Bestimmung der Gerinnungszeit des Venenblutes. 69
Haltung der Nadel ganz verschiedene Größe der abfallenden
Tropfen.
Bei vertikal nach unten gerichteter Nadel hängt der Tropfen direkt
an der feinen Spitze und um ihn loszureißen genügt daher ein sehr gerin¬
ges Tropfengewicht. Das andere Extrem haben wir bei horizontaler
Nadelstellung. Die Größe des Einflusses dieser Fehlerquelle ist ersicht¬
lich aus der folgenden Tabelle, wo die auf 1 ccm entfallende Anzahl
Tropfen bei verschiedener Nadelstellung bestimmt ist
Tabelle I.
Stellung der Nadel |
j Tropfenzahl
1 in 1 ccm
Horizontal. . . .
1 31
Um 45° geneigt .
| 49
Vertikal.
64
Beachtet man diese Fehlerquelle, indem man beim Eintropfen des
Blutes stets auf genau gleiche Haltung der Nadel achtet, so kann man
die Blutmenge mit einer völlig ausreichenden Genauigkeit abmessen.
2. Die Konstanz der Gerinnungszeit.
Ich sagte schon, daß sich zu Parallelversuchen für unseie Fragen
nur das von derselben Punktion stammende Blut eigret. Tiopft man
mm in verschiedene Gläser nach einander Blut aus derselben Spritze,
so sind die Bedingungen für die verscliiedenen Blutproben insofern
nicht ganz identisch, als das.später ausgespritzte Blut länger in der
allseitig geschlossenen Spritze verweilt hat als die fiüher entnommenen
Blutmengen. Es hat dadurch z. B. länger unter einer höheren C0 2 -
Spannung gestanden, es gibt unter Umständen seine Wärme weniger
schnell ab, als in den Gerinnungsgefäßen, und es hat länger mit der
mattgeschliffenen Wand der Spritze bzw. dem Metallkolben in Berüh¬
rung gestanden — alles Einflüsse, die sich bei einem so empfindlichen
Vorgang, wie es die Gerinnung des Blutes ist, möglicherweise bemerkbar
machen könnten. Es wurde deshalb eine Anzahl von Versuchen aus¬
geführt, die darin bestanden, daß das Blut in die verschiedenen zu
Parallelversuchen dienenden Gläser in Abständen von etwa je einer
Minute eingespritzt und die Gerinnungszeit, bezogen auf den Augen¬
blick der Füllung des ersten Glases, bestimmt wurde. Das Ergebnis.
Tabelle II.
Füllung der Gläser
I Bemerkungen
GZ
sofort
Spritze geht leicht
66
1 Minute später
Spritze geht leicht
63
2 Minuten später
Spritze geht leicht
65
3 1 / 2 Minuten später
Spritze geht sehr schwer
43
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70 E. Wöhliscli: Die physikalischen (i rund lagen einer
das durch die Tab. II, die einen besondeis typischen Versuch wiedergibt,
illustriert wird, war kurz das folgende: Solange das Ausspritzen des
Blutes aus der Spritze ganz ohne Widerstand vor sich geht, ist keine
Gefahr vorhanden, daß durch das längere Verweilen in der Spritze
eine Störung bei Parallel versuchen eintritt. Läßt sich das Blut jedoch
schwer ausspritzen, da in der Spritze beieits die Gerinnung einsetzt,
so erhält man bei de auf diese Weise gewonnenen Blutportion unter
Umständen einen wesentlich kleineren GZ-Wert.
Das Ergebnis erklärt sich wohl dadurch, daß infolge der bereits
in der Spritze beginnenden Gerinnung mit dem ausgetropften Blut
etwas Fibrin in die Gläschen gelangt und dort den Gerinnungsvorgang
beschleunigt. Daß Fibrinzusatz die Gerinnung eines Blutes beschleunigt,
ist ja eine bekannte Tatsache der Gerinnungsphysiologie. Diese Er¬
klärung wird auch durch die Beobachtung sehr wahrscheinlich gemacht,
daß öfter in dem Blute, dessen Einfüllung in die Gläser Schwierigkeiten
machte, einzelne inselförmige Stellen zu sehen waren, die schneller er¬
starrten, als die übrige Oberfläche. Es handelt sich hier wohl um Ge-
rinnungszentra, die aus den in der Spritze gebildeten Fibrinflöckchen
bestehen.
3. Die Form des Gerinnungsgefäßes.
Wie schon erwähnt, benutzte Morawitz zur Bestimmung der GZ
Wiegegläschen, Fonio und im Anschluß an diesen auch Stephan 9 )
nahmen Uhrgläser. Um Störungen durch verschiedenartiges Aus¬
fallen der Gläser zu vermeiden, titrierte Stephan seine Gläser vor der
eigentlichen Benutzung im Gerinnungsversuche aus und benutzte nur
solche Gläschen, in denen gleiche Blutmengen in derselben Zeit ge¬
rannen.
Mein Bestreben ging dahin, Gerinnungsgefäße ausfindig zu machen,
die eine mathematisch exakt definierbare Oberfläche aufw r eisen. Als
sehr geeignet für meine Zwecke erwiesen sich Brillengläser. Ihre Ober¬
fläche ist ein Teil einer Kugelfläche von bekannter Krümmung. Die
Krümmung wird in der Brillenoptik gemessen in Dioptrien und ich
behalte dieses Maß im folgenden bei. Hat man bikonkave Gläser,
so weisen beide Oberflächen gleiche Krümmung auf. Die Dioptrienzahl
der einzelnen Krümmung ist in diesem Fall gleich der halben brechenden
Kraft des Glases, die ebenfalls in Dioptrien gemessen wird. Ein bi¬
konkaves Glas von —20,0 Dioptrien, wie ich es hauptsächlich verwende,
hat also zwei konkave Oberflächen von je —10,0 Dioptrien Krümmung.
Bei periskopischen Gläsern ist das natürlich anders: ein konvex-kon¬
kaves Punktalglas von Zeiß von —13,0 Dioptrien brechender Kraft
hat z. B. eine konvexe Fläche von +2,0 Dioptrien und eine konkave
von —15,0 Dioptrien. In diesem Fall muß man die einzelnen Flächen
durch Auf setzen eines Sphärometers ausmessen.
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rationellen Methodik zur Bestimmung der Gerinnungszeit des Venenblutes. 71
Ein Uhrglas ist nun, wie ich durch Messungen mit dem Sphärometer
feststellte, nichts weniger als ein geometrisch einfach definierbares
Gebilde: Es nimmt im allgemeinen die Krümmung eines Uhrglases von
der Mitte nach den Rändern hin zu, und verschiedene Uhrgläser unter¬
scheiden sich unter Umständen sehr erheblich voneinander, wenn man
die Krümmung an anologen Stellen, am besten möglichst genau in der
Mitte mißt: man findet an dieser Stelle bei verschiedenen Uhrgläsem
Krümmungen, die etwa zwischen —4,0 und —10,0 Dioptrien schwanken.
Es ist nun bei Anwendung von Gläsern mit kugelförmiger Oberfläche
ein ganz bestimmter Einfluß des Krümmungsgrades auf die GZ-Werte
vorauszusehen. Aus geometrischen Gründen steht nämlich die gleiche
Flüssigkeitsmenge, gleichmäßige Ausbreitung vorausgesetzt, in flache¬
ren Gläsern mit einer größeren Oberfläche in Berührung als in stärker
gekrümmten. Dies läßt sich auch ohne lange Rechnung leicht einsehen,
wenn man sich den Grenzfall vorstellt, nähnlich die Ausbreitung der
Flüssigkeit auf einem Glase ohne jede Krümmung, auf einer planen
Glasplatte. Eine vollkommen benetzende Flüssigkeit wird sich hier
so lange auszubreiten suchen, bis alle Flüssigkeitsteilchen der Glaswand
direkt anliegen; die Berührungsfläche zwischen Flüssigkeit und Wand
ist dann maximal, es gibt keine ,,im Innern“ der Flüssigkeit liegenden
Teilchen mehr. Je geringer also die Krümmung, desto größer bei glei¬
cher Flüssigkeitsmenge die thrombinbildende Berührungsfläche zwischen
Glas und Blut, — desto kürzer die Gerinnungszeit.
Es gibt jedoch noch einen zweiten Grund für die Abhängigkeit
der GZ von der Krümmung, und zwar muß dieser seine Wirkung im
gleichen Sinne äußern wie der oben besprochene. Es wird nämlich in
einem flacheren Glase die Mitte des Flüssigkeitsspiegels gleicher Blut¬
mengen einen kleineren Abstand von der Glaswand haben als in einem
stärker gekrümmten Glase, und auch aus diesem Grunde früher zur
Gerinnung kommen. Wir haben hier also denselben Einfluß, wie wir
ihn soeben im Abschnitt 1 dieser Arbeit kennengelemt haben.
Aus unsem Betrachtungen folgt weiter: bei maximaler Ausbreitung
der Biutmenge auf der Glasfläche — oder, was dasselbe ist, bei mini¬
maler Dicke der Blutschicht — muß im Augenblicke des Gerinnungs¬
beginnes sogleich die ganze Fibrinmenge niedergeschlagen werden,
da ja alle Blutteilchen der thrombinbildenden Wand anliegen. Die
Begrif f e der Re a k tio nsz eit undd er Gerinnungszeit verschmel¬
zen hier also miteinander: die Gerinnungszeit einer beliebig
großen Blutmenge muß bei maximaler Ausbreitung gleich
sein der Reaktionszeit desselben Blutes bei der selben Tempe¬
ratur. Je stärker die Krümmung des Glases, je kleiner
die vom Blut benetzte Fläche, desto weiter liegen Gerin¬
nungszeit und Reaktionszeit auseinander.
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72
E. Wöhlisch: Die physikalischen Grundlagen einer
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Nun sahen wir, daß die Reaktionszeit eines Blutes von einer geringeren
Anzahl Komponenten abhängig ist als die Gerinnungszeit, nämlich nur
von Temperatur und Bewegung, nicht dagegen von angewendeter Blut¬
menge und nicht von der Form des Gerinnungsgefäßes. Hieraus und
aus dem soeben abgeleiteten Satz vom allmählichen Zusammenfließen
der Reaktionszeit und der Gerinnungszeit mit abnehmender Krüm¬
mung folgt sofort, daß die Einflüsse, die sich nur in der Gerinnungszeit
im Gegensatz zur Reaktionszeit geltend machen*), dies um so deut¬
licher tun müssen, je stärker die Krümmung des Gerinnungsglases ist,
da ja mit steigender Krümmung die GZ sich immer mehr von der
RZ und deren Eigenheiten entfernt.
Nach diesen etwas komplizierten Erörterungen wenden wir uns den
Versuchen zu, die den soeben deduzierten Einfluß der Krümmung des
Gefäßes belegen sollen. Die Tab. III zeigt an 5 beliebig herausgegriffe¬
nen Versuchen, daß unter sonst gleichen Bedingungen die GZ-Werte
tatsächlich einen erheblichen Anstieg mit zunehmender Krümmung des
Gerinnungsglases erkennen lassen.
Tabelle III.
Krümmung
GZ-Werte
in Dioptrien
Vers. I
Vers. II
Vers. HI |
Vers. IV
Vers. V
-2,5 1
1
35
36
40
27
22
-5,0
37 1
45
45 !
45
28
— 10,0
42 |
61 i
50
48
34
— 15,0
! 46
67 |
55 !
58
41
Es erhebt sich nun die weitere Frage, ob es für die praktische Brauch¬
barkeit der Methode völlig gleichgültig ist, welche Axt von Gläsern man
zu seinen Versuchen benutzt, schärfer gekrümmte oder flachere. Dies
ist nicht der Fall; es läßt sich vielmehr sehr deutlich zeigen, daß die
Übereinstimmung zweier Parallelbestimmungen um so genauer aus¬
fällt, je tiefer die verwendeten Gläser sind. In flachen Gläsern erhält
man sehr stark schwankende Werte und zwar aus folgenden Gründen:
In einem tiefen Brillenglase breitet sich eine Flüssigkeitsmenge nach
allen Seiten gleichmäßig aus, so daß ihre Oberfläche die Form eines
Kreises annimmt. Je flacher das Glas, desto unregelmäßiger wird die von
der Flüssigkeit angenommene Form. Diese Erscheinung macht sich
ganz besonders bei einer so viscösen Flüssigkeit, wie das Blut sie vorstellt,
geltend. Nur in Gläsern von einiger Tiefe erreichen wir also in Parallel¬
versuchen Gleichheit der von der Blutmenge angenommenen Form
und daher auch Übereinstimmung der GZ-Werte.
*) Nämlich Blutmenge und Form des Gefäßes.
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rationellen Methodik zur Bestimmung der Grerinnungszeit des Venenblutes. 73
Abb. 1 soll das eben Gesagte verdeutlichen; sie gibt in 2 / 3 der natür¬
lichen Größe die Formen wieder, die je 1 ccm Blut in einem Versuche auf
Brillengläsern verschiedenen Krümmungsgrades annahm: wir sehen im
— 2,5-Glas eine völlig unregelmäßige, kaum noch an den Kreis erinnernde
Figur, im — 5,0-Glas wird die Annäherung an die Kreisform schon wesent¬
lich besser erreicht und im — 10,0-Glas endlich haben wir wirklich
eine kreisförmige Oberfläche vor uns.
Die Tab. IV endlich gibt die Ergebnisse einiger Parallelbestimmungen
der Gerinnungszeit in Gläsern verschiedener Krümmung wieder.
Tabelle IV.
Krümmung
GZ-Werte
in Dioptrien
j Vers. I !
Vera.
-2,5 j
j 27
26
i 37
35
— 10,0
48
44
51
45
— 15,0
58
50
! 59,5
50
Wir finden also sehr große Differenzen der beiden Parallelbestim¬
mungen in den flachen — 2,5-Gläsem, ausgezeichnete Übereinstimmung
dagegen in den scharf gekrümmten Gläsern von —10,0 und — 15,0
Dioptrien.
In einer großen Zahl von Bestimmungen überzeugte ich mich, daß
die Krümm ung von —10,0 Dioptrien für alle Zwecke genügt. Diese
Gläser haben vor den mit —15,0 Dioptrien Krümmung auch den
Vorteil größerer Billigkeit, denn es sind gewöhnliche bikonkave Gläser,
die Krümmung von —15,0 Dioptrien ist dagegen meines Wissens nur
in den recht teuren Zeißsehen Punktalgläsem von —13,0 Dioptrien
brechender Kraft erhältlich.
Es sei hier noch bemerkt, daß Brillengläser von — 10,0 Dioptrien Krüm¬
mung den gewöhnlichen Uhrgläsem nicht nur wegen der exakteren Ober¬
fläche, sondern auch wegen ihrer meist größeren Tiefe vorzuziehen sind,
denn die im Handel befindlichen Uhrgläser weisen in der Mitte eine mit
dem Sphärometer gemessene Krümmung auf, die gewöhnlich kleiner
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74
K. Wühliseli: Die physikalischen Grundlagen einer
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als —10.0 Dioptrien ist. Krümmungen von —5,0 bis —6,0, wie sie
sich bei den Uhrgläsem anscheinend am häufigsten finden, reichen
zur Erzielung guter Übereinstimmung bei Parallel versuchen noch nicht
ganz aus.
Die folgende Betrachtung aber wird uns die Notwendigkeit der Wahl
von Gerinnungsgläsem geeigneter Krümmung ganz besonders deutlich
vor Augen führen. Werfen wir noch einen Blick auf Tab. III.
Wir wollen einmal die in den vier verschiedenen Horizontalreihen
stehenden GZ-Werte ihrer Größe nach in absteigender Reihenfolge
anordnen. Wir erhalten dann in der Horizontalreihe —15,0 diese
Reihenfolge: Vers . n
„ IV
„ III
und in der Reihe —15,0 die folgende:
Vers. II
„ III
„ IV
Daß in diesen beiden Reihen die Versuche III und IV ihren Platz
gewechselt haben, erklärt sich daraus, daß die Unterschiede der GZ-
Werte der Versuche III und IV bereits innerhalb der Fehlergrenzen der
Methode liegen, denn es handelt sich um Differenzen von 2—3 Minuten,
das sind ungefähr 4—5% der absoluten Werte. Die GZ-Werte von
Versuch III und IV sind also praktisch gleich und die richtige
Reihenfolge der Gerinnungszeiten, wie man sie immer
finden sol lte, • w äre also die folgende:
Vers. II
Vers. III = Vers. IV
Vers. I
Vers. V
Vergleichen wir mit diesem Ergebnis nunmehr das mit den Gläsern
schwächerer Krümmung erhaltene. Die Horizontalreihe —5,0 liefert
die falsche Reihenfolge:
Vers. II = Vers. III = Vers. IV
Vers. I
Vers. V
die Horizontalreihe —2,5 endlich das noch schlechtere Resultat:
Vers. IH
Vers. I = Vers. II
Vers. IV
Vers. V
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rationellen Methodik zur Bestimmung 1 der Gerinnungszeit des Venenblutes. 75
Schlagender als durch den so erbrachten Nachweis, daß man mit
Gläsern zu schwacher KrümmungunterUmständenzu völlig
falschen Ergebnissen kom men kann, läßt sich die Wichtigkeit der
Wahl rationeller Gerinnungsgefäße wohl nicht zeigen.
Es ist nach dem Gesagten selbstverständlich, daß eine Verwendung
von Uhrgläsern, die man durch einen Probegerinnungsversuch aus¬
titriert, wie dies Stephan tut, nicht annähernd dieselbe Sicherheit für
wirkliche Übereinstimmung der Gläser gewährt, wie meine Methode.
Denn bei den starken Schwankungen, welche die Gerinnungszeit in
flacheren Gläsern aufweist, können einmal praktisch gleiche GZ-Werte in
erheblich verschiedenen Gläsern zustande kommen (siehe Tab. III,
Vers. I. —2,5 GZ = 35; —5,0 GZ = 37), während vielleicht ein anderer
Versuch zu gänzlich verschiedenen Werten führt.
4. Der Einfluß der Bewegung des Blutes.
Über den Einfluß der mit dem Blute während des Gerinnungsvor¬
ganges vorgenommenen Bewegungen orientiert die folgende Tabelle.
Benutzt wurden wie gewöhnlich Brillengläser von — 10,0 Dioptrien.
Tabelle V.
Versuch
Neigung der Gläser
uz
1
a) jede Minute mehrmals
28
b) jede V Minute 2 mal
58
2
a) jede Minute 2 mal
28
b) jede III Minute 2 mal
37
3
a) jede Minute mehrmals
b) erst gegen Ende der
20
Gerinnung einigemale
47
4
a) jede Minute 2 mal
37
b) jede V Minute 2 mal ,
57
Der Einfluß der Bewegung auf die Gerinnungszeit ist also ganz über¬
raschend groß. Die hieraus resultierende Fehlerquelle ist jedoch leicht
unschädlich zu machen dadurch, daß man das Neigen der Gläschen
nach, der Uhr in regelmäßigen Abständen vomimmt — ich tue es jede
Minute einmal — und nach Möglichkeit darauf achtet, daß die Bewegung
auch gleich weite Exkursionen macht und mit annähernd derselben
Geschwindigkeit ausgeführt wird. Bei Beobachtung dieser Vorsichts¬
maßregeln erhält man sehr gute Übereinstimmung der Parallel versuche.
Will man also nachprüfbare Werte der Gerinnungszeit angeben, so hat
man die Art und Weise, in welcher man die Bewegungen zur Kontrolle
des GerinnungsVorganges ausführte, genau zu beschreiben.
Die Ursache der Gerinnungsbeschleunigung durch die Bewegung.hat
man wahrscheinlich in einer besseren Durchmischung der Blutflüssigkeit
mit dem an der Wand gebildeten Thrombin zu suchen.
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76 E. Wöhliseh : Die physikalischen Grundlagen einer
6. Der Temperatureinfluß.
Die Ausschaltung des Temperatureinflusses gelang durch die Kon¬
struktion des nebenstehend im Längsschnitt abgebildeten Gerinnungs¬
thermostaten*).
Der Apparat besteht aus einem auf 4 Füßen ruhenden Blechkasten
mit doppelten Seitenwänden und doppeltem Boden. Der Außen¬
mantel M des Apparates dient zur Aufnahme des Heizwassers, dessen
Temperatur durch ein von oben hineinragendes Thermometer Th x kon¬
trolliert werden kann. Durch eine
unter den Thermostaten gestellte
kleine Gasflamme kann die Wasser¬
temperatur reguliert werden.
Das herausnehmbare Dach D des
Apparates ist zur Vermeidung von
Wärmeverlusten ebenfalls doppel¬
wandig und mit einer Öffnung in
Form eines kurzen Rohrstutzens ver¬
sehen. Der Apparat hat 2 Doppel¬
fenster, das eine F x an der Vorder¬
wand zur Beobachtung des Innen-
raumes, das zweite F 2 dem ersten
genau gegenüberliegend an der Hin¬
terwand zur Beleuchtung des Innen-
raumes durch Tageslicht oder eine
künstliche Lichtquelle. Die Fenster
sind als Doppelfenster ausgebildet
zwecks besserer Wärmeisolierung.
Während das hintere Fenster fest
eingekittet ist, liegt das vordere
Fenster in einer doppelwandigen
Blechtür T, die den Zugang zum
Innern des Apparates vermittelt. So-
Abb. 2. wohl die Tür wie das Dach des
Apparates erlauben mittels einer
Gummiabdichtung einen luftdichten Verschluß. Das feste Anpressen
der Tür und des Daches wird durch einige drehbare Riegel besorgt.
Dicht über dem Boden des Apparates ist in horizontaler Lage eine
schmale zylindrisch geformte Glühbirne B angebracht, die als Wärme¬
quelle für das Innere dient, um dieses durch kurzes Einschalten des Stro¬
mes schnell auf die gewünschte Temperatur bringen zu können; wegen
der schlechten Wärmeleitfähigkeit der Luft dauert es sonst nämlich
*) Eine kurze Beschreibung des Prinzips dieses Apparates gab ich bereits in
einer früheren Arbeit 8 ).
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rationellen Methodik zur Bestimmung der Gerinnungszeit des Venenblutes. 77
ziemlich lange, bis das Innere der Kammer die Temperatur des Heiz¬
wassers angenommen hat.
Dicht unterhalb der Mitte der Türe führt unter luftdichtem Abschluß
quer durch den Apparat von vom nach hinten eine horizontale Metall¬
achse A, deren vorderes Ende als Griff ausgebildet ist, vermittels
dessen man die Achse in ihren Lagern drehen kann. Die Achse
trägt im Innern des Apparates abnehmbar auf montiert eine Blech -
scheibe mit hochgebogenen Seitenrändem. Diese Scheibe dient als
Unterlage für eine Petrischale und diese wieder zur Aufnahme der
Brillengläser Br für den Gerinnungsversuch. In Höhe der Petri¬
schale wird die rechte Seitenwand durchsetzt von einem kurzen
Rohr. Durch dieses hindurch erfolgt mittels einer längeren Kanüle
das Einspritzen des Blutes in die Gläser. Das Rohr ist für gewöhnlich
durch einen Gummistopfen verschlossen.
Durch Drehen der Achse kann man ein seitliches Neigen der Gläser
zum Zwecke der Kontrolle des Gerinnungsvorganges bewerkstelligen.
Die Fenster liegen mit ihrem unteren Rande gerade in Höhe der Petri¬
schale, so daß man sehr flach über die Blutoberfläche hin gegen die
Lichtquelle visieren kann, was die vorteilhafteste Art der Beobachtung
erlaubt.
Durch die mit durchbohrtem Korken versehene Öffnung des Deckels
führt man ein langes möglichst empfindliches Thermometer Th 2 ein.
Da Wärme Verluste während des Einspritzens des Blutes durch die kleine
seitliche Öffnung nicht eintreten, so kann man sagen, daß die Forderung
der Temperaturkonstanz bei diesem Apparat in vollkommener Weise
erfüllt ist.
Um Verdunsten des Blutes während der Gerinnung zu verhindern,
hat man Sorge zu tragen, daß die Luft im Apparat wasserdampf gesättigt
ist. Ich erreiche dies, indem ich das als Unterlage für die Brillengläser
in der Petrischale dienende Stück Zellstoff mit Wasser durchtränke.
6. Die Ausführung eines Gerinnungsversuehes.
Man stellt zwei sorgfältig mit destilliertem Wasser, Alkohol und
Äther gereinigte Brillengläser von — 10,0 Dioptrien innerer Krümmung
und ca. 4 cm Durchmesser in Richtung der Achse hintereinander in
die mit einer Schicht wassergetränktem Zellstoff ausgekleidete Petri¬
schale, verschließt die Tür und bringt das Wasser im Mantel und die
Luft im Beobachtungsraum auf die gewünschte Temperatur. Man wartet
einige Zeit, damit die Gläser ebenfalls die richtige Temperatur an¬
nehmen können. Dann Venenpunktion mit sauberer und trockener
10 ccm-Spritze und Einspritzen der gleichen Anzahl Tropfen Blut
durch die seitliche Öffnung in jedes der beiden Gläser. Ich verwende
gewöhnlich Blutmengen von 0,75 oder 1,0 ccm.
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78 K. Wölilisrh : Die physikalischen Grundlagen einer
Beim Eintropfen hat man auf genau gleiche Haltung der Nadel zu
achten. Besonders praktisch wäre vielleicht die Verwendung einer
vom rechtwinklig abgebogenen Kanüle ohne Spitze. Aus einer solchen
Kanüle könnte man bei horizontaler Haltung der Spritze das Blut in
vertikaler Richtung in die Gläser tropfen lassen.
Man achtet darauf, daß die Tropfen auf die tiefste Stelle der Gläser
fallen, da nur so eine gleichmäßige Ausbreitung des Blutes zu genauer
Kreisform gewährleistet ist. Dann Verschließen des Eintropfrohres
durch Stopfen.
Notieren der Zeit. Kontrolle der Temperatur.
Jede Minute einmal sanftes Neigen der Schälchen nach beiden Seiten,
wobei darauf zu achten ist, daß das Blut nicht durch Überfließen
seine ursprüngliche kreisförmige Berührungsfläche mit
dem Glase vergrößert, da sonst schnellere Gerinnung erfolgt.
Der Zeitpunkt, in welchem bei Neigung der Schälchen nicht die ge¬
ringste Bewegung der Oberfläche des Blutes mehr wahrzunehmen ist,
wird als Ende der Gerinnung vermerkt.
Die Übereinstimmung der beiden Kontrollen ist bei genauer Beobach¬
tung aller besprochenen Vorsichtsmaßregeln ausgezeichnet. Die Un¬
sicherheit in der Bestimmung des Gerinnungsendes, das ja nicht einen
scharf charakterisierten Augenblick vorstellt wie der Gerinnungsbeginn,
ist nach meinen Erfahrungen nur klein. Derselbe Beobachter erhält
zweifellos Resultate, die ausgezeichnet miteinander vergleichbar sind.
Aber auch die Gerinnungszeiten, die von verschiedenen Beobachtern
unabhängig voneinander an demselben Blut bestimmt werden, scheinen
nur wenig voneinander zu differieren, so daß von hier der Aufstellung
von Normen für die Gerinnungszeit nichts im Wege stehen dürfte.
7. Die Fehlergrenzen der Methode.
Wir haben zum Schluß noch die Fehlergrenzen der besprochenen
Methode zur Bestimmung der Gerinnungszeit zu erörtern. Hierzu noch
einige prinzipielle Bemerkungen:
Wir haben voneinander zu unterscheiden zwei verschiedene Arten
von Fehlerquellen:
A) diejenigen, welche zu Schwankungen in der Bestimmung der
Gerinnungszeit einer Gerinnungsflüssigkeit von konstanten Eigen¬
schaften führen. Nur mit diesen Einflüssen hat sich unsere Arbeit
eingehend beschäftigt und gezeigt, wie man die Störungen elimi¬
nieren kann.
B) die in der Methode zur Blutentnahme liegenden Fehlerquellen.
Diese müssen also allen Methoden zur Bestimmung der Gerinnungszeit
oder der Reaktionszeit des Venenblutes gemeinsam sein. Durch diese
Fehlerquellen wird bewirkt, daß man das Blut nicht in dem Zustande
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rationeilen Methodik zur Bestimmung der Gerinnimgszeit des Venenhlutes.
79
in die Spritze und damit auch in die Gerinnungsgefäße bekommt, wie
es für gewöhnlich in den Gefäßen kreist.
Ein Eingehen auf diese zweite Art der Fehlerquellen, die sich störend
bemerkbar machen können, wenn man etwa die Beeinflussung der Gerin¬
nungsfähigkeit des Venenblutes durch therapeutische Maßnahmen stu¬
dieren will, lag außerhalb des Rahmens dieser Arbeit, die sich nur mit
den physi kalisehe n Grundlagen der Methodik befassen sollte, während
bei der Klasse B der Störungen hauptsächlich chemische oder physi-
kalisch-chemische Einflüsse in Frage kommen dürften. Hier ist zu
denken an Unterschiede der C0 2 -Spannung oder andersartige Beein¬
flussungen der Zusammensetzung des Blutes infolge verschiedenartiger
Maßnahmen bei der Venenpunktion.
Der Gesamtfehler bei einer Bestimmung der Gerinnungsfähigkeit
des Venenblutes setzt sich also zusammen aus den einzelnen Fehlern
der Sorte A und B. Wir sind in der Lage, ihre relative Beteiligung am
Gesamtfehler abzuschätzen.
Beobachtet man die in dieser Arbeit besprochenen Vorsichtsma߬
regeln zur Eliminierung der störenden Einflüsse der Klasse A, so wird
man an einem Blut von sicher konstanten Eigenschaften nur sehr ge¬
ringe Schwankungen der GZ-Werte erhalten, die maximal 6% betragen
dürften. In der Regel wird sogar die Übereinstimmung weit besser
sein. Untersuchen wir aber das Blut eines Menschen, indem wir in mög¬
lichst kurzem zeitlichen Abstande zwei möglichst gleichartige Venen¬
punktionen ausführen und an beiden Blutproben die Gerinnungszeit
bestimmen, so werden wir häufig GZ-Werte finden, die weit weniger
gut miteinander übereinstimmen. Da man nicht gut annehmen kann,
daß das Blut in so kurzer Zeit aus inneren Ursachen eine erheblichere
Änderung seiner Eigenschaften erfährt, so muß man den Grund für
die mangelhafte Übereinstimmung in unbeabsichtigten Verschieden¬
heiten in der Ausführung der Blutentnahme erblicken.
Der Anteil dieser Fehlerquelle ist wie gesagt größer als der unter
A besprochene, jetzt praktisch eliminierte.
Die gesamte Fehlergrenze der Methode schätze ich in Überein¬
stimmung mit Morawitz auf ca. 20%.
Systematische Untersuchungen über die durch die Ausführung
der Blutentnahme bedingten Fehlerquellen und ihre Vermeidung
sind noch im Gange. Es ist zu hoffen, 'daß es durch eine beson¬
dere Methode der Venenpunktion gelingen wird, auch diese Fehler¬
quelle ebenso unschädlich zu machen wie die in dieser Arbeit be¬
sprochenen.
Von der Lösung dieser Aufgabe hängt also nunmehr die Erreichung
unseres Zieles ab: die Aufstellung möglichst engbegrenzter Normen
für die Gerinnungszeit des Venenblutes.
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80
E. VVühlisch: Die physikalischen Grundlagen einer
Nicht dagegen ist dieses Ziel auf dem aus Unkenntnis des relativen
Anteils der verschiedenen Fehlerquellen bisher üblichen Wege zu er¬
reichen, der in der Ersinnung immer neuer, mehr oder minder kompli¬
zierter Methoden zur Bestimmung der Gerinnungszeit bestand.
Zusammenfassung.
Bei den Methoden zur Ermittelung zeitlicher Gerinnungsdaten
sind dem Prinzip nach zu unterscheiden
1. die Methoden zur Bestimmung der „Reaktionszeit“, d. i. der
Zeit von der Blutentnahme bis zum Beginn der Gerinnung und
2. die Methoden zur Bestimmung der eigentlichen „Gerinnungszeit“
(GZ), d. h. der Zeit von der Blutentnahme bis zum Festwerden des Blutes.
Die Unterscheidung hat praktische Wichtigkeit, da von dem Prinzip
der verwendeten Methode die Zahl und Art der in Betracht kommenden
Fehlerquellen abhängt.
Hat man eine Gerinnungsflüssigkeit mit konstanten Eigenschaften,
so ist die ermittelte Reaktionszeit abhängig von folgenden äußeren
Bedingungen:
a) von der Versuchstemperatur,
b) von den mechanischen Manipulationen, die mit dem Blut während
des Gerinnungsvorganges vorgenommen werden; die Reaktionszeiten
sind dagegen unabhängig von der verwendeten Blutmenge und von
der Form des zur Untersuchung benutzten Glasgefäßes.
Bei den Methoden zur Bestimmung der Gerinnungszeit sind dagegen
diese beiden Faktoren mit von ausschlaggebender Bedeutung.
Es werden an einer Methode zur Bestimmung der Gerinnungszeit,
deren Prinzip von Morawitz und Bierich stammt, Untersuchungen
angestellt über den zahlenmäßigen Einfluß der verschiedenen Fehler¬
quellen. Die Untersuchungen haben im wesentlichen folgende Er¬
gebnisse :
1. Es wird eine Fehlerquelle bei der Abmessung der zu untersuchen-
% den Blutmenge aufgedeckt, die darin besteht, daß die Tropfengröße eine
starke Abhängigkeit von der Haltung der Spritze beim Austropfen
des Blutes aufweist.
2. Es wird gezeigt, daß nur die Blutportionen einer Punktion zu
Gerinnungsuntersuchungen verwendet werden dürfen, die sich ohne
Anwendung von stärkerem Druck aus der Spritze in die Gläser bringen
lassen. Setzt die Gerinnung bereits in der Spritze ein, was man an dem
größeren Widerstande beim Ausspritzen erkennt, so erhält man unter
Umständen viel zu kurze Gerinnungszeiten infolge der Beschleunigung
des Gerinnungsvorganges durch in der Spritze vorgebildetes Fibrin.
3. Es wird der Einfluß der Form des Gerinnungsgefäßes auf die Größe
der Gerinnungszeit untersucht. Benutzt werden hierbei Brillengläser
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rationellen Methodik zur Bestimmung der Gerinnungszeit des Venenblutes. 81
verschiedenen Krümmungsgrades. Unter sonst gleichen Bedingungen
ist die Gerinnungszeit um so größer, je stärker die Krümmung des ver¬
wendeten Glases ist. Bei vollkommener Ausbreitung der Gerinnungs¬
flüssigkeit auf einer planen Glasfläche müssen die Begriffe „Reaktionszeit
und „Gerinnungszeit“ zusammenfallen. Es werden die theoretischen
Gründe für dieses Verhalten erörtert.
Es wird dann gezeigt, daß die Übereinstimmung von Parallelversuchen
um so besser ist, je tiefer die benutzten Gläser sind. Als gut geeignet
für Gerinnungsuntersuchungen werden bikonkave Brillengläser von
— 20,0 Dioptrien brechender Kraft = —10,0 Dioptrien Oberflächen¬
krümmung empfohlen. Es wird nachgewiesen, daß die Verwendung
zu flacher Gläser zu völlig falschen Ergebnissen bei der Bestimmung
der Gerinnungszeiten führen kann.
4. Es wird gezeigt, daß häufigeres Bewegen der Gerinnungsgläser
den Vorgang der Gerinnung außerordentlich staTk beschleunigt.
5. Eis wird die Konstruktion eines Gerinnungsthermostaten be¬
schrieben, der gestattet, die Beobachtung des Gerinnungsvorganges
bei beliebig einstellbarer konstanter Temperatur vorzunehmen.
Bei Einhaltung aller besprochenen Vorsichtsmaßregeln ist die Über¬
einstimmung von Parallelversuchen an einer Gerinnungsflüssigkeit mit
konstanten Eigenschaften sehr befriedigend. Nach Ausschaltung der
in der Arbeit untersuchten Fehlerquellen liegen die Hauptschwierigkeiten
bei Gerinnungsuntersuchungen in der Methode der Blutentnahme aus
der Vene. Diese Fehlerquelle bedarf zu ihrer Beseitigung noch weiterer
eingehender‘Untersuchungen, über deren Ergebnisse später berichtet
werden wird.
Literaturverzeichnis.
*) Morawitz, Die Blutgerinnung, in Abderhaldens Handbuch der biochemi¬
schen Arbeitsmethoden 5, 1. — 2 ) Btirker, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1#£,
36; 118, 452. — ? ) Morawitz und Bierich, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol.
56,115. 1906. — 4 ) Fonio, Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. fcT. — 6 ) Sahli,
Dtsch. Arch. f. klin. Med. 1910, S. 99. — *) Wöhlisch, Münch, med. Wochenschr.
1921, Nr. 43. — 7 ) Wöhlisch und Pieritz, dieses Heft. — 8 ) Wöhlisch, Münch,
med. Wochenschr. 1921, Nr. 31. — ü )Stephan, Münch, med. Wochenschr. 1920,
Nr. 11.
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII.
6
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Untersuchungen zur Methodik der vergleichenden Thrombin-
bestimmung im Serum.
(Wöhlisch, Untersuchungen über Blutgerinnung, V.)*)
Von
Edgar Wöhlisch und Konrad Pieritz.
v (Aus der Medizinischen Klinik zu Kiel. [Direktor: Prof. Dr. A. Schiiten hei m].)
(Eingegangen am 16. Januar 1922.)
Der Vorgang der Gerinnung des Blutes zeigt in seinem zeitlichen
Verlauf eine komplizierte, noch keineswegs voll aufgeklärte Abhängig¬
keit von einer ganzen Anzahl verschiedener Faktoren.
Hier wären unter anderen zu nennen die Konzentration des Fibrino¬
gens im Plasma sowie der durch das jeweilige physikalisch-chemische
Milieu bedingte Dispersitätsgrad dieses Eiweißkörpers. Des weiteren
hat man zu denken an die Anwesenheit von gerinnungshemmenden
oder fördernden Stoffen, die in anderer Weise als durch Änderung des
Dispersitätsgrades die Geschwindigkeit der Gerinnung beeinflussen
können.
Endlich ist von ausschlaggebender Bedeutung die im Blute gebildete
mehr oder minder große Menge des Thrombins, also jener gerinnungs-
auslösenden Substanz, die nach den älteren Gerinnungstheorien von
A. Schmidt und C. Morawitz als ein Ferment aufgefaßt wird, durch
das die Umwandlung des gelösten Fibrinogens in das unlösliche Fibrin
bewirkt wird, während neuere Theorien der Gerinnung (z. B. die von
A. Nolf oder von Herzfeld und Klinger) dem Thrombin den Ferment¬
charakter absprechen wollen.
Aufgabe der wissenschaftlichen Analyse ist es, nach Möglichkeit
den jeweiligen Angriffspunkt eines gerinnungsbeeinflussenden Agens
aufzudecken.
Uns interessiert hier insbesondere die Summe jener Agenzien, die
sich im Serum des Blutes nach Ablauf des Gerinnungsvorganges nach wei¬
sen lassen, wobei der Wichtigkeit nach an erster Stelle der wechselnde
Thrombingehalt des Serums stehen dürfte. Es ist hier zu bemerken,
*) Mitteilung I. Münch, med. Wochenschr. 1921, Nr. 8. Mitteilung II. Münch,
ined. Wochenschr. 1921, Nr. 30. Mitteilung III. Münch, med. Wochenschr. 1921.
Nr. 43. Mitteilung IV. Dieses Heft, vorstehende Arbeit.
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E. Wöhlisch u. K. Pieritz: Methodik der vergleich. Thrombinhestimmung usw. 82
daß die quantitative Ermittelung der im Serum vorhandenen Thrombin¬
menge keineswegs der Bestimmung der gesamten während der Gerin¬
nung gebildeten Thrombinmenge gleichkommt. Denn einmal wird,
wie besonders Stromberg, ein Schüler von Morawitz, nachgewiesen
hat, ein großer Teil des gebildeten Thrombins von dem Fibrin wahrschein¬
lich durch einen Adsorptionsvorgang gebunden. Außerdem geht aber
auch das im Serum vorhandene Thrombin im Laufe der Zeit in einen
inaktiven Zustand (Metathrombin nach Morawitz) über. Trotz
alledem ist eine vergleichende Bestimmung des Thrombingehaltes des
Serums von großer Bedeutung, wie im folgenden noch an einigen Beispie¬
len erläutert werden wird.
Zur möglichst genauen quantitativen Bestimmung des Thrombins
liegt eine Methode von Wohlgemuth 1 ) vor, die darauf beruht, daß
das Thrombin durch Magnesiumsulfat unter Geltung stöchiometrischer
Beziehungen paralysiert werden soll. Bei der Wohlgemuthschen Me¬
thode wird demgemäß eine Reihe von Reagensgläsem mit absteigenden
Quantitäten Serum beschickt, die Volumdifferenzen mit den entspre¬
chenden Mengen 1 proz. kalkfreier Kochsalzlösung ausgeglichen und
jedem Glas 2 ccm eines nach A. Schmidt bereiteten Magnesiumsulfat¬
plasmas zugesetzt. Indem man nach 24 ständigem Verweilen der Gläser
im Eisschrank kontrolliert, welche Serummenge eben noch gerinnungs-
auslösend wirkt, kann man den Grenzwert der koagulierenden Kraft
des Serums bestimmen und hat damit ein relatives Maß für seinen
Throm bingehal t.
Über eine neue, besonders einfache und schnell zum Resultat füh¬
rende Methode berichtete R. Stephan 2 ). Er ermittelte die von einer
bestimmten Menge des zu untersuchenden Serums durch Zusatz zu
einem frischen Kontrollblute in diesem hervorgerufene Beschleunigung
der Gerinnung. Man bestimmt zu diesem Zweck einmal die Gerinnungs¬
zeit (GZ) von 1 ccm des Blutes ohne Serumzusatz, indem man den
Zeitpunkt ermittelt, in dem das in einem Uhrschälchen befindliche Blut
bei einer Neigung des Schälchens keine Bewegung seiner Oberfläche
mehr erkennen läßt. In gleicher Weise bestimmt man die GZ von 1 ccm
desselben Blutes, dem 0,05 ccm des zu untersuchenden Serums zu¬
gesetzt sind.
Den Quotienten aus den GZ-Werten des Kontrollblutes ohne Serum
und mit Serumzusatz bezeichnet Stephan als ,,Gerinnungsbeschleu¬
nigungsfaktor“. Über diese Größe äußert sich Stephan folgender¬
maßen: ,,Der GBF des Normalserums hat sich in sehr zahlreichen Ver¬
suchen als Konstante erwiesen, die zwischen 1,4 und 1,8 schwankt,
vorausgesetzt, daß Normalblut zum Gerinnungsversuch verwendet wird.“
Es muß hier sogleich bemerkt werden, daß die Stephansche Methode
streng genommen nicht lediglich den Thrombingehalt des Serums ermit-
6 *
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84
ft. Wöhlisch und K. Picritz:
telt, sondern vielmehr die Summe der im Serum enthaltenen gerinnungs¬
aktiven Einflüsse. Denn „gerinnungsbeschleunigend' 4 können die verschie¬
densten Substanzen wirken, die mit dem Thrombin nicht das geringste zu
tun haben; nur solchen Agenzien dagegen, die fähig sind, den Gerinnung¬
vorgang wirklich ,,auszulösen“ können wir vorläufig definitionsgemäß
den Thrombincharakter zuerkennen. Dabei bleibt vorerst dahingestellt,
ob das Thrombin überhaupt eine einheitliche, chemisch charakterisier¬
bare Substanz darstellt.
Da es indessen alle Wahrscheinlichkeit für sich hat, daß der bei wei¬
tem größte Anteil an der gerinnungsbeschleunigenden Wirkung eines
Serums auf das Thrombin entfällt, so soll auch in dieser Arbeit, die sich
mit Methoden zum Nachweis einer Gerinnungsbeschleunigung befaßt,
der Einfachheit halber vom wechselnden Thrombingehalt gesprochen
werden, statt, wie es richtiger wäre, von der „Summe der gerinnungs¬
beschleunigenden Einflüsse“.
Die eben besprochene Methode hat bisher folgende Anwendung ge¬
funden: Stephan stellte fest, daß durch eine Röntgenbestrahlung der
Milz der GBF-Wert eines Serums ansteigt, während gleichzeitig die
Gerinnungszeit eines Blutes abnimmt. Während aber nach einigen
— etwa 3 — Stunden die GZ ihr Minimum erreicht, um bald wieder zum
Normalw r ert zurückzukehren, steigt der GBF weiter an und soll sein
Maximum erst wesentlich später erlangen. Derselben Methode bedienen
sich weiter Nonnenbruch und Szyska bei ihren Untersuchungen
über Gerinnungsbeschleunigung durch Milzdiathermie 3 ) sowie durch
Injektion von Euphyllin und anderen Aminen 4 ). Sie verwendeten die
Stephansche Methode neben der von Wohlgemuth und konnten
ein Parallelgehen der mit den beiden Methoden erzielten Ergebnisse
feststellen. Ein Beweis für die Richtigkeit der eben geäußerten Ansicht,
daß der Hauptanteil der Gerinnungsbeschleunigung dem Thrombin
zu verdanken ist.
Mit der GBF-Methode arbeitete ferner der eine von uns (Wöhlisch)
in Untersuchungen über Blutgerinnung bei Splenektomierten 6 ). Es
konnte gezeigt w r erden, daß tatsächlich nach Exstirpation der Milz
eine Röntgenbestrahlung der Milzgegend keinen Effekt auf GZ und
GBF ausübt. Ferner zeigte Wöhlisch, daß GZ und GBF bei Hämo¬
philen 6 ) durch Röntgenbestrahlung im selben Sinne beeinflußt werden
wie beim Normalen und endlich 7 ), daß der GBF-Wert des Hämophilen
durchaus von derselben Größenordnung ist wie der des Normalen,
trotz der enormen Verlangsamung der hämophilen Blutgerinnung.
In einer kürzlich erschienen Arbeit berichtet Stephan 8 ), daß solche
Einwirkungen auf den Organismus, die eine Erhöhung der gerinnungs¬
beschleunigenden Kraft des Serums bewirken, auch zu einer Steigerung
der proteolytischen Fähigkeit des Serums führen. Stephan bringt beide
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Untersuchungen zur Methodik der vergleich. Thrombinbestiininung im Serum. 85
Erscheinungen in ursächlichen Zusammenhang, indem er annimmt,
daß der höhere Trypsingehalt des Serums zu einer vermehrten Bildung
von niederen Eiweißabbauprodukten und ihren Ca-Verbindungen
— d. h. von Thrombin nach Herzfeld und Klinger — führe.
Wir sehen aus den vorstehenden kurzen Andeutungen, daß eine
Thrombinbestimmung im Serum ein großes theoretisches Interesse
besitzt.
Hatte die vorstehende Arbeit das Ziel, die Methodik zur Bestimmung
der Gerinnungszeit eines Blutes auf eine möglichst exakte Basis zu stel¬
len, so soll diese Arbeit einen kritischen und experimentellen Beitrag
liefern zur Methodik der Thrombinbestimmung im Serum. Dabei
befaßt sich der erste Teil unserer Arbeit mit der Frage, ob tatsächlich
die von Stephan eingeführte, als Gerinnungsbeschleunigimgsfaktor
bezeichnete Größe die Eigenschaften einer Konstante. aufweist.
Im zweiten Teil der Arbeit berichten wir über eine neue Methode zur
Bestimmung der gerinnungsbeschleunigenden Kraft eines Serums,
die sich durch besondere Einfachheit und Exaktheit auszeichnet.
Teil I.
Stellt der Gerinnungsbesehleunigungsfaktor eine Konstante vor?
Der Gedanke, daß der Quotient aus den GZ-Werten eines Blutes mit
und ohne Serumzusatz sich als eine Konstante erweisen soll, erscheint
bei oberflächlicher Überlegung recht einleuchtend. Denn es ist ja
denkbar, daß die Änderung der beiden Gerinnungszeiten, die an sich
eine starke Variabilität mit den äußeren Bedingungen auf weisen,
stets in proportionalem Verhältnis erfolgte, so daß ihr Quotient den
gleichen Wert bei behält.
Ob dies zutrifft, soll durch die folgenden Untersuchungen entschieden
werden. Im Anschluß an die Untersuchungen der vorherstehenden Arbeit
über die Abhängigkeit der Gerinnungszeit eines Blutes von der Tempe¬
ratur, der Krümmung der Oberfläche des Schälchens, mit der das Blut
w ährend der Gerinnung in Berührung steht, sowie von der mechanischen
Bewegung des Blutes prüften wir, ob sich diese Einflüsse durch
Bildung des Quotienten gerade kompensieren, so daß eine Konstante
resultiert.
Ferner wurde noch untersucht, wie groß die Schwankung des GBF-
Wertes eines Serums ist, wenn man sich zur Ermittelung dieses Wertes
verschiedener Kontrollblute bedient.
1. Besteht ein Einfluß der mechanischen Bewegung des
Blutes während des Gerinnungsvorganges auf die Größe
des GBF-Wertes?
Wir sagten eben, daß sich der Gedanke von der Konstanz des GBF-
Wertes bei oberflächlicher Überlegung als einleuchtend erweist.
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Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
86
E. Wühlisch mul K. Pieritz:
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Überlegt man sich die Sachlage jedoch genauer, so kommen sofort Be¬
denken, die wir an dieser Stelle eingehender besprechen wollen:
Die Gerinnungszeit eines Blutes wird durch Bewegung (Rühren,
Schaukeln) stark abgekürzt. Dies beruht sicherlich zum großen Teil,
wenn nicht sogar ausschließlich, darauf, daß durch die Bewegung dem
an der Glaswand entstehenden Thrombin die Vermischung mit der
Blutflüssigkeit erleichtert wird. Physikalisch gesprochen: Die Ver¬
mischung erfolgt bei Bewegung des Blutes zum größten Teil durch
,,Konvektion“, während sie in der Ruhe nur durch den langsamen
Vorgang der Diffusion besorgt wird.
Neben dieser Art der Beschleunigung der Gerinnung durch Bewegung
ist noch eine zweite Möglichkeit hierfür denkbar ; es kann nämlich durch
die Bewegung direkt die Ausflockung des Fibrinogens erleichtert wer¬
den. Ob dies der Fall ist, bzw. ob diese Frage überhaupt untersucht
ist, darüber ist uns nichts bekannt. Es soll dieser Punkt ebenso wie
andere Fragen aus der physikalischen Chemie der Gerinnung einer spe¬
ziellen Untersuchung unterzogen werden. Da es sich bei der Bestimmung
der GZ eines Blutes stets nur um ein sehr sanftes Neigen der Glas¬
schälchen handelt, so dürfte diese zweite mögliche Art der Beschleuni¬
gung des GerinnungsVorganges kaum eine wesentliche Rolle spielen.
Denn die Hauptbewegung ist hierbei eine Bewegung des Blutes relativ
zur Glasoberfläche, also gerade eine Bewegung der thrombinbildenden
Blutschicht, während das Innere des Blutes um so mehr in Ruhe bleibt,
je weiter der Abstand von der Glaswand ist.
Was folgt aus diesen Betrachtungen für unsere Frage nach der
Konstanz des GBF?
In dem Gläschen, welches das Kontrollblut ohne Serumzusatz
enthält, muß der Einfluß der Bewegung des Schälchens sich in der üb¬
lichen Weise geltend machen. In dem Gläschen mit Serumzusatz
jedoch erfolgt die Gerinnung zum größten Teil durch das von vorn¬
herein mit der Blutflüssigkeit gut vermischte zugesetzte Thrombin.
Da nun diese Phase der Gerinnung, die Einwirkung des Thrombins
auf das Fibrinogen nach dem oben Gesagten von der Bewegung unbe¬
einflußt bleiben dürfte, so kann sich in dem Gläschen mit Serumzusatz
nur eine geringe oder gar keine Beschleunigung der Gerinnung durch
stärkeres Schaukeln der Gläser bemerkbar machen. (Selbstverständliche
Voraussetzung ist stets, daß das Glas ohne und mit Serum gleich oft
und in gleicher Weise bewegt wird.)
Wir werden also vermuten, daß der Quotient aus den Ge¬
rinnungszeiten der Kontrolle ohne Serum und mit Serum
durch häufigere Bewegung der Gläser zum Zwecke der Be¬
stimmung des Gerinnungsendes kleinere Werte annehmen
\v i r d.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Untersuchungen zur Methodik der vergleich. Thromhinhestimniumr im Serum. 87
Die Richtigkeit dieser Überlegungen wurde durch die Versuche voll¬
bestätigt, deren zwei in der Tab. I zusammengestellt sind.
Tabelle I.
Versuch ' Bewegung der Glflser
Gerinnungssystem
uz 1
GBF
1 , Jede Minute 5 mal
Blut A allein
36
2,0
1 !
Blut A + Ser.
18
Jede III Minute 1 mal j
Blut A allein !
55
3.1
J
i i
Blut A + Ser.
18
«
2 i 1 Jede Minute 5 mal
Blut B allein
25
2,3
Blut B + Ser.
11
Jede IV Minute 2 mal
Blut B allein
45
3,8
i
Blut B 4- Ser. |
12
2. Ist der GBF abhängig
von der Form
des zum
Gerin-
nungsversuch verwendeten
Gefäßes?
In der vorherstehenden Arbeit
wurde gezeigt, daß die Gerinnungszeit
eines Blutes in erheblichem Maße von der Form des Gefäßes, in welchem
der Gerinnungsversuch vorgenommen wird, abhängt, und zwar derart,
daß die gleiche Blutmenge unter sonst gleichen Bedingungen in einem
flacheren Gefäße schneller gerinnt als in einem tieferen. Es hat daher
keinen Sinn, absolute Angaben über Gerinnungszeiten zu machen,
wenn man nicht dabei mit angibt, wie stark die Krümmung der Ober¬
fläche des Gerinnungsgefäßes ist. Es lag nahe, zu untersuchen, ob man
mit demselben Serum und demselben Kontrollblute in Gläsern verschie¬
dener Krümmung gleiche oder verschiedene GBF-Werte erhält. Tab. II
Tabelle II.
Versuch
11 t |
Kr.
! GZi
UZu ]
GBF
1
21,5*
—15
98
53 1
1,8
— 10
86
42 1
2,0
— 2,5
53
• 27
1,9
2
. 20,0
—15
48
12
4,0
— 2,5
42
11
3,8
3
18.0°
— 10
71
17
4,2
- 2,5
57
13
4,4
4
16,0
— 15
169
20 ,
8,5
—10
141
14
10,1
2,5
85
8
10,6
5
18.0
— 15
64
1 10
6,4
— 10
60
1 9
6,7
- 2,5
40
1 7
5,7
6
18,5 15
— 15
89
i 22
4,0
— 10
51
1 14
3,6
— 2,5
46
12 1
3,8
7
17,0°
-15
102
10,0
6,8
— 10
79
12,5
6,7
— 2,5
47
8
5,9
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
88
K. Wöhlisch und K. Pieritz:
enthält die Ergebnisse der Versuche. Unter Kr. ist die Krümmung der
inneren Oberfläche des verwendeten Brillenglases, gemessen in Dioptrien,
verzeichnet. GZ X ist die Gerinnungszeit des Kontrollblutes ohne Serum,
GZjj die des Kontrollblutes mit Serumzusatz.
Ergebnis: Eine eindeutige Abhängigkeit des GBF-Wertes von der
Krümmung des Glasfläche ist nicht nachzuweisen. Die in einigen
Versuchen nicht unerheblichen Schwankungen des GBF zeigen keiner¬
lei Regelmäßigkeit, sie fallen der Ungenauigkeit der Methode zur Last.
3. Besteht eine Abhängigkeit des GBF von der Versuchs¬
temperatur?
Aus theoretischen Gründen ist ein Einfluß der Temperatur zu er¬
warten, da nur die eine der beiden Phasen der Gerinnung, die Bildung des
Thrombins, einen erheblichen Temperaturkoeffizienten besitzt, während
die Einwirkung des fertigen Thrombins auf das Fibrinogen von der
Temperatur nur sehr wenig abhängig ist. Die Verhältnisse liegen hier
also ähnlich wie bei der Frage nach dem Einfluß der Bewegung auf den
GBF.
Unsere Versuche hatten kein ganz eindeutiges Resultat, weshalb wir
auf eine Wiedergabe derselben verzichten. Einige zeigten tatsächlich
die Temperaturabhängigkeit in dem erwarteten Sinne, während sich
in anderen Versuchen kein Einfluß der Temperatur nachweisen ließ.
Die fehlende Eindeutigkeit der Versuche schreiben wir dem Umstande
zu, daß die noch zu besprechende Ungenauigkeit der Bestimmung
des Gerinnungsendes bei Zusatz von Serum sich in diesem Falle, wo
Parallelbestimmungen des GBF bei Zimmertemperatur und bei 37 c
ausgeführt wanden*), ganz besonders störend bemerkbar machte.
Aus Gründen der Theorie und nach dem Ausfall einiger
von unsern Versuchen möchten wir jedenfalls dafür halten,
daß nur GBF-Werte gleicher Temperatur vergleichbare
Daten vorstellen.
4. Die Schwankungen des GBF eines Serums bei Ver¬
wendung verschiedener Kontrollblute.
Nach Stephan soll der GBF bei Verwendung von Normalblut
nur innerhalb ziemlich enger Grenzen (1,4—1,8) schwanken. Es inter¬
essierte uns die Frage nach der Größe der Schwankung bei wahlloser
Verwendung von Kontrollbluten, wie sie uns in dem Patienten material
der Klinik zur Verfügung stehen. Da mit Sicherheit normale Menschen
selbst in einer größeren Klinik durchaus nicht immer zur Verfügung
stehen, wenn man ihrer als Spender eines Kontrollblutes bedarf, so hatte
unsere Frage praktisches Interesse. Ausgeschlossen wurden bei unsern
L T ntersuchungen nur solche Patienten, bei denen von vornherein ein
*) Letztere in dem in der vorherstehenden Arbeit beschriebenen Cerinnunps-
thermostaten.
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Original from
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Untersuchungen zur Methodik der vergleich. Thrombinbestimniung im Serum. 89
pathologisches Gerinnungssystem zu erwarten war, wie z. B. Hämophile
oder Ikterische.
Da uns die Absolutwerte des GBF nicht interessierten, so wurde auf
das Alter der verschiedenen verwendeten Sera nicht besonders geachtet.
Eigentlich pathologische Gerinnungszeiten wurden in dieser Versuchs¬
reihe, in der 20 verschiedene Kontrollblute (Tab. III, Versuch 1 — 10,
Blut a und b) und 10 verschiedene Sera untersucht wurden, nicht beob¬
achtet, auffallend waren nur einige besonders kleine GZ-Werte (Versuch
7a und 9 b), so daß wir nicht anstehen möchten, den meisten der Unter¬
suchten ein normales Gerinnungssystem zuzusprechen. Da die Ein¬
haltung einer konstanten Temperatur in der ganzen Versuchs¬
reihe kein Interesse hatte, so wurden die Versuche bei Zimmer¬
temperatur angestellt.
Tabelle III.
Versuch ||
GZ!
GBF
Versuch
GZj
GZn
GBF
la T
93
8,6
10,9
6a
80
47
1,7
b
77
9
8,6
b
63
32
2,0
2 a
80
17
4,7
7 a i
22
10
2,2
b
63
22
2,9
b
52
15
3,5
3a
84
42
2,0
8a
117
20
5,9
b
76
19
4,0
b
118 |
14 i
8,4
4a
79 j
16
6,3
9a
106
47
2,3
b
53 j
17
3,1
b
39 1
11 i
3,5
5a
83
! 26
3,2
10 a
67
9 !
7,4
b
65
1 17
1 1
3,8
b
77 ]
14
|
5,5
Die Schwankungen des GBF-Wertes im selben Versuche sind also
unter Umständen recht erheblich (siehe besonders die Versuche 2, 3
und 4). Eine eindeutige Beziehung des GBF zur GZ desKon-
trollblutes ist nicht zu erkennen, denn in einigen Versuchen
liefert die Kontrolle mit der kürzeren Gerinnungszeit den kleineren
GBF-Wert (Versuch 1, 2, 4 und 7), während sich in anderen Versuchen
gerade das entgegengesetzte Verhalten findet.
Unsere ICrfahrungen mit der Stephanschen Methode können wir
etwa folgendermaßen zusammenfassen: Die Methode ist zur schnellen
Orientierung über den Gehalt eines Serums an gerinnungsbeschleuni¬
genden Stoffen sehr wohl geeignet. Sie liefert jedoch nur bei einiger
Übung zuverlässige Resultate. Es fiel uns nämlich stets auf,
daß sich der Endpunkt der Gerinnung bei Zusatz von Serum
bei weitem nicht mit derselbenGenauigkeit feststellen läßt
wie bei einem Blute ohne Serumzusatz. Selbst der Geübte wird
häufig im Zweifel sein, welchen Zeitpunkt er sich als Gerinnungsende
notieren soll. Das liegt daran, daß der Gerinnungsvorgang nicht so
gleichmäßig vor sich geht wie im Blut ohne Zusatz, sondern anfangs.
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
90
E. Wühlisrh und K. Pieritz:
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wo der Thrombingehalt des zu gesetzten Serums am größten ist, mit größe-
i er Geschwindigkeit abläuft als später, wo schon ein Teil des zugesetzten
Thrombins verbraucht ist. Es kommt dann schüeßlich oft ein Moment,
von dem ab die Gerinnung keine Fortschritte mehr zu machen scheint,
obwohl die Blutmasse noch nicht völlig erstarrt ist. Der Geübte wird
trotzdem selten im Zweifel sein, welchem von zwei Seris, die er unter
Benutzung desselben Kontrollblutes untersucht, er die stärkere Gerin¬
nungsaktivität zuschreiben soll. Denn er kann den Ablauf der Gerinnung
‘beobachten und daraufhin meist schon vor völliger Beendigung derselben
angeben, welches Blut schneller gerinnt. Seine Zahlenangaben endlich
werden untereinander vergleichbar sein, da er wirklich einander ent¬
sprechende Stadien der Gerinnung als Endpunkt ansehen wird.
Infolge* der Unsicherheit in der Bestimmung des Gerinnungsendpunk¬
tes haftet der Methode aber eine gewisse Willkür an, und es können
zwei verschiedene Beobachter, was die absolute Dauer des Gerinnungs¬
vorganges anbelangt, zu erheblich verschiedenen Resultaten kommen.
Da sich diese Unsicherheit nur bei der Bestimmung der GZ des Blutes mit
Serumzusatz findet, nicht dagegen beim unvermischten Blut, so
folgt, daß verschiedene Beobachter zu ganz verschiedenen absoluten
GBF-Werten kommen können. Die GBF-Werte haben daher unseres
Erachtens als Absolutwerte, als ,,Konstante“, wie sie Stephan ver¬
standen wissen will, keine Bedeutung, selbst wenn man, was Stephan
nicht getan hat, bemüht ist, auf möglichste Gleichheit in den äußeren
Versuchsbedingungen — Bewegung der Gläser, Temperatur — zu
achten. So sind mit Ausnahme eines unsere sämtlichen GBF-Werte der
Tab. III höher als der von Stephan aufgestellte Normalwert.
Eine weitere Unannehmlichkeit ist die, daß bei Serumzusatz der
sich bildende Blutkuchen oft eine geringere Neigung zum Haften an
der Glasfläche besitzt als beim unveränderten Blut, so daß durch vor¬
zeitige Ablösung des Gerinnsels der Versuch vor Erzielung eines Er¬
gebnisses unterbrochen wird. Es ist deshalb ratsam, beim Neigen der
Schälchen ganz besondere Vorsicht walten zu lassen.
Teil II.
Eine neue Methode zur Messung der Gerinnungsbeschleunigung durch
ein Serum (nach Wöblisch).
Die besprochenen Mängel der Stephanschen Methode zur Messung
der gerinnungsbeschleunigenden Kraft eines Serums erweckten den
Wunsch nach einer Methode, die an Schnelligkeit und Einfachheit der
Ausführung der Stephanschen nicht nachsteht, sie jedoch darin über¬
trifft, daß sie eine mit weniger Fehlerquellen behaftete, exaktere und
vom subjektiven Ermessen weniger abhängige Bestimmung der zeit-
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Untersuchungen zur Methodik der vergleich. Thrombinbostininiung im Serum. 91
liehen Gerinnungsdaten zuläßt. Diese Bedingungen scheint die im fol¬
genden beschriebene neue Methode zu erfüllen.
Ihr Prinzip besteht darin, daß die Gerinnungsbeschleunigung eines
Serums nicht durch Ermittelung der Gerinnungszeiten eines Kontroll-
blutes, sondern der Reaktionszeiten erfolgt, d. h. durch Bestim¬
mung der Zeit, die von der Entnahme des Blutes bis zum Beginn des
Gerinnungsvorganges verläuft. Die Ermittelung der Reaktionszeit
geschieht nach einem neuen, für unsere Zwecke besonders geeigneten
Verfahren. Es wird nämlich das zu untersuchende Blut durch destillier¬
tes Wasser hämolysiert und dadurch durchsichtig gemacht. In der
so erhaltenen fast völlig klaren roten Flüssigkeit, die man in einem
Reagensglase gegen eine helle Lichtquelle beobachtet, markiert sich
der Moment des Gerinnungsbeginnes mit erstaunlicher Schärfe durch das
plötzliche Auftreten einer flockigen Trübung.
Die Methode unterscheidet sich von allen bisherigen Methoden
zur Ermittelung der zeitlichen Gerinnungsdaten dadurch, daß bei ihr
die Zellen des Blutes zerstört w r erden und dabei wahrscheinlich ihre ge-
rinnungsfordernden Substanzen an die Blutflüssigkeit abgeben. Will
man daher die neue Methode lediglich zu Untersuchungen über die
Gerinnungsfähigkeit verschiedener Blutsorten verwenden, so ist es
von vornherein fraglich, ob die auf diese Weise erhaltenen Werte
stets mit den z. B. nach Bürker erhaltenen Reaktionszeiten oder den
im Brillenglase ermittelten Gerinnungszeiten parallel gehen werden.
Denn es ist der Fall denkbar, daß etwa eine bestimmte Blutsorte aus
dem Grunde langsamer gerinnt als eine andere, weil die in ihren Blutzel¬
len zwar in normaler Menge vorhandenen gerinnungsfördemden Sub¬
stanzen aus irgendeinem Grunde besonders langsam an die Blutflüssig¬
keit abgegeben werden. Bei einem Vergleich der beiden Blutsorten auf ihre
Gerinnungsfähigkeit nach erfolgter Hämolyse könnte der Unterschied
möglicherweise fortfallen, da dann bei beiden Bluten die gerinnungs¬
fördemden Stoffe momentan in Freiheit gesetzt werden. Es bedarf daher
noch besonderer Untersuchung, ob die mit der neuen Methode erhaltenen
Gerinnungsdaten stets ein den mit den älteren Methoden gewonnenen
Daten paralleles Verhalten aufweisen. Über die Ergebnisse dieser Unter¬
suchungen, die noch im Gange sind, soll später einmal berichtet werden.
Uns interessiert hier aber vorläufig nur, wieweit sich die neue Methode
zur Bestimmung der gerinnungsfördemden Kraft eines Serums eignet
und für diesen Zweck ist die eben erörterte noch unentschiedene
Frage natürlich ohne Belang, da ja hier stets ein und dasselbe Kontroll-
blut für einen Versuch gebraucht wird.
Bevor wir auf die Lmtersuchungen über die Methode eingehen, lassem
wir eine genaue Beschreibung der Ausführung eines Versuches zur Be¬
stimmung der ,,Reaktionszeit im häinolysierten Blut“ (RZH) folgen.
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
92
K. Wöhlisch und K. Pieritz:
Ausführung eines Versuches: Die Methode erfordert keine be¬
sondere Apparatur. Man bedarf nur eines kleinen Kochtopfes als Wasser¬
bad, eines kleinen in das Wasserbad passenden metallenen Reagens¬
glasständers, einiger Reagensgläser, einiger Glasstäbe, eines Dreifußes
für das Wasserbad, ferner eines Thermometers, eines Bunsen- oder andern
kleinen Brenners und einer möglichst hellen Lampe.
Aus einigen Glasstäben von ca. 15 cm Länge und 4 mm Dicke stellt
man sich Rührer her, indem man das glühend gemachte Ende des Stabes
durch Aufdrücken auf eine Unterlage stempelartig auseinanderpreßt,
so daß der Durchmesser des Stempels etwa 8 mm beträgt.
Die für die Versuche benutzten Reagensgläser sollen möglichst
von gleicher Weite sein, was man am einfachsten daraus erkennt, daß
abgemessene gleich große Flüssigkeitsmengen in allen Gläsern gleich
hoch stehen. So ist Gewähr gegeben, daß das Blut in allen Gläsern
mit einer gleich großen Glasfläche in Berührung steht.
Die Gläser werden mit gleichen Mengen destillierten Wassers gefüllt,
dem man im Falle der Untersuchung eines Serums eine möglichst genau
abgemessene Menge davon zusetzt, und kommen dann in das im Wasser -
bade befindliche kleine Reagensglasgestell. Das auf dem Dreifuß
stehende Bad ist mit Wasser der gewünschten Temperatur gefüllt,
und zwar bis etwas oberhalb des Flüssigkeitsspiegels, den nachher die
Blutlösung in den Reagensgläsem einnimmt. Man läßt die Gläser einige
Zeit im Wasserbade, damit das Wasser in ihnen die Temperatur der
Außenflüssigkeit annimmt. Durch einen kleinen Brenner kann man für
Temperaturkonstanz im Wasserbade sorgen.
Dann entnimmt man durch Punktion aus der Armvene Blut und gibt
in jedes der Gläser durch Abzählen der Tropfenzahl die gleiche Menge
Blut, wobei auf stets gleiche Haltung der Nadel beim Eintropfen zu
achten ist, da sonst die Tropfengröße verschieden ausfällt. (Über die
Größe dieses Fehlers siehe die vorherstehende Arbeit.)
Nach dem Einspritzen des Blutes nimmt man je zwei Gläser zusam¬
men aus dem Wasserbad, hält sie zur Beobachtung gegen die Licht¬
quelle und vermischt durch mehrmaliges Auf- und Abbewegen des
Glasrührers das zu Boden gesunkene Blut gut mit dem Wasser bis eine
vollständig gleichmäßige rote Lösung entstanden ist. Man stellt die
Gläser ins Wasserbad zurück und notiert sich den Zeitpunkt des Ver¬
suchsbeginns.
Jede Minute beobachtet man nun das Blut vor der Lichtquelle
unter zweimaligem langsamen Auf und Ab des Rührers. Es ist ab¬
solut notwendig, daß die Rührbewegungen in allen Glä¬
sern gleich oft und in genau gleicher Weise vorgenom¬
men werden, da durch das Rühren der Eintritt der Ge¬
rinnung beschleunigt wird. Es liegt hier derselbe Effekt vor,
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Untersuchungen zur Methodik der vergleich. Thrombinbestimmung im Serum. 93
wie er bei der Methode zur Bestimmung der GZ durch das Schaukeln
der Brillengläser bewirkt wird: eine Unterstützung der Diffusion des
an der Glaswand gebildeten Thrombins in das Innere der Flüssigkeit.
Der Beginn der Gerinnung verrätsichdurchdasplötzliche
Auftreten einer feinen Trübung, die sich schnell vergröbert,
besonders wenn man etwas umrührt, so daß man oft schon
nach wenigen Sekunden deutliche Flöckchen in der Flüs¬
sigkeit herumschwimmen sieht. Man ist deshalb bei dieser
Methode niemals im Zweifel, welchen Zeitpunkt man als
Eintritt der Gerinnung zu vermerken hat.
Wichtig für die Beobachtung ist eine genügende Helligkeit der Licht¬
quelle und die Herstellung einer gut durchsichtigen Blutlösung durch
geeignete Wahl der Verdünnung mit Wasser, beides leicht zu erfüllende
Forderungen.
Die mit der neuen Methode gewonnenen RZH-Werte sind natürlich
wegen der starken Verdünnung des Blutes viel größer, als etwa die bei
gleicher Temperatur bestimmten Reaktionszeiten des unverdünnten
Blutes. Da sich trotzdem der Gerinnungseintritt ganz ebenso scharf
bestimmen läßt, wie im unverdünnten Blut, so kommt die Verlängerung
der Reaktionszeit durch die Verdünnung der Genauigkeit der Methode
zustatten.
Man hat es bei der RZH-Methode sehr bequem in der Hand, die
Größenordnung der Reaktionszeiten in einer dem jeweilig verfolgten
Zweck am besten entsprechenden Weise einzustellen, und zwar durch
Änderung des Verdünnungsgrades und der Temperatur.
Die für die Bestimmung des Thrombingehaltes zugesetzte Serum -
menge kann beliebig groß gewählt und deshalb beliebig genau ab¬
gemessen werden.
Das Kriterium für die Brauchbarkeit einer Methode zur Ermittelung
zeitlicher Gerinnungsdaten muß man (siehe die vorstehende Arbeit)
darin erblicken, daß die betreffende Methode in zwei an demselben
Blut — d. h. Blut von derselben Punktion, nicht nur von demselben
Spender — unter identischen Bedingungen vorgenommenen Kontroll-
bestimmungen stets nahezu gleiche Daten liefert.. Die folgende Versuchs¬
reihe bringt eine Anzahl von Parallelbestimmungen, um den Genauig¬
keitsgrad der Methode vor Augen zu führen. In der Rubrik RZH
stehen in je einer Horizontalspalte die Reaktionszeiten der beiden an
demselben Blute ausgeführten Kontrollbestimmungen. Es sind dies
Versuche ohne Zusatz von Serum.
Die Tabelle ist nicht etwa eine Zusammenstellung besonders gut ge¬
lungener Versuche, sondern sie enthält einige aus einer großen Zahl
von Versuchen wahllos herausgegriffene. Wie man sieht, ist die Über¬
einstimmung der Parallel versuche ganz ausgezeichnet.
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Original from
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94
K. Wölilisrh und K. iMoritz:
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Tabelle IV.
Blut-
Wasser-
Blut-
i Wasser-
Versii ch
menge |
menge
t
RZH
Versuch
menge
| menge
t
RZH
Tropfen :
ccm
Tropfen
ccm
1
30
7,0
30 3
33,5
5
30
7,0
30°
20,0
32,5
20,75
2
30
7,0
30° j
22,0
6
30
' 7,0
32°
16,0
23,0
16,0
3
30
7,0
30°
19,0
7
30
7,0
32°
17.0
18,0
i
17,0
4
30
7.0
30°
14,0
14,5
Es ist zu erwarten, daß sich dieses Verhalten bei Zusatz von Serum
nicht ändert ; dies wird durch die Zahlen der folgenden Versuchsreihe
bestätigt.
Tabell
e V.
Versuch
Blutmenge
W asser-
menge
Serum¬
menge
t
RZH
Tropfen
ccm
ccm
1
1
20
7,0
0,1
32°
15,0
16,5
2
20
7,0
0.15
32
11,5
1
11,5
3
20
7,0
0,15
30°
j 16,0
; j
1 18,0
4
20
7,0
: 0,2
30°
18,0
17,0
5
15
4,0
0,2 !
20°
26,0
26,0
ii
Differenzen von zwei Minuten, wie im Versuch Nr. 3, sind eine Sel¬
tenheit, die Übereinstimmung ist also auch bei Serumzusatz eine ganz
ausgezeichnete. Besonders wichtig ist der Umstand, daß sich
der Eintritt der Gerinnung bei Zusatz vonS er umgenaue ben-
so scharf ermitteln läßt, wie bei einem Versuch ohne Serum¬
zusatz. Dies ist der Hauptvorzug der neuen Methode gegenüber der
von Stephan. Während es sich bei der Stephanschen Methode
bei einem Versuch mit Zusatz von Serum häufig mehr um ein Schätzen
der GZ als um eine scharfe Bestimmung handelt, und man beim Vergleich
der Kontrollen mit verschiedenen Seris oft nicht mehr sagen kann, als
daß die eine etwas schneller zu gerinnen scheint als die andere, ohne
daß man jedoch die Differenz in Minuten genau angeben könnte, fällt
diese Unsicherheit bei der neuen Methode vollständig weg.
Wir möchten nicht unterlassen, an dieser Stelle gleich auf einen
wichtigen Faktor hinzuweisen, der auf die Größenordnung der erziel¬
ten RZH-Werte von starkem Einfluß ist: es ist dies der mehr oder minder
Original from
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Untersuchungen zur Methodik der vergleich. Throinhinhestiiiimung im Serum. 95
große Kohlensäuregehalt des zur Hämolyse benutzten Wassers. Wir
fanden, daß die Gerinnung um so schneller vor sich geht, je C0 2 -haltiger
das Wasser ist. Dies müßte berücksichtigt werden, falls man mit der
Methode etwa absolute RZH-Werte bestimmen wollte. Man dürfte dann
nur Wasser benützen, das durch Auskochen völlig entgast worden ist.
Da es für unsere Zwecke nur auf die Gewinnung relativer Werte an¬
kommt, so braucht man sich um den C0 2 -Gehalt des Wassers nicht
zu kümmern.
Es interessierte nunmehr die Frage nach der quantitativen Beziehung
zwischen der einem Blute zugesetzten Thrombin- (Serum-) Menge und
der hierdurch erzielten Gerinnungsbeschleunigung. Ist ein Rückschluß
aus der Beschleunigung auf die Thrombinmenge zulässig, ist sie dieser
direkt proportional oder hegen die Beziehungen, wie zu erwarten,
komplizierter ?
Wir versuchten dieser Frage mit beiden Methoden, der von Stephan
und der neuen, nachzugehen.
In Brillengläsern wurde je 1 ccm Kon trollblut mit steigenden
Mengen (0,05; 0,1; 0,15 ccm) versetzt und die Volumdifferenzen mit
physiologischer Kochsalzlösung ausgeglichen. Bei diesen Versuchen
trat in den Gläsern mit größerer Serummenge eine schnelle Gerinnung
ein, ohne daß es zu einem Haftenbleiben des Gerinnsels an der Glas¬
wand kam, wodurch ein Bestimmung der GZ unmöglich wurde.
Dagegen lieferte die neue Methode recht gut verwertbare Daten,
deren einige wir in der folgenden Tabelle wiedergeben. Die angewandte
Blutmenge betrug in allen Versuchen 20 Tropfen, die Wassermenge 7 ccm.
Tabelle VI.
Serum- 1
Versuch menge | t
ccm |
KZH
GBF
i
if
Versuch
Serum¬
menge
ccm
t
KZH
■ GBF
1 jj 0,00 30°
30
_
,i
3
! 0,00
30° |
62
_
! 0,05
23
1,30
0,15
24
1 2,58
0,10
17
1,76
ü
0,30
I
15
4,13
0,15
13
2,30
0,45
|
10
6,20
2 0,00 30°
23
—
4
0,00
30°
63
—
0,05
16
! 1,44
0,15
37
1,70
0,10
13 i
i 1,77
ii
0,30
25
2,52
0,15
n
j 2,09
1
0,45
i
14
4,50
Wir sehen, daß in sämtlichen Versuchen die Gerinnungsbeschleuni¬
gung, als deren Maß die GBF-Werte aufgeführt sind, nicht der Serum¬
menge proportional, sondern langsamer als diese ansteigt. Einem dop¬
pelten GBF-Wert entspricht also nicht die doppelte Throm¬
binmenge, sondern eine unterUmständen erheblich größere.
Zum Schluß wollen wir noch an zwei Beispielen zeigen, daß die mit
unserer Methode erzielten Gerinnungsdaten mit den nach Stephan
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
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9(J E. Wöhlisch u. K. Pieritz: Methodik der vergleich. Thrombinbestiiumung usw.
bestimmten parallel gehen, wie dies nicht anders zu erwarten ist. Wir
bestimmten die GZ- bzw. RZH-Werte desselben Kontrollblutes unter
Zusatz verschiedener Sera. Für die Stephansche Methode wurden wie
gewöhnlich 1 ccm Blut und 0,05 Serum verwendet, für die Bestimmung
nach Wöhlisch diesmal0,2 ccm Serum, 15Tr. Blut und 3,5 ccm Wasser.
Tabelle VII.
Versuchsanordnung j|
GZ
RZH
Versuchsanordnung
uz
i RZH
Kontrolle I -f Serum A !
23
21
Kontrolle II -j- Serum
D
18
23
-r Serum B
23
20
4- Serum
E
15
17
+ Berum C
21
18
+ Serum
F
8
12
Die Reihenfolge ist in beiden Versuchen die gleiche; nach unsem
bisherigen Erfahrungen mit den beiden Methoden kann jedoch kein
Zweifel bestehen, daß die RZH-Werte als die wesentlich verläßlicheren
anzusehen sind.
Zusam menfass ung.
1. Unsere Untersuchungen ergaben, daß dem von Stephan ein¬
geführten als „Gerinnungsbeschleunigungsfaktor“ (GBF) bezeichneten
Ausdruck die Bedeutung einer Konstanten nicht zukommt. Denn
der GBF ist sicherlich abhängig von der Häufigkeit der Bewegung
der Gerinnungsgefäße, wahrscheinlich außerdem von der Temperatur:
Auch mit verschiedenen Kontrollbluten erhält man meist verschiedene
GBF-Werte. Besonders störend aber ist der Umstand, daß die Bestim¬
mung des Gerinnungsendes eines Blutes bei Zusatz von Serum vom sub¬
jektiven Ermessen des Beobachters stark abhängig ist, damit auch der
GBF-Wert.
Nur die GBF-Werte desselben Autors können daher miteinander
verglichen werden und auch diese nur, wenn sie unter strenger Einhal¬
tung identischer Bedingungen gewonnen wurden, was Kontrollblut usw.
an belangt .
2. Es wurde eine neue Methode (Wöhlisch) zur Bestimmung der
gerinnungsbeschleunigenden Kraft eines Serums beschrieben, bei der
sich die erforderlichen Gerinnungsdaten mit großer Exaktheit und in
sehr einfacher Weise ermitteln lassen. Es wird hierbei ein neues Prinzip,
das der Bestimmung der „Reaktionszeit im hämolysierten Blut“, be¬
nutzt. _
Literaturverzeichnis.
J ) Wohlgemuth, Biochem. Zeitschr. X7, 79. 1910. — 2 ) Stephan, Münch,
nied. Wochenschr. 1920, Nr. 11. — 3 ) Nonnenbruch u. Szyszka, Münch, med.
Wochenschr. 1920, Nr. 37. — 4 ) Nonnenbruch u. Szyszka, Arch. f. klin. Med.
134 , 1920, Nr. 3/4. — 5 ) Wöhlisch, Münch, med. Wochenschr. 1921, Nr. 8. —
rt ) Wöhlisch, Münch, med. Wochenschr. 1921, Nr. 30. — 7 ) Wöhlisch, Münch,
med. Wochenschr. 1921, Nr. 43. — 8 ) Stephan, Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 1921.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Über postoperativen Eiweißzerfall. I.
Von
Max Bürger und Max Grauhan.
(Aus der Medizinischen Klinik [Direktor Prof. Schittenhelm] und der Chirur¬
gischen Klinik [Direktor Geheimrat Anschütz] der Universität Kiel.)
. Mit 17 Kurven im Text.
(Eingegangen am 3. Januar 1922.)
Jede Gewebsdurchtrennung führt notwendigerweise zum Zerfall
eines mehr oder minder großen Zellmaterials. Diese Degeneration ist
rach Marchand 1 ) einmal die unmittelbare Folge des die Kontinuitäts¬
trennung bewirkenden Traumas, das die getroffenen Gewebsbestand-
teile zerstört und zum andern eine sekundäre Nekrose verursacht
durch die unvermeidliche Durchschneidung zahlreicher Gefäße. Je
höher organisiert das Gewebe ist, desto empfindlicher ist es gegen beide
Schädigungen, so wird beim Bindegewebe die Degeneration geringer
sein als bei den quergestreiften Muskeln und den parenchymatösen
Organen. Der fermentative Abbau des nekrotisch gewordenen Zell¬
materials und seine Resorption ist nach von Gaza 2 ) die Vorbedingung
zur Wiedervereinigung der durchtrennten Gewebe, Bei den operativ
gesetzten Wunden werden durch die Ligaturen und die Nähte weitere
Zellkomplexe aus der Ernährung ausgeschaltet und dem Abbau über¬
antwortet. Man denke nur an die zahlreichen Netzligaturen bei einer
Magenresektion und an die Muskelnähte bei einer Bassinischen
Operation.
Die Bedeutung dieser Gewebsdegeneration ist eine doppelte. Ein¬
mal disponiert sie zur örtlichen Infektion, der Destruktionsinfektion
Brunners 3 ); zum andern können aber die Produkte dieses Gewebs¬
zerfalls, je nach dem Grade des Abbaus und der Resorptionsgröße
toxische Allgemeinstörungen zur Folge haben. Sauerbruch hat diesem
letzterwähnten Moment eine erhebliche Bedeutung für die im Anschluß
an schwere Gewebsverletzungen auftretenden Krankheitserscheinungen
beigemessen.
*) Marchand, Der Prozeß der Wundheilung. Stuttgart 1901.
*) von Gaza, Der Stoffwechsel im Wundgewebe. Bruns Beitr. z. klin. Chirurg.
11 », 1918.
3 ) Brunner, Handbuch der Wundbehandlung. Neue dtsch. Chirurg. Nr. 29.
Z. f. d. K. oxp. Mod. XXVII. 7
Digitized b
Google
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UNIVERSITY 0F MINNESOTA
98
M. Bürger und M. Grnulian :
Digitized by
Die Franzosen fassen einen Teil der Fälle von Wundshok auf
als eine Folge der Resorption von Eiweißzerfallsprodukten in der Wunde.
Die akute Gangrän nach Ligatur oder embolischen Verschluß eines
größeren Blutgefäßes sei als weiteres Beispiel einer Zerfallstoxikose
erwähnt.
Klinisch und experimentell unter dem Gesichtspunkt einer Eiwei߬
zerfallstoxikose am besten studiert ist die Verbrennung. Mit besonderem
Nachdruck hat Wilms 1 ) betont, daß die Erscheinungen bei der Ver¬
brennung als Folge des toxischen Eiweißzerfalls des verblühten Ge¬
webes zu deuten seien, was er aus dem auftretenden Fieber und der
Albuminurie erschloß. In einer sehr eingehenden experimentellen
Studie hat Pfeiffer 2 ) die toxischen Folgeerscheinungen der Verbren¬
nung studiert.
Unser Ziel war zunächst einmal zu untersuchen, wie sich nach
operativ gesetzten Wunden eine Resorption von Eiweißzerfallspiodukten
nachweisen ließe, um eine gesicherte Basis für dieBeurteilung zu
gewinnen, ob dieser Resorption unter gewissen Voraussetzungen eine
größere Bedeutung im Wundverlauf zukomme.
Methodik.
Der chemische Nachweis eines eingetretenen Eiweißzerfalls kann sich
stützen einmal auf Störungen des Stickstoffwechsels im Sinne einer
negativen N-Bilanz — worüber wir in einer zweiten Mitteilung be¬
richten werden —; andererseits auf qualitative und quantitative Ände¬
rungen der Blutzusammenseztung. die am ehesten in der Richtung
einer Vermehrung des Reststickstoffs zu erwarten wären. Bei intaktem
Ausscheidungsapparat werden hier meßbare Ausschläge in der Regel
fehlen. Positive Befunde sind bei akuten Infektionskrankheiten von
Wagner 3 ), bei akuter gelber Leberatrophie von Feigl 4 ) mitgeteilt
worden. Aber schon das letztere Beispiel zeigt, daß erst eine sehr weit¬
gehende und rasch einsetzende Gewebsautolyse meßbare Ausschläge auf¬
weist.
Unter den von Pfeiffer zum Nachweise eines Eiweißzerfalls ge¬
wählten Methoden gab die Bestimmung des sog. „antitryptischen
Titers“ die sinnfälligsten Ausschläge. Wir hofften auch einen weniger
ausgedehnten Gewebsuntergang, als er bei Verbrennungen eintritt.
mit dieser Methode im Blut nachweisen zu können.
Die verdauende Wirkung von Trypsin auf ein Eiweißgemisch oder
besser auf eine Caseinlösung bekannter Zusammensetzung w r ird durch
*) Wilms, Mitteilg. a. d. Grenzgeb. 1901.
*) Hermann Pfeiffer, Das Problem des Verbrühungstodes. Wien 19111.
:t ) Wagner, Wiener Arch. f. inn. Med. I, Nr. 3, 575.
4 ) Feigl und Luce, Bioohem. Zeitschr. 79 . 162. 97.
Original from
UNIVERSITY 0F MINNESOTA
Über postoperativen Eiweißzerfall. I.
99
Serumzusatz in ganz gesetzmäßiger Weise gehemmt. Darin sind sich
alle Autoren, die sich mit dem Gegenstand beschäftigt haben, einig.
Die Deutung, die man dieser Tatsache gegeben hat, ist allerdings eine
Wechselnde. Während die eine Gruppe der Untersucher dafür eintritt,
daß es sich um ein echtes Antiferment handele, dem physiologischer¬
weise die Aufgabe zufalle, das bei der Verdauung resorbierte Trypsin
unschädlich zu machen [Abderhalden 1 )], treten andere dafür ein,
daß es sich um eine unspezifische Hemmung der Trypsinwirkung
durch Eiweiß resp. Eiweißzerfallsprodukte handele. Für diese letztere
Auffassung lassen sich folgende gesicherte Tatsachen anführen: Das
von Trypsin nahezu unangreifbare Serumalbumin geht mit demselben
wie andere Eiweißkörper eine Verbindung ein, entzieht so leichter spalt¬
baren Eiweißkörpern das Trypsin, wirkt also dadurch „antitryptisch“
[Hedin 2 )]. Bayliss 3 ) fand zudem, daß die trptische Caseinverdauung
durch Peptone, Albumosen und Aminosäuren gehemmt wird. Diese
Erfahrungen mahnen zu großer Vorsicht bezüglich der Auffassung
der antitryptischen Substanzen als typische Antifermente. Auch die
Erfahrungen von Bergmann und Bamberg 4 ), die fanden, daß der
antitryptische Serumtiter bereits 24 Stunden nach Injektion von
Trypsin bei Hunden seinen Höhepunkt erreicht hat, sprechen gegen die
Antigen natur der fraglichen Substanzen, da nach allen serologischen
Erfahrungen die Bildung spezifischer Antikörper einen längeren Zeit¬
raum als einen Tag erfordert. Das fragliche Antitrypsin läßt sich ebenso¬
wenig durch Inaktivierungstemperaturen mit Sicherheit unwirksam
machen [Rosenthal 5 ), Kämmerer 6 ), Bergmann 7 ), eigene Unter¬
suchungen]. Für die hier tu behandelnden Fragen hat die Entschei¬
dung des diskutierten Problems nur nebensächliche Bedeutung. Wenn
es sichergestellt ist, daß tryptische Produkte des Eiweißabbaus resp.
Gewebszerfalls die proteolytische Wirkung des Trypsins zu hemmen
imstande sind, müssen bei allen Zuständen, welche mit einer Zer¬
störung von Zellmaterial und Resorption der Zelltrümmer in das Blut
einhergehen, Änderungen des antitryptischen Serumtiters erwartet
werden.
Steigerungen des antitryptischen Titers sind in reichem Maße bei
den verschiedensten Krankheitszuständen gefunden und diesen Feststel¬
lungen anfänglich recht weitgehende diagnostische Bedeutung beigelegt
worden. So wurde vor allem für die Krebsdiagnose die Steigerung des
x ) Abderhalden, Lehrb. d. physiolog. Chemie, 2. Aufl. 1909, S. 635.
2 ) Hedin, Zeitschr. f. physiol. Chemie, 5t, 412. 1907.
3 ) Zit. nach Rosenthal (Folia serologica) 6, 285. 1910.
4 ) Bergmann u. Bamberg, Berl. klin. Wochenschr. 1908, Nr. 30.
6 ) Rosenthal 1. c.
Ä ) Kämmerer, zit. nach Wuelli, Grenzgebiete t9.
7 ) Bergmann u. Bamberg, Berl. klin. Wochenschr. 1908, Nr. 30.
Original from
UNIVERSITY 0F MINNESOTA
100
M. Bürger und M. Grauhan:
Difitized by
antitryptischen Titers als diagnostisches Hilfsmittel verwandt [Br i eger-
Trebing 1 ), Bergmann und Meyer 2 ), Weil 3 )].
Unter physiologischen Bedingungen fand sich in der Schwanger¬
schaft eine Steigerung des Titers. Die höchsten Werte wurden bei
eitrigen, vor allem septischen Prozessen gefunden. Spezifisch
ist die Steigerung des antitryptischen Titers für keinen Krankheits¬
prozeß, sondern ist als ein allgemeines Symptom gesteigerten
Eiweißzerfalls im Organismus aufzufassen und kann nur in diesem
beschränkten Sinn diagnostisch Verwendung finden. Um einen Ver¬
gleich mit den Ergebnissen anderer Autoren zu ermöglichen, führen wir
die Art und Weise unseres Vorgehens bei der Bestimmung des anti¬
tryptischen Titers im Serum hier kurz an.
Das Blut wurde im allgemeinen morgens gegen 11 Uhr mehrere Stunden nach
dem Frühstück durch Venenpunktion gewonnen. Das aus dem Blutkuchen nach
24 Stunden im Eisschrank ausgepreßte Serum wurde entweder direkt oder, wenn
nötig, nach Abzentrifugieren der zelligen Bestandteile in einer Verdünnung von
0,5 auf 9,5 physiologische Kochsalzlösung verwandt. Die Casein- und Trypsin¬
lösungen wurden unter den von Pfeiffer und Jarisch 4 ) angegebenen Kautelen
vor jeder Untersuchungsreihe frisch hergestellt. Caseinlösung:
1 g Casein n. Hammarsten (Merk),
85,0 physiologische Kochsalzlösung,
15,0 NaOH
10 *
Nach dem Erwärmen auf dem Wasserbade bei ca. 40° C resultierte eine fast klare,
schwach opalisierende Lösung nach etwa 10—15 Minuten. Die alkalische Lösung
HCl
wurde durch tropfen weises Zusetzen von - - gegen Lakmus neutralisiert und dann
durch Zusatz von 0,85% NaCl-Lösung auf 500 ccm aufgefüllt (Lösung I).
Zur Herstellung der Trypsinlösung verwandten wir dasTrypsinum siccum Grüb¬
ler. Das Trypsin wurde im Exsiccator über Schwefelsäure getrocknet und aufbewahrt.
Ca. 1 g Trypsinum siccum Grübler in 20 ccm 0,85% NaCl nach Zusatz von
0,1 Normalsoda gelöst und dann auf 100 ccm aufgefüllt. Die leicht getrübte Lösung
war von sehr starker proteolytischer Kraft (Lösung II).
Bei der Herstellung des verdauenden Systems verwandten wir die Original-
Caseinlösung I. Es erwies sich als zweckmäßig, die Lösung II ää mit physiolo¬
gischer Kochsalzlösung zu verdünnen.
Das System wurde in folgender Weise in den für die WaR. gebrauchten Gläsern
angesetzt.
Casein (Lösung I)
2,0
2,0
2,0
2,0
2,0
2,0
2,0
2,0
2,0
NaCl 0,85%
0
0,2
0,4
0,6
0,8
1,0
1,2
1,4
1,5
NaCl 0,85%
0,5
0,5
0,5
0,5
0,5
0,5
0,5
0,5
0,5
Trypsinlösung II ää mit 0,85%
NaCl-Lösung verdünnt
1,6
1,4
1.2
1,0
0,8
0,6
0,4
0,2
0,1
J ) Brieger und Trebing, Berl. klin. Wochenschr. 1908.
2 ) Bergmann und Meyer, Berl. klin. Wochenschr. 1908, Nr. 37.
3 ) Weil, Mitteil. a. d. Grenzgeb. £9. 1917; hier genaues Literaturverzeichnis.
4 ) Zur Kenntnis der Eiweißzerfallstoxikosen, von H. Pfeif ferund A. Jarisch,
Zeitschr. f. Immunitätsforsch. 16 . 1913.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Über postoperativen Ei\veÜberfall. T.
101
Dieses tryptische System kam auf genau 30 Minuten in einen Brutschrank
von 37°. Dann wurde genau 0,1 ccm folgender Lösung zur Ausfällung des unver¬
dauten Caseins zugesetzt:
5 ccm acid. acet. glaciale,
45 ccm Alkohol 95%,
50 ccm Wasser (Lösung III).
Es ist von Wichtigkeit, sich vorher zu überzeugen, daß bei Zusatz dieser Lösung
zum Casein eine optimale Fällung eintritt, da Säureüberschuß das Casein löst.
Bei Anwendung dieses Systems unter Benutzung stets des gleichen
Trypsinpräparates erhielten wir mit großer Regelmäßigkeit unter den
angegebenen Bedingungen eine restlose Verdauung des Caseins in den
ersten 7 Röhrchen, also noch mit 0,4 ccm unserer Trypsinverdünnung.
Vor Anstellung eines größeren Reihenversuches wurden stets zwei
oder drei derartige Systeme geprüft; diese Vorsicht ist nötig, da selbst
bei Verwendung des gleichen Präparats Unterschiede durch Abschwächung
der tryptischen Kraft infolge langer Lagerung möglich sind. Der eigent¬
liche Versuch wird so angestellt, daß statt der im System zugesetzten
physiologischen NaCl-Lösung (0,5 ccm) 0,5 ccm einer Serumverdünnung
von 0,5 auf 9,5 NaCl-Lösung verwendet werden. Ausnahmslos tritt
unter dieser Bedingung eine Verminderung des tryptischen Vermögens
der Standardlösung ein, dadurch gekennzeichnet, daß nach halbstündiger
Verdauungszeit sich bei Zusatz der Fällungslösung in weiteren Röhr¬
chen der fallenden Trypsinreihe (z. B. noch bei 0,6 Trypsinlösung,
Röhrchen 5 unseres Systems) unverdautes Casein nach weisen läßt.
Um einen Vergleich der Befunde zu ermöglichen, wird der „antitryp¬
tische Titer“ berechnet, z. B.
Komplette Verdauung im Normalsystem (ohne Serumzusatz) bei 0,4 Trypsinlösung
komplette Verdauung nach Serumzusatz bei 0,8 Trypsinlösung.
A.T. = Antitryptischer Titer = (0,8—0,4) x 100 — 40.
Um uns zu überzeugen, wie weitgehend Eiweißabbauprodukte die
tryptische Verdauung hemmen, wurde in einigen Reihen statt Serum
dem System Glykokoll oder Pepton (Witte) zugesetzt. Die komplett
verdauende Menge war wie in früheren Versuchen bei 0,4 Trypsinlösung.
Es wurde folgende Anordnung getroffen:
Trypsinlösung:
0,5
0,5
0,5
0,5
0,5
0,5
0,5
0,5
0,5
0,5
Casein :
2,0
2,0
2,0
2,0
2,0
2,0
2,0
2,0
2,0
2.0
Pepton 0,3%:
1,7
1,5
1,3
1,1
0,9
0,7
0,5
0,2
0,1
0
NaCl 0,95%:
0
0,2
0,4
0,6
0,8
1,0
1,2
1,5
1,6
1,7
nach V 2 Std. bei 37° gefällt:
i
+
+
+
0?
0?
0
0
0
0
Der Ausfall des Versuchs zeigt, daß der Zusatz von 0,003 g Pepton
eine Hemmung der Trypsinverdauung unter den angegebenen Bedingungen
zur Folge hatte.
Für Glykokoll lag die hemmende Dosis bei 0,0049 g.
Digitized b'
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
102
M. Bürger uml M. (Irauhan:
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Wurde der gleiche Versuch angestellt bei Gegenwart von Serum
und einer Trypsinmenge, deren proteolytische Wirkung durch das Serum
nicht aufgehoben wurde, so genügten von Glykokoll wie von Pepton
begreiflicherweise weit geringere Mengen zur Hemmung der Trypsin¬
verdauung. Z. B. komplett verdauende Trypsinmenge 0,8 bei Gegenwart
von 0,5 Serum 5%.
Verwendete Trypsinmenge 1,0.
Hemmung bei Gegenwart von 0,0018 Pepton oder Glykokoll.
Da es sich bei den praktischen Verhältnissen um ein Gemisch viel¬
leicht weit wirksamerer Abbauprodukte handelt, genügen Mengen von
weniger als 1 mg, um im Reihenversuch deutlich antitrypcische Wir¬
kung erkermen zu lassen. Selbstverständlich sind in diesem Beispiel
nur Annäherungswerte gegeben; nicht jedes Peptonpräparat
wird sich ebenso verhalten.
Eigene Untersuchungen.
Ergebnisse bei Nichtoperierten.
I. Resultate bei Patienten ohne Eiweißzerfall (Patienten mit Leisten¬
hernien, Krampfadern, orthopädische Kranke usw.).
Anzahl der unter-
Antitryptischer Serumtiter
suchten F&lle
00 40 20
26
4 1 17 | 5
Mittelwert
39,2
Die Übersicht zeigt, daß unter genauer Einhaltung der Versuchsbe¬
dingungen der A. T. nur in engen Grenzen schwankt und im
Mittel 39,2 beträgt.
ii.
Prostatahypertrophie:
10 Fäll
e.
Nr.
Alter
| Klin. Bern.
Restham
Itest-N '
% Her.
A
Antitry iri¬
scher Titer
1.
1 63
J.
1 1 Liter
0,053 j
0,59°
80
2.
; 68
J.
! l l / 2 Liter !
0,051
0,57°
60
3.
II 54
J.
1 Liter
0,050
0,58 ü
30
4.
68
J.
1 Liter
0,045
0,59°
50
5.
72
J.
Blasenfistel
0,038
0,58°
40
(5.
70
J.
Blasenfistel
0,046 1
0,56°
60
7.
60
J.
600 ebem R. H.
0,056
0,66° ,
50
8.
68
J.
Blasenfistel
0,045
0,59°
20
9.
73
J.
200 cbem R. H.
0,078 ;
0,59°
50
10.
74
J.
750 ebem R. H.
0,043 ,
0,56°
60
Mittel 55
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Über postapcnitivrn Kiwrißzerfall. I.
103
In dieser Gruppe zeigen sich die Schwankungen erheblich größer;
die Ausschläge sind mit einer Ausnahme im Sinne einer Erhöhung
des A. T., welcher im Mittel 55,0 gegen 39,2 unserer Normalfälle be¬
trägt. Eindeutige Beziehungen zum Rest-N. bzw. zur Gefrierpunkts -
depression lassen sich aus diesem kleinen Material nicht ableiten.
III. Leichtentzündliche, afebrile Prozesse: 22 Fälle (ulcus ventriculi
und Perigastritis, chron. Osteomyelitis, Furunkulose, Epididymitis).
Anzahl
]
Antitryptigcher Titer
normal
A. T.
der FäUe
•; 80
60
40
20
Mittelwert
22 davon:
4
14
4
o !
55
Auch in dieser Gruppe liegen die Abweichungen durchweg im Sinne
einer Erhöhung.
IV. Maligne Tumoren: 17 Fälle.
Anzahl
der Fälle
Antitryptischer Titer
normal
80 60 40
20
A. T.
Mittelwert
ausgedehnte Tumoren j 10 davon: 2 2 2 0 1 68
kleinere Tumoren j 7 davon: | 0 2 3 2 0 59,6
In Übereinstimmung mit den früheren Autoren sind in dieser Gruppe
Erhöhungen des Titers die Regel. Mit zunehmender Ausdehnung
der Neubildung werden im allgemeinen höhere Werte gefunden.
Eine Abweichung nach unten fand sich in 1 Fall von stenosierendem
Oesophagus-Carcinom, bei welchem eine Gastrotomie ausgeführt worden
war. Der Patient befand sich in schwer kachektischem Zustand mit
ausgedehntem Haut- und Höhlenhydrops. Die nächstliegende Erklä¬
rung der Verminderung des A. T.-Vermögens ist die Verwässerung
des Blutes infolge der Inanition.
V. Eitrige Prozesse mit Temperatursteigerung (akute Lymphangi-
tiden, Mastitiden, eitrige Appendicitis, Peritonitis, akute Osteomyelitis):
16 Fälle.
Anzahl
der Fälle
16 davon:
Antitryptigcher Titer
120 100 80 60
5
normal
40
A.T.
Mittelwerte
86,8
Die höchsten überhaupt gefundenen Werte gehören dieser Gruppe
der septischen eitrigen Prozesse an. Das Mittel für die 16 unter¬
suchten Fälle liegt bei 86,8.
Diese Übersicht zeigt, daß mit zunehmender Ausdehnung der Ge¬
webseinschmelzungsprozesse der antitryptische Titer ansteigt, und lehrt,
Difitized by
Gck igle
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
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104 M. Bürger und M. Graulian:
daß für die Differentialdiagnose der Bestimmung des A. T. nur ein
relativer Wert beizumessen ist. Unsere Erfahrungen stehen* mit
denen der Literatur in guter Übereinstimmung.
Uns lag zunächst daran, eine Basis zu schaffen, von der aus wir die
Frage beantworten können, ob die Methode überhaupt als Indikator
für den parenteralen Eiweißabbau verwertbar ist. Diese Frage
mittl. A.T.
Kurve 1. Übersicht über das Gesamtmaterial, geordnet nach den Mittelwerten Inden einzelnen
Krankheitsgruppen.
glauben wir bejahen zu sollen: Insbesondere soll betont werden, daß
nicht etwa die Entzündung als solche die Erhöhung des Titers
bedingt, sondern daß auch sicher aseptisch verlaufende Prozesse
zu einer Produktion von Stoffen führen, die die tryptische Verdauung
hemmen. Außer den in der Literatur niedergelegten Erfahrungen
über Erhöhung des A. T. in der Gravidität, bei der experimentellen
Phosphorvergiftung, bei der Anaphylaxie verfügen wir über eine Gruppe
von geschlossenen, sicher nicht infizierten TumoTen, die eine deut¬
liche Erhöhung des A.T. aufweisen, z. B.:
Diagnose: antitryptiacher Titer:
F&sciensarkom am Oberschenkel
80
Mamma-Carcinom
80
branchiogenes Carcinom
70
Einfluß operativer Maßnahmen auf den antitrpytischen
Titer.
Das uns interessierende Problem ist folgendes :Sinddiedurch jede
Operation gesetzten Gewebsschädigungen und ihre Folge
derartige, daß sie sich in einer Änderung des A.T. nachwei-
sen lassen, und ferner, stehen diese Änderungen in bestimm¬
ter Beziehung zur Größe und evtl, zum Erfolg des Eingriffs?
Wir stellten zunächst fest, daß in Fällen, welche primär keine
Erhöhung des A.T. zeigten, auch vollständig aseptisch ver¬
laufende Operationen (z. B. Bassini, Osteotomie aus orthopädi¬
scher Indikation, Nervendurchschneidung, Albeesehe Operation usw.)
mit einer Steigerung des A.T. einhergehen.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
ri)cr post operativen Eiweißzerfall. I.
105
Die Kurve der mittleren Erhöhung des A. T. in .antitrypti-
schen Einheiten zeigt eine maximale Erhöhung um 44 Einheiten
vor Tage —► nach olor Operation
Kurve 2. Kurve der mittleren Erhöhung des antitryptlschen Vermögens im Serum über dm Aus¬
gangswert in A. T.-Einheiten bei aseptisch verlaufenden Radikaloperaiumen von Leistenhernien.
2 Tage nach der Operation als nahezu eine Verdoppelung des Aus¬
gangswerts. Die Werte erreichen etwa am 12. Tage nach der Operation
wieder den Ruhe wert.
Als Beispiele geben wir die Kurven von 3 typischen Fällen (Kurven
3, 4, 5).
Kurve 8. W. H. Rechtsseitige Leistenhernie. Bassinische Operation. Nach 18 Tagen mit p. p.
verheilten Wunden entlassen.
Kurve 4. I. I).,45J. Rechtsseitige Leistenhernie. Bassinische Operation in Lokalanästhesie. Nach
14 Tagen mit p. p. verheilter Wunde entlassen. -
Kurve 5. H. B., 19 J. Leistenhoden. Bassini, Synorchidie. Am 15. Tage mit p. p. verheilter
Wunde entlassen.
Difitized by Gougle
Original fro-m
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M. Biircr« , r und M. (Iraiilian:
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KHi
Sämtliche hier ei örterte Fälle wurden in Lokalanästhesie operiert,
keiner zeigt eine Storung der Wundheilung; alle wurden am 14. Tage
p. op. geheilt entlassen.
Die Temperaturkurven zeigen eine leichte Steigerung der Körper¬
wärme bis 38°C. Ein strenger Parallelismus zwischen A. T. und
Temperaturverlauf besteht zwar nicht mehr; der allgemeine Verlauf zwi¬
schen beiden Kurven ist aber gleichsinnig (Rectalmessungen morgens
und abends).
Als weitere Paradigmata völlig aseptischer Operationen werden
angeführt: 1. doppelseitige intrapelvine Durchschneidung des Nervus
obturatorius bei Littlescher Paraparese mit ungestörtem Heilungs¬
verlauf (Kurve 6).
;* :p _v. 3t txz
Kurvt* 6. M. ls.I. Littlesclie Paraparcse. Intrapelvine Durchschneidung des X. obturatorius
bds. 31 ). X. mit p. p. vciheilter W unde entlassen. 5 Tage nach der Operation.
In diesem Fall liegt der Höhepunkt der Kurve am 4. Tag p. op.;
auch hier eine Steigerung des Ausgangswerts um 100%.
Kurve 7 zeigt einen Fall von Al b ee - He nie scher Operation bei
Spondylitis tub. Der Ausgangspunkt liegt wenig über der Norm, die
Steigerung beträgt 30 antitryptisehe Einheiten.
Kurve 7. P. B., 22 J. Tuberkulöse Spondylitis. Kompressionsfraktur d. 10. BrAV. Operation nach
Henle-Alhee (os inortuuin).
Kurve 8, doppelseitige Osteotomie bei Genu valgum (ein zweiter
ganz ähnlicher Fall nicht abgebildet). In beiden Fällen bleibt der anti-
tryptische Titer auffallend lange hoch, was vielleicht mit verzögerten
Resorptionsverhältnissen an der Knochenwunde in Be¬
ziehung steht. Die Werte sind im Fall Kurve 8 noch am 10. Tage
p. op. fast aufs doppelte erhöht ; im andern Fall wird erst am 7. Tage
das Maximum erreicht.
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Über postoperativcMi Kiweißzerfall. I.
107
Besonderes Interesse mußten für unsere Frage Operationen an
der Schilddrüse haben, welche nach allgemeiner chirurgischer Erfah¬
rung auch dann regelmäßig zu erheblichem Fieber führen, wenn der Hei¬
lungsverlauf ungestört ist. Es ist naheliegend, hier eine gesteigerte Resorp-
Kurve 8. H. B., 18 J. X-Beine, supraeondyläre Osteotomie bds.
tion von Schilddrüsenstoffen, welche auf die Wärmeregulation einwirken,
anzunehmen. Bei Basedowscher Erkrankung ist zudem der A. T.
von allen Seiten stets erhöht gefunden worden, was mit dem gesteigerten
Eiweißstoffwechsel dieser Kranken zu erklären ist.
Kurve 9. E. H„ 21 J. Struma colloides taustgroü. Resektion. 15 Tage nach der Operation ge¬
heilt entlassen.
Kurve 10. U. L., 29 J. Struma colloides Resektion. 7 Tage nach der Operation mit p. p. ver¬
heilter Wunde entlassen.
Kurve 9 und 10 zeigen den Verlauf nach Resektion einer Kolloid -
struma; beide lassen die erwähnte Temperatursteigerung erkennen;
beide zeigen, obwohl thyreotoxische Symptome fehlen, eine Erhöhung
des A. T. schon vor dem Eingriff. Die Operation bedingt im Fall Kurve 9
eine Steigerung um 20 von 60 A. T. Ausgangswert, im Fall 10 eine solche
um 40, von 60 auf 120 A. T. Einheiten.
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108
M. Bürger und M. Gnmhan:
Kin weiterer Fall zeigt nur geringe Steigerung um 20 A. T. Einheiten
hei normalem Ausgangswert von 40 A. T. Einheiten.
Ein am Tage nach der Verletzung operierter Fall von Patellarfraktur
mit ausgedehntem Hämarthros zeigte ein Ansteigen des Titers von 40
am Tage der Verletzung auf 80 am 3. und Absinken auf 60 am 10. Tage
Kurvt* 11. 11. 11., 44 J. Bruch der Kniescheibe, groües Haemarthros. Patcllarmilit.
nach der Operation; auch hier war der Wundverlauf vollkommen asep¬
tisch. Trotzdem genügte das Trauma zu einer langdauernden Vermehrung
der antitryptischen Stoffe im Serum, der ein langanhaltendes aseptisches
Fieber entsprach (Kurve 11).
Ulcus ventriculi, 5 Fälle (3 Resektionen, 2 Gastroenterostomien).
Kurve der mittleren Erhöhung über den Ausgangspunkt (Kurve 12).
Kurve 12. Kurve der mittleren Erhöhung über den Ausgangswert bei Magenoperationen wegen
Ulcus ventriculi. 5 Fälle (3 Resektionen, 2 Oastroenterostomien).
Der Mittelwert dieser Fälle vor der Operation liegt mit 48 deutlich
über der Norm, was auf die bei jedem Ulcus festzustellenden Entzün¬
dungsvorgänge zu beziehen ist (Kurve 12a).
Die Kurve der mittleren Erhöhung zeigt einen stärkeren Anstieg
als die nach Hernienoperationen. Die Werte bleiben länger hoch,
sind am 7. Tage p. op. noch um 37 A. T. über dem Ausgangsw^ert,
während nach Hernienoperationen um diese Zeit der Ruhewert nahezu
wieder erreicht ist. Die Verhältnisse sind nach unseren Vorstellungen,
mit dem größeren Eingriff, welcher ausgedehnte Wundnekrosen (Netz¬
ligaturen) schafft, einfach zu deuten. Bei ungestörtem Heilungsverlauf
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Über postoperativen Eiweißzerfall. I.
109
sind etwa 11 Tage nach der Operation die Ausgangswerte wieder
erreicht.
Als typisches Beispiel geben wir Kurve 12 a.
Kurve Pia. H. Z., 48 ,T. Ulcus ventriculi (pars niedia) Billroth I. 14 Tage nach der Operation
mit p. p. verheilter Wunde entlassen.
Operationen am Harntraetus.
Bei den folgenden Operationen lagen insofern besondere Verhält¬
nisse vor, als die untersuchten Prostatektomien und die Pyelotomie zu
vorübergehender Harnfistelbildung und Infektionen des ehgeren Ope¬
rationsbereichs führten.
Als Typus geben wir Fall R., Kurve 13, wieder.
Die Operation führt zu einem Anstieg des Titers von 50 auf 100. Noch
acht Tage nach der Operation ist der antitryptische Titer hoch bei 90;
Kurve 18. H. R., (>0J. Prostatahypertrophie, Prostatectomie. 4 Wochen nach der Operation
geheilt entlassen.
trotz guten Heilungsverlaufs, der dadurch gekennzeichnet ist, daß Pat.
nach vier Wochen mit vollkommen verheilter Blasenwunde entlassen
wurde.
Auch bei den übrigen Fällen bleibt der Titer im Gegensatz zu dem
geschilderten Verhalten der Bruchoperierten und Magenresizierten lange
nach der Operation hoch.
Prostatektomie II.
Titer vor der Operation: 40
Titer 2 Tage nach der Operation: 60
Titer 9 Tage nach der Operation: 80
Prostatektomie III.
Titer vor der Operation: 60
Titer 3 Tage nach der Operation: 110
Titer 10 Tage nach der Operation: 60
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HO M. Bürger und M. Grauhan:
Pyelotomie wegen Nierenstein bei Pyelitis.
Titer vor der Operation: 30
Titer 1 Tag nach der Operation: (30
Titer 4 Tage nach der Operation: 80
Postoperativer Verlauf der A. T.-Kurve bei hohen Ausgangswerten
(septische Operationen, Carcinome).
Die höchsten Ausgangswerte des A. T. fanden sich, wie eingangs er¬
wähnt, bei septischen Prozessen. Es war für uns von besonderem Inter¬
esse, ob sich in diesen Fällen analog der Fieberkurve ein günstiger
Verlauf im Abfallen der A.T.-Kurve und umgekehrt äußern würde.
Nach den hier vertretenen Anschauungen mußte sich, wenn den Zerfalls¬
produkten durch Eröffnung von Abscessen und Freilegung von Ent¬
zündungsherden eine Entleerung nach außen ermöglicht und damit
ihre Resorption verhindert wurde, ein Absinken der A. T.-Kurve
resultieren. Gleichzeitig auch darum, weil weiterer Gewebseinschmel¬
zung durch den Eingriff vorgebeugt wurde. Diese Erwartungen haben
sich im allgemeinen erfüllt: Als Beispiel beginnen wir mit der Wiedergabe
eines Falles von abgekapseltem appendicitischem Absceß, der entleert
und drainiert wurde, ohne das die Appendix selbst entfernt wurde
(Kurve 14).
Hoher Ausgangswert von 120, geringer Anstieg auf 140 nach der
Operation mit Entleerung des Eiters nach außen, prompter Abfall
auf 80, ohne aber normale Werte zu erreichen während der Dauer der
Beobachtung.
Den postoperativen Abfall der A. T.-Kurve bei völliger Beseitigung
des Entzündungsherdes zeigt ein Fall von akuter gangränescierender
Appendicitis (Kurve 15).
Erhöhter Titer von 70 bei der Operation, gleichmäßiges Absinken
mit der Temperatur kurve auf 30 am 10. Tage nach der Operation.
Perigastrischer Absceß infolge Ulcus ventriculi perforans.
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Tber postoperativen Eiweißzerfall. 1.
111
Titer am Tage der Operation 100, 2 Tage nach der Operation 90,
6 Tage nach der Operation 50.
Ein etwas anderes Verhalten zeigt eine akute Gangrän der Gallen¬
blase. Der Ausgangswert vor der Operation betrug bei dem schwer
kranken Mann 30 A. T., Temperatur 37,8.
Kurve 16. J. A., 86 J. Akute gangränöse Appendicitis, Operation am 8. Krankheitstag. Appen¬
dektomie, Draii\age. Günstiger Verlauf.
Nach Cholecystostomie und Entleerung des Empyems der Gallen¬
blase stieg der Titer zunächst hoch an auf 100, um dann entsprechend dem
günstigen Verlauf auf 50 A. T. abzufallen.
Der trotz der Gangrän auffallend niedrige Ausgangswert ist wohl
auf die in der Gallenblase ungünstigen Resorptionsverhältnisse zurück¬
zuführen.
A.T.-Kurve bei ungünstigem Heilungsverlauf.
Wird durch den operativen Eingriff der entzündliche Prozeß und
damit eine weitere Einschmelzung von Körpergewebe nicht gehemmt,
so bleibt der Abfall der A. T.-Kurve aus, oder es kommt zu jenem
weiteren Anstieg. Kurve 16:
Kurve 16. P. W. f 53 J. Appendidtis perforata, Peritonitis. Appendektomie, Drainage, Spülung, f.
Kurve 16: Perforierter Appendix mit Unterbauchperitonitis, nach
Appendektomie und Spülung der Bauchhöhle vorübergehendes Ab¬
sinken von 100 auf 80 und Wiederanstieg bei Fortschreiten der Peri¬
tonitis auf 100 bis zu dem am 7. Tage p. op. erfolgenden Tod.
Ähnlicher Verlauf bei einer Hüftresektion wegen Osteomyelitis des
Schenkelhalses mit eitriger Coxitis. Trotz der Operation weiteres
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112 M. Bürger und M. Grauhan:
Ansteigen des Titers von 120 auf 140 mit geringem Absinken vor
dem Tode.
Titer 3 Tage nach der Operation: 120
Titer 5 Tage naeh der Operation: 140
Titer 9 Tage naeh der Oj>eration: 1(K>
13 Tage nach der Operation: Exitus.
Carcinomoperationen.
Die hier aufzuführenden Fälle verteilten sich nicht ganz gleich¬
mäßig:
1. Gastroenterostomie bei inoperablem Magencarcinom. 63 Jahre
alter Mann.
Titer 1 Tag vor der Operation: 60
Titer 1 Tag nach der Operation: 60
Titer 3 Tage nach der Operation: 100
Tod 6 Tage nach der Operation.
Der Wert vor der Operation ist gegen die Norm auffallend wenig
erhöht. (Kurve 17).
Kurve 17. H. 11., M .T. StenoBieremles Carcinoma j»ylori. Jiillroth T. günwtlRor Verlauf der Re¬
sektion.
Kurve 17: 54jähriger Mann. Großes stenosierendes Carcinoma
pylori, das aus funktionellen Gründen reseziert wurde unter Zurück¬
lassung von nicht entfernbaren Metastasen im Netz und an der
kleinen Curvatur. Der schon vor der Operation hohe Titer von 80
steigt p. op. nur unwesentlich an (auf 90) und hält sich noch weitere
5 Tage in gleicher Höhe.
Der letzte Fall betrifft ein Mamma-Carcinom bei einer 60jährigen
Frau mit ausgedehnten Metastasen in den Lymphdrüsen. Der hohe
Ausgangswert von 80 bleibt durch die Operation unbeeinflußt.
Titer 1 Tag vor der Operation: 80
Titer 2 Tage nach der Operation: 80
Titer 5 Tage nach der Operation: 80
Diskussion der Befunde.
Unsere Untersuchungen bestätigen zunächst die Erfahrungen
früherer Autoren, daß die verschiedensten, mit Gewebsschädigung
einhergehenden Prozesse zu einer Einschwemmung von Stoffen
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Über postoperativen Eiweißzerfall. I.
113
in die Blutbalm Anlaß geben, welche die tryptische Verdauung
in vitro mehr oder weniger weitgehend hemmen. Die Art der zu¬
grundeliegenden Zerfallsprozesse ist dabei weitgehend irre¬
levant. Kolloide Strumen liefern ebenso antitryptisch wirksames
Material wie geschädigte Muskulatur oder bösartige Neubildungen. In
Reagensglasversuchen konnten wir derartige Wirkungen kopieren
durch Pepton und Glykokoll; aus diesen Beobachtungen leiten wir die
Berechtigung zu der Annahme ab, daß es sich bei der Erscheinung der
Trypsinverdauungshemmung nicht um das Wirksam werden eines
echten Antiferments, sondern um Hemmungswirkungen von Ab¬
bauprodukten handelt. Im Verfolg dieser Vorstellungen wurde die Wir¬
kung verschiedenster operativer Eingriffe bezüglich des Auftretens
antitryptisch wirksamer Stoffe untersucht mit dem Resultat, daß
praktisch jederEingrif fei ne Vermehrung der antitry ptischen
Serumstoffe bedingt. Im allgemeinen gingen die Ausschläge der
Größe des Eingriffs parallel, wie besonders aus den Befunden bei aseptisch
verlaufenden Operationen hervorgeht. Besonders hohe Ausschläge wur¬
den bei Strumaoperationen gesehen, was mit den Befunden von
C. Meyer 1 ) gut übereinstimmt, der den gleichen Effekt durch Injektion
von Schilddrüsensubstanzen erzielte.
Unter der Vielheit antitryptisch wirksamer Substanzen befinden sich
sicher auch pyrogene Stoffe. Daher geht sooft die Kurve des A. T.
mit dem Temperaturverlauf parallel. Ausnahmen kommen jedoch vor;
z. B. wurde bei einer Darmresektion wegen Ileus gefunden:
A.T.
Temperatur
80
37,8
1 Tag vor der Operation
120
37,6
3 Tage nach der Operation
80
37,4
7 Tage nach der Operation.
Dabei war Allgemeinbefinden und Wundverlauf normal; also keine
Kollapstemperatur. Auch die bei Carcinom gefundenen Erhöhungen
des Titers gehen ohne Fieber einher (Kurve 17).
Ist die als Folge des operativen Eingriffs einsetzende Gewebsein¬
schmelzung nur geringen Umfangs, so kehrt der Titer rasch zur Norm
zurück; das zeigen übereinstimmend normal verlaufende Bauchoperatio¬
nen. Bei größeren Eingriffen (Magenresektionen) kreisen die Gewebs¬
zerfallsprodukte längere Zeit im Blute.
Bei primär hohen antitryptischen Werten infolge eitriger Einschmel¬
zungsprozesse konnten wir nach unseren Kurven zwei Verlaufstypen
unterscheiden: Prompte Entleerung abgekapselter Eiterherde
bedingt nach vorübergehendem Anstieg raschen Abfall! Führt
die Operation nicht zum gewünschten Erfolg oder treten Sekundärinfek-
x ) Meyer, BerL klin. Wochenschr. 1909, Nr. 23.
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII. 8
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114 M. Bürger und M. Grauhan: Über postoperativen Eiweißzerfall. 1.
tionen ein, so äußert sich das in weiterem Ansteigen resp. Hoch¬
bleiben der antitryptischen Werte. Es kommt in solchen Fällen immer
neues Einschmelzungsmaterial in die Blutbahn. Diese Art der Betrach¬
tung kann für die Beurteilung von Carcinomoperationen von Bedeutung
werden. Abfall des vorher erhöhten Titers und dauerndes
Einhalten von Normalwerten wird in der Richtung einer
geglückten Radikaloperation zu verwerten sein; während
umgekehrt ein Hochbleiben resp. Ansteigen der Werte für das
Zurückbleiben von Metastas spricht.
Wie wir in einer weiteren Mitteilung zeigen werden, führen auch asep¬
tische Eingriffe infolge der Gewebseinschmelzung zu Stickstoff Verlusten.
Die biologische Bedeutung solcher Einschmelzungsprozesse wird bei
Operationen kleinen Umfangs nur von geringer Bedeutung sein. Daß
sie auch hier schon nachweisbar sind, konnten wir dartun. Kommt es
aber zur Ausbildung großer Wundflächen oder Zerstörung großer Gewebs-
massen (Granatverletzungen, Oberschenkelexartikulationen), dann wird
eine toxische Komponente dieser Eiweißabbauprodukte den Heilungs¬
prozeß richtunggebend beeinflussen. Was als Wundschock lange
bekannt ist, wird nunmehr teilweise unter dem Gesichtspunkt der
proteinogenen Kachexie (Schittenhelm und Weichardt) zu be¬
trachten sein. Die Richtlinien für die Therapie ergeben sioh bei einer
solchen Auffassung von selbst. Es muß stets das Ziel der weiteren Wund¬
versorgung bleiben, die toxischen Gewebszerfallsprodukte zu entfernen
und damit einer drohenden „Wundkachexie“ vorzubeugen.
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Original fro-m
UNIVERSITY Of-MINNESQTA
(Aua der Medizinischen Klinik Kiel [Direktor: Prof. Dr. A. Schittenhelm].)
Untersuchungen über die Ableitung der Aktionsströme des
Herzens vom Thorax.
Von
Dr. Fritz Schellong,
Assistent der Klinik.
Mit 4 Textabbildungen.
(Eingegangen am 21. Januar 1922.)
Lewis 1 ) und seine Mitarbeiter veröffentlichten eine Reihe von
Arbeiten über das Vorhofsflattem- und -flimmern. In der einen dieser
Arbeiten werden von Drury und Iliescu 2 ) elektrokardiographische
Untersuchungen des klinischen Flimmems mitgeteilt. Die Verfasser
bedienen sich dabei einer lokalen Ableitung vom Thorax und erhalten
dadurch Elektrokardiogramme, die die Aktion des flimmernden und
flatternden Vorhofes in besonders deutlichen Wellen und Oszillationen
wiedergeben. Bei den üblichen Ableitungen von den Extremitäten wird
die Kurve durch extrakardiale Vorgänge leicht entstellt. Schon ein
leichtes Zittern der Arme und Beine, das sich bei etwas aufgeregten
Patienten nicht vermeiden läßt, bringt in die Saite eine stete Unruhe,
die feinere Unterscheidungen, namentlich im Bereich der Vorhofszacken,
nicht zuläßt. Die Verfasser benutzen ihre Art der Ableitung nur zu be¬
sonderen Untersuchungen des Flatterns und Flimmerns. Ich habe die Ab¬
leitungen nachgeprüft und sie bei einer Reihe normaler und herzpatho¬
logischer Fälle angewandt, indem ich gleichzeitig Abi. 2 schrieb und
auch weitere Vergleiche mit Abi. 1 und Abi. 3 anstellte. Es haben sich
dabei einige Vorteile ergeben, die die Methode einer Mitteilung wert er¬
scheinen lassen, zumal sie noch nicht allgemein bekannt sein dürfte.
Methode: Die Ableitung geschieht durch zwei runde Kupfer¬
plättchen von 4—5 cm Durchmesser, die am Thorax mit einer steifen
Paste aus Mehl, Salz und Wasser befestigt werden, und an denen Klemm¬
schrauben für die Drähte angebracht sind, die zum Galvanometer führen.
Als die günstigsten Stellen der Ableitung haben sich für Drury und
Iliescu ergeben:
1. Die eine Kupferplatte wird auf den Ansatz der zweiten rech¬
ten Rippe aufgesetzt, die andere auf den 7. rechten Rippenknorpel.
J ) Lewis, Observation» upon flutter and fibrillation. Heart, Bd. 7 —8, 1920
bis J921. Ref. Kongr. Zentralbl. 14 — 18 , 1921.
2 ) Drury und Iliescu, Part. VIII, Heart Bd. VIII, Nr. 2 u. 3, 1921. Ref.
Kongr. Zentralbl. 18 , 538. 1921.
8 *
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Original fro-m
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116
F. Schellong: Untersuchungen
2. Die eine Platte auf die Mitte des Sternums, die andere auf den
Rücken, 6 cm rechts von der Wirbelsäule in Höhe des Schulter blattwinkeis.
Es erscheint zweckmäßig, die Haut vorher mit Äther gut zu reinigen
und mit Kochsalzlösung anzufeuchten.
Untersuchungen: Von diesen beiden Ableitungen erwies sich mir
die erste (Brustabteilung) als die günstigere. Da sie außerdem auch be¬
quemer anzuw r enden ist (Rückenlage des Patienten), habe ich sie bevor¬
zugt und die zweite Art (Brust-Rücken) nur aushilfsweise herangezogen,
ohne mit ihr je bessere Resultate zu erhalten.
Bei denVersuchen ergab sich, daß die durch die beschriebenen Ablei¬
tungen gewonnenen Kurven meist frei von extrakardialen Verzitterungen
Abb. I. Oben: Brustabl.; unten: Abi. II. In der Brustableitung deutlice P-Zacke. Abi. 2 verzittert.
Normales P nicht erkennbar.
sind und die Vorhof sschw r ankungen deshalb meist klarer hervortreten
lassen. Daß diese in Fällen von Flattern und Flimmern gut zum Ausdruck
kommen, zeigen Drury und IIiesc u an ihren Kurven. Aber auch für
die Darstellung des normalen Vorhofs ist Saitenruhe von Bedeutung,
wenn es sich z. B. um die Berechnung einer etwa verlängerten Über¬
leitungszeit (P-R) handelt. Bei einem Patienten (Akromegalie und
Paralysis agitans, chronische Arthritis) w r ar das Zittern der Extremi¬
täten so stark, daß Abi. 1, 2 und 3 eine normale Vorhofserhebung nicht
erkennen ließen; erst die Brustableitung zeigte ein deutliches normales P
und damit ein überhaupt normales Elektrokardiogramm (Abb. 1).
Immerhin folgten sich die R-Zackcn auf dem Elektrokardiogramm
dieses Falles in regelmäßigen Abständen, und aus diesem Grunde hätte
man vielleicht schon von vornherein ein Vorhofsflimmem ausschließen
können.
Ein anderer Kranker dagegen hatte bei einer schwer dekompen-
sierten Aorteninsuffizienz lange Zeit hindurch regelmäßigen Puls und
zeigte dann plötzlich eigenartige Frequenzunterschiede: Nach einer
kurzen tachykardischen Periode (Frequenz 120—130) w r urde die Aktion
langsamer bis zur kurzdauernden Bradykardie (Frequenz 50—60),
um dann wieder allmählich beschleunigt zu werden. Diese wellenförmi-
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Abb. 4. Oben: Brustabl.; unten Abi. II. Ekg eines Falles mit Vorhofsflattem.
118 F. Schellong: Ableitung der Aktionsströme des Herzens vom Thorax.
gen Rhythmusänderungen folgten sieh ganz regelmäßig in gleichen Ab¬
ständen. Von der voll ausgebildeten Tachykardie zählte ich bis zur vollen
Bradykardie im Durchschnitt 25 Sekunden, von da bis zur wiederher¬
gestellten Tachykardie ebensoviel. Gleichzeitig bestand C h e y n e -
Stokessches Atmen derart, daß die Atmungsexkursionen während
der langsamen Herztätigkeit am größten waren.
Das Elektrokardiogramm in Abi. 2 zeigte (abgesehen von der aty¬
pischen R-Zacke) während der schnellen Frequenz eine nur kleine
Vorhofserhebung, die sich von den Verzitterungen aber noch sicher
unterscheiden ließ. Während der bradykardischen Phase dagegen
schien in Abi. 2 Vorhofsflimmem zu bestehen. Die sofort vorgenommene
Brustableitung zeigte dann aber ein deutliches (zweizipfeliges) P an den
Stellen, an denen in Abi. 2 überhaupt kein Vorhof sichtbar war (Abb. 2
und 3). Damit war es klar, daß die Frequenzänderung vom Sinus ausging.
Demgegenüber stehen einige Fälle mit normalem Elektrokardio¬
gramm, in denen die Gliederableitungen, besonders Abi. 2 die besten
P-Zacken zeigten und die Brustableitung und auch die Brust-Rücken¬
ableitung in dieser Hinsicht versagten. In einem normalen Falle gab
die Brustableitung keinen sichtbaren Vorhof.
Ebenso muß betont werden, daß diese Ableitungen auch in Fällen
von Flattern und Flimmern nicht immer die souveräne Art der Dar¬
stellung sind. Sie leisten bisweilen nicht mehr — aber auch nicht weniger
— als die üblichen Gliederableitungen, zumal da für die Diagnosestellung
die vorhandene totale Irregularität bei fehlender Extrasystolie ja kaum
Zweifel entstehen läßt. Meist aber ist der flatternde Vorhof recht deut¬
lich sichtbar, und die Brustableitung ist daher zumindest ad demonstra-
tionem etwa für Studenten zu empfehlen. Abb. 4 zeigt so einen Fall,
bei dem auch in Abi. 1 und 3 kein klares Flattern zu erhalten war.
Hinzugefügt sei, daß der von Frey und Schittenhelm 1 ) veröffent¬
lichte Fall von Ventrikelautomatie mit stillstehenden Vorhöfen mit der
beschriebenen Ableitung nachuntersucht worden ist. Auch dabei waren
Aktionsströme des Vorhofes nicht erkennbar. Die Saite blieb ruhig
bis zur jedesmaligen R-Zacke.
Die Vorzüge der hier besprochenen Methode mit direkter Ableitung
vom Thorax sind also: Saitenruhe infolge des Wegfallens extra¬
kardialer Einflüsse und dadurch Deutlichwerden der P-
Schwankung, die auch gerade bei den von Drury und Iliescu
gewählten Ableitungstellen meist größer als bei den Gliederableitungen ist.
Besonders die Brustableitung wird in manchen Fällen Klarheit schaffen.
Über die Aktionsströme der Kammern scheint sie keinen neuen Auf¬
schluß zu geben. Sie ist aber nicht in allen Fällen der üblichen Art der
Gliederableitung, insbesondere nicht Ableitung 2, überlegen.
1 ) Frey und Schittenhelm, Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 12, H. 6. 1921.
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über den Calciumgehalt des Blutes bei der Guanidin Vergiftung.
Ein Beitrag znr Tetaniefrage.
Von
Gustav Bayer.
(Aus dem Institute für allgemeine und experimentelle Pathologie der Universität
Innsbruck.)
Mit 3 Textabbildungen.
(Eingegangen am 11. November 1921.)
Unter eingehender Kritik der zahlreichen bisher aufgestellten
Hypothesen über die Pathogenese der parathyreogenen Tetanie ge¬
langten kürzlich NoelPaton 1 ) und seine Mitarbeiter zu dem Schlüsse,
daß diese durch die Anhäufung von Guanidin in der Zirkulation her¬
vorgerufen sei, welches infolge des Ausfalles eines normalerweise von
den Epithelkörperchen ausgehenden Stoffwechselregulation in ab¬
normer Menge im Organismus kreist. Nicht unerwähnt soll bleiben,
daß Fühner bereits in seiner ersten Guanidinarbeit 2 ) auf den mög¬
lichen Zusammenhang von Tetanie und Guanidin Wirkung hinge¬
wiesen hat.
In der Tat zeigt die Vergiftung mit diesen Stoffen in vielen Be¬
ziehungen eine weitgehende Übereinstimmung mit den Symptomen
der parathyreopriven Tetanie: nach geringen Dosen wird durch das
Guanidin zunächst nur die elektrische Erregbarkeit der motorischen
Nerven gesteigert, nach größeren Giftdosen treten tonische und klo¬
nische Krämpfe der Muskulatur vom selben Typus wie bei der post¬
operativen und bei der idiopathischen Tetanie auf; daneben beobachtet
man auch Störungen, die ihren Ausgang vom Zentralnervensystem
nehmen und welche offenbar die gleichen Gebiete wie bei der Tetanie
betreffen, wie sich aus der gleichen Beeinflussung durch Narkose, Durch -
trennung nervöser Bahnen usw. ergibt. Ferner fand Bur ns 1 ) als weitere
Stütze für Noel Patons Ansicht über das Wesen der Tetanie, daß die
Stoffwechseländerungen, die beim Hunde durch die Entfernung der
Epithelkörperchen ausgelöst werden, mit den beim fastenden Hunde
durch Vergiftung mit Methylguanidin hervorgerufenen Störungen des
*) Noel Paton, Findlay, Burns, Sharpe, Wishart, Quaterly joum.
of physiol. 1#. 1917.
2 ) H. Fühner, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 58. 1907.
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII. 9
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120
G. Bayer:
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Stickstoffwechsels identisch sind. Und Watanabe 1 ) fand, daß die In¬
jektion von Guanidinchlorhydrat beim Kaninchen ebenso wie die Ent¬
fernung der Epithelkörperchen zur Hypoglykämie führe. Anderseits
hatte bereits F. W. Koch 2 ) diese Substanz und verschiedene Derivate
derselben (Methylguanidin, Dimethylguanidin, Guanidinbutylamin-
oder -propylamin) im Harne parathyreopriver Hunde nachgewiesen,
ebenso fanden Bur ns und Sharpe 3 ) Guanidin und Methylguanidin
bei Hunden nach Entfernung der Epithelkörperchen in vermehrter
Menge im Harn und Blut, bei tetaniekranken Kindern im Harn und
Sharpe 4 ) in bedeutend vermehrter Menge im Stuhl tetaniekranker
Kinder.
So kann es nicht wundernehmen, daß Noel Patons nach so vielen
Richtungen vorzüglich fundierte Hypothese heute die Tetaniefrage
beherrscht. Ganz ohne Einspruch ist allerdings diese Hypothese doch
nicht geblieben. Aus einer jüngst erschienenen Arbeit Klingers 6 )
läßt sich die auch durch unsere eigenen Erfahrungen bestätigte Tat¬
sache entnehmen, daß das allgemeine Symptomenbild der Guanidin-,
Methylguanidin- und Dimethylguanidin Vergiftung bei der Ratte offen¬
bar sehr verschieden ist, von dem durch Ausschaltung der Epithel¬
körperchen bei diesen Tieren erzeugbaren Krankheitsbild, wie es Erd-
heim und auch Iselin beschrieben haben. Und bei der Katze zeigt
sich zwar nach Klinger eine sehr weitgehende Ähnlichkeit der
Symptome der Vergiftung mit den genannten Stoffen einerseits und der
parathyreopriven Tetanie anderseits 8 ), ein auffallender und für die Be¬
urteilung der ganzen Frage vielleicht gewichtiger Unterschied ist da¬
gegen in der ungleichen Wirksamkeit der Calciumsalze gelegen: bei
der parathyreopriven Tetanie erhielt Klinger durch CaCl 2 und durch
andere lösliche Kalksalze immer eine prompte Besserung der Symptome,
häufig völlige, wenn auch nur vorübergehende Wiederherstellung der
Gesundheit (wie dies auch nach den zahlreichen Angaben verschiedener
Autoren bei anderen Versuchstieren gelingt"), während bei der
*) C. K. Watanabe, Joum. of biol. ehern. 33; 1918; nach dem Referat im
Chem. Zentralbl. 1, 49. 1919.
2 ) F. W. Koch, Joum. of biol. chem. 13 u. 13. 1912 u. 1913.
3 ) Burns und Sharpe, Quaterly joum. of physiol. 10 . 1917.
4 ) Sharpe, Biochem. Joum. 14. 1920.
5 ) Klinger, Arch. f. experim. Pathol. und Pharmakol. 00. 1921.
6 ) Bei den eigenen Versuchen hatte ich doch den Eindruck, daß die Spastizitat
nach der Guanidinvergiftung nicht jene hohen Grade erreicht, welche die para-
thyreoprive Katze zeigt. Der von Klinger beobachtete Unterschied hinsicht¬
lich des Appetites, der bei der postoperativen Tetanie völlig fehlt, bei der Guanidin¬
vergiftung ungestört vorhanden ist, zeigte sich auch in auffallender Weise in den
eigenen Versuchen. Hier mag aber vielleicht der Wundschmerz zur Erklärung
herangezogen werden. Klinger, Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. 33.
7 ) Biedl, Innere Sekretion. III. Auflage. 1916. S. 167.
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Über den Caloiiungehalt des Blutes bei der GuanidinvergiftmiLr. 121
Guanidin Vergiftung die gleichen und auch größere Kalkdosen ganz
versagten. Auch Noel Paton und Findlay fanden bei guanidin¬
vergifteten Katzen nach Calciumdarreichung zwar eine Herabsetzung
der elektrischen Erregbarkeit, im übrigen aber wird von zwei Tieren
bemerkt, daß die allgemeinen Symptome bei Katze 70 sogar noch ausge¬
sprochener in Erscheinung treten, während Katze 66 1 Stunde 20 Min.
nach der intravenösen Injektion von Calciumlaktat seemed more
comfortable and the want of balance was less marked, but „water
shaking“ as before. Und ebenso fand auch Watanabe 1 ), daß
die durch Epithelkörperchenentfemung hervorgerufenen Tetaniesym¬
ptome, sowie die sie begleitende Hypoglykämie, durch Calciumlaktat
zeitweilig behoben werden können, nicht aber die gleichen Erschei¬
nungen nach Guanidinvergiftung. Dieser Unterschied zwischen Guani¬
dinvergiftung und Tetanie legte uns die Frage nahe, ob die für die
idiopathische und postoperative Tetanie nachge\yiesenen Beziehungen
zum Kalkstoffwechsel bzw. zum Calciumgehalt des Organismus auch
für die Guanidin Vergiftung Geltung besäßen. In der bisherigen Lite¬
ratur liegt meines Wissens nur eine Angabe vor, welche zur Beant¬
wortung unserer Fragestellung in Beziehung gebracht werden könnte :
nämlich die von Heyde 2 ) mitgeteilte, von Löwit 3 ) bestätigte Beob¬
achtung, daß die Gerinnbarkeit des Blutes guanidinvergifteter Tiere
herabgesetzt sei. Eine bindende Antwort auf die Frage nach dem Ca-
Gehalt des Blutes guanidinvergifteter Tiere läßt sich jedoch natürlich
aus Heydes Beobachtungen nicht ableiten, da der Vorgang der Blut¬
gerinnung ja doch ein sehr komplexer und noch von vielen anderen
Faktoren außer dem Ca-Gehalt abhängig ist.
Während die Versuche einer Aufstellung einer Kalkbilanz, sowie
die Kalkbestimmungen im Gehirne und in anderen Organen bei der
Tetanie keine gleichmäßigen Resultate geliefert haben, weisen alle
Untersuchungen über den Ca-Gehalt des Blutes bei dieser Krankheit
nach einer Richtung. Zuerst hatte Neurath 4 ) den Kalkgehalt des
Plasmas mit Hilfe der Wrightsehen Methode zu bestimmen gesucht
und fand sowohl bei tetaniekranken Kindern als auch bei einem para-
thyreopriven Hund eine Verminderung desselben. Auch Stheeman 6 )
fand mit derselben Methode bei Kindern mit positiven Facialisphäno-
men einen geringeren Calciumgehalt des Plasmas als bei normalen
Kindern. Mac Callum und Voegtlins 6 ) Analysen ergaben, daß der
*) Watanabe, Joum. biol. ehern. 34. 1918. Ref. Chera. Zentralbl. 1, 115
bis 116. 1919.
2 ) Heyde, Zeitschr. f. Physiol. Ä5, 441. Experim. Med. 1. 1913.
3 ) Loewit, M., Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 13, 14. 1913.
4 ) Neurath, Zeitsehr. f. Kinderheilk. 1. 1911.
5 ) Stheeman, bei Trendelenburg 1. c.
6 ) Mac Callum und Voegtlin, Joum. of experim. med. II; 1909 und 18; 1913.
9*
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122 Bayer:
Kalkgehalfc des Blutes normaler Hunde zwei- bis dreimal so groß
ist als der durch Parathyrektomie tetanisch gemachter Hunde und
Kramer und Howland 1 ) stellten bei tetaniekranken Kindern eine
sehr bedeutende Abnahme des Serumcalciums fest. Neuerdings fand
P. Trendelenburg 2 ), der eine feine biologische Methode zur schät¬
zungsweisen Bestimmung des Ca-Ionengehaltes im Serum unter Be¬
nützung des Froschherzens als Indicator ausarbeitete, daß das Serum
von Katzen nach Parathyrektomie eine Ca-Verminderung von un¬
gefähr 35—45% gegenüber dem normalen Calciumgehalte aufweise.
Diese Übereinstimmung zwischen den Ergebnissen aller Unter-
sucher lassen es als höchstwahrscheinlich ansehen, daß bei der ex¬
perimentellen wie bei der klinischen Tetanie eine Verminderung des
Calciumgehaltes des Blutes bestehe. Diese Tatsache für die Klärung
der Frage nach der Bedeutung des Guanidins für die Tetanie nutzbar
zu machen, stellte ich mir die Frage, ob auch bei der Guanidinver¬
giftung eine Verminderung des Serumcalciums nachweisbar wäre.
Als Versuchstiere dienten Kaninchen, Meerschweinchen und Katzen,
und zwar wurden entweder zu jedem vergifteten Tier normale Kontroll¬
iere, womöglich gleichen Wurfes, j edenf alls aber gleichgroße Tiere gleichen
Geschlechtes, die vorher unter den gleichen Fütterungsverhältnissen ge¬
halten worden waren, verwendet, oder es wurde dem zur Vergiftung be¬
stimmten Tiere unmittelbar vor der Verabreichung der Substanz Blut be-
hufs Bestimmungdesnormalen Ca-Gehalts entnommen. Die Blutentnahme
erfolgte bei allen Tieren aus der Carotis mittels Kanüle, bei Kaninchen und
Meerschweinchen ohne Narkose, bei Katzen, bei denen behufs Auf bindung
auf das Operationsbrett Betäubung nicht zu vermeiden war, in Äther¬
narkose. Die Sera wurden 24—36 Stunden nach der Blutentnahme am
Froschherzen nach der von P. Trendelenburg 3 ) angegebenen Me¬
thode geprüft. Ein Ca-Verminderung vortäuschender und dadurch
störender Einfluß des injizierten, resorbierten und evtl, im Blute
kreisenden Guanidins auf das Froschherz war nicht zu befürchten,
wie bereits Trendelenburg festgestellt hatte und wie auch aus den
Versuchen von Bums und Watson 4 ) sowie von Rosenow 6 ) hervor¬
geht, welche durch die erst überhaupt herzwirksamen J / 4 proz. Guanidin¬
lösungen, Konzentrationen die für unsere Tierversuche überhaupt
nicht in Betracht kamen, Vergrößerung der Amplitude des Herz¬
schlages erzielten.
J ) Kramer and Howland, Joum. of biol. ehern. 43. 1920: Tisdall,
Kramer and Howland. Proc. of the soc. for experim. biol. a. med. 18. 1921.
2 ) P. Trendelenburg, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 89. 1921.
3 ) Trendelenburg, 1. c. S. 190.
4 ) Bums und Watson, Joum. of physiol. 53, 306. 1920.
5 ) Rosenow, Zeitschr. f. d. ges. experim. Med. 1 £. 1920.
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Über den Calciumgehalt des Blutes bei der GuanidinVergiftung.
123
Zur Vergiftung wurde teils Guanidinchlorhydrat der Firma Kahl¬
baum, teils Methylguanidin von Hofmann - La Roche, Basel, ver¬
wendet, welches letzteres Präparat mir von der erzeugenden Firma in
dankenswerter Weise überlassen worden war. Die Applikation erfolgte
mittels subcutaner oder intramuskulärer Injektion. Das Guanidin
bzw. Methylguanidin wurde bei allen Versuchen in verteilten Gaben
verabreicht, in der Art, daß bald akuterer, bald protrahierter ver¬
laufenden Vergiftungen erzielt wurden. Die Entnahme des Blutes vom
vergifteten Tiere erfolgte teils auf der Höhe der Vergiftung, teils in
einem Zeitpunkte, in dem ein längeres Zuwarten mit Rücksicht auf den
schweren Zustand des Tieres nicht ratsam war, bei den verschiedenen
Versuchen zwischen der 3. und 31. Stunde nach dem Beginn der Gift¬
darreichung.
Die bei den Katzenversuchen nebenbei vorgenommene chemische
Calciumbestimmung im Serum wurde nach Veraschung in der von
St ölte 1 ) vorgeschlagenen Weise nach der Methode von Kramer und
Howland 2 ) ausgeführt.
Zur Beurteilung der Versuchsergebnisse mußte zunächst die Emp¬
findlichkeit der verwendeten Froschherzen (meistens wurden Esculen-
ten benützt) gegen Ca-Mangel festgestellt werden. Es geschah dies
wie in Trendelenburgs Versuchen in der Weise, daß jedes zu
prüfende Froschherz sukzessive mit Frosch-Ringerlösung verschiedenen
Calciumgehaltes gespeist wurde und die jeder dieser Füllungen ent¬
sprechende Kontraktionshöhe graphisch registriert wurde. Natürlich
wurde streng darauf geachtet, daß der hydrostatische Druck in der
Fühner - Kanüle bei den verschiedenen Füllungen einer Versuchsreihe
genau der gleiche war. Das hierbei erzielte Ergebnis ist in der Tab. I
verzeichnet und dem der Trendelenburgschen Auswertungsversuche 3 )
gegenübergestellt.
Tabelle I.
Abnahme der Kontraktionshöhe des Froschherzen bei Verminderung de>
Ca-Gehaltes der zur Speisung verwendeten ltingerlösung.
Bei einer Verminde¬
rung des Kalkgehal¬
tes der Ringerlösung
beträgt die Abnahme der Kontraktionshöhe im Mittel
in den eigenen
Versuchen
in Trendelenb ur g s.
Versuchen
um 30 % 7 %
um 50 % 20 %
um 70 % ,| 36 %
*) Stolte, Biochem. Zeitsckr. 33. 1911.
2 ) Kramer and Howland, 1. c.
8 ) Die entsprechenden Werte sind die Mittelwerte aus den Größen, welche
sich aus den beiden von Trendelenburg, 1. e. >S. 183, wiedergegebenen Kurven
ablesen lassen.
21 %
42 %
TS %
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124
G. Bayer:
Es ergab sich mithin, daß die zu den eigenen Versuchen zur Ver¬
fügung stehenden Froschherzen eine sehr beträchtlich geringere Emp¬
findlichkeit gegen Ca-Mangel aufwiesen als jene, die Trendelenburg
zu seinen Untersuchungen verwendet hatte. Ob hiefür regionäre oder
jahreszeitliche Verhältnisse in Betracht kommen (Trendelenburgs
Versuche wurden, soweit aus seinen mitgeteilten Versuchsprotokollen
ersichtlich, im Dezember bis Juli, unsere in der Zeit vom Juli bis
Ende Oktober ausgeführt) bleibt unentschieden. In unseren Ver¬
suchen war häufig bei einer Verminderung des Ca-Gehaltes um 20%
noch überhaupt keine Abnahme der Kontraktionshöhe bemerkbar.
Bei den nach diesen Vorversuchen zur Erledigung der vorhin um-
rissenen Fragestellung vorgenommenen Versuchen, in welchen das
AB A
Abb. 1. Kaninclicn versuc li.
bh *20 vormittag Erste Blutentnahme.
:ju „ 0,‘25 v Guanidinchlorid subcutan
11»‘ 00 „ 0,40 g
‘2»> 16 nachmittag 0,20 g ,, „
Um 5 h 15 wird das Tier, das seit (> Stunden schwer tetanieähnliche Vergiftungscrscheinuugen
zeigt, durch Entbluten getötet.
A Kontraktionen des Froschherzeus bei Durchspülung desselben mit dem Serum eines nor¬
malen Kaninchens.
B = Kontraktionen des Froschherzens bei Durchspülung desselben mit dem Serum desselben
Kaninchens auf der Höhe der Guanidinvergiftung.
Froschherz abwechselnd mit Normalserum und mit Vergiftungsserum 1 )
gefüllt wurde, ergab sich, daß in den meisten Fällen das Froschherz
bei Speisung mit dem Serum des guanidinvergifteten Tieres geringere
Hubhöhe zeigte als bei Speisung mit dem Serum desselben Tieres vor
der Guanidinvergiftung, bzw. bei Speisung mit dem Serum eines nor¬
malen Kontrolltieres (vgl. Abb. 1, 2 und 3). Die Verminderung der
Amplitude betrug bis zu 17%, was nach unseren Auswertungsversuchen
einen Ca-Mangel von etwa 45% entspräche. In anderen Versuchen war
allerdings die Verminderung der Amplitude geringer, manchmal kaum
angedeutet oder fehlte ganz. Da aber, wie die Aus Wertungsversuche
gelehrt hatten, selbst ein recht beträchtliches Ca-Defizit von 20% im
Durchschnitte nur sehr geringe, häufig an minder empfindlichen Herzen
*) Alle Sera wurden durch Verdünnen mit destilliertem Wasser im Verhältnis
10 + 3 auf Froschisotonie gebracht.
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Über den Calci umgehalt des Blutes bei der Guanidin Vergiftung. 125
gar keine Veränderung der Kontraktionshöhe ergibt, mag auch in diesen
scheinbar negativen oder fast negativen Versuchen ein immerhin
namhafter Ca-Mangel des Vergiftungsserums bestanden haben.
Da für die Kontraktionsgröße des Froschherzens nicht die absolute
Ca-Menge, sondern das Verhältnis Ca:K im Serum maßgebend ist,
a n a
Abb. 2. Meerschweinclienversuch.
2h 80 nachmittag 0,1 g Guanidinchlorid subcutan
8h 45 „ 0,1 g
6h 00 ,, 0,15 g
Um 5h 25 wird da» Tier, das seit der zweiten Injektion typische Vergiltungserscheinungen zeigte,
entblutet. Dazu als Kontrolle das Serum eines normalen Meerschweinchens.
A = Durchspülung mit dem Serum eines normalen Meerschweinchens.
B = Durchspülung mit dem Serum eines guanidinvergifteten Meerschweinchens.
zeigt sich die relative Ca-Verminderung des Serums im Froschherz¬
versuche auch dann, wenn statt des nativen Serums Verdünnungen
desselben mit destilliertem Wasser zur Speisung des Froschherzens
A
H
B A B
Abb. 8. Katzenversuch.
11h 16 vormittag Erste Blutentnahme.
11h 80 „ 0,8 g Guanidinchlorid subcutan (= 0,188 g pro kg Körpergewicht)
8h 00 nachmittag 0,5 g „
6*' 20 unter schweren Tetanieerscheinungen, die alsbald nach der ersten Injektion begonnen
hatten, durch Entbluten getötet.
Obere Kurve: Unverdünnte Sera.
Untere Kurve: Mit destilliertem Wasser 10lach verdünnte Sera.
A = Durchspülung mit dem Serum einer normalen Katze.
B = Durchspülung mit dem Serum derselben Katze auf der Höhe der Guanidinvergiftung.
verwendet werden. Ja es zeigte sich sogar, daß die Speisung mit lOfach
verdünntem Serum den Unterschied in der Kontraktionshöhe zwischen
Normalserum und Vergiftungsserum mitunter viel deutlicher er¬
kennen lasse als die Speisung mit konzentriertem Serum. Einen der¬
artigen Versuch zeigt Abb. 3.
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126 C. Bayer: Chor den (’aleiunigeliiilt des Blutes bei der (iuanidinvergiftmig.
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Es ergab sich mithin aus den mitgeteilten Versuchen,
daß die Guanidinvergiftung bereits nach einigen Stunden
bei Kaninchen, Katzen und Meerschweinchen zu einer
Verarmung des Serums an Ca-Ionen führen kann. Diese
Ca-Verarmung scheint im allgemeinen geringer zu sein
als die nach Entfernung der Epithelkörperchen ent¬
stehende 1 ), kann aber in einzelnen Fällen bis zur gleichen
Größenordnung aufsteigen.
Über die Art und Weise, wie die Ca-Ionenverminderung bei der
Guanidinvergiftung zustande kommt, kann vorläufig Sicheres nicht
ausgesagt werden. Zwei Möglichkeiten sind hier ins Auge zu fassen:
Entweder das Guanidin wirkt bei seinen Durchgang durch das Blut
kalkbindend oder verschiebend auf das Gleichgewicht zwischen freien
und gebundenen Kalk, oder es wirkt das Guanidin über ein den Kalk¬
stoffwechsel regulierendes Organ.
Die erstaufgezeigte Möglichkeit wurde in der Weise geprüft, daß
die bekanntlich von der Anwesenheit von freien Kalk abhängige Um¬
wandlung des Fibrinprofermentes in das Fibrinferment als Indicator
verwendet wurde. Dabei ergab sich, daß im System Fibrinogen -f Sero-
zym + Histozym + CaCl 2 durch vor dem Calciumchlorid zugesetzten
Guanidin eine Beeinflussung des Gerinnungsvorganges nicht statt¬
findet; das Guanidin wirkt demnach nicht unmittelbar auf den Ca-
Ionenbestand ein.
Wahrscheinlicher ist, daß die Ca-Ionenverarmung bei der Guanidin¬
vergiftung auf dem Wege über die Epithelkörperchen zustande kommt
in der Weise, daß die Nebenschilddrüsen durch den übermäßigen Zu¬
fluß von Guanidin, das sie in der Richtung gegen das Kreatinin zu
verarbeiten haben, in bezug auf diese eine Teilfunktion dermaßen über¬
bürdet sind, daß sie der andern ihnen übertragenen Aufgabe, der
Calciumregulierung, nicht entsprechen können.
*) Diese wird von Trendelen bürg auf 35—45% geschätzt.
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Über die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße isolierter
(normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen.
Von
Prof. N. P. Krawkow.
(Aus dem Pharm. Laboratorium an der Milit.-Mediz. Akademie in St. Petersburg.)
Mit 4 Textabbildungen und 36 Kurven.
(Eingegangen am 1 . Dezember 1921.)
Die Untersuchungsmethodik. Die wichtigsten Untersuchungs¬
methoden, die gegenwärtig allgemein beim Studium der Gefäßtätigkeit
an isolierten Organen Anwendung finden, können keinesfalls als völlig
befriedigend angesehen werden. Die Methode von Läwen-Tren-
delenburg *) 2 ) besteht bekanntlich darin, daß die Ringer - Locke¬
sche Flüssigkeit durch die hinteren Extremitäten des Frosches durch-
geleitet wird. Dabei wird eine Kanüle in die Aorta descendens ober¬
halb der Stelle, wo sie sich in die Art. iliacae teilt, eingeführt, die
zweite Kanüle führt man in die Vena abdominalis, die entlang der
Hinterfläche der vorderen Bauchwand verläuft, ein. Die übrigen
Venen, die ebenfalls Blut von den hinteren Extremitäten ableiten,
werden unterbunden. Auf diese Weise fließt die Ringer - Lockesche
Flüssigkeit, die unter einem konstanten Druck durch die Aortenkanüle
einläuft, nur durch die Kanüle in der Vena abdominalis ab. Die Menge
der abfließenden Flüssigkeit erlaubt uns über den Zustand des Gefäß-
lumens zu urteilen.
Soweit die Läwen-Trendelenburgsche Methode. Wenn sie für
kurzwährende Untersuchungen auch sehr wertvolle Dienste geleistet
hat, so erwies sie sich als völlig ungeeignet bei Untersuchungen von
längerer Dauer. Es tritt hier nämlich regelmäßig eine ödematöse
Schwellung der Extremitäten des Frosches hinzu, wodurch die Be¬
ständigkeit im Abfließen der Flüssigkeit ungünstig beeinflußt wird.
Die Ursache des eintretenden Ödems ist die Behinderung des natür¬
lichen Abflusses der Durchleitungsflüssigkeit durch die Nieren- und
Bauchvenen, welche beim Frosch hauptsächlich das Blut von den
hinteren Extremitäten ableiten. Von diesen beiden ist die Nierenvene
die größere, weil sie die Vena ischiadica (eine große Vene, die das venöse
Blut von der hinteren, seitlichen Fläche des Oberschenkels sammelt)
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128 N. P. Krawkow: Über die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße
aufnimmt. [Wiedersheim 8 )]. Da bei der Isolierung der Extremitäten
nach Läwen-Trendelenburg die Nierenvenen unterbunden werden,
so hat die durch die Aortenkanüle infundierte Ringer sehe Flüssigkeit
einen für ihren Abfluß bedeutend engeren Weg, als in der Norm und
dadurch werden auch Bedingungen zur Entstehung eines Ödems ge¬
schaffen. Um diesem Übelstande zu steuern, modifiziert Pisse ms ky 4 )
die Trendelenburgsche Methode folgendermaßen: Er schneidet
die hinteren Extremitäten samt dem Beckengürtel vom Körper des
Frosches ab, führt eine Kanüle in die Aorta descendens ein und läßt
durch diese Kanüle die Nährflüssigkeit einlaufen. Der Abfluß erfolgt
durch sämtliche durchschnittene Venen (ohne Kanülen). Um die
Quantität der abfließenden Flüssigkeit besser ablesen zu können, wird
an das isolierte Organ eine geneigte fünfeckige Glasplatte so angesetzt,
daß die Flüssigkeit im Strahle an der Platte bis zu ihrem spitzen Winkel
fließt und von dort niederfällt. Nach der Quantität der abfließenden
Flüssigkeit kann man den jeweiligen Zustand der Gefäßlumina be¬
urteilen. Die Experimente haben erwiesen, daß diese Modifikation
ganz abgesehen von ihrer einfacheren Technik, den Vorteil hat, daß
hier ein langanhaltender und konstanter Abfluß erzielt werden kann
und außerdem die störende Schwellung der Extremitäten längere Zeit
femgehalten wird. Aber dessenungeachtet können auch mit dieser
Methode keine präzisen Resultate erzielt werden. Störend wirkt in
diesem ,,Froschgefäßpräparat“ der Umstand, daß das Muskelgewebe
bei der Durchleitung der Gifte durch die Gefäße derart von den Giften
imbibiert wird, daß es nur unter Aufwand von Zeit und Mühe gelingt,
die Gifte mit der normalen Ring er sehen Flüssigkeit zu entfernen.
Noch komplizierter wird die Sache, wenn man Gifte, die immittelbar
auf das Muskelgewebe wirken, appliziert, oder wenn sich die Muskeln
kontrahieren; dann kann der Abfluß der Flüssigkeit derart beeinflußt
werden, daß von einem klaren Urteil über die Gift Wirkung auf die
Gefäßwände keine Rede mehr sein kann. Außerdem kann man nicht
die Ergebnisse der an Gefäßen der Kaltblüter vorgenommenen Unter¬
suchungen voll und ganz auf die Gefäße der Warmblüter übertragen;
so ruft das Histamin z. B. bei den Warmblütern eine starke Ver¬
engerung der peripheren Gefäße hervor, während es auf die Gefäße
der Froschfüße keinen Einfluß ausübt [Handowsky und Pick 5 )
Beresin 6 )]. Ferner kann das Studium der Temperaturwirkungen auf
das „Froschgefäßpräparat“ auch nur in verhältnismäßig engen Grenzen,
d. h. unterhalb der Warmblütertemperatur, vollzogen werden.
Die zweite, allgemein anerkannte Untersuchungsmethode an iso¬
lierten Gefäßen wurde von Frey und Meyer 7 ) ausgebildet. Man
exzidiert zu diesem Zweck ein ringförmiges Stück aus einem verhältnis¬
mäßig großen Gefäße, z. B. aus der Carotis, Subclavia, Pulmonalis,
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 129
Coronaria usw., die einem kurz vor dem Experimente getöteten Tiere
entnommen worden sind. Der Ring wird quer durchschnitten, in einen
Streifen verwandelt und dessen eines Ende immobilisiert, während das
andere vermittels eines Häkchens und Fadens mit einem auf zeichnen¬
den und behufs Dehnung des Streifens belasteten Hebel verbunden wird.
Der Arterienstreifen befindet sich in der Ringerschen Flüssigkeit,
deren Temperatur auf die erwünschte Höhe gebracht werden kann.
Die Kontraktion des Streifens entspricht der Verengerung des Gefäß-
lumens und äußert sich durch Hebung des Hebels, die Erschlaffung
des Streifens hingegen bedeutet eine Erweiterung des Gefäßes und
hat eine Senkung des Hebels zur Folge. Der wesentliche Nachteil
dieser Methode besteht darin, daß hier nur Gefäße verhältnismäßig
großen Kalibers zur Anwendung kommen, während feinere Veräste¬
lungen der Blutbahn unberücksichtigt bleiben, obwohl die Reaktions¬
fähigkeit der Gefäße in verschiedenen Abschnitten der Blutbahn eine
verschiedene sein mag. So zeigt z. B. Cow 8 ), wie die Wirkung des
Adrenalins eine allmähliche Abnahme erfährt, je nachdem wir von
Streifen aus den großen Ästen der Pulmonalis, wo eine starke
verengernde Wirkung des Adrenalins deutlich ausgesprochen zutage
tritt, zu den kleineren Lungenarterien und schließlich zu den intra¬
pulmonalen Gefäßen übergehen; in den letzten läßt sich keine Wirkung
des Adrenalins mehr wahmehmen. Zu den Mängeln dieser Methode
gehört auch der Umstand, daß beim Exzidieren der Streifen die nor¬
malen Verhältnisse im Tonus der longitudinalen und circulären Ele¬
mente des elastischen und muskulösen Gewebes der Gefäßwände eine
starke Läsion erfahren; das tritt besonders deutlich an denjenigen
Gefäßen hervor, wo außer der circulären noch eine longitudinale
Muskulatur vorhanden ist, wie z. B. den Coronarien, Carotiden usw.
Ferner muß darauf hingewiesen werden, daß bei der Frey sehen
Methode die Tätigkeit der Arterienstücke nur durch eine Durchtränkung
der Gefäßwände mit der Ringer - Lockeschen Flüssigkeit unter¬
halten wird, nicht aber durch Durchströmung der Vasa vasorum,
d. h. der natürlichen (physiologischen) Bahnen. Bei längere Zeit sich
hinziehenden Experimenten kommt außerdem noch der ungünstige
Umstand hinzu, daß in der den Arterienstreifen umgebenden Ringer¬
schen Flüssigkeit eine Anhäufung der Stoffwechselprodukte des tätigen
Arterienstreifens stattfindet. Aus diesem Grunde wird zwecks Ver¬
dünnung und Entgiftung des Mittels das Volumen der Flüssigkeit
beträchtlich gesteigert, z. B. von 20,0 auf 250,0 [Günther 9 )]
gebracht, wodurch wiederum die Prozedur des nachträglichen Ab-
spülens mit nachfolgender Applikation einer neuen Portion der Ringer¬
schen Flüssigkeit (mit einem anderen Gift oder von einer anderen
Konzentration) bedeutend erschwert wird.
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130 Krawkow: (’Imt die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße
Im Vergleich zu den vorstehend besprochenen Methoden der Unter¬
suchung der Blutgefäße scheint die von mir vorgeschlagene und von
Pissemsky 10 ) 11 ) ausgearbeitete Methode der Isolierung des
Kaninchenohres größere Vorteile zu bieten. Sowohl von
anatomischen als auch biologischen Gesichtspunkten ist das genannte
Organ im höchsten Grade zu Untersuchungszwecken geeignet. Das
Kaninchenohr besteht aus einem von beiden Seiten mit Haut über¬
zogenen Knorpel und ist größtenteils muskelfrei. Bloß an seiner Basis
befindet sich eine geringfügige Schicht von schwach entwickelten
Muskelfasern, die bei der Isolierung abgeschnitten werden. Die das
Ohr versorgende Art. auricularis posterior, ein Ast der Carotis, verläuft
an der äußeren Fläche der Ohrmuschel, sich zwischen der Haut und
dem Knorpel verästelnd. Das Venennetz fängt im oberen Teil des Ohres
an, bildet drei Äste, die an der Ohrbasis zusammenfließend die Vena
auricularis ergeben. Hier an der Basis wird das Ohr abgeschnitten, in die
Arterie wird eine Kanüle eingeführt, in die man unter einem konstanten
Druck die Ringer - Lockesche Flüssigkeit einlaufen läßt. Der Ab¬
fluß erfolgt durch die durchschnittenen Venen, die Flüssigkeit fließt
durch anliegende Filtrierpapierstreifen auf ein dreieckiges Glasplätt¬
chen und wird quantitativ nach der Tropfenzahl resp. dem Volumen
bestimmt. Die Beobachtungen zeigten, daß das Einführen einer
Kanüle in die Vene nicht nur überflüssig, sondern eine unnütze
Komplikation der Technik bedeutet und häufig den Eintritt eines
Ödems im Ohr beschleunigt, weil es sehr schwierig ist, eine
dem Kaliber der durchschnittenen Ohrvene entsprechende Kanüle zu
finden. Gewöhnlich tritt bei der Durchleitung der Flüssigkeit schon
in den ersten Minuten ein heftiger Spasmus der Gefäße des isolierten
Ohres ein, so daß die Durchleitungsflüssigkeit kaum abfließt; aber
allmählich läßt der Spasmus nach und es stellt sich ein von bestimmter
konstanter Höhe, mehrere Stunden anhaltender Abfluß ein. Abgesehen
davon, daß bei dieser Methode die Nährflüssigkeit auf den natürlichen
Bahnen (auch durch die Vasa vasorum) in den Gefäßen zirkuliert, haben
wir hier auch ein zum Studium der Temperaturwirkungen außerordent¬
lich geeignetes Objekt. Das Ohr des lebenden Tieres stellt ein den ver¬
schiedensten Temperaturschwankungen hochgradig angepaßtes Organ
dar und daher läßt es sich auch sowohl bei niedriger als hoher Tempe¬
ratur als dankbares Untersuchungsobjekt verwenden. Zu den wesent¬
lichen Vorteilen des „isolierten Kaninchenohres* ‘ gehört auch die
außerordentlich zähe Lebensfähigkeit seiner Gefäße. Die Kaninchen¬
ohren (auch dann, wenn sie ohne besondere Vorsichtsmaßregeln auf¬
gehoben werden), desgleichen die Ohren auf der Jagd erlegter Hasen
und aus Fleischläden bezogene Kalbsohren verlieren gegenüber ver¬
schiedenen Gefäßmitteln und anderen Agenzien ihre höchst empfind-
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. DM
liehe Reaktionsfähigkeit mehrere Tage hindurch nicht; werden diese
Organe in der Kälte aufbewahrt, so bleiben ihre Gefäße wochenlang
reaktionsfähig. Wie wir aus dem weiteren ersehen werden, können die
Ohrgefäße unter bestimmten Konservierungsbedingungen ihre Lebens¬
tätigkeit eine unbegrenzt lange Zeit bewahren. Außerdem stellt es
sich heraus, daß die Gefäße des isolierten Ohres auf die Einwirkung
verschiedener chemischer, mechanischer und thermischer Agenzien auf
die Haut lebhaft reagieren können. Die soeben erörterten Eigen¬
schaften dieses Präparats erlaubten mir somit, manche Frage sowohl
speziell pharmakologischer als auch allgemein biologischer Natur zu
lösen resp. ihre Lösung in Angriff zu nehmen. An diesem Präparat
gelang es mir, die Wirkung der Gifte in verschiedenen Stadien ihres
Verweilens in den Geweben (Phase des Ein¬
dringens in die Gewebe, Sättigungsphase und
Phase des Austritts aus den Geweben) zu
beobachten 12 ). Außerdem konnte ich die Er¬
scheinungen der Gewöhnung, der Immunität,
der Anaphylaxie, der entzündlichen Reaktion
der Gefäße und schließlich die erstaunliche
Empfindlichkeit des lebenden Protoplasmas
Giften und anderen Agenzien gegenüber
wahmehmen.
Ein zweites nicht minder zumStu-
dium der peripheren Gefäße geeig¬
netes und für die Lösung verschiedener
allgemein biologischer und klinischer Fragen
hochinteressantes Untersuchungsobjekt
ist der menschliche Finger. Die prin¬
zipiellen Erwägungen, von welchen wir uns bei Anwendung dieses
Organs leiten ließen und die Methode der Isolierung — sind genau
dieselben, wie wir sie bei der Besprechung der Kaninchenohrpräparate
schon einmal erörtert haben.
Die Finger enthalten, genau wie das Ohr, kein Muskelgewebe.
Der Finger oder die Zehen werden im Gelenk von der Hand resp. vom Fuß
abgetrennt, in die beiden volaren Art. digit. propr. werden Kanülen
eingeführt und mittels einer Y-förmigen Glasröhre mit einem gemein¬
samen Gummischlauch verbunden. Ähnlich, wie das Ohr, wird auch der
Finger an einer fünfeckigen Glasplatte fixiert. Die Ringer - Locke¬
sche Flüssigkeit fließt unter einem bestimmten konstanten Druck
und bei Körpertemperatur in die Art. digit. propr., fließt dann durch
die durchschnittenen Venen ab, wird von Filtrierpapierstreifen am
spitzen Winkel der Glasplatte angesogen und fällt tropfenweise nieder.
Über die Quantität der abfließenden Flüssigkeit urteilt man ent-
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132 N. 1\ Krawkow: Über <lie funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße
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weder nach der Zahl der niederfallenden Tropfen oder nach dem
Volumen (Abb. 1). Ursprünglich glaubten wir ein genaueres Urteil
über die aus den durchschnittenen Venen abfließende Flüssigkeit da¬
durch zu gewinnen, daß wir Kanülen wohl in die volaren als auch
dorsalen Venen einführten, aber Anitschkow, der sich mit der Aus¬
arbeitung dieser Methode beschäftigte, gelang es nachzuweisen, daß
auch ohne diese Vorsichtsmaßregel die Beständigkeit im Abfließen der
Flüssigkeit auf der gehörigen Höhe bleibt und die Präzision der Be¬
obachtung keineswegs leidet. Die zu untersuchenden Finger nahmen
wir hauptsächlich von gesunden, bei Eisenbahn- und Autounfällen
umgekommenen Individuen oder aus Anlaß von Verwundungen oder
Tumoren amputierten Extremitäten. Wir bedienten uns ebenfalls
Finger, die von Menschen stammten, die an verschiedenen Infektions¬
krankheiten zugrunde gingen. Die Experimente sind größtenteils gleich
am ersten Tage schon in den nächsten auf den Tod resp. die Ope¬
ration folgenden Stunden ausgeführt worden. Im Verlaufe der Arbeit
stellte es sich heraus, daß die Fingergefäße, genau wie die Ohren¬
gefäße bei der Durchleitung der Ringer - Lockeschen Flüssigkeit,
ihre Lebenstätigkeit lange Zeit erhalten können, namentlich wenn sie
bei niedriger Temperatur aufbewahrt werden. Unter besonderen
Konservierungsbedingungen, worauf wir später noch zurückkommen
werden, können die Gefäße ihre Reaktionsfähigkeit eine unbegrenzt
lange Zeit erhalten. Die Lebenstätigkeit der isolierten Finger offenbart
sich nicht nur seitens des Gefäßsystems, sondern auch seitens der
übrigen Gewebe. So sehen wir, wie bei sorgfältiger Aufbewahrung
der Untersuchungsobjekte (bei Zimmertemperatur) die Fingernägel
wachsen, wie die Temperatur der Haut um l 1 ^—2°C die Tempe¬
ratur des umgebenden Mittels übersteigt, wie empfindlich sich die
Haut verschiedenen Reizen gegenüber verhält und wie sie schlie߬
lich, unter gewissen Bedingungen, Schweiß absondert. In einigen
Fällen gelang es uns, die Schweißabsonderung an den Fingern 48 Stun¬
den und noch später nach der Amputation zu beobachten, indem
wir durch die Gefäße Ringer-Lockesche Flüssigkeit durchleiteten
und gleichzeitig eine Pilocarpinlösung subcutan injizierten. Hier¬
bei erweiterten sich die Gefäße erheblich, die Beugefläche der Finger
wurde feucht und bedeckte sich mit Schweißtropfen, die trotz wieder¬
holten Abtrocknens immer wieder auf traten. Dieses Bild der Schwei߬
absonderung erinnert sehr an das bekannte Phänomen, das wir an den
Katzenpfoten bei Reizung des Ischiadicus oder Pilocarpininjektion
hervorrufen können. Die soeben erwähnten Tatsachen erlaubten mir
die Fragen der Lebens- und Reaktionsfähigkeit der Gefäße normaler
und pathologischer Gewebe, wie z. B. bei Arteriosklerose, Entzündung,
Infektionskrankheiten mit Hilfe dieser isolierten Finger einem ver-i
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 133
gleichenden Studium zu unterwerfen. Die nachstehend dargelegten
Untersuchungen der peripheren Gefäße sind von mir am Kaninchen¬
ohr und Menschenfinger ausgeführt worden.
Die Coronargefäße der isolierten Kaninchen- und Men¬
schenherzen wurden nach der schon vor einigen Jahren
von mir vorgeschlagenen Methode untersucht 13 ). Nach dieser
Methode wird die Tätigkeit der Gefäße am unbeweglichen Herzen
beobachtet, wodurch der unerwünschte Einfluß der Herzkontraktionen
auf den Zustand des Gefäßlumens beseitigt wird. Zu diesem Zweck
wurde die Herztätigkeit mittels einer durch die Gefäße durchgeleiteten
Strophantinlösung zum Stillstand gebracht. Das Strophantin lähmt
nämlich den neuro-muskulären Apparat des Herzens und das Herz
bleibt dann auch nach längerer Durchspülung der Coronargefäße mit
Ringer-Locke scher Flüssigkeit und sogar nach Adrenalinzusatz
unbeweglich. Die Gefäße des imbeweglichen Herzens behalten aber
dessenungeachtet ihre Lebenstätigkeit und reagieren nach wie vor
in höchst empfindlicher Weise auf Gifte und auf das Peri- und Myokard
gerichtete Reize. In denjenigen Fällen, wo das isolierte und in den
Apparat gebrachte Herz trotz der Durchleitung von Ringer - Locke¬
scher Flüssigkeit mit Adrenalinzusatz nicht mehr wieder in Tätigkeit
gesetzt werden kann, ist die Anwendung des Strophantins selbst¬
verständlich überflüssig und das Herz bleibt auch ohnehin während
der ganzen Beobachtungsdauer unbeweglich. Aber auch in diesen Fällen
zeigten die Coronargefäße eine nicht immer gleich ausgeprägte Lebens¬
fähigkeit: diese war in größerem oder geringerem Maße ausge¬
sprochen, je nach dem Grad und der Art der zu Lebzeiten stattgehabten
Affektion des Herzens. Nur bei ganz deutlich ausgesprochener
Sklerose reagieren die Coronargefäße schwach oder gar nicht auf
Gifte und Reize. Bei Untersuchung von Kinderherzen wurde dieselbe
Methodik wie bei den Kaninchenherzen angewendet, dagegen mußte
ich sie etwas modifizieren, als ich Herzen erwachsener Menschen
untersuchte. Denn hier wies die Langendorffsche Methodik einige
Mängel auf, die vermieden werden mußten. ISrstens benutzte man
nach Langendorff eine zu starke Kanüle zur Einführung in die
Aorta oberhalb der Klappen; zweitens nahm man zu wenig Rücksicht
auf die Möglichkeit, daß die Klappen erwachsener Individuen infolge
pathologischer Veränderungen durchlässig werden können. Um diesen
die Präzision der Beobachtung imgünstig beeinflussenden Momenten
aus dem Wege zu gehen, wurden in unseren Experimenten die Kanülen
unmittelbar in die rechte und linke Coronararterie eingeführt, wie es
auch Cesaris - Demel 14 ) tut. Die Kanülen können in die Mün¬
dungen der Coronargefäße oberhalb der Aortenklappen oder von
außen durch Einschnittsöffnungen in den Arterien eingeführt werden.
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134 N. P. Krawkow: Über die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße
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In Anbetracht des Umstandes, daß durch die Coronargefäße eine er¬
hebliche Menge der Nährflüssigkeit durchgeleitet wird, bestimmt man
die Quantität der sich ergießenden Flüssigkeit nicht nach der Tropfen¬
zahl, sondern nach dem Volumen, zu welchem Zweck das isolierte
Herz in einen Trichter gebracht und die hinabfließende Flüssigkeit
in einem Meßzylinder gesammelt wird (Abb. 2). Bei lang andauernden
ununterbrochenen Experimenten an Herzen erwachsener Menschen
halten wir es aus Sparsamkeitsrücksichten (hinsichtlich des Unter¬
suchungsmaterials) für angebracht, uns nur auf die Versuche an einer
einzigen (rechten oder Unken) Kranzarterie zu beschränken; daher
führten wir die Kanüle nur in ein Gefäß ein. In den Fällen, wo der
Durchleitung der Flüssigkeit durch eine Kranzarterie, eine Durch¬
spülung beider Arterien nicht vorangegangen war,
gelang es uns nur, die Tätigkeit einer Herzhälfte
der rechten resp. der Unken wahrzunehmen.
Augenscheinlich ist in diesem FaUe das Durch -
dringen der Flüssigkeit aus einer Herzhälfte in die
andere, trotz der zahlreichen Anastomosen zwi¬
schen beiden Kranzarterien wegen entstandener
Blutgerinnsel erschwert resp. voUständig aufge¬
hoben. Erfolgte aber die Durchleitung der Ringer -
Lockeschen Flüssigkeit durch eine Kranzarterie,
nach einer vorangegangenen Durchspülung beider
Arterien, so war es möghch, die Tätigkeit beider
Herzhälften zu beobachten. Vorläufig ist es mir
noch nicht gelungen, die Lebensfähigkeit der Kranz¬
arterien so lange Zeit zu erhalten, wie diejenige
der Finger und Ohrengefäße. Sind aber nur einige
Tage nach dem Tode der Tiere oder Menschen
verstrichen und wurden ihre Herzen in der Kälte aufbewahrt, so
konnte man auch an ihnen die noch vorhandene Lebensfähigkeit
der Gefäße wahmehmen. Dabei muß doch hervorgehoben werden,
daß die Anregung der Lebenstätigkeit der Kranzarterien nicht so sehr
von dem zwischen dem Tode und der Herausnahme des Organs ver¬
strichenem Zeitraum, wie vom Grad der Veränderungen des Organs
intra vitam, abhängt. Im allgemeinen kann man sagen, daß die Wieder¬
herstellung der Herztätigkeit bei der Durchleitung Ringer-
Lockescher Flüssigkeit durch Herzen von jungen Tieren und Kin¬
dern leichter und in vollerem Maße vonstatten geht, als das bei Herzen
erwachsener und alter Menschen der Fall ist.
Da ich in meiner Arbeit mir zur speziellen Aufgabe die Erforschung
der Coronargefäße, nicht aber die Frage der Wiederherstellung der
Herztätigkeit oder das Problem der sog. Revireszenz des Herzens
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 135
setzte, der schon so manche Arbeit gewidmet ist (Locke, Kuliabko,
Hering, Cesaris - Demel usw.), so beobachtete ich die hierher¬
gehörigen Erscheinungen nur nebenbei, bei Gelegenheit anderer Ver¬
suche. Für meine Zwecke mußte ich, im Gregenteil, in meinen Ex¬
perimenten das Herz mittels Strophanthin sistieren. Die volle Wieder¬
herstellung der Tätigkeit verschiedener Abschnitte des menschlichen
resp. tierischen Herzens hängt zweifelsohne ab von dem Grad der Er¬
haltung seiner physiologischen Eigenschaften in ihm: der Automatie,
Leitungsfähigkeit, Erregbarkeit und Kontraktionsfähigkeit. Die Kon¬
traktionen beginnen an der Mündung der Hohlvenen (die Keith-
Flackesehen Elemente) und setzen sich dann sukzessive auf die
Herzohren, Vorhöfe und schließlich Ventrikel fort. An pathologisch
veränderten Herzen beschränken sich die Kontraktionen nur auf ein¬
zelne Abschnitte: so kann man in größerem oder minderem Maße die
Erscheinung des Herzblocks wahmehmen. Die größten Schwierig¬
keiten bietet die Wiederherstellung der Tätigkeit des linken Ventrikels;
an Herzen von erwachsenen Individuen gelang es uns sie nur in Aus¬
nahmefällen und nicht im vollen Umfange zu beobachten. Dagegen konn¬
ten wir Kontraktionen der Herzohren, namentlich an den Hohlvenen¬
mündungen, wenn auch in geringem Maße, beinahe in allen Fällen
auch an schwer nach Diphtherie, Scharlach und anderen Infektions¬
krankheiten degenerierten Herzen beobachten. Das Abklingen der
Tätigkeit verschiedener Abschnitte des isolierten Herzens, nachdem
es eine bestimmte Zeit gearbeitet hat oder mit einer Strophanthin¬
lösung durchgeströmt wurde, vollzieht sich gewöhnlich in umgekehrter
Folge. Erst tritt der Stillstand der Ventrikel, namentlich des linken,
ein, dann stehen nach und nach die Vorhöfe, Herzohren still
und schließlich erlöschen die Kontraktionen an den Hohlvenenmün¬
dungen. Was die Kranzarterientätigkeit betrifft, so bleibt sie, wie
oben erwähnt, auch bei vollständiger Untätigkeit des neuro-muskulären
Apparats des Herzens erhalten.
Nachdem ich nun meine Methode der Untersuchung peripherer
und Coronargefäße dargelegt habe, gehe ich zur Erörterung der von
mir in den letzten Jahren erzielten Resultate über, die ich mit Rück¬
sicht auf die Kriegs- und Revolutionsverhältnisse bisher nicht ver¬
öffentlichen konnte.
Die peripheren Gefäße normaler und pathologischer Gewebe.
Um die Frage, wie die Gefäße entzündeter Gewebe auf verschiedene
Gifte im Vergleich zu normalen Geweben reagieren, zu lösen, wurde
an einem Kaninchenohr Entzündung hervorgerufen, indem man in
die Außenfläche der Ohrmuschel Crotonöl einrieb oder das ganze Ohr
für 3 Min. in Wasser von 54°C tauchte (nach Samuel). Zuweilen
Z. f. d. exp. Med. XXVn. 10
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136 N. I\ Krawkow: Über die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße
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trat die entzündliche Reaktion schon nach einer Stunde ein, in anderen
Fällen erst nach 3—4 Stunden. Sowie der entzündliche Effekt einen
bedeutenden Grad erreicht hat, wird das Ohr abgeschnitten und in
den Apparat nach oben bereits geschilderter Methode gebracht. Ein
anderes Kaninchenohr wird ebenfalls isoliert und dient zum Vergleich
mit dem entzündeten Ohr. Die Untersuchungen sind von Eskin 15 )
mit Adrenalin, Histamin, Cocain und Coffein sowohl bei Zimmer- als
auch Körpertemperatur ausgeführt worden. Außer den gefäßver-
engemden Stoffen gelangten neben nach unserem Verfahren 16 ) ge¬
wonnenen bakteriellen Endotoxinen (Bacillus coli, typhi, Cholerae)
auch Blutsera und entzündliche Exsudate (wie Ödemflüssigkeit aus
dem entzündeten Kaninchenohr, Hydrocelenflüssigkeit) zur Unter¬
suchung. Es stellte sich heraus, daß die Gefäße des entzündeten
Ohres anders auf Gifte als die Gefäße normaler Gewebe
reagieren. Die Gefäße des entzündeten Ohres verengen sich unter
der Wirkung der genannten Stoffe in bedeutend geringerem Maße,
die Verengerung währt kürzere Zeit und kann zuweilen ganz fehlen. Das
Adrenalin ruft oft nach kurzdauernder Verengerung sogar eine Er¬
weiterung der Gefäße hervor. Es ist bemerkenswert, daß die ent¬
zündlichen Exsudate, die so intensiv die Gefäße des normalen Ohres
verengern, keinen merklichen Einfluß auf die Gefäße des entzündeten
Ohres ausüben. Auch Cocain verengert die Gefäße bei der Entzündung
in bedeutend schwächerer Weise; nicht selten bleibt nach Cocain
der Effekt vollständig aus. Das Coffein, das in Verdünnungen von
1:5000—10 000 an normalen Ohren nach einer schnell vorüber¬
gehenden Gefäßverengerung eine Erweiterung der Gefäße herbeiführt,
offenbart diese letzte Eigenschaft am entzündeten Ohr in viel stär¬
kerem Maße. Auf Grund dieser Angaben schließen wir, daß die Ge¬
fäße des entzündeten Gewebes schwach auf die gefäßverengemde
Wirkung der Gifte, dagegen bedeutend stärker auf die dilatierende
Wirkung derselben reagieren. In dieser Beziehung zeigen die Gefäße
der entzündeten Gewebe Ähnlichkeit mit den normalen Gefäßen
innerer Organe, wie z. B. des Herzens, der Fischkiemen, Lunge usw\
Außerdem ergaben unsere Versuche, daß auch die selbständige
rhythmische Tätigkeit der Gefäße bei der Entzündung
eine erhebliche Veränderung erfährt. Diesen sog. Rhythmismus
der Gefäße beobachteten wir an verschiedenen isolierten Organen,
wie Herz, Gehirn, Fischkiemen usw., jedoch am genauesten unter¬
suchten wir dieses Phänomen am Kaninchenohr und Menschenfinger.
Zahlreiche Arbeiten sind von früheren Forschem dem Studium des
Gefäßrhythmismus gewidmet. Manche führten ihre Versuche an den
Gefäßen des Mesenteriums und der Füße des Frosches, an der Retina,
den Flügeln der Fledermaus usw. aus [Schiff 17 ), Vul pian, G unniny,
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 137
Roever, Saviotti, Riegel, Pick, Huizinga 18 ), Mosso 19 ) u. a.J;
andere untersuchten den Rhythmismus an exzidierten Arterien¬
streifen nach dem Frey - Meyer sehen Verfahren [Müller 20 ), de
Bonis und Susanna 21 ), Meyer 22 ), Foll 23 ), Günther 24 ), Apitz 26 )].
Ohne näher auf diese Arbeiten einzugehen, verweise ich auf die schon
einmal von mir erwähnten Mängel der letzteren Methode und auf die
daraus folgende Ungenauigkeit und Unbeständigkeit der erzielten
Resultate. Im allgemeinen muß man sagen, daß es nicht gelungen ist,
in normaler Ring er scher Flüssigkeit selbständige Kontraktionen der
Arterienstreifen zu beobachten; stets bedurfte es des Zusatzes von
defibriniertem Blut, Serum oder verschiedenen Giften, wie Adrenalin,
Histamin, Pituitrin, Yohimbin, Veratrin, Digitalin usw\ Daher lassen
sich auf Grund dieser Experimente schwerlich irgendwelche Schlüsse
über den wahren Rhythmismus der Gefäße unter normalenVerhältnissen
ziehen.
In den letzten Jahren sind in unserem Laboratorium zahlreiche
Arbeiten zur Erforschung der Wirkung verschiedener pharmakolo¬
gischer und physikalischer Agentien auf die Gefäße verschiedener
soilierter Organe ausgeführt worden. Bei dieser Gelegenheit mußten
wir auch das Problem der selbständigen Kontraktionsfähigkeit der
Gefäßwände berühren. Die in unserem Laboratorium ausgearbeite¬
ten präzisen Untersuchungsmethoden erlaubten mir mehrere Stunden,
sogar einige Tage hindurch den Stand der Gefäßlumina zu beobachten
und nach der Menge der während einer Zeiteinheit ausfließenden
Ringer - Lockeschen Flüssigkeit über den Grad der Schwankungen
des Gefäßlumens zu urteilen. In der ersten Zeit, als unsere Unter¬
suchungen hauptsächlich auf die Frage, wie diverse Gifte auf die Ge¬
fäße wirken, gerichtet waren, beachteten wir kaum die Ungleich¬
mäßigkeit im Abfließen der Flüssigkeit aus den Gefäßen der frisch
isolierten Organe und hielten diese Ungleichmäßigkeit für eine akzi¬
dentelle Erscheinung, die in größerem oder geringerem Maße vom allzu
schnellen Übergang der Gefäße von normalen physiologischen Er¬
nährungsverhältnissen (Blut) in ein anderes Medium (in die R.-L.-
Flüssigkeit) bedingt wären. Ohne also diesem Phänomen genügend
Beachtung zu schenken, warteten wir stets ab, bis die Schwankungen im
Abfließen der Flüssigkeit vorüber waren, d. h. bis über kurz oder lang die
Gefäße des Organs sich, wie wir uns ausdrückten,,,eingearbeitet“ hatten
und ein gleichmäßiger Abfluß eingetreten war. Es ist ja selbstverständ¬
lich, daß bei einem derartig gleichmäßigen Abfließen die Wirkung eines
bestimmten Agens auf die Gefäße mit größerer Deutlichkeit und
Exaktheit zum Vorschein kommt, als das beim ungleichmäßigen Ab¬
fließen der Fall ist. Dadurch läßt es sich auch erklären, weshalb wir
die genannten, scheinbar akzidentellen Erscheinungen des ungleich-
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138 N. P. Krawkow: Über die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße
mäßigen Abfließens der Flüssigkeit absichtlich außer acht ließen.
Besonders deutlich fiel uns die erhebliche Ungleichmäßigkeit beim
Abfließen der Flüssigkeit aus den Gefäßen der isolierten Fisch¬
kiemen auf. Gewöhnlich gelingt es hier schwer, ein so gleichmäßiges
Abfließen wie an peripheren Gefäßen zu erreichen und die Schwan¬
kungen halten während einer mehrstündigen Beobachtungsdauer an.
Das ungleichmäßige Abfließen läßt sich sowohl beim normalen Tonus
derj Kiemengefäße als auch bei Erweiterung resp. Verengerung der¬
selben unter Einwirkung verschiedener Gifte beobachten. Setzen wir
nun voraus, daß der Druck in den Kiemengefäßen konstant, die physi¬
kalischen Eigenschaften der Durchleitungsflüssigkeit unverändert
bleiben, das Organ unbeweglich und die Gefäßwände unversehrt sind,
so sind die periodischen Schwankungen im Abfließen der Flüssigkeit
aus den Kiemengefäßen mit aller Bestimmtheit auf die selbständigen
periodischen Kontraktionen der Gefäße
zurückzuführen. Da die Gefäße, wie
wir nach der abfließenden Flüssigkeit
urteilen dürfen, sich weder gleich- noch
regelmäßig hinsichtlich Intensität und
Dauer kontrahieren, so wäre es viel
richtiger, diese Kontraktionen nicht
rhythmisch, sondern periodisch zu
nennen. Ich bringe hier zur Illustration
j eine Kurve, die die Schwankungen der
^ aus den Kiemengefäßen abfließenden
Flüssigkeit nach den alle Minuten auf¬
gezeichneten Tropfenzahlen, darstellt (Kurve 1). Ähnliche Erschei¬
nungen eines sich periodisch verändernden Tonus, wenn
auch nicht derart konstant und hochgradig, wie es bei den
Kiemengefäßen der Fall ist, beobachtete ich oft an den
Coronargefäßen eines mit Strophanthin sistierten Herzens.
Die erwähnten Beobachtungen, die ich an den Kiemen- und Coronar¬
gefäßen gemacht habe, veranlaßten mich, das Verhalten der peripheren
Gefäße in dieser Beziehung zu untersuchen. Zu diesem Zweck begann
ich die Menge der abfließenden Flüssigkeit schon gleich zu Beginn
der Versuche, sowie das Ohr in den Apparat gebracht wurde, zu registrie¬
ren, ohne erst abzuwarten, bis das Ohr sich „einarbeite“. Meine
Beobachtungen setzte ich oft mehrere Stunden hindurch fort, damit
die evtl. Schwankungen der abfließenden Flüssigkeit mir nicht ent¬
gehen solten. Die Menge der abfließenden Flüssigkeit wurde gewöhn¬
lich alle halbe Minute nach der Zahl der niederfallenden Tropfen be¬
stimmt, mit Rücksicht aber darauf, daß gewisse Schwankungen des
Gefäßtonus schon innerhalb kürzerer Zeit stattfinden können, ist das
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 139
Ablesen der Tropfen bei manchen Experimenten schon alle 1 / 4 Minute
vorgenommen worden. Außerdem wurde bei manchen Versuchen die
Zahl der niederfallenden Tropfen auf einer langsam rotierenden Trom¬
mel mittels eines elektrischen Zählers graphisch registriert.
Bei langdauemden ununterbrochenen Beobachtungen konnte man
sich überzeugen, daß schon vom Anbeginn des Versuches, sowie das
isolierte Ohr in den Apparat gebracht wurde, die Menge der abfließen¬
den Flüssigkeit anfängt, in größerem oder geringerem Maße zu schwan¬
ken. Diese Schwankungen halten stundenlang an und werden hin
und wieder von Perioden gleichmäßigen Abfließens unterbrochen.
Wird die Flüssigkeit durch die Gefäße eines soeben isolierten Ohres
durchgeleitet, so tritt zunächst ein heftiger Spasmus ein, wodurch das
Abfließen bis zum Minimum herabgesetzt wird; bei der weiteren Durch¬
leitung erweitern sich allmählich die Gefäße und nach 20—30 Min.,
oft auch später, erreichen die Gefäße einen bestimmten mittleren Tonus,
der nun während der ganzen Beobachtungsdauer unverändert bleibt.
Aber schon in dieser Periode der anfänglichen Erschlaffung des Gefä߬
tonus wird eine Ungleichmäßigkeit im Abfließen wahrgenommen.
An manchen Ohren sind diese Schwankungen derart schwach aus¬
geprägt, daß man glauben könnte, sie hängen nicht von der Ver¬
änderung des Gefäßtonus, sondern von verschiedenen Ungenauigkeiten
der Untersuchungsmethode ab, wie z. B. davon, daß eine bestimmte
Menge der abfließenden Flüssigkeit an der Oberfläche des abgeschnit¬
tenen Ohres haften bleibe oder daß die Tropfengröße verschieden sei
usw. Neben diesen kaum wahrnehmbaren Schwankungen im
Abfluß der Flüssigkeit treten während der ganzen Beobachtungs¬
dauer auch ganz erhebliche Schwankungen auf, die keinen Zweifel
mehr über ihren Zusammenhang mit dem Gefäßtonus auftauchen
lassen. An manchen Ohren pflegen diese Schwankungen schon ganz
im Anfänge derart scharf ausgeprägt zu sein und ununterbrochen
so lange anzudauem, daß man sie mit Sicherheit als Folgen einer
periodischen Schwankung des Gefäßtonus anprechen kann. Die hier
abgebildete Kurve stellt das Abfließen der Flüssigkeit aus dem Ohr
dar (Kurve 2).
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140 N. P. Krawkow: Über die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße
Aus dieser Kune ist zu ersehen, daß die Wellen der Gefäßkontrak¬
tionen sehr unregelmäßig sowohl hinsichtlich ihrer Intensität als auch
Dauer auftreten. Mit aller Klarheit zeigen die Versuche,
daß die Gefäße sich ganz selbständig unabhängig vom
zentralen Nervensystem bald verengern, bald erweitern.
Diese Kontraktionen sind sehr unbeständig und ungleichmäßig in
bezug auf Intensität und Dauer und daher müssen sie nicht als rhyth¬
mische, sondern periodische Kontraktionen angesehen werden, die in
keinerlei Beziehung zu den Herzkontraktionen stehen und mit ihnen
nicht zusammenfallen. Die unregelmäßigen periodischen Schwankungen
der aus den Gefäßen sich ergießenden Flüssigkeit können entweder
dadurch erklärt werden, daß sich die Erweiterung resp. Verengerung
der Gefäße in jeder Zeiteinheit mit ungleicher Intensität vollzieht, oder
dadurch, daß nicht alle Gefäße auf ihrer ganzen Ausdehnung zugleich
mit gleicher Intensität und in gleicher Richtung ihren Gefäßtonus
verändern, d. h. während sich manche verengern, die anderen un¬
verändert bleiben oder sich sogar erweitern. Wenn alle Gefäße des
isolierten Organs ihr Lumen gleichzeitig in der einen oder anderen Rich¬
tung verändern, d. h. sich zu gleicher Zeit verengern oder erweitern
würden, wie das infolge Einwirkung bestimmter Gifte der Fall ist,
so hätte sich die Menge der abfließenden Flüssigkeit entsprechend
jedem Verengerungs- oder Erweiterungsfalle in auffälliger, deutlich
ausgesprochener Weise ändern müssen, w r as bei den selbständigen
Kontraktionen nicht beobachtet wird. Für die Annahme des zweiten
Postulats dagegen, daß die Schwankungen des Gefäßtonus sich nicht
gleichzeitig und gleichmäßig auf der ganzen Audehnung des Gefä߬
gebietes vollziehen, sprechen auch die Arbeiten früherer Forscher,
namentlich Riegels und Huizingas 2 ®), die die Gefäße der Schwimm¬
membran des Frosches, die aa. saphena und auricularis untersuchten.
Diese Autoren stellten fest, sofern man über Verengerung und Er¬
weiterung der Gefäße bei Betrachtung derselben mittels Mikroskop,
Lupe und unbewaffnetem Auge urteilen kann, daß sich die Kon¬
traktionen höchst ungleichmäßig vollziehen und sogar mit den Kon¬
traktionen benachbarter Arterienäste nicht susammenfallen; so ver¬
engern sich manche sehr stark, während die anderen sich zur selben
Zeit erweitern. Sogar an ein und demselben Gefäßstamme kann man
beobachten, wie die Verengerungs- und Erweiterungsabschnitte ab¬
wechselnd hintereinander folgen, es finden gleichsam peristaltische
Kontraktionen statt. Diesen periodischen unregelmäßigen Kontrak¬
tionen muß man also die oben geschilderte Eigentümlichkeit im Ab-
fließen der Flüssigkeit zusehreiben.
Um die selbständigen Gefäßkontraktionen genauer zu erforschen,
mußten wir unsere bisherige Methode etwas modifizieren. Wir hatten
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 141
den Eindruck, daß diese Kontraktionen, die sich hauptsächlich in
den kleinen Arterien vollziehen, beim Durchfließen der Flüssigkeit
durch das Capillametz und die Venen eine Maskierung erfahren. Da¬
mit die Schwankungen des arteriellen Tonus wahrgenommen werden
können, sind verhältnismäßig erhebliche Veränderungen dieses Tonus
erforderlich, sind dieselben nun, was häufig der Fall ist, unerheblich,
so bedingen sie so unbedeutende Schwankungen, daß sie dem Beob¬
achter entgehen. Um dieses Hindernis zu beseitigen, wurden beide
Venen an der Ohrbasis unterbunden und die Ohrenspitze abgeschnitten;
nun floß die durch die Art. auricularis durchgeleitete Flüssigkeit
hauptsächlich, ohne erst das Capillar- und Venennetz zu passieren,
aus den durchschnittenen Arterien ab. Unter solchen Bedingungen
wurden tatsächlich selbständige Kontraktionen der Arte¬
rien in konstanterer, deutlicherer und zuweilen scharf
ausgeprägter Weise wahrgenommen (Kurve 3)
Die nach der soeben beschriebenen Methode von Soloweitschik 27 )
ausgeführten Untersuchungen führten zu den folgenden Haupt¬
schlüssen. Die Intensität und Art der Kontraktionen zeichnet sich
durch ihren stark individuellen Charakter aus. In manchen Fällen
waren die Arterienkontraktionen sehr schwach ausgeprägt, in anderen
dagegen so intensiv, daß sie einen vollständigen Verschluß des Lumens
zur Folge hatten. Die Dauer jeder Kontraktion gleicht 5—10 Min.
Die Gefäße des isolierten Ohres können ihre Lebenstätigkeit lange Zeit
erhalten und selbständige Kontraktionen konnten noch 10 Tage nach
der Isolierung des Organs beobachtet werden, vorausgesetzt, daß man
es bei niedriger Temperatur auf bewahrte. Selbständige Gefäßkontrak¬
tionen treten deutlicher bei Körper- als bei Zimmertemperatur hervor.
Die Durchleitung von Sauerstoff durch die Flüssigkeit übt keinen
merklichen Einfluß auf die Gefäßkontraktionen aus. In manchen
Fällen verstärken sich die Kontraktionen, in anderen verringern sie
sich oder bleiben unverändert, je nach dem Gifte. Am deutlichsten
waren die selbständigen Gefäßkontraktionen in den Fällen ausge-
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142 X. J\Krawkow : Übc»r die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße usw.
sprochen, in welchen man Gifte in solchen Konzentrationen an wendete,
die einen starken gefäßverengernden Effekt herbeizuführen pflegten.
Zu diesen die selbständigen Gefäßkontraktionen ver¬
stärkenden Giften gehören: Adrenalin, Histamin, Ergo¬
toxin, Pituitrin, Nicotin, Strychnin, Blutserum, Extrakte
aus den Nebennieren und Herzen des Kaninchens. Veratrin
schwächt die Kontraktionen ab; Pilocarpin, Physostigmin, Coffein,
Chinin, Chloroform, Campher, Baryumchlorid, Milchsäure haben in
den untersuchten Konzentrationen keinen merklichen Einfluß auf die
^drrrnjl
Gefäße. Im allgemeinen erwies sich aus allen untersuchten Stoffen
das Adrenalin als das mächtigste Agens, was die
Regulierung und Verstärkung des Gefäßkontraktionen
betrifft (Kurve 4). Das Histamin führt auch Schwankungen des
Gefäßtonus herbei, da aber seine verengernde Wirkung von größerer
Dauer und Beständigkeit ist, so heben sich diese Schwankungen kaum
bemerkbar vom allgemeinen Verengerungsbilde ab (Kurve 5). Dank
eben diesen Kontraktionen der Gefäßwände hört die Blutzirkulation
in den Organen auch dann nicht vollständig auf, wenn wir Gifte an-
fhstomtn
1:2000000
wenden, die die Gefäße bis zum völligen dauernden Spasmus zu ver¬
engern pflegen. Es ist von Interesse, daß die stets im Or¬
ganismus vorhandenen Stoffe am stärksten die selbstän¬
digen Gefäßkontraktionen, wie beispielsweise Adrenalin,
proteinogene Amine (Histamin), die gefäßverengernden
Substanzen des Serums,Pituitrin u. a. anregen. Daherkönnte
man annehmen, daß diese Stoffe auch im lebenden Organismus
eine wichtige Rolle als Erreger der selbständigen Kontraktionen der
glatten Gefäßmuskulatur spielen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der
Unterschied zwischen den Schwankungen des Gefäßtonus hinsichtlich
ihrer Dauer und Intensität, der an verschiedenen Präparaten beobachtet
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143
I
£
SS
M
wird, vom ungleichen Vorrat und Ge¬
halt an den soeben genannten Stoffen
abhängt. Je größer der Gehalt an diesen
Stoffen im betreffenden Organ ist, um so
stärker sind die Gefäßkontraktionen und
um so länger dauern sie an. Sind die
Kontraktionen schwach ausgedrückt oder
fehlen sie überhaupt, so können sie
durch Zusatz von den genannten Stoffen
zur durchfließenden Flüssigkeit hervor¬
gerufen werden. Außer Adrenalin
und ähnlichen Stoffen erwiesen
sich auch die Herzmittel, wie
Digitalin, Strophanthin usw., als
starke Erreger der rhythmischen
Tätigkeit der Gefäße. Gewöhnlich
kann man diese Wirkung der Herzmittel
in den Fällen in deutlich ausgesprochener
Weise beobachten, wenn man nach
Herbeiführung einer Gefäßverengerung
mit den genannten Stoffen den Druck
der durchfließenden Ringer - Locke¬
schen Flüssigkeit durch Hebung des
Niveaus in der Bürette steigert, bei¬
spielsweise von 55 cm auf 73 cm bringt
und auf dieser Höhe während der gan¬
zen Beobachtungsdauer beläßt (Kurve 6).
Diese Erscheinung ist derjenigen voll¬
ständig analog, die man beim durch die
genannten Stoffe bedingten systolischen
Herzstillstand beobachten kann; es ge¬
nügt in letztem Falle, den Druck der
durch das Herz durchgeleiteten Flüssig¬
keit zu erhöhen, um die Ventrikel sich
wieder kontrahieren zu lassen.
Die durch Adrenalin beispiels¬
weise hervorgerufenen rhythmi¬
schen Kontraktionen nehmen ab
oder hören ganz auf unter Ein¬
wirkung (1:10 000—1000) vonAtro-
pin. Das Atropin an und für sich, wie
es die Versuche unseres Laboratoriums
nachgewiesen haben, übt keine bemerk-
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144 N. P. Krawkow: Über die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße
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bare Wirkung auf die Gefäße aus, nachdem aber die Gefäße unter
Einwirkung von verschiedenen Stoffen, wie Adrenalin, Cocain, Pilo¬
carpin, Strychnin usw. sich verengert haben, ist Atropin imstande, ihnen
ihren ursprünglichen Tonus wieder zu verleihen. Da das Adrenalin, wie
angenommen wird, auf das sympathische Nervensystem wirkt, so ist
sein Antagonismus dem Atropin gegenüber in gegebenem Falle wahr¬
scheinlich darauf zurückzuführen, daß das Atropin unmittelbar die
glatte Gefäßmuskulatur angreift und zur Erschlaffung bringt, sofern
es in den genannten Konzentrationen angew r endet wird.
Die an Gefäßen des Kaninchenohrs erzielten Resultate
fanden in der letzten Zeit Bestätigung in den Unter¬
suchungen von Anitschkow', der die Gefäße isolierter
Menschenfinger studierte. Es erwies sich, daß alle untersuchten
Stoffe auf die Fingergefäße genau so wie auf die Gefäße des Kaninchen¬
ohrs wirken. Was nun die selbständigen Kontraktionen der Gefäße
betrifft, so scheinen sie sich an den Menschenfingem in viel stärkerem
Maße zu zeigen, als das bei den Kaninchenohrgefäßen der Fall ist.
Das hängt möglicherweise von den zahlreicheren Gefäßanastomosen
des Fingers im Vergleich zum Ohr ab. Ähnlich wie bei dem Kaninchenohr
mußten wir auch hier zwecks Erreichung einer größeren Präzision bei
der Untersuchung der selbständigen Gefäßkontraktionen die Finger¬
kuppe abschneiden, nachdem wir zuvor die Venen unterbunden hatten.
Bei dieser Gelegenheit wäre es nicht uninteressant, darauf hinzuweisen,
daß es den früheren Autoren, die das Arterienstreifenverfahren an¬
wendeten, nicht gelungen ist, die Lebenstätigkeit der Gefäße an mensch¬
lichen Organen zu beobachten. So reagieren nach Schlayer 28 ) die
isolierten menschlichen Carotiden weder auf Serum noch auf große
Adrenalindosen, ganz unabhängig davon, ob die Gefäße von Menschen
stammen, die an toxischen oder nicht toxischen Erkrankungen starben.
„Die Arterien des Menschen sind demnach unmittelbar nach dem
spontan erfolgten Tode nicht mehr anspruchsfähig auf so starke kon-
striktorische Reize wie Adrenalin/ 4
Nachdem ich mm die Ergebnisse meiner Versuche an Gefäßen
isolierter Organe dargelegt habe, möchte ich bei dieser Gelegenheit,
wenn auch nur in allgemeinen Zügen, die Frage streifen, inwie¬
fern die erwähnten selbständigen Gefäßkontraktionen den
aktiven Anteil der Gefäße an der Fortbewegung des Blutes
im lebenden Organismus beweisen. Die Frage über die aktive
Beteiligung der Gefäßmuskeln am Blutkreislauf, die von so hervor¬
ragendem Interesse sowohl für die Kliniker als auch Physiologen ist,
harrt bisher noch ihrer Lösung. Oben erwähnten wir bereits, daß es
den früheren Autoren, die die Schwimmembran des Frosches sogar
nach Unterbindung der zuführenden Arterie oder die Zentralarterie
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 145
der menschlichen Retina nach einer in ihr stattgehabten Embolie
untersuchten, gelungen ist, selbständige rhythmische Kontraktionen
der Gefäße wahrzunehmen. Diese Erscheinung gab Veranlassung,
schon seit langer Zeit einen aktiven Anteil der Gefäßwände an der
Fortbewegung des Blutes aus dem arteriellen System ins venöse
gleichsam zur Herzunterstützung zu vermuten. Legros und Oni-
mus 29 ) sahen sowohl an der Schwimmembran des Frosches nach vor*
heriger Unterbindung der Aorta, als auch an der embolisierten zentralen
Arterie der Retina, wie sich das Blut in den Gefäßen bald in normaler,
bald entgegengesetzter Richtung bewegte. Ein derartiges Hin- und
Herschwanken in der Richtung des Blutstromes, nachdem der normale
Blutkreislauf zum Stillstand gebracht worden ist, diese sog. Oscil-
lationen dienen ebenfalls zum Beweis für die peristaltische Tätigkeit
der Gefäßwände. Dieser Umstand veranlaßt auch Legros und Oni-
mus, spastische und peristaltische Kontraktionen der Gefäße zu unter¬
scheiden. Die eigentlichen Kontraktionen halten diese Autoren für einen
Reflex von den sensiblen Fasern des Sympathicus auf seine motorischen
Fasern. Bezold und Gscheidlen 30 ) kamen auf Grund ihrer Unter¬
suchung der Blutdruckschwankungen in den Arterien und Venen nach
Ausschaltung der Herztätigkeit zum Schluß, daß sich die Kontrak¬
tionen der kleinsten Gefäße in einer bestimmten Ordnung vollziehen,
indem sie von den größeren auf die kleinen Arterien und dann auf die
Venen übergehen. Hamei 31 ), der den Flüssigkeitsstrom in den hin¬
teren Extremitäten des Frosches erst bei konstantem, dann rhyth¬
mischem Druck untersuchte, fand, daß beim rhythmischen Druck die
Menge der durch die Gefäße durchfließenden Flüssigkeit viel größer
ist, als das beim konstanten Druck der Fall ist, welcher Umstand sich
nach Ansicht des Autors nur durch aktive pulsatorische Kontraktionen
der Gefäße erklären läßt. Grützner 32 ) spricht auf Grund seiner Ex¬
perimente und indirekter Erwägungen allgemeiner Natur, wie z. B.
daß die tonische Kontraktion der Arterien eine unzweckmäßige Über¬
bürdung derselben wäre, die Ansicht aus, daß das Blut in den klein¬
sten Gefäßen, dank der aktiven Tätigkeit derselben, vorwärtsgetrieben
wird und daß daher ihnen sozusagen die Rolle eines akzessorischen
Herzens zukommt. Für die Wahrscheinlichkeit dieser letzten Annahme
spricht auch ein anderer Versuch von Grützner. So läßt er durch die
excidierte Umbilicalarterie Flüssigkeit durchfließen und stellt fest,
daß, w'enn die Flüssigkeit in normaler Richtung durchgelassen wird,
die Menge der abfließenden Flüssigkeit größer, ist als bei Durch¬
leitung derselben in entgegengesetzter Richtung. Auch Hasebrock 33 )
schließt sich der Ansicht an, daß die Arterien sich aktiv an der Fort¬
bewegung des Blutes beteiligen und betrachtet diese aktive Tätigkeit
als eine Reaktion der Gefäßmuskeln auf die pulsatorische Dehnung.
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146 N. P. Krawkow: Über die funktionellcD Eigenschaften der Blutgefäße
Wese Ansicht wiederum beruht auf den Arbeiten von Bayliss, der
nachweisen konnte, daß die Gefäße auf die Steigerung des inneren
Druckes mit einer Verengerung, auf die Erniedrigung mit einer Er¬
schlaffung antworten und daß sich dieser Vorgang ganz unabhängig
vom Nervensystem vollzieht. Außer der peristaltischen Tätigkeit trägt,
nach Hasebrock, zur Fortbewegung des Blutes auch die ansaugende
Kraft der Gewebe bei, d. h. seitens der Capillargefäße. Für die aktive
Rolle der Arterien in der Fortbewegung des Blutes sprechen auch die
Beobachtungen von Hasebrock über Schwankungen des Seiten¬
drucks in den Arterien vor und nach der Einführung von Adrenalin.
Außer dem soeben genannten experimentellen Tatsachenmaterial gibt
es eine erhebliche Anzahl von klinischen Beobachtungen von Schwan¬
kungen des Blutdrucks unter normalen und pathologischen Verhält¬
nissen. Diese Beobachtungen veranlaßten viele Autoren, anzunehmen,
daß die Arterien sich an der Fortbewegung des Blutes aktiv beteiligen
und daß ihnen gewissermaßen die Rolle eines peripheren Herzens zu¬
fällt, welchem die Aufgabe, das zentrale Herz im Blutkreislauf zu
unterstützen, obliegt. Aber keine einzige von den oben erwähnten
sowohl experimentellen als auch klinischen Untersuchungen liefert
einen direkten positiven Beweis für die aktive Beteiligung der Gefä߬
muskeln an der Fortbewegung des Blutes zwecks Entlastung des
Herzens. Ohne mich auf die Übersicht der dieser Frage gewidmeten
Arbeiten einzulassen, werde ich nur bemerken, daß wie die Methodik,
so auch ihre Schlüsse derart wenig überzeugend sind, daß Hürthle 84 ),
der diese Arbeiten einer eingehenden Kritik unterzogen hat und ihre
Ergebnisse zusammenstellte, zum endgültigen Schluß gelangt, daß die
Annahme des aktiven Einflusses der Gefäße auf die Bewegung des Blutes
vorläufig noch immer in den Bereich der Hypothese gehört. Auch unsere
Untersuchungen an den Gefäßen isolierter Organe geben keine Ver¬
anlassung, den Gefäßen eine aktive Rolle in der Fortbewegung des
Blutes zuzuschreiben, in dem Sinne, wie sie v. Hamei, Grützner,
Hasebrock, Janowski usw. aufgefaßt wird. Man kann die Auf¬
fassung der letzteren, die den Gefäßen die Bedeutung eines peripheren,
die Arbeit des zentralen, unterstützenden Herzens beimessen wollen,
schon aus dem Grunde nicht teilen, weil erstens die selbständigen
Gefäßkontraktionen weder mit den Herzkontraktionen kongruieren,
noch ihnen entsprechen. Und zweitens vollziehen sich die Gefä߬
kontraktionen ganz regellos nicht nur innerhalb eines Gefäßbezirkes,
sondern sogar an verschiedenen Abschnitten ein und desselben Gefä߬
stammes. Diese sich langsam entwickelnden und lang anhaltenden
Kontraktionen der Gefäßmuskeln entsprechen ihrer Art nach voll¬
ständig den Kontraktionen der glatten Muskulatur überhaupt, wie
das sonst auch an anderen glattmuskulären Organen beobachtet werden
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 147
kann. Diese Kontraktionen hängen keinesfalls von der allgemeinen
Gefäßverengerung oder -Erweiterung ab, die durch dieses oder jenes die
Nervenelemente der Gefäße angreifendes Gift hervorgerufen worden
sind. Die selbständigen Kontraktionen der Gefäße sind nun, wie wir
sehen, ihrer Art nach nicht rhythmisch im echten Sinne des Wortes,
sondern periodisch und von der Herzaktion ganz unabhängig. Diese
Gefäßkontraktionen sind infolge ihres imregelmäßigen und nicht gleich¬
zeitigen Auftretens nicht imstande, in so empfindlicher Weise auf die
Herzaktion zurückzuwirken, wie das bei allgemeiner gleichzeitiger Ver¬
engerung resp. Erweiterung ganzer Gefäßgebiete infolge Einwirkung
dieser oder jener Agenzien auf die vasomotorischen Nerven der Fall ist.
Ohne den Gefäßen die genannte Bedeutung eines
peripheren Herzens beizumessen, müssen wir nichtsdesto¬
weniger in dem selbständigen und von der Herzaktion
ganz unabhängigen, höchst mannigfaltigen Spiel des Ge¬
fäßtonus ein hochwichtiges, die Fortbewegung des Blutes
in den kleinen Gefäßen begünstigendes Moment sehen.
Mit Rücksicht auf den Widerstand, den die kleinen Gefäße und Capillar-
gefäße dem Blutstrom entgegensetzen und auf die immerwährende
Veränderung des Gefäßlumens unter dem Einfluß der Vasomotoren, kann
den Gefäßkontraktionen die Bedeutung gleichsam einer
Massage zukommen, die den Blutkreislauf fördert und das Blut
gleichmäßig unter das Gewebe verteilt. Von besonderer Bedeutung ist
eine derartige Massage für Gefäßgebiete mit einem geringen Druck,
wie z. B. im System der V. portae. Der Unterschied zwischen der
durch Vasomotoren bedingten Gefäßkontraktion und der selbständigen
Gefäßkontraktionen hinsichtlich ihres Einflusses auf die Fortbewegung
des Blutes liegt darin, daß während im ersten Falle eine bestimmte
Veränderung des Lumens das ganze Gefäßgebiet zu gleicher Zeit um¬
faßt, bei den selbständigen Kontraktionen die Gefäßlumina in ver¬
schiedenen Abschnitten des Gefäßgebietes unregelmäßig, peristaltisch
und dazu noch ganz unabhängig von den Veränderungen des Vaso-
motoren-Tonus schwanken. Wird also eine erhebliche Verengerung
der Gefäße durch irgendeine Einwirkung auf die vasomotorischen
Nerven erzeugt, wie z. B. durch Adrenalin, Histamin usw., so wird
die Fortbewegung des Blutes dadurch erleichtert, daß die Gefä߬
muskeln sich dabei selbständig zu kontratieren fortfahren. Bei
Abnahme resp. vollständigem Erlöschen der rhythmischen Tätigkeit
der Gefäße, wie wir das später im Falle der Entzündung sehen werden,
muß demnach eine Störung im Blutkreislauf der Gewebe eintreten;
bei Zunahme der rhythmischen Tätigkeit dagegen wird die Fort¬
bewegung des Blutes erleichtert. Das Vorhandensein im Blute
von Adrenalin und ähnlichen, die rhythmische Tätigkeit
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148 X. 1\ Krawkmv: Über die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße
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der Gefäße anregenden Stoffe ist als sehr wichtiges Moment
für die Regulierung des Blutkreislaufs anzusehen, eine
unzureichende Ausarbeitung derselben kann schon eine
Blutkreislaufstörung veranlassen. Da auch die Herz¬
mittel, wie Digitalin, Strophanthin u. a. sich als mächtige
Stimuli und Regulatoren der Gefäßkontraktionen er¬
wiesen haben, so muß ihre pharmakologische und thera¬
peutische Bedeutung nicht nur hinsichtlich ihrer Grund¬
wirkung auf das Herz, sondern auch vom Standpunkt
ihrer Wirkung auf die Gefäßtätigkeit gewürdigt werden.
Da die rhythmische Tätigkeit zu den kardinalsten Eigenschaften
der Gefäßwand gehört, so stellten wir uns die Aufgabe, die Frage zu
lösen, ob sich diese Eigenschaft bei der Entzündung nicht verändert,
zumal die Gefäße in der Ätiologie des entzündlichen Prozesses eine so
hervorragende Rolle spielen. Die Frage der Veränderung und Störung
des Blutkreislaufs in den entzündeten Geweben ist eng mit der Frage
der sich dabei vollziehenden Veränderungen des Gefäßtonus verknüpft.
Das isolierte Kaninchenohr erwies sich zur experimentellen Lösung
dieser Frage besonders geeignet. An einem Ohr wurde durch Ein¬
reibung von Ol. crotonis eine Entzündung erzeugt und dasselbe darauf
nach bereits beschriebener Weise isoliert. In den meisten Versuchen
wurde, um genauer über die rhythmische Tätigkeit urteilen zu können,
das venöse System ausgeschaltet, indem die Venen unterbunden und
das periphere Ende der Ohrarterie wie in den Experimenten von Solo-
weitschik durchgeschnitten. Von fünf Versuchen, die im großen
und ganzen gleiche Resultate ergaben, bringe ich nachstehend Proto¬
kolle und Kurven von zwei Versuchen.
Versuch 3. In das Ohr wird Ol. crotonis cingerieben. Nach 2 Stunden stel¬
len sich heftige Schmerzhaftigkeit und Hyperämie ein. Unerhebliche ödematöse
Schwellung, namentlich an der Ohrbasis. Das Ohr wird abgeschnitten und in
den Apparat um ll h 15' vormittags bei -f 36° C. gebracht. Die Tropfenzählung be¬
ginnt um Il h 50'. Um 7 h 23' abends wird das Experiment abgeschlossen. (Kurve 7.)
Versuch 5. Am Vorabend um 9 h 40' wurde das Ohr mit Crotonöl bestrichen.
»Starkes Ödem. Das Ohr wird abgeschnitten und in den Apparat um 10 h morgens
gebracht. Die Tropfenzählung beginnt um ll h 17' morgens bei -f 35°. (Kurve 8.)
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 149
Wenn wir die an isolierten | ( J ( '
entzündeten Ohren erreichten ! i [ j
Resultate einer näheren Be- j r I <
trachtung unterziehen und \ j j <\
sie mit den Resultaten der I / i j j
an normalen Ohren ausge- | V.
führtenVersuche vergleichen, i I \
so sehen wir, daß die selb- I I | <J
ständigen rhythmischen Ge-
fäßkontraktionen an entzün- 1 r
deten Ohren entweder ganz i l
fehlen oder sehr schwach aus- | s
geprägt sind. Sogar Adrenalin, j t ]
das in der Norm energische stun- I j |
denlang anhaltende Kontraktionen I j t ~
der Gefäße herbeiführt, wirkt in i l k *
j ! y «
diesem Falle entweder sehr schwach I ] 3
| 1 I i ! | , j —
oder gar nicht: die Kontraktionen t l I j | > «
werden träge, selten (eine Kon- ; | j j I \ *
traktion in 20—40 Min., statt einer 1 j l j ! S Z
in 5—10 Min.), unregelmäßig, und ( f I j ? 5
hören binnen kurzem ganz auf. Es 1 I | I 1 j «
wäre nicht überflüssig, darauf hin- i \ ; I | C Ä
zuweisen, daß das Adrenalin am \ I *
\ i i «
entzündeten Ohr oft anfangs |-§ ; j j I |
eine vorübergehendeErweite- J J w
rung hervorruft,wasschonEskin ! ;s
in seinen Versuchen feststellte. Auf i <
diese Weise büßen die Gefäße bei 1 \
der Entzündung allmählich nicht nur <
ihren allgemeinen Tonus, sondern f
auch ihre fundamentale Fähigkeit, /
sich rhythmisch zu kontrahieren, ein, ooooo^t—.—j
was unserer Ansicht nach so wichtig f
für den normalen Blutkreislauf ist. ; i j
Man könnte daher glauben, daß ■; )
diese Beeinträchtigung des Kon- j
traktionsvermögens der Gefäße eine r 'S
wesentliche Rolle in der Entstehung t _^ i | :
der Stase und des Ödems bei der ^ ^ ^ S ^ ^
Entzündung spielt. mozuajuoji
In den oben erwähnten Versuchen bedienten wir uns der Kanin¬
chenohren, an denen intra vitam eine Entzündung schwächeren oder
fllDZUyJQjl
ILjDZUäJdojJ
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150 N. P. Krawkow: Über die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße
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stärkeren Grades hervorgerufen wurde. Unter solchen Bedingungen
war es selbstverständlich unmöglich, allzu genau über den Grad und
die verschiedenen Stadien des entzündlichen Prozesses zu urteilen, da
wir das Ohr dann isolierten, als es sich schon im Stadium einer schwächeren
oder stärkeren entzündlichen Reaktion befand, d. h. mit schon deut¬
lich ausgesprochener Hyperämie oder ödem, sofern das Aussehen
des Ohres hierüber ein Urteil erlauben konnte. Unter solchen Um¬
ständen konnten wir den Zustand der Gefäße während der sich all¬
mählich entwickelnden Enzündung vom Augenblick der Reizung mit
Crotonöl nicht genau verfolgen. Um diese Aufgabe erfolgreich zu lösen,
beschloß ich zu versuchen, den entzündlichen Prozeß an
einem bereits isolierten und sich im Apparat befindenden
Ohr hervorzurufen. Ich hielt es für vollständig möglich, eine Ent¬
zündung wenigstens in den Grundzügen an einem bereits isolierten
Organ hervorzurufen, da die Gewebe isolierter Organe, die mit der
Ringer - Lockeschen Flüssigkeit ernährt werden, eine höchst emp¬
findliche Reaktionsfähigkeit verschiedenen physikalischen, chemischen
und pharmakologischen Agenzien gegenüber gezeigen. Es war
daher auch kein Grund anzunehmen, daß die Gewebe der isolierten
Organe denjenigen Agenzien gegenüber, die auf Gewebe des lebenden
Organismus entzündungserregend wirken, ganz indifferent bleiben
würden. Der Versuch, einen entzündlichen Prozeß im Gewebe iso¬
lierter Organe zu erzeugen, erschien mir nicht nur vom allgemein
biologischen Standpunkte, sondern auch vom speziell-pathologischen
höchst verlockend und interessant, da er versprach, die Grundfragen
bezüglich der Ätiologie der Entzündung, der Veränderungen des Blut¬
kreislaufes vom Augenblick der Reizapplikation, die Rolle der Gefäße
und umgebender Gewebe bei der Entzündung, die Entstehung des
Ödems und andere Fragen aufzuklären. Im Rahmen der vor mir
stehenden Aufgabe verfolgte ich hauptsächlich den Zustand der Ge¬
fäße des isolierten und sich im Apparat befindenden Ohres erst in der
Norm, d. h. vor der Applikation des Crotonöls, dann unmittelbar
nach der Einreibung desselben und weiter während vieler Stunden. Die
dabei erzielten Resultate bestätigten vollends unsere An¬
nahmen, da die Gefäße sich gleich nach der Einreibung
in scharf ausgesprochener Weise erweitern: nach einigen
Stunden schwoll das Ohr an, das Abfließen der Flüssigkeit
nahm ab, bis es schließlich ganz aufhörte, mit anderen
Worten, es traten dieselben Erscheinungen ein, die am ent¬
zündeten Ohr des lebenden Tieres zutage treten.
Um das Ohr bequemer bestreichen zu können, wurde es zuvor
rasiert. Das Bestreichen erfolgte mittels eines Pinselchens. Die Kon-
trollversuche überzeugten uns, daß die mechanische Reizung mit dem
Gck igle
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 151
Pinselchen allein ohne Crotonöl keinen merklichen Einfluß auf das
Lumen der Gefäße hat.
Von 14 Versuchen, die im allgemeinen ähnliche Resultate ergaben,
bringe ich nur die folgenden:
Versuch 6. Das Ohr ist in den Apparat um 10 h 20' vormittags gebracht.
Das Crotonöl ist um 12 h mittags eingerieben worden. Man probierte Adrenalin
aus. Der Versuch ist mit Unterbrechungen während der Zählung um 5* 1 40' nach¬
mittags beendet. Das Ohr schwoll stark an. (Kurve 9.)
Versuch 7. Das Ohr wurde in den Apparat um 10 h 15'morgens gebracht.
Das Crotonöl wurde um ll h morgens eingerieben. Der Versuch ist mit Unter¬
brechungen in der Zählung um 4 h 50' nachmittags beendet worden. Es trat eine
starke Schwellung des Ohres ein. (Kurve 10.)
Versuch 13. Das Ohr, an dem am Vortage mit Crotonöl eine Entzündung
erzeugt wurde, wird bis zum Augenblick des Versuches im kühlen Raume auf¬
bewahrt. Dann wird es wieder in den Apparat um 9 h 55' morgens gebracht. Ver¬
suchsschluß um 12 h mittags. Es trat Schwellung ein. (Kurve 11.)
Aus diesen Versuchen ersehen wir, daß unmittelbar, nachdem
Reiz mit Crotonöl eine erhebliche Verengerung der Ge¬
fäße eintritt, die allerdings rasch vorübergeht und von
'einer charakteristischen starken und anhaltenden Er¬
weiterung abgelöst wird. Während dieses Entzündungs¬
stadiums hält der Rhythmus der Gefäße ati und wird zu¬
weilen sogar stärker, aber sehr unregelmäßig. In den
folgenden Entzündungsstadien, wenn die Menge der ab-
fließenden Flüssigkeit sich verringert hat und ödem ein¬
getreten ist, hört allmählich auch der Rhythmus auf.
Nimmt man in diesem Stadium eine leichte Ohrenmassage mit dem
Pinselchen vor, so nimmt die abfließende Flüssigkeitsmenge wieder
zu, um gleich darauf sidh wieder zu verringern. Wenn die Gefäß -
erweiterung am entzündetenOhr ihrenHöhepunkt erreicht
hat, so übt das applizierte Adrenalin auch noch seine
charakteristische verengernde Wirkung aus, steigert aber
nicht auffällig den Rhythmus, wie an normalen Gefäßen
(Versuch 6). In den vorgeschrittenen Stadien der Ent¬
zündung, wenn Stase und ödembereits eingetreten sind;
wirkt das Adrenalin sehr schwach auf die Gefäße und kann
sogar anfangs eine Erweiterung herbeiführen (Versuch 13).
Wir sehen also, daß die Resultate, die wir bei der Un¬
tersuchung der nach der Isolierung „entzündeten“ Ohren
erzielten, mit den Ergebnissen der Versuche, die wir an
intra vitam entzündeten Ohren anstellten und oben be¬
reits darlegten, völlig übereinstimmen. Diese Experimente
an isolierten Organen geben uns die Möglichkeit, den jeweiligen Zu¬
stand der Gefäße während des sich sukzessive entwickelnden entzünd¬
lichen Vorgangs vom Augenblick der Reizapplikation in allen Details
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII. 11
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X. P. Krawkow: Über die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße usw. 153
zu verfolgen. Es fällt auch hier auf, wie die Gefäße bei der Entzündung
ihre Reaktionsfähigkeit dem Adrenalin gegenüber und auch ihre
ihythmische Tätigkeit nach einer evtl, flüchtigen Steigerung der-
selben allmählich einbüßen. Da diese Veränderungen in der Gefä߬
tätigkeit vornehmlich auf die letzten Entzündungsstadien fallen, so
müßte man vielleicht in dem genannten Umstande, d. h.
im Nachlassen der rhythmischen Gefäßtätigkeit, die Ur¬
sachen des hierbei eintretenden Ödems u. derStase suchen.
Zum Teil spricht für diese Annahme auch der Umstand, daß in diesem
Entzündungsstadium, in welchem die rhythmischen Kontraktionen
eine Abschwächung erfahren, ein erneutes lyenn auch vorübergehendes
Abfließen der Flüssigkeit mittels künstlicher Massage mit dem Pinsel¬
chen wieder hervorgerufen werden kann. Es ist leicht möglich,
daß auch in der Ätiologie der sog. idiopathischen Ödeme
(weder kardialen, noch renalen Ursprungs), diese Abschwä¬
chung der rhythmischen Gefäßtätigkeit eine gewisse Rolle
spielt.
Ähnlich verändert sich der Gefäßtonus auch bei sub-
cutaner Applikation von Crotonöl oder beim Zusetzen
desselben zur durchfließenden Ringer - Lockeschen Flüssig¬
keit, d. h. bei seiner Einwirkung auf die Gefäße von innen. Zu diesem
Zweck werden 1—2 Tropfen Crotonöl der Flüssigkeit hinzugefügt,
die Flüssigkeit wird dann geschüttelt und vor der Durchleitung durch
das Ohr filtriert. Außer dem Crotonöl sind als Reizagenzien folgende
Stoffe ausprobiert worden: T-ra cantharid., Kal. cantharid., T-ra Jodi,
konzentrierte Lösung oder Kristalle NaCl und schließlich Zwiebel
und BrennesseL Die Gefäßreaktion wechselte je nach der
Stärke des Reizagens oder der Dauer seiner Einwirkung.
Am raschesten und stärksten verläuft die Reaktion bei Reizung der
künstlich von Epidermis entblößten Stellen oder der Schnittfläche
des isolierten Ohres. Bei kurzwährender Reizapplikation, z. B. durch
Berührung mit Kal. cantharidat., Brennessel, Zwiebel usw., tritt die
Gefäßreaktion rasch ein und geht genau so rasch vorüber. Bei Wieder¬
holung derselben Reizapplikationen tritt dasselbe ein, wenn oft auch
in viel schwächerem Maße. Eine Summierung dieser Reize führt all¬
mählich zu einer langdauemden Erweiterung der Gefäße (Kurven 12
und 13).
Die soeben geschilderte Reaktion des isolierten Ohres
muß demnach als ein lokaler Gefäßreflex angesehen
werden.
Bei diesen Versuchen muß man darauf achtgeben, daß der applizierte
Stoff, namentlich öl und Spiritus, nicht in die aus dem Ohr fließende
Flüssigkeit hineingerät, weil das allein schon wegen der sich hierbei
11 *
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154 N. P. Krawkow: Ühcr die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße usw.
verändernden Oberflächenspannung die Zahl der niederfallenden
Tropfen beeinflussen kann: die Tropfen werden kleiner und träufeln
häufiger nieder. Daher ist es richtiger, die Quantität der aus den
Gefäßen abfließenden Flüssigkeit nicht nach der Tropfenzahl, sondern
nach dem Volumen zu bestimmen.
Kurve 13.
Nun gehe ich zu den Versuchen an isolierten Menschen¬
fingern über, die in unserem Laboratorium von Anitschkow aus¬
geführt wurden und noch gesondert in ausführlicher Weise veröffent¬
licht werden sollen. Die Untersuchung der Reaktionsfähig¬
keit der Gefäße der isolierten Finger Giften und Reizen
gegenüber hat im allgemeinen mit den oben geschilderten
Versuchen an anderen Organen übereinstimmende Resul¬
tate ergeben.
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155
Die Kurve 14 stellt die Tätigkeit
der Fingergefäße an einer Hand dar,
die einem 40jährigen Manne anläßlich
Tuberkulose des Ellbogengelenks ab¬
genommen wurde. Der Finger wurde
in der Kälte auf bewahrt und 20 Stun¬
den nach der Operation untersucht.
An dieser Kurve» sehen wir die starke
vasoconstrictorische Wirkung des Adre¬
nalins in Verdünnungen 1: 200000 so¬
wohl vor der Applikation des Reiz¬
stoffes (01. Terebinth), als auch einige
Zeit danach (Anfangsstadium der Ent¬
zündung). Nach subcutaner Injektion
von Ol. Therebinth. und darauf folgen¬
der Injektion von Ol. crotonis sahen
wir zunächst eine starke Gefäßerweite¬
rung und erheblichen Rhythmismus
auftreten. Im späteren Stadium der
Entzündung, ungefähr nach 4 Stunden,
tritt Stase ein und der Rhythmismus
läßt allmählich nach.
Es ist von Interesse, daß sich beim
Vergleiche der Giftwirkungen
auf die Gefäße normaler und
pathologischer Organe sich ein
wesen tlicherU nt er schied imVer-
halten bei beiden herausstellte.
So zeigten z. B. die Zehengefäße an
einem nach einer längere Zeit bestan¬
denen Atrophie des N. ischiadicus am¬
putierten Fuße eine sehr schwache
Reaktion auf Adrenalin, ja die Ge¬
fäße erweiterten sich mitunter. Die
sklerosierten Gefäße dagegen erwiesen
sich wider Erwarten ungemein emp¬
findlich dem Adrenalin und anderen
gefäßverengernden Agenzien gegenüber,
indem sie in den Zustand eines heftigen
andauernden Spasmus verfielen. Auch
die Fingergefäße verschiedener Leute,
die an Infektionskrankheiten starben,
scheinen hinsichtlich ihres Reaktions-
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15(i N- P- Krawkow: t T l>er di«* funktionellen Eigenschaften der Blutgefäß*
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Vermögens den genannten Agenzien gegenüber vom Verhalten normaler
abzuweichen. Im übrigen sind die diesbezüglichen Arbeiten vorläufig
noch nicht abgeschlossen.
Uber die Lebensfähigkeit der Gewebe isolierter Ohren und Finger bei
der Konservierung derselben.
Die Gefäße der isolierten Ohren und Finger können, wie schon
auseinandergesetzt wurde, in größerem oder minderem Maße ihre
Reaktionsfähigkeit verschiedenen Agenzien gegenüber nicht nur tage¬
lang, sondern wochenlang erhalten, vorausgesetzt, daß sie in der
Kälte aufbewahrt werden. Mit Hinblick auf diese zähe Widerstands¬
kraft der Gefäße isolierter Organe, versuchten wir auch andere, zuver¬
lässigere Konservierungsmethoden anzuwenden. f)iese Experimente
konnten mit Rücksicht auf die höchst ungünstigen, durch die Wirr¬
nisse der Gegenwart bedingten Verhältnisse, nicht im erwünschten
Umfange und unter Beobachtung der
notwendigsten Vorsichtsmaßregeln an¬
gestellt und ausgeführt werden. Daher
tragen sie vorläufig lediglich einen Orien¬
tierungscharakter. Dessenungeachtet ver¬
dienen die erzielten Resultate volle Be¬
achtung und flößen uns die feste Zu¬
versicht ein, daß die allernächste Zukunft
unsere Versuche in der genannten Rich¬
tung mit einem noch größeren Erfolge
krönen wird.
Die isolierten Ohren und Finger, werden nachdem ihre Arterien
durch Fadenligaturen angeschlungen worden sind (um später be¬
quemer Kanülen einführen zu können), in einen Exsiccator gebracht,
wo sie über Wasser zu dem einige Tropfen Chloroform zugesetzt
sind, liegen. Noch bequemer ist es, die isolierten Organe über Chlo¬
roformwasser mit der Schnittfläche nach unten gekehrt zu legen.
Zu diesem Zweck wird das Ohr resp. der Finger nach vorhergehender
Sterilisierung ihrer Schnittflächen über einer Flamme und Umwick¬
lung ihrer Basen mit Watte in den Hals eines Kolbens gesteckt, in
welchem auf dem Boden sich etwas Chloroformwasser befindet.
Demnach befindet sich das Ohr resp. der Finger mit Ausnahme eines
kleinen im Kolben steckenden Teiles, außerhalb des Gefäßes. (Abb. 3).
Um das Austrocknen des Präparates zu vermeiden, wird dasselbe in
einer feuchten Kammer gehalten. Zu Konservierungszwecken kam
auch die Methode des Paraffinbades (Schmelzpunkt 42—43°) zur
Anwendung. Dabei wird das Ohr resp. der Finger mit der nach unten
gekehrten, vorerst sterilisierten Schnittfläche in ein Glas mit ge-
Abb. &
Abb. 4.
Go gle
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 157
schmolzenem Paraffin getaucht; nachdem das Paraffin erstarrt, bleibt
das Organ im Glas wie eine Blume im Blumentöpfe stecken. (Abb. 4).
Nach einer kürzeren oder längeren Zeit wird das Organ, nachdem
das Paraffin erst geschmolzen wird, aus dem Glas herausgenommen;
dann werden in die Arterien Kanülen eingeführt und darauf das
Organ gebrauchsfertig in den Apparat gebracht. Schließlich ver¬
suchten wir auch, die Präparate im Exsiccator über Schwefelsäure im
Raum mit normalem Luftgehalt und noch besser im luftverdünnten
Raum zu halten und eintrocknen zu lassen. Unter solchen Bedin¬
gungen mumifizierten sich die Ohren und Finger innerhalb 2—3 Wochen
vollständig, wobei die Finger sich dunkel verfärbten, hart und so
durchsichtig wurden, daß man die Konturen sämtlicher Phalangen
deutlich sehen konnte. Dann wurden die mumifizierten Präparate
zwecks Erweiterung für einige Tage Wasserdämpfen ausgesetzt (auch
hier setzte man einige Tropfen Chloroform zu) und schließlich in warme
Ringer - Lockesche Flüssigkeit gebracht; auch die Gefäße sind mit
warmer R.-L Flüssigkeit durchgespült worden. In manchen Fällen
war die Durchgängigkeit der Gefäße derart behindert, daß man die
Ohrenspitze resp. Fingerkuppe abschneiden mußte, um die Tätigkeit
des Arterienstammes untersuchen zu können. Bei dieser Erwei¬
chungsmethode erlangten die Finger ihr normales Aus¬
sehen unddieKonsistenzderLeichenfinger, denen keinerlei
Verwesungserscheinungen anzumerken waren, in vollem
Umfange wieder. Die in Paraffin oder in einer Wasser¬
dampfatmosphäre konservierten Finger hatten, wie oben
erwähnt, stets eine Temperatur, die um 1 — l l / 2 ° die Tem¬
peratur der umgebenden Zimmertemperatur übertraf. An
manchenFingern konnte einWachstum derNägel während
derKonservierungsdauer festgestellt werden: innerhalb 1—2
Monaten = l 1 /* mm. Da bei der Konservierung die Weichteile, die den
Nagel umgeben, leicht eine Deformation erfahrenkönnen, so wäre es falsch,
wollte man über das Wachstum der Nägel nach ihrem Aussehen ur¬
teilen ; daher wurde auch die Länge des Nagels jedesmal vom deutlich
ausgeprägten Nagelbett gemessen und außerdem noch die Verschiebung
des subungualen Schmutzsaumes aufwärts berücksichtigt. In einigen
Fällen konnte man auch Schweißabsonderung nach sub-
cutaner Pilocarpininjektion wahrnehmen. An arasierten
Stellen der Ohren konnte man mitunter auch Haarwachstum beob¬
achten.
Ich bringe hier einige Versuche.
Versuch 1. Das frisch abgeschnittene Kaninchenohr wird mit der nach
unten gekehrten Basis in Paraffin getaucht. Dann in feuchter Kammer auf be¬
wahrt. Nach 22 Tagen wird es in den Apparat gebracht. In den letzten Tagen zeigte
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158 N. P. Krawkuw : über die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße
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sich etwas Schimmel an der Oberfläche des Organs; er wird mittels eines Pinsel-
chens entfernt. Drei Teilstriche einer Spritze mit einer 1000fach verdünnten Adre¬
nalinlösung werden in das Röhrchen, das die Bürette mit der Arterienkanüle ver¬
bindet, eingespritzt, außerdem probiert man noch eine Adrenalinlösung 1 : 1 000 000
aus. Auf ad hoc exkoriierte Stellen wird Tra-Jodi und Ol. crotonis aufgetragen.
(Kurve 15.)
Versuch 2. Das Ohr wurde im Exsiccator über Schwefelsäure innerhalb
4 Monaten und 22 Tagen getrocknet. Dann wurde es 7 Tage hindurch mit Wasser¬
dämpfen erweicht. 2,5 und 5 Teilstriche einer Spritze mit 1 : 1000 Adrenalinlösung
werden in das Röhrchen eingespritzt. (Kurve 16.)
Kurve 16.
Versuch 3. Während der Dauer von 5 Monaten und 4 Tagen wurde das Ohr
im Exsiccator über Schwefelsäure getrocknet. 7 Tage lang wurde es über Wasser
aufgeweicht ; dann für eine Nacht in die R.-L Flüssigkeit gelegt Es trat vollstän¬
dige Erweichung ein. Wegen mangelhafter Durchgängigkeit der Gefäße wurde
die Ohrenspitze abgeschnitten. Von einer 1 : 1000 Adrenalinlösung wurden sue-
cessive 2,5. 5, 10 Teilstriche einer Spritze in das Röhrchen eingespritzt. (Kurve 17.)
Versuch 4. Das Ohr wurde 3 Monate und 23 Tage im Exsiccator über
Schwefelsäure getrocknet; die Erweichung erfolgte über Wasser, 10 Tage lang.
Mit Rücksicht auf die behinderte Durchgängigkeit der Gefäße wird die Ohren-
spitze abgeschnitten. Adrenalin wurde erst in gewöhnlicher Weise in einer
1 : 500 000fachen Verdünnung angewendet, dann werden 1 / 10 und 1 ccm einer
1 : 1000-Lösung in das Röhrchen eingespritzt. (Kurve 18.)
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Tropferzahf
isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 159
Versuch 5. Der Finger ist einer Hand entnommen, die einem gesunden, bei
einem Eisenbahnunfall verunglückten Manne amputiert wurde. Schon am näch¬
sten auf die Operation folgenden Tage wird der Finger über chloroformhaltiges
Wasser gebracht. Dort bleibt er 33 Tage lang. Der Nagel, der ursprünglich 13 mm
lang war, erreicht am Untersuchungstage die Länge von 14 7 Ä mm. Während der
Aufbewahrung war die Temperatur des Fingers um 1V 2 —2° höher, als die Tem¬
peratur des umgebenden Mediums. Gegen Ende der Aufbewahrungsperiode
schrumpfte die Haut des Fingers erheblich zusammen, jedoch waren keinerlei An¬
zeichen einer Verwesung wahrzunehmen. Nach der Durchströmung der Gefäße
mit der R.-L. Flüssigkeit nahm der Finger wieder sein ursprüngliches Aussehen
und die Konsistenz eines frisch amputierten Fingers an. Adrenalin wurde in Ver¬
dünnung 1 : 500 000 und 1 / 2 ccm, 1 ccm einer 1 : 1000-Lösung (zur Einspritzung
ins Röhrchen) angewendet. 3 und 5 Teilstriche einer eine lproz. Lösung von
Piloc. muriat. enthaltenden Spritze werden subcutan injiziert. Dabei wurde die
Beugefläche des Fingers feucht und Schweißtropfen traten auf, namentlich näher
der Fingerbasis zu. Auf eine mittels Abschabens der Epidermis mit der Lanzette
herbeigeführte Exkoriation auf der Beugefläche der oberen Phalanx wird 01.
crotonis aufgetragen. Die Temperatur der durchfließenden R.-L. Flüssigkeit ist
38—39°. (Kurve 19.)
Versuch 6. Der Finger von einer wegen Tuberkulose des Ellbogengelenks
amputierten Hand wurde nach der Operation in der Kälte aufbewahrt und am
dritten Tage mit der nach unten gekehrten Basis in Paraffin getaucht, in welchem
Zustande er 23 Tage verblieb. Während dieser ganzen Zeit blieben das Aussehen
und die Konsistenz eines frischen Leichenfingers erhalten. Die Temperatur des
Fingers war um 1—2° höher als diejenige des umgebenden Mediums. Wegen
fehlender Grenzlinie des Nagelbettes konnte die Länge des Nagels nicht gemessen
werden. Adrenalinlösung in Verdünnung 1 : 500 000 durchgeleitet, dann 0,3 und
0,4 ccm einer 1 :1000-Lösung in das Röhrchen eingespritzt. 0,4 ccm einer 1 proz.
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1 00 N. P. Krawkow : Über die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße
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Pilocarpin. mur. -Lösung subcutan injiziert. Dabei nimmt man ein Feuchtwerden
und Schweißtropfenabsonderung an der Beugefläche des Fingers (namentlich
an der Basis) wahr. (Kurve 20.)
| j || ! Versuch 7. Der Finger einer anläßlich eines
Vorderarmsarkoms operierten jungen Frau wird
über Schwefelsäure getrocknet und nach 34
Tagen nach einer vorangegangenen Erweichung
in den Apparat gebracht. Bei Durchleitung von
R.-L. Flüssigkeit gewinnt der Finger sein ursprüng¬
liches Aussehen wieder. Keinerlei Verwesungser¬
scheinungen. 1 ccm einer
1 : 1000 - Adrenalinlösung
wird in das Röhrchen ein¬
gespritzt. Subcutan Kal.
cantharid. (Kurve 21.)
Versuch 8. Der Finger
stammt vom Arm eines ge¬
sunden Mannes, der von
einer Lokomotive über¬
fahren wurde. Am nächsten
auf den Unfall folgenden
Tag wurde der Finger in
den Exsiccator über Schwe¬
felsäure gebracht. Die Luft
wird aus dem Exsiccator
ausgepumpt. Nach 13 Tagen
wurde der Finger trocken,
hart,zusammengeschrumpft,
durchsichtig; gegen Licht
sind alle Phalangen zu
sehen. Dann wird er aus
dem Exsiccator heraus¬
genommen, zunächst für
5 Tage chloroformhaltigen
Wasserdämpfen ausgesetzt
zwecks Erweichung und
daraufhin in warme R.-L.
Flüssigkeit getan. Bei
Durchleitung der Flüssig¬
keit durch die Arterien
nahm er das ursprüngliche
Konsistenz eines frischen
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Aussehen und die
Leichenfingers wieder an.
das spärliche Abfließen der Flüssigkeit aus den
Gefäßen wird die Fingerkuppe etwas abgeschnit¬
ten. Appliziert wird Solutio Hypemephrin.
„Höchst“ 1 : 1000 ins Röhrchen 0,2 und 0,4 ccm.
(Kurve 22.)
Versuch 9. Der Finger ist von einem Manne, dem wegen Tuberkulose
des Ellbogengelenks der Unterarm abgenommen wurde. Der Finger ist etwas
ödematös. Am Operationstage bereits wird der Finger in den Exsiccator gebracht.
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Tropfenzahl
isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 161
aus welchem die Luft ausgepumpt wird. Nach 38 Tagen trocknete der Finger
vollständig aus und wurde durchsichtig. Dann wurde er während 15 Tagen auf-
geweicht und darauf (d. h. 53 Tage nach der Operation) mit der R.-L. Flüssigkeit
behandelt. Er gewann sein ursprüngliches Leichenaussehen wieder. Adrenalin
in Verdünnung 1 : 1000 wird in Mengen von 0,5 und 1,0 ins Röhrchen, das die
Bürette mit der Arterienkanüle verbindet, eingespritzt. (Kurve 23.)
Aus den soeben geschilderten Experimenten können
wir ersehen, daß die Lebensfähigkeit der peripheren Ge¬
fäße sich beiden genanntenKonservierungsbedingungen in
größerem oder geringerem Maße eine erstaunlich lange
Zeit erhalten kann. Wenn es möglich ist, dieses Phänomen
an ausgetrockneten Präparaten etwa 6 Monate nach der
Isolierung zu beobachten, so muß man freilich annehmen,
daß die Gefäße ihre Lebensfähigkeit eine unbestimmt lange
Zeit erhalten können. Nicht nur die Gefäße, sondern auch
andere Gewebe isolierter Organe erhalten eine ungemein
lange Zeit ihre Lebensfähigkeit, allerdings nicht in un¬
beschränktem Maße, sondern je nachdem, wie groß der
vorrätige Nährstoff in den Geweben war; so sehen wir das
Wachstum der Nägel und Haare und sogar die Funktion
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162 N. I*. Krawkow: Über die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße
eines so komplizierten neurocellulären Apparates, wie der
Schweißdrüsen. In dieser Beziehung sind die Gewebe der Warm¬
blüter den Geweben der niederen wirbellosen Tiere ähnlich, da die
letzteren bekanntlich nach längerer Austrocknung unter entsprechenden
günstigen Verhältnissen wieder auferstehen können. Dieses tritt höchst¬
wahrscheinlich nur dann ein, wenn es gelingt, möglichst rasch und
voll die vitalen Eigenschaften des Protoplasmas zu fixieren, bevor
noch Autolyse und bakterielle Verunreinigung eingetreten sind. Für
diese Annahme scheinen unsere Experimente einen klaren Beweis zu
liefern: werden die Organe einer raschen Austrocknung unterzogen,
schon gleich von vornherein im luftverdünnten Raume, so werden
am sichersten die erwünschten Resultate erzielt. Aus den oben ge¬
schilderten Versuchen ist auch zu ersehen, daß die Grundreaktionen
der Gefäße konservierter Organe solchen Giften gegenüber, wie
Adrenalin, Pilocarpin oder Hautreizen gegenüber sehr lange Zeit
erhalten bleibt, jedoch nicht in dem Maße, wie es an normalen Ge¬
fäßen der Fall ist. Es sind zur Verengerung der Gefäße stärkere
Adrenalinlösungen erforderlich, als sonst, während die schwachen
entweder ganz ohne Wirkung bleiben, oder mitunter sogar eine Er¬
weiterung hervorrufen, wie wir es an pathologischen, beispielsweise
entzündeten Organen sahen. Diese Veränderung im Verhalten der
Gefäße Adrenalin gegenüber muß, unserer Meinung nach, schon ganz
abgesehen von der vorläufig noch verhältnismäßig groben Konser¬
vierungstechnik, hauptsächlich auf den Umstand zurückgeführt wer¬
den, daß bei der Aufbewahrung in der feuchten Kammer und bei der
Austrocknung, die Nervenstämme der isolierten Organe der De¬
generation und Lähmung verfallen, wobei das Adrenalin seinen Haupt¬
angriffspunkt verliert und somit auf Gefäße, die des sympathischen
Systems beraubt sind, wirken muß.
Die Coron&rgef&Be des normalen nnd pathologischen Herzens.
Die Untersuchung der Coronargefäße nach unserer Methode, d. h.
an einem mit Strophantin sistierten Herzen, kann man in folgenden
Schlüssen zusammenfassen 30 ):
1. Das Adrenalin bewirkt keine bemerkbare Verengerung der
Kranzgefäße des Herzens und ruft in der Mehrzahl der Fälle sogar
eine Erweiterung hervor.
2. Coffein, Theobromin, Amylnitrit, Campher bewirken eine deut
liehe Erweiterung der Gefäße.
3. Histamin, Thyramin, Nicotin, Pilocarpin und Bariumchlorid
verengern die Kranzgefäße des Herzens.
4. Die vasoconstrictorische Wirkung der Gifte äußert sich an den
Kranzarterien des Herzens im allgemeinen in weit schwächerer Weise,
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 163
als an den peripheren Gefäßen, während die vasodilatorische Wirkung
im Gegenteil weit stärker ist.
5. Sofern man nach der Wirkung der Gifte urteilen darf, enthält
das sympathische Nervensystem der Kranzgefäße hauptsächlich dila-
tatorische Fasern, seine vasoconstrictorischen Fasern gehören zum
autonomen System (N. vagus).
Die von uns an gesunden isolierten Menschenherzen
angestellten Untersuchungen führten uns im allge¬
meinen zu den gleichen Resultaten wie an den Kanin¬
chenherzen. Erst untersuchten wir ausschließlich Kinderherzen,
dann gingen wir zu Herzen erwachsener Individuen über.
Die Herzen von Kindern haben den Vorzug den Herzen
erwachsener Menschen gegenüber, daß bei den ersten die
durchfließende R.-L. Flüssigkeit viel rascher die Tätigkeit
anregt und sie länger erhält, als das bei Herzen Erwach¬
sener der Fall ist. Daher mußte man bei Sistierung der zu unter¬
suchenden Kinderherzen viel häufiger zu Strophantin greifen, als das
bei Herzen Erwachsener notwendig war.
Die Herzen erwachsener Menschen waren oft auch ganz ohne
Strophantinanwendung derart unbeweglich, indem sie nur ganz
schwache Kontraktionen in der Hohlvenengegend, den Herzohren, dem
einen oder anderen Arterium, geschweige denn den Ventrikeln aufwiesen,
daß sogar eine nachträgliche Adrenalindurchleitung nicht imstande
war, sie zur Tätigkeit anzuregen. Nebenbei bemerkt, erhält man bei
Anwendung des Strophanthins an noch schlagenden isolierten Menschen¬
herzen ein genau so charakteristisches Bild seiner therapeutischen und
toxischen Wirkung, wie bei Anwendung desselben am tierischen Herzen.
Wir bringen nachstehend einige Experimente, die ich gemeinsam
mit Anitschkow ausführte.
Versuch 1. Das Herz einer 8 Monate alten Frühgeburt, die 25 Minuten nach
der Geburt noch lebte, wird 7 h 20' nach dem Tode isoliert. Die Kanülen werden
in die Aorta nach Langendorff eingeführt. Bei der Durchleitung der R.-L. Flüssig¬
keit begann das Herz sich zu kontrahieren. Darauf mit Strophantin zum Stülstand
gebracht. Coffeinum pur. 1 : 1000. Adrenalin 1 : 500 000, Nicot. pur. 1 : 5000.
(Kurve 24.)
Versuch 2. Das Herz einer 8 Monate alten Frühgeburt lag nach seiner
Isolierung eine Nacht lang in der Kälte, in einem mit R.-L. Flüssigkeit durch-
tränkten Wattestück. Nach 27 h 40' wurde es in den Apparat gebracht. Die Kanüle
ist nach Langendorff in die Aorta eingeführt. Bei Durchleitung der Flüssig¬
keit machten sich schwache Kontraktionen bemerkbar. Mit Strophantin sistiert.
Coffein pur. 1 : 1000, Histamin 1 : 500 000. (Kurve 25.)
Versuch 3. Das Herz eines rechtzeitig geborenen Kindes, das einige Stunden
nach der Geburt starb, wurde mit Strophantin sistiert und dann in den Apparat
gebracht — 26 Stunden nach dem Tode. Die Kanülen nach Langendorff. Cam¬
phora 1 : 2500, Barium chlor. 1 : 5000. (Kurve 26.)
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 165
Versuch 4. Das Herz eines 4jährigen Kindes, das an einer Verbrennung zu¬
grunde ging, wurde 30 Stunden nach dem Tode in den Apparat gebracht. Adrenalin
in Verdünnung 1 : 600 000. (Kurve 27.)
Vers uch 5. Das Herz eines 6 monatigen noch atmenden Foetus. Erst wurden
die Kanülen nach Langendorff eingeführt, nachdem sich aber eine Klappen¬
insuffizienz bemerkbar machte, wurde die Kanüle unmittelbar in die Art. coron.
sin. eingesteckt. 7 h 30' nach dem Tode wird das Organ in den Apparat ge
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166 N. I*. Krawkow: Über die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße
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bracht. Das ganze Herz schlägt, die Zahl der Herzschläge in der Minute beträgt
54. Dann wird es mit Strophantin sistiert. Coffein, pur. 1 : 10 000, Adrenalin
1:500 000. (Kurve 28.)
Versuch 6. Das Herz eines erwachsenen Menschen, der an Fleckfieber mit
Dysenterie starb, weist eine hochgradige fettige Myodegeneration auf. 10 Stunden
nach dem Tode wurde es in den Apparat gestellt. Eine Kanüle in der Art. cor.
sinistra, die andere in der Art. cor. dext. Die Durchleitung erfolgte abwechselnd
erst durch eine, dann durch die andere Art. Adrenalin 1 : 500 000, Coffeinum
pur. 1 : 5000. (Kurve 29.)
Versuch 7. Das Herz eines Erwachsenen, der an Miliartuberkulose starb.
Es wird am Tage des Todes in den Apparat gebracht. Die Kanüle ist in die Art.
coron. sin. über der Circumflexa eingeführt. Bei der Durchleitung der R.L.-
Flüssigkeit sind kaum bemerkbare Kontraktionen an den Mündungen der Lungen¬
venen zu sehen. Bei Durchleitung einer 1 : 5000-Coffeinlösung werden diese Kon¬
traktionen deutlicher; auch am linken Herzohr sind Kontraktionen zu sehen.
In den übrigen Abschnitten ist das Herz unbeweglich auch bei Durchleitung einer
Adrenalinlösung 1 : 500 000. (Kurve 30.)
Versuch 8. Das Herz eines 17 jährigen Jünglings, der an einer im Anschluß
an Dysenterie entstandenen perforativen Peritonitis starb, weist eine erhebliche
parenchymatöse Degeneration des Myokard (trübe Schwellung) auf. Die Kanüle
liegt oberhalb der Aortenklappen. Die Quantität der abfließenden Flüssigkeit wird
nach der Kubikzentimeterzahl jede Minute bestimmt. Bei Durchleitung des
Adrenalins sind kaum wahrnehmbare Bewegungen an den Mündungen der Hohl-
venen und an den Vorhöfen zu sehen. Adrenalin 1 : 1 000 000, Coffein 1 : 5000.
(Kurve 31.)
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 167
Aus den angegebenen Versuchen ist ersichtlich, daß
die Kranzarterien des Menschenherzens auf Gifte ge¬
nau so reagieren, wie diejenigen
der tierischen Herzen. Die gefä߬
verengernde Giftwirkung macht
sich an den Kranzarterien des
Menschen im allgemeinen weniger
bemerkbar, als an peripheren Ge¬
fäßen des Menschen, die gefä߬
erweiternde dagegen ist bedeu¬
tend stärker ausgeprägt. Es gibt
kein einziges gefäßverengerndes Mittel, das
imstande wäre, einen völligen Verschluß
der Coronararterien herbeizuführen, wie
man das an den peripheren Gefäßen be¬
obachten kann. Besonders klar trat dieser
Unterschied im Verhalten der Gefäße an
den Versuchen zutage, die wir an isolierten
Organen ein und derselben Leiche aus¬
führten und somit die Giftwirkungen auf
die Coronargefäße und Fingergefäße ceteris
paribus vergleichen konnten. Nun muß
man aber bemerken, daß das Adrenalin,
das auf die Coronargefäße des
menschlichen Foetus und Kinder
keinen merklichen Einfluß aus¬
zuüben pflegt, mitunter sie sogar
erweitert, eine Verengerung der
Kranzarterien erwachsener Men¬
schen hervorruft. Aber auch in
diesem Falle ist die Wirkung des Adrenalins
nicht dermaßen deutlich ausgesprochen,
wie an den peripheren Gefäßen. Bar-
bour 36 ), der die Coronargefäße des
menschlichen Herzens nach der Frey-
Meyer sehen Methode 2 l / t —7 Stunden
nach dem Tode untersuchte, gelangte zum
Schluß, daß das Adrenalin die Kranz¬
arterien verengert, während es die Coronar¬
gefäße der Tiere (wie Kälber, Schafe und
Schweine) zu erweitern pflegt. Diese
Untersuchungen führte Barbour an Herzen von Menschen aus,
die an tuberkulöser Peritonitis (24 Jahre), Aneurysma und Aortitis
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII. 12
l
3
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168 N. P. Krawkow: Über die funktionellen Eigenschaften der Blutgefäße
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luetica (60 Jahre), Ileus mit sich anschließender Peritonitis (34 Jahre),
Oesophaguscareinom, fibrinöser Pericarditis (54 Jahre) und anderen
Krankheiten zugrunde gingen. Wir sehen also, daß Barbour die
verengernde Wirkung des Adrenalins an Coronargefäßen von Indi¬
viduen beobachtete, die schon in vorgerücktem Alter waren. Auf die
Frage, weshalb die Gefäße der Tiere und Menschen verschieden auf
Adrenalin reagieren, antwortet Barbour 37 ) auf Grund vergleichender
histologischer und pharmakologischer Studien, daß diese Differenz
jedenfalls nicht dem verschiedenen anatomischen Bau dieser Gefäße
zuzuschreiben sei: obwohl der histologische Bau der Coronargefäße
des Kalbes und des Menschen identisch ist, ist ihr Verhalten
dem Adrenalin gegenüber entgegengesetzt. Daher nimmt Barbour
an, daß die menschlichen Coronargefäße wahrscheinlich von sym¬
pathischen Vasoconstrietoren versorgt werden.
Aus unseren Untersuchungen an den Kranzarterien
geht hervor, daß das Verhalten der menschlichen Kranz¬
arterien dem Adrenalin gegenüber vom Alter des Indi¬
viduums abhängt und dementsprechend wechselt. Dieser
Zusammenhang zwischen dem Alter des Menschen und dem Verhalten
seiner Kranzarterien gegenüber Adrenalin gleicht gewissermaßen die
Differenz aus, die im Verhalten der menschlichen und tierischen
Coronargefäße diesem Gifte gegenüber festgestellt wurde. Es ist ja
leicht möglich, daß, wenn wir auch bei Tieren verschiedenen Alters
die Coronargefäße untersucht hätten, sich auch dann ein ungleiches
Verhalten Adrenalin gegenüber seitens der Kranzarterien verschiedenen
Alters gezeigt hätte, zumal ja für Untersuchungen an Herzen gewöhn¬
lich nur junge Tiere in Anwendung kommen. Die Annahme liegt
sehr nahe, daß mit dem Wachstum und der Entwicklung des Organismus
auch die Funktion des Sympathicussystems in den Kranzarterien
eine Veränderung erfährt und dementsprechend auch das Verhalten
der genannten Gefäße Adrenalin gegenüber wechselt. Wie aus den hier
gebrachten Kurven hervorgeht, haben die Coronargefäße des mensch¬
lichen Herzens außer ihrer Reaktionsfähigkeit verschiedenen Giften
gegenüber auch die Fähigkeit, sich selbständig rhythmisch zu kontra¬
hieren.
Nun gehen wir zur Frage über, wie verschiedene Reizstoffe
auf die Kranzarterien wirken bei Applikation derselben
aufs Peri- resp. ins Myokard. Das Perikard wurde durch Berührung
resp. Bestreichen mit einem reizenden Stoff mittels eines Pinselchens
gereizt. Zum Aufstreichen wurden 01. Crotonis, T-ra Cantharid.,
T-ra Jodi, starke Lösung von Kal. Cantharid., zur Kontaktreizung —
ein Kristall Natriumchlorid, ein Stückchen Zwiebel usw. benutzt.
Zu Kontrollversuchen bediente man sich auch des in R.-L. Flüs-
Original from
UNIVERSITY 0F MINNESOTA
isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 169
sigkeit angefeuchteten Pinselchens. Unmittelbar nach der Reiz¬
applikation konnte man einen reichlichen Abfluß der
Flüssigkeit aus den Coronargefäßen beobachten, dessen
Dauer von der Intensität und Dauer des zugefügten Reizes
abhing; nach Applikation eines Kontaktreizes war der Abflußeffekt
sehr flüchtig. Wiederholte Reize hatten meistenteils schwächere
Effekte zur Folge, als die vorhergehenden. Die Summierung der Reize
führte zu einer langanhaltenden Erweiterung der Gefäße. Die Ein¬
spritzung von Reizstoffen in das Myokard führte eine
starke, langdauernde Erweiterung der Coronargefäße her¬
bei. In diesem durch Reizwirkung herbeigeführten ent¬
zündlichen Stadium hören die Coronargefäße, ähnlich wie
die peripheren auf in charakteristischer Weise auf Adrena¬
lin zu reagieren.
Da ich auf die entzünd- 140
liehe Gefäßreaktion zu
sprechen kam, so muß 30
ich auch auf die Unter-
Buchungen von Cesaris- S
v 20
Demel 38 ) hin weisen, der £
nachgewiesen hat, daß das £
Gewebe des isolierten Her- 10
zens unter bestimmten Be¬
dingungen dieselben patho¬
logischen Veränderungen 0
erfahren kann, wie das intra Kurve 02.
vitam geschieht. So tritt
z. B. bei Durchleitung von R.-L. Flüssigkeit mit darin enthaltenen Giften
(Arsen, Fluorescin. Diphtherietoxin) durch das Kaninchenherz eine
Verfettung ein, genau wie es bei Vergiftung der Tiere mit diesen Giften
der Fall ist. Diese Tatsachen weisen darauf hin, daß die
Gewebe auch isolierter Organe ihre kardinalsten vitalen
Eigenschaften beibehalten und imstande sind, in emp-
findli eher Weise auf diese sowohl physiologischen, als patho -
logischen Wirkungsmomente zu reagieren.
Von zahlreichen von mir ausgeführten Experimenten, die im all¬
gemeinen ähnliche Resultate ergaben, bringe ich die folgenden:
Versuch 3. Das isolierte Herz eines Kaninchens wird mit Strophantin sistiert.
Dem linken Vorhof appliziert man einen Kontaktreiz mit einem Pinselchen mit
Kal. canthar. Zur Kontrolle wird dieselbe Stelle mit dem Pinselchen und reiner
R.-L. Flüssigkeit berührt. (Kurve 32.)
Versuch 4. Das Herz eines Kindes, das an Scharlach starb, wird in den Ap¬
parat 6 11 30' nach seinem Tode gebracht. Die Kanüle wird in die Art. coron. sinistra
eingeführt. Bei der Durchleitung der R.-L.Flüssigkeit sind keine Kontraktionen
12 *
Original fro-m
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170 N. P. Krawkow: über die funktionellen Eigenschafton der Blutgefäße
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wahrzunehmen. Berührung mi t einem mit OL crotonis benetzten Pinselchen,
darauf wird in das Myocard 1 ccm 01. crotonis eingespritzt. (Kurve 33.)
Versuch 9. Das Herz eines 4 jährigen Kindes, das einer Verbrennung erlag,
wird 18 Stunden nach dem Tode in den Apparat gebracht. Auf Adrenalin und
Nikotin keine merkliche Reaktion der Gefäße. In das Myokard des linken Ven¬
trikels wurden hintereinander 1 und 2 Teilstriche einer Spritze T-ra cantharid.
eingespritzt. (Kurve 34.)
Kurve 84.
Versuch 12. Das Herz eines 17jährigen Jünglings, der an einer mit perfo-
rativer Peritonitis einhergehenden Dysenterie starb, wurde 5 Stunden nach dem
Tode in den Apparat gebracht. Die Kanüle liegt in der Aorta oberhalb der Klappen.
Bei der Durchleitung der R.-L. Flüssigkeit blieb es unbeweglich; nach Zusatz von
Adrenalin zur Durchleitungsflüssigkeit sind kaum bemerkbare Kontraktionen
an den Mündungen der Hohlvenen wahrzunehmen. Die Menge der abfließenden
Flüssigkeit wird nach dem Volumen bestimmt. Die Wirkung des Adrenalins und
Coffeins auf die Gefäße ist vor und nach der Reizung untersucht worden: diejenige
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 171
des Adrenalins in einer Verdünnung 1 : 1 000 000, diejenige des Coffeins in Ver¬
dünnung 1 : 5000. Verschiedene Stellen des Perikard werden erst mit einem Stück*
chen Zwiebel berührt, dann werden in die Wand des linken Ventrikels 3 Teil-
striche einer Spritze mit
U9tpuj<aqvu(^
T-ra Cantharid einge- i i
spritzt. (Kurve 35.) \
ZurErgänzung I \ |
bringe ich noch waoio - 1 --V
einen Versuch, R j j
der zugleich Kon- L) Vl
trollversuch war 't DU *w\ } jxooj-ßu/y -I- -i\ |
und dasVerhalten I) 1
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nach ihrem Tode ent- I ' i ? ooosi jndu!agoj---\ ; „
nommen. Die Klappen j : > , j § } I I
schließen nicht. Hoch- j . ) w I [ ^ w
gradige Sklerose der Co- (J 2 papinpo^^\ I j 00
ronargefäße. Die Kanüle PW M 2 j ! 1
wird in die Art. coron. \j j i
8inistra eingeführt. Die I ~ j ;
Untersuchung fand J
10 Stunden nach dem x I /
Tode statt. Bei der 1 ^ ; ooooos ■/ \
Durchleitung der R.-L. ! < |
Flüssigkeit auch mit PW*Z “ j j >
Adrenalingehalt sind an j
keinem Abschnitte des \ ; *!
Herzens Kontraktionen f 1 '
wahrzunehmen.Adrena- j /
lin wurde in Verdün- i , ^ *>poi-6uty-~\'
nungen 1 : 1 000 000 J] <
und 1 : 500 000 appli- /Dujjptf- -| /
“ e f; Co t fei "ä 1 = 5000 ; \ \ i \ coooooz^ Pv y\ -fe
Nikotin 1:6000. Gereizt 1 ! ?
wird das Herz mit Ol. | 1 i ^ < *5
crotonis, von welchem --- - __l3_I
1 ccm in die Muskulatur ^ ^ J 3 LJJ f ^ 10 ^
des Unken Ventrikels " " f
eingespritzt wird, und mit Ol. terebinth., von dem auch intramuskulär 0,5
injiziert wird. Außerdem wird d£r ganze linke Ventrikel mit 01. crotonis
bestrichen. Die Quantität der abfließenden Flüssigkeit wird nach der Zahl der
Kubikzentimeter pro Minute bestimmt. (Kurve 36.)
Hf32UOß J9Q “t-
yjufqdJa^ #-}-
0000001 ■'/_
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H V Z- t LUD
WDZ-UJO
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Original fro-m
UN1VERSITY OF MINNESOTA
172 N. P. Krawkow: Über die funktionellen Eigenschafton der Blutgefäße
Indem wir nun die Resultate unserer Experimente einer sum¬
marischen Betrachtung unterziehen, gelangen wir zum Schluß,
daß die Coronargefäße ähnlich wie die peripheren sehr
standhaft und zähe in bezug auf ihre Lebensfähigkeit sind
und ihre vitalen Eigenschaften ungemein lange Zeit nach
dem Tode des Organismus erhalten können. Sogar nach
vollständiger Lähmung des neuro-muskulären Apparates
des Herzens, wenn alle Mittel das Herz auch nur teilweise
wieder in Tätigkeit zu setzen versagt haben, fahren trotz¬
dem die Gefäße fort, auf Gifte und Reize zu reagieren.
Der Grad und Charakter dieser Reaktion hängen von den patho¬
logischen Veränderungen der umgebenden Gewebe ab; so ist z. B.
der Einfluß des entzündlichen Prozesses auf das Verhalten der Gefäße
in unseren Experimenten nicht zu verkennen. Insbesondere gilt das für
Adrenalin, das unter den genanntenUmständen statt der üblichenVerenge-
rung an Gefäßen Erwachsener entweder keine Veränderung des Lumens
der Coronargefäße oder sogar eine Erweiterung hervorrufen kann.
In Fällen stark ausgesprochener Sklerose der Coronar¬
gefäße, sogar dann, wenn das Herz ohne Verzug nach dem
Tode isoliert wird, hören dieGefäße auf, auf Gifte und das
Epi- und Myokard angreifende Reize zu reagieren (siehe
Kurve 36),
Zum Schluß halte ich es nicht für überflüssig, darauf hinzuweisen,
daß es uns gelungen ist, die Differenz in der Reaktion der Gefäße gegen
Gifte unter pathologischen und normalen Verhältnissen nicht nur an
Herzen und Ohren zu konstatieren, sondern auch, wie es die noch nicht
veröffentlichten Untersuchungen von Sakussow ergeben haben, an
isolierten Nieren. Die Nierengefäße der an Scharlach, Di¬
phtherie und anderenlnfektionskrankheiten verstorbenen
Individuen können ihre charakteristische Reaktionsfähig¬
keit Adrenalin gegenüber verlieren, je nach dem Grad der
stattgehabten Affektion der Organe. Die Nierengefäße der mit
Arsen, Cantharidin, Sublimat vergifteten Kaninchen, d. h. bei der
vaskulären oder tubulären Nephritisform, verlieren entweder teil¬
weise oder vollständig ihre Eigenschaft, sich unter dem Einflüsse von
Adrenalin zu verengern, mitunter erweitern sie sich sogar danach.
Wie an entzündeten Ohren und Herzen ruft das Coffein auch hier
unter ähnlichen Verhältnissen eine Erweiterung hervor.
Ich schließe nun meine Arbeit, indem ich der Befürchtung Ausdruck
gebe, daß die speziell literarische Bearbeitung unseres Untersuchungs¬
materials möglicherweise nicht ohne Lücken sein wird. Zur Rechtferti¬
gung kann ich nur darauf hinweisen, daß wir Russen in den letzten Revo¬
lutionsjahren die ausländische Literatur vollständig entbehren mußten.
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isolierter (normaler und pathologischer) Organe von Tieren und Menschen. 173
»
Literaturverzeichnis.
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Anat. 24 . 1913.
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(Aus dem Kaiserin Auguste Victoria-Haus, Reichsanstalt zur Bekämpfung der
Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit [Dir. Prof. Dr. Langstein].)
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Die Grundlagen der biologischen Desinfektionsleistung von
Acridiniumfarbstoffen, insbesondere von Flavicid.
Von
Dr. Hans Langer,
Abteilungsvorsteher.
Mit 4 Textabbildungen.
(Eingegangen am 29. Dezember 1921.)
I. Grundwirkung.
Die Bedeutung, welche die Acridiniumfarbstoffe seit kurzem als
therapeutische Desinfizienzien gewonnen haben, ist, wie ein Blick auf
die klinischen Ergebnisse lehrt, ständig im Steigen. Demgegenüber sind
die experimentellen Untersuchungen vorläufig nicht zahlreich. Es
stützen sich die Kenntnisse nach dieser Richtung zunächst auf die
Ergebnisse einiger weniger englischer Arbeiten, die durch die Nach¬
prüfungen von Neufeld und Schiemann, Fürstenau, Leschke,
im großen und ganzen ihre Bestätigung gefunden haben. Diese Arbeiten
haben gezeigt, daß auch im Experiment eine bemerkenswerte Des¬
infektionswirkung nachweisbar ist. Über die Prüfung der absoluten
Desinfektionsleistung hinaus beschränken sich die genannten Arbeiten
auf die Feststellung einiger Besonderheiten dieser Desinfektionsleistung,
ohne aber dem Wesen derselben näherzukommen zu suchen. Soweit
sich die Untersuchungen auf Desinfektionsleistungen im Tierversuch
beziehen, sind sie noch nicht über Anfänge hinausgekommen.
Schließlich sind dann einzelne Arbeiten zu erwähnen, wie die von
Feiler, die sich bemühen, auf Spezialgebieten (Wunddesinfektion) ex¬
perimentelle Grundlagen zu schaffen. Soeben hat dann Browning
noch eine weitere experimentelle Untersuchung veröffentlicht, die sich
etwas ausführlicher mit der GrimdWirkung befaßt.
Während sich diese Versuche im wesentlichen mit dem Diamino-
methylacridiniumchlorid (Trypaflavin bzw. seinen ausländischen Ersatz¬
produkten) befassen, habe ich mich in den letzten Jahren mit einer
größeren Reihe von Acridiniumfarbstoffen beschäftigt, welche mir von
der Akt.-Gesellsch. f. Anilinfabrikation in Berlin im Hinblick auf den
variierenden Dispersitätsgrad der einzelnen Farbstoffe zur Verfügung
Gck igle
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H. Langer: Biologische Desinfektionsleistung von Acridiniumfarbstoffen usw. 175
gestellt waren. Über einen Teil dieser Untersuchungen, die zur Auf¬
findung des 2—7-Dimethyl — 3-dimethylamino — 6-amino — 10-methyl-
acridiniumchlorid (Flavicid) geführt hatten, habe ich bereits ver¬
schiedentlich berichtet.
Die erwähnten Besonderheiten der Acridiniumwirkung, die von
den meisten Autoren hervorgehoben werden, beruhen zunächst darin,
daß die Desinfektionswirkung in Gegenwart von gelöstem Eiweiß, vor
allem also von Blutserum, nicht herabgesetzt, sondern sogar gesteigert
wird. Diese Tatsache ist höchst bemerkenswert und geeignet, die Bedeu¬
tung dieser Stoffe als therapeutisches Desinfektionsmittel zu verstärken.
Ferner fällt bei den experimentellen Untersuchungen auf, wie dies
Neufeld auch in seinem Berliner Vortrag schon hervorgehoben hat,
daß die Feststellung der Grenzwerte der Desinfektionswirkung gewissen
Schwankungen unterliegt. Auch Browning weist in seiner neuesten
Mitteilung darauf hin. Die Folge davon ist eine Erschwerung der Me¬
thodik, indem vergleichende Untersuchungen immer nur, streng ge¬
nommen, innerhalb der gleichen Versuchsreihe möglich sind und die
Festlegung von Standardwerten zu großen Versuchsreihen zwingt.
Weiter ist zu bemerken, daß die Desinfektionsleistung nicht nur
von der Konzentration des Desinfektionsmittels abhängig ist, sondern
in starkem Umfange von der Bakterienmenge, so daß oberhalb einer
bestimmten Konzentration dieser Bakterienmenge die Desinfektions¬
wirkung auffällig nachläßt.
Schließlich kommen sowohl die englischen wie auch die deutschen
Autoren zu dem Ergebnis, daß — ebenso wie dies bei bekannten
chemotherapeutischen Mittel wie Salvarsan, der Fall ist, — auch beim
Trypaflavin die Wirkung nur langsam eintritt. Der Abtötungseffekt
nach kurzer Einwirkung ist gering und steht in einem starken Mißver¬
hältnis zu der starken entwicklungshemmenden Fähigkeit. Browning
glaubt die Bedeutung dieses Nachteils dadurch einschränken zu können,
daß er in der Entwicklungshemmung den für den therapeutischen Effekt
maßgebenden Faktor sieht. —
Ich habe in meinen früheren Mitteilungen bereits gezeigt, wie die
Besonderheiten der Desinfektionswirkung der Acridiniumfarbstoffe aus
kolloid-chemischen Gesichtspunkten zu erklären sind. Durch Ver¬
gleichung einer größeren Zahl von Derivaten der Acridiniumreihe ließ
sich nämlich wahrscheinlich machen, daß die Steigerung der Wirkung
in einer direkten Beziehung zum Lösungszustand steht in dem Sinne,
daß, je mehr die Teilchengröße wächst, je mehr also die Dis¬
persität abnimmt, um so mehr sich die Desinfektions-
wirkung stärkt.
Es konnte ferner wahrscheinlich gemacht werden, daß die bemerkens¬
werte Verstärkung der Desinfektionswirkung durch Serum ebenfalls auf
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176
H. Langer: Die Grundlagen der biologischen
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einer Dispersitätsänderung des Farbstoffes durch den Serumzusatz be¬
ruht. Es fehlte aber noch die Beibringung eines überzeugenden Nach¬
weises. Dieser ist durch folgenden Versuch zu geben:
Die Abhängigkeit des Lösungszu¬
standes kolloidaler Lösungen von der
Reaktion des Mediums ist bekannt.
Säuerung verstärkt die Dispersität,
bei Alkalizuatz nimmt sie ab.
Mißt man die Dispersität nach dem
Vorschlag von Traube durch Bestim¬
mung der Diffusion in Gelatinesäulen,
so erhält man für eine Reihe von ver¬
schiedenen Acridiniumderivaten fol¬
gende Diffusionskurven:
Versuch. Diffusion in 5% Gelatine,
Messung in ram Farbstofflösung 1:1000
Diiuethyiamiuoacridinium-
Chlorid.
a) in jjjHCl,
b) neutral, c) in NaOH.
Die verglichenen Derivate (die nur
als Typen ausgewählt sind) unter¬
scheiden sich dadurch, daß A 4
(C 15 H 15 N 2 C1) und Dimethylaminoacri-
diniumchlorid eine nennenswert stär¬
kere Diffusion auf weisen als Flavicid,
in allen Fällen setzt aber Alkaleseenz
die Diffusion gleichmäßig herab; wäh¬
rend Säuerung sie verstärkt. Es ist
dabei zu beachten, daß die Verän¬
derung der Diffusion durch Säure bei
Flavicid einen stärkeren Grad erreicht
als bei A 4. Im letzten Falle decken
sich die Diffusionskurven für sauer und
neutral fast vollständig.
Es läßt sich nun zeigen, wie dem
nachfolgenden Versuch zu entnehmen
ist, daß auch die Dennfektionskraft
in der Tat durch Zusatz von Säure und Alkali modifizierbar ist, indem
Alkalizusatz die Desinfektionswirkung deutlich steigert, Säurezusatz
sie herabsetzt.
V ersuch. Einfluß der Azidität auf die Desinfektionskraft von Acridiniumfarbst offen.
Feststellung der Entwicklungshemmung eines Staphylococcus aureus in Bouillon
a) in neutraler Reaktion; b) bei Zusatz von 5 ccm y— Säure auf 100 Bouillon
Alkali.
Abb. 8. Flavicid.
c) von ö ccm
n
1Ö
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UNIVERSITY 0F MINNESOTA
Desinfektionsleistung- von Acridiniumfarbstoffen, insbesondere von Flavicid. 177
1
A4
Flavicid
Verdünnungsgrad j
neutral
Säure
Alkali
neutral
Säure |
Alkali
1 : 10 000 1
0
0
0
0
o !
0
1 : 50 000
0
0
0
0
0
0
1 : 150 000 1
; +
+
0
0
0 1
0
1 : 300 000 i
+
0
0
' + i
0
1 : 600 000 |
' +
+
1 +
0
+ ■
0
1 : 1000000
! +
i +
1 +
+
+
0
1 : 2 000 000 j
; +
1 +
! +
+
+ 1
—
Für Flavicid liegt also die Grenzwirkung im vorliegenden Falle im
neutralen Medium bei 1 : 600 000. Sie wird durch Säuerung auf
1:100000 herabgesetzt, durch Alkali auf 1 : 1000000 gesteigert. Im
gleichen Sinne wird die Wirkung von A 4 beeinflußt. Einen ähnlichen
Versuch enthält auch die neueste Mitteilung von Browning.
Dieser Versuch beweist also, daß die willkürliche Änderung der Dis¬
persität zu einer gesetzmäßigen Änderung der Desinfektionsleistung
führt. Damit ist ein entscheidender Beweis für die Richtigkeit der An¬
nahme geliefert, daß bei den Homologen der Acridiniumderivate die
Steigerung des Desinfektionsvermögens tatsächlich eine Funktion der
Dispersitätsänderung ist. Die gleiche Beziehung hatte Traube für die
Erklärung der unterschiedlichen Wirkung der höheren Chininderivate
herausgezogen.
Nun kann aber dieser Satz nur beschränkte Geltung haben, denn
es lassen sich unschwer genügend Beispiele von Desinfektionsmitteln
anführen, wo die DispersitätsVerminderung — etwa durch Serum¬
zusatz — sich im Sinne einer Schwächung an Wirkung darstellt. Es
muß also eine Begrenzung gefunden werden, und diese ist durch die
Abnahme des EindringungsVermögens gegeben. Es kann als sicher
gelten, daß das Eindringungsvermögen in die Bakterien eine Voraus¬
setzung der Desinfektionsleistung ist, und daß die Abnahme dieser eben¬
falls von der Dispersität abhängigen Eigenschaft zu einer Begrenzung
der Steigerungsmöglichkeit führt, so daß nach Überschreitung eines
Optimums eine weitere Abnahme zur Wirkungsverminderung führen
muß.
Auf Grund dieser Überlegungen habe ich eine Theorie entwickelt,
aus der die Desinfektionswirkung homologer Reihen aus den physi¬
kalischen Eigenschaften der Glieder erklärt werden konnte. Es führen
die umgekehrten Beziehungen von Eindringungsvermögen und Spei¬
cherung (Teilchengröße) zur Annahme eines Optimums, das die größt¬
mögliche Eindringung bei gleichzeitig größtmöglicher Adsorptionsfähig¬
keit bezeichnet.
In bezug auf die Feststellung dieses Optimums unterscheidet sich
meine Vorstellung von den unabhängig davon gleichzeitig entwickelten
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178
H. Langer: Die Grundlagen der biologischen
Desinfektionstheorie von Traube. Auf die Ähnlichkeit der Erklärung
vitaler Färbungen, deren Grundprinzipien naturgemäß übereinstimmen
müssen, sei nur kurz hingewiesen (Möllendorff).
Für die hier entwickelte Vorstellung bietet der oben geschilderte
Versuch noch eine weitere Stütze. Nimmt man an, daß das Flavicid
dem erreichbaren Optimum sehr nahe steht, so ist zu erwarten, daß
eine Steigerung seines Speicherungsvermögens, also eine Abnahme der
Dispersität, die Desinfektionswirkung nicht mehr wesentlich steigern
wird. Dies ist auch tatsächlich der Fall. Die Steigerung durch Serum¬
zusatz oder durch Alkalisierung erreicht keine beträchtliche Höhe. Hin¬
gegen war zu erwarten, daß diese Steigerungsmöglichkeit bei A4 und
dem ihm in den physikalischen Eigenschaften nahestehenden Trypaflavin
wesentlich größer ist, da diese Derivate weiter vom Optimum entfernt
sind. Diese Erwartung wird auch tatsächlich durch den Versuch erfüllt.
Bei A4 wird die Desinfektions-
Optirrum
KristaUoid-
instand
^ Optimum y (0^ Wirkung durch Alkalisierung ganz
I erheblich gesteigert, und durchaus
der Theorie entsprechend sehen
wir die umgekehrten Verhältnisse
/ bei der Säuerung. Hier wird die
\ Wirkung des Flavicid stark ver-
mindert, während bei A4 die
Minderung nur einen geringen
KristaUoid- Kolloid- Grad erreicht.
zustand Abb. 4. instand Das Optimum der Desinfek¬
tionsleistung ist nicht feststehend,
sondern es hängt von der Struktur des Bakterienleibes ab, welche
Verteilung von Diffusion und Speicherungsfähigkeiten im Einzelfalle
das Optimum darstellt. Damit ist die Tatsache der Elektivität der
Wirkung bei diesen Mitteln verständlich. Anscheinend ist die Elektivi¬
tät der Desinfektionswirkung eine generelle Eigenschaft der kolloiden
Desinfektionsmittel, während sie bei krystalloiden Mitteln nicht be¬
obachtet wird. Die Elektivität der Wirkung ist danach eine Eigen¬
schaft von Desinfektionsmitteln mit physikalischen Wirkungsprinzipien,
während sie den chemisch wirkenden Mitteln fehlt. Sie zeigt sich
vorwiegend darin, daß grampositive Bakterien wesentlich stärker be¬
einflußt werden als gramnegative. Zu dieser Gruppenelektivität kommt
in vielen Fällen und auch bei den Acridiniumfarbstoffen eine Indi-
vidualelektivität zum Ausdruck (vgl. hierzu S. 182).
Die Veränderung, die Farbstofflösungen durch Zusatz von Serum
oder von Salzen erleiden, führt nun aber durchaus nicht zu stabilen
Verhältnissen; läßt man Serumfarbstoffmischungen oder Alkali-Farb¬
stoffmischungen längere Zeit stehen, so kommt es schließlich zum
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Desinfektionsleistung von Acridiniumfarbstoffen, insbesondere von Flavicid. 179
makroskopischen Ausfallen der Farbstoffteilchen, also zu einer völligen
Entmischung und damit natürlich auch zu einer starken Modifizierung
der Desinfektionswirkung. In dieser Labilität der Farbstofflösungen in
Gegenwart von Zusätzen (verschiedener Alkalescenz an Nährböden)
liegt der Grund dafür, daß bei der Bestimmung der Grenzwerte bei
längerer Einwirkung die Schwankungen eintreten, auf die bereits Neu¬
feld und die englischen Autoren hingewiesen haben, ohne sie zu erklären.
Diese Schwankungen treten um so mehr in die Erscheinung, als ein
großer Teil der vorliegenden Versuche auf Feststellung der Entwick¬
lungshemmung eingestellt ist, bei der die Nährbodenzusätze allmählich
den Lösungszustand der Farblösung immer mehr verändern. Infolge¬
dessen kann dieser Endwert der Reagensglas-Desinfektionsleistung nur
in beschränktem Umfang als Maßstab zur Messung des tatsächlichen
Desinfektionswertes verwertet werden.
Aber auch abgesehen davon kann die viel benutzte Messung der
Entwicklungshemmung, so bedeutungsvoll sie auch für systematische
Untersuchungen sein mag, überhaupt kein Kriterium für die praktische
Wirkung eines medizinischen Desinfektionsmittels abgeben, denn es
dürfte ja doch nur ausnahmsweise eine Applikationsform zu finden sein,
bei der eine dauernde Einwirkung auf die Bakterien zum Zwecke der
Entwicklungshemmung erreicht wird. Bei der inneren Desinfektion
wird die Wirkung durch Entwicklungshemmung noch weniger geklärt,
denn die schnelle Ausscheidung der Mittel vermindert sehr schnell die
Konzentration (vgl. hierzu S. 180 die Bemerkung über Salarsan).
Das, was wir bei der praktischen Desinfektionsleistung erreichen
müssen, ist die Abtötung von Bakterien.
Es wird ja von manchen Seiten gegenwärtig die Bedeutung des
Reagensglasversuches sehr eingeschränkt. Es kann auch gar nicht be¬
stritten werden, daß entscheidende Beweiskraft nur der biologische
Versuch (als Tierversuch oder als klinisches Experiment) besitzt. Es
kann aber auf der anderen Seite nicht übersehen werden, daß der Rea¬
gensglasversuch auch heute noch die Grundlage für die systematische
Auswahl der zu untersuchenden Stoffe ist. Und wenn man den Versuch
machen will, den der therapeutischen Leistung zugrundeliegenden
Wirkungsprinzipien näherzukommen, so wird zunächst der Reagens¬
glasversuch wegen seiner übersehbaren Verhältnisse die sachliche Er¬
kenntnis fördern, während der Tierversuch nur allzuleicht zu speku¬
lativer Auslegung verführt.
Die Unterschiede der Entwicklungshemmung und der Abtötung,
also der reversiblen und der irreversiblen Schädigung, sind, wenn man
von der Beeinflussung der Abtötung durch gewisse biologische Faktoren,
wie Absterben im ungeeigneten Nährmilieu, absieht, abhängig vom
Lösungszustand des Desinfektionsmittels; je größer das Diffusions-
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180
II. Langer: Die Grundlagen der biologischen
vermögen ist, um so leichter wird natürlich der Farbstoff wieder ab¬
gegeben und um so schneller wird infolgedessen die Einwirkung unter¬
brochen, w r enn die Bakterien in ein zusatzloses Nährmilieu gebracht
werden; um so größer ist also die Reversibilität der Wirkung; mit der
Zunahme des Diffusionsvermögens vergrößert sich also der Unterschied
in den Grenzwerten für Entwicklungshemmung und Abtötung. Um¬
gekehrt, je stärker das Desinfektionsmittel verankert ist infolge der
Adsorption, um sö geringer ist die Reversibilität. Wie ich bereits in
einer früheren Arbeit durch Versuche belegt habe, ist die Irreversibilität
der Desinfektionsleistung beim Flavicid geringer als bei anderen Acri-
diniumderivaten, und so rückt bei ihm die Grenze der Abtötung viel
stärker an die der Entwicklungshemmung heran.
Es geht also hervor, daß keine festen Beziehungen zwischen dem
Grad der Abtötung und der Entwicklungshemmung bestehen, aus denen
Rückschlüsse auf die entsprechenden Grenzwerte der Desinfektions¬
leistung erlaubt wären. Und so kann eine Klassifizierung von Mitteln
nach dem Grade der Entwicklungshemmung für die Praxis nur mit
Einschränkung benutzt werden.
Aber auch die Abtötungskraft bei einer Einwirkung in langen Zeit¬
räumen von 24 Stunden gibt den erwünschten Einblick in den prak¬
tischen Wert des Mittels nicht, denn bei langdauernder Einwirkung wird
die Desinfektionswirkung durch nebenbei einhergehende natürliche Ab¬
sterbevorgänge beeinflußt, und außerdem gilt auch hierbei der gleiche
Einwand der Inkongruenz zu den praktischen Verhältnissen wie bei der
Messung der Entwicklungshemmung. Will man den tatsächlichen prak¬
tischen Effekt einer Desinfektionsleistung messen, so muß man die
Intensität der Wirkung erfassen.
Diese Intensität wird durch Versuche dargetan, bei denen die
Messung des zeitlichen Verlaufes der Abtötung vorgenommen wird. Es
haben schon die Versuche von Neufeld und Schiemann, Burk¬
hardt und Dorn, Leschke gezeigt, daß die Desinfektionswirkung der
niederen Acridiniumderivate bei kurzfristiger Einwirkung außerordent¬
lich gering ist. Nach Neufeld und Schiemann ist bei Staphylo¬
kokken selbst nach 30 Minuten langer Einwirkung von Trypaflavin
1 : 1000 keine merkliche Abtötung erkennbar. Nach Burckhard imd
Dorn töten selbst Lösungen von 1 : 100 bis 1 : 1000 innerhalb der
ersten Stunde Staphylokokken noch nicht einmal mit Sicherheit ab.
Die Intensität der Desinfektionswirkung ist also sehr gering. Sie ist ja
auch bei anderen bekannten chemotherapeutisch verwendeten Mitteln
sehr gering (z. B. Salvarsan; hierin hegt wohl auch der Grund,
warum Salvarsan trotz seiner starken Wirkung in bezug auf die Ent-
wickhmgshemmung keine Bedeutung als bakterielles Antisepticum ge¬
wonnen hat).
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Desinfektionsleistung von Acridiniumfarbstoffen, insbesondere von Flavieid. 181
Solche Versuche zur Messung der Intensität der Wirkung, bei denen
also der Desinfektionswert etwa bei einer Einwirkung von 10 Minuten,
30 Minuten, 60 Minuten und 24 Stunden gegenübergestellt wird, zeigen
nun ganz deutlich, daß in der Acridiniumreihe entsprechend der ent¬
wickelten Theorie mit Verminderung der Dispersion die Desinfektions -
leistung ganz erheblich wächst. Und zwar zeigen die kurzfristigen Ab¬
tötungsversuche diese Steigerung in sehr sinnfälligerer Weise.
Abtötung bei verschieden langer zeitlicher Einwirkung.
Abtötung von Staphylokokken im Wasser.
FarbstoffverdUnnung
Flavieid
Diarni do m ethylacri-
diniumchlorid
A4
10'
30'
00'
24h
10' 1 80' 1 60'
24h |
10'
80'
60'
24h
1 : 1000
0
0
0
0
• - (4-) • -
0
+
+
0
1 : 10 000
(0)
0
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(4-) 4-
(0)
+
+
(+)
1 : 100 000
(+)
0
0
0
+ + +
+
+
+
+
1 : 1 000 000
+
l(+)
1
1
+ + ; +
4-
+
+
+
1 : 10000 000
+
+
+
I +
+ + . +
4-
+
+
+
0 = steril,
(0) = vereinzelte Kolonien,
— beträchtliche Keim Verminderung,
(+) = geringe Einwirkung,
+ = keine Einwirkung.
Die Feststellung der Abtötung erfolgte im allgemeinen durch Über¬
impfung auf Löfflerplatten, weil darauf Wert gelegt wurde, auch Keim¬
verminderungen festzustellen. Die Bouillonmethode gibt darauf keine
Antwort, sie ist wohl empfindlicher, aber sie verdeckt alle feineren
Unterschiede und wird damit dem Bedürfnis der Praxis nicht gerecht,
aus diesem Grunde ist meines Erachtens das Suchen nach optimalen
Nachkulturmethoden nur von theoretischem Interesse; der menschliche
Organismus ist sicher kein optimaler Nährboden.
Nach der Versuchstabelle ist beim Flavieid bereits nach 10 Minuten
noch in einer Verdünnung von 1 : 10 000 eine sehr erhebliche Wirkung,
in der Verdünnung von 1 : 1000 völlige Abtötung festzustellen. Nach
1 Stunde ist die völlige Abtötung sogar noch in der Verdünnung 1 zu
100 000 zu erzielen und eine starke Verminderung der Keime bis
1 : 1 000 000 nachweisbar.
Flavieid erreicht also schon nach 1 Stunde annähernd
seine Maximalwirkung. Demgegenüber ist in guter Überein¬
stimmung mit den bereits zitierten Autoren bei den stärker dispersen
Homologen der Reihe noch nach 1 Stunde keine nennenswerte Wir¬
kung zu verzeichnen. Auch die folgende Versuchstabelle zeigt die be¬
sondere Stellung des Flavieids.
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182 H. Langer: Die Grundlagen der biologischen
Versuch. Abtötung von Staphylococcoe aureus in Wasser nach 10 und nach
60 Minuten. Aussaat auf Blutserumplatten.
Nach
10 Min.
Nach 60 Min.
600000 !
125 UN)
| 25000
| 5000
1000
1:1000
|l:5000j
11:26000j 1:12>000| 1: «00000
+
+
+
+
+
Salvarsan
+
+
1 + 1
+
+
+
+
+
+
Optochin
(0)
+
+
i +
+
+
+
+
0
0
Vuzin
0
0
+
+
+ 1
-b
+
+
4-
A4
/
+
+
+
+
-L
+
+
~r
(+)
Trypaflav.
(0)
+
+
+
+
-t- :
+
+
0
0
Flavicid
0
0
0
0
+
Die Tabelle zeigt, daß auch innerhalb der Chininreihe die Intensität
der Wirkung mit wachsender Teilchengröße zunimmt, sie ist bei dem
weniger disperen Vuzin größer als beim Optochin. Damit wird die
überlegene Wirkung des Vuzin zur Gewebsdesinfektion verständlich.
Ähnliches ergaben Versuche mit anderen Bakterien, unter denen be¬
sonders die starke Wirkung auf Diphtheriebacillen bemerkenswert ist
und zu der auch klinisch bereits bewährten Anwendung zur Bekämpfung
der Diphtheriebacillenträger Anlaß gegeben hat. Hervorgehoben sei
nur noch die Wirkung auf Bact. coli. Im allgemeinen werden ja die
gramnegativen Bakterien mit Ausnahme von Gonokokken und Meningo¬
kokken weniger beeinflußt. Immerhin tötet Flavicid Bact. coli in
10 Minuten noch in einer Verdünnung von 1 : 10 000; in 30 Minuten
sogar noch bei 1 : 100 000 und erreicht damit den Grenzwert seiner
Wirkung, der dann auch nach 24 Stunden sich nicht ändert.
Wesentlich schwächer erscheint aber die Wirkung auf Dysenteriebazillen.
Hier zeigen die Derivate keinen Unterschied, die Grenzwirkung liegt für Pseudo¬
dysenteriebacillen durchschnittlich bei 1 : 1000, für echte Dysenteriebacillen bei
einer etw 7 as stärkeren Verdünnung (bis 1 : 10 000). Es findet hier die Elektivitat
der Wirkung ihren Ausdruck, die von den Beeinflussungen abhängig ist, der die
Farbstoffe im Bakterienleib ausgesetzt sind. (Auch bei sporenbildenden Bakterien
ist die Wirkung viel geringer.)
Es ist bereits im Eingang der Arbeit hervorgehoben worden, daß
eine Besonderheit der Acridiniumwirkung in einer gewissen Abhängig¬
keit der Desinfektionsleistung von der Bakterienmenge besteht. Die
meisten vorliegenden Versuche tragen dem durch sehr geringe Bakterien¬
einsaaten Rechnung. Es ist nun aber für die praktische Desinfektions¬
leistung von Bedeutung, die Grenzen zu kennen, innerhalb derer die
festgestellten Leistungen Geltung haben.
Deswegen sei hier ein Abtötungsversuch mit Staphylokokken an¬
geführt, bei dem zu je 10 ccm der Farbstoffverdünnung 1 : 10 000
steigende Mengen von Bakterien zugesetzt und die Desinfektionswirkung
nach 10—30—60 Minuten festgestellt.
Die Desinfektionsleistung ist nach diesem Versuch beim Flavicid
innerhalb recht weiter Grenzen von der Bakterienmenge unabhängig.
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Desinfektionsleistung von Acridiniumfarbstoffen, insbesondere von Flavicid. 183
Zugesetzte
Bakterienmenge
Flavicid
10' 80' ! 60'
10 000 000 000
+
1 +
+
100 000 000
vz
0 |
0
1000 000
0 1
0
0
10 000 (
0
0
0
Bei 10 000 — 100 000 000 Bakterien entscheidet über die Wirkung nur
die Konzentration des Farbstoffes, erst bei außerordentlich starker
Konzentration von 10 Milliarden (das sind bereits sehr trübe Emul¬
sionen) wird die Wirkung durch die Bakterienmenge beeinträchtigt.
Die Prüfung im Reagensglase zeigt demnach, daß Flavicid eine
Desinfektionsleistung aufweist, welche die Wirkung aller bisher in der
Chemotherapie eingeführten Mittel übertrifft.
Zu erweisen war nun mehr die Kongruenz der Wirkung im Tier¬
versuch zu der im Reagensglase. Zur Prüfung der in erster Linie
interessierenden Wirkung auf Staphylokokkeninfektionen benutzte ich
das Meerschweinchen.
Spritzt man Meerschweinchen lebenden virulente Staphylokokken
intracutan, so bildet sich in der Regel innerhalb 48 Stunden eine
lokalisierte Schwellung, die sehr bald Fluktuation zeigt. Es hängt
nun von der Virulenz der Staphylokokken ab, ob sich aus dieser
Schwellung ein lokalisiertes Geschwür entwickelt, oder ob es zu einer
phlegmonös fortschreitenden, ausgedehnten Einschmelzung großer Ge-
webspartien kommt. Der Vorteil dieser Versuchsanordnung liegt darin,
daß die gewählte Infektionsart der menschlichen Infektion ähnelt.
Umspritzt man nun solche Infektionsherde bald nach der Anlegung
mit Flavicid, so kann man die Entwicklung der Eiterung unterdrücken.
Diese Wirkung ist noch bei Verdünnungen von 1:100 000 zu erreichen.
Mit der gleichen Verdünnung kann man aber auch die bereits aus¬
gebildete Eiterung zur Rückbildung bringen, wenn man die Behand¬
lung erst beginnt, sobald eine nachweisbare Fluktuation das Bestehen
einer Eiterung anzeigt. Das hier geschilderte Verfahren besitzt den
Vorzug vor den Versuchsanordnungen an der Maus (Morgenroth),
daß Vergleichsversuche am gleichen Tiere möglich sind und vor Ver¬
schleierungen durch individuelle Schwankungen sichern.
So zeigt also der Tierversuch die Kongruenz zur Reagensglas¬
wirkung und kennzeichnet das Flavicid als einen höchst wirksamen bio¬
logischen Desinfektionsstoff aus der Gruppe der Acridiniumfarbstoffe.
Die toxische Wirkung.
Die Grundlage für die therapeutische Anwendung ist die Bestim¬
mung der Toxizität. Diese Grundlagen fehlen für die Acridiniumfarb¬
stoffe bisher völlig. Es muß überhaupt einigermaßen überraschen, mit
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII. 13
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Original from
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184
H. Langer: Die Grundlagen der biologischen
welcher Leichtigkeit gegenwärtig manche Mittel gerade auf dem Gebiet
der Chemotherapie der Praxis ohne ausreichende toxikologische Be¬
gründung zugeführt werden. Sieht man von den älteren Feststellungen
ab, die erhoben wurden, als Ehrlich experimentelle Untersuchungen
mit Acridiniumfarbstoffen angestellt hat, so beschränken sie sich, ob¬
gleich bereits auch hier die verschiedensten Anwendungsformen in ver¬
hältnismäßig hohen Konzentrationen vorgeschlagen worden sind, darauf,
daß erst in neuester Zeit von Lenz eine größere Untersuchung geliefert
worden ist, wobei der Versuch gemacht wurde, eine pharmakologische
Analyse der Acridiniumwirkung zu geben. Auch in der Arbeit von
Lenz sind die eigentlichen Toxizitätsbestimmungen nicht ausführlich
gehalten. Sie stützen sich auf einzelne Versuche, die nicht einmal zur
Umgrenzung der hervorgehobenen Werte ausreichen.
Die Versuche von Lenz zeigen zunächst, daß die Acridiniumfarb-
stoffe zu den lähmenden Protoplasmagiften gehören. Im Vergiftungs¬
bilde entscheidet die Lähmung der Atemfunktion über den Ausgang,
während die Kreislaufschädigungen erst bei größeren Dosen wirksam
werden. Lenz hat dann weiter die toxische Wirkung (tödliche Dosis)
bei verschiedenen Tierarten geprüft, sich aber darauf beschränkt, durch
Stichproben Giftigkeitsdosen zu bestimmen. In den Ergebnissen werden
danach Zahlen abgeleitet, die fälschlich als allgemeingültige Grenzwert¬
bestimmungen aufgefaßt werden könnten, tatsächlich aber in vielen
Fällen weit über der Grenzdosis liegen.
Er gibt z. B. auf Grund eines Versuches an einer Maus, die durch
25 cg Trypaflavin getötet wurde, an, daß die tödliche Dosis bei 25 cg
liegt, während tatsächlich der Wert erheblich niedriger liegt. Aus
3 Meerschweinchenversuchen mit jedesmal 26 cg wird einfach die Dosis
letalis von 20 —25 cg abgeleitet.
Die einzige ausführliche und einigermaßen brauchbare Reihe betrifft
die Wirkung intravenöser Injektionen bei Kaninchen. Er berichtet
über 6 Versuche: Injektionen von 7,6—6,4—5,2—4,6—4,1 cg Trypa¬
flavin pro Kilogramm Körpergewicht wirken meist akut tödlich,
3,18 wirken nicht akut tödlich (über den späteren Verlauf wird
nichts mitgeteilt), 2 cg weder akut noch im weiteren Verlauf
tödlich.
Es ergibt sich aus diesen Versuchen, daß also jedenfalls 4 cg Dia-
minomethylacridiniumchlorid Kaninchen bei intravenöser Injektion
sicher tötete, während die Dosis tolerata bei 3 cg liegt. Ich kann nach
meinen Versuchen diesen Grenzwert bestätigen, so daß also Diamino-
methylacridiniumchlorid 4 cg als Dosis letalis für Kaninchen bei intra¬
venöser Anwendung bezeichnet werden kann. 3 cg führen zu keiner
akuten Wirkung, wohl aber zu einem Gewichtsverlust von 130 g in
8 Tagen (2400 -2270 g).
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Original from
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Desinfektionsleistung von Acridiniumfarbstoffen, insbesondere von Flavicid. 185
Die Grundwirkung der Acridiniumfarbstoffe im Gewebe ist eine Irri¬
tation der Gewebe. Stärkere Konzentrationen sämtlicher Derivate
wirken bei subcutaner Injektion schmerzhaft und reizend. Diese Reiz-
Wirkung kann so vorherrschen, daß sie die günstige therapeutische Wir¬
kung paralysiert. So sind wohl die Versuche von Baumgarten zu
deuten, in welchen Diaminomethylacridiniumchlorid in geringen Kon¬
zentrationen eine bessere Heilwirkung auf cholerainfizierte Versuchs¬
tiere darbot als in stärkeren Konzentrationen. Das gleiche habe ich bei
Pneumokokkenversuchen mit Flavicid gesehen.
Wichtiger für die prinzipielle Bewertung der Toxizität ist die Prüfung
bei Einverleibung in die Blutbahn.
Bestimmung der Toxizität des Flavicid für Kaninchen bei
intravenöser Injektion.
Kaninchen Nr.
Gewicht
Dosis pro kg
Reaktion
387
1240
1,00 cg
lebt
387
1240
1.61
lebt
385
1550
1,5 „
lebt
140
1650
2 „
lebt
385 (s. o.)
! 1550
2,5 „
lebt
272
1
i
1040
i
3
zunächst gesund (nach 14 Tagen mit
and. Tieren zus. an Enteritis tot)
234
1750
3
nach einigen Minuten tot.
384
1780
4
sofort tot.
Die Dosis tolerata beträgt demnach beim Flavicid 2,5 cg pro Kilo¬
gramm Körpergewicht beim Kaninchen bei intravenöser Injektion. Sie
unterscheidet sich also nicht wesentlich von der der niederen Homologen.
Die Gegenüberstellung dieser Dosis tolerata des Flavicid von 2,5 cg
(pro Kilogramm Körpergewicht) mit dem Abtötungseffekt (Flavicid
tötet in 1 Stunde Staphylokokken noch in Verdünnungen bis zu
1 :100 000 bis 1 :1 000 000 ab) zeigt, daß das Flavicid eine große
Wirkungsbreite für die therapeutische Anwendung be¬
sitzt, die jedenfalls größer erscheint als die der be¬
kanntesten chemotherapeutisch verwendeten Mittel.
Nimmt man die mittlere Blutmenge eines Erwachsenen mit 5 1 an, so
würde eine Konzentration im Blut von 1:100 000 die absolute Menge
von 0,05 g Flavicid erfordern, also eine Injektionsmenge von 0,7 mg (pro
Kilogramm Körpergewicht). Eine mittlere Gebrauchsdosis von 1—2,5m g
(pro Kilogramm Körpergewicht) ist also ebensoweit von der schädigenden
Dosis wie von der Wirkungsgrenze entfernt. Diese Injektionsdosis hat
bereite bei der Anwendung bei Säuglingen und Erwachsenen ihre Un¬
schädlichkeit erwiesen. Flavicid ist also ein außerordentlich starkes
Desinfektionsmittel, das für die therapeutische Anwendung als geeig-
13*
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Original frnm
UNIVERSITY OFMINNESOTA
186
H. Langer: Die Grundlagen der biologischen
netster Repräsentant der Acridiniumreihe erscheint. Wenn die Wirkung
intravenös beigebrachter Desinfektionsmittel überhaupt als Desinfek¬
tionsleistung zu deuten ist, so muß das Flavicid eine solche Wirkung
am ehesten offenbaren.
Vorläufig ist ja die Frage der innerlichen Desinfektion von Farb¬
stoffen noch als sehr ungeklärt zu betrachten; obgleich die experimentelle
Bearbeitung noch in den Anfängen steckt, werden in der Klinik schon
eine ganze Reihe von Farbstoffen — allerdings vielfach in der Kombination
mit Metallen zu diesem Zwecke und scheinbar auch mit einzelnen Er¬
folgen angewendet 1 ). Man muß aber zugeben, daß wir im Experiment
vorläufig noch über keine Methode verfügen, der eine entscheidende
Bedeutung für die Bewertung eines Mittels als innerliches Desinfektions¬
mittel bei menschlichen Infektionen beigemessen werden kann. Ich habe
bei Mäuse versuchen mit Hühnercholerabacillen Schutz Wirkungen ge¬
sehen; auch Neufeld hat über vereinzelte Schutzwirkungen bei Be¬
nutzung von Diaminomethylacridiniumchlorid berichtet, doch haben
solche Versuche zunächst nur theoretische Bedeutung, und auch die
bekannten sehr bemerkenswerten Pneumokokken versuche treffen nur
Einzelfälle, bei denen Parallelen, etwa zum Bilde einer klinischen
Sepsis, kaum gegeben sind. Wir müssen also auf diesem Gebiete
vorläufig der Klinik das Wort lassen und uns begnügen, ihr Mittel
an die Hand zu geben, die einen hohen Desinfektionswert bei
niedriger Giftigkeit besitzen. Wenn aber als therapeutischer Faktor
die Desinfektionswirkung in Betracht kommt, dann erscheinen ein¬
malige Injektionen in großen Abständen keinesfalls als die ge¬
eignetste Anwendungsform. Bekanntlich scheidet der Körper die
Farbstoffe außerordentlich schnell aus, und deswegen muß der Ver¬
such unternommen werden, statt einzelner Injektionen in großen Ab¬
ständen häufig wiederholte Injektionen vorzunehmen, durch die ein
gewisser Desinfektionsmittelspiegel im Blute erreicht wird. Solche Ver¬
suche werden bereits auf meine Anregung gegenwärtig durchgeführt.
Sie konnten aber erst dann empfohlen werden, nachdem die Toxizitäts¬
bestimmung neben der Feststellung der Wirkung einmaliger Injektionen
auch in bezug auf die Wirkung wiederholter Injektionen
durchgeführt waren.
Die Frage irgendwelcher möglichen chronischen Schädigungen bei
länger dauernder Einwirkung solcher differenter Mittel muß unbedingt
in den Vordergrund geschoben werden. Es besteht die Pflicht, eine
Grundlage dafür zu schaffen, ob und wie die Organe unter der Ein¬
wirkung solcher Gifte geschädigt werden können. Solche Grundlagen
bestehen nun, obgleich man doch schon recht reichlich Acridiniumfarb-
D über experimentelle Grundlagen für eine Erklärung derartiger Kombi¬
nationswirkungen berichte ich an anderer Stelle in dies3r Zeitschrift.
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Desinfektionsleistung von Acridiniumfarbstoffen, insbesondere von Flavicid. 187
Stoffe innerlich an gewendet hat, überhaupt noch nicht. Und so stoßen
Elinwände, wie sie von Jess mehrfach erhoben worden sind, nach der
Richtung, daß Augenschädigungen durch Acridiniumderivate herbei-
geführt werden können, auf keine tatsächlichen Vorgänge, durch die
eine Stellungnahme ermöglicht wäre. Ich habe deswegen eine ganze
Reihe von Versuchen unternommen, um die Toxizitätswirkung bei
wiederholter Anwendung festzustellen. Kaninchen erhielten dabei täg¬
lich intravenöse Injektionen in einer Konzentration, die der thera¬
peutischen Dosis des Flavicids etwa entspricht. Diese Injektionen konn¬
ten lange Zeit durchgeführt werden und nur die Überzeugung, daß eine
Folge von 30 Injektionen genügende Beweiskraft hat, führte zur Unter¬
brechung der Versuche.
Kaninchen 140. Gewicht 1650 g, erhielt täglich (soweit durchführbar) 3 mg Fla¬
vicid (3 ccm einer Lösung 1 : 1000) intravenös. Leukocytenzählungen.
Datum
Injektionen
(12 h )
Leukocyten
(4 h)
Datum
Injektionen
(12 h)
Leukocyten
(4h)
20. VI.
3 mg
9 900
10. VII.
— mg
—
21. VI.
3 „
10 000
11. VII.
3 „
17 000
22. VI.
3 „
13 200
12. VII.
3 „
16 200
23. VI.
3 „ (Gew.
1760g)
14 900
13. VII.
3 „ (Gew.
1590g)
—
24. VI.
3 „
14 900
14. VII.
3 „
16 700
25. VI.
3 „
14 900
15. VII.
3 „
14 300
26. VI.
j»
—
16. VII.
3 „
15 000
27. VI.
3 „
12 500
17. VII.
»»
—
28. VI.
3 „
16 300
18. VII.
3 „
14 700
29. VI.
3 „
20 000
19. VII.
3 „
—
30. VI.
3 „
24 000
20. VII.
—
14 900
1. VII.
2. VII.
3 „
3 „
21000
21. VII.
— „ (Gew.
1550 g)
10 200
3. VII.
3 „
—
22. VII.
—
6 600
4. VII.
3 ,,
25 200
23. VII.
—
9 700
5. VII.
3 „
19 800
24. VII.
6 500
6. VII.
3 „
16 400
25. VII.
—
6 400
7. VII. ,
3 „
19 000
26. VIT.
—
8600
8. VII.
9. VII.
3 „
3 „
18 900
17 500
27. VII. 1
|
9 200
Das Tier befand sich am 27. VII. in einem leidlichen Ernährungs¬
zustand. Durch die häufig wiederholten Injektionen waren die Ohr¬
venen völlig zerstört, so daß der Versuch abgebrochen werden mußte.
Während des Versuches hat das Tier 200 g an Körpergewicht eingebüßt.
Die Reizfähigkeit seines Leukocytenapparates hatte bis zuletzt ihre
Empfindlichkeit behalten. Nach dem Aussetzen der Injektionen sank
die Leukocytenzahl sofort auf normale Werte herab. Das Tier wurde
am 27. getötet und die Organe histologisch untersucht. Dabei ergab
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
188
II. Langer: Die Grundlagen der biologischen
sich nun, daß bei diesem Tier, das also in einem Zeitraum von 6 Wochen
in täglichen Injektionen 87 mg Flavicid erhalten hatte, jede patho¬
logische Veränderung der Organe vermißt wurde. Es kann danach
behauptet werden, daß Flavicid innerhalb der therapeutischen Dosen,
auch bei lang fortgesetzter Anwendung zu keinen Schädigungen führt.
Der Versuch ist an 2 weiteren Versuchstieren mit dem gleichen Ergebnis
wiederholt worden.
Lenz hat in seiner Arbeit den Gedanken ausgesprochen, daß die
Reizwirkung auf Leukocyten eine Beziehung zur Desinfektionstärke
haben könne; er fand diese Annahme aber nicht bestätigt. Darauf
hingerichtete Untersuchungen haben auch mir gezeigt, daß die ver¬
schiedenen Derivate, unabhängig von der Desinfektionsleistung, keine
Unterschiede in bezug auf die Anregung der Leukocytose auf weisen.
Es gelingt auch nicht bei einem und demselben Mittel durch Ver¬
größerung der Dosis etwa, diese Wirkung zu verstärken. Vielmehr sieht
man häufig, daß ganz geringe Dosen die gleiche Wirkung haben, wie
1000fach stärkere. Es ist aber wohl denkbar, daß die Anregung der
Leukocytose einen die therapeutische Wirkung unterstützenden Faktor
darstellt. Wiederholt man die Injektionen täglich, wie es bei meinen
Kaninchenversuchen geschah, so erfährt die Leukocytenzahl eine
etwa auf der gleichen Höhe bleibende Erhöhung, die aussetzt, sobald
die Injektionen unterbleiben, und sofort wieder eintritt, sobald neue
Injektionen erfolgen, so daß also geschlossen werden kann, daß auch
die Bildungsstelle der Leukocyten durch die chronische Anwendung des
Flavicids keineswegs geschädigt wird.
Zusammenfassung.
Die Glieder der Acridiniumfarbstoffreihe zeigen Unterschiede der
bactericiden Wirkung, die mit der Dispersität ihrer Lösungen in Be¬
ziehung stehen:
Dispersitätsverminderung führt zur Wirkungssteigerung, Dispersi¬
tätserhöhung führt zur Verminderung der Wirkung.
Auch die Erhöhung der Desinfektionswirkung durch Serumzusatz
ist auf DispersitätsVerminderung zurückzuführen.
Ebenso wie Serum wirkt Alkalizusatz durch Dispersitätsvermin¬
derung wirkungsverstärkend, Säurezusatz im entgegengesetzten Sinne
wir kungs vermindernd.
Die Wirkungssteigerung durch Dispersitätsverminderung ist auf eine
Verstärkung der Speicherung zu beziehen.
Die Möglichkeiten einer Wirkungsverstärkung durch Dispersitäts¬
verminderung wird begrenzt durch die abnehmende Diffusionsfähigkeit,
da ein gewisses Maß von Diffusionsfähigkeit Voraussetzung der Wir¬
kung ist.
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Desinfektionsleistung von Acridiniurafarbstoffen, insbesondere von Flavicid. 189
Größtmögliche Dispersitätsverminderung bei größtmöglicher Dif¬
fusionsfähigkeit bezeichnen theoretisch das Optimum der Wirkung eines
Desinfektionsmittels innerhalb homologer Reihen.
Die Entwicklungshemmung (als reversible Schädigung) steht nicht
in einer festen Beziehung zur Abtötungskraft. Je stärker die Diffusion
(je größer also die Dispersität), um so größer ist die Reversibilität, um
so weiter liegen Entwicklungshemmung und Abtötung auseinander
(niedere Homologe einer Reihe). Mit Verringerung der Diffusion rücken
die Werte zusammen, die Reversibilität der Desinfektionswirkung nimmt
ab (höhere Homologe einer Reihe), diese sind daher die stärkeren Ab¬
tötungsmittel.
Am deutlichsten kommen diese Unterschiede innerhalb der Acri-
diniumreihe bei der Prüfung der kurzfristigen Abtötungsleistung zum
Ausdruck. Im Optimum der Wirkung steht danach das 2-7-Dimethyl-
3-Dimethvlamino-6-Amino- 10-Methylacridiniumchlorid (Flavicid). Fla¬
vicid tötet schon nach kurzer Einwirkung in erheblichen Verdünnungen
Bakterien ab (z. B. werden Staphylokokken innerhalb der ersten
Stunde noch in Verdünnungen von 1 :100 000 bis zu 1:1000000 ab¬
getötet).
Die Desinfektionswirkung ist insofern elektiv, als ebenso wie bei
den meisten Farbstoffen auch beim Flavicid die Wirkung auf gram¬
negative Bakterien geringer ist als auf grampositive, sie läßt ferner bei
gewissen Sporenbildnern erheblich nach, während ihre Stärke vor allem
bei der Gruppe der Eitererreger und der Diphtheriebacillen hervor¬
tritt; sie übertrifft hierbei die der bisher bekannten chemotherapeu¬
tisch verwendeten Desinfektionsmittel, von denen nur Vucin ihm
näher kommt.
Die im Reagensglas nachweisbare überlegene Desinfektionswirkung
des Flavicids wird durch den Tierversuch bestätigt. Noch in einer
Verdünnung von I : 100 000 werden die durch intracutane Injektion
lebender Staphylokokken erzeugten lokalisierten Eiterungen unter¬
drückt, bzw. die bereits bestehende Eiterung zur Ausheilung ge¬
bracht.
Die Acridiniumfarbstoffe führen bei subcutaner Injektion zu Reiz¬
erscheinungen: Diese fallen bei der intravenösen Injektion fort. Die
Dosis letalis des Flavicids beträgt beim Kaninchen bei intravenöser
Injektion 3 cg pro Kilogramm Körpergewicht. Als therapeutisch ver¬
wendbare Dosis kann die Menge von 1—3 ( — 5) mg pro Kilogramm
Körpergewicht angesetzt werden. Innerhalb dieser Grenze führt selbst
die chronische Anwendung zu keinen Schädigungen der parenchymatösen
Organe. Histologische Untersuchungen von Kaninchenorganen solcher
Tiere, die wochenlang täglich 3 mg Flavicid intravenös erhalten hatten,
ergab keine pathologischen Befunde. Damit ist die Anwendung in der
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190 II- Langer: Biologische Desinfektionsleistung von Acridiniumfarbstoffen usw.
menschlichen Therapie gerechtfertigt. Aus der Gegenüberstellung der
Desinfektionsleistung und der Schädigungsgrenze ergibt sich für Flavicid
eine erhebliche therapeutische Wirkungskraft.
Literaturverzeichnis.
Browning und Gutbranson, Brit. journ. of exp. pathol. 3 . Nr. 2.
1921. — Bruchhard und Dorn, Bruns* Beitr. z. klin. Chirurgie 119 ,
Heft 3, S. 617. 1920. — Feiler, Zeitschr. f. Immunitätsforsch. 39 , Heft 1,
S. 95, 1920. — Langer, Dtsch. med. Wochenschr. 192. —Langer, Kongr.
f. inn. Medizin. 1920. — Langer, Zentralbl. f. Bakteriol. im Druck. — Langer,
Zeitschr. f. exper. Medizin. — Lenz, Zeitschr. f. exper. Medizin 13 , Heft 3/4.
— Möllendorff, Ergebn. d. Physiol. 18 . 1920. — Neufeld und Schie¬
mann, Dtsch. med. Wochenschr. 1920, S. 1013. Nr. 37.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
§
(Aus der medizinischen Abteilung der Allgemeinen Poliklinik in Wien [Direktor:
Professor Dr. J. Mannaberg].)
Über Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben 1 ).
II. Mitteilung.
Der Einfluß von Adrenalin, Hypophysen- und anderen Blutdrüsen¬
extrakten und Gefäßmitteln.
Von
Priv.-Doz. Dr. Julius Bauer und Dr. Berta Aschner.
(Eingegangen am 5 . Januar 1922.)
1. Das Adrenalin.
Seitdem von O. Hess und kurze Zeit später von W. Erb jun. im
H. H. Meyer sehen Institut gefunden worden war, daß intravenös
injiziertes Adrenalin im Tierversuch zu einer Eindickung des Blutes
führt, ist eine nicht geringe Zahl von Untersuchungen über diesen
Gegenstand publiziert worden, ohne daß bis heute ein klares Ergebnis
und vor allem ein klares Bild der hierbei ursächlich beteiligten Vor¬
gänge vorliegen würde.
Hess untersuchte vor allem die Blutkörperchenzahl, Erb den
Trockenrückstand des Gesamtblutes, ersterer fand die Konzentrations¬
zunahme des Blutes nach Adrenalininjektion nur im venösen, letzterer
auch im arteriellen Blut und beide sind darin einig, daß es die be¬
trächtliche Blutdrucksteigerung sein müsse, welche Blutflüssigkeit in
vermehrter Menge in die Gewebe abfiltriert und so zur Eindickung
des Blutes führt. Sinkt der Blutdruck wieder ab, so kehrt sich die
Stromrichtung um, Gewebsflüssigkeit filtriert durch die Capillarwand
in die Blutbahn, das Blut wird dünner. Die in den Versuchen zum
Vorschein gekommene Diskrepanz zwischen den Schwankungen des
Blutdrucks und jenen der Blutkonzentration erklärt Erb durch die
Annahme einer unmittelbaren Beeinflussung, und zwar Herabsetzung
der Permeabilität der Capillarendothelien. Daher bleibt oft die Kon¬
zentrationszunahme des Blutes noch bestehen, wenn die Blutdruck¬
steigerung schon einer Senkung gewichen ist. Die Annahme der Herab¬
setzung der Permeabilität der Capillarendothelien stützte sich auf
die Versuche von A. Exner sowie Meitzer und Auer, welche eine
*) 1. Mitteilung im Deutsch. Arch. f. klin. Mediz. 138, 270. 1922.
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192
J. Bauer und B. Aschner:
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verlangsamte Resorption von in den Peritonealraum eingeführten Sub¬
stanzen unter dem Einfluß von Adrenalin beobachtet hatten. Von
diesen Versuchen soll übrigens später noch die Rede sein.
Die tatsächlichen Befunde Hess’ und Erbs wurden später von
Asher und seinem Schüler Böhm vollkommen bestätigt, die Richtig¬
keit ihrer Deutung aber bestritten. Asher konnte nämlich zeigen,
daß mechanisch gesteigerter Capillardruck keine Filtration verursacht,
die Gefäßdilatatoren die Durchlässigkeit der Gefäße nicht beeinflussen,
dagegen aber die spezifische Tätigkeit der durch die betreffenden
Capillaren versorgten Organe eine leicht nachweisbare Konzentrations¬
änderung des Gesamtbluts wie des Serums herbeiführt. So reicht z. B.
eine sehr kurz dauernde Tätigkeit der Speicheldrüsen von nur einer
Minute hin, um das durch die Speicheldrüsen strömende Blut ebenso
stark einzudicken, wie es Hess und Erb nach Adrenalininjektionen
mit hohen Drucksteigerungen gefunden hatten. Arterielle Druck¬
steigerung durch Kompression der Bauchaorta (Asher), durch Reizung
des N. splanchnicus oder durch Asphyxie (Böhm) führt zu keiner
Zunahme der Blutkonzentration, aber auch das Adrenalin führt trotz
hoher Blutdrucksteigerung nicht in allen Fällen zu einer Bluteindickung.
Es kann folglich die so naheliegende Annahme eines Zusammenhanges
der Bluteindickung mit der Blutdrucksteigerung nicht zutreffend sein.
Aber auch die Annahme der Permeabilitätsverminderung der
Capillarendothelien durch Adrenalin erfuhr eine gewisse Erschütterung
durch die Feststellung Böhms, daß bei Katzen auch unter Adrenalin¬
wirkung nach einer Blutentziehung sehr rasch eine Blutverdünnung
durch Einströmen von Gewebsflüssigkeit in die Blutbahn eintritt.
Jedenfalls ist also die Herabsetzung der Capillardurchlässigkeit durch
Adrenalin, wofern sie überhaupt zu Recht besteht, nicht so weitgehend,
um im Sinne von Erb die Verzögerung des Flüssigkeitsaustausches
zwischen Blut und Gewebe zu erklären.
Trotz der Feststellungen von Asher und Böhm wurde aber auch
von späteren Untersuchem an der Bedeutung der arteriellen Druck¬
steigerung für die Bluteindickung durch Adrenalin festgehalten. So
fanden Bertelli, Falta und Schweeger sowie Imchanitzky im
Tierversuch Zunahme der Erythrocytenzahl und Steigerung des spezi¬
fischen Gewichtes des Blutes nach Adrenalininjektion und erklärten
dies durch einen Übertritt von Plasma aus dem Blute in die Gewebe.
Donath, der nach d-Suprarenininjektion bei einem Teil seiner Ver¬
suchstiere (Katzen) eine Zunahme des Trockenrückstandes im Blute
konstatierte, rekurriert gleichfalls auf die Blutdrucksteigerung. Das¬
selbe tun Schenk und Billigheimer, die die Bluteindickung nach
Adrenalin beim Menschen nach weisen konnten und Vasokonstriktion
für sie, Vasodilatation für die Blutverdünnung verantwortlich machen.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Über Austausch Vorgänge zwischen Blut und Geweben.
193
Auf demselben Standpunkt steht de Crinis und ohne eigene Beweise
neuestens Full. Man kann wohl auch nicht ein von Meyer und Gott¬
lieb angeführtes Moment zur Erklärung des Widerspruchs heran¬
ziehen. Diese betonen nämlich, daß ein Austritt von Plasma durch die
Capillarwände unter dem Einfluß einer erhöhten arteriellen Gefä߬
spannung nur dann zu erwarten sei, wenn auch die periphersten
Capillaren oder wenigstens ein Teil derselben an der Erhöhung der
Spannung beteiligt ist, wie z. B. nach venöser Adrenalininjektion,
nicht aber, wenn die Drucksteigerung bloß die kleinen und kleinsten
Arterien, wie z. B. bei der Erstickung, vielleicht auch bei der Strychnin¬
wirkung betrifft, da die stromabwärts liegenden Capillaren dann
wenig Blut und unter geringerem Druck zugeführt bekommen und
daher kein Plasma abpressen. Diese an und für sich gewiß berechtigte
Vorstellung kann keinesfalls erklären, warum auch bei Splanchnicus-
reizung, wo doch in erster Linie der Capillardruck ansteigt, keine
Bluteindickung zu beobachten ist (Böhm). Daß Blutkonzentration
und Capillardruck durchaus nicht in dem vielfach angenommenen
Kausalzusammenhang stehen, geht auch daraus hervor, daß große
Dosen Histamin zu einer Dilatation des Capillargebietes und zugleich
zu einem Übertritt von Blutflüssigkeit ins Gewebe, also zu einer Ein¬
dickung des Blutes führen (Dale, vgl. auch Hill).
Die Permeabilitätsabnahme der Capillarendothelien nach Adrenalin
wird auch von Bertelli, Falta und Schweeger, von Gradinescu,
Donath und Billigheimer zur Erklärung herangezogen. Anhalts¬
punkte für diese Annahme ergeben sich zunächst aus den oben bereits
erwähnten Versuchen von Exner und Meitzer - Auer. Die verlang¬
samte Resorption aus dem Peritonealraum, aber auch aus dem Gastro¬
intestinaltrakt unter Adrenalin Wirkung wurde später auch von Jona
und von Clark, aus einem Pleuraerguß von Cobet und Ganter, aus
dem Unterhautzellgewebe von Biedl bestätigt. Die verlangsamte
Resorption unter Adrenalinwirkung erklärt sich wohl aus der kon-
striktorischen Wirkung des Adrenalins auf die kleinsten Gefäße ein¬
schließlich der Lymphgefäße (vgl. Biedl), welche dadurch weniger
leicht passierbar, also weniger permeabel werden, ohne daß der ge¬
steigerte Innendruck zu einer vermehrten Filtration ins Gewebe führt.
So haben z. B. Athanasiu und Gradinescu gezeigt, daß die In¬
filtration und Schwellung der Froschmuskeln bei Durchspülung von
der Aorta her ausbleibt, wenn der Lockeschen Lösung Adrenalin
zugesetzt wird. Das Gleiche sah Donath bei Durchspülung isolierter
Katzennieren mit körperwarmer Ringerlösung. Trotz des gesteigerten
Innendruckes dringt also weniger Flüssigkeit durch die Capillarwände
ins Gewebe. Die Capillarwände sind eben im kontrahierten Zustand
der Capillaren weniger permeabel, doch ist das ein Faktor, der offen-
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
194
J. Bauer und B. Aschner:
bar mit einer Reihe anderer bei der Beeinflussung der Resorptions¬
geschwindigkeit konkurriert. M. S. Fleisher und L. Loeb konnten
ja im Gegensatz zu den oben angeführten Autoren eine Verzögerung
der Resorption von intraperitoneal injizierter Salzlösung und Wasser
unter Adrenalinwirkung nicht feststellen, im Gegenteil, sie fanden
eine Beschleunigung der Aufsaugung, namentlich wenn das Adrenalin
mit ins Peritoneum injiziert wurde. Dabei kam trotz der beschleunigten
Resorption der Flüssigkeit aus dem Bauchraum eine geringere Blut¬
verdünnung zustande als bei den Kontrollieren, die aufgesaugte
Flüssigkeit verließ also die Blutbahn in gesteigertem Maße, die Re¬
sorptionsbeschleunigung erfolgte trotz der kontrahierten Capillaren.
Vielleicht mag hier der von Camus beobachtete vermehrte Lymph-
abfluß aus dem Ductus thoracicus nach intravenöser oder subcutaner
Adrenalininjektion beteiligt sein. Übrigens ist auch dieser Effekt
nicht konstant, denn Tomaszewski und Wilenko beobachteten
das gerade Gegenteil, nach Adrenalin versiegte der Lymphstrom voll¬
ständig. Diese Widersprüche erklären sich wohl nach Biedl aus der
Interferenz einer Reihe von Adrenalinwirkungen, welche insgesamt
auf den Lymphstrom Einfluß üben und einander zum Teil entgegen¬
wirken, so die Konstriktion der Lymph- und Blutgefäße, Änderung der
Darmbewegungen, vielleicht Beeinflussung der Lymphbildung selbst (vgl.
Böhm und Gradinescu). Fleisher und Loeb sahen ja eine Vermeh¬
rung der Transsudation ins Peritoneum nach NaCl-Infusion, wenn sie der
Infusionsflüssigkeit Adrenalin zusetzten. Einige andere, in diesen Mecha¬
nismus mit eingreifende Faktoren werden wir noch später kennenlemen.
Ein zweites Argument zugunsten der Annahme einer Herabsetzung
der Permeabilität der Capillarendothelien durch Adrenalin wird aus
den Versuchen von Gradinescu und von Donath abgeleitet. Nach
Exstirpation der Nebennieren erfolgt eine Eindickung des Blutes,
beurteilt an der Zahl der Erythrocyten und Leukocyten (Gradinescu),
sowie am Trockenrückstand (Donath). Diese Eindickung des Blutes
wäre die Folge einer gesteigerten Permeabilität der Gefäßwände,
welche mehr Plasmaflüssigkeit aus der Blutbahn in die Gewebe aus¬
treten läßt. Dabei ist ein sehr wichtiger Umstand bemerkenswert.
Gradinescu konstatierte nämlich, daß sich die Bluteindickung bei
den nebennierenlosen Tieren in der Weise vollzieht, daß bloß die Blut¬
körperchenzahl zunimmt, das Blutplasma aber in bezug auf Gefrier¬
punkt, Refraktometerwert, Viscosität und elektrische Leitfähigkeit
unverändert bleibt. Das Plasma trete also als solches aus der Blut¬
bahn in die Gewebe, vor allem aber in die serösen Höhlen. Der Wasser¬
gehalt der Muskeln bleibt dabei unverändert. Übrigens liegen auch be¬
züglich dieser Befunde andere, vollkommen widersprechende Unter¬
suchungsergebnisse vor (vgl. Biedl, S. 489).
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Über Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben.
195
Die arterielle Drucksteigerung dürfen wir also dem Gesagten zu¬
folge nicht zur Erklärung der Bluteindickung nach Adrenalin heran¬
ziehen und die herabgesetzte Permeabilität der Capillarwände infolge
ihres vermehrten Kontraktionszustandes kann einerseits die Blut¬
eindickung selbst, andererseits aber auch die die Blutdrucksteigerung
überdauernde Bluteindickung nicht erklären, da die Herabsetzung der
Permeabilität nur so lange dauern kann, als der Kontraktionszustand
der Capillaren, also die Drucksteigerung anhält. Eine andere Art
von Permeabilitätsherabsetzung der Capillarwände durch Adrenalin
als die infolge eines vermehrten Kontraktionszustandes ist nicht er¬
wiesen. Also müssen die beobachteten Änderungen der Blutkonzen¬
tration nach Adrenalin, wofern sie tatsächlich zur Recht bestehen,
eine andere Erklärung finden. Böhm, dessen wichtige Arbeit von den
meisten Nachuntersuchem übersehen oder mindestens nicht im Original
gelesen (vgl. z. B. Pull) worden zu sein scheint, hält im Anschluß
an Ashers Auffassung dafür, daß unter dem Einfluß des Adrenalins
in Drüsen und anderen Organen eine Reihe zum Teil recht intensiver
Stoffwechselvorgänge angeregt wird, welche an und für sich infolge
osmotischer Diffusions Vorgänge, vielleicht auch infolge noch nicht
klargelegter Prozesse einen Flüssigkeitsaustausch zwischen Blut und
Geweben hervorrufen; dabei werden diese Vorgänge durch die initiale
Capillarkontraktion stark behindert und machen sich erst nach Ab¬
klingen derselben im Sinne einer Eindickung des Blutes geltend.
Billigheimer gibt eine Erklärung für die später, gelegentlich aber
auch sogleich nach der Injektion von Adrenalin einsetzende Blut¬
verdünnung — diese wurde ja auch von Donath nach d-Suprarenin
beobachtet — auf Grund einer persönlichen Mitteilung Ellingers.
Durch das Adrenalin wird nämlich der Quellungsdruck der Eiweißkörper
im Blut erhöht. Dadurch kommt es zu Wasseranziehung aus den Ge¬
weben und somit zu einer Blutverdünnung. In der Regel werde aller¬
dings dieser Adrenalineffekt durch die anfängliche Blutdrucksteigerung
und, wie der Autor mit Unrecht meint, die damit einhergehende Aus-
pressung von Blutflüssigkeit aus den Capillaren verdeckt. Donath
erklärte die Blutverdünnung nach Adrenalin mit dem vermehrten Zu¬
strom von Ductuslymphe.
Am dringendsten aber verlangt eine Überprüfung der Verhältnisse
die Angabe von Adrienne Kägi aus der Nägelischen Poliklinik,
welche auf Grund von Untersuchungen an neun Menschen die regel¬
mäßige Zunahme der Erythroeyten über die Fehlergrenzen hinaus in
Abrede stellt und auf Grund refraktometrischer und viscosimetrischer
Untersuchungen an vier Individuen eine Veränderung der Blut- und
Serumkonzentration durch Adrenalin überhaupt leugnet. Auch F.
O. H ess lehnt in allerjüngster Zeit auf Grund von sorgfältigen, im
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196
J. Bauer und B. Aschner:
Tabelle I.
Serum
Nr.
Fall u. Versuchszahl
Zeit
Refr.
Eiweiß in
o/'
/o
NaCl in
0 /
rp _
Bemerkungen
r
V. 37.) K. M. 9
vorher
56,3
7,481
0,6878
1 mg Tonogen. Druckstg. v. 150KR
50 J.Chron.Milz-
nach 4C Y
57,2
7,675
a. 180RRi. Laufe v. 10 7 , n.30 7 schon
u. Leberschwllg.
„ 60'
55,5
7,308
0,6358
130 RR. Tremor. Stark. Verkleinerg.
Wahrscheinl. d.
d. Milzschwellg. m. Leukozytenan-
Pfortaderthrmb.
stieg. Keine Glykosurie.
2-
V. 17.) V. G. 9
vorher
61,8
8,665
0,5596
1 mg Tonogen. Erster Tag d. Men-
24 J. Choleli-
nach l h
61,55
8,612
0,4737
struation. Druck sinkt innerhalb v.
thiasis
» 2*/* h
61,95
8,697
0,5592
20 7 v.llöRRauf 105, ohne voran¬
gehenden Anstieg, nach l h
wieder 115. Puls v. 64 auf 120(1 h .)
3.
V. 10.) Z. I. cf
vorher
59,0
8,064
0,8 mg Tonogen. Keinerlei Reakt.
46 J. Incipicnte
Lebercirrhose
nach 2 h
58,98
8,042
4.
V. 13.) Sch. J. cf
vorher
0,6474
1 mg Adrenaline Clin. Blutdruck-
40J. Fast ausgeh.
Glomerulonephr.
nach 20'
0,6473
steigerg. v. 120 RR auf 148, Tremor.
5.
V. 39.) B. E. c?
vorher
63,6
9,05
0,5994
1mg Tonogen. Druck 135, nach 5'
38 J. Tabes in-
nach 30'
61,45
8,59
0,599
140, nach 10' 127, nach 15' u. 20'
cipiens
125, nach 30' 135 RR.
6.
V. 64.) Ch. K. 9
vorher
54,7
7,135
0,4737
0,7 mg Tonogen. Hochgradig abge-
40 J. Gumma
nach l h
56,0
7.416
0,4605
magert. Druck 103RRsteigtn.5'auf
i
ventriculi
112, sinkt d. wieder a. d. Ausgangs¬
wert. Puls von 64 auf 108 in 10'.
PT l
H. K. cf- Myo-
vorher
54,0
6,984
0,6276
1 mg Adrenaline Clin. Druck von
carditis. Purpura
Erythrozyten 3,620 000
145 RR in 1(Y auf 155, dann auf Aus-
haemor. (20. VI.
nach 38'
57,6
7,7616
0,5763
gangswert gesunken. Puls von 60
1919)
Erythrozyten 4,360000
auf 88 in 20'.
„ 2 h
52,4
6,6384
0,5750
Erythrozyten 4,480000
s.
II. Ch. 9 63 J.
1
vorher
55,72
7,356
0,5658
0,7 mg Tonogen. Druck fällt ohne
Atherosklerose.
[Erythrozyten 4,330000
vorangehenden Anstieg
(18. VI. 1919)
nach 45',
58,08
7,865
0,566
von 185 RR nach 10 7 a. 180, nach 40 /
Erythrozyten 6,260000
auf 160, nach 2 h auf 145 u. steigt d.
allmählich z. Ausgangswert. Puls
von 64 auf 104 im Laufe 1 h .
y.
R. M. cf 32 J.
vorher
57,7
7,783
0,4869
1 mg Tonogen. Druck sinkt ohne
Apicitis. Dys¬
nach l h
59,73
8,222
0,4606
vorhergehendenAnstiegv.
pepsie. (19. VI.
103 RR in IO 7 auf 95 und steigt dann
1919)
zum Ausgangswert.
10.
V.165.)D.A.B-9
vorher
59,6
8,194
1 mg Tonogen. Druck steigt von
24 J. Gesund
nach 12'
61,5
8,601
110 RR in 5' auf 147, in 17' auf 130.
17'
60,2
8,323
Puls v. 78 in 5'126, in 17'88. Tremor,
Blässe. Unmittelbar nach d. 2. Blut¬
entnahme (12' nach Tonogen) venöse
Injektion von NaCl 8,0:20,0 durch
dieselbe Nadel.
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Über Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben. 197
Tabelle I (Fortsetzung).
Nr. Fall u. V enuchszahl
Zeit
| Serum j
Bemerkungen
Refr.
Eiweiß in
%
XaCl in
0/
,o
11. PL J., 9 52 J.
1
1 mg Tonogen. Druck sinkt von
1 Ca ventr. Hoch-
vorher
3,72
100 RR ohne vorangehen-
( l grad. univers.
Erythrozyten 2,860 000
den Anstieg in 20' auf 95 u.
1 Hydr. (Autops.)
nach 1 h
i
3,81 1
bleibt durch 1 h unverändert. Puls
1 a.) 11.VI.1919
Erythrozyten 2,3800001
steigt von 100 auf 110.
P b.) 13. VI. 1919
vorher
36,3 |
3,126 1
0,4079
1 mg Tonogen. Druck 100 RR, nach
| Erythrozyten
sp.Gew.
15' 95, n. 40' 80, n. 1* 85 RR
|l
2,360000
d.Blutes
ohne vorangehenden An¬
1
1041
stieg. Puls steigt von 90 auf
1
nach 40'
39,15
3,753
0,4679
116 in 40'.
li ;
Erythrozyten
sp. Gew.
1,
3,200000
d.Blutes
1 mg Suprarenin (Höchst). Druck
|i
1044
90 RR,sinkt ohne vorangeh.
c.) 28. VI. 1919
vorher
40,18
3,979
0,3713
Anstieg in 10'auf 80, in 40'auf
nach 50 7
40,83
4,121
0,3053
70 und steigt erst nach l 1 /* 11
'1
wieder allmählich zum Ausgangs¬
.!
punkt. Puls von 96 auf 120 in 30'.
In der im Laufe von S 1 /« h in 8Portionen aufgefangenen Ödemflüssigkeit
aus den Unterschenkeln steigt der Refraktometerwert nach Suprarenin von 20,18
auf 20,3. Die NaCl-Werte sinken von 0,7026% in 45' auf 0,6224% und steigen
von da ab wieder bis 0,6816%. Das spez. Gew. schwankt zwischen 1013 und 100
5, die Gesamtmenge beträgt 356 ccm.
arteriellen, capillaren und venösen Blut gleichzeitig vorgenommenen
Blutkörperchenzählungen am Menschen eine Konzentrationszunahme
des Blutes durch Adrenalin ab.
Unsere eigenen, an Venenblut durchgeführten Untersuchungen sind
in der Tab. I zusammengefaßt. Das Adrenalin wurde immer subcutan
injiziert. Die Venaepunktionen wurden, wie dies ja schon in der ersten
Mitteilung betont worden ist, stets t>hne Stauung vorgenommen. Die
Versuche wurden früh an den nüchternen Patienten angestellt. Aus
der Tabelle ist folgendes zu entnehmen:
1. Adrenalin verursacht häufig Änderungen der Eiwei߬
konzentration im Blutserum. In den Versuchen 6 — 10 und 11b
kam es zur Eindickung, in Versuch 5 zur Verdünnung des Blutes, in
Nr. 1—3 und 11a sowie 11c blieb der Refraktometerwert unverändert.
Die Annahme von Kägi und Hess, das Adrenalin beeinflusse die Kon¬
zentration des Blutes nicht, ist somit nicht berechtigt.
2. Die Art der Konzentrationsänderung, ob Eindickung
oder Verdünnung des Serums, ist nicht, wie Schenk angibt,
abhängig von der nach der Adrenalininjektion verflossenen
Zeit, es kommt also nicht immer zuerst zur Bluteindickung, dann
zur Blutverdünnung, sondern es kann nach 30 Minuten schon eine
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
198
J. Bauer und B. Aschner:
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Verdünnung bestehen (Nr. 5) und nach einer Stunde noch eine Ein¬
dickung vorhanden sein. Das entspricht auch den Befunden von Donath
und Billigheimer, welche von vornherein entweder Eindickung oder
Verdünnung des Blutes nach Adrenalin konstatierten. Die Blutver¬
dünnung erklärt Billigheimer als relativ seltenes Vorkommnis. Dem
entsprechen auch unsere Ergebnisse.
3. Den Änderungen der Serumkonzentration gehen die
Schwankungen der Erythrocyten nicht immer parallel.
Dies besagt aber nicht, wie wir schon in unserer ersten Mitteilung her¬
vorhoben, daß nur die Erythrocytenzählungen einen brauchbaren
Maßstab für die Beurteilung der Austauschvorgänge zwischen Blut
und Geweben abgeben können (Nonnenbruch). Die jüngsten Unter¬
suchungen von Hess erweisen vielmehr das gerade Gegenteil.
4. Die Konzentrationsänderungen des Blutserums nach
Adrenalin erfolgen unabhängig von den Schwankungen
des arteriellen Blutdrucks. Vor allem kann eine Eindickung
des Blutes auch dann stattfinden, wenn der Blutdruck in
der Arteria brachialis nicht nur keinen Anstieg, sondern
sogar einen primären Abfall erkennen läßt. Auf die Frage
der auf Adrenalin erfolgenden primären Senkung des arteriellen Blut¬
drucks sei hier nicht weiter eingegangen. Der eine von uns hat auf
dieses Vorkommnis früher schon aufmerksam gemacht und beabsich¬
tigt, bei anderer Gelegenheit eingehender darauf zurückzukommen.
Uns interessiert hier lediglich die Feststellung, daß die Blutdruck¬
wirkung des Adrenalins, wie dies schon früher Böhm auf Grund anderer
Tatsachen angenommen hatte, wohl nicht als ursächliches Moment für
die Eindickung des Blutes in Betracht kommen kann. Der Einwand,
daß das Ausbleiben einer Drucksteigerung in den Armarterien nach
der Adrenalininjektion noch nicht eine Drucksteigerung im Splanchnicus-
gebiete ausschließe, hat wenig Wahrscheinlichkeit für sich, da bei einer
Kontraktion der vom Splanchnicus versorgten Abdominalgefäße unter
dem Einfluß von Adrenalin zwar das Blut in die peripheren Gefäße
abgedrängt und diese passiv erweitert werden (vgl. Biedl, Bauer,
Rosenow), der systolische Druck in diesen aber dennoch ansteigt.
Auch den anderen bekannten Adrenalinwirkungen geht die Konzen¬
trationsänderung des Blutserums nicht parallel.
5. Der NaCl-Gehalt des Blutserums blieb in Nr. 4, 5, 6, 8, 9 un¬
verändert, sank in Nr. 1, 2, 7 und 11c deutlich ab und stieg in Nr. 11b
nach Adrenalin an. Eine Beziehung dieser NaCl- Schwan¬
kungen imSerum zu den Schwankungen des Eiweißgehaltes
läßt sich nicht feststellen, ebenso wenig eine Beziehung
zu den arteriellen Blutdruckänderungen. Unsere Beob¬
achtungen bezüglich der Beeinflussung des NaCl-Spiegels im Blute
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Über Aust&uschvorgänge zwischen Blut und Geweben.
199
durch Adrenalin stehen im Einklang mit den Ergebnissen der Kanin¬
chenversuche von Frey, Bulcke und Wels, die nach ihren Proto¬
kollen zweimal in fünf Versuchen einen beträchtlichen Abfall der
NaCl-Werte (von 0,58% auf 0,49% und von 0,56% auf 0,49%) kon¬
statierten, während in drei Versuchen keine nennenswerte Veränderung
eingetreten war. Wie die zitierten Autoren aus diesen ihren Proto¬
kollen einfach den Schluß ziehen können, daß das Adrenalin den NaCl-
Spiegel des Blutes unbeeinflußt lasse, ist uns vollkommen unverständ¬
lich. Übrigens hat auch schon Boenhei m auf diese sonderbaren Wider¬
sprüche hingewiesen, der selbst bei zwei Individuen ein Absinken der
NaCl-Werte im Blute nach einer Adrenalininjektion konstatieren konnte.
6. Die in Versuch Nr. 11c gleichzeitig vorgenommene Untersuchung
der in acht Portionen aufgefangenen Ödemflüssigkeit ergab bei gleich¬
bleibendem Refraktometerwert des Serums auch Konstanz des Re¬
fraktometerwertes der Ödemflüssigkeit. Dagegen nahm zugleich
mit dem Absinken des Serum-NaCl auch das NaCl in der
Ödemflüssigkeit erheblich ab, um nachher wieder anzusteigen.
7. Der in Nr. 10 an der einen von uns vorgenommene Versuch bildet
eine Analogie zu einem oben bereits erwähnten Versuch Böhms. Die¬
ser Forscher hatte beobachtet, daß eine Blutentziehung bei Katzen,
auch wenn sie unter Adrenalinwirkung stehen, sehr rasch eine Ver¬
dünnung des Blutes herbeiführt, daß also die Herabsetzung der Ca-
pillarpermeabilität durch das Adrenalin, wofern eine solche überhaupt
stattfindet, nicht soweit geht, um einen durch bestimmte andere Be¬
dingungen diktierten Flüssigkeitsaustausch zwischen Blut und Ge¬
weben zu verhindern. Wir sahen ganz entsprechend, daß sich trotz
Eindickungstendenz infolge der Adrenalininjektion fünf Minuten nach
Injektion einer hypertonischen NaCl-Lösung eine deutliche Blut¬
verdünnung einstellte, daß also eine evtl, eingetretene Permea¬
bilitätsabnahme der Capillärwände keineswegs das Ein¬
strömen von Gewebsflüssigkeit in die Blutbahn zu verhin¬
dern vermochte. Dasselbe geht übrigens auch aus einer anderwärts
von uns mitgeteilten 1 ) Beobachtung an einem Fall von Diabetes
insipidus hervor, in welchem während einer Durstperiode trotz weiter¬
gehender intensiver Diurese unter Adrenalinwirkung sogar über¬
schießend Gewebsflüssigkeit in die Blutbahn einströmte.
Überblicken wir das bisher Gesagte nochmals, um eine Erklärung
für den recht wechselvollen Einfluß des Adrenalins auf die Blutkonzen¬
tration und den NaCl-Gehalt des Blutes zu gewinnen, so können wir
unter Zurückstellung der durch Asher, Böhm und auch uns wider¬
legten Blutdruckfiltrationstheorie folgendes annehmen: Im Sinne einer
Eindickung des Blutes ist das von Asher und Böhm hervorgehobene
*) J. Bauer und B. Aschner, Wien. Arch. f. inn. Med. 1. 1920.
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII. 14
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
200
J. Bauer und B- Aschner:
Moment wirksam, die Anregung von zum Teil recht intensiven Stoff¬
wechselvorgängen in Drüsen und anderen Organen durch das Adrenalin.
Wir erinnern nur an die Hyperglykämie, an die Steigerung der Gerinn¬
barkeit des Blutes, an die Erhöhung des Eiweißumsatzes usw. (vgl.
Biedl). Dadurch kommt es, wie Asher ausführt, zu Verlust von
Wasser und Salzen auf dem Wege der Sekrete und ,,zur Bildung von
Stoffwechselprodukten infolge von Prozessen, die erforderlich sind,
um die Energie für die mannigfachen Leistungen, aus denen die Drüsen¬
tätigkeit besteht, zu liefern. Hierdurch entstehen Veränderungen in
der Zusammensetzung der Gewebsflüssigkeit, woraus wiederum os¬
motische und Diffusionspotentiale erwachsen, die den Flüssigkeits¬
austritt aus den Capillaren zur Folge haben.“ Im Sinne einer Ein-
dickung des Blutes wirkt ferner das von Tomaszewski und Wilenko
beobachtete und wohl durch Konstriktion der Lymphgefäße bedingte
Versiegen des Lymphstromes aus dem Ductus thoracicus sowie viel¬
leicht auch die unter dem Adrenalineinfluß erfolgende Hemmung der
NaCl-Abgabe aus den Depotorganen, vor allem der Haut. Auf diese
letztere Erscheinung werden wir sogleich zu sprechen kommen. Im
Sinne einer Verdünnung des Blutes wirkt die von Camus festgestellte
Steigerung der Lymphproduktion durch Adrenalin und Vermehrung
des Zuflusses aus dem Ductus thoracicus — offenbar kommen, wie
wir ja oben bereits im Anschluß an Biedl ausführten, je nach den Um¬
ständen sowohl Hemmung wie Steigerung dieses Zuflusses vor; ferner
die Steigerung des Quellungsdrucks der Bluteiweißkörper durch
Adrenalin (Ellinger - Billigheimer), wodurch Wasser aus den
Geweben angezogen wird.
Alle die angeführten Faktoren treten nun miteinander in Inter¬
ferenz und führen zu einem je nach der Individualität, der An-
sprechbarkeit und Reaktionsfähigkeit der Organe auf Adrenalin ver¬
schiedenen Resultat, bald zur Bluteindickung, bald zu keiner Verän¬
derung der Blutkonzentration oder aber zur Verdünnung des Blutes.
Ob es notwendig ist, angesichts der vorliegenden Ergebnisse auch noch
einen unmittelbar hemmenden Einfluß des Adrenalins auf die Capillar-
permeabilität anzunehmen, möchten wir bezweifeln, wenn auch natür¬
lich die Durchgängigkeit von Capillarwänden, die sich im krampfhaften
Kontraktionszustand befinden, herabgesetzt sein dürfte. Letzteres be¬
weisen ja auch die Versuche Fröhlichs betr. die Hemmung entzündlicher
Transsudationen (SenfÖlconjunctivitis) im d-Suprarenin-Zustand. Die Ein¬
dickung des Blutes bei nebennierenlosen Tieren, wie sie von Gradi nescu
und von Donath gefunden wurde, ließe sich wohl auch anders als durch
Annahme einer Permeabilitätssteigerung der Capillarwände erklären, hat
doch Gradi nescu nach Exstirpation der Nebennieren eine beträcht¬
liche Verminderung der Lymphproduktion an Fisteltieren beobachtet.
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Über Austausch Vorgänge zwischen Blut und Geweben.
201
Wie ist nun die in einer Reihe von Fällen beobachtete Senkung
des NaCl-Spiegels im Blut durch Adrenalin zu erklären? Hier scheint
uns der Versuch Nr. 11c eine klare Antwort zu geben. Eine andere
Erklärung für die sehr bemerkenswerte Tatsache des gleich¬
zeitigen NaCl - Sturzes in Blut und Ödemflüssigkeit als die
Annahme einer Hemmung der NaCl - Abgabe aus den Depots
der Gewebe und speziell der Haut scheint uns schwer mög¬
lich. Damit stützen wir eine Anschauung Boenheims und befinden
uns im Gegensatz zu Frey, Bulcke und Wels, welche ausschließlich
eine Nierenwirkung des Adrenalins mit Hemmung der renalen NaCl-
Ausseheidung annehmen. Boenheim konnte ja auch an Epileptikern,
denen eine Nebenniere exstirpiert worden war, einen Anstieg des NaCl-
Gehalts im Blute nachweisen. Der Wegfall einer Nebenniere förderte
somit nach Boenheims Auffassung die Cl-Mobilisierxmg in den Depot-
Organen. Warum aber die NaCl-Abnahme im Blut weder in den fünf
Kaninchenversuchen von Frey, Bulcke und Wels noch in unseren
zehn Versuchen am Menschen konstant erfolgte, warum sogar in einem
unserer Versuche der NaCl-Wert im Blut anstieg, dürfte seinen Grund
in dem Mitwirken anderer Faktoren haben, welche geeignet sein können,
den NaCl-Spiegel des Blutes zu erhöhen, so in dem vermehrten Zufluß
von Ductuslymphe und in den Flüssigkeitsverschiebungen durch die
Capillarwände, die je nach der Besonderheit des Falles auch NaCl-
Versehiebungen verschiedenen Ausmaßes und in verschiedener Rich¬
tung mit sich bringen. Dazu mag noch ein anderes Moment hinzu -
kommen. Veil hat nämlich gezeigt, daß durch den sog. Salzstich im
4. Ventrikel eine Hyperchlorurie und Hypochlorämie, diese letztere
auch am entnierten Kaninchen zustandekommt, daß also auf nervösem
Wege eine NaCl-Wanderung aus dem Blut in die Gewebe angeregt
werden kann. Es ist jedenfalls naheliegend, daß hier die auch vom
Adrenalin erregten Sympathicusfasem eine Rolle spielen. Auf welche
Weise diese NaCl-Wanderung aus dem Blut in die Gewebe durch Nerven-
reizung ausgelöst wird, ist uns ebensowenig bekannt wie verschiedene
andere Folgeerscheinungen von Nervenreizungen. Es ist also immerhin
denkbar, daß auch durch das Adrenalin eine „sekretorische“ Tätigkeit
der Capillarendothelien angeregt wird.
Es ist demnach bei der Mannigfaltigkeit der Angriffs¬
punkte und Wirkungen des Adrenalins im Organismus,
bei der individuell differenten Bereitschaft, Reaktionsart
und Reaktionsgröße der einzelnen Organe und Organteile
eine einheitliche, stets gleichartige Wirkung des Adrenalins
auf die Blutkonzentration und den NaCl - Gehalt des Blutes
gar nicht zu erwarten.
14*
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202
J. Bauer und B. Aschner:
2. Der Hypophysenextrakt.
Der Einfluß des Hypophysenhinterlappenextraktes auf die Aus¬
tauschvorgänge zwischen Blut und Geweben beansprucht ein beson¬
deres Interesse vom Standpunkte der Pathogenese des Diabetes in¬
sipidus. Hat doch Veil die sehr bestechende Annahme zu begründen
versucht, daß die in Fällen von Diabetes insipidus so eklatante thera¬
peutische Wirksamkeit des Hypophysenextraktes auf eine unmittel¬
bare Beeinflussung der Gewebe durch dieses Hormon zu beziehen sei.
Das Pituitrin befähige die in bezug auf ihre wasserbindende Funktion
gestörten Gewebe, Wasser festzuhalten. Diese Gewebswirkung desPitui-
trins sei das Primäre und die Hemmung der Diurese lediglich die Folge
der gesteigerten Wasserbindung durch die Gewebe.
Gegen die Veilsche Lehre wandte sich zunächst Oehme. Er fand
nach intravenöser Injektion von Pituitrin bei drei Katzen in den ersten
Minuten eine leichte und binnen 15 Minuten wieder vorübergehende
Senkung des Serumeiweißes, bei zwei anderen Katzen und einem
Menschen aber keine Änderung des Serumei weiß wertes. Die Blut¬
verdünnung, welche sich bei Katzen mit abgebundenen Nieren nach
peroraler Wasserabgabe einstellt, trat in demselben Ausmaße auch
unter dem Einfluß von Hypophysenextrakten ein. Der Einstrom von
Wasser und NaCl ins Gewebe nach intravenöser Ringer-Infusion erfolgt
bei Katzen unter Pituitrinwirkung ebenso wie ohne diese; vielleicht
ist er etwas verlangsamt. Keinesfalls wäre das eine Wirkung, welche
die Veilsche Annahme der extrarenalen Diuresehemmung durch
Pituitrin infolge Erhöhung der Wasserbindungsfähigkeit der Gewebe
stützen könnte. Der Flüssigkeitseinstrom aus den Geweben ins Blut
nach Aderlaß erfolgt beim Kaninchen unter Pituitrinwirkung in gleicher
Weise wie ohne Pituitrin. Von einer Erhöhung der Wasserbindungs¬
fähigkeit der Gewebe durch Pituitrin kann also keine Rede sein, wie
denn überhaupt Oehme keinen Anhaltspunkt für eine primäre Be¬
einflussung des Wasser- und Salzaustausches zwischen Blut und Ge¬
weben oder für eine deutliche Permeabilitätsänderung der Körper -
capillaren durch Hypophysenextrakte gewinnen konnte.
Im gleichen Sinne haben wir uns auf Grund unserer ausführlich
mitgeteilten Untersuchungen an einem Falle von Diabetes insipidus
ausgesprochen. Wir sahen nämlich, daß sich bei der Kranken die
Flüssigkeitsverschiebungen zwischen Blut und Gewebe unter Pituitrin¬
wirkung ganz ebenso abspielten wie ohne diese. Im Durstversuch unter
Pituitrin wurde nahezu die gesamte, renal und extrarenal ausgeschiedene
Flüssigkeitsmenge durch Nachströmen aus den Geweben ins Blut ge¬
deckt, ein venöser Infusionsversuch mit über einem halben Liter physio¬
logischer NaCl-Lösung verlief unter Pituitrinwirkung unter den gleichen
Austauschvorgängen zwischen Blut und Geweben wie ohne Pituitrin
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Über Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben.
203
und schließlich blieb die absolute Menge der extrarenal, durch Per¬
spiration ausgeschiedenen Wassermenge mit und ohne Pituitrin die
gleiche. Damit war die Unhaltbarkeit der Veil sehen Theorie unwider¬
leglich dargetan.
In einer größeren Untersuchungsreihe kamen dann Modrakowski
und Halter zu folgenden Ergebnissen: Nach Pituitrininjektion kommt
es beim Menschen zu einer Blutverdünnung im Capillarblut, die l 1 / 2
bis 2 Stunden nach der Injektion am deutlichsten ist. Sie kommt auch
in jenen Fällen zustande, in welchen keine Diuresehemmung, sondern
eine Anregung der Diurese stattfindet, sie beruht also nicht einfach
auf der gehemmten Wasserausscheidung durch die Nieren, sondern auf
dem Einströmen von Gewebsflüssigkeit in die Blutbahn. Zugleich kommt
es zu einem Chloranstieg im Blut, nur bei künstlich durch NaCl-arme
Kost chlorarm gemachten Individuen sinkt der NaCl-Wert des Serums
ab, statt anzusteigen (vgl. auch Brieger und Rawack). Wir möchten
gleich hier darauf hinweisen, daß auch Modrakowski und Halter
Ausnahmsfälle registrieren (S. 344) und daß die aus ihrem Versuch 16,
Tab. VI, von den Autoren abgeleitete Schlußfolgerung, in diesem Falle
hätte das Pituitrin die Diurese nicht gehemmt, sondern angeregt,
ganz und gar unberechtigt ist, da an diesem Tage schon die in den
2 Stunden vor der Pituitrininjektion ausgeschiedene Hammenge mehr
als doppelt so groß war wie am Kontrolltag; nach der Pituitrininjektion
wurde diese Differenz gegenüber dem Kontrolltag geringer, es wäre
also eher der entgegengesetzte Schluß berechtigt als der, welchen die
Autoren aus ihrem Versuch ableiten. Es besteht somit eine Diskrepanz
zwischen Protokollen und daraus abgeleiteten Schlußfolgerungen.
Wenn Boenheim in 3 Fällen eine Steigerung der Chlorwerte im Ge¬
samtblut und im Serum nach Injektion von Hypophysenextrakt beob¬
achten konnte und darin eine Bestätigung der Ergebnisse von Modra¬
kowski und Halter erblickt, so ist dies insofern nicht zutreffend,
als er mit einem Vorderlappenextrakt gearbeitet hat. Eppinger fol¬
gert aus der gegenüber dem Kontrolltag herabgesetzten Elimination
subcutan zugeführten Kochsalzes unter Pituglandolwirkung, es hemme
das Pituglandol sicherlich die Cl-Wanderung in ähnlicher Weise, wie
die Schilddrüse sie fördert. Wir halten aber auch diese Schlußfolgerung
nicht für begründet, da es sich offenbar um die bloße Folge der Diurese¬
hemmung durch das Pituglandol und keineswegs um eine Hemmung
der ,,Cl-Wanderung“ gehandelt hat. Dies geht aus den Protokollen
der Tab. III (S. 78 und 79) klar hervor.
In jüngster Zeit glauben E. Mever und R. Meyer - Bisch zum
erstenmal einen stringenten Beweis für die extrarenale Gewebswirkung
des Hypophysenextraktes erbracht zu haben. Sie fanden bei einem
Hund mit einer Fistel des Ductus thoracicus, aus der die abströmende
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204
J. Bauer und B. Aschner:
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Lymphe gesammelt wurde, ein Absinken der Lymphmenge nach Pitu-
glandolinjektion, dabei wurde die Lymphe eiweiß- und NaCl-reicher,
woraus die Autoren die Folgerung ableiten, das Pituglandol habe die
wasserretinierende Kraft der Gewebe im Sinne von Veil erhöht. Eine
durch Pepton hervorgerufene Verdünnung der Ductuslymphe werde
durch Pituglandol nicht nur aufgehoben, sondern sogar in Eindickung
verwandelt.
Dazu wäre nun folgendes zu bemerken: Was zunächst das tat¬
sächliche Versuchsergebnis anlangt, so sind im ersten Versuch die
Schwankungen der Lymphmenge und ihres Eiweiß- und NaCl-Ge-
haltes nach der Pituglandolinjektion zu auffallend, als daß eine
bloße Wasserretention in den Geweben sie erklären könnte. Der NaCl-
Gehalt war z. B. nach 15 Min. schon unter dem Niveau der Vorperiode,
um nachher wieder anzusteigen. Gleichzeitig entwickelte sich eine
Eindickung des Blutes, während der Serum-NaCl-Wert unverändert
blieb. Aus dem zweiten Versuch, bei dem zuerst Pepton, dann Pitu¬
glandol gespritzt wurde, entnehmen wir, daß 1. schon vor der Pepton¬
einspritzung die in je 5 Min. abströmende Lymphmenge recht erheb¬
liche Schwankungen zeigte und daß 2. unter dem Einfluß der Pepton¬
injektion die Lymphmenge abnahm und nach Pituglandol deutlich
wieder anstieg — also das gegenteilige Ergebnis wie im ersten Versuch.
Was aber die Deutung der beiden Versuchsergebnisse anlangt, so ist
sie nichts weniger als zwingend, ja mit Rücksicht auf die oben er¬
wähnten Feststellungen anderer Autoren sogar unwahrscheinlich.
Viel näher liegt es anzunehmen, daß es andere bekannte Wirkungen
des Hypophysetiextraktes sind, welche eine Verminderung und Kon¬
zentrationszunahme der Ductuslymphe zur Folge haben. Das Pitu¬
glandol regt bekanntlich die Darmperistaltik an, wodurch jedenfalls
ein gewisses Quantum der im Darmlumen befindlichen Flüssigkeit der
Resorption entzogen wird. Aber auch unabhängig von der peristaltik¬
fördernden Wirkung des Hypophysenextraktes hemmt dieser die
Wasserresorption aus dem Darm, wie Versuche von Rees an abge¬
bundenen Darmsehlingen erwiesen. Das Pituitrin hemmt ferner eine
Reihe von Drüsensekretionen, so vor allem jene des Pankreas (Pember-
ton und Swelt, Ott und Scott), was in gleicher Weise wie die ver¬
minderte Flüssigkeitsresorption aus dem Darm zu einer Herabsetzung
der Lymphmenge und einer Eindickung derselben führen dürfte. Diese
Annahme scheint uns ungezwungener als die schon durch andere Tat¬
sachen widerlegte Hypothese von der Förderung der Wasserretentions-
kraft der Gewebe 1 ).
l ) Auf die weiteren Ausführungen von E. Meyer und R. Meyer-Bisch
uljer das Wesen der Insipidusstörung einzugehen, liegt für uns an dieser Stelle keine
Veranlassung vor. Wir möchten nur bemerken, daß uns die Annahme einer „gleieh-
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über Aiistauschvorgänge zwischen Blut und Geweben. 205
Unsere eigenen, in Tab. II zusammengestellten Versuche ergaben
folgendes:
1. Der Eiweißgehalt des Blutes nimmt nur in einem von fünf Ver¬
suchen nennenswert ab (Nr. 5). Obwohl hier eine deutliche Hemmung
der Diurese stattfand und im Versuch Nr. 4 bei Steigerung der Diurese
eine Blutverdünnung nicht eintrat, möchten wir die Blutverdünnung
im Versuche Nr. 5 doch nicht auf die Diuresehemmung allein zurück¬
führen, da die aus den Geweben ins Blut zugeströmte Flüssigkeits¬
menge offenbar größer ist als die durch die Pituitrininjektion retinierte
Flüssigkeitsmenge. Offenbar spielen noch andere, individuell ver¬
schiedene Wirkungen des Pituitrins, vor allem solche auf die Tätigkeit
noch anderer Drüsen als der Niere, vielleicht auch Einflüsse auf den
Quellungsdruck der Gewebe- und Blutkolloide im Simie von Ellinger
eine Rolle. Jedenfalls ist eine Blutverdünnung nach Hypophysen¬
extrakten, wie sie von Modrakowski und Halter angegeben wird,
nichts weniger als konstant. Eine Bluteindickung konform dem Er¬
gebnisse von Meyer und Meyer-Bisch am Hund haben wir nicht
beobachtet. Jedenfalls sprechen die Versuche gegen die Annahme von
Veil sowie Meyer und Meyer-Bisch, daß das Pituitrin die Wasser¬
retention in den Geweben erhöht.
2. Der NaCl-Gehalt des Serums ist nur in einem von acht Versuchen,
bei Nr. 3, erheblich angestiegen, sonst blieb er unverändert, im Versuch
Nr. 8 zeigte er sogar einen leichten Abfall. Die Ursache des Versuchs¬
ergebnisses in Nr. 3 können wir nicht aufklären, sowenig uns der ganz
ungewöhnlich niedrige NaCl-Wert von nur 0,2372% vor dem Versuche
verständlich ist. Eine Erörterung dieser Frage soll übrigens einer
späteren Untersuchungsreihe Vorbehalten bleiben. Jedenfalls beweist
dieser ganz außergewöhnlich liegende Fall nichts für eine evtl. Gesetz¬
mäßigkeit der NaCl-Verschiebungen zwischen Blut und Geweben
unter dem Einfluß von Hypophysenextrakten, wie sie von Modra¬
kowski und Halter angegeben werden.
Wir können somit aus den vorliegenden Tatsachen den
Schluß ziehen, daß ein unmittelbarer, gesetzmäßiger Ein¬
fluß des Hypophysenhinterlappenextraktes auf die Aus¬
artigen Störung für den Austausch zwischen Gewebe und Blut wie zwischen Blut
und Niere“ keineswegs begründet erscheint, denn daß beim Insipiduskranken nicht
nur aus dem Blut in den Ham, sondern auch aus den Geweben ins Blut eine hypo¬
tonische Kochsalzlösung überströmt, ist wohl eine notwendige Konsequenz der
enormen Wasserdiurese. Es wäre gar nicht denkbar, daß die zum Ersatz der renal
ausgeschiedenen Wassermenge von den Geweben her nachströmende Flüssigkeit
anders als hypotonisch wäre. Es besteht also unseres Erachtens gar kein Grund,
darin eine „Störung“ der Austausch Vorgänge zwischen Blut und Geweben zu er¬
blicken, im Gegenteil, man muß die Präzision der normalen Regulationseinrichtun¬
gen, welche die primäre renale Störung kompensieren, bewundern.
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206
J. Bauer und B. Aschner:
Tabelle II.
~
| Serum
Nr.'
Fall u. Versuchszahl
Zeit
Refr.
Eiweiß in
O'
0
1 NaCl in
<y
0
Bemerkungen
1 .
V. 71). Q. H. 9
vorher
61,3
8,558
0,6003
1 ccm Pituitr. infund. (Parke-Davis)
18 J. Leichte
nach 8'
60,2
8,323
0,6186
venös.
Apicitis.
nach 30'
60,3
8,344
0,5833
2.
V. 80.) A. B. 9
vorher
59,5
8,172
0,6469
1 ccm Pituitr. infund. (Parke-Davis)
23 J. Menorrh.
nach 6'
59,45
8,161
0,6666
venös. Unmittelb. nach d. Injekt.
Nausea, Uteruskontrakt, u. Darm¬
peristaltik. Sistieren der Blutung
3.
V. 72.) P. A. 9
vorher
49,8
6,076
0,2372
0,8 ccm Pituitr. infund. (Parke-Davis)
50 J. Carcin.
nach 6'
50,1
6,142
0,350
venös. NaCl-Werte auf Grund v.
ventr. m. Achy-
nach 30'
49,0
5,902
0,435
Doppelbestimmungen.
lie. Kachexie.
nach 30 h
0,378
4.
Hauk M. 9 21J.
vorher
59,25
8,118
0,5910
1 ccm Pituitr. infund. (Parke-Davis)
Icter. catarrh.
nach 20'
59,0
8,064
—
subkut. Diurese während d. Yer-
(28. IX. 1921)
nach lV a h
60 5
8,387
0,5910
suchszeit gesteig. In D/a* 1 88 ccm
Harn, in 3 h 160 ccm gegenüber
34 ccm bezw. 115 ccm am Kontroll-
tag (Tag später, gleiche Bedingun¬
gen, nüchtern).
5.
KustkaL.Q24 J.
vorher
58,7
7,999
0,5449
1 ccm Pituitr. infund. (Parke-Davis)
Neuro fibromat.
nach 45'
55,2
7,243
0,5475
subkut. Diurese gehemmt. In 2 1 / i h
Recklingh. Sar¬
nach l 1 /* 11
55,8
7,373
0,5646
Hammenge 62 ccm, sp. Gew. 1020,
kom der Rippe.
nach 2 l /* h
56,6
7,546
0,5580
NaCl 0,624% = 0,387 g gegenüber
Kachexie.
i
i
|
1
186 ccm, 1016 spez. Gew., 0,27%
= 0,502 g NaCl am Kontrollrat
(2 Tage später).
6.
V. 22a.) H.A.o*
vorher
0,5914
2 ccm Pituitr. infund. (Parke-Davis)
56 J. Cholelith.
(5. V. 1919)
nach 20'
1
0,6158
subkut.
7.
V. 23a.) L. Th. 9
1 vorher
0,6250
2 ccm Pituitr. infund. (Parke-Davis)
28 J. Nephr. ac.
haemor. (8. V.
1919)
nach 30'
0,6224
subkut.
8.
V. 15a.) Z.A.cf
vorher
0,6316
2 ccm Pituitr. infund. (Parke-Davis)
ödemkrankh.
Hydrothor. bilat.
nach 15'
1
0,6053
i
subkut.
tauschvorgänge zwischen Blut und Geweben oder eine
Änderung der Permeabilität und sekretorischen Tätigkeit
der Capillarwände beim Menschen nicht nachzuweisen ist.
Dagegen können die mannigfachen Wirkungen des Hypo-
physenhinterlappenextraktes auf die Tätigkeit innerer
Organe, vor allem die Wirkung auf die sekretorische Funk¬
tion der Nieren, des Pankreas, der Speicheldrüsen usw.
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Über Austausch Vorgänge zwischen Blut und Geweben. 207
mittelbar Veränderungen der Blutkonzentration und Blut¬
zusammensetzung zur Folge haben. Die interessanten Frosch¬
versuche von Pohle und vor allem von Brunn, welche die Annahme
einer direkten extrarenalen Beeinflussung des Wasserhaushalts dieser
Tiere durch das Hypophysensekxet nahelegen, lassen also keine Schlu߬
folgerung auf die entsprechenden Verhältnisse beim Menschen zu.
Was den Einfluß von Hypophysenvorderlappenextrakten
auf die Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben anlangt, so
liegen darüber nur drei Versuche von Boenheim vor, der jedesmal
nach der (subcutanen ?) Injektion von Hypophysenvorderlappen-Opton
nach 1 / 4 — 1 / 2 Stunde einen NaCl-Anstieg im Blut und Serum feststellen
konnte. Wir selbst haben nur in einem einzigen Versuch 2 ccm Hypo¬
physenvorderlappenextrakt (Freund und Redlich) intravenös verab¬
reicht und sahen weder nach 4 noch nach 30 Min. eine Veränderung
des Serumeiweiß wertes. Den NaCl-Gehalt hatten wir nicht bestimmt.
Der Blutdruck der 68jährigen Patientin war von 160 R.R. in 3 Min.
auf 145 gesunken, um dann wieder anzusteigen.
3. Andere Blutdrüsenextraktc.
Was zunächst den Einfluß von Schilddrüsenextrakten auf
den Austausch zwischen Blut und Geweben anlangt, so liegt darüber
nebst den bekannten Untersuchungen Eppingers über das ödem
die Angabe Boenheims vor, der nach (subcutatier ?) Injektion von
Thyreoideaextrakten (Opton Merck und Präparat von Kalle) in der
Mehrzahl der Fälle ein Ansteigen des Serum- und Blut-NaCl feststellen
konnte. Aus seiner Tabelle geht hervor, daß dreimal unter sechs Ver¬
suchen ein Cl-Anstieg nicht erfolgte, einmal sogar der NaCl-Wert
deutlich absank. Auch wir fanden, wie aus Tab. III zu ersehen ist,
in drei Versuchen kein gleichartiges Verhalten. Der Eiweißwert des
Serums stieg in Nr. 1 an, sank in Nr. 2 minimal ab und stieg in Nr. 3
nach initialer leichter Abnahme an. Der NaCl-Wert des Serums nahm
in Nr. 1 ab, blieb in Nr. 3 unverändert und sank in Nr. 2 nach vor¬
übergehendem Anstieg ab. Ein gesetzmäßiges Verhalten ist
daraus also nicht zu entnehmen.
Die intravenöse Injektion des Ovarialextraktes Glanduovin
(Richter) hatte in beiden Fällen (Nr. 4 und 5) eine geringe Abnahme des
Serumeiweißes zur Folge, während der NaCl-Gehalt unverändert blieb.
Cor p us 1 ute u m- Extrakt führt zu einer schwachen Zunahme des Serum-
NaCl ohne nennenswerte Änderung der Serumkonzentration — also keines¬
falls eine intensivere Beeinflussung der Austauschvorgänge zwischen Blut
und Geweben. Boenheim hatte mit dem Merckschen Ovarial-Opton
erhebliche Änderungen des NaCl-Spiegels im Blut hervorrufen können,
in der Mehrzahl einen Anstieg, gelegentlich jedoch auch eine Senkung.
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208
J. Hauer und B. Aschner:
Tabelle m.
!' Fall und
| Versuchszahl
■
Serum
—
Nr.
Zeit
Refr.
Eiweiß !
in % |
NaCl
in ° n
Bemerkungen
1.
V. 46.) M. A. 9 38 J.
vorher
55,0
7,2
0,7008
2
ccm Thyreoideaextrakt (Richten
Cliron. Rheumatis-
nach 1 j h
55,75
7,362
0,6813
subkut.
mus.
nach 2 h
58,15
1 7,880
0,6307
o
i Y. 48.) Sch. Ulcus
vorher
59.9
8,250
0,6488
1
ccm Thyreoideaextrakt (Richter)
ventric.
nach 2(Y
59,4
8,150
0,6780
intravenös.
nach 7(Y
58,8
8,021
0,5678
3.
V. 50.) K. M.
vorher
61.0
8,494
0,6254
1
ccm Thyreoideaextrakt (Richter)
20 J. Urethritis ac.
nach l h
59,7
8,215
0,6228
intravenös.
nach 2 h
62,4
8,794
0,6137
4.
V. 53.) S. I. 9
vorher
62,37
8.787
0,6358
2
ccm Glanduovin (Richter) venös.
22 J. Hysterie.
nach 27'
60,80
8,451
0,6488
nach l l 2 h
61,40
8,579
0,6488
;>.
V. 58.) K. J. 9
vorher
61,0
8,494
0,5790
1
ccm Ganduovin (Richter) venös.
33 J. Rekonvalesz.
nach Pneumonie.
nach 30'
59,2
8,107
0.5789
6.
K. L. 9 24 J. Neu¬
vorher
57,0
7,632
0.4984
2,2 ccm Extr. corpor. lutei (Richter)
rofibrom. Reck-
nach 5'
57,5
7,740
—
venös.
lingh.
nach 30'
58,0
7,848
0,5316
7.
V. 59.) B. J. o*
vorher
53,4
6,854
0,5290
1
ccm Extr.testiculi (Richter) venös.
38 J. Ulcus ven¬
nach 30'
54,6
7,114
0,5620
Die zweite Blutprobe zeigt starke
tric.
Speckhaut.
8.
Z. 1. o* 19 J. Ic¬
vorher
56,0
7,416
2,2 ccm Extr. testiculi (Richten
terus catar.
nach 3'
55,2
7,243
venös.
9.
iV. 56.) Sch. A. (Y 1
vorher
52,2
6,595
0,5461
1
ccm Epiglandol (Roche) venös.
I 56 J. Emphysema
nach 3(7
52,0
6.552 j
0,5526
In der 2. und 3. Blutprobe starke
pulm.
nach 2 h
52,3
6.617 1
0.5461
Speckhaut.
Nach intravenöser Injektion von Extractum testiculi (Richter)
sahen wir in 2 Fällen keine nennenswerten Schwankungen der Blut¬
konzentration, in dem einen daraufhin untersuchten Falle Nr. 7 eine
Zunahme des Serum-NaCl, dies in Übereinstimmung mit der Mehrzahl
der Boenheimschen Resultate. Möglicherweise hängt mit der NaCl-
mobilisierenden Wirkung der Hodenextrakte ihre von Re ach beob¬
achtete günstige Wirkung bei Ödemen zusammen.
Der Zirbeldrüsenextrakt Epiglandol (Roche) hatte bei intra¬
venöser Applikation keinerlei Änderung des Serumeiweiß- oder Serum-
NaCl-Wertes zur Folge (Nr. 9).
4. Gefäßmittel.
Es sollten noch einige Pharmaka untersucht werden, welche, ohne
eine spezielle diuretische Wirkung zu besitzen, den Zustand der peri¬
pheren Gefäße beeinflussen, so das Papaverin, welches den spas-
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Über Austausch Vorgänge zwischen Blut und Geweben.
209
tischen Kontraktionszustand der Gefäße aufhebt (Pal), das Chinin,
welchem gleichfalls eine krampflösende Eigenschaft auf krankhaft
kontrahierte Gefäße zukommt (Bamberger, Grünbaum, Latzei,
eigene Erfahrungen), und das Colchicin, welches ein Capillargift
darstellt (Löwe, Lipps) und uns bei der Behandlung des „Hoch¬
druckrheumatismus“ mitunter gute Dienste geleistet hat 1 ). Tab. IV
gibt über unsere diesbezüglichen Untersuchungen Aufschluß.
Nach intravenöser Injektion von Papaverin kommt in allen drei
Versuchen (Nr. 1—3) eine gewisse Tendenz zur Blutverdün¬
nung zum Ausdruck, während der NaCl-Gehalt des Serums sich gar
nicht ändert. Nach unserer bei der Besprechung des Adrenalins vor¬
gebrachten Auseinandersetzung steht die geringfügige, vorübergehende
arterielle Drucksenkung im Anschluß an die Papaverineinspritzung
kaum in kausalem Zusammenhang mit der Blut Verdünnung. Die
gleiche Tendenz zur Blutverdünnung wie nach Papaverin sahen
wir auch in den drei Versuchen mit intravenöser Chinininjektion
(Nr. 4—6). Einmal ging der Verdünnung eine geringe Eindickung
voraus (Nr. 5). Der NaCl-Gehalt blieb auch nach Chinin vollkommen
unverändert. Eine arterielle Druckänderung im Sinne einer Druck¬
abnahme wurde nur im Falle Nr. 4 verzeichnet, sie kann also nicht
als Ursache der Hydrämie angesprochen werden. Nach Colchicin
sahen wir unter sechs Versuchen nur einmal eine ausgesprochene Blut¬
verdünnung eintreten (Nr. 12), einmal (Nr. 9) kam es zu einer sehr
geringen und rasch vorübergehenden Konzentrationsabnahme des
Serums, in Nr. 10 sahen wir nach einer halben Stunde eine leichte
Eindickung des Serums, in den übrigen drei Versuchen blieb der Serum¬
eiweißgehalt unverändert. Auffallend ist es immerhin, daß gerade in
Nr. 12, wo die ausgesprochene Blutverdünnung schon 11 Min. nach
der subcutanen Colchicininjektion vorhanden war, auch eine wesent¬
liche Abnahme des arteriellen Drucks sofort nach der Injektion einsetzte,
während in den übrigen Versuchen das Colchicin nur eine sehr geringe
Drucksenkung zur Folge hatte. Der NaCl-Spiegel des Serums änderte
sich zweimal unter fünf Versuchen, in Nr. 10, wo eine halbe Stunde
nach der Injektion der NaCl-Gehalt des Serums gesunken ist und in
Nr. 11, wo nach 20 Min. der NaCl-Wert anstieg. Bemerkenswert er¬
scheint noch, daß bei der Patientin mit Polycythaemia hypertonica
(Gaisböck) das eine Mal 1 mg Colchicin keine Änderung des Serum¬
eiweißwertes zur Folge hatte (Nr. 11), während zwei Wochen später
2 mg Colchicin eine ausgesprochene Blutverdünnung herbeiführten.
Trotz dieser Blutverdünnung war ein Einfluß auf die Diurese nicht
wahrzunehmen (vgl. unsere erste Mitteilung).
Die meisten Fälle der Tab. IV betreffen aus den oben angeführten
') Vgl. J. Bauer, Deutsch. Kongr. f. innere Mediz. Wiesbaden 1921.
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210
J. Bauer und B. Aschner:
Tabelle IV.
1 Fall und
Versucliazahl
Serum
Nr.
Zeit
Eefr.
Eiweiß
in %
NaCl
in %
Bemerkungen
1.
V.74.) B. I. <? 54 J.
vorher
59,3
8,129
0,5762
0,08 Papaverin, sulfur. venös. Blut-
Perm, arter. Hoch-
nach 7'
58,0
7,848
0,5762
druck 195 mm RR, in 5' 187, in
druck.
nach 35'
58,0
7,848
0,5564
12' 189, in 40' 202 RR.
2.
V.75.)M.A.o*66J.
vorher
57,4
7,718
0,5762
0,08 Papaverin, sulfur venös. Druck
Perm, arter. Hoch-
nach 7'
56,5
7,524
0,5762
198 RR, nach 12' 192, nach 24'
! druck. Mitralinsuff.
nach 33'
55,4
7,286
0,5649
182, nach 38' 186 RR.
3.
V. 83.)M. S. Q44J.
vorher
62,5
8.815
—
0,08 Papaverin, sulfur. venös. Druck
Perm, arter. Hoch¬
druck.
nach V
62,0
8.708
190, nach 10' 182 RR.
4.
V. 72a) K. A. Q 55 J.
vorher
58,3
7,913
0,5974
0,8: 10,0 Chinin, muriat. venös.
Perm, arter. Hoch-
nach 5'
57,5
7,740
0,5974
Druck 192 RR, nach 2' 178, nach
druck.
nach 3 0'
57,0
7,632
0,5974
11' 177, nach 36' 180 RR.
5.
V.84.)M.M.Q58J.
vorher
60,0
8,28
0,6066
0,6 : 20,0 Chinin, muriat. venös
Perm, arter. Hoch-
nach 5'
60,8
8,451
0,6092
Druck 200 RR bleibt unverändert.
druck mit Polyzy¬
thämie (Gaisböck).
nach 3(7
58,6
7,978
0,6026
6.
V. 85.) I.A. 938 J.
vorher
56,1
7,438
0,6265
0,5: 18,0 Chinin, muriat. venös.
Hysterie.
nach 5'
55,4
7,286
0,6239
Druck 112 RR bleibt unverändert.
7.1
Y.78.)Sp.P.955J.
| vorher
64,4
9,222
_
0,002 Colchicin. crist. (Merck) sub-
1
i
Chron. Polyarthri¬
tis.
nach 23'
64,4
9,222
—
kut. Druck 165 RR, in IO 7 155 RR.
8.
V.öDQ.n.QlÖJ . 1
vorher
55,8
7,373
i 0,6327
0,002 Colchicin. crist. (Merck) sub-
Apicitis.
nach 12'
55,6
7,330
0,6287
kut. Druck 118 RR, in 5' und 2(Y
112 RR.
9.,
V. 82.) K. A. Q 55 J.
vorher
58,0
7,848
0,5762
0,002 Colchicin. subkut. Druck
Perm, arter. Hoch¬
nach 12'
57,0
7,632
0,5695
170 RR, nach 3' 170, nach 12'
druck (= Nr. 4).
nach 33'
58,4
7,934
0,5894
165, nach 30 7 160 RR.
10.!
Y. 77.) D. S. o* 57 J.
vorher
54,0
6,984
0,6892
0,002 Colchicin. subkut. Druck
Arteriosklerose.
nach 20'
53,9
j 6,962
0,6892
150 RR, nach 15' 145, nach 30'
nach 33'
55,0
7,20
0,6186
150 RR.
n.
Y. 69.)M.M.Q58 J.
vorher
58,45
7,945
0,5469
0,001 Colchicin. subkut. Druck
t
Hyperton. Polyzy¬
nach 20'
58,2
7,891
0,5938
200 RR, nach 2(7 195, nach l- 1
j
thämie (= Nr. 5)
18. VI. 1920.
nach l h
58,4
7,934
0,5938
195 RR.
12.
V. 76.) Dieselbe. 3.
vorher
58,7
7,999
0,5904
0,002 Colchicin. subkut. Druck
YII. 1920.
nach 11'
56,7
7,567
0,5861
215 RR, nach 3' 188, nach 15'
!
i
nach 30'
56,45
7,513
1
0,5904
180, nach 25' 178, nach 9* 170 RR.
Keine Diuresesteigerung. Vom
21. VI.—1. VH. im ganzen 0,03
Colchicin per os erhalten.
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Über Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben.
211
Gründen Kranke mit permanentem arteriellem Hochdruck. Ob es
sich bei dem Verhalten der Serumkonzentration auf die angewendeten
Mittel (Papaverin, Chinin, Colchicin) um eine Besonderheit gerade
dieses krankhaften Zustandes handelt, vermögen wir nicht sicher zu
entscheiden, halten es aber für unwahrscheinlich. Besteht doch gerade
bei arteriellem Hochdruck eher eine herabgesetzte Tendenz zu einem
Einstrom von Gewebsflüssigkeit in das Blut, wie wir in einer weiteren
Mitteilung darzulegen beabsichtigen 1 ).
Anhangsweise wollen wir noch erwähnen, daß wir in einem Falle
von chronischer Glomerulonephritis, wo wir den Einfluß von 0,01
Pilocarpin, hydrochloric. subcutan verfolgten, eine Konzentrations¬
zunahme des Serums von 7,006% innerhalb von 12 Min. auf 7,442%,
nach 35 Min. auf 7,610% beobachten konnten. Der NaCl-Gehalt des
Serums blieb unverändert. (0,5974—0,6115%) Nach 12 Min. begann
der Kranke intensiv zu schwitzen. Auffallend war die sehr beschleu¬
nigte Gerinnung des Blutes nach der Pilocarpineinspritzung. Auch in
einem zweiten Falle, wo wir allerdings nur den NaCl-Gehalt des Serums
nach Pilocarpin bestimmten, blieb derselbe unverändert (0,6316%,
nach 10 Min. 0,6211%). Über den Einfluß des Schwitzens auf die
Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben stehen sich die An¬
gaben von Gross und Kestner sowie E. Cohn einerseits und von
Bogendörfer andererseits gegenüber. Die zwei von uns angestellten
Versuche mit Pilocarpin berechtigen natürlich nicht zu allgemeinen
Schlußfolgerungen.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
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Veil, H. W., Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 87 , 187. 1920.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Untersuchungen über die Pharmakologie des Strontiums.
Von
Prof. Dr. H. Boruttau und Dr. K. Grassheim.
(Aus dem Physiologisch-Chemischen Laboratorium des Stadt. Krankenhauses im
Friedrichshain in Berlin.)
(Eingegangen am 28 . Januar 1922.)
Während über die pharmakologischen Eigenschaften des Calciums
und Bariums sowie über das Magnesium zahlreiche Arbeiten existieren,
welche die Wirkungsweise dieser Elemente und ihrer Salze sowohl in
rein experimenteller Beziehung als auch in klinisch-therapeutischer
Hinsicht ausführlich behandeln, sind die Angaben über das in die erst¬
genannte Gruppe gehörige und mit letzterem in manchem verwandte»
Strontium äußerst spärlich. Was wir hierüber wissen, ergibt sich aus
mehr oder weniger nebenher gemachten Angaben solcher Autoren,
welche Strontiumverbindungen als Vergleichsobjekt bei ihren Ver¬
suchen über die Wirkungsweise ähnlicher oder verwandter Salze ange¬
wandt haben.
Lediglich nach einer Richtung hin, und zwar über die Wirkungsweise
des Strontiums auf das Knochensystem, ist in letzter Zeit experimentell
gearbeitetworden, und es gebührt Lehnerdt 1 ) zweifellos das Verdienst,
uns durch seine Untersuchungen wichtige Aufschlüsse über gewisse
Beziehungen des Strontiums zu Stoffwechselvorgängen im Knochen ge¬
geben zu haben. Außer seinen Arbeiten aber gibt es keine, welche die
Pharmakologie des Strontiums zum Ausgangspunkt weiterer
Untersuchungen gemacht hätte.
Es ist dies um so erstaunlicher, als schon lange, und zwar besonders
in Frankreich und Amerika Strontiumsalze Aufnahme in Pharmakopoen
gefunden haben und die Indikationen für den therapeutischen Gebrauch
merkwürdig mannigfaltig sind. So sind Strontiumsalze gegen Rheuma,
Gicht, Herzkrankheiten, Epilepsie, Chorea, Magen-Darmerkrankungen,
Askariden, Pleuritis, Nephritis — ja selbst gegen Gallensteine in den
verschiedensten Verbindungen verordnet und, wenn man den Angaben
Glauben schenken will, mit Erfolg gegeben w r orden.
x ) Lehnerdt, Jahrbuch f. Kinderheilk. 1910, 7; Zeitschr. f. d. ges. exp.
Med. 1913, 1.
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214
JI. Boruttau und K. Grass! ici in :
Alle diese Indikationen aber basieren nicht — wenigstens soweit
dies aus der uns gegenwärtigen Literatur hervorgeht — auf irgendwelchen
systematischen pharmakologischen und toxikologischen Untersuchungen,
sondern es waren anscheinend nur empirische, klinische Beobachtungen
maßgebend, auf Grund derer sich der Gebrauch des Strontiums von
Generation zu Generation übertragen hat.
Inwieweit die klinischen Indikationen zu therapeutischem Han¬
deln nun zu Recht bestanden haben oder bestehen, soll weiter unten
als logische Folge unsere Untersuchungsergebnisse erörtert werden.
Wenn wir uns jedoch die Frage vorlegen, warum bei den verschiedenen
Verbindungen gerade das Strontium als Komponente gewählt wurde, so
dürften wir in der Vermutung nicht fehl gehen, daß ein wesentliches Mo¬
ment hierfür die relative Ungiftigkeit des per os gegebenen Strontiums ist.
Unser Interesse galt im wesentlichen der Frage, welchen Einfluß
das Strontium auf das Nervensystem auszuüben vermag.
Wir gingen dabei von eitler Beobachtung aus, welche jüngst durch
Alwens und Grassheim 1 ) veröffentlicht wurde. Es fiel diesen nämlich
auf, daß nach Verabreichung von Strontium lacticum die Knochen¬
schmerzen bei Patienten, welche an Osteopathie und ähnlichen Er¬
krankungen aus der Gruppe der Osteoporosen litten, sehr schnell zurück¬
gingen. Es wurde zunächst angenommen, daß diese Erscheinung durch
rein mechanische Momente: Festigung des Knochens durch Bildung eines
mit Kalksalzen imprägnierten neuen Knochengewebes zu Stande käme.
Da es sich jedoch herausstellte, daß die Schmerzhaftigkeit und Schmerz¬
empfindlichkeit schon zu einer Zeit zurückging, in der nach allen Erfah¬
rungen eine Sklerosierung des Knochens noch nicht stattgefunden
haben konnte, und da auch bei daraufhin angestellten Versuchen das
Sr einen sedativen Einfluß auf neuralgische Beschwerden auszuüben
vermochte, glaubten Alwens und Grassheim annehmen zu können,
daß es sich bei der schmerzstillenden Wirkung um eine spezifische Eigen¬
schaft des Strontiums handele. Den Beweis für die Richtigkeit dieser
Annahme erbrachte dann letzterer, indem er an Kaninchen nachweisen
konnte, daß SrCl 2 -Lösungen von bestimmter Konzentration — subcutan
injiziert — die Erregbarkeitsschwelle bei elektrischer Reizung der Haut
herabzusetzen vermögen.
Diese Tatsache regte uns dazu an, weiteren Wirkungen des Stron¬
tiums auf das peripherische und zentrale Nervensystem nachzugehen und
somit einen Überblick über seine Stellung in der Gruppe der Erdalkalien
und über sein Verhalten gegenüber verwandten Stoffen zu gewinnen.
Eine derartige Feststellung erschien uns um so wesentlicher, als ganz
verstreut sich in der physiologischen Literatur Angaben finden, welche
eine Nachprüfung bisher nicht gefunden haben.
x ) W. Alwens und K. Grassheim, Münch, med. Wochenschr. 1921, Nr. 42.
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Untersuchungen über die Pharmakologie des Strontiums.
215
Es erscheint dies in gewissem Grade verständlich, denn wenigstens
zu der Zeit, aus der diese Veröffentlichungen stammen, beschäftigte
sich die reine Physiologie im wesentlichen mit der Erforschung solcher
Elemente und Stoffe, welche als Bestandteile des menschlichen Orga¬
nismus in ihren Zustandsänderungen für die Funktionen des Körpers
von Wichtigkeit erschienen. Zu diesen aber gehörte das Sr nicht, und
hierin haben wir wohl auch den Hauptgrund zu suchen, warum bisher
nicht, wie z. B. über das Calcium und Magnesium, ausführliche Arbeiten
bestehen, welche sich mit dem Einfluß dieses Erdalkalis auf die verschie¬
denen Ge websarten im Körper beschäftigen. Es kommt noch eins hinzu:
Die neue Epoche der biologischen Anwendungen der physikalischen
Chemie, welche eine Wandlung der ganzen Auffassungsweise in betreff der
verschiedenen Mineralstoffe mit sich brachte, setzte ein, als im Anfang
der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts Grützner 1 ) und seine Schüler
ihre grundlegenden Untersuchungen über die chemische Reizung von
Nerven zum erstenmal systematisch mit äquimolekularen Lösungen
anstellten und die Kenntnis von der Bedeutung der Ionen-Wirkung
in der Physiologie und Pharmakologie sich Bahn brach, besonders
dank den wichtigen Arbeiten, als deren Autoren an erster Stelle Franz
Hofmeister 2 ), J. Loeb 3 ), Overton 4 ) undHoeber 5 ) genannt werden
müssen.
Die Untersuchungen der genannten Autoren sind deshalb auch heute
noch für uns von unschätzbarem Wert, weil sie überhaupt erst eine Grup¬
pierung der einzelnen Elemente ermöglichten und wissenschaftlich er¬
klärten. Die Untersuchungen, die den relativen Einfluß der An- und
Kationen in angewendeten Elektrolyten festlegten, wiesen nach, daß
die elektrische Ladung und die Wanderungsgeschwindigkeit der betreffen¬
den Ionen als maßgebende Faktoren anzusprechen seien. So ließen sich
die Elemente je nach der untersuchten Wirkung physikalisch-chemischer
oder physiologischer Art zu bestimmten Reihen anordnen, wobei deut¬
liche Analogien in der Wirkung der einwertigen Kationen (Alkalimetall¬
ionen), der zweiwertigen Erdalkalionen und der dreiwertigen Leicht¬
metallionen hervortraten. Für die normalerweise zum Bestand des
Zellinhalts und der Körperflüssigkeiten gehörenden Mineralstoffe hat
es sich herausgestellt, daß das anatomische und funktionelle Verhalten
von einem Gleichgewicht der zu den verschiedenen Gruppen gehörigen
Ionen, insbesondere der Kationen abhängig ist. Eine Störung in diesem
-- #
*) Grützner, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 53, 83. 1892; 58, 69. 1894;
Blumenthal, ebenda 63, 513. 1896.
2 ) F. Hofmeister, Arch. f. exp. Pathol. 28, 210. 1891.
3 ) J. Loeb, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 69, 1. 1898; ebenda 91, 248.
1902.
4 ) O verton, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 105 , 176. 1905.
°) R. Hoeber, ebenda 120 , 492. 1907; 126 , 33L 1909.
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII. ] 5
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216
H. Boruttau und K. Grassheim:
Gleichgewicht durch Überwiegen des einen oder anderen Ions führt zu
ausgesprochenen physikalisch-chemischen und funktionellen Änderungen
im Organismus. Es ist dabei wichtig zu wissen, daß bestimmte Anta¬
gonismen, nämlich zwischen Na und K, Na und Ca einserseits, dem K
und Ca, Ca und Mg andererseits bestehen, welche besonders dann in
Erscheinung treten, wenn es sich um stärkere Lösungen handelt, als der
Konzentration der Körperflüssigkeit und des Zellinhalts entspricht.
Im Zusammenhang mit dem Strontium denken wir hier hauptsächlich
an die Beobachtungen über die narkotische resp. anästhesierende Wir¬
kung der Magnesiumsalze, welche besonders durch Meitzer und seine
Mitarbeiter bekannt geworden sind, und die auch eine gewisse praktische
Bedeutung in der Medizin gewonnen haben.
Bei den Untersuchungen, die Meitzer 1 ) angestellt hat, handelt es
sich einmal um die totale Anästhesie durch subcutane Injektionen,
zweitens um die narkotisierende Wirkung der Magnesiumsalze auf die
verschiedenen Nerven und schließlich um die Einflüsse, welche sich
auf die Zentren der Medulla oblongata geltend machen, unter besonderer
Berücksichtigung der toxischen Wirkung bei intravenöser Injektion.
Um nun auf eine Vergleichung der Wirkungen des Strontiums und
Magnesiums zunächst am peripherischen Nerven hinarbeiten zu können,
mußte auf Meitzers und Auers 2 ) Beobachtungen in dieser Hinsicht
eingegangen werden. Die Autoren kommen auf Grund ihrer Versuche
zu dem Schluß, daß Lösungen von Magnesiumsalzen, selbst in starker
Konzentration, sofern sie direkt mit dem lebenden Nerv in Berührung
gebracht werden, anscheinend keine Erregung erzeugen, sondern daß
im Gegenteil sowohl bei hyper- als auch bei iso- und hypotonischen Lö¬
sungen die Leitungsfähigkeit für physiologische und künstliche Reize
unterbrochen sein resp. ein totaler Block eintreten kann, und zwar ist
der Effekt um so größer, je stärker die Konzentration gewählt wird.
Für die Deutung dieser Befunde ist vor allen Dingen die angewandte
Methodik zu berücksichtigen. Meitzer und Auer haben ihre Versuche
anKaninchen angestellt, und zwar so, daß sie peripherische Nervenstämme
freilegten und auf diese mit Magnesium- resp. Kochsalzlösungen
getränkte Wattebäusche einwirken ließen. Zu der Operation selbst
erhielten die Tiere Äthemarkose und bekamen zum Teil außerdem
vorher noch Morphium. Wir haben bei unseren Versuchen aus verschie¬
denen Gründen Abstand von dieser Art der Methodik genommen.
Es schien hns bedenklich, den frei gelegten Nerv längere Zeit dem aus¬
trocknenden Einflüsse der Luft auszusetzen, durch welchen schon an
und für sich bekannterweise ein verändertes Verhalten in bezug auf die
*) Meitzer, Berl. klin. Wochenschr. 1906, Nr. 3; Dtsch. med. Wochenschr.
1909, Nr. 45.
2 ) Meitzer und Auer, Americ. joum. of physiol. l4, 366. 1906.
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Untersuchungen über die Pharmakologie des Strontiums.
217
Reaktionsfähigkeit resultiert, selbst wenn, was Meitzer und Auer
durch diese Methode zu erreichen suchten, die Durchblutung der Um¬
gebung des Operationsfeldes nicht gestört wird. Weiterhin aber glaubten
wir — und das gilt besonders für das Sr —, daß eine gewöhnliche Wa¬
schung des freigelegten Nerven mit Ringerlösung nicht mit völliger Sicher¬
heit die totale Aufhebung der vorangegangenen Versuchswirkung ge¬
währleistete. Hierdurch aber dürften weitere Versuche mit demselben
Tier an Genauigkeit einbüßen. Besonders jedoch wollten wir der Wir¬
kung anderer Narkotica wie Äther und Morphium von vornherein ent¬
sagen, um jegliche anders zu deutenden Einflüsse ausschalten zu können.
Es sind darum zunächst Versuche mit subcutanen Injektionen
vorgenommen worden, die, wie wir oben bereits erwähnt, schon von einem
von uns (Grassheim) veröffentlicht wrnrden, aber der Vollständigkeit
wegen hier nochmals angeführt werden sollen.
Die Versuche wurden folgendermaßen angestellt:
1. Kaninchen, männlich, 380 g Gewicht.
Das Tier wird beiderseits an den Nates glatt rasiert. Beiderseits
wird mittels faradischen Stromes an den abrasierten Stellen die normale
(faradische) Hautempfindlichkeit festgestellt. Erste deutliche Reaktion
tritt mit einer Primärspannung von 4 Volt bei einem Rollenabstand
(mit Eisenkern) von 120 mm ein.
Zum Vergleich wurden nun links NaCl und rechts SrCl 2 -Lösungen,
und zwar stets in gleicher molekularer Konzentration und Menge auf
0,9% NaCl berechnet — subcutan injiziert und draufhin in gleichen
Zeitabständen Reizungen vorgenommen. Es seien nur hier die Grenz¬
zahlen des jeweiligen Reaktionseintrittes an der Haut verzeichnet.
Zeit nach
| NaCl
| SrCl f | .
der Injektion
1 isotonisch |
2 Min.
120
155 j| Rollen-
4 Min.
135
140 [ / abstand
6 Min.
125
136 |" in mm
Nach weiteren 3 Minuten war beiderseits die Wirkung abgeklungen,
der normale Reaktionseintritt der Haut erfolgte nunmehr wieder bei
einem Abstand von 120 mm.
Es folgte die subcutane Injektion von 5 ccm 4 mal stärkerer Lösungen
erst links NaCl, dann rechts SrCl 2 .
Zeit nach
der Injektion
2 Min. !
4 Min. I
6 Min. !|
NaCl
| SrCl,
vierfach
Isotonisch
125
1 135
120
130
115
j 100
15*
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218 H. Boruttau und K. Grassheim:
3 Minuten nach vollständiger Resorption der Quaddeln war die
NaCl-Wirkung wieder abgeklungen: Die Haut reagierte konstant bei
Rollenabstand 120. Anders verhielt sich die SrCl-Seite. Hier kehrte die
Reizbarkeit nicht zur Norm zurück, sondern blieb dauernd darunter.
Die angegebenen Versuche sind also folgendermaßen zu deuten:
Isotonische Lösungen von NaCl und SrCl 2 setzen die Erregbarkeit
der Haut herauf, und zwar Sr stärker als Na. Bei einer viermal stärkeren
Lösung wird durch SrCl 2 zunächst noch eine Überregbarkeit, bald aber
eine langanhaltende Hypästhesie hervorgerufen, während das NaCl in
gleicher Konzentration nur eine schwache schnell abklingende Wirkung
zeigt.
Dasselbe Tier wurde nach 24 Stunden wiederum gereizt. Auf der
linken Seite trat wie zu Beginn des Versuchs die Reaktion bei 120 mm
ein. während rechts das Strontium deutlich eine Herabsetzung zurück¬
gelassen hatte, der Rollenabstand für die Messung betrug nur 110 mm.
Unter den gleichen Bedingungen wairden nun 5 ccm einer fünf- und
zehnmal stärkeren Lösung injiziert. Es ergab sich*folgendes Bild:
Zelt nach
jsaCl
| SrClj
der Injektion ■'
fünffach isotonisch
2 Min.
140
120
4 Min.
135
110
6 Min.
125
90
8 Min.
120
80
Auf die Injektionen einer zehnmal stärkeren Lösung trat bei NaCl
Ätzwirkung ein, bei SrCl 2 betrug der Rollenabstand nach 2 Minuten
noch 65 mm, um dann in völlige Anästhesie überzugehen. Wir möchten
jedoch davon absehen, diesen Befund zu verwerten, da wir bei einer
derartigen Konzentration eine lokale Ätzung mit Sicherheit nicht aus¬
schließen zu können glauben, trotzdem das Tier die Injektion gut
vertrug und später durch Präparation der Injektionsstellen und der
Umgebung beiderseits festgestellt werden konnte, daß keinerlei örtliche
Schädigungen eingetreten waren.
2. Zur Kontrolle wurden nun die Versuche an einem zweiten Tier
unter denselben Bedingungen ausgeführt. Es sei der Kürze wegen hier
nur mitgeteilt, daß auch bei ihm die Resultate in demselben Verhältnis
standen wie bei dem ersten Tier.
Ein weiterer Weg zur genaueren Untersuchung der Erregbarkeit
und Leistungsfähigkeit schien uns die Beobachtung und eventuelle
Registrierung der Aktionsströme ausgeschnittener Kaltblüternerven,
welche in Salzlösungen verschiedener molekularer Konzentrationen
aufbewahrt wurden; Beobachtungen, wie sie heutzutage mit Hilfe
des Saitengalvanometers mit weitgehender Treue möglich sind. Mit
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Untersuchungen über die Pharmakologie des Strontiums.
219
strontiumhaltigen Salzgemischlösungen verschiedener molekularer Kon¬
zentration unter Vergleichung mit entsprechenden Mg und Ca enthal¬
tenden Medien wurden Versuche im Rahmen ausgedehnterer pharma-
kologisch-bioelektrischer Studien angestellt, über deren Ergebnisse
der eine von uns (Boruttau) im Anschluß an bisherige vorläufige Mit¬
teilungen an andererStelle ausführliche Veröffentlichungen beginnen wird.
Es soll deshalb über Technik und Ergebnisse hier nur so viel mitgeteilt
werden, wie zur Kennzeichnung der Strontiumwirkung auf die Nerven¬
faser grundsätzlich wichtig ist.
Es wurde ein Instrumentarium benutzt, dessen Meßgerät das von
der Firma Huth hergestellte Saitengalvanometer Martensscher
Anordnung bildet. Das Bild der Saite konnte in etwa tausendfacher
Vergrößerung auf einem mit Millimeter-Einteilung versehenen Schirm
beobachtet und die Ausschläge nach Bedarf photographisch registriert
werden. Es wurde regelmäßig die Reizschwelle, erkennbar an der eben
merklichen Saitenbewegung durch den einphasischen Aktionsstrom bei
Reizung mit einzelnem Öffnungsinduktionsschlag (ohne Eisenkern)
aufgesucht und der Rollenabstand in Millimetern notiert als Maß der
Erregbarkeit des auf zwei Nickeldraht-Elektroden aufliegenden zen¬
tralen Endes vom Doppelischiadicus, während von dem peripherischen
Ende desselben an der Längsoberfläche und am häufig erneuerten
thermischen Querschnitt mit unpolarisierbaren Elektroden (Amalgam.
Zn, ZnS0 4 , NaCl-Ton) abgeleitet wurden.
Außer der Reizschwelle wurde die Leistungsfähigkeit fortlaufend
kontrolliert in Gestalt des einmaligen bzw. oszillatorischen Saitenaus¬
schlags, welcher durch einzelne Schließungs- und Öffnungsinduktionsreize
sowie durch tetanisierende Reize verschiedener Dauer (Neefscher
Hammer mit etwa 35 Untersuchungen pro Sekunde, gewöhnliche An¬
ordnung ohne Nebenschließung) hervorgerufen wurde.
Zum Zwecke ihrer Beobachtung auf dem Schirm wurde zunächst
mit einer stark entspannten Saite gearbeitet, deren hohe Empfindlichkeit
(Platin oder Aluminium von etwa 2 fi Dicke) und deren träges Reagieren
dazu geeignet ist, die charakteristischen Erscheinungen des Ermüdungs¬
und ErholungsVorganges, deren Ausbildungsgrad einen Maßstab für
den jeweiligen Zustand der Leistungsfähigkeit der Nervenfaser bildet,
mit äußerster Genauigkeit von Augenblick zu Augenblick zu verfolgen.
Es sind dies das allmähliche Auftreten, Größerwerden, später wdeder
Abnehmen und Verschwinden der Heringschen positiven Nachschwan¬
kung nach einer Reizreihe und evtl, an ihrer Stelle oder auch ihr voraus¬
ausgehend der Rückstand der Äktionsnegativität der Längsschnitt¬
elektroden (negative Retention von S. Garten und K. Tigerstedt).
Die negative Retention als träger Rückgang der Saite beim Einzelaktion¬
strom ist bei stark entspannter Saite eine dem Beobachter am Schirm
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II. Boruttau und Iv. Grassheim:
220
ohne weiteres augenfällige Erscheinung. Die ganz leichte maximalemp¬
findliche Aluminiumsaite, mit Recht von Wertheim - Salomonson
empfohlen, läßt mitunter die positive Nachschwankung selbst nach dem
Einzelaktiotisstrom deutlich erkennen, was bisher am markhaltigen
Nerven nie gelungen zu sein scheint und nur am marklosen Riechnerven
des Hechtes von Garte n bereits mit dem Capillarelektrometer verzeichnet
werden konnte. Fähigkeit zum Auftretenlassen der positiven Nach¬
schwankung nach einer nicht ganz kleinen Reizreihe und Dehnung des
Einzelaktionsstroms als Zeichen beginnender Ermüdung sind, wie der
eine von uns (Boruttau) an anderer Stelle ausführlicher auseinander¬
setzt, Kriterium eines Zustandes guter Leistungsfähigkeit der Nerven¬
faser. Die positive Nachschwankung ist ja schon von ihrem Entdecker
Ewald Hering mit dem Restitutionsvorgang in Zusammenhang ge¬
bracht worden; sie tritt zurück: bei tiefer Temperatur und unter Ein¬
wirkung der Narkotica, zu denen auch das Kohlendioxyd gehört.
Diese Agenzien dehnen im Beginn ihrer Einwirkung stark den Ver¬
lauf der EiTegungserscheinungen; später, wenn durch tiefe Narkose
oder starke Ermüdung eine Herabsetzung der Leistungsfähigkeit in
hohem Maße eingetreten ist, kommt es zum Verschwinden der negativen
Retention, wobei durch dauernde Negativierung der Längsoberfläche
eine Verminderung des Längs-Querschnittstroms ablesbar werden kann,
soweit nicht Einflüsse sie kompensieren, die auf die Negativität des
Querschnittes herabsetzend wirken.
Der Aufenthalt der Froschnerven in Ringerscher Lösung, die mit
vSrClg-Lösung in geeignetem Verhältnis gemischt ist, setzt nach kurzdau¬
ernder Steigerungsphase unweigerlich die Leistungsfähigkeit herab,
in ähnlicher Weise, wie es auch bei Zusatz von CaCl 2 , BaCl 2 und MgCl 2 -
Lösungen entsprechender molekularer Konzentration der Fall ist. In
allen Fällen ist bei rechtzeitiger Abspülung und Wiederübertragung
in reine Ringerlösung eine Wiederherstellung der anfänglichen Leistungs¬
fähigkeit ganz oder teilweise möglich.
Wie sich in dieser Beziehung Sr, Calcium und Magnesium verhalten,
soll in folgendem durch verkürzte Wiedergabe einiger Versuchsbeispiele
erläutert werden.
1. Versuch vom 19. VII. 1921. 3 frische Doppelischiadici von Rana temporaria in
neutraler Ringerlösung. Beginn 11 Uhr. Aluminiumsaite, soweit entspannt, daß
einmal 10" 7 Amp. gleich 120 mm Ablenkung.
Doppelnerv
I
II
III
1. Längsquerschnittstrom (mm Abi.) . . .
2. Reizschwelle für Einzelöffnungsschlag
4-200
+150
+ 250
(ohne Eisenkern) in mm RA.
90
80
75
3. Bei dreimaliger Tetanisation mit 60 mm
RA je 15 Sek. lang. Negative Schwankung
— 35
— 18
—50
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Original fro-m
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Untersuchungen über die Pharmakologie des Strontiums.
221
Doppelnerv I
II
III
4. Nach Aufhören derselben.
neg. Ret.
neg. Ret.
pos. Nach-
schwankg. +2
5. Tetanisation wie oben 2 Minuten lang.
Negative Schwankung.
— 40
— 25
— 60
6. Nach Auf hören derselben.
Pos. N. + 2
+1>5
+ 1
7. Einzelschwankung, Charakter.
deutl. gedehnt
deut. ged.
stark ged.
8. Die Präparate werden gelegt.
11h 25' in
11*35' in
11* 40'
gleiche Teile
gleiche Teile
Ringer
Ringer und
Ringer und
neutral
isot. Stron-
isoton. Cal-
tiumchlorid
ciumchlorid
wieder untersucht um
l h 35'
1*25'
1* 15'
1. Längsquerschnittstrom.
+ 200
+ 200
+ 250
2. Reizschwelle Öffnungsschi, mm RA . .
60
50
65
3. Dreimal. Tetanis. wie oben, neg. Schw.
— 17
— 6
—45
4. Nach Aufhören.
glatter Abf.
pos. Nach-
neg. Re-
schwkg. +1
tent.
f>. Tetanisation 2 Min., neg. Schwankung .
— 12
—4
— 75
6. nach Auf hören.
pos. N. + 2
neg. Ret.
starke
neg. Ret.
7. Einzelschwankung, Charakter.
gedehnt
nicht ged.
mäß. ged.
8. Die Präparate kommen.
in Ringer u.
in Ringer u.
in Ringer
Strontium -
Calcium¬
zurück
chlorid zur.
chlorid zur.
Nervenpräparate vom 19. VII. 1921, untersucht nach 48 Std. am 21. VII. 1921.
Beginn 11 Uhr, physikal. Konstanten wie früher.
Doppelnerv
I
II
III
aus stron-
aus calc.- aus reinem
tiumh. Ringer
halt. R.
Ringer
1. Längsquerschnittstrom.
20
70
30
2. Reizschwelle Öffnungsschi, mm RA . .
30
unerregbar
50
3. Bei Tetanis. wie oben neg. Schw. . . .
— Spur
— 3
4. Nach Aufhören.
neg.
Retent.
Die Herabsetzung der Leistungsfähigkeit sowohl durch den erhöhten Ca-Ionen-
gehalt als durch den äquivalenten Sr-Gehalt ist schnell
deutlich. Die
Wieder-
herstellung8fähigkeit wurde hier nicht untersucht; sie kam deutlichst
zur Be-
obachtung in dem durch 3 Tage fortgesetzten Versuch 2.
2. Versuch vom 25. VII. 1921. Drei ganz frisch präparierte Doppelischiadici.
Physikal. Verh. Ssp. 60 mm, sonst wie oben.
Beginn 11 Uhr.
Doppelnerv
I
II
III
1. Längsquerschnittstrom mm Abi. . . .
45
160
200
2. Reizschwelle Öffnungsschi, mm RA . .
95
105
120
3. Bei Tetanis. 50 mm RA 3 mal 15 Sek. Neg.
Schwankg. mm Abi.
— 10
— 15
— 35
4. Nach Auf hören pos. Nachschwa nkg. . .
+ 2
+ Spur
+ 2
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222
II. Bonittau und K. Grassheim:
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5.
6 .
7.
8 .
1 .
2 .
3.
4.
5.
6 .
7.
8 .
9.
1 .
2 .
3.
4.
5.
1 .
2 .
3.
4.
5.
6 .
7.
8 .
9.
Doppelnerv
I
II
III
Tetanis. 2 Minuten Neg. Schwankg.. .
— 11
— 17
— 37
Nach Aufhören pos. Xachschwankg. . .
+ 3
+ Spur
— 3
Einzelschw. Charakter.
etw. ged.
nicht ged.
wenig ged.
Die Präparate kommen.
ll h 39'
desgl.
llh 46 '
in gl. Teile
in reinen
in gl. Teile
R. u. 4fach
Ringer
R. u. 4fach
hy perton.
hy perton.
Magnesium-
Strontium-
chlor.-Lösg.
chlor.-Lösg.
Präparat
I
II
III
um
1 l h 50'
12h 08'
llh so 7
Längsquerschnittstrom nun Abi. ...
+ 80
+ 200
+ 200
Reizschwelle öffnsch. mm RA ....
80
105
85
Tetanisation 50 mm RA dreimal je 15Sek.
neg. Schw. mm Abi.
— 12
— 35
— 3
Nach Aufhören.
neg. Retent.
PN +1
+ Spur
Tetanisation 2 Min. lang neg. Schw. .
— 10
—40
_2
Nach Aufhören pos. Nachschwankg. . .
+ 5
+ 19
+ Spur
Einzelschwankg. Charakter.
nicht ged.
gedehnt
n. gedehnt
Reiz sch. öffngssch. mm RA.
80
105
80
Die Präparate kommen.
ll h 57'
desgl. in
12h 04'
in magnes.-
reim R.
in Sr.-chlo-
chloridhalt.
zurück
ridhalt. R.
R. zurück
zurück
Weitere Untersuchung
12^ 15'
12h 20'
Längsquerschnittstrom.
+ 40
+ 80
Reizschwelle Öffnschi, mm RA ....
40
unerregbar!
Tetanisation 30 mm RA 3 mal 15Sek. neg.
Schw.
— 1
Nach Aufhören.
neg. Ret.
Einzelschwankg. Charakter.
?
Die Präparate kommen.
in reine Ringerl. in reine R.-L.
Erneute Untersuchung von l h 30' an.
I
II
III
Längsquerschnittstrom mm Abi. . . .
+ 60
+ 130
+ 6n
Reizschwelle öffnsch. mm RA ....
95
105
110
Tetanisation 50 mm RA 3 mal 15 Sek.
Neg. Schwankg. mm Abi.
— 15
— 25
— 12
Nach Aufhören.
+ 4
+ 2
-3
Tetanisation 2 Min. lang. Neg. Schwkg.
— 20
— 27
— 11
Nach Aufhören.
+ 10
+ 4
-4
Einzelschwankg. Charakter.
gedehnt
gedehnt
gedehnt
Reizschwelle öffngschl. mm RA . . .
95
105
110
Präparate kommen.
alle drei in
reine Ringerlösung.
Fortsetzung am 26. VII. 1921.
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Untersuchungen über die Pharmakologie des Strontiums.
223
Beginn der Untersuchung ll h 05'.
I
II
III
1 .
Längsquerschnittstrom mm Abi. . . .
+ 110
+ 140
+ 200
2 .
Reizschw. Öffnschi, mm RA.
80
80
100
3.
Tetanis. 40 mm RA 3 mal 15 Sek. Negat.
Schwkg. mm Abi.
— 2
— 25
—15
4.
Nach Aufhören.
neg. Rete nt.
pos. N. +1
+ 3
5.
Tetanisat. 2 Min. lg., neg. Schw. . . .
— 3
— 25
— 15
6 .
Nach Aufhören.
gl. Abf.
+ 1 erst neg. Ret.
dann pos.
Schwkg. + 2
7.
Einzelschwankg. Charakter.
etw. gedehnt
etw. ged.
wenig ged.
8 .
Präparate kommen.
llh 12 ' in
llh 22 'in gl.
llh 34 '
magnesium-
T.R.u.4fach
in Sr.-hal-
chloridhaltig.
hyperton.
tigen Rin-
R. wie oben.
Kochsalzlsg.
ger
Zweite Untersuchung:
I
II
III
um llh 35 '
um ll h 45'
um llh 54 '
1 .
Längsquerschnittstrom mm Abi. . .
+ 150
+ 200
+ 150
2 .
Reizschwelle öffnschlag mm RA . .
60
110
80
3.
Tetanisation 40 RA 3 mal 15 Sek. Neg.
Schw. mm Abi.
— Spur
— 27
_ 2
4.
Nach Aufhören.
?
pos. N. + 3
+Spur
5.
Tetanisation 2 Min. lg., neg. Schw. .
— Spur
—22
—2
6 .
Nach Aufhören.
9
pos. N. + 2
+Spur
7.
Einzelschwkg, Charakter.
nicht ged.
gedehnt
nicht ged.
8 .
Die Präparate kommen zurück . . . .
llh 42' in
llh 50 in
llh 59' i n
Mg.-halt.
NaCl-hyper-
Sr.-haltig.
Ringer
ton. R.-gem.
Ringer.
Dritte Untersuchung, 26. VII. 1921
I
II
m
aus MgCl 2
aus NaCl
aus SrCl a
um l h 04 /
12 h 50'
lh06'
1 .
Längsquerschnittstrom mm Abi. . . .
+ 50
+ 160
+ 50
2 .
Reizschwelle öffnschlag mm RA . . .
unerregbar
90
unerregbar
3.
Tetanis 3 mal 15 Sek. 40 RA, neg.
Schwkg. mm Abi.
— 20
4.
Nach Aufhören pos. Nachsehw.
+ 3
5.
Tetanis. 2 Minuten lang, neg. Schw. .
—30
6 .
Nach Aufhören pos. Nachsehw.
+ 10
7.
Einzelschwankung, Charakter.
stark gedehnt
mit pos. Nach-
schw. +1
8 .
Präparate kommen alle drei in reine Ringerlösung
lh 10 '
Letzte Untersuchung am 27. VII. 1921. Beginn 11 Uhr, alle Präparate aus
reiner Ringerlösung.
I
II
ui
1 .
Längsquerschnittstrom mm Abi. . . .
+ 30
+ 50
0
2 .
Reizschwelle Öffnschi, mm RA ....
80
90 fast unerregbar
3.
Tetanis. 3 mal 15 Sek. 40 mm RA Neg.
Schwankg.
— 3
— 30
4.
Nach Aufhören.
gl. Abfall
gl. Abfall
5.
Einzelschw. Charakter.
nicht ged.
nicht ged.
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224
H. Boruttau und K. Grassheim:
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Aus diesem Versuch ist deutlich ersichtlich, daß durch sowohl Mg- als auch
Sr-Ionengehalt des Mediums bis zu doppelter Hypertonie sehr bald eine deutliche
Verminderung der Leistungsfähigkeit eint ritt, sowohl in bezug auf die Erregbarkeit,
als in bezug auf die Resistenz gegen Ermüdung, Fähigkeit, den Aktionsverlauf zu
dehnen usw. Diese Verminderung geht bei längerem Aufenthalt bis zur völligen
Unerregbarkeit; bei rechtzeitigem Verbringen in normales Medium konnte völlige
Wiederherstellung erzielt werden; bei der magnesiumhalt. Lösung konnte der
Vorgang ein zweites Mal wiederholt werden; bei der Strontium halt, war in diesem
Falle die Wiederherstellung nicht mehr geglückt.
Daß die Hypertonie nicht das wirksame Moment ist, zeigte sich darin, daß
gleich starker Zusatz von NaCl sogar die Leistungsfähigkeit erheblich steigerte.
Nachdem unsere Versuche einwandfrei den hemmenden Einfluß
des Strontiums auf das peripherische Nervensystem dargelegt hatten,
blieb noch die Aufgabe, wo der Hauptangriffspunkt des Strontiums
zu suchen ist und ob sonst noch andere Momente, etwa Beeinflussungen
reflektorischer Art von seiten des zentralen Nervensystems, wesentlich
mitsprächen.
Eine besondere Bedeutung schien uns hierbei die Frage zu spielen,
ob bei dem Strontium eine echte Curare- oder eine curareähnliche
Wirkung auf die motorischen Nervenendigungen in Betracht käme.
Letzteres schien uns von vornherein wahrscheinlich, da bei den übrigen
zweiwertigen Erdalkalionen eine derartige Beeinflussung unverkennbar
ist. Es darf wohl heute mit Sicherheit angenommen werden, daß diese Wir¬
kung — die wir von vornherein als eine Pseudocurarewirkung bezeich¬
nen möchten — bei den Erdalkalien auf einer Störung der übereinstim¬
menden Geschwindigkeit des Reagierens zwischen peripherem Nerv
und Muskel beruht, wie das Boruttau bereits früher auseinander¬
gesetzt hat. Nicht so bei der echten Curarewirkung. Zwar hatte das
Ehepaar Lapieque 1 ) die ,,Störung der Resonanz“ als das Wesender
Wirkungsweise auch des Curare und der verwandten Stoffe angenommen,
diese Deutung kann aber schon durch die Feststellung Gartens 2 ),
daß ja das Curare auf den peripheren Nerven als solchen überhaupt
keinen Einfluß hat, sowie durch die Untersuchungen Böhms 3 ) und
Boruttaus 4 ) als widerlegt gelten. Anders steht es anscheinend mit dem
Einfluß der verschiedenen Stoffe auf die peripheren Synapsen, für welche
Wiechmann 5 ) die Wirkung als allgemeingültig angenommen hat.
Während also in diesem eben genannten Punkte, nämlich der Wirkungs¬
weise auf die Synapsen des Curare und Magnesiums — für dieses hat
Meitzer die echte Curarewirkung nachgewiesen — einerseits, der zwei¬
wertigen Erdalkalien andererseits auf eine Übereinstimmung zu rechnen
1 ) Lapieque, Compt. rend. de la soc. debiol. 65, 733. 1909; 68, 1067. 1910.
2 ) Garten, Arch. f. experim. Path. 68, 243. 1912.
3 ) Böhm, Arch. f. experim. Path. 63, 177. 1910.
4 ) Boruttau, Zentralbl. f. Physiol. 31 , 303. 1917.
5 ) Wiechmann, Berichte f. d. ges. Physiol. t, 174. 1920.
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Untersuchungen über die Pharmakologie des Strontiums.
225
war, konnten wir erwarten, daß sich in anderen Momenten und so
auch in bezug auf die periphere Anästhesierung wesentliche Unterschiede
in betreff der Angriffspunkte ergeben würden.
Hierauf schien uns schon die Stellung des Strontiums zwischen
dem körpereigenen Calcium und dem so giftigen Barium bestimmte
Wege zu weisen.
Die Versuche wurden alle unter den gleichen Bedingungen an
Fröschen angestellt. Die linke Arteria femoralis des Frosches wurde
jeweils unterbunden und ihm hierauf bestimmte Mengen der Lö¬
sungen in die Lymphsäcke injiziert. Nach Resorption der Quaddeln
wurden links und rechts an den beiden freigelegten und zentral unter¬
bundenen Nervi ischiadici indirekte und an den Musculi gastrocnemii
direkte Reizungen vermittels Einzelschlägen und Tetanisierung vor¬
genommen und die Schwellenwerte beim ersten Eintritt einer Reaktion
notiert. Wir arbeiteten dabei mit einer Primärspannung von 2 Volt
(1 Akkumulator) und benutzten ständig den Eisenkern.
Versuch I. 15. X. 1921. 10 Uhr 30 Min. vormittags.
Injektion von 5 ccm einer vierfach isotonischen SrCl 2 -Lösung.
10 Uhr 45 Min. Atmungsstillstand, Reflexe stark herabgesetzt.
Tetanisierung
Reizung
links
rechts
indirekt
340
310—300 1 ^ ,
direkt
160
| Rollenabstand in mm
1 Uhr 15 Min. Schenkel werden isoliert.
Einzelschläge
indirekt
ö 310
ö 270
direkt
ö 190
ö 210
S 160
S 190
Ö = Öffnungsinduktionsschlag, S =
Schließungsindnkt ionsschlag.
Versuch II. 17.
X. 1921. 12 Uhr 45 Min. vormittags.
Injektion von 5
ccm einer doppelt isotonischen MgCl 2 -Lösung. Schnelle Re-
spirationslähmung.
Tetanisierung
Reizung
links
rechts
direkt
250
280 1 _ „
indirekt
310
140 I R°^ ena " 8 ^ an( i ln mrn
Einzelschläge
direkt
ö 150
ö 180
indirekt
ö 140
unerregbar
Versuch III. 18. X. 1921. 11 Uhr vormittags. Injektion von 2 ccm einer
doppelt isotonischen SrCl 2 -Lösung.
Tetanisierung
Reizung
links
rechts
direkt
170
180
indirekt
460
420
Einzelschläge
indirekt
ö 330
Ö 340
Difitized
by Google
Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
226
II. Boruttau und K. Grassheiin:
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Versuch IV. 21. X. 1921. 11 Uhr 20 Min. vormittags. Injektion von 5 ccm
einer doppelt isotonisehen MgCl 2 -Lösung nach 30 Minuten:
Einzelschläge
Reizung
links
rechts
indirekt
ö 320
Ö 160
S 300
S 130 1
direkt
Ö 170
Ö 170 ( R°^ ena b s i ar| d in mm.
S 140
S 140
Tetanisierung
indirekt
350
160
direkt
180
180
Nach 2 Stunden:
Einzelsehläge
Reizung
links
rechts
direkt
ö 180
Ö 140
S 150
S 100
indirekt
Ü 300
Ö 0
>S 220
S 0
Tetanisierung
indirekt
270
0
direkt
140
120
Aus den eben wiedergegebenen Versuchen dürfte der Unterschied
zwischen dem Strontium und dem Magnesium in bezug auf ihre Curare-
wirkung deutlich hervorgehen. Überblicken wir nochmals kurz die Wir¬
kungsweise des Strontium auf das periphere Nervensystem, so ergibt
sieh folgendes Bild: Sowohl auf die sensiblen als auch auf die
motorischen Nervenstämme übt das Strontium eine hem¬
mende Wirkung aus. Die Herabsetzung der Erregbarkeit, die
der Gruppe der Erdalkalien in ihrer Gesamtheit eigen ist, äußert sich
bei elektrischer Prüfung am Kaltblüternerv in einer Ver¬
längerung des zeitlichen Ablaufs der Aktionsströme, und
zwar steht das Strontium auch hier zwischen dem Calcium
und dem Barium, indem es stärker als ersteres und schwächer als
letzteres in genanntem Sinne seine Beeinflussung geltend macht 1 ).
In der praktischen Auswirkung, nämlich der Leistungsfähig¬
keitsverminderung wozu auch eine Herabsetzung der Lei¬
tungsgeschwindigkeit gehört, ähnelt es so dem Magnesium,
ebenso wie auch die Aufhebung ihrer Wirkung durch geeig¬
nete Behandlung mit physiologischen Salzgemischlösungen
bei beiden erreicht werden kann. Allerdings ist zu bemerken, daß
gerade den Nerven gegenüber die schädigende Wirkung des Strontiums
im Vergleich zu äquimolekularen Lösungen von Magnesium intensiver
zu sein scheint und das Strontium bei geeigneter Konzentration schon
zu den irreversiblen Schädigungen, welche das Barium hervorrufen
kann, überleitet. Über die Toxizität im speziellen wird noch weiter
unten die Rede sein.
*) Siehe auch die vorläufige Mitteilung des einen von uns (B.) im Zentral bl. f.
Physiol. 31 , 1. 1916.
Gck igle
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Untersuchungen über die Pharmakologie des Strontiums.
227
Wesentliche Unterschiede bestehen zwischen dem Stron¬
tium und Magnesium in den Angriffspunkten, an welchen
beide Elemente ansetzen. Während das Magnesium eine
durchaus curareartige Wirkung besitzt, kann man beim
vStrontium nur von einer Pseudocurarewirkung sprechen,
d. h., es hat keinen lähmenden Einfluß auf die motorischen
Nervenendigungen, sondern wirkt nur hemmend auf die
peripherischen Nervenfasern in ihrem Verlauf, wie wir durch
geeignete Versuche an Kaltblütern fessteilen konnten.
Noch mehr als am peripheren Nervensystem machen sich die grund¬
legenden Unterschiede zwischen Magnesium und Strontium in ihrer
Beziehung zum zentralen Nervensystem bemerkbar.
Meitzer konnte durch subcutane Einspritzung von geeigneten
Dosen von Magnesiumsalzlösungen eine ziemlich langdauemde tiefe
Narkose mit vollständiger Muskelerschlaffung erwirken, von der sich
die Tiere wieder ganz erholten. Es zeigte sich also hiermit, daß das Magne¬
sium den echten Narkoticis sehr nahe steht.
Das Material, an dem Meitzer und Auer ihre diesbezüglichen
Versuche angestellt haben, ist reichlich und mannigfach. Sie hatten
Kaninchen, Katzen, Hunde, Meerschweinchen, Hühner und Frösche
zur Verfügung und kommen zu dem Schluß, daß die wirksame Dosis
zwischen 1 und 2 g pro Kilo Körpergewicht liegt und daß im allgemeinen
eine Anästhesie mit 1,5 g des Salzes pro Kilo Körpergewicht bei fast
allen Tieren erreicht wird. Letztere Dosis hatten sie besonders für
Kaninchen, mit denen auch wir experimentierten, als untere Grenze an¬
genommen, während sie vor Dosen über 1,75 g warnen, da dann die Ge¬
fahr der Atemlähmung sehr groß sei.
Wir konnten bei unseren Versuchen beobachten, daß nicht nur bei
den verschiedenen Tierarten, wie Meitzer und Auer beschreiben,
Unterschiede bestehen, sondern daß auch innerhalb der Tierspezies
selbst individuelle Schwankungen in betreff des Vertragens der einzelnen
Dosen zweifellos vorhanden sind. So verloren wir ein Tier, das nur
1,72 g pro Kilo Körpergewicht erhalten hatte, während ein zweites
überhaupt erst durch 2,4 g Magnesiumchlorid pro Kilo Körpergewicht
in Narkose gebracht werden konnte. Auch hier bedienten wir uns zum
Vergleich äquimolekularer Lösungen und geben in folgendem die ange-
stellten Versuche kurz wieder.
Versuch I. 19. X. 1921. 12 Uhr 20 Min. Vormittage.
Kaninchen I, 1130 g schwer, Kaninchen II, 1140 g schwer. Beide Kaninchen
erhalten äquimolekulare Lösungen, die 1,6 g pro Kilo Körpergewicht entsprechen,
und zwar: Kaninchen: I 7 ccm einer MgCl 2 - und Kaninchen II die gleiche Menge
einer ebenso berechneten SrCl 2 -Lösung. Nach 50 Minuten war bei beiden Tieren
noch keine Veränderung des Befindens eingetreten, Lidreaktion bei beiden noch
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228
H. Boruttau und K. Grassheiin:
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vorhanden. Daraufhin wurden nochmals 0,8 g der betreffenden Salze in Lösung
gegeben (wieder subcutan). Daraufhin ist Kaninchen I nach 30 Minuten in völliger
Narkose mit Erloschensein aller Reflexe, woraus es erst nach 2 Stunden wieder
erwacht. Kaninchen II macht einen matten und trägen Eindruck, alle Reflexe
sind jedoch auslösbar; von einer Narkose ist nicht die Rede.
20. X. 1921. Beide Kaninchen leben. I ist vollkommen frisch, II erscheint
noch etwas matt.
Versuch II. 20. X. 1921. ^11 Uhr vormittags.
Kaninchen I, 850 g, Kaninchen II, 1525 g.
11 Uhr 20 Min. Subcutane Injektionen von Lösungen, die 1,72 g der Salze
pro kg Körpergewicht entsprachen. (Kaninchen I: MgCl 2 , Kaninchen II: SrC^.)
5 Minuten nach der Injektion befindet sich Kaninchen I in tiefer Narkose.
Bereits nach 10 Minuten tritt völliger Atemstillstand ein. Die Atmung bleibt
trotz manueller Wiederbelebungsversuche und trotz Injektion von 5 ccm einer
5proz. CaCl 2 -Lö8ung dauernd fort. 45 Minuten nach der ersten Injektion wird
das Tier seziert, es stellt sich heraus, daß das Herz noch schlägt, das Tier ist also
nur „scheintot“ gewesen.
Auch diesmal konnten bei Kaninchen II keinerlei Andeutungen von Narkose
gefunden werden.
Zur Prüfung wurde nochmals einem Kaninchen von 1310 g Gewicht eine
Magnesiumchloridlösung subcutan injiziert, deren Konzentration einem Gehalt
des Salzes von 1,6 g pro kg Körpergewicht für das Tier entsprach. Nach 20 Minuten
trat Grenznarkose ein, aus der das Tier nach weiteren 40 Minuten wieder frisch
erwachte. $ w
Es ergibt sich also, daß das Strontium auf das Zentral¬
nervensystem nicht im mindesten die stark narkotisierende
Wirkung ausübt wie das Magnesium. Allerdings war im Gegen¬
satz zu diesem auch eine schädigende Wirkung auf das Atemzentrum
beim Strontium nicht zu verzeichnen. Erwähnenswert erscheint uns
aber doch, daß die Tiere, denen Strontium injiziert war, im ganzen
träger wurden, und daß diese Trägheit, die wir wohl den peripherischen
Einflüssen des Sr auf motorische und sensible Nerven zuschreiben
müssen, bedeutend länger anhielt als bei den mit Mg behandelten Tieren,
welche aus ihrer Narkose erwacht, sofort wieder frisch und völlig erholt
waren.
Wie gering in der Tat der Einfluß des Strontium auf das Großhirn
ist, geht weiterhin aus dem folgenden Versuch hervor, bei welchem wir
bei einem Kaninchen nach Freilegung des Großhirns die Rindenerregbar-
keit vor und nach Injektionen von Strontiumlösungen prüften. Die elek¬
trische Reizung der einzelnen Felder erfolgte gleichmäßig mir einer pri¬
mären Spannung von 4 Volt (2 Akkumulatoren); bei der Ablesung des
Rollenabstandes ist zu berücksichtigen, daß wir hier auch den Eisenkern
anwandten.
Versuch: 3. XL 1921. Kaninchen, männlich 3625 g.
1 Uhr: Trepanation und Freilegung des linken Großhirns in Chloroform*
Athemarkose.
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Untersuchungen über die Pharmakologie des Strontiums.
229
1 Uhr 20 Min.: erste Reizung des linken motorischen Rindenfeldes. Eintritt
der Reaktion an der rechten Vorderextremität beim Rollenabstand von 120 mm.
Linkes Rindenfeld — rechte Hinterextremität; Rollenabstand 115 mm.
1 Uhr 25 Min.: subcutane Injektion von 15 ccm einer molekularen SrCl 2 -
Lösung.
1 Uhr 45 Min.: Reizung linkes Rindenfeld — rechte Vorderextremität; Rollen¬
abstand 120 mm; linkes Rindenfeld — rechte Hinterextremität, Rollenabstand
100 mm.
1 Uhr 50 Min.: tritt Zwangsstellung des Kopfes ein. Kopf- und Halswirbel¬
saule sind halb links gedreht.
3 Uhr: Reizung linkes Rindenfeld — rechte Vorderextremität: 105 mm —
Tier springt plötzlich auf, danach noch stärkere Zwangsstellung und Drehung des
Kopfes. Reizung linkes Rindenfeld, rechte Hinterextremität; Rollenabstand
105 mm.
Wir dürfen also wohl aus alledem schließen, daß in therapeutischer
Hinsicht das Strontium wohl eine Einwirkung auf das peripherische
Nervensystem im oben genannten Sinne besitzt, daß aber die Versuche,
die Epilepsie zu beeinflussen, wie das hauptsächlich in Frankreich
geschehen ist, wenigstens mit den bisher angewandten Strontiumver¬
bindungen eine Berechtigung nicht besitzen.
Zum Schluß der Betrachtungen über die Wirkung des Strontiums
auf das Nervensystem seien noch die Versuche mitgeteilt, die wir an Kalt¬
blütern unter Ausschaltung des Großhirns hinsichtlich der Beeinflussung
der unterhalb desselben gelegenen Reflexbahnen angestellt haben.
Fröschen wurde zunächst das Großhirn mittels Trepanation frei¬
gelegt und exstirpiert. Nachdem sie sich erholt hatten — meist nach
24 Stunden — wurde die normale Reflexzeit auf Reiz mittels Eintauchens
beider Hinterfüße in zehnfach verdünnter Schwefelsäure festgestellt
und darauf die Injektionen mit äquimolekularen Lösungen in die Lymph-
säcke vorgenommen. In gleichen Abständen wurden dann die Reflex¬
zeiten erneut geprüft und notiert. Wo keine Gewichtsverhältnisse an¬
gegeben sind, handelt es sich um ungefähr gleich schwere Tiere.
1. Versuch. 7. X. 1921.
Frosch I.7 Sekunden j
Frosch II.3 Sekunden > normale Reaktionszeit.
Frosch m .... 4 Sekunden J
Injektion von doppelt isotonischen Lösungen: 5 ccm.
NaCl Frosch (I)
SrCl 2 Frosch (II)
CaCl 2 Frosch (HI)
nach
6 Sek.
7 Sek.
4 Sek.
10 Min.
12 Sek.
8 Sek.
3 Sek.
20 Min.
8 Sek.
8 Sek.
3 Sek.
30 Min.
11 Sek.
9 Sek.
8 Sek.
60 Min.
10 Sek.
6 Sek.
5 Sek.
90 Min.
Frosch III ist durch die Injektion ziemlich stark mitgenommen. Nach 24 Stun¬
den Reaktionszeit: Frosch I ?; Frosch II 4 Sek., Frosch in 6 Sek. Statt des
NaCl-Frosches, der ungleich reagiert, wird ein anderer dekapitierter Frosch ge¬
nommen. Seine normale Reaktionszeit beträgt 2 Sek.
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230
11. Boruttau und K. Grassheim:
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Ia. 8. X. 1921. Injektion von vierfach isotonischen Lösungen
XaCl-Fr. SrCl 2 -Fr.
1 Sek. 5 Sek.
2 Sek. 9 Sek.
4 Sek. 8 Sek.
Bewegungen des CaCl 2 -Fr. träge.
CaCl 2 -Fr. nach:
2 Sek. 10 Min.
2 Sek. 40 Min.
3 Sek. 70 Min.
Befinden der beiden Frösche gut.
Versuch II/ 10. X. 1921. Strontium-Fr. tot. Neuer Frosch dafür mit Re¬
aktionszeit von 2 Sek. Außerdem wird ein weiterer Frosch für Injektionen mit
MgCl 2 präpariert. Beide erhalten 5 ccm einer vierfach isotonischen SrCl 2 resp.
\IgCl 2 - Lösung.
SrCL-Fr.
MgCL nach
2 Sek.
sofort tot 5 Min.
4 Sek.
10 Min.
7 Sek.
15 Min.
8 Sek.
20 Min.
Nach 35 Min. ist auch der Strontium-Fr. tot.
Ein neuer (sehr kleiner) Frosch wird für Injektion einer dreifach isotonischen
Lösung genommen. Normale Reaktionszeit 2 Sek. Reaktionszeit nach der In¬
jektion:
Nach 5 Min.1 Sek.
10 Min.2 Sek.
15 Min.5 Sek.
Nach 2 Stunden ist der Frosch tot.
Versuch III. 10. X. 1921.
Frosch I NaCl 36,5 g schwer, 1 Sek. normale Reaktionszeit,
Frosch II SrCl 2 50,5 g schwer, 2 Sek. normale Reaktionszeit,
Frosch III CaClo 34 g schwer, 2 Sek. normale Reaktionszeit,
Frosch IV MgCljj 26 g schwer, 4 Sek. normale Reaktionszeit,
Frosch Ha SrCl 2 37 g schwer, 2 Sek. normale Reaktionszeit.
Es erhalten Frosch I und II je 5 ccm, Frosch III und Ha je 3 ccm und Frosch
[V 2 ccm einer doppelt molekularen Lösung des betreffenden Salzes injiziert.
Frosch IV ist in schwerer Narkose. Reaktionszeit nach 2 Stunden:
Frosch I II III IV Ha
2 Sek. 13 Sek. 4 Sek. 17 Sek. 5 Sek.
Frosch II ist 3 Stunden nach der Injektion tot.
Ha. Am 13. X. 1921 wurden nochmals dem Frosch Ila 2 ccm einer doppelt
molekularen Lösung injiziert. Reaktionszeit nach:
10 Min.9 Sekunden,
40 Min.13 Sekunden,
70 Min.23 Sekunden,
80 Min.24 Sekunden.
Folgendes sei aus den eben wiedorgegebenen Versuchen hervor¬
gehoben. Ganz allgemein vermögen NaCl-Lösungen weder hemmende
noch erregbarkeitssteigernde Wirkung auszuüben. Dies ergab sich
bei allen Konzentrationen, die wir an wandten. Ebenso ist die Wirkung
des Calciums nur gering. Anders verhalten sich Strontium und Magne¬
sium. Hier ist der hemmende Einfluß bereits von doppelt molekularen
Gck igle
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Untersuchungen über die Pharmakologie des Strontiums.
231
Lösungen deutlich. Allerdings nimmt damit auch die toxische Wirkung
zu. Interessant ist hierbei der Vergleich, den wir bei Versuch II an¬
stellen konnten. Nach Einspritzung von 5 molekularen Lösungen
verfiel der Magnesiumfrosch sofort in allgemeine Starre, fiel nach
plötzlichem, kurzem Aufsprung auf den Rücken und blieb tot liegen,
während der Strontiumfrosch noch 35 Min. lebte. Bei ihm sowie bei
den übrigen Strontiumfröschen trat der Tod durch Herzstillstand ein,
während beim Magnesium die Todesursache eine zentrale Lähmung ist,
welche sich im Aufhören der Atembewegungen äußert. Besonders be¬
weisend ist hierfür auch der Versuch mit subcutanen Injektionen
am Kaninchen, den wir oben beschrieben. Die tödliche Dosis ist beim
Kaltblüter, und zwar bei subcutaner Injektion für das Strontium
höher anzusetzen als für das Magnesium. Sie entspricht ungefähr einer
Menge von 2,5 g des Chlorids pro Kilo Köi pergewicht.
Etwas besser als über die Einflüsse des Strontiums auf das Nerven¬
system sind wir, wenigstens in großen Zügen, aus bereits vorliegenden
Arbeiten über seine Wirkung auf das Herz und die Gefäße unter¬
richtet. Da der eine von uns (G.) an anderer Stelle ausführlich über
«die Wirkung des Strontiums auf Herz und Gefäße berichten wird,
soll hier nur eine kurze Darstellung folgen.
Es geht aus den bisher veröffentlichten Arbeiten hervor, daß auch
auf das Herz schwächere, d. h. molekulare Lösungen dieselbe Wirkung
haben, wie sie der eine von uns (G.) bereits bei den peripherischen
Nerven beobachten konnte: sie steigern nämlich [wie schon Rutke-
witsch 1 ) in seiner Arbeit ausführt] die Reizbarkeit und Con-
tractilität des Herzmuskels. Umgekehrt aber rufen stärkere Lösungen
auch hier eine Herabsetzung der Reizbarkeit hervor. Diese Herabsetzung
kann nun so weit gehen, daß — wie bereits oben gezeigt — völliger Herz¬
stillstand eintritt, und hierin zeigt sich wiederum der Übergang zu den
irreversiblen Schädigungen, dem wir schon beim Nerven begegnet sind.
Ob die Ursache dort dieselbe ist, möchten wir dahingestellt sein lassen,
jedenfalls liegt sie aber beim Herzen in einer Zustandsänderung der
Eiweiß- und Lipoidkolloide durch das Strontium, wie sie nach Bech-
hold 2 ) in noch viel ausgeprägterem Maße bei den Schwermetallsalzen
zu finden ist.
Andererseits ist in gewissen Fällen die therapeutische Beeinflussung
von Herzschädigungen bei geeigneter Konzentration ganz unverkennbar.
Das geht besonders aus den Untersuchungen hervor, die der eine von
uns (B.) über das Kammerflimmem des überlebenden Warmblüter¬
herzens und seine Beeinflussung angestellt hat 3 ).
x ) Rutkewitsch, Pflügers Aroh. f. d. ges. Physiol. 129 , 457. 1909.
2 ) Bechhold, Die Kolloide in der Medizin und Biologie, 2. Aufl., S. 413.
3 ) Boruttau, Zeitschr. f. experim. Pathol. 29, H. 1. 1919.
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII 16
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232 H. ßoruttau und K. Grasshoim:
Boruttau hatte nämlich gezeigt, daß das Nachflimmem, welches
er durch Wechselströme bestimmter Breite der Frequenz und Intensität
an überlebenden Katzen- und Hundeherzen erzeugte, durch Speisung
des Herzens mit Strontium oder Bariumlösung verhütet, vermindeit
oder aufgehoben werden kann. In diesem Punkte besteht also ein aus¬
gesprochener Gegensatz zu dem Calcium, was im engen Zusammenhang
mit dem bereits bei der Besprechung der Aktionsströme angeführten
Antagonismus zwischen letzterem und dem Kalium stehen dürfte.
Die Grundlage dieser Verminderung der Neigung zum Flimmern dürfte
darin zu suchen sein, daß das Strontium und mehr noch das Barium
die Erregungsdauer der Myokardzelle sowohl bei künstlicher als auch
bei automatischer Erregung wesentlich vergrößert, wie von R. Mines 1 )
und von Boruttau am Aktionsstrom und an der mechanisch registrier¬
ten Systole gezeigt wurde. Mit dieser Verlängerung der Erregungsdauer
ist natürlich auch eine Verlängerung des Refraktärstadiums verbunden,
und da nach den neueren Arbeiten von De Boer 2 ) und von Lewis 3 )
kein Zweifel möglich ist, daß Verkürzung der Refraktärperiode und
Wirksamwerden im Kreise fortgeleiteter, zum Ausgangsort zurück¬
kehrender Erregung die Grundlage des Herzflimmems bildet, so ist die
Flimmern verhütende Wirkung des Strontiums ohne weiteres verständ¬
lich.
Weiterhin aber zeigt das Strontium gerade hierin auch eine verwandte
Wirkung zu einem echten Cardiacum, nämlich dem Campher. Auch
dieses ist imstande, die Neigung sämtlicher Herzabteilungen zum Flim¬
mern herabzusetzen, wie das in Bestätigung früherer Angaben von
Seligmannu.a.Boruttau nachgewiesen hat. Es hat also der Gebrauc h
des Strontiums als Herzmittel durchaus eine gewisse, auf pharmakolog¬
ische Eigenschaften beruhende Berechtigung, zumal auch noch andere
Momente, die an die Wirkung der Digitalis erinnern, nämlich eine Ver¬
langsamung der Schlagfolge und Hebung der systolischen Arbeit mit¬
sprechen.
Was den Blutdruck anbetrifft, so war nach dem, was wir über das
Calcium und Barium wissen, auch beim Strontium eine Steigerung zu
erwarten. Dieselbe trat nach intravenöser Injektion beim Kaninchen
deutlich auf. Da die Kurve an anderer Stelle veröffentlicht werden soll,
sei hier auf näheres Eingehen verzichtet.
Im Gegensätze zu dem dauernden Abfall des Blutdruckes nach Mag¬
nesium ist also beim Strontium eine schnell eintretende Steigerung des
Blutdruckes nach einer primären, rasch wieder ausgeglichenen Senkung
zu beobachten. Auch hierin steht das Strontium zwischen dem Calcium
1 ) Mines, »Journ. of Physiol. 46 , 188. 1913.
2 ) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 118 , 1 . 1920; 181 , 193. 1921.
3 ) British Medical Journal, Nr. 3146. 1921. (Zusamraenfassend.)
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Untersuchungen über die Pharmakologie des Strontiums.
233
und dem Barium, aber es ist unverkennbar, daß seine Stellung viel näher
dem Calcium als dem letztgenannten ist. Bekanntlich besitzt das
Barium eine sehr intensive Wirkung auf Herz und Gefäßmuskulatur,
die es — wenn nicht die starke Giftigkeit dagegen spräche — als Ersatz
der Digitaliskörper und des Adrenins geeignet erscheinen ließe.
Dabei ist die spezifische Affinität zum Herzmuskel, welche sich beson¬
ders in toxischer Hinsicht geltend macht, unverhältnismäßig größer
als beim Calcium und beim Strontium. Bei einem unserer Versuche
an Kaninchen, die wir mit intravenösen Einspritzungen äquimoleku¬
larer Lösungen dieser drei Salze in gleichen Mengen machten (es handelte
sich um 1 / 10 molekularer Konzentrationen), war die blutdrucksteigemde
Wirkung des Calciums eben merkbar, das Strontium zeigte schon deut¬
liche Erhöhung des Druckes, das Barium bewirkte nach wenigen Se¬
kunden, in welchen wie auch bei den beiden anderen eine initiale,
aber hier endgültige Senkung zu beobachten war, völligen Herzstill¬
stand und Tod des Tieres. Inwieweit hier zentrale Wirkungen mitgespro¬
chen haben, soll nicht näher erörtert werden; jedenfalls ist aber sicher,
daß in der Beeinflussung sowohl des Blutdrucks als auch des Herzschlags
von den drei Salzen dem Strontium die praktisch günstigste Wirkung
zukommt.
n;*
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(Aus dem Pathologischen Institut des Auguste*Viktoria-Krankenhauses Berlin-
Schöneberg [Direktor: Prof. Dr. C. Hart].)
Störungen der Adrenalinbildung in den Nebennieren unter
äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung.
Von
Dr. Bruno Peiser.
Assistenten des Instituts.
(Eingegangen am 17. Januar 1922.)
Die Meinungsverschiedenheit darüber, ob man unter Konstitution
nur etwas Ererbtes oder auch Erworbenes zu verstehen habe, macht
sich fast in jeder Abhandlung über das Konstitutionsproblem geltend.
Wenn man den Gegensatz zwischen den beiden Ansichten, wie er bei¬
spielsweise eben wieder in den unmittelbar aufeinanderfolgenden Ab¬
handlungen Rö88les l ) und Toenniessens 2 ) zum Ausdruck kommt, sieht,
so läßt sich schwer einsehen, wie es zu einer Einigung kommen könne.
Die Erfahrung geht aber über diesen Streit der Meinungen hinweg, die
Erforschung der Tatsachen schreitet vorwärts, zu denen zunächst
einmal auch die streng wissenschaftliche Feststellung gehört, was im
Einzelfalle als aus dem ererbten Ahnengut stammend, was als während
des Lebens erst erworben zu gelten hat. Oft genug ist schon darauf hin¬
gewiesen w r orden, daß diese Unterscheidung in vieler Hinsicht äußerst
schwierig, ja geradezu unmöglich ist. Da ihr aber eine grundsätzliche
Bedeutung zukommt, ist ihre möglichst weitgehende Durchführung eine
der wichtigsten Aufgaben der Konstitutionsforschung.
Das gilt namentlich auch für das endokrine System, dessen Bedeu¬
tung für die individuelle Konstitution wir von Tag zu Tag höher ein¬
schätzen. Ergibt sich doch immer deutlicher der tiefgreifende Einfluß
der innersekretorischen Organe auf Wachstum und Gestaltung, auf alle
Lebens Vorgänge des Organismus, und werden wir damit doch immer
mehr auf die besondere Bewertung des endokrinen Systems hingewiesen,
1 ) Bossle, Rudolf Virchow und die Konstitutionspathologie. Münch, med.
Wochenschr. 1921, S. 1274.
2 ) Toenniessen, Vererbungsforschung und innere Medizin. Ergebn. d. inn.
Med. u. Kinderheilk. 17 . 1919. — Konstitution und Körperzustand. Münch, med.
Wochenschr. 1921, S. 1341.
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B. Peiser: Störungen der Adrenalinbildung in den Nebennieren usw. 235
insofern, wie Bauer 1 ) treffend bemerkt, seine Partialkonstitution,
sowohl was den einzelnen Teil als auch die Konstellation aller Teile
im großen System anbelangt, die Gesamtkonstitution des Organismus
in ganz anderer Weise beeinflußt, als es die Partialkonstitution irgend¬
eines anderen Organes zu tun vermag. Mit der Forderung, für jedes
Individuum die endokrine Konstellation, die ,,pluriglanduläre Formel“
(Stern) genau zu bestimmen, was freilich auf große Schwierigkeiten
stoßen muß, wird dies deutlich zum Ausdruck gebracht. Nicht mit
Unrecht bezeichnet Hart 2 ) das endokrine System als Träger der Kon¬
stitution des Individuums, der Rasse, der Art überhaupt, indem er
darauf verweist, daß die Bedeutung des endokrinen Systems offenbar
weit über das einzelne Individuum, über die Ontogenese hinausgeht,
sondern auch in der Phylogenese, in den unmerklichen Wandlungen,
die fortlaufend sich auch jetzt abspielen müssen, geltend mache. Gerade
in letzterer Hinsicht verdient das endokrine System besondere Be¬
achtung, nachdem Tandler 3 ) die Vererbung erworbener Eigenschaften
durch somatische Induktion auf dem Wege über endokrine Organe
angenommen und Hart?) bemüht gewesen ist, diese allgemein gehaltene
Annahme auszubauen und vor allem auf eine gesicherte Grundlage zu
stellen. Es besteht heute eine weit verbreitete Neigung, pathologische
Konstitutionstypen, wie den Status thymico-lymphaticus, Infantilismus,
Eunuchoidismus und auch Stillers Asthenia universalis zu erklären
aus einer besonderen, kranldiaften Einstellung des endokrinen Systems,
und wie bei Bartels hypoplastischer Konstitution hat man wohl auch
von „pathologischen Rassen“ gesprochen. Dagegen will ich nichts
einwenden, denn aus Harts Versuchen läßt sich wohl mit Recht die
Annahme ableiten, daß unter der Wirkung der endokrinen Drüsen die
Bildung physiologischer Rassen wenigstens mit zustande gekommen ist,
wie es z. B. der engliche Forscher Keith 5 ) ohne sichere Begründung und
gewiß nicht ohne Übertreibung behauptet hat. Warum sollte das also
nicht für die Bildung pathologischer Rassen gelten, mindestens ins Auge
zu fassen sein ? Die wichtige Frage ist aber die: Handelt es sich in allen
jenen Fällen pathologischer Konstitutionstypen um den sichtbaren
anatomisch funktionellen Ausdruck einer abnormen Konstitution im
*) Bauer , Die konstitutionelle Disposition zu inneren Krankheiten. Springer,
Berlin 1921.
*) Hart , Konstitution und endokrines System. Zeitsehr. f. angew. Anat. u.
Konstitutionslehre €. 1920.
s ) Tandler , Konstitution und Rassenhygiene. Zeitschr. f. ang. Anat. u. Kon¬
stitutionslehre I. 1913.
4 ) Hart, Über die Vererbung erworbener Eigenschaften. Berl. klin. Wochen -
sehr. 1920, Nr. 28.
5 ) Keith , Arthur , On the differentiation of mankind into racial types. Laneet.
1919, Nr. 5012.
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236
B. Peiser: Störungen der Adrenalinbildung
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Sinne einer in den Erbanlagen begründeten, von den Voreltern über¬
kommenen individuellen Eigenart, oder aber ist mit der Möglichkeit
irgendeiner Schädigung während des Individuallebens zu rechnen, sei
sie auch noch so früh erfolgt und gehe sie selbst zurück über den Augen¬
blick der Kopulation der Keimzellen auf eine Schädigung dieser noch
im elterlichen Organismus? Bedenkt man, daß, wie Hart 1 ) im Hin¬
blick auf die Ansicht Fischeis 2 ) z. B. bemerkt, der Wirkung endokriner
Organe auf die Entwicklung der Frucht gegen die Einnistung des be¬
fruchteten Eies hin fast keine Grenze zu setzen ist, so wird klar, wie
schwer jene Frage zu beantworten ist. Aber nicht einmal da, wo die
Beobachtung und Forschung eher Erfolge verspricht, herrscht Klarheit
und wir wissen eigentlich herzlich wenig über die Veränderungen der
endokrinen Organe unter den Einflüssen des täglichen Lebens und ihrer
Auswirkungen auf den Organismus.
Wie wichtig wäre ein sicheres Urteil über den Wert der Vorstellung
Benekes 3 ), daß der Status thymico-lymphaticus eine erworbene Stoff¬
wechselstörung sei, die sich einleitet mit einer Atrophie der Neben¬
nierenrinde. Wie wichtig wäre es zu wissen, ob Curschmanns „Blut¬
drüsenschwächlinge“ das von Haus aus sind oder erst infolge der mannig¬
fachsten Schädigungen während des Lebens. Erst bei einer klaren
Beantwortung dieser Fragen kann man der weiteren nähertreten,
ob etwa eine erworbene Schädigung des endokrinen Systems zur Bildung
nicht nur eines rein individuellen abnormen Körperzustandes, sondern
eines vererbbaren pathologischen Konstitutionstyps führt.
Unter den endokrinen Organen nehmen die Nebennieren eine be¬
sondere Stellung ein, weil wir in dem Adrenalin das von ihnen oder
vielmehr dem chromaffinen System gebildete Hormon kennen, wenn¬
gleich es heute von Gley 4 ) dieses Charakters zu entkleiden versucht wird.
Halten wir aber vorerst daran fest, daß das Adrenalin das einzige uns in
seiner chemischen Konstitution bekannte innere Sekret — wir bei¬
behalten diesen Ausdruck absichtlich gegenüber dem von Roux ein¬
geführten und namentlich von Abderhalden gebrauchten Wort „Inkret“,
worunter die Pathologen schon seit langem etwas ganz anderes ver¬
stehen 5 ) — ist, so sind auch die Nebennieren das geeignetste Organ
x ) Hart , Konstitution und Disposition. Lubarsch-Ostertag8 Ergn. d. allgem.
Pathol. u. pathol. Anat. £0, Abt. 1. 1922.
2 ) Fischei , Die Bedeutung der entwicklungsgeschichtlichen Forschung für die
Embryologie und Pathologie des Menschen. Roux. Vortr. u. Aufs, über Entwick¬
lungsmechanik. 1912, H. 4.
3 ) Beneke , Kriegspatholog. Tagung in Berlin. Zentral bl. f. allg. Pathol. u.
pathol. Anat. £7, Beih. 3. 1916.
4 ) Gley , Die Lehre von der inneren Sekretion. 1920.
6 ) Beneke , Sekrete, Exkrete, „Tnkrete“. Zentralbl. f. allg. Pathol. u. pathol.
Anat. 1921.
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in den Nebennieren unter äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung. 237
zu Untersuchungen über die endokrine Organfunktion unter den ver¬
schiedensten Einflüssen. Dabei wird freilich stets zu berücksichtigen
sein, daß das Nebennierenmark nur einen Teil des Adrenalins bildet
und es uns unmöglich ist, in exakten Zahlen die Menge des Adrenalins
anzugeben, die von den chromaffinen Elementen außerhalb der Neben¬
nieren namentlich etwa kompensatorisch gebildet wird.
Ohne im übrigen hier näher auf die Pathologie des chromaffinen
Systems einzugehen, sei nur kurz darauf verwiesen, daß sie in der
Konstitutionslehre eine große Rolle spielt. Wir kennen die Wichtigkeit
des Adrenalins für den Tonus des Herz-Gefäßapparates, wir denken
daran, daß man auf seine ungenügende Bildung, vom Morbus Addisonii
ganz abgesehen, nicht nur Fälle plötzlichen Todes [Wiesel 1 )] zurück¬
geführt hat infolge Hypoplasie des chromaffinen Gewebes, sondern auch
sonst geneigt ist, unglückliche Zufälle während und nach der Operation
mit ihr zu erklären. In der Lehre vom Status thymico-lymphaticus
bzw. hypoplasticus und von den auf diesem Boden stehenden Krank¬
heiten, wie namentlich dem Morbus Basedowii, spielt die Hypoplasie
der Nebennieren bzw. ihres Markes eine wichtige Rolle. Im wesentlichen
stützt sich die Forschung auf morphologische Befunde, die nicht immer
einer strengen Kritik standhalten. Man kann wohl sagen, daß es nicht
nur unmöglich ist, die Menge des gesamten chromaffinen Gewebes genau
zu bestimmen, sondern daß selbst seine Bestimmung im Nebennieren¬
mark nicht leicht ist [Aschoff 2 )]. Man hat wohl auch zu wenig die
Nebenniere als Ganzes betrachtet. Wie Hart 2 ) ausgeführt hat, betrach¬
ten wir das Organ als eine funktionelle Einheit mindestens in bestimmter
Hinsicht, wenn uns auch ein völlig klarer Einblick in die Zusammen¬
arbeit zwischen der Rinde mit ihren Lipoiden und der Marksubstanz
mit den chromaffinen Zellen fehlt. Was man aber so gut wie gar nicht
beachtet hat, das ist die Frage, ob denn nun die in Fällen von Status
thymico-lymphaticus bzw. hypoplasticus oder sonst beobachtete
Hypoplasie und Hypofunktion des chromaffinen Gewebes, soweit es
in den Nebennieren liegt, eine ursprüngliche ist, oder ob es sich um
eine sekundäre Veränderung vorher normalen Gewebes handelt, also
um eine Atrophie unter irgendwelchen schädigenden Wirkungen.
Die Beantwortung dieser Frage ist es, die ich mir zur Aufgabe
gestellt habe, und ich glaube, daß es mir gelungen ist, zu ihrer Klärung
etwas beizutragen. Die Anregung kam aus verschiedener Richtung.
A ) Wiesel , Zur Pathologie des chromaffinen Systems. Virchows Arch. f. pathol.
Anat. u. Physiol. 116 . 1904.
2 ) Aschoff (und Cohn), Bemerkungen zu der Schur-Wiesel sehen Lehre von der
Hypertrophie des Nebennierenmarkes bei chronischer Erkrankung der Nieren und
des Gefäßapparates. II. Verhandl. d. dtsch. pathol. Ges. Kiel 1908.
3 ) Hart , Die Insuffizienz des Adrenalsystems. Münch, med. Wochenschr.
1914, Nr. 14.
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238
B. Peiser: Störungen der Adrenalinbildung
Einmal waren es die Versuche und Anschauungen Harts über die Ver¬
änderung endokriner Organe und Funktionen unter äußeren Einflüssen,
über die er im Anschluß an Gudematschs bekannte und inzwischen
vielfach wiederholte Fütterungsversuche bei Kaulquappen berichtet
hat. Zweitens in gleichem Sinne sprechende Beobachtungen beim
Menschen während der Kriegsjahre, wobei wir bereits auf die Möglich¬
keit mangelhafter Adrenalinbildung in einzelnen Fällen hingewiesen
wurden. Aber erst nach dem Kriege ergab sich eine ruhige Gelegenheit
zu sorgfältiger Prüfung der entstandenen Frage.
Was zunächst die erste Anregung anbelangt, so ist es bekanntlich
Qvdematsch 1 ) in noch immer nicht voll beachteten und gewürdigten
Versuchen gelungen, Kaulquappen durch Fütterung mit Thymus zu
gesteigertem Wachstum unter Hemmung bzw. Verzögerung der Meta¬
morphose zu bringen, während umgekehrt die Fütterung mit Schild¬
drüse letztere beschleunigte, ja geradezu überstürzte unter Hemmung
bzw. Aufhebung des Wachstums. So entstanden in einem Falle Riesen¬
kaulquappen, im anderen Zwergfröschchen. Romeis 2 ) hat dann gezeigt,
daß Thymusfütterung auch die einfache Regeneration anregt, und
Hart z ) hat den umgekehrten wohlgelungenen Versuch gemacht, durch
Ausbrennen des Thymus bei jungen Axolotln das Wachstum zu hem¬
men. Aus allen diesen Versuchen ist deutlich hervorgegangen, daß der
Thymus das Organ des Wachstums, der reinen Massenzunahme von
Körperzellen ist, wie es Hart für den menschlichen Thymus immer
angenommen und näher begründet hat. Schon hier ergeben sich Be¬
ziehungen zur Konstitutionspathologie. Es sei nur daran erinnert,
daß Romeis kümmernde Tiere in Kaulquappenpopulationen durch
Thymusfütterung schnell zu gesteigertem Wachstum bringen konnte,
so daß sie teilweise schließlich sogar ihre normal entwickelten Geschwister
an Größe übertrafen. Dagegen soll es dahingestellt bleiben, ob auch die
neuesten Versuche Grotes 4 ) hier heranzuziehen sind, der nach Thymus¬
fütterung trächtiger Mäuse ein verzögertes Wachstum der mit normalem
Gewicht geworfenen Jungen beobachtete und eine Beeinflussung der
Gudematsch , Feeding experiments on tadpoles. I. und II. Arch. f. Ent-
wicklungsmech. d. Organismen 1913, Nr. 35. — Americ. Joum. of Anat. 15 . 1914.
*) Romeis, Experimentelle Untersuchungen über die Wirkung innersekretori¬
scher Organe. II. Der Einfluß von Thyreoidea- und Thymusfütterung auf das
Wachstum, die Entwicklung und die Regeneration von Anurenlarven. Arch. f.
Entwickelungsmech. d. Organismen 40 u. 41 . 1914/15. — Experimentelle Studien
zur Konstitutionslehre. I. Die Beeinflussung minder veranlagter trächtiger Tiere
durch Thymusfütterung. Münch, med. Wochenschr. 1921, S. 420.
8 ) Hart> Über die Beziehungen zwischen endokrinem System und Konstitution.
Berl. klin. Wochenschr. 1917, Nr. 45.
4 ) Qrote, Versuche über Keimesänderung durch Inkreteinfluß. Dtsch. med.
Wochenschr. 1921, Nr. 48.
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in den Nebennieren unter äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung. 239
Keimzellen der Eltemtiere anzunehmen scheint, was sich aber doch schon
bei der intrauterinen Entwicklung geltend machen sollte. Ohne aber
auf diese Versuche näher einzugehen, sei hier nur festgestellt, daß Wachs¬
tumsstörungen eng verbunden sind mit der Frage des Infantilismus
und daß beispielsweise Brugsch 1 ) Ktimmertum und Infantilismus
geradezu identifiziert, worin ich ihm freilich nicht völlig beistimmen
kann. Vielmehr glaube ich, daß Störungen der endokrinen Sekretion
eine wichtige ursprüngliche Bedeutung zukommen dürfte. Es sei auf
Harts große Abhandlung verwiesen.
Im Gegensatz zum Thymus zeigt sich in den Kaulquappenversuchen
die Schilddrüse als Organ der Metamorphose. In großartiger Weise
haben das die Versuche Babäks 2 ), Laufbergers 3 ) und Harts*) am Axolotl
bestätigt. Namentlich ist es letzterem gelungen, den Axolotl des Aqua¬
riums in einen landlebenden, lungenatmenden Molch umzuwandeln
vom Aussehen etwa eines Feuersalamanders. Weite Ausblicke haben
sich damit der phylogenetischen Forschung in theoretischer Hinsicht
eröffnet. Hart hat nicht gezögert, aus seinem Versuchsergebnis die
Folgerung zu ziehen mit der Annahme, daß auch in der Phylogenese
sich die Metamorphose, also ein gewaltiger Fortschritt der Artenbildung,
vollzogen habe unter der Wirkung der Schilddrüsenfunktion, die man
sich freilich irgendwie primär beeinflußt denken muß. Solche Einflüsse
müssen von außen, aus der Umgebung, kommen, und wie sie fördernd
wirken können, so auch hemmend wie beim Axolotl. Das geht schon
aus den alten Versuchen M. v. Chauvins ö ) hervor, nur trat bei ihnen
nicht die Bedeutung der Schilddrüse hervor. Die Neotonie des Axolotls
ist eine vollständige, sie kommt aber häufig als eine partielle in der
Natur vor, und es ist für unsere Auffassung höchst bemerkenswert,
daß in erster Linie klimatische Einflüsse für sie verantwortlich zu machen
sind. Zwischen Neotonie und Infantilismus lassen sich gleichfalls
Vergleiche ziehen, wie Hart 3 ) in einem kleinen Aufsatz näher ausgeführt
hat.
Dessen Verdienst ist aber vor allem gezeigt zu haben, daß die endo¬
krinen Organe unter dem weitestgehenden Einfluß äußerer Wirkungen
stehen und daß sich daraus ein sehr wichtiges biologisches Gesetz
*) Brugsch, Allgemeine Prognostik oder die Lehre von der Beurteilung des
gesunden und kranken Menschen. Urban u. Schwarzenberg. Berlin 1918.
# ) Babäk , Einige Gedanken über die Beziehung der Metamorphose bei den
Amphibien zur inneren Sekretion. Zentralbl. f. Physiol. £7. 1913.
8 ) Laufberger , zit. nach Babäk.
4 ) Hart , 1. c.
6 ) v . Chauvin , Über die Verwandlung des mexikanischen Axolotl in Ambly-
stoma. Zeitschr. f. wissensch. Zool. £5. 1875; £T. 1876. — Über die Verwandlungs¬
fähigkeit des mexikanischen Axolotl. Zeitschr. f. wissensch. Zool. 41 . 1885.
6 ) Hart , Neptonie und Infantilismus. Berl. klin. Wochenschr. 1918, Nr. 26.
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240
B. Pei9er: Störungen der Adrenalinbildung
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ergibt. Indem ich nur kurz daran erinnere, daß schon in früherenVersuchen,
wie namentlich solchen Hertwigs 1 ), gezeigt worden ist, daß die Tem¬
peratur Wachstum und Metamorphose der Kaulquappen in erheb¬
lichem Grade beeinflußt, verweise ich vor allem auf die aus dem hiesigen
Institute hervorgegangenen Untersuchungen Adlers 2 ). Er konnte zeigen,
daß äußere Faktoren, wie die Temperatur des Wassers oder sein Gehalt
an bestimmten chemischen Substanzen, Wachstum und Entwicklung
der Kaulquappen derart beeinflußt, daß bald Riesenkaulquappen,
bald Zwergfröschchen entstehen und beliebig lange Zeit unter den
Versuchsbedingungen leben. Was aber am wichtigsten bei diesen Be¬
obachtungen ist, ist die Feststellung, daß sich beträchtliche Verände¬
rungen an den innersekretorischen Organen, besonders an der Schild¬
drüse, finden, die man offenbar nicht einfach als koordinierte Erschei¬
nungen der äußeren Formbeeinflussung auffassen darf. Vielmehr kann
es nicht zweifelhaft sein, daß in diesen Veränderungen eine wesentliche
letzte Ursache der äußeren Gestaltungsvorgänge gelegen ist.
Wesentlich erweitert worden sind diese Versuche neuerdings von
Hart 3 ), der unter der Einwirkung abnormer Außentemperaturen bei
grauen Hausmäusen schwere Veränderungen der Schilddrüse feststellen
konnte, und zwar ergab sich, daß eine konstante, abnorm hohe Tem¬
peratur zu einer Degeneration der Schilddrüse führt, während konstante
Kältewirkung die Tätigkeit der Schilddrüse, nach dem morphologischen
Nachweis starker Kolloidbildung zu urteilen, steigert. Auf die weitere
Feststellung Harts , daß bei Degeneration der Schilddrüse sich zugleich
eine Störung der Spermiogenese bis zu vollständiger Degeneration der
samenbildenden Zellen findet, sei nicht weiter eingegangen, aber die
Bedeutung dieser Feststellung dürfte auf der Hand liegen, da sich hier
zum ersten Male die Möglichkeit einer zunächst morphologischen Be¬
gründung der Annahme bietet, daß äußere Einwirkungen auf dem Um¬
wege über das endokrine System die Keimzellen zu beeinflussen vermögen.
Für unsere Betrachtungen bleibt hier wichtig die Deutung, die
Hart diesen Versuchen gegeben hat. Indem er als ein biologisches
Gesetz aufstellte die Umwandlung der äußeren Bewirkung in eine
innere, also eine Transformation der Kräfte, deren Bedeutung in der
Verfeinerung und Spezialisierung der Bewirkung liegt.
1 ) O . Hertivig, Über den Einfluß verschiedener Temperaturen auf die Ent¬
wicklung der Froscheier. Sitzg. d. Berl. Akad. 1896. — Über den Einfluß der Tem¬
peratur auf die Entwicklung von Rana fusca und Rana esculenta. Arch. f. mikro-
skop. Anat. 51 . 1918.
2 ) Adler, Keimdrüsen und Jod. Zentralbl f. Physiol. 2T. 1913.
— Untersuchungen über die Entstehung der Amphibienneotonie. Pflügers Arch.
f. d. ges. Physiol. 154 . 1916.
3 ) Hart, Zum Wesen und Wirken der endokrinen Drüsen. Berl. klin. Wochen¬
sehr. 1921, Nr. 21.
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in den Nebennieren unter äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung. 241
In schöner Übereinstimmung mit dieser Deutung stehen die Be¬
obachtungen und Versuche Adlers 1 ) an winterschlafenden Tieren. Er
fand Veränderungen der Schilddrüse, besonders bei solchen Tieren, die
während des Winterschlafes der Kälte besonders ausgesetzt waren.
Es gelang ihm durch Injektion von Schilddrüsenextrakt bei winter¬
schlafenden Igeln, nach 2—3 Stunden die Tiere zum Erwachen zu
bringen, wobei die Temperatur von 7—8° auf 35° anstieg. Ähnlich
wirkten Extrakte aus dem Thymus und Adrenalin. Es besteht also
anscheinend im Winterschlaf eine Insuffizienz der endokrinen Drüsen
mit der Thyreoidea im Vordergründe. Letztere spielt dabei eine zwei¬
fache Rolle. Einmal geht von ihr eine abschwächende Wirkung auf das
Wärmezentrum aus und zweitens sorgt sie durch je nach Bedarf weiter¬
gehende Atrophie dafür, daß der Stoffverbrauch des Tieres einer vita
minima entspricht.
Mit diesen Feststellungen ist natürlich noch keineswegs etwas aus¬
gesagt über das Verhalten der übrigen endokrinen Organe. In gleicher
Weise wie die Schilddrüse könnte jedes von ihnen unmittelbar durch
äußere Einflüsse in seinem morphologisch-funktionellen Verhalten
bestimmt werden, andererseits aber könnten gewisse Veränderungen
nur die Folge der Um- und Neugestaltung im endokrinen System sein,
die ausgelöst wird durch die Veränderung zunächst nur eines einzelnen,
vielleicht für äußere Einwirkungen besonders empfänglichen Organes
wie der Schilddrüse.
Bei der innigen Zusammenarbeit und der gegenseitigen Beeinflussung
der endokrinen Organe untereinander ist es klar, daß die äußeren Ein¬
wirkungen das endokrine System irgendwie in seiner Gesamtheit treffen,
wenn auch in einer großen Zahl der Fälle die veränderte Funktion nur
eines oder einiger Organe in den Vordergrund tritt. Wir haben es hier
mit denselben Zuständen zu tun, die wir bei den Erkrankungen der
endokrinen Organe kennen, wie beim Morbus Basedowii und Addisonii,
bei der Akromegalie und anderen, wo zwar die Funktionsstörung eines
Organes das Krankheitsbild beherrscht, wir aber bei tieferer Betrachtung
eine Schädigung des ganzen endokrinen Systems feststellen können.
Die Ausblicke, die diese neuesten Untersuchungen und Ansichten
bieten, sind weit und ein großes, dankbares Arbeitsfeld liegt der For¬
schung offen.
Die bedeutende Rolle, die das endokrine System als Vermittler
zwischen Außenwelt und Körperzelle zu spielen scheint, seine Fähigkeit,
sich unter äußeren Einwirkungen so zu verändern, daß der Organismus
den Lebensbedingungen gerecht wird, zeigt, wie wichtig in biologischer
Hinsicht die Erforschung der Beziehungen des endokrinen Systems
*) Adler , Schilddrüse und Wärmeregulation. Ärztl. Verein, Frankfurt a. M.,
28. IV. 1919. Ref. Münch, med. Wochenschr. 1919, Nr. 36.
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242
B. Peiser: Störungen der Adrenalinbildung
zur Außenwelt sein muß. Für die Pathologie werden sich dabei wohl
manche bedeutende Feststellungen ergeben. So hat Hart 1 ) beispiels¬
weise seiner Überzeugung dahin Ausdruck gegeben, daß der Streit
um den sog. Genius epidemicus nur seine Lösung finden kann und wird
bei Berücksichtigung des Gesetzes der Transformation der Kräfte durch
das endokrine System. Das, was jetzt mit den Begriffen der Disposi¬
tion, unabgestimmten Immunität kurz abgetan wird, dürfte großenteils
in Beziehung zum endokrinen System stehen.
Nach diesen Betrachtungen über den Einfluß äußerer Kräfte auf
das endokrine System und seine Bedeutung als Überträger dieser auf den
Organismus wäre es von großem Interesse, zu erforschen, ob durch die
veränderten Lebensbedingungen, die in der Hauptsache durch die
Unterernährung in und nach dem Kriege den Körper betroffen haben,
das endokrine System so geschwächt worden sein kann, daß wir uns
die herabgesetzte Widerstandsfähigkeit des Organismus wenigstens
zum großen Teil aus einer Schädigung des Blutdrüsensystems erklären
können.
Aus den letzten Jahren — damit komme ich auf die zweite Anregung
zu meinen Untersuchungen zu sprechen — liegen einige Arbeiten vor,
die auf eine Schädigung endokriner Organe als Folge der Kriegsemährung
hinweisen. Hier wären die Angaben einiger Autoren zu nennen, die eine
Zunahme der Lymphocytenwerte im Blut gefunden haben. KreM 2 )
erwähnt auf dem Warschauer Kongreß 1916 die Häufigkeit einer Lym-
phoeytose bei Gesunden, ähnliche Angaben macht Moewes 3 ); Klierte -
berger 4 ) spricht von einer Lymphocytoseumstellung des normalen
Blutbildes, Bokehnann und Nassau 5 ) fanden bei Gesunden eine Zu¬
nahme der Lymphocyten zwischen 25,2 und 72,4%, sie denken dabei
an einen Einfluß der veränderten Ernährung (mehr Kohlehydrate,
weniger Fett und Eisen). Auch von Lämpe und Saupe $ ) wird neben
nervösen Momenten die schlechte Ernährung, Überwiegen der Kohle¬
hydrate und Mangel an Fett und Eiweiß, als Ursache für die Vermehrung
der Lymphocyten im Blut angesehen. Letztere Autoren fanden Lympho¬
cytenwerte von im Durchschnitt 36,4%. Wenn wir auch die Angaben
x ) Hart , 1. c.
% ) Krehl , Verh. d. dtsch. Kongr. f. inn. Med. Warschau, 1916, S. 194.
3 ) Moewes, Über Lymphocytose des Blutes. Berl. klin. Wochenschr. 1917,
Nr. 16.
4 ) Klieneberger, Die Lymphocytoseumstellung des normalen Blutbildes.
Münch, med. Wochenschr. 1917, Nr. 23.
ß ) Bokehnann und Nassau, Blut Veränderung bei Gesunden. Berl. klin. Wochen¬
schr. 1918, Nr. 15.
6 ) Lämpe und Saupe, Das Blutbild beim Gesunden während des Krieges.
Münch, med. Wochenschr. 1919, Nr. 14. — Das gegenwärtige Blutbild beim Ge¬
sunden. Münch, med. Wochenschr. 1920, Nr. 51.
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in den Nebennieren unter äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung. 243
obiger Autoren mit etwas Zurückhaltung aufnehmen müssen, da gerade
bei Jugendlichen und aus voller Gesundheit heraus gestorbenen Indi¬
viduen höhere Lymphocytenwerte noch der Norm entsprechen können
— Galambos und Mehrtens 1 ) fanden vor dem Kriege 37—67% als nor¬
mal — so kann man doch die Bedeutung der Kriegsverhältnisse auf das
Blutbild nicht ganz ablehnen.
Von Hart 2 ) ist die Abhängigkeit der Lymphocytenwerte im Blut
vom endokrinen System des öfteren hervorgehoben worden. Das lympha¬
tische Blutbild des Kindes sieht er als Folge der für das Kindesalter
charakteristischen Konstellation des endokrinen Systems an, dessen
Besonderheit in der starken Entwicklung und demgemäß wohl auch
kräftigen Funktion des Thymus und in dem Fehlen der Funktion der
Geschlechtsdrüsen besteht. Der Einfluß des Thymus auf die Lympho-
cyten zeigt sich im Tierexperiment, wo sich durch Einverleibung von
Thymussubstanz künstlich eine Lymphocytose des Blutes erzeugen
läßt [Klose, Lampe und Liesegang 2 ) ; Capelle und Bayer 4 ); Heimann 5 )].
Ein weiterer Beweis ist das Blutbild bei der einfachen Thymushyper¬
plasie sowohl wie beim Status thymico-lymphaticus; dieselbe Ursache
hat auch das sog. Kochersche Blutbild beim Morbus Basedow. Ferner
spricht auch dafür die Erfahrung, daß Exstirpation des zu großen
Thymus zu einem Absinken der Lymphocytenzahl führt, wie es bei
einfacher Thymushyperplasie von Klose , Lampi und Liesegang , beim
Morbus Basedowii mit Status thymico-lymphaticus von Klose , Capelle
und Bayer , bei Myasthenia pseudoparalytica von Schumacher und Roth 6 )
festgestellt worden ist. Umgekehrt scheinen die Keimdrüsen zu wirken.
Bei Injektion von Ovarialsaft fand Heimann ein Fallen der Lympho¬
cytenwerte und bei Ovariektomie ein beträchtliches Steigen. Es be¬
steht demnach ein ausgesprochener Antagonismus zwischen Thymus
und Keimdrüsen, indem das Sekret der ersteren die Bildung der Lympho-
cyten anregt, das der letzteren sie hemmt. In dieser Hinsicht ist es
besonders bemerkenswert, daß man bei jungen Soldaten eine Atrophie
der Hoden und Schädigung der Spermatogenese während des Krieges
festgestellt hat [Beneke, Schmorl , Rössle u. a. 7 )], durch die sehr wohl
*) Galambos , Über das normale qualitative Blutbild. FoL hämatol. 1912. 13 .
2 ) Hart, Die Lymphocytose des Blutes als Kennzeichen der Konstitution.
Med. Klinik 1920, Nr. 10.
8 ) Klose, Lampe und Liesegang , Die Basedowsche Krankheit. Bruns Beitr.
z. klin. Chirurg. 17. 1912.
4 ) Capelle und Bayer, Thymektomie bei Morbus Basedow. Bruns Beitr. z.
klin. Chirurg. 1». 1911.
fi ) Heimann , Thymus, Ovarien und Blutbild. Münch, med. Wochenschr. 1913,
Nr. 60.
6 ) Schumacher und Roth, Thymektomie bei einem Fall von Morbus Basedowii
mit Myasthenie. Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. 1912, Nr. 25, H. 4.
7 ) Beneke , Schmorl, Rössle, Kriegspatholog. Tagung. Berlin 1916.
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244
B. Peiser: Störungen der Adrenalinblldung
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das Blutbild beeinflußt worden sein könnte. Daß bei der innigen Zu¬
sammenarbeit der endokrinen Drüsen durch irgendwelche störende
Einwirkungen von außen her eine zur Ly mph ocy tose führende Um¬
stellung des Blutdrüsensystems eintreten kann, ist nach diesen Tatsachen
verständlich. Ganz allgemein könnte man daher die von den Autoren
angegebene Blutlymphocytose im und nach dem Kriege als Folge einer
Schädigung des endokrinen Systems, wie sie durch die Unterernährung
und andere Einflüsse gegeben ist, ansehen. Eine solche Ansicht ziehen
wir jedenfalls der Bergeis 1 ) vor, der eine innige Beziehung zwischen
Fetten und Lipoiden einerseits und Lymphocyten andererseits annimmt,
daß die Unterernährung durch Abbau des eigenen Körperfetts eine
Verschiebung des Blutbildes zugunsten der lymphatischen Elemente
herbeiführt.
Von anderer Seite wurden Schädigungen bestimmter endokriner
Organe durch die Kriegsemährung festgestellt. So berichtet Hinz 2 ) über
Fälle, bei denen die Herabsetzung der Ernährung von unverkennbarem
Einfluß auf die Funktion der Schilddrüse war. In zwei Fällen traten
bei einem bereits bestehenden manifesten Hypothyreoidismus starke
Ödeme infolge der Kriegsemährung auf, im dritten Falle bildete die
mangelhafte Calorienzufuhr den Anstoß für den Ausbruch des Myx¬
ödems. Das nach den Arbeiten von Rumpel 2 ), Moose und Zondekt),
Hülse 2 ), Jansen 2 ), Lewy 1 ) und Curschmann 2 ) so häufig beobachtete
Kriegsödem, das in seinen Symptomen manche Ähnlichkeit mit dem
Myxödem aufweist, wird von manchen Autoren als Folge einer durch
die Kriegsemährung bewirkten Unterfunktion der Schilddrüse angesehen,
jedoch steht wohl fest, daß das der Krankheitsbezeichnung zugrunde
gelegte Symptom des Ödems auch nicht selten gefehlt hat. Dabei sei
namentlich auch auf den hochgradigen Lipoidschwund der Neben¬
nierenrinde verwiesen. Curschmann fand eine unverkennbare Abhängig¬
keit der Stärke der Myxödemschwellung von den Phasen besonders
schlechter Ernährung. Er fand unter den Myxödemkranken nur Städter,
während er bei der gut genährten Landbevölkerung keinen Fall von
x ) Bergei, Die Lymphocytose usw. Berl. klin. Wochenschr. 1921, Nr. 34.
2 ) Hinz , Kriegsemährung und Hypothyreoidismus. Med. Klinik 1920, Nr. 12.
3 ) Rumpel , Zur Ätiologie der Ödemkrankheiten in russischen Gefangenl&gem.
Münch, med. Wochenschr. 1915, Nr. 30.
4 ) Moose und Zondek , Das Kriegsödem. Berl. klin. Wochenschr. 1917, Nr. 36.
6 ) Hülse , Die Ödemkrankheit in den Gefangenenlagern. Münch, med. Wochen¬
schr. 1917, Nr. 28.
6 ) Jansen , Über die Ödemkrankheit. Ärztl. Verein München vom 15. V. 1918.
Münch, med. Wochenschr. 1919, Nr. 7.
7 ) Lewy , Zur Ödemkrankheit in den Gefangenenlagern. Münch, med. Wochen¬
schr. 1919, Nr. 35.
8 ) Curschmann , Hypothyreoidismus und Konstitution. Dtsch. Zeitschr. f.
Nervenheilk. 68 / 69 . 1921.
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in den Nebennieren unter äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung. 245
Myxödem gesehen hat. Die zahlreichen Autopsien Oberndorfers *) von
Leichen mit Ödemkrankheit haben gezeigt, daß die Schilddrüse bei der
allgemeinen Organatrophie am stärksten atrophiert, und zwar auf
ein Drittel ihres Volumens, während die übrigen Organe noch etwa zwei
Drittel ihres Normalgewichtes aufweisen. Auch sprechen die Erfolge,
die man bei ödemkranken mit Schilddrüsendarreichung erzielt hat,
für die Rolle, die die Unterfunktion der Schilddrüse bei dieser Krankheit
spielt. Wir haben diese Funktionsherabminderung der Schilddrüse
bereits oben bei den Feststellungen Adlers an winterschlafenden Tieren
kennen gelernt. Was aber bei diesen Tieren ein physiologischer Vorgang,
eine, wenn wir den Ausdruck ohne jeden Nebengedanken anwenden
dürfen, zweckmäßige Reaktion des Organismus bzw. des seine Lebens¬
funktionen beherrschenden endokrinen Systems auf Änderungen des
Milieus ist, bestimmt, das Individuum durch Herabsetzung des Stoff¬
wechsels und die Verminderung aller Lebenstätigkeiten über die un¬
günstige Zeit hinwegzubringen, das ist bei dem ganz anders eingestellten
Menschen eine pathologische Erscheinung. Auch von Sehrt 2 ) sind erst
in jüngster Zeit Schädigungen der Schilddrüsenfunktion durch die
Blockade bzw. Hungerzeit auf Grund funktioneller Untersuchungen
vor und nach dem Kriege, die sich besonders auf die Gerinnungszeit
und die Lymphocytenwerte des Blutes beziehen, festgestellt worden.
Sehrt weist auch darauf hin, daß nach Mitteilung der chemischen In¬
dustrie die deutsche Hammelschilddrüse chemisch erhebliche Ände¬
rungen aufweist. Der Jodgehalt der deutschen Hammelschilddrüse
war in den vergangenen Jahren so gering, daß oft nur eine ganz minder¬
wertige Ausbeute möglich war. Auch mußte wegen der hochgradigen
Veränderungen an der Tiemebenniere in den schlimmsten Jahren die
natürliche Adrenalinproduktion an manchen Stellen überhaupt ein¬
gestellt werden. Diese Organschädigungen können nur auf die abnormen
Futter Verhältnisse zurückgeführt werden. Ebenso lassen die Angaben
von Lämpe und Saupe?) über Herabsetzung des Blutdrucks bei Gesunden,
ebenso von Rostoski 4 ), der während des Krieges nicht selten bei gesunden
ausgeruhten Soldaten einen Blutdruck von nur 90—100 mm Hg R. R.
fand, auf Schädigungen auch der menschlichen Nebennieren schließen.
So liegen denn auch aus der menschlichen Pathologie Anhaltspunkte
dafür vor, daß die endokrinen Organe durch äußere Einflüsse weitgehend
in ihrer Funktion beeinträchtigt werden können, und einzelne Beobach¬
tungen weisen dabei namentlich auch auf das chromaffine System hin.
*) Oberndorfer , Ärztl. Verein München vom 15. V. 1919. Münch, med. Wochen-
sehr. 1919, Nr. 7.
*) Sehrt , Blockade und innere Sekretion. Münch, med. Wochenschr. 1921, Nr. 9
3 ) Lämpe und Saupe , 1. c.
4 ) Rostoski , Verh. f. Natur- u. Heilk., Dresden 15. II. 1919.
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246
B. Peiser: Störungen der Adrenalinbildung
Meine Untersuchungen, über die ich bereits vor ihrem Abschluß
kurz berichtet habe, gingen davon aus, ob wir bei diesem chromaffinen
System bzw. bei den Nebennieren als seinem wesentlichsten Teil, dessen
spezifisches physiologisches Sekret wir genau kennen, eine Herabsetzung
der Funktion durch Nachweis einer verminderten Bildung seines Hor¬
mons feststellen können. Wie bereits gesagt, sind die Nebennieren für
solche Untersuchungen besonders geeignet, da wir ihr Hormon, das
Adrenalin, als einziges genau kennen und chemisch rein aus den bilden¬
den Elementen gewinnen und auch synthetisch hersteilen können.
Bei den anderen innersekretorischen Drüsen ist die Isolierung eines
chemisch einheitlichen Hormons bisher nicht sichergestellt. Für eine
aus der Schilddrüse von KendaU 1 ) gewonnene und synthetisch dar¬
gestellte Verbindung, das Thyroxin, ist zwar die Hormonnatur wahr¬
scheinlich gemacht; auch glaubt Herrmann 2 ) aus Ovarienextrakten eine
chemisch einheitliche Verbindung mit Hormon Wirkung isoliert zu haben,
und ferner sind die Bestandteile der Hypophyse zwar durch FÜhner*) als
krystallinische Substanzen näher begrenzt worden, die chemische
Analyse und Strukturvermittlung ist aber überall entweder noch nicht
gelungen, oder es fehlt noch die Nachprüfung der Angaben. Wir haben
also bisher in dem Adrenalin das einzige Hormon, dessen Isolierung und
Reindarstellung gelungen ist, dessen chemische Zusammensetzung
wir genau kennen und dessen physiologische Wirkungen auf den Organis¬
mus seine Bedeutung rechtfertigen. Wenn in neuester Zeit von Ohy und
Quinquaud 4 ) die physiologische Rolle des Adrenalins bestritten wird,
besonders, weil sie in ihren Versuchen das Adrenalin in aktiven Mengen
weder im Blut des rechten noch des linken Ventrikels haben nach weisen
können und deshalb in dem Adrenalin nichts Anderes als ein Exkretions¬
produkt der Nebennieren sehen zu können glauben, so muß es weiteren
Nachforschungen überlassen bleiben, diese Frage zu klären und fest¬
zustellen, ob wir unsere bisherige, allgemein anerkannte Ansicht über
die Bedeutung des Adrenalins für den Organismus aufgeben müssen.
Für die folgenden Versuche aber haben wir an der herrschenden Ansicht
festgehalten, zumal wir der Meinung sind, daß wir auch aus der Stärke
der Exkretion einen Schluß auf die Leistungsfähigkeit des Organs ziehen
können.
Den Nachweis des Adrenalins können wir einmal auf morphologi¬
schem Wege durch das Verhalten des chromaffinen Gewebes, zweitens
durch seine biologischen Wirkungen oder schließlich durch chemische
*) KendaU , Joum. of bioL chem. 1919, Nr. 39 u. 40.
2 ) Herrmann , Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. 41 . 1915.
# ) Filhner , Über die isolierten wirksamen Substanzen der Hypophyse. Dtsch.
med. Wochenschr. 1913, Nr. 11.
4 ) Qley , 1. c.
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in den Nebennieren unter äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung. 247
Reaktion führen. Der morphologische Nachweis, der in der Eigenschaft
der Adrenalinzellen besteht, sich nach geeigneter Fixation mit Chrom¬
salzen braun oder gelbbraun zu imprägnieren, kann zwar als Maßstab
ihres Adrenalinsgehaltes benützt werden, ist aber sehr unsicher, da,
wie von Biedl 1 ) sowie von Schmorl und Ingier 2 ) gezeigt werden konnte,
in vielen Fällen eine auffallende Inkongruenz zwischen der Intensität der
Chromierbarkeit einerseits und der Höhe des chemisch bzw. biologisch
nachgewiesenen Adrenalingehaltes andererseits besteht. Sicherer ist der
Nachweis durch den physiologischen Versuch und die chemische
Reaktion.
Die Menge des in den Nebennieren enthaltenen Adrenalins zahlen¬
mäßig festzustellen, hat zuerst Baitdli 3 ) versucht. Zu diesem Zwecke
verwendete er eine eigens ausgearbeitete colorimetrische Methode
mit Eisenchlorid. Doch sind die Ergebnisse dieser Methode ebenso
wie der von Abdous , Sovlie und Toujan*) angegebenen Jodreaktion
keineswegs genügend sichere. Eine Modifikation der Jodmethode ist
die von Fränkel und Allers 5 ) mit Kaliumbijodat und verdünnter Phos¬
phorsäure, deren besondere Empfindlichkeit (1 : 1 000 000) von anderer
Seite bestätigt werden konnte. Die von Comessatti 6 ) angegebene Me¬
thode beruht auf der Eigenschaft des Adrenalins, sich bei Zusatz von
Sublimatlösung rot zu färben. ComessaMi verwandte seine Methode
auch zur quantitativen Bestimmung des in den Nebennieren enthaltenen
Adrenalins. Nach seiner Ansicht beruht die Rotfärbung auf der Bil¬
dung von Oxyadrenalin und ist identisch mit der beim Stehen an der
Luft nach längerer Zeit eintretenden Rötung von Adrenalinlösungen.
Comesaatti konnte mit seiner Methode noch bei einer Verdünnung von
1 : 2 000 000 eine positive Reaktion erzielen. Von Schmorl und Ingier
ist diese Methode verfeinert und verbessert worden und, nach Piüfung
mit anderen Methoden, haben sie die Überzeugung gewonnen, daß die
Comessattische Methode in der von ihnen angewandten Modifikation
und unter Einhaltung gewisser Vorsichtsmaßregeln nicht hinter anderen
x ) Biedl, Innere Sekretion. Urban u. Schwarzenberg. Berlin-Wien 1916.
f ) Schmorl und Ingier , Über den Adrenalingehalt der Nebennieren. Dtsch.
Arch. f. klin. Med. 104 . 1911.
8 ) Battelli , Dosage colorim^trique de la substance active des capsules surr6-
nales. Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. 1902, S. 571.
4 ) Abelous , Sonlie et Toujan, Dosage colorimätrique par le jode de Padränaline.
Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. 57. 1902.
6 ) Fränkel und Allers , Über eine neue charakteristische Adrenalinreaktion.
Biochem. Zeitschr. 18 . 1909.
8 ) Comessatti , Methode zur Bestimmung des Adrenalins im Nebennieren¬
gewebe. Dtsch. med. Wochenschr. 1909, Nr. 13. — Systematische Dosierungen
des Nebennierenadrenalins in der Pathologie. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol.
«. 1910.
Z. f. d. g. exp. Med. XXVIT. 17
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248
B. Peiser: Storungen der Adrenalinbiidung
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zurücksteht. Dagegen glaubt Goldzieher x ) y daß die Comessattisehe
Reaktion zwar bei frischem Leichenmaterial genaue Resultate gibt,
jedoch bei gewöhnlichem Obduktionsmaterial nicht selten versagt.
Goldzieher bediente sich daher bei seinen Untersuchungen eines anderen
von Zanfrognini 2 ) angegebenen Verfahrens mittels übermangansaurem
Kali und Milchsäure, das darauf beruht, daß bei Anwesenheit von Adre¬
nalin die braunen mangansauren Superoxyde in die farblosen niederen
Oxyde übergehen, wobei sie der Lösung eine rote Farbe erteilen. Die
Intensität dieser Farbe ist der Menge des in der Lösung enthaltenen
Adrenalins proportional. Die Reaktion erfolgt noch deutlich in Adrenalin¬
lösungen von 1 : 1 000 000.
Unter anderen wäre noch eine Methode von Cevidalli 3 ) zu nennen,
bei der ebenfalls auf colorimetrischem Wege nach Zusatz von Ferri-
cyankaliüm die Adrenalinmenge bestimmt werden kann. Mit Hilfe
dieser Methode haben Cevidalli und Leoncini 4 ) Untersuchungen über den
Adrenalingehalt der Nebennieren im Hinblick auf verschiedene Todes¬
ursachen beim Menschen angestellt und gefunden, daß die Adrenalin¬
bestimmung zur Entscheidung der medizinisch-gerichtlichen Frage,
ob der Tod eines Menschen plötzlich oder nach längerer Krankheits¬
dauer und Agonie eingetreten sei, geeignet ist. Während im letzteren
Falle die Reaktion nur schwach ist, fällt sie nach plötzlichem Tode
sehr intensiv aus. Jedoch scheint nach anderen Untersuchungen
der Reaktion in dieser Hinsicht nur ein untergeordneter Wert zu¬
zukommen.
In letzter Zeit sind noch weitere neue Methoden zum chemischen
Nachweis des Adrenalins angegeben worden, unter denen ich die von
Folin b ) ursprünglich zur Bestimmung der Harnsäure verwendete Me¬
thode anführen möchte. Die Reaktion beruht darauf, daß das Fo/insche
Phosphorwolframsäurereagenz mit verschiedenen Polyphenolen eine
Blaufärbung gibt. Mit Adrenalin tritt diese Färbung noch bei einer
Konzentration von 1 : 3 000 000 auf. Lucksch 6 ) hebt bei seinen Versuchen
die Vorzüge dieser Methode hervor.
*) Goldzieher, Die Nebennieren. Wiesbaden 1911.
2 ) Zanfrognini , Eine neue kolorimetrische Methode zur Adrenalinbest im -
mung. Dtsch. med. Wochenschr. 1909, Nr. 40.
3 ) Cevidalli , Di alcune reazioni dell’adrenalina. Sperimentale 62. 1908. Arch.
ital. de biol. 5t. 1909.
4 ) Cevidalli und Leoncini , Lo Sperimentale 1909 u. 1910. Arch. ital. de biol.
54. 1911.
6 ) Folin , Cannon et Denis , A new colorimetric method for the determination
of epinephrine. Journ. of biol. ehern. 13 , Nr. 14. 1913.
Ä ) Lucksch , Über den Adrenalingehalt der Nebennieren des Menschen bei
verschiedenen Todesursachen. Virchows Arch. f. pathol. Aiiat. u. Physiol. ££ 3 .
1917.
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in den Nebennieren unter äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung. 249
Ich habe selbst meine sämtlichen Untersuchungen an den Nebennieren
unseres Sektionsmaterials nach der von Schmort und Ingier modifi¬
zierten Come88atti sehen Methode ausgeführt, und kann nach meiner
Erfahrung, die ich an über 150 Adrenalinbestimmungen mit dieser
Reaktion gewonnen habe, nur Schmort und Ingier beipflichten, die dieser
Methode vor anderen den Vorzug geben. Abgesehen davon, daß ihre
Ausführung einfach ist, habe ich bis auf wenige Ausnahmen nie Schwierig¬
keiten bei der Bestimmung gehabt, die von anderen Autoren beim Ver¬
gleich der Standardlösung mit der Nebennierenflüssigkeit angegeben
werden. Die Methode beruht darauf, daß man. auf colorimetrischem
Wege durch Vergleich der zu bestimmenden Nebennierenflüssig¬
keit mit einer bekannten Adrenalinlösung nach Anstellung der
Reaktion mit Sublimatlösung und Zusatz von Wasserstoffsuper¬
oxyd, die eine Rotfärbung der Lösungen ergeben, durch einfache
Berechnung den Adrenalingehalt in der zu bestimmenden Flüssigkeit
erhält.
Die Untersuchung gestaltet sich im einzelnen folgendermaßen:
Die Nebennieren werden (im Durchschnitt 24—36 Stunden p. m.)
möglichst vorsichtig unter Vermeidung von Druck und, ohne sie ein¬
zuschneiden und abzuspülen, mitsamt dem anhaftenden Fettgewebe
aus der Leiche entfernt. Letzteres ist sehr wichtig, da nach dem Tode
beträchtliche Mengen Adrenalin in die Umgebung diffundieren sollen
und bei Vernachlässigung dieser Ausführung nicht zur Bestimmung
kommen würden. Nun werden die Organe mit anhaftendem Fettgewebe
durch Rasiermesserschnitte vorsichtig auf Fließpapier in dünne Scheiben
zerlegt und darauf zusammen mit dem durchtränkten Fließpapier mit
Quarzsand im Porzellanmörser fein zerrieben. Der Brei wird mit warmer
2promill. wässriger (gewöhnl. Leitungswasser) Sublimatlösung versetzt,
bei Erwachsenen mit 200 ccm, bei Kindern mit 100 ccm, dazu kommen
bei Erwachsenen 10, bei Kindern 5 Tropfen Wasserstoffsuperoxyd; danach
wird */ 2 Stunde im Schüttelapparat geschüttelt. Die Aufschwemmung
wird durch Fließpapier filtriert, wobei sich eine je nach dem Adrenalin¬
gehalt mehr oder minder stark rot gefärbte Flüssigkeit ergibt. Geringe
Erwärmung der Aufschwemmung vor dem Filtrieren hat sich mir be¬
währt, indem dadurch das Filtrieren bedeutend beschleunigt wurde,
ohne daß dabei die Reaktion an Schärfe und Genauigkeit einbüßte.
Ich hatte sogar im Gegenteil den Eindruck, als wenn dadurch die Rot¬
färbung bedeutend klarer und deutlicher hervorträte. Der Adrenalin¬
gehalt des Filtrats wird nun sofort auf colorimetrischem Wege bestimmt.
Der Filterrückstand wird mit 50 ccm Sublimatlösung nochmals 1 / a Stunde
und, falls das sich ergebende Filtrat noch rötlich gefärbt war, noch ein
drittes Mal wieder unter Zusatz von 50 ccm Sublimatlösung geschüttelt.
Wieder erfolgt sofortige Bestimmung der Adrenalinmenge im zweiten
17*
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*'5Ü
B. Peiscr: Störungen der Adrenalinbildung
bzw. dritten Extrakt mittels der colorimetrisehen Methode und schlie߬
lich Addition der gefundenen Werte. Eine viermalige Extraktion war
nur in Ausnahmefällen bei sehr hohem Adrenalingehalt nötig. Als
Vergleichslösung bediente ich mich der von den Höchster Farbwerken
synthetisch hergestellten 1 promill. Suprareninlösung. Ich fand dieses
Präparat für meine Versuche völlig gleichwertig der von ComessaUi
für seine Methode angegebenen und auch von Schmort und Ingier ver¬
wendeten Adrenalinlösung ( Parke-Davns ), da ich auch mit diesem syn¬
thetisch hergestellten Präparat bei der maximalen Verdünnung von
1 : 2 000 000 ebenfalls gerade noch eine positive Reaktion erzielen konnte
Die Bestimmung des Adrenalins in Milligramm findet auf Grund der
folgenden Berechnung statt: 0,1 ccm der käuflichen, auf 1 : 1000 ver¬
dünnten Suprareninlösung, enthaltend 0,0001 Adrenalin, wird unter
Zusatz von 10 Tropfen Wasserstoffsuperoxyd mit 2 promill. wäßriger
Sublimatlösung auf 200 ccm verdünnt; in 40—50 ccm dieser Lösung,
die einer Verdünnung von 1 : 2 000 000 entspricht, ist, in einer Porzellan¬
schale betrachtet, noch eine schwache rote Farbe zu erkennen. Die
zu untersuchende Extraktmenge wird nun so lange mit Wasser verdünnt,
bis 40—50 ccm dieser Verdünnungsflüssigkeit, ebenfalls in einer weißen
Porzellanschale betrachtet, mit der bekannten Lösung in der Färbung
übereinstimmt, also auch gerade noch eine schwache rote Färbung
zeigt. Das Produkt aus der Extraktmenge und dem Verdünnungsgrade
dividiert durch 200 gibt den Adrenalingehalt in Dezimilligramm an.
Durch Addition der für jeden Extrakt gefundenen Werte kann man für
den betreffenden Fall die in den Nebennieren enthaltene Adrenalinmenge
genau bestimmen.
Zur Erläuterung lasse ich ein Beispiel folgen:
1. Extrahierung: Extraktmenge 180 ccm, dessen maximale Ver¬
dünnung 1 : 42; deshalb beträgt die erhaltene Adrenalinmenge
180 X 42
200
— 37,8 dmg = 3,78 mg.
2. Extrahierung: Extraktmenge 42 ccm, dessen maximale Verdün
tiung 1 : 24; die erhaltene Adrenalinmenge beträgt deshalb
42 X 24
200 ~
— 5,04 dmg = 0,5 mg.
3. Extrahierung: Extraktmenge 38 ccm, die keine weitere Verdün-
38
nung gestatten; die Adrenalinmenge beträgt demnach — = 0,19 dmg
— 0,02 mg. Gesamtadrenalingehalt = 4,3 mg.
Die durch postmortale Veränderungen der Nebennieren etwa ge¬
gebene Fehlerquelle scheint nach früheren Erfahrungen keine bedeutende
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in den Nebennieren unter äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung. 251
Rolle zu spielen. Von Cevidalli und Leoncini wird die erhebliche Wider¬
standsfähigkeit des Adrenalins postmortalen Prozessen gegenüber be¬
tont. Schmort und Ingier halten es nach angestellten Versuchen für
sicher, daß innerhalb der ersten 36 Stunden p. m. kein allzugroßer
Adrenalinverlust eintritt. Der postmortale Verlust ist nach ihrer An¬
sicht fast vollständig auszuschalten, wenn das umgebende Gewebe mit
zur Untersuchung gewonnen wird. Damit verliert Qierkes 1 ) Feststellung,
daß der Verlust an Adrenalin durch Diffusion in das umgebende Gewebe
groß ist, an Bedeutung. Je höher der Adrenalingehalt der Nebennieren,
desto größer ist die Diffusion, am stärksten in den ersten 24 Stunden
p. m. Ebenso gelangt Adrenalin durch das Blut der Nebennierenvenen
in das umgebende Gewebe. Auf der Diffusion in die Umgebung beruhen
wohl auch die Angaben über die Inkongruenz zwischen chemisch nach-
gewiesenem Adrenalingehalt und Intensität der Chromreaktion sowie
über die Abnahme der Chromierbarkeit bzw. völliges Versagen der
Chromreaktion nach dem Tode. Der chemische quantitative Nachweis
des Adrenalins in den Nebennieren der Leiche, unter Beobachtung
oben genannter Vorsichtsmaßnahmen, gibt uns also einen ziemlich
genauen Anhalt über den Adrenalingehalt der Nebennieren im Augen¬
blick des Todes.
Systematische Untersuchungen über den Adrenalingehalt der
Nebennieren des Menschen sind in neuerer Zeit mehrfach ausgeführt
worden. Battdli 2 ) fand in 7 Fällen eine durchschnittliche Adrenalin¬
menge von 3,91 mg, nach den Untersuchungen Goldziehers f 3 ) enthalten
die Nebennieren des erwachsenen Menschen 4 mg Adrenalin. Dabei
spielt das Lebensalter eine große Rolle. Bei Neugeborenen konnte
Goldzieher den Adrenalingehalt der Nebennieren mit etwa 1 mg fest¬
setzen, mit zunehmendem Alter tritt eine allmähliche Erhöhung ein.
Die höchsten Werte fand er in den 50. bis 70. Lebensjahren, später mit
allgemeiner seniler Atrophie scheint auch der Adrenalingehalt regel¬
mäßig zu sinken. •
Die wichtigsten Aufklärungen verdanken wir Schmort und Ingier 4 ),
die nach der modifizierten Comessattischen Methode an einem umfang¬
reichen Material von 517 Fällen Adrenalinbestimmungen an den Neben¬
nieren vorgenommen haben. Sie fanden als Durchschnittswert für den
Adrenalingehalt beider Nebennieren 4,22 mg. Bei Kindern bis 9 Jahren
findet sich nach ihren Angaben ein solcher von 1,52 mg, im Alter von
10—89 Jahren von 4,59 mg. Von der Geburt bis zum 8. Lebensjahre
1 ) Oierke , Lubarsch-Ostertags Ergehn, d. allg. Pathol.u. pathol. Anat. 10 . 1906.
2 ) Battelli , Quantitä d’adrenaline existant dans les caps, surren, de l’hommc.
Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. 1902, S. 1205.
a ) Goldzieher , 1. c.
4 ) Ingier und Schmort , 1. c.
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252
B. Peiser: Störungen dor Adrenalinbildung
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fanden sie ein allmähliches Ansteigen des Adrenalingehaltes. Während
er bei Neu- und Frühgeburten im Durchschnitt nur 0,1 mg beträgt,
wächst er bis zum 8. Lebensjahre allmählich bis zu 3,96 mg heran. Bei
nicht lebensfähigen Frühgeburten fanden sich meist nicht kolorimetrisch
bestimmbare Mengen, bei Föten unter 20 cm Länge war ein Nachweis
überhaupt nicht möglich. Vom 10. bis 89. Jahre hält sich der Adrenalin¬
gehalt mit geringen Schwankungen auf gleicher Höhe. Hinsichtlich
des Geschlechts fanden sie keinen nennenswerten Unterschied; der
Durchschnittswert ergab für fast alle Jahrzehnte ein geringes Über¬
wiegen des weiblichen Geschlechts (Durchschnittswert für Männer
4,40 mg, für Frauen 4,71 mg).
In neuerer Zeit sind von Lucksch 1 ) die Resultate bekanntgegeben
worden, die er an einem Material von 350 Fällen mittels der Folinachen
Methode gewonnen hat. Er fand im Alter von 10—90 Jahren einen
Durchschnittswert von 4,29 mg, was etwa auch den Resultaten der
eben genannten Autoren entspricht. Seine Untersuchungen ergaben
ein geringes Ansteigen bis zum 50. Lebensjahr, um dann allmählich
wieder abzusinken. Bei Kindern zwischen 1 und 10 Jahren fand er
einen Durchschnittsgehalt von 1,4 mg, während Neu- bzw. Totgeburten
und Rinder bis zu 1 Jahr einen Adrenalingehalt von durchschnittlich
etwa 0,5 mg aufwiesen.
Den eben angeführten Ergebnissen obiger Autoren, die teilweise
an sehr großem Material Adrenalinbestimmungen an der Leiche vor¬
genommen haben, will ich nun meine Resultate gegenüberstellen, da
wir nur durch Vergleich mit früher gewonnenen Werten uns ein
Bild über die augenblickliche Funktionstüchtigkeit der Nebennieren
machen können. Es ist ja wohl klar, daß die in den Nebennieren
gefundenen Adrenalinwerte nur einen Teil der gesamten hier ge¬
bildeten Adrenalinmenge darstellen; doch liefern sie einen wichtigen
Anhaltspunkt für die Beurteilung der Intensität der Nebennieren¬
funktion. »
Meine Untersuchungen erstrecken sich auf die Zeit von Oktober
1920 bis April 1921, also eine Zeit, wo die Lebensverhältnisse schon
ein wenig besser geworden waren, aber natürlich noch weit hinter
der Lebenshaltung vor dem Kirege zurückstanden. Dazu kommt
noch, daß das Material fast ausschließlich der Großstadtbevölke¬
rung Berlins entstammt, die bezüglich der Ernährung und Lebens¬
führung sicherlich gegenüber der Kleinstadt und Landbevölkerung
schlechter gestellt ist. Unser Sektionsmaterial erweist sich also als
besonders geeignet für den Nachweis, ob die Unterernährung das
endokrine System und somit den Ablauf sämtlicher Lebensvorgänge
beeinflußt.
l ) Lucksch , 1. c.
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in den Nebennieren unter äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung. 253
Ich habe bei 158 zur Obduktion gekommenen Fällen die quanti¬
tative Bestimmung des Adrenalins in den Nebennieren mittels der von
Schmorl und Ingier modifizierten Comessattischen Methode vorgenom¬
men und bin dabei zu Werten gekommen, die weit hinter denen obiger
Autoren Zurückbleiben. In der folgenden Tabelle gebe ich meine Re¬
sultate gesondert nach Altersstufen und Geschlecht wieder, ohne Rück¬
sicht auf Art der Krankheit und Todesursache, um so den Durchschnitts¬
wert für den betr. Lebensabschnitt und den allgemeinen Durchschnitt
zu bestimmen.
Tabelle A .
1
--
Durchschnitt-
Durchschnitt-
- ——
Durchschnitt-
Alter
Zahl
licher Adrena-
licher Adrena-
o
licher Adrena-
liugehalt
a 1
lingehalt
lingehalt
mg
mg
mg
0—90
158
2,67
74
2,77
84
2,59
10—90
133
3,05
58
3,36
75
2,81
0-10
j 25
0,65 (1,81)
16
0,63
9
0,68
0-1
10
0,19 (04)
6
0,23
4
0,12
1—2
1 6
0,24 (1,18)
6
0,27
1
0,08
2—3
1 3
1,09 (1,66)
1
0,74
2
1,26
5-6
1 2
1,92 (3,30)
2
1,92
—
—
7—8
! 2
1,37 (3,96)
2
1,37
—
—
9—10
2
1,52
—
2
1,52
11—20 |
1 7
2,52
6
2,58
1
2,20
21—30
29
3,05
10
4,21
19
2,45
31—40
27
3,41
10
3,49
17
3,36
41—50
14
3,15
10
3,29
4
2,79
51—60
20
3,04
11
3,27
9
2,75
61- 70
19
3,00
7
3,49
12
2,72
71—80
14
2,76
3
2,31
11
2,88
81—90
3 i
2,21
1
2,56
2
2,03
Es ergibt sich aus dieser Zusammenstellung ein Durchschnittswert
von 2,67 mg Adrenalin für sämtliche Lebensabschnitte. Gegenüber dem
von Schmorl und Ingier erhaltenen Wert von 4,22 mg bedeutet das eine
Herabminderung um mehr als ein Drittel. Zu demselben Resultat kom¬
men wir, wenn wir die bei Erwachsenen bestimmten Adrenalinmengen
einem Vergleich unterziehen. Der von mir gefundene Durchschnitts¬
wert von 3,05 mg bleibt ebenfalls um etwa ein Drittel hinter den Werten
früherer Autoren zurück (Goldzieher 4,0 mg, Schmorl und Ingier 4,59 mg,
Lucksch 4,29 mg). Die gefundenen Werte entsprechen nun wohl nicht
dem Durchschnitt beim völlig gesunden Individuum, da das Sektions¬
material sich zum größten Teil aus Kranken zusammensetzt, die durch
ihre schneller oder langsamer zum Tode führende Krankheit mehr oder
weniger geschwächt waren. Es kam mir aber auch nicht darauf an,
den Durchschnittswert bei Gesunden zu berechnen, sondern durch
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254
B. Peiser: Störungen der Adrenalinbildung
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Vergleich mit den Resultaten früherer Autoren, die sie selbstverständ¬
lich ebenfalls nur an ihrem Sektionsmaterial gewonnen haben, zu
zeigen, daß der Adrenalingehalt der Nebennieren gegen früher stark
herabgesetzt ist.
Da ich mich bei Ausführung der chemischen Untersuchung streng
an die Angaben von Schmort und Ingier gehalten habe, so kann dieser
hochgradige Unterschied zwischen meinen und Schmorls Zahlen nicht
der Methode zur Last gelegt werden. Wir müssen also nach einer anderen
Ursache suchen, die früher nicht bestanden hat und jetzt ihren schäd¬
lichen Einfluß auf den Organismus ausgeübt und dabei besonders für
die Nebenniere zu einer Herabsetzung ihrer Leistungsfähigkeit um etwa
ein Drittel geführt hat. Daß diese Ursache einzig und allein in den
schlechten Lebensbedingungen hegt, ist nach alledem, was vorher
über die Bedeutung äußerer Einflüsse für das endokrine System ge¬
sagt wurde, und nach den Befunden der oben erwähnten Autoren nicht
zu bezweifeln. Des Näheren kann man freilich darüber kaum mehr als
Vermutungen aussprechen.
Die hohe Bedeutung, die die Ernährung für die Funktion der endo¬
krinen Organe besitzt, könnte ihre Bekräftigung in den Ergebnissen
neuerer Forschungen finden, wonach den Vitaminen ein besonderer
Einfluß auf die innere Sekretion zugeschrieben wird. Folgende Angaben
darüber entnehme ich dem Buche Weits 1 ). Funk betrachtet die Vita¬
mine als Betriebsstoffe für die innersekretorischen Organe. Insuffizienz
an Vitaminen führt zur Hypofunktion dieser Organe. Die Ähnlichkeit
bestimmter Avitaminosen mit Erkrankungen inkretorischer Drüsen
ließ Forscher daran denken, ob nicht die Vitamine Vorstufen einzelner
innerer Sekrete seien oder diese selbst, die in den Drüsen aufgespeichert
würden. Die Ähnlichkeit der Pellagra mit der Addisonschen Krankheit
legt die Vermutung nahe, daß die beobachteten nervösen Symptome,
die als Störungen des sympathischen Nervensystems gedeutet werden
können, durch die mangelhafte Bildung von Adrenalin bedingt seien.
Nach pathologischen Befunden sollen auch die Nebennieren bei Pel¬
lagrakranken weniger wiegen als normale und sich am sympathischen
Nervensystem ähnliche Veränderungen finden wie beim Morbus Addi-
sonii. Dafür sprechen auch die jüngsten Berichte von Seaman über
die Heilung von Polyneuritis bei Tauben durch Injektion von salz¬
sauren alkoholischen Extrakten aus Schilddrüse sowie die Beschrei¬
bungen von Funk und Douglas über degenerative Veränderungen der
Blutdrüsen, vor allem des Thymus bei Beri-Beri. Die Vermutung,
daß die Lebenswichtigkeit der Vitamine darin bestände, daß sie Vor¬
stufen bestimmter innerer Sekrete seien, findet eine Stütze darin, daß
*) Weil. Die innere Sekretion. Springer. Berlin 1921.
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in den Nebennieren unter äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung. 255
in vielen Nahrungsmitteln sich Amine finden, die in ihrem Aufbau
dem Adrenalin nahestehen.
Wie gesagt, sind das alles kaum mehr als Vermutungen; der feinere
Mechanismus der Beeinflussung innersekretorischer Organe durch die
Ernährung bleibt uns verschlossen. Halten wir uns indessen an das
von uns festgestellte Tatsächliche, so hat sich ergeben, daß die Neben¬
nieren ebenso wie es bereits für die Schilddrüse festgestellt worden ist,
auf die durch die Unterernährung verursachte Schädigung mit einer
Hypofunktion ihres Adrenalsystems reagieren. Daß bei dem engen
Zusammenhang aller endokrinen Drüsen eine Veränderung in der
Funktion eines so wichtigen innersekretorischen Organs, wie es die
Nebenniere ist, ihren Einfluß auch auf den gesamten endokrinen
Apparat geltend machen muß, erscheint uns nicht zweifelhaft. Es
wird also zu einer Neueinstellung des endokrinen Systems kommen,
die bei dem bedeutenden Einfluß, den es als Vermittler zwischen
Außenwelt und Körperzelle ausübt, für das Individuum von un¬
geahnter Bedeutung sein muß. Das körperliche und seelische
Wohlbefinden, die Widerstandsfähigkeit äußeren Schädigungen gegen¬
über, kurzum die gesamte Körperverfassung muß durch diese er¬
worbene Minderwertigkeit des Blutdrüsensystems schwer beeinträch¬
tigt werden.
In noch höherem Maße als bei Erwachsenen scheint sich der
Einfluß der Ernährung auf das Adrenalsystem bei Kindern be¬
merkbar zu machen. Die Zahl der Untersuchungen bei Kindern
ist allerdings zu gering, um daraus sichere Schlüsse ableiten zu
können. Zum besseren Verständnis habe ich in Klammem die von
Schmort und Ingier gefundenen Werte hinzugesetzt. Im übrigen
kann ich nur die Angaben früherer Autoren bestätigen. Es findet
ein allmähliches Ansteigen des Adrenalingehaltes beim Kinde statt,
um sich beim Erwachsenen mit geringen Schwankungen auf gleicher
Höhe zu halten und erst im Greisenalter wieder abzunehmen. Ein
Anstieg bis zum 50. Lebensjahre, wie ihn Lucksch gefunden hat,
kann ich nicht bestätigen. In fast allen Jahrzehnten konnte ich
im Gegensatz zu Schmort und Ingier einen höheren Adrenalingehalt
bei Männern als bei Frauen feststellen. Bei Männern im dritten
Jahrzehnt kam ich bei meinen Untersuchungen sogar zu Werten,
die kaum hinter den Durchschnittswerten der früheren Autoren zurück¬
stehen.
Meine Resultate über den hemmenden Einfluß der Unterernährung
auf die Funktion der Nebennieren des Menschen versuchte ich nun
im Tierexperiment am Meerschweinchen nachzuprüfen. Es liegen
bereits frühere Versuche an Tieren über das Verhalten der Nebennieren
beim Hungern vor, die zu recht widersprechenden Ergebnissen geführt
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256
B. Peiser: Störungen der Adrenalinbildung
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haben. Nach Vermiet und Dimitrowsky 1 ) soll beim Kaninchen nach
3—8 tägigem Hungern die Chromierbarkeit des Nebennierenmarkes
stark abnehmen bzw. verschwinden. Die Richtigkeit dieses Befundes
wird von Lucksch 2 ) auf Grund seiner Versuche bestritten, die ergaben,
daß der Nebennierenextrakt von Kaninchen, die 13 Tage gehungert
haben, normale Werte der blutdrucksteigemden Wirkung aufwies und
die Markzellen normale Chromierung zeigten. Er kommt daher zu dem
Schluß, daß das chromaffine Gewebe durch das Hungern keine wesent¬
liche Veränderung erleide.
Ich bin mir wohl bewußt, daß eine Übertragung der Verhältnisse
bezüglich der Ernährung vom Menschen auf das Meerschweinchen
große Lücken aufweist. Die Anforderungen des menschlichen Organis¬
mus an die Ernährung sind ganz andere als beim Meerschweinchen,
das für sein Fortkommen an die Qualität der Nahrung sehr geringe
Ansprüche stellt. Beim Menschen dagegen ist wohl nicht in der Haupt¬
sache die quantitative Herabsetzung der Ernährung die ausschlag¬
gebende Ursache für die Beeinflussung des endokrinen Systems als
vielmehr ihre qualitative Verschlechterung. Jacobsohn und SJdarz?)
sehen in dem K-Reichtum und der Ca-Armut der Kriegskost die Haupt¬
schädlichkeit für den Organismus. Wir sind also nicht in der Lage,
einfach durch Futtereinschränkung beim Meerschweinchen die augen¬
blicklichen Lebensverhältnisse beim Menschen nachzuahmen. Ich
habe es trotzdem versucht, um auch für das Tier einen gewissen Ein¬
fluß der Unterernährung ganz allgemein auf das endokrine System
bzw. die Funktion der Nebennieren festzustellen. Die erwähnten
Untersuchungen der früheren Autoren geben sehr widersprechende
Resultate, außerdem gründen sich ihre Ergebnisse nicht auf genaue
quantitative Bestimmungen des Adrenalingehaltes, denn nur so kann
man ein richtiges Urteil über den Funktionszustand der Nebenniere
fällen. Ich habe den Adrenalingehalt in der gleichen Weise wie beim
Menschen bestimmt, nur daß ich natürlich zur Lösung eine weit ge¬
ringere Sublimatmenge (20—30 ccm) und entsprechend weniger Wasser¬
stoffsuperoxyd verwendete.
Nach den Untersuchungen Battellis 4 ) beträgt beim Meerschweinchen
der Adrenalingehalt der Nebennieren auf 1000 kg Körpergewicht be-
x ) Venulet und Dimitrowsky , Über das Verhalten des chromaffinen Gewebes
beim Hungern. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. €3. 1910.
2 ) Lucksch , Über das histologische und funktionelle Verhalten der Neben¬
nieren beim hungernden Kaninchen. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. €5.
1911.
3 ) Jacobsohn und Sklarz , Salvarsanschädigung als Störung des Ionengleich¬
gewichts. Med. Klinik 1921, Nr. 44.
4 ) BatteUi , 1. c.
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in den Nebennieren unter äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung:- 257
rechnet, 0,2290 g. Ich habe bei 24 normal ernährten Meerschweinchen
mittels der modifizierten ComessaUischen Methode einen durchschnitt¬
lichen Adrenalingehalt von 0,1863 g auf 1000 kg Körpergewicht er¬
halten. Diese Zahlen stehen um ein Geringes hinter den Werten
BaUeUis zurück, vielleicht auch als Folge der schlechteren Ernährung,
unter der natürlich auch das gewöhnlich ernährte Meerschweinchen zu
leiden hat.
Bei den Versuchstieren habe ich mehrere Wochen lang die Futter¬
menge stark herabgesetzt, ohne die Kost ganz einseitig zu gestalten,
und durch häufige Gewichtsbestimmungen den Körperzustand kon¬
trolliert. Die Adrenalinbestimmung wurde sofort nach der Tötung
der Tiere vorgenommen.
Das Ergebnis meiner Untersuchung zeigt die folgende Tabelle B:
Tabelle B.
Versuchs¬
tier
j Anfangs¬
gewicht
g
Endgewicht
g
Gewichts-
Abnahme
g
Dauer der
Unterernährung
Tage
Adrenalingehalt auf
1000 kg Körpergewicht
berechnet
g
A
530
400
130
26
0,1125
B
375
325
50
45
0,1477
C
290
265
25
49
0,2189
D
585
515
70
49
0,1165
Wir können aus dieser Zusammenstellung bei drei Versuchstieren
eine bedeutende Herabsetzung des Adrenalingehaltes gegenüber der
Norm feststellen, während das vierte Versuchstier C einen hohen,
sicher nicht verminderten Adrenalingehalt auf weist. Wir müssen dabei
berücksichtigen, daß dieses Tier nur einen geringen Gewichtsverlust
von 25 g, also nur etwa 1 / 12 seines Körpergewichts zeigt, während die
anderen Versuchstiere, A etwa 1 / A , B etwa 1 / 7 , D etwa 1 / 8 an Körper¬
gewicht eingebüßt haben. Außerdem wäre noch zu erwähnen, daß
Versuchstier C während des größten Teils der Hungerperiode an Ge¬
wicht zunahm, daß also scheinbar die Ernährungsherabsetzung nicht
richtig durchgeführt war und erst in der letzten Woche durch ener¬
gische Hungerkur noch ein geringer Gewichtssturz eintrat. Die Ver¬
suche konnten aus äußeren Gründen nicht umfangreicher gestaltet
werden, aber auch diese wenigen Fälle lassen ohne Zweifel im Tier¬
experiment einen gewissen Einfluß der Ernährung auf die Adrenalin¬
produktion erkennen.
Somit geht aus meinen Untersuchungen, wie ich glaube, eindeutig
hervor, daß unter dem ungünstigen Einfluß quantitativ und wohl
mehr noch qualitativ ungenügender Ernährung eine schwere Be¬
einträchtigung der Adrenalinbildung in den Nebennieren stattfindet.
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258 B. Peiser: Störungen der Adrenalinbildung
Damit ist ein weiterer Beweis dafür erbracht, daß die Funktion der
innersekretorischen Organe in hohem Maße abhängt von äußeren
Wirkungen, wie sie sich ganz allgemein aus dem Milieu und der Lebens¬
weise, aus den Lebensbedingungen ergeben. Das einzelne Individuum
muß eingepaßt sein in die Umwelt, dazu ist Vorbedingung die bio¬
logische Beziehung des Organismus zu den Faktoren der Außenwelt,
die ein ständiges, feinstes Reagieren des Körpers auf Änderungen der
letzteren ermöglicht und gewährleistet. Was wir augenblicklich fest¬
stellen, das sind nur gröbere Wirkungen und entsprechende Ausschläge
der fein eingestellten Nadel über die physiologischen Grenzen hinaus.
In Wahrheit stellen wir uns vor, daß immerwährend die feinsten
Schwankungen nicht nur in der Funktion des einzelnen endokrinen Or¬
gans, sondern auch in der Einstellung des ganzen Systems stattfinden,
die sich einer genauen Feststellung entziehen. Wie es außer der mangel¬
haften Ernährung noch viele andere Faktoren geben wird, die ebenso
und vielleicht noch gröber auf das Adrenalsystem wirken, das natür¬
lich durchaus nicht allein im endokrinen System beeinflußt zu werden
braucht, so sind noch viele andere Faktoren anzunehmen, deren Wir¬
kung eine feine und allerfeinste ist. Es steht nichts der Auffassung
entgegen, ja es kann sogar als ein allgemeines Gesetz angenommen
werden, daß unter normalen und abnormen Verhältnissen alle endo¬
krinen Organe unter dem Einfluß der Außenwelt stehen. In der großen
Schwierigkeit, diesen stets sicher zu erkennen und bei dem innigen In¬
einandergreifen der Funktionen im endokrinen System in jeder Hin¬
sicht genau zu bestimmen, hegt es begründet, daß wir auch in der
Pathologie so schwer zu sagen vermögen, ob ein pathologischer
Konstitutionstyp eine primäre oder sekundäre Erscheinung darstellt.
Nach unserer Überzeugung muß man mit der Annahme des ersteren
sehr vorsichtig sein, was nichts anderes besagt, als daß für alle die¬
jenigen, die in der Konstitution nur etwas Ererbtes, durch die Erb¬
faktoren der elterlichen Keimzellen Bedingtes erblicken, viele oder
gar die meisten Fälle von Status thymico-lymphaticus, Infantilis¬
mus, Eunuchoidismus usw. nicht echte Konstitutionen darstellen,
sondern nur die verschiedensten Reaktionen des Organismus auf
mannigfache Schädigungen zu irgendeiner Zeit des Individuallebens
zeigen.
Nach der Auffassung Harts , die ich hier zum Ausdruck bringe und
wie sie ja auch noch andere Autoren, freilich ohne nähere Begründung,
ausgesprochen haben, spielt für die Erscheinung der einzelnen patho¬
logischen Konstitutionstypen das endokrine System die wesentliche
Rolle. Je mehr man aber erkennt, daß seine überragende Bedeutung
für die Ontogenese, für alle wichtigen Lebensvorgänge nicht etwa
allein auf einer ererbten Konstellation der Einzelteile, auf einer von
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in den Nebennieren unter äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung. 259
allem Anfang der Entwicklung an gegebenen, feststehenden Formel
beruht, die gewissermaßen zwangsmäßig die Entwicklung des Indi¬
viduums bestimmt, sondern in mindestens ebenso hohem Maße auf der
Mittlerstellung zwischen Außenwelt und Körperzelle, um so mehr
muß man auch die sekundäre Entstehung der pathologischen Kon¬
stitutionstypen wie vieler einzelner als konstitutionell aufgefaßter
besonderer Merkmale anerkennen. Daraus ergibt sich die Annahme,
daß solche ständig neu entstehen.
Aber nicht nur auf das einzelne Individuum selbst, sondern auch
auf seine Nachkommen kann die Beeinflussung des endokrinen Systems
nicht ohne Einfluß sein. Wir stellen uns vor, daß die Konstitution
des Individuums, der Rasse und der Art im Laufe der Phylogenese
unter dem wesentlichen Einfluß des ständig unter äußeren Bewirkungen
stehenden endokrinen Systems entstanden ist und daß im Gegensatz
zu der Ansicht Martins 1 ) der Mensch durchaus nicht artfest im streng¬
sten Sinne des Wortes ist, worauf ja neuestens auch Rössle 2 ) hin¬
gewiesen hat, vielmehr selbst und auch heute noch mitten drin
in der Phylogenese steht, wenn wir erklärlicherweise auch nichts
davon merken. Durch Vermittlung der endokrinen Drüsen können
nach unserer Vorstellung äußere Einflüsse so auf die Keimzellen
wirken, daß sie die Erbanlage des Keimplasmas verändern, daß also
auf dem Wege der äußeren Beeinflussung des endokrinen Systems
erworbene Eigenschaften in konstitutionelle, vererbbare übergeführt
werden.
Näher hierauf einzugehen, liegt nicht im Thema dieser Abhandlung.
Es möge der Hinweis genügen, daß der von Tandler*) zuerst ausge¬
sprochene Gedanke durch die Untersuchungen und Betrachtungen
Harte*) zunehmende Beachtung und Bedeutung gewinnt, besonders
seit die Steinachsche Lehre von der Pubertätsdrüse verworfen und
die innere Sekretion der Keimdrüsen in die Keimzelle selbst ver¬
legt wird. Nachdem schon Kraus 5 ) sich nicht völlig ablehnend aus¬
gesprochen hat, ist auch von Fick 5 ) neuerdings obige Anschauung
x ) Martius , Pathogenese innerer Krankheiten. I—IV. Deutieke. Wien 1899
bis 1908. — Konstitution und Vererbung in ihren Beziehungen zur Pathologie.
Springer. Berlin 1914.
*) Rössle, 1. c.
8 ) Tandler , 1. c.
4 ) Hart , Vererbung erworbener Eigenschaften. Berl. klin. Wochenschr. 1920,
Nr. 28.
6 ) Kraus , Die allgemeine und spezielle Pathologie der Person. Klinische
Syzygiologie. Allg. Teil. Thieme. Leipzig 1919.
•) Fick, Bemerkungen zur Vererbung erworbener Eigenschaften. Anat. Anz.
53, Nr. 18/19. 1920.
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2GÜ B. Peiser: Störungen der Adrenalinbildung
beifällig beurteilt worden. Natürlich fehlen zur endgültigen Be¬
gründung noch viele wichtige Stützen, aber aus Harts neuesten
Mitteilungen geht hervor, daß die Forschung auch hier vorwärts zu
kommen scheint.
Aus unserer Vorstellung ergibt sich natürlich ohne weiteres, daß
wir weit davon entfernt sind, alle pathologischen Konstitutionstypen
auf eine erworbene Störung des endokrinen Systems zurückzuführen.
Im Gegenteil : Ohne auf alle Einzelheiten näher einzugehen, aus denen
sich der familiäre und erbliche Charakter der abnormen Konstitution
in vielen Fällen ergibt, entspricht es durchaus unserer Auffassung
von der Bedeutung des endokrinen Systems, ja geht aus ihr fast
zwingend hervor, daß pathologische Konstitutionstypen oder Be¬
sonderheiten des endokrinen Systems auch auf Vererbung beruhen
können und daher dem enger und strenger gefaßten Konstitutionsbegriff
entsprechen. Fälle solcher Art sind namentlich unter dem Status
hypoplasticus zu nennen, wir rechnen z. B. solche hierher wie den
folgenden, in dem es sich um ein 22jähriges junges Mädchen handelt,
bei dem wegen Basedowerscheinungen die Strumektomie in Lokal¬
anästhesie vorgenommen wurde und das 20 Stunden nach der Operation
plötzlich starb. Bei der Sektion fand sich an der gutgenährten Leiche,
die reichliches Fettpolster, mangelnde Behaarung der Schamgegend
und Fehlen der Achselhaare aufwies, ein bedeutend vergrößerter
Thymus von etwa Handtellergroße und einem Gewicht von 45 g. Die
Zungenbalgdrüsen und der lymphatische Rachenring waren stark
vergrößert, der Uterus war infantil, die Nebennieren zeigten sich auf¬
fallend klein bei einem Adrenalingehalt von nur 0,96 mg. Die Sektion
ergab also bei einem Falle von Morbus Basedowii, in dem klinisch die
Schilddrüse das Krankheitsbild völlig beherrschte, einen Status thymico-
lymphaticus bzw. hypoplyasticus mit besonders mangelhafter Ent¬
wicklung des chromaffinen Systems der Nebennieren. In einem zweiten,
ganz ähnlichen Falle von Morbus Basedowii betrug der Adrenalin¬
gehalt der Nebennieren sogar nur 0,78 mg.
Die Ansicht Harts über die Bedeutung des Thymus für Entstehung
und Verlauf des Morbus Basedowii ist bekannt, sie interessiert uns hier
nur insofern, als der Thymus magnus auf die pathologische Einstellung
des endokrinen Systems hin weist. Auch eine Hypoplasie des Neben¬
nierenmarkes bei Basedow ist in vielen Fällen nachgewiesen worden.
Als erster hat Wiesel 1 ) auf die Hypoplasie des chromaffinen Systems
aufmerksam gemacht und von verschiedenen Seiten ist dieser Befund
*) Wiesel , Zur pathologischen Anatomie der Addisonschen Krankheit. Zeit-
schr. f. Heilk. Z4. 1903. Über Befunde am chromaffinen System bei Hitzschlag.
Virehows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. 183 . 1906.
Gck igle
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in den Nebennieren unter äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung. 261
bestätigt worden [Hedinger 1 ), Hart 2 ), BarteP ), Goldzieher 4 ) u. a.].
Matti 5 ) glaubt die Hypoplasie des chromaffinen Systms sei wesent¬
lich verantwortlich zu machen für den Tod nach Strumektomie. Im
Gegensatz dazu haben Schmorl und Ingier Ä ) beim Morbus Basedow
mit Thymuspersistenz keine wesentliche Herabsetzung des Adrenalin-
wertes der Nebennieren festgestellt und daraus den Schluß gezogen,
daß der Tod der mit Thymus persistens behafteten Basedowkranken,
die rasch nach Strumaoperation sterben, nicht auf ein Versagen der
Adrenalinproduktion beruhen könne.
Es ist aber in solchen Fällen, wie Hart 1 ) ausgeführt hat, möglich,
daß trotz der hohen Adrenalinwerte eine Hypoplasie des chromaffinen
Systems vorhanden gewesen ist und daß nur durch Zurückhaltung
des Adrenalins in den Nebennieren eine gute Produktion vorgetäuscht
worden ist. Vor allem aber ist immer wieder darauf mit größtem Nach¬
druck hinzuweisen, daß die Konstellation im endokrinen System beim
Morbus Basedowii von Fall zu Fall eine ganz verschiedene sein kann und
daß ebenso wie der Thymus magnus auch die Hypoplasie der Neben¬
nieren fehlen kann. Ein großer Teil der Meinungsverschiedenheiten
über den Morbus Basedowii beruht auf der mangelhaften Analyse des
Einzelfalles und auf einer sehr unangebrachten und falschen Schemati¬
sierung.
Aus den Untersuchungen namhafter Autoren wie Hart 1 ), ChvosteJfl)
und anderer wissen wir, daß der Morbus Basedowii keine sog. moüo-
glanduläre Krankheitserscheinung ist, sondern sich auf dem Boden
einer abnormen Konstitution und namentlich einer krankhaften Be¬
schaffenheit, wenn man so sagen will, einer Minderwertigkeit des ge¬
samten endokrinen Systems entwickelt. Sie bietet die Grundlage für
die allerverschiedensten Krankheitsbilder, die aber doch immer wieder
а ) Hedinger , Übef Beziehungen zwischen Status lymphaticus und Morbus
Addisonii. Verh. d. pathol. Ges. 1907. Frankfurt. Zeitschr. f. Pathol. 1 . 1907.
*) Hart , Thymusstudien, HL Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. PhysioL
214 . 1913. — Die Insuffizienz des Adrenalsystems. Med. Klinik 1914, Nr. 14.
— Der Status thymico - lymphaticus. Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung 1920,
Nr. 23/24.
3 ) Bartel , Über die hypoplastische Konstitution und ihre Bedeutung. Wien,
klin. Wochenschr. 1908, Nr. 22. — 2. Status thymico-lymphaticus u. Status hypo-
plasticus. Leipzig u. Wien 1912.
4 ) Goldzieher , 1. c.
5 ) Matti . 1. Untersuchungen über die Wirkung experimenteller Ausschaltung
der Thymusdrüse. Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. 24 . 1912. — 2. Über
die Kombination von Morbus Basedowii mit Thymus hyperplasie. Dtsch. Zeit¬
schr. f. Chirurg. 116 . 1912.
б ) Ingier und Schmorl , 1. c.
7 ) Hart , 1. c.
8 ) Chvostek , Morbus Basedowii und die Hyperthyreosen. Berlin 1917.
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Original fro-m
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262
B. Peiser: Störungen der Adrenalinbildung
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dem aufmerksamen Beobachter eben wegen der einheitlichen Grund¬
lage viel Gemeinsames zeigen, wenn auch die Funktionsstörung bald
dieses, bald jene« Organes im Vordergründe steht. In dem einen Fall
werden die Veränderungen der Schilddrüse das Krankheitsbild bestim¬
men, in einem anderen werden wir einen Zustand finden, den wir
früher mit dem Begriff des Status thymicolymphaticus bezeichnet
haben, oder es treten Symptome des Morbus Addisonii als Zeichen der
Unterentwicklung der Nebennieren oder Veränderungen, die auf die
Hypophyse oder die Geschlechtsdrüsen zu beziehen sind, auf. In jedem
Falle haben wir es zu tun mit Erscheinungen, die letzten Endes hervor¬
gehen aus einer krankhaften Beschaffenheit des Gesamtorganismus,
einem ,,Status hypoplasticus“, wie ihn Bariei nennt, oder „Status
degenerativus“, wie Bauer ihn bezeichnet, deren Wesen nach unserer
Überzeugung in erster Linie in der Insuffizienz und Störung des Gleich¬
gewichts der endokrinen Organe zu suchen ist.
Es läßt sich nicht bezweifeln, daß es sich hier in vielen Fällen,
um einen ursprünglichen, von Hause aus gegebenen Zustand handelt.
Andererseits aber ist es unsere feste Überzeugung, daß die Gleich¬
gewichtsstörung des endokrinen Systems in anderen Fällen erst die
Folge schädigender äußerer Wirkungen darstellt.
Aus der Feststellung, daß das endokrine System in hohem Maße
die wichtigsten Lebensvorgänge beeinflußt und als Vermittler zwischen
Außenwelt und Organismus wirkt, können wir ohne weiteres ableiten,
daß die Schädigung der Adrenalinbildung dem Körper die nötige
Widerstandsfähigkeit gegen äußere Einwirkungen nehmen muß. Da¬
mit sind namentlich die plötzlichen Todesfälle nach Operation, Muskel¬
anstrengungen, während der Geburt usw. zu erklären, bei denen ein
Status thymicolymphaticus mit Insuffizienz des chromaffinen Systems
oder Veränderungen an anderen endokrinen Drüsen gefunden wurden.
Ob es die Schädigung des Herzens durch ThymusWirkung, ob die Ver¬
armung an Adrenalin oder die Insuffizienz irgendeines anderen endo¬
krinen Organes ist, dem die Schuld an dem plötzlichen Tod zuge¬
schrieben wird, spielt dabei keine Rolle. Das eine endokrine Organ
steht dem anderen nicht an Bedeutung nach, wir müssen den endo¬
krinen Apparat in seiner Gesamtheit betrachten. Mehr und mehr
kommen wir zu der Überzeugung, daß es in dem Streit der Meinungen
um die Ursache des plötzlichen oder postoperativen Todes beim Morbus
Basedowdi ein müßiges Bemühen ist, zu erforschen, ob der Thymus¬
hyperplasie oder der veränderten Schilddrüse oder der Insuffizienz
des chromaffinen Systems die größte Bedeutung beizumessen ist. Was
im besonderen die Insuffizienz des chromaffinen Systems anbelangt,
so muß sie, von Haus aus vorhanden, das Individuum von allem An¬
fang an unter erschwerte Lebensbedingungen stellen und wird wohl
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in <Jen Nebennieren unter äußeren Einflüssen und ihre biologische Bedeutung. 263
stets früher oder später verhängnisvoll werden. Jedoch findet eine
nähere Betrachtung, z. B. über das Verhalten des Herzgefäßapparates,
sehr schwierig zu beurteilende funktionelle Verhältnisse und Be¬
ziehungen. Andererseits bedeutet die von mir gefundene erworbene
Schädigung der Adrenalinbildung für das Individuum zweifellos eine
Herabsetzung seiner allgemeinen Widerstandsfähigkeit, über die wir
leider mangels genügender systematischer und einwandfreier Unter¬
suchungen und Beobachtungen Näheres nicht auszusagen vermögen.
Über die Beziehungen der Adrenalinbildung zu den verschiedenen
Krankheiten habe ich an anderer Stelle berichtet.
Wenn ich zum Schluß meiner Ausführungen komme, so läßt sich
folgendes zusammenfassend sagen:
Die beherrschende Stellung und biologische Bedeutung, die das
endokrine System im Organismus einnimmt, wird nicht allein dadurch
gekennzeichnet, daß auf Grund der art- und rassegemäßen wie der
durch individuelle Erbfaktoren vorausbestimmten Funktion der inner¬
sekretorischen Organe Wachstum und Entwicklung des Individuums
abläuft, sondern namentlich auch durch den Umstand, daß das endo¬
krine System die Rolle eines Vermittlers zwischen Außenwelt und
Körperzelle spielt. Auf der Umformung der äußeren Bewirkungen
in innere endokrine beruht im wesentlichen die Einpassung des Indi¬
viduums in die Verhältnisse der Umwelt.
Die schlechte Lebenshaltung der Kriegs- und Nachkriegszeit hat
die Funktion der endokrinen Drüsen stark beeinträchtigt. Verschiedene
Beobachtungen bestätigen dies für die Funktion der Schilddrüse.
Durch Adrenalinbestimmungen an einem Leichenmaterial von
158 Fällen konnte ich eine Herabsetzung der Adrenalinwerte um etwa
ein Drittel unter den früher als Norm bestimmten Durchschnittswert
der Friedenszeit feststellen und somit auch für die Nebennieren den
strengen Beweis einer Funktionsschädigung als Folge der schlechten
Emährungsverhältnisse erbringen. Experimentelle Versuche an Meer¬
schweinchen erbringen eine weitere Stütze dieser Annahme.
Die durch die Unterernährung bedingte Schädigung der Neben¬
nierenfunktion muß ebenso wie die der Funktion anderer innersekretori¬
scher Organe die gesamte Körperverfassung schwer beeinträchtigen, die
Schädigung der Schilddrüse gibt sieh deutlich in krankhaften Er¬
scheinungen zu erkennen, die des chromaffinen Systems dürfte in einer
allgemeinen Herabsetzung der Widerstandskraft, der Energie und Aus¬
dauer wichtiger Lebensäußerungen sich geltend machen.
Die Feststellung, daß die innersekretorischen Organe in weitest¬
gehendem Maße abhängig sind von äußeren Einflüssen, mahnt zur
Vorsicht in der Beurteilung individueller Besonderheiten des endo¬
krinen Systems und zu ihnen in Beziehung gebrachter Erscheinungs-
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII. 18
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264 K. Peiser: Störungen der Adrenalinbildung in den Nebennieren usw.
und Funktionsformen des Gesamtorganismus. Die strenge Durch¬
führung eines scharfen Konstitutionsbegriffes hängt hiervon ab.
Für die Praxis geben meine Beobachtungen den Hinweis, mehr
denn je der Funktion des endokrinen Systems Rechnung zu tragen.
Es ist wohl nicht daran zu zweifeln, daß die Widerstandsfähigkeit
dem Krankheitsvirus gegenüber stärker herabgesetzt ist als früher
und daß der Kliniker jetzt in vermehrtem Maße den schweren Bildern
der Kreislaufschwäche begegnet. Der tatsächlich erbrachte Beweis
der Verarmung des Körpers an Adrenalin weist dem Kliniker den Weg,
wie er den Ausfall ersetzen und somit vielleicht den Kranken retten
kann. Daß das Adrenalin in der Therapie des Praktikers bei adyna-
mischen, hypotonischen und Kollapszuständen, in neuester Zeit auch
zu Wiederbelebungsversuchen bei akuter Herzlähmung und bei Narkose¬
herzstillstand durch intrakardiale Injektion eine nicht zu unter¬
schätzende Rolle spielt, zeigen viele Arbeiten der neueren Literatur.
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Diagnostische Bedeutung der Wasserprobe bei Nierenkranken.
Von
W. Moraezewsbi.
(Aus der II. Internen Abteilung des allgem. Krankenhauses in Lemberg
[Vorstand: Prof. Dr. R. Rencki].)
Mit 30 Textabbildungen.
(Eingegangen am 17. November 1921.)
Die Wasserprobe bei Nierenkranken, wie sie von Volhard emp¬
fohlen wurde, bleibt wohl trotz mancher Modifikation die einfachste
und doch ziemlich maßgebende Methode, um über die Nierentätigkeit
ein Urteil zu gewinnen.
Sie gibt natürlich ebensowenig Aufschluß über den weiteren Ver¬
lauf der Krankheit, wie die anderen komplizierten Methoden; man hat
nämlich sowohl schlechte Wasserausscheidung bei gutartiger Er¬
krankung, wie eine gute Ausscheidung bei schlimmer Prognose beob¬
achtet. Man war auch bestrebt die Methode zu modifizieren, indem
man die Minutenausscheidung verzeichnete, oder wie es G. Becker 1 )
tut, die Menge des ausgeschiedenen Wassers mit dem spezifischen
Gewichte des Harnes zahlenmäßig kombinierte.
Die Einfachheit und relative Unschädlichkeit der Probe war der
Anlaß zu den hier folgenden Untersuchungen, über die ich in Kürze
berichten will. — Zweierlei Fragen wurden hier gestellt: 1. Ob man
durch die Wasserprobe oder ihre Wiederholung Aufschluß über die
Prognose gewinnen könnte und 2. ob man durch die Wasserprobe
den Wert der harntreibenden Mittel schätzen dürfte.
Um über letzteres Aufschluß zu gewinnen, wurde den Kranken
1 Liter Wasser zugleich mit 1 g Calcium chloratum oder 0,2 g Coffein,
oder 5 g Harnstoff usw. gegeben und dabei die Minutenausscheidung
verzeichnet. Als Nebenfrage war der Typus der Ausscheidung, sowohl
der Diuretica wie der Nierenerkrankung behandelt worden. Sollte
ein harntreibendes Mittel einen gewissen Typus der Ausscheidung
haben, so mußte dieser bei verschiedenen Kranken sich wiederholen,
wenn auch mehr oder weniger durch die krankhafte Ausscheidung
entstellt. Sollte die Nierenausscheidung selbst bei verschiedenen Indi-
*) Erwin Becker (Gießen), Münch, med. Wochenschr. 30 , 807. 1918.
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII. 19
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W. Moraczewski:
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viduen oder Krankheitsformen eine bestimmte Ausscheidungsweise
zeigen, so würden wir diese bei wiederholten Versuchen zu Gesicht
bekommen.
Die wiederholte, mit verschiedenen Hamtreibungsmittel kombinierte
Wasserprobe sollte endlich zeigen, ob die Nierenausscheidung zu ver¬
bessern sei und welches von den angewandten diuretischen Mitteln
dazu am meisten geeignet erscheint.
Es wurde dementsprechend den Kranken jeden zweiten oder dritten
Tag 1 Liter Tee zuerst ohne jedem Zusatz, dann mit 1 g Chlorcalcium,
oder 5 g Harnstoff oder 0,2 g Coffein, Kalium acetieum, Theobromin.
Theophyllin, Digitalis, Urotropin usw. gereicht und es stellte sich heraus,
daß mancher Kranke auf dieuretische Mittel gar nicht reagierte, die
anderen antworteten mit einer mehr oder weniger gesteigerten Harn¬
ausscheidung. Bei diesen nim haben wir fast immer Heilung erreicht.
Es ist mithin ein Mittel gegeben, sich in wenigen Tagen je nach dem
Verhalten der Diurese über
die Schwere der Erkran¬
kung zu orientieren. Dieser
„Wasserstoß“, welchen ein
Liter Tee bewirkt, darf wohl
als ein geradezu therapeu¬
tischer Eingriff angesehen
werden. SeineWiederholung
verbietet sich nur bei ex¬
tremer Herzschwäche.
Ein und halb Liter haben wir fast nie gegeben und glauben, daß
diese Menge, für die meisten schwer zu verschlingen sei; sie ist auch
nicht unbedingt notwendig zur Beantwortung der Fragen, welche
liier gestellt waren. — Nach drei solchen Trinktagen ließ sich auch
beurteilen, ob die Niere auf Harnstoff, Coffein oder Chlorcalcium am
lebhaftesten reagierte. Diesem Mittel wurde dann bei der Therapie
der Vorzug gegeben. Selbstverständlich waren die Versuche bei Ödem¬
freiheit unternommen und das Körpergewicht wurde kontrolliert.
Auch dieses muß in Betracht genommen werden, daß nach wenigen
Tagen eine gutartige Nephritis sich bessert auch ohne jeder Therapie,
daß also der Harnstoff am 9. Tage gereicht, besser wirke als das Chlor-
calcium, welches am 3. Tage gegeben wurde. Mit diesem Umstande
wurde immer gerechnet, wenn man die Predilection der Niere für dieses
oder jenes Mittel bestimmen wollte. Es war auch leicht zu zeigen,
daß sowohl im Anfangsstadium, wie in der Zeit der Ausheüung für
gewisse Nieren der Harnstoff kein so wirksames Diureticum war, wie
die Kalksalze, oder daß das Coffein in jeden Stadium sich wirksamer er¬
wies als die Mineralsalze. — Weiter zeigte es sich ganz allgemein, daß
I. 500 ocm H,0 2. 1000 H.O s. \:m H,()
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Diagnostische Bedeutung der Wasserprobe bei Nierenkranken.
267
das Wasser, selbst wenn es nicht beschwerend wirkt, die maximale
Ausscheidung zu verschieben imstande ist.
Fällt z. B. die maximale Ausscheidung nach Harnstoff auf die
erste halbe Stunde bei 500 g Tee, so wird sie bei 1500 g Tee auf die
vierte halbe Stunde fallen. Onne Wasser gegeben gibt das dimetische
Mittel die maximale Ausscheidung stets in der ersten halben Stunde.
Die Fälle sind nach ihrer Schwere geordnet. Zuerst die Nieren-
degeneration mit reichlichen Zylinder-, Nierenepithelien und Leuco-
cyten, Amyloidniere und chronische Erkrankung, dann die reine
Glomerulonephritis mit wenig Zylinder und vorwiegend roten Blut¬
zellen, dann die gemischte Form mit Zylinderepithelien, weißen und
roten Blutzellen, dann die sklerotische Niere mit wenigen hyalinen
Zylinder, endlich die leichten Fälle, die sog. Nephritiden ohne Alb.,
Pyelonephritis und ausgeheilten Nephritiden.
Die Degeneration
mit ihren um 1012
schwankendem spezifi¬
schen Gewichte, reagiert
weder auf diuretische
Mittel noch auf den
„Wasserstoß“. Die Kon¬
zentrationsfähigkeit 1000 H f O 1000 H,0
übersteigt nicht 1016. NephritiBUD>t . Nep^tuLat.
Eiweiß ist reichlich vor-
1500 H,0
Claß:
Nephritis saoat.
handen, das Sediment meist aus granulierten Zylindern und Nieren¬
epithelien bestehend. (Fall 1, 2, 7, 9).
Diese Fälle zeichnen sich dadurch' aus, daß sie in der ersten
halben Stunde den meisten Urin produzieren; diese Menge
wird zuweilen (in dem Fall 1 und 2) durch diuretische Mittel gestei¬
gert, aber die nächsten Stunden bieten das Bild einer Anurie. Ein
weiteres Charakteristikum ist für solche schweren Fälle, daß sie ohne
Wasser zuweilen mehr Harn ausscheiden, als mit Wasser und
harntreibenden Mitteln. Die Überlastung der Nieren scheint hier
mehr zu schaden als das diuretische Mittel zu helfen imstande ist.
(Fall 9 und 10). Unter diesen Fällen haben wir zwei zu verzeichnen,
welche kein, oder nur Spuren von Eiweiß im Urin hatten und trotzdem
Gesichtsödem, Blutdrucksteigerung und volles Versagen der Nieren¬
funktion zeigten. In dieser ganzen Reihe schwerer Fälle war bald
das Coffein, bald der Harnstoff, bald das Chlorcalcium von sicht¬
barer, wenn auch geringer Wirkung; eine Bevorzugung der Mittel
konnten wie nicht herausfinden; allerdings war die Anzahl der Fälle
eine geringe und die Reaktion, wie oben betont, war auch kaum
nennenswert.
19 *
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268
W. Moraczewski:
Die mittelschweren Fälle boten im großen und ganzen das gleiche
Bild wie die schweren Degenerationen, auch hier ist im Anfang die
Harnausscheidung am reichlichsten und fällt dann rapid. Unter diesen
Fällen ist eine schwere Myocarditis verzeichnet, welche zu einer
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Diagnostische Bedeutung der Wasserprobe bei Nierenkranken. 269
Stauungsniere geführt hat. Trotz der mangelhaften Ausscheidung ist
der Typus derselben etwas verschieden von den früheren; es liefert die
zweite und dritte halbe Stunde den meisten Harn (Fall 13).
0,2 g Coffein VII. Reihe. Wandy ka: Nephritis tbc.
VI.Reihe.Procak: Nephritisparenchym. Alb. Spur. Sediment: Zylinder, Leuko-
Alb. 5%,. Sediment: Leukocyten, Epithe- cyten (1 Abb.)
lien, Zylinder (2 Abb.).
0,2 g Coffein Theophyl. 0 lg CaCl, 5 g Urea Ohne H,u
VIH. Reihe. Wondricek: Nephritis parenchymat Ödeme. Alb. 8 # /oo- Sediment: Nierenepithelien.
Zylinder, granulierte Leukocyten (5 Abb.).
1000 H,0 Ohne H,0 . 5 g Urea 1 gCaCl,
IX. Reihe. Zawadzki: Nephritis sine album. Ödeme. Sediment: wenige
granulierte Zylinder (4 Abb.).
1000 H 2 0 2 g CaCl, 0,2 g Coffein 5 g Urea
X. Reihe. Rubel: Nephritis mixta Alb. 2*/ 0i . Sediment: granulierte Zylinder,
Epithel len, rote Blutzellen.
1000 H a O 1 g CaCL 5 g Urea 0,5 g Urotrop. 0,2 g Coffein
XI. Reihe. Lesar: Nephritis interstit. Alb. Spur. Sediment: Zylinder und Leukocyten.
1000 H,0 Urea S. lg Kali acet. 0,2 g Coffein 2 g CaCl,
XIL Reihe. Slawik: Insuff, musculi cordis. Alb. 0,1 # / M - Sediment: Zylinder.
Ganz verschieden in bezug auf die Art der Harnausscheidung sind
die sklerotischen Nieren, von welchen die Fälle 14, 15 und 16 ein Bild
geben. Alle diese Fälle zeichnen sich durch verspätete Ausscheidung,
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270
W. Moraczewski:
zuweilen wird in der ersten halben Stunde gar nichts ausgeschieden,
erst in der zweiten Stunde liefert die Niere den meisten Ham, welcher
jedoch die eingeführte Wassermenge nicht erreicht.
Die zur Ausheilung gelangenden Fälle von Glomerulonephritis und
Nephritis mixta boten im allgemeinen das Bild einer normalen Aus¬
scheidung. Wenn auch die erste nach der Einlieferung ins Krankenhaus
gemachte Probe eine starke Herabsetzung der Harnausscheidung zeigt.
2000 H,0 CaCl,
Xm. Nierensklerose, Alb. Spar.
Sed.: grau, and hyal. Zylinder
1000 H.O
XIV. Nierensklerose
1000 H.O 1 g CaCl, 5 g Urea
XV. Reihe. Lehazschin: Nierensklerose, Alb. IV
Sediment; granulierte und hyal. Zylinder.
1000 H.O 5 g Urea CaCl,
XVI. Reihe. Urban: Nephritis parenchym., 8*/ M Alb.,
Sediment: granulierte Zylinder.
1000 H t O 5 g Urea 2 g CaCl,
XVTI. Reihe. Drezur; Rote und weiße Blutzellea.
Ohne H.O 1000 H t O ß g Urea 1 g CaCl, 0,2 g Coffein
XVIII. Reihe. Morista: Glomerulonephritis, Alb. 1,6 # /#*, Erythrocyten, Leukocyten, granulierte Zylinder.
so führt doch Chlorcalcium, Urea und Coffein, zu einer sichtbaren
Änderung. — Die Ausscheidung der zweiten und dritten halben Stunde
übertrifft die frühere Ausscheidung um etliche cct und dieses darf
wohl als ein Zeichen einer Regenerationsfähigkeit gelten. Bei Fall 22
hatten wir Gelegenheit, etwas länger die Einwirkung der verschiedenen
Mittel zu verfolgen und es trat hier deutlich zutage, wie anfangs die
Ausscheidung den Typus der degenerativen Ausscheidung hatte, wie
sich dann später der normale Ausscheidungstypus einstellte. Das Chlor-
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272
W. Moraezewski:
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calcium und der Harnstoff, welche früher ihre Wirkung in der ersten
halben Stunde zeitigten, rufen jetzt in der zweiten und dritten
die maximale Ausscheidung hervor. Eine Bevorzugung der diuretischen
Mittel war auch hier nicht ^u sehen, auch ist der Verlauf der Aus¬
scheidung so ziemlich gleich, ob man mit Kalium aceticum oder Chlor¬
calcium oder mit Theophyllin und Coffein arbeitet 1 ). Nur der Harn¬
stoff und das Urotropin gibt in der ersten halben Stunde den meisten
Harn. Für das Urotropin finden wir das Obengesagte in den beiden
von uns gemachten Versuchen bestätigt. Für den Harnstoff war diese
Regel weniger deutlich 2 ). Während Urotropin in der ersten halben
Stunde das Maximum hervorruft, sahen wir bei Harnstoff neben dem
gleichen Verhalten auch eine verzögerte Wirkung, wie bei Coffein usw.,
wobei erst die zweite halbe Stunde, zuweilen erst die dritte den
meisten Ham lieferte.
Die leichten Fälle der Nephritis sine albumine (Fall 32 und 33),
fielen uns durch ihre verzögerte, wenn auch reichliche Ausscheidung
auf. Die beiden dickten den Ham regelrecht ein, bis 1032 spez. Gew.,
boten auch sonst nichts abnormes; keine Druckerhöhung von Bedeu¬
tung, keine uremischen Erscheinungen. Das ödem des Gesichtes und
die spärlichen Zylinder im Sedimente wichen bald, nur das Verhalten
der Harnausscheidung, welche in der vierten und fünften halben Stunde
ihr Maximum erreichte, war hier auffallend.
*) Die mineralischen Diuretica scheinen ein späteres Ausscheidungsmaximum
zu haben.
2 ) Bei Harnstoff ist der Einfluß des gleichzeitig getrunkenen Wassers deutlich
indem je mehr Wasser, um so später die maximale Ausscheidung.
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Diagnostische Bedeutung der Wasserprobe bei Nierenkranken. 273
Was nun die zweite von uns gestellte Frage
betrifft, so haben wir sie z. T. bereits bei Be¬
sprechung der klinischen Fälle in Nuce beantwortet.
Um es nochmals zu wiederholen, unterscheiden
wir zwei Typen der Ausscheidung. 1. Nach Harn¬
stoff und Urotropin mit der maximalen Ausschei¬
dung der ersten halben Stunde und 2. die Aus¬
scheidung nach der Puringruppe: Coffein, Theo¬
phyllin, Theobromin, welche durch ein Maximum
isa der zweiten, dritten oder vierten halben Stunde
charakterisiert ist. Das Chlorcalcium und Kalium
aceticum scheinen ebenso zu wirken.
feines, betr. den Ausscheidungsmodus, ist von
besonderer Wichtigkeit. Gibt man den Kranken
diuretische Mittel ohne Wasser, also bei Durst-
diät, so scheidet es nach allen diuretischen Mit¬
teln sowohl der Coffeingruppe wie der Harnstoff-
gruppe in der ersten halben Stunde das Maxi¬
mum des Harnes aus. Auch der Gesunde scheidet
in der ersten halben Stunde bei Durst das Maximum
aus und auch bei Gesunden ändern an diesem
Ausscheidungstypus die diuretischen Mittel gar
nichts. — Die Ausscheidung einer degenerierten
Niere gleicht also in dieser Hinsicht einer Aus¬
scheidung bei Gesunden bei Wassermangel.
Wie bereits oben mehrfach erwähnt wurde, übt
die Menge des gereichten Wassers auf den Aus¬
scheidungsmodus eine entscheidende Wirkung aus,
indem die maximale Harnmenge desto
später eintritt, je mehr man Flüssigkeit
gereicht hat. Nur bei Degeneration zeigt das
Wasser diese Wirkung nicht.
An diese klinische Beobachtung reihen sich
Versuche an, welche bei Gesunden angestellt
wurden. Zunächst wurde die Art der Ausscheidung
notiert, welche man ohne Wasser zu trinken von
früh 6—10 Uhr beobachtet. Es stellte sich ein¬
deutig heraus, daß auch bei schwankender Harn¬
ausscheidung die erste halbe Stunde die größte
Hammenge liefert. Harntreibende Mittel beein¬
flussen die Hammenge unwesentlich, jedenfalls
ist ihre Wirkung auf die erste halbe Stunde be¬
schränkt. Es sei nochmals hervorgehoben, daß
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10. 100 H,0 11. 1 g CaCI, 12. 1500 H t O 18. 1 g Kali acet. U. 1000 H,0 15. 5 g Urea 10. 1000 H,0 17.0,25gTheoph. 18.0 t 26gTheoph.
0,5 Theoph. Ohne H,0 2 g CaCh 1 g Kali acet* Ohne H,0 6 g Urea Ohne H,0 1000 H t O
Diagnostische Bedeutung der Wasserprobe bei Nierenkranken.
275
dieser Ausscheidungstypus mit demjenigen zusammenfällt, welchen
man bei degenerativen Formen beobachtet. Es ist also die Ausscheidung
der erkrankten Niere mit einer solchen zu vergleichen, welche man
bei Wasserverarmung des Organismus antrifft. Dieses würde für eine
allgemeine Zirkulationsstörung bei jeder Nierenaffektion sprechen,
für eine extra renale Wasseraufsaugung 1 ).
Für eine gesunde Niere ist das getrunkene Wasser ein Beiz, wel¬
cher die Nierentätigkeit befördert. Auch ohne jegliche diuretische
Mittel sehen wir bei Gesunden eine Mehrausscheidung von 400 cct.
Rechnet man davon die Menge Ham, welche ohne Wassertrinken aus¬
geschieden wird, und die um 300 cet. schwankt, so ist trotzdem eine
Mehrausscheidung bei 1500 und auch bei 500 zu sehen.
Die Diuretica ändern an diesem bei Gesunden wenig. Wir finden
zwar sowohl bei Coffein wie bei Theobromin, Digalen usw. ein Über¬
schuß der Ausscheidung, aber wenn man im Auge behält, daß auch
ohne Diureticis eine Ausscheidung von 1900 nach 1500 Wasser oder
600 nach 500 vorkommt, so muß man zugeben, daß bei Gesunden die
Wirkung wenig ausgesprochen ist. — Damit will nicht gesagt werden,
daß die diuretisehen Mittel ohne Wirkung sind, nur wollen wir dem
Umstande besonders Rechnung tragen, daß sie ohne Wasser kaum
wirken und daß mit der Menge des zugesetzten Wassers ihre Wirkung
steigt. — Hier muß wieder die Einschränkung gemacht werden, daß
dieses bis zur gewissen Grenze gilt, denn 1500 Wasser ist für manche
Niere zu viel und nach 500 scheidet mancher relativ mehr Ham aus, als
nach 1000 cct. Jedenfalls zeigen unsere Versuche, daß das Wasser
allein zu derselben Reihe Diureticis gehört, wie das Coffein und daß
die Wassermenge den Ausscheidungstypus bedingt.
x ) Wie bereits gesagt wurde, hat diese Art der Ausscheidung mit den Ödemen
nichts zu schaffen, da unsere Fälle bei Ödemfreiheit dasselbe zeigten.
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Zur Pathochemie der Blutlipoide bei experimenteller Anämie.
Von
H. Jastrowitz.
(Aus der Med. Universität«-Poliklinik Halle-S. [Dir.: Prof. Dr. Straub].)
(Eingegangen am 20. Januar 1922.)
I. Einleitung.
Gegenüber den zahlreichen morphologischen Studien, die wir über
Blutbild und Organbefund bei Anämien besitzen, tritt die Chemie
verhältnismäßig in den Hintergrund. Die älteren Untersucher befaßten
sich meist mit dem Wasser- und Stickstoffgehalt des Blutes und registrier¬
ten Hypalbuminose und Hydrämie als Folge anämischer Krankheits¬
bilder verschiedensten Ursprungs. Erst in neuerer Zeit ist man auf eine
weitere Gruppe organischer Bestandteile des Blutes aufmerksam ge¬
worden, die Lipoide, deren Bedeutung für diese Frage sich wesentlich
auf experimentelle Grundlagen gründet (Kobragifthämoly^e, Antagonis¬
mus zwischen Cholesterin und Phosphatiden, östrin-, sowie Ölsäure¬
theorie für die Genese der Anämie perniciosa). Bereits 1914 hat Verf. 1 )
dieses Thema von dem allgemeinen Gesichtspunkt der Bedeutung der
Fettbildung im Organismus bei Organ-Degenerationen angeschnitten.
Es konnte festgestellt werden, daß im Blut der Gesamtcholesteringehalt
bei Intoxikation mit anämisierenden Giften, wie Nitrobenzol und Toxin
des Vibrio Nasyk und El Tor auf das zwei- bis dreifache des Normalen
steigt und zwar sowohl in der natürlichen, wie in der Trockensubstanz.
Daneben war auch der Gehalt an Phosphatiden erhöht. Ähnliche Ver¬
änderungen konnten auch an den inneren Organen festgestellt werden
(Cholesterinanhäufung in den Nieren). Es mußte die Frage offen gelassen
werden, ob bei Zerstörung der Blutkörperchen Lipoide freigemacht wür¬
den, die im Blute kreisen, ehe sie von den Organen aufgenommen wer¬
den, ob reparatorische Vorgänge hierbei eine Rolle spielen, ob endlich
verminderter Abbau [Blockierung der Lipoide nach Sakai 2 )] vorliegt.
Weiterhin kommt in Betracht, daß es nicht allein darauf ankommt,
*) H. Jastrowitz, Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 15 , 116 u. 222.
2 ) Sakai, Bioehem. Zeitschr. 62, 387.
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II. Jastrowitz: Zur Pathochemie der Blutlipoide bei experiinent. Anämie. 277
wie hoch der Spiegel der einzelnen Lipoide im Gesamtblut ist, sondern,
daß vor allem das Verhalten derselben in den Blutkörperchen und im
Plasma von Bedeutung ist, ebenso wie das Verhältnis der einzelnen
Lipoidkörper zueinander. Die damals im Rahmen der umfassend
unternommenen Fragestellung orientierend vorgenommene Geamtblut-
analyse konnte lediglich als eine Etappe für spätere Untersuchungen
dienen. Es ist daher auf den rein orientierenden Wert der Gesamtblut¬
untersuchung und die Notwendigkeit der Trennung von Plasma und
Körperchen einerseits, andererseits auf die mögliche Bedeutung der
einzelnen Substanzen und ihres gegenseitigen Verhältnisses hingewiesen
worden. Während der Kriegsjahre und immittelbar danach sind diese
Anschauungen weiter ausgebaut worden [Bloor 1 ), Bloor undMc. Pher-
son 2 ), Sundstroem und Bloor 3 ), Feigl 4 ), Horiuchi 5 )] Arbeiten,
auf die noch zurückzukommen sein wird.
Zunächst sei bemerkt, daß wir zwar seit den letzten Jahren eine
große Menge von Einzeldaten über Lipoide bei Anämien besitzen, aber
bisher nichts, was uns irgendwie Aufschlüsse geben könnte über die Art
der Anämie. Erschwert wird die Beurteilung durch die Verschiedenheit
der Methodik, deren sich die einzelnen Untersucher bedienten. Aus die¬
sen methodischen Schwierigkeiten folgte, daß die einzelnen Autoren
sich mehr oder minder auf diesen oder jenen Bestandteil, Cholesterin
Lecithin usw. beschränkten, während, wie schon kurz vorher betont
wurde, gerade eine Gesamtübersicht über die einzelnen Lipoidsubstanzen
(Phosphatide, Cholesterinester, Cholesterine, Fettsäuren, Seifen, Neu¬
tralfett) dasjenige Moment ist, auf das es ankommt.
Es seien daher die älteren Untersuchungen, die bereits an anderer
Stelle eingehend berücksichtigt wurden, übergangen und nur die neueren
diskutiert. Klinisch hat Rosenthal 8 ) einen Fall von hämolytischem
Ikterus untersucht. Es wurden direkte Makroanalysen des Plasmas
und des gewaschenen Blutkörperchenbreies angestellt. Hinsichtlich
der Phosphatide ist dieses Verfahren nicht ganz unbedenklich [Brinck-
mann und van Dam 7 )]. Es fand sich eine Herabsetzung von Lecithin
Gesamtcholesterin im Serum, auch eine erhebliche Herabsetzung des
Lipoidphosphors in den roten Blutkörperchen ließ sich feststellen
(0,0562°/ 00 , statt einem normalen Minimum von 0,1033°/^ und Maxi¬
mum von 0,213°/^) . Ferner haben mit der auch hier von mir angewandten
*) Bloor, Journ. of biol. Chem. 45, 171.
2 ) Bloor u. Mc. Pherson, Joum. of biol. Chem. 51 , 79.
3 ) Bloor u. Sundstroem, Joum. of biol. Chem. 45, 152.
4 ) Feigl, Biochem. Zeitschr. 115 , 63, woselbst die früheren Arbeiten von
Feigl angeführt sind.
6 ) Horiuchi, Journ. of biol. Chem. 44, 363.
fl ) Rosenthal, Dtsch. Arch. f. klin. Med. 15 », 129.
7 ) Brinckmann und v. Dam, Biochem. Zeitschr. 195 , 35.
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278
H. Jastrowitz:
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Bangschen Methode C. D. de Langen und H.Spuit 1 ) bei verschie¬
denen Krankheiten Blutanalysen vorgenommen. Sie fanden gegenüber
einer normalen Gesamtlipoidmenge des Blutes von 1,5% bis 2% bei
an Malaria, bzw. Tbc.-Erkrankten eine starke Vermehrung.
Weitere grundlegende Versuche bezüglich Lipämie bei Anämie
gehen auf Sakai (1. c.) zurück. Von ihm stammt die Idee der Blockie¬
rung des Fettes bei Anämischen infolge mangelnden Lipasegehaltes.
Unter seinen Ergebnissen ist bemerkenswert, daß er zwischen einer Blu¬
tungsanämie und einer Vergiftungsanämie einen wesentlichen Unter¬
schied nicht feststellen konnte. Dies hegt z. T. daran, daß eine systema¬
tische Untersuchung von Blutkörperchen und Plasma nicht vorgenom¬
men wurde, dieselbe sich vielmehr, der Methode (Kumagawa -Shi-
midzu) entsprechend, auf Fett und Gesamtcholesterin beschränken
mußte und nicht auf Phosphatide ausgedehnt werden konnte. Prin¬
zipielle Fortschritte in dieser Richtung verdanken wir erst Bloor
und seiner Schule, sowie Feigl. Soweit Bloors Arbeiten hier in
Frage kommen, läßt sich folgendes sagen: nach Fettfütterung tritt
eine Erhöhung des Blutfettes ein 2 ). Bezüglich der Hungerlipämie
konnte Bloor ein konstantes Verhalten nicht konstatieren; diese ist
in hohem Maße abhängig von dem allgemeinen Ernährungszustände.
In dieses Gebiet gehören auch die Untersuchungen von E. S. Sund-
stroem und W. R. Bloor 8 ), die den Gehalt des Blutes und des Plasmas
bei anämischen Tieren untersuchten, die mehrere Stunden bei niederem
Druck gehalten wurden. Es zeigte sich schon nach kurzer Einwirkung
ein Wiederansteigen der Roten, begleitet von einem Absinken der Phos¬
phatide im Plasma, eine Erscheinung, welche als reparatorische Ab¬
wanderung des Phosphors in das Knochenmark gedeutet wird. Eine Ver¬
änderung der phosphorhaltigen Substanzen der roten Blutkörperchen
selbst ließ sich nicht feststellen.
Ähnliche Versuche bei durch Aderlaß anämisierten Kaninchen 4 )
zeigten eine Änderung des Lipoidgehaltes des Blutes erst dann, wenn
die Erythrocyten nur noch die Hälfte der Norm ausmachen; gleichzeitig
sinkt der Cholesteringehalt, während der Fettgehalt steigt. Das Lecithin
sinkt im Plasma, behält aber in den Blutkörperchen seine normale Höhe
bei. Eine wichtige Ergänzung stammt von Horiuchi (1. c.), der nach
der Bloor sehen Methode an anämischen Kaninchen zeigen konnte,
daß die Fettsäuren sehr erheblich anstiegen, am stärksten bei Fettfütte¬
rung. Auch die Blutkörperchen nehmen an Lecithin erheblich zu.
*) de Langen und H. Spuit, Expt. Spa. rec. 41 , 44, zit. nach Zentralbl. f.
Biochem. 14 , Nr. 13, S. 2020. 1920.
2 ) Bloor, Journ. of biol. Chem. 19 , H. 1, S. 1.
3 ) Sundstroem und Bloor, Journ. of biol. Chem. 45, H. 1, S. 152. 1920.
4 ) Bloor, Journ. of biol. Chem. 31 , 79.
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Zur Pathochemie der Blutlipoide bei experimenteller Anämie.
279
Immer blieben jedoch die Fettsäuren im Vorsprung, nur ist zu bemerken,
daß die Blutkörperchen an dem höheren Gehalt von Fettsäuren keinen
Anteil hatten und daß das Cholesterin in den Blutkörperchen konstant
blieb. Weiter ausgebaut wurden diese Untersuchungen von Feigl
(1. c.). Von ihm wurde eine Reihe von Fällen klinischer Anämie (Blut¬
verlust, Hämoptoe nach Tbc. usw.) untersucht und auch experimentelle
Versuche an Kaninchen und Meerschweinchen mit dem Ergebnis an¬
gestellt, daß im allgemeinen nach Blutungen eine Lipämie einsetzte,
die nach dem Blutverlust ca. acht Tage andauert. Am meisten beteiligt
sind die Fette. Die Gesamtfettsäuren sind bis auf das 10—löfache ge¬
steigert, während das Lecithin nur ca. das 4 —6fache der Norm ausmacht.
Die Erythrocyten ließen Veränderungen nicht erkennen. Alle diese
Arbeiten befassen sich hauptsächlich mit Anämien nach Aderlaß.
Andere Formen sind nur wenig berücksichtigt worden.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß man mehr oder minder hohe
Steigerungen der Lipoide, namentlich der Fette, bei Anämien registriert
hat, daß die Roten gelegentlich Steigerungen der Phosphatide zeigen,
daß dies aber kein konstantes Verhalten ist. Der Zweck dieser Unter¬
suchungen war daher, eine Klärung der Bedingungen herbeizuführen,
unter denen diese Variationen zustande kommen.
Es handelt sich darum, zunächst einmal Analysen von Blutkörper¬
chen und Plasma getrennt vorzunehmen, weiterhin darum, die einzelnen
Lipoidsubstanzen mindestens nach Gruppen zu bestimmen. Nun ist
bereits von mir sowohl, wie in den ins einzelne gehenden Arbeiten
von Feigl ganz besonders auf die Schwierigkeiten hingewiesen worden,
die der Gewinnung von Normalwerten und der Beurteilung der Befunde
entgegenstehen. Ernährungszustand, Art und Individualität des Ver¬
suchstieres, Fettwanderung bei kachektischen und anämischen Zustän¬
den beeinträchtigen die Beurteilung der Resultate in mehr oder minder
hohem Grade. Eine weitere Erschwerung der Sachlage liegt darin, daß
stärkere Organveränderungen (Nephritis, Leberdegeneration) natur¬
gemäß in der chemischen Pathologie des Blutes sich fühlbar machen.
Eine absolute Möglichkeit, diese sekundären Veränderungen, welche
schwer von primär-bedingten zu trennen sind, zu vermeiden, wird nicht
bestehen, denn bei so tief eingreifenden pathologischen Prozessen,
wie es schwere Anämien, besonders chemisch-hämolytischer, bzw.
bakteriell-toxischer Natur sind, wird es nie ohne Organschädigungen
abgehen. Immerhin konnte erwartet werden, daß nach allem, was über
die biologische Rolle bei hämolytischen Vorgängen bekannt ist, der
Gehalt dieser Substanzen bei Erkrankung der E. oder überstürzter
Neubildung derselben sich irgendwie verändern würde. Vielleicht wäre»
auf diesem Wege auch eine Abtrennung der hämolytischen von der Blu¬
tungsanämie möglich. Hindernd mußte hier vor allem a priori der Um-
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280
H. Jastrowitz:
stand in den Weg treten, daß die genannten Vorgänge (Neubildung,
Zerstörung der E.) sich mehr oder minder zeitlich miteinander vergesell¬
schaften und dadurch sich in ihren chemischen Auswirkungen z. T.
kompensieren. Sind solche Veränderungen aber trotzdem nachweisbar,
so wird man sie als durch Anämie bedingt ansprechen dürfen. Das
Gleiche gilt von den Abweichungen im Lipoidgehalt des Plasmas, die
man, soweit nicht prägnante, dieselben erklärende Organveränderungen
vorhanden sind, gleichfalls auf Rechnung der anämisierenden Faktoren
wird stellen dürfen.
Von diesen Erwägungen ausgehend, sind die weiter unten zu bespre¬
chenden Versuche in der Absicht unternommen worden, allgemein
Unterschiede in der Lipoidzusammensetzung von Plasma und Ery-
trocyten gegenüber der Norm aufzufinden, das Verhalten subakuter und
chronischer Vergiftungsformen sowie das hämolytischer und Blutungs¬
anämien miteinander in dieser Hinsicht zu vergleichen, um hieraus
vielleicht für die Pathologie auch im weiteren Sinne verwertbare Gesichts¬
punkte zu gewinnen.
2. Versuchsanordnung und Methodik.
Neben den schon erörterten Schwierigkeiten allgemeiner Natur,
die sich den Untersuchungen entgegenstellen, fällt für die Bearbeitung
des vorhegenden Themas die Wahl der Versuchsanordnung und Metho¬
dik ins Gewicht. Hinsichtlich der Versuchsanordnung kommt alles dar¬
auf an, die Experimente so einzurichten, daß der mit der Ernährung
im Zusammenhang stehende Fetttransport exogenen Ursprungs eine
möglichst geringe Rolle spielt, damit durch ihn nicht die endogenen
Vorgänge überdeckt werden. An die Behandlung dieser Fragen an
Menschen heranzugehen, erscheint aus mehreren Gründen noch verfrüht.
Die große Fehlerbreite der zur Verfügung stehenden Methodik, die sich
bei Menschen noch ungünstiger stellen würde (z. B. Volumenbestimmung
der Roten), der exogene Fetttransport, der sich während langer Ver¬
suchsperioden infolge der notwendigerweise ungleichmäßigen Nahrung
beim Menschen geltend machen wird, sind Umstände, die es nur schwer
möglich machen, zu eindeutigen Resultaten zu gelangen, ganz abgesehen
davon, daß dem einzelnen Untersucher kaum die notwendige Zahl
klinischer Beobachtungen zur Verfügung stehen dürfte. Hierzu kommt
noch, daß gerade anämische Krankheitsbilder ätiologisch vielfach nur
schwer und ungenügend zu klären sind. Man ist daher auf das Experi¬
ment angewiesen. Als Versuchstiere eignen sich am besten Kaninchen,
die geringe Neigung zur Lipämie haben, andererseits vielfach zu Ver¬
suchen über experimentelle Anämien verwandt wurden. Hinsichtlich
des Auftretens einer Lipämie bei Kaninchen kann nach neueren Unter-
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Zur Pathochemie der Blutlipoide bei experimenteller Anämie. 281
suchungen [Sakai, Bang 1 )] soviel als feststehend gelten, daß normaler¬
weise ein Anstieg der Lipoidsubstanzen durch Fettfütterung, bzw.
auch durch Inanition, nicht zu erzielen ist; daß aber bei anämischen
Tieren unter Fettnahrung eine solche wohl auftreten kann, vermutlich
infolge Versagens der Esterase des Serums (Sakai).
Nun ist natürlich klar, daß auch, wenn eine eigentliche Fettfütterung
nicht stattfindet, geringe Lipoidmengen der Nahrung (Hafer, Kleie)
im Blute blockiert werden können. Das Gleiche gilt für die Lipoide,
die aus den sonstigen, schon vor dem Beginn des Versuchs vorhandenen
Depots des Körpers stammen. Hierzu treten auch diejenigen Mengen
Organlipoide, welche durch eine etwaige sekundäre Schädigung einzelner
Organe in die Zirkulation gelangen. Endlich kommen hier die durch
Zerfall der roten Blutkörperchen freiwerdenden, sowie die für den Wieder¬
aufbau der zerstörten Blutelemente benötigten Substanzmengen in
Betracht. Alle diese Lipoide verschiedenster Provenienz sind im Plasma
vorhanden. Wie die Verhältnisse in den E. liegen, ist oben schon erwähnt
und auf die mögliche Kompensierung antagonistischer Faktoren hin¬
gewiesen. Daß auf ihren Lipoidgehalt die Ernährung einen Einfluß
hat, scheint nach Bang 2 ) nicht unwahrscheinlich.
Aus allen diesen Gründen, die Veränderungen des endogenen Lipoid¬
stoff Wechsels maskieren, wurde den Versuchstieren ein Futter ohne jeden
Fettzusatz (Kohl, Mohrrüben, Kartoffelschalen) verabfolgt; nur, um
dem Auftreten komplizierender Schädigungen vorzubeugen, wurde
gelegentlich etwas Hafer und Kleie verabfolgt, so daß zwar keine absolut
fettfreie, jedoch fettarme Fütterung für die zu anämisierenden Tiere
durchgeführt wurde. Ebenso galt es, den Hungerzustand zu vermeiden.
Ausschließliche Kohlenhydratfütterung hätte die Schwierigkeit nicht
gebessert, weil hierdurch Fettbildner eingeführt werden; eine reine Eiwei߬
nahrung wäre kaum durchführbar gewesen und hätte einen groben,
kaum längere Zeit ertragenen Eingriff in den normalen Stoffwechsel des
Kaninchens bedeutet. Alle diese Kostformen hätten überdies die Tiere
nicht innehalten können, ohne den verabfolgten Giften, bzw. Aderlässen,
bereits zu einem Zeitpunkt zu erliegen, in dem die Anämie noch nicht
den gewünschten Grad erreicht hatte.
Das Untersuchungsmaterial (Blut) wurde ausnahmslos durch Punk¬
tion) dem Herzen entnommen, da es ja möglich ist, daß in der Verteilung
der Lipoide gewisse Differenzen in den Abschnitten des peripheren
Kreislaufgebietes sich geltend machen, ganz abgesehen davon, daß
aus den für die Volumenbestimmung der Blutkörperchen zu erörternden
Gründen das Blut des Herzens für die vorliegenden Zwecke gewählt
werden mußte.
*) Bang, Biochem. Zeitschr. 51 , 2224.
*) Bang, L c.
Z. f. d. g. exp. Med. XXVD. 20
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H. Jastrowitz:
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Hinsichtlich des Vorgehens bei der Analyse wäre die Untersuchung
der einzelnen Blutbestandteile an sich dem indirekten Verfahren vor¬
zuziehen, aber auch in diesem Falle ist, um die Gesamtbefunde kritisch
bewerten zu können, die viel diskutierte Bestimmung des Blutkörper¬
chenvolumens erforderlich; allerdings würde dann die ganze Berechnung
nicht auf dieser Bestimmung aufgebaut sein. In Betracht kommt wei¬
terhin, daß für die Analyse des Blutkörperchenbreies größere Mengen
desselben erforderlich sind, die bei den gewählten Versuchstieren (Ka¬
ninchen) in einer für die notwendigen Makroanalysen hinreichenden
Menge nicht zur Verfügung standen. Hierzu treten die Bedenken,
die Brinckmann und van Dam 1 ) gegen das Waschen von Ery-
throcyten, das hierbei nicht zu umgehen ist, angeführt haben, nämlich,
daß auf diese Weise Lipoidstoffe aus den Blutkörperchen extrahiert
werden. Dieser Faktor dürfte bei der Analyse geringer Mengen noch
stärker ins Geweht fallen. Es kommt also viel auf die Exaktheit der
Bestimmung des Blutkörperchenvolumens an. Alle Methoden, die darauf
beruhen, das Blutkörperchenvolumen z. B. wie Bleibtreu 2 ) durch
Errechnung aus dem Eiweißgehalt des unverdünnten Blutes und ver¬
schiedener Verdünnungen desselben zu bestimmen, sind fehlerhaft,
weil durch das Waschen mit Kochsalzlösung N.-haltige Bestandteile
aus den E. austreten, was Ege 3 ) neuerdings wiederum betont hat. Es
wurde daher auf das direkte Verfahren von Hamburger (Häma¬
tokrit) zurückgegriffen, das gleichmäßig gute Resultate gab. Gelegent¬
liche Kontrollen nach Bleibtreu bestätigten die Erfahrungen von Ege.
Verfahren, die darauf basieren, mit Hilfe von physikalischen Konstanten
das Volumen zu bestimmen [Ullmer 4 ), Alder 5 )], begegnen, ganz ab¬
gesehen von ihrer Kompliziertheit, theoretischen Bedenken, da sich
im Blute neben den roten Blutkörperchen noch andere corpusculäre
Elemente finden, die die physikalischen Konstanten in nicht ganz klarer
Weise zu beeinflussen geeignet sind. Das Blutkörperchenvolumen ist
verschieden, je nachdem man in mehr oder minder gestautem Gebiet,
oder im arteriellen, die Untersuchung vomimmt. Es kam somit als
einwandfreieste Untersuchungsstelle das Ventrikelblut, d. h. die Herz¬
punktion in Betracht.
Zur Aufhebung der Gerinnungsfähigkeit wurde teils von der Fa.
Sachse-Leipzig hergestelltes, teils mir in dankenswerter Weise durch
Herrn Prof. Verz är-Debreczen zur Verfügung gestelltes Hirudin be¬
nutzt, da das Defibrinieren sowohl, wie alle kalkfällenden Agentien mehr
*) Brinckmann und v. Dam, Biochem. Zeitschr. 108, 35.
“) Bleibtreu, Max und Leop., Arch. f. d. ges. Physiol. 5, 151.
3 ) Ege, Biochem. Zeitschr. 100 , 274.
4 ) Ullmer, Inaug.-Diss. Zürich 1909.
*) Alder, Korrespbl. f. Schweizer Ärzte 1918, Nr. 42.
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Zur Pathochemie der Blutlipoide bei experimenteller Anämie. 283
oder minder das wahre Volumen der Blutkörperchen beeinträchtigen und
hinsichtlich der Adsorption vön Lipoiden nicht ohne weiteres zu kon¬
trollierende Wirkungen entfalten können.
Bei der Wahl der chemischen Methodik kam es darauf an, eine solche
zu finden, die es gestattete,, in kleinen Mengen zum mindesten Fett,
Cholesterin und Phosphatide als Gruppen zu bestimmen. Es wurde das
Bang sehe Verfahren 1 ) angewandt. Ausschlaggebend hierfür waren
die geringen für die Analyse erforderlichen Substanzmengen, eine Voraus¬
setzung, ohne welche die Untersuchungsreihe undurchführbar gewesen
wäre, ferner ihre Ausführbarkeit ohne kostspielige Apparate (Nephelo¬
meter, Kolorimeter), wie die Verfahren von Bloor 2 ) und Kleinmann 3 )
sie erfordern. Endlich kam der Umstand in Betracht, daß diese Methode
in ihren Grundprinzipien: Abtrennung der Fettsäuren und Cholesterin
von den Phosphatiden und Cholesterinestem durch fraktionierte Ex¬
traktion, oxydimetrische Bestimmung der am besten isolierbaren Grup¬
pen (freies, bzw. gebundenes Cholesterin, Alkohol-, Petrolätherextrakt)
und Berechnung der übrigen Werte aus der Differenz, gut durchgear¬
beitet erscheint. Hierzu tritt die schon früher von mir (1. c.) erwähnte
und von Bang für sein Verfahren ins Feld geführte Tatsache, daß der
P.-Gehalt uns über die wahre Menge der sehr verschiedenen Mengen P.
enthaltenden Phosphatide im Blute keinen Aufschluß zu geben vermag,
sondern nur ein Äquivalent derselben darstellt. Zugegeben muß werden,
daß kleine Mengen Phosphatide in die Petrolätherfraktion möglicher¬
weise übergehen können 4 ) und daß die einzelnen Phosphatide vielleicht
ein nicht ganz gleiches Reduktionsvermögen gegenüber der Chromat¬
lösung besitzen. Letzterer Umstand fällt nach Bang praktisch nicht
ins Gewicht. Die erstgenannte Möglichkeit wird bei den in Betracht
kommenden Mengen keine erhebliche Rolle spielen.
Im Gegensatz zu der theoretischen Begründnug bietet die praktische Durch¬
führung manche Schwierigkeit. Die Beschaffung eines qualitativ geeigneten
Extraktionsmittels (Petroläther) war nicht leicht. Es wurden acht verschiedene
Präparate ausgeprobt. Es wurden Leichtbenzin, Benzol des Handels, Gasoline
und verschiedene sog. Petroläther hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit untersucht.
Bei fraktionierter Destillation enthielten sie z. T. minimale für die vorliegenden
Zwecke brauchbaren Anteile. Am brauchbarsten erschien nach mehrmaliger
Redestillation ein von Kahlbaum geliefertes Präparat. Aber auch dieses mußte
ständig nachgeprüft und von Zeit zu Zeit erneuten Destillationen unterworfen
werden. Ein indirektes Verfahren, wie das Bangsche, kann nur unter Innehaltung
aller äußeren Bedingungen in vollkommen gleichmäßiger Weise zu guten Resul¬
taten führen. Es muß besonders darauf hingewiesen werden, daß der sog. „Fehler“,
d. h. die durch den Rückstand des Extraktionsmittels verbrauchte Chromatmenge,
1 ) Bang, Mikromethoden, München, 1920, S. 38.
2 ) Bloor, W. R., Joum. of biol. Chem. tZ 9 131.
3 ) Klein mann, Biochem. Zeitschr. 99, 116.
*) Lemeland, Compt. de la soc. de biol. 84, 446.
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H. Jaatrowitz:
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welche durch den blinden Versuch ermittelt wird, bei den zu bestimmenden ge¬
ringen Mengen nur innerhalb enger Grenzen ca. 0,02—0,06 ccm Chromatlösung
schwanken darf; um unangenehme Überraschungen zu vermeiden, ist es nötig,
diesen Fehler für jede einzelne Versuchsreihe neu festzulegen. Es zeigt« sich näm¬
lich, daß namentlich, wenn der Petroläther seit der letzten Redestillation längere
Zeit gestanden hat, in ganz unberechenbarer Weise der Petroläther hinsichtlich
seines Verbrauches an Chromat plötzlich variierte. Selbstverständlich müssen
auch alle anderen Reagentien (Natronlauge, Alkohol) geprüft werden; im wesent¬
lichen wird jedoch der „Fehler“ an dem Petroläther haften. Bei der Verdunstung
desselben in den Probiergläschen ist Sorge zu tragen, daß keine Überhitzung
des Petroläthers stattfindet, da sich sonst anscheinend Oxydationsprodukte bilden,
die die Resultate beeinflussen. Ein Erhitzen über 60° ist hierbei daher zu ver¬
meiden.
Weiterhin ist zu bemerken, daß bei Bestimmung der Cholesterinester nach
Verseifung durch 1 Tropfen 25% Natronlauge, es nicht immer genügt, das Chol¬
esterin herausdiffundieren zu lassen, wie Bang angibt. Ein Tropfen 25 proz. NaOH
stellt bei einer Tropfengrößc von 0,05—0,02 ccm eine NaOH-Menge von 12,5 bis
6 mg dar, die nach der Eindünstung mehr oder minder fest am Glase haftet und
das Cholesterin neben den Seifen in sich einschließt.
Es empfiehlt sich daher, den Niederschlag von den Wandungen und dem
Boden des Gläschens mit einem Glasstäbchen abzukratzen, was sich nach längerem
Stehenlassen leicht ausführen läßt. Ganz zweckmäßig hat sich auch leichtes Er¬
wärmen erwiesen, wodurch die Diffusion rascher und vollständiger beendet wird.
Die Filtration muß natürlich bei Zimmertemperatur geschehen, um nicht leicht
schmelzbare Seifen in das Fütrat hineinzubekommen. Zur Extraktion selbst habe
ich Wägegläschen verwandt, die luftdicht abschließen und zudem den Vorteil
bieten, daß sich nicht, wie bei Korkverschluß, Teilchen loslösen und zu Verun¬
reinigungen Anlaß geben können.
Bezüglich der Breite der Anwendbarkeit der Methode sei gesagt, daß Mengen
über 150 mg Gesamtblut nicht immer gleichmäßige Werte geben, dagegen kann
man, falls notwendig, unbedenklich bis auf 50 mg heruntergehen. Beim Serum
dürfte die Grenze nach oben so weit wie Aufsaugefähigkeit der Papierstückchen es
gestattet, also eher weiter, zu stecken sein. Die Analyse von Blutkörperchenbrei
gelang nach dem Bangschen Verfahren nicht; nur solche Analysen-Substanzen
sind verwendbar, die sich restlos in gleichmäßiger Schicht in die Papierstückchen
hineinsaugen lassen.
Zu bemerken ist noch, daß über 8—10 Tage, selbst in gut verschlossenen Ge¬
fäßen, nach der Wägung aufbewahrte Papierstückchen mit dem eingetrockneten
Material vielfach zu niedere Werte geben.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß der ganzen Methodik insofern
ein gewisser Nachteü anhaftet, als man lediglich aus der Übereinstimmung der
Endresultate ersehen kann, ob richtig gearbeitet worden ist. Die kleinen, an sich ein¬
fachen, aber unter den gegebenen Verhältnissen subtilen Operationen (Verseifen, Fü-
trieren, Nachwaschen) besitzen keinerlei Kriterium für die Beendigung der
einzelnen Prozedur. Man ist also auf Kontrollen angewiesen und tut gut, sich von
vornherein die nötige Menge Analysensubstanz zu sichern.
Auch die übrigen Bestimmungen: N., Trockensubstanz, wurden unter Zu¬
grundelegung der Bangschen Angaben durchgeführt, nur mit dem Unterschiede,
daß die N-Bestimmung direkt durch Titration mit n / 70 HCl mit Methylrot als
Indicator nach den Angaben von Pregl 1 ) ausgeführt wurde.
*) Vgl. Ha ns Lieb in Abderhaldens biochem. Arbeitsmethoden, 9, 708. 1915.
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Zur Pathochemie der Blutlipoide bei experimenteller Anämie.
285
Zur allgemeinen Übersicht wurde der größte Teil der Versuchstiere
hinsichtlich etwaigen Auftretens von Fettphanerose und Organdege¬
neration histologisch untersucht (Scharlachrot bzw. Hämatoxylineosin -
färbung).
3. Normalbefunde.
Bevor auf die Einzelheiten der eigentlichen Versuche eingegangen
wird, muß einiges über den normalen Blutbefund vorausgeschickt wer¬
den. Zunächst muß rein morphologisch bemerkt werden, daß nur er¬
heblichere Grade der Anämie beim Kaninchen sicher diagnostizierbar
sind. Wir wissen 1 ), daß bei diesen Tieren die Erythrocytenwerte außer¬
ordentlich schwanken; bei Normaltieren werden Schwankungen von
4 310 000 —5 920 000 angegeben. Dementsprechend beträgt der Hb-
Gehalt zwischen 49—59%. Mehr ins Gewicht fällt, daß schon normaler¬
weise eine geringe Anisocytose, nicht selten Polychromatophilie vor¬
handen ist und gelegentlich auch Erythroblasten auftreten. Alles
dieses stimmte nach meinen Erfahrungen insofern, als geringe Grade
der genannten Erscheinung sich normalerweise bei Stallkaninchen
unserer Laboratorien vorfinden. Ausgesprochene Polychromatophilie,
Mikro- und Makrocyten, Poikilocytose, sowie häufigeres Auftreten
von Erythroblasten sind Zeichen pathologischer Blutveränderung.
Von diesem Gesichtspunkt aus sind die Befunde beurteilt worden,
die entsprechenden Bemerkungen beziehen sich auf solche Unterschiede
in Gestalt und Färbbarkeit der Roten, wie sie sich normalerweise bei
den Tieren nicht finden. Die von mir verzeichneten Normalwerte für E.
schwanken zwischen 4 296 000 und 5 712 000, der Hb.-Gehalt zwischen
58 und 79%. Dieser Unterschied in der Hb.-Bestimmung dürfte dadurch
zu erklären sein, daß ich ein Hämometer benutzte, welches als Normal-
wert bei Gesunden 88% der Skala verzeichnete, also 12% mehr als die
von den Königsberger Autoren benutzte Testlösung. Hinweisen möchte
ich noch darauf, daß auch andere Autoren höhere Normal werte zu ver¬
zeichnen haben (Sundstroem u. Bloor, 1. c.).
Das Blutkörperchenvolumen, Trockensubstanz und N.-Gehalt schwan¬
ken im Gesamtblut nur in relativ engen Grenzen. Ich gebe Maximal -
und Minimalwerte meiner Tabellen im folgenden wieder:
Blut.
Maximum
Minimum
Mittel
B.-V.
. . . 42,0
34,0
38,0
Tr.-S.
. . . 21,62
16,78
19,20
N. .
. ... 2,60
2,01
2,31
Fett
. . . . 0,0621
0,0238
0,0430
*) Klieneberger und Carl, Die Blutmorphologie der Laboratoriumstiere.
Leipzig 1912, S. 29.
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H. Jastrowitz:
Maximum
Minimum
Mittel
fr. Chol.. .
. 0,0704
0,0347
0,0531
gb. Chol. .
. 0,0719
0,0199
0,0459
Tot. Chol.
. 0,1423
0,0669
0,1046
Chol.-E. .
. 0,1284
0,0355
0,0820
Phosphat. .
. 0,3198
0,1553
0,2376
Plasma.
Tr.-S. . .
. 8,00
6,69
7,35
N.
. 1,21
0,92
1,07
Fett . . .
. 0,0911
0,0290
0,0601
fr. Chol.. .
. 0,0653
0,0074
0,0364
gb. Chol. .
. 0,1065
0,0298
0,0682
Tot.-Chol. .
. 0,1407
0,0571
0,0989
Chol.-E. .
. 0,1902
0,0506
0,1254
Phosphat. .
. 0,2955
0,0915
0,1935
Erythrocyten.
Tr.-S. . .
.38,25
30,67
34,46
N.
. 5,61
3,21
1.41
Fett . . .
. 0,0513
0,0056
0,0235
Tot.-Chol. .
. 0,1841
0,0535
0,1188
Phosphat. .
. 0,4808
0,2107
0,3458
Vergleiche mit derselben Methodik liegen nur wenig vor. Ver¬
wiesen sei hinsichtlich des Gesamtblutes auf Schippers 1 ). Die indi¬
viduellen Schwankungen — es handelt sich um Kinder und junge Män¬
ner — sind außerordentlich groß, z. B. um nur einiges hervorzuheben,
beträgt bei älteren Kindern im Gesamtblut das Fett 0,081—0,192,
das Chol. 0,009—0,058, die Chol.-Ester 0,137 —0,390, die Phosph.
0,005—0,108%. Es sind dies Zahlen, die in weit größerem Maße
schwanken, als die meinen. Dies gilt namentlich hinsichtlich der Phos-
phatide. Mit den Bang sehen 2 ) Zahlen verglichen, dürfte der durch¬
schnittliche Phosphatidwert von 0,2376% dem Bangschen bei Hunden
nahekommen. Etwas niedriger sind die Chol.-Ester: Im Mittel 0,0820%,
und ebenso das freie Chol, mit 0,0531%. Das Fett weist nach meinen
Angaben etwas höhere Werte auf. Bang (1. c.) errechnet z. B. solche
von 0,0% beim Säugling bis 0,039% beim Hund, während ich Werte
von 0,0238—0,0621% zu verzeichnen habe. Nach anderen Verfahren
gewonnene Fett- bzw. Fettsäurewerte lassen sich nicht mit denen
der Bangschen Methodik vergleichen; das beruht auf ihrer Eigenart (ge¬
meinsame Berechnung und Bestimmung der Fettsäuren und Phos-
phatide).
Vergleichswerte für Kaninchen im Plasma nach anderen Methoden
gibt uns Feigl (1. c.). Die Gesamtfettsäure schwankte zwischen 0,22
bis 0,29%. Das Lecithin betrug 0,11%, das Tot.-Chol. 0,05 —0,07%.
*) Schippers, Jahrb. f. Kinderheilk., Bd. 39 , 3. Folge, Bd. 43 , H. 3.
2 ) Bang, Biochein. Zeitschr. 91 , 224.
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Zur Pathoohemie der Blutlipoide bei experimenteller Anämie.
287
Mein Phosphatidwert ist im Durchschnitt etwas höher und nähert
sich mehr dem von Abderhalden 1 ). Die Werte für die Fettsäuren
betragen nach Horiuchi (1. c.) 0,32%, für das Cholesterin 0,06%,
für die Phosphatide 0,14%; letztere beiden Werte nähern sich dem mei¬
nen; der erstere ist höher, was wohl auf die fettreichere Ernährung
bzw'. auf die Verschiedenheit der Methodik zurückzuführen ist. Es
erübrigt sich nun, noch einiges über die roten Blutkörperchen und ihre
Zusammensetzung zu sagen; ich habe schon vorausgeschickt, daß meine
Berechnungen auf indirekter Analyse beruhen.
Die Chol.-E. sind in dieser Zusammenstellung über das Blut nicht
berücksichtigt, da sie, wie Bang (1. c.) und Rosenthal 2 ) zeigten,
und ich bestätigt fand, zwar in den E. Vorkommen, jedoch nicht in
irgendwelcher Regelmäßigkeit, noch im allgemeinen in größerer Menge
im Gegensatz zum freien Cholesterin. Man wird daher, bis man Näheres
über die Bedingungen der Bildung der Cholesterinester weiß, deren
Funktion, was nebenbei erwähnt sei, z.B. hinsichtlich der Immunitäts¬
reaktionen eine ganz andere ist, als die des freien Cholesterins, sich darauf
beschränken müssen, das Cholesterin der Erythrocyten in seiner Gesamt¬
heit zu werten. Vergleichszahlen für Kaninchen gibt Horiuchi (0,25%
Fettsäuren, 0,43% Phosphatide und 0,20% Chol.). Wesentlich tiefer ist
bei mir der Wert für das Fett aus den schon erörterten Gründen. Abder -
halden (1. c.) gibt für das Kaninchen 0,072% Cholesterin und 0,4627%
Lecithin an; beides etwas höhere Werte, als die von mir beobachteten.
Es finden sich aber nach meinen Analysen, sowie auch nach denen von
Abderhalden sehr erhebliche individuelle Differenzen (z. B. Chol, beim
Pferd 0,383-0,661%, beim Hund 2,155-1,255%, beim Schaf 2,360 bis
3,593%). Auf die erheblichen Schwankungen der Phosphatide in den E.
macht auch Bang 3 ) aufmerksam.
Im ganzen wird man also die vorstehend gefundenen Zahlen als Nor¬
malzahlen gelten lassen dürfen, man wird sich aber der großen Breite
individueller Schwankung, die von allen Autoren, die mit den verschie¬
densten Methoden arbeiteten, gefunden wurde, bewußt sein müssen,
ehe man zu Schlüssen kommt. Im allgemeinen dürften Werte, die über
100% gegen die Norm differieren, als pathologisch gelten, ebenso solche,
welche von den „individuellen Normalwerten“, d. h. denjenigen Werten,
die im Vorversuch bei dem gleichen Tier ermittelt wurden, sich in
demselben Maße entfernen. Ins Gewicht fallen wird bei der Beurteilung
auch der Umstand, ob in parallelen oder analogen Versuchen eine gleich¬
sinnige Variation der Lipoidsubstanzen eingetreten ist. Hiermit komme
ich zur Besprechung der eigentlichen Versuche.
*) Abderhalden, Zeitschr. f. phys. Chem. 21 , 521, und ebenda 25, 671.
2 ) Rosenthal, Dtsch. Arch. f. klin. Med. 132 , 311.
3 ) Vgl. Biochem. Zeitschr. 91 , 1 . c.
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H. Jastrowitz:
4. Auswahl der Blutschädigungen.
Die Prototypen von Giften, die gewählt wurden, gehören zu einem
Teil den klassischen experimentellen Agentien an, die bei Tieren ein
der Anaemia perniciosa ähnliches Blutbild auslösen: Pyrogallol, Pyrodin,
Nitrobenzol [Pappenheim 1 ), von Do mar us 2 )]. Erstere beiden wirken
methämoglobinbildend und hämolytisch. Durchaus analog wirkt das
Nitrobenzol, das durch Reduktion zu Benzamin eine dem Hydroxylamin
ähnliche Wirkung auf die Erythrocyten entfaltet [Lipschitz 3 )].
Die zweite Klasse umfaßt solche Gifte, die ein besonderes physiologisch¬
pathologisches Interesse haben: Natrium glycocholat als Prototyp
der Gallensäuren und Staphylolysin als Bakterien toxin. Hinsichtlich
der ersteren Substanz sei hier nur kurz bemerkt, daß sie lediglich aus
technischen Gründen gewählt wurde. Taurocholsäure stand nicht zur
Verfügung und die Beschaffung von Rindergalle bereitete zu Beginn
der Versuche noch erhebliche Schwierigkeiten. Bei Besprechung der¬
selben wird auf diesen Punkt, sowie auf das Staphylolysin noch zurück¬
zukommen sein. Soweit es praktisch durchführbar war, wurden eine
subakute und eine chronische Vergiftung vorgenommen. Von ganz
akuten Eingriffen wurde abgesehen, da hierbei der Fettransport und akute
Leber- und Nierenveränderungen die Sachlage noch mehr komplizieren
würden. Von den mehr chronischen Formen konnte man eine ver¬
ringerte Einwirkung auf den Fettransport erwarten und es konnten sich
bei ihnen reaktive Vorgänge im Blute besser dokumentieren. Versuchen
mit hämolysierenden Giften stehen drei mit Blutungsanämie zum Ver¬
gleich gegenüber. Auch hier sind aus den angeführten Gründen länger
dauernde Versuche gemacht worden. Die Gifte wurden stets subcutan
verabfolgt; die intravenöse Injektion verbot sich, weil beabsichtigt war,
die Substanzen nicht plötzlich in den Kreislauf gelangen zu lassen,
die orale deshalb, weil eine exakte Resorption nicht möglich ist und
Nebenerscheinungen vom Magendarmkanal vermieden werden sollten.
Die Blutentziehung, die zu Zwecken der Anämisierung gemacht
wurde, erfolgte in der Regel aus der Randvene des Ohres. Da dieselben
fast täglich notwendig waren, um einen genügenden Grad von Anämie
zu erreichen, thrombosierten die Randvenen, so daß gelegentlich auch
auf die Herzpunktion zurückgegriffen werden mußte.
5. Versuche mit hämolytischen Gilten.
1. Pyrogallol: Das Pyrogallol ist von Petro ne 4 ) zuerst gelegentlich
von Vergiftungen an Menschen eingehendem Studium unterworfen
*) Pappenheini, Fol. haemat. 1, H. 3, S. 329. 1903.
2 ) v. Do mar us, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 58, 1908.
3 ) Lipschitz, Zeitschr. f. phys. Chemie 199 , 149.
4 ) Petrone, Ricerche cliniche e sperimentali sullo awelenamento da acido
pirogaliico, Catania 1895, zit. nach Kobert, Toxikologie Ä, 776.
t»* Google
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Zur Pathochemie der Blutlipoide bei experimenteller Anämie. 289
worden. Es wirkt einmal durch Umwandlung des Oxyhämoglobins
in Methämoglobin giftig, weiterhin führt es durch Absorption des Sauer¬
stoffes zu innerer Erstickung. Daneben ist das prägnanteste Symptom
die Nierenverlegung infolge Hämoglobininfarct der Harnkanälchen.
Es wurden im ersten Experiment an 4 Tagen je 2 g Pyrogallol verabfolgt.
Das Tier mußte geopfert werden, da es moribund war, trotzdem noch
2 240 000 rote Blutkörperchen vorhanden waren. Das Blutbild war
ausgesprochen anämisch mit Poikilocyten und Erythroblastose. Der
2. Versuch mit Pyrogallol war durchaus ähnlich angelegt, nur wurde die
Dosis von 7,5 g auf 17 Tage verteilt. Zwei weitere Versuche scheiterten
insofern, als die Tiere ziemlich plötzlich, trotz anscheinenden vor¬
herigen Wohlbefindens, morgens tot im Käfig auf gefunden wurden.
Was die Veränderungen anlangt, so zeigt sich entsprechend dem Her¬
untergehen der E. und des Hb. auf die Hälfte eine wesentliche Ver¬
ringerung der Trockensubstanz, in beiden Fällen (über 2% derselben).
An dieser Verminderung hat lediglich das Plasma einen Anteil, während
die Trockensubstanz der roten Blutkörperchen, ebenso wie ihr N.-Gehalt
unverändert blieb. Sehr erheblich ist das Absinken des N.-Gehaltes
im Plasma bei der akuten Vergiftung von 0,93% auf 0,38%, im 2. Falle
von 1,04% auf 0,75%. Die Lipoidsubstanzen zeigen im Plasma im all¬
gemeinen eine Vermehrung. Diese tritt am deutlichsten beim Fett
hervor (Steigerungen von 0,0653% auf 0,6471%, von 0,0290% auf
0,1135%).
Es handelt sich also hier um Steigerungen von 900% bzw. 300%,
gegenüber dem Vorversuch. Beim Cholesterin tritt diese Erscheinung
nur im subakuten Falle ein. Hier beträgt die Steigerung ca. 300%,
ähnlich liegt es bei den Phosphatiden, wo auch nur der akutere Fall
eine entscheidende Steigerung (von 0,1176% auf 0,8340%), also um
ca. 600%, zeigt. Der Unterschied, der hier zutage tritt, ist einerseits
zu beziehen auf den massenhaften Zerfall von E. im akuteren Stadium
und das hierdurch bedingte plötzliche Freiwerden von Phosphatiden
bzw. Cholesterin, andererseits auf das plötzlich einsetzende Versagen
der Lipase im Serum. Alle diese Faktoren treten bei der chronischen
Vergiftung nicht so plötzlich in Erscheinung und bedingen daher nicht
den gleichen Befund. Noch viel erheblicher ist natürlich die Vermehrung,
wenn man die Trockensubstanz in Rechnung zieht. Hier machen die
Lipoide mehr als 33% der gesamten Trockensubstanz aus; auffällig
ist hier das scharfe in den Vordergrundtreten des Lecithins mit 17,06%
gegen 3,48% Maximum der Vorversuche. Es beruht dies anscheinend
darauf, daß diese Substanz massenhaft frei wird und im Blute zurück-
gehalten bleibt infolge Versagens der fermentativen Zerlegung und
Intoxikation des Gewebes, das nicht in der Lage ist, in seinen Depots
(Knochenmark, parenchymatöse Organe) die Lecithinmassen aufzuneh-
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Jf. Jastrowitz:
men, noch abzubauen. Bei der chronischen Vergiftung zeigt nur das
eigentliche Fett einen etwas höheren Wert, während die Lipoide nicht
wesentlich verändert erscheinen. Hier muß man zu der Hypothese
greifen, daß diese Substanzen im Laufe der Vergiftung verbraucht wer¬
den, der erkrankte Organismus aber zu einer ausreichenden Synthese
nicht befähigt ist. Die sich nicht so intensiv bemerkbar machende Schä¬
digung wird hier noch einen Verbrauch in beschränktem Maße zulassen,
ganz abgesehen davon, daß die die Schädigungen kompensierenden
Vorgänge im Knochenmark einen erhöhten Bedarf von seiten des
Körpers bedingen.
Wenn man dagegen die Erythrocyten betrachtet, so wird man eine
erhebliche Vermehrung des Fettes, des Gesamtcholesterins und dagegen
eine Abnahme der Phosphatide um 50% in dem subakuten Falle ver¬
zeichnen, d. h. das Verhältnis Lecithin zu Cholesterin hat sich direkt
umgekehrt. Es mag dahingestellt bleiben, ob dies als kompensatorischer
Vorgang insofern zu werten ist, als die E. durch die Cholesterinaufnahme
gegen die Hämolyse resistenter werden. Bei der chronischen Vergiftung
mit nicht so intensiver Einwirkung kann nur von einer mäßigen Zu¬
nahme der beiden Lipoidfraktionen gesprochen werden (0,5113%
gegen 0,3354% Phosphatide im Vorversuch und 0,1521% gegen 0,1115%
Gesamtcholesterin), ohne daß das Verhältnis zu Cholesterin eine wesent¬
liche Verschiebung erleidet.
2. Pyrodin: Um festzustellen, ob sich eine stärkere Regularität
in den eben angedeuteten Verhältnissen erzielen ließ, wurden weitere
Versuche mit Acetyl-Phenylhydrazin angestellt, das vor dem Pyro-
gallol den Vorteil hat, lediglich als Methämaglobinbildner zu wirken
und das Verf. (1. c.) in seiner früheren Arbeit zu ähnlichen Versuchen
benutzt hat. Es erschien dies besonders mit Rücksicht darauf interessant,
daß im Gesamtblut von Hunden damals eine relative Abnahme des
ätherlöslichen P. festzustellen war. Die Versuche wurden als chronische,
mit zweimonatlicher Dauer und als subakute mit dreitägiger Dauer
angestellt. Sehr auffällig war die starke Abmagerung der chronisch
vergifteten Tiere. In Organen fand sich nirgends Fettinfiltration,
im Gegensatz zu den früher untersuchten Hunden, eine Erscheinung,
die wohl auf die Individualität der Versuchstiere und ihre Ernährung
zu beziehen ist. Die Anämie erreichte erhebliche Grade: beim subakuten
Versuch gelang es, die roten Blutkörperchen auf 864 000 herabzudrücken.
Es zeigte sich bei den chronischen Vergiftungen ein Absinken der Phos¬
phatide im Plama, während sie bei der akuten Vergiftung nicht wesent¬
lich tangiert wurden. So sank z. B. bei der 2. Vergiftung der Wert für
die Phosphatide von 0,1482% auf 0,0459% herab. Fett und Chol.-
Werte waren nicht wesentlich verändert. Die E. zeigten in den chro¬
nischen Fällen gleichfalls niedere Werte für die Phosphatide (0,1152%,
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Zur Pathmliemie der Blutiipoide bei experimenteller Anämie.
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0,1680% gegenüber einem Mittelwert von 0,4358%), also eine sehr er¬
hebliche Abnahme. Das Cholesterin ist nicht ganz einheitlich. In dem
letzten chronischen Falle läßt es eine Vermehrung mit 0,2268%, bei dem
andern chronischen eine Verminderung mit 0,0405% erkennen, gegenüber
einem Mittel von 0,1304%. Beide Werte liegen außerhalb der Maxima
und Minima der Normaltiere. Hier wird man wohl annehmen müssen,
daß im letzteren Falle eine Erschöpfung des Cholesterinvorrates ein¬
getreten ist. Der subakute Vergiftungsversuch unterscheidet sich sehr
wesentlich von dem chronischen; es stehen hier dem Organismus noch
reichlich Lipoide zur Regeneration zur Verfügung und der Zerfall der
roten Blutkörperchen ist ein akuterer. Dementsprechend findet sich eine
Steigerung des Gesamtcholesterins im Plasma von 0,0880% auf 0,1500%.
An dieser Steigerung beteiligen sich nicht die Phosphatide und das
Fett nur in mäßigem Grade. Bei den E. zeigt sich eine erhebliche
Anhäufung von Lecithin (1,6751 %) in der Substanz der roten Blutkörper¬
chen, d. h. es erkrankt das rote Blutkörperchen anscheinend dadurch,
daß es bei der Regeneration in überstürztem Maße die vorhandenen
Phosphatide aufnimmt, die massenhaft in das rote Blutkörperchen ein-
dringen, ein Vorgang, mit dem die Cholesterine nicht Schritt halten kön¬
nen. Es befindet sich dieses Resultat in einem gewissen Gegensatz zu
dem bei chronischer Pyrodin- und subakuter PyrogallolVergiftung.
3. Nitrobenzol: Es wurde daher, um eine Entscheidung herbeizuführen,
zu einem 3. Gift gegriffen, dessen ich mich auch schon früher bedient
habe, und das nach den Arbeiten von Lipschitz (1. c.) nur indirekt
methämoglobinbildend wirkt und somit eine an sich langsamere In¬
toxikation entfalten wird. Allerdings tritt hierzu die Wirkung dieser
Substanz als Nervengift, welche es erschwerte, die Versuche bis zu dem
gewünschten Ende fortzuführen, da beide Tiere nach Verabreichung
von insgesamt 2,75 bzw\ 2,5 ccm Nitrobenzol in schwere Krämpfe ver¬
fielen und Paresen eintraten, so daß der spontane Exitus zu befürchten
war. Die erzielten Blut Veränderungen waren trotzdem recht erheblich
(1 774 000 bzw. 1 260 000 E.), also eine Reduktion auf 1 / 3 — 1 / 2 der Norm.
Es fanden sich nicht so reichlich Erythroblasten, wie bei den vorher¬
gehenden Vergiftungen; es bestand keinerlei Organverfettung. Die Fette
steigen in einem Falle um ca. 300% im Plasma an (von 0,0321% auf
0,1368%), während sie in dem andern nicht wesentlich vermehrt sind.
Das Cholesterin läßt keine Veränderung im Plasma erkennen; die Phos¬
phatide erfahren im 1. Falle eine Verminderung von 0,1448% auf
0,0676%, in dem andern Falle eine leichte Vermehrung von 0,1848%
auf 0,2441%, die als unwesentlich anzusehen ist. In den Blutkörperchen
zeigt das Cholesterin, ebenso wie die Phosphatide, im 1. Falle eine ge-
ringeVermehrung (von 0,4248 auf 0,6308%), also um ca. 50%, im letzteren
bleiben sie unverändert. Auch diese Versuche lassen eine einfache
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292
H. Jastrowitz:
Erklärung der Erscheinung nicht zu, warum in dem einen Falle die Phos-
phatide absinken, in dem andern aber nicht. Man kann nur soviel sagen,
daß bei lang andauernden bzw. chronischen Vergiftungen mit hämo¬
lytischen Giften eine Erschöpfung der Lecithinvorräte des Organismus
dadurch herbeigeführt wird, daß der Körper infolge der Intoxikation
die Fähigkeit zum Aufbau derartig komplizierter Lipoide verliert,
während bei akuteren Formen der plötzliche Zerfall als Reiz auf die
zunächst noch relativ-intakten Bildungsstätten der E. wirkt und so
die Neubildung phosphatidreicher Blutkörperchen in gewissen Grenzen
anregt, soweit noch Reservematerial vorhanden ist. Bei noch schwereren
Fällen hört dieser Prozeß auf: Es werden die Erythrocyten phosphatid-
ärmer (Pyrogallol lb), weil die intensive Einwirkung des Protoplasma¬
giftes sofort zum Zerfall und Austritt des Phosphatide aud den E. führt,
bzw. bereits die Erythroproese in dieser Hinsicht ungünstig beeinflußt.
Das Cholesterin nimmt an diesem Vorgang in der Menge teil, in
der es angeboten wird, und in der die E. in der Lage sind, es auf
zunehmen. In dieser Weise dürfte sich die Variabilität der Mengen,
in denen diese Lipoidsubstanzen in den Erythrocyten unter den hier
vorgenommenen pathologischen Bedingungen in den Roten auftreten,
erklären.
Anschließend hieran wurden Gifte hinsichtlich ihrer Wirkung unter¬
sucht, welche für die menschliche Pathologie eine wesentlichere Rolle
spielen, als die vorgenannten drei Körper, welche nur bei Arzenei-,
gewerblichen Intoxikationen, sowie Suicidversuchen in Frage kommen.
4. Glycochols. Natron: Hierher gehören zunächst die Gallensäuren,
die für die Leberpathologie von Bedeutung sind. Leider stand mir
nur glycocholsaures Natron zur Verfügung. Ich war mir wohl bewußt,
daß die hämolytische Wirkung desselben weit geringer ist, als die der
Taurocholsäure; immerhin zeigte sich bei einem Hämolyse versuch
in vitro noch eine Wirkung bei 1 auf 600 auf Kaninchen-Erythrocyten.
In vivo ist die hämolytische Wirkung der Gallensäuren keine weit¬
gehende 1 ); die Versuche werden weiterhin dadurch kompliziert, daß
bekanntlich die Gallensäuren auf den Vagus einwirken [Weintraud 2 )],
außerdem treten bei den Kaninchen leichte Durchfälle ein 3 ), eine bekannte
Erscheinung, die bei jeder Applikationsart dieser Substanzen auftritt.
Die Tiere magerten rasch ab, eins wurde, bevor der Versuch abgeschlossen
war, tot aufgefunden. Der Grad der Anämie war kein hochgradiger,
wie nach obigen Ausführungen zu erwarten war. Die Tiere erhielten in
langsam gesteigerter Dosis 10,6 bzw. 5,04 g Natr. glycochol. Die Werte
für die Roten sanken annähernd auf die Hälfte der Norm, ebenso die des
x ) Eppinger, in Kraus u. Brugsch, Allg. u. spez. Pathol. des Ikterus, C, 157.
2 ) Weintraud, Arch. f. exp. Pathol. 34 , 37. 1894.
3 ) Vgl. Robert, Intoxikationen £, 743.
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Zur Pathochemie der Blutlipoide bei experimenteller Anämie.
293
Hämoglobins. Eine weitere Fortsetzung der Versuche verbot sich in¬
folge der erwähnten Erfahrungen. Der 1. Versuch wurde 2 Monate lang,
der 2. einen Monat lang durchgeführt. Es zeigt sich im Plasma in dem
1. Falle ein Gleichbleiben des Fettgehaltes, eine Erhöhung des Chol.-
Gehaltes um ca. 200% (von 0,0582% auf 0,1612%), eine Zahl, die das
Maximum des Chol, im Plasma bei Normaltieren überschreitet; der
Phosphatidgehalt ist gleichfalls hoch mit 0,2712%, wenn auch als
solcher nicht schlechthin als pathologisch zu werten. Das zweite Tier
vertrug die Intoxikation weniger gut, so daß der Versuch früher abge¬
brochen werden mußte. Die Blutveränderungen sind hier geringer,
dementsprechend bietet das Plasmabild bis auf eine mäßige Erhöhung
des Neutralfettes (0,1255%) nichts Abnormes. In den Blutkörperchen
zeigt sich in beiden Fällen mäßig hoher Cholesteringehalt (0,1059%,
bzw. 0,1545%), und im 2. Falle eine Steigerung der Phosphatide (auf
0,6130%), wie wir sie des öfteren bei den anderen hämolytischen Giften
gesehen haben. Somit zeigen auch die Gallensäuren bereits diejenige
Lipoidveränderung angedeutet, die bei den Versuchen mit den sonstigen
hämolytischen Giften beobachtet werden konnten.
5. Staphylolysin: Als letzte hämolytische Substanz wurde das Sta¬
phylolysin verwandt. Bewogen wurde ich hierzu durch den Umstand,
daß sich an Hunden Lipoidsteigerungen im Blute nach Injektion von
Vibrionentoxin (Nasykel Tor), namentlich solche der Phosphatide,
in hohem Maße erzielen ließen. Es galt nun festzustellen, ob ähnliches
sich auch bei anderen Tieren (Kaninchen) mit Bakterientoxin erreichen
läßt. Die Versuche wurden mit Staphylolysin angestellt, dessen hämo¬
lytische Wirkung auf Kaninchen besonders groß sein soll und mit dem
z. B. Schur 1 ) wesentliche Anämien erzielt hatte. Das von mir verwandte
Staphylolysin wurde mir in liebenswürdigster Weise durch Herrn Prof.
Paul Schmidt zur Verfügung gestellt. Dies Präparat hämolysierte
noch in einem Verhältnis von 1 auf 1024, im Reagensglasversuch. Nicht
ganz so waren die biologischen Resultate. Die Injektionen wurden in
langsam steigender Dosis vorgenommen. Im Anfang sank deutlich
der Hb.- und E.-Gehalt. Außer Zeichen von Atemnot mäßigen Grades
unmittelbar nach den später vorgenommenen Injektionen, traten
keinerlei schwere anaphylaktische Erscheinungen auf. Nach längerer
Dauer der Versuche, 5 Wochen im ersten, 2 Wochen im zweiten Versuch,
ließ sich ein weiteres Absinken des Blutkörperchenwertes und des Hämo¬
globins nicht erreichen. Die Versuche wurden daher abgebrochen.
Anscheinend waren die Tiere gegen das Toxin immun geworden. Bei
Betrachtung der Tabellen ergibt sich für das Plasma nur im 2. Falle
eine Steigerung des Cholesterins (0,1892%, gegen 0,085% im Vorver¬
such). Die Phosphatide im Plasma blieben unverändert. Die E. zeigen
*) Schur, Hofmeisters Beitr. z. chem. Physol. u. Pathol., 3, 89, 1902.
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294
K. Jastrowitz:
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Tabelle I (berechnet auf
Hb.
| E. B.-V.
Tr.-S. X.
Fett
freies ChoL
1 a
68
4 460000
40,9
18,35
2,52
0,0490
0,0490
2a
71
4 696 000
40,4
19,37
2,60
0,0380
0,0390
3 a
68
5 222 000
38,2
17,05
2.01
0,0516
0,0598
4 a
65
4 960000
37,9
17,56
2,58
0,0238
0,0601
5 a
58
4 532 000
42,0
17,52
; 2,00
0,0434
0,0426
6 a
72
4 904 000
37,8
16,78
2,30
0,0320
0,0704
7 a
78
5 440000
39,1
17,81
2,81
0,0496
0,0347
8a
67
4 880 000
40,1
—
2,11
0,0408
0,0370
9 a
68
4 920 000
38,5
18,51
2,60
0,0552
0,0405
10 a
79
5 376 000
42,6
21,62
1 2,37
0,0456
0,0657
11 a
78
5712000
o
CO
18,25
2,23
0,0466
0,0382
12 a
75
5 176000
39,8
17,34
2,75
0,0621
0,0438
13a
77
5 040 000
37,7
17,05
2,42
0,0341
0,0458
14 a
64
; 1
4 296 000
38,5
19,04
2,61
0,0597
0,0368
1 b
, 36 ;
2 240 000
30,1
16,03
2,13
0,5864
0,5096
2 b
26
2 350000
32,6
16,77
2,35
0,0850
0,0640
3b
22
1 736000
22,1
11,11
1,37
0,0336
0,0437
4 1)
20
1 900000
30,3
11,28
1,91
0,0537
0,0740
5 b
16 1
864 000
15,1
9,19
1,26
0,0637
0,0617
6 b
24 !
1 774 000
23,1
14,66
1,73
0,1209
0,0455
7b
20 !
1260000
17,2
12,68
1,52 1
0,0668
0,0440
8 b
30 '
2 440 000
25,4
14,33
2,00
0,0370
0,0744
9b
40 ,
2 608000
27,6 j
16,10
2,31
0,0920
0,0837
10 b
34
2 600000
31,5 |
1,91
0,0408
0,0408
11 b
32 i
2 128 000
31,9 i
15,'iT |
1,74
0,0353
0,0374
12 b
20 ;
1 744 000
21,5
11,18
1,38
0,0991
0,0841
13 b
24 |
1860 000
19,6
11,44
1,64
0,0869
0,0517
14 b
19
1 184 000 i
21,6
11,46 :
1,58
0,3601
0,0722
hinsichtlich des Fettgehaltes nichts Abnormes, ebenso hinsichtlich des
Cholesterins; dagegen ist der Lecithingehalt der roten Blutkörperchen
gesteigert, bzw. hoch normal (0,4388% und 0,4818%).
6. Blutungsanämien.
Im Gegensatz zu den hämolytischen Giften wurden als Kontrolle
Blutungsanämien untersucht, obwohl hinsichtlich derselben zahlreiche
Versuche Vorlagen, auf die schon eingegangen ist. Die Grade der Anämie,
die hierbei erzielt wurden — es waren 2 chronische von 4—5 wöchentlicher
Dauer und ein subakuter Versuch von 11 tägiger —, waren erheblich
(1744 000 E, bzw. 1860 000 E.), in Versuch 1 und 2; 1 184 000 E.
in Versuch 3). Diese 3 Versuche zeigen im Plasma eine erhebliche Stei-
Gck igle
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Zur Pathocheraie der Blutlipoide bei experimenteller Anämie.
295
natürliche Substanz).
Blut
—
—
- -
-- -
Bemerkungen
rebund. Chot
Tot. Chol.
ChoL-Est.
Phosphat
0.0286
0,0776
0,0510
0,2625
0,0570
0,0960
0,1016
| 0,2442
0,0525
0,1123
0,0»38
0,2370
.
0,0428
0,1029
0,0764
0,1553
0,0309
0,0735
0,0539
j 0,3107
0.0719
0,1423
0,1284
0,2382
0.0658
0,1005
0,1176
0,2624
Vorversuche, außer geringen Quan
0,0199
0,0569
0,0355
0,1912
titätcn ITaferflocken, fettfreie Nah
0,0320
0,0725
0,0571
1 0,2012
rung.
0,0600
0,1257
0,1072
0,3198
0.0483
0,0865
0,0863
—
0,0405
0,0843
0,0723
0,2064
0,0353
0,0811
0,0630
0,2850
0,0569
0,0937
0,1016
0,1184
0,6280
0,2114
0,6526
Subakute Pyrogallol-Verg.
0,0457
0,1097
0,0816
0,2429
Chronische Pyrogallol-Verg.
0,0218
0,0655
0,0389
0,0844
Chronische Pyrodin-Verg.
0,0433
0,1173
0,0773
0,0829
Chronische Pyrodin-Verg.
0,0871
0,1488
0,1555
0,4494
Subakute Pyrodin-Verg.
0,0837
0,1292
0,1495 j
0,1989
Subakute Nitrobenzol-Verg.
0,0731
0,1171
0,1306
0,2799
Subakute Nitrobenzol-Verg.
0,0730
0,1474
0,1304
—
Verg. mit Natr.-Glykocholat.
0,0498
0,1335
0,0889
0,2675
Verg. mit Natr.-Glykocholat.
0,0461
0,0869
0,0823
0,3302
Verg. mit Staphylolysin.
0.0431
0,0805
0,0770
0,2664
Verg. mit Staphylolysin.
0,0926 |
0,1767
0,1654
0,2694
Chronische Blutungsanämie.
0,0577
0,1094
0,1028
0,2568
Chronische Blutungsanämie.
0.0771
0,1423
0,1377
0,4563
Subakute Blutungsanämie.
gerung des Fettgehaltes; viel weniger erheblich ist die Steigerung des
Cholesterins (im 1. Falle um ca. 100%, im 2. und 3. um ca. 30%, bzw.
50%). Die Phosphatide weisen nur in dem subakuten Falle einen höhe¬
ren Wert auf (0,4563%), d. h., in dem Falle, wo der Körper des Tieres
noch reichlich Reservekräfte und Materialien zur Neubildung zur Ver¬
fügung hat. Es entspricht dies Verhalten im ganzen durchaus den Re¬
sultaten anderer Autoren. Der relativ hohe Phosphatidgehalt des Serums
ist als Beweis für die Existenz des Phosphatidstromes, im Sinne Bloors,
der nach den Bildungsstätten der Roten gerichtet ist, anzusprechen.
Bei Betrachtung der E. zeigt das Fett seiner ganzen Anteilnahme
entsprechend eine unwesentliche Zunahme, dagegen zeigt das Cholesterin
im ersteren Falle einen starken Anstieg um ca. 280% (von 0,113%
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296
H. Jast.rowitz:
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Tabelle I (berechnet auf
Plasma
.11.
Tr.-S.
N.
| Fett
freies Chol.
geb. ChoL
Tot ChoL
Chol.-E.
Phosphat
la
6,69
0,93
0,0653
0,0204
0,0367
0,0571
0,0656
0,1176
2 a
7,00
1,04
0,0290
0,0212
0,0670
0,0882
0,1196
0,1824
3a
—
1,21
0,0525 •
0,0 74
—
—
—
-
4 a
7,89
1,20
0,0349
0,0653
0,0506
0,1159
0,0904
0,1482
5 a
8,00
1,01
0,0528
0,0456
0,0424
0,0880
0,0757
0,1878
6 a
6,73
1,00
0,0321
0,0623
0,0784
0,1407
0,1400
0,2248
7a
7,50
1,12
0,0674
0,0330
0,1(65
0,1395
0,1902
0,1848
8a
7,26
1,15
0,0412
0,0284
0,0298
0,0582
0,0306
0,0913
9 a
7,86
1,14
0,0834
0,0312
0,0471
0,0783
0,0841
0,1629
10 a
—
1,17
0,0414
0,0189
0,0635
0,0824
0,1135
0,2955
11a
7,93
1,16
0,0671
0,0223
0,6636
0,0859
0,1136
0,1914
12 a
6,76
1,01
0,0724
0,0154
0,0508
0,0662
0,0908
0,1761
13a
6,70
0,93
0,0497
0,0203
0,0505
0,0708
0,0903
0,2312
14 a
7,83
0,92
0,0911
0,0074
0,0740
0,0814
0,1321
0,2186
1 b
4,89
0,38
0,6571
0,1429
0,1388
0,2817
0,2479
0,8340
2b
5,38
0,75
0,1135
0,0265
0,0627
0,0892
0,1120
0,1131
3 b
—
1,01
0,0221
0,0500
0,0232
0,0732
0,0414
0,0756
4b
5,82
0,93
0,0166
0,0294
0,0403
0,0697
0,0720
0,0459
5b
5,00
0,65
0,0762
0,0512
0,0988
0,1500
0,1770
0,1625
6b
—
0,72
0,1368
0,0275
0,1091
0,1366
0,1848
0,0676
7b
4,60
0,63
0,0721
0,0394
0,0865
0,1259
0,1545
0,2441
8b
5,63
0,78
0,0475
0,0692
0,0920
0,1612
0,1639
0,2712
9 b
5,95
0,86
0,1255
0,0605
0,0637
0,1242
0,1140
0,1358
10 b
5,34
0,76
0,0395
0,0289
0,0604
0,0893
0,1079
0,2805
11 b
5,62
0,78
0,0508
0,0345
0,0547
0,1892
0,0977
0,1655
12b
5,74
0,73
0,0950
0,0230
0,1162
0,1392
0,2070
0,1586
13 b
—
0,59
0,10u0
0,0351
0,0.26
0,1077
0,1297
0,1713
14b
5,13
0,57
0,4648
0,0402
0,0871
0,1273
0,1555
0,4615
auf 0,3136%). Im zweiten Versuch läßt sich eine solche Erhöhung nicht
erkennen, wohl aber im dritten, wo eine Steigerung um 130% (von
0,1024% auf 0,2400%) stattfinckt. Die Phosphatide zeigen sowohl im
letzten Fall einen hohen Wert mit 0,4486%, als auch einen absolut
und relativ erhöhten bei den chronischen Versuchen (mit 0,6035%
bzw. 0,6740%).
Die scheinbare Unstimmigkeit, die darin besteht, daß in dem akuten
Versuch nicht eine starke Steigerung auch der Phosphatide in den roten
Blutkörperchen stattfindet, die der des Cholesterins entspricht, während
umgekehrt bei den chronischen Versuchen in dem einen Falle eine Stei¬
gerung des Cholesterins, in beiden eine Steigerung der Phosphatide statt¬
findet, dürfte die plausibelste Erklärung darin finden, daß die roten
Gck igle
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Zur Pathochemi© der Blutiipoide bei experimenteller Anämie. 297
natürliche Substanz). (Fortsetzung.)
Bemerkungen
N.
Fett
4,82
35,21
0,0254
0,0674
0,0169
0,0843
0,0302
0,4741
4,89
37,59
0,0513
0,0668
0,0447
0,1115
0,0798
0,3354
3,21
—
0,0501
0,0637
—
—
—
—
4,84
33,25
0,0056
0,0516
0,0309
0,0816
0,0561
0,2107
3,37
30,67
0,0176
0,0385
0,0150
0,0535
0,0268
0,4808
4,44
33,32
0,0318
0,0818
0,0613
0,1531
0,1094
0,4248
5,44
34,81
0,0257
0,0470
0,0022
0,0492
0,0038
0,3833
Vorversuche, außer gering.
3,54
—
0,0342
0,0498
0,0051
0,0549
0,0091
0,2908
Quantitäten Haferflocken
4,95
33,43
0,0098
0,0555
0,0077
0,0732
0,0101
0,2628
— fettfreie Nahrung.
4,06
—
0,0513
0,1288
0,0553
0,1841
0,0987
0,3534
4,60
38,25
0,0068
0,0689
0,0186
0,0875
0,0331
—
5,61
34,85
0,0432
0,0864
0,0249
0,1113
0,0445
0,2528
4,94
34,14
0,0081
0,0879
0,0102
0,0981
0,0182
0,3739
5,31
36,64
0,0095
0,0838
0,0186
0,1024
0,0325
—
4,93
41,90
0,4222
1,3612
0,0710
1,4322
0,1268
0,2313
Subakute Pyrogallol-Verg.
5,66
40,35
0,0264
0,1415
0,0106
0,1521
0,0188
0,5113
Chron. Pyrogallol-Verg.
2,64
—
0,0746
0,0236
0,0169
0,0405
0,0301
0,1152
Chron. Pyrodin-Verg.
3,87
24,37
0,0700
0,1766
0,0502
0,2268
0,0896
0,1680
Chron. Pyrodin-Verg.
4,72
82,97
0,0000
0,1244
0,0215
0,1459
0,0382
1,6751
Subakute Pyrodin-Verg.
4,77
—
0,0680
0,1054
0,0000
0,1054
0,0000
0,6308
Subakute Nitrobenzol-Verg.
7,21
50,35
0,0355
0,0647
0,0086
0,0733
0,0153
0,3017
Subakute Nitrobenzol-Verg.
5,58
39,88
0,0123
0,0887
0,0172
0,1059
0,0307
—
Verg. m. Natr.-Glykocholat.
6,11
42,72
0,0062
; 0,1412
0,0133
0,1545
0,0238
0,6130
Verg. m. Natr.-Glykocholat.
4,38
—
0,0436
0,0667
0,0150
0,0817
0,0213
0,4383
Verg. m. Staphylolysin;
3,78
28,58
0,0022
0,0436
0,0179
0,0615
0,0327
0,4818
Verg. ra. Staphylolysin.
3,74
31,04
0,1155
0,3072
0,0064
0,3136
0,0114
0,6740
Chron. Blutungsanämie.
6,04
—
0,0332
0,0688
0,0000
0,0688
0,0000
0,6035
Chron. Blutungsanämie.
5,38
36,15
0,0000
0,1982
0,0418
0,2400
0,0747
0,4486
Subakute Blutungsanämie.
Blutkörperchen in ihrer Zusammensetzung wesentlich abhängig sind
von den Vorräten des Organismus an den einzelnen Lipoiden. Es ist
anzunehmen, daß das Cholesterin, namentlich für Herbivoren, ein leich¬
ter zu ersetzender Bestandteil ist, wie die Phosphatide, für die eine Syn¬
these aus komplizierten Bausteinen erforderlich ist. Setzt daher wieder¬
holt ein akuter Blutverlust ein, so wird das Cholesterin rasch vom
Organismus ergänzt, während der erschöpfte Organismus nicht ohne
weiteres imstande sein wird, die kompliziertere Synthese zelleigner
Phosphatide im gleichen Maße zu vollziehen. Das Cholesterin hingegen
wird aus der Nahrung ergänzt bzw. aus den Depots unverändert in
die Bildungsstätten hineingeschwemmt und dort für den Aufbau der
roten Zelle verwertet.
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII. 91
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
298
H. Jastrowitz:
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Tabelle II (berechnet
Plasma
Nr.
N.
Fett
fr. Chol.
gb. Chol.
Tot. ChoL
Chol.-Est.
Phosphat
la
13,90
0,9761
0,3049
0,5486
0,8535
0,9806
1,7580
2a
14,96
0,4143
0,3030
0,9571
1,2600
1,7090
2,6060
4 a
15,21
0,4423
0,8272
0,6322
1,4594
1,1460
1,4920
5 a
13,38
0,6600
0,5700
0,5300
1,100
0,9410
2,3475
6a
14,86
0,4759
0,9473
1,1635
2,1108
2,0802
1,8390
7 a
14,93
0,8987
0,5339
1,4200
1,9739
•2,3560
2,4640
8 a
15,84
0,5765
0,3912
0,4105
0,7317
0,6971
1,2630
9 a
14,50
1,0610
0,3970
0,5992
0,9962
1,0950
2,0730
11a
14,63
1,0650
0,2812
0,8002
1,0814
1,4330
2,4140
12a
14,94
1,0710
0,2278
0,9548
1,1826
1,3750
2,6110
13a
13,88
0,7418
0,3030
0,7713
1,0743
1,3460
3,4800
14b
13,71
1,1640
0,0945
0,9453
1,0398
1
1,7264
2,7980
lb
7,77
13,4400
2,9200
2,8380
5,7580
5,0690
17,0600
2b
13,94
0,5069
0,4926
0,1165
0,7191
0,1731
0,3961
4b
15,98
0,8007
0,5053
0,6924
1,1977
1,2370
0,7888
5b
13,00
1,3240
1,0240
1,9760
3,0000
3,5400
3,2400
7b
13,70
1,5670
0,8565
1,8800
1,7365
3,3590
5,3070
8b
13,85
0,8437
0,1229
1,6340
1,7569
2,9150
4,8170
9b
14,45
2,1090
1,0170
1,0710
2,0880
1,9160
2,2820
10 b
14,23
0,7397
0,5412
1,1310
1,6722
2,0210
5,2410
11b
13,88
1,0140
0,6139
0,9733
1,5872
1,7380
2,9450
12b
f 12,72
1,6550
0,4007
2,0240
2,4027
3,6900
2,7630
14b
11,11
I 2,0600
0,7836
1,6980
1 2,4816
3,0240
8,9960
7. Veränderungen in der Trockensubstanz.
Da das Wasser den weitaus größten Anteil des Plasmas, weit auch
über die Hälfte der Erythrocyten ausmacht, erscheint es namentlich
im Hinblick auf die Tatsache, daß, trotz gleichbleibenden prozentischen
Lipoidgehaltes in der natürlichen Substanz, der Anteil der einzelnen
Lipoide an der Trockensubstanz Verschiebungen erkennen lassen kann,
von Interesse, einen Blick auf die Zusammensetzung der Trockensub¬
stanz zu werfen.
Wo der Trockengehalt des Plasmas sehr erheblich sinkt (4,89%
Trockensubstanz, Pyrogallol 1 b; 7,74% Trockensubstanz, Blutungs¬
anämie 12a; 5,13% Trockensubstanz Blutungsanämie 14b) tritt eine
Hypalbuminose im Plasma ein. So zeigt Pyrogallolvergiftung 1 b 7,77%
N. in der Trockensubstanz; ähnlich verhielt sich Versuch 7b mit 13,70%,
Versuch 12b mit 12,72%, Versuch 14b mit 11,11%. Die übrigen Ver¬
giftungen lassen eine derartige wahre Hypalbuminose nicht erkennen.
Unter wahrer Hypalbuminose ist eine Herabsetzung des Eiweißgehaltes
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Zur Pathochemie der Blutlipoide bei experimenteller Anämie.
299
auf Trockensubstanz).
Erytrocyten
Bemerkungen
N.
Fett
fr. Chol.
gb. Chol.
Tot. Chol.
Chol.-Est.
Phosphat
13,63
0,0720
0,1914
0,0481
0,2395
0,0858
1,3430
13,01
0,1365
0,1777
0,1189
0,2966
0,2123
0,8923
14,56
0,0168
0,1517
0,0902
0,2419
0,1687
0,6337
13,84
0,0574
0,1256
0,0498
0,1754
0,0874
1,5680
13,33
1,1202
0,2455
0,1840
0,4295
0,3283
1,2780
15,62
0,0738
0,1350
0,0062
0,1412
0,0108
1,1010
► Normalversuche.
14,81
0,0293
0,1660
0,0230
0,1890
0,0302
0,7861
12,00
0,0178
0,1799
0,0485
0,2284
0,0864
16,10
0,1561
0,2479
0,0715
0,3197
0,1277
0,7254
14,47
0,0237
0,2575
0,0298
0,2873
0,5340
1,0950
14,58
0,2599
0,2290
0,0508
0,2803
0,0887
11,82
1,0080
3,2490
0,1695
3,4185
0,3007
0,5649
Subakute Pyrogallol-Vergr.
14,03
0,6543
0,3427
0,0263
0,3690
0,0466
1,2360
Chron. Pyrogallol. -Verg.
15,88
0,2872
0,7247
0,2060
0,9307
0,3677
0,6893
Chron. Pyrodin-Verg.
14,32
0,0303
0,3773
0,0652
0,4425
0,1159
5,0807
Subakute Pyrodin-Verg.
14,32
0,0722
0,1285
0,0170
0,1455
0,0304
0,6275
Subakute Nitrobenzol-Verg.
13,99
0,0308
0,2224
0,0431
0,2655
0,0770
Verg. m. Natr.-Glykocholat.
14,30
0,0015
0,3305
0,0311
0,3616
0,0557
1,4350
Verg. m. Natr.-Glykocholat.
Verg. m. Staphylosyin.
13,32
0,0076
0,1526
0,0626
0,2152
0,1144
1,4650
Verg. m. Staphylosyin.
12,05
0,3720
0,9897
0,0206
1,0103
0,0367
2,2220
Chron. Blutungsanämie.
14,88
0,0000
0,5488
0,1156
0,6644
0,2066
1,2700
Subakute Blutungsanämie.
in der absolut nicht vermehrten Trockensubstanz zu verstehen, im Gegen¬
satz zu der scheinbaren, die lediglich auf einem vermehrten Wasser¬
gehalt beruht. Die wahre Hypalbuminose ist ein Zeichen echter chemi¬
scher Dekonstitution der Gewebsflüssigkeit bzw. der Zellen; die Pseudo-
Hypalbuminose kann lediglich Ausdruck einer zirkulatorischen Schä¬
digung sein. Ist die Trockensubstanz durch Fette und Lipoide abnorm
vermehrt, so läßt sich aus dem verminderten N.- bzw. Eiweißgehalt
nicht ein Rückschluß auf eine pathol. Hypalbuminose machen. Es
versagt in diesem Falle somit der Begriff der Hypalbuminose überhaupt.
Hier interessiert vor allem, wie sich die Lipoidstoffe dabei verhalten.
In dem akutesten, schwersten Falle der subakuten Pyrogallolvergiftung
betragen sie 38,489 % der gesamten Trockensubstanz des Plasmas, darunter
fast die Hälfte (17,06%) Phosphatide. In diesem Falle ist also eine Zurück -
drängung der N.-haltigen Anteile durch die fetthaltigen gegeben, an
denen infolge Erythrolyse die Phosphatide den wesentlichsten Anteil
haben. Als Gegenstück sei der Fall der einen chronischen Pyrodinver-
21 *
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
300
H. Jastrowitz:
giftung angeführt, mit nur 2,8257% Gesamtlipoiden, unter denen hier,
wie normalerweise beim Kaninchen die Cholesterinester den Haupt¬
anteil haben. Auch bei den durch Blutung anämisierten Tieren sind die
Lipoidsubstanzen in der Trockensubstanz des Plasmas mäßig vermehrt.
In dem Falle der chronischen Anämie betragen sie 6,3109% in Versuch
11b; 8,4157% in Versuch 12b; im Falle der subakuten Anämie 14b
14,8576%. Letztere hat Ähnlichkeit mit der akuten Pyrogallol-
vergiftung insofern, als hier die Phosphatide außerordentlich gesteigert
sind (8,9960%), somit den sonst im Plasma beobachteten Maximalwert
um 150% überschreiten. Es zeigt sich also hier, daß dieselbe Erscheinung
nicht notgedrungen auf völlig den gleichen Ursachen zu beruhen braucht.
Bei der Blutungsanämie handelt es sich um Transport von Material zum
Wiederaufbau; bei der schweren, akuten, hämolytischen Anämie mit
mangelnder Sauerstoffatmung tritt das massenhafte Zerfallen der Roten
im strömenden Blut und das Freiwerden der Komponenten dieser Zell¬
bestandteile hinzu. Wir haben es also hier mit einer Addition verschiedener
Faktoren zu tun. Bemerkenswert ist, daß chron.-hämolytische Ver¬
giftungen häufig zu einer relativen Verarmung des Plasmas an Phos-
phatiden führen (0,3961% bei der chron. Pyrogallolvergiftung 2 b
und 0,788% bei der chron. Pyrodinvergiftung, 4b). Dies ist ein weiterer
Beweis für die Erschöpfung des Körpers an Phosphatiden und die infolge
der Anämie gestörte Synthese. Bei den subakuten Vergiftungen ist
es nicht der Fall; hier treten hochnormale bzw. mäßig erhöhte Phos-
phatid- und Cholesterinwerte auf. Diese sind analog der subakuten
Anämie auf Transport aus noch vorhandenen Reserven zu beziehen,
wozu noch Zerfallsprodukte aus den roten Zellen hinzutreten. Die
Vergiftungen mit glycochols. Natron und Staphylolysin zeigen auch
hier eine Zwischenstellung und lassen ein gleichmäßiges Verhalten
nicht erkennen; die Werte sind erhöht für die Phosphatide, sie bewegen
sich für die Chol.-Fraktionen an der oberen Grenze der Norm; die Re¬
serven sind hier eben größer und der Zerfall geringer; andererseits wird
wohl die Tätigkeit der Blutbildungsstätten auch hier durch die Gifte
beeinflußt.
Die Erythrocyten lassen so tiefe Eingriffe im allgemeinen nicht er¬
kennen. Ganz besonders wird an dem N.-Gehalt festgehalten. Die
Blutungsanämien zeigen die bekannte Steigerung der Phosphatide.
Ähnlich verhalten sich, nur mit geringeren Ausschlägen, die Vergif¬
tungen mit glycochols. Natrium und Staphylolysin. Eine Verarmung
der roten Blutkörperchen an Phosphatiden ist wiederholt zu beobachten,
so bei der subakuten Pyrogallolvergiftung 1 b mit 0,5649%, bei der Nitro¬
benzolvergiftung 7 b mit 0,6275%; das Cholesterin bewegt sich nicht
immer gleichsinnig, so daß z. B. in dem angeführten Falle der Pyro¬
gallolvergiftung 7 b einen stark erhöhten Gehalt (3,4185%) an Cholesterin
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Zur Pathochemie der Blutlipoide bei experimenteller Anämie. 301
besitzen. Es hängt dies, wie schon betont, von den Reserven und von
der synthetischen Fähigkeit des Knochenmarks ab, auch das Umgekehrte
kann der Fall sein; so ergibt die Analyse der Roten bei subakuter Pyro-
dinvergiftung (5 b) den abnormen Gehalt von 5,0807% Phosphatide,
in der Trockensubstanz, bedingt höchstwahrscheinlich durch über¬
stürzte Neubildung der Roten mit abnormem Phosphatidgehalt. Ähn¬
liches zeigt die Blutungsanämie 12b mit 2,2220% Phosphatiden in der
Trockensubstanz. Durch alle diese Veränderungen wird der Quotient
* Lecithin zu Cholesterin mehr oder minder beeinflußt. Die Frage nach
der Berechtigung dieser und ähnlicher Quotienten sei hier daher kurz
gestreift.
Die Fettsäuren bzw. das Fett, in irgendeine Konstante hineinzu¬
ziehen, ist unbedingt abzulehnen. Die Fettmenge und damit die durch
diese bedingten Quotienten hängen lediglich von dem augenblicklichen
Ernährungszustände und der Größe des jeweiligen Fetttransportes ab,
der an sich mit dem Lipoidtransport bei der Anämie nichts zu tun hat,
sondern nur eine Begleiterscheinung desselben darstellt. Natürlich
wird bei der Anämie, selbst bei knappster Ernährung, wie aus den Fällen
der subakuten PyrogallolVergiftung (lb) 0,5864% und der subakuten
Blutungsanämie (14 b = 0,3601%) hervorgeht, Fett transportiert
und wie schon Sakai (1. c.) nachweisen konnte, kann diese Lipämie
bei Fettfütterung naturgemäß einen noch erheblicheren Grad erreichen.
Wichtiger wäre die Frage, ob, wieviel und welche Fettsäuren, namentlich
ungesättigten, bei Anämien vorhanden sind. Die Lösung dieser Frage
begegnet erheblichen methodischen Schwierigkeiten. Bleibt das Ver¬
hältnis Lecithin zu Cholesterin! Auch hier muß man sich bewußt sein,
daß der Transport zwar eine geringere Rolle spielt, jedoch beträchtlich
genug ist, um auch diesen Quotienten zu beeinflussen. Hinzu tritt,
daß die Schwankungen z. T. recht erhebliche sind. Am konstantesten
ist das Verhältnis im Plasma, wo es im Mittel 2,08 beträgt. In den
Blutkörperchen sind weit erheblichere Schwankungen schon normaler¬
weise zu verzeichnen und entsprechend zu berücksichtigen. Auf die eige¬
nen Analysen habe ich schon hingewiesen. Es sei nur bemerkt, daß
Bloor 1 ) z. B. für normale Kaninchen an Lipoidphosphor Schwankungen
von 7,5—15,7 mg im Plasma und von 54—83 mg in den E., d. h., im
Plasma eine Schwankung über 100%, in den E. eine solche von 70%
fand. Auch nach Feigl 2 ) schwankt beim Menschen der Lecithingehalt
der E. von 300 mg bei reduzierter Ernährung bis zu 480 mg maximal.
Die Schwankungen im Cholesteringehalt sind durchaus ähnliche, und
keineswegs nur gleichsinnige. Demgemäß möchte ich nur einige krasse
Daten anführen, so einen Quotienten Lecithin zu Cholesterin von
*) Bloor, Journ. of biol. Chem. 45, 171.
*) Feigl, Biochem. Zeitechr. $•, 361.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
302
II. Jastrowitz:
14,20 bei der subakuten Pyrodinvergiftung, bei der Blutungsanämie von
8,77. Diesen Verschiebungen des Verhältnisses zugunsten des Leci¬
thins steht nun eine direkte Inversion derselben bei der subakuten
PyrogallolVergiftung (lb) mit 0,16 gegenüber. Gewiß spricht das Ver¬
hältnis Lecithin zu Cholesterin bei der Frage der Hämolyse mit. Bei
der allgemeinen Tendenz neugebildeter, roter Blutkörperchen, reichlich
Lecithin aufzunehmen, werden solche Blutkörperchen im allgemeinen
resistenzunfähiger sein, wenn ihnen nicht kompensatorische Cholesterin¬
vorräte zur Verfügung stehen.
8. Zusammenfassung.
Die vorliegenden Untersuchungen zeigen, daß in Übereinstimmung
mit den Untersuchungen von Horiuchi trotz fettarmer Nahrung eine
Steigerung der Lipoide beim anämischen Kaninchen im Blut und Plasma
eintritt. Werden diese Tiere durch Blutungen anämisch gemacht,
so ergeben sich Veränderungen in der Substanz der roten Blutkörperchen
im Sinne einer Zunahme der Phosphatide; das Cholesterin hält mit dieser
Zunahme nicht immer Schritt. Ähnlich verhält sich ein Teil der Versuche
mit hämolytischen Giften. Diese Veränderungen sind jedoch weder
untereinander gleichartig, noch identisch bei einer bestimmten Art
der Vergiftung. Sie hängen zunächst ab vom Vorrat des Organismus
an den einzelnen Lipoidstoffen, von dem Umstand, ob es sich um akute
oder chronische Einwirkung von Giften, bzw. um Blutungsanämien
handelt, und endlich von der Dauer der Einwirkung dieser Noxen;
bei chron. Einwirkungen von Giften die bis zur Erschöpfung führen,
kommt es zum Absinken der Lipoide im Plasma sowohl, als auch
in den roten Blutkörperchen. Hieran beteiligen sich die Phosphatide
in höherem Maße, als das Cholesterin. Wo diese völlige Erschöpfung
nicht eintritt, findet ein Gleichbleiben oder eine Anreicherung, besonders
der Phosphatide, in den roten Blutkörperchen statt. Die schwerste
durchgeführte Schädigung (subak. Pyrog.-Vergiftg.) verhielt sich eigen¬
artig insofern, als hier das Lecithin in den roten Blutkörperchen absank,
im Plasma im hohen Maße anstieg. Anscheinend spielt hier die stark
akute Zellasphyxie des Knochenmarks mit, bei der eine Synthese oder
Verwertung des Lecithins nicht mehr zustande kommt, während gleich¬
zeitig eine intensive Hämolyse massenhaft Lipoidsubstanzen in das
Plasma eintreten läßt. In einzelnen Fällen zeigt sich auch in der Trocken¬
substanz des Plasmas eine Dekonstitution, insofern dieselbe Hypalbu-
minose mit Steigerung der Lipoidsubstanzen erkennen läßt. Am deut¬
lichsten tritt diese bei subakuter Pyrogallol- und Pyrodinvergiftung
zutage; hier dürfte diese Erscheinung hauptsächlich als Folge der Hämo¬
lyse anzusprechen sein. Wo diese Lipoidämie des Plasmas bei den
Blutungsanämien mehr oder minder stark ausgeprägt ist, ist sie hin-
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Zur Patliochemie der Blutlipoide bei experimenteller Anämie. 303
gegen durch den reparatorischen Lipoidtransport zu erklären, durch
den die Proteinkörper relativ zurückgedrängt werden. An dieser Stei¬
gerung der Lipoidstoffe im Plasma haben bei fettarm ernährten, durch
Gifte oder Blutungen anämisierten Kaninchen nicht in erster Lini e das
Neutralfett Anteil, sondern die Lipoide im engeren Sinne, besonders
die Phosphatide, Wie die histologische Untersuchung ergab, ist diese
Lipoidämie unabhängig von einer Fettphanerose der parenchymatösen
Organe (Leber, Niere). Eine solche fand sich bei keinem der Versuchs¬
tiere.
Schluß-Betrachtung.
Die vorliegenden Untersuchungen haben gezeigt, daß der Lipoid¬
stoffwechsel bei Anämien nicht mit den Schlagworten „Fetttransport
mit Beteiligung der Lipoide, Anhäufung der Phosphatide in den Roten“,
erledigt ist. Es fragt sich: Was können wir unter diesen komplizierten
Verhältnissen aus einer weiteren Erforschung für die Pathologie, nament¬
lich auch an Menschen, erwarten ? Im allgemeinen ist zu sagen, daß bei
schweren Anämien ein Absinken der Phosphatide in den Roten ein Zei¬
chen schwerer hämolytischer Anämie sein dürfte. Ein Ansteigen des
Lipoid-P. der Erythrocyten sagt uns ohne weiteres nichts aus, hinsicht¬
lich der Art der Anämie (Blutungs- bzw. hämolyt. Anämie). Ein ganz
abnormes Absinken des N.-Gehaltes in der Tockensubstanz zugunsten
der Lipoide spricht für eine schwere Anämie, ohne jedoch hinsichtlich
der Genese eine Entscheidung zu bringen. Ein normaler N.-Gehalt
der E. ist kein Zeichen von Intaktheit derselben, denn selbst bei schweren
hämolyt. Anämien kann derselbe normal bzw. erhöht sein. Eine be¬
sondere Aufmerksamkeit verdient die Tatsache des hohen Phosphatid-
gehaltes neugebildeter und erkrankter E., ohne daß mit diesem der
Chol.-Gehalt gleichen Schritt hält (Verf., Horiuchi, 1. c.). Man kann
nur schwer annehmen, daß der Organismus a priori bei einem Regenera¬
tionsvorgang Blutkörperchen schafft, die leichter der Hämolyse anheim¬
fallen. Bei rein hämolytischen Anämien kommt hier die Möglichkeit
abnormer Durchlässigkeit der E. in Frage. Entscheidend für das Ganze
ist Qualität und Quantität der Lipoidreserven und die Möglichkeit
der Synthese in jedem einzelnen Falle. Bemerkenswert ist, daß die Ver¬
suchstiere in Leber und Nieren keine Zeichen abnormer Fettphanerose
boten. Die chemische Untersuchung dieser Organe, die über den Rahmen
dieser Arbeit hinausgehen würde, mußte auch aus praktischen Gründen
zurückgestellt werden. Bei subakuter Blutungsanämie trat das Symptom
eines erhöhten Phosphatidgehaltes der E. nicht auffällig in Erscheinung.
Es ist daher anzunehmen, daß es hauptsächlich durch länger dauernde
Noxen ausgelöst wird.
Von besonderer Wichtigkeit werden daher die Vorgänge sein, die
sich in den Bildungsstätten der E., dem Knochenmark, abspielen.
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304 H. Jastrowitz: Zur Pathochemie der Blutlipoide bei experiment. Anämie.
Diese Frage muß weiteren Untersuchungen Vorbehalten bleiben. Jeden¬
falls zeigen diese Versuche die Einseitigkeit der Auffassung, daß die
Fettblockierung bei Anämien die Hauptsache sei. Vielmehr haben die
eigentlichen Lipoide, Lecithin und Cholesterin, nicht nur einen quanti¬
tativ wesentlichen, sondern noch erheblicheren qualitativen Anteil
an der Lipoidämie. Das Fett als solches läßt kausale Beziehungen
zu den Vorgängen bei den Anämien nicht erkennen. Wichtig ist die
Verarmung des Organismus und Unfähigkeit desselben zur Phosphatid-
bildung bei lange fortgesetzten hämolyt. Intoxikationen. Bei akuteren
Formen derselben tritt ebenfalls letztere Erscheinung, trotz reichsten
Lipoidgehaltes des Plasmas, durch die Unmöglichkeit, diese Stoffe nutz¬
bar zu machen, sehr deutlich zutage.
Nur ein Teil der einschlägigen Fragen konnte hier behandelt werden.
Zwei Hauptprobleme bleiben im Dunkeln: die Bildung und der Abbau
des Cholesterins, das man vielleicht doch nicht ausschließlich, wie Bloor,
als einen im Blute im wesentlichen unverändert kreisenden pflanzlichen
Nahrungsstoff ansprechen kann, das gleiche gilt von den Bedingungen
der Phosphatid-Synthese.
Weitere Schwierigkeiten liegen einmal darin, daß wir bei der chemi¬
schen Analyse des Blutes es mit einer Summe positiver und negativer
Addenden zu tun haben (z. B. Hämolyse mit gleichzeit. Regenerations-
Erscheinung), die jeden der einzelnen Summanden nicht klar erkennen
lassen wird. Hierzu tritt die Tatsache, daß klinische Anämien viel¬
fach mehrere ätiologische Komponenten in sich schließen; so führt
z. B. die akut-septische Indoxikationsanämie zu Blutungen, zur Hämolyse
und zu Knochenmarkschädigungen. Andererseits bedingen hämolytische
Gifte mehr oder minder ausgedehnte Organschädigungen im Organismus,
die wiederum ihren Einfluß auf den intermediären Lipoidstoffwechsel
geltend machen. Diese sich gegenseitig aufhebenden Faktoren und sekun¬
dären Veränderungen, die für die chemische Zusammensetzung des
Blutes so wesentlich sind, dürften das Knochenmark weniger beeinflus¬
sen. Es ist daher aus diesem Grunde zu erhoffen, daß man einen weiteren
Einblick in dieses Gebiet erhält, wenn an diesem Punkte eingesetzt
wird.
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Uber die physikalisch-chemische Beeinflussung des Blutes
durch Tuberkulin, gemessen an der Suspensionsstabilität der
Erythrocyten und dem Flockungsvermögen des Plasmas.
Von
Wilhelm Starlinger.
(Aus der II. medizinischen Universitätsklinik in Wien [Vorstand: Hofrat Professor
N. Ortner ].)
(Eingegangen am 6. Februar 1922.)
Schon öfters waren die Beziehungen des Tuberkulins zum Blut-
aerum Gegenstand physikalisch-chemischer Forschung: Izar 1 ) ver¬
wandte die Bestimmung der Oberflächenspannung nach dem Vorgänge
Ascolis 2 ), Caepai und Torday 3 ) u. a. bedienten sich der Viscosimetrie,
Obermayer und Pick 4 ) u. a. der Refraktometrie und schließlich wurde
nach Abderhalden 6 ) sowohl das Dialysier- als auch das optische Ver¬
fahren als Untersuchungsmethode vielfach herangezogen. Das Ver¬
halten des Blut plaamaa jedoch wurde, wie auch sonst, nicht näher
studiert, obwohl gerade bei physikalisch-chemischer Fragestellung der
Einfluß des Fibrinogens auf das Resultat der Untersuchung von größter
Bedeutung sein mußte, was aus seiner Eigenschaft als labilster Blut¬
eiweißkörper ohne weiteres hervorgeht. Dazu kommt noch, daß das
Fibrinogen nach den Untersuchungen Herzfeld und Klingera % ) als erste
Abbaustufe des Körpereiweißes anzusehen ist und so auch von diesem
Standpunkte besonders Bedeutung gewinnt, wie namentlich auch aus
einer Arbeit von Friach 1 ) über den differentialdiagnostischen Wert der
Fibrinogenbestimmung bei der Lungentuberkulose hervorgeht. Von
besonderem Einflüsse hat sich schließlich das Verhalten des Blut¬
plasmas bei dem Studium der in jüngster Zeit vielfach untersuchten
Suspensionsstabilität der Erythrocyten erwiesen und wurde im An-
x ) Izar , Münch, med. Wochenschr. IC. 1910.
a ) Ascoli, Münch, med. Wochenschr. 8, 18, 23. 41. 1910.
8 ) Csepai und Torday , Dtsch. med. Wochenschr. 52. 1911.
4 ) Obermayer und Pick, Beitr. z. ehern. Physiol. u. Pathol. 7. 1906.
Ä ) Abderhalden , Abwehrfermente. Springer, Berlin 1914.
f ) Herzfeld und Klinger , Biochem. Zeitschr. 83. 1917.
7 ) Friach , Beitr. z. Klin. d. Tuberkul. 123. 1921.
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306
W. Stärlingen Cher die physikalisch-chemische
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Schluß daran auch als selbständiges Problem eingehender geprüft
[H. Sachs und v. Oettingen 1 ), W. Starlinger 2 )].
Was nun das Studium der Beziehungen zwischen Tuberkulin und
Serum anlangt, so war es nach zweierlei Richtung hin in gewissem
Sinne einseitig: Einerseits wurden in dem Bestreben, möglichst spezi¬
fische Reaktionen ausfindig zu machen, die gegenseitigen unspezifischen,
also auch bei Prüfung von Seren nichttuberkulöser Herkunft zum Aus¬
druck kommenden Wechselverhältnisse vielfach vernachlässigt, anderer¬
seits gingen die Autoren meist schon bei Wahl der Methodik von der
Ansicht aus, daß die Reaktion: Tuberkulin ^ Serum im Sinne eines
Abbaues, also einer Begünstigung der Dispergierung verlaufen müsse,
obwohl a priori die Auffassung einer gegenseitigen Bindung zu einem
größeren Komplex zum mindesten ebenso viele Gründe für sich geltend
machen könnte; eine Ansicht, wie sie erst jüngst wieder Löwenstein 3 ),
namentlich gestützt auf seine Arbeiten über die Antikutine, nachdrück¬
lich vertreten hat.
Im folgenden soll nun über Versuche berichtet werden, die sich vor
allem die Aufgabe stellten, über die Art der Reaktion zwischen Plasma
und Tuberkulin sowohl nach spezifischer als auch unspezifischer Rich¬
tung im Sinne eines Abbaues oder einer Bindung Aufschlüsse zu ge¬
winnen.
Als Methode brachte ich in erster Linie die Prüfung der Suspensions¬
stabilität der Erythrocyten in Anwendung und zwar deshalb, weil sich
mir diese Reaktion bei verschiedenen Arbeiten als besonders geeignet
erwiesen hat, auch die feinsten Dispersitätsänderungen der Plasma¬
bestandteile in deutlichen Ausschlägen widerzuspiegeln. Da nun zum
Verständnis des Folgenden eine genauere Kenntnis der Reaktion un¬
umgänglich notwendig erscheint, sei sie zuerst in möglichster Kürze
besprochen:
Nachdem Fahräus 4 ) das alte, aber wieder in Vergessenheit geratene Phänomen
der um vieles schnelleren Esythrocytensenkung der schwangeren gegenüber der
normalen Frau gewissermaßen wiederentdeckt hatte und ähnliche Verhältnisse
nach anderen Untersuchern im Laufe der letzten Zeit auch bei einer ganzen Reihe
anderer Krankheiten festgestellt werden konnten, wurden Versuche zur theoreti¬
schen Klärung des Vorganges von drei Richtungen aus unternommen: Daß die
Ursache der abnorm schnellen Sedimentierung, die unter Umständen das Hundert¬
fache der normalen Geschwindigkeit erreicht, eine Autoagglutination der roten
Blutkörperchen sei, die dann eben infolge der Oberflächenverkleinerung der Ag¬
gregate gegenüber der der einzelnen roten Blutkörperchen die raschere Senkung
bedingt, kann jederzeit durch das Mikroskop, oft sogar mit bloßem Auge erkannt
werden, und stimmen in dieser Auffassung auch alle Autoren überein. Der nächste
*) U. Sachs und v. Oettingen , Münch, med. Wochenschr. 12. 1921.
*) W . Starlinger , Biochem. Zeitschr. 123. 1921.
3 ) Löwenstein, Vorlesg. über Bakt. usw. der Tbk. Fischer. Jena 1920.
4 ) Fahräus, Biochem. Zeitschr. 89. 1918.
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Beeinflussung des Blutes durch Tuberkulin usw.
307
Schritt mußte aber die Ergründung dieser Autoagglutination sein, und wurde von
der Schule HÖbers 1 ), Fahräus (1. c.), Linzenmeier 2 ) in der Richtung unternommen,
daß die elektrophysikalische Komponente des Vorganges dominierend in den Vor¬
dergrund geschoben wurde, indem die verminderte Aufladung der negativ elektri¬
schen roten Blut zellen eine Herabsetzung der gegenseitigen Abstoßung mit dadurch
begünstigter Aggregierung herbeiführen sollte, welche Auffassung aber nicht mehr
imstande ist, in ihrem Rahmen alle bis jetzt zu dieser Frage bekannt gewordenen
experimentellen Ergebnisse zu erklären ( Linzenmeier , II. Mitt. 3 )]. Unter beson¬
derer Berücksichtigung der Eiweißkörper des Blutplasmas kam ich selbst s 4 ) zu dem
Ergebnis, daß die Schnelligkeit der Senkung in erster Linie von dem quantitativen
Gehalt des Plasmas an grobdispersen, hochlabilen Eiweißkörpern, vor allem an
Fibrinogen in dem Sinne bedingt werde, daß ein hoher Gehalt des Blutes an solchen
Bestandteilen eine starke Autoagglutination und demgemäß schnelle Senkung,
ein niederer Gehalt an solchen eine herabgesetzte oder fehlende Aggregierung und
infolgedessen langsame Senkung nach sich ziehen; ein Ergebnis, zu dem inzwischen
unabhängig auch Fahräus 5 ) gekommen war, und dem auch v . Oettingen 6 ), allerdings
unter anderer theoretischer Deutung, auf die noch zurückzukommen sein wird,
in einer kürzlich erschienenen Arbeit beistimmte. Da ich nun auf mannigfache
Weise ferner den Nachweis führen konnte, daß hochdisperse Eiweiß- und Lipoid¬
spaltstücke eine starke Hemmung der Agglutination und Senkung zur Folge haben,
ließ sich die theoretische Verknüpfung dieser Befunde leicht in der Weise bewerk¬
stelligen, daß nach der Theorie von Herzfeld und Klinget (1. c.) über den Vorgang
der Lösung und Ausflockung kolloidalen Eiweißes und der Hämagglutination,
auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, die Labilisierung der Erythro-
cytensuspension bei Anwesenheit großer Mengen von Fibrinogen oder grobdisperser
Serumglobuline auf die Beraubung der Erythrocytenoberflächen an lösungsvermit¬
telnden Abbauprodukten zugunsten der hochlabilen Eiweißkörper bezogen
wurde, während die Anreicherung solcher Spaltstücke das Gegenteil zur Folge
haben mußte; eine Theorie, die imstande ist, den bis jetzt beschriebenen experi¬
mentellen Befunden als verbindende Grundlage zu dienen, in welchem Zusammen¬
hang kurz einige Bemerkungen zur letzten Arbeit von Fahräus (1. c.) und zur Arbeit
von v. Oettingen (1. c.) erlaubt seien.
Was die experimentellen Ergebnisse von Fahräus anlangt, die, soweit sie der
Ermittlung des Einflusses der Eiweißkörper dienen, vollkommen mit meinen Be¬
funden übereinstimmen, möchte ich nur auf die einfache Erklärung hinwcisen,
die die von mir vertretene Theorie für die schönen Versuche über die kombinierte
Beeinflussung des Plasmas durch Schütteln und Wärme, die Fahräus selbst nicht
zu deuten unternahm, an die Hand gibt. Fahrä'us beobachtete nämlich, ebenso wie
Linzenmeier und ich (1. c.), eine bedeutende Agglutinations- und Senkungshem¬
mung bei mäßigem vorherigem Erwärmen des Plasmas bis etwa 42°, während bei
weiterer steigender Temperatur die Hemmung wieder abnahm, um schließlich bei
Erhitzung auf über 48° einer Begünstigung der Agglutinations- und Senkungs¬
tendenz Platz zu machen. Wurde das Plasma aber außerdem noch geschüttelt,
so trat die erste Phase des Phänomens nicht in Erscheinung. Die Deutung im
Rahmen meiner Auffassung läßt sich ungezwungen etwa folgendermaßen geben:
Da die anfängliche leichte Erwärmung im Sinne einer Begünstigung der durch den
A ) Höbet , Dtsch. med. Wochenschr. IG. 1920.
2 ) Linzenmeier , Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 181. 1920.
3 ) Linzenmeier , ebendort 18G. 1921.
4 ) W. Starlinger, Biochem. Zeitschr. 114, 122. 1921.
5 ) Fahräus , Acta med. scandinav. 58. 1921.
fl ) v. Oettingen , Biochem. Zeitschr. 118. 1921.
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308
W. Stärlingen Über die physikalisch-chemische
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gerinnungsverhindernden Salzzusatz noch überdies geförderten Eiweißautolyse
wirkt, wird eine Stabilisierung der grobdispersen Eiweißkörper und Erythrocyten
durch die dabei frei werdenden Abbauprodukte eintreten müssen, welchem Resultat
aber bei weitergehender Temperatureinwirkung, die sich schon der Koagulations¬
temperatur der labilsten Eiweißfraktionen nähert, die dadurch bedingte beginnende
Polymerisation der großen Eiweißkolloide entgegenwirkt und so die Hemmung
wieder herabsetzt. Wird schließlich die Temperatur noch mehr erhöht, so muß
allmählich der in letzter Richtung verlaufende Prozeß die Oberhand über den
ersteren gewinnen und so die ursprüngliche Hemmung in eine Förderung ver¬
wandeln. Wird aber von vornherein mit dem Erwärmen das Schütteln verbunden,
das ja ebenfalls zu einer Labilisierung der Eiweißkolloide führt, so wird die erste
Phase der Hemmung überhaupt nicht in Erscheinung treten, weil die einsetzende
Spaltung in der gleichzeitig hervorgerufenen Polymerisation ihre Kompensation
findet.
Zur Arbeit von v. Oettingen , der bei prinzipiell ähnlichen Ansichten teilweise
gegen meine Auffassung Stellung nimmt, möchte ich bemerken, daß der Grund für
die starke Agglutinations- und Senkungshemmung der roten Blutkörperchen bei
Aufschwemmung in isotonischer NaCl-Lösung, welche Erscheinung v. Oettingen
gegen meine Theorie anführt, da hier doch die lösungsvermittelnden Abbauprodukte
fehlten, darin gegeben ist, daß man doch nicht annehmen kann, das kurze Waschen
der Erythrocyten würde ihre Oberflächen aller anhaftenden Abbauprodukte, die
doch vielfach nicht nur physikalisch, sondern auch chemisch verankert sind, be¬
rauben; kommen aber nun diese Zellen in die NaCl-Lösung, so werden nach den
Anschauungen Pfeifers und Modelskis 1 ), denen auch Herzfeld und Klinger (1. c.)
folgen, die endständigen Aminosäuren in ihre Alkalisalzform verwandelt, welcher
Vorgang ihre Hydrophilie außerordentlich verstärkt und so die erhöhte Suspen¬
sionsstabilität der Erythrocyten bedingt. Was ferner die von mir supponierte
Förderung der Eiweißautolyse durch Hypertonie des Mediums anlangt, die v. Oei-
tingen zwar nicht ablehnt, immerhin aber in Zweifel zieht, so finden meine dies¬
bezüglichen Beobachtungen gerade in einer jüngst erschienenen Arbeit von Rosen¬
mann a ), in der er eingehende Versuche über die Salzbegünstigung der Fibrin¬
autolyse beschreibt, eine ausgezeichnete Bestätigung. Wenn schließlich v. Oet¬
tingen meint, die Agglutinationstendenz sei nicht eine Funktion der Quantität der
gröbstdispersen Plasmaeiweißkörper, sondern nur ihrer Qualität, und hinzusetzt,
daß allerdings in den Fällen, wo man bei schneller Senkung einen hohen Fibri¬
nogengehalt findet, als „Ausdruck der erhöhten Labilität ein größeres Verschwin¬
den des Eiweißgehaltes bei der Defibrinierung stattfinde“, so glaube ich, daß das
mit anderen Worten eigentlich dieselbe Tatsache feststellt. Denn der angeblich
„wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Betrachtungsweisen, daß bei
Annahme verschiedener Labilität die im Plasma vorhandenen Differenzen, wenn
auch in stark vermindertem Ausmaße, auch im Serum vorhanden sein müssen,
was auch tatsächlich der Fall sei“, wie übrigens auch ich immer betonte, fällt weg,
wenn man sich mit Herzfeld und Klinger (L c.) auf den Standpunkt stellt, daß die
Bluteiweißkörper eine kontinuierliche Abbaureihe bilden, so daß derart ein hoher
Fibrinogengehalt meist auch einen hohen Serumglobulingehalt nach sich zieht.
Auf einem dritten Wege suchten schließlich Kürten z ) und Gabbe*) eine Lösung,
indem sie vor allem den Einfluß der Lipoide geltend machten, auf den schon
l ) Pfeifer und Modelski, Zeitschr. f. physikal. Chem. 81. 1912; 85. 1913.
*) Rosenmann, Biochem. Zeitschr. 11t. 1920.
3 ) Kürten, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 185. 1921.
4 ) Qabbe, Vortrag d. ärztl. Vereins Köln. Zit. Münch, med. Wochenschr. 55.
1921.
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Beeinflussung des Blutes durch Tuberkulin usw.
309
Linsenmeier hinsichtlich des Lezithins aufmerksam gemacht hatte und den später
auch Oyörgy 1 ) einer Prüfung unterzog. Da aber der Einfluß der Lipoide, obwohl
er unter Umstanden sehr bedeutungsvoll werden kann, wie auch ich bei Versuchen
mit dem Lipoidspaltstück Glycerin hervorhob, gegenüber dem der Eiweißkörper
doch gewaltig zurückbleibt, schon in Anbetracht der großen quantitativen Unter¬
schiede zwischen dem Eiweiß- und Lipoidgehalt des Blutes, kann er zwar hohes
theoretisches Interesse, wohl aber, außer bei künstlicher Lipoid Vermehrung, keine
große praktische Bedeutung beanspruchen.
Nachdem auf solche Weise über das Wesen der Autoagglutination
der Erythrocyten genügend Aufschlüsse gewonnen sind und jedenfalls
nach übereinstimmender Auffassung aller Autoren diese Reaktion
einen außerordentlich feinen Indicator für sonst vielfach nur schwer
nachweisbare physikalisch-chemische Veränderungen im Plasma dar¬
stellt, scheint es nicht unangebracht, sie als neue, gewissermaßen bio¬
logische Maßmethode in Anwendung zu bringen.
Vorausgeschickt sei noch, daß ich den aus den folgenden Versuchen
gezogenen Schlüssen meine. Auffassung über den Agglutinations- und
Senkungsvorgang zugrunde legte; doch mögen zuerst nur die ex¬
perimentellen Ergebnisse für sich allein Darstellung finden und ihre
theoretische Verknüpfung erst nachher in Erwägung gezogen werden.
Als zweite Methode brachte ich die Prüfung des Flockungsvermögens
des Blutplasmas zur Anwendung (Sachs und v. Oeüingen ; W. Starlinger
l. c.), deren Ausfall im allgemeinen dem der Senkungsprobe analog zur
Beobachtung gelangt, da er ebenfalls in dem Gehalt an Fibrinogen
seine Bedingungen findet, indem das Reaktionsresultat um so ausge¬
prägter in Erscheinung tritt, je mehr Fibrinogen das Plasma gelöst
enthält.
Die Versuche wurden an 62 tuberkulösen und 37 nichttuberkulösen,
im ganzen also 99 Personen durchgeführt, von denen 38 außerdem
im Verlaufe eines Jahres einer oder mehreren Nachprüfungen unter¬
zogen werden konnten.
Die Technik im allgemeinen gestaltete sich derart, daß das Blut jeweils mit
paraffinierter Spritze aus der möglichst kurz und schwach gestauten Armvene ent¬
nommen und sofort in die Senkungsgläschen gefüllt wurde, die vorher mit 0,2 ccm
einer 5 proz. Natriumcitricumlösung beschickt werden. Sie tragen bei 5 mm
lichter Weite vier Marken, deren oberste einer Auffüllung auf 1,0 ccm entspricht.
Während die folgenden Senkungsstrecken von 6, 12, 18 mm anzeigen. Nach guter
Durchmischung durch zehnmaliges Wenden der Röhrchen erfolgt die Spontan-
sedimentierung und wird in Minuten nach 6, 12, 18 mm abgelesen. Wichtig ist,
daß der zu prüfende Zusatz erst nach erfolgter Erstsedimentierung vor der zweiten
Sedimentierung zugesetzt wird, da nur auf diese Weise eine große Fehlerquelle
ausgeschaltet werden kann, die darin besteht, daß manchmal ohne Beeinflussung
in einem Röhrchen die Senkung schneller oder langsamer vonstatten geht als in
den anderen von der gleichen Blutentnahme. Schaltet man aber eine Probesedi-
mentierung vorher ein, so kann man vor der zweiten Senkung derartige Röhrchen
x ) György , Biochem. Zeitschr. 35. 1921.
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310
W. Stärlingen Über die physikalisch-chemische
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eliminieren. Die Flockung wurde in der Weise durchgeführt, daß gleiche Mengen
des zu untersuchenden Citratplasmas, das durch Zusatz von 1 Teil öproz. Natrium-
citricumlösung zu 4 Teilen Blut gewonnen wurde, und gesättigter NaCl-Lösung
gemischt wurden, wodurch eine elektive Fällung der Fibrinogenfraktion zustande
kommt.
Ersetzt man nun vor der zweiten Sedimentierung eine kleine Menge
des Citratplasmas durch Alttuberkulin (ATK), mischt durch 20 maliges
Wenden der Gläschen gut durch und läßt neuerdings sedimentieren,
so ist eine ausgesprochene Hemmung der Senkung die Folge und zwar
um so ausgeprägter, je größer die zugesetzte Tuberkulin menge war.
Tabelle I.
Prot. | Pro-
Nr. >| be j
I. Sedimentierung
Versuehsanordnung | SMW,
II. Sedimentierung
Versuchsanordnung
SMW,
RHQ | AHQ
28.
1. | 0,2 5% Na citr.
21
0
26
1,2
1 0,8 Blut
2. ] dgl.
20
wiederauf¬
0,05 Plasma durch
230
11,5
1
i
geschüttelt
0,05 ATK
i
3. 1 dH.
20
nach Er¬
0,025 Plasma durch
76
3,8
ii i
satz von
0,025 ATK
4. | dgl.
21
0,01 Plasma durch
45
2,!
Ij |
0,01 ATK
1,0
9,6
3,2
1,8
Zum Verständnis dieser und der folgenden Tabellen sei bemerkt,
daß der Senkungsmittelwert (SMW) das arithmetische Mittel aus den
drei Minutenwerten für 6, 12, 18 mm darstellt: Wenn also die Sedimen¬
tierung für 6 mm 14, für 12 mm 19, für 18 mm 30 Minuten beansprucht,
ergibt die Rechnung als SMW 21. Da aber bei der zweiten Senkung
auch die unbeeinflußte Kontrolle gegenüber der ersten Sedimentierung
eine leichte Hemmung aufweist, bezüglich derer ich auf meine früher
zitierten Mitteilungen verweisen muß, so ist ein zahlenmäßiger Ausdruck
für die Größe der jeweiligen Hemmüng notwendig; er sei als relativer
Hemmungsquotient (RHQ) eingeführt und wird durch Division des
SMW 2 durch den SMW X ermittelt: in unserem Falle also z. B. 26:21
= 1,2. Um nun absolute Vergleichszahlen zu gewinnen, die die Koi\-
trollhemmung ausschalten und erst so den exakten Vergleich mit anderen
Blutproben ermöglichen, erwies sich noch ein zweiter Quotient als nötig,
der absolute Hemmungsquotient (AHQ), der aus der Division der ein¬
zelnen RHQ durch den RHQ der Kontrolle hervorgeht, diesen also
gleich 1 setzt: in unserem Beispiel also 11,5: 1,2 = 9,6.
In durchaus gleicher Weise wird auch das Flockungsvermögen des
Plasmas durch ATK um so stärker verringert, je größere Dosen zur
Anwendung gebracht werden.
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312
W. Starlinger: Über die physikalisch-chemische
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zusetzen imstande ist, ist leicht einzusehen, daß ATK aus verschiedenen
Herstellungsserien auch bei den hier verwandten Prüfungsmethoden
oft durchaus verschiedene Wirkung erkennen läßt, was ja hinsichtlich
der klinischen Wirksamkeit schon längst bekannt ist. Im folgenden sei
ein Versuchsprotokoll wiedergegeben, wo diese Differenz besonders
deutlich in Erscheinung trat.
Tabelle V.
Prot.
Pro-
I. Sedlmentierung
IL Sedimentierung
RHQ
AHQ
Nr.
be
V ersuchsanordnung
SMWj
Versuchsanordnung
SMW,
76.
i.
0.2 5% Na citr.
0,8 Blut
157
wieder
aufge-
0
197
1,3
1,0
2.
dgl.
157
schüttelt
nach Er-
0,05 Plasma durch
0,05 ATK,
757
4,8
3,7
3.
dgl.
160
satz von
0,05 Plasma durch
0,05 ATK,
425
2,7
2,1
Tabelle VI.
Prot Nr.
Probe
Versuchsanordnung j
Flockung
Citratpl&tma
Zusatz
ges. NaCl-Lösg.
76.
1.
1,0
0
1,0
++
2.
1,0
0,05 ATK,
1,0
-i-
3.
1,0
0,05 ATK,
1,0
+
Es erwies sich deshalb als notwendig, um auf derselben Vergleichs¬
basis zu bleiben, immer ein Tuberkulin von der gleichen Wertigkeit
als Ersatz einzustellen, wenn das alte verbraucht war, was auf ein¬
fache Weise derart durchgeführt wurde, daß in zwei oder drei Ver¬
suchsreihen das neue Tuberkulin denselben AHQ ergeben mußte wie
das alte.
Um über die physikalisch-chemischen Eigenschaften der hemmen¬
den Bestandteile des Tuberkulins Aufschlüsse zu gewinnen, wurden
folgende Versuche durchgeführt, deren Ausfall im Zusammenhang mit
den Ergebnissen früherer Arbeiten Schlüsse über den Grad der Dis¬
persität der gelösten Elemente gestattet.
Wenn man Citratplasma mit Kaolin oder Bolus alba ausschüttelt und es
nach scharfem Abzentrifugieren des Zusatzes untersucht, so findet man, daß die
gröbstdispersen Kolloide, also die der Fibronogenfraktion, zum größten Teü ver¬
schwunden sind, offenbar durch Adsorption an die Schüttelsubstanzen. Die Folge
davon ist, daß in einem solchen Plasma sowohl die Senkung von sekundär zugesetz¬
ten Erythrocyten sehr langsam vonstatten geht, als auch die Flockung bei elektiver
Fibrinogenfällung aufgehoben oder zum mindesten stark herabgesetzt erscheint.
Bei Stärke ist diese Fähigkeit, vorwiegend grobdisperse Kolloide zu adsorbieren,
nicht mehr vorhanden, sie nimmt mehr die hochdispersen Spaltstücke in Beschlag
(W. Starlinger, 1. c.).
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Beeinflussung des Blutes durch Tuberkulin usw.
313
Wird nun Tuberkulin mit den drei erwähnten Substanzen ausge¬
schüttelt und nun seine Wirksamkeit unter den früher geschilderten
Bedingungen, verglichen mit dem Einfluß von unausgeschütteltem
Tuberkulin, untersucht, so sind von vornherein folgende Extreme im
Bereich der Möglichkeit: Besitzt das Tuberkulin vorwiegend grob-
disperse Eiweißkolloide, so muß sein Zusatz nach Ausschüttelung mit
Kaolin oder Bolus infolge der dadurch bedingten Entfernung seiner
niedrig-dispersen Bestandteile eine noch größere Hemmung der Häm-
agglutination und Fibrinogenflockung zur Folge haben als der von
unvorherbehandeltem Tuberkulin. Enthält es aber in erster Linie
hochdisperse Spaltstücke, so wird Kaolin- und Bolustuberkulin etwas
weniger, Stärketuberkulin bedeutend weniger hemmen als das Kontroll-
tuberkulin, da im ersten Fall eine unbedeutende Adsorption von Ab¬
bauprodukten auch an Kaolin und Bolus eintritt, im letzteren Falle
aber eine umfangreiche Anlagerung von solchen an Stärke resultiert.
Letzteres ist nun tatsächlich der Fall.
Tabelle VII.
Prot.-!; Pro-
I. SedimentieruDg
II. Sedimentierung
EHQ
AHQ
Nr. ji be
Versuchtem Ordnung
SMW,
Versuchsanordnung
SMW t
ii
39. I 1 1.
0,2 5% Natr. citr.
0,8 Blut
38
"©
+* R
0
43
1,2
1,0
! 2.
dgl.
40
l
i
ö E
ja >
o
CO N
0,05 Plasma durch
0,05 ATK
149
3,7
3,1
3.
deri.
I 40
1
© "ti
% m
0,05 Plasma durch
0,05 Bolus ATK
140
3,5
2,8
i
l 4.
dgl.
i 41
1
Sh JS
© O
X3 03
© R
0,05 Plasma durch
0,05 Kaolin ATK
144
3,5
2,8
S 5 -
i:
dgl.
! 43
i
£
1
0,05 Plasma durch
0,05 Stärke ATK.
135
3,0
1
2,5
Mit der Flockung lassen sich diese Ausschläge nicht einwandfrei
feststellen, weil die Differenzen für diese gegenüber der Senkungsprobe
ungleich gröbere Reaktion offenbar zu klein sind, um sich deutlich zu
manifestieren.
Nachdem auf diese Weise dargetan war, daß das Tuberkulin ver¬
möge seines Gehalts an hochdispersen Abbauprodukten imstande ist,
den physikalisch-chemischen Zustand der Plasmakolloide im Sinne
einer hochgradigen Stabilisierung derselben zu beeinflussen, konnte
darangegangen werden, diese Wirksamkeit näher zu analysieren.
Vor allem mußte festgestellt werden, welche Folgen eine längere
Einwirkung des Tuberkulins auf das Blutplasma bedingen würde,
wobei in Anbetracht der Ausschlagsrichtung unserer Reaktionen fol¬
gende Ergebnisse zu erwarten waren: Beeinflußten sich Plasma und
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII. 22
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
314
W. Stärlingen Über die physikalisch-chemische
Difitized by
Tuberkulin bei längerer Reaktionszeit wechselseitig nach der schon
festgestellten anfänglichen Hemmung im Sinne einer noch weitergehen¬
den Stabilisierung, so mußte dieses Resultat durch die dabei erfolgte
Verminderung der großen Kolloide einerseits, die Anreicherung mit
Spaltstücken andererseits in einer verstärkten Hemmung der Häm¬
agglutination und Fibrinogenflockung zum Ausdruck konmen, während
eine Reaktion im Sinne einer Labilisierung zu einer Vergröberung der
Dispersion führen und so eine verminderte Hemmung der Agglutination
und Flockung nach sich ziehen mußte. Das Experiment entschied nun
ausnahmslos in letzterer Richtung, indem die schließlich resultierende
Hemmung um so geringer war, je länger das Tuberkulin Gelegenheit
hatte, auf das Plasma einzuwirken.
Tabelle VIII.
Prot.-
Pro-
j I. Segmentierung
- ‘
II. Sedlmentlerung
RHQ
AHQ
Nr. )
be
Versuchsanordnung
SMW,
Versuchsanordnung
SMW,
34.
1.
0,2 5% Nacitr.
0,8 Blut
55
=3 g
£
o N
00 'S
0
^-3
g G
£-3
§ §
0
59
1,2
1,0
2.
dgl.
60
o) cd
J* 2
’S H
0,05 Plasma durch
0,05 ATK
20
192
3,2
2,7
3.
dgl.
58
g-g
® «
dgl.
CO
* G
13
270
4,8
4,4
! 4.
dgl.
61
'O c
QJ ^
£2
dgl.
c *5
1
337
5,5
5,0
1 5.
dgl.
60
dgl.
,
i
0
370
6,2
5,6
Das gleiche Resultat ergaben auch die Flockungsversuche:
Tabelle IX.
Prot.-
Nr.
Probe
V eisu ohsanordnun g
Flockung
Citratplasma
Zusatz
Einwirkungs¬
zeit
ges. NaCl-
Lösung
105.
1 .
1,0
0
0
1,0
4-4-
2.
1,0
0,05 ATK
4"
1,0
+
3.
1,0
dgl.
0
1,0
4-
Erlitt nun der in Tab. VIII dargestellte Versuch eine Modifikation
in dem Sinne, daß das Tuberkulin nicht auf Plasma und Blutkörperchen
zusammen, sondern auf das Plasma allein während gleichlanger Re¬
aktionszeit einwirkte, so resultierte im letzteren Falle eine noch aus¬
geprägtere Hemmungsverminderung, die wohl in der Richtung gedeutet
werden kann, daß bei der ersten Versuchsanordnung ein Teil der hem¬
menden Abbauprodukte sofort an die roten Blutkörperchen gebunden
wurde und daher für die Reaktion, die durch Labilisierung der Plasma¬
kolloide zum eben beschriebenen Phänomen führt, nicht mehr frei war,
während bei der zweiten Versuchsanordnung alle Spaltstücke dafür in
Betracht kamen.
Gck igle
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Beeinflussung: des Blutes durch Tuberkulin usw.
Tabelle X .
315
Prot-
Pro-
I. Sedimentierung
II. Sedimentierung
KHQ
AHQ
Nr.
be
Versuchsanordnung
SMWj
Versuchsanordnung
smw 2
81.
1.
0,25% Natr. citr.
40
0
0
49
1,2
1,0
0,8 Blut
a ?
**
’S
2.
dgl-
38
O N
tn
0,05 Plasma durch
rkungsz
Stunden
0
149
3,9
3,3
1
|
3.
dgl.
37
tp £
3 W
0,05 ATK
dgl.
5
132
3,6
3,0
4.
dgl. |
37
* s
s cs
dgl.
£ a
5
114
2,9
2,4
> O
nach vorh. Abtren¬
nung v. Sediment
s
1
|
Nachdem auf diese Weise das besprochene Versuchsergebnis aus¬
nahmslos und regelmäßig festgestellt worden w r ar, mußte vor allem
ergründet werden, welcher von den drei Bestandteilen des Tuberkulins
die Ursache dieses Reaktionsablaufes darstellt. Dabei zeigte sich,
daß sowohl 40 proz. Glycerin als auch auf 1 / 10 ihres Volums eingedampfte
Bouillon ein ähnliches Resultat bewirken, aber auch noch bei Sum¬
mation um vieles schwächer Einfluß nehmen, als das Tuberkuhn selbst,
so daß daraus der Schluß gezogen werden konnte, daß das erwähnte
Ergebnis hauptsächlich durch che wasser- und glycerinlöslichen Ex¬
traktivstoffe des Tuberkelbacillus bedingt werde. Dieser Schluß fand
eine weitere Stütze noch in jenen Versuchen, wo die Hemmungs¬
verminderung zw r ar wie immer ausgeprägt beim Tuberkulin selbst,
nicht aber bei Glycerin und Bouillon in Erscheinung trat, wie z. B.
im folgenden Protokoll hinsichtlich des ersteren zu beobachten war.
Tabelle XI.
Prot.-
■ Pro¬
L Sedimentierung
II. Sedimentierung
RHQ
AHQ
Nr.
be
V ersuchsanordnung
| SMW,
Versuchsanordnung
SMW,
95.
rr
0,25 % Natr. citr.
97
0
0
109
1,1
1,0
0,8 Blut
JZ
©
cs
©
2.
dgl.
98
eö
PS
0,05 Plasma durch
cs
3
0
345
3,5
3,2
3.
23
0,05 ATK
+3
CO
dgl.
92
-4-J r-
ä §
dgl.
cs
3
265
2,8
2,5
| 4.
dgl.
98
>
0,05 Plasma durch
23
0
152
1,6
1,5
* £
0,05 auf VioVol.
©
5.
dgl.
96
«§* £
iw
einged. Bouillon
dgl.
&
a
3
3
133
1,4
1,3
6.
dgl.
92
tn
©
0,05 Plasma durch
M
•
>
0
137
1,5
1,4
©
0,05 40 proz.
CS
£
Glycerin
s
7.
dgl.
92
dgl.
3
136
1,5
1,4
Als zweites Ergebnis konnte also nachgewiesen werden, daß das
Tuberkulin, falls es innerhalb längerer Reaktionszeit auf das Blut-
22 *
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
316
W. Stärlingen Über die physikalisch-chemische
Difitized by
plasma ein wirken kann, imstande ist, die primäre hohe Stabilisierung
in ausgedehntem Maße rückgängig zu machen, und zwar so, daß diese
Wirkung in erster Linie durch die Einflußnahme der Leibesextraktiv¬
stoffe des Tuberkelbacillus bedingt wird.
Dabei sei festgestellt, daß die bis jetzt geschilderten Reaktions¬
typen in prinzipiell gleicher Weise bei Verwendung von Plasma tuber¬
kulöser als auch nichttuberkulöser Versuchspersonen zur Beobachtung
gelangten, ein spezifischer Unterschied also nicht gefunden werden
konnte.
Nachdem derart der Charakter von spezifischen Reaktionen nicht
nachgewiesen werden konnte und ihr Wesen, wie später noch zu zeigen
sein wird, in ganz einfachen Annahmen eine befriedigende Erklärung
findet, so nahmen die großen quantitativen Unterschiede zwischen
den einzelnen AHQ das nächste Interesse für sich in Anspruch und es
mußte ermittelt werden, ob sich ein sinngemäßer Zusammenhang mit
den Ergebnissen der Beurteilung von anderen Gesichtspunkten aus
erweisen würde.
Da nun über die klinische Aktivität eines tuberkulösen Prozesses
nach den Erfahrungen, die einerseits Westergren 1 ), andererseits gleich¬
zeitig und unabhängig A. Frisch und W. Starlinger 2 ) gesammelt hatten
und die inzwischen auch von anderen Untersuchem bestätigt wurden,
gerade die Prüfung der Hämagglutination, gemessen an der Senkungs¬
geschwindigkeit der roten Blutkörperchen, ausgezeichnete Aufschlüsse
zu geben imstande ist, so mußte die einfache Nebeneinanderstellung
der SMW und der AHQ darüber Klarheit schaffen, ob beide Reaktionen
aus ihren Ausschlägen gleiche Annahmen erlaubten oder etwa sich
gegenseitig zu ergänzen in der Lage wären.
Dabei zeigte sich nun, daß im allgemeinen niedere SMW, also
große Senkungsgeschwindigkeiten, von hohen AHQ begleitet sind,
mit Ausnahme der exzessiv niederen SMW, denen nicht selten niedere
AHQ koordiniert erscheinen.
Auch hier ergab sich kein Unterschied in der Reaktionsweise von
Versuchen an tuberkulösen und nicht tuberkulösen Personen.
AHQ
10,0
9,2
8,4
8,3
Tabelle XII.
8,2 8,2 7,5
6,7
6,2
5,6
5,6
5,6
5,5
SMW
19
18
17
20
20
17
28
27
31
43
57
52
58
AHQ
5,1
5,1
4,9
4,9
4,5
4,3
4,3
4,3
4,0
4,0
3,7
3,7
3,7
SMW
59
58
55
65
59
91
99
85
147
144
157
178
187
AHQ
SMW
3,4
148
2,5
195
2,4
205
2,3
196
2,3
192
1,6
307
1,9
11
1,8
16
1,4
14
1,3
13
1,4
7
*) Westergren , Beitr. z. Klin. d. Tuberkul. 1921.
2 ) A. Frisch und W. Starlinger , Med. Klinik 1921.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Beeinflussung des Blutes durch Tuberkulin usw.
317
Entsprechende Ausschläge der Flockungsprobe in dem Sinne, daß
ein grobflockendes Plasma durch Tuberkulin leichter stabilisiert würde
als ein fein flockendes, ließen sich hingegen nicht feststellen und waren
auch, wie aus dem Späteren noch hervorgehen wird, nicht zu erwarten.
Daß SMW und AHQ das beschriebene gegensätzliche Zahlenmäßige
Verhalten zeigen, ließ sich auch durch Reihenversuche sowohl an ver¬
schiedenen Tagen innerhalb längerer Zeitabschnitte als auch innerhalb
ein und desselben Tages erweisen. Änderte sich der SMW nicht oder
nur ganz unbedeutend, so ließen sich auch am AHQ keine ausgiebigeren
Schwankungen beobachten, wie z. B. folgende Prokotolle zeigen, die
aü derselben Versuchsperson an verschiedenen Tagen auf genommen
wurden.
Tabelle XIII.
Prot.-Nr.
Datum der
SMW
AHQ bei Ersatz von 0,05
Untersuchung
Plasma durch 0,06 ATK
98.
26. XI.
13
1,3
105.
2. XII.
14
1,4
Änderte sich aber der SMW entweder auf künstliche Beeinflussung
hin oder spontan infolge des Krankheitsverlaufes, so variierte auch der
AHQ in zahlenmäßig entgegengesetzter Richtung.
Tabelle XIV.
Prot.-Nr.
Datum der
Untersuchung
SMW
AHQ bei Ersatz von 0,05
Plasma durch 0,06 ATK
49.
16. X.
! 106
4,3
52.
16. X. ]
126
3,8
65.
30. X.
233
2,9
76.
31. X.
t 157
3,6
Doch konnte auch hier, wie schon in Tab. XII geschildert wurde,
unter Verhältnissen, unter denen sich die SMW den untersten Ex¬
tremen näherten, manchmal eine paradoxe Reaktion in dem Sinne
beobachtet werden, daß bei sinkendem SMW auch der AHQ eine fal¬
lende Kurve einschlug.
Tabelle XV.
Prot.-Nr.
Datum der
SMW
AHQ bei Ersatz von 0,06
Untersuchung
Plasma durch 0,06 ATK
86. |
10. XI.
28
7,5
97.
5. XII.
19
5,1
Besonders einwandfrei und deutlich konnte die geschilderte Kor¬
relation zwischen SMW und AHQ in solchen Reihenversuchen dargetan
werden, bei denen sich der SMW auf künstliche Beeinflussung hin im
Digitized b'
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318
W. Starlinger: Über die physikalisch-chemische
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Laufe des gleichen Tages in über die Normalschwankungen hinaus¬
gehenden Ausschlägen änderte, was auf einfache Weise durch Zufuhr
von Tuberkulin zu erreichen war, die meist eine beschleunigte, manch¬
mal aber auch eine verlängerte Senkung nach sich zieht, je nachdem
der Organismus mit einer Vermehrung oder Verminderung seines
Fibrinogengehaltes reagiert; worüber an anderer Stelle in einer ge¬
meinsamen Arbeit mit Frisch 1 ) ausführlich berichtet wurde.
Tabeüe XVI.
Prot-
Nr.
Zelt der
Blutentnahme
Zeit und Art der
künstlichen Beeinflussung
SMW
AHQ
57.
9 h
9 h IO 7 0,45 crara ATK
117
2,1
12 h
95
2,8
60.
9 h
9 h 10 7 0,45 cmrn ATK
192
2,3
12 h
163
3,1
62.
10 h
10 h IO 7 10 cmm ATK
75
3,5
4 h
86
2,8
94.
8 h
8 h 10 7 0,2 cmm ATK
148
3,4
4“
177
3,1
Damit war als drittes Resultat festgestellt, daß großen SMW kleine,
kleinen SMW große AHQ zugeordnet sind, daß also einem hohen
Agglutinationsvermögen des Plasmas auch ein hohes Vermögen des¬
selben durch Tuberkulin stabilisiert zu werden entspricht.
Schließlich mußten noch die Beziehungen zwischen den AHQ einer¬
seits und dem Rückgang der Stabilisierung bei längerer Einwirkung
von Tuberkulin andererseits klargelegt werden und wurde dabei ein
Ergebnis derart gefunden, daß einer primär hohen Stabilisierung auch
ein starker Hemmungsrückgang entspricht, während einer anfänglichen
geringen Hemmung eine schwache Labilisierung koordiniert zur Fest¬
stellung gelangt.
Tabelle XVII.
AHQ bei Ersatz von 0,05 Plasma durch 0,06 ATE
Hemmungs¬
rückgang
Einwirkungszeit des ATK in Stunden
0
5
9,8
4,4
5,4
53
3,2
2,1
4,1
2,8
13
4,1
2,8
13
3,6
2,9
0,7
3,3
2,7
0,6
3,0
2,4
0,6
2,7
23
0,4
2,3
2,1
0,2
2,1
; i,9
0,2
U
i,-
0,1
x ) A. Frisch und W. Starlinger , Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 1921.
Original from
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Beeinflussung des Blutes durch Tuberkulin usw.
319
Vergleichshalber wurden die geschilderten Versuche auch mit
anderen Tuberkulinen vorgenommen, mit der Fragestellung, wieweit
sich ihre Reaktionsweise der des ATK näherte. Es wurden dabei
folgende Tuberkuline einer Prüfung unterzogen: Albumosenfreies
Tuberkulin, Bacillenemulsion, Eisentuberkulin, Tuberkulol, Tuberkulo-
mucin, Perlsuchttuberkulin und Tuberkulin Rosenbach. Das Ergebnis
war prinzipiell durchaus analog dem bei Anwendung von ATK er¬
haltenen, wozu, ohne auf Einzelheiten einzugehen, nur folgendes
bemerkt sei: Alle untersuchten Tuberkuline haben ein ausgesprochenes
Stabilisierungsvermögen des Blutplasmas, hemmen also einerseits die
Agglutination und Senkung der Erythrocyten, andererseits die Flockung
des Fibrinogens, und zwar in untereinander durchaus verschiedenem
Grade. Wenn von einer stufenweisen Reihenaufstellung in diesem
Sinne abgesehen werden soll, so geschieht dies deshalb, weil auch hier
verschiedene Seriennummem des gleichen Tuberkulins eine differente
Wertigkeit aufweisen. Festgestellt sei nur, daß das Hemmungsvermögen
keines der untersuchten Tuberkuline das des ATK erreicht, meist sogar
ein beträchtliches Zurückbleiben zu beobachten ist. Demgemäß blei¬
ben auch die anderen Ausschläge, wie sie früher hinsichtlich des ATK
beschrieben wurden, quantitativ stark zurück: Während z. B. die
AHQ auf ATK zwischen 10,0 und 1,3 schwankten, wurden als ent¬
sprechende Werte für albumosefreies Tuberkulin 2,1 und 1,0 festgestellt.
Das gleiche gilt auch hinsichtlich der anderen Versuche.
Schließlich wurden auch die Partigene nach Deycke und Much ,
sowohl einzeln als N, F und A, als auch im Verein als MTbR der
Prüfung zugeführt und auch hier ausnahmslos ein zwar hinter der
Wirkung von ATK zurückbleibendes, jedoch ausgeprägtes Hemmungs¬
vermögen beobachtet: am stärksten bei MTbR, schwächer und gleich¬
stark bei F und N und am schwächsten bei A, welche Reihenfolge in
allen diesbezüglichen (12) Versuchen zur Feststellung gelangte.
Tabelle XVIII.
Prot.-
Probe
1. Sedimentierung
II. Sedimentierung
RHQ
A TTQ
Nr.
Versuchsanordnung j
SMW,
V ereuchsan Ordnung
SMW,
106.
1 .
0,25%Natr.citr.
69
o
0
86
1,2
1,0
0,8 Blut
cd
o
i 2 .
dgl. 1
70
r-H
0,05 Plasma durch 0,05
223
3,2
2,7
43 ß
±2 o
MTbN 1:10 Mill.
1 3.
dgl.
71
% >
ü M
0,05 Plasma durch 0,05
225
3,2
2,7
!
05 +5
O cd
MTbF 1:10 Mill.
1
! 4.
dgl.
71
& e
p H
0,05 Plasma durch 0,05
212
3,0
2,5
1
cd ^
£4
MTbA 1:10 Mill.
l! 5.
dgl.
69
0
0,05 Plasma durch 0,05
228
3,3
2,8
II
i
©
MTbR 1 :10 Mill.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
320
W. Starliivger: Über die physikalisch-chemische
Kurz zusammengefaßt konnten also folgende experimentellen Er¬
gebnisse festgestellt werden:
1. Alttuberkulin, in vitro zum Plasma zugesetzt, hat die Fähigkeit,
einerseits die Agglutination und Senkung der roten Blutkörperchen,
andererseits das Flockungsvermögen des Blutplasmas in ausgedehntem
Maße zu hemmen, und zwar infolge seiner Zusammensetzung aus Be¬
standteilen, deren jeder einzelne diese Reaktionsweise besitzt. Da
nun 40 proz. Glycerin und auf 1 / 10 ihres Volumens eingedampfte Bouillon
bei Summation in ihrem Hemmungsvermögen noch weit hinter dem
des ATK selbst Zurückbleiben, ergibt sich, daß den Extraktivstoffen
des Tuberkelbacillus ein hervorragender Anteil an der Gesamtwirkung
zufällt. Das Hemmungsvermögen nimmt mit der Größe des Zusatzes
zu und wechselt bei Herkunft des Tuberkulins aus verschiedenen Serien
in hohem Grade. Vorher mit Kaolin, Bolus alba oder Stärke ausge¬
schütteltes Tuberkulin hemmt weniger stark, und zwar geordnet nach
dem He mmungsvermögen in folgender Reihe: ATK 7 Kaolin ATK
= Bolus ATK 7 Stärke ATK, woraus nach früheren Ergebnissen auf
eine Adsorption von hochdispersen Spaltstücken durch die Schüttel¬
substanzen geschlossen werden kann.
2. Wirkt jedoch ATK auf Plasma während längerer Zeit ein, so
wird dadurch die primäre Stabilisierung weitgehend rückgängig ge¬
macht, und zwar um so mehr, je länger die Reaktionszeit andauert.
Auch hier ergibt die Analyse der Wirkungsweise der einzelnen Be¬
standteile, daß die Leibesextraktivstoffe des Tuberkelbacillus in erster
Linie an dem Ergebnis beteiligt sind.
3. Je ausgeprägter das ursprüngliche Agglutinationsvermögen des
Plasmas an der Schnelligkeit der Erythrocytensenkung in Erscheinung
tritt, desto deutlicher gelangt auch die durch ATK bedingte Stabili¬
sierung zur Beobachtung, mit Ausnahme bei sehr kurzen Senkungs¬
zeiten, denen manchmal eine sehr geringe Hemmung auf Tuberkulin
zugeordnet ist. Besonders deutlich lassen sich diese Reaktionstypen
bei Reihenversuchen an derselben Person und an Tageskurven nach-
weisen. Die Hemmung der Fibrinogenflockung steht jedoch zur ur¬
sprünglichen Flockungsstärke nicht in diesem Verhältnis.
4. Je stärker durch Tuberkulin die Sedimentierung gehemmt wird,
desto größeren Hemmungsrückgang zieht ein längeres Einwirken des¬
selben auf Plasma nach sich.
5. Die Wirkungsweise von ATK gelangt auch bei Prüfung anderer *
Tuberkuline und der Partigene zur Beobachtung, jedoch in weit ge¬
ringerem Ausmaße.
Im folgenden soll nun versucht werden, diese Resultate auf ge¬
meinsame theoretische Grundlagen zu bringen, um gemäß der eingangs
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Beeinflussung des Blutes durch Tuberkulin usw.
321
gegebenen Fragestellungen über die Beziehungen zwischen Plasma und
Tuberkulin Aufschlüsse zu gewinnen.
1. Daß ATK die Fähigkeit besitzt, sowohl die roten Blutkörperchen
als auch die grobdispersen Fibrinogenkolloide weitgehend zu stabili¬
sieren, kann nicht wundemehmen, wenn man seine Zusammensetzung
aus hochdispersen Eiweiß- und Lipoidspaltstücken in Betracht zieht,
die nach den eingangs geschilderten Anschauungen geeignet sind* durch
Adsorption an die erwähnten labilen Elemente deren Hydrathülle
zu verstärken. Nach außen tritt dann diese Stabilisierung einerseits
infolge der verminderten Agglutinationstendenz der roten Blutkörper¬
chen in einer verminderten Senkung derselben, andererseits in einem
abgeschwächten Flockungsvermögen des Fibrinogens in Erscheinung.
Hervorzuheben ist dabei die Tatsache, daß an der Reaktion die Be¬
standteile des Tuberkelbacillus selbst in hervorragendem Maße beteiligt
sind.
2. In welcher Weise nun Tuberkulin und Plasma reagieren, wenn
sie längere Zeit aufeinander einzuwirken Gelegenheit haben, darüber
gibt die zweite Versuchsreihe Aufschluß. Daß eine solche Reaktion
stattfindet, geht aus der Tatsache hervor, daß die hier verwandten
Maßmethoden deutliche Ausschläge verzeichnen, denn wenn es bei der
primären einfachen Adsorption, die die eben beschriebene anfängliche
Hemmung bedingt bliebe, dürfte auch nach mehreren Stunden keine aus¬
geprägte Änderung mehr eintreten. Die Frage muß also nach der Art
der eingetretenen Wechselbeziehungen lauten, die zweierlei Charakter
auf weisen können: entweder den der Spaltung oder den der Bindung.
Im ersteren Fall muß die Aufspaltung grobdisperser Kolloide zu hoch¬
dispersen durch die Anreicherung an solchen eine ausgesprochene
Verstärkung der Stabilisierung bewirken, im letzteren Fall muß die
Vergröberung der Dispersion eine Labilisierung nach sich ziehen. Da
nun, wie geschildert, sowohl die Senkung der Erythrocyten gegenüber
der primären Hemmung beschleunigt als auch die Flockung ver¬
stärkt wird, kann wohl der experimentelle Entscheid zugunsten der
zweiten Ansicht aufgefaßt werden, also derart, daß sich Bestandteile
des Plasmas und Bestandteile des Tuberkulins zu einem größeren
Komplex vereinigen. Daß die ersteren vorwiegend grobdisperse Eiwei߬
kolloide darstellen und die letzteren hauptsächlich aus dem Körper des
Tuberkelbacillus stammen, geht daraus hervor, daß einerseits die Hämag¬
glutination und Fibrinogenflockung in ihrem Ausfall fast ausschlie߬
lich von der gröbstdispersen Eiweißfraktion beeinflußt werden, während
andererseits die summierte Wirkung der nicht spezifischen Tuber¬
kulinkomponenten weit hinter der des Gesamttuberkulins zurückbleibt.
3. Damit ist auch das Verständnis für das nächste Versuchsergebnis,
daß die ursprünglich schnellsten Senkungsproben auch am stärksten
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322 W. Stärlingen Physikal.-chem. Beeinflussung des Blutes durch Tuberkulin usw.
durch Tuberkulin gehemmt werden, gefunden, denn wenn die Sedi-
mentierung schnell vor sich geht, bleibt nicht genügend Zeit für den
erst sekundär einsetzenden reversiblen Prozeß, der hingegen bei langer
Senkungszeit die primäre Hemmung herabsetzt und so die resultierende
Endhemmung stark vermindert. Dafür spricht auch, daß diese Unter¬
schiede nur bei der Senkungsprobe, nicht aber bei der Flockungs¬
reaktion nachzuweisen sind, weil bei der letzteren, die in wenigen
Augenblicken zur Durchführung gelangt, die Zeitdifferenz wegfällt,
die den reversiblen Vorgang ermöglicht. Daß bei einer exzessiv schnellen
Senkung trotzdem die Hemmung nur gering eintritt, findet seine Ur¬
sache wohl darin, daß in solchen Fällen der Fibrinogengehalt des
Plasmas zu groß ist, um durch die relativ geringe Tuberkulinmenge
stabilisiert zu werden, und deshalb seinen agglutinationsfördemden
Einfluß auf die Erythrocyten auch weiter aufrechterhält.
4. Im gleichen Sinne erscheint auch die Feststellung verwertbar,
daß einer primär hochgradigen Hemmung eine sekundär starke Hem¬
mungsverminderung zugeordnet ist, da ein hoher Fibrinogengehalt
auch eine größere Möglichkeit zur Bildung der Komplexbindung mit
Tuberkulinbestandteilen bietet.
Die eingangs gegebene Fragestellung , ob Plasma und Tuberkulin mit¬
einander in Reaktion träten und welcher Art diese sei , kann somit derart
beantwortet werden , daß eine sich deutlich ausprägende wechselseitige
Beeinflussung zustande kommt , und zwar im Sinne einer Bindung vor¬
wiegend der gröbstdispersen EiweißkoUoide und der Körperbestandteile
des Tuberkelbacillus zu einem größeren Komplex , welche Reaktion bei
Anwendung von Plasma sowohl tuberkulöser als auch nicht tuberkulöser
Personen zur Beobachtung gelangt , einen spezifischen Charakter also nicht
erkennen läßt.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle und klinische Untersuchungen über die Dauer
des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms).
Von
Dr. Y. Miki (Tokio).
(Aus dem Institute für allgemeine und experimentelle Pathologie in Wien.
[Vorstand: Hofrat Prof. Paltauf].)
Mit 11 Textabbildungen.
(Eingegangen am 10. Februar 1922.)
Es ist lange bekannt, daß die Dauer der Kammersystole ( V t ) bei
verschiedener Schlagfrequenz sich nur sehr wenig ändert; wenn das
Herz rascher schlägt, nimmt fast nur die Dauer der Diastole ab, so daß
demgegenüber die Verkürzung der Systole fast nicht in Betracht kommt*).
Aber außer dieser fundamentalen Tatsache ist über das Verhalten der
Dauer der V 9 unter verschiedenen Bedingungen nur wenig bekannt.
Von experimentellen Arbeiten seien folgende erwähnt: Lüderitz 2 )
stenosierte bei Kaninchen und Hunden die Aorta mit einem Faden,
und zwar 3—7 mm oberhalb des freien Klappenrandes; er verzeich-
nete gleichzeitig den Druck in der Carotis und im linken Ventrikel
und fand, daß der intraventrikuläre Druck bei vollständigem Verschluß
der Aorta auf das 3—4 fache steigt. Gleichzeitig wird die Dauer der V 8
um 10—30% verlängert, und zwar beim Kaninchen mehr als beim
Hunde. Das Kaninchen, dessen Herz keinen so hohen systolischen
Druck aufbringen kann, kompensiere nämlich mehr durch die Ver¬
längerung der Systole, was der Hund mit seinem viel kräftigeren Herzen
nicht nötig habe. Die Frequenz bleibt bei zunehmender Stenosierung
gleich oder nimmt etwas ab, die Anspannungszeit wird nur um einige
Tausendstel-Sekunden verlängert, de Heer 2 ) hat diese Versuche an
Hunden wiederholt. Er stenosierte die Aorta mit einem eigenen Kom-
pressorium ungefähr 2 cm über dem Ostium und fand bei stärkster
Kompression eine Verbreiterung der Kammerdruckkurve um 20—30%
bei ungefähr gleichbleibender Pulsfrequenz. Eine Verlängerung der
Systole ist zwar damit noch nicht bewiesen, kann aber als sicher ange¬
nommen werden. Da die Dauer der Anspannungszeit unverändert
*) Die Literatur bis zum Jahre 1912 hat erst kürzlich Tigersiedl 1 ) übersicht¬
lich zusammenge8tellt.
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Original from
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324
Y. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
bleibt, kann es sieh dabei nur um eine Verlängerung der Austreibungs¬
zeit handeln. Tigerstedt und Ryömä 4 ) untersuchten an Kaninchen die
relativen Veränderungen der Dauer der Systole und Diastole bei Rei¬
zung des rechten Vagus. Sie messen mit einem elastischen Manometer
(Frank) den Carotisdruck und bezeichnen als Systole den Abschnitt
vom ersten Druckanstieg bis zum tiefsten Punkt der Incisur. Sie
finden, daß nach einer flüchtigen Reizung oder einem nur Bruchteile
einer Sekunde dauernden Stillstände oft keine Veränderung in der
Dauer der Systole zustandekommt; in anderen Versuchen trat eine
Verlängerung um 0,01" ein. Wenn dagegen der Stillstand länger dauert,
wird nicht nur die Dauer der Herzperiode, sondern auch die der Systole
länger und zwar manchmal beträchtlich. Die Zunahme der Systolen-
dauer macht sich in der Regel um so länger bemerkbar, je länger der
vorhergehende Stillstand war. Aber selbst nach einem Stillstände von
5" Dauer fanden Tigerstedt und Ryömä eine Verlängerung der Systole
um höchstens 50—60%. Katz 5 ) bestimmte an Hunden die Dauer der
Systole aus der Distanz der beiden Herztöne. Er fand, daß beim nar¬
kotisierten Hunde die aufeinanderfolgenden Herzperioden ungleich
lang sind, und daß sich dabei die Dauer der Systole nicht immer nach
der Länge der vorhergehenden Diastole richte, sondern manchmal
nach der der folgenden, so daß eine direkte Wirkung der die Schwan¬
kungen der Frequenz bedingenden Ursache auf die Dauer der Systole
angenommen werden muß. Er findet, daß die von Lombard und Cope
60
angegebene Formel V t = —— (K = Konstante, F = Frequenz)
K)F
auch für den Hund zutrifft, aber nur für Frequenzen unter 150; bei
rascherem Herzschlag gebe sie zu hohe Werte ; eine ganz befriedigende
Formel gebe es überhaupt nicht. Wenn nach einer Vagus- oder
Accerelansreizung die Frequenzänderung abklingt, wird nach Katz
die Diastole viel früher normal als die Systole, dagegen wird nach
Adrenalin und im Beginne der Acceleransreizung die Systole früher
verkürzt. Wenn man bei durchschnittenen Vagis rasch Kochsalz¬
lösung einfließen läßt, wird zunächst die Systole verlängert, ohne daß
die Frequenz sich ändert; wenn dann Blutdruck und Frequenz steigen,
ist die Systole, und zwar die Austreibungszeit, immer noch abnorm lang,
und wird erst allmählich normal. Kompression der Aorta descendens
verlängert die Systole, muß aber die Frequenz nicht ändern. Der Ein¬
fluß von Vagus und Accelerans war von Katz schon früher in einer mit
Wiggers ausgeführten Arbeit 6 ) beschrieben worden. Es scheint dem¬
nach, als ob der Vagus nur insofeme auf die Systole wirkte, als er auf
dem Umwege über die Frequenzänderung die diastolische Füllung be¬
stimmt. Epinephrin verkürzt die Systole so bedeutend, daß der ver¬
längernde Einfluß der Drucksteigerung dagegen nicht aufkommen
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über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms).
325
kann. Zum Schlüsse führt Katz an, daß sich aus der Länge der Systole
vielleicht gewisse Schlüsse auf den Zustand des Myokards ziehen lassen.
Bezüglich des Einflusses des Vagus auf die Dauer der V 8 hatte
Einthoven gefunden, daß diese beim Warmblüter bei Vagusreizung
etwas zunimmt. Samojloff 1 ) bestätigt dies, findet aber beim Frosch
eine Verkürzung der ersten Systole nach dem Vagusstillstande. Vor
kurzem haben nun Lewis , Drury und Bvlger 8 ) den Einfluß des Vagus
auf die refraktäre Phase des Vorhofs untersucht; sie fanden, daß eine
Reizung des rechten Vagus, die die Kammern zu längerem Stillstände
bringt, die refraktäre Phase von 0,125 auf 0,025" " verkürzt, also auf
ein Fünftel.
Von neueren klinischen Arbeiten sind an erster Stelle die gründ¬
lichen Untersuchungen von Fridericia 9 ) zu erwähnen. Er bestimmte
an 50 gesunden Personen nach einer mindestens 15 Min. währen¬
den Ruhe die Dauer der Systole aus dem Ekg und empfiehlt
die Formel V 8 — 8,22 /yT. ( p ist die Dauer der Herzperiode und wird
in 1 / 100 " gemessen). Diese „Normalgleichung" gilt für Frequenzen von
51 — 135. Es ist ein mittlerer Fehler von 0,015" anzunehmen, so daß
als pathologisch erst jene Abweichungen angesehen werden dürfen,
die das Dreifache des mittleren Fehlers (also 0,045") übertreffen.
Fridericia untersuchte dann das Verhalten der Normalgleichung nach
Einwirkung verschiedener Gifte, worauf wir hier nicht näher einzugehen
brauchen. Nach Muskelarbeit ist die V 9 bei maximaler Tachykardie
abnorm stark verkürzt. Muskelarbeit verhält sich hier anders als
Adrenalin, welches die V 8 auffallend wenig abkürzt. Untersuchungen
an 124 Kranken ergaben, daß die V 8 bei negativer Nachschwankung
kürzer ist als bei positiver. Unter 65 Kranken mit positiver Nach-
schwankung waren nur sieben mit abnorm langer Systole. Es handelte
sich dabei zum Teil um Mitralfehler und Myokarditiden, bei welchen,
wie Verlauf und Obduktion ergaben, die Verlängerung der Systole
auf Herzschwäche zurückzuführen ist. Die Verlängerung der Systole
verschlechtert also die Prognose bei chronischen Mitralfehlern. Eine
Verlängerung der Systole fand sich dann auch bei Aortenfehlem im
Anfangsstadium, wo das Herz noch nicht vergrößert ist; sie ist hier auf
vermehrte Herzarbeit zu beziehen. Bei unregelmäßigem Puls ist es
fraglich, ob man die durchschnittliche Periodendauer mit der gleich
langen des regelmäßigen Pulses vergleichen darf, doch läßt sich folgen¬
des sagen: Einzelne Extrasystolen haben keinen Einfluß auf die Systolen¬
dauer der Normalschläge; diese wird aber nach gehäuften Extrasystolen
abnorm lang; gehäufte Extrasystolen schwächen also das Herz.
Ventrikuläre Extrasystolen haben wegen ihres abnormen Erregungs¬
ablaufes eine längere Systole als die Normalschläge. Bei paroxysmaler
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326
Y. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
Tachykardie fand Fridericia die Systolendauer in normaler Weise ver¬
kürzt. Bei Leitungsstörungen trat eine Verlängerung der Systolendauer
nur bei Myokardschwäche auf. Bei Vorhofflimmern sind die Verhält¬
nisse sehr verwickelt und noch nicht ganz klar.
Bazett 10 ) mißt die Dauer der Systole auch aus dem Ekg und findet
die Formel V t — wobei p in ganzen Sekunden gemessen wird.
K ist eine Konstante und beträgt 0,37 für Männer und 0,40 für Frauen.
K wird nach körperlicher Arbeit etwas größer, bei hohem Vagustonus
kleiner.
Es ist nun zunächst die Frage zu beantworten, was man als Dauer
der Systole anzusehen hat. Schon Tigerstedt 1 ) weist darauf hin, daß
auch die mechanischen Kurven in dieser Beziehung keine sichere Deu¬
tung zulassen. Man kann an der Kammerdruckkurve das Ende der
Systole an den Beginn der steilen Druckabnahme verlegen (Hürthle)
oder an den tiefsten Punkt ( Baxt , v. Frey), was dann mit dem Intervall
zwischen den beiden Herztönen ziemlich genau übereinstimmt. Es
wird dabei nicht nur die Anspannungs- und die Austreibungszeit mit¬
gemessen, sondern auch die Entspannungszeit. Um große Unterschiede
handelt es sich bei dieser verschiedenen Abgrenzung allerdings nicht.
Die Sache wird aber ganz anders, wenn man die mechanischen Vor¬
gänge aus dem Ekg zu bestimmen sucht. In den meisten Kurven fällt
allerdings das Ende der Nachschwankung ungefähr mit der Incisur
des Aortenpulses zusammen, und in solchen Kurven kann man unbe¬
denklich die Strecke vom Beginn der Anfangsschwankung bis zum Ende
der T-Zacke als den Ausdruck der Systole ansehen. Aber die mecha¬
nischen und die elektrischen Kurven können auch weit auseinander¬
gehen. So hat Garten 11 ) in seinen schönen Versuchen gefunden, daß
das Ende der T-Zacke zwar genau mit der Incisur zusammenfallen kann,
daß diese Koinzidenz aber rein zufällig ist. Denn während der Beginn
des Druckanstieges im Ventrikel sehr genau vor die Spitze der R-Zacke
fällt, ist die Lage der T-Zacke zur Incisur sehr wechselnd. Wiggers und
Dean 12 ) haben diesen Befund bestätigt. Besonders nach Adrenalin
sahen sie, was auch Garten bekannt war, eine starke Verkürzung der
mechanischen Systole, wobei das Ekg unverändert bleiben kann. Man
darf daher nicht das Ende der Nachschwankung einfach mit dem
Schlüsse der Systole identifizieren. Weitz 13 ) fand beim Menschen,
daß das Ende der T-Zacke mit dem Schlüsse der Aortenklappen zu¬
sammenfällt, daß beide aber auch nicht unbeträchtlich auseinander¬
liegen können (um 0,06—0,08"). Auch 8traub u ) hat sich neuerdings
dahin ausgesprochen, daß das Ekg zur genauen Bestimmung der Dauer
der Systole nicht geeignet sei. Aus ähnlichen Gründen haben Brugsch
und Blumenfeldt lb ) die an der Distanz der Herztöne gemessene ,,Lei-
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über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms).
327
stungszeit“ von der im Ekg zum Ausdruck kommenden „Erregungszeit 44
unterschieden. Beide kömien unter gewissen Bedingungen mehr oder
weniger weit auseinandergehen. In einer früheren Arbeit hat Straub 1 *)
einen Fall von paroxysmaler aurikulärer Tachykardie beschrieben.
Die Frequenz betrug außerhalb des Anfalls 60—72, im Anfall 160 bis
172, die Dauer des K-Ekg in der anfallsfreien Zeit 0,39", im Anfall
0,26", also weniger als zwei Drittel. Auch während des Anfalls er¬
hielten die Kammern den Reiz von den Vorhöfen auf dem normalen
Wege und Straub meint, daß unter diesen Umständen sich nur die
Diastole hätte verkürzen dürfen; es sei deshalb ganz ausgeschlossen,
daß sich die Systole so stark verkürzt habe, und daß die Dauer des
K-Ekg der Dauer der Systole entspreche. Ich komme auf diese Arbeit
noch zurück.
Da die Lage der Incisur nicht nur von der Herzarbeit, sondern
auch vom Aortendruck abhängt, ist es leicht verständlich, daß sie
nicht in bestimmten Beziehungen zur Nachschwankung des Ekg steht,
das ja ausschließlich vom Herzen herstammt. Auch ich habe nüch in
meinen Versuchen davon überzeugt, daß unter normalen Bedingungen
die Incisur mit dem Ende der Nachschwankung ungefähr zusammen¬
fällt; aber bei Drucksteigerung tritt sie früher auf und bei niedrigem
Druck kann sie so w r eit in die Diastole hineinfallen, daß eine Identi¬
fizierung dieses Punktes mit dem Ende der Systole ausgeschlossen ist.
Offenbar spielen da auch die Unterschiede in der Fortpflanzungs¬
geschwindigkeit der Wellen bei verschiedenem Druck eine große Rolle.
Es erschien mir daher, da ich etwas über die zeitlichen Verände¬
rungen der Herztätigkeit unter verschiedenen Bedingungen erfahren
wollte, richtiger, die Dauer des K-Ekg zu messen; ich bin mir, auch
wenn ich gelegentlich der Abwechslung wegen von der Dauer der V 8
spreche, doch dessen bewußt, daß diese in der Dauer des K-Ekg keinen
verläßlichen Ausdruck findet.
Die Kurven sind mit dem großen Edelmann sehen Saitengalvano¬
meter auf genommen, welches mit einem Platinfaden von ungefähr
3000 Ohm versehen war. Die Messungen habe ich, mit wenigen noch
zu erwähnenden Ausnahmen, nur an solchen Kurven ausgeführt, bei
welchen die Zeitschreibung mit einer Stimmgabel von 60 ganzen
Schwingungen pro Sekunde erfolgte. An solchen mit genügender Re¬
gistrierungeschwindigkeit aufgenommenen Kurven lassen sich dann
0,01" mit Sicherheit messen und 0,005" noch gut abschätzen. Eine
größere Genauigkeit hätte keinen Zweck, weil sie das Ekg seiner Form
nach gar nicht gestattet. Es läßt sich nämlich der Beginn des K-Ekg
zwar scharf bestimmen, weil der Abstieg der Q- oder der Anstieg der
R-Zacke sich plötzlich von der Abszisse abheben, nicht aber das Ende
der Nachschwankung. Dort, wo sie positiv ist und steil absteigt, läßt
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328 Y. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
sich ihr Übergang in die Horizontale noch bis auf 0,01" genau bestim¬
men; wenn sie aber sehr flach ist, ist der Messungsfehler schon viel
größer. Ähnlich verhält es sich mit der negativen Nachschwankung.
Hier kommt aber noch ein neues Moment hinzu. Es kommt nicht selten
vor, daß eine tief unter die Abszisse herabreichende Nachschwankung
gegen das Ende zu über die Abszisse ansteigt und diese dann erst im
Laufe der Diastole wieder erreicht, manchmal erst kurz vor der näch¬
sten Vorhof zacke. Man sieht dies nicht selten bei rechts ventrikulären
Extrasystolen. Es ist nicht klar, worauf diese Erscheinung beruht;
um eine vom Herzen ausgehende Potentialdifferenz kann es sich wohl
nicht handeln, wenn man nicht etwa den Standpunkt von de Meyer 11 )
anerkennt, der solche späte Schwankungen als den Ausdruck eines
„Deformationsstroms" ansieht. Ich habe daran gedacht, daß eine
Polarisationserscheinung voiliegen könnte, habe aber ähnliche Kurven
auch bei Verwendung von unpolarisierbaren (Zink-Zinksulfat-) Elek¬
troden gesehen. Bei solchen Kurven habe ich das Ende des K-Ekg an
jenem meist ziemlich scharf meßbaren Punkt verlegt, wo der auf¬
steigende Teil der Nachschwankung wieder zur Abszisse umkehrt. Der
so erhaltene Wert ist etwas kleiner als man erwarten sollte, aber dies
stimmt gut zu dem Befunde von Fridericia , daß Kurven mit negativer
Nachschwankung eine zu kurze V t ergeben. Daß die auf die Nach-
schwankung etwa noch folgenden Schwankungen, vor allem die U-
Zacke nicht mehr zur Systole gehören, versteht sich wohl von selbst.
Der Übersichtlichkeit wegen sind die Messungsergebnisse im Folgenden
in Form eines Bruches dargestellt, dessen Zähler die Herzperiode,
dessen Nenner die Dauer des K-Ekg in 1 / 100 " anzeigt.
Experimenteller Teil.
Bei der Darstellung der von mir gewonnenen Ergebnisse beginne ich
entgegen der sonstigen Gewohnheit, mit dem experimentellen Teil,
weil es mir nützlicher erscheint, zuerst zu untersuchen, welche Ver¬
änderungen der Dauer des K-Ekg sich erzielen lassen, wenn man ein¬
zelne Bedingungen in übertriebener Weise modifiziert; man gewinnt
dann einen Anhaltspunkt dafür, welche Veränderungen unter patho¬
logischen Verhältnissen beim Menschen erwartet werden können. Die
Versuche wurden ausnahmslos an Hunden ausgeführt, die mit Morphin
und Äther narkotisiert waren. Die Ableitung der Aktionsströme er¬
folgte mit daumendicken Neusilberstäben, die in den Anus und den
Oesophagus eingeführt waren. Über dem Ekg habe ich in einer Reihe
von Versuchen den Carotisdruck mit einem Frank-Peiler sehen Mano¬
meter verzeichnet, in anderen Versuchen die Suspensionskurven vom
rechten Vorhof und der rechten Kammer nach der von Rothberger ls )
angegebenen Methode. Ich untersuchte: die Vermehrung und die
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über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms).
329
Verminderung des Zuflusses zum Herzen , die Steigerung des Entleerungs¬
widerstandes, den Einfluß der Herznerven , einzelne Arhythmien , die
Erstickung und endlich nebenbei die Wirkung einiger Gifte . Bezüglich
jener Untersuchungen, die kein bemerkenswertes Resultat ergeben
haben, werde ich mich möglichst kurz fassen.
1. Vermehrung des Zuflusses zum Herzen.
In diesen Versuchen ließ ich aus einer Bürette 50 ccm warmer
Kochsalzlösung in die Vena jugularis einfließen. Im ersten Versuch
verwendete ich dabei eine Metallkanüle, wie sie zu intravenösen In¬
jektionen gebraucht wird; da dauerte das Einfließen ungefähr 45".
In den weiteren Versuchen band ich ein weites Glasrohr in die Vene ein
und konnte so 50 ccm in 20" einfließen lassen, wobei entsprechend der
Abnahme des hydrostatischen Drucks die ersten Portionen rascher
einströmten als die letzten. Die Angabe von Kotz, daß die Infusion
bei durchschnittenen Vagis die Systole verlängere, konnte ich nicht
bestätigen. Ich fand nämlich nach beiderseitiger Vagotomie die Fre¬
quenz so hoch (ca. 195 pro Min.), daß sich die Vorhofzacke auf die
vorhergehende Nachschwankung aufsetzte. Eine sichere Messung der
Dauer des K-Ekg war deshalb nicht möglich; es trat zwar während der
Infusion eine geringe Verlangsamung auf, sie genügte aber nicht, um
die Superposition zu lösen.
Ich habe deshalb den Versuch an einem Hunde mit durchschnit¬
tenen Herznerven wiederholt. Die Frequenz betrug — 39 Min. nach der
Acceleransdurchschneidung — 87 pro Minute, die Dauer des K-Ekg 24.
Nach rascher Infusion von 50 ccm warmer Kochsalzlösung trat zunächst
eine geringe und rasch vorübergehende Beschleunigung auf und dann
zeigte sich eine eben nachweisbare Verlängerung des K-Ekg, und zwar
auf 25. Die Infusion wurde unmittelbar darauf wiederholt, es trat
wieder Beschleunigung auf, die Dauer der V s änderte sich diesmal
nicht. Offenbar wird sie durch die mit der Beschleunigung einhergehende
Verkürzung verdeckt.
Ich möchte diese im großen und ganzen negativen Ergebnisse doch
nicht in Gegensatz zu den Befunden von Kotz stellen, weil dieser die
Dauer der V 8 aus der Distanz der Herztöne bestimmte und diese, wie
ich eingangs ausführte, mit der Dauer des K-Ekg nicht übereinstimmen
muß.
2. Verminderung des Zuflusses zum Herzen.
Eine ausgiebige Verminderung des Zuflusses zum Herzen habe ich
dadurch erzielt, daß ich eine um die Cava inferior gelegte Fadenschlinge
anzog. An der Pulskurve sowie an den vom Vorhof und der Kammer
aufgenommenen mechanischen Kurven ist dann die Verkleinerung der
Z. f. d. g. exp. Med. XXVIL 23
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330 V. Mild: Expcriraeutell© und klinische Untersuchungen
Ausschläge deutlich und auch bei der Inspektion des bloßgelegten
Herzens sieht man die stark verminderte Füllung, besonders am rechten
Vorhof. Wenn man die mit dem Faden emporgehobene Cava zurück¬
sinken läßt und dadurch den Zufluß freigibt, sieht man wieder am
Vorhof die vermehrte Füllung sehr deutlich und die Pulse und die
mechanischen Ausschläge werden sogleich größer. Auch hier habe ich
aber trotz dieser augenscheinlich bedeutenden Änderung der Füllung
in drei Versuchen keine erhebliche Veränderung in der Dauer des K-Ekg
feststellen können.
3. Steigerung des Entleerungswiderstandes.
Eine Steigerung des Entleerungswiderstandes läßt sich leicht durch
Abklemmung der Aorta herbeiführen. Ich habe mit Rücksicht auf die
Angaben von Lüderitz und de Heer , die eine bedeutende Verlängerung
der Austreibungszeit fanden, auch eine entsprechende Verlängerung
des K-Ekg erwartet. Die Wirkung der Aortenkompression war aber in
meinen Versuchen nur sehr gering. Im ersten Versuche komprimierte
ich die Aorta über dem Zwerchfell; es trat deutliche Drucksteigerung,
aber auch Pulsverlangsamung ein, die Dauer der V 8 stieg von 26 auf
27—30, aber dies ist wahrscheinlich auf die Verlangsamung zu be¬
ziehen. Im zweiten Versuch klemmte ich die Aorta am Bogen ab und
fand keine Veränderung des K-Ekg, ebenso in zwei weiteren Versuchen.
Endlich entschloß ich mich dazu, so wie de Heer die Aorta mit einem
Kompressorium über den Klappen abzuklemmen. Der herzwärts von
der Kompressionsstelle gelegene Teil der Aorta wird dabei mächtig auf¬
getrieben, der sich fast isometrisch kontrahierende linke Ventrikel
entwickelt bald Extrasystolen und schlägt, auch wenn diese vorüber¬
gehen, rascher. Ich fand vor der Kompression p = 68, V 8 = 29 [also|^j ,
51 49 '
während der Kompression , dann — . Bei Wiederholung des Ver-
63 ^ 52
suches an demselben Tiere vorher , während der Kompression — .
26 26
Offenbar ist die durch die Steigerung des Entleerungswiderstandes
entstehende Verlängerung des K-Ekg durch die Frequenzsteigerung
verdeckt worden. Daß ein Herz unter so extremen Bedingungen seine
Frequenz ändert, ist ja nur zu begreiflich; ich habe deshalb diese Ver¬
suche auch nicht weiter fortgesetzt.
4. Der Einfluß der Herznerven.
a) Dauer des K-Ekg vor und nach Vagotomie .
Die Durchschneidung der beiden Vagi ist beim Hunde immer von
einer bedeutenden Beschleunigung des Herzschlages begleitet. Dem-
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über die Dauer des K-Eku* (Kaiimier-Elektrokardiogramms). 331
entsprechend verkürzt sich auch die Dauer des K-Ekg, wobei es meist
zu Superposition der Vorhofzacke auf die vorangehende Nachschwan¬
kung kommt. Ich fand:
!
Vor Vagotomie
Nach Vagotomie
P (Herzperiode)
1 v ‘
Herzperiode
i v t
5 |
51
i 24
30
\ (20—) 22
9
10 !
48
24
34
21,7
100 — 103 (Dissoziation)
| 31-32
32
22
11 1
40
' 18,5
37
19 (T positiv)
14
76
i **
37
20 (T tief negativ)
Nur im Versuch 11 bestand von vornherein kein Vagustonus, die Fre¬
quenz nahm nach der Vagotomie nur ganz unwesentlich zu, die Dauer
des K-Ekg blieb gleich (auf den Unterschied von 1 ! 2 oq' ist wohl kein
Gewicht zu legen).
b) Einfluß der Vagusreizung.
Den Einfluß der faradischen Reizung des rechten Vagus zeigt die
folgende Zusammenstellung:
Versuch 5 .
Nr.
| Dauer d. voran geh. i
j Herzperiode j
V.
Nr.
Dauer d. vorangeh.
| Herzperiode
v t
1
: 41
25
17
45
26
2
41
25
18
i 44
26
3
! 41
25
19
i 44
26
4
43
26
20
44
26
5
6
55
59
28
28
21
44 |
26
7 j 59
8 : 59
28
23
43
I 25
28
24
43
25
9
| 59
27
25
45
26
10
51 1
27?
26
57
28
11
44
28
27
59
29
12
47 j
26
28
69
28
13
48
28
29
80
29
14
46 1
27
30
83
30
15
46
25
31
85
31
16
45
25
32
84
31
Aus diesen Versuchen geht hervor, daß bei der Vagusreizung gleich¬
zeitig mit der Verlangsamung des Herzschlages eine Verlängerung des
K-Ekg einhergeht. Doch spricht manches dafür, daß diese beiden
Wirkungen nicht streng parallel gehen, so daß die Verlängerung des
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332 Y. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
K-Ekg nicht einfach als die Folge der Puls Verlangsamung angesehen
werden kann. So ist aus dem Versuch 6 zu ersehen, daß die durch den
Versuch 6.
Nr.
Dauer d. vorangeh.
II Herzperiode
Nr.
Dauer d. vorangeh.
Herzperiode
v.
1-14
38
20
49
48
23
15
38
21 ,
50
50
24
16
38 •
20
51
49
23
17
38
20 '
52
54
23
18
38
22
53
52
24
19
358
26
54
57
24
20
90
26
55
63
24
21
54
26
56
68
25
22
46
26
57
75
25
23
44
26
58
77
25
24
43
23
59
81
25
28-35
38,5
22
60
92
25
36
39
22
61
94
25
37
39
22
62
101
25
38
39
22
63
99
25
39
39
22
64
89
25
40
43
23
65
90
25
41
42
23
66
72
25
42
43
23
67 ,
57
25
43
43
23
68
54
25
44
45
22
69
50
24
45
44
23
70
48
24
46
45
23
71
48
24
47
46
23
72
46
24
48
46
23
i
langen Stillstand (Nr. 19) hervorgerufene Verlängerung der V t von
22 auf 26 weiter bestehen bleibt, obwohl mittlerweile die Herzperiode
auf 43 zurückgegangen ist; dies stimmt ja gut zu der erwähnten Angabe
von Tigerstedt und Ryömä.
c) Einfluß des Ausfalles des Acceleranstonus.
Nach der Durchschneidung der Accelerantes tritt eine allmählich
sich steigernde Veränderung der Herztätigkeit ein. Diese wird immer
langsamer, die Kontraktionen werden eigentümlich oberflächlich und
kraftlos [Rotliberger und Winterberg 19 )]. Gleichzeitig nimmt, wie aus
der folgenden Zusammenstellung meiner Versuchsergebnisse hervor¬
geht, die Dauer des K-Ekg immer mehr zu. Die Vagi waren schon vor
den Accelerantes durchschnitten worden.
Go igle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms).
333
Versuch 7.
Periode
Frequenz
v.
Nach Vagotomie
. . . .
27
220
17
Superposition
6 Min. nach Accelerans-Durchschneidung
33
180
20
14 „
tt
35
170
20
20 „ „
»»
»»
37
160
21
53 ,,
»»
tt
43
140
23
63 ,, ,,
tt
44,5
134
23
71 „
»»
tt
45
133
24,5
Versuch 8.
Periode
Frequenz
r«
Nach Vagotomie
24,5
245
19-20
Superposition
7 Min. nach Accelerans-Durchschneidung
37
160
20
12 „
* j
99
39,5
153
20
15 „
* 9
tt
40
150
21
20 „
•9
41
145
21
26 „
*>
. .
42
—
22
30 „
99
99
43
140
22
44 „ ,,
9 9
99
43,5
—
23
47 „
99
43
—
24-25
76 „
„
99
49
123
26
88 „
♦ »
99
49,5
—
24
(T negativ)
Versuch 9.
Periode
Frequenz
V,
Vor Vagotomie.
. . . 48
125
24
T negativ
Nach Vagotomie ....
. . . 34
21,7
T zweiphasisch mit
nachfolg. pos. Phase
8 Min. nach Accelr.-Durchschn. 50
120
29
10 ,, •, ,, ,
52
115
29,5
Iß
53,5
30
20
56
30
T negativ, dann hoch
58,5
31
über die Abszisse an-
30
60 6
100
32
steige nd und langsam
33 „
61
32
während der Diastole
51 ,, ,, J9 9
68
87
34,5
abfallend
iyo ,, ., ,
70
85
34,5
71 ,, ,, ,, i
72,5
83
39
Versuch 10,
Periode
Frequenz
v»
Nach Vagotomie ....
. . . 32
22
dann b. offen. Thor.
30
200
21
5 Min. naoh Accelr.-Durchschn. 34
175
21
10,, ,, ,, ,,
34,5
21,5
15 „
35,5
170
21,5
► T positiv
20 „
37
163
22
•>5
99 99 99 99
37
22,5.
Digitized by
Gck 'gle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Y. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
Difitized by
Versuch 10 (Fortsetzung).
Periode
Frequenz V ,
30 Min.
nach Acceler.-Durchschn. 38,5
158 21
T negativ
40 „
„ „ 39
155 23
\
43 „
41
145 24
47 „
„ 41
24
> T positiv
59 „
42
24
I
63 „
42
24
V ernteh
13.
Periode
Frequenz
v.
wenige
Min. nach Acc.-Durehsehn. 48
125
26 T
40
» .. •. .. 64
99
33
62
»» 11
78
37
84
„ „ ,, „ 83
72
40
Diese Beispiele mögen genügen. Sie zeigen, daß die Ausfalls¬
erscheinungen zwar immer in demselben Sinne auftreten, aber dem
Grade nach recht verschieden sein können, obwohl die Präparation
der sternförmigen Ganglien immer in der gleichen Weise vorgenommen
wurde.
d) Wirkung der Beizung des rechten Accelerans.
Von den beiden Accelerantes erzeugt der rechte fast immer eine
stärkere Beschleunigung als der linke. Diese schon lange bekannte
Tatsache erklärt sich daraus, daß der rechte Accelerans vorwiegend
die rechte Herzhälfte innerviert, also auch den Sinusknoten, zu dem der
linke Nerv gewöhnlich nur mit wenigen Fasern in Beziehung steht
[Jtothberger und Winterberg 19 )]. Bei der Reizung des rechten Gangl.
stellatum verändert sich die Herztätigkeit in auffallender Weise; sie
wird förmlich belebt, die nach der Ausschaltung der fördernden Nerven
oberflächlichen und kraftlosen Kontraktionen werden beschleunigt und
viel energischer. Gleichzeitig nimmt, wie ich bestätigen kann, die
Dauer der Systole ab. Dies möge aus folgenden Beispielen hervor¬
gehen. Die Wirkung ist natürlich um so deutlicher, je später die
Reizung vorgenommen wird, weil dann die Ausfallserscheinungen,
die durch die Reizung rückgängig gemacht werden, viel ausgespro¬
chener sind.
43
Versuch 7. Vor der Reizung ^ . Dauer der Reizung 0,92". Dann hinter¬
einander folgende Werte:
40 38,5 37,5 37 37 35 34 34 33 33 33 31,5 32 32 32
22 ’ 22 1 22 1 22 1 22 ’ 21 1 22 1 22 1 21,5 1 21 1 21 1 21 1 21' 20,5 1 20,5 ' * *
31,5 31,5 31,5 30,5 31 31 31 35 35 35 30
20 * * ' 21 1 21 1 20 ’ 20 * ’ ’ 20 ' “ 20 ' * ’ 21 ’ 20 1 20 1 20 '
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Uber die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms).
33r>
2. Reizung. Dauer 1,69".
40,5 n 36,5 35,5 34 33 32 31 30 30
\ orher 22 . Dann: 2 *2 1 22 ’ 23 1 ’ * ‘ 23 ’ 22 1 22 ’ ’ * ’ 20 1 ’ ’ * 20 ‘ ‘ ‘
32 32 34 38
20 1 20 ’ * ’ 20 1 ‘ " ’ 20,5 *
Versuch 8. Vor der Reizung
43,5
Dann:
44 42,5 39,5 35 34 32,5
23 ’ .. 23 1 22,5 1 23,5 ’ 23 ’ 22 ’ 22 1
32 31 31 m • j x- 29,5 29 28 27 m , /, . .... ,
22 1 22 ’ 22 • W1Fd " Un negat ' V: ~2l~ ’ 21 ’ 20 ’ 19,5 ' T geht be,m WiederauN
stieg unmittelbar in P über:
27,5 26 26
^ ^ i TH i die weitere Berechnung
20 1 19 1 19 1 19 1 19
wegen zunehmender Superposition von T auf P undurchführbar.
Auch hier scheinen wie beim Vagus die chronotrope Wirkung und
die Veränderung in der Dauer der Systole nicht aneinander gebunden
zu sein. Die Beschleunigung kommt etwas früher und hält länger an.
e) Wirkung der Reizung des linken Accelerans.
44 5 41 41
Versuch 7. Vorher . Dauer der Reizung 1,50". Dann: ,
16 22, ö 21,0
40,5 40 39,5 _39^ 39 38 38 37^5 37 37 36,5 37
22 ’ 22’ "22 ’ 21,5’ 22’ 21,5’ 21’ 21 1 21 ’ 21 ’ 21 " ' 20 ’ ' ’ ' 21 ’
37 38 38 40 40,5
21’ 21,5 ’ 21 ’ — 31 ’ — 21,5'
Versuch S. Vorher
43
24 ‘
Dauer der Reizung 2,10". Dann:
38 38
21,5 1 21,5 ‘
Entwicklung atrio-ventrikulärer Automatic:
40
22
37 37 36
20 ’ 20 ' " 20
38,5
’ 22 ’
35
” ' 20 ’
35 36 3^5 37,5 38 40 40,5
‘ ' ‘ 19 ' " 19 " ' 19,5 ‘ ‘ ' 19,5 ’ ' ‘ 19 " ' 19 ' " 20"
41
2Ö ‘
Normalo
Sukzession: ^ ^ .
Es ist bezeichnend, daß in beiden Versuchen nach Abklingen der
Reizwirkung die Dauer der Herzperiode fast auf den Normalwert ab¬
gesunken war und die Verkürzung der F f zu dieser Zeit noch anhielt.
f) Wirkung der intravenösen Injektion von Adrenalin .
Da das Adrenalin die Sympathicusendigungen erregt, ist von seiner
Injektion dieselbe Wirkung zu erwarten, wie sie der faradischen Ac-
celeransreizung zukommt; auch hier wird der Effekt deutlicher sein,
wenn die Injektion erst nach der Ausbildung deutlicher Ausfalls¬
erscheinungen vorgenommen wird. Zu beachten war dabei die Angabe
von j Fridericia, daß das Adrenalin im Gegensätze zu der körperlichen
Arbeit, also zur Innervation der Accelerantes, die Systole nur auf¬
fallend wenig verkürze. Ich bringe als Beispiel folgende zwei Versuche:
Digitized b'
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
336
V. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
Digitized by
Versuch 8. 30 Min. nach Acceler&nsdurchschneidung: • Nach Adrenalin:
42 42 40 39,5 38 38 3^5 36 36 34 33,5 32J> Jtl
22’ 22’ 22’ 22 ’ 21,5’ 21’ 21 ’ 21 ’ 20’ 21’ 20’ 20 1 19 ’ 19,5’ 19,5 '
, ... 31 29,5 29 28 28,5 27,5 27,5 26,5 26 26
f wild positiv: m , w , jg, äl , jp, w , -jj-, jg-g, jjj, 18T6 .
25,5 25 25 26 25 25 25 25 _, . . ... 27,5—28 30
18 ’ 18’ 18’ 18’ 18’ 18’ 18’ 18 * stark P ° S,t,T ' ' ' 17,5? ' ' ' 17,5 '
Versuch 9. 55 Minuten nach Acceleransdurchschneidung betrug die Dauer der
Herzperiode 70, die des K-Ekg 34,5. Ich stelle die nach der intravenösen Adrenalin¬
injektion auftretenden Veränderungen in Form der nebenstehenden graphischen
Tabelle dar: die Abszisse enthält der Reihe nach die einzelnen Herzschläge, wäh-
Abb. 1. «6 Min. nach Acceleransdurchachneidung. Vor und nach Adrenalin.
rend auf der Ordinate die zugehörige Dauer des K-Ekg (untere Kurve) und die
Dauer der vorhergehenden Herzperiode (obere Kurve) auf getragen sind. Man
sieht deutlich, wie beide sich infolge der Adrenalinwirkung verkürzen, und zwar
die Herzperode viel mehr als die Dauer der V 9 und es ist auch deutlich, daß die
Beschleunigung früher auftritt als die Verkürzung der V t9 ganz ebenso wie wir
es oben bei der faradischen Reizung des Accelerans gesehen haben.
5. Die Dauer des K-Ekg bei den Arhythmien.
a) Die respiratorische Arhythmie.
Morphinisierte Hunde zeigen, solange sie spontan atmen, fast immer
eine sehr starke Sinusarhythmie. Da ich aber auf diese bei der Be¬
sprechung der klinischen Kurven noch zurückkomme, brauche ich hier
nicht näher darauf einzugehen.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Uber die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms). 337
b) Extrasystolen .
Hier ist zu untersuchen die Dauer des K-Ekg der Extrasystolen
selbst und die Wirkung der vorzeitigen Schläge auf das Ekg der folgen¬
den Normalsystolen. Daß die Extrasystolen selbst ein verlängertes
K-Ekg aufweisen, ist wenigstens bei ventrikulären wegen ihres ab¬
normen Erregungsablaufes zu erwarten und auch von Fridericia ge¬
funden worden. In meinen Versuchen ist diese Verlängerung meist,
aber nicht immer nachweisbar gewesen. Die vom rechten Ventrikel
ausgelösten Extrasystolen mit der breiten Anfangsschwankung und
der tief unter die Abszisse herabreichenden Nachschwankung zeigen
ein Ekg, welches um 0,02—0,03" länger ist als das der Normalschläge
(so im Versuch 10: Herzperiode 41, V 8 24, E-S von rechts 26—27).
Es ist dabei noch zu berücksichtigen, daß diese Ekg sowie die anderen
mit negativer Nachschwankung wahrscheinlich eine etwas zu kurze
V 8 ergeben. Die in demselben Versuche vom linken Ventrikel (Spitze)
ausgelösten Extrasystolen ergaben keine längere, oft sogar noch eine
kürzere V 8 als die Normalschläge und auch sonst habe ich besonders
bei linksseitigen Extrasystolen gefunden, daß die Dauer der V 8 von
der Form des Ekg abhängt: die Kurven mit großen Ausschlägen, be¬
sonders mit hoher Nachschwankung, haben meist eine längere Dauer,
während die kleineren Elektrogramme oft sogar kürzer sind als die
Normalsystolen. Bei den E-S, die ja immer vorzeitig auftreten, ist
übrigens noch zu berücksichtigen, daß der verlängernde Einfluß des
abnormen Erregungsablaufes durch die verkürzende Wirkung des vor¬
zeitigen Eintritts ausgeglichen oder sogar überholt werden kann. Es
ist bekannt, daß die kurz nach dem Ablaufe der refraktären Phase
ausgelösten Kontraktionen kürzer sind als die, die am Ende der nor¬
malen Herzperiode erfolgen (Samojbff bildet ein schönes Beispiel da¬
für ab). Man findet deshalb auch, wenn man durch rhythmische
Reizung eine ventrikuläre extrasystolische Tachykardie erzeugt, daß
die einzelnen Elektrogramme oft kürzer sind als die Normalschläge,
die in größeren Intervallen auf einanderfolgten. Wir werden bei der
Besprechung der Tachykardie darauf noch zurückkommen.
Bezüglich der Wirkung der Extrasystolen auf die Dauer der nach¬
folgenden Normalsystolen wäre folgendes zu sagen. Fridericia beob¬
achtete nur nach gehäuften E-S eine Verlängerung der nachfolgenden
Normalschläge und er erblickt darin den Ausdruck einer Schwächung
des Herzens. Bei einfachen E-S wäre eine Schädigung doch nur dann
zu erwarten, wenn sie früh in die erregbare Phase fallen; dann ist aber
die kompensatorische Pause um so länger und wenn die postkompen¬
satorische Systole wirklich ein etwas längeres Ekg aufweist, so könnte
das zwanglos auf die größere Länge der vorhergehenden Herzperiode
bezogen werden, müßte also durchaus keine Schwächung des Herzens
Digitized b'
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Digitized by
338 V. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
bedeuten. Eine solche dürfte aber auch am normalen Hundeherzen
nicht so leicht durch Rhythmusstörungen zu erzielen sein, eher noch
längere Zeit nach Ausschaltung des Acceleranstonus, wodurch ja auch
die Kraft der Herzkontraktionen merklich herabgesetzt wird. Als Bei¬
spiel erwähne ich den Versuch 11, in dem 80 Min. nach Accelerans-
durchöchneidung einzelne und gehäufte E-S vom rechten Ventrikel
ausgelöst wurden.
Vorhergeh.
■ — - —
Vorhergeh.
—
Vorhergeh.
Herzperiode
v.
Herzperiode
v.
Herzperiode
V,
NS
| ES
NS
ES
NS
| ES
36
22
37
22
30
36
22
36
22
30,6
26
28
36
47,5
23,5
21
21
36,5
22
36,5
51
—
—
—
35,6
33,5
22
20
36
22
17
18
24
20
32
18
19
37,5
24
i
i
19
41
43
23
i
35
40
36
22,5
19
39,5
—
—
—
32
38,5
48
33
36
22
39,5
33
33,5
20,5
32
32
31,5
32,5
44,5
24
23
35,5
36,5
22
32
62
25
—
—
—
39,5
36,5
22
34,5
36,5
22
21
21
39,5
20
27
39,5
24
Die obige Tabelle zeigt zunächst drei Stellen, wo 1—3 Extrasystolen
ausgelöst worden waren und man sieht, daß die postkompensatorische
Systole nur um 1—2 Hundertstelsekunden länger ist als die vorher¬
gehenden Normalschläge. Der zweite Teil der Tabelle entspricht einem
längeren Kurvenstück, wo hintereinander 25 E-S in verschiedenen
Abständen auftraten, dann kommt ein Normalschlag und auf diesen
folgen 19 E-S ohne Unterbrechung. Auch nach diesen langen Reihen
sind die postkompensatorischen Systolen nur um 2 bzw. 3 1 / 100 Sekunden
Go gle
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UNiVERSITY C--MINNESOTA
über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms). 339
länger. Diese haben eine besonders hohe Nachschwankung, die aber
schon beim nächsten Schlag wieder die gewöhnliche Größe aufweist.
Auch die nach einzelnen E-S oder nach ganz kurzen Reihen auftreten¬
den N-S haben eine etwas l^öhere Nachschwankung. Man wird, ohne
dabei einen Zusammenhang konstruieren zu wollen, doch daran er¬
innert, daß die postkompensatorische Systole auch in den mechanischen
Kurven besonders groß auszufallen pflegt. Bei den in der obigen Tabelle
enthaltenen Reihen sind die Intervalle zwischen den E-S zwar ungleich,
aber es sind doch mehrere sehr kurze darunter (18—20) und von diesen
wäre immerhin eine Schädigung des Herzens zu erwarten gewesen;
allerdings war die durchschnittliche Reizfrequenz vielleicht nicht hoch
genug, denn die erste Reihe entspricht der Dauer von 20, die zweite
von 19 Normalsystolen. Man müßte also diesen Versuch mit größeren
Reizfrequenzen wiederholen und unter Umständen, die das Herz einer
Schädigung zugänglicher machen. Ich habe dies vorläufig unterlassen,
um mich nicht zu sehr in Einzelheiten zu verlieren.
c) Tachykardie bei Vorhofflimmern.
Wenn man die Vorhöfe eines rhythmisch mit mäßiger Frequenz
schlagenden Herzens zum Flimmern bringt, wird die Kammertätigkeit
T 2 3 4 5 « 7 8 | 10 11 12 13 H 15 16 17
043 r tt.44 , 0.40 , <ua I 0L20 ! 022 I 0« I 021 I 022 I <X23 I 0^3 ! 0^2 I 021 I 020 1 0122 I 022 t 022)
Abb. 2.
nicht nur unregelmäßig, sondern auch stark beschleunigt. Dies erklärt
sich leicht daraus, daß die Kammern jetzt viel mehr Reize bekommen
als früher: sie brauchen eigentlich nur das Ende der refraktären Phase
abzuwarten, um sich sogleich wieder zusammenzuziehen. Es könnte
demnach eine Tachykardie entstehen, bei der die Herzperiode gleich
der refraktären Phase ist. Dagegen besteht zum Unterschiede von den
durch Acceleransreizung erzeugten Tachykardien von gleicher Frequenz
scheinbar keine Veranlassung für eine Verkürzung der refraktären
Phase. Und doch tritt diese bei guter Reizleitung ein; dies zeigt
die Abbildung 2, die ich mit Erlaubnis von Herrn Prof. Roth -
berger einer Arbeit von Kaufmann und Rothberger 20 ) entnehme. Die
Kurve entstammt einem Versuch am Hunde, bei dem nur der linke
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
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340 V. Miki: Experimentell© und klinische Untersuchungen
Vagus durchschnitten war; außer dem Ekg wurde auch der Druck aus
der Carotis verzeichnet. Das Herz schlägt regelmäßig, die Dauer einer
Herzperiode beträgt 43—44, die Dauer der V t 28. Nach Beizung des
Vorhofs tritt eine Kammertachykardie ein und die Dauer der Herz¬
periode verkürzt sich auf 20—23. Der Grund hierfür wird klar, wenn
wir die Kurve näher betrachten: Der mit 4 bezeichnete Schlag kommt
schon nach 0,40", er ist also vorzeitig und stellt, wie auch aus der
anders geformten Vorhofzacke zu erkennen ist, eine aurikuläre Extra¬
systole dar. Die Dauer des zugehörigen K-Ekg beträgt jedoch wie
die der Normalschläge 28. Die Kammern werden aber nun, wahr¬
scheinlich infolge der durch die linksseitige Vagotomie erleichterten
Reizleitung, gleich nach dem Ende der refraktären Phase wieder von
einem Reiz getroffen (Systole 5) und durch diese vorzeitige Inanspruch¬
nahme der Contractilität wird die refraktäre Phase auf 20 verkürzt;
da infolge der guten Reizleitung auch am Ende dieser verkürzten re¬
fraktären Phase immer wieder ein Reiz zur Stelle ist, entsteht keine
längere Pause und so entsteht die Tachykardie, bei der die Herzperiode
ungefähr ebenso lang ist wie die verkürzte refraktäre Phase. Diese
Kurve ist eine gute Illustration für die schönen Versuche von Samoj -
Zo// 21 ): „Wenn am stillstehenden Herzen nach dem Ablaufe einer
künstlich hervorgerufenen Kontraktion sofort ein zweiter Reiz nach-
geschickt wird, so vollzieht sich der Verlauf der zweiten elektrischen
Schwankung in kürzerer Zeit als der der ersten. Auf diese Weise kann
man durch immer weitere Verkürzung der wirksamen Reizfrequenz
einschleichend zu hohen Schlagfrequenzen gelangen.“ „Das Herz er¬
laubt wohl eine rasche Reizfolge, es sträubt sich nur gegen eine plötz¬
liche Steigerung der Frequenz.“ In unserem Beispiel ist eine fort¬
schreitende Verkürzung der refraktären Phase nicht eingetreten,
wahrscheinlich deshalb, weil die Steigerung der Reizfrequenz eine zu
brüske war; zeigt doch auch die veränderte Form des Kammer-Ekg
mit der tief negativen Nachschwankung, daß auch die Leitung in den
peripheren Anteilen des Tawaraschen Schenkels nur sehr im vollkommen
funktioniert und ein Blick auf die über dem Ekg verzeichnete Pulskurve
zeigt, wie es mit dem mechanischen Effekt dieser überstürzten Systolen
bestellt ist. Ganz ähnliche Verhältnisse findet man ja auch bei der
Arhythmia perpetua des Menschen nicht selten, allerdings sind lange
Reihen derartiger frustraner Kontraktionen nicht häufig und offenbar
lebensgefährlich. Es wäre sehr interessant, die Dauer der Kammer¬
systole beim Vorhofflimmern weiter zu studieren, aber dies ist wieder
ein Nebenthema, das ich vorläufig nicht weiter verfolgen kann.
Nur die bereits eingangs erwähnte Arbeit von Straub 1 *) gibt Anlaß
zu einigen Bemerkungen. Stra'ub beschreibt einen Fall, von aurikulärer
Tachykardie; die Frequenz betrug außer dem Anfall 60 —72, im Anfall
Original from
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über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms). 341
160—172, die Dauer des Kammer-Ekg verkürzte sich dabei von 0,39
auf 0,25. Straub sagt nun: „Es handelt sich, wie wir gesehen haben,
um Ventrikel, die ihre Reize mit der Sicherheit des Experimentes auf
dem normalen Wege erhalten, nur außerhalb und während des Anfalls
mit verschiedener Frequenz. Nun wissen wir aus Tierexperimenten,
daß unter solchen Bedingungen so gut wie ausschließlich die Dauer der
Diastole beeinflußt wird, während die Systole merklich ungeändert
bleibt. Im vorliegenden Fall ist die Dauer des Ventrikel-Ekg auf we¬
niger als zwei Drittel herabgesetzt. Daß die Systole selbst sich so sehr
verkürzt habe, darf wohl als ganz ausgeschlossen gelten. Wie verträgt
sich diese Feststellung mit unseren Vorstellungen vom Wesen des
Ekg?“ Es ist nicht schwer, diese Ansicht Straubs auf Grund unserer
Abb. 2 zu widerlegen. Auch hier handelt es sich um eine Kammer-
Tachykardie aurikulären Ursprungs und auch hier wird die Dauer des
K-Ekg auf etwa zwei Drittel (von 28 auf 20) verkürzt; und doch wird
niemand daran zweifeln, daß sich auch die Dauer der Systole in dem¬
selben Grade verkürzt habe: denn die Kammer-Ekg schließen fast
unmittelbar aneinander, und da eine Superposition am Herzen nicht
vorkommt, können auch die Systolen nicht länger sein. Daß die Dia¬
stolen hier fast vollständig fehlen, lehrt ein Blick auf die Kurve. Zu¬
dem ist der von Straub vorgebrachte Einwand, daß sich bei Frequenz¬
steigerungen fast nur die Dauer der Diastole ändere, hier nicht stich¬
haltig. Er trifft zwar innerhalb der physiologischen Schwankungs¬
breite zu, bei hohen Frequenzen aber nicht mehr. Denn so wenig ver¬
änderlich auch sonst die Dauer der Systole sein mag — wenn einmal
so gut wie keine Diastole mehr da ist, kann eine weitere Frequenz¬
steigerung eben nur auf Kosten der Systole erfolgen. Wenn auch,
wie wir eingangs auseinandersetzten, die Dauer des K-Ekg der Dauer
der mechanischen Systole nicht immer gleichgesetzt werden darf, so
bietet doch die Beobachtung Straubs keinen Anlaß zu „neuartigen
Überlegungen zur Deutung des Ekg“.
d) Schenkelblock.
Die Durchschneidung eines Taivara&chen Schenkels ändert die zeit¬
lichen Beziehungen der Kontraktion der beiden Kammern, sie führt
zur Längsdissoziation. Wie die Versuche von Eppinger und Rothberger 22 )
ergeben haben, bleibt dabei die von dem Eingriffe betroffene Kammer
um 0,03—0,04 Sekunden zurück, weil sie den Reiz nicht mehr direkt,
sondern auf dem Umwege über die andere Kammer erhält. Schon
aus diesem Grunde ist eine Verlängerung der Dauer der Systole beim
Schenkelblock zu erwarten, und zwar, um eben diesen Betrag von
0,03—0,04". Aber die ausführlichen Untersuchungen von Rothberger
und Winterberg**) haben ergeben, daß die zutagetretende Differenz
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
342
Y. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
Digitized by
nicht immer diesen Betrag aufweist. Ich führe in der folgenden Tabelle
diejenigen Ergebnisse aus der erwähnten Arbeit an, welche die voll¬
ständige Durchtrennung eines Schenkels betreffen.
Durchschnittener
Frequenz j
| Dauer der Eammersystole
Differenz
Schenkel
vorher
| nachher |
| vorher
nachher
1 1
rechts
175
120
22
26
4- 4
2
links
170
150
20
26
- 6
3
rechts vorüber-
150 '
140
22
25
- 3
4
gehend
rechts
145 1
150
24
28
+ 4
5 |
rechts
145 i
145
25
28
+ 3
6
rechts
165
175
20
25
+ 5
7
links
165
155
20
25 Abi. I
4- 5
20
28 Abi.
+ 8
8
rechts
175
! 180
Anus- Oesophagus
21 | > 24
>+ 3
9
rechts
165 |
145
24 ,
29
4- 5
10
links
210 |
200
19 ;
22
+ 3
Bei der Würdigung der oben mitgeteilten Ergebnisse muß aber
berücksichtigt werden, daß nach der Durchschneidung eines Schenkels
die Frequenz fast immer abnimmt und daß schon damit eine Verlänge¬
rung der Systole verbunden ist. So kann im ersten Falle die Ver¬
längerung um 0,04" fast ganz der bedeutenden Herabsetzung der Fre¬
quenz zugeschrieben werden; wo die Verlangsamung weniger ausge¬
sprochen ist, wäre etwas von der Differenz abzuziehen. Die Versuche,
wo die Frequenz ganz oder fast ganz gleich geblieben ist (Nr. 4, 6, 8
und 10) zeigen die erwartete Verlängerung um 0,03—0,04". Auch ich
habe in einem Versuche (14) den rechten Schenkel durchschnitten,
ohne daß eine Frequenzänderung eingetreten wäre. Die Dauer einer
Herzperiode betrug vorher und nachher 46—47, dagegen hatte sich
das K-Ekg von 28 auf 32 verlängert, also um 0,04". Interessant ist,
daß im Versuch 7 der obigen Tabelle das bei Abi. I aufgenommene
Ekg eine andere Verlängerung ergibt als das vom Anus und Oesophagus
gewonnene. — Es zeigt sich demnach daß die Verlängerung der Systole
nach einseitiger Schenkeldurchschneidung zwar konstant, aber ihrem
Ausmaße nach nicht so gleichmäßig ist, daß sie zu den charakteristischen
Folgen gerechnet werden könnte, hier kommt neben der tiefgreifenden
Veränderung des Ekg vor allem der Verbreiterung der Anfangsschwan¬
kung (Q, R, S) eine viel größere Bedeutung zu.
e) Dissoziation.
In neun Versuchen habe ich am Schlüsse das Atrioventrikular¬
bündel komprimiert, um die Veränderung in der Dauer der Systole
zu studieren. Ieh bediente mich dabei entweder der bekannten Klemme
Gck igle
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über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms). 343
Ver-
_ _ _
vorher
-
’
nachher
r*-
such
V
F
v.
P
F |
W
i
41
145
27
Vorher KCl und Oxalsäure.
190
31,5
41
Anfangsschwankung unveränd.,
das negative T steigt hoch
über die Abszisse an.
2
66
90
32
Vorher vorübergehende Klem-
i
mung der Cava und der Aorta.
274
22
42
T vorher und nachher breit nega-
(rechts-ventr.
F.)
tiv, Anfangsschwankung nach-
192
31,5
45
her verbreitert und gespalten,
i
(links
-ventr. F.)
dann links ventrikuläre Form.
8
46
130
25
42 Min. vorher Erstickung.
1
73,5
82
33,5
1,
78
76
30,5
Links-ventrikul. Form.
94,5
64 ;
30
1
163
37 |
32
110
54,61
30
162
37 !
31
1
137
_
30
Das K-Ekg nähert sich der Nor-
109
-
30
malform.
1
161
31
9 !
72,5
83
39
20 Min. vorher Chloroformnar¬
■
kose. Herz erholt.
|
177
34
52,5
1
191
31,6
56
Nach Reiz. d. recht. Accelerans.
1
188
32 ;
59
i
177
34 |
49
Nach Reiz. d. linken Accelerans.
167
36
54
Nach Durchschneidung d. rech¬
1
ten Schenkels. Die Form des
K-Ekg ändert sich nicht.
1
(rechtsseitiger E-S).
10
1
100
58
26
Schlanke Anfangsschwankung, T
1
1
bis
bis
negativ, spontane Dissoziation
1
i
103
60
durch hohen Vagustonus .
32
185
22
Nach Vagotomie.
12
62
95
32
27 Min. nach Erstickung.
88
67,5
35
T posit., keine Dissoziation.
i
1
Klemme mehr zugezogen, Disso¬
i
!
ziation.
f
I
299
20
52
Form d. rechtsseit E-S mit brei¬
|
l
ter Anfangsschwankung.
242
25 1
53
Form der linksseit. E-S, T zwei-
i
]
phasisch, zuerst stark negativ.
14 !
46
130
32
Nach Durchschneidg. d. recht.
i
Schenkels 24 Min. n. Muskarin.
i
158
38
42
Form d. linksseit. E-S.
Digitized by
Gck igle
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344
Y. Miki: Experimentelle nnd klinische Untersuchungen
(Fortsetzung.)
Difitized by
Ver¬
such
1
L .
1 p
vorher |
nachher I
| F
l r ‘
1_ p
| F
i
" "1
16
1
55
'110
28
i
Nach Chinin (0,3g im ganzen, 10
Min. nach d. letzten Dosis von
1
0,2 g).
666
9
46
634
9,5
43
Schlanke Anfangsschwankg., R.
400
15
41,5
und S ungefähr gleich hoch, T
i
334
18 !
41
negativ (T war auch vor der
1
502—518
11,5
44
Abklemmung negativ.)
13
83
72
40
■
97 Min. nach Accelerans-Durch¬
schneidung (vorher nur Vor-
hof reizungen).
1
128
46
44
123 Min. nach Accelerans-Durch -
1
200
30
46
schneidung, keine Dissoziation,
i ;
Überleitungszeit v. 14 auf 33 bis
j
34 verlängert, R kleiner, S
r
tiefer, T gleich.
114
53
; 44
Nach Reizung d. rechten Acceler.,
1
Überleitungszeit auf 30 ver¬
l
1
kürzt.
von Erlanger oder des von Meahins 24 ) angegebenen zangenförmigen
Instrumentes. Dieses besteht aus zwei Teilen, die gesondert in die
obere Hohlvene und den von der Aorta abgehenden Truncus comm. ein-
geführt und bis zum oberen Rande des Kammerseptums vorgeschoben
werden. Dann werden die beiden hervorstehenden Teile vereinigt und
man kann durch mehr oder weniger starken Druck verschiedene Grade
von Leitungsstörung erzielen. Mit beiden Instrumenten gelingt es nach
einiger Übung fast immer, vollständige Dissoziation herbeizuführen.
Die vorstehende Tabelle gibt eine Übersicht über die Ergebnisse meiner
Versuche. ( p = Herzperiode, F = Frequenz, V t = Dauer des K-Ekg.)
Es geht aus der obigen Zusammenstellung hervor, daß sich in allen
Versuchen, wo die Reizleitung vollständig unterbrochen war, die Dauer
des K-Ekg beträchtlich verlängert hat. Es entsteht nun die Frage, ob diese
Verlängerung nur als die Folge der bedeutenden Herabsetzung der
Frequenz anzusehen ist. Wenn dies der Fall wäre, müßte man erwarten,
daß den gleichen Frequenzen auch ungefähr gleich lange Systolen ent¬
sprechen. Schon ein Blick auf die Tabelle lehrt aber, daß dies nicht
der Fall ist. Wenn man die bei normaler Heizleitung gewonnenen Werte
nach der Länge der Herzperiode ordnet, ergibt sich folgende Reihe:
Ü’ 27’ Ü ^ V ° r ^ er ® urc ^ 18c ^ me ^ un 8 des rec hte n Schenkels),
55 62 66 72,5 83 „ . . , , . , ... .. , „ . ,
28 * 32» 32’ 39 » 40 • Es nimmt also gleichzeitig mit der Herzpenode
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über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms).
345
auch die Dauer der Systole zu, was ja bekannt ist. Nach Eintritt der
Dissoziation findet man aber eine weitgehende Unabhängigkeit der
Dauer des K-Ekg von der Länge der vorhergehenden Herzperiode
und zwar schon in einem und demselben Versuche. So schwankt im
Versuch 8 die Periode von zwischen 73 und 162, ohne daß sich die
Dauer des K-Ekg ändert. Noch deutlicher wird der Mangel an Überein¬
stimmung, wenn man die verschiedenen Versuche miteinander ver¬
gleicht und die gefundenen Werte wieder in eine Reihe zu bringen
k , 0 73—162 158 . 190 0 192 /r . _ . 274 . k .
8Ucht ' 8 - 31=333’ 14 ' 42 1 L IT' 2 - 45 ,hnke POTm) ’ "42 (rechte
x io 300 / i < tji , 242 /rl r % 1Ä 334 400
Form), 12. - - (rechte Form), (linke Form), 16. -pp, -pp—,
ÖZ öo 41 41,5
502—518
44 1
. Auffallend ist das Ergebnis in drei Versuchen.
43 AR
666
46
Im Versuch 10 bestand von vomeherein Dissoziation infolge des durch
die Morphinisierung gesteigerten Vagustonus; hier ist die auffallend
kurze Systole von 26 bemerkenswert; daß der Vagus die Dauer der
refraktären Phase und der Systole verkürzt, ist ja bekannt. Nach
der Vagotomie steigt die Frequenz auf das Dreifache, die Systole nimmt
aber nur von 26 auf 22 ab. Im Versuch 9 ist die Systole im Verhältnis
zur Frequenz nach der Abklemmung auffallend lang. Das Herz war
20 Minuten vorher durch Chloroforminhalation stark geschädigt worden,
hatte sich aber mittlerweile anscheinend vollständig erholt; es war gut
gefärbt, schlug kräftig und weder die Frequenz noch die Dauer der V t
vor der Abklemmung können als ungewöhnlich bezeichnet werden.
Nachher aber ist die Systole doch auffallend lang und es ist nicht aus¬
geschlossen, daß darin eine Nachwirkung der Chloroformschädigung zu
erblicken ist. Im Versuch 13 war keine Dissoziation, sondern nur eine
Leitungserschwerung erzielt worden; die Systole verlängerte sich nur
von 40 auf 44, während die Frequenz um mehr als 50% abnahm. Das
ist zum Vergleich mit den ersten Werten im Versuch 8 immerhin von
Interesse. Endlich ist im Versuch 16 die außerordentlich hochgradige
Bradykardie nach der Abklemmung auffallend; sie steht mit der relativ
kurzen Systole (41—46) in gar keinem Verhältnis. Die geringe Auto¬
matic der Kammern ist in diesem Falle wohl dem Chinin zuzuschreiben
und es ist interessant, daß eine schädigende Wirkung vor der Ab¬
klemmung, als das Herz noch vom Sinus geführt wurde, nicht zum
Ausdruck kam.
Der Ausgangspunkt der automatischen Kontraktionen kann dort,
wo die Anfangsschwankung schlank bleibt, an oder unterhalb der
Kompressionsstelle, also noch im unpaarigen Teil des Bündels gesucht
werden. Dies trifft in den Versuchen 1 , 16 und für die spontane Dis¬
soziation im Versuch 10 zu. In den anderen Experimenten entstanden
z. f. d. g. exp. Med. XXVn. 24
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Google
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Y. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
Digitized by
346
die Ursprungsreize nach der Abklemmung im rechten oder im linken
Schenkel, wobei auch ein Wandern der Ursprungsstelle, manchmal
gleichzeitig mit einer Änderung der Frequenz beobachtet wurde. Eine
nähere Lokalisation gestattet der Versuch 9. In diesem Versuche
hatte das K-Ekg der automatischen Schläge die Form der rechtsseitigen
Extrasystole und diese blieb unverändert, als der rechte Schenkel
durchschnitten wurde. Daraus folgt, daß der Ursprungsreiz der auto¬
matischen Kontraktionen jenseits des Schnittes, also vielleicht am
medialen Papillarmuskel der rechten Kammer entstanden sein mußte.
Natürlich habe ich mich durch die Autopsie davon überzeugt, daß der
Schenkel sicher durchtrennt worden war.
Endlich möchte ich noch einen Versuch aus dem Jahre 1917 be¬
sprechen, dessen Kurven mir Herr Prof. Rothberger zur Verfügung
stellte. Die Dauer der Herzperiode und der Systole betrugen vor der
Vagotomie
66
24
, nachher
34
18*
Nach Anlegung der Erlanger -Klemme trat
zunächst ein langer Herzstillstand ein; die Kammern wurden künst¬
lich gereizt und die Klemme gelockert, worauf ein Block 2 : 1 eintrat
164
mit einer Überleitungszeit von 0,36"; die anderen Werte waren nun —
«5 «7
Bald trat Dissoziation ein, wobei die Kammern etwas rascher schlugen
(^), die Nachschwankung war negativ und stieg dann über die Abszisse
an. Später ging die Dissoziation wieder vorüber, es gingen nun zwei
Vorhofschläge nacheinander über, wobei die P-R-Intervalle 23 und 29
betrugen, die Periodenlängen abwechselnd 74 und 136; die Dauer der
Systole war aber nach den kurzen und nach den langen Perioden gleich.
(32), die Nachschwankung nun positiv.
6« Die Dauer der Systole bei der Erstickung.
Ich habe die hier zu besprechenden Versuche deshalb ausgeführt,
weil ich sehen wollte, wie sich die Dauer der Systole bei der durch
die Asphyxie erzeugten extremen Herzschwäche verhält. Da diese
Versuche nicht nur bezüglich der Frage, die ich im Auge hatte, sondern
auch sonst zu interessanten Ergebnissen führten, will ich sie hier etwas
genauer beschreiben.
Es wurde zuerst ein Kurvenstück bei künstlicher Atmung auf-
genommen, wobei auch die mechanischen Kurven vom rechten Herz¬
ohr und der rechten Kammer verzeichnet wurden. Dann setzte ich die
künstliche Atmung aus, nahm in den verschiedenen Stadien der Er¬
stickung kurze Kurvenstücke auf und notierte, was die Autopsie des.
bloßgelegten Herzens ergab.
Als Beispiel diene der in der folgenden Tabelle dargestellte Versuch;
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über die Dauer des K-Ekg (Kannner-Elektrokardiogramms).
347
Versuch 6. Erstickung 104 Min. nach beiderseitiger Vagotomie, 92 Min.
nach Durchschneidung beider Accelerantes.
Dauer der 1
Dauer
|
Svstole j
vorher- '
!
Nr. ,!
gehenden i
Herzperiode j
K-Ekg
!
1
40
22
Vor der Aussetzung der Atmung.
2
41 1
21
■
3
41
21
Xachschwankung positiv.
4
41
21
5
41
18
Nach Aussetzung der künstlichen Atmung.
6
41
19
! Von hier an Muskelunruhe, dann Krampfe.
7
42
19
i
8
42
18
9
35
18
Deutliche Vergrößerung der mechanischen Ausschläge.
10
35
18
i
11
36
18
12
35
18
13
52
18
14
53
17
Verkleinerung der mechanischen Ausschläge, trägerer
Anstieg der Suspensionskurve der Kammer, der
1 i
V?
18
19
Vorhof steht dilatiert still.
10
52
17
52
19
Xachschu'ankung hoch positiv.
18
54
18
19
55
17
Her/, deutlich cyanotisch und gebläht.
20 '!
1 61
18
21
62
18
22
86
20
Weitere Verkleinerung der mechanischen Ausschläge,
träger Anstieg der Suspensionskurve der Kammer,
Nachschwankung stark positv. Überleitungszeit nicht
verlängert (9 — 10).
23
85
19
24
89
20
25
86
19
26
70
20
Sehr niedrige mecImnische Ausschläge, Nachschwan¬
kung hoch positiv, a—v Leitungsstörung: die Über¬
leitungszeiten wachsen periodisch von 13 auf 15 und
17, dann^Kammersystolenausfall.
27
64
20
28
114
20
66
28
Nach Wiederherstellung der künstlichen Atmung. Xach¬
schwankung positiv. Träge, mäßig hohe mecha¬
nische Ausschlage von der Kammer. Dann Bige-
minie mit ventrikul. Extrasystolen verschiedenen
Ursprungs.
65
44
25
22
Nachschwankung negativ , mechanische Ausschläge
; größer und rascher ansteigend.
42
21
Kräftige, normale Herzaktion, Nachschwankung zwci-
phasiseh mit vorangehender Negativität.
24*
Digitized by
Gck 'gle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
AUiAUMj
11UMMUUH
NtfffmMvm
f*»iMM»MI♦»< t}n »I
Y. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
Die folgenden Versuche kann ich kürzer beschreiben.
Versuch 7. Erstickung 71 Min. nach Vagus- und Acceleransdurchschneidung.
45
Vorher , R klein und gespalten, Nachschwankung niedrig, mehrphasisch. Nach
Aussetzung der Atmung zuerst Verkleinerung der Anfangsschwankung, Dauer
von T wegen Muskelunruhe nicht bestimmbar. Stellenweise, wahrscheinlich mit
der Verlagerung des Herzens durch spontane Atembewegungen zusammenhängend,
bedeutende Vergrößerung aller Ausschläge: R ist nun hoch und nicht gespalten,
4 fc 2 38
S tief, T stark positiv. 9 .,, dann , , T negativ, die mechanischen Ausschläge
ZO ZJ,Ö ^ FjQ
brüsk ansteigend und nicht verkleinert. Dann 01 , T schwach positiv. Dann 9 .
Z1 Z4
bei deutlicher Verkleinerung der mechanischen Ausschläge. Dann 99 , T positiv,
76
dann 91 , starke Verkleinerung der Suspensionskurven, dabei T stark positiv . Dann
80 ~ ^
91 , weitere Verkleinerung der mechanischen Ausschläge, T hoch positiv. Nach
* 1 52
Wiederherstellung der Atmung 9 - - , T positiv, gute mechanische Ausschläge.
46 5 44 . 41
Dann , dann 9 ^ , T positiv, zum Schluß » T stark positiv.
Versuch S. 88 Min. nach Vagus- und Acceleransdurchschneidung, 2 Min. nach
Atropin. Der Vagus ist nicht ganz gelähmt, doch tritt bei Reizung mit starkem
Abb. 3n. Bei künstlicher Atmung.
Abb. 8b. Nach Aussetzung der Atmung. Abb. 3c.
Strom nur ganz schwache Verlangsamung ein. Ich beschränke mich darauf, von
diesem Versuche einige Kurvenstücke abzubilden, welche die auch sonst be¬
obachteten Veränderungen in überzeugenderWeise erkennen lassen. Abb. 3 a ent-
Original fro-m
UNIVERSITY GR-MINNESOTA
Digitized by
über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms).
349
spricht dem Normalstück bei künstlicher Atmung, deren Wirkung man an den
wechselnden Fußpunkten der Kammersuspensionskurve erkennt. Die Nach-
49 5
Schwankung ist negativ, p und V» ^ . Bald nach Aussetzung der Atmung (Abh. 3 b)
sind die mechanischen Kurven weniger breit, die Nachschwankung beginnt sich
Abb. 3d. Abb. 3e.
■
Abb. 3 '. Nach Wiederherstellung der künstlichen Atmung.
Abb. 3 g.
Abb. 3 h.
36
zu heben, Herzperiode und V, sind kürzer, ^ • Abb. 3c zeigt (bei deutlicher Dilata¬
tion des Herzens) eine Verkleinerung der mechanischen Ausschläge, die nun viel
träger ansteigen. Dabei ist die Nachschwankung außerordentlich hoch. Die Fre¬
quenz hat etwas abgenommen, die Dauer der Systole sich aber weiter verkürzt
_0g
17 ~ 17 5 * Abb. 3d zeigt dieselben Veränderungen in noch stärkerem Maße und
Abb. 3e entspricht dem Stadium, wo die Tätigkeit des maximal erweiterten Herzens
Digitized by Gougle
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Y. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
Difitized by
350
so abgeschwächt war, daß ich es nicht wagte, die Aussetzung der künstlichen
Atmung noch weiter andauem zu lassen. Die Frequenz ist weiter zurückgegangen,
die Dauer des K-Ekg hat nur unwesentlich zugenommen. Imposant ist auch hier
der Gegensatz zwischen der Schwäche der Herztätigkeit und der Höhe der Nach¬
schwankung. Das erste Stück nach der Wiederherstellung der künstlichen Atmung
(Abb. 3f) zeigt zunächst noch keine Besserung der Herzkraft, die Frequenz hat
weiter stark abgenommen, die V, beginnt aber länger zu werden und die Nach¬
schwankung ist viel niedriger. Die beiden letzten Kurvenstücke (Abb. 3 g und h)
zeigen die Wiederkehr der Herztätigkeit zur Norm. Die Frequenz kehrt ungefähr
zur früheren Höhe zurück, die V$ bleibt noch etwas kürzer, es ist aber wegen der
Form der zweiphasischen Nachschwankung nicht sicher, wo man messen soll:
wenn man das Ende der V, an den Punkt verlegt, wo das Saitenbild zur Abszisse
zurückkehrt, bekommt man ungefähr dieselben Werte wie vor der Erstickung.
43
Versuch 9. 98 Min. nach Durchschneidung der Herznerven -r? , T negativ.
41 39
Nach Aussetzung der Atmung 0 , T wird positiv. - «, spontane Atembewegungen.
3(5 36 ""
'. u , T tief negativ. , T zweiphasisch mit nachfolgender stark positiver
47 1^0
Phase. Vorhof steht dilatiert, Kammerkurve breit, träge ansteigend und ver-
lo 53 60
kleinert, T hoch 'positiv. Dann T hoch positiv, yg ^ > T unverändert hoch,
Ausschläge der Kammer ganz klein. Nach Wiederherstellung der künstlichen
39 5 34
Atmung ' ’ , T stark positiv, kräftige Herzaktion. Dann . , T breit und
Zo 34 ~l
negativ, zum Schluß > T wie vorher.
50
Versuch 12. 83 Min. nach Durchschneidung der Herznerven. ' ü , T pos. Nach
57
Aussetzung der Atmung , Herz stark dilatiert, mechanische Ausschläge ver-
Z4 60
kleinert, T positiv und viel höher als vorher. Dann » Ausschläge kleiner, T noch
64
größer. Dann ^ » der Vorhof kontrahiert sich noch ganz gut, dagegen ist der
Anstieg der Kammersuspensionskurve kaum noch zu sehen, T hoch positiv. Nach
67 5
Wiederherstellung der künstlichen Atmung ’ , Herztätigkeit und Form des
93
Ekg noch unverändert. Dann , T negativ, Kammersuspensionskurve träge
93 5 ^
und niedrig. Dann , T negativ, Kammerkurve steigt schon rascher an. Dann
78 zy^o »jtq
.. 4> , T positiv, gute mechanische Ausschläge. Dann , T stark positiv, kräftige
"jZ ÖÖ
Herzaktion. Zum Schluß ,
Ich habe hier alle Versuche, die ich ausgeführt habe, beschrieben, weil
ihre Ergebnisse in bemerkenswerter Weise miteinander übereinstimmen,
so daß man in den aufgefundenen Veränderungen wohl gesetzmäßige
Beziehungen annehmen darf. Unmittelbar nach der Aussetzung der
Atmung ändert sich noch nichts: man kann diese Zeit wohl als das
Stadium der Apnoe ansehen, welche durch die vorhergehende, das
Atembedürfnis wahrscheinlich übersteigende Ventilation der Lungen
bedingt wird. Nach wenigen Minuten nimmt aber die Frequenz zu
und die Herztätigkeit wird deutlich kräftiger. Da mm in allen meinen
Versuchen die Accelerantes durchschnitten waren, und zwar vor so
Original from
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Uber die Dauer des K-Kkg (Kamraer-JIlektrokardiogTaiiims). 351
langer Zeit, daß der Abfall des Tonus sich voll ausbilden konnte, ist diese
Förderung der Herztätigkeit schon auffallend. Ich erinnere an die Ver¬
suche von Stewart und Rogoff 2Ö ), die an der Katze nach Durchschneidung
der Herznerven durch Ischiadicusreizung oder durch Asphyxie noch
Pulsbeschleunigung und Drucksteigerung erzielen konnten. Da dies
auch nach Ausschaltung der Nebennieren noch gelang, kann eine ver¬
mehrte Adrenalinausschüttung (Cannon) nicht als Ursache angesehen
werden. Ich glaube, daß hier eine direkte Reiz Wirkung der im Blute
angereicherten Kohlensäure auf die reizbildenden Apparate und auf das
Myokard vorliegt. Zu dieser Zeit pflegt auch die Erregung der moto¬
rischen Rindenzentren sich in Muskelunruhe und bald auch in Krämpfen
zu äußern. Bald treten die Erscheinungen der Herzschwäche immer
mehr hervor: die Frequenz nimmt ab, die mechanischen Ausschläge
des nun deutlich cyanotischen und dilatierten Herzens werden kleiner
und steigen träger an und dies wird immer ärger, je länger die Asphyxie
dauert Wenn man mit der Wiederherstellung der Atmung so lange
cvartet, bis das stark dilatierte Herz nur noch ganz schwache Kon¬
traktionen zeigt, dann läßt das nachher aufgenommene erste Kurven-
sttick meist noch keine Besserung, oft sogar noch eine weitere Ver¬
schlechterung erkennen. Aber bald kehrt die Herztätigkeit, und zwar
bezüglich Kraft und Frequenz, wieder zur Norm zurück, während das
Herz wie mit hellroter Farbe übergossen wird und sich zusehends
verkleinert.
Die bei der Erstickung zutagetretenden Veränderungen des Ekg
verdienen eine besondere Besprechung. Längere Zeit nach der Durch-
schneidung der Accelerantes findet man die zuerst von Rothberger und
Winterberg 19 ) beschriebenen Ausfallserscheinungen. Uns interessiert
hier vor allem die Nachschwankung: sie ist meist negativ, manchmal
auch zwei- oder mehrphasisch und niedrig, in einzelnen Fällen positiv.
Es ist nun merkwürdig, und das war in allen meinen Versuchen so,
daß die Nachschwankung umso höher wird, je mehr sich in den späteren
Stadien der Asphyxie die Herzschwäche ausprägt. Unsere Abbildung
zeigt dies ja zur Genüge. Wenn man sich daran erinnert, welche Be¬
deutung man in der Klinik der Positivität der Nachschwankung zu¬
zuschreiben pflegt, wdrd der Kontrast der auf das äußerste abgeschwäch¬
ten Herztätigkeit und der enormen Höhe der Nachschwankung um so
auffälliger. Eine befriedigende Erklärung kann ich dafür nicht geben
und ich verzichte daher darauf, verschiedene Möglichkeiten zu er¬
örtern, die mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit für sich haben
könnten.
Die Dauer der Systole wird bei der Erstickung immer verkürzt,
und zwar gleich im Beginn. Man könnte versucht sein, dies mit der
Frequenzsteigerung in Zusammenhang zu bringen; man findet sie aber,
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352
Y. Miki: Experimentelle ur)d klinische Untersuchungen
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wie aus der Tabelle unseres Versuches 6 hervorgeht, schon vorher und
vor allem ist es wichtig, daß die Verkürzung des K-Ekg lange Zeit
bestehen bleibt, während die Frequenz mit der fortschreitenden Herz¬
schwäche immer mehr abnimmt. Eine Unsicherheit bezüglich der
Punkte, an denen gemessen werden soll, kann gerade hier nicht be¬
stehen, weil die Rückkehr der hoch positiven Nachschwankung zur
Abszisse genügend scharf zu bestimmen ist. Ja, die Verkürzung wird
um so bemerkenswerter, wenn man bedenkt, daß die Nachschwankung
vor der Erstickung infolge des Ausfalles des Acceleranstonus gewöhn¬
lich negativ ist und daher wahrscheinlich noch einen zu kleinen Wert
für die Dauer der Systole ergibt ( Fridericia ). Der Grad der Verkürzung
des K-Ekg im Laufe der Erstickung ist beträchtlich, wie aus folgender
Zusammenstellung hervorgeht. Es verkürzte sich im
Versuch
6 das K-Ekg von 22 auf 17,
7 »> » h 24 ,, 21,
8 tt ,, 1» 24 ,, 17,
11 »> 99 ff 24 „ 18,
12 „ ,, ft 28 „ 23.
Dies stimmt mit dem Befunde von Straub 33 ) überein, der die Wirkung
der Kohlensäure Vergiftung am Froschherzen untersuchte. Er fand,
,,daß die negativ inotrope und negativ chronotrope Wirkung der
Kohlensäure schon sehr weit vorgeschritten sein kann, bis der Schwellen¬
wert am bestimmten Punkt unwirksam wird“, d. h. bis eine Verlänge¬
rung der Refraktärphase ein tritt. In der von Straub abgebildeten Kurve
war dies erst zu einer Zeit der Fall, wo die Kontraktionshöhe auf fast
den vierten Teil des Normalen reduziert und die Frequenz um mehr
als das Doppelte verlangsamt war. ,,Bevor diese Minderung der Er¬
regbarkeit zutage tritt, äußert sich die Kohlensäurevergiftung in un¬
verkennbarer Weise als Steigerung der Erregbarkeit , denn der Normal¬
schwellenreiz wird früher wirksam. Auch in einem relativ späten
Stadium ist die Erregbarkeit noch nachweislich gesteigert,“ d. h. die
Refraktärphase ist verkürzt. Dies stimmt wieder mit älteren Unter¬
suchungen von Öhrwall (1897) überein. Nach Straub hat also die Kohlen¬
säure eine positiv bathmotrope Wirkung auf die Ventrikelmuskulatur
und erst in späteren Stadien, wenn die anderen Wirkungen schon weit
vorgeschritten sind, kommt die negativ bathmotrope Wirkung zum
Vorschein.
Es scheint übrigens, als ob in den Endstadien der Erstickung, wo
das stark dilatierte und tief cyanotische Herz nur mehr ganz schwach
schlägt, wieder eine ganz geringe Verlängerung des K-Ekg, etw r a um
0,005—0,015“ sich einstellen wollte, ich habe aber in diesem kritischen
Stadium immer die künstliche Atmung wiederhergestellt. Nachher,
wenn das Herz wieder kräftig schlägt, ist das K-Ekg nicht nur länger
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Über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms). 353
als während der Asphyxie, sondern meist auch länger als vor der Er¬
stickung, es kehrt aber rasch wieder auf den Anfangswert zurück.
vorher
Erstickung
nachher
Versuch
6
22
17
25-28
»»
7
24
21
25,5
>*
8
24
17
23-24
»
11
24
18
25
*»
12
28
23
30-32
Diese in den ersten Stadien der wiederhergestellten Atmung ein-
tretende Verlängerung des K-Ekg fällt mit der Rückbildung der hoch
positiven Nachschwankung zusammen und es ist in den Fällen, wo die
Nachschwankung dabei zweiphasisch wird, nicht immer klar, wo man
messen soll; es kann aber diese die Norm noch übersteigende Verlänge¬
rung des K-Ekg unmittelbar nach der Wiederherstellung der künst¬
lichen Atmung doch als Regel angesehen werden.
7. Die Wirkung von Giften auf die Dauer des K-Ekg.
Das Studium der Wirkung von Giften auf die Dauer der Systole
wäre eine dankbare Aufgabe für eine eigene Untersuchung; ich mußte
diese vorläufig zurückstellen und möchte hier nur über meine mehr
nebenbei gemachten Erfahrungen berichten. Über das Adrenalin habe
ich schon in dem Abschnitte über die Wirkung der extrakardialen
Herznerven gesprochen und brauche daher hier nicht mehr darauf
zurückzukommen.
ä) Chlorkalium , Oxalsäure .
Im ersten Versuch injizierte ich dem 12 kg schweren Hunde 0,5, 1,0
und 5 ccm einer 5proz. KCl-Lösung in die V. jugularis, worauf das Herz
sich erweiterte und schlechter schlug. Die Frequenz fiel von 170 auf
105, die Dauer des K-Ekg verkürzte sich aber trotzdem von 24—25
auf 22—24, die vorher hochpositive Nachschwankung wurde bedeutend
niedriger und es trat vorübergehend ein Altemans der Nachschwankung
ein; leider ist diese Kurve verzittert, so daß ich von ihrer Reproduktion
absehen muß.
Wenige Minuten nachher spritzte ich demselben Tiere 1, 1 und
5 ccm, also im ganzen 7 ccm 5proz. Oxalsäure ein. Die Frequenz, die
mittlerweile wieder auf 160 gestiegen war, wurde nur wenig (auf 150)
herabgedrückt, aber die Dauer des K-Ekg wurde von 24 auf 27 ver¬
längert, die vorher hoch positive Nachschwankung negativ. Der aus
der Carotis verzeichnete Blutdruck nahm stark ab.
b) Magnesiumsulfat.
In zwei Versuchen hatte ich eine weite, mit dem Manometer ver¬
bundene Kanüle in den von der Aorta abgehenden Truncus brachio-
cephalicus eingebunden, von dem die beiden Carotiden und eine Sub-
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354
Y. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
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clavia abgehen. Bald nach der Entfernung der Klemme wurde die
Herztätigkeit sehr schlecht. In dem einen Versuch (3) nahm die Fre¬
quenz von 93 auf 75 ab, die Dauer der Systole verlängerte sich von
29 auf 33. In dem anderen Versuche (4) sank die Frequenz von 105
auf 95, während die Dauer des K-Ekg von 25 auf 28 stieg. In beiden
Fällen wurde die Nachschwankung breit negativ (wannenartig) und
beide Tiere gingen gleich darauf zugrunde. Es lag nahe, das Ergebnis
dieses durchaus nicht beabsichtigten Giftversuches auf eine zu hohe
Konzentration der Magnesiumsulfatlösung zurückzuführen, die die
Blutgerinnung in der eingebundenen Kanüle verhindern sollte. Ich
habe daher in einem weiteren Versuche (5) dem 8,5 kg schweren Hunde
zweimal je 0,5 ccm von derselben Lösung intravenös eingespritzt und
fand auch wirklich dieselben, wenn auch nicht so folgenschweren Ver¬
änderungen: die Frequenz fiel von 133 auf 100, aber die Dauer des
K-Ekg stieg von 27 auf 32.
c) Chloroform.
In einem Versuch (9) wollte ich eine Verschlechterung der Herz¬
tätigkeit erzielen und schaltete deshalb statt des sonst zur Narkose
verwendeten Äthers Chloroform in die künstliche Atmung ein. Das
Herz wurde bald dilatiert und schlug sehr schlecht. Die Dauer der Herz¬
periode und des K-Ekg veränderten sich in folgender Weise: Vorher
72,5 ’ , - . , 78 80 80,5 , 86 „
3p- W,hMnd der CHoroformw.rk,mg jj-j, „„, dann Hm
sehr schlecht und dilatiert, R-Zacke gespalten und breit; dann ,
Das Herz machte einen so schlechten Eindruck, daß ich eine längere
Reizung des rechten Accelerans vomahm, worauf es sich wieder voll¬
ständig erholte; die Entfernung des Chloroforms aus der künstlichen
Atmung war hierzu nicht ausreichend gewesen.
d) Muscarin.
In zwei Versuchen habe ich 1—2 Tropfen einer älteren, stark kon¬
zentrierten alkoholischen Muscarinlösung in 1 ccm Kochsalzlösung
emulgiert eingespritzt. In beiden Versuchen trat mit der Verlangsamung
und deutlichen Abschwächung der Kontraktionen eine Verlängerung
des K-Ekg ein. In dem einen Versuche (16) war die Verlangsamung
nur wenig, die Verlängerung der Systole relativ stark ausgesprochen:
39 48
vorher , nachher _ -. Zwölf Min. später, nach einer neuen Dosis
*** 28 5 Q
bei sehr deutlicher Abschwächung der Systolen - , dann — , Ekg,
28 29 55
unverändert. In dem anderen Versuch (15) waren die Werte vorher ,
82 ^
nachher , T negativ, hoch über die Abszisse ansteigend. 75 Systolen
ül
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über die* Dauer des K-Ekg (Kamiiier-ElektrokardiograDims).
später;
Nach einer zweiten Muscarineinspritzung war die Verlang¬
samung sehr stark ausgesprochen, die Dauer der Systole aber ungefähr
156
gleich geblieben: -- . Es ist bekannt, daß die Muscarin Wirkung der
einer Vagusreizung gleichkommt und es wäre deshalb auch hier eine
Verkürzung der Systole zu erwarten. Wir werden aber wohl nicht fehl¬
gehen, wenn wir annehmen, daß diese durch den verlängernden Einfluß
der Pulsverlangsamung ebenso verdeckt wird, wie wir das bei der Vagus¬
reizung gesehen haben. Der erste Versuch stimmt freilich nicht zu dieser
Annahme, denn hier trat eine Verlängerung der Systole ein, die durch
die geringfügige Verlangsamung nicht zu erklären ist. In dem anderen
92 156
Versuche sind aber doch die Werte - und auffallend, besonders
55 ^
gegenüber dem Ausgangswert * . Auch hier ist die zuerst auftretende
Verlängerung des K-Ekg von 26 auf 31 bei geringer Verlangsamung
(55 auf 92) bemerkenswert und stimmt mit dem ersten Versuch überein ;
die weitere beträchtliche Herabsetzung der Frequenz hat dann keine
nennenswerte Verlängerung der Systole mehr zur Folge.
e) Chinin.
Santesson 26 ) hat in seinen Untersuchungen über die Chininwirkung
gefunden, daß das Chinin ein Muskelgift sei, das ebenso wie das Veratrin
die refraktäre Phase verlängert. Ich habe das Chinin in meinen Ver¬
suchen deshalb angewendet, weil die Untersuchungen von Hecht und
Rothberger 27 ) ergeben haben, daß dieses Gift zu tiefgreifenden Verände¬
rungen des Ekg Veranlassung gibt, wenn größere Dosen eingespritzt
werden. Die Veränderungen betreffen insbesondere die Anfangs¬
schwankung des Ekg, die oft merkwürdige Spaltungen und Ver¬
breiterungen zeigt und es können so, wie die in der zitierten Abhand¬
lung abgebildeten Kurven zeigen, geradezu groteske Ekg-Formen Zu¬
standekommen. Bei fortschreitender Vergiftung soll nach der Angabe*
der genannten Autoren der Erregungsablauf immer träger werden,
so daß auch die Inspektion des bloßgelegten Herzens einen mehr wurm¬
artigen Verlauf der Herzkontraktion erkennen lasse. Die von mir
verwendete Lösung war dieselbe, die Hecht und Rothberger gebraucht
hatten: Chinin bisulf. 6,0, Natr. chlor. 3,0, Aqua dest. 30,0. In einem
Kubikzentimeter waren also 0,2 g Chinin enthalten. Nach kleineren
Dosen (0,1 g) tritt Verlangsamung des Herzschlages ein, aber noch
keine nennenswerte Veränderung in der Dauer der Systole. Diese
wird aber nach größeren Dosen deutlich. Als Beispiel führe ich den
r 54
Versuch 17 an. Normal, bei durchschnittenen Vagis ^ > 13 Min. später
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356
Y. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
wurden 0,2 g Chinin gegeben, die entsprechende Kurve ist aber leider
. 46
verloren gegangen. Nach weiteren 13 Min. wurden die Werte — ge-
üU
funden, also eine Verlängerung der V 9 trotz der Verkürzung von p;
50
nun spritzte ich wieder 0,2 g Chinin ein und fand —, also eine im Ver-
32
hältnis zur geringen Verlangsamung schon sehr deutliche Verlängerung
des K-Ekg, die Nachschwankung reichte nun weiter in die Diastole
hinein und so kam es zu einer beginnenden Superposition auf die nach-
45
folgende Vorhofzacke. 15 Min. später fand ich — , also dieselben Werte
dü g 2
wie vor der zweiten Chinindosis, nach 0,4 g und am Ende
66 ^
des längeren Kurvenstückes -. Dann setzte ich die künstliche Atmung
ob
aus; 2 1 / 2 Min. später fand ich bei deutlicher Abschwächung und Ir-
71 91
regularität der Herzaktion — und ^. 4 */ 2 Min. nach Aussetzung der
künstlichen Atmung bei weiterer Abschwächung der Herztätigkeit
95
und bei hochpositiver Nachschwankung — . Die Dauer des K-Ekg
ist also in diesem Stadium nicht nur, wie ich es auch sonst bei der Er¬
stickung immer fand, verkürzt, sondern in besonders hohem Grade.
107
Am Schlüsse des langen Kurvenstückes fand ich sogar ——. Das Herz
war zu dieser Zeit stark dilatiert und erholte sich bei Wiedereinschaltung
der künstlichen Atmung nur langsam. Als es dann nach ungefähr
59
15 Min. wieder kräftig schlug, betrugen Herzperiode und K-Ekg — .
145 M
Nach 0,6 g Chinin — —. Die vorher stark positive Nachschwankung
46
war nun klein und mehrphasisch geworden, tiefgreifende Verände-
92 5
rungen waren aber nicht zu sehen. 17 Min. später fand ich , nach
248 ^
1 g Chinin-^- . Es hat sich nun eine tiefe S-Zacke ausgebildet, wodurch
die Anfangsschwankung im ganzen nach abwärts rückt, die Nach¬
schwankung ist niedriger, in ihrer Form aber nicht wesentlich ver¬
ändert, das ganze Ekg ist stark in die Breite gezogen und bietet ein
anschauliches Bild des verlangsamten Erregungsablaufes. Vier Minuten
später fand ich bei etwas unregelmäßiger, stark abgeschwächter Herz¬
tätigkeit ; das K-Ekg zeigte nun zwei stumpfe R-Zacken,
y i
von denen die erste ganz klein, die zweite von gewöhnlicher Höhe war;
dann folgte eine tiefe, langsam wieder ansteigende S-Zacke und eine
positive Nachschwankung. Der 8,7 kg schwere Hund hatte im ganzen
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms). 357
2,4 g Chinin bekommen, war also schwer vergiftet und sein Herz
konnte auch durch längere faradische Reizung der rechten Kam¬
mer immer nur vorübergehend zum Flimmern gebracht werden,
wie dies ja Hecht und Rothberger schon beschrieben und abgebildet
haben.
Die Verlängerung des K-Ekg durch Chinin ist besonders nach mitt¬
leren Dosen deutlich, weil dann die Frequenz noch nicht sehr stark
herabgesetzt wird. Nach großen Dosen wird dagegen die Herzperiode
schon so lang, daß die durch das Chinin unmittelbar bewirkte Ver¬
längerung der Systole nicht mehr so in die Augen springt. Immerhin
ist der von mir in dem eben besprochenen Versuch zuletzt gefundene
Wert von 0,97" ganz außerordentlich lang; man braucht ihn ja nur
mit den Werten zu vergleichen, die nach langen Herzperioden bei
Dissoziation gefunden wurden. Die Veränderungen des K-Ekg nach
großen Dosen möchte ich auf periphere bzw. intramurale Leitungs¬
störungen beziehen; dafür spricht die Verbreiterung und die Spaltung,
ja Verdoppelung der Anfangsschwankung. Es ist ja auch sehr wahr¬
scheinlich, daß ein Gift von so intensiver Muskelwirkung auf das Reiz¬
leitungssystem wirkt; auch die atrio-ventrikuläre Reizleitung wird ja
verlängert; sie betrug am Schlüsse des erwähnten Versuches, zu der
Zeit, wo die Dauer des K-Ekg auf 0,97" angewachsen war, nicht we¬
niger als 0,60". Eine Verlängerung der refraktären Phase ist an der
Verbreiterung des K-Ekg jedenfalls auch beteiligt, es läßt sich aber
nicht entscheiden, in welchem Maße dies der Fall ist*). Auch Schott 31 ),
der das praktisch wichtig gewordene Chinidin an Meerschweichen
untersuchte, fand charakteristische Veränderungen des Ekg und Er¬
schwerung der Reizleitung; auch er nimmt eine besondere Wirkung des
Chinidins auf das Reizleitungssystem an. Endlich haben in neuester
Zeit Clerc und Pezzi 32 ) die durch das Chinin erzeugten Leitungs¬
störungen am Hunde untersucht und kommen ebenfalls zu dem Schlüsse,
daß das Chinin die Leitfähigkeit des ganzen Systems herabsetze, und
zwar nicht nur die des Hauptstammes, sondern auch die der Purkinje -
sehen Fasern.
Schlußbetrachtungen.
Die Dauer der Systole ist in erster Linie abhängig von der Frequenz.
Wenn nach irgendeinem Eingriff mit einer Pulsbeschleunigung eine
Verlängerung des K-Ekg einhergeht, ist dieser Befund a fortiori be¬
weisend. Wenn aber eine Änderung in der Länge der Systole mit einer
gleichsinnigen Änderung in der Länge der Herzperiode verbunden ist —
*) In neuen, nach Abschluß dieser Arbeit veröffentlichten Versuchen fanden
Lewis, Drury, Iliescu und Wedd (Heart 9, 60. 1921), daß die refraktäre Phase
des atropinisierten Vorhofs durch Chinidin um 50—100% verlängert wird.
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35S
Y. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
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und das ist gewöhnlich der Fall — dann müssen wir uns fragen, ob
diese beiden Erscheinungen miteinander verbunden sind, und wenn
dies der Fall ist, ob die Änderung in der Länge der Systole durch die
Frequenzänderung allein schon genügend erklärt wird. Man müßte
also einen bestimmten Ausgangspunkt haben, der klar erkennen läßt,
daß zu einer bestimmten Frequenz eine Systole von bestimmter Länge
gehört, so daß auch geringe Abweichungen als solche erkannt werden
können. Diesen Zweck sollen nun die angegebenen Formeln erfüllen.
Zunächst kommt die von Lombard und Cope in Betracht, die auch für
den Hund bei Frequenzen unter 150 (p = 40) gelten soll; die Formel
von Fridericia ist für den Menschen aufgestellt und auf Frequenzen
zwischen 51 — 135 (p — 120—44) beschränkt und Bazett gibt für seine
Formel verschiedene Konstanten für Männer und für Frauen an. Mit
diesen Formeln ist aber für unseren Zweck nicht viel anzufangen;
sie gehen, wie wir sehen werden, auch bei derselben Frequenz oft viel
weiter auseinander, als die beobachteten Unterschiede in der Länge
der Systole ausmachen, so daß man nicht weiß, an welche Formel man
sich halten soll. Auch die nach Lombard und Cope ermittelten Werte
stimmen für den Hund manchmal ganz gut, in anderen Fällen aber
wieder gar nicht.
Dazu kommt, daß man ja nicht weiß, von welchem Zustande des
Herzens man ausgehen soll. Das normale Herz steht unter dem Ein¬
flüsse der extrakardialen Nerven, die ja die Länge der Systole beein¬
flussen. Es wäre also naheliegend, die Verhältnisse vor und nach der
Durchschneidung der Herznerven an der Hand der angegebenen Formeln
zu vergleichen. Aber hier stößt man wieder auf die Schwierigkeit,
daß das Hundeherz nach der Vagotomie rascher schlägt als 150 mal
in der Minute, so daß also in Anbetracht der von den Autoren für ihre
Formeln angegebenen Beschränkung eine Übereinstimmung mit einer
für den Menschen angegebenen Formel nicht mehr erwartet werden
kann. Vergleichen wir also die Zahlen, die nach vollständigem Ausfall
des Acceleranstonus gefunden wurden.
, Dauer
Dauer des Kammer-Elektrokardiogramms
Ver¬
such
der Herz¬
periode
Frequenz
Gefunden
| Nach
| Fridericia
Nach Lom¬
bard & Co.
Nach Bazett
Für Männer | Für Frauen
7
45
133
24,5
i 29,2
20,9
24,8
26,8
8
49,5
120
26
30.3
21,9
26,2
28,3
9
72,5
83
39
34,3
26,3
31,5
34,1
10
42
140
24
! 28,4
19,9
23,8
25,7
13
83
72
40
35,9
28,3
33,6
36,4
Es stimmen also von den gefundenen Werten drei (7, 8, 10) mit der
von Bazett für Männer angegebenen Formel, während die anderen zwei
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über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms).
359
nirgends einzureihen sind; und gerade diese beiden (9 und 13) be¬
treffen Frequenzen, die im Bereiche der normalen Frequenz für
den Menschen liegen (72 und 83). Dabei bestehen am entnervten
Herzen offenbar Beziehungen zwischen der Länge der Herzperiode
und der der Systole, denn wenn man die Zahlen nach der Größe
von p ordnet, bekommt man folgende Reihe: ^> 2 ß ’ 39 ’ 40 '
Wir müssen also wohl darauf verzichten, eine Formel zu finden, die
für die in meinen Versuchen vorkommenden weiten Frequenz-
sehwankungen die zugehörige Länge der Systole nit genügende]
Genauigkeit angibt.
Damit verlieren wir aber ein wichtiges Hilfsmittel zur Deutung der
gewonnenen Versuchsergebnisse, besonders bezüglich der Wirkung der
extrakardialen Herznerven. Denn diese wirken, wie auch aus meinen
Versuchen wenigstens andeutungsweise hervorgeht, direkt auf die
Länge der Systole, haben aber außerdem eine chronotrope Funktion,
die wieder ihrerseits auf die Länge der Systole zurückwirkt, so daß sich
diese Einflüsse, wenigstens beim Warmblüter, nicht mehr auseinander¬
halten lassen. Hier kommen aber die Versuche am Kaltblüter unserem
Verständnis zur Hilfe. , Mines2 ®) hat den atropinisierten und durch die
zweite Stanniusligatur stillgestellten Froschventrikel rhythmisch gereizt
und hat gefunden, daß mit steigender Reizfrequenz die Dauer des
Ekg sich verkürzt, also bei vollständiger Ausschaltung jeder Nerven -
Wirkung. In anderen, mit Dale ausgeführten \ Versuchen 29 ) zeigt er,
daß der Vagus die Systole verkürzt, was ja Samojloff schon bekannt
war, und daß der Sympathicus sie verlängert. Die Verkürzung der
Systole bei Vagusreizung ist dort am deutlichsten, wo die Abschwächung
der Kontraktion, also die inotrope Funktion, stark, die Verlangsamung,
die chronotrope Funktion, wenig ausgesprochen ist. Dort, wo die
Vagusreizung den Herzschlag stark verlangsamt, die Kontraktion
aber nur wenig abschwächt, hat sie eine Verlängerung der Systole zur
Folge (ebenso ist es mutatis mut&ndis mit dem Sympathicus). Das
ist also ganz ähnlich wie bei der inotropen Funktion selbst: Der Vagus
schwächt die Kontraktion ab, lange Pausen stärken sie aber; die chrono¬
trope Punktion wirkt also der inotropen entgegen und so kann es kom¬
men, daß der erste nach einer längeren, durch Vagusreizung erzeugten
Pause auftretende Herzschlag eine stärkere Kontraktion und einen
höheren Puls aufweist als die vorhergehenden und wahrscheinlich auch
ein längeres K-Ekg. Nun müssen wir aber doch erwarten, daß sich
auch unter diesen Umständen der verkürzende Einfluß der Vagus¬
reizung irgendwie geltend machen wird, denn die wirkliche Länge dieser
nach einer längeren Pause auftretenden Systole muß die Resultierende
sein aus dem verkürzenden Einfluß der Vagusreizung und der ver-
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360 Y. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
längemden Wirkung der Puls Verlangsamung*). Diese Systole wird
also doch kürzer sein, als wenn die Verlangsamung auf einem anderen
Wege zustande gekommen wäre. Es läge nun nahe, diese Systole mit
jenen zu vergleichen, die bei der Bradykardie infolge von Dissoziation
Vorkommen, denn es kann als sicher gelten, daß die Vagi auf die
unter diesen Umständen automatisch schlagenden Kammern keinen
Einfluß mehr ausüben. Leider mußten wir aber feststellen, daß bei
der Dissoziation keine erkennbaren Beziehungen mehr bestehen zwischen
den Längen der Herzperiode und des K-Ekg. Dies ist im Hinblick
auf die erwähnten Versuche von Mines interessant; denn die Ab¬
quetschung des Hisschen Bündels entspricht der zweiten Stannius-
ligatur und meine Befunde sprechen demnach dafür, daß die von Mines
gefundenen Beziehungen, wenigstens beim Warmblüter doch nicht so
einfach sind. Dazu kommt noch folgendes: Wenn die Verlängerung
der Systole bei der Vagusreizung nur eine Folge der Verlangsamung
wäre, müßte man erwarten, daß sie auch mit dieser verschwindet. Ich
habe aber gefunden, daß die durch einen längeren Stillstand verbreiterte
Systole ihren Wert längere Zeit beibehält, während die Frequenz mitt¬
lerweile wieder zur Norm zurückgekehrt ist und dies steht ja auch in
Einklang mit den Angaben von Tigerstedt und Ryömä**). Auch bei der
Acceleransreizung gehen die Pulsbeschleunigung und die Verkürzung
der Systole nicht streng Hand in Hand. Ich fand, daß bei Reizung
des rechten Accelerans die Beschleunigung etwas früher kommt und
länger anhält als die Verkürzung der Systole, während diese bei Reizung
des linken Accelerans die chronotrope Wirkung überdauert. Dies hängt
wahrscheinlich mit der Verteilung der beiden Accelerantes auf die
beiden Herzhälften zusammen: der rechte innerviert vorzugsweise das
*) Fridericia sieht die Erklärung der Tatsache, daß die Vagusreizung beim
Frosch die Systole verkürzt, während man beim Warmblüter eine mit der Ver¬
langsamung einhergehende Verlängerung findet, in den Ergebnissen der Unter¬
suchungen von Cullis und Tribe und von Leeiham , die gezeigt haben, daß beim
Warmblüter nur die Vorhöfe direkt vom Vagus innerviert werden. Das könnte
sich aber doch nur auf die chronotrope Funktion beziehen, und ist übrigens auch
für diese nicht richtig, weil auch der Tawara sehe Knoten durch den Vagus gehemmt
wird. Daß der Vagus aber inotrop auf die Kammern wirkt, kann doch nicht
zweifelhaft sein und demnach ist auch ein direkter Einfluß auf die Länge der
refraktären Phase daselbst nicht ausgeschlossen.
**) Ich möchte darauf hin weisen, daß in dem oben (S. 332) angeführten Versuch 6
bei Reizung des rechten Vagus ein Herzstillstand von 3,58" entstand, während
die Herzperiode vorher 38 betrug. Trotzdem steigt die Dauer des K-Ekg nur von
20—21 auf 26. Wenn man die bei Dissoziation gefundenen Werte nur ganz im
allgemeinen damit vergleicht, sieht man, daß diese geringe Verlängerung der Vs
mit der gewaltigen Frequenzänderung in gar keinem Verhältnis steht und es wird
dadurch mehr als wahrscheinlich, daß dieser nach dem langen Stillstände auf¬
tretende Herzschlag unter dem stark verkürzenden Vaguseinfluß steht, wenn
auch natürlich die verlängernde Wirkung der langen Pause tiberwiegt.
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über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms).
361
recht© Herz und des Sinusknoten, und dieser spricht rascher auf die
Reizung an, als wenn der linke Nerv gereizt wird. Dieser hat aber
dafür eine nachhaltigere Wirkung auf die Dauer der Kammersystole.
Es geht aus diesen Befunden, die zu neuen Untersuchungen anregen
sollen, hervor, daß man gar nicht erwarten kann, daß bei der respirato¬
rischen Arhythmie, wo der Tonus der extrakardialen Nerven fortwäh¬
rend wechselt, die Dauer des K-Ekg sich sogleich nach der länge der
vorhergehenden Herzperiode richten werde, denn die Frequenz wird
offenbar viel rascher beeinflußt, während das Myokard schwerer an¬
spricht.
Es wäre nun noch die Frage zu erörtern, ob man die Länge der
unter bestimmten Bedingungen sich ergebenden Systole zur Qualität
der Herzkontraktionen in Beziehung bringen kann. Der Augenschein
lehrt, daß sich das gesunde Herz rasch, gewissermaßen ruckartig zu¬
sammenzieht, während das absterbende Herz nicht nur schwache, son¬
dern auch langgedehnte Kontraktionen aufzuweisen scheint, die sogar
einen peristaltischen Charakter annehmen können. Es wäre also die
kurze Systole ein gutes, die lange ein schlechtes Zeichen für den Zustand
des Myokards. Aber drei wichtige Befunde sprechen gerade im entgegen¬
gesetzten Sinne: Wir finden nämlich eine kurze Systole unter Be¬
dingungen, wo die Herabsetzung der Herzkraft nicht zweifelhaft sein
kann, nämlich 1. unmittelbar nach dem Ende der refraktären Phase,
2. unter dem Einflüsse der Vagusreizung bei ausgesprochener inotroper
Hemmung und 3. bei der Erstickung im Stadium der höchsten Herz¬
schwäche. Wenn man nun auch diesen letzten Befund als Folge der
Kohlensäurevergiftung auffassen und einen direkten Zusammenhang
mit der Herzschwäche leugnen wollte, so bleibt doch die Tatsache be¬
stehen, daß das gehemmte Herz im hypodynamen Zustande der Vagus¬
reizung eine kurze Systole hat und ebenso diejenige Kontraktion, die
gleich nach dem Ablaufe der refraktären Phase dem Herzmuskel auf¬
gezwungen wird, also zu einer Zeit, wo die Contractilität sich noch
nicht erholt hat. Ich glaube, daß dies für die aufgeworfene Frage
entscheidend ist, und zwar um so mehr, als der Accelerans die Systole
verlängert, wie aus den Versuchen von Mines hervorgeht. — Wenn
andrerseits Gifte, die das Herz schwer schädigen, die Dauer des K-Ekg
verlängern [Oxalsäure, Magnesiumsulfat, Chloroform, Muscarin?, Chi¬
nin*)], so müßte darin noch kein Widerspruch gesehen werden, denn
*) Hierher gehört auch die von Fridericia zitierte Angabe von Schott* 0 ), daß
bei phoephor- und arsenvergifteten Kaninchen die Dauer des K-Ekg im Verlaufe
der forstchreitenden parenchymatösen Herzmuskeldegeneration erheblich zu¬
nimmt, und zwar ohne gleichzeitige Änderung der Pulsfrequenz. Fridericia zieht
diesen Befund zur Stütze seiner Ansicht heran, daß Herzmuskelschwäche eine
Verlängerung der Systolendauer hervorrufen kann; ich möchte mich dem aber
aus den oben angegebenen Gründen nicht anschließen.
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII. 25
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362
V. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
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man könnte sich vorstellen, daß ein Gift auf die Contractilität und
die Dauer der Vs in gleichem oder auch im entgegengesetzten Sinne
wirken kann, und tatsächlich hat ja das Chlorkalium, das die Herz¬
tätigkeit auch schwer beeinträchtigt, in meinem Versuche eine Ver¬
kürzung der Systole zur Folge gehabt. Ich möchte aber überhaupt
darauf kein großes Gewicht legen, weil meine Versuche in dieser Hin¬
sicht viel zu wenig zahlreich sind, um zu Schlüssen zu berechtigen; ich
möchte in ihnen mehr eine Anregung zu eingehenderem Studium sehen.
Es kommt übrigens hier noch ein Moment in Frage: Da die ver¬
schiedenen Teile einer Herzabteilung sich nicht ganz gleichzeitig zu¬
sammenziehen, besteht die Dauer der Systole aus der refraktären
Phase der einzelnen Muskelzelle und aus der ,,Reizausbreitungszeit“,
d. i. das Intervall, um welches die Kontraktionen der zuerst und der
zuletzt erregten Fasern auseinanderliegen. Die Dauer der Systole kann
also nicht nur durch eine Verlängerung der refraktären Phase verlängert
werden, sondern auch durch Leitungsstörungen in den Verzweigungen
der Taimraschen Schenkel, und es scheint, daß dies gerade beim
Chinin der Fall ist, wo man so tiefgreifende V eränderungen in der Form
des Ekg findet.
Klinischer Teil.
Wie ich in der Einleitung erwähnte, haben Fridertcia, BazeU und
Lombard und Cope Formeln angegeben, mit denen man aus der Fre¬
quenz bzw. der Dauer der Pulsperiode die zugehörige Systolendauer
berechnen kann. Ich habe nun die im folgenden zu beschreibenden
Untersuchungen zu dem Zweck ausgeführt, um zu einem Schlüsse über
die Ijeistungsfähigkeit dieser drei Formeln zu gelangen. Eine Zu¬
sammenstellung der für eine und dieselbe Periodendauer nach den
drei Formeln berechneten Systolenlängen zeigt nun, daß diese manch¬
mal sehr weit auseinanderliegen, und es gibt eigentlich keine Periode,
für die man nach den drei Formeln dieselbe Systole finden könnte.
Dies zeigt eine tabellarische Zusammenstellung aller Werte für die
zwischen 20 und 300 liegenden Frequenzen; ich will aber diese große
Tabelle hier nicht wiedergeben, da der Mangel an Übereinstimmung
sich aus der Darstellung meiner Messungsergebnisse ebenfalls ergeben
wird.
Ich habt», meine Untersuchungen an einem Teil des großen Kurven -
materials angestellt, welches im Laufe der letzten Jahre im Institute
aufgenommen worden ist; für die Überlassung dieser Kurven bin ich
Herrn Prof. Rothberger zu Dank verpflichtet. Ich habe nur diejenigen
Kurven verwendet, bei denen die Zeit mit der Stimmgabel in 1 / 60 Sek.
geschrieben worden war, da nur diese eine verläßliche Messung ge¬
statten. Mit Zeitschreibung in 1 / 5 " (Jacquet) aufgenommene Kurven
habe ich nur ganz ausnahmsweise herangezogen, und zwar dann, wenn
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über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms). 3615
die Periodendauer und das K-Ekg so lang waren, daß der Messungs¬
fehler nicht in Betracht kam, also fast nur bei Dissoziation. Die Dauer
des K-Ekg gibt bei den drei Ableitungen gewöhnlich verschiedene Werte,
was auch Fridericia schon betont hat; ich gebe daher in der folgenden
Zusammenstellung nur die bei Abi. II gewonnenen Zahlen wieder und
erwähne andere Ableitungen nur dann, wenn das bei Abi. II aufgenom-
meAe Ekg infolge Fehlens der Nachschwankung oder aus anderen Grün¬
den eine Messung nicht zuließ. Die Kranken wurden in Rückenlage
untersucht oder in sitzender Stellung mit zurückgelehntem Ober¬
körper, also eigentlich in halbliegender Stellung. Lombard und Cope
geben für ihre Formel verschiedene Konstanten an, und zwar 28,25
im Stehen, 26 im Sitzen, 25 im Liegen und 27,5 nach Arbeit; ich habe
in den folgenden Tabellen nur die Werte für liegende Kranke ausgerech¬
net, da wir ja immer in dieser Stellung untersuchten. Bezüglich der
Ausmessung der Kurven kann ich auf das im ersten Teil Gesagte hin-
weisen ; wo mäßige respiratorische Arhythmie bestand, ist die mittlere
Periodendauer angenommen und dort, wo die betreffende Zahl in
meiner Tabelle nicht vorkam, die nächstliegende, also z. B. 60 für 61;
es handelt sich dabei immer um relativ lange Perioden, so daß die kleine
Ungenauigkeit nicht weiter in Betracht kommt. Ich möchte noch
daran erinnern, daß Fridericia seine Formel nur für die zwischen 51
und 135 liegenden Frequenzen erprobt hat und daß man nach seiner
Angabe Abweichungen der gefundenen von den berechneten Werten
nur dann als pathologisch ansehen darf, wenn sie das Dreifache des
mittleren Fehlers überschreiten, also größer sind als 0,045" (nach unserer
Schreibweise 4,5). (Siehe Tabelle S. 366—375.)
Wenn man die zu einer bestimmten Herzperiode gehörenden, nach
den drei angegebenen Formeln berechneten Werte für die Systolen -
dauer zusammenstellt, so ergibt sich, daß die Zahlen mehr oder weniger
von einander abweichen, und zwar in verschiedener Weise, je nach der
Länge der Herzperiode. Ich gebe im folgenden aus der großen von mir
berechneten Tabelle einige Zahlen wieder:
Dauer des K-Ekg nach
p
Frequenz
Fridericia
Bazett
Männer | Frauen
Lombard
und Cope
300 |
200 ;
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24
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26,2
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Y. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
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Man sieht, daß bei der niedrigsten Frequenz (20) die Formel von
Fridericia mit der von Lombard und Cope gut übereinstimmt, während
die von Bazett viel zu große Werte gibt. Wir wollen dabei vorläufig
unberücksichtigt lassen, daß Fridericia seine Formel für so niedrige
Frequenzen nicht angegeben hat. Bei ungefähr normalen Frequenzen
(60—100) stimmt die Formel von Fridericia mit der von Bazeit ganz
gut, während die von Lombard und Cope zu kleine Werte gibt und’ bei
den hohen Frequenzen gibt die Formel von Fridericia die höchsten
Zahlen, die von Lombard und Cope die niedrigsten.
Wenn man nun meine in den großen Tabellen übersichtlich zu¬
sammengestellten Messungsergebnisse durchsieht, so stellt sich heraus,
daß sie mit den nach Fridericia und nach Baaett berechneten Werten
auffallend gut übereinstimmen; manchmal kommt die eine, manchmal
die andere Formel dem gemessenen Wert am nächsten; die Formel
von Lombard und Cope gibt überall zu kleine Werte. Wenn wir nun
daran erinnern, daß man nach Fridericia pathologische Verhältnisse
erst dann annehmen darf, wenn der gefundene Wert von dem berech¬
neten um mehr als 4,5 abweicht, und daß unsere Zahlen ja fast aus¬
nahmslos von pathologischen Fällen herstammen, wird die Überein¬
stimmung mit den berechneten Zahlen noch auffallender. Es bleiben nur
sehr wenige Fälle übrig, die man nach Fridericia als pathologisch ansehen
dürfte, und ich stelle diese in der folgenden kleinen Tabelle zusammen.
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1 Dauer d. K-Ekg 1
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Laufen¬
de Nr.
p
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messen
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dericia
Differ. Klinisch
Ekg
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! 90
31
36,8
— 5,8 Kombin. Klappenfehler
Sehr hohes, breites P,
hohes T.
46
92
i
43
37,1
+ 4,9 Kombin. Klappenfehler
Im Auf- und Abstieg
gespaltenes breites R.
54
38
22
27,6
— 5,6, Hypoplasie
Superposition.
75
93
32
37,1
— 5,1 | Hypertrophie rechts
— 5 i Hypertr. beid. Ventr.
76
64
28
33
92
79
30
35,1
— 5,1 | Düatation
101
I 64
27
33
— 5 | Asthma
TI und TII neg.. TIII
pos. ( V, = 30).
107
43
23
28,8
— 5,8 ! Nach Purpura
Hohes T.
116
\ 37
23
27,5
— 4,5 Basedow
Superposition.
121
60
27
32,2
— 5,2, Basedow
|
. Hohes T, Kurve verzit-
tert.
144
43
24
28,8
— 4,8 Nach Arbeit
Keine Superposition.
157
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27
33
— 6 j Nervös
Messung bei Abi. I, T IT
1 und TIII fehlen
178
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29,5
— 4,5 | Tachykardie
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Es scheiden dabei zunächst diejenigen Fälle aus, wo infolge der
hohen Frequenz eine Superposition der P-Zacke auf die vorhergehende
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über die Dauer des K-Ekg* (Kammer-Elektrokardiogramms).
365
Nachschwankung bestand, weil unter diesen Umständen das Ende der
T-Zacke nicht genau zu bestimmen ist, so daß man leicht einen zu
kleinen Wert für die Dauer des K-Ekg bekommt. Dahin gehören die
Nr. 54 und 116. Es ist ferner 157 auszuscheiden, weil der Wert bei
Abi. I gewonnen wurde und dieser nicht mit demjenigen überein¬
stimmen muß, der bei Abi. II zu erwarten gewesen wäre (bei Abi. II
und III fehlte die Nachschwankung). Bei 101 kann die Differenz auf
die Negativität der Nachschwankung bezogen werden, da ja solche
Ekg nach Fridericia gewöhnlich eine zu kurze V 8 ergeben; bei Abi. III
war die Nachschwankung in diesem Falle positiv und das so gemessene
Ekg wäre nur um 3 zu kurz gewesen. Die Nr. 107 und 144 stehen
gerade an der Grenze derjenigen Frequenz, für die Fridericia seine
Formel erprobt hat, so daß die Differenz bei ihnen vielleicht auch
begreiflich erscheint.
Ich habe in meinen Tabellen 178 Fälle zusammengestellt und von
diesen bleiben demnach nur 7 übrig* die eine nach Fridericia als patho¬
logisch zu bezeichnende Differenz auf weisen. Unter diesen haben
6 eine zu kurze und nur einer eine zu lange Systole. Es handelt sich
dabei, wie ich durch eine Nachuntersuchung feststellte, ausschließlich
um Ekg mit positiver Nachschwankung, und nur in einem Falle (121)
war die Kurve verzittert, die Differenz konnte aber auch bei dieser
nicht auf eine fehlerhafte Messung zurückgeführt werden. Die wenigen
Fälle, die eine größere Abweichung von dem berechneten Werte er¬
geben, gehören ganz verschiedenen pathologischen Zuständen an; ich
konnte in ihnen nichts Gemeinsames finden, was die Abweichung hätte
erklären können, und' glaube* daß diese auch in Anbetracht der sehr
geringen Zahl der Fälle keine besondere Bedeutung hat.
Die weitgehende Übereinstimmung zwischen den nach Fridericia
bzw. Bazett berechneten und den gemessenen Werten ist nicht nur ein
Zeichen dafür, wie brauchbar diese Formeln sind; ich habe auch nach
dem Ausfälle meiner Tierversuche gar nichts anderes erwartet. Wie
sollte eine Erhöhung des Entleerungswiderstandes durch Aortenstenose
oder gar durch Hypertonie eine Verlängerung der Systole zur Folge
haben, wenn dies beim Hunde erst bei fast vollständigem Verschluß
der Aorta geschieht? Die Tierversuche haben gezeigt, daß sehr ener¬
gische Eingriffe notwendig sind, wenn man eine sichere Veränderung
in der Dauer des K-Ekg erzielen will, und ich glaube, daß es beim Men¬
schen entsprechende Zustände gar nicht gibt, Weil sie mit dem Leben
nicht vereinbar wären. Ich glaube daher auch, daß der Bestimmung
der Länge des K-Ekg zu differentialdiagnostischen Zwecken keine Be¬
deutung zukommt. Bevor wir diesen Schluß aber als sicher hinstellen,
wollen wir noch die bei unregelmäßiger Herztätigkeit und bei Reiz¬
leitungsstörungen gewonnenen Ergebnisse ins Auge fassen. (Siehe S. 376.)
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*
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Digitized by
376 V. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
Respiratorische Arhythmie.
Wenn wir bei einer ausgesprochenen respiratorischen Arhythmie
die Schwankungen in der Länge der Herzperiode und die zugehörige
Dauer des K-Ekg bestimmen, so sehen wir vor allem, daß diese auch
dann nur sehr geringen Schwankungen unterworfen ist, wenn sehr
ungleiche Herzperioden auf einanderfolgen. Dies sieht man am besten
an einer graphischen Darstellung, weil sie einen guten Überblick über
Gck igle
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Abb. 4.
iihor die Dauer des K-Ekg (Kanmier-Elektrokardiograirirns).
377
ein längeres Kurvenstück bietet. Eifie solche Darstellung zeigt die vor¬
stehende Abb. 4. Sie stammt von einem 39jährigen Soldaten (Prot.-
Nr. 929) und ist nach dem Vorgänge von Kaufmann und Rothberger an¬
gefertigt. In der Abszisse sind die Nummern der aufeinanderfolgenden
Herzschläge der Reihe nach auf geschrieben, wobei ich mich wegen der
zur Wiedergabe erforderlichen Verkleinerung damit begnüge, nur die
jedem fünften Schlage entsprechende Nummer aufzuschreiben. Die
Zahl 5 bedeutet also das Intervall zwischen den Systolen 4 und 5. In
der Ordinate ist die Länge dieses Intervalls in Vioo Sekunden aufgetragen
und diese Punkte sind miteinander verbunden. Läuft die gezeichnete
Kurve also in dem Abszissenpunkt 15 durch die Ordinatenhöhe 62, so
bedeutet das, daß die Länge des Intervalls zwischen den Systolen 14 und
15 0,62" beträgt. Da die längeren Herzperioden höher hinauf reichen,
zeigt der Anstieg der Kurve eine Verlangsamung, der Abstieg eine
Beschleunigung des Herzschlages an. Die auf- und absteigende Kurve
läßt also die durch den wechselnden Tonus der extrakardialen Nerven
erzeugten Schwankungen des Sinusrhythmus erkennen. Unten habe ich
in Form senkrechter Striche die Länge des zu jedem Schlage gehörenden
K-Ekg angegeben. Ein Blick auf die Tabelle zeigt, wie außerordentlich
stark der Sinusrhythmus schwankt und wie dagegen die Dauer der
einzelnen Systolen nur sehr geringe Unterschiede aufweist. Immerhin
ist dort, wo die Sinuskurve sehr stark ansteigt, wo also der Vagus¬
tonus stark überwiegt, auch eine Verlängerung der Systole zu erkennen,
d. h. also, daß die nach der langen, durch die Hemmung erzeugten
Pause folgende Kammerkontraktion länger dauert. Man sieht das be¬
sonders deutlich beim Schlag 6, wo die Periode plötzlich von 45 auf
120 an wächst und die Dauer des K-Ekg sich von 28 auf 33 ver¬
längert. Dasselbe finden wir, wenn auch weniger ausgesprochen, bei
den Schlägen 13, 14, 20, 23, 42 und 43. Daß aber die Dauer des K-Ekg
mit der Länge der Herzperiode nicht genau parallel geht, ist ebenfalls
aus der graphischen Darstellung zu ersehen.
Über die weiteren Fälle kann ich nun kürzer berichten.
Prot. Nr. 157. 4jähr. Mädchen, 1 Monat nach Gelenkrheumatismus. Es
sind 10 aufeinanderfolgende Herzperioden gut meßbar und ergeben folgende
w . 0 68 54 49 69 68 72 57 70 70 „ ^ ~ ™
Werte. 31 , , 3Q , 31 . 30 > 30,5 ’ 31’ 31’ 31’ 30,5’ Dle D des K ' Ekg
ist also fast konstant, während die Länge der Sinusperioden zwischen 49 und 72
schwankt.
Prot. Nr. 573. 32 jähr.Diener, sehr nervös, substemale Struma (Röntgen), leichte
xr j i-i i 54 98 96 92 96 64 52 98 90
Hypertrophie des linken Ventnkels: 30 * 3 fr 3l’ 32’ 31 ’ 3Ö’ 28’ 3f!’ 30'
Hier bestehen brüske Schwankungen der Sinusfrequenz, denen die Dauer des
K-Ekg manchmal folgt, aber auch da in sehr engen Grenzen.
Z. f. d. g. exp. Med. XXVII. 26
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
37S
V. Miki: Kxpcrimentelle und klinische Untersuchungen
Digitized by
Prot. Nr. 756. 30jähr. Mann, Verdacht auf Myokardaffektion.
48 53 55 63 72 66 64 56 54 n ^ ,,
32’ 33’ 32' 32’ 33’ 33’ 34' 32' 32’ ^ erln ^ e ^ chwankun g en * auffallend langes
K-Ekg.
Prot. Nr. 410. 3ßjähr. Ingenieur, ausgesprochene respiratorische Arhythmie,
Vagus stark druckempfindlich, Nicotinabusus. Die Herzperioden schwanken
zwischen 64 und 96, die Dauer des K-Ekg zwischen 29 und 32.
Prot. Nr. 443. 38jähr. Ingenieur, klinisch normal, seit 12 Jahren starke
respiratorische Arhythmie, schwere nervöse Stigmata. Die Perioden schwanken
zwischen 38 und 74, die Dauer des K-Ekg betragt 25, ist aber bei den kürzeren
Herzperioden wegen der Superposition der Vorhof zacke auf die vorhergehende
Nachschwankung nicht genau meßbar.
Endlich gebe ich noch den folgenden Fall genauer wieder, weil er wegen der
sehr niedrigen Frequenz und seines Verhaltens nach Atropininjektion einiges
Interesse verdient.
Prot.-Nr. 224. 56jähriger Mann.
*—
—
— — __—
-
Nr.
' v
1 V ,
N,.
p
W
Ableitung I
8
1 125
36
1
153
43
9
152
34
2
236
42
Sinusblock ?
10
24
36
3
166
43
3.
4
152
42
l
96
38
5“
234
43
2
1 110
38
Ableitung II
3
1 54
34
1
160
43
4
96
37,5
2
160
43
5
110
37
3
320
43
Sinusblock
6
148
39,5
(320 -•= 2 x 160)
7
114
36
4
160
43
8
148
37,5
5
150
42,5
9
116
37
Nach 1 mg Atropin subcutan. 1. Stück
4.
1
51
37
1
76
38,5 j
2
145
39,5
2
74
38
3
38
35
3
78
37
4
140
39
4
80
39
5
31
37
atrio-ventrik. Bigeininie
5
81
38
6
143
39,5
6
82
39 ;
7
58
36
8
176
38
7
96
39 ,
9
3€
38
8
74
37,5:
9
116
38,5:
2. Stück
10
144 !
39
1
52
33,5
11
144 :
37,5
2 !
119
38,5
12
216 j
38,5
3
52
34
13
188
40
4
120
37,5
atrio-ventrik. Bigeininie
14
174
39
5
54
34
15
134 1
39
6 1
122
58
16
54
36
7
52
34
Vorhofflimmern
3 / 4 Stunden nach dei
Atropininjektion
Go gl<
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UNIVERSITY-OF MINNE50TA
über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms).
379
Das vor der Injektion bei Abi. I aufgenommene Stück zeigt zwei
Intervalle (Nr. 2 und 5), die wahrscheinlich wieder aus je zwei Inter¬
vallen zusammengesetzt und demnach auf einen Sinusblock 2: 1 zurück¬
zuführen sind (234 = 2 x 117 und 236 = 2 X 118). Die Dauer des
K-Ekg ist trotzdem überall gleich. Auch bei Abi. II finden wir ein
solches Doppel-Intervall (320 =±= 2 x 160) und auch da wird nach
dieser langen Pause das K-Ekg nicht länger. Nach Atropin entsteht
zuerst eine atrioventrikuläre Bigeminie und dies ist wieder ein Bei¬
spiel dafür, daß das Atropin die Reizbildung im Tauxiraschen Knoten
steigert \Eckl**)\ In unserem Falle ist das K-Ekg der E-S kürzer
als das der Normalschläge, aber auch dieses ist viel kürzer als vor dem
Atropin, obwohl die dem Normalschlage vorausgehende Herzperiode
fast ebenso lang ist wie vor der Injektion. Im zweiten Stück ist der
Unterschied ebenfalls sehr deutlich, die Frequenz hat im allgemeinen
zugenommen und auch das K-Ekg ist deutlich kürzer. Das dritte Stück
zeigt Vorhofflimmern mit einer a—v Extrasystole (Nr. 3), und es ist
bemerkenswert, daß diese wieder in demselben Abstande vom vorher¬
gehenden Normalschlag auftritt, wie im zweiten Stück. Das vierte
Stück, 3 / 4 Stunden nach der Injektion aufgenommen, zeigt wieder
normale Sukzession und eine sehr ausgesprochene respiratorische
Arhythmie. Zur Beurteilung der Frequenz sei darauf hingewiesen,
daß der Bigeminus im ersten Stück nach der Injektion ungefähr 200
lang ist (2 X 100), im zweiten Stück 172—177 (2 X 86 — 2 X 88,5) ;
die Frequenz ist also im ersten Teil deö vierten Stücks etwas höher,
nimmt aber dann plötzlich ab und zeigt starke Schwankungen. Die
Dauer des K-Ekg ändert sich dabei kaum.
Vorhofflimmern.
In dem in der obigen Tabelle enthaltenen dritten Stück bestand
Vorhofflimmern. Wenn wir von dem kurzen K-Ekg der Extrasystole
3 absehen, ist die Systole bei den übrigen Schlägen fast gleich. Die
Intervalle schwanken zwischen 96 und 148, die Dauer der Vs zwischen
36 und 39,5, wöbei nicht zu verkennen ist, daß sie die Neigung hat,
sich nach der Länge der Perioden zu richten, ohne daß ein strenger
Parallelismus bestünde. Ich möchte im übrigen auf das Verhalten des
K-Ekg beim Vorhofflimmern nicht näher eingehen; es wäre ein dank¬
barer Gegenstand für eine eigene Untersuchung.
Ventrikuläre Extrasystolen*
Ich habe 15 J Fälle von Extrasystole ausgerechnet und die Dauer
des K-Ekg nicht nur bei den E-S, sondern auch bei den Normalschlägen
vor und nach der Pause gemessen. Ich stelle meine Ergebnisse in der
folgenden Tabelle zusammen.
26*
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
3 SO
V. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
Difitized by
Proto¬
koll-
minimer
Dauer der vorangeh. Periode (oben)
und der K-Ekg (unten) bei der
E-S
vorhergeh.
N-S
N-S nach
der Pause
Ventrikuläre E-S von rechts.
321
422
48
39—40
33
30
70
72
«2
28
84—100
34
87 nach
31 ’ der
Inter¬
polation
31
28
455
506
677
Fast kontinuierliche Bigeminie.
791
40
34
94
35
128_
34
Fast kontinuierliche Bigeminie.
797
42
853 ^
53—3^
37
„ 34,5—35
N-S nach der Interpolierung. 34
80
35
86
35
meist
interpoliert.
meist
interpoliert.
! 34
50
63—82
i, 34
27
28 “
34
47
66
j; 33 !
! 2H
28,5
349
; 36 1
1 56
89
!l 34 |
; 33
33
387
Dauer der Herzperiode (oben)
und der K-Ekg (unten) bei der
E-S
vorhergeh. 1 N-S nach
N-S i der Pause
Ventrikuläre E-S von links.
503
754
831
25
31
54
30
Fast kont. Bigeminie.
38
65
30“
82
31
82
32
II 30-32
E-S, dem Linkstyp zuneigend.
38
120—135
36—37
Dissoziation mit E-S.
Atrioventrikuläre E-S.
41
28
29
Kleine,
49
28
70
33
große
Nachschwankung.
Atypische Formen mit breiter, mehrfach
gespaltener Anfangsschwankung. (Typ
rechts mit positiver Nachschwanhmg.)
598
737
30—34
40
37-43
37
46 ’
"27“
65 -83
31
Die rechtsseitigen E-S haben gewöhnlich eine Länge von 33—35,
sie sind also, wenn man die Kürze der vorangehenden Periode in Be¬
tracht zieht, relativ sehr lang. Man erkennt dies am besten aus dem
Vergleiche mit den Normalsystolen, deren Dauer recht gut mit der
Formel von Fridericia übercinstimmt. Ihr K-Ekg ist auch dort, w r o
fast kontinuierliche Bigeminie besteht oder die E-S interpoliert sind,
also unter Umständen, wo eine Schädigung des Herzens durch die
vorzeitige wiederholte Inanspruchnahme anzunehmen wäre, durchaus
nicht zu lang, so daß also für eine solche Schädigung kein Anhalts¬
punkt besteht. Auffallend lang ist die E-S im Fall 321; es ist eine gut
meßbare Kurve; der Unterschied ist um so deutlicher, als das Ekg
der Normalsystolen relativ kurz ist. Auch Fall 422, bei dem die E-S
auffallend kurz ist, hat eine gut meßbare Kurve, so daß also an den
Werten selbst nicht zu zweifeln ist, wenn auch eine Erklärung für die
Abweichung nicht gegeben werden kann.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
über die Dauer des K-Ekg (Kammer-Elektrokardiogramms).
381
Die linksseitigen E-S sind, wie es auch meine experimentellen Be¬
funde ergeben haben, kürzer als die rechtsseitigen. Sie haben meist
dieselbe Länge wie die Normalschläge, wobei allerdings zu berück¬
sichtigen ist, daß vor diesen eine längere Herzperiode liegt, so daß also
auch diese E-S noch relativ lang wären. Interessant ist besonders
Fall 831. Es bestand Dissoziation. In Anbetracht der langen Pausen
ist die Vs der Normalschläge noch zu kurz, was mit der Negativität
der Nachschwankung Zusammenhängen dürfte; das K-Ekg der E-S
ist ungefähr ebenso lang, und das ist bemerkenswert im Hinblick auf
die Kürze der Kupplung, die die E-S mit dem vorangehenden Normal-
schlage verbindet.
Die atrioventrikulären E-S sind noch kürzer als die linksseitigen
und dies erklärt sich ja zwanglos aus der Tatsache, daß bei ihnen der
Erregungsablauf normal ist; es fehlt also das Nachhinken der einen
Kammer, wie es für die Längsdissoziation der anderen E-S bezeich¬
nend ist.
Endlich habe ich noch zwei Fälle von atypischen E-S untersucht,
die sich durch eine breite, mehrfach gespaltene Anfangsschwankung
und einen merkwürdig trägen Verlauf auszeichneten. Die Anfangs¬
und die Nachschwankung waren nach aufwärts gerichtet. Der erste
Fall (598) stammt von einem 29 jährigen Manne, der im 12. Lebensjahre
Scharlach und 2 Jahre später Nephritis durchgemacht hatte, der
zweite Fall von einem 33 jährigen Infanteristen, der wegen seiner Herz¬
beschwerden von der Front ins Spital geschickt worden war. In beiden
Fällen, besonders im ersten, ist die beträchtliche Länge des K-Ekg
auffallend.
Endlich möchte ich noch über einige Fälle berichten, wo die E-S
in Gruppen oder in längeren Reihen auftraten. Wir wollen sehen, ob
in diesen Fällen, wo es oft schwer war, ein Normalintervall zu finden,
eine Verlängerung des K-Ekg als Ausdruck einer Schädigung des Herz¬
muskels festzustellen ist. Die Zahlen beziehen sich ausschließlich auf
Normalperioden.
Prot. Nr. 798. Einzelne, doppelte und gehäufte a—v Extrasystolen. Der Fall
ist ausführlich von Kaufmann und JRothberger 38 ) beschrieben worden.
^2 * , V 9 nach Fridericia 34 und 32,2—32,7. Nach Bazeit 31 und 29—30.
68
Andere Aufnahme: > nach Fridericia 33,7, nach Bazeit 30,7.
Andere Aufnahme: > nach Fridericia 31,6—32, nach Bazeit 27,9—28,5.
Andere Aufnahme: Vor Atropin: K-Ekg 30. Kein Normal-Intervall.
63
Nach Atropin: nach Fridericia 32,7, nach Bazeit 29,4.
Prot. Nr. 235. a—v E-S in Reihen und einzeln.
50_Rß
29" 9 nÄ °k Fridericia 30,7—31,6, nach Bazeit 26,7—27,9.
Digitized b'
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Y. Mild: Experimentelle und klinische Untersuchungen
Dissoziation.
382
Prot.
i
Bazett
Lombard
/>
& Oope
Nr.
j Fridericia
Männer
Frauen
137
170
55
45,5
48,2
_
40,6
190
50
47,3
nach Kniebeugen.
160
180
62
46,4
49,6
—
41,8
163 190
52
47,3
—
55,1
42,6
184
110
38
39,3
38,6
—
32.4
48
Bigeminie. E-S: ^ (ventr.
222
114
40
40,3
—
42,6
ca. 33
E-S T v. links, II und III
von rechts).
283
130
38
41,6
42.2
35,5
4 Min. n. Atrop. | invers. Wir-
140
38
9 ,, „ „ >kunga.Vor-
145
43
12 „ „ ,, ) höf.u Kam.
145
43
286
180
50
46,4
49.6
—
41,8
Abi. 1 Form d. links. E-S.
ca. 185
ca. 54
Abi. III. Anfangs- und Nach-
schw. positiv.
425
152—170
44
43.7—45,5
45,3—48,2
—
39,5—40,6
nach Kniebeugen vorübergeh.
Block 3:1, V, w r egen Su-
perposition nicht meßbar;
dann wieder Dissoziation.
172
43
45,5
48.2
—
40,6
459
235
56
50,4
56,1
47,1
Form d. linkss. E-S.
480
97
44
37,7
36.3
30,9
breite, pos., gespalt. Anfangs-
j
u. pos. Nachschwan. Nach
Kniebeug, keine Änderung.
782
108
38—39
39,3
38,6
—
32,4
1
i
783
147
52
43,2
44,6
—
37,5
1
819
35—40
22 ]
! 27—28
22—23
' —
18,5—19,5
8jähr. Knabe, schwere Myo¬
karditis und Endokarditis.
26—34
20
2. Aufnahme Dissoziation.
64
33
33
29,7
—
24,9
3. Aufn. normale Sukzession.
831
120—130
37 !
40,5—41,6
40.5 — 42,2
—
33,8—35,5
T neg. Bigem. in. linkss. E-S.
1
i
1
i
i
i
nach Arbeit norm. Sukzess.,
dann Block 2 : 1. dann wie¬
der Dissoz. V t = 37.
832
140
43
1 42,7
43,8
l —
36,6
110
42
39,3
38,6
—
32,4 1
nach Arbeit.
966
140
45
42,7
43,8
i —
36,6
Kammer »rhythmisch.
1001
150
45
43,7
45,3
, —
39,5
1026 1
185
52 |
46,7
49,8
I —
42,2
i Kammer arhythmisch.
1061
| 212
58
48,1
52,3
!' _
43,8
1105
142—150
39—43
42,7—43,7
43,8—45,3
—
36,6—39,5
Zeitschreibung in l / 5 ".
1127
| 288
63
54,7
62,8
—
52, 54
Dissoziation.
207
56
48,9
53.6
—
45
j Block 2 : 1.
290
56
54
62
1 —
52,4
Block 3 : 1.
Prot. Nr. 1002. Langdauernde Anfälle von aurik. Tachykardie, zwischen den
Anfällen nur wenige Normalintervalle, die rasch kürzer werden und zum neuen
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über die Dauer des K-Ekg (Kainmor-Eloktrokardiogramms).
3 83
Anfall überleiten. Gemessen sind die unmittelbar auf das Ende des Anfalls folgen¬
den Normalintervalle.
105 80
27 ’ 27
, nach Fridericia. 38,8 und 35,4, nach Bazetl 37,8 und 33.1.
Prot. Nr. 585. Aurik. E-S in Reihen. Fall III der 4. Mitteilung von Kaufmann
und Rothberger 86 ).
50
1. Aufnahme: ^ * nach Fridericia 30,3, nach Bazett 26,2.
gj_
2. Aufnahme: —— , nach Fridericia 32,7, nach Bazetl 29,4.
*2o
48
Nach Kniebeugen: ^ • nach Fridericia 29,9, nach Bazett 25,6.
Prot. Nr. 443. Aurik. Tachykardie. Fall V der 4. Mitteilung von Kaufmann
und Rothberger 2 *)* Herzperiode während des Anfalls 38, eben noch Superposi¬
tion von P auf T. Die letzte Systole des Anfalls hat eine Länge von 24,5 also
38
öV - , nach Fridericia 27,6. Bazett 22,8.
Wir sehen also, daß die ersten 2 Fälle ganz gut zu den angegebenen
Formeln stimmen. Im dritten Fall (Prot.-Nr. 1002) ist die Systole viel
zu kurz. Nun haben gerade bei diesem Kranken Anfälle von vielen
Stunden bestanden, die Kammern schlugen immerwährend mit einer
Frequenz von 158 und die besondere Kürze des auf den Anfall unmittel¬
bar folgenden Normal-Ekg legt den Gedanken nahe, daß. sich eine
Schädigung des Herzmuskels durch die hohe Frequenz gerade in einer
Verkürzung der V 8 äußern könnte, wofür ja auch meine experimentellen
Ergebnisse sprechen. Auch in den zwei folgenden Fällen, ebenfalls
extrasystolischen Anfällen aurikulären Ursprungs, ist das unmittelbar
folgende Normal-Ekg zu kurz.
Die hier angeführten Beispiele sind nicht zahlreich genug, um die
eben aufgeworfene Frage zu beantworten, aber ich möchte doch glauben,
daß eine Schädigung des Herzmuskels durch zu häufige und überstürzte
Inanspruchnahme der Contractilität eher in einer Verkürzung als in
einer Verlängerung desK-Ekgzum Ausdruck kommt Dissoziation (siehe
Tabelle auf der vorigen Seite).
Ordnen wir diese 21 Fälle zunächst nach der Dauer der Herzperiode
bzw. nach der Frequenz (siehe folgende Tabelle S. 384).
Bemerkenswert ist zunächst der erste Fall wegen seiner ungewöhn¬
lich hohen Frequenz. Die Kurve stammt von einem 8jährigen Knaben,
der mit der Diagnose Pneumonie in das Kinderspital eingeliefert worden
war. Anamnese: Seit einigen Tagen Fieber und Atembesch werden,
früher stets gesund. Die Untersuchung ergab akute Myo- und wahr¬
scheinlich auch Endokarditis. Zwei Monate nach der ersten wurde eine
zweite Aufnahme gemacht und wieder Dissoziation gefunden. Zwei¬
einhalb Monate später bestand bei einer dritten Untersuchung normale
Sukzession, und zwar war die Form des Ekg dieselbe wie während der
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13H4
Y. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
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Prot. 1
Nr.
Dauer d. 1
Herzper.
An« I Dauer d.
Frequenz j K . EkK
Form des K-Ekg
819 I
35—40
i
150—170 ’
i
ca. 62 !
22
I normal, II u. III links. E-S. Anfangsschw.
überall schmal. Ebenso dann bei normaler
Sukzession.
4SI)
97
44
I, II, III. Beide Schwank, breit, pos., gespalt.
782
108
55 !
38—39
Überall Normalf. mit schlank. Anfangsschw'.
184
110
55
38
I Normal mit breiter Anfangsschw. II Normal
III beide Schwankungen positiv, Anfangs¬
schwankung sehr breit und gespalten.
222 |i
114
40
I normal, II u. III Form d. links. E-S mit
schmaler Anfangsschwankung.
831
120—130
46—50 1
37
Normal, TI positiv, TII u. TIII negativ.
283
130
46
38
I normal, II u. III links. E-S. Anfangsschw.
überall sehr breit und gespalten.
832
140
43
43
Normal.
966
140
43
45
Normal.
783
147
41
52
I u. II Normal, III tiefes S. Anfangsschwan¬
kung überall schmal.
1001
150
40
45
Normal. Anfangsschw. b. III klein u. gespalt.
1105
142—150
40—43
39—43
Normal.
425
152—170
35—40
44
Überall normal und schlanker Anfangsschw.
137
170
35
i i
55
I normal, II u. III Form d. linksseit. E-S
j mit schlanker Anfangsschwankung.
286
180
180
1 33
i
i
|
50
I Form d. links. E-S, III beide Schw. pos.
Anfangsschw. in all. Abi. sehr breit u. gesp.
160
j 33
i
62
I Beide Schwank, pos. u. breit, II u. III Form
d. links. E-S mit breiter Anfangsschwank.
1026
185
32
52
Form d. links. E-S. Anfangsschw. nur bei
I etwas verbreitert.
163 j
1
190
! 31,5
! 28,5
52
I wie 160 Anfangsschw. sehr breit und ge¬
spalten II u. III wie 160.
1061
| 212
i
58
i
I links. E-S. II u. III normal. Anfangsschw.
bei II schlank, bei I u. III breit u. gespalt.
459
235
25,5
i 56
I links. E-S und Normalform. II u. III links.
E-S, überall schlanke Anfangsschwankung.
1127
288
20,8
| 63
Normal.
Dissoziation. Entsprechend der hohen Frequenz ist das K-Ekg sehr
kurz. Wir müssen diesen ungewöhnlichen Fall für unsere weitere Be¬
sprechung ausschalten.
Die nach der Frequenz geordnete Reihe der übrigen Fälle ergibt,
daß die Dauer des K-Ekg im großen und ganzen mit der Dauer der
Herzperiode zunimmt, wenn auch nicht in regelmäßiger Weise. Der
Grund für die Abweichungen dürfte nur zum Teil in der Form des
K-Ekg liegen; wo diese normal ist, ist die V t meist kurz (Nr. 782, 184,
222, 1001, 1105, 425), aber nicht immer; so zeigt 783 trotz der Normal¬
form ein sehr breites Ekg und andrerseits 283 trotz der atypischen Form
ein kurzes K-Ekg.
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über die Dauer de:> K-EkjL r (Kanuner-Elektrokardiograimns). 385
Wie steht es nun mit der Länge der V s im Verhältnis zur Dauer
der Herzperiode und den drei von uns geprüften Formeln? Dies er¬
sehen wir aus der ersten Tabelle. Von den 21 Fällen geben 13 einen
mit der Formel von Fridericia ganz gut übereinstimmenden Wert,
d. h. die Differenz ist nicht größer als 4,5. Zehn Fälle — z. T. sind es
dieselben wie die eben erwähnten — stimmen mit der Formel von
Bazeit. Die übrigen Fälle geben, mit Ausnahme des von uns ausge¬
schalteten Falles 819 einen zu großen Wert, und zwar ist die Differenz
manchmal beträchtlich, wie aus der folgenden Zusammenstellung her¬
vorgeht, in der wir nur die Formel von Fridericia heranziehen.
■
i! Dauer des K-Ekg 1
Prot.
Nr.
1 Herzperiode 1
nach
Differenz
ll gemessen |
Fridericia
137
" 55
45,5
+9,5
160
62
46,4
+ 15,6
163
i! 52
47,3
+5,7
459
56
50,4
+5,6
783
52
43,2
+8,8
1026
52
46,7
+5,3
1127
63
54,7
+8,3
Wir haben bei der Besprechung unserer großen, im Anfang des
klinischen Teils abgedruckten Tabellen gefunden, daß die Formel von
Fridericia fast immer sehr gut stimmt, und daß in den wenigen Fällen,
wo sich eine Abweichung ergab, der gemessene Wert fast immer j$u
klein war, wobei die Differenz aber die von Fridericia angegebene Grenze
von 4,5 nur wenig überschritt. Es ist daher um so auffallender, daß wir
hier nicht nur immer zu große Werte finden, sondern auch, daß die
Differenzen so beträchtlich sein können. Man könnte geneigt sein,
den Grund hierfür darin zu suchen, daß die Formel von Fridericia für
so lange Herzperioden nicht mehr zutrifft, da er sie ja selbst nur für die
zwischen 44 und 120 hegenden Herzperioden erprobt hat. Ich glaube
aber, daß der Grund für unsere Abweichungen viel tiefer hegt, denn wir
haben sie bei den Sinusbradykardien trotz gleich langer Herzperioden
nicht gefunden. Auch unser Fall 1127 zeigt, daß hier besondere Ein¬
flüsse im Spiele sein müssen: Bei der Dissoziation betrug die Herz¬
periode 288 und die V s 63. Bei einer anderen Aufnahme bestand Block
3:1, dadurch entstanden Herzperioden von 290, aber die V s betrug
nur 56, und da stimmt sie mit der Formel von Fridericia sehr gut,
während sie früher um 8,3 zu lang war. Es scheint mir wahrscheinlich,
daß die funktionelle Trennung der Kammern von den Vorhöfen einen
von diesen ausgehenden Einfluß ausschaltet und daß dadurch die Dauer
der V t verlängert wird. Ich erinnere hier nur an die pharmakologischen
Untersuchungen von Amsler und Pick 37 ), die diese Autoren zu dem
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886
V. Miki: Experimentelle und klinische Untersuchungen
Schlüsse geführt haben, daß im ,,Oberherzen“ ein Contracturhem-
raungszentrum gelegen sei. — Auch in unserem Fall 425 trat (nach
Kniebeugen) an die Stelle der Dissoziation ein Block 3:1. Aber die
Dauer des K-Ekg ist nicht meßbar, weil sich die erste blockierte Vorhof¬
zacke gerade auf die Nachschwankung aufsetzt. Man könnte übrigens,
selbst wenn auch hier eine Verkürzung des K-Ekg gefunden würde,
diese auch auf die Körperarbeit zurückzuführen.
Interessant ist die Tatsache, daß im Fall 137 nach Kniebeugen die
V t kürzer wird, obwohl die Frequenz der Kammern gleichzeitig etwas
abnimmt. Der Fall ist von Stärk j 38 ) ausführlich beschrieben worden
(als Fall 2). Ferner sei auf die inverse Atropin Wirkung im Fall 283
hingewiesen (Verlängerung der Herzperiode, also Frequenzabnahrae,
im ersten Stadium der Atropin Wirkung, siehe Kaufmann und Donath 39 ).
Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse.
Experimenteller Teil.
1. Die Vermehrung und die Verminderung des Zuflusses zum rech¬
ten Herzen ist ohne wesentlichen Einfluß auf die Dauer des K-Ekg.
2. Die Steigerung des Entleerungswiderstandes durch Aorten¬
kompression hat eine leichte Verlängerung der K-Ekg zur Folge, die
aber durch die Beschleunigung des Herzschlages leicht verdeckt wird.
3. Nach Vagotomie wird die Systole kürzer, durch Vagusreizung
wird sie verlängert infolge Überwiegens des chronotropen Einflusses.
4. Die Ausschaltung der Accelerantes verlängert die V tf wobei
gleichzeitig die Frequenz immer mehr abnimmt. Die Reizung des
rechten Accelerans verkürzt das K-Ekg, wobei die Beschleunigung etwas
früher kommt und länger anhält. Bei der Reizung des linken Accelerans
dauert die Verkürzung der V, länger als die Beschleunigung. Nach
Injektion von Adrenalin tritt die Beschleunigung früher auf als die Ver¬
kürzung der V s .
5. Extrasystolen von der rechten Kammer sind etwas länger als die
Normalsystolen; die von der linken Kammer sind nicht länger, manch¬
mal, besonders bei kleinen Ausschlägen, sogar kürzer.
6. Bei Vorhofflimmern kann eine Kamraertachykardie entstehen,
bei der die V t stark verkürzt wird. Dies ist die Folge des Umstandes,
daß die Kammern gleich oder sehr bald nach dem Ende der refraktären
Phase wieder zur Kontraktion gebracht werden.
7. Nach der Durchschneidung eines Taxvara sehen Schenkels nimmt
die Vg um 0,03 —0,04" zu, wenn sich die Frequenz nicht ändert; der
Grad der Verlängerung ist aber nicht konstant.
8. Nach Abkleramung des Atrioventrikularbündels ist die Dauer der
V g beträchtlich verlängert, und zwar nicht infolge der Herabsetzung
der Frequenz.
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über die Dauer des K-Ekg (Kainmer-Elektrokardiotrrainins). 387
9. Bei Erstickung nimmt die Dauer der V 9 beträchtlich ab, und zwar
unabhängig von der Frequenz, die zuerst, auch bei durchschnittenen
Herznerven, etwa« steigt, dann aber immer mehr abnimmt. Bei aus¬
gesprochener asphyktischer Herzschwäche ist die V 8 kurz; nach Wieder¬
einleitung der künstlichen Atmung wird sie lang, und zwar gewöhnlich
etwas länger als vor der Erstickung, kehrt aber auch dann rasch zur
Norm zurück.
10. Chlorkalium scheint die V g zu verkürzen, diese wird aber ver¬
längert durch Oxalsäure, Magnesiumsulfat, Chloroform, Muscarin und
besonders durch Chinin, dem eine besondere schädigende Wirkung auf
das Reizleitungssystem zukommt.
Klinischer Teil.
Es werden 178 Fälle von regelmäßiger Herztätigkeit untersucht
und die Dauer des K-Ekg mit der Länge der vorangehenden Herz¬
periode in Beziehung gebracht. Dabei zeigt sich, daß die von Fridericia
und von Bazett zur Ermittlung des zu erwartenden Wertes angegebenen
Formeln sehr gut stimmen, während sich die Formel von Lombard und
Cope nicht bewährt. Diese drei Formeln geben übrigens auch bei einer
und derselben Herzperiode je nach deren Länge manchmal sehr weit
auseinandergehende Werte. Unter den 178 Fällen sind nur 13, die eine
größere Abweichung des gemessenen vom errechneten Wert (nach
Fridericia) ergeben, doch dürfte auch diesen keine besondere Be¬
deutung zukommen.
Bei respiratorischer Arhythmie ändert sich die Dauer des K-Ekg
auch bei sehr stark schwankenden Herzperioden nur sehr wenig; im
großen und ganzen wird sie bei Verlangsamung länger. Ventrikuläre
Extrasystolen von rechts sind gewöhnlich sehr lang, die linksseitigen
sind meist ebenso lang wie die Normalschläge. Nach gehäuften Extra¬
systolen und besondere nach extrasystolischen Tachykardien kann die
nächstfolgende Normalkontraktion sehr kurz sein und dies spricht
dafür, daß darin der Ausdruck einer Schädigung des Herzmuskels liegt
(also nicht in einer Verlängerung, wie Fridericia angibt).
Bei Dissoziation kann die V. sehr lang werden und eine so große*
Abweichung von den errechneten Wert zeigen, wie sie in keinem anderen
Falle gefunden wird. Dies beruht nicht einfach auf der Herabsetzung
der Frequenz, sondern dürfte mit der funktionellen Abtrennung der
Kammern von den Vorhöfen Zusammenhängen.
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